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ZEITSCHRIFT
FÜR
MEDIZINALBEAMTE
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des staat¬
lichen nnd privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und
öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der prakt. u. sozialen Hygiene.
H erausgegeben
von
Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg^
Reg. und Med.-Rat in Breslau.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen,
Sächsischen, Württembergisohen, Badischen, Hessischen,
Mecklenburgischen, Thüringischen und Braunschweigischen
Medizinalbeamtenvereins.
XXXV. Jahrgang. <922.
IEILII III FIUIEI’S HEIIZML IBCHIIIDLUIB I. IIIIFEll,
Herz ogl. Beyer. Hof- und K. n. K. Kam mer-Buch hfl edler.
Berlin W. 62, KeithatraBe 5.
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Inhalt
I. Original-Mitteilungen.
A. Gerichtliche Medizin, gerichtliche Psychiatrie and
SachverstSndlgen-Tätigkelt.
Giftwirkung der Kieselflußsäureverbindungen. Dr. Hillenbere
Leicbenzerstörung durch Fliegenmaden. Dr. Meixner 8
Fall yon Melancholie mit vermeintlicher Gravidität. Dr. Berneick
Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte bei gericht-
liehen Untersuchungen menschlicher Leichen. Dr. Puppe
Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen und Entmündisungs-
t -/“^hten durch die genchtsärztlichen Ausschüsse. Dr. Nippe
Luftembolie bei kriminellem Abort. Dr. Möller .. .
Nervöse Erschöpfung und Zurechnungsfähigkeit. Dr. Horstmann
Magendarmprobe und Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte
bei gerichtlicher Untersuchung menschlicher Leichen. Dr. Ungar
Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. Dr
vlernstein .
Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. Dr. Straßmann!
Die Maximaldosen der Arzneimittel, Rehwald .’ *
B. Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen. Standesfragen.
Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. Dr. Schmidt
Zar neuen preußischen Desinfektionsordnung. Dr. Freymuth
Haushaltsvoranschlag des preußischen Gesundheitswesens. Dr. Rap
mund sen. v
Entwurf eines preußischen Hcbammecgesetzes. Dr. Rap mund sen
Zwangsernährung Strafgefangener. Dr. Marggraff
Leichenpässe. Dr. Jorns . ' ' ' * '
Nicht Oberregierungsrat? Dr. Bomtraeger
Unsere Zukunft. Dr. Trembur ... .
Kurpfuscherei und Anderes. Dr. Grassl
Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen' Dr Se’vf
farth und Dr.Schrader. ^
Zu den Kritiken der neuen preußischen Desinfektionsordnung. Dr. Lentz
Nachkriegsverhaltnisse und ihre Einwirkung auf Gewerbebygiene, Medi¬
os ^^gesetzgebung und Medizinalverwaltung. Dr. Wildenrath
30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. Dr. I s r a e 1
Fleckfieber und soziale Lage. Dr. Willführ . . ' * ' ’
Entgegnung auf: Mitwirkung des Amtsarztes bei der'Auswahl der
Hebammen. Dr. Schwabe .
Notwendigkeit und Organisation städtischer Gesundheitsämter. Dr
Kreisärzte und Kommunalärzte. Dr. Krautwig
Beitrag zur Frage der Kommunalisierung der Kreisärzte. Dr. Scholz
Durchführung der neuen preußischen Desinfektionsordnung im Saalkreis
Dr. Hillenberg .
Kreisarzt und hygienische VolksbelehruDg. 'Di. Neu s'tä'tt'er’
Martener Typhusepidemie im Sommer 1921. Dr. P1 e n s k e.
Frage der Bildung eines Reichsgesundheitsministeriums bei der Beratung
des Haushalts des Reichsministeriums des Innern. Dr. Solbric
ixeeetzliehe Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dr. Dreuw
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Komtttftmi&Tzfce> ?»n<] Krcisärztei .A$J 1 o »fcer«;- . • . • • . 4
Sind TobctfeukwitsAfftraorgo aofdcifi richtigen Wege <
Dt. Pa et sch . . . .
Ziütunlomuf gaben amtsärztlicher Tätigkeit. Dr. Seh/sder • ; . ... .
35dr Frag$ der Zwang&iBipfHHg. llf» ”
Beaoidööf^&ft^e^^-f *l'brl^:-. - ; ^
Annahme tlot» Desfcisentvarfs Über dos Hebamfaenweaen im preußischen
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Tobe» b u! OBCbekänr pCöDp: anf dem Bande, Dr. Dille ob erg , . . .
Briuüiflija «bstat Dr. H a.l l e a b e r g er v • . •• '■.4' ■ - • •
Kreisarzt und Krctakommuiiftlarzt. Dr. Bo ege . . • • • • - •
Ottr&tifiiiiraog der neuen DeßinfektionsOTdnang in Stadt- und Land»
• ; .'.Dr, Erigelmanit .
Anstvn.bf der Hebamme». Dr. Poieo . .
>to?&Uchuug von Schulkindern. Dr. Malliai . . .
r, .•vMnifcngcb&ffcgb^giene und Schule. Dr. Berger. . . . -
2#b jpre^ws YersehJegon der „diskreten“ Bekämpfung der Geschlechte*
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M>$ VüUdamj)£ 'rotA’öij 4- guge«, de» Kreißarzt. Dr. Hohn. , .^l
Zar neuea Dfö»i»fcktim»a<>run«og, Dr. Helleuberger , •• - . . , ,
Die geaataUebe Regelung ,; 4t>i „Nachuntersuchungen“ bßifi» Typbue.
• • • -. • •
■YufccindW der Cot juUctiva, Dr. Meyer . , ... . .... >.-• .
DesoddiJftgsfruge. Dr. 3p Ihrig. . . . ■ . .*. .
• ne und Kreisarzt: Dr. K ü h d I e? 3 . :•
Eine di<u)i aufgeklärte Erkrankung. Dr. GastÄfa
Yagulög de» Vereine für üffeutiiebe GesundhCitifpflege.
/^ä^guuög auf; „Mit Volldampf voraus gegen den
Jatikoweki. . . . . ■ • .
Kuifidsebertüffi und »eine Bekämpfung. Dr. H a h tt . . . - • • •
•TubefkuiofOnv«.M-»*r«'!t.n»g und soziale Miöstiiwde.. Di*. Diiruer - . .
Hygieuott.ettJeialeidediaiJ) im VplksbelebrnngBfilai. Dr. T h 0 m a 11 a 589, 606,
SUa.wir mR der TaWrkalost filrsorge auf dem riebt »gen Wege?; Dr. Boege
: .-•ncdi.-. i'. wu. f '— Wohlfahrtsamt Dr. Oppelt , .
Prostitution and Dirnentum in Ctefeld. Dr. Klaholt & v - • v . •
dnßvrort. Dr. Habu . - .
Ämisunkosten der preußieebfeu Medizinalbeamteu. Dt A u s 1 v .
Die neuen Besoiduogevurschrifteu. Dr. Soibrtg . , ......
Jirfäbruoge» bei der Durchführung de» Gesetzes befr. die ottenuici«
{ KffippoMürsorge vom 6. Mai 1920. Dr. Kriege und Dr. JPfabel
Zur Hebinimenfrage. Dr. Borge . . > . • • ' 4 ‘: r ±'^ 4*., 7 '
Bekämpfung des Karpfuaebertunw. Dr. ftehrad^r .
Zur Zahlung Uccerer Vereiosbeiträge. Dr. Rogowski *
Dr. Bandt
Kreisarzt'^. Dr.
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II. Aus VersammJungen und Vereinen.
■x dut Sächsischen Medizinalbcamtcnvercins (liberg).
Voretandaaitzuitg des Preußischo» Medizinaibeamtenvereins . . *
Vcriamuiiang der Medizinaileaititeö des Tteg.-Bez. Kobleue (Luatlg) -
Ysirhandlnngen im Ministerium für Volkswohlfabrt mit-dem Vorstand
»Ifttf prfe pfl iRP.hftn MftdizinalbeamtenVereins tWo tlePWfeb^tffl^vBuud t)
Hauptversammlung de-s Verein» der Säcbaischen Be 2 iHtsärÄte f.jP etzbold t)
Versamuüüftg des Med ivinalbeaBi tenvereina des. ß«g, >Bea- Aachen
Wi:S fSfttfileu) »'5 ■■■*■ v ^
Versammlung des Bezirksverem» Ar» 3 berg (W 0 11 0 nwebet)
■ » Veiein»i der Medizinalbeamte» der Fft»vi»z
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'Vfersaromlong des BezitköV^rehai Dassel iWol r) ;* ■ . - •. v <
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. 286. 506
Inhalt. V
Seite
Sitzungen des Vorstandes and der Bezirksvertreter des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins.256
Versammlung des Thüringischen Medizinalbeamtenvereins (üßw&ld) . 271
Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins .... 281
Sitzung des Vorstandes des Deutschen Medizinalbeamtenvereins . . . 335
Dienstliche Versammlung d. Medizinalbeamten d. Reg.-Bez. Köln (D ö 11 n e r) 386
Deutscher Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung (Flaig) . . . . 414
Versammlung des Bezirksvereins Hildesheim (Boos).435
„ „ „ Liegnitz (Willführ).575
„ „ „ Münster (Schlautmann) .... 620
Aus dem Preußischen Medizinalbeamten verein.613
DI. Kleine Mitteilungen und Referate aus
Zeitschriften u. s. w.
A. Gerichtliche Medizin.
Nachweis der Zeugnngsunfähigkeit. Prof. Dr. Straßmann (Sbg.) . . 184
Beitrag zum Spermanachweis. Dr. Q. Straßmanu (Sbg.).184
Vergiftungsgefahr bei Verwendung des Baryams. Dr. Äust und Dr.
Krön (Sbg.).185
Zum gerichtsärztlichen Studium des Todes durch Ueberfahrenwerden.
Dr. Romanese (Sbg.).185
Gerichtsärztliches Studium über den zufälligen Tod durch Ueberfahren¬
werden. Dr. Cazzaniga (Sbg.).185
Hämorrhagische Diathese nach Kohlenoxyd Vergiftung. Dr. Müller-
Hess (Sbg.).186
Wann trübt sich die Cornea nach dem Tod ' Dr. Kanngießer. . . 186
Sterbehilfe. Dr. Kaungießer .187
Untersuchungen bei Schußverletzungen. Dr. Straßmann (Sbg.) . . 436
Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungsobduktionen. Dr. Neu¬
reiter und Dr. Straßmann (Fischer).553
Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungssektionen. Prof. Dr.
Straßmann (Fischer).553
Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungssektionen. Dr. Moli-
toris (Fischer).554
Hämatin in den Lungen bei der akuten Aspbyxie durch Phosgen.
Dr. Viale (Sbg.).554
Beziehungen zwischen Anaemia perniciosa und Trauma. Dr. Mino (Sbg.) 554
B. Gerichtliche Psychiatrie.
Notzucht an einem Hypnotisierten. Dr. Höpler (Sbg.).188
Aetherismus und Kriminalität. Dr. Amaldi (Sbg.).188
Körperverletzung durch Hypnose. Dr. Schröder (Sbg.).272
Schädigungen durch hypnotische und spiritistische Sitzungen. Dr. J a -
cobi (Sbg.).272
Yersicherungssachen.
Hernia diaphragmatica. Dr. Lehmann (Sbg.).188
Schüttellähmung nach plötzlichem Schreck. Dr. Hebestreit (Sbg.) . . 188
Elektrographie des Herzens und ihre Bedeutung lür die Versichcrungs-
medizin. Dr. Sachs (Wolf).188
Statistische Gesetzmäßigkeiten des elektrischen Unfalles. Dr. Jaeger
(Wolf).189
Tödliche Lungentuberkulose nach kompliziertem Unterschenkelbrach —
keine Unfallfolge. Dr. Roepke (Wolf).272
Leistenbrüche als Betriebsunfälle. Dr. Meyer (Wolf).272
Gerichtsärztliche Beurteilung der hirnverletzten Aphasischen. Dr. Ja¬
cob i (Sbg.).273
Arbeitsfähigkeit bei ärztlich naebgewiesener Invalidität. Dr. Leh¬
mann (Sbg.).273
VI Inhalt. Reu«
Unfallpraktiker gegen pathologischen Anatom in einem Fall von Tuber¬
kulose. Dr. Orth (Sbg.).273
Phlegmone und Unfall. Dr. Pickenbach (Sbg.).274
Hirngeschwulst und Kopfverletzung. Dr. Lewerenz (Sbg.) .... 436
Gasvergiftung und Herzschädigung. Dr. F r e h a o (Sbg.) ...... 436
Neurosenfrage. Dr. H ii b n e r (Sbg.)..436
Blutdruckmessung in der augenärztlichen Unfallbegutachtung. Dr.
Reis (Sbg.) .. 437
Reform des Reichshaftpflichtgesetzes für Eisenbahnen. Dr. Horn (Sbg.) 437
Aneurysma der Arteria vertebralis dextra nach Trauma. Dr. Men¬
schei. (Sbg.). 437
0. Kriegsbesctiädlgten-Fürsorge-
Hysterie der Kriegsbeschädigten. Dr. Schulz (Sbg.).274
Versorgungs-Heilbehandlung der Kriegsbeschädigten nach dem lieichs-
versorgungsgesetz. Dr. Herhold (Sbg.).. 274
E- Bakteriologie und Bekämpfung der Übertragbaren Krankheiten.
1. Seuchenbekämpfung und Seucltenkunde im allgemeinen.
Infektionskrankheiten in den Vereinigten Staaten. (Sieveking) . . , 529
2. Pocken und Schutzpockenimpfung.
Zwangsimpfung und Blattcrnscbutz. Dr. Ascher .644
3. Aussatz.
Lepraherd in Brasilien. (Sieveking) .. 599
4. Fteckfieber.
Fleckfieber-Aetiologie. Friedberger u. Schiff (Sbg.).154
Weil-Felixsche Reaktion. (Sieveking) .528
5. Typhus.
Serologische Typhusdiagnose bei Schutzgeimpften. Dr. Schürer und
Dr. Goldschmidt (Sbg.).154
Wert der Typhusschutzimpfong. Dr. lckert (Sbg.).598
Typhus-Keimträger in Nordamerika. (Sieveking) ........ 698
6. Paratyphus.
Ist die Annahme eines Paratyphus der Schlacbttiere in die Ausfütorungs-
bestimmungen zum Fleischbeschaugesetz begründet? Prof. Dr. Gl ege.
(SievekiDg) .. 154
7. Scharlach.
Ein seltener Fall von zweimaliger Scharlacherkranknng Dr. N am iot. (Sbg.) 155
Uebertragbarkeit von Scharlach auf Diphtheriekracke. Geh. Med.-Kat
Prof. Dr. Schlossmann (Sbg.).155
8. Influenza.
Epidemischer Singultua bei Influenza. Dr. Kann gieße r . . . . . 155
9. Encephalitis epidemica.
Zur Klinik der Encephalitis epidemica. Gerönne (Sbg.).156
Anatomie der Encephalitis epidemica. Hoxbeimer (Sbg.) .... 156
Bakteriologischer Befand bei der Leichenuntersuchung eines Falles von
Encephalitis lethargica. M an teuf el (Sbg.) .156
Differentialdiagnose der Encephalitis epidemica. San.-li. Dr. Herzog (Sbg.) 156
Vorkommen von Encephalitis lethargica and Singultus epidemicas iu der
Schweiz. Carriüre (Sieveking).. 157
Inhalt. YII
8oite
10. Tuberkulose.
Kaltblütertuberkelbazillen und Friedmann’schesMittel. Dr. Möller (Sbg.) 157
Grippe und Lungentuberkulose. Dr. Kieffer (Sbg.).157
Nutzanwendungen auB den Kriegserfabrongen für die Anstaltspflege
Taberkulöser. Dr. Z a d e k (Israel).158
Sollen wir die „offene" von der „geschlossenen" Tuberkulose trennen?
(Israel).168
Tuberkulose in Nordamerika. (Sieveking).528
Schweizerischer Gesetzentwurf betr. Maßnahmen gegen die Tuberkulose
(Bapmund sen.).528
11. Geschlechtskrankheiten, Prostitution.
Kommunalisierung der Prostituiertenfürsorge. Dr. Kor ach (Sbg.) . . 597
Krankenordnung der B. V. 0. und Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten. Dr. Hanauer (Sbg.).597
12. Zoonosen.
Trichinose. Prof. Strauß. (Sbg.). 159
Verbreitung der Trichinose in Deutschland 1910—1919. Dr. Caesar (Sbg.) 598
Tetrachlorkohlenstoff gegen Anchylostomiasis. (Sieveking).599
13. Malaria.
Malaria in Trinitapoli. Dr. Falleroni (Sbg.).598
14. Desinfektion.
Die neue preußische Desinfektionsordnung. Prof. Dr. Seligmann (Israel) 159
Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs. Dr. Schuster (Bapmund sen.) 159
Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs mit Aetzkalk. Prof. Dr. Hir¬
stein (Bapmund sen.).160
F. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
1. Wohnungshygiene.
Zur Hygiene der künstlichen Beleuchtung. Dr. Grimm (Sbg.) . . . 661
2. Gewerbehygiene.
Gewerbebygienische Aufgaben und Mitwirkung der Aerzte in der Gewerbe¬
aufsicht. Dr. Basch u. Prof. Dr. Holtzmann (Wolf) .... 387
Beruf und Krankheit und ihre Erfassung durch die Statistik. Dr. Thiele
(Wolf).887
Die neuen Fortschritte der Gruppenbeieuchtung. H. Müller (Wolf) 388
Einfluß der Nachtarbeit. H. Brückner (Wolf).388
Erster Kurs der Fabrikärzte über Prophylaxe der Bleivergiftung. Dr.
Grobe (Wolf).388
Frühdiagnose der Bleivergiftung. Dr. Schoenfeld (Wolf) .... 507
Blutuntersuchung bei Bleikrankheitsverdacht. Dr. Scnwarz (Wolf) . 507
Bleiweißverbot und Blutuntersuchung. Dr. Schoenfeld (Wolf) . . 507
Tödlicher Unfall an einer Niederdrucksspannungsanlage. Dipl.-Ing. Hey-
drich (Wolf).508
Vergiftung mit Montanin. Dr. Krause (Wolf).508
Gewerbliche Vergiftungen durch Blausäure. Prof. Holtzmann (Wolf) 508
Lungenentzündungen bei Thomasschlackenmehlarbeitern. Dr. Opitz
(Wolf).508
Gewerbekrankheiten der Steinkohlenbrikettfabriken. Dr. Burkhardt
(Wolf).508
3. Schulhygiene.
Bechenschieber zur Feststellung des Normalindex. Studienrat Luckey
(Sbg.).234
Bohrer'scher Index und Ernährungszustand. Dr. Lisa Brunn (Sbg.) . 234
Eignung des Bohrer’schen Index. Dr. Bedeker (Sbg.).234
Indexmethode. Prot Dr. Schlesinger (Sbg.).234
VIII
Inhalt.
Seit?
Untersuchung von Schulkindern in Kristiania. Prof. Borgerstein (Sbg.) 236
Vereinfachtes Verfahren zur Bestimmung der körperlichen Entwicklung.
Dr. Drescher (Sbg.). 235
Erfahrungen bei Quäkerspeisungen und ErholnDgskuren. Dr. Stephani
(Sbg.). 235
Erholungskuren für Schulkinder auf dem Lande. Schulinsp. Meyer (Sbg.) 236
Neuköllner Gartenarbeitssehule. A. Heyn (Sbg.). 236
Die Scbulpflegerin. Dr. Fischer-Defoy (Sbg.).236
Schulärztliche Tätigkeit an Fortbildungsschulen. Dr. Ilse Szagunn
(Sbg.).236
Berufseignnngsforscbung. Dr. Stern (Sbg.).236
Berufsberatung schwerhöriger Schulkinder. Dr. Brühl (Sbg.) . . . 236
Berufsberatung bei Augenleiden. Prof. Dr. Levinsohn (Sbg.) . . . 237
4. Jugendfürsorge.
Jugendwohlfahrtegesetz und Gesundheitspflege. Ob.-Med.*Itat Dr. Tj a»
den (Israel).237
Filmzensur uud Jugendbewegung. G. üohde (Sbg.).237
5. Irrenfürsorge.
Offene Fürsorge für Geisteskranke. Dr. Wendenburg (Israel) . . 238
6. Kurorte, Badewesen.
Ausgewählte Kur- und Badeorte Oesterreichs und Bayerns. Dr. Diet¬
rich (Sbg.) . . ....662
7. Soziale Hygiene.
Unterricht in der sozialen Medizin. Dr. Rumpf (Sbg.) ...... 437
Wohlfahrtspflege und Arzt. Dr. Gottsteiu (Israel).438
Wohlfahrtspflege, Arzt uud Frau. Dr. Marie liaum (Israel) .... 438
Was will die Rassenbygiene ( Dr. Siemens (Wolf).439
Gesundheitlicher Rechtsschutz der Ehe. Dr. M am lock (Sbg.) . . . 439
Ueber geschäftsmäßige und amtliche Eheveimitllung. Dr. Fetseber
(Gumprecht)..662
8. Aerzte.
Aerzte als Giftmischer. Dr. Spinner (Bspmund sen.). 6i5
IV. Besprechungen. 1 )
Bandelier und Uoepke: Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und
Therapie der Tuberkulose. (Gumprecht) ..509
Baumgärfcel, Dr.: Die staatlichen Bestimmungen über die Aus¬
führungen der Wa. R. (Käthe) . . . . . ..440
B a u r, Prof. Dr.: Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassen-
hygiene. (Sbg.). 274
Birnbaum, Dr.: Kriminal-Psychopathologie, (ltapmund sen.) . . . 161
Blume, Dr. Med.-Rat: Der Samariter. ((Sbg.).623
Bornträger, Dr. Geh. Med.-Rat: Preußische Gebührenordnung für
Aerzte und Zahnärzte. (Sbg.) .. 417
Brauer, Prof. Dr.: Die Ruhr, ihr Wesen und ihre Behandlung.
(Gumprecht). 441
Breul, Dr.: Tuberkulose und Mittelstand. (Wolffberg) ..... 361
Brezina, Prof. Dr.: Internationale Uebersicht Über Gewerbekrankheiten.
(Sbg.).275
Bruck: Rozepttaschenbuch für Dermatologen. (Gumprecht) .... 510
Br ahn, Dr.: Vom gesunden und kranken Tuberkulösen. (Sbg.) . . 509
Ohajes, Prof. Dr.: Kompendium der Sozialen Hygiene. (Itapmand sen.) 21
1 ) Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt.
Inhalt. IX
Seh«
Dienemann, Dr.: Gesundheitliche Grundlagen für gewerbliche Arbeit.
(Sbg.). 275
Dietrich, Prof. Dr.: Die preuß. Gebührenordnung für Aerzte und Zahn¬
ärzte (Sbg.) .417
D i 11 r i c h, Prof. Dr.: Lehrbach der gerichtlichen Medizin. (Rapmund sen.) 276
Dornblüth, Dr.: Arzheimittel der heutigen Medizin. (Rapmund sen.) 529
Dreuw, Dr.: Die Sexaalrevolution. (Kanngiesser).161
Finkelnburg, Prof. Dr.: Lehrbuch der Unfallbegutachtung der inneren
und Nervenkrankheiten. (Rapmund jun.). 84
F r a n c k e, Dr. und B a c h f e l d, Dr.: Meldepflicht der Berufskrankheiten.
(Sbg.).362
Friedberger, Prof. Dr. und Pfeiffer, Prof. Dr.: Lehrbuch der
Mikrobiologie. (Rapmund jan.).276
Friedrichs: Psychologie der Hypnose und Suggestion. (Sbg.) . . 455
Fürst, Dr.: Berufsberatung und Berufseignung. (Sbg.).362
Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. (Sbg.).417
Gesundheitswesen des Preuß. Staates 1919/20. (Sbg. ).621
Goetze, Dr.: Untersuchungsmethoden und Diagnose der Erreger der
Geschlechtskrankheiten. (Rapmund sen.). 83
Gotschlich, Prof. Dr. und Schürmann, Prof. Dr.: Leitfaden der
Mikroparasitologie und Serologie. (Rapmund jun.). 84
Greimer, K., Dr. phil.: Handbuch des praktischen Desinfektors. (Sbg.) 645
Grober. Prof. Dr : Das deutsche Krankenhaus. (Rapmund sen.) . . 622
lioffmann, Prof.: Die Reichsversicherungsordnung für Juristen und
Aerzte. (Richter).440
Hübner, Prof. Dr.: Eherecht der Geisteskranken und Nervösen.
(Rapmund sen.). 20
9. Jahresbericht des Landesgesundheitsamtes über das Gesundheitswesen
in Sachsen 1914/1918. (Sbg.).360
Joachim, Dr. San.-Rat und Korn, Dr. Justizrat: Die preaßische Ge¬
bührenordnung für Aerzte. (Rapmund sen.). 82
Joachim, Dr. San.-Rat und Joachim, Rechtsanwalt: Kommentar zum
Umsatzsteuergesetz. (Rapmund sen.). 82
Kaup: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. (Fetscher) , . . 662
v. Klinkowstroem, C. Graf: Die Wünschelrute als wissenschaft¬
liches Problem. (Kanngiesser).645
Krasemann, Dr.: Säuglings- und Kleinkinderpflege. (Sbg.) .... 276
Kühnemann, Dr. San.-Rat: Differentialdiagnostik der inneren Krank¬
heiten (Rapmund sen.). 21
Kuhn, Prof. Dr.: Gedenke, daß du ein deutscher Ahnherr bist. (Sbg.) 510
Lehmann, Dr., Reg.- und Med.-Rat: Leitfaden zur Einführung in das
Gesundheitsturnen. (Sbg.).509
Mayer, Dr.: Fundamente zur Diagnostik der Verdauungskrankheiten.
(Rapmund sen.).160
Much, Partialantigengesetze und ihre Allgemeingültigkeit. (Käthe) . 439
Mulzer: Die syphilitischen Erkrankungon in der Allgemeinpraxis.
(Gumprecht).441
Müller, Prof., Dr. und Koffka: Rezepttaschenbucb. (Sbg.) . . . 361
Nauwerck, Prof. Dr.: Sektionstechnik für Studierende und Aerzte.
(Rapmund sen.).161
Nissle, Prof. Dr.: Richtlinien und Vorschläge für einen Neuaufbau der
Kräfte und Leistungen unseres Volkes. (Fetscher).455
Oberndorfer, Prof. Dr.: Pathologisch-anatomische Situsbilder der
Bauchhöhle. (Sbg.) .361
v. Ostertag, Prof. Dr.: Handbuch der Fleischbeschau. (Sbg.) . . . 275
Prausnitz, Prof. Dr.: Grundzüge der Hygiene. (Rapmund sen.) . . 134
Psychopathenfürsorge, Bericht über die zweite Tagung. (Sbg.) . . . 360
Rohleder, Dr.: Die Masturbation. (Rapmund sen.). 20
Rubner, Prof. Dr., Geh. Med.-Rat, v. Grub er, Prof. Dr., Ficker,
Dr. Geh. Med.-Rat: Handbuch der Hygiene, V. Bd. (Sbg.) . . . 663
Samson, Dr.: Prostitution und Tuberkulose. (Rapmund sen.) ... 83
Schall, Dr.: Diagnostik und Ernährungsbehandlung der Zuckerkrank¬
heit. (Rapmund sen.).160
X Inhalt Saite
feld: Diagnostisch-therapeutisches Vademecuro. (Rapmund bcu.) . 83
Schwalbe: Diagnostische und therapeutische Irrtümer. (Gumprechl) 441
Sobernheim, Prof. Dr.: Leitfaden für Desinfektoren. (Sbg.) . . . 277
Sopp, A. : Suggestion und Hypnose. (Gumprecht) .64(5
Stein, Dr.: Geschlechtskrankheiten. (Rapmund sea.) ...... 663
Stefeel, Dr,: Der Wille zum Leben. Das liebe Ich. (Sieveking) . . 362
Thomm, Prof. Dr.; Die Kaliwerke und ihre Abwässer, (Globig) . . 20
Többben, Prof, Dr.: Jugend Verwahrlosung und ihre Bekämpfung. (Sbg.) 481
Uhlmann, Dr., Priv.-Doz.: Lehrbuch der Pharmakologie - Therapie.
(Rapmand sen.).. 160
Veröffentlichungen a. d. Geb. d. Med.-Verwaltg. Xi V. Bd. 11. lOund XV. Bd.
H. 1 und 3. (Rapmand sen.) . . .. . 576
Walter, Prof. Dr.: Die Sozialhygione in ihrem Verhältnis zur Welt¬
anschauung und Ethik. (Sbg.) .. . 135
V. Tagesnachrichten.
Aus dem Reichstag, den Reichsbehörden usw.:
Branntweinmonopolgelder. 22, 239
Richtlinien für Anwendung von Salvarsan .. 22
Apotheken weBen. 87
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten . 107, 278
Iteichsministerium für Volksgesundheit. 189, 238
Altersgrenzengesetz . *.190
Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige. 239, 647
Krankenversicherung, Angcstelltenversicherung. 388, 531, 600
Pensionsgesetz . .. 388
Gesetz über Ausübung von Kranken-, Säagüngs- und Wochenpflege . 420
Reichsjugendwohlfahrtsgesetz.456
Verordnung über Lebensmittel . ..677
Aua den Landesversammlungen, den Staatsbehörden usw.:
Preußen;
Taberkulosegesetz. 22, 457, 578
Ueb&mmengesetz . .. 22, 279, 482, 483
Verhandlung des Ministeriums für Voikswohlfahrt mit dem Vorstand des
Preußischen Medizinal beamten- V ereins. 54
Besoldungsfragen. 84
Jahresgesundheitsberichte der preußischen Kreisärzte. 84
Leichentransport.. 85
Bekämpfung der Kurpfuscherei. 107
Apothekerkammer. 107
Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs . .. 163
Aerztliche Gebührenordnung. 191, 699, 646
Seucbengefahr. . 238, 389
Bezirksfttrsorgerinnen ..417
Haushalt des Wohlfahrtsininisteriums. 417
Gesetz vom 29. Juli 1922 zur Erhaltung von Grünflächen usw. ... 510
Landesgesandheitsrat. 578
Sozialisierung des Gesundheitswesens.• . 663
Bayern.
Dritter Landgerichtsarzt in München. 85
Wasserversorgung der Gemeinden./ . . . 135
Sachsen:
Vorschriften für das Medizinalwesen. 85
Württemberg:
Gesetzentwurf über die berufliche Vertretung der Aerzte.135
Inhalt XI
8eite
Anhalt:
Gebühren der Medizinal beamten.162
Kongresse und Versammlungen:
Gesellschaft deutscher Naturforscher and Aerzte. 23
Balneologen-Kongreß. 87
Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder“ .108
Deutsche Gesellschaft für Volksbäder .136
Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenchaft und Eugenetik .... 164
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberknlose .... 164
Vereinigung zur Förderung des deutschen Hebammenwesens .... 2l2
Deutscher Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung.240
Vereinigung der Kommunalärzte . 279, 483
Ausschuß der deutschen Jugendverbände .... .363
Deutsche Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin.442
Kommunale Vereinigung für Gesundheitsfürsorge in Rheinland-Westfalen 443
Vereinigung deutscher Schul- und Fürsorgeärzte.443
Deutscher Verein für Schulgesundheitspflege ..444
Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft. B32
Berliner Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege .599
Personalien:
Barnick 23; Hensgen 107; Hahn 363.
Todesfälle:
Leske 23, Francke 23, Sander 55, Bacine 162, Räuber 19t,
Dun bar 191, Blaschko 214, Dybowski 420, Hasse 458,
Katluhn 482, Gutzmann 646.
Sonstiges:
Verein der beamteten Tierärzte in Westfalen zur Besoldung pp. . . . 22
Reichsmedizinalbeamtenbund. 22
Prüfungsordnung für Apotheker. 23
Gedenkblatt für preußische Hebammen. 24
Zwangspensionierungsgesetz. 55, 441
Grippeepidemie.* 55
Fleckfieber in Polen. 56
Lehrgang über Schulgesundheitspflege . 85
Verträge über Anstellung von Kreisärzten als Kreiskommunalärzte . . 85
Apothekenvermehrungen in Deutschland.108
Nationalgesundheitsrat in den Vereinigten Staaten.135
Gesundheitsministerium im Ausland.136
Sozialhygienische Akademie Charlottenburg . 136, 483
Bad-Jo.136
Besoldungsfragen in Preußen. 162, 482, 510, 530, 555, 577, 599
Wohnungsnot.163
Zukunftsaufgaben der deutschen Städte.164
Preußischer Medizinalbeamten-Verein . . . 209, 277, 278, 481, 482, 647, 664
Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Lehrgänge für Aerzte.212
Mitteldeutsche Ausstellung des Wiederaufbaues. 213
Württembergischer Medizinalbeamten-Verein.213
Zentralausschnß für Auslandshilfe.214
Kurs für soziale Zahnheilkunde bei der Sozialen Akademie Breslau . . 214
Anschauungstafeln für Unterricht in Säuglingspflege.214
Fleckfieber in Deutschland.239
Deutsche med. Wochenschrift.240
Blätter für Gesundheitsfürsorge.240
Deutscher Medizinalbeamten-Verein.277
Westdeutsche Sozialhygienische Akademie.363
Deutscher Desinfektorenbund.390
Berufsverein höherer Verwaltungsbeamter.418
Schädigung der deutschen Volkskraft durch die Blockade.419
Städtisches Gesundheitsamt in München.442
XII
Sachregister
Wünschei rutenfrage ... . 442
Fortbildungskurs für Leibesübungen.442
Ostdeutsche Sozinlbygienische Akademie. 443
Landesverband der höheren BeamtenPreußens . . ... . . . 457
Aerztlicher Kurs für Frauen- und Herzkrankheiten in Franzonsbad . . 457
Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin.483
Salvarsan.510
Skorbut . 510
Arznei tax« . . ..530
Versorgungsärzte . . . . . .530
Institut für Gewerbebygienc für das Reich.531
Landesanstalt für Lnftbygieoe.532
Kinderspeisung in Deutschland. 532
Spinale Kinderlähmung ..532
Reiche-Wochenhilfe ..555
Lehrgang zur Einführung in den Unterricht über Oesundheitslehre . . 555
Vereinigung deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte .... 578
Sozialistisches Gesundheitsprogramm. 579
Medizinisch-literarische Zentralstelle. 679
Apothekengewerbefrage.579
Lichtbilder über Gesundheitspflege.580
Aerztliches Dispensierrecht . 600
Fortbildungskurse io gerichtlicher Medizin in München ...... 600
Gebühren für die pharmazeutische Vorprüfung.. , . . 600
Gesundheitszeugnisse vor der Ehe.623
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankhten. . . 623
Fortbildungslehrgang für preußische Kreisärzte , . . ... . . . 623
Titelverleihungen für Aerzte in Bayern. 624
Gerichtliche Leichenöffnungen.624
Unterstützung gemeinnütziger Anstalten. 646
Preisausschreiben der „Umschau“. 646
Reform der ärztlichen Prüfungsordnung.646
Bekämpfung des Branntvveingenusscs in Schlesien.647
Hygiene-Sektion des Völkerbundes.663
Gebührenordnung. 664
Berichtigungen... 556, 647, 648
Sprechsaal. 210, 279, 280, 390, 391, 511, 556, 600
Sach-Register.
Abort, Luftembolie 502.
Aerzte, preußische Gebührenordnung
82,191,417, Berufsvertretung (.Würt¬
temberg) 135, als Giftmischer 645,
Prüfungsordnung 646.
Aetherismus 188.
Alkohol, Bekämpfung 163, 239, 240,
414, 617.
Anaemia perniciosa und Trauma 554
Aneurysma nach Trauma 437.
AngesteUtenveraicbernng 600.
Ankylostomiasis 599,
Aphasie 273.
Apotheken, gesetzliche Regelung, 87,
579, Vermehrungen 108, Apotheker,
Bezeichnungen 23, Kammer 107.
Arsenvergiftung 508.
Arzneimittel, der heutigen Medizin 529,
Maximaldosen 561.
Arzneitaxe 87, 530.
A ngenärztlicheU nfallbegutaehtang437.
Auslandshilfe für Kinderspeisung 214,
235, 532.
Bakteriologie, Mikroparasitologie und
Serologie 84, Lcbrbach der Mikro¬
biologie 276.
Balneologen-Kongreß 87.
Baryum, Vergiftung 185.
Beleuchtung 358, 661.
Berufsberatung 236, 237, 362.
Berufskrankheiten 362, 387.
Berufsverein höherer Verwaltungs¬
beamten 4 IS.
Sachregister XIII
Besoldung 162, 269, 378, 420, 442,
482, 505, 510, 530, 577, 599.
Bezirksfürsorgerinnen 417.
BlauB&ure, Vergiftungen 503.
Bleivergiftung 388, 507.
Cornea, Trübung nach dem Tode 186.
Dermatologen, Rezepttaschenbuch 510.
Desinfektion, preußische Desinfektions-
ordnang 11, 137, 217, 424, 485, Des¬
infektionsordnung u. Desinfektoren-
stand 159, des tuberkulösen Aus¬
wurfs 159,160, Lehrbücher 277, 645,
Desinfektorenbund 390.
Diagnose, Vademecum 83, der Ver¬
dauungskrankheiten 160, Irrtümer
609.
Dienstanweisung für Kreis- und Ge¬
richtsärzte 293, 300, 324.
Eherecbt der Geisteskranken u. Ner¬
vösen 20, Ehevermittlung 662.
Elektrische Unfälle 189, 608.
Elektrokardiographie 188.
Encephalitis epidemica, Klinik 156,
Anatomie 156, Bakteriologie 156,
Differentialdiagnose 156, in der
Schweiz 157.
Erblicfakeitslehre 274.
Film, Volksbelehrungs- 589, 606, 631,
Zensur 237.
Fleckfieber, in Polen 56, Aetiologie 154,
und soziale Lage 174, in Deutsch¬
land 239, Weil-Felix-Reaktion 528.
Fleischbeschau 275.
Fliegenmaden, Leichenzerstörung 407.
Fortbildungskurse für Amtsärzte
(Preußen) 18, 623, (Bayern) 600.
Gasvergiftung, und Herzschädigung
436.
Gebührenordnung, für Zeugen u. Sach¬
verständige 239, 647, für Kreis- u.
Gerichtsärzte 336, 664, für Aerzte
599, 646.
Gefangene, Zwangsernährung 89.
Geisteskranke 236.
Gerichtliche Medizin 276.
Gerichtsärzte, Dienstanweisung 293,
Vorschriften bei gerichtlichen Ob¬
duktionen 467, 523.
Gerichtsärztliche Ausschüsse 481, 498.
Geschlechtskrankheiten, Erreger 83,
Bekämpfung 107, 249, 278, 449, 597,
deutsche Gesellschaft zur Bekämp¬
fung 623, Lehrbuch 663.
Gesundheitsamt, städtisches 193, in
München 442, staatliches 405, und
Wohlfahrtsamt 601.
Gesundheitsfürsorge, Blätter für 240,
kommunale Vereinigung 443.
Gesundheitslehre, Lehrgang 535.
Gesundheitspflege, Verein 533, Ber¬
liner Gesellschaft 599.
Gesundheitswesen, in Sachsen 360, des
preußischen Staates 621.
Gewerbebygiene, Taylorsystem 275,
Gewerbekrankheiten 275, Gewerbe¬
aufsicht 387, Institut für Gewerbe¬
bygiene 531.
Grippe, Verbreitung 55.
Hämatin, in den Lungen 554.
Hebammen, Gesetz 22, 57, 279, 393,
482, 483, Gedenkblatt 24, Auswahl
120, 181, 428, Vereinigung zur För¬
derung des Hebammenwesens 212,
Hebammenfrage 656.
Hernia di&phragmatica 188.
Birngeschwulst und Kopfverletzung
436.
Hochschule für Leibesübungen 442.
Hygiene, Soziale 21, Grundzüge 134,
Sozialhygiene und Weltanschauung
135, Volksbelehrung 223, Landes¬
anstalt f. Lufthygiene 532, Hygiene
im Volksbelehrungsfilm 589, Bassen¬
hygiene 274, Handbuch 663, Hygiene-
Sektion des Völkerbundes 663.
Hypnose 188, 272, 455, 646.
Hysterie Kriegsbeschädigter 274.
Impfung 376, und Blatternschutz 644.
Influenza, Singultus 155, und Lungen¬
tuberkulose 157.
Invalidität 273.
Jugend Verwahrlosung 481.
Jugendwohlfahrt, Gesetz 237, 456,
Jugendbewegung 237, Jugendver¬
bände 363.
Kaliwerke und Abwässer 20.
Kieselfiaßsäure, Giftwirkungen 179.
Kinderheilkunde, diagnostische Irr¬
tümer 441.
Kinderlähmung, spinale 532.
Kohlenoxydvergiftung 186.
Kommuualärzte 85. 202, 279, 365,
421, 578.
Konstitution und Umwelt im Lehr¬
lingsalter 662.
Krankenhaus, das deutsche 622.
Krankenpflegeprüfung, Gebühren 664.
Krankenversicherung 531.
Krankheiten, Differentialdiagnostik,
innerer 21, Verdanungskrankheiten
160, nicht aufgeklärte Krankheit 525.
Kreisärzte, Jahresgesundheitsberichte
84, Anstellung als Kreiskommunal¬
ärzte 85, und Kommunalärzte 202,
365, 421, 465, 557, und Fürsorge 347,
Fortbildungskursus 18, 623, Kom¬
munalisierung 208, und hygienische
Volksbelehrung 223, Dienstanweisung
293 , 300, 324.
XIV
Sachregister
Kriegsbeschädigte 274. {
KrüppclfÜreorge 649.
Kor- und Badeorte 662.
Karpfuscberei, Bekämpfung 107, 565, j
659, and anderes 115.
Laudesgesuiidheltsrat. (Preußen) 578. j
Landesverband der höheren Beamten
in Preußen 467.
Lehriingsalter, Konstitution 662.
Leichen, Transport 85, Paß 91, Zer- ;
Storung durch Fliegenmaden 407. !
gerichtliche Leichenöffnungen 624. j
Lepra 599.
Mageudarmprobe 523.
Malaria, in Trinitapolis 598.
Masturbatioa 20.
Medizinalbeamte, Amtsbezeichnung 93, i
Zukunft 98, Zukunftsaufgaben 372, |
Sorgen, Hoffnungen, Wunsche 459.
Gebühren (Anhalt) 162, Tätigkeit 165. j
Medizinalbeamteo verein, deutscher 385.
preußischer 81, 191, 209, 215, 256,
277, 278, 281, 463, 643, 660, 664,
Bezirksvers&mmlungen 102,131,132,
133, 153, 183, 233, 271, 386, 435,
479, 506, 575, 696, 620, 642, säch¬
sischer 16, 129, 391, württembergi-
seber 108, 213, bayrischer 364.
Medizinalwesen, in Sachsen 85, Ein¬
wirkung der Nacbkriegsverbältnisse
150, ßeichsgesundheitsministerium
238, 241.
Melancholie, mit vermeintlicher Gra¬
vidität 432.
Mitteldeutsche Ausstellung d. Wieder¬
aufbaues 213.
Montanin, Vergiftung 508.
Naciikoruniengchaftshygicne, und
Schule 445.
Nachtarbeit 388.
Neurose 436.
Notzucht, an einem Hypnotisierten 188
Paratypbus, der Scblachttiere 154.
Partialantigengesetze 439.
Pathologisch-anatomische Situsbilder
der Bauchhöhle 361.
Pensionierungsgesetz 65, 162, 190, 441.
Perkutantherapie nach Petruschky 397.
Pharmakologie 160.
Phlegmone, und Unfall 274.
Pocken, in der Schweiz 444.
Prostitution, und Tuberkulose 83, Für¬
sorge 597, und Dirnentum 610.
Psychopathologie, Kriminal- 161, Psy-
chopatheufüraorgo 360.
t^uiikerspeisung s. Auslandahilfe.
Kad-Jo 136.
Rassenhygiene 439, und Kreisarzt 513
Rechtsschutz, gesundheitlicher der Ehe
439.
Reichsgesondheitsministerium 238, 241.
Reichshaftpflichtgesetz für Eisen bahnen
437.
Reichstag 189, 388.
Reichsversicherungsordnung 440.
Rezepttaschenbuch 361.
Rohrerscher Index 234.
Ruhr 441.
Salpetersäure, Selbstmord 559.
Salvarsan, Anwendung 22, Lähmung
durch 510.
Samariter, der 623.
Säuglingspflege 212, 214 , 276.
Scharlach, zweimalig 155, Ueberlrag-
barkeit auf Diphtheriekrankc 155,
Schüttellähmung 188.
Schulärzte, Vereinigung deutscher 443,
511, an Fortbildungsschulen 236.
Schulgesundheitspflege, Lehrgang 85,
Verein für 444, Berufsberatung 236,
237.
Schulkinder, Erhol ungskuren 285, ü nter-
8 uchung 235, Urinuntersuchung 431,
Gartenarbeitsschule 236.
Schalpflegerin 236.
Schußverletzangen 436.
Sektionstechnik 161.
Seuchengefahr 238, 389.
Sexaallehre, Sexualrevolution 161, Sit¬
zung der Gesellschaft für Sexual¬
wissenschaft 164.
Skorbut 510.
Sozialbygienische Akademien 136, 363,
443, 483.
Soziale Medizin 437.
Soziale Zahnheilkunde 214, 363.
Spermanacbweis 184.
Sterbehilfe 187.
Stufensystem in bayrischen Straf¬
anstalten 538.
Saggestion, und Hypnose 646.
Syphilis 441.
Thoui&sscltlacke. &08.
Titelverleihung an Aerzte (Bayern) 624.
Trichinose 169, 698.
: Tropenmedizinisehe Gesellschaft 632.
Trunksucht, Bekämpfung 22, Gesetz 22,
Tuberkulose, Bekämpfung 397, Fried-
roannschcs Mittel 167, und Grippe
157, Anstaltspflege 158, offne und
geschlossene 158, Desinfektion des
Auäwarfs 159, 160, und Unfall
272, 273, and Mittelstand 361,
Zentralkomitee 164, Fürsorge 369,
593, Lehrbuch 309, in den Ver¬
einigten Staaten 528, Schweizer Ge¬
setzentwurf 528, Gesetz (Preußen)
Namenverzeichnis. XV
578, Verbreitung und soziale Miß-
stiade 581, spezifische Behandlung
597.
Typhus, Tübinger Konvikt 1, in Marten
227, Diagnose bei Geimpften 154,
Nachuntersuchungen 490, Schutz¬
impfung 598, Keimträger 598.
Ueberfähren werden" 185.
Umsatzsteuergesetz 82.
Unfall, Begutachtung innerer und
Nervenkrankheiten 84.
Faecinola der Conjunctiva 494.
Vereinsbeiträge, Zahlung 660.
Verwaltungsobduktionen 553, 554.
Volksbäder, deutsche Gesellschaft 136.
Volksbelehrungsfilm 589, 606, 631.
Volkswohlfahrt, Hanshalt des Mini¬
steriums 25, 31, 417, Verhandlung
des Ministeriums mit dem Preußischen
Medisinalbeamten-Verein 54, 124.
V orprüfung, pharmazeutische,Gebühren
600.
Wasser mannsche Reaktion 440.
Wasserversorgung in Bayern 135.
Wiederaufbau des Volkes 455.
Wochenhilfe 555.
Wohlfahrtspflege und Arzt 488, 439.
Wohnungsnot 163.
Wünschelrute 442, 645.
Zeitschrift, für Medizinalbeamte, Er¬
höhung der Bezugsgebühr 891.
Zentralstelle, medizinisch - literarische
579.
Zeugungsunfähigkeit, Nachweis 184.
Zucker, Verwendung von 577.
Zuckerkrankheit 160.
Zurechnungsfähigkeit, und nervöse Er¬
schöpfung 504.
N a men Verzeichnis.
Amaldi 188.
Ascher 644.
Aust 185, 233, 506, 626.
Bachfeld 362.
Bandelier 509.
Baum, Marie 438.
Baumgärtel 440.
Berger 445.
Berneick 432.
Birnbaum 161.
Blume 623.
Boege 421, 593.
Borntraeger 93, 417.
Brauer 441.
Breul 361.
Brezina 275.
Bruck 510.
Brückner 388.
Brühl 236.
Bruhn 509.
Brunn, Lisa 234.
Bundt 124, 281, 459,
538, 664.
Bürgers 193.
Burgerstein 235.
Burckhardt 508.
Caesar 598.
Carriöre 157.
Cazzaniga 185.
Chajes 21.
Dienemann 275.
Dietrich 417, 576, 577,
662.
Donat 83.
DomblUth 529.
Döllner 386.
Dörner 581.
Drescher 235.
Dreuw 161.
Ebstein 83.
Engelsmann 424.
Falleroni 598.
Fetscher 662.
Ficker 663.
Finkelnburg 84.
Fischer 274.
Francke 362.
Franz 324.
Frehse 436.
Freymuth 11.
Friedberger 154, 276.
Friedheim 83.
Friedrichs 455.
Fürst 362.
Gasters 525.
Göronne 156.
Glege 154.
Goetze 83.
Gohde 237.
! Goldschmidt 154.
| Gotschlich 84.
Gottstein 438.
Graßl 115.
Greimer 645.
Grimm 611.
Grobe 388.
Grober 622.
Grotjahn 100, 647.
v. Gruber 663.
Hahn 376,465,565,625.
Hallenberger 405, 485.
Hanauer 597.
Hebestreit 188.
Herhold 274.
Herzog 156.
Heydrich 508.
Heyn 236.
Hillenberg 179,217,347,
365, 897, 576.
Höpler 188.
Hoffmann 440.
Hohlfeld 83.
Holtzmann 387, 508.
Horn 437.
Horstmann 504.
Hoxheimer 156.
Hübner 20, 486.
Ickert 598.
Israel 165.
XVI
Jacob! 272, 273.
Jaeger 189.
J&nkowski 657.
Joachim 82.
Jörns 91.
Kanngiesser 155, 186,
187
Kieffer 157.
Hirstein 160.
Klataolt 610.
V. Klinkowstroem 645.
Koffka 361.
Eorach 597.
Korn 82.
Körner 581.
Kraemer 132.
Krascmann 276.
Krause 508.
Krautwig 202.
Kriege 649.
Krön 185.
Knhn 510.
Kühnemann 21.
Kühnlein 513.
Lake 599.
Lehmann 188, 273, 509.
Lentz 137.
Lenz 274.
LeYinaohn 287.
Lewerenz 436.
Lorcntzen 449.
Luckey 234.
Mamlock 439.
Mantenfel 156.
Manthey 233.
Marggraff 89.
Matnar 431.
Mayr 160.
Meixner 407.
Menscfcel 487.
Meyer, Matth. 235.
Meyer (Göttingen) 272,
494.
Mino *554.
Molitoris 554.
Möller 167, 602.
Mach 439.
Müller (Berlin) 361.
Müller (Offenbach) 388.
Namenverzeichnis.
Müller-Hess 186.
Mälzer 441.
Namiot 155.
Nauwerck 161.
Neureiter 663.
NeustBtter 223.
Nippe 498.
Nissle 455.
Oberndorfer 361.
Opitz 508.
Oppelt 601.
Orth 273.
Osswald 271.
v. Ostertag 275.
Faetsch 369.
Peren 184
Pfabel 649.
Pfeiffer 276.
Pickenbach 274.
Plenske 227.
Poten 428.
Prausnitz 134.
Prölss 233.
Puppe 286, 293, 467.
Bapmnnd 25, 31, 57,
101, 109.
Kasch 387.
Bedeker 234.
Rehwald 561.
Reis 437.
Roepke 272, 509, 597.
Rogowski 386, 463, 660.
Rohleder 20.
Romanese 185.
Roos 435.
Rubner 663.
Rumpf 437.
%
Sachs 188.
Samson 83.
Sandhop 576.
Schall 160.
Schiff 154.
Schlantmann 621.
Schlesinger 234.
Schlossmann 155.
Sohmidt, H. 88.
Schmidt, 0.1.
Schoenfeld 507.
Scholz 208.
Schräder 120, 372, 659.
Schröder 272.
Schürer 154.
Schulz 274.
Schuster 159.
Schwabe 181.
Schwalbe 441, 509.
Schwarz 507.
St'ligmann 159.
Seyffarth 120.
Siemens 439.
Sobernbeim 277.
Solbrig 114, 241, 269,
378, 393, 505, 636.
Sopp 646.
Sorge 666.
Spinner 645.
Stein 663.
Stekel 362.
Stephani 235.
Stern 286.
Strassmann 184, 436,
553, 559.
Strauss 159.
Stühlen 131.
Szagunn, Ilse 236.
Thiele 387.
Thomalla 589, 606, 631.
Thumm 20.
Tjaden 257.
Többen 481.
Trembur 98.
Uhlmann 160.
Ungar 523.
Ylale 554.
Viemstein 538.
Wagner 490.
Walter 135.
Wendenburg 238.
Wildenrath 160.
Willführ 174, 576.
Wolf 163.
Wolfram 83.
Wollenweber 124, 132,
300, 696.
Zadek 158.
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■
35. Jalirg.
Zeischrift für Medizinalbearate.
INHALT.
Nr. 1.
Abhudlas|«B:
Die Typhu«cj>ldrniie Im Tüblopt'r Konvlkf.
Von Dr. Otto Schmidt.1
Zur neuen preußischen Ücsinfcktionsonlnun^.
Von Dr. A Freymath.11
Aus VenuDinlQ&gen und Vereinen.
Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen
Mediiin»!bcomt<*n-Vcreins vom 18. Ok¬
tober 1921 1&
Fortbildungskurs dir Kreisärzte .... 18
Besprechungen.20
Tegesnaohrlohten.22
Beilage:
H«’<jizinalgesot*gcbuüg ...... 1
Geschäftsstelle and Versand für die Mitglieder des Medizlnalbeamteil-
vereins durch 3 . C. C. BRUNS, Buchdruckerei, MINDEN i. WESTF.
Alleinige Anzeigenannahme und verantwortlich für den Anzeigenteil:
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstra&e 28.
Personalien.
Deutsohe* Reich und Preuaaen.
Ernannt: Die Mitglieder des Reichstes und hei tsamtes Prof. Dr. Möllers,
ProL Dr. Manteuffel und Dr. Hesse za Oberregierangsräten, der prak¬
tische Arzt Dr. Ulrich in Kassel zum Kreisassistenzarzt in Hagen i. Westf.
Versetzt: Kreisassistenzarzt Dr. Lesko in Kattowitz nach Königshdlto
i. Oberschi., Kreisassistenzarzt Dr. Diering in Bielefeld nach Halle i. Westf.
Gestorben: Med.-Rat Dr. Leske, Kreisarzt in Liegnitz.
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Ausführliche Literatur durch:
Kalle & Co. A.'G., Biebrich a. Rh.
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Fritz Freudenreioh
Marienwerder, Westpr.
mmä
Zeitschrift für MedizinaUieamte
Bsyenj,
V««etet}.- De. jBöHet, Bezirksamt m Seabuxg a. D.
nach Traufstein. Ressuhsarzt Zf?. Fes t in Dingolhng nach öarmiseb.
Bözir&sarzt in Marienberg nach
\erg«U:t i Beg.-Mci -Rat JDr^B a e t e r 8.
Zwicks», R«;g.'Me<h'Kst, i>r»8ia/>.i, Bezirks««! io Großenhain nach Äeäßen.
Erledigt« Stellen.
Franacen.
Za besetzen: alsbald die Tbllbesoldete K re laarzts teile in Xiegnltz und
«lll» 1. April 1922 die nicht ToHbesoldete KreisarztateUe io Küsliu. Be-
w«Tbuageo sind bis zatn 1. Februar 1922 an das Miuisteriunt für Volkawohl-
loJbiit in Berlin W. $6^ Leipziger Straße 3, durch die Hand des für den Wohnort
doa Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn
Ph-Uzeipmaidentea) einzureichen.
.Bayarnu
Bezlrksar*l8te!i< in Üeutmrsr a* Ji. Bewerbungen sind bei der für den
Bewerber znstämdigen Begierung, Abteilung des Innern, einzureichen.
Ä*n iö. IhiZeuiber tio.taciiüci ^ -. ; • •
Herr Medizinal rat Dr. JLeske,
Kreismedizinalrat in JLiegnitz.
Vorbildlich für un» aUh als Beamter and Arzt förderte ©r,
ei# fäat!yser Arbeiter, äoertopdikb unseren Stand, ihm diente
auch 3 e»t>% letzte Heise, weuige Tage ehe ein jäher Tod ihn uns
entriß. Seine Treue soll ihm unvergessen sein.
Liegnitz, d«r 78 ®. Dezember T92t. -
gm*
1 m
mW
■SH ■ .
Wi:-
ÄaitsdiTiU Itlr Mediaüialbeanite.
Reizloses, Kolloidales Kalk-Elweiß-Pliosphat
Knochenbildend Nervenstärkend
Adjuvans der Siücoltherapie
Darmlösliches Aluminium-Tanninalbuminat
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(Trfchlorbutylmaioasäures Ammonium D. R. P.)
wirkt stark herabsetzend anf die Erregbarkeit
de« Atmung«« und Verdauungsäpliarate^
ohne den Blutdruck üttheemdtw&eß.
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währt gegen sowie gegen nervöse Störun¬
gen der Magen- und Darmtötlgkett wie Aufstoßer».
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Kindern and älteren Beaten in. wirfeMnier
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aowie P tu heu. kontra? durch : ,: yW.v ■
J>tr8 ~ 851 Zeitschrift —- 19aa -
für
MEDIZINALBEAMTE
--WM--
Zentralblatt
ffir das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
i öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
Heraasgegeben
Ton
Prof. Dr. Otto Rapmund
Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Verlag von Fischer 9 » med.Buchhandlung H. Kornfeld
iferzogl. Bayer. Hof- u. K. u. K. Kammer-Bnchhlndler
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Anzeigen werden durch die Anzeigenverwaltang Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 sowie
Ton sämtlichen Anzeigen-Annahmestellen des In- und Auslandes angenommen.
Die durchgehende Petitzeile kostet M. 2,60
Nr. 1.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monats
5. Jan.
Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. 1 )
Von Oberamtsarzt Dr. Otto Schmidt in Tübingen.
Die an und für sich kleine Typhusepidemie in dem katholi¬
schen Konvikt (Wilhelmsstift), dem Internat der Studierenden
der katholischen Theologie an der Universität Tübingen, regte
in Württemberg die Gemüter in auffälliger Weise auf und er¬
regte mit 8 Todesopfern im blühendsten Menschenalter die
Anteilnahme weitester Kreise. Auch die Presse erging sich in
allerlei Vermutungen und Vorschlägen, so daß ich dem Wunsche
des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins nach einem
Bericht über die Epidemie gerne nachgekommen bin. Von der
Universität wurde die Epidemie in 8 Doktorarbeiten nach der
klinischen und bakteriologischen Seite hin gewürdigt. Jede
Typhusepidemie, auch eine kleine, ist ja immerhin einEreignis,
nicht nur für die davon Betroffenen, auch für den beamteten
Arzt.
*) Nach einem Bericht anf der Jahresversammlung des Württembergischen
Medizinalbeamtenvereins.
2
Dr. Schmidt.
Tübingen ist an und für sich keine Typhusstadt und wenn
wir von den in die Klinik von überallher eingelieferten Fällen
absehen, kommt Typhus in Tübingen nur ganz vereinzelt und
sporadisch vor. Den älteren Kollegen sind vielleicht noch zwei
frühere Tübinger Typhusepideraien in Erinnerung, die beide
das Militär betrafen; die eine herrschte in den 70er Jahren in
einem Flügel der damals noch neuen Kaserne und erlosch nach
Schließung eines Pumpbrunnens im Hofe des Flügels.
Damals stritten noch die Wassertheoretiker mit den Luft¬
theoretikern ; es war ein beliebtes Thema des Tübinger Klinikers
von Liebermeister, zu erzählen, wie der militärische ärzt¬
liche Sachverständige als Luftkontagionist die Infektionswege
durch die Keller- und Wandöffnungen hindurch an Hand des
Bauplanes bis ins einzelne nachgewiesen hatte, daß sich aber
bei näherem Zusehen herausstellte, daß die im Bauplane ein¬
getragenen Luftwege gar nicht ausgeführt wareD. Die andere
militärische Epidemie, in den 90 er Jahren, konnte ohne
weiteres auf den Truppenübungsplatz Münsingen zurückgeführt
werden, da die Truppen 2 Tage nach Rückkehr und nur solche
Mannschaften erkrankten, die auf dem Truppenübungsplatz
gewesen waren. Die Ermittelungen ergaben damals die eigent¬
liche Ursprungsquelle in einem dem Lager benachbarten Orte
Laichingen, woher die Truppen ihre Milch bezogen und wo
nachträglich mehrere Typhusfälle festgestellt werden konnten.
In der Tübinger Zivilbevölkerung sind nie gehäufte Fälle von
Typhus vorgekommen.
Die erste Konviktsepidemie trat anscheinend völlig
zusammenhangslos auf und zwar im Februar 1917. Damals
war ein großer Teil des Konviktes als Lazarett benutzt, zwar
nie als Seuchenlazarett, aber öfters als sog. Durchgangslazarett,
so daß immerhin die Möglichkeit gegeben war, daß auch ein¬
mal ein Typhuskranker einige Tage unerkannt aufgenommen
worden sein kann. Die Verwaltung des Konvikts dachte immer
in erster Linie an diese Einschleppungsmöglichkeit. Dagegen
sprach einigermaßen, daß alle 10 damals in der Zeit vom 19.
bis 26. Februar erkrankten Personen nicht im Konvikts¬
gebäude, sondern in dem dazugehörigen alten Oberamtei¬
gebäude wohnten, — zuerst erkrankten der Direktor und seine
Nichte mit eigener abgesonderter Küche —, und daß kein
Soldat erkrankte. Die Ursache dieser Infektion wurde schließlich
auf ein gemeinsames Festessen am 22. Januar 1917 zurück¬
geführt. Die bakteriologische Untersuchung des Küchenpersonals
war ohne Ergebnis. Im Juli 1917 erkrankte dann wieder ein
Dienstmädchen der Schwestern an Paratyphus B. Kurz vorher
waren Typhusverdächtige aus Rumänien im Reservelazarett
Wilhelmstift angekommen, von denen 3 in die militärische Typhus¬
station bei der alten Kaserne überwiesen wurden. Ein aus
dem Reservelazarett Wilhelmstift beurlaubter Soldat erkrankte
in der Heimat an Typhus, das Reservelazarett wurde eine Zeit¬
lang gesperrt und saniert.
Die Typhasepidemie im Tübinger Konvikt.
8
Im August 1918 erkrankten dann wieder 2 Soldaten und
1 Küchenmädchen. Die vierte Epidemie im Januar 1919 betraf
1 Schwester und 5 Studierende. Zum fünften Male kamen im
Oktober 1919 wieder einige Fälle vor; 4 Studierende erkrankten
in der Zeit vom 27.—31. Oktober. Im ganzen erkrankten also
in diesen 5 kleineren Hausepidemien im Februar 1917, Juli
1917, August 1918, Januar 1919 und Oktober 1919 26 Per¬
sonen ohne Todesfall. Die bakteriologische Untersuchung auf
Bazillenträger war jedesmal trotz sehr energischen Forschens
ergebnislos.
Da kam nach einem Abstand von reichlich 1 Jahr die
diesmalige sechste Epidemie. In der Zeit vom 13. No¬
vember bis 7. Dezember 1920 erkrankten 46 Insassen des
Wilhelmstifts, darunter 2 gerade auf Urlaub Abwesende.
Die Frage der Absonderung der Erkrankten war
sehr einfach zu lösen durch das wohlwollende Entgegenkommen
des Herrn Vorstands der hiesigen medizinischen Klinik, Prof. Dr.
Otfried Müller, der sich bereit erklärte, sämtliche Fälle auf¬
zunehmen und im Notfall die ganze Klinik zur Verfügung zu
stellen, falls die Epidemie auf die Stadt sich ausbreiten sollte,
was anfangs natürlich nicht ausgeschlossen war. So konnten
alle Erkrankten immer sofort in die denkbar beste Behandlung
gebracht werden, trotzdem starben von 44 in die Klinik auf¬
genommenen 8 = 18°/ 0 eine ziemlich hohe Sterblichkeit,
ein Beweis für die massige und schwere Ansteckung dieser
Epidemie gegenüber den früheren ziemlich harmlosen 26 Er¬
krankungen ohne Todesfall. Die Todesursache bildete 6mal
schwere Lungenentzündung, 1 Herzlähmung, 1 Perforations¬
peritonitis und 1 Hämoglobinurie.
Ganz kurz möchte ich hier die klinische Seite streifen,
da sich verschiedene auch für den beamteten Arzt wichtige
Gesichtspunkte dabei ergeben:
Einmal die sehr wichtige Tatsache, daß eine typische lehrbachmäßige
Typhnstemperatarkarve nar ein einziges Mal vorkam, typische Erbsenbreistühle
nur 3 mal, dagegen Milzschwellang 40 mal, Boseoien 39 mal darunter 2 mal an
den Extremitäten, Darmblatangen nar 2 mal. Ebenfalls sehr wichtig and
richtunggebend war aach die Beobachtung, daß Typhusbakterien im
Stuhl nndUrin in der ersten Woche nar bei 7 Erkrankten festgestellt
werden konnten, während Bazillen im Blat in der ersten Woche bei 37
nachgewiesen werden konnten. Bei einem Stadenten konnten zufällig im Blut
Bazillen nachgewiesen werden; er fühlte sich noch volle 14 Tage lang gesund,
um dann erst mit Kopfweh and Fieber leicht za erkranken. Der beamtete
Arzt wird also bei der Krankenhauseinweisung verdächtiger Fälle immer gat
tan, wenn er sich aaf den ärztlichen Blick in erster Linie verläßt and die
Blatantersachang in keinem Falle unterläßt, da gerade sie sehr früh¬
zeitig die Diagnose sichert.
Der Nutzen der gleich zu Beginn der Epidemie durch das
hygienische Instsitut der Universität vorgenommenen Schutz¬
impfungen war deutlich erkennbar. Von 44 Typhuskranken
waren (nach einer mir gütigst überlassenen Aufstellung der
medizinischen Klinik) erkrankt:
4
Dr. Schmidt.
1. leicht: 17 (38,6 °/o)
2. mittelschwer: 11 (25,0 °/o)
3. schwer: 16 (36,3°/#)
davon
geimpft,
12 (70,5 o/o)
7 (63,6 °/o)
7 (43,7 °/o)
mit mit
Nachschüben Komplikationen
6 (36,2 °/o) 6 (85,2 °/o)
2 (18,1 °/o) 7 (63,0 o/o)
2 (12,5 o/o) 16 (100 ®/o)
Die günstige Wirkung der Schutzimpfung war also un¬
verkennbar, auch nach dem übereinstimmenden Urteil der be¬
handelnden Aerzte; nur für einzelne Fälle wurde der subjek¬
tive Eindruck angegeben, als ob die Impfung vielleicht doch
eine kumulative verschlimmernde Wirkung gehabt haben könnte.
Die Ansicht über die Zweckmäßigkeit der prophylaktischen
Impfung ist ja noch nicht ganz allgemein übereinstimmend;
nach obigen Ziffern wird man aber doch die Nützlichkeit als
weit überwiegend ansehen dürfen. Einen weiteren Fingerzeig
betreffs der günstigen Wirkungen vorausgegangener Impfungen
ergab auch noch folgende Beobachtungen: Von den älteren
Semestern, fast lauter langjährigen Kriegsteilnehmern, erkrankten
nur ganz wenige, von den jüngsten Semestern auffallend viele,
der älteste Kars mit 53 Teilnehmern hatte nar 4 = 7 °/o Erkrankungen,
der Zweitälteste Kars mit 38 „ „ „ 8 — 21 % „
der drittälteste Kurs mit 33 „ „ „ 8 = 34,2°/o „
der jüngste noch nie ge-
impfe Kars mit 33 „ „ „ 20 = 60 °/o „
Es ist also ein ganz auffallendes Verschontbleiben der
ältesten oft geimpften und ein ebenso auffallend starkes Be¬
fallensein der jüngsten, noch nie geimpften Studierenden unver¬
kennbar. Auch die Schutzimpfungen selbst ertrugen die alten
Semester ohne jede Gesundheitsstörungen, während die jüngsten
sehr starke Reaktionen darboten, die sich teilweise von einem
wirklichen Typhus anfangs kaum unterscheiden ließen und mit
hohem Fieber und Apathie einhergingen und mehrtägige Bett¬
ruhe erforderten.
Eine wichtige Frage erhob sich sofort, was sollte mit
den im Konvikt wohnenden noch gesunden, aber
vielleicht doch schon im Inkubationsstadium sich
befindlichen Studierenden geschehen? Sofortige Ent¬
lassung in die Heimat wurde von den geängstigten Leuten sehr
energisch gewünscht durch Abordnungen an alle möglichen
Behörden, war aber selbstverständlich nicht zu verantworten.
Eine gesetzliche Handhabe, die Studierenden zum dableiben
zu zwingen, war nicht gegeben, gütlichem Zureden gelang es
aber, sie solange zu beruhigen, bis ein Ausweg gefunden war.
Es wurde ihnen erlaubt, auszugehen, doch wurde ihnen jeder
Verkehr untersagt. In einer gemeinsamen Sitzung unter dem
Vorsitze des Bischofs von Rottenburg in Anwesenheit des
Medizinalreferenten Min.-Rat Dr. v. Scheuerlen, Prof. Wo 1 ff
vom hygienischen Institut, Konviktorenrat usw. wurde auf
Vorschlag von Herrn Prof. W olf f beschlossen, sämtliche klinisch
noch gesunden Konviktoren nach verschiedenen gutgeleiteten
Krankenhäusern des Landes in Quarantäne zu evakuieren und
zu dislozieren. Durch das Entgegenkommen der Krankenhaus-
Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt.
5
Verwaltungen konnte dieser Plan in wenigen Tagen durchgeführt
werden. Die Kosten waren natürlich nicht gering, trotzdem
kann dieser Weg für ähnlich gelagerte Fälle als ideal bezeichnet
werden. Von den ca. 100 in Quarantäne gelegten Studierenden
erkrankten nur 2 in ganz leichtem Grade.
Schwierigkeiten machte auch noch in der Kleinstadt ohne
Kanalisation die Beseitigung der Ausscheidungen der
Kranken einschließlich des Badewassers; es handelte sich
dabei natürlich um ganz beträchtliche Mengen. Aus dem
militärischen Typhuslazarett wurden während des Krieges diese
Stoffe mit Fuhrwerk vor die Stadt hinaus in eine abgelegene
Einöde verbracht; dieser Weg verbot sich zur Zeit schon wegen
der unerschwinglichen Kosten und hätte auch unbedingt Wider¬
spruch der Anlieger hervorgerufen. Es wurde deshalb auf Vor¬
schlag von Prof. Dr. Müller im Gelände hinter dem Absonder¬
ungshaus eine große Grube ausgehoben, wohin alle Abschei¬
dungen mit reichlichen Desinfektionsschichten wechselnd ver¬
bracht wurden. Da in der Nähe ein kleiner Bach vorbeifließt,
mußte sein Wasser dauernd bakteriologisch untersucht werden;
es war immer keimfrei geblieben.
Sofort mit Beginn der Epidemie wurde das gesamte
Küchenpersonal ausgeschaltet und in Quarantäne gelegt,
die Küche gründlich desinfiziert und das Suchen nach dem
Bazillenträger wieder begonnen. Da aus der Stadt keinerlei
Typhusmeldungen kamen, konnte man bald darüber im Klaren
sein, daß es sich um keine Wasserleitungs- oder Brunnen¬
epidemie handeln konnte, sondern daß es sich wieder um eine
Hausepidemie handelte, wahrscheinlich um einen offenbar
periodischen Bazillenträger in der Küche.
Das Personal war selbstverständlich bei allen früheren Epidemien in
dieser Bichtang darchantersacht worden aber jedesmal ohne Erfolg. Aach
diesmal war die erste Untersuchung ergebnislos. Eine vom Überamtsarzt auf-
gestellte Liste mit sämtlichen Internatsinsassen und sämtlichen von außen
irgendwie mit dem Hause in Berührung kommenden Leuten wurde zugrunde
gelegt und nun auf Vorschlag des Herrn Ministerialrats Dr. v. Scheuerlen
sowohl vom Württembergischen Landesuntersuchungsarat, als vom hygienischen
Institut systematisch durchuntersucht. Sehr bald hatten wir — 3 Bazillenträger
gefunden. Des Guten fast zuviel: ein Beamter, eine Küchenschwester und eine
Italienerin, die das übrige Essen abholen durfte. Alle 3 wurden abgesondert und
fernerhin überwacht. Der Beamte hatte 1917 einen Typhus durchgemacht, die
Schwester eine „Lungenentzündung “vor einigen Jahren, agglntinierte aber jetzt
auf Typhus, die Italienerin war angeblich nie krank. Die weitere Beobachtung
ergab bei dem Beamten nie mehr Bazillen, bei der Schwester nach mehrmonat-
lichem negativem Ergebnis noch einmal Bazillen, ebenso bei der Italienerin.
Der größte Verdacht ruhte also zweifellos auf der Kiichcnschwester, nur
fragte es sich dann wieder, woher hatte sie, die schon seit Jahrzehnten im
Hause war, dann ihren Typhus bezogen; denn früher war das Haus sicher
immer typhusfrei.
Nicht unerwähnt möchte ich einen zufälligen Umstand
lassen, der Verwirrung in den Köpfen der Insassen anrichtete:
Von dem ältesten Kurse mit 63 Leuten wohnte genau die Hälfte
in der Stadt; von diesen erkrankte nur einer oder zwei. Dies
gab den Laien Veranlassung zu der immer wieder auftauchen-
6
Dr. Schmidt.
den Behauptung, daß eben das alte Haus an dem Typhus
schuld sei; dabei hatte die andere Hälfte des ältesten Kurses,
die im Internate wohnte, auch nur zwei Kranke zu verzeichnen,
sodaß es klar war, daß nicht die verschiedene Wohnung, sondern
eben die wiederholte Durchimpfung dieser älteren Semester die
Ursache des geringen Betroffenseins bildete. Die Küche war
allen gemeinsam und so kam es, daß von den ca. 180 Gesamt¬
insassen 46, also 26°/o, erkrankten, ein ziemlich hoher Prozentsatz.
Die Beurteilung des Ursprungsherdes wurde nun weiter¬
hin noch dadurch kompliziert, daß in unmittelbarer Nähe des
Konvikts ein weiterer seit 14 Tagen Kranker, aber vom erst¬
behandelnden Arzte nicht gemeldeter Typhusfall vom zweit¬
behandelnden Arzte gemeldet und sofort als Typhus sicher¬
gestellt werden konnte. Er hatte mit dem Konvikt rein gar
keinerlei Zusammenhang, zeitlich hätte er sehr wohl vom Konvikt
herstammen können. Bestimmt gab er an, daß er vor 4 Wochen
einen Abort in einer Milchhandlung ebenfalls in nächster Nähe
des Konvikts geleert habe und dort sei die Frau vorher monate¬
lang schwer krank gewesen. Die Erhebungen ergaben, daß
die Frau F. tatsächlich einen schweren Typhus mit Fieber
und Delirium durchgemacht hatte und ebenfalls nicht gemeldet
worden war; die nachträglich vorgenommene Blutuntersuchung
ergab bei der Fr. F. eine Agglutination 1:400. Bei der unmittel¬
baren Nähe dieser 3 Herde war es sehr schwer, an eine gemein¬
same Quelle nicht zu denken. Daß der Weingärtner B. seinen
Typhus von dem Abort der Fr. F. bezogen hatte, war ohne
allen Zweifel, ob aber die Fr. F. aus dem Konvikt oder das
Konvikt von der Fr. F. infiziert war, blieb eine offene Frage.
Weitere Ermittlungen im F.schen Hause ergaben aber, daß auch
die Frau L., die verheiratete Tochter der F., die gemeinsam
mit F. das Milch- und Viktualiengeschäft betrieb, wiederholt
Paratyphus B Bazillen im Stuhl hatte. Selbst war sie nie krank,
doch stellte sich heraus, daß sie 1916 im Hilfsdienst ein Jahr
lang als Pflegerin in unmittelbarer Nähe eines militärischen
Typhuslazarettes diente, Typhuskranke mit Wissen nicht
pflegte, aber gegen Typhus wiederholt geimpft worden war.
Im Jahre 1917 trat sie wieder in das elterliche Geschäft zurück;
im Februar 1917 trat die erste Epidemie im Konvikt auf, später
erkrankte die jetzt als Bazillenträgerin im Konvikt erkannte
Schwester und weiterhin folgten die Hausepidemien bis zum
Jahre 1920, die Ansteckung der Mutter der L. und von da aus die
der Brüssel sehen Eheleute. Ein gewisser Verkehr des Viktualien-
geschäfts mit dem Konvikt war zweifellos vorhanden; der Haus¬
inspektor bezieht heute noch seine Milch aus diesem Geschäfte.
So läßt sich also die ganze Reihe von Hausepidemien und Einzel¬
ansteckungen ungezwungen auf diese Frau L. zurückführen.
Diese Erklärung hat nur die eine Schwierigkeit, daß bei Fr. L.
nicht Typhusbazillen, sondern Paratyphus B festgestellt worden
sind. Bei rein klinischer Betrachtung würde dieser Umstand
keinerlei Bedenken erregen, da es Paratyphus sowohl mit den
Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt.
7
Erscheinungen der Cholera nostras, der akuten Enteritis, der
Fleischvergiftung, als auch mit den klinischen Zeichen des
klassischen Typhus gibt. Bakteriologisch ist die Frage aber
nicht so einfach. Die Zugehörigkeit der menschlichen Para¬
typhusbakterien zu einer bestimmten großen Gruppe von
Menschen- und tierpathogenen Stämmen läßt die Erreger des
Paratyphus den eigentlichen Typhusbazillen gegenüber, bei
denen ähnliche Verhältnisse nicht existieren, eine ganz besondere
Stellung einnehmen. Dieser Unterschied tritt noch deutlicher
hervor durch die Tatsache, daß Mikroorganismen mit den Eigen¬
schaften der Paratyphusbazillen auch im Organismus gesunder
Menschen, gesunder Schlachttiere sowie in der Außenwelt ein
saprophytisches Dasein führen können, daß sie demgemäß auch
im Körperinnern und in Ausscheidungen gesunder Menschen
und Tiere angetroffen werden können. Mit andern Worten
die meisten Bakteriologen sehen in Paratyphus- und Typhus¬
bazillen zwei vollständig verschiedene, selbständige Eigenarten,
die nicht in einander übergehen, also keine Mutationen bilden.
Gegen die Annahme, im vorliegenden Falle alle Ansteck¬
ungen auf die Person der Fr. L. mit ihrem Paratyphus B zurück¬
zuführen, erheben sich also nicht leicht zu nehmende bakterio¬
logische Schwierigkeiten; auffallend wäre ja auch bei dieser
Annahme, daß nicht auch noch andere Typhusfälle von dem
Lebensmittelgeschäft aus verursacht worden sind. Daß solche
in größerer Zahl vorgekommen und nicht gemeldet worden
sind, ist kaum anzunehmen, da im allgemeinen von Aerzten
und Kliniken ziemlich zuverlässig gemeldet wird. Einzelfälle
könnten natürlich sehr wohl vorgekommen sein. Daß die
Milchabgabe verhältnismäßig harmlos verlaufen kann, ist bei
der Art der Abgabe aus der laufenden Kanne sehr wohl erklär¬
lich, da erst die zusammengeschütteten Reste in innigere Be¬
rührung mit der Bazillenträgerin kommen und gerade diese
Reste dann meist in diskreter Weise auf Schleichwege kommen
können, die nicht kontrollierbar sind. Auch der Umstand, daß
die Bazillenträgerin nur in periodischen, oft monatelang aus¬
einander liegenden Zwischenräumen Bazillen ausschied, läßt
ihre verhältnismäßige Ungefährlichkeit der Milchkundschaft
gegenüber einigermaßen erklärlich erscheinen.
Ob nun die letzte Quelle endgültig klargestellt werden
kann oder nicht, das Wichtigste ist für den beamteten
Arzt unter allen Umständen, erkannte Bazillen¬
träger unverzüglich auszuschalten. Das Feststellen
der Bazillenträger ist aber nicht immer eine einfache Sache:
Bei einigermaßen begründetem Verdacht kann man durch Art. 32
des Polizeistrafgesetzbuches die Lieferung von Stuhl, Urin und
Blut zur Untersuchung erzwingen, in der Regel wird man auf
keinen ernsten Widerstand dabei stoßen; anders wird die Sache,
sobald man einem Bazillenträger auf der Spur ist; diese Leute
merken sehr bald, worauf es ankommt, sind durch die Zeitungen
und auch sonst aufgeklärt und haben, wenn sie z. B. ein
8
Dr. Schmidt
Nahrungsmittelgeschäft haben, gar kein Interesse daran, als
Bazillenträger erkannt zu werden. Will man vor Unter¬
schiebungen bewahrt sein, so müssen diese Leute unter
strengster Aufsicht ihr Untersuchungsmaterial absetzen. Auch
hier trat die hiesige innere Klinik in liebenswürdiger Weise
ein: Die Verdächtigen bekamen von mir die Auflage, sich in
der Klinik in bestimmten Zeiträumen einzufinden, wo sie un¬
mittelbar unter Aufsicht einer zuverlässigen Schwester aseptische
Gefäße für Stuhl und Urin zu benutzen hatten.
Auch die Unschädlichmachung der gesunden
Bazillenträger ist nicht ganz einfach. Man rechnet neuer¬
dings bei einer Typhusepidemie auf 2—5°/ 0 übrigbleibende
Bazillenträger; es ist also eine sehr verantwortungsvolle Sache,
daß man diese Träger findet und unschädlich macht. Die bis¬
herige Bestimmung, wonach ein Typhusrekonvaleszent nach
dreimaligem negativem Befund in Stuhl und Urin als geheilt
und unschädlich entlassen werden darf, sind nach unseren Er¬
fahrungen nicht mehr genügend. Alle 5 für den Ausbruch der
Epidemie in Betracht kommenden Bazillenträger waren sogen,
periodische Ausscheider, d. h. es kann Wochen- ja monatelang
anstehen, bis wieder einmal Bazillen gefunden werden. Bei der
Hauptverdächtigen, der Schwester T., gelang es bei sehr scharfer
Beobachtung erst nach Monaten wieder Bazillen festzustellen;
die Hausepidemien im Konvikt sind tatsächlich in halb-, ja
ganzjährigem Abstande aufgetreten, was zu einer periodischen
Ausscheiderin sehr wohl passen würde. Von der Epidemie
selbst blieben 2 Dauerausscheider übrig, die beinahe täglich
z. T. massenhaft Bazillen im Urin ausschieden; also nicht weniger
wie 7 Bazillenträger wurden gelegentlich der diesjährigen Epi¬
demie festgestellt. Auch dafür, daß trotz energischen Suchens
bei den vorhergehenden Hausepidemien ein Bazillenträger nicht
gefunden worden ist, ist die Erklärung eben in der periodischen
Ausscheidung zu suchen; man kann also bei solchen Verdachts¬
fällen nicht lange genug untersuchen, will man ein sicheres
Ergebnis erzielen.
Die Unschädlichmachung der gesunden Bazillenträger
ist für kurze Zeit durch Absonderung zu erreichen, geht es
aber längere Zeit fort, so muß man die Leute unter ent¬
sprechender Belehrung eben frei geben, da keinerlei gesetz¬
liche Bestimmungen oder Entschädigungsmöglichkeiten gegeben
sind. Man wird selbstverständlich dafür sorgen, daß sie nicht
mehr in eine Küche oder in ein Nahrungsmittelgeschäft zurück¬
kehren, einen gesetzlichen Zwang kann man aber bislang nicht
ausüben; man würde dadurch z. B. in der einen Familie 6 Leute
brotlos und unterstützungsbedürftig gemacht haben. In dem
Falle des Bauern Br., dessen einzige Geldquelle sein Milch¬
verkauf ist, wurde dafür gesorgt, daß die gesamte Milch aus
seinem Stalle dem städtischen Krankenhaus zur garantierten
Entkeimung und Verbrauch zugeführt wurde. So wird man
im Einzelfalle immer wieder einen Ausweg finden müssen.
Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt.
9
Dringend notwendig ist natürlich eine eingehende Belehrung
der Bazillenträger, wie sie sich dauernd zu verhalten haben
den Mitmenschen gegenüber und in ihrem eigenen Hausstande;
fortlaufende Desinfektion der Hände und der Ausscheidungen
ist das wichtigste, dazu die fortlaufende bakteriologische Ueber-
wachung.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal kurz den
Gang der Bekämpfungsmaßregeln schildern: Sofort nach der
ersten Meldung Besuch des Kranken bezw. des Krankheits¬
verdächtigen, Absonderung sämtlicher Kranker oder Krank¬
heitsverdächtiger, Verlegung ins Krankenhaus, sofortige Aus¬
schaltung des gesamten Küchenpersonals bei Verdacht auf
Bazillenträger, Quarantäne dieses Personals mit eingehendster
fortlaufender bakteriologischer Untersuchung, ebenso des ganzen
ständigen sonstigen Personals, Desinfektion der ganzen Küche
und sämtlicher Küchengerätschaften und Kochgeschirre mit
lOproz. Sodalösung, fortlaufende Desinfektion der Aborte usw.
Neueinstellung einwandfreien Personals; der Speisezettel darf
bis auf weiteres nur gut gekochte Speisen enthalten, Impfung
möglichst sämtlicher Insassen, Evakuierung und Dislozierung
sämtlicher noch gesunder Zöglinge mit Quarantäne in geeig¬
neten Krankenhäusern. Nach Ablauf der Epidemie regelrechte
Desinfektion der gesamten Räumlichkeiten mit Betten, Wäsche
usw. Kontrolle des amtlichen Desinfektors durch den beamteten
Arzt sehr begründet; gründliches systematisches Suchen nach
übrigbleibenden Bazillenträgern aus der Epidemie mit voll¬
ständigem Ausscheiden derselben aus dem Internatleben. Vor
der Neubelegung systematische Durchimpfung aller neu ein¬
tretenden Zöglinge und bakteriologische Untersuchung derselben
und des neueintretenden Küchenpersonals. Damit hoffen wir
nach menschlichem Ermessen den Typhus endgültig aus dem
Konvikt vertrieben zu haben.
Die Epidemie ergab für den beamteten Arzt in mehr¬
facher Hinsicht Anregungen. Einmal zeigte sich die Be¬
stimmung, wonach ein Typhusrekonvaleszent nach dreimaligem
negativem Bazillenbefund in einer Woche als gesund und nicht
mehr ansteckend entlassen werden kann, bei unseren Bazillen¬
trägern als durchaus ungenügend. Prof. Dr. Müller von der
inneren Klinik ging auch von selbst auf mehr Untersuchungen
hinauf, aber bei den sogen, periodischen Ausscheidern können
wirklich nur sehr langfristige Daueruntersuchungen ein Ergebnis
bringen bezw. vor Ueberraschungen bewahren. Nach Abschluß
der Konviktsepidemie bekam ich z. B. vom hiesigen städtischen
Krankenhausarzte folgende Meldung:
In der Krankenhausküche wurde ein Mädchen eingestellt, von dem durch
Zufall bekannt wurde, daß es auswärts in einer Großstadt vor einigen Monaten
einen Typhus durchgemacht hatte; die Nachfrage beim dortigen Untersuchungs¬
amt ergab, daß das Mädchen nach dreimaligem negativem bakteriologischem
Befund als gesund entlassen worden war. Der hiesige Krankenhausarzt wollte
sicher gehen, ließ das Mädchen durch das hiesige hygienische Institut noch
10
Dr. Schmidt: Die Typhasepidemie im Tübinger Konvikt.
e inmal bakteriologisch untersuchen; das Mädchen liegt seitdem als gefähr¬
licher Urindaneraasscheider in der hiesigen Klinik zur Beobachtung.
Nun haben sich in den letzten Jahren die Fälle von
Typhusepidemien in Kasernen, Krankenhäusern, Irrenanstalten,
Internaten, größeren Gasthäusern usw. ausgehend von Bazillen¬
ausscheidern derart gehäuft, daß sich einem der Gedanke auf¬
drängt, ob nicht allen derartigen Instituten durch Gesetz oder
Verordnung zur Pflicht gemacht werden sollte, daß das Küchen¬
personal vor seiner Einstellung gründlich bakteriologisch unter¬
sucht werden muß. Zweifellos ließe sich dadurch viel Unheil
verhüten; ich rate allen größeren Wirtschaftswesen in diesem
Sinne. Aber nicht nur die Feststellung der Bazillenträger und
ihre Fernhaltung aus Küchenbetrieben erfordert eine gründliche
gesetzliche Regelung, auch die Entschädigungsfrage der ab-
f esonderten Bazillenträger sollte irgendwie geregelt werden. Bei
er derzeitigen geringen Heilungsmöglichkeit kann man die
Bazillenausscheider nicht allzu lange in den Krankenhäusern
zurückhalten, im Erwerbsleben muß man dieselben aber doch
mancherlei Beschränkungen unterwerfen und dadurch mehr
oder weniger schädigen, materiell und ideell; auch ihre Aus¬
gaben für die fortlaufende Desinfektion sind heutzutage nicht
gering. Man wird also, will man die Gewissenhaftigkeit dieser
an und für sich ja schuldlosen Missetäter nicht einer zu großen
Belastungsprobe unterwerfen, auch in dieser Richtung irgend
etwas tun müssen.
Ganz unhaltbar erweist sich immer wieder die Be¬
stimmung, wonach die Seuchenanzeigen zuerst an dieOrts-
polizeibehörden gesandt werden müssen. Im Interesse
eines raschen und wirksamen Einschreitens muß unbedingt
immer zuerst der Oberamtsarzt, und zwar auf dem kürzesten
Wege, benachrichtigt werden. Bei dem heutigen Geschäfts¬
gänge kann durch ungünstige Fügung (Sonntagsruhe, Sams¬
tagsschluß, Durcharbeitszeit, Ortsabwesenheit des beamteten
Arztes usw.) leicht eine 3—5 tägige Verzögerung der Sanierungs¬
arbeit des Amtsarztes eintreten mit allen ungünstigen Folgen.
Wenn man bedenkt, daß die Kontaktinfektion beim Abdominal¬
typhus eine sehr bedeutungsvolle Rolle spielt, daß Frühkontakte
schon im Inkubationsstadium gesetzt werden, und in der ersten
und zweiten Woche (Klinger z. B. hat von 812 Typhusfällen
23°/ 0 auf Infektion am Kranken im Inkubationsstadium zurück¬
führen können, Fornet 12° 0 ), so muß jedermann begreifen,
daß das amtsärztliche Einschreiten nicht früh und nicht rasch
genug erfolgen kann. Diese Gründe sind so durchschlagend
und selbstverständlich, daß es unbegreiflich erscheint, daß die
veraltete Vorschrift immer noch nicht sachgemäß geändert ist. 1 )
') Einer Resolution, wonach das seitherige Meldewesen anhaltbar ist,
wurde in der Versammlung des Württembergischen Med izialbeamten Vereins
einstimmig zagestimmt.
Dr. Freymnth: Zur neuen preußischen Desinlektionsordnung. 11
Zur neuen prenssischen Desinfektionsordnung.
Von Dr. A. Freymuth-Berlin.
Wer Gelegenheit hatte, der Jahresversammlung des Bundes
Deutscher Desinfektoren am 14. August d. J. als objektiver
Zuhörer beizuwohnen, wird wohl gleich mir den Eindruck ge¬
wonnen haben, daß die Desinfektoren in der neuen Desinfektions¬
anweisung vom 8. Februar 1921 den wirtschaftlichen Ruin ihres
Berufes erblicken. Der von Prof, von Yagedes im Laufe seines
Vortrages über die neue Desinfektionsordnung leise angefächelte
Windzug nahm mit jedem zu diesem Thema sprechenden Redner
an Stärke zu und wuchs sich bei dem temperamentvollen Ver¬
treter der Kölner Desinfektorenschaft zu einem gigantischen
Orkan der Entrüstung und Ablehnung aus. Daß die Resolution
gefaßt wurde, bei dem Herrn Wohlfahrtsminister wegen Abänder¬
ung der die Gefühle der Desinfektoren verletzenden und ihre
vitalsten Interessen verkennenden Neuordnung vorstellig zu
werden, war die naheliegende, der allgemeinen Stimmung ent¬
sprechende Konsequenz.
Aus der sehr lebhaft geführten Debatte sind mir folgende
Punkte in Erinnerung geblieben, die ganz besondes als „Steine
des Anstoßes“ von allen Rednern gebrandmarkt wurden. Die
Be vorzugung der ledigen, festbesoldeten „Schwester“
vor den in der Ueberzahl verheirateten, nicht festangestellten
staatlich geprüften Desinfektoren. Die Heranziehung der
Gemeindeboten oder anderer Organe in ländlichen Bezirken
zur Ueberbringung von Desinfektionsmitteln und Aushändigung
von gemeinverständlichen Belehrungen an die Haushaltungs¬
vorstände. Während aber diese beiden Momente nur das sub¬
jektive Empfinden störten, betraf das nächste das zukünftige
Wirtschaftsleben der Desinfektoren. Sie sehen in der „laufenden
Desinfektion“ eine schwere Bedrohung ihrer ohnehin nicht
genügend gesicherten Existenz und ziehen als Kronzeugen für
die Berechtigung ihres Pessimismus Geheimrat Lentz, den
geistigen Vater der Neuordnung, heran, der in einer Abhand¬
lung 1 ) über die Neugestaltung des Desinfektionswesens sagt:
„Für einen Teil der z. Z. vorhandenen Desinfektoren wird die
neue Anweisung vielleicht die Wirkung haben, daß sie in Zu¬
kunft weniger als bisher beschäftigt sein werden.“ Weiter wurde
die Wiedereinführung des Sublimats als Hauptdesinfektions¬
mittel kritisiert unter Hinweis auf die bekannte Idiosynkrasie
vieler Personen gegen diesen Giftstoff.
Bisher hatte ich den neuen Ministerialerlaß nur hinsicht¬
lich seiner kulturellen Neubestrebungen und der in ihm ver¬
werteten wissenschaftlichen Fortschritte studiert; jetzt habe
ich ihn, unter dem Einflüsse der Opposition, auch hinsichtlich
seiner Wirtschaftlichkeit und technischen Durchführbarkeit auf¬
merksam gelesen.
*) Desinfektion; 1921. Heft 4, S. 110.
12
Dr. Freymuth.
Was die von den Desinfektoren als Zurücksetzung emp¬
fundenen Stellen betrifft, so kann man ihre Auffassung ver¬
stehen, wenn wiederholt die Reihenfolge „Schwester oder Des¬
infektor“ vorkommt, an einer Stelle liest man sogar: „Wo eine
solche (Pflegeperson) nicht dauernd am Krankenbett tätig sein
kann, muß die laufende Desinfektion von einer in einer staat¬
lichen Desinfektorenschule ausgebildeten Pflegerin (Desinfektions-,
Seuchen-, Fürsorgeschwester) oder, wo auch dies nicht möglich
ist, von einem staatlich geprüften Desinfektor dauernd und
regelmäßig überwacht werden.“ Aus welchem Grunde der Des¬
infektor nicht gleich mit dieser Arbeit betraut werden soll und
kann, ist nicht recht ersichtlich.
Die Heranziehung der Gemeindeboten zur Ueberbringung
der Desinfektionsmittel halte ich für ein sehr gewagtes Experiment,
das leicht katastrophale Folgen zeitigen kann. Man denke
dabei an eine 5°/ 00 -Sublimatlösung! Wer unterweist diese Per¬
sonen in dem Umgänge mit den Giften, und wer haftet für
durch sie verursachte Schädigungen und Unglücksfälle? Sollten
wirklich alle Gemeindevorsteher in der Lage sein, Gifte, wie
Sublimat, zu bewirtschaften und anderen über ihren Gebrauch
hinreichende Aufklärung zu geben? Das wage ich auf Grund
meiner Kenntnis ländlicher Verhältnisse zu bezweifeln. Welche
Fülle von Gefahrenquellen bei nicht sachgemäßer Aufbewahrung
von Giften vorhanden ist, braucht wohl nicht weiter ausgeführt
zu werden. Es sei hier nur der Fall angenommen, daß der
Gemeindevorsteher eine Gastwirtschaft betreibt. Da steigen
düstere Bilder aus der Versenkung heraus. Statt „Schnaps“
sind schon Ammoniakflüssigkeit, Putzwasser, also Schwefelsäure,
Salzsäure und andere mehr oder weniger giftige Stoffe verabfolgt
worden. Am besten wird der Sache gedient, wenn man nur
„zünftige“ Personen zur Mitarbeit heranzieht. Wem es ernst ist mit
dem Wiederaufbau unseres in die Brüche geratenen Wirtschafts¬
lebens, der darf zur Reparatur bezw. Wohnlichmachung unseres
einst so stolzen Hygienebaues nur gelernte Handwerker heran¬
ziehen. Das sind in diesem Falle die staatlich geprüften Des¬
infektoren. Hier bietet sich gleich die beste Gelegenheit, einem
um sein täglich Brot schwer kämpfenden freien Berufe die Wege
zur Verbesserung seiner sozialen Lage zu ebnen. Und damit
komme ich zu einem anderen Kapitel! Wie in der alten Des¬
infektionsordnung, spielt auch in der neuen die Ortspolizeibehörde
eine dominierende Rolle. Ich glaube, man fördert alle kulturellen
Bestrebungen am vorteilhaftesten und täte den kleinstädtischen
und ländlichen Polizeiorganen obendrein noch den größten
Gefallen, wenn man ihnen speziell auf den Gebieten der
Hygiene die anordnende Rolle abnähme und sie lediglich zu
ausführenden Organen eines Kreisgesundheitsamtes machte,
dessen Leitung in den Händen des Kreisarztes bezw.
Tierarztes zu liegen hätte. Dadurch, daß die Fäden im Kreise
alle in eine Hand münden, würde manche unnütze Ausgabe,
manche Doppelstellung, sowie das Nebeneinanderarbeiten ver-
Zur neuen preußischen Desinfektionsordnung.
13
mieden und die Wirtschaftlichkeit auf hygienischen Gebieten
wesentlich gefördert werden. Diesem Kreisgesundheitsamte
böte sich ein weites Betätigungsfeld. Beispielsweise könnte
ihm, wie das schon lange mein Wunsch ist, die praktische
Handhabung des Giftgesetzes zugewiesen und dieser Dienst¬
zweig den Apothekern anvertraut werden, die später ohnehin
eine größere Rolle im Gesundheitswesen spielen werden. Dadurch
wird gewährleistet, daß die jetzt infolge völliger Sach- und
Fachunkenntnis der Polizeibeamten zur Farce degradierten Gift¬
verordnung endlich im Sinne des Gesetzgebers zur Durchführung
gelangt, und daß die Allgemeinheit für ihr Geld auch wirklich
brauchbare und zweckentsprechende Mittel und sachgemäße
Belehrung über Aufbewahrung und Anwendung erhält.
Wir kommen jetzt zu den in der Anweisung vom 8. Februar
1921 namentlich hervorgehobenen Desinfektionsmitteln, von
denen uns ganz besonders das Sublimat interessiert, und
zwar deshalb, weil über den Wert oder Unwert dieses an und
für sich erstklassigen Desinfiziens zur Abtötung von Tuberkel¬
bazillen im Auswurf noch eine große Diskrepanz unter den
Fachgelehrten besteht. Sicher wird der Herr Minister sich auf
die über jeden Zweifel erhabenen Prüfungsergebnisse des
Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten Robert Koch
gestützt haben. Aber soll und darf man seine Ohren gegen
das auf dem diesjährigen Tuberkulosekongreß von Uh len huth
gefällte Urteil verschließen: „. . . und Sublimat mit und ohne
vorherige Erweichung des Sputums durch Antiformin oder Soda
versagen für diese Zwecke vollständig?“ Müssen unter diesen
Umständen nicht berechtigte Bedenken gegen die Verwendung
des infolge seiner starken Giftigkeit und Aetzwirkung ohnehin
wenig beliebten Sublimats aufsteigen? Dürfen wir angesichts
dieser Sachlage den Kommunen die Beschaffung des gegen¬
wärtig sehr teuren Mittels befehlen? Als ein Retter aus der
Not erscheint da Schuster *), der uns in seiner äußerst beachtens¬
werten Arbeit „Ueber die Desinfektion des tuberkulösen Aus¬
wurfs“ mit Kalk einen anscheinend sicheren, harmlosen und
billigen Weg zeigt. Er wäre zu schön und einfach, um
wahr zu sein können. Denn je weniger Gift wir anwenden
lassen, um so mehr entlasten wir uns und die ausführenden
Organe, um so mehr schränken wir die Gefahrenquellen auf ein
Minimum von Möglichkeiten ein. Leider stößt die Aus- und
Durchführung meines an anderer Stelle 8 ) gemachten Vorschlages,
allen zu technischen Zwecken bestimmten Giftstoffen und ihren
Lösungen, soweit angängig, einen ungewöhnlichen, auffallenden
Farbstoff zuzusetzen, gerade in der Desinfektion auf große
Schwierigkeiten. Demselben Gedanken gibt Schnutz 8 ) Aus¬
druck, indem er für die Sublimatpastillen statt der roten eine
*) Ztschr. f. Hyg.; Bd. 92, Heft 3.
*) D. Ungez.- u. SchädL>Bekämpfer; 1921. Heft 4: Todesfälle durch
Schädlingsbekämpfungsmittel.
*) Desinfektion; 1921. Heft 9, S. 165.
14 Dr. Freymuth: Zar neaea preußischen Desinfektionsordnung.
Blaufärbung vorschlägt. Denn man kann nicht gut Wäsche,
Kleider, ungestrichene Fußböden usw. mit rot, blau oder grün
gefärbten Lösungen behandeln. Schon die Desinfektion von
kurz vor der Erkrankung getragenen Kleidern und von Büchern
mit Sublimat dürfte in praxi auf erhebliche Widerstände stoßen,
ganz abgesehen davon, daß diese Arbeit, wenn sie nicht gründ¬
lich ausgeführt wird, in den meisten Fällen nur einer symbol¬
ischen Handlung gleichkommen dürfte.
Aber wo starker Schatten ist, ist auch viel Licht 1 Und
dieses viele Licht bringt uns die Desinfektionsordnung mit dem
Ausbau der laufenden Desinfektion, allerdings auf Kosten der
Schlußdesinfektion. Fraglos werden wir dem Altmeister der
Hygiene Flügge 1 ), beipflichten müssen, wenn er, aus dem
tiefen Born reichster Erfahrung schöpfend, die Behauptung auf¬
stellt, daß a priori beide Methoden, die laufende sowie die Schlu߬
desinfektion, gleiche Existenzberechtigung haben und auch durch¬
geführt werden sollten. Wie verhält sich aber die Allgemeinheit
zu dieser Forderung? Uns allen ist bekannt, daß in einem
Krankheitsfalle seitens der Angehörigen während der Krankheits¬
dauer alles aufgeboten wird, um den Gesundungsprozeß zu fördern
und die Ausbreitung nach Möglichkeit zu verhüten. Ist aber
die Krankheit glücklich überstanden, so sind alle guten Vorsätze
vergeben und vergessen. Während die laufende Desinfektion
mit wahrer Hingebung und peinlichster Sorgfalt betrieben wurde,
leistet man jetzt, da nach Laienansicht jede Gefahr vorüber
war, einer etwa beabsichtigten Schlußdesinfektion den größten
Widerstand. Der Desinfektor ist kein freudig begrüßter Gast!
Mag die Abneigung gegen die Schlußdesinfektion bei einem
Teile der Bevölkerung auf allzu große Bequemlichkeit oder
Indolenz zurückzuführen gewesen sein, bei dem weitaus größeren
richtete sich die Obstruktion mehr gegen die Anwendung der
unangenehm und nachhaltig duftenden Kresolpräparate. Beiden
Teilen wird die neue Desinfektionsordnung gerecht. Sie schränkt
die Schlußdesinfektion nach Möglichkeit ein und ordnet die Ver¬
wendung des geruchlosen Sublimats an. Aber alle diese Kon¬
zessionen wären nicht möglich gewesen, wenn uns die Forschungs¬
ergebnisse der letzten Jahre nicht gelehrt hätten, daß entgegen
unserer früheren Anschauung die meisten Infektionskeime in der
Außenwelt schnell zugrunde gehen. Mit dieser Feststellung
verlor die Schlußdesinfektion die ihr früher zugeschriebene
fundamentale Bedeutung. An ihre Stelle trat die laufende Des¬
infektion, der die Aufgabe zufällt, die von einem Kranken aus¬
geschiedenen Keime möglichst sofort nach Verlassen des Körpers
unschädlich zu machen. Wir kennen also nach der neuen An¬
weisung die erweiterte laufende und die eingeschränkte Schlu߬
desinfektion. Außerdem besagt die neue Dienstanweisung aus¬
drücklich, daß die Schlußdesinfektion überall da auszuführen ist,
wo der Kreisarzt sie für notwendig hält und anordnet. Auch
*) Ztschr. f. Med.-Beamte; 1921, Nr. 18.
Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen Medizinal beamten-Vereins. 16
die Bestimmung, daß der Kreisarzt statt der in der neuen Ver¬
ordnung angegebenen Desinfektionsmittel und Verfahren gleich¬
wertige andere anwenden lassen darf, bleibt unverändert weiter
bestehen.
Unter Wiederholung meiner auf dem Desinfektorentag ge¬
sprochenen Worte bin ich der Meinung, daß den Desinfektoren
unter der Herrschaft der neuen Desinfektionsanweisung vom
8. Februar 1921 durch Außführung der laufenden Desinfektion
neben der praktisch doch mehr oder weniger beibehaltenen
Schlußdesinfektion nicht nur kein pekuniärer Ausfall droht,
sondern vielmehr eine größere Einnahmequelle erschlossen wird.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen Medizinal-
beamten-Vereins vom 18. Oktober 1931.
Die Sitzung fand im Hörsaal des Pathologischen Instituts des Kranken¬
hauses zu Dresden-Friedrichstadt unter dem Vorsitz des Geh. Med.-Rats
Dr. S c h m o r 1 statt. Anwesend: 41 Mitglieder.
I. Prof. Dr. Knhn: Die hauptsächlichsten Forderungen der Rassen-
hjglene in Deutschland. Die rassenbygienischen Bestrebungen beginnen in
Deutsehland mit dem Jahre 1891, in dem Schallmayer seine erste rassen-
hjgienische Schrift veröffentlichte. Alfred Ploetz ist der Hanptträger der
rassenbygienischen Bewegung in Deutschland geworden, aber bisher ist sie anf
einen engen Kreis von Fachgesossen beschränkt. Es ist unbedingt notwendig,
daß sie in die ärztlichen Kreise tief hineindringt. Die Studenten
der Medizin müssen in den fachwissenscbaftlicben Vorlesungen über die Er¬
gebnisse der Vererbungswissenschaft unterrichtet werden und Bassenbygiene
hören. Bisher wissen die Aerzte sehr wenig von den Vererbungsgesetzen.
Prof. Dr. Baur schreibt mit Recht: „Es ist in höchstem Grade bedauerlich,
daß unsere Aerzte noch sehr wenig von den Vererbungsgesetzen wissen
und daß vor allem die junge Generation von Medizinern bente davon auf
den Universitäten noch fast nichts lernt. Vor allem für die Diagnose¬
stellungen, besonders von Stoffwechselkrankheiten und Psychosen, aber aach
sehr oft für die Therapie, wäre eine genauere Kenntnis der Vererbungs¬
gesetze im allgemeinen nnd der speziellen Vererbungsweise der einzelnen
Krankheiten von der größten Wichtigkeit. Was auch in den besten unserer
medizinischen Studentenlehrbücher über „hereditäre Krankheiten“ und unter
ähnlichen Rubriken gesagt wird, mntet meist geradezu kläglich an.“ Man
darf Banr das harte Urteil nicht verdenken; denn er ist nicht nur Botaniker,
sonuern auch Arzt.
Die Aerzte sind weiter in Fortbildungskursen mit der Rassen¬
hygiene vertraut zu machen, damit Bie in der Lage sind, dem heutigen Stand
der Wissenschaft entsprechend Stammbaumaufnahmen vorznnehmen.
Weiter mnß ein besonderer ärztlicher Berufszweig, die Eheberatung,
ausgebildet werden. An den Universitäten und den Hochschulen sind all-
f eineine Vorlesungen über Rassenhygiene za halten, nm zunächst
ie Gebildeten über die Bedeutung des wichtigsten Zweiges der Hygiene anf-
zuklären. Der Ein wand, daß die Lehren der Bassenbygiene und die Ver-
erbungswissensebaft auch noch zu unsicher seien, ist zurückznweisen. Er
wird nur von solchen Aerzten erhoben, die bisher noch keine Zeit gehabt
haben, Bich mit diesen Dingen eingehend zu befassen. Es geht mit den Lehren
der Rassenhygiene ebenso wie mit den Forderungen der übrigen Zweige der Hygiene,
sie unterliegen dem dauemden Wechsel unserer Erkenntnis nnd Anschauungen.
Der Redner erläutert sodann die wichtigsten Vererbungsfragen,
insbesondere die Mendel sehen Gesetze. Wichtige Krankheiten mit rezessivem
und dominantem Erbgang werden an der Hand von Stammbäumen erläutert.
Er empfiehlt auf das wärmste das kürzlich erschienene Werk von Baur,
Fischer, Lenz: „Menschliche Erblichkeitslehre“, das zur Einführung der
16
Bericht über die 3. Sitzung
Aerzte in die Erblichkeitsfragen wie kein anderes geeignet ist. Folgende prak¬
tische Maßnahmen sind anznstreben:
Die Bevölkerungspolitik im Reich, in den Einzelländern uud Ge¬
meinden muß nach rassenhygienischen Grundsätzen geführt werden;
die Güte der Bevölkerung muß gegenüber der Masse betont werden. Alle
Steuer- und Gehaltsfragen sind so zu lösen, daß sie rassenbygienisch
gut wirken und die Frühehe ermöglichen. Die kinderreiche Ehe ist im Einklang
mit der Verfassung zu bevorzugen. Steuergesetze wie das Gesetz über das
Rcichsnotopfer und die Reichseinkommenstener sind zu bekämpfen, da sie
Konkubinats- und Junggesellenprivilegien enthalten und verfassungswidrig
sind. Die Schloßmannsche Forderung, daß jedes Einkommen und
jedes Vermögen in jeder Steuerveranlagung in so vielen
gleichen Teilen veranlagt wird, als Personen davon leben
müssen, ist nach wie vor die Grundlage jeder gesunden und gerechten
Steuerpolitik.
Es muß dahin gestrebt werden, daß ärztliche Gesundheitszeugnisse
beim Standesamt eingereicbt werden, ebenso ist die Einführung von
Gesundheitsbogen (Gesundheitspässen) anzustreben, die bei der
Geburt des Kindes angelegt werden und den Inhaber durch die Schule und
das fernere Leben begleiten.
Verbrecher und Geisteskranke sind soviel wie möglich zu
sterilisieren und zu kastrieren, erstere mit dem eigenen, letztere mit
dem Einverständnis der Vormünder und Verwandten. Die Durchführung dieser
Maßnahmen wird den Sinn des Volkes auf eine zielbewußte Gattenwahl
lenken.
Amtliche Eleiratsvermittlung nach dem Magdeburger System,
über das der Redner in der Zeitschrift „Oeffentliche Gesundheitspflege“ 1919
eingehend berichtet hat, ist überall unter Wahrung rassenhygienischer Grund¬
sätze anzustreben.
Die Freigabe der Abtreibung ist scharf zu bekämpfen.
(Selbstbericht.)
In der Aussprache, an der sich die Herren Hitsche, Heyn, Thiele
und Stahl beteiligten, wird zum Ausdruck gebracht, wie notwendig es auch
hinsichtlich der Eheb eratung sei, den Hausarzt wieder in seine Rechte ein¬
zusetzen, und daß noch vieles geklärt werden muß, bevor die theoretisch
zweifellos richtiger Weise zu verhindernde Fortpflanzung krankhafter Eigen¬
schaften praktisch durchgeführt werden kann. Schon jetzt freilich müssen
Mittel und Wege gefunden werden, das Schlimmste auBznschalten.
In einem Schlußwort begrüßt Prof. Kuhn die Anregung, eine Ab¬
teilung der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene in Dresden zu be¬
gründen; er ist gern bereit, die Gründung zu geeigneter Zeit in die Hand zu
nehmen. Er wendet sich gegen den Einwand, der immer wieder gegen die
Rassenhygjene gemacht wird, als ob sie das Entstehen von bedeutenden
Persönlichkeiten verhindern würde. Eine Eheberatungsstelle hätte die Geburt
von Beethoven nicht verhindert, wohl aber sowohl den Eltern, als besonders
dem Großvater wertvolle Aufklärung über die Folgen des Alkoholismus für
die Nachkommenschaft gegeben.
II. Regierungsmedizinalrat Dr. Kötscher: Psychopathen und Neurotiker
im Strafvollzug. Der Vortragende erläuterte und umgrenzte zuerst den Be¬
griff der Psychopathie, der heute den naturwissenschaftlich anfechtbaren
Begriff der sogen, geistigen Minderwertigkeit fast verdrängt hat. Wird man
auch mit Ziehen von einer durch allerhand Lebensschicksale, besonders durch
körperliche und psychische Traumen erworbenen Psychopathie sprechen können,
so spielt aber doch bei ihr die erblich degenerative Konstitution, — auch wenn
besondere Faktoren (z. B. die Pabertätsumwandlung) sie erst hervorgerufen
zu haben scheinen —, die allergrößte Rolle. In der jüngsten Vergangenheit
war es der Weltkrieg, der eine Anzahl psychopathischer und neurotischer
Reaktionen hervortreten ließ. Während von Hause aus gesunde Persönlich¬
keiten doch einmal diese Folgen zu überwinden vermochten, steht eine große
Anzahl brüchiger Individuen immer noch unter dem Eindruck längst ver¬
gangener Erlebnisse und vermag nicht oder nur unvollständig sich den nach-
des Sächsischen Medizinalbeamten-Vereins.
17
kriegszeitlicben Zuständen genügend anznpassen and sich aalzaraffen, erwartet
alles, Ton der Gesellschaft, begehrt Mitleid, Renten and sonstige Unter¬
stützung; ja nicht wenige von ihnen glauben zur Selbsthilfe schreiten za
nässen, da sie sich von der Gesellschaft verlassen fühlen, and greifen za Ver¬
brechen oder propagieren den Umstarz. Unsere Gefängnisse sind überfüllt
ron solchen Leaten; die Haft aber ist für sie ein neaes gewaltiges psychisches
Traama, das von neaem zahlreiche psychopathische Reaktionen auszalösen
pflegt. Von den echten angeborenen Psychopathen nar sehr schwer, oft aach
gar nicht abzutrennen sind die erworbenen krankhaften Zustände, die man
unter dem Namen der Neurosen znsammenzufassen pflegt. Auch bei ihnen
ist gewöhnlich das normale Gleichgewicht zwischen Fühlen, Denken und
Wollen ernstlich gestört oder dauernd labil, and so rechnet anser großer
Meister Kräpelin selbst die Nervösen and Hysterischen, ja sogar die Zyklo¬
thymen and Paranoiker in gewissem Sinne mit unter die Psychopathen; er be¬
trachtet die Psychopathie geradezu als Vorstafe für derartige Erkrankungen. 1 )
Neurotiker, besonders Kriegshysteriker, füllen unsere Strafanstalten heute
auch in zahlreichen Exemplaren; sie lassen sieb, als von Hanse aus erblich
belastet, oft von den Psychopathen, wie gesagt, kaum trennen. Bei allen
diesen Leuten spielt die Flacht in die Krankheit, wie sie die
Freadsche Neurosenlehre schildert, die allergrößte Rolle; diese Flucht tritt
bei ihnen ganz allgemeinen Unlastgefühlen gegenüber ein, wie sie gefährliche
oder stark unangenehme Situationen auszulösen pflegen and gar nicht besonders,
wie Freud eiuseitig meinte, etwa in der Hauptsache sexuellen Traumen
gegenüber. Während des Krieges waren die Lazarette voll von solchen sich
in die Neurose Flüchtenden. Insufflzienzgefühl and Begehrungsvorstellungen
nach Hilfe und eventuell gar Rente lassen viele heute noch nicht den Weg
zur Gesundheit oder Ordnung zurückfinden. Landeten sie im Gefängnis, so
flüchteten sich diese psychopathisch Angegangenen natürlich alsbald erst recht
in die mitleidigen Arme der Krankheit, una eine Flut von Klagen und Be¬
schwerden, von Bitten um Haftunterbrechung wegen angeblich schwerster Ge-
sundheitaschädigung, um Befürwortung einer Begnadigung usw. brach über den
einzigen Arzt so mancher überfüllten Riesenanstalt herein. Mit Ausbrüchen
krankhafter Querulationen, psychopathischer Affekte bis zu Wut- und Tob»
Suchtsanfällen, mit Disziplinlosigkeit bis zu gefährlichen Angriffen bekam der
Arzt und bekamen die Beamten in nie geahntem Maße zu tun; für alle Unlust-
zustände wurde aber die Hilfe gerade des Arztes kategorisch gefordert und
an seine Arbeits- und Nervenkraft die allerhöchsten Ansprüche gestellt. Der
psychiatrisch geschulte Arzt hat ja auch allein die Vorbildung, diese Zu¬
stände richtig einzusebätzen und zu bewerten, er allein kann ihre zweck¬
entsprechende Behandlung leiten; er allein kann feststellen, wann die patho¬
logischen Reaktionen die für die Psychopathen so nahe Grenze nach der
Psychose hin überschreiten.
Der Vortragende schildert hierauf das Benehmen der Psychopathen und
Neurotiker in der Haft im einzelnen, hält dabei aber daran fest, daß ihre
rechtliche und sittliche Verantwortlichkeit für gewöhnlich sicher größer ist
als die bei ausgesprochene Geisteskranken, für die unser Gesetz mit Recht
völlige Unzurechnungsfähigkeit annimmt. Immerhin ist bei den Neuropathen
die Widerstandskraft gegen verbrecherische Anreize durch innere seelische
Momente meist mehr oder weniger herabgesetzt. Für sie ist also der Begriff
der „verminderten Zurechnungsfähigkeit" völlig berechtigt. Um so gefäbr-
licher pflegen aber solche Menschen zu sein und „mildernde Umstände" werden
ihrer Persönlichkeit ganz und gar nicht gerecht. Sie gehören in Sonder¬
anstalten mit einer ihrer Eigenart angepaßten speziellen Behandlung, die
nur ein erfahrener Psychiater zu leiten vermag, und wo sie so lange bleiben
müssen, als sie antisozial erscheinen. Unser heutiger Strafvollzug aber macht
diese Leute nur-überreizter, kränker und asozialer; er läßt sie mit fast sicherer
Aussicht auf neue Gesellschaftsschädigungen ganz schematisch wieder in die
Freiheit.
Vortragender zählt dann die verschiedenen Typen der Psycho¬
pathen auf, beschreibt ihre Erkennung, die nur einem Psychiater möglich ist,
') Lehrbuch der Psychiatrie; 8. Auflage, IV. Band, 8.1976.
18
Fortbildungskurs für Kreisärzte.
schildert die aktiven Rohlinge und die passiven Uebererregbaren, nennt dio
einzelnen Symptome und würdigt die Wirkung des speziellen Qefängnismilieus
auf diese Leute und ihre Krankheitserscheinungen. Besonders wird der Ernährung
und dann der Arbeitszuteilung gedacht, die in ihrem heutigen mechanischen Zwang
fern von ermüdender körperlicher Ausarbeitung an frischer Luft geradezu Gift
für Psychopathen und Neurotiker zu sein pflegt. Aber auch auf die Schwierig¬
keiten der Disziplin und auf die Unzweckmäßigkeit, ja Gefährlichkeit ernsterer
Disziplinarstrafen, wie einsame Einsperrung in Dunkelarrest mit hartem Lager
und Kostbeschränkung u. dergl. m., wird hingewiesen. Das Für und Wider der
Einzel- und der Gemeinschaftshaft bei Neurotikern wird abgewogen, das aus
dem an sich meist tüchtigen Unteroffizie^stande hervorgegangene Personal
lobend erwähnt, aber doch nicht verkannt, daß seine psychologische Vorbildung
Psychopathen gegenüber ganz ungeeignet ist und ein richtiges Verständnis für
krankhafte Aeußerungen ihm erst oft mühevoll mit mehr oder weniger Erfolg
anerzogen werden muß.
Die häufigsten Geistesstörungen der Psychopathen werden
kurz gestreift, der „Gefängnisknall“ und seine Behandlung beschrieben, ferner
die wahnhaften Einbildungen, die Anstaltshypochondrie und die Selbstmord¬
gefahr. Mit ihren zahlreichen Störungen werden alle diese schweren Psycho¬
pathen und Neurotiker, die immer an der Grenze der Psychose herumpendeln,
zum Schrecken der Anstaltsbeamten; sie werfen jede Disziplin über den Haufen.
Sie gehören eben nicht unter die Disziplinargewalt von medizinischen Laien,
sie gehören aber auch nicht in die Irrenanstalt, die ja auf möglichst freie
Behandlung unbescholtener Personen eingestellt sein muß. Sie gehören vielmehr
in besondere Anstalten, die sich am besten in der Nähe der großen Strafanstalten
befinden. Eine richtige Arbeitstherapie — auch unter gewissem Zwang —
ist dort vor allem wichtig. Von der Sonderanstalt aus können auch Urlaubs-
versuche gemacht werden; denn selbst der geborene Psychopath muß ja nicht
Sein ganzes Leben hindurch gleichermaßen erregt, ja nicht einmal immer ein
antisozialer Mensch bleiben. Es gibt auch für sie eine gewisse Seelenortho¬
pädie. Vor allem aber ist von vornherein nie eine gewisse seelische Spät- '
reifung ausgeschlossen. Freiluftarbeit muß auch in diesön Adnexen bei Gefäng¬
nissen unbedingt möglich gemacht werden.
Eine künftige Gesetzgebung wird den Psychopathen und Neuro¬
tikern ganz anders gerecht werden müssen, als es heute der Fall ist. Arzt
und Richter müssen in dieser Hinsicht Zusammenarbeiten. „Wie eine Kultur
mit ihren Antisozialen fertig wird und wie sie die Gesellschaft zu schützen
vermag, auch daran zeigt sich ihre Höhe und ihre Reife. Möchte Deutschland
zeigen, daß es trotz aller Schicksalsschl&ge immer noch in der Kultur voran¬
geht!“ (Selbstbericht.)
(Der Wortlaut des Vortrages wird in einer Fachzeitschrift veröffentlicht
werden.)
III. Geh. Med.-Rat Dr. Schmorl: Pathologisch-anatomische Demon¬
strationen. Schmor 1 zeigte Präparate von Erhängten, von Schuß in die
Aorta und ins Herz sowie Stich ins Herz, beide mit langsamem Tode, Ver¬
änderungen des Magens bei Vergiftung mit Lysol, Salzsäure und Cyankali,
kleine Blutungen in den Papillarmuskeln des Herzens nach C 0 Vergiftung
sowie Organe der jetzt häufigen akuten gelben Leberatrophie nach Salvarsan-
behandlung eines Syphilitischen, verbunden mit Milztumor, Nephritis und
Blutungen an der Hinterfläche des Herzens. Er demonstrierte dann mit dem
Projektionsapparat Präparate von Kriegsnephritis, rheumatischer Myocarditis,
einem Erweichungsherd im Linsenkern, von Typhusgeschwüren der Gallenblase
und Entzündung der Gallenblase bei Gallensteinen. G. Ilberg.
Fortbildungskurs für Kreisärzte.
In der Zeit vom 21. November bis 10. Dezember 1921 hat in Berlin ein
Fortbildungskurs für Kreisärzte stattgefunden, zu dem 32 Kreis¬
ärzte einberufen waren.
Die Vorträge fanden in der Hauptsache im Institut für Infektionskrank¬
heiten, im Institut für Staats-Arztneikunde, im hygienischen Universitäts-Institut
und in der Landesanstalt für Wasserbygiene statt.
Fortbildungskurs für Kreisärzte.
19
Die Vorträge im Institut „Bobert Koch" (Neufeld, Koch,
Morgenroth, Otto, Friedemann, Schilling und Gins) behandelten
•»gewählte, für den Medisinalbeamten besonders wichtige Kapitel, von denen
die Ausführungen über Fleckfieber, Encephalitis lethargica, Malaria, Lyssa und
die neuesten Forschungen über die Syphilis Spirochäte besonderes Interesse
beanspruchten. An die Vorträge im gerichtsärztlichen Institut
(Strassmann) schloß sich eine Demonstration der neuzeitlichen, demnächst
zur Einführung gelangenden Obduktionstechnik an; besonders noch zu erwähnen,
ist die Technik der Eröffnung der Herzhöhlen bei Verdacht auf Luftembolie
In den h ygienischen Vorträgen (Heymann und Korf-Petersen)
wurden aasgewählte Kapitel, besonders der Wohnungs-, Nahrungsmittel- und
Schulhygiene behandelt. Im Institut für Wasserhygiene (Beninde,
Thomm, Klut und andere) gelangte in großen Zügen das ganze Gebiet der
Wasser- and Abwasserfrage zur Besprechung.
Weiter fanden anregende Vorträge und Vorführungen auf dem Gebiet
der Tuberknlosefürsorge (Kayserling) in der Fürsorgestelle der
Landesversicherungsanstalt Berlin und auf dem der Säuglingsfürsorge
(Langstein) im Kaiserin Augusta Viktoria-Haus statt'; besonderes Interesse
beanspruchten auch die außerordentlich belehrenden Vorgänge über Krüppel¬
fürsorge (Biesalski) im Oskar-Helene-Heim in Dahlem.
Es sind weiter zu erwähnen die anregenden Vorträge über Medizinal-
Statistik (Gottstein), über Bevölkerungspolitik und Kranken-
hauswesen (Krohne), über Seuchenbekämpfung (Lentz), über
Tuberkulosefürsorge (König), über das Versorgungswesen
(Martinek), über Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
(Boeschmann), über Nahrungsmittelhygiene (Juckenack), über
Leibesübungen (Mallwitz) und über psychotechnische Berufs¬
beratung (Moede).
Ueber soziale Hygiene trug an Hand eines großen statistischen
Anschauungsmaterials in mehreren Vorlesungen Grotjahn vor. Die hier ge¬
gebenen Ausführungen boten, gerade weil sie oft im Gegensatz zu den bisher
geltenden Ausführungen über die Probleme der sozialen Hygiene standen,
allerlei Anregendes; leider schloß sich gerade an diese Vorträge eine allge¬
meine Diskussion nicht an.
Besondere Aufmerksamkeit beanspruchten die Ausführungen Martineks,
die den begründeten Eindruck hinterlassen mußten, daß die Ziele des Beichs-
arbeitsministerinms im Interesse eines Ausbaues des Einflusses der Versorgungs¬
ämter und ihrer Aerzte auf die Dauer mit den berechtigten Interessen der
Medizinalbeamten kollidieren müssen.
In dem Kurs ist über gerichtliche Psychiatrie leider nur eine
klinische Vorlesung in der Gharitö gehalten worden.
Besonders hervorzuheben sind weiter die von Geheimrat Dr. Dietrich
veranlaßten und geleiteten Besprechungen im Wohlfahrtsministerium über
eine große Beibe für den Medizinalbeamten wichtiger Fragen. Die in unge¬
zwungener Weise geführte Aussprache bot allen Beteiligten mancherlei An¬
regungen; eingehend wurden auch die neuen Besoldungs- usw. Verhältnisse
der Kreisärzte zur Aussprache gebracht.
An freien Nachmittagen fanden noch mehrfach Besichtigungen von
Wohlfahrtseinrichtungen statt.
Die Kursteilnehmer fanden sich des öfteren mit ihren Dozenten abends
zu einem Glase Bier zusammen; am Schluß des Kurses fand ein kleines gemein¬
schaftliches Abschiedsessen statt. Es wurde bei dieser Gelegenheit durch den
von uns gewählten Obmann (Brieger-Landeshut) das Verdienst des Geheimrat
Dr. Dietrich für das Zustandekommen und aie Durchführung des Kurses
hervorgehoben. Die Teilnehmer an dem dreiwöchigen Fortbildungskurs haben
Veranlassung, trotz mancher Schwierigkeiten, wie sie jetzt ein längerer Auf¬
enthalt in Berlin mit sich bringt, mit Befriedigung auf diese Zeit zurftck-
zublicken. Kracmer-Calbe/Saale.
20
Besprechungen.
Besprechungen.
Prof. Dr. A. H&bner, Oberarzt der Klinik für Psychisch- und Nervenkranke
in Bonn: Das Eherecht der Geisteskranken und Nervösen. Bonn 1921.
A. Marens & E. Webers Verlag. Preis einschl. Tenernngsznschlag
14,30 M.
Unter besonderer Berücksichtigung der Bechtsprechnng der. obersten
Gerichte gibt Verfasser eine knappe zosammenfassende Darstellung seiner
praktischen Erfahrungen, die er auf dem Gebiete des Eberechts der Geistes¬
kranken und Nervösen seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches gemacht
hat, um dadurch die richtige Beurteilung des Ejnzelfalls dem ärztlichen Sach¬
verständigen und dem Juristen zu erleichtern. Gleichzeitig macht er auf ge¬
wisse Unstimmigkeiten zwischen Theorie und praktischem Leben aufmerksam,
die bei einer künftigen Abänderung des Eherechts Beachtung verdienen.
Psychologie und Psychopathologie müssen nach Hübners Ansicht in enger
Gemeinschaft mit der Bechtswissenschaft bestrebt sein, naturwissenschaftliche
Grundlagen für die Gesetzgebung der Zukunft vorzubereiten und zugleich die
verständnisvolle Anwendung des gültigen Hechts zu erleichtern. Dazu wird
seine sehr lesenswerte Abhandlung jedenfalls sehr geeignet sein; sie wird aber
auch dem gerichtsärztlichen Sachverständigen sehr wertvolle Anhaltspunkte für
die Begutachtung derartiger, oft nicht leicht zu beurteilender Fälle geben. Bpd.
Dr. H. Rolileder, Spezialarzt für Sexualleiden in Leipzig: Die Masturbation.
Eine Monographie für Aerzte, Pädagogen und gebildete Eltern. Vierte,
verbesserte und vermehrte Auflage. Berlin; 192f. Fischers med. Buch¬
handlung (H. Kornfeld). Gr. 8°; 384 Seiten. Preis: 50 M., geb. 50 M.
Mit Recht sagt der Geh. Oberschulrat Prof. Dr. Schüller-Gießen in
einem dem vorliegenden Buche beigegebenen Vorwort, daß die Masturbation
ein unerfreuliches und düsteres Kapitel des Jugendalters bildet, ihre Be¬
kämpfung und Beseitigung äußerst schwierig ist, und sich nur durch
zielbewußte und gemeinsame Tätigkeit der dabei in Betracht kommenden
Faktoren, Eltern, Aerzte und Lehrer erreichen läßt. Dazu gehört aber vor allem
eine genaue Kenntnis aller hierbei in Betracht kommenden Fragen. Dieser Un¬
kenntnis bezw. mangelhaften Kenntnis Abhilfe zu schaffen, ist das Ro hie der sehe
Buch in vorzüglicher Weise geeignet. Die Anordnung und Einteilung des
Stoffes ist die gleiche wie bei den früheren Auflagen geblieben; überall merkt
man aber die verbessernde Hand des Verfassers, um den Inhalt seiner Schrift
mit den Ergebnissen und Fortschritten der Sexualwissenschaft in Einklang zu
bringen und gleichzeitig seine reichen praktischen Erfahrungen zu verwerten.
So kann man nur von neuem wünschen, daß auch die neue Auflage eine recht
große Verbreitung in den beteiligten Kreisen finden möge ! Rpd.
Prof. Dr. Karl Thomm, Abteilungsdirektor der Landesaustalt für Wasser-
bygiene zu Berlin-Dahlem: Die Kaliwerke und ihre Abwässer. Nach
einem im Wasserwirtschaftlichen Ausschuß des vorläufigen Reicbswirtschafts-
rats am 23. März 1921 in Staßfurt gehaltenen, auf Giund besonderer Wünsche
ausführlicher bearbeiteten Vortrag. Mit 5 Tabellen und 3 Abbildungen im
Text Verlag von Julius Springer. Berlin 1921. 8 # ; 60 8. Preis:
geh. 16 M.
Kali ist einer der wenigen Rohstoffe, die Deutschland besitzt, und seine
Gewinnung müßte deshalb gerade jetzt mit allen Mitteln gepflegt und ge¬
fördert werden. Leider setzt dem die Notwendigkeit der Beseitigung großer
Mengen von Abwässern (Schachtwässer, Endlaugen, Haldenwässer) eine scharfe
Grenze. Diese Abwässer können nämlich bis jetzt nur in sehr geringem Um¬
fang nutzbar gemacht werden, und an den Bau eines besonderen Kanals zu
ihrer Ableitung aus dem Gebiet der Weser und Elbe in die Nordsee kann nicht
mehr wie vor dem Kriege gedacht werden. Es bleibt daher nur ihre Ein¬
leitung in die öffentlichen Flüsse übrig. In diesen erhöhen sie, selbst fäulnis¬
unfähig und nicht abbaubar, den Chlorgehalt und die bleibende Härte und
machen diesen Einfluß über den ganzen Stromverlauf bis zur Mündung
geltend. Dadurch werden wichtige Störungen bedingt für Städte und Ort¬
schaften, die genötigt sind, ihr Trinkwasser aus den betreffenden Flüssen zu
Besprechungen.
21
entnehmen, für Landwirtschaft, Fischerei and manche Gewerbe, namentlich
wegen des Kesselspeisewassers. Den Kaliwerken sind hieraus viele and scharfe
Gegner entstanden, and die Entscheidung der hierdurch bedingten Streitfragen
hat viele Gerichte and Verwaltungsbehörden im Reich und in den Ländern
and viele Sachverständige and Gutachter beschäftigt. Es ist daraus eine große
Literatur erwachsen.
Als Wegweiser in diesen schwierigen und verwickelten Fragen ist die
Schrift des Verfassers gans besonders geeignet, weil er durch vieljährige Be¬
schäftigung damit einer der besten Kenner dieses Gebiets und mit allen hier
im ganzen und im einzelnen in Betracht kommenden Verhältnissen genau ver¬
traut ist, und weil er den Stoff musterhaft klar und übersichtlich geordnet
und bei aller Kürze erschöpfend dargestellt hat.
Als Angelpunkt bezeichnet er selbst, die Abwassermenge des einzelnen
Kaliwerks so za bestimmen, daß durch die Zuwachs- und Höchstversalzung
dem Bedürfnis der Kaliindustrie Rechnung getragen, aber trotzdem das
Interesse der anderen Beteiligten, der Städte, Landwirtschaft, Fischerei und
Gewerbebetriebe gewahrt wird. Er stellt für die Beseitigung der Abwässer
4 Leitsätze und für die Verleihung des Rechts zur Abwassereinleitung in die
Vorfluter 10 Richtlinien auf, die er näher begründet und erläutert.
Entstanden ist die Schrift dadurch, daß nach dem Vortrag in Staßfurt
vor dem wasserwirtschaftlichen Ausschuß des Reichswirtschaftsrats der all¬
gemeine Wunsch entstand, das Gehörte festgehalten und durch Angaben über
die Kalirobsalze, ihre Verbreitung, Gewinnung und Verarbeitung vervollständigt
za sehen.
Nicht bloß der Fernerstehende kann daraus Aufklärung and Verständnis
f ewinnen, auch den Beteiligten wird die Möglichkeit gegeben, die Beziehungen
er Kaliwässer nach den verschiedenen Seiten hin im großen und kleinen klar
zu übersehen und unter Benutzung der Hinweise auf die Literatur sich über
Unterfragen eingehender zu unterrichten. Für den Medizinalbeamten gibt es
keinen besseren Weg, sich schneU and gründlich über den jetzigen Stand der
hier in Betracht kommenden Fragen Aufschluß zu verschaffen.
Dr. G1 o b i g - Berlin.
Profi Dr. B. Ohojos- Berlin-Schöneberg, Arzt und Dozent an der Technischen
Hochschule in Charlottenburg: Kompendium der Sozialen Hygiene.
Mit 3 Kurven und 53 Tabellen. Berlin; 1921. Fischers medizinische
Buchhandlung (H. Kor nfeld). Gr. 8°; 168 S. Preis: geb.: 36 Mark.
In 10 Kapiteln behandelt Verfasser das nach seiner Ansicht der sozialen
Hygiene zufallende Arbeitsgebiet: Medizinalstatistik, soziale Hygiene der Woh¬
nung und der Ernährung, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Alkoholismus,
soziale Hygiene des Kindesalters und der Arbeit (Berufshygiene), Schutz der
Berufstätigen und Fortpflanzungshygiene. Er beschränkt sich dabei auf die
grundlegenden Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der sozialen Hygiene, die
diese jedoch fast ausschUeßcnd der wissenschaftlichen und praktischen Hygiene
zu verdanken hat. Seine durchaus sachkundigen Ausführungen sind nicht nur
für Aerzte bestimmt, sondern wenden sich an alle, die sich mit der sozialen
Hygiene zu beschäftigen haben. Das Kompendium gibt einen recht guten,
kurzgefaßten und klaren Ueberblick über die Aufgaben auf den in betracht
kommenden Gebieten; es kann deshalb den beteiligten Kreisen nur empfohlen
werden. Rpd.
Br. Georg KüJmem&nn, San.-Rat in Berlin - Zehlendorf: Differential-
Diagnostik der inneren Krankheiten. 6. und 7. Auflage. Durchschossen.
Leipzig 1921. Verlag von Joh. Andr. Barth. Gr. 8°; 242 Seiten. Preis:
geb. 25 Mark.
Die neue Doppelauflage ist zwar einer gründlichen Durchsicht unter¬
worfen, hat aber im übrigen keine größeren Umarbeitungen und Veränderungen
erfahren. Sie entspricht gleichwohl auch dem jetzigen Stande der Wissenschaft
und gewährt dem praktischen Arzte in zweifelhaften und schwierigen Fällen
eine zuverlässige Orientierung, die durch zahlreiche im Text angefügte
differential-diagnostische Tabellen wesentlich erleichtert wird. Rpd.
22
Tagesnachrichten.
Tagesnachrichten.
Der Reichstagsausschuß fttr die Branntweinmonopol¬
vorlage hat bestimmt, daß ans den Monopoleinnahmen jährlich 15 Millionen
Mark zar Bekämpfung der Trunksucht und 5 Millionen zur Bekämpfung
der Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten zu verwenden sind.
Nachrichten der Tageszeitungen zufolge hat der preußische Gesund¬
heitsrat seine Beratungen über den Entwurf eines preußischen Tnberkulose-
gesetzes abgescblbssen. Das Wohlfahrtsministerium wird nunmehr den Gesetz¬
entwurf fertigstellen und ihn baldmöglichst dem Staatsministerium zur Beschlu߬
fassung vorlegcn.
So sehr Not ein Tuberkulosegesetz tut, hätten wir doch gewünscht,
daß es ein Reichs-Gesetz wurde!
Der neue Entwurf eines Hebammengesetzes ist jetzt dem preußischen
Landtage vorgelegt._
Vom Reichsgesundheitsrat sind Richtlinien für die Anwendung
des Salvaraanpräparats ausgearbeitet und veröffentlicht, die jeder Packung
eines Salvarsanpräparates in Abdruck beigefügt werden, so daß sich eine Ver¬
öffentlichung in dieser Zeitschrift erübrigt.
Der Verein der beamteten Tierärzte der Provinz Westfalen hat in
seiner kürzlich in Dortmund abgehaltenen Versammlung beschlossen, dahin
zu streben, daß die nicht rollbesoldeten Kreistierärzte nach einem be¬
stimmten Dienstalter auch in die XI. Besoldungsgruppe aufrücken, d. b. 75%
des Gehaltes dieser Gruppe erhalten und sämtlichere g.-undVeterinär-
räte der Gruppe XII zugeteilt würden. Als Amtsbezeichnung wird die
Bezeichnung „Regierangsrat“ fttr die Kreistierärzte und „Oberregierungsrat“
oder „Oberregierungs- und Veterinäirat“ für die Regierungs- und Veterinär¬
räte gefordert; also Forderungen, die sich vollständig mit denen decken, die
von den Preußischen Medizinalbeamten auf der Hauptversammlung in Nürnberg
und auf dem Vertretertage gestellt sind, abgesehen von der dort abgelehnten
Amtsbezeichnung „Reg.- und Medizinalrat“ fttr die Kreisärzte. Zur Erreichung
ihrer Wünsche beabsichtigen die Kreistierärzte in gleicher Weise wie die Medi¬
zinalbeamten vorzugehen; es wird deshalb auch der Wansch einer gegen¬
seitigen Fühlung wenigstens in allen denjenigen Fragen gehegt, bei denen sich
die beiderseitigen wirtschaftlichen und Standesinteressen decken.
'Der „Reichsmedizinalbeamtenbund (R. M. B.), unter dessen
Namen sich die dem Reicbsarbeitsministerium unterstellten Versorgungsärzte
zu einem Verein zuBammengeschlossen haben, fühlt als jüngster Verein be¬
amteter Aerzte das Bedürfnis, einen Zusammenschluß aller bestehenden Ver¬
eine, Verbände usw. beamteter Aerzte herbeizuführen, um in den Reichsband
höherer Beamten nnd in seinem Neuaufbau als „tragende Säule des Ganzen“
die Berufsgrnppe „Medizin“ unbedingt zar Anerkennung zu bringen and
durchzusetzen. Er hat deshalb eine Aufforderung dazu in verschiedenen Zeit¬
schriften erlassen und bittet die beteiligten Kreise sich alsbald mit seiner
Leitung, Reg.-Med.-Rat Dr. Heinemann-Grad er in Berlin in Verbindung
zu setzen. Bei den preußischen and sonstigen deutschen Medizinalbeamten
wird er hierbei wenig oder gar keine Gegenliebe finden. Wie aus einem
uns zugegangenen Schreiben des Bernfsvereins höherer Kommunal beamten
Deutschlands, unterschrieben von Prof. Dr. S a 11 a n, dem ärztlichen Mitglieds
des Beamtenbandes, hervorgeht, steht dieser aber auch auf völlig ablehnendem
Standpunkte. Nach seiner Ansicht würde eine solche „Berufsäule“ nur zu innerem
Streit und Eifersüchteleien, aber nicht zu einer geschlossenen Gesamtwirkung
führen. Prof. Dr. Sa 1 tan warnt deshalb alle städtischen Aerzte sowie die
Aerzte der Provinzialverwaltungen dringend, derartigen Bestrebungen ihre
Unterstützung zu gewähren.
Tagesmachrichten.
23
SOj&hrigei Doktoijubilänni. Am 21. Dezember v. J. hat Herr Geh.
Med.-Rat Dr. Banlick in Frankfurt a. 0. sein fünfzigjähriges Doktorjnbilänm
gefeiert. Er ist einer von den wenigen noch lebenden Medizinalbeamten, die
den Preußischen Medizinalbeamtenverein mitbegrflndet und seinen Bestrebungen
stets das größte Interesse entgegengebracht haben. Mehrmals hat er auch
dem Vorstande als Mitglied angehört (1896—98 und 1899—1900), also gerade
su der Zeit, als die Beratungen über die Medizinalreform, insbesondere über
das Kreisarztgesetz stattfanden. Bar nick hat damals die Ziele des Vereins
ia der tatkräftigsten Weise unterstützt, wofür ihm dieser noch jetzt zum
größten Danke verpflichtet ist In allen seinen amtlichen Stellungen (zuerst
aktiver Stabsarzt, dann Kreisphysikus in Flensburg, seit 1692 Reg.- und
Med -Rat zuerst in Marienwerder und später in Frankfurt a. 0.; langjähriges
Mitglied des Reichsgesundheitsrats) hat er sich infolge seiner außerordentlichen
wissenschaftlichen wie praktischen Tüchtigkeit, seiner großen Pflichttreue und
zielbewußten Tätigkeit des größten Ansehens bei allen Behörden und Beamten
erfreut Namentlich gilt dieses von den Medizinalbeamten, nicht nur seines
amtlichen Wirkungskreises, sondern auch darüber hinaus; bei allen genießt er
wegen seiner Gerechtigkeit persönlichen Liebenswürdigkeit und menschenfreund¬
lichen Gesinnung uneingeschränkte Achtung und Verehrung. Das hat sich
auch recht deutlich am Tage seines Jubiläums gezeigt, wo ihm von allen
8eiten die herzlichsten Glückwünsche entgegengebracht sind. Mögen alle diese
Glückwünsche in Erfüllung gehen und dem Jubilar noch viele Jahre in der
gleichen körperlichen und geistigen Frische wie bisher vergönnt sein, zur
großen Freude seiner Familie und seiner zahlreichen Freunde, insbesondere
auch des Herausgebers dieser Zeitschrift dem der Jubilar viele, viele Jahre
hindurch ein lieber und treuer Freund gewesen ist und hoffentlich auch noch
manches Jahr bleiben wird!
Nachruf. Am 21. Dezember v. J. ist H. Med.-Rat Dr. Leske, Kreisarzt
in Liegnitz, nach kurzer Krankheit im Alter von 68 Jahren verstorben. 8ein
% Tod wird alle diejenigen Kollegen besonders schmerzlich berühren, die ihn
auf dem kurz vorher abgehaltenen Vertretertage in Berlin in voller geistiger
und körperlicher Frische kennen und schätzen gelernt haben. Er war einer
unserer tüchtigsten Medizinalbeamten, der in seinem Amtsbezirk sehr segens¬
reich gewirkt hat und dessen Andenken deshalb in weiten Kreisen, vor allem
aber bei seinen Amtskollegen allezeit hoch in Ehren gehalten werden wird!
TedesfalL Der langjährige Herausgeber der „Sozialen Praxis“, Prof.
Dr. Ernst Francke, Mitglied des Reichswirtscbaftsrats, ist im 70. Lebensjahr
in Berlin nach längerem Leiden gestorben. Sein Tod bedeutet einen großen
Verlust, galt der Verstorbene doch als der Altmeister der deutschen Sozial¬
reform, ein geistvoller Redner und warmherziger Förderer aller auf Arbeiter-
schütz, Arbeiterversicherung und Jugendfürsorge gerichteten Bestrebungen.
Die diesjährige Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher
und Aerzte wird die Hundertjahrfeier der Gesellschaft darstellen und
deshalb vom 17.—23. September d. J. in Leipzig stattfinden, wo die
Gesellschaft vor 100 Jahren gegründet ist und die erste ihrer Wanderversamm-
lnngen abgehalten hat. Mit der diesjährigen Tagung wird eine große Aus-
£ Stellung verbunden sein. Die Geschäftsstelle befindet sich in Leipzig,
Nürnbergerstraße Nr. 48/L Auskunft erteilt auch die Akademische Auskunfts¬
stelle in Leipzig, Schillerstraße Nr. 7 und in Ausstellungsangelegenheiten
H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 8udhoff, Talstr. 88.
Der Reichsrat bat jetzt die Prüfungsordnung für Apotheker dahin
abgeändert, daß nunmehr der Lehrling durch den Praktikanten, der
Gehilfe durch den Assistenten ersetzt wird. Damit dürfte oft geäußerten
Wünschen aus Apotheker kreisen genügt werden, wenn die neuen Bezeichnungen
allerdings, wenigstens was die Bezeichnung „Praktikant“ anbetrifft, nicht den
24
Tagesnachrichten.
bisherigen entsprechen; denn unter einem „Praktikanten" versteht man doch
Jemanden, der schon etwas gelernt hat and seine erworbenen Kenntnisse
praktisch betätigen will, aber nicht Jemanden, der erst etwas lernen will.
Gedenkblatt für die preußischen Hebammen. Nach einem Erlaß des
Preußischen Ministers des Innern vom 22. Mai 1919 wurde den Hebammen
nach Fortfall der Broschen, wie sie ihnen früher nach 40jähriger Dienstzeit
verliehen worden waren, ein von dem betr. Oberpräsidenten ansznfertigendes
Anerkennungsschreiben für einwandfreie 40jährige Dienstzeit übergeben.
Diese Anerkennungsschreiben konnten sich keiner besonderen Beliebtheit erfreuen,
um so weniger, als deren Form gar zu einfach gehalten war. Erfreulicher¬
weise hat der gegenwärtige Minister für Volkswoblfahrt, von verschiedenen
Seiten dazu angeregt, in einem Erlaß vom 10. Dezember 1921 an die Ober¬
präsidenten kundgetan, daß nunmehr ein Gedenkblatt in künstlerischer Aus¬
führung mit einem in gefälliger Schrift bergestellten Wortlaut, von ihm selbst
eigenhändig unterschrieben, den Hebammen, die auf eine 40jährige Dienstzeit
zurückblickcn, übergeben werden soll, und zwar in feierlicher Form vom Landrat
bezw. Bürgermeister im Beisein des Kreismedizinalrats oder von letzterem selbst.
Es ist anznnebmen, daß die Hebammen, die die Broschen früherer Zeiten in
hohen Ehren gehalten haben, den Herrn Minister für diese, treue Dienstleistung
anerkennende Kundgebung dankbar sein werden.
Mitteilung.
Das Personalverzeichnis der MedizinalbehÖrden
und Medizinalbeamten in Preussen (einschliesslich
derjenigen des Deutschen Reiches) sowie das Verzeichnis der
Vorstände des Preussischen Landes-Medizinalbeamtenvereins
und der Bezirks - Medizinalbeamtenvereine wird voraus¬
sichtlich Ende der nächsten Woche zur Versendung gelangen.
Eine Zahlkarte über 7,50 Mark (6 Mark für das Ver¬
zeichnis und 1,50 Mark für Porto und Versendungskosten)
wird dem Verzeichnis beigefügt
Mit Rücksicht auf die außerordentliche Erhöhung der
Portokosten werden künftighin Rückfragen nur beantwortet,
wenn die für die Antwort erforderlichen Briefmarken oder ein
freigemachter Umschlag beigefügt sind.
Verantwortlich für die SehrifUeltniif: Prof. Dr. Btpmond, Geh. Med.-Rat in Llppepringe.
Druck ton J. C. C. Bruns, Minden i. W.
35. Jahrg.
Zeitschrift für Medizinalbeamte,
Nr. 2.
INHALT.
lfehuUoB|«a:
Der neue Haushaltsvorscblag dei preußischen
Ministeriums für Volkswohlfahrt, ins¬
besondere der Abteilung für Volksgesund¬
heit, für das Jshr 1922/23. Vom Heraus-
(Ober.•'.
Die Beratung 1 des Preußischen Landtages
über den diesjährigen Haushalt des
Mlniiteriums für Volkswohfahrt von
29.(80. November und 6. Dezember v. «1.
Vom Herausgeber.31
Tagesnjiolirlohten.54
Beilage s
MedUlnalgesetsgebung.9
OeccbSftMtelle und Versand für die Mitglieder des Medliinalbeamten-
vereine durch 3 . C. C. BRÜNS, Buchdruckerei, MINDEN i. WE8TF.
Alleinige Anzeigeo-Annahme und verantwortlich für den Anzeigenteil
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, WilhelmstraBe 28.
Personalien.
Deutaohee Reich und Prenasen.
Ernannt: Die praktischen Aerzte Dr. Walter Pieper znm Kreis¬
assistenzarzt des Kreises Lyk mit dem Amtssitz in Prostken, Dr. Ernst
Boehnke znm Kreisassistenzarzt and kommissarischen Kreisarzt des Kreises
Toranain
(Trichlorbutylmalonfeaures Ammonium D. R. P.)
wirkt stark herabsetzend auf die Erregbarkeit
des Atmungs- und Verdauungsapparates,
ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
Praktisch be- IYhqIot) jeder Art und Entstehung
währt gegen HUOIvIl sowie gegen nervöse Störun¬
gen der Magen- und Darmtätigkeit wie AufstoBen,
Sodbrennen, Magen- nnd Darmnenralgien, Uebelkeit, Erbrechen
(auch Hyperemesis gravidarum).
ToPUIIlin ist * rei von narkotischer u. drasti-
» "4 011111.1 scher Nebenwirkung, daher auch bei
Schwächlichen, Kindern nnd älteren Leuten ln wirksamer
Gabe gefahrlos anwendbar.
Zu verordnen in Tabletten (1 Originalröhrchen mit
25 Tabletten ä 0,1 g M. 4.80) oder als Mixturen mit
aroraat. Wasser oder Sirup, vorteilhaft auch ver¬
bunden mit Expectorantien oder Guajacolpräparaten.
Ausführliche Prospekte, Literatur, Bezeptformeln
sowie Proben kostenfrei durch
STervenheilanstalt * Görlitz
Offene Kuranstalt für Nervenkranke, Erholungsbedürftige, Alkohollstcn,
Morphinisten u. a.
Aerstllehes Pädßgoglam für Jugendliche Kranke, Psychopathen,
Debile, Imbccille u. a.
Geschlossene Anstalt für Geisteskranke.
Besitzer and Leiter: San.-Rat Dr. Kfthlbaan.
Zeitschrift für Medizinalbeamte.
m Jahrs:
SeWeiaiiz mit dem Amtssitz in Ketzberg a Elster, Br. BScbard Weber zum
Xreis&aais tonzarzt beim Polizeipräsidenten in Berlin, Dr. S c hl ap p, Assistent am
hygienischen Inst'itot in Breslau zum Assistenten beim MedmnalnnteiraaehuBßs-
sa§ m Koblenz, Dr. Schnabsl, erster Assistent am Hygienischen Institut der
Universität Basel, «tun Abteilungsleiter bei dem Institut Ittr Infektioaskrank*
heilen ^Robert; X»cb“ in BerÜu. -gfe
Versetzt s Di© Knsismcdizinairate Dr. Öe iÖler in Herzberg a. Elster
als ständiger HBIfsacbeiter an die ' Regierung in Arnsberg, Dr. M tibi cs iu
Ilfeld als Hilfsarbeiter an. die Begierimg in Kuli:. ;
Öestorbeo: Geh- Med .-Rat ßr, Ellars, Kreisarzt a D. in öchieusingen,
Geh. Möd--Bat Dr. W. Sand er ln Berlin, trüber XHrekfcor dar städtischen .Heil¬
and Pfli'jreanstalfc in Baldorf bei Berlin, Frrjrftt:dö 2 «nt der Hygiene Dr.Öarttier
hi Xiel, Sohn dea bekannten Hygienikers.Geh. Kat.Pref.' Df. ilärt&er iß Jen»
(infolge voa Flecfctyphas ftof der HittsbstpediDon des DeRtsbiea lleten &eiizes
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26 Dr. Rnpmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Ministeriams
medizinalräte, 60 •/« der Direktoren der Medizinalunter¬
suchungsämter und von den 223 vollbesoldeten Kreis¬
medizinalräten nicht weniger als 174 = 78% ebenfalls
der Gruppe XI zugeteilt sind. Das ist ein außerordent¬
licher und den Wünschen der Medizinalbeamten weit ent¬
gegenkommender Fortschritt, der von diesen jedenfalls
dankbar anerkannt werden wird. Dazu kommt, daß wiederum
35 nicht vollbesoldßte Kreisarztstellen in vollbesoldete um¬
gewandelt sind, so daß sich das Verhältnis dieser beiden
Stellen wie 225 : 232 stellt, also fast die Hälfte aller Kreisärzte
vollbesoldet sind. Ein weiterer sehr erheblicher Fortschritt ist
es, daß den nicht vollbesoldeten Kreisärzten künftig¬
hin bei der Pensionierung 5000 M. statt 2250 M. für
sonstige Dienstbezüge angerechnet werden sollen. Auch hier ist
somit einem Anträge des Preußischen Medizinalbeamtenvereins in
dankenswerter Weise Rechnung getragen, wenn auch noch
nicht im vollen Umfang, da das Ruhegehalt der nicht vollbesol¬
deten Kreisärzte, namentlich bei den älteren, auch trotzdem
noch erheblich gegenüber demjenigen der vollbesoldeten zurück¬
bleibt, zumal ein anderer berechtigter Wunsch der Kreisärzte
leider unerfüllt geblieben ist, nämlich der, daß auch die nicht
vollbesoldeten Kreisärzte in eine höhere Gehaltsgruppe auf-
rücken, also 75% des Gehaltes der Gruppe XI bekommen.
In Baden hat man in dieser Hinsicht einen sehr nachahmens¬
werten Ausweg gefunden, indem die Gehälter für die nicht
vollbesoldeten und vollbesoldeten Bezirksärzte an sich in
gleicher Höhe in den Haushalt eingestellt und von denen der
nicht vollbesoldeten alsdann 25 % wieder unter Einnahme ver¬
rechnet werden. Bei Festsetzung des Ruhegehalts kommt da¬
gegen bei beiden Gruppen dasselbe Gehalt ohne Abzug zur
Anrechnung. Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamten¬
vereins sollte sich deshalb bemühen, dieses zweckmäßige Ver¬
fahren auch für die preußischen, nicht vollbesoldeten Kreis¬
ärzte zu erreichen; dann würden deren Wünsche bezüglich Fest¬
setzung ihres Ruhegehaltes erfüllt sein, vorausgesetzt, daß für
sie auch eine Aufrückung in Gehaltsgruppe XI vorgesehen
wird. Leider ist ein Wunsch der Kreisärzte unerfüllt geblieben:
eine weitere, den Ausgaben entsprechende Erhöhung der
Dienstaufwandsentschädigung 1 ); ihre Notwendigkeit
muß deshalb der Staatsregierung gegenüber immer wieder von
neuem auf Grund erneuter Feststellungen der tatsächlichen
Ausgaben betont und um Abhilfe gebeten werden. Im übrigen
bringt der neue Haushalt gegenüber dem vorjährigen wenig
Veränderungen, abgesehen von verschiedenen Mehrausgaben,
die sich bei den einzelnen Posten infolge der Preissteigerung
auf allen Gebieten als notwendig herausgestellt haben. Eine
für die Medizinalbeamten besonders erfreuliche Mehrausgabe in
>) Es sind hier nar 600880 U. mehr ihr Fernsprech*, Porto- asw. Ge¬
bühren nea eingestellt, die aber schon bisher den Kreisärzten ans der Stadt¬
kasse ersetzt sind.
für Volkswohlfahrt, insbesondere der Abteilang für Volksgesnndheit. 27
dieser Hinsicht ist die zu Unterstützungen, die eine
Steigerung von fast 100 °/o (von 89 876 auf 166 600 M.) er¬
fahren hat. Erfreulich ist auch, daß mit Rücksicht auf das
neue Hebammengesetz die Beihilfe zur Unterstützung des
Bezirkshebammenwesens von 120000 auf 10000000 M.
erhöht ist; dagegen bleibt zu bedauern, daß die Beihilfen
zur Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und vor allem
zur Bekämpfung der Tuberkulose nicht eine wesentliche
Erhöhung erfahren haben; es würde dies zweifellos auch den
Wünschen des Landtages entsprochen haben.
Von den Ausgaben der beiden anderen Abtei¬
lungen des Ministeriums für Volkswohlfahrt interessieren hier
nur folgende: 400000 M. für Unterstützung von Vereinigungen,
gemeinnützigen Unternehmungen sowie von wissenschaftlichen
Arbeiten zur Förderung des Kleingartens-, Wohnungs¬
und Siedlungswesens, 20 Millionen Mark zur Unter¬
stützung des Wohnungs- und Siedlungswesens (einmalig),
10 Millionen M. zur Förderung der Pflege der schul¬
entlassenen Jugend sowie zur Ausbildung und Anleitung
für die Jugendpflege geeigneter Personen, 60000 M. zur
Förderung von Erhebungen und wissenschaftlichen
Arbeiten auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege, 1 236618 M.
zur Förderung der Bekämpfung der Trunksucht und
ihrer Ursachen sowie zur Milderung der durch die Trunk¬
sucht herbeigeführten Schäden, 160000 Mark (einmalig) zur
Förderung von Einrichtungen der ländlichen Wohl¬
fahrtspflege, 300000 M. (einmalig) zur Unterstützung
der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege
insbesondere in leistungsschwachen Kommunalverbänden.
Wir lassen nun die einzelnen Positionen des Haus¬
halts für Volksgesundheit folgen:
A. Dauernde Ausgaben.
1. Besoldungen.
1. a. 18 Regierangs* und Medizinalräte in Sonder¬
stellungen (Gruppe XII).
b) 17 Re£ - u. Med.-Räte, 7 vollbesoldete Kreis-
medizinalräte als ständige Hilfsarbeiter bei
den Regierungen'), 5 desgl. als Gewerbe¬
medizinalräte*) (Gruppe XI) .
Grundgehalt: 602 900 M.
Ortszuschlag: 151170 „
Kinderbeihüfen: 56 400 , 810 470 M.»)
2. a. 174 vollbesoldete Kreisärzte in Aufrückungs-
stellen (Gruppe XI). )
b) 149 vollbesoldete Kreisärzte 1 b )
c) 280 nicht vollbesoldete Kreisärzte / Gr. X J
(darunter 19 Gerichtsärzte).
*) Die Hilfsarbeiter bei den Regierungen verteilen sich auf die Re¬
gierungen in Königsberg, Breslau, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf (je 1) und
auf das Polizeipräsidium in Berlin (2).
*) Die Gewerbemedizinalräte haben ihren Wohnsitz in Breslau, Halle,
Arnsberg, Düsseldorf und Frankfurt a. M.
*) Mehr: 8800 Mark.
28 Dr. Rapmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Ministeriums
d) 3 vollbesoldete und 2 nicht vollbesoldete
Kreismedizinalräte im Saargebiet (Gruppe X)
einschl. Ausgleichs- und NotzuschläKe.
Grundgehalt: 4 431150 M.
Ortszuschlag: 1 231800 „
543 600 , 6 206 550 M. 4 )
Vermerk: Bel der Bemessung des Ruhe¬
gehaltes der nicht Tollbesoldeten Kreis¬
ärzte werden dem Gehalt für sonstige DlenstbesÜge
6000 M. zugerechnet mit der Maßgabe, daß das hiernach
dem Ruhegehalt zugrunde zu legende Diensteinkommen
nicht das ruhegehaltsfähige Diensteinkommen eines
Tollbesoldeten Kreisarztes mit demselben Dienstalter
übersteigen darf.
c) Vertragsmäßige Zuschüsse an ehemalige
Physiker und an 7 Aerzte der französischen
Kolonie . . . .. 5571 „
3. Ausgleichs- und Notzuschläge. 6 376126 „ 5 * * 8 * )
2, Andere persönliche Ausgaben.
4. Vergütung an 37 Kreisassistenzärzte •) sowie
Beihilfe (4750 M.) für die Wahrnehmung
von Obliegenheiten der Kreisärzte durch
Gemeindeärzte . ,. 858 770 M. J )
5 . Zuschüsse für nicht vollbcsoldete Kreismedi¬
zinalärzte einschl. der Gerichtsmedizinal räte 111000 „ *)
5 . a. Entschädigung an die vor dem 1 April 1908
ange8tellten voll besoldeten Kreisärzte für
den Wegfall der Fahrkostenentschädigung
ans § 1 des Gesetzes vom 9. März 1872 una
der übrigen ihnen bisher zugeflossenen
Gebühren für Dienstgeschäfte (künftig weg¬
fallend . 5 000 „
6. Unterstützungen f. Medizinalbeamte (62 500
M., bisher 37 875 M.), ausgeschiedene Medi¬
zinalbeamte und für Witwen und Waisen
von Medizinalbeamten (80000 M., bisher
40000 M.) sowie für die auf Grund des § 15
des Kreisarztgesetzes vom 16. Sept. 1899 in
den Bubestand versetzten Medizinalbeamten
und ihre Hinterbliebenen (24000 M., bisher
12000 M.) (künftig wegfallend) .... 166 500 ,») 1141 270 „ 10 )
3. Sächliche Ausgaben.
7. Dienstauf wandsentschäd igungen
für zwei Reg.- u. Med.-Bäte in Berlin
je 1200 M., für Vertretung von Reg. und
4 ) Mehr: 524135 M. durch Umwandlung der nicht vollbesoldeten Kreis¬
arztstellen in den Kreismedizinalbezirken Heilsberg, Löbau, Inster¬
burg, Tilsit, Niederung, Neidenburg, Lyck, Johannisburg,
Sensburg, Angermünde, Kroßen, U sedom -Wollin, Ohlau,
Habelschwerdt, Neumarkt, Lauban, Rothenburg, Wolmir-
stedt, Wanzleben, Liebenwerda, Mansfelder Gebirgskreis,
Torgau, Schiensingen, Gifhorn-Isernhagen, Tecklenburg,
Coesfeld, Borken, Soest, Hattingen, Dillkreis, Mayen, Kreuz¬
nach, Grevenbroich, Bergheim, Waldbroel.
*) Mehr: 2012464 M.
*) Weniger: Ein Kreisassistenzarzt infolge Gebietsabtretung.
’) Mehr: 217226 M.
8 ) Weniger: 16650 M. infolge der Umwandlung von 35 nicht voll¬
besoldeten Stellen in vollbesoldete.
•) Mehr: 75625 M. »«) Mehr: 277201 M.
für Volks Wohlfahrt, insbesondere der Abteilang für Volksgesundheit. 29
Med.-Räten and als ständige Hilfsarbeiter
bei Reirierungen beschäftigten Tollbesoldeten
Kreisärzten (3000 M.i, Vergütung für die
Prüfung der Rezepte und Rechnungen
über die für Staatsanstalten gelieferten
Arzneien (18000 M., bisher 12000 M.),
Dienstaufwandsentschädigungen
für die voll besoldeten Kreisärzte (durch¬
schnittlich 3600 M.), für die nicht vollbe¬
soldeten Kreisärzte u. Gerichtsärzte (durch¬
schnittlich 1800 M.), (zusammen 1266800 M.),
Postporto -und Gebührenbeträge,
einschließlich Fernsprech- und Tele¬
gramm gebühren sowie Frachtgebühren für
dienstliche Sendungen der Kreisärzte
(500380 M.), Reisekosten und Ent¬
schädigungen für die Erstattung
schriftlicher Gutachten und Berichte an die
irrenärztlichen Mitglieder der Be-
suchaausschüsse für die Beaufsichtigung der
Privat-Irren- usw. Anstalten sowie an die
irrenärztlichen Sachverständigen für die
Besichtigung der Provinzial-lrrenanstalten
(12970 M.) . .. 1 753 550 M.“)
8. Beihilfen zum Studium medizinal-technisch
wichtiger Einrichtungen und Vorgänge . . 3 000 „
9. Reisekosten der Medizinalbeamten und Ge¬
bühren der Kreismedizinalbeamten für die
dienstlich vorzunehmende Untersuchung und
Begutachtung des Gesundheitszustandes von
Beamten ausschließlich derjenigen der staat¬
lichen Polizeiverwaltungen aber einschl. der
Bauverwaltung. 1257 500 „ '*)
10. a, b u. 11. Vergütungen an die Mitglieder und
Beamten der Kommissionen für ärztliche
usw. Prüfungen. 263 000 „ 13 )
4. Institute und Medizinaluntersuchungsämter.
12. Institut für Infektionskrankheiten „Robert
Koch“ in Berlin. 2 958 764 „ “)
13. Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin-
Dahlem . 1475 504 „ ,s )
14. Hygienisches Institut in Landsberg ... 555 797 „ '*)
15. Hygienisches Institut in Beuthen (Oberschi.) 661143 „ i; )
16. 10 Medizinal-Untersuchungsämter in Gum¬
binnen. Stettin, Breslau. Magdeburg, Han¬
nover, Stade, Münster, Koblenz, Düsseldorf
und Trier: 5 1 »irektoren (Gruppe XI u. X) 2 845 387 „ "*)
17. Staatliche Nahrungsmittel - Untersuchungs-
anst< in Berlin. 757 426 „ *•)
5. Sonstige Ausgaben.
18. Bad Bertrich. 194 070 „ *°)
19. Impfwesen. 700 3s3 „ * l )
“) Mehr: 554600 M. >*) Weniger: 317500 M.
**) Mehr: 60000 M. für die beabsichtigte Einführung einer Prüfung der
zur Behandlung von Versicherten zugelassenen Zahntechniker. Die Prüfungen
sollen am Sitze des Oberversicherungsamtes stattfinden.
*«) Mehr: 857246 M. “) Mehr: 285544 M. >•) Mehr: 160202 M
”) Mehr: 207678 M. “) Mehr: 802202 M. ») Mehr: 142221 M.
*°) Mehr: 9000 M. **) Mehr: 183153 M.
80 Dr. Rapmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Minist, f. Volksw.
20 .
21 .
22 .
23.
24.
25.
26.
27.
28.
20 .
30.
31.
Geschäftsbedürfnisse (Gehälter, Reisever¬
gütungen, Anwesenheitsgelder nsw.):
für den Landesgesundheitsrat .... 200 000 M.
für die gerichtsärztlichen Ausschüsse
in den Provinzen. 150 000 „ 22 ) 350 000 M.
Kosten der amtlichen Apothekenbesichtigun¬
gen durch arzneikundige Bevollmächtigte . 51 750 „
Almosen an körperlich Gebrechliche zur Rück¬
kehr in die Heimat sowie für arme Kranke 810 „
Für medizinalpolizeiliche Zwecke einschl.
8000 M. zur Bestreitung der Kosten der sani¬
tätspolizeilichen Ueberwachung zur Abwehr
der Gholeragefahr und 25 700 M. zur Unter¬
bringung von Leprakranken. 653 700 „ 28 )
Für Zwecke der Hafen und Schiffsüber¬
wachung einschl. 21880 M. (bish. 12 530 M.)
zur Unterhaltung der Quarantäneanstalten
in Swinemünde, Voßbrook bei Kiel, Emden
und Bremerhaven sowie 5540 M. zur Unter¬
haltung der im Stettiner Hafen befindlichen
Vorrichtung zur Vernichtung von Ratten auf
Seeschiffen. 63120 „ -* 4 )
Ausführung des Gesetzes, betr. die Bekämp¬
fung übertragbarer Krankheiten .... 90000 „
Unterstützung des Bezirkshebammenwesens 10 000 000 „ 2i )
Beihilfen zur Säuglings- und Kleinkinder¬
fürsorge . 1 000000 „
Rente für aufgehobene Berechtigungen an
die Irren-, Heil- und Pflegeanstalt in Eich¬
berg, Reg.-Bez. Wiesbaden, (1674 M.) und
Zuschuß an die Krankenanstalt der Tochter
vom Heiligen Kreuz in Düsseldorf (3936 M.) 5 610 „
Verschiedene Zuschüsse (künftig wegfallend)
(darunter 80000 M. für die Zwecke der
Forbildung von Aerzten, Zahnärzten und
Apothekern). 98 782 „ *•)
Umzugskosten. 24 300 „
Verschiedene Ausgaben. 7 000 „ 2T )
Zusammen: 40 310 583 M.
Im Vorjahre: 24 449 767 „
Also mehr: 15 861116 M.
B. Einmalige außerordentliche Ausgraben.
1. Abhaltung von Fortbildungskursen für Medi¬
zinalbeamte .
2. Für die sozialhygienische Ausbildung und Fort¬
bildung der Aerzte und Zahnärzte, sowie für die
hygienische Volksbelehrung .
3. Unterhaltung eines Laboratoriums der Land es -
anstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem
für die Zwecke der Mainwasseruntersuchung in Wies¬
baden .
4. Zuschuß für Geschäftsbedürfnisse bei dem Institut für
Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin ins¬
besondere für Untersuchungen über dcnSchutz-
100000 M.
150 000 „
96200 n 28 )
«) Mehr: 50000 M.
**) Mehr: 250000 M.; insbesondere für Beiträge zu den Kosten der
gesundheitspolizeilichen Untersuchungen bei den hygienischen
Universitäts-Instituten.
M ) Mehr: 14500 M. ») Mehr: 9880000 M. *•) Weniger: 6400 M.
**) Mehr: 7000 M. **) Mehr: 14000 M.
Dr. Bapmnnd: Die Beratung des Preußischen Landtages usw.
31
pockenimpfstoff und über die Bedeutung
des Ungeziefers als Ueberträger von Krankheiten
auf Menschen.. . . 75 000 M.**)
5. Einmalige Verstärkung des Fonds für medizinal¬
polizeiliche Zwecke zur Bekämpfung der Malaria 140 000 „ *°)
6- Beihilfen zur Veranstaltung von Forschungen über Ursachen
und Verbreitung der Krebskrankheit . 3000 „
7. Beihilfe zur Bekämpfung der Tuberkulose . . . 1000000 „
8. Zur planmäßigen Bekämpfung des Typhus . . . 300 000 „ 3I )
9. Beihilfen zur Anstellung von hauptberuflichen Sachver¬
ständigen behufs Durchführung des Wein¬
gesetzes vom 7. April 1909 . 30000 „
10. Teilnahme der Medizinalbeamten an der Ausbildung
der Desinfektoren . 5 000 „
11. Zur Verstärkung des Fonds für Zwecke der Hafen- und
Schiffsüberwachung.. 50000 , 33 )
Zusammen: 2 009 200 M. 33 )
Die Beratung des Preussischen Landtages über den
diesjährigen Hanshalt des Ministeriums für Yolks-
wohlfahrt yom 29./30. November u. 6. Dezember v. J.
Tom Herausgeber.
Die stenographischen Berichte über die Verhandlungen
des preußischen Landtages erscheinen jetzt wesentlich später
als früher; infolge dessen hat sich auch die Herstellung eines
ausführlichen Berichtes über die Beratung des diesjährigen
Haushalts des Volksgesundheitsamtes sehr verspätet, da das
amtliche Stenogramm darüber erst vor wenigen Tagen in die
Hände des Herausgebers dieser Zeitschrift gelangt ist. Der
Mittel- und Höhepunkt dieser Beratungen bildete auch diesmal
wieder eine Minister - Programm - Rede und zwar des neuen
Ministers Hirtsiefer, in der er in ausführlicher Weise nicht nur
die Aufgaben seines Ministeriums besprach, sondern auch die
Mittel und Wege kund gab, mit deren Hilfe er diese Aufgaben
erfolgreich zu lösen gedachte. Diese Ausführungen des Herrn
Ministers sind nur zum kleineren Teil bereits in Nr. 24 dieser Zeit¬
schrift (s. S. 916) mitgeteilt; wir lassen sie deshalb in dem
nachstehenden Bericht mit Rücksicht auf ihre Bedeutung noch¬
mals vollständig im Wortlaute folgen. Der von ihm ver¬
tretene Standpunkt deckt sich im großen und ganzen mit dem
seines Amtsvorgängers; er hat auch im Landtage allgemeine Zu¬
stimmung gefunden, allerdings mit der namentlich von der
linken Seite des Hauses betonten Einschränkung, daß man
nicht blos schöne Versprechungen hören, sondern endlich auch
Taten sehen wollte. Es wurde von dieser Seite überhaupt
bemängelt, daß für das öffentliche Gesundheitswesen viel
zu wenigMittel bereit gestellt würden, obwohl größere Aus¬
gaben auf diesem Gebiete dringend nötig seien und schließlich die
*•) Mehr: 15000 M. ») Mehr: 80000 M. 3 ‘) Mehr: 100000 M.
M ) Mehr: 50000 M- * 3 ) Weniger: 856280 M.
32
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
beste Kapitalanlage bildeten. Trotz unserer schlechten Finanz¬
lage dürfte gerade hier nicht gespart werden; ein Standpunkt,
der durchaus berechtigt ist und dem künftighin hoffentlich mehr
Rechnung getragen wird als bisher und zwar nicht nur von
der Regierung, sondern auch von den anderen politischen
Parteien. Zu weitgehende, uferlose Pläne müssen selbst¬
verständlich auch bei dem notwendigen Wiederaufbau unserer
Volksgesundheit vermieden werden; aber wenn man mit wirk¬
lichem Erfolg Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Kinder¬
sterblichkeit usw. bekämpfen will, dann gehören dazu ganz
andere Mittel, als die bisher in den Haushalt dafür eingestellten.
Vor allem gehört dazu aber auch, daß ihre Verteilung in gro߬
zügiger Weise und nicht nach bürokratischen Grundsätzen
erfolgt, ein Vorgehen, das von uns bereits früher wiederholt
an dieser Stelle bemängelt und auch diesmal im Landtage
verurteilt ist. Die Schuld daran trägt allerdings weniger das
Ministerium für Volks Wohlfahrt, als das Finanzministerium, das
bei der Festsetzung der Richtlinien für die Verteilung von
solchen Beihilfen nach der alten Schablone viel zu engherzig
verfährt. Diesen engherzigen Anschauungen könnte jedoch von
Seite des Ministeriums für Volkswohlfahrt energischer entgegen¬
getreten werden, dann würde schließlich der Erfolg nicht aus-
bleiben. Im übrigen sind bei den diesjährigen Verhandlungen
des Landtages über den Haushalt des Ministeriums für Volks¬
wohlfahrt erfreulicher Weise wiederum die sonst besonders von
der linken Seite gemachten Vorwürfe über mangelhafte Tätigkeit
der Kreisärzte, namentlich auf sozialhygienische Gebiete, von
keiner Seite erhoben; im Gegenteil ihre Tätigkeit hat insbesondere
von seiten des Herrn Ministers, wie dies bereits in Nr. 24 dieser
Zeitschrift (1921) hervorgehoben ist, außerordentliche An¬
erkennung gefunden. Nicht minder erfreulich ist die Erklärung
des Ministers, daß er entschlossen sei, die berechtigten
Forderungen der Kreisärzte, die sie zur Wahrung ihres un¬
behinderten Wirkens in der Erfüllung der ihnen durch die
Dienstanweisung übertragenen Aufgaben aufstellen, mit Nach¬
druck zu unterstützen. Die bei der Beratung gegen die
Medizinalverwaltung von der linken Seite erhobenen Vorwürfe
richteten sich diesmal ausschließlich gegen das Ministerium
selbst, namentlich gegen den früheren Minister Stegerwald,
dessen Leistungen seinen Versprechungen nicht entsprochen
hätten, und gegen die Abteilung für Volksgesundheit, ins¬
besondere gegen ihren Leiter, H. Min.-DirektorDr.Gottstein.
Bei dem gegen ihn von der linken Seite erhobenen Vorwürfen
hat man aber zweifellos den Eindruck, als ob man ihn nicht
aus sachlichen, sondern lediglich aus politischen Gründen be¬
seitigen und vielleicht durch einen sozialistischen Parteimann
ersetzen möchte. Es entspricht dies auch dem sozialistischen
Parteiprogramm, das bekanntlich die planmäßige Beseitigung
aller bisher tätigen Beamten wie sonstigen Personen und den
Ersatz durch Parteigenossen fordert unter sorgfältigster
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 83
Berücksichtigung ihrer GesinnuDgstüchtigkeit (s. Jahrg.
1921 dieser Zeitschrift, S. 575). Wenn aber auf einem Qebiete
alle Parteiinteressen außer Betracht bleiben müssen, so ist es
jedenfalls auf dem des öffentlichen Gesundheitswesens; denn
hier ist doch die beste Gelegenheit zu einer gemeinschaft¬
lichen Arbeit aller Parteien gegeben, eine Anschauung, die
wiederholt im Landtage, auch von der linken Seiten betont ist.
Gerade das Ministerium für Volkswohlfahrt ist am wenigsten
geeignet, politischen Parteizwecken zu dienen; es kann höch¬
stens ertragen, daß man den Posten des Ministers mit einem
Politiker besetzt. Außerordentlich bedenklich würde es aber
sein, wenn man auch die Stellen der Ministerialdirektoren und
Vortragenden Räte nach politischen Grundsätzen besetzen
wollte. In diese Stellen gehören wirkliche Fachleute, die
in ihrem Amte groß geworden sind und durch ihre
Erfahrung und Sachkenntnis eine dem Allgemeinwohl
nützende Amtsführung gewährleisten. Von allen Verwaltungs¬
zweigen verträgt das öffentliche Gesundheitswesen eine Ver¬
waltung nach parteipolitischen Grundsätzen am allerwenigsten;
Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge müssen vielmehr
über jeder parteipolitischen Beeinflussung stehen, wenn sie der
Allgemeinheit in richtiger Weise dienen und nützen sollen. Es
ist deshalb auch erfreulich, daß im Landtage alle von der
linken Seite gestellten Anträge auf Umgestaltung des
Gesundheitswesens im sozialistischen Sinne bei der
Mehrheit des Hauses keine Gegenliebe gefunden haben.
Die diesjährige Beratung spielte sich sonst in ruhigeren
Bahnen als sonst ab, obwohl jede Partei sich mit zwei Rednern
und nur das Zentrum mit einer Rednerin an der Debatte
beteiligte. Fast alle wichtigeren Fragen des öffentlichen Ge¬
sundheitswesens wurden erörtert, ohne daß jedoch neue und
besonders beachtenswerte Gesichtspunkte von irgendwelcher
Seite vorgebracht wurden. Von den überaus zahlreich ge¬
stellten Anträgen (s. Nr. 22 dieser Zeitschrift, S. 570/572)
fanden bei der in der Sitzung vom 6. Dezember v. Js. vor¬
genommen Abstimmung diejenigen des Hauptausschusses
unter Ablehnung sämtlicher von den Kommunisten und der
unabhängigen Sozialdemokratie gestellten Anträge ebenso wie
die von ihnen beantragten Entschließungen fast durchweg un¬
verändert Annahme. Betreffs der Einzelheiten verweisen wir
auf den nachstehenden Bericht:
Abg. Dr. Faßbender (Zentrum), Berichterstatter, beschränkt sich
auf eine kurze Mitteilung über die in den 5 tägigen Beratungen des Haupt-
au8schu8ses erörterten Gegenstände und von diesem angenommene Anträge.
In diesen Beratungen ist insbesondere die Bedeutung der Frauenreferate
uud die Notwendigkeit ihrer weiteren Ausdehnung im Wohlfalirtsministerium
anerkannt, desgleichen die Fürsorge für die Jugend und die Förderung
der Säuglings- und Kinderpflege. Auch das Beichsjugendwohlfahrts-
gesetz und die darin vorgesehenen Jugendämter haben eine eingehende
Besprechung im Ausschuß gefunden, bei der namentlich die beabsichtigte Auf-
84
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
bringung der Kosten durch die Kommuna}verbände bemängelt ist. Aui dem Gebiete
des Gesundheitswesens hat der allgemeine Gesundheitszustand nach dem
Kriege eine eingehende Erörterung gefunden, bei der besonders die Wichtigkeit des
Kampfes gegen die Tuberkulose hervorgeboben nnd der Wunsch aus¬
gesprochen ist, daß künftig dafür in den ordentlichen Etat dauernde Ansgaben
eingesetzt werden möchten. Auch ist die Einführung der Anmeldepflicht für
Tuberkulöse befürwortet und gebeten, der Fürsorge für jugendliche Tuberkulöse
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die yon einer Seite geforderte An¬
zeigepflicht für Geschlechtskrankheiten ist von anderer Seite bekämpft
Erörtert ist auch die Schutzpockenimpfung und die Frage der Ein¬
führung der sogenannten Gewissensklausel nach den Erfahrungen anderer Länder.
Zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauches ist auf die Notwendigkeit einer
Erhöhung der aus dem Spiritusmonopol kommenden Mittel hingewiesen. Ver¬
handelt ist ferner im Ausschuß über folgende Fragen: Anstellung nur voll¬
besoldeter Kreisärzte im Hauptamt, Aufhebung der Reglementierung
der Prostitution, Beseitigung der weiblichen Polizeibeamten und deren Ersatz
durch Gesundheitspflegerinnen, Landesausschuß für gesundheitliche
Volksaufklärung, Gesundheitsnachweise vor Eingehung einer
Ehe, Neuorganisation des Grenzschutzes gegen Einschleppung yon Seuchen,
Kampf gegen die Flußverunreinigung und die Aufgaben der Landes¬
anstalt für Wasserhygiene, Sozialisierung des Aerzte-
standes usw. Eingehend ist endlich die Wohnungsfrage nach allen Rich¬
tungen hin besprochen und die Notwendigkeit guter und gesunder Wohnungen
für die körperliche und sittliche Hebung der ganzen Bevölkerung betont.
Hirtsiefer, Minister für Volkswohlfahrt, gedenkt zunächst mit Worten
der Anerkennung und des Dankes der Tätigkeit seines Amtsvorgängers und
betont dann, daß die Hauptaufgabe der Wohlfahrtspflege eine zielbewußte und
planmäßige Vorbengungsarbeit sein müsse (sehr richtig): denn Vorbeugen
und verhüten sei hoffnungsvoller, wertvoller und ersprießlicher, auch wirtschaft¬
licher und klüger als die Beseitigung und Heilung der ausgebrochenen und
um sich wuchernden sozialen und gesundheitlichen Schäden. Der Wohlfahrts¬
gedanke mnß sich aber auch paaren mit dem Geiste sozialer Gesinnung.
As die Stelle rücksichtsloser Ellenbogenfreiheit im täglichen Leben muß gegen¬
seitiger Verständniswille treten (Sehr richtig). Nacn ihrer Vergangenheit und
ihren bisherigen glänzenden Leistungen sind deshalb die in der privaten
Wohlfahrtspflege schlummernden Triebkräfte besonders zur Mitarbeit berufen.
Der Herr Minister bespricht dann eingehend die Jugendfürsorge nnd betont die
Notwendigkeit ihrer Förderung, die hoffentlich dnreh die Annahme und Aus¬
führ nng des Reichsjugend Wohlfahrtsgesetzes in wirksamer Weise erfolgen wird.
Jugendämter und Gesundheitsämter müssen aber Hand in Hand gehen, was am
besten durch Zusammenlegung der Wohlfahrtsaufgaben unter einheitlicher
Leitung geschieht Hier liegt auch ein Hauptarbeitsgebiet für die Mitarbeit
der Frau. Nachdem sich dann der Minister für eine möglichste Einschränkung
der körperlichen Züchtigung bei den Zöglingen der Fürsorge¬
anstalten ausgesprochen und alle Auswüchse bei der Veranstaltung von
sogenannten Wohlfahrtsfesten verurteilt hat, betont er die Notwendigkeit
einer wirksamen Krüppelfürsorge sowie eine ausreichende Fürsorge für
die Kleinrentner, Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen
und Erwerbslosen; die Fürsorge für die letzteren werde am besten durch
I roduktive Arbeiten, insbesondere Meliorationen, gefördert. Eng zusammen
ängt damit die Förderung des Baues von Landarbeiterwohnungen
und die Errichtung von Siedlungen. Vor allem müsse die Bautätig¬
keit durch Zuschüsse gefördert, und der Mieterschutz weiter ausgebaut
werden. Der Herr Minister geht dann anf die Fragen des öffentlichen Ge¬
sundheitswesens näher ein. „Die Bekämpfung der hauptsächlichsten Volks¬
krankheiten ist eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben, die um so schwerer
ist, als nach dem Ergebnis der namentlich in den letzten Jahren erweiterten und
ausgebauten Berichterstattung der allgemeine Gesundheitszustand der Be¬
völkerung nicht als günstig angesehen werden kann. Manche Besserung ist
zwar in den letzten beiden Jahren auf diesem Gebiet erzielt, der Ernährungs¬
zustand der Jugend hat sich etwas gehoben, einzelne vorher weit verbreitete
Krankheiten zeigen einen kleinen Rückgang, aber noch immer sind überall
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 35
tief wirkende Schäden der gesundheitlichen Konstitution unseres Volkskörpers
wahrnehmbar, deren Folgen, wenn nicht zur rechten Zeit eingegriffen wird,
allerdings erst in der Zukunft zur vollen Geltung kommen müssen. Auch die
während des Krieges eingetretene starke Abnahme der alkoholischen Er¬
krankungen ist leider nicht mehr bemerkbar. Der Kampf gegen die Trunk¬
sucht und ihre weit reichenden Felgen muß deshalb mit aller Energie
wieder aufgenommen werden. (Sehr richtig 1 im Zentrum.) Weiterhin verlangt
die Bedrohung unseres Landes durch eingeschleppte, sonst artfremde
Seuchen eine besondere Berücksichtigung. „Mit Ausnahme der verhältnis¬
mäßig kleinen P o c k e n epidemie des Winters 1917 und einer Steigerung der
Erkrankungsfälle an Fleckfieber in der ersten Hälfte des Jahres 1919, die
sich aber fast gänzlich auf rückströmende Heeresangehörige beschränkten, sind
wir von den gefährlichen, jenseits unserer östlichen Grenzen stark verbreiteten
Seuchen fast vollständig verschont geblieben. Das könnte zu falschen Deu¬
tungen führen, als ob die Gefahr überhaupt nicht so groß sei. Aber unsere
Aufmerksamkeit darf gerade hier nicht erlahmen; denn kaum etwas ist ver¬
hängnisvoller als eine verbreitete, lebensgefährlich - akute Seuche. Wir wollen
nicht übersehen, daß der mit dem Kriege allerdings nicht zusammenhängende
Seuchenzug der Influenza 1918 in drei Monaten fast doppelt so viel Menschen
dahinraffte, wie in drei Jahren die mit Recht so stark beachtete Uebersterb-
lichkeit an Lungentuberkulose betrug. Und ein Typhusausbrucb von
nur einigen hundert Erkrankungsfällen führt nicht nur zu einem beklagens¬
werten und vermeidbaren Verlust von Menschenleben: der durch diesen Krank¬
heitsausbruch herbeigeführte Kostenaufwand kann den Haushalt der betreffen¬
den Gemeinde auf Jahre ruinieren. (Sehr richtig!) Wenn es gelungen ist,
unsere für diese Aufgabe so ungünstig gewordenen Grenzen zu schützen und
die weit ins Land hineingestreuten Funken vor dem Brande zum Erlöschen
zu bringen, so mag eine glückliche Konjunktur einen gewissen Anteil haben;
einen größeren Teil darf man sicher der gemeinsamen Arbeit der
gesundheitlichen Behörden von Reich und Land zubilligen,
die an Stelle der früheren Einrichtungen an allen gefährdeten Stellen den
Grenzschutz wieder aufrichteten und die Gesundheit der Rückwanderer über¬
wachten. Das Hauptverdienst jedoch gebührt den staatlichen Gesund¬
heitsbeamten, den Kreisärzten, deren sachliche Schulung, deren stete Auf¬
merksamkeit, deren mühevolle Arbeit nie versagte im Kampf gegen die ersten
kleinen Herde. (Sehr richtig! im Zentrum. — Widerspruch bei den Unab¬
hängigen Sozialdemokraten und Kommunisten). Sie haben in Erfüllung
dieser Berufspflicht ihr Leben eingesetzt und mancher von
ihnen es dieser Pflicht geopfert.“ Leider droht durch die Genfer
Entscheidung über Oberschlesieu wieder eine erneute Gefahr der Einschleppung
von Pocken, Typhus und Ruhr aus Polen und macht eine besondere Aufmerk¬
samkeit zu ihrer Verhütung erforderlich.
Von den ständig im Lande herrschenden Seuchen hat zwar die Tuber¬
kulosesterblichkeit seit Mitte 1919 wieder eine Abnahme erfahren, durch
diese Abnahme darf man sich aber nicht beruhigt fühlen, sondern muß trotz¬
dem noch immer alles aufbieten, um namentlich die heranwachsende Jugend
gegen diese mörderische Volksseuche zu schützen. Staat, Gemeinden, Landes¬
versicherungsanstalten, Krankenkassen, Wohlfahrtsvereinigungen nsw. müssen
in diesem Kampfe Hand in Hand gehen, 'wobei dem Staat die Leitung des
Kampfes und die Organisation der Abwehr zufallen muß. Dasselbe gilt von
der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die leider nicht bloß in den
Großstädten, sondern auch in den kleineren Städten und unter der Landbevölke¬
rung größere Verbreitung gefunden haben. Hoffentlich werde das vom Reiche
beabsichtigte Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bald ver¬
abschiedet werden.
An der Verbesserung der Volksgesundheit und der Eindämmung der
einheimischen ansteckenden Krankheiten haben bisher die öffentlichen und
privaten Krankenanstalten einen großen Anteil gehabt. Leider hat sich ihre
wirtschaftliche Lage jetzt so außerordentlich verschlechtert, daß dadurch ihr
Betrieb wie ihr Weiterbau in höherem Grade geschädigt ist. Außerdem sind die
Unterhaltungskosten so gestiegen, daß für viele Kranke die Aufnahme in ein
Krankenhaus unmöglich wird. Wenn es auch schwierig ist, hier wirksame Ab-
36
Dr. Bapmnnd: Die Btntaag des Praaßbebea Landtages
kille za schaffen, so maß doch versucht werden, die bestehenden Schwierig¬
keiten za verringern and einen unheilvollen Zusammenbruch za verhüten. Aach
die vorhandenen Heilquellen and Bäder müssen der weniger bemittelten Be¬
völkerung zogängig gemacht werden.
Die Ausfüllung lang erkannter Löcken der CSesundheitsgesetzgebang
int z. T. Sache des Seiches and von diesem auch bereits in die Hand ge¬
nommen; ein Tuberkalosegesetz sowie ein Gesetz zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten ist bereits ausgearbeitet, der Entwarf
eines Beichsirrengesetzes, eines Gesetzes zur einheitlichen Begelang
des Apothekcnwesens. and eine neue ärztliche Prüfangsordnang
sind in Vorbereitung. Landesgesetzlich ist die erneute Vorlage eines Gesetz¬
entwurfes zur Begelung des Hebammenwesens beabsichtigt, die un¬
mittelbar bevcrstebt Hoffentlich wird dieser Entwarf die lange gehegten Er¬
wartungen eines für die Volksgesandheit wertvollen Berufs erfüllen and zu¬
gleich die Gesundheit von Matter und Kind fördern.
Eine weitere Aufgabe des Ministers für Volkswohlfahrt ist die Aus¬
bildung and Fortbildang des gesamten Heilpersonals. Eine Hauptstütze
der Arbeiten des Ministeriums sind die Kreisärzte. „Wenn ich ihrer her¬
vorragenden Verdienste nm die erfolgreiche Bekämpfung der Volksseachen
S dacht habe, so ist damit ihrWirknngskreis keineswegs erschöpft.
re Mitarbeit in allen Zweigen der Gesundheitsfürsorge, der soge¬
nannten sozialen Hygiene, hat sich, namentlich anf dem Lande and in
den kleinen Städten, schon seitlangembewährt; zahlreiche Neoschöpfnngen
verdanken ihnen ihre Entstehnng und werden von ihnen geleitet; eine FüUe
praktischer tatkräftiger Arbeit ist hier geleistet, und die Neigung und Befähi¬
gung der Kreisärzte, dem Fortschritte auf diesem Gebiete zu folgen, ist aner¬
kennenswert. Ihre führende Mitarbeit an der sozialen Hygiene
ist in den meisten Orten anf dem Lande and in der Kleinstadt überhaupt
kaum za ersetzen. Vereinzelte Ausnahmen machen die Großstädte und größere,
anch ländliche Industriemittelpunkte besonders des Westens, die sich für diese
Aufgaben besondere Kräfte gesichert haben. Wenn hier zeitweise gewisse Gegen¬
sätzlichkeiten bestanden haben, so ersehe ich aus den Verhandlungen der Ver¬
sammlungen von Medizinalbeamten und anderer Vereinigungen, daß auch hier
sich zwischen den staatlichen nnd kommunalen Gesundheits¬
beamten eine Verständigung über die Abgrenzung ihrer Wirkungs¬
bereiche and über ihre Zusammenarbeit anznbahnen beginnt. Ich
beabsichtige daher, um so mehr in diesem Punkte die Entwicklung abzawarten,
als ich entschlossen bin, die berechtigten Forderungen der Kreis¬
ärzte, die sie zar Wahrung ihres unbehinderten Wirkens in der Erfüllung
der ihnen durch ihre Dienstanweisung übertragenen Aufgaben aufstellen, mit
Nachdruck zu nnterstützen. Ich weiß mich im übrigen in Ueberein-
stimmung mit den Ansichten des hohen HauBes, wenn ich die in verstärktem
Maße eingeleitete Umwandlung der nicht vollbesoldeten
Kreisarztstollen in vollbesoldete weite r fortsetze. Ich trete
auch in dem weiteren Paukte den hier erhobenen Forderungen bei, daß schon
die Ausbildung der Kreisärzte ihre Mitarbeit in der Gesundheitsfürsorge
za berücksichtigen bat. Die ergangene neue Prüfungsordnung verlangt für die
Meldung zur Prüfung den Besuch einer der neugegründeten sozialbygienischen
Akademien und bestimmt die soziale Hygiene als Prüfungsfach. Aach die
Fortbildungskurse für Kreisärzte ziehen in größerem Umfange als bisher
den praktischen Unterricht in der sozialen Hygiene ein."
„8eit der letzen Hansbaltsbcratnng ist eine neue Gruppe von beamteten
Aerzten eingetreten, die fünf Landesgewerbeärzte, für deren Anstellang in
dankenswerter Weise bereits im Notetat die Mittel bewilligt sind. Im Ein¬
vernehmen mit dem Herrn Handelsminister wird eine genaue Dienstanweisung
verordnet werden. Nach den Erfahrungen anderer Länder verspreche ich mir
von den Beobachtungen dieser neuen Beamtengruppe Erfolge für die Vor¬
beugung gewerblicher Erkrankungen und darüber hinaus für nie gesundheitliche
Normierung der Berufsarbeit. Ich werde mich an die Abmachung halten, die
Zahl dieser Stellen nicht za vermehren, aber ich werde anderseits ihre Be¬
obachtungen sorgfältig verfolgen, and sobald sie za praktischen Folgerangen
führen, (Oese Ergebnisse doxa aasnützen, am für die Ausführung die
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 87
Kreisärzte namentlich in industriellen Bezirken mehr als es bisher möglich
gewesen ist, zum beruflichen Gesundheitsdienst heranzuziehen."
Ebenso wichtig wie die Ausbildung und Fortbildung der Kreisärzte
erscheint mir die Sicherstellung einer ausreichenden Ausbildung der
praktischen Aerxte. In ihren Händen liegt mehr als je zuvor das gesund¬
heitliche Schicksal der arbeitenden Bevölkerung, die Versorgung der Arbeits-
invaliden und der Schutz des Nachwuchses. Neben der Heilung von Erkrank¬
ungen, der bisher ausschließlichen Aufgabe des Arztes, erwächst die neue
Pflicht der Vorbeugung bei den Berufstätigen und der Gesunderhaltung des
Nachwuchses. Ich freue mich, ausdrücklich feststellen zu können, daß sowohl
bei den Führern des Standes selbst wie bei ihren Lehrern ein weitgehendes
Verständnis für die Einstellung des Arztes auf diese Aufgabenerweiterung
besteht. Die neue Prüfungsordnung wird dem Rechnung tragen müssen;
ich werde mit besonderem Nachdruck die Aufgaben des heutigen Arztes, der nicht
rar Heiler der Erkrankungen, sondern Hüter der bedrohten Gesundheit sein soll,
in den Vordergrund des Fortbildungsunterrichtes stellen. Nur so
werden die Aerzte befähigt sein, die Bevölkerung anfzuklären und der hygieni¬
schen Volksbelehrung zu dienen. Diese aber ist heute dringender und nötiger als je.
Bei der Erfüllung dieser Aufgaben der Volksgesundheit bedarf der
Arzt eines geschulten Hilfspersonals. Erst jüngst sind nach langen Vor¬
beratungen neue Verordnungen über die Ausbildung und Prüfung des Kranken-
pflegeper sonals sowie der technischen Assistentinnen ergangen;
eine neue Verordnung für Ausbildung und Prüfung von Säuglingspflege¬
rinnen steht vor dem Abschluß; die neue, den modernen Erfahrungen Rechnung
tragende lreiero Desinfektionsordnung weist auch den Desinfektoren
geänderte Aufgaben zu. Ich verspreche mir von diesen neuen Einrichtungen
vor allem eine Ausdehnung der zweckmäßigen Fürsorge auch auf die bisher hier
schlechter versorgte Landbevölkerung.
Ein Gegenstand besonderer Sorge ist für mich die Tatsache, daß unter
den Wirkungen des Krieges und seiner Folgen nicht nur die körperliche,
sondern auch die seelische Gesundheit ernstlich gelitten hat. Jedenfalls haben
wir mit der Tatsache zu rechnen, daß eine krankhaft gesteigerte Reizbarkeit
mit ihren Folgen weit verbreitet ist, und daß sie mindestens bei der Jagend
auch in ernsteren Fällen einer Heilung oder Besserung fähig ist. Was früher
vereinzelt auftrat, wird jetzt als Massenerscheinung kenntlich und verlangt
darum besondere Maßnahmen der Jugendlichen Psjchopathenfürsorge. Ich
halte diese Fürsorge für sehr bedeutungsvoll und beabsichtige, sie durch
Mitarbeit soweit nur irgend möglich zu fördern.“
So oft ich genötigt war, auf einen besonders ungünstigen Punkt in
unserer Volksgesundheit hinzuweisen, ergab sich aus der Fülle nachteiliger
Einwirkungen als besonders bedeutungsvoll unsere ungünstige Ernährung.
In anderer Form bedrückt sie uns wieder. Fehlten uns vor einigen Jahren
die lebenswichtigsten Nährstoffe, so sind sie heute, soviel sie aus dem Ausland
stammen, nicht käuflich, und soviel sie das Inland liefert, außerordentlich
verteuert. An sich ist die Sicberuog der Volksernährung Sache des Reiches.
Aber auch hier ist ein reiches Betätigungsfeld durch die Hinweisung auf
zweckmäßige Ausnutzung der vorhandenen freien Produkte gegeben. Nachdem
der Herr Minister dann die Notwendigkeit einer strengen Ueberwachung des
Verkehrs mit Nahrungsmitteln und die Bekämpfung aller minder¬
wertigen oder gar gesundheitsscbädichen Ersatzstoffe betont hat, erwähnt
er die inzwischen erfolgte Einrichtung des Landesgesundheitsrats, in den nicht
nur Mediziner, sondern in annähernd gleicher Zahl sachverständige Vertreter
aller Kreise der Bevölkerung aufgenommen sind. Dieser Gesundbeitsrat soll
unter Heranziehung von Sachverständigen in allen irgend wichtigen Fragen
mitarbeiten, und nicht nur bei Gesetzen und Verordnungen des Preußischen
8taates, sondern auch, soweit irgend möglich, bei denjenigen Reichsgesetzen,
bei deren Vorberatung meine beauftragten Berater mitzuwirken haben.
Am Schluß betonte dann der Minister, daß er jeder Bürokratisie¬
rung abhold sei (Bravo I) und verlange, daß Unterstützungsgesuche, die an
staatliche oder kommunale Behörden gerichtet werden, schnell ihre Erledi¬
gung finden müssen und schließt dann mit den Worten: „Wir alle, die wir
m der Wohlfahrtspflege tätig sind, müssen uns mit Freude und Optimismus
38
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
unserer Arbeit hingeben. Dabei verkenne ich keinen Augenblick die gewaltigen,
finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und Hemmnisse,
mit denen wir jetzt und in den kommenden Jahren erbittert zu kämpfen haben
werden. Ich glaube aber fest und unerschütterlich an den Wiederaufbau und
an die Zukunft unseres Volkes. (Bravo!) Ich halte aber auch diesen (Hauben
für eine nationale und vaterländische Pflicht! Darum mochte ich von dieser
Stelle aus möglichst weiten Schichten unseres Volkes und in erster Linie den
in der Wohlfabrtsarbeit stehenden Volksgenossen zurufen: Qlaubet mit mir
an eine bessere Zukunft und bemüht Euch alle, durch hingebende Arbeit für das
Wohl unseres Volkes diese kommende Zukunft zu bereiten!“ (Lebhafter Beifall!)
Abg. Meyer • Solingen (Soz ): Mit dem vom Wohlfahrtsminister gestern
entwickelten Programm sind wir einverstanden; hoffentlich läßt er auch die
erforderlichen Taten folgen. Volksgesundheit und Volkskraft bilden die Grund¬
lagen für den Wiederaufbau unseres schwer geschädigten Vaterlandes; es muß
jedenfalls alles geschehen, um dieses erstrebenswerte Ziel herbeizufübren. Es
ist deshalb auch eine falsche Sparsamkeitspolitik, wenn die dazu
erforderlichen Mittel nicht bewilligt und die dieserhalb von der Partei des
Bedners gestellten Anträge im Hauptausschuß abgelebnt sind; denn alles, was
nach dieser Richtung hin jetzt vernachlässigt wird, wird sich später einmal
schwer räohen. Die Wohlfahrtspflege und soziale Fürsorge darf nicht wie
bisher von der Gutmütigkeit oder dem guten Willen irgend einer Behörde
oder von der Privatwohltätigkeit abhängen, sondern sie bildet einen wichtigen
Teil der staatlichen Pflichterfüllung. Die Aufgaben, die sich nach dieser
Bichtung bin der Herr Minister gestellt hat, dürfen deshalb auch nicht auf
dem Umwege über seine Gebeimräte eine uns nicht zusagende Herabminderung
erfahren; denn im Wohlfahrtsministerium sind noch verschiedene Herren vor¬
handen, die ihrer politischen und sonstigen Einstellung nach noch vollständig
im alten System wurzeln. Bedner erinnert an den im Hauptausschuß vor¬
gekommenen Vorfall, bei dem der Herr Ministerialdirektor Dr. Gottstein
gegenüber seinem Parteifreunde, dem Abg. Dr. Beyer, der eine Beihe von
Maßnahmen der Regierung kritisiert habe, die Meinung vertreten habe, daß
sich eine solche Kritik des Abgeordneten mit seiner Stellung als Beamter im
Ministerium nicht vereinbaren lasse. Ein solcher Angriff gegenüber der
Abgeordnetenfreiheit müsse ebenso wie im Hauptausschuß auch hier
im Plenum energisch zurückgewiesen werden. Bedner klagt dann weiter darüber,
daß die großen Ortskrankenkassenveibände sich im VolksWohlfahrts¬
ministerium nicht der ihnen zukommenden Achtung und Wertschätzung erfreuen,
obwohl sie auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge doch unendlich viel geleistet
haben. Verschiedentlich werden Aenderungen in Veiwaltungsmaßregeln gegen¬
über den Krankenkassen getroffen, ohne vorher mit diesen Fühlung genommen
zu haben, z. B. über die Besoldung der Krankenkassenangestellten, über die
Erhöhung der ärztlichen Gebühren und der Arzneitaxe in den besetzten Ge¬
bieten. Das ganze Heilwesen muß, soweit es sich auf Krankenanstalten,
Aerzte, Apotheken, Bäder usw. erstreckt, von dem materiellen Beigeschmack
losgelöst werden, d. h. sozialisiert werden, damit die Aerzte nicht mehr
kranke Menschen heilen, um Geld zu verdienen, sondern um sie zu heilen und
gesund zu machen. (Sehr richtig bei den Sozialdemokraten.)
Bedner kritisiert dann in eingehender Weise die bisher vom Ministerium
auf dem Gebiete des Wohnungswesens getroffenen Maßnahmen; fordert eine
Erhöhung der Baukostenzuschüsse, verlangt aber ein einheitliches Verfahren
bei ihrer Verteilung gegenüber der jetzigen Zersplitterung.
Die Zuschüsse sollten möglichst nicht an private Unternehmer, sondern
an gemeinnützige Korporationen gegeben werden. Die Höchstmietenverordnung
hat sich nach seiner Meinung durchaus bewährt; auf diesem Wege muß
fortgefahren werden. Ebenso ist an der bewährten Mieterschutzgesetzgebung
festzuhalten (Bravo bei der S. P.).
Abg. Frau Dr. Lauer (Zentr.): Das Ministerium für Wohlfahrt soll ins¬
besondere für unsere Jugend wirken; wir zweifeln nicht an seinem guten
Willen, wenngleich manche der Positionen des Etats nur ein Tröpflein auf
einem heißen Stein bedeuten. Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten hat das
Wohlfahrtsministerium seit seiner Gründung das von vornherein gesteckte
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt 89
Arbeitsprogramm innegehalten. In kurzer Zeit ist es gelangen, es za einer
Organisation ansznbanen, die unter Hinzuziehung der verschiedenen Bevölke-
raags8chichten Gutes geschaffen hat. Diese Bntwicklang geht natürlich nur
schrittweise vorwärts, aber die bisherigen Erfolge zeigen deutlich den besten
Willen. Hinderlich waren die bisher nicht abgeschlossenen Grenzen zwischen
der Zuständigkeit der Reichs* und Landesbehörden. Im sozialpolitischen Aus¬
schuß haben wir zur Genüge erfahren, wie hemmend diese Kompetenzschwierig¬
keiten für unsere Arbeit waren. Meine Freunde haben eine ganze Reihe von
Wünschen für die künftige Entwicklung des Ministeriums. Wenn wir an den
Wiederaufbau des Volkes gehen, so wissen wir, daß die gegenwärtige Gene¬
ration die Wiederherstellung nicht erleben wird, sie hat aber die Pflicht, diese
Wiederherstellung für eine kommende Generation einzuleiten. Hinderlich dabei
sind aber die leidenschaftlichen politischen und wirtschaftlichen Kämpfe, die
Fruchtlosigkeit unserer Parlamente und unsere innere Zerrissenheit Mit der
Jugendpflege soll dem furchtbaren Elend, das wir heute auf allen Gebieten
sehen, entgegengearbeitet werden. Hierin liegt eine Hauptaufgabe aller Träger
der Kultur. — Es mnß für Spiel und Sport und demzufolge auch für ge-
aügende Spiel- und Sportplätze, Wanderherbergen, Lehrgänge und
Kursen gesorgt werden. Wir verlangen, daß die für Spiel und Sport not¬
wendigen Geräte nicht künstlich durch Steuern verteuert werden. (Sehr
richtig I) Das hieße die Kraft der Jugend versteuern. Genau wie die Be¬
kämpfung der Wohnungsnot, stellt die Jugendpflege eine prinzipielle Aufgabe
les Landes dar. Die Mißstände im Fürsorgewesen sind wesentlich auf
die zu geringe Finanzierung zurückzuführen. Der Staat hat sich zu wenig
darum gekümmert und alles den Vereinen überlassen. Wir hoffen, daß im
nächsten Etat mehr Mittel für diesen Zweck eingestellt werden. Eine Ver¬
einheitlichung und Zusammenfassung der Jugendwohlf ahrts-
pflege ist dringend notwendig. Im engsten Zusammenhänge mit der Für¬
sorgeerziehung steht auch die Fürsorge der Psychopathen. Das Studium
dieser noch keineswegs vollständig geklärten Frage ist so wichtig, daß es
unbedingt gefordert werden muß; deshalb ist auch vom Hauptausschuß ein
besonderer Betrag dafür in den Haushalt eingestellt. Rednerin weist dann auf
die in privaten und kirchlichen Kranken- und Wohltätlgkeitsanstalten noch
immer finanzielle Not hin, die durch die angeblich beabsichtigte Errichtung
einiger Krankenanstalten seitens der Knappschaftsvereine und Krankenkassen
noch gesteigert werden würde. Man sollte die vorhandenen Krankenanstalten
lieber unterstützen, als ihre Existenzmöglichkeit zu gefährden; dies sei auch für
die Krankenkassen finanziell viel günstiger. — Je mehr die soziale Fürsorge
öffentliche Angelegenheit geworden ist, desto notwendiger hat sich die Mit¬
arbeit der Frau auf diesem Gebiete ergeben, aber nicht nur in ausübender
Tätigkeit als Fürsorgerin, sondern auch in leitender Stellung als Re-
formatorin bei den Bezirksregierungen. Selbstverständlich muß sie die
erforderliche Ausbildung genossen haben. Auch die weitere Ausbildung der
Kreisärzte in sozialhygienischer Hinsicht, die durch die Errichtung der Bozial-
hygienischen Akademie gefördert ist, kann nur mit Freuden begrüßt werden;
,denn nur mit Hilfe sozial arbeitender und sozial denkenker Kreisärzte ist es
und wird es möglich sein, die Fürsorgemaßnahmen auf hygienischem Gebiete
sozial durchzuführen (Sehr richtig 1 links und rechts). 41 Es ist deshalb nur zu
bedauern, „daß man diese für unser Fürsorgewesen so wert¬
vollen Kräfte, an die die größten Anforderungen gestellt
werden und die mit der größten Verantwortlichkeit für unser
Fürsorgewesen belastet sind, bei der Besoldungsordnung
verhältnismäßig niedrig eingestellt hat (Sehr wahr! bei der
D. nat V. P.).* Um so unverständlicher ist es, daß man im
jetzigen Augenblick, ehe eine andere Einstufung erfolgen
kann, die Nebeneinnahmen unmöglich machen will, wie es
einer der vorliegenden Anträge wünscht — Bei der beabsichtigten
Umgestaltung des ärztlichen Ausbildungswesens ist besonders
darauf zu achten, daß genügend Gelegenheit zur praktischen Ausbildung in
Krankenhäusern gegeben und den Praktikanten und Volontärärzten in diesen
lür die geleistete Arbeit nicht nur freie Wohnung und Verpflegung, sondern
auch die Hälfte des Assistentengehaltes gewährt wird. Mit der Abschaffung
40
Dr. Bapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
der Entliehen Ehrengerichte ist die Partei der Bednerin ebensowenig ein¬
verstanden wie mit der beantragten Sozialisierung des Heilwesens. Für eine
großzügige Familienfürsorge in Krankheitsfällen läßt sich auch in Ver¬
bindung mit behördlichen und privaten Organisationen, Krankenkassen nnd
Landesversicherungsanstalten sorgen, wie dies in Köln geschehen ist.
Schließlich befürwortet Bednerin ebenso wie der Vorredner die Gewährung
besonderer Beihilfen an die Krüppelanstalt Oskar-Helenenheim in Dahlem,
sowie für die Friedrichstadtklinik in Berlin; sie fordert ferner die
Unterstellung der staatlichen B&der unter das Wolilfahrtsmintsterlum,
den Erlaß eines Tuberkulosegesetzes, in dem die Anzeigepflicht bei offener
Tnberkalose vorgesehen ist und ein Beichsgesetz zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten. Der beantragten Forderung eines Gesundheits¬
attestes für die Eheschließenden steht Bednerin an sich sympathisch gegen¬
über, hält sie aber für so schwierig und einschneidend, daß sie zunächst noch
einer eingehenden Prüfung bedarf, die am besten durch den bevölkerungs¬
politischen Ausschuß vorgenommen wird. Inzwischen sollte aber das Mini¬
sterium durch weitgehende Aufklärung im Sinne dieses Antrages dafür Sorge
tragen, daß die Eitern schon jetzt für ihre eheschließenden Kinder Gesundheits¬
atteste fordern. Mit der Bitte, daß die vom Ausschuß angestellten höheren
Beträge die Zustimmung des Hauses und des Finanzministeriums finden werden,
schließt Bednerin ihre Ausführungen, indem sie sich noch besonders mit dem
Standpunkt des Herrn Ministers einverstanden erklärt, daß sich das Wohl¬
fahrtsministerium immer mehr und mehr zu einer großartigen Organisation
der Vorbeugung sozialer Schäden entwickeln möchte. (Bravo im Zentrum.)
Abg. Stuhrmann (D. Nat): Den neuen Herrn im Volkswohlfahrts-
ministerium werden wir nach seinen Taten beurteilen. Wir begrüßen seine
Erklärung, in den Spuren seines Vorgängers, dessen Tätigkeit Bedner dankend
anerkennt, wandeln zu wollen.
Das Wohlfahrtsministerium kann man wohl als ein offizielles Die&sttum
für Volksnot und Staatshilfe bezeichnen. Bei keinem anderen Etat tritt
diese große schwere Volksnot uns als fnrehtbare Realität so entgegen wie gerade
hier. Wir alle hier sind gewiß trotz aller sonstigen Gegensätze in dem Wunsch
und Willen einig, dieser furchtbaren Volksnot wenigstens auf dem Wege der
Staatshilfe nach Möglichkeit zu steuern, damit das Ziel erreicht wird, einen
innerlich nnd äußerlich gesunden neuen Volkskörper herauszuarbeiten. Dieser
Biesenaufgabe gegenüber erscheinen die Etatsmittel geradezu zwergenhaft.
Das findet aber seine ganz natürliche Erklärung durch die Tatsache des Vor¬
handenseins einer anderen schweren Volksnot, nämlich der Geldnot. Es ist ja
sehr bequem, einfach neue Summen in den Haushalt einzustellen, und die
Linke stellt ja mehr Mittel neu in den Etat, als er schon enthält. Aber in
Wirklichkeit darf man sich doch im November 1921 nicht einbilden, daß man
heute oder morgen, wenn man nur die Macht in die Hände bekommt, eine
neue Welt schaffen kann. Wir leben eben in der brutalen Gegenwart and
nicht in Wölkenkuckucksheim. Aber die Finanznot ist noch nicht das
schlimmste. Unter den Volksproblemen, deren Lösung sich uns immer stärker
aufdringt, tritt die Wohnungsnot hervor. Sie ist nicht nur eine Mieter not,
sondern auch eine Hausbesitzernot, das muß man zugeben, ohne deswegen
als Vertreter einseitiger Hausbesitzerinteressen angesehen zu werden. Da
möchten wir ganz entschieden davor warnen, daß das Volkswohlfahrtsministerium
auf dem Wege seiner bisherigen Wohnungspolitik fortschreitet; denn diese muß
über kurz oder lang zur völligen Verelendung des Hausbesitzertums führen,
eines Standes, der für den Volkswiederaufbau unentbehrlich ist. Wir können
uns des Eindrucks nicht erwehren, als ob man auf diesem Wege vieUeicbt zur
zwangsweisen Sozialisierung des Wohnungswesens kommen möchte. Tritt
man diesem Gedanken realpolitisch näher, so findet man, daß die Voraus¬
setzungen, die dafür vorhanden sein müssen, heute nicht vorhanden sind. Die
heutige Zeit entbehrt jeder Voraussetzung für das Unternehmen von Experi¬
menten mit diesem Allheilmittel der Sozialisierung; es fehlt die Vollreife der
wirtschaftlichen Umstände; es fehlt auch die sittliche und soziale Betrachtungs¬
weise der Bevölkerung.
Als ein Problem der kultursozialen Volksnot steUen sich Alkoholismus,
Prostitution, Geschlechtskrankheiten, Fürsorgeerziehung usw. dar. Hier
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 41
handelt es sich nicht um bloß hygienische, nicht bloß um leibliche körperliche
Probleme, sondern um innerliche, seelische, othische, moralische Aufgaben.
Eigentümlich muß es berühren, wenn wir einerseits zur Bekämpfang des Alko-
holismus Staatsmittel in den Etat einsetzen und andrerseits wahrnehmen
müssen, daß in den D-Zügen Plakate hängen, welche Weinbrand, Liköre usw.
in die Augen fallend anpreisen. Auch das ist ein Schlag ins Gesicht aller
noch anständig denkenden Menschen. Im letzten Grunde handelt es sich hier
überall um Noterscheinungen, die als Früchte einer langjährigen Entwicklung
erscheinen, an der schließlich die Revolution nicht geringen Anteil gehabt hat.
Diese riesengroße ethische Unter bilanz unseres Volkslebens ist nicht die
Schuld des einzelnen, sondern eine Allgemeinverschuldung, an der wir alle
tragen. Gelangen wir nicht zu dieser Erkenntnis, so werden wir auch nicht
zu einer Gesundung des Volkes von innen heraus kommen. Vor hundert
Jahren, als damals alles zusammenbracb, wurde erst das Wort von Sc hen¬
ken dorff Allgemeingut „Wir haben alle schwer gesündigt“, dann erst konnte
ein Stein mit seinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen ein¬
setzen. Wir müssen neue sittliche Lebenswerte produzieren. Das kann nicht
der Staat, der nur schematisiert und reglementiert. Wir müssen alle weit- und
warmherzig solche neuen sittlichen Lebenswerte erzeugen helfen. Wir müssen
die neuen Sittlichkeitswerte prägen aus dem Kraftwerk der Religion. Ein
erfreuliches Zeichen ist, daß diese Erkenntnis auch schon in den Reihen der
Linken sich Bahn bricht. Der Wiederaufbau unseres Volkes ist nur auf der
Basis des Christentums möglich. Hier wird sich zeigen, daß Stegerwald
mit seiner Zukunftspolitik Recht gehabt hat, wenn er sagte, daß nach Lösung
der wirtschaftlichen Notlage unser Volk sich vor die Frage gestellt sehen
wird, wem es folgen solle: entweder der christlichen Weltanschauung oder
der rein marterialistischen. Das Herausarbeiten eines Sozialismus, der anders
ist als der rote Marxismus, nämlich ein christlicher Sozialismus, ist
der Weg, der uns aufwärts führt. Und nur in dem Maße, wie es uns gelingen
wird, einen solchen christlichen Sozialismus aus der Muttererde eines wirklichen
sozialen Christentums zu produzieren, werden wir die große Frage des Neu¬
aufbau unseres Volkes lösen können. (Lebb. Beifall bei der D.-nat. V. P.)
Abg. Engberdlng (D. Vp.): Wir sind bereit, an den Arbeiten des
Wohlfahrtsministeriums mitzuarbeiten. Wir haben zu dem Minister und zu
dessen Mitarbeitern das Vertrauen, daß sie das Beste leisten, wenn auch nicht
alle Ziele erreicht werden können. Das liegt daran, daß die erforderlichen
Mittel nicht vorhanden sind. Was bisher zur Lösung der Wohnungs- und
Siedlungsfrage geleistet ist, wird uns dieser so wichtigen wirtschaftlichen und
sozialen Frage nicht näher bringen. Der Wohnungsbau muß ganz anders
gefördert werden. Man darf nicht vergessen, daß eine Rationie¬
rung der Wohnungen vorgenommen worden ist, daß man aus einer Wohnung
zwei oder drei gemacht hat, und dazu waren 1914 in vielen Städten viele
Wohnungen unbewohnt. Die große Zahl der Eheschließungen, die z. B. in
Münster, trotz seiner industrielosen stabilen Entwicklung um 110 Prozent
zugenommen hat, trägt zur Wohnungsnot erheblich bei. Es sind wenigstens
100 Milliarden Papiermark notwendig, um den städtischen Wohnungsbau in
erforderlichem Maße zn fördern, in Wirklichkeit stehen nur 1,1 Milliarden zur
Verfügung. Daß ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch der Etagenbau
muß gefördert werden; er ist erheblich billiger als der Flachbau; der Sied¬
lungsidee wird dadurch aber in keiner Weise Abbruch getan. Auch hierin muß
man Großzügigkeit zeigen und auch Privaten Zuschüsse geben. Dem Haus¬
besitzer muß nach Abzug aller Unkosten, der Versicherungsgebühren, Repa¬
ratur- und Verwaltungskosten eine Verzinsung des investierten soliden Kapitals
gesichert werden, die mindestens der Verzinsung der Kriegsanleihen entspricht.
Gegen die Höchstmietenverordnung protestieren wir nicht, wohl aber
E gen ihre Handhabung. Wir können dem Minister darin nicht folgen, eine
etssteuer einzuführen, um Mittel für Neubauten zu gewinnen; derartige all¬
gemeine Lasten müssen von der Allgemeinheit getragen werden. (Bravo; rechts.)
Abg. König-Weißenfels (Komm.): Meine Partei wird dem Herrn Mi¬
nister bei Ausführung seines Programms gern unterstützen; bisher ist es aber
nur bei Versprechungen geblieben und wenig davon ausgeführt, weil die Mittel
42
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtage«
fehlen. Insbesonders gilt dies betreffs der Bekämpfung der Wohnungsnot.
Eine erschreckende Folge des Wohnungselends ist die Zunahme derjenigen
Kinderkrankheiten, die man als Wohnungskrankheiten bezeichnen
kann. In Berlin ist nach dem Bericht eines Schularztes jedes füofte
Kind einer Gemeindeschule als krank anzusehen (hört, hört!); daran ist
aber nicht die Hungerblockade der Feinde, sondern die der Groß- nnd
Kleinagrarier schuld (Widerspruch rechts). Wir wollen das Wobnungs-
elend grundsätzlich beseitigen und fordern deshalb eine genaue Woh¬
nungsstatistik, einen strengen Wohnnngsnachweis und Exekutiv¬
gewalt für die Wohnungsämter. Unser Antrag verlangt ferner eine
durchgängige Wohnungsbeschlagnahme unter Zuweisung der größeren Woh¬
nungen an kinderreiche Familien, völlige Enteignung des Haus- und Grund¬
besitzes und Ueberfiihrung der Eigentums- und Besitzrechte auf Reich, Staat
und Gemeinde, unter MitbestimmungBrecht der Mieterorganisationen. Die all¬
gemeinen Mittel für Wohnungsbau sollen aus der Wegsteuerung der großen
Einkommen und Konfiskation der großen Vermögen genommen werden. Alle
besonderen Wobnnngssteuern siud abzulehnen. Redner befürwortet weiter
einen Antrag, 100 Millionen Mark für die Kriegsbeschädigten in Prenßen
bereitzustellen und spricht dann über die Schäden des Alkoholkonsums. Eine
ungeheure Menge von Nährstoffen werde zu Alkohol verarbeitet, die besser zur
Volkscrnährung verwendet würden. Deshalb fordere seine Partei, daß Alkohol
nur noch für technische und medizinische Zwecke hergestellt und neue Schank¬
konzessionen nicht mehr erteilt werden dürfen. Im Gegensatz zu den ameri¬
kanischen, englischen, schwedischen usw. Aerzten nehmen die deutschen
Aerzte nur im geringen Maße aktive Stellung zur Alkoholfrage, sonst würde
auch bei uns die Bekämpfung des Alkoholinißbrauches mehr Erfolg erzielt
haben. Im Jahre 1920 seien 15 Milliarden für alkoholische Getränke aus¬
gegeben, dagegen für Zucker, der viermal besseres Nährmittel darstellc, nur
5 Milliarden. Fast 5 Millionen Zentner Gersienmalz wurde zu Bier ver¬
arbeitet; davon könnten je 1 Million Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere
und Kranke wöchentlich 2 Pfund Gerstenmehl, Flocken, Zwieback usw. erhalten.
Auch die Zahl der in die Krankenanstalten eingebrachten Alkoholiker ist in
den beiden letzten Jahren wieder erheblich gestiegen. Zum Schluß begründet
Redner noch den von seiner Partei gestellten Antrag auf Aufhebung der ärzt¬
lichen Ehrengerichte. Bei ihrer Gründung haben nicht ideelle, sondern haupt¬
sächlich materielle Interessen im Vordergründe gestanden, und wenn man in
die Praxis der Ehrengerichte hiueinschaut, so findet man, wie Redner durch
einzelne Beispiele nachzuweisen sucht, Vorgänge, die geradezu an das Mittel-
alter erinnern. Jedenfalls gehören in eine sozialistische Republik keine
Sondergerichte über den Begriff der Ehre. Die ärztlichen Ehrengerichte sind ein
Hemmnis der ärztlichen Wissenschaft und des Fortschritts; sie knebeln die
persönliche Freiheit, steigern die Erbitterung des Volkes und vergrößern noch
das Menschheitselend. (Bravo bei den Kommunisten.).
Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Das Volks Wohlfahrtsministerium ist wohl das
umfangreichste Ressort, das wir haben; dafür spricht schon die Länge des
Programms des neuen Ministers. Von ihm gilt, was von seinem Amtsvorgän¬
ger galt: Die Herren vom Zentrum, die durch die München-Gladbacher Schule
gegangen sind, verfügen über einen gewissen sozialen Einschlag, vor dem wir
Respekt haben. Solange Vertreter solcher bürgerlichen Parteien die Minister¬
bank zieren, sind sie immerhin die Männer, die Verständnis für soziale Nöte
haben und manche dieser Nöte lindern können, wenn sie entschlossen und
rührig herangehen. Der Minister Hirtsiefer verfügt, soweit uns sein Pro¬
gramm erkennen läßt, über die nötige Portion Fortschritt und Entschlossenheit;
aber Herr Minister, wenn Sie an die Durchführung dieses Programms gehen,
ist es das Wichtigste: Sie müssen sich eiuen großen eisernen Besen
mitnehmen, um in Ihrem Ministerium zunächst einmal Auskehr zu halten,
(sehr richtig! bei den U. S. P.) Selbst wenn der Herr Minister jetzt täglich 24
Arbeitsstunden zur Verfügung haben sollte, wird er nicht imstande sein, ohne
sich schließlich auf seine Ressortspezialisten zu stützen, die Moderluft zu
dnrehdringen, die gerade in den Geheimratsstuben seines Ministeriums herrscht.
Zutreffend nennt man das Ministerium auch das Aufbauministerium, aber von
allen seinen langen Programmen ist bis jetzt kaum etwas in die Tat umgesetzt
i
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 43
worden. Das gilt auch von dem Programm nnd der 2‘/* jährigen Amtstätigkeit
des Herrn Stegerwald. Nnr Kleinigkeiten hat man zastandegebracht. Ein
schweres Hemmnis ist zwar die Finanzfrage, denn die Durchführung der Volks*
Wohlfahrt kostet Geld: aber diese Gelder haben werbende Kraft und
bringen hundert und tausendfältige Zinsen. Die Mitarbeiter
des Ministers, die wir im Ausschuß für Bevölkerungspolitik kennengelernt
haben, sind nicht nur in politischer, sondern auch in wissenschaftlicher und
sozialer Hinsicht aus einem antediluvianischem Holze geschnitten; sie
haben für das, was man moderne Ansichten nennt, kein Verständnis und werden
deswegen auch nur schwer für die neuen Gedanken im Programm des Ministers
Propaganda machen. Gehört doch zu diesen Mitarbeitern jener polizeiliche
Sittlichkeitswächter, dem gestern auch Minister Severing mit aner¬
kennungswertem Freimut den blauen Brief überreicht hat, soweit Herr Professor
Brunner von der Polizei ressortiert. — Der Minister hat gestern die Einbe¬
rufung des Landesgesundheitsrats erwähnt, der zur Hälfte aus Laien und
sogenannten Sachverständigen, im ganzen aus 117 Personen besteht. Seine
Zusammensetzung ist merkwürdig und alles andere eher als unparteiisch; ihm
gehören nicht weniger als 12 Mitglieder des Ministeriums an, die darin höchstens
als Kommissare etwas zu suchen haben; es fehlen aber Vertreter der Unab¬
hängigen Sozialdemokratie und der Kommunisten, während sonst alle Parteien
darin yertreten sind. Das ist parteiisch und dafür machen wir den zuständigen
Ministerialdirektor verantwortlich. Auch die Naturheilbewegung
ist darin durch einen Laien nicht yertreten, ebensowenig die Homöopathie; der
eigentliche Zweck, Vertreter aller Richtungen dort zu vereinigen, ist somit
nicht erreicht; die Folge davon wird sein, daß der Landesgesundheitsrat
nicht das erforderliche Vertrauen besitzen wird. — Bei Bekämpfung der Volks¬
krankheiten hat der Minister u. a. behauptet, die Tuberkulose sei im Aussterben
begriffen, da die Zahl der Todesfälle abnehme. Das grenzt sehr an Schön¬
färberei. Die Zahl der tuberkulösen Kinder, der skropnulosen und blutarmen
Kinder, die den Nährboden für die Tuberkulose bilden, hat gewaltig zuge¬
nommen. Hier müssen vor allem vorbeugende Maßregeln getroffen werden.
Auf unseren Antrag hat der Ausschuß einmütig beschlossen, die Anzeige¬
pflicht für alle Erkrankungen an offener Tuberkulose zu fordern, damit
wertvolles statistisches Material beschafft wird. Im Ministerium hätte, da
dieser Beschluß schon 4 Monate alt ist, längst etwas zur Ausführung geschehen
können; denn dies kostet ja gar kein Geld, sondern nur guten Willen und
Verständnis für die sozialen Nöte der Bevölkerung. In der Frage der Be¬
kämpfung der Tuberkulose wird im Ministerium unglaublich bureau-
k r a t i s c h gearbeitet. Ein dort kürzlich erst hineingeschneiter Geheimrat hat
den dafür im Etat stehenden Ausgabeposten von einer Million zu verwalten.
Er hat uns mitgeteilt, daß diese Million im April noch garnicht ausgegeben
war, und dies damit begründet, daß alle Anträge auf Heilstättenbehandlung
erst dem zuständigen Regierungspräsidenten zugeschickt werden, um die Wür¬
digkeit und Bedürftigkeit des Kranken festzustellen. Darüber vergehen Wochen;
kommen dann die Anträge an das Ministerium, so wird nochmals ein Mitglied
desselben für' die nochmalige gleiche Feststellung aufgeboten. Darüber ver¬
gehen Monate, und schließlich sterben die Tuberkulösen darüber weg. Er hat
bei seinem Chef den Antrag auf Wegfall der zweiten Feststellung gestellt.
Dieses eine Beispiel spricht Bände, in welcher Weise das Ministerium die
Tuberkulose praktisch bekämpft und die Einweisung in die Heilstätten fördert.
Möge der Minister diesem Wunsch entgegenkommen nnd überhaupt auch den
jugendlichen Kräften in seinem Ministerium bei ihren Bestrebungen, dort im
modernen Geiste zu wirken, nicht ihre Fänge beschneiden. Auch sein Ressort muß
demokratisert, insbesondere verjüngt werden müssen. — Seit 2 V* Jahren sollen
wir ein Hebammengesetz bekommen. Es ist das eine sehr schwere Entbindung.
Im vorigen Jahr waren wir schon so weit, aber der Entwurf gefiel den Geheim¬
räten im Ministerium nicht, und durch ihre Beziehungen zur Rechten setzten
sie es auch durch, daß er im letzten Augenblick unter den Tisch fiel. Hoffent¬
lich wird der neue Entwurf, der in den nächsten Tagen an uns kommt, so
beschaffen sein, daß die Mütter und Hebammen daran ihre Freude haben.
Bedenklich ist allerdings, daß der jetzige Entwurf den Geheimräten gefällt,
die Mütter und Hebammen aber von ihm nichts wissen wollen. Da muß also
44
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
eine starke Hand eingreifen and hier Abhilfe schaffen. Betreffs der Kreisärzte
habe ich schon im vorigen Jahr daraaf hingewiesen, dsß die Zahl der voll¬
besoldeten Kreisärzte za gering sei; sie hat allmählich zugenommen,
das genügt aber nicht. In aiet-er Hinsicht weiß ich mich mit dem verehrten
Herrn Dezernenten im Woblfahrtsministenam einig, der auch nichts sehnlicher
wünscht, als daß die Zahl der nebenamtlich beschäftigten Kreisärzte überhaupt
nächstens verschwinden soll, denn bei der umfangreichen Tätigkeit, die den
Kreisärzten jetzt zugemutet wird, ist eine nebenamtliche Betätigung dieser
Herren überhaupt ein Unding. Aber die Herren auf der Rechten sehen diese
vollbesoldeten Kreisärzte nicht gern, denn wenn solch ein Herr sich in vollem
Umfang der hygienischen Betreuung seines Kreises widmet, sieht er da manche
Mißstände, die beseitigt werden müssen. Das kostet aber (Jeld und deshalb
sind sie Gegner der vollbesoldeten Kreisärzte. (Widerspruch rechts.) Die Agra¬
rier sind Gegner aller hygienischen Verbesserungen, weil sie Geld kosten. (Sehr
wahr, links.) Abgesehen von der nebenamtlichen Beschäftigung hat der Kreisarst
natürlich für die mannigfachen Aufgaben, die ihm auferlegt sind, nicht die nötige
Zeit nnd das nötige Interesse. Die Aufgaben eines modernen Kreis¬
arztes, besonders jetzt, wo er auch mit der Sozialhygiene vertraut sein soll, erfor¬
dern den ganzen Mann; er darf nichtauf Nebenbeschäftigung angestellt werden.
Es liegt in der Natur der Sache, daß ja nach den angenehmen oder unangenehmen
Beziehungen, die solch ein Kreisarzt zu den Kreisgewaltigen, vom Landrat
angefangen, hat, auch die Hygiene, die Gesundheit des Kreises erheblich
Schaden leiden kann. — Die Irrengesetzgebung und Apotliekengesetzgebung
sind angeblich im Werden begriffen; das hören wir aber jedes Jahr; dabei
kommen sie nicht vom Fleck. Auch die Familienkrankenveraicberung muß
endlich durebgeführt werden; schon zweimal hat der Landtag beschlossen,
daß sie obligatorisch werden soll. Der Minister als Treuhänder der Bevölke¬
rung muß unter Umständen den Zwang einführen und Zwaog auf die ärztlichen
Verbände ausüben, daß sie ihren eigensüchtigen Widerstand aufgeben. Ein
Antrag von uns verlangt die Sozialisierung des Heilwesens. Das Elend im
Aerztestand ist außerordentlich groß; die Aerzte müssen, wenn sie nicht
untergehen sollen, hohe Preise nehmen. Gerade weil ich den Aerztestand hoch
schätze, möchte ich es vermieden sehen, daß ein Arzt gezwungen ist, Geld zu
nehmen. Der Arzt sollte von jeder Betätigung für Geld fern gehalten werden;
er sollte ein Beamter im Dienste der Allgemeinheit sein, d. h. das Heil wesen
sozialisiert werden. Die Befürchtungen, ein beamteter Arzt würde der
Initiative entbehren, sind grundlos, wie Beispiele bereits beamteter Aerzte,
Richter usw. zeigen. Weiter verlangen wir die Abschaffung der ärztlichen
Ehrengerichte. Nachdem die Ehrengerichte für Offiziere beseitigt worden
sind, dürfte es überhaupt besondere Ehrengerichte für einzelne Stände nicht
mehr geben. Die ärztlichen Ehrengerichte haben gar keinen Sinn und gar
keinen Zweck. Wenn man aus dem Urteil der Ehrengerichte ersieht, mit welchen
Lappalien diese Gerichte sich beschäftigen, so muß man sie lächerlich finden.
Die von den Aerzten gegen unser Verlangen vorgebrachten Gründe sprechen
für unseren Antrag. Zum Schluß warnt Redner den Minister davor, das bißchen
Mieterschutz, das wir haben, zu durchlöchern. Auf dem Gebiete der
'Wohnungsfürsorge muß der Minister rücksichtslos gegen die Wohnungsspe¬
kulanten Vorgehen. Es darf nicht Vorkommen, daß, wenn ein Wohnungsamt
nach langem Zögern endlich einmal eine Beschlagnahme vornimmt, diese
Beschlagnahme auf Einspruch des Oberpräsidenten wieder aufgehoben wird.
Unbedingt notwendig ist es auch, daß endlich einmal das Ministerium die
unwürdigen Zustände in den Adlershofer Baracken, wo gegenwäitig
1600 vertriebene Oberscblesier bansen müssen, beseitigt. Wir sind der Ansicht,
daß schon unter den hentigen Zuständen mannigfache Nöte der Bevölkerung
gemildert werden können, wenn nur der Wille dazu vorhanden ist. Wir sind
bereit, den Wohlfabrtsminister in dem Bestreben anf Milderung dieser Nöte
tatkräftig zu unterstützen, verlangen aber, daß der Minister sich endlich nach
jnnen und außen hart erweist. (Lebhafter Beifall bei der U. 8. P. D).
Abg. Dr. Höpker-Ascboff (D. Dem.): Im Gegensatz zu den Anschau¬
ungen der Kommunisten werden wir immer wieder auf das schwere Unrecht
hinweisen, das uns durch die Hungerblockade unserer Feinde zugefügt
worden ist. Die preußische Regierung bitte ich mit allem Nachdruck darauf
aber den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 45
hinznwirken, daß das Reichsgesetz über dieMieteinignngsämter möglichst
bald herauskommt, dessen Grundsätzen man im allgemeinen zustimmen kann.
Redner geht dann weiter auf die Mietzinsregelung, Zwangswirtschaft der
gewerblichen Räume ein und betont die Notwendigkeit einer Förderung des
Wohnungsbaues. Er wendet sich gegen eine Sozialisierung des Woh¬
nungswesens und wünscht ein Reichsheimstättengesetz. Der Bau
neuer Mietskasernen ist tunlichst zu vermeiden, dagegen sind Siedlungen mit
Flachbau zu fördern. (Beifall bei den D. Demokr.)
Abg. Dr. Quaet «Faslern (D.-nat. V.-P.): Der Haushalt des Ministeriums
für Volkswoblfahrt stellt eine Plattform dar, auf der eigentlich in der Hebung
unserer Volkskraft und Volksgesnndbeit sämtliche Parteien sich finden sollten.
Unser deutsches Haus siebt sehr öde und ungewöhnlich aus; unter seinen
Bewohnern ist schwere Krankheit eingezogen und herrscht noch heute. Unser
Volk ist krank. Das sind die ungeheuren Nachwirkungen des Krieges,
körperlich und seelisch, die Nachwirkungen der Revolution und der Nach¬
kriegszeit. Vor allen Dingen sind auch in weitem Muße die Gehirne erkrankt.
Ungeheuer schwer iBt nun die Aufgabe der Gesundung, weil die gewaltige
Finanznot unseres Volkes hier die schwersten Hemmnisse in den Weg legt.
Wir müssen an der sittlichen Wiedergesundung unseres Volkes arbeiten und
von der natürlichen Volksgesnndbeit retten, was überhaupt noch zu retten ist.
In allererster Linie ist auf die Vorbeugungsmaßregeln Gewicht zu
legen. Die Hebung unserer Volksgesunlieit muß erreicht werden durch
Schaffung möglichst gesunder Lebensbedingungen, durch Erziehung und Er¬
tüchtigung unserer Jagend, durch die Förderung und Hebung der Ausbildung
der für die Volksgesnndbeit in erster Linie verantwortlichen Aerzte, Kranken¬
pfleger, Hebammen, Jngendfürsorger usw. und durch eine Ausgestaltung der
Fürsorge für die mit oder ohne ihre Schuld Verwahrlosten, Gebrechlichen
und gesundheitlich Benachteiligten. Wir müssen anerkennen, daß Minister.
Stegerwald das Beste gewollt und auch das Mögliche geleistet hat; wir
können daher nur wünschen, daß sein Nachfolger in denselben Bahnen zu wandeln
vermag. Was die Sittenpolizei anbetnfft, so sind wir auch der Ueberzeugnng,
daß eine Vermehrung der weiblichen Beamten in der Sittenpolizei
wünschenswert erseht int. — Die Zusammensetzung des Landesgesnudlieitsamts
sollte nach den Austübrungen des Herrn Ministerialdirektors Gottstein im
Ausschuß zur einen Hälfte aus Laien, zur anderen Hälfte aus Fachleuten be¬
stehen, wovon die eine Hälfte Nicht-Berliner sein sollten. Ganz stimmt dies
aber nicht; wir würden es lieber gesehen haben, wenn die Zusammensetzung
mehr zugunsten des Landes anstatt der Zentrale Berlin ausgefallen wäre.
Außerdem bedauern wir, daß im Landesgesundheitsamt nicht Persönlichkeiten
sind, die mit der Volksgesundheit in enger Beziehung stehen und auch Be¬
deutendes auf diesem Gebiete geleistet haben, nämlich Bürgermeister großer
8tädte, die wir vollkommen vermissen, dann auch Vertreter der Tierarznei¬
kunde und der Landwirtschaft. Wir sehen das als eine starke Benachteiligung
der Landwirtschaft an.
Was die Sozialisierung des Aerztestandes, der Heilberufe und der
damit zusammenhängenden Anstalten, der Apotheken usw. betrifft, so steht
meine Partei auf dem Standpunkt, daß wir uns gegen diese Sozialisierungs¬
anträge aassprechen müssen. Wir betrachten sie wie jede Art der Verstaat¬
lichung als eine Beschränkung der persönlichen Initiative. Außerdem verbietet
schon unsere Finanznot die Sozialisierung des Aerztestandes. Wir erkennen
die Notlage der Aerzte an, die durch die Erhöhung der Versicherungsbeiträge
entstanden ist und durch die Ausdehnung auf die Familienversichernng noch
größer werden wird. Der Aerztestand wird aber dann nur noch Großzügiges
und Vorbildliches wie bisher leisten können, wenn er ein freier Erwerbsstand
bleibt. Wir Aerzte machen uns übrigens keine großen Gedanken über die
Sozialisierungsversnche, weil wir wissen, daß gerade das Publikum es sein
wird, das sich diese Sozialisierung verbitten wird. Die Aerzte sträuben sich
aber in ihrer größten Mehrzahl gegen die Verleihung der Beamtenschaft, weil
sie in dieser Verleihung eine weitere Proletarisierung erblicken.
Ich möchte ein Wort für die Kreisärzte einlegen. Ihre Bedeutung ist
hier schon verschiedentlich hervorgehoben worden. Die Regierung hat seiner¬
zeit eine ganze Anzahl junger Militärärzte in die Versorgungsämter eingesteUt.
46
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
und zwar mit dem Titel „Regierungsmedizinalrat“, und hat sie in die Gruppe 11
gebracht. Die Kreisärzte befinden sich zum größten Teil, zu etwa zwei
Dritteln, immer noch in Gruppe 10. Seit langem ist es der Wunsch der Kreis¬
ärzte, in Gruppe 11 zu kommen und die Amtsbezeichnung „Regierungs¬
medizinalrat“ zu erhalten, nicht aber „Kreis-“ oder „Gewerbe-“ oder „Gerichts¬
medizinalrat“ zu heißen. In der letzteren Bezeichnung sehen sie mit Recht
eine Zurücksetzung. Es wäre sehr erwünscht, wenn die Regierung dazu
zurückkehren könnte, den Kreisärzten, wie es der einstimmigen Meinung der
Berufsorganisation entspricht, die ihnen zukommende Bezeichnung zu geben.
Ebenso wäre es erwünscht, wenn auch eiue Amtsbezeichnung, etwa als Re¬
gierungsrat, für die wissenschaftlichen Mitglieder der Landesanstalt für Wasser¬
hygiene und der staatlichen Nahrungsmitteluntersuchungsämter gefunden würde.
Nachdem Redner dann die Schaffung von mehr etatsmäßigen Stellen für
Volontärärzte, sowie die Gewährung von Beihilfen an die Friedrich¬
stadt-Klinik und das Oskar-Helenen-Heim in Dahlem befürwortet
hat, betont er die Notwendigkeit einer privaten Fürsorge, die Beispielloses
geleistet habe. Dahin gehört auch die Unterstützung der Lungenheil¬
stätte in Davos und Erhaltung der Diakonissenhäuser, die eben¬
falls in schwerer Not sind. Die Privatfürsorge ist auf vielen Gebieten bahn¬
brechend gewesen, so z. B. auf dem Gebiete der Krüppelfürsorge; die erste
Anstalt für Krüppelfürsorge Bischofswerder ist z. B. 1896 der privaten Für¬
sorge entsprungen. Die Diakonissen tun ihren Dienst nach altem preußischen
Muster, um der Sache willen; sie betrachten ihn als eine Art Gottesdienst,
nnd das sollen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unter¬
stützen. (Sehr richtig! rechts.) Sie fragen auch nicht danach, ob ihre Arbeits¬
zeit 12, 14, 16 oder 18 Stunden dauert, sondern leisten ihren Dienst, obwohl
die Angestellten mit achtstündiger Arbeitszeit weit besser bezahlt werden als
sie, die ihre ganze Arbeit aus PÜichtbewoßtsein leisten. (Lebhafter Beifall.) —
Auch die Volksheilstätten befinden sich in einer großen Not; ihr Ein¬
gehen würde jedenfalls eine schwere Gefahr für unsere Volksgesundheit bedeuten.
Die Aufhebung der ärztlichen Ehrengerichtsbarkeit bedeutet eine
nicht zu verantwortende Schädigung des Gemeinwohls und des Aerztestandes.
Durch das Ehrengericht sollen die Pflichten des Arztes, die ihm nicht das
B. Gesetzbuch vorschreibt, sondern die ihm nur durch das Standesbewußtsein
auferlegt werden, geschützt werden. Dazu gehört zum Beispiel bedingungslose
Hilfeleistung in Notfällen. Es gehört dazu das Vorgehen gegen unsittliches
Verhalten gegen weibliche Kranke, was das Bürgerliche Gesetzbuch nicht erfaßt,
gewissenloses Ausstellen von Attesten, die Erstattung mehrfach erforderter
Gutachten und die marktschreierische Anpreisung und Reklame der Arzt¬
tätigkeit. Meine Partei ist deshalb auch energisch gegen jede Abmilderung
dieser Abtreibungsparagraphen. (Bravo! rechts.)
Mit jeder Vermehrung der Fraueureferute sind wir einverstanden,
nicht aber mit einer Vereinigung der staatlichen Bäder unter das Wohl-
fuhrtsmlnisterium; die wirtschaftliche Gestaltung dieser Bäder wird zweifel¬
los bei der jetzigeu Anordnung besser herausgearbeitet und dem Volkswobl
mehr nutzbar gemacht.
Die Gefahr der Verbreitung der Tuberkulose und ihre Zunahme muß
anerkannt werden. Sie ist eine einfache Folge der englischen Krankheit oder
Hungerblockade. Die Steigerung der Seuchengefahr ist eine Folge des durch¬
aus im vollsten Umfange anzuerkennenden Wohnungselendes, durch das
natürlich die Ansteckungsgefahr in erheblichem Maße vergrößert wird. Wir
stehen durchaus auf dem Standpunkt, daß für die Bekämpfung der Tuberku¬
lose erheblich größere Mittel eingesetzt werden, als es beabsichtigt ist, nnd
wir stimmen mit dem Anträge der Frau Abgeordneten Christmann überein,
daß 5 Millionen in den Haushalt eingesetzt werden. Aber gerade auch hier¬
bei möchte ich betonen, daß wir die private Wohltätigkeit unter allen Um¬
ständen unterstützt zu wissen wünschen. Ein Antrag sieht die Meldepflicht
bei offener Tuberkulose vor. Das können wir begrüßen, wenn ich auch als
Arzt erklären muß, daß die Meldepflicht nicht eine Maßnahme darstellt, die
Sicherheit gewähren kann. Es ist aber ein kleiner Schritt auf dem Wege zur
Bekämpfung der Tuberkulose, der zu begrüßen ist.
Aber den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 47
Wir treten entschieden ein f&r Unterstützung des Reichsansschnsses
für Leibesübungen, wenden uns aber gegen jede Art der Sportbesteuerung,
wie dies schon ein Antrag Ritter hervorgehoben hat, und wie sie als Umsatz¬
steuer der Gemeinden mit vorgesehen ist. Wir stimmen durchaus und freudig
dem Antrag der Frau Abgeordneten Dönhoff zu: Ermäßigung der
Fahrpreise für kleinere Gesellschaften und für größere Entfernungen.
Desgleichen treten wir für die Schaffung eines Spielplatzgesetzes ein und
möchten, daß das gute Verhältnis, das bisher mit dem Verbände der Arbeiter¬
turn- und Sportvereine im Reichsbeirat für körperliche Erziehung besteht,
auch für die Zukunft bestehen bleibt.
Die Zunahme der Geschlechtskrankheiten ist ohne weiteres begründet.
Leider herrscht gegenüber den Geschlechtskrankheiten und ihrer Zunahme in
unserem Volke eine laxe Auffassung, die wir durch gründliche Aufklärung
bekämpfen müssen. Von der Meldepflicht und einem Attest, das bei der Ehe¬
schließung einzureichen ist, verspricht sich Redner als Arzt wenig oder gar
nichts. Eine Besserung ist hier nur dureh sittliche Erziehung des Volkes zu
erreichen. (Sehr richtig! rechts.) Die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs
ist ebenfalls hauptsächlich Sache der Erziehung. Wir sind entschieden für
genaue Prüfung der Konzessionen; wir stimmen anch dem zu, daß hier, wie
auf allen den anderen Gebieten, vor allen Dingen Aufklärungsarbeit geleistet
werden muß, und glauben deswegen, daß auch für Aerzte Kurse durchaus
angebracht sind, wie sie übrigens schon in weitgehendem Maße abgehalten
werden. Die Aerzte sind auf diesem Gebiete keineswegs unerfahren, sondern
stehen in dem Kampf gegen den Alkoholmißbrauch mit in erster Front;
(Und die Studierenden i) — auch die Studierenden. Die Korporationsstudenten
sind vom Alkobolgenuß abgekommen und arbeiten genau so ernst und pflicht¬
eifrig wie jeder andere im deutschen Volke an dem Wiederaufbau Deutsch¬
lands und wir haben ihnen viel zu verdanken! (Sehr richtig! und Bravo!
rechts.)
Was die Psychopathenfürsorge anlangt, so ist es ganz selbstverständlich,
daß die Psychopathen sich vermehrt haben; denn in allen revolutionären
Zeiten tanchen die Psychopathen auf und spielen eine Rolle! Das kommt ein¬
fach daher, weil sie gleichsam in einem Sumpf wie Sumpfblasen emporsteigen,
wenn der Morast aufgewühlt wird. (Sehr gut! und Heiterkeit rechts.) So
sehen wir auch jetzt die Psychopathen namentlich auf der linken Seite dieses
Hauses etwas stark und etwas hemmungslos zur Geltung kommen. (Große
Heiterkeit und Zurufe links und rechts.) Bei den Psychopathen ist eins be¬
sonders charakteristisch, nämlich ihre absolute Hemmungslosigkeit, und von
dieser Hemmungslosigkeit machen Sie ja (zur äußersten Linken) rücksichtslos
Gebrauch. Dadurch können wir uns auch die Erscheinungen kurz vor und
nach der Revolution und auch heute sehr wohl erklären. (Heiterkeit und Zu¬
rufe.) Wir sind daher sehr dafür, daß die Psychopathen der ärztlichen Unter¬
suchung und der ärztlichen Fürsorge unterstellt werden, damit sie in den für
sie nötigen Schranken gehalten werden können. Dazu gehören auch die Bil¬
dung und Unterstützung der Jfrreiihilfsvereine und die bedingte Schaffung
eines Irrengesetzes, das die Aufnahme der Kranken in die Anstalt, ihr Zurück-
behalten in ihr und ihre Entlassung aus ihr regelt, in erster Linie als
8chutz für die Kranken, in zweiter Linie aber auch als Schutz für die Aerzte
und das Pflegepersonal in den Anstalten, die in ihrer großen Mehrzahl den
dringenden Wunsch haben, daß ein solches Gesetz erlassen werden möge.
Das Vorhandensein einer Wohnungsnot muß anerkannt werden. Sie hat
ihren Grund zum Teil darin, daß nach dem Kriege außerordentlich viel ge¬
heiratet ist. Bei Behandlung der Wohnungsfrage handelt es sich aber
nicht nur um einen Schutz der Mieter, sondern auch um einen solchen
der Hausbesitzer. Schließlich legt Redner noch ein warmes Wort ein
für die Unterstützung der Friedensblinden, für die Unterstüizung und Er¬
haltung der Wohlfahrtsschulen und die Unterstützung der Kleinrentner und
Pensionäre, "deren Not zn lindern, keinenfalls einen Aufschub erleidet. Wir
müssen alle das Bestreben haben, zur Hebung unserer Volksgesundheit mit¬
zuhelfen, insbesondere die Aerzte, denen die Volksgesundheit in erster Linie
am Herzen liegt. Jetzt heißt es: alle Hände vereinigen, alle Mann an Bord,
keine Parteiungen, wo es gilt, das Volkswohl, die Volksgesundheit, unser
48
Dr. Bapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
wichtigstes Gut aufzurichten, (sehr gut! rechts) sondern Einmütigkeit in
diesem Punkte. Diese wichtige Aufgabe sollte über den Parteien stehen, und
dabei sollte für uns nur ein Gesichtspunkt maßgebend sein, nämlich, daß wir
alle Deutsche sind. (Bravo bei der D.-nat. V.-P.)
Abg. Frau Ege (Soz.-Dem.): Die letzten Ausführungen des Vorredners:
alle Mann an Bord — unterstütze ich; die rechte Seite hat aber früher nicht
danach gehandelt. Um so erfreulicher ist es, daß sie jetzt mithelfen will.
Der Herr Minister hat ganz recht, wenn er sagt, daß Wohlfahrtsaofgaben nur
unter einer einheitlichen Leitung gelöst werden können; eine solche einheit¬
liche Leitung haben wir aber im Wohlfahrtsministerium vermißt; wir haben
auch unter seinem Vorgänger nur schöne Worte gehört, aber keine Taten ge¬
sehen. Wir wünschen einen ganz neuen Aufbau des Haushalts, der
der gesamten öffentlichen, kommunalen und privaten Wohlfahrtspflege als Vor¬
bild dienen kann und dessen Schwerpunkt auf der vorbeugenden Fürsorge
beruht. Dafür müssen aber ganz andere Mittel als jetzt im Haushalt bereit-
S estellt werden. Wohlfahrtspflege und Woblfahrtsfürsorge ist Frauenarbeit;
ie Mitwirkung der Frau steht aber heute noch bei uns auf dem Papier. Nur
vereinzelt sitzen Frauen in den einzelnen Ministerien als Beferentinnen
Ebenso schweben sie in bezug auf Gebalt und Einreihung in den Beamten¬
apparat in der Luft, ln einem Ministerium sitzen unter einem Beamtenapparat
von fast 100 Männern ganze zwei Frauen; statt der einen dritten Frau, die
schon vor zwei Jahren bewilligt ist, sind vier Begierungs- und Oberregierungs¬
räte eingestellt, (hört, hört! links). Man sagt, wir Frauen arbeiten zu sehr
mit dem Herzen; Beduerin kann nur wünschen, daß die Beamten des Mini¬
sterium mehr mit dem Herzen bei ihrer Arbeit wären. (Sehr gut! bei den
Soz.-Dem ), dann würden wir auch in Preußen mehr Geld für einen gesunden
Mutterschutz und ein Hebanunengesetz haben. Für die Erhaltung der
Pferdezucht im Gestütetat sind neulich 33 1 /* Millionen eingesetzt; die Durch¬
führung des Hebammengesetzes würde nur 23 1 /* Millionen vom Staate bean¬
spruchen. Sollte denn wirklich der Wert des Tieres heute schon so weit
über dem des Menschen stehen? Das kann natürlich auch nur Vorkommen,
wenn nur Männer in einem Ministerium sitzen. (Große Heiterkeit.) Jedenfalls
ist es nötig, daß jetzt endlich an einen Mutter- und Säuglingsschutz gedacht
wird; die Fälle von Wochenbettfieber und die Kindersterblichkeit sind wieder
gestiegen; knappe Milchversorgung und hoher Milcbpreis tragen die Haupt¬
schuld an dieser großen Säuglingssterblichkeit. Dazu kommt die furchtbare
Wohnungsnot) die die Krankheiten fördert; insbesondere die Tuberkulose.
Wir sind der Meinung, daß 5 Millionen — und der Meinung waren alle Par¬
teien — nicht ausreichen können, um die ungeheure Krankheit zu lindern,
aber wir hoffen, daß die 5 Millionen gut und sicher angewandt werden.
Ebenso wichtig sind unsere Anträge, die die Erhaltung unserer Bäder als
Heilquellen für unsere Kranken haben wollen, während sie heute besonders
den wenigen Belchen, Schiebern und Wucherern znr Verfügung stehen. Wir
fordern auch, die Bäder unter ein Ministerium zu stellen; denn die gesamte
Gesundheitspflege gehört unter das Ministerium für Volkswohlfahrt.
Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten soll
im Beichsrat angenommen, aber derartig abgeändert sein, daß ihn die Väter
des Entwurfs nicht wiedererkennen. Die Schuld daran sollen besonders die
preußischen Mitglieder des Beichsrats tragen; wie Preußen überhaupt gegen¬
über den kommunalen Bestrebungen, durch Einrichtung von Pflegeämtern und
sozialen Maßnahmen den unerträglichen Prostitutionssumpf zu sanieren, voll¬
ständig versagt hat. — Die Forderung nach dem Reichsjugendwohlfahrts-
gesetz muß nach wie vor unsere erste Pflicht sein. Längst wäre dieses Gesetz
angenommen, wenn nicht immer wieder der Kompetenzstreit zwischen behörd¬
licher und privater Wohlfahrtspflege auch hier bei diesem Gesetz die Haupt¬
sache gewesen wäre. Wir können zwar nicht jegliche private Wohlfahrts¬
pflege beseitigen, wir müssen beute alle helfen, wir brauchen jede Pflege;
aber die private Wohlfahrtspflege muß sich unbedingt der behördlichen unter¬
ordnen. Alle Fürsorge und Wohlfahrtspflege bezweckt letzten Endes die Her¬
stellung der gleichstrebenden, kulturell hochstehenden und brüderlichen Volks¬
gemeinschaft. Möge der neue Aufbau im neuen Wohlfahrtsministerium die
Pflege des Gemeinschaftsgedankens und der Gemeinschaftsarbeit fester ver-
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 49
askern nnd aus ihm ein wirkliches Volkshaus schaffen. (Lebhafter Beifall bei
den 8oz.-Dem.)
Abg. Frau Poehlmann, (D. V.-P.): dankt zunächst dem ausgeschiedenen
Minister Stegerwald für alles das, was er aus dem im Anfangsstadium
befindlichen Ministerium gemacht hat, und dehnt diesen Dank auf die Bäte des
Ministeriums aus; denn im Gegensatz zu anderen Seiten dieses
Hauses haben meine Freunde gefunden, daß die Bäte dieses
Ministeriums nicht die Petrefakten und die antediluvia-
nischen Erscheinungen sind, als die sie hier bezeichnet sind,
sondern daß in diesem Ministerium mit Einsicht und Wohl*
wollen die Aufgaben verfolgt worden sind, die gestellt waren.
Wir würden glücklich sein, wenn das vom jetzigen Herrn Wohlfahrtsminister
entworfene Programm durchgeföhrt wird; bei der jammervollen Finanzlage
unseres Staates wird es aber kaum möglich sein. In den Ausschußberatungen
ist ganz besonders von der äußersten Linken gegen die freie Liebestätigkeit
der Vorwurf gemacht, sie habe gar kein anderes Ziel gehabt, als die Massen
niederzuhalten, die Massen zu verdummen und ihre eigenen Zwecke zu verfolgen.
Dem muß an dieser Stelle ganz energisch widersprochen werden. Die Opfer-
wiiligkeit der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien mag in
mancher Hinsicht größer als die anderer Parteien sein, aber diese außerordent¬
lich großen Opfer dienen ausschließlich Parteizwecken und nicht der Allgemein¬
heit. (Widerspruch links). Wir haben also eine andere Auffassung
von dieser privaten Liebestätigkeit, deren unzählige Einrichtungen und
Veranstaltungen geschützt und unterstüzt werden müssen. Die Mittel für ihre
Tätigkeit müssen durch staatliche und kommunale Zuschüsse, sowie durch
Sammlungen, aber nicht durch Wohlfahrtsfeste usw. aufgebracht werden.
Die freie Gestaltung ihrer Tätigkeit muß aber erhalten und nicht unter staat¬
liche Kontrolle gestellt werden. Zu den Aufgaben des Wohlfahrtsministeri-
ums gehört auch die Hebung der Sittlichkeit unseres Volkes und die
Bekämpfung der Schäden, die ihr drohen; denn wenn wir die sittlichen Kräfte
im Menschen nicht zu Hilfe nehmen, wird mit den rein sanitären Maßnahmen
sehr wenig genutzt werden. (Zustimmung rechts). Unsere Jugend hat glück¬
licherweise vielfach schon selbst die Beinigung der schwülen, das Sexualleben
zu sehr betonenden Atmosphäre in die Hand genommen. Ihre Bestrebungen, ein
reineres, sittlicheres Leben, eine reinere Auffassung vom Sexualleben sich zu
erringen, werden hoffentlich wirksam sein: denn nichts kann die Verbreitung
der Geschlechtskrankheiten mehr fördern als die Schaffang einer solchen
Atmosphäre, die zu dem verantwortungslosen und wahllosen Geschlechtsverkehr
aufreizt und geneigt macht. Um der Bekämpfung der überhandnehmenden
Geschlechtskrankheiten, die sich auch auf die ländliche Bevölkerung und in
erschreckendem Maße auf die Frauen erstrecken, sollten alle mitarbeiten, ohne
Unterschied der Partei. Ob dazu mit der Anzeigepflicht für alle
Geschlechtskranken .bezw. der Ausstellung eines Ebezeugnisses
bedarf, sind zwei noch umstrittene, schwer zu entscheidende Fragen, nament¬
lich wird die Beschaffung eines Ehezeugnisses bei weiblichen Personen auf
große Schwierigkeiten stoßen Vor allem ist zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten eine Stärkung des moralischen Verantwortungsgefühls erforderlich.
Dasselbe gilt betreffs der Ueberhandnahme des Alkoholgenusses. Totale
Abstinenz für unser ganzes Volk zu fordern, geht zu weit; aber weite Kreise
werden für Unterstützung der Mäßigkeitsbestrebungen sein. Man soll nicht
damit zufrieden sein, aus dem Alkoholmißbrauch ungeheure Steuern herauszu¬
holen, sondern es müssen auch andere Wege gefunden werden, um den Alko¬
holmißbrauch zu bekämpfen. Vor allem ist eine recht strenge Prüfung der
Bedürfnisfrage bei Genehmigungen von neuen Kneipen, Bars, Likörstuben usw.
nötig. Wir billigen auch, daß zur Bekämpfung der Tuberkulose alle Ma߬
nahmen getroffen werden, um ihr entgegeuzuarbeiten, namentlich sollten reich¬
liche Mittel dazu gegeben werden. Eng verbunden damit ist auch die Ver¬
pflichtung zur Förderung der Mütter- und Säuglingsfürsorge. Diese Fürsorge
muß auf jede Weise gründlich betrieben und ständig erweitert werden. Den
Anträgen, die dahin zielen, werden wir zustimmeu. — Zur Stellung und Amts¬
bezeichnung der Medizinalbeamten, ihrer Einstufung in die Gehaltsklassen
und den damit zusammenhängenden Fragen will ich nicht näher eingehen, da
50
Dr. Rapmund: Die Beratung dea Preußischen Landtages
in den nächsten Tagen die Abordnung der Medizinalbeamten im Ministerium
empfangen und die beste Gelegenheit haben wird, selbst ihre Wünsche vorzu¬
tragen. Ich möchte nur das eine hervorheben, daß die Beamten den Titel
„Kreismedizinalrat" nicht zu führen wünschen, weil sonst keine andere
Beamtengruppe das Wort „Kreis" in ihrer Amtsbezeichnung hat. Das trifft aller¬
dings in einem Falle nicht zu; denn auch die Kreisschulräte haben nach wie vor
die Bezeichnung „Kreis" vor ihrer Amtsbezeichnung. Es ist za hoffen, daß in den
Verbandlnngen, die im Wohlfabrtsmiuisterium in den nächsten Tagen stattfindeu
sollen, den Wünschen der Medizinalbeamten Rechnung getragen wird.
Die Aufhebung der ärztlichen Ehrengerichte lehnen meine politischen
Freunde ab, ebenso die Sozialisierung aller Bäder und ihre Unterstellung
unter das Woblfahrtsministerium. Für die Gesundang unseres Volkes ist die
richtige Beeinflussung unserer Jugend ein allererstes und allerwichtigstes
Erfordernis. Deshalb wünschen wir, daß die gesamte Jugendpflege dem
Ministerium für Volkswohlfahrt unterstellt werde. Wir wünschen auch, daß
ein Dienstjabr für die gesamte weibliche und männliche Jugend eingeführt
werde. Die Mitarbeit der Frau in der Wohlfahrtspflege hallen auch wir für
unbedingt erforderlich und die Einstellung einer dritten Refe rentin im
Ministerium für nötig. Auch in den Bezirken sollen die Fürsorgerinnen ver¬
mehrt werden, aber wir sehen wohl ein, daß vorläufig unmöglich einem Antrag
von der linken Seite gemäß alle Stellen von Bezirksfürsorgerinnen in
Dezernentenstellen umgewandelt werden können, weil die dazu erforderliche
Vorbildung nicht überall bei den jetzigen Fürsorgerinnen vorhanden ist.
Wünschenswert ist, daß viele Jugendfürsorgerinnen aus dem Ar¬
beiterstande hervorgehen, da die Bekanntschaft und das Verwachsensein
mit den Verhältnissen der Kreise unseres Volkes, denen die Jugendfürsorge
und -pflege am meisten zugute kommt, sehr wichtig ist. Nachdem Rednerin
noch auf die Not der Kleinrentner aller Schichten eiDgegangen und dabei
die Schaffung von Kleinrentnerheimen empfohlen bat, weist sie auf die
Notwendigkeit einer ausgedehnten Fürsorge für die Friedensblinden und der
Kriegsbeschädigten aller Art hin. Sie schließt dann mit den Wünschen, daß
dem Landtag recht bald ein brauchbares Hebammengesetz vorgelegt werde,
bei dem die Hebammentätigkeit als freie Berufstätigkeit neben der beamteten
Tätigkeit bestehen bleibt, und spricht die Bitte aus, daß der Etat des
Ministeriums für Volkswoblfahrt übersichtlicher auf gestellt
werden möge als bisher. Das Wohlfahrtsministerium muß in immer stärkerem
Maße ein Ministerium werden, das wirklich für die Wohlfahrt des Volkes,
für die Schwachen und die wirtschaftlich Unterliegenden Sorge trägt;
denn wenn es so aasgestaltet und ausgestattet wird mit finanziellen
Mitteln, wie es notwendig ist, dann kann es zweifellos mit dazu helfen, unserem
Volke einen Aufstieg zu weisen aus der Schwere der jetzigen Zeit. (Sehr gut!
und Bravo! rechts).
Abg. Frau Arendsee (Komm.): Volkswohlfahrt und Kapitalismus
sind zwei Dinge, die sich gegenseitig völlig ausscbließen. Die kapitalistische
Gesellschaft kennt nicht das gesamte Volksinteresse, das Volkswobl, sondern
es kennt nur die Erfüllung ihrer Profitinteressen (Widerspruch). Wenn der
Herr Minister den Ursachen der Krankheiten naebgehen und die Quellen ver¬
stopfen will, so wird er mit uns überhaupt für die Beseitigung der kapi¬
talistischen Gesellschaft kämpfen; denn darin liegen die Ursachen. Die in dem
Haushalt eingestellten Summen für Volksgesundbeit sind viel zu gering; außer¬
dem wird ein sehr erheblicher Teil der Mittel für private Woblfabriseinrich-
tungeo, besonders aber zur Unterstützung von kirchlichen Wohliätigkeitsein-
richtungen verwandt. Wir wenden uns grundsätzlich gegen diese Art der
Wohltätigkeit; wir verlangen von der Gesellschaft, daß sie die Schäden, die
sie verursacht, auch heilt. Sie ist dazu verpflichtet. Die Opfer der heutigen
Gesellschaft haben einen Anspruch auf Hilfe und Schutz des Staates und müssen
auf Wohltätigkeit verzichten. Was bisher getan worden ist, ist nur mit
Rücksicht auf das Drängen der revolutionären Arbeiterpartei geschehen.
Immer mußten erst furchtbare Erscheinungen zutage treten, ehe gesetzmäßig
etaigegriffen worden ist. Han braucht ja nur auf die Kinderarbeit hinzuweisen.
Erst, als nicht mehr die genügende Anzahl Soldaten gestellt werden konnte,
hat man gesetzliche Maßnahmen getroffen, um die Kinder vor furchtbarer
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums Ihr Volkswohlfahrt. 51
Ausbeutung zu schützen. Der vorliegende Haushalt ist so außerordentlich
dürftig, daß er auf jeden Freund der Volkswohlfahrt einen niederschmetternden
Eindruck macht. Herr Ministerialdirektor Dr. Gottstein hat selbst im
Ausschuß erklärt, wenn nicht rechtzeitig Maßnahmen getroffen werden, werde
man in 15 bis 20 Jahren eine starke Welle dei Tuberknlosesterblichkeit
erleben. Unsere Fraktion hat eine ganze Beihe Anträge gestellt, die gewiß
große Summen erfordern; wir halten aber diese Summen für notwendig ange¬
sichts des großen Elends. Vor allen Dingen haben wir einen grundsätzlichen
Antrag eingebracht, der eine völlige Neugestaltung des Gesundheitswesens
auf reichsgesetzlicher Grundlage vorsieht. Die Hauptaufgabe auf dem Gebiet
der Gesundheitsfürsorge liegt in den Händen der sozialen Versicherung,
die aber ebenso zersplittert ist, wie das Erankenkassenwesen. Eine
Vereinheitlichung ist hier dringendes Bedürfnis. Unser Antrag fordert
deshalb, daß das ganze Gesundheitswesen und alle dazu gehörigen Einrichtun-
ges in Selbstverwaltungskörper zusammengefaßt werden: die private Wohl¬
tätigkeit, die soziale Gesetzgebung und die Einrichtungen der Gemeinden.
Nur durch Schaffung dieser Verwaltungskörper wird die Mitarbeit, der Kreise
gesichert, die ein Interesse an diesen Einrichtungen haben. Wir fordern auch
die Ausdehnung auf alle Volksangehörigen. Nur auf diesem Wege
wird es möglich sein, den Gesundheitszustand des Volkes ständig zu über¬
wachen und durch vorbeugende Maßnahmen gleichzeitig eine Vereinfachung
der Seuchenbekämpfung herbeizuführen. Weiter wird auch die ärzt¬
liche Behandlung keine gewinnbringende Beschäftigung mehr darstellen,
wenn die Aerzte, Hebammen und Apotheker Angestellte sein werden.
Ebenso fordern wir die Uebernahme der Heilanstalten, Pflege- und
Erholungsstätten auf die Selbstverwaltungskörper, die Her¬
stellung von Heil- und Pflegemitteln in eigener Begie usw. Alles,
was zum Gesundheitswesen gehört, muß zusammengefaßt werden. Wir fordern
diese Begelung natürlich aui reichsgesetzlicher Grundlage; können aber nicht
warten, bis eine derartige Begelung durchgeführt ist, sondern verlangen, daß
schon jetzt der Preußische Staat in diesem Sinne vorbant und auch entsprechende
Einrichtungen schafft. Vom Mutterleibe an muß die Fürsorge für den Menschen
eingreifen. Die Abtreibungsparagraphen haben nicht dazu geführt, daß die
Abtreibungen cingedämmt worden sind, sondern daß große Scharen von Frauen
in die Hände von Kurpfuschern getrieben worden sind und sich dadurch
gesundheitlich ruiniert haben. Gerade die Verantwortung führt die Mütter
dazu, Abtreibungen vorzunehmen, nicht der Hang zum Leichtsinn, sondern die
Notwendigkeit des Lebens. Wenn wir also die Aufhebung der §§ 218 und 219
fordern, so wollen wir nicht damit dem Kurpfuschertum freie Bahn geben,
sondern gerade das Gegenteil. Wir verlangen, daß solche Operationen kostenlos
nur in Anstalten oder durch besonders beauftragte Aerzte vorgenommen
werden. Wir fordern weiterhin die Schwangeren- und Wöchnerinnen Unter¬
stützung 8 Wochen vor und nach der Entbindung, damit die Frau sich schonen
kann, und wir fordern Errichtung und Unterhaitug von Schwan¬
geren- und Wöchnerinnenheimen, weil der jetzige Zustand nicht mehr
zn ertragen ist, daß die Frauen in den 76 Entbindungsanstalten, die in ganz
Preußen bestehen, auf Stühlen kampieren müssen. Wenn wir weiter die obli¬
gatorische SäugiingsfÜrsorge, die Errichtung von Stillkrippen fordern, und
damit die Summe im Haushalt auf 30 Millionen Mark erhöht wissen wollen,
so ist gerade in der jetzigen Zeit der Milchknappheit und -teuerung diese
Forderung am Platze. Die Gemeinden müssen Mittel erhalten, um derartige
Einrichtungen zu treffen. Stillende Mütter müssen für die Dauer der Still¬
fähigkeit einen Zuschuß in halber Höbe des Tagelobns erhalten, denn von
100 Brustkindern starben in Berlin nur 7,36 %, von 100 Flaschenkindern dagegen
21,98°/o. — Zar Bekämpfang der Tuberkulose muß der Staat mehr Mittel zur
Verfügung stellen, damit alle bestehenden Einrichtungen unterhalten und aus¬
gebaut werden können. Dasselbe gilt betreffs der Bekämpfnug der Geschlechts¬
krankheiten, damit alle geschlechtskranken Personen in Zwaugsbehandlung ge¬
nommen werden können, also nicht nur Frauen.
Nachdem Bednerin noch gegenüber der jetzigen Fürsorgeerziehung
allerband Beschwerden und Vorwürfe erhoben hat, fordert sie die Arbeiter auf,
den;Kampf zur Lösung der gewaltigen Aufgaben des Aufbaues aufzunehmen.
52
Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages
Nur so werde es möglich sein, das Proletariat vor dem Untergang zu retten.
(Bravo! bei den Komm.)
Minister für Volkswohlfahrt Hirtsiefer dankt den Vertretern der ver¬
schiedenen Parteien für die große Anzahl von Anregungen, die insbesondere
gerade dem Volkswohlfahrtsministerinm für sein späteres Wirken gegeben
worden sind. Wir werden diese Anregungen selbstredend sehr eingehend
prüfen und versuchen, davon zu berücksichtigen, was irgendwie möglich ist.
Es ist naturgemäß, daß die Beurteilung des Wirkens des Wohlfahrtsministeriums
verschieden ist je nach der Parteistellung derjenigen, die die Beurteilung Vor¬
bringen. Was der eine lobte, tadelte der andere und umgekehrt, und es wird
vorläufig noch so bleiben; daran werden wir nicht viel ändern können. Es
wird auch hier gelten:
Recht zu machen jedermann,
Ist eine Kunst, die niemand kann!
Nachdem Bedner dann auf einige hier nicht interessierende und vorher
erörterte Personalfragen seines Ministeriums geantwortet bat, bemerkt er zu
dem von verschiedenen Seiten berührten Hebammengesetz, daß bereits
Anfang Februar dieses Jahres im Wohlfahrtsminislerium eine Beratung über
die Grundzüge des neuen Entwurfs stattgefunden hat, an der außer Vertretern
der Aerzte, der Krankenkassen und der beteiligten Kommunalverbände auch
Vertreterinnen der Hebammenschaft teilgenommen haben. Noch im letzten
Ministerium ist beschlossen worden, den Einwendungen, die vom Staatsrat er¬
hoben worden sind, nicht stattzugeben. Die Vorlage wird deshalb, sowie sie
ausgearbeitet worden ist, dem Landtage sobald als möglich zugehen.
Die Ausschüttung des Fonds von 1 Million zur Bekämpfung der
Tuberkulose hat sich verzögert, einmal wegen der außerordentlich späten
Bewilligung des Haushalts für 1920 und dann wegen der Ausarbeitung von
Bichtlinien für die Verteilung des Fonds zwischen dem Wohlfabrtsministerium
und Finanzministerium. Die gesamte vorhandene Summe wird aber voraus¬
sichtlich am Ende des Etatsjahres verausgabt sein. Verhandlungen zur Ab¬
änderung der Richtlinien, der Vereinfachung und Beschleunigung des Be¬
willigungsverfahrens sind eingeleitet und werden bald abgeschlossen sein.
Gegenüber dem Herrn Abg. Dr. Weyl möcbte ich doch bitten, nicht die
einzelnen Referenten hier im Plenum anzugreifen. Nicht meine Mitarbeiter
sind hier zur Verantwortung beranzuziehen, sondern der Minister selbst. In
allen wichtigen Fragen ist die Stellung des Ministers entscheidend. Deswegen
hat er auch hier die Verantwortung zu tragen. (Zuruf von den Unabhängigen
und Kommunisten.) — Ich kann auch nicht zugeben, daß das Programm, das
der Minister Stegerwald bei seinem Amtsantritt entwickelt hat, nicht durch¬
geführt worden ist und nur Kleinigkeiten gemacht worden seien. Minister
Stegerwald hat im Gegenteil von seinem Programm außerordentlich viel
durebgeführt; die Verhältnisse sind aber oft stärker als die Menschen. Ich
hoffe, daß bei der Beratung und auch bei der Arbeit auf dem Gebiete der
Volkswoblfabrtspflege, soweit es überhaupt möglich ist, die ganze Arbeit dem
Parteigetriebe möglichst entzogen wird, daß wir möglichst gemeinsam arbeiten
gerade auf diesem so außerordentlich wichtigen Gebiete für den Wiederaufbau
unseres Volkes, damit wir alle unser Teil zu dem Wiederaufbau desselben
beitragen. (Bravo!)
Abg. Frau Cbristmann (U. S. D.) wendet sich gegen die Anwendung der
Prügelstrafen in den Erziehungsanstalten unter Mitteilung verschiedener
derartiger Fälle und verlangt, schleunige Beseitigung derartiger Mißstände
sowie Schaffung von Fürsorgeämtern, damit die einmal gefallenen oder sittlich
gefährdeten Mäidchen nicht der Sittenpolizei ausgeliefert, sondern den Pflege¬
ämtern, in denen sie der Fürsorge einer liebevollen, verstehenden Frau unter¬
stellt werden. Sie befürwortet weiterhin den Antrag auf Einstellung von
100000 M. behufs Lieferung von Prothesen an verkrüppelte Kinder, die
sonst keine Unterstützungsberechtigung haben, sowie einen Antrag, wonach
in allen weiblichen Fortbildungsschulen Unterricht ln Haushaltskunde, Säug¬
lings- und Klelukinderpflege erteilt werden soll. In diesem Unterricht müßten
auch die Hausangestellten einbegriffen sein. Nachdem sie dann betont hat,
daß sich die Frauen aus dem Arbeiterstande sehr gut zu Fürsorge¬
rinnen eigneten, da sie das Herz auf dem richtigen Fleck haben, spricht sie
über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 68
sich schließlich für die Aufhebung des § 218 ans, der eine ungeheure soziale
Ungerechtigkeit sei. (Lebhaftes Bravo, links).
Abg. Frau Dönhoff (D. Dem.): Die von der Vorrednerin mitgeteilten
Fälle von körperlichen Züchtigungen in den Fürsorgeanstalten
sind sehr bedauerlich und bedürfen der Untersuchung; man darf aber aus ihnen
keine allgemein gültigen Rückschlüsse auf die Zustände in den Anstalten
machen. Den starken Bedrohungen der Volkswohlfahrt gerade in der Jetztzeit,
die als Folgen des Krieges uns so hart bedrängen, können wir nur begegnen,
wenn jeder einzelne sich an seine Aufgabe und Pflicht erinnert und diese soziale
GesioDung auch betätigt. Wir müssen deshalb unser Volk zu einem energischen
Selbstschutz und letzten Endes zu einer Betätigung des elementarsten Instinktes
aufrnfen, der in jedem einzelnen leben sollte: des Instinktes der Selbsterhaltung,
der zur Erhaltung der Gesamtheit wach gehalten werden muß. Hier darf aber
die freie Betätigung nicht unterbunden werden. Wir erklären uns ausdrück¬
lich gegen eine Verstaatlichung und gegen eine zu weitgehende Bürokrati¬
sierung der Wohlfahrtspflege. (Sehr richtig! bei den D. Demokraten.)
Rednerin betont weiter die Notwendigkeit der Mitarbeit der Frauen auf dem
Gebiete der Wohlfahrtspflege und fordert deshalb eine allmähliche Vermehrung
der Frauenreferate bei den Bezirksregierungen, damit vollwertige Bewerbe¬
rinnen für diese Posten heranwachsen können. Sie verlangt ferner die Be¬
schleunigung der Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten, das für die Frauen um so wichtiger ist, als es sich
hierbei nicht nur um ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
handelt, sondern nm ein Gesetz zur Bekämpfung der sexuellen Verantwortungs¬
losigkeit. unter der unser Volk, unter der die Gesundheit und die Sittlichkeit
unseres Volkes so ungeheuer großen Schaden leiden. Sie weist weiterhin auf
die Schäden des Alkoholismns hin und bedauert, daß der Energie der Be¬
hörden bei der Bekämpfung dieser Schäden enge Grenzen gezogen sind durch
die Einnahmen, die ihnen aus dem Alkoholkapital zufließen. Wir müssen
deshalb um so mehr darauf bedacht sein, das Gewissen des Volkes zu wecken
und alle für die Volk*woblfahrt und die Volkssittlichkeit sich wirklich verant¬
wortlich Fühlenden anzuregen, an dieser schweren Aufgabe der Bekämpfung
der Alkoholschäden mitzuarbeiten. Eine erfreuliche Kampftrnppe gegen den
Alkoholismus haben wir in der Gestalt der modernen Jugendbewegung, die Ernst
macht mit der Verneinung, mit dem Sicb-Abwenden von dem, was als trügerische
Verschönerung des Lebens von ihr anerkannt ist, und die mit ganzem Ernst
sucht und strebt nach den wahren Quellen zur Bereicherung des inneren
Lebens. (Sehr gut!) Deshalb ist die Errichtung von Jugendherbergen
nur mit allen Mitteln zu unterstützen.
Nachdem Rednerin dann auch die Anträge auf Bewilligung höherer Beihilfen
zur Unterstützung der Friedensblinden- und Krüppel-Fürsorge sowie die Er¬
richtung von Heimen für Kleinrentner warm befürwortet hat, Wendet sie
sich gegen den Antrag, der ein obligatorisches Gesundheitszeugnis für die Ehe-
Schließung fordert. Nach ihrer Ansicht muß zunächst einmal Material ge¬
sammelt werden, um auf der Grundlage einer eingebenden Information darüber
schlüssig werden zu können. Wenn die jetzige Handhabung des Abtreibungs¬
paragraphen des Str. G. B. vielleicht auch soziale Ungerechtigkeiten mit sich
bringt; so sei zweifelhaft, ob diese durch eine Aufhebung des § 218 beseitigt
werden und anderseits nicht ein Schutz der Frau preisgegeben und einer Ver¬
antwortungslosigkeit Vorschub geleistet wird, die eine sittliche Gefahr be¬
deutet. Rednerin schließt mit dem Wunsch, daß das starke Gefühl von
Arbeitsfreudigkeit und Hilfsbereitschaft, das in der Etatberatung laut wurde,
gegenüber den sozialen Nöten unserer Zeit sich umsetzen möge in lebendige
Taten und Handlungen.
Es folgen noch die Reden des Ministerialdirektors Dr. Conze, des
Abg. Ladendorf (Wirtsch. P.) und des Staatssekretärs Scheidt, die aber
ausschließlich Wohnungsfragen ohne gesundheitliches Interesse berühren und
deshalb hier unberücksichtigt bleiben können.
Die Abstimmung über die zahlreich gestellten Anträge (79; s. Nr. 22,
Jahrg. 1921 dieser Zeitschrift, S. 371) erfolgte in der 8itzung vom 6. De¬
zember v. J. Hierbei wurden die zum Haushalt selbst gestellten Anträge
des Hauptausschu8ses unter Ablehnung sämtlicher von den Kommunisten und
64
Tagesn aebricbten.
Unabhängigen Sozialdemokraten weitergehenden Anträge angenommen. Danach
werden die danernden Ansgaben für die Forderung der Pflege schul¬
entlassener Jagend von 6 auf 10 Millionen, die Beihilfen für Klein¬
kinderschutz, Kinderhorte und Kinderheime Ton 3000 auf 100000
Mark, die Ausgaben für Frauen re ferate Ton 325000 auf 500000 M., die
einmaligen Ausgaben zur Bekämpfung der Tuberkulose ron 1 auf
5 Millionen Mark, für Förderung der Jugend Wohlfahrt von 600000 M. und für
Ansbildungszwecke von Fürsorgerinnen yon .200000 auf 500000 M. erhöht.
Außerdem werden gemäß einem sozialdemokratischen Anträge 600 000 M. zur
Unterstützung und Errichtung von Pflegeämtern und Fürsorgestellen
für sittlich und sozial gefährdete Personen, insbesondere in leistungsschwachen
Kommunalverbänden eingestellt. Auch die weiteren vom Hauptausschusse ge¬
stellten Anträge und beantragten Entschließungen gelangten durchweg un¬
verändert zur Annahme. Yon dem Aasschußantrage, „dahin zu wirken, daf
bei der Sittenpolizei sowohl in bezug auf ihre Organisation, wie ihr
Tätigkeit den sozialpflegerischen Grandsätzen mehr Rechnung getragen wild,*
wurde dagegen der Satz: „Dies bedingt vor allem eine Vermehrung der weib¬
lichen Polizeibeamtinnen innerhalb der Sittenpolizei, die schleunigst in die
Wege geleistet ist," gestrichen. Zu dem Ausschußantrage, „bei der Reichs¬
regierung dahin vorstellig zu werden, daß im Interesse der Ertüchtigung
der Jagend volkstümliches turnen und Sportgerät nicht mit Luxassteuer
belegt wird", wurde anf Vorschlag des Abg. Dr. Quaet-Faslem (D. Nat.)
der Zasatz angenommen: „Das Staatsministerium möge auf dieReichsregieruug
in dem Sinne einwirken, daß alles Erforderliche geschehe, um die körperliche
Kräftigung und Ertüchtigung unserer Jagend beiderlei Geschlechts zur Hebung
der gesunkenen Volksgesundheit za erreichen." Zur Annahme gelangte auch
die vom Anschuß vorgeschlagene Entschließung, in eine genaue Prüfung
der Forderung eines Gesundheitsattestes vor der Eheschließung ein¬
zutreten, nachdem vorher der Antrag Braun (Soz.), die Beibringung einen
ärztlichen Gesundheitsattestes zur Eingehung der Ehe den Nupturienten vor¬
zuschreiben, abgelehnt war.
Die Anträge der äußersten Linken und der Unabhängigen Sozialisten
auf 8ozialisierung der ärztlichen Heiltätigkeit und auf Be¬
seitigung der ärztlichen Ehrengerichte wurden abgelehnt, da¬
gegen der Antrag Braun (Soz.), „das Staatsministerium zu ersuchen, daß
die staatlichen Bäder als die wertvollsten natürlichen dem Volke ge¬
hörenden Heilschätze einheitlich nach vorwiegend der Gesundheit der
erkrankten Volksgenossen dienenden Gesichtspunkten verwaltet und dem Volks¬
wohlfahrtsministerium unterstellt werden", angenommen; desgleichen ein Antrag
der Deutschen Volkspartei, der die Regierung um Maßnahmen zur Minderung
der Not der nicht versicherten Kleinrentner ersucht. Dem Bevölke¬
rungsausschuß wurden zur weiteren Beratung die von der linken Seite ge¬
stellten Anträge über Tnberkerkulosebekämpfung, Errichtung
von Schwangeren-, Wöchnerinnen-undMütterheimen überwiesen.
Tagesnachrichten.
Verhandlung des Ministeriums für Volkswirtschaft mit dem Vorstand
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. Auf den Antrag des Vorstandes
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins vom 18. Dezember 1921, betreffend
Anerkennung des auf der Vertreter Versammlung gewählten Ausschusses
als Vertretung des Vereins im Sinne der Bestimmungen über Bildung und Auf¬
gaben der Beamtenausschüsse vom 24. März 1919, hat der Herr Minister unter
dem 12. Januar folgenden Bescheid gegeben:
„Als Beamtenausschuß im Sinne der Bestimmungen über die Bildung
und Aufgaben der Beamtenausschüsse vom 24. März 1919 — Reichs- und Staats-
anzeiger, 1919, Nr. 71 — vermag ich den vom Preußischen Medizinalbeamten¬
verein gewählten Ausschuß nicht anzuerkennen, erkläre mich aber bereit, mit
dem Vorstand des Vereins über wichtige Fragen der Medizinal Verwaltung in
Verhandlungen einzutreten.
Die erste Verhandlung mit meinen Beauftragten, Ministerialdirektor
Prot Dr. Gottstein und Ministerialrat Wirkt. Geh. Ob.-Medizinalrat Prof.
Tagesnachrichten.
56
Dr. Dietrich habe ich aaf Sonnabend, den 21. Januar 1922, yor-
mittags 10 Uhr, im Zimmer 90 meines Ministeriums, Leipzigerstraße 3 (ehe¬
maliges Herrenhaus) mit nachstehender Tagesordnung angesetzt:
1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Regierungs-
nnd Medizinalräte sowie der Kreismedizinalräte);
2. Gesetz, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten; Ablieferungspflicht;
3. Gebührenordnung für Aerzte and Zahnärzte;
4. Dienstenweisnng für die Kreisärzte.
Ich ersuche ergebenst, die Mitglieder des Vorstandes za dieser Be¬
sprechung in meinem Namen einznladen. Gleichzeitig stelle ich anheim, auch
die dem Vorstande nicht angehörenden Mitglieder des Ansschusses, Kreis-
Medizinalräte Dr. Manthey und Med.-Bat Dr. Saudhop, zu dieser Be¬
sprechung hinzuznziehen. Den Teilnehmern an dieser Verhandlung stelle ich
Reisekosten und Tagegelder in Aussicht und bitte, mir die Namen der Teil¬
nehmer demnächst mitzuteilen."
Wenn auch der Herr Minister vorläufig den vom Vertretertag gewählten
Ausschuß nicht als solchen anerkannt hat, so ist es doch sehr erfreulich, daß
er dem Antrag des Vereins entgegengekommen ist und einen Ausweg gefunden
bat, auf dem schließlich dasselbe Ziel erreicht wird.
Ungültigkeit des Zwangspensionierungsgesetzes. Nach dem das
Berliner Landgericht und Kammergericht das Zwangspensionierungsgesetz als
nicht anwendbar gegenüber den Richtern erklärt haben, haben inzwischen noch
das Landgericht in Potsdam (durch Urteil vom 12. 7. 1921) zugunsten
einiger Oberverwaltungsgerichtsräte, das Landgericht zu Elberfeld
(durch Urteil vom 24. 10. 1921) zugunsten der städtischen Zwangspensionäre
im Wuppertale und vor kurzem auch das Landgericht I in Berlin zu¬
gunsten zwangspensionierter Lehrer entschieden. Hoffentlich läßt die Ent¬
scheidung des Beich8gericbts, das jetzt als letzte Instanz in dieser An¬
gelegenheit zu entscheiden hat, nicht mehr lange auf sich warten and fällt
ebenfalls zugunsten der Zwangspensionierten aus.
Nachruf. Am 9. Januar d. J. ist der Geh. Med.-Rat Dr. Wilhelm Sander
in Berlin in dem hohen Alter von 84 Jahren gestorben. Der Preußische
Medizinalbeamten-Verein verliert in ihm einen seiner Mitbegründer, der
seinen Bestrebungen stets das größte Interesse entgegengebracht hat und vor
allem im Jahre 1888 die Zeitchrift für Medizinalbeamte mit be¬
gründet und bis zum Jahre 1898 mit herausgegeben hat. Noch größere Ver¬
dienste hat sich der Verstorbene aber in seiner langjährigen Eigenschaft als
Direktor der städtischen Irrenanstalt in Düsseldorf und als Organisator der
städtischen Irrenpflege in Berlin erworben. 45 Jahre ist er an jener Anstalt
tätig gewesen, zuerst als Oberarzt und dann von 1887—1914 als Direktor.
Die von ihm während dieser Zeit auf dem Gebiete der Irrenpflege namentlich
in bezug auf die Unterbringung von leichteren Kranken in Familienpflege, sowie
in bezug auf die Behandlung geisteskranker Verbrecher eingeschlagenen Wege
Bind bahnbrechend gewesen; auch die Bekämpfung des Alkoholismus und die
Errichtung von Trinkerheilstätten hatte er sich zur Lebensaufgabe gemacht.
Nicht bloß in der städtischen Verwaltung, sondern weit darüber hinaus; vor
allem unter den Aerzten, Medizinalbeamten und Psychiatern hat der Ver¬
storbene den Ruf eines außerordentlich tüchtigen und erfahrenen Irrenarztes
genossen; nicht minder groß und uneingeschränkt war sein Ansehen bei den
Richtern als psychiatrischer Sachverständiger; über 80 Jahre hat er auch dem
Medizinalkollegium für die Provinz Brandenbarg als ordentliches Mitglied an¬
gehört. Sein Andenken wird deshalb allzeit in hohen Ehren erhalten bleiben!
Die Grippe hat wiederum eine große Ausdehnung in Deutschland er¬
fahren, und zwar setzte kurz vor Weihnachten eine plötzlich, wie es scheint
allerorten zu bemerkende Ausbreitung ein. Nach den bisherigen Nachrichten
scheint der Verlauf im allgemeinen ein milder zu sein, immerhin hört man aber
auch von Komplikationen in Form von Pneumonien und Pleuritiden, ja in der
letzten Zeit mehren sich die Nachrichten über schwere und tödlich endende
Fälle. Vielfach mußte wegen der starken Verbreitung der Seuche unter Lehr-
66
Sprechsaal.
personen und Schülern zum Schulschluß geschritten werden, so in Cöln, Düssel¬
dorf, Frankfurt a. M., Breslau, wo alle Schulen über die Weihnachtsferien hinaus
geschlossen blieben. Aus Sachsen und Thüringen erfährt man, daß der Höhe¬
punkt Anfang Januar überschritten zu sein schien und der Verlauf in den
meisten Fällen ein gutartiger war. Dagegen ist in Karlsruhe und Stuttgart
dio Sterblichkeit an Grippe beträchtlich angestiegen (in Stuttgart letzthin 100
Todesfälle an Grippe in der Woche gegenüber 30 im Dezember).
Das Fleckfleber greift in Polen immer mehr um sich. Eine ärztliche
Kommission, darunter Prof. Guna vom BockefeUer Institut, ist in Warschau
eingetroffen, um weitere Ermittlungen anzustellen. Die östlichen Teile der
polnischen Kreise Grodno, Bolkowysk, Bielsk und Bialowycz werden als gänz¬
lich verseucht bezeichnet.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreisarztes Dr. L. in D.: „Hach welchem Modus soll der
Kreisarzt, wenn er nicht Schularzt ist, bei Massennntersuchnngen von Schul*
kindern (über 1000) außerhalb des Amtsstitzes liquidieren? Die Mindestsätze
der Geb.-Ordn. für Aerzte sind m. E. zu hoch und die Tagegelder zu niedrig,
da es sich um nahegelegene Orte handelt.“
Antwort: Da hier in erster Linie eine ärztliche Tätgkeit in Frage kommt,
finden die Mindestsätze der ärztlichen Gebührenordnung Anwendung. Ergibt
sich danach ein zu hoher Betrag, so steht nichts entgegen, ihn durch Verein¬
barung entsprechend zu ermäßigen oder den erforderlichen Zeitaufwand bei der
Berechnung zugrunde zu legen. Auch die durch Min-Erl. vom 4. März 1921
für Massenimpfungen festgesetzte Gebühr (2 Mark für jede Impfung) dürfte
für derartige Massenuntersuchungen Anwendung finden können; in manchen
Orten bezw. Bezirken ist die Gebühr dafür auf 8—4 M. festgesetzt.
Mitteilung.
Das Personalverzeichnis der Medizinal*
behörden und Medizinalbeamten in Preußen
(einschließlich derjenigen des Deutschen Reiches und des Ver¬
zeichnisses der Vorstände des Preußischen Landes - Medizinal¬
beamtenvereins und der Bezirks-Medizinalbeamtenvereine) ist
jetzt zur Ausgabe gelangt und allen denjenigen Vereinsmit¬
gliedern, die es seiner Zeit bestellt haben, unter Beifügung einer
Zahlkarte über 7,50 Mark (6 Mark für das Verzeichnis und
1,60 Mark für Porto und Versendungskosten) zugestellt. Der
Betrag ist umgehend an die Unterzeichnete Verlagsbuchhand¬
lung einzusenden (Postscheckamt Berlin Nr. 2296); diese nimmt
auch neue Bestellungen gegen Einsendung des nunmehr er¬
höhten Preises von 10,50 (9 Mark für das Verzeichnis und
1,60 Mark für Porto und Versendung) entgegen.
Fischers nrnd. Buchhandlang (H. Kornfeld) Dr. Rapmund.
Berlin W 62 Keitstraße 6.
Mit Rücksicht auf die außerordentliche Erhöhung der
Portokosten werden künftighin Rückfragen nur beantwortet,
wenn die für die Antwort erforderlichen Briefmarken oder ein
freigemachter Umschlag beigefügt sind.
Verantwortlich für die Schriftlcitung: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat ln LIppapringe.
Druck von J. C. C. Brom, Minden 1. W.
Zeitschrift fflr Medizi»&ib*ftmfce.
!n K*«Bm>'äiain*Ifttpnza Krel$a-<stslen2Ärzt!*n die Aerxte Dr. Walter io
FroslAeo (Krrfs_ Dr. fi. Roehnckc in Hersberg ü. Elster (Kreis
Sch»»diütz) nnil Dr- Ws b er in Berlin (Pultxeiprfoidinzn).
In d»n R«tee*t»n«l Di« Kmsxeedizinftlräte Dr. Joesten i*
Jülich and MtxL-U*t Dr. t on Petrifcowsjti m Ört-Labnrg.
ßnslerb"a: Geh. Mrd.-Rat D?. Saadidaat T Kteisarzt a. D. in Schleswig,
Kreisarzt Dr. fl erlaub $fr Quaohrtiek.
Bayer*.
Ernannt : Zn et»tsm&6iucn Oberra^dizinälraten unter Einreilmng
m Gruppe XU; die lAodzerio.it t^axzie Dr. A. Her manu und Prot Df, Merkel
ja Manche», Br. Kreß? und Dr. Knehr in Nürnberg und Dr. Fr a ntz in
Fraahcndsal ’’ . ■
Ter*etarlj Berirksarzt Dr. Glauoiog in ScbSofdd nach Traanetein
enter Zurüek&ahfr.e der Versetzung des Ober-Med.-Eut» Dr, B Aller in Neu-
hnrg su D. nach Traawteiu.
Baden.
I« den ItahesUnd getreten: Bezirksarzt Med.-Kat Dr. Lefluilz is
M iMiejaÄi x>^(£jö ,
Erledigte Stellen,
Pmistn.
Alsbald xn besetzen, die teil besoldete Mrelaantaetle h» hitaroU«
and xnni 1. April <L J. die nicht rollV-aldet« Krel*«rz'*f**lle in Kö«lin.
Bewerbung* n siud umgebend za das 'EitiwCerjom lür Vulkswoblfa'irt in
Berlin ^. 68, leipziger Straße Nr. 3 durch Vermittelung des für den Wohnort
des Bewerb»» *a ständigen Herrn Beglerat^irdsidontga (in Berlin des Herrn
Polizeipräsidenten; dnz-ureicbeo . ■ • -vv;; {;•'?: ■
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Frfifceo »4 Literil&r nun Lßci&ieri Saowfer
J * hrg - 85 - Zeitschrift —
für
MEDIZINALBEAMTE
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt u. sozialen Hygiene
Heraasgegeben
TOB
Prot. Dr. Otto Rapmund
Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thflringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Verlag von Fischer’« med. Buchhandlung H. Kornfeld
Uorzogl. Bayer, fiof- n. K. b. K. Kammer-Buchhlndler
Berlin W. 63, Keithstrasse 5
Anselfea werden durch die Anscfffcnterwaltnng Hans Pnteb, Berlin 8W. 48, Wilhetmstr« 28 eowi*
tob simtliehea Anneigen-Annahmestellen des In- and A aalendes angenommen.
Die durchgehende Petitseile kostet M. 2^0
Nr. 3.
Erscheint am 5. and 20. Jeden Monate
5. Febr.
Der dem Preussischen Landtage rorgelegte neue
Entwarf eines Gesetzes über das Hebammenwesen.
Tom Herausgeber.
Der schon seit längerer Zeit angekündigte neue Entwurf
eines preußischen Hebammengesetzes ist nunmehr dem Land¬
tage vorgelegt und von diesem bereits in den Sitzungen am
19. und 20. Januar der ersten Beratung unterzogen. Der Ent¬
wurf hat felgenden Wortlaut: 1 )
tiebammenhilfe.
$ 1. Jeder Frau in Preußen steht Hebammenhilfe zu. Diese erstreckt
sich anf Beratung in der Schwangerschaft, Hilfe bei Störungen in der Schwanger¬
schaft, Hilfe bei der Geburt, Versorgung der Wöchnerinnen im Wochenbett und
der Neugeborenen sowie auf Beratung Ober die Pflege und das Stillen der
Kinder. 1 )
*) Die Begründung der einzelnen Paragraphen ist, soweit dies zur
Erläuterung des Entwurfes notwendig erscheint, an zutreffender Stelle beigefttgt.
Dasselbe gilt betreffs der Abänderungsvorschläge, die der Staatsrat
in seinem Schreiben vom 14. Oktober v. J. gemacht hat.
*) Der g 1 entspricht der Fassung des dem früheren Entwürfe vom
BevOlkerungsaussehusse des Landtages zugefügten § 1. Der preußische
58
Dr. Bapmnnd: Der neae Entwarf
Ausübung der Geburtshilfe.
§ 2. He b nm m e n im Sinne dieses Gesetzes sind Frauen, die ein Prüfungs-
zeagnis gemäß § 30 Abs. 3 der Reichsgewerbeordnung besitzen.’)
§ 3. (1) Frauen, die weder eine ärztliche Approbation noch das im § 2
angeführte Prüfungszengnis besitzen, ist die Ausübung der Geburtshilfe auch
dann untersagt, wenn sie nicht gewerbsmäßig betrieben wird. 4 )
(2) Notfälle sind von diesem Verbot ausgenommen. Ein Notfall liegt
vor, wenn es nicht möglich ist, rechtzeitig eine Hebamme oder einen Arzt zu*
zuziehen.
§ 4. (1) Hebammen ist die Ausübung der Geburtshilfe nur gestattet,
wenn sie ihr Prüfungszeugnis von einer zuständigen preußischen Behörde
erhalten haben oder auf Grnnd einer außerhalb Preußens erfolgten gleichwertigen
Ausbildung vom Minister für Volks Wohlfahrt zur Ausübung der Geburtshilfe
in Preußen zugelassen sind und wenn ihnen eine Niederlassungsge¬
nehmigung erteilt ist. 8 )
. (2) Der Niederlassungsgenehmigung steht die Anstellung als Bezirks¬
hebamme (§ 22) gleich. •
(3) Unberührt bleiben die durch Staatsverträge oder anderweit geregelten
Verhältnisse in den Grenzgebieten.
§5. (1) Die Niederlassungsgenehmigung wird für einen ört¬
lichen Bezirk erteilt (Niederlassungsgebiet).*)
(2) Das Niederlassungsgebiet ist nach Maßgabe der Bevölkerungsdichtig¬
keit und der Entfernungsverhältnisse in der Weise abzugrenzen, daß den Be-
Staatsrat hat zu diesem Paragraphen vorgeschlagen, im ersten Satz die
Worte „nach Maßgabe dieses Gesetzes“ (Unter dem Worte „steht“) einzu¬
schieben und im zweiten Satze zu sagen: Beratung und Hilfe in der
Schwangerschaft, Hilfe bei der Geburt usw.
8 ) Zu § 2: An einer gesetzlichen Bestimmung des Begriffs „Hebamme“
fehlt es bisher. Ebensowenig wie eine Frau, die ein Prüfungszengnis gemäß
§ 30 Abs. 3 der Beicbsgewerbeordnung besitzt und die Geburtshilfe gewerbs¬
mäßig ausübt, verpflichtet ist, sich Hebamme zu nennen, ist es einer Frau,
die ohne ein solches Zeugnis Geburtshilfe leistet, verboten, die Bezeichnung
Hebamme zu führen. Denn die Beiehsgewerbeordnung schützt diese Bezeich¬
nung nicht wie den Titel „Arzt“ oder „Geburtshelfer“ <§§ 29, 147 Nr. 3 a. a. 0.).
Daher erläutert hier der Entwurf den Gesetzentwurf, welche Frauen er als
Hebammen ansieht.
4 ) § 3 richtet sich gegen die in manchen Landesteilen noch immer be¬
triebene Hebammenpfuscherei. Nach § 147 Nr. 1 der Reichsgewerbe¬
ordnung ist nur diejenige ärztlich approbierte Frau strafbar, welche die Ge¬
burtshilfe ohne das in § 30 Abs. 3 a. a. 0. vorgeschriebene Prüfungszeugnis
gewerbsmäßig ausübt. Es fehlt daher zurzeit eine gesetzliche Handhabe
zur Bekämpfung der nicht gewerbsmäßigen Hubammenpfuscherei, soweit sie
nicht durch besondere Polizeiverordnung verboten ist. Bei einer gesetzlichen
Neuregelung des Hebammenwesens erscheint es deshalb zweckmäßig, ein
solches Verbot in das Gesetz selbst anfzunebmen. Mit dem Reichsrecht steht
das im § 42 durch eine Strafandrohung verstärkte Verbot schon deswegen
nicht in Widerspruch, weil sich die Reichsgewerbeordnung nur auf eine ge¬
werbsmäßige Tätigkeit bezieht, während hier gerade eine nicht gewerbs¬
mäßige in Frage steht;
*) Zu § 4: Statt der in dem früheren Entwurf vorgesehenen Vorbe¬
dingungen für Ausübung des Hebammenberufs: „Anstellung als Bezirks¬
hebamme“ wird jetzt eine Niederlassungsgenehmigung (für die frei¬
praktizierenden Hebammen) oder Anstellung als Bezirkshebamme
verlangt.
*) Zu § 6: Um eine angemessene Verteilung der Hebammen über das
Staatsgebiet zu erreichen, insbesondere um einer unerwünschten Anhäufung in
einzelnen Ortschaften und Gegenden vorzubeugen, ist die Nieder lassungs-
genehmigung nicht für ganz Preußen, sondern nur für einen be¬
stimmten Bezirk zu erteilen. Den Bezirk kann eine Ortschaft oder in
eines Geeetxes Aber das Hebammen wesen.
59
wohnerinea des Gebiets eine ansreichende Versorgung mit Hebammenhilfe
(§ 1) gesichert ist.
(3) In der Genehmigungsurkunde ist das Xiederlassnngsgebiet zn bezeichnen.
§ 6. (1) Die Hebamme maß in dem Niederlassungsgebiet wohnen.
In der Genehmignngsnrknnde kann ihr das Wohnen in einem begrenzten Teile
des Niederlassungsgebiets anfgegeben werden.
(2) Bei der Ansöbnng ihres Berufs ist die Hebamme nicht anf das
Niederlassungsgebiet beschränkt 7 )
§ 7. Die Niederlassnng8genehmigung ist nnr dann zn ver¬
sagen, wenn das Bedürfnis nach Hebammenhilfe (§ 1) in dem betreffenden
Bezirk bereits ansreichend gedeckt ist oder wenn eine derjenigen Tatsachen
Torliegt die znr Zurücknahme der Genehmigung berechtigen (§ 9). s )
§ 8. Die Niederlassungsgenehmigung verliert ihre Gültigkeit:
a) wenn die Hebamme sich nicht binnen 3 Monaten vom Tage der Genehmigung
ab in dem Niederlassungsgebiet niederläßt Diese Frist kann von der
Genehmigungsbehörde (§ 10) höchstens auf 6 Monate verlängert werden;*)
b) wenn die Hebamme den Wohnsitz innerhalb des Niederlassungsgebiets
aufgibt;
c) wenn der Hebamme das Prüfangszeugnis gemäß § 53 der Reichsgewerbe¬
ordnung entzogen wird, oder wenn die nach § 4 Abs. 1 erteilte Genehmi¬
gung des Ministers für Volkswohlfahrt zurückgenommeu wird.
§ 9. 10 ) Die Niederlassungsgenehmigung kann zurückge¬
nommen werden:
größeren Städten ein bestimmter, örtlich abgegrenzter Stadtteil bilden. Der
Bezirk kann aber auch über den Bereich einer Ortschaft hinausgehen und
mehrere Gemeinwesen umfassen. Es ist auch nicht aasgeschlossen, daß die
zum Niederlassungsgebiet der Hebamme gehörenden Ortschaften verschiedenen
Kreisen angehören, falls zwischen den Verwaltungen eine Einigung über die
entsprechende Abgrenzung des Bezirks zustande kommt. Die Abgrenzung
der Hebammenbezirke soll nicht schematisch erfolgen, vielmehr maß
dabei auf die örtlichen Verhältnisse, insbesondere also auf die Bevölkerungs¬
dichtigkeit, auf weite Entfernungen oder schwierige Verkehrsverhältnisse weit¬
gehend Rücksicht genommen werden.
7 ) Zu § 6 Abs. 2; Die Erteilung der Niederlassungsgcnehmigung soll
lediglicn erfolgen, nm die angemessene Verteilung der Hebammen zu sichern.
Dagegen hat diese nicht den Zweck, die Hebamme bei der Ausübung des Be¬
rufs auf das Niederlassungsgebiet zu beschränken. Die freie Hebammen¬
wahl bleibt also bestehen.
*) | ! bildet den Schutz gegen eine zu reichliche Nieder¬
lassung von Hebammen und bietet außerdem die Möglichkeit der Nieder¬
lassung ungeeigneter Elemente zu begegnen.
*) Zu § 8 Abs. a: Diese dem § 49 der R. Gew. Ord. entsprechende Vor¬
schrift ist getroffen, um zu verhindern, daß die Versorgung mit Geburtshilfe
in einem Niederlassungsgebiet dadurch leidet, daß eine Hebammo von einer
ihr erteilten Niederlassungsgenehmigong gar nicht oder während längerer Zeit
keinen Gebrauch macht.
>0 ) Zu g 9: Die Bestimmungen unter a, b, c, d, e, g, h und i sollen
dazu dienen, Hebammen, die sich als unzuverlässig bei der Ausübung ihres
Berufes erweisen, oder die wegen Mangels an Uebnng, wegen körperlicher oder
geistiger Gebrechen oder infolge vorgerückten Alters für ihren Beruf ungeeignet
sind und daher bei dessen Ausübung die Wöchnerinnen gefährden würden, von
der Hebammentätigkeit aaszuschließen. (Sie entsprechen übrigens den bisher
für die Entziehung des Hebammen-Prüfungszeugnisses maßgebenden Grund¬
sätzen.) . . . Absatz f soll der Möglichkeit Vorbeugen, daß der Erfolg des
Genehmigangserfordernisses von Hebammen dadurch vereitelt wird, daß sie die
Niederlassungsgenehmigung für einen Ort nachsuchen, wo Hebammenmangel
herrscht, dort auch zum Schein eine Wohnung nehmen, tatsächlich aber auf
Grund des $ 6 Abs. 2 einen anderen Ott zum Mittelpunkt ihrer Lebensführung
machen. Die Vorschrift will dabei die Möglichkeit, daß Schwangere solche
Dr. Rapmund: Der neue Entwurf
W
a) wenn die Hebamme eine yorgeschriebene Nachprüfung zweimal hinter¬
einander nicht besteht,
b) wenn sie einen angeordneten Fortbildungslehrgang ohne genügenden
Grand versäumt,
c) wenn sie Bncher oder Uebersichten, die nach n&herer Anordnung des
Ministers für Volkxwohlfahrt enr regelmäßigen Kontrolle ihrer Berufs¬
tätigkeit oder als N«ch weise für Zahlungsansprüche an den Kreis dienen,
unrichtig oder unvollständig führt,
d) wenn sie wegen Mangels an Pflichteifer, wegen Nachlässigkeit im Beruf,
oder wegen ungleichmäßiger Berücksichtigung und Behandlung der Hilfe¬
suchenden innerhalb der letzten lt Jahre dreimal durch die Kreishebammen-
stelle (§ 30) verwarnt worden ist,
e) wenn sie eigenmächtig den ihr angewiesenen Wohnsitz wechselt,
f) wenn sie ohne Erlaubnis der in der Genebmigungaurkunde zu bestimmen¬
den Stelle länger als 3 Monate innerhalb eines Kalenderj ,bres oder länger
als 6 Wochen hintereinander von dem Niederla-sungsgebiete abwesend ist,
g) wenn sie länger als 1 Jahr ihren Beruf nicht aasübt,
h) wenn sie infolge eines körperlichen Gebrechens oder infolge Schwäche
ihrer geistigen und körperlichen Kräfte zur Erfüllung ihrer Berufs¬
pflichten dauernd unfähig ist,
i) wenn sie das 66. Lebensjahr vollendet bat
§10. (1) Zuständig für die Erteilung und die Zurücknahme
der Genehmiguung ist in Landkreisen der Kreisausschuß, in Stadtkreisen
der Magistrat (Bürgermeister). Vor der Erteilung und der Zurücknahme der
Genehmigung ist die Kreishebammenstelle zu hören.
(2) Der Hebamme steht gegen die Versagung oder Zurücknahme der
Genehmigung innerhalb 2 Wochen seit der Zustellung die Beschwerde an den
Bezirksausschuß zu, der nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle (§ 86)
endgültig entscheidet.
Pflichten der Hebammen.
§ 11. Die Hebamme ist verpflichtet, alle in ihre Berufsgescb&fte
fallenden Aufgaben nach Maßgabe der Dringlichkeit und unter Befolgung der
hierzn vom Minister für Volkswohlfahrt erlassenen Vorschriften gewissenhaft aua-
zuführen. Sie hat insbesondere folgende Berufspflicbten zu eifnllen: u )
a) Beratung von Schwangeren und Au: Übung der Gebartshilfe,
b) Versorgung der Wöchnerinnen and neugeborenen Kinder,
c) Förderung der natürlichen Ernährung der Säuglinge, **)
d) Mitwirkung bei der Säuglingsfürsorge nach Maßgabe des örtlichen Be¬
dürfnisses. u )
auswärtigen Hebammen, zu denen sie besonderes Vertrauen haben, in Erwar¬
tung ihrer Entbindung für längere Zeit bei sich entnehmen, nicht anaschließeu.
Der StaAtsrat schlägt vor, die hier vorgesehenen Fristen von 8 Monaten
bezw. 6 Wochen auf „2 Monate“ und »3 Wochen“ abzukürzen.
**) Zu § 11: Es bedeutet einen Fortschritt, wenn die Verpflich¬
tung der Hebammen, die Vorschriften der von dem Minister für Medi¬
zinalangelegenheiten erlassenen Dienstanweisung zu befolgen, gesetzlich fest¬
gelegt wird. Hebammen, die diese Vorschriften übertreten, machen sich nach
§ 42 strafbar.
i( > Die unter c geforderte „Förderung der natürlichen Er¬
nährung der 8äuglinge“ ist neu hinzugefügt.
u ) ln der Begründung beißt es hierzu: „Die unter d genannte Mit¬
wirkung bei der Säuglingsfürsorge bedeutet im gewissen Sinne eine
Erweiterung der Berufstätigkeit der Hebammen. Schon jetzt werden aber die
Hebammen in den Lehranstalten auch in der Säuglingspflege ausgebildet.
Ferner sind die Hebammen nach ihrer Dienstanweisung bereits jetzt ver¬
pflichtet, in den ersten 10 Tagen nach der Geburt eines Kindes bei den vor-
gescoriebenen Wochenbesuchen sich um die ordnungsmäßige Pflege des Neu¬
geborenen zu kümmern. Es liegt also durchaus nahe, die dazu besonders ge¬
eigneten Hebammen künftig in erhöhtem Maße auch für die öffentliche Säng-
lingsfürsorge heranzuziehen, ohne ihnen einen Bechtsanspruch auf die Ueber-
tragung dieser Fürsorge zu geben.“
eines Gesetzes über das Hebammenwesen.
61
§ 12. Die Hebamme hat sich nach Maßgabe der hierzu ergehenden Vor¬
schriften des Ministers für Volks Wohlfahrt Nachprüfungen za unter¬
ziehen and an Fortbildnngslehrgängen teilzunehmen. 1 *)
§ 18. “) (1) Za einer Erwerbstätigkeit außer der im § 11 an¬
geführten bedarf die Hebamme der Genehmigung. Bestehen gegen
diese Erwerbstätigkeit Bedenken, so muß die Genehmigung versagt und eine
erteilte Genehmigung zurückgenommen werden.
(2) Zuständig für die Erteilung oder Zurücknahme der Genehmigung
ist in Landkreisen der Kreisausschuß, in Stadtkreisen der Magistrat (Bürger¬
meister). Er entscheidet nach Anhören der Kreishebammenstelle.
(3) Gegen die Versagung oder Zurücknahme der Genehmigung steht der
Hebamme innerhalb 2 Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß zu, der
nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle endgültig entscheidet.
§ 14. Die Berufstätigkeit der Hebamme unterliegt der Auf¬
sicht des Kreisarztes. 1 *).
Gebühren der Hebammen.
§ 1B. 1T ) (1) Die Bezahlung der nach § 11a bis c geleisteten Dienste
einer Hebamme erfolgt mangels anderweitiger Vereinbarung auf Grund einer
Gebührenordnung, die von dem Regierungspräsidenten — im Ortspolizei¬
bezirk Berlin von dem Polizeipräsidenten in Berlin — zu erlassen iBt.
(2) Es werden drei Teuerungsklassen gebildet. Die Gebühren¬
sätze sind für diese Klassen verschieden hoch zu bemessen und die Kreise
oder Ortschaften nach Maßgabe ihrer Teuerungsverhäitnisse in die Klassen
u ) Zu § 12: Die Forderung im § 12 entspricht den bisherigen Vor¬
schriften, insbesondere die Bestimmungen der Dienstanweisung vom 15. Sep¬
tember 1920. Schwierigkeiten, die sich in letzter Zeit bei ihrer Durchführung
vereinzelt gezeigt haben, machen es aber erwünscht, diese Pflicht der Hebammen
im Gesetz ausdrücklich auszusprechen und Strafen für die Nichterfüllung (§ 42)
anzudrohen. Wird eine Nachprüfung zweimal hintereinander nicht bestanden,
so kann der Hebamme nach § 9 die Niederlassungsgenebmigung entzogen
werden, ln der Ausführungsauweisung zu dem neuen Gesetz soll einer
Hebamme, die eine Nachprüfung wiederholen muß, auf Antrag gestattet
werden, die zweite Nachprüfung vor einer anderen 8telle abzulegen.
u f Zu 0 18: ln der Begründung heißt es hierzu: „Schon vom Stand¬
punkt der öffentlichen Gesundheitspflege aus ist es erwünscht, daß sich die
Hebammen lediglich ihren Berufsaufgaben und nicht nebenher noch einer
anderen Erwerbstätigkeit widmen. Wo es die örtlichen Verhältnisse
bedingen, daß eine Hebamme durch die Erfüllung ihrer anderen im § 11a bis
c angegebenen Berufspflichten nicht voll beschäftigt ist, wird sie in ver¬
stärktem Maße zur Säuglingsfürsorge (§ 11 d) heranzuziehen sein, sofern sie
hierzu geeignet ist. Anderseits wird aber einer Hebamme in gewissen, wenn
auch nur seltenen Fällen die Ansübung einer anderen Erwerbstäiigkeit nicht
verwehrt werden können Der Gesetzentwurf sieht daher vor, daß ihr eine
solche gestattet werden kann. Die Genehmigung hierzu darf aber nur dann
gegeben werden, wenn ihrer Erteilung keine Bedenken entgegenstehen, und sie
muß zurückgezogen werden, falls sich nachträglich herausstellt, daß gegen
die Fortsetzung der genehmigten Erwerbstätigkeit Bedenken vorliegen.
Es erscheint zweckmäßig, die Entscheidung über die Erteilung und
Zurücknahme der Genehmigung denselben Behörden zu übertragen, die über
die Gewährung und Entziehung der Niederlassungsgenehmigung zu befinden
haben. Auch hier soll vor der Entscheidung die Hebammeustelie gehört
werden. Das im Abs. 2 gegebene Beschwerdeverfahren ist entsprechend den
Vorschriften aer § 10 Abs. 2 geregelt.
w ) Zu | 14: In dem früheren Entwurf hatte diese Bestimmung den
Wortlaut: „Die Hebamme untersteht der Aufsicht des Kreisarztes. 0
1T ) Die Gebührenordnungen für Hebammen sollen auch künftig¬
hin dem Gesetze vom 10. Mai 1908 gemäß von dem Regierungspräsidenten er¬
lassen und darin Teuerungsklassen (s. § <7) mit verschiedenen hohen
Mindest- und Höchstgebührens&tzen vorgesehen werden.
62
Dr. Eapmnnd: Der neue Entwarf
einzugruppieren. Für jede Klasse sind in der Gebührenordnung nnter Berück¬
sichtigung der Leistungsfähigkeit der Gebührenpflichtigen Mindest- und Höchst¬
gebühren festzusetzen. Ferner hat die Gebührenordnung die Erstattung
der Ausgaben für Desinfektionsmittel, die von der Hebamme bei
ihrer Hilfeleistung verwendet worden sind, zu regeln sowie über den Anspruch
der Hebammen auf Ersatz der Auslagen für die Benutzung von Verkehrs¬
mitteln oder auf die Zahlung eines angemessenen Wegegeldes Bestimmung
zu treffen. Die näheren Vorschriften erläßt der Minister für Volkswohlfahrt.
(3) Bei der Anwendung der Gebührenordnung hat die Hebamme die
Gebührensätze derjenigen Teuerungsklasse in Rechnung zu stellen, zu der ihr
Wohnort gehört. 18 )
(4) Die Provinzialhebammenstelle, die Kreisausschüsse und die Gemeinde¬
vorstände der Stadtkreise sind vor dem Erlaß der Gebührenordnung zu hören. ,0 )
§16. (1) Ergeben sich Streitigkeiten über die Höhe einer Gebühr,
die von einer Bezirkshebamme (§ 22) gefordert wird *°) oder wird die Gebühr an
eine Bezirkshebamme innerhalb einer angemessenen Frist nicht entrichtet, so
setzt der Landrat nach Anhörung der Kreishebammenstelle und des Zahlungs¬
pflichtigen die Gebühr nach Maßgabe der Gebührenordnung fest. Gegen diese
Festsetzung ist binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß zulässig,
der nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle endgültig entscheidet.
(2) Die rechtskräftig festgesetzte Gebühr unterliegt der Beitreibung im
Verwaltungszwangsverfahren durch den Kreisausschuß. Hierbei gilt, unbeschadet
des Rechts der Bezirkshebamme auf die Gebühren, der Kreis als derjenige, auf
dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung im Sinne der Vorschriften über das
Verwaltungszwaugsverfahren erfolgt.
Besondere Bestimmungen für Hebammen, die eine Niederlassungs¬
genehmigung erhalten haben.
§ 17. ai ) (1) Die Hebamme kann von dem Kreise, in dessen Gebiet sie
wohnt, einen Zuschuß beanspruchen, wenn in einem Jahr ihr Einkommen
iS) Diese Bestimmung ist getroffen, weil sich die Kosten des Lebens¬
unterhaltes in der Berufsausübung für die Hebamme nach ihrem Wohnorte
bemessen.
l# ) Durch zuvorige Anhörung der Provinzialhobammenstelle
soll vor allem eine möglichste Einheitlichkeit der Gebührenordnungen inner¬
halb der Provinz erreicht werden.
*•) Zu § 16. Die Gebührenordnungen kommen nur in Ermange¬
lung einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten zur Anwendung. Eine Aus¬
nahme nehmen in dieser Hinsicht aber die Gebühren der Bezirks¬
hebammen ein, für deren Höhe und Festsetzung daB Gesetz vom 10. Mai 1908
maßgebend ist, dem die Vorschrift im § 19 entspricht. Neu ist in dieser Hin¬
sicht nur, daß vor Festsetzung der Gebühr durch den Landrat bezw. den Be¬
zirksausschuß erst die Kreis- bezw. Provinzialhebammenstelle gehört
werden muß.
*') Zu § 17. In der Begründung zu § 17 heißt es: Von denjenigen
Frauen, denen reichsrechtliche WochenhUfe, Familienhilfe oder Wochenfürsorge
zusteht, soll für Gewährung von Hebammenhilfe wie bisher nur die Mindest¬
gebühr gefordert werden. Die Zahl dieser Frauen beträgt in den Städten und
lndustriegegenden etwa 80%, in anderen Gegenden 70 °/ 0 ; für den Rest von
20 bezw. 30°/, kann dagegen die Höcbstgebühr eingesetzt werden. Es werden
danach, wenn für eine Hebamme in den beiden ersten Teuerungsklassen je 65, in
der dritten Teuerungsklasso je 45 Entbindungen im Jahre angenommen werden,
die Gebühreneinnahmen der Hebammen in der ersten TeuerungskJasse 15 X 800
+ 50 X 150 = 4500 7öU0 = 12000 M., in der zweiten Teuerungsklasse
15 X 250 -j- 50 X 180 = 3750 -|- 6500 = 10250 M. in der dritten Teuerungs¬
klasse, 15 X 200 + 30 X HO = 3000 + 3300 = 6300 M. betragen. Durch die
Zuschußpfltcht des Kreises sollen auch die freipraktizierenden Hebammen in
den Jahren, in denen ihre Berufseinnahmen die im § 17 Abs. 3 festgesetzten
Mindesteinnahmen nicht erreichen, vor Not geschützt werden. Diese Mindest¬
beträge gelten aber nur für Zeiten mit normalen Teuerungsverhältnissen; so¬
lange solche nicht bestehen und die Staatsbeamten Ausgleichszuschläge
eines Gesetzes über dns Hebammenwesen.
63
ans der im § lta bis e angegebenen Berufstätigkeit ohne ihr Verschulden
nicht einen Mindestbetrag erreicht. Als Zuschuß ist der Betrag zu zahlen,
um den das Einkommen hinter dem Mindestbetrage zurückbleibt. Her Kreis
kann die Zahlung ganz oder teilweise verweigern, wenn die Voraussetzungen
des § 9 c vorliegen.
(2) Das Einkommen der Hebamme ist nach der Zahl der Ent¬
bindungen zu berechnen, bei denen sie in dem betreffenden Jahre Hilfe geleistet
hat. Die näheren Vorschriften über die Berechnung der Gebtinren erläßt der
Minister für Volkswohlfahrt.
(8) Der Mindestbetrag bestimmt sich nach der Teuerungsklasse,
zu der der Wohnort der Hebamme gehört. Er beträgt für Orte
in der 1. Teuerungsklasse. 6000 M.
n » 2. - . 4500 „
8 .
3000
(4) Für die Zeit, in der die unmittelbaren Staatsbeamten Ausgleichs¬
zuschläge in der beim Inkrafttreten dieses Gesetzes festgesetzten Höhe
gezahlt erhalten, werden die Mindestbeträge durch Zuschläge erhöht. Sie be¬
tragen für die ersten beiden Teuerungsklassen ein Drittel, für die dritte
Teuerungsklasse ein Viertel des Mindestbetrages. Die Zuschläge erhöhen oder
mindern sich ohne weiteres in demselben Verhältnis, in dem die Ausgleichs¬
zuschläge der unmittelbaren Staatsbeamten erhöbt oder herabgesetzt werden.
(5) Wenn eine Hebamme neben ihrer Berufstätigkeit eine andere
Erwerbstätigkeit ausübt (§ 13), kann der Mindestbetrag um 10 v. H.
ermäßigt werden.
§ 18. Versichert sich eine Hebamme gegen Alter, dauernde Berufs¬
unfähigkeit oder Invalidität, so hat ihr der Kreis (§ 17 Abs. 1) drei Viertel
der Versicherungsbeiträge, jedoch in einem Jahre nicht mehr als insgesamt
150 M., zu erstatten. 93 )
erhalten, erhöhen sich die Mindestsätze und die beiden ersten Teuerungskiassen
um 30%, in der dritten Teuerungeklasse um 25%, also auf 9000, 6000 und
3750 M. Der Zuschuß wird jedoch nur gewährt, wenn der Einnahmeausfall nicht
durch Verschulden der Hebamme selbst verursacht ist, z. B. durch Verbüßung
einer Freiheitsstrafe oder durch Nachlässigkeit und mangelnden Pflichteifer.
Ebenso kann die Zuschußzahlung vom Kreise bei Unvollständigkeit oder Un¬
richtigkeit der über das Jahreseinkommen vorzulegenden Belege verweigert
werden.
Der 8taat8rat empfiehlt die Gewährung eines Zuschußanspruches
zur Erzielung eines Mindesteinkommens zu beseitigen, dagegen aber
für eine ausreichende Versicherung der Hebammen gegen Alter, dauernde
Bernfsunfäbigkeit und Invalidität, sowie nötigenfalls mittels Beihilfen für
eine gleichartige Sicherung zu sorgen, soweit Hebammen bei der Neuordnung
keine Niederlassungsgenehmigung erhalten, und ausreichende etatsmäßige Mittel
zu notwendigen Beihilfen für die zur Niederlassung zugelassenen Hebammen
bereitzustellen.
") Zu § 18. Ein großer Teil der Hebammen ist schon jetzt gegen
Krankheit, Alter oder Invalidität versichert. Es besteht hierfür
u. a. die Allgemeine deutsche Kranken-, Unterstützungs- und Sterbekasse der
Vereinigung deutscher Hebammen und die Allgemeine deutsche Alterszuschu߬
kasse derselben Vereinigung. Letztere Kasse umfaßt auch eineInvaliditäts-
versicherung. Gegen stärkere Einnahmeausfälle bei Krankheit wird die
freipraktizierende Hebamme durch den § 17 geschützt. Um ihr aber die Ver¬
sicherung gegen Alter, dauernde Erwerbsunfähigkeit oder Invalidität wesent¬
lich zu erleichtern, bestimmt § 18, daß ihr der Kreis drei Viertel der Versiche¬
rungsbeiträge zu erstatten hat. Die freipraktizierenden Hebammen werden
daher in der Lage sein, sich mit starker Unterstützung aus öffentlichen Mitteln
auch für den Fall vor einer Notlage zu bewahren, in dem sie wegen Alters,
dauernder Berufsuufähigkeit oder Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) aus ihrem
Hebammenberuf kein Einkommen mehr beziehen können. Die Festsetzung eines
Höchstbetrages, über den hinaus der Kreis nicht in Anspruch genommen werden
kann, erscheint notwendig, um der finanziellen Belastung des Kreises eine
Grenze zu ziehen,
64
Dr. Bapmnnd j Der neue Entwurf
§ 19. Fttr die Teilnahme an einer Nachprüfung und an einem Fort¬
bildungslehrgang ist der Hebamme von dem Kreise (§ 17 Abs. 1) eine Eeise-
kostenentschädignng nnd ein angemessenes Tagegeld zu gewähren.
§ 20. Wenn eine Hebamme ihren Beruf ausschließlich oder weit über-
wiegend in dem Bezirk einer Gemeinde ausübt, kann der Kreis die yon ihm
nach den §§ 18 und 19 gezahlten Beträge von der Gemeinde zurückerstattet
verlangen.
S 21. Fttr eine nach § 11 d geleistete Berufstätigkeit hat die Hebamme
eine besondere Vergütung zu beanspruchen, die freier Vereinbarung unterliegt. 1 *)
Bezirkshebammen.
§ 22. M ) (1) Soweit es das Bedürfnis nach einwandfreier Versorgung
mit Hebammenhilfe (§ 1) erheischt, sind die Landkreise verpflichtet,
fttr einen räumlich abgegrenzten Bezirk (Hebammenbezirk) Hebammen (Be-
zirkshebammen) auf Grund statuarischerBegelung durch Dienst-
vertrag anzunehmen. Auf die Abgrenzung eines Hebammenbezirks findet §6
Abs. 2 entsprechende Anwendung.
(2) Im Bedarfsfälle müssen die Landkreise geeignete Frauen in einer
Hebammenlehranstalt anf ihre Kosten ausbilden lassen.
g 28. Die Bezirkshebamme muß in ihrem Bezirk wohnen. Der Kreis
hat sich in dem Dienstvertrsge das Becht vorzubehalten, der Bezirkshebamme
das Wohnen in einem begrenzten Toile des Bezirks aufzugeben.
§ 24. Die Bezirkshebamme darf außerhalb ihres Bezirks ihre
Berufstätigkeit nur austtben, soweit ihr dies im Dienstvertrage ausdrücklich
gestattet oder aufgegeben ist, oder wenn keine zuständige Bezirkshebamme
rechtzeitig hinzugezogen werden kaon. Sie ist dann verpflichtet, außerhalb
ihres Bezirks Hilfe zu leisten, sofern sie nicht durch dringendere Berufsgeschäfte
im eigenen Bezirk zurückgehalten wird. 1 *)
**) Zn § 21: Für die Mitarbeit auf dem Gebiet der 8äuglings-
fürsorge (§ 11 d) sollen die Hebammen in jedem Falle eine besondere Ver¬
gütung beanspruchen können, da die im § 16 erwähnte Gebührenordnung die
Bezahlung solcher Dienste nicht betrifft. Die Höhe der Vergütung im Gesetz
oder anf dem Verwaltungswege zu regeln, erscheint nicht notwendig und auch
nicht zweckmäßig, da sie nach den örtlichen Verhältnissen und nach dem Um¬
fang der Inanspruchnahme der Hebammen durch die Säuglingsfürsorge größeren
Verschiedenheiten unterliegen wird. — Der Staats rat schlägt vor im § 21
hinter die Worte: „hat die Hebamme* einzuschalten: „von dem Träger der
Säuglingsf tt rsorge“.
* 4 ) Zn | 22: Durch diese Bestimmung soll ein Hebammenmangel
verhütet bezw. beseitigt werden; da ein polcher in Stadtkreisen nicht zu be¬
fürchten steht, beschränkt § 22 seinen Wirkungskreis auf Landkreise. Ihre
Verpflichtung zur geburtshilflichen Versorgung soll nicht nur dann Platz
greifen, wenn die Zahl der vorhandenen Hebammen nicht ausreicht, sondern
auch dann, wenn zwar eine genügende Zahl von Hebammen vorhanden ist,
aber einzelne unter ihnen den an sie zu stellenden beruflichen Anforderungen
nicht genügen. — Kommunalbeamte werden die Bezirkshebammen durch ihre
Annahme nicht, da diese durch einen privatrechtlichen Akt erfolgen soll. Unter
„Bezirkshebamme* versteht der Gesetzentwurf eine solche Hebamme,
die zur Befriedigung des Bedürfnisses der Bewohnerinnen eines Bezirks nach
geburtshilflicher Versorgung vom Kreise bestellt werden. Hebammen, die
von Armenverbänden zur Geburtshilfe bei Armen veipflichtet oder von Ge¬
meinden, Zweckverbänden, Aemtero, Bürgermeistereien und kreisangehörigen
Städten zur Befriedigung eines in ihrem bezirke hervorgetretenen Bedürfnisses
nach geburtshilflicher Versorgung bestellt und vieliach als Bezirkshebammen
bezeichnet werden, sind nicht Bezirkshebammen im Sinne des Gesetzentwurfs.
**) Zu § 24: Der Sicherstellung des Unterhalts, die der Hebamme durch
die Annahme als Bezirkshebamme zuteil wird, entspricht auf d* r anderen Seite
ihre Verpflichtung zurHilfeleistung gegenüber den bezirksein gesosse-
nen Frauen, die nach Lage der Verhältnisse fast stets nur auf den Beistand
dieser Hebammen angewiesen sein werden. Damit ihnen jener Beistand auch
tatsächlich gesichert bleibt, kann der Bezirkshebamme die Berufstätigkeit
außerhalb ihres Bezirks nur in besonderen Ausnahmefällen gestattet werden.
eines Gesetzes Gber das Hebammenwesen.
66
§ 36. Die Bezirksheb&mme ist zunächst probeweise auf 2 Jahre
aazuneiunen. **)
§ 26.**) (1) In dem Dienstvertrage ist zu bestimmen, daß das
Verhältnis der Bezirkshebamme in den dem § 8 b and c entsprechenden Fällen
erlischt.
(2) Im übrigen hat sich der Kreis in dem Dienstvertrage ein Kündi¬
gen n gerecht vorzubehalten. Bei endgültiger Annahme der Bezirksheb&mme
darf das Kündigongsrecht jedoch nur auf die Fälle des § 9 a bis e und g bis i,
auf das Vorliegen eines wichtigen Grandes im Sinne des § 626 des Bürger¬
lichen Gesetzbuches and ferner aal den E&U beschrankt werden, daß eine
Bezirkshebamme länger als 2 Tage hintereinander ohne Erlaubnis der im Ver¬
trage za bestimmenden Stelle von ihrem Bezirk abwesend ist.
(3) Ueber die Kündigung beschließt das Kollegium des Kreisauschasses
nach Anbören des Kreisarztes und der Kreishebammenstelle.
§ 27. In dem Annahmevertrage ist der Bezirkshebamme znzusichern:
a) eine Vergütung für jede Entbindung, bei der sie Hilfe geleistet
hat, und zwar in Hübe von 20 M. bis zur 70. Gebart and in Hohe von
10 M. für die 71. and jede weitere Geburt; 1 *)
b) die Gewährleistung eines Jahreseinkommens aus der im § 11a bis c
angegebenen Berufstätigkeit. Das gewährleistete Jahreseinkommen maß
ohne Einrechnung der nach Abs. a zu zahlenden Vergütung mindestens
3800 M. betragen. Der letzte Absatz des § 17 findet entsprechende
Anwendung. 18 )
Zu diesem Betrage ist ein Zuschlag von mindestens 25 v. H. zu ge¬
währleisten, bo lange die unmittelbaren Staatsbeamten einen Ausgleichs-
zuscblng in der beim Inkrafttreten dieses Getetzes festgesetzten Hohe
**) Zn 9 26: Der Kreis soll die Möglichkeit erhalten, in der Probe¬
zeit zu prüfen, ob die Bezirkshebamme für die vielleicht besonders gearteten
Verhältnisse ihres Bezirks geeignet ist nnd verneinendenfalls innerhalb dieser
Zeit ohne Einschränkung durch dieses Gesetz der Bezirkshebamme kündigen
können. Der Staatsrat schlägt vor, die Probezeit von 2 Jahren auf 1 Jahr
abzukürzen.
IT ) Zu § 26: Der Dienstvertrag soll ohue weiteres erloschen, wenn
der Bezirkshebamme durch eine Entziehung des Piüfangszeugnisses die weitere
Ausübung des Hebammenbernfs unmöglich gemacht ist, oder wenn sie ihren
Bezirk durch Aufgabe des Wohnsitzes eigenmächtig verläßt und sich dadurch
selbst außerstande setzt, den ihr zngewiesenen Bezirk einwandsfrei mit Ge¬
burtshilfe zu versorgen. Ist die Bezirkshebamme vom Kreise entgttltig an¬
genommen, so soll ihr nur in ganz bestimmten, im § 26 angegebenen Fallen
gekündigt werden dürfen, während die Bezirkshebamme selbst das un¬
beschränkte Kündigungsrecht behalten soll. Eine Kündigung durch
den Kreis kann daher nur zugelassen werden, wenn sie sachlich gerechtfertigt
erscheint. Diese Regelung, die zugunsten der Bezirkshebamme getroffen ist,
macht es erwünscht, zunächst eine probeweise Annahme der Bezirkshebamme
auf 2 Jahre vorzuseben (§ 26).
**) Zu § 27 a n. b: Die Sicherstellung des Einkommens einer Bezirks*
hebamme muß deswegen in stärkerem Maße erfolgen, weil die Bezirkshebamme
aus den Einnahmen ihrer Berufstätigkeit regelmäßig nicht den nötigen Lebens¬
unterhalt haben wird. Die Gründe dafür sind schon oben auseinandergesetzt
worden. Der § 27 enthält daher Bestimmungen, durch die der Bezirks¬
heb&mme für jeden Fall eine angemessene Mindesteinnahme gewährleistet wird.
Zunächst ist auch sie auf die Erhebung von Gebühren nach Maßgabe des § 16
angewiesen. Die Beitreibung der Gebühren wird ihr durch die Vorschrift des
§ 16 erleichtert. Ferner soll sie eine feste Vergütung für jede Entbindung
erhalten. Daneben soll ihr aber in dem Dienstvertrage ein festes Jahres¬
einkommen gewährleistet werden, das zusammen mit jener Vergütung ein
Gesamtjahreseinkommen ergibt, von dem sie einen angemessenen Lebensunter¬
halt bestreiten kann. Es handelt sich also hier nicht wie bei den freiprakti¬
zierenden Hebammen am die Leistung eines Zuschusses, der nur in Ausnahme-
66
Dr. Bapmund: Der neue Entwarf
gezahlt erhalten. In dem Vertrage kann Vorbehalten werden, daß sich
dieser Zaschlag ohne weiteres in demselben Verhältnis erhöht oder er¬
mäßigt, in dem der Ausgleichszuschlag der anmittelbaren Staatsbeamten
erhöht oder herabgesetzt wird. 18 )
Das Jahreseinkommen ist nach der Zahl der Entbindungen za berechnen,
bei denen die Bezirkshebamme in dem betreffenden Jahre Hilfe geleistet
hat. Die näheren Vorschriften über die Berechnung erläßt der Minister
für Volkswohlfahrt.
Der Kreis kann sich in dem DienBlvertrage das Hecht Vorbehalten,
eine ihm danach obliegende Zahlung ganz oder teilweise za verweigern,
wenn die Voraassetzangen des § 9c vorliegen;
c) eine angemessene Entschädigung für eine gemäß § 11 d geleistete
Berufstätigkeit. *•)
Entfallen in einem Hebammenbezirk aof eine Bezirkshebamme durch¬
schnittlich nicht mehr als 20 Entbindungen, so muß die Bezirkshebamme
auf Verlangen des Kreises ohne besondere Entschädigung auf dem Gebiete
der Säuglingsfürsorge mitarbeiten;
d) die unen tgeltliche Lieferung der zur Berufstätigkeit der Hebamme
erforderlichen Geräte, Bücher und Drucksachen sowie der¬
jenigen Desinfektionsmittel, die für die von der Hebamme selbst
oder an Minderbemittelten vorzunehmende Desinfektion erforderlich sind; 80 )
e) eine Beisekostenentschädigung und ein angemessenes Tagegeld
für die Teilnahme an einer Nachprüfung oder einem Fortbildungs-
lehrgang; 81 )
fällen zu entrichten ist und nach seiner Höhe den Charakter einer Unter¬
stützung trägt. Das zu gewährleistende feste Jahreseinkommen soll in nor¬
malen Wirtschaftszeiten 3800 M. betragen, wird sich aber jetzt infolge des
Teuerungszaschlages von 26 v. H. auf 4760 M. belaufen.
Bei 86 Entbindungen im Jahre nimmt die Bezirkshebamme aus den Ge¬
bühren (nach der Gebührenordnung zu berechnenden Gebühren s. vorher Anm. 21
zu § 17) so viel ein, daß der Kreis keinen Zuschuß an sie zu zahlen haben
wird. Bei 30 Entbindungen wird dagegen die Znschußpflicht des Kreises im
allgemeinen eintreten. Die Bezirkshebamme würde dann ein Jahreseinkommen
von 4760 + 20 . 30 = 6360 M. haben. Bei 20 Entbindungen würde sich ihr
Jahreseinkommen auf 4760 4- 20 . 20 = 6160 M. belaufen. Das zu gewähr¬
leistende Jahreseinkommen ist im Abs. b niedriger gesetzt und die gesonderte
Zahlung der festen Vergütung für eine Entbindung angeordnet worden, damit
die Bezirkshebamme ein Interesse daran hat, in ihrem Beruf möglichst eifrig
zu sein. Der Staatsrat schlägt vor, unter b Abs. 2 zu sagen: „Zu diesem
Behuie ist ein Zaschlag in der Höhe zu gewährleisten, wie er den unmittel¬
baren Staatsbeamten bezahlt wird“ und der zweite Satz zu streichen.
**) Zu § 27c: Für die Tätigkeit in der Säuglingsfürsorge
8oU aucb der Bezirkshebamme eine besondere Entschädigung gegeben werden.
Letztere erscheint aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die Bezirkshebamme
durch ihre engeren Berufspflichten (§ 11 a bis c) nur in ganz geringem Um¬
fange beansprucht wird. Dies wird der Fall sein, wenn sie nach dem Jahres¬
durchschnitt nicht mehr als 20 Entbindungen hat. Der Kreis soll dann ver¬
langen können, daß die Hebamme die Mitarbeit in der Säuglingsfürsorge ohne
Entschädigung übernimmt.
**) Zu § 27d: Die für ihren Beruf erforderlichen Geräte, Bücher
und Drucksachen sind den Bezirkshebammen schon jetzt allgemein
unentgeltlich geliefert, ebenso wie die Desinfektionsmittel für den
eigenen Gebrauch und für die Verwendung bei Minderbemittelten. Dagegen besteht
kein Anlaß, die Kosten der Desinfektionsmittel auch dann dem Kreise auf¬
zuerlegen, wenn diese Mittel gelegentlich der Hebammenbilfe von vermögenden
Frauen für sich gebraucht werden. Soweit solche Frauen die Mittel nicht selbst
beschaffen, sollen sie ihnen von der Bezirkshebamme besonders in Bechnung
gestellt werden.
8I ) Zu § 27 e: Ersatz der Beisekosten und Zahlung eines angemessenen
Tagegeldes für die Teilnahme an Nachprüfungen und Fortblldungs-
lehrgängen ist schon jetzt überall erfolgt
eines Gesetzes über das Hebammen wesen.
67
f) ein Ruhegeld für den Fall der dauernden Berufsunfähigkeit (§ 9h)
oder der Vollendung des 65. Lebensjahres. **)
Auch der probeweise angenommenen Bezirkshebamme ist ein Anspruch
auf Buhegeld für den Fall zu gewähren, daß sie infolge einer Krankheit,
Verletzung oder sonstigen Beschädigung, die sie sich bei Ausübung ihres
Berufs oder aus dessen Veranlassung ohne eigenes Verschulden zugezogen
hat, danernd berufsunfähig geworden ist.
Das Buhegeld ist nach dem Jahreseinkommen zu bemessen, das
der Bezirkshebamme nach dem ersten Absatz des Absatzes b gewährleistet
war. Ln übrigen ist die Höhe des Buhegeldes nach den für das Buhe*
gehalt von Kommunalbeamten geltenden Vorschriften zu berechnen.
Ist eine Bezirkshebamme gegen Alter, dauernde Berufsunfähigkeit
oder Invalidität versichert, so kann der Kreis auf das Buhegeld eine von.
der Bezirkshebamme auf Grund der Versicherung bezogene Rente in dem¬
selben Verhältnis zur Anrechnung bringen, in dem er die Versicherungs¬
beträge gezahlt hat. 33 )
In dem Dienstvertrage ist die Zahlung des Buhegeldes davon abhängig
zu machen, daß die Besirkshebamme unter Verzicht auf die im § 11 a und b
angegebene Tätigkeit ihr Prufungszeugnis dem Kreise ausbändigt.* 4 )
§ 28.*) In dem Diensvertrage ist auszubedingen, daß die Bezirkshebamme
den Anspruch auf Buhegeld verliert:
a) wenn der Dienstvertrag erlischt (§ 26 Abs. 1),
b) wenn der Dienstvertrag vom Kreise gekündigt wird (§ 26 Abs. 2) und die
Kündigung nicht aus einem der im § 9 h und i angegebenen Gründe erfolgt,
**) Zu § 27 f: Da die Bezirkshebamme ihren Beruf im Dienste des
Kreises ansübt, ist es gerechtfertigt, ihr für den Fall der dauernden Beruf s-
unfähigk eit oder der Vollendung des 65. Lebensjahres gegenüber
dem Kreise einen Anspruch auf Buhegeld zu geben. Der Billigkeit ent¬
spricht es ferner, wenn das Buhegeld auch einer erst probeweise angenom¬
menen Bezirkshebamme gewährt wird, sofern sie aus den im § 27 Abs. f an¬
gegebenen Uründen ohne ibr Verschulden dauernd berufsunfähig wird. Die
Bestimmung, daß der Anspruch auf Buhegeld in jedem Falle der dauernden
Berufsunfähigkeit entsteht, liegt auch im allgemeinen gesundheitlichen Interese;
denn eine Bezirkshebamme, die sich z. B. bei der Ausübung ihres Berufs mit
Syphilis angesteckt hat und daher alle Frauen gefährden würde, denen sie
später Hilfe leistet, würde ohne diesen Anspruch leicht versucht sein, ihre
Erkrankung zu verheimlichen und ihren Beruf fortzusetzen, um nicht mittel¬
los zu werden.
**) Zu § 27, Abs. 4: Viele Bezirkshebammen sind schon jetzt von den
Landkreisen, die dabei die Zahlung der Versicherungsbeiträge übernommen
haben, gegen Alter und Invalidität versichert worden. Es soll den Land¬
kreisen nicht verwehrt werden, auch weiterhin selbst Versicherungsverträge
zugunsten der Bezirkshebammen zu schließen. Dann muß ihnen aber ge¬
stattet werden, eine von der Bezirkshebamme bezogene Vetaicherungsrente in
demselben Verhältnis auf das Buhegeld anzurechnen, in dem sie die Ver¬
sicherungsbeiträge gezahlt haben.
M ) Zu § 27, Abs. 5: Durch diese Bestimmung soll verhütet werden,
daß eine Bezirkshebamme, die wegen Alters oder Berufsunfähigkeit nicht mehr
für die Ausübung der Hebammenhilfe tauglich ist und daher Buhegeld be¬
zieht, ihr Prüfangszeugnis behält und damit etwa Mißbrauch treibt.
») Zu § 28 a u. b: Der Anspruch auf Buhegeld kann der Bezirks¬
hebamme nicht ohne Bücksicht auf ihr Verhalten in jedem Falle zugebiUigt
werden. Ist ihr das Prüfungszeugnis entzogen worden oder hat sie durch
eigenmächtiges Verlassen ihres Bezirks und Aufgeben ihres Wohnsitzes zu er¬
kennen gegeben, daß sie ihrerseits auf den Fortbestand des Vertragsverhält-
nisses mit dem Kreise keinen Wert mehr legt, so kann letzterem nicht die
Pflicht auferlegt werden, trotzdem der Bezirkshebamme ein Buhegeld zu zahlen.
Aus denselben Erwägungen soll der Anspruch auf Buhegqld auch in den im
Absatz b angegebenen Fällen verwirkt sein.
68
Dr. Bapmand: Oer neue Entwurf
c) wenn sie wegen eines vor ihrer Versetzung in den Ruhestand in Aus¬
übung oder anläßlich der Ausübong ihres Berufs begangenen Verbrechens
oder solchen Vergehens, wegen dessen aof Verlast der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden kann, rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Anspruch auf Ruhegeld erlischt in diesem Ealle mit der Rechts¬
kraft des Urteils, 88 )
d) wenn sie, abgesehen von Notfällen (§ 2 Abs. 2), nach Versetzung in den
Ruhestand gegen Entgelt oder gewohnheitsmäßig eine der im § 11a
und b angegebenen Tätigkeiten aasübt, 87 )
e) wenn sie das Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit bezieht, und
die Berufsfähigkeit nachträglich wiedererlangt.
§ 29. Unterläßt es ein Kreis, den Vorschriften der §§ 22 und 25 bis 28
binnen der ihm von der Aufsichtsbehörde gesetzten Frist nachzukommen, so
‘ faßt auf Antrag des Regierungspräsidenten der Bezirksausschuß die zur Er¬
füllung der Pflichten des Kreises erforderlichen Beschlüsse. 88 )
fiebammenstellen.
§ 30. (1) Für jeden Stadt- und Landkreis ist mindestens eine Kr eis -
hebamraenstelle einzurichten. M )
*) Za § 28 c: Der Absatz c betrifft den Fall, daß eine Hebamme Ruhe¬
geld bezieht und nach ihrer Versetzung in den Ruhestand ein Urteil ergeht,
worin sie wegen eines Verbrechens oder schwereren Vergehens, das sie
vor ihrem Uebertritt in den Ruhestand begangen hat, strafrechtlich
verurteilt wird. Nur solche Straftaten sollen in Betracht kommen, deren sich
die Hebamme in der Ausübung oder anläßlich der Ausübung ihres Berufes
schuldig gemacht hat. Es wäre ungerechtfertigt, wenn der Hebamme in einem
solchen Falle das Ruhegeld weiter zustehen sollte, während sie es nicht zu¬
gebilligt ernalten hätte, wenn ihre Straftat rechtzeitig, d. h. schon vor der Ver¬
setzung in den Ruhestand, bekannt geworden wäre und zu einer Verurteilung
geführt hätte.
87 ) Zn § 28 d: Wenn die Bezirkshebamme in den Ruhestand getreten
ist und ihr Prüfungszeugnis dem Kreise ausgehändigt hat, darf sie nicht mehr
Qebnrtshilfe leinten. Sie würde sich sonst strafbar machen <§ 42i. Um dieses
Verbot noch wirksamer zu gestalten, bestimmt der Absatz d, daß sie den An¬
spruch auf Ruhegeld verliert, wenn sie, abgesehen von Notfällen, gegen Ent¬
gelt oder ohne solches gewohnheitsmäßig auch noch im Ruhestände geburts¬
hilflich tätig ist.
") Zu § 29: Die Kontrolle darüber, daß die Kreise gesetzmäßig ver¬
fahren, wird zunächst der Aufsichtsbehörde zu überlassen sein. Vor zu weit¬
gehenden Anforderungen dieser Behörde will der Gesetzentwurf die Kreise da¬
durch schützen, daß er im Streit falle die Entscheidung dem Bezirksausschüsse
überträgt, der an Stelle der Kreisorgane alle Beschlüsse zu fassen hat, die
nach Lage des Einzelfalles zur Erfüllung der den Kreisen nach den §§ 22 und
25 bis 2t* obliegenden Pflichten notwendig sind. Gegen den Beschluß des Be¬
zirksausschusses ist nach §121 des Landesverwaltungsgesetzes die Beschwerde
an den Provinzialrat, für die Stadtgemeinde Berlin nach § 43 desselben Ge¬
setzes die Beschwerde an den zuständigen Minister gegeben.
w ) Zu §§ 30, Abs. 1 und 81 uud 32: Die Einrichtung und Zusammen¬
setzung der Hebammenstellen entspricht sowohl dem Interesse der Heb¬
ammen, als auch dem der Frauen, die auf Hebammenhilfe angewiesen sind.
Es soll beiden di«) Möglichkeit gegeben werden, bei Regelung von Angelegen¬
heiten des Hebaumenwesens mitzuwirken und ihre berechtigten Wünsche zur
Geltung zu bringen. Die genaue Kenntnis, die die Mitglieder der Hebammen¬
stellen von den oVtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen haben werden, sowie
das Vertrauen, das sie sich sowohl bei der Bevölkerung, als auch bei den
Hebammen zu erwerben wissen werdeo, gewährleistet ihnen einen erheblichen
Einfluß auf die Entscheidungen und Beschlüsse der Kreise. Daß sie auf dem
Gebiete des Hebämm nwesens auch mit Anträgen und Anregungen an die
Kreise herantreten können, bedarf keiner besonderen Hervorhebung, da die
H-^bammenstelle dem Interesse der Mütter und der Hebamme dienen soll, ist
vorgesehen, daß ihr dieselbe Zahl Hebammen und Mütter angebören muß. Durch
das Reichsgesetz über die Gewährung von Woehenhüfe sind die Träger der
eines Gesetzes über das Hebammenwesen.
69
(2) Die Kosten der Kreishebammenstelle trägt der Kreis. M )
§ 31. (1) Der Kreishebammenstelle müssen außer Hebammen und
Müttern ein Vertreter des Kreisansschusses, in Stadtkreisen
des Gemeindevorstandes, der zuständige Kreisarzt nud ein Vertreter
der Träger der öffentlichen Krankenversicherung angehören.
Die Berufang weiterer Mitglieder ist zulässig. Die Hebammen und die Mütter
müssen in der Kreishebammenstelle in gleicher Anzahl vertreten sein.
(2) Die Mitgliedschaft in der Kreishebammenstelle ist ein Ehrenamt
Nur die Erstattung von Beisekosten und die Gewährung von Tagegeldern ist
xulässig. 40 )
| 82. (1) Die Wahl der Hebammen für die Kreishebammenstelle
erfolgt durch schriftliche Abstimmung aller im Bezirk der Hebammenstelle
wohnenden Hebammen, die Wahl der Mütter durch den Kreistag und in Stadt'
kreisen durch die Stadtverordnetenversammlung, in Berlin durch die Bezirks-
versammlnngen. Der Vertreter der Träger der öffentlichen Krankenversicherung
wird, wenn keine Einigung unter den beteiligten Kassen zustande kommt, nach
den Vorschriften gewählt, die für die Wahl der Beisitzer beim Versicherungs¬
amt gelten (§§ -2, 43 und 46 der Beichsversicherungsordnung), mit der Ab¬
änderung, daß auch Frauen wahlbar sind. Die übrigen nach § 31 etwa noch
in die Kreishebammenstelle anfzonebmenden Personen werden durch den Kreis¬
tag, in Stadtkreisen durch die Stadtverordnetenversammlung, in Berlin durch
die Bezirksversammlungen berufen.
■ (2) Für jedes gewählte Mitglied ist in gleicher Weise ein Stellver¬
treter zu wählen.
(3) Die Mitglieder nnd Stellvertreter werden jeweils auf 4 Jahre gewählt.
(4) Im übrigen wird die Zusammensetzung der Kreishebammenstelle
und das Verfahren bei der Wahl ihrer Mitglieder durch Kreissatzung, in
Stadtkreisen durch Ortssatzung geregelt. Die Geschäftsordnung für die
Kreishebammenstelle erläßt der Kreisaasschuß, in Stadtkreisen der Magistrat
(Bürgermeister).
§ 33. 41 ) Die Kreishebammenstelle muß gehört werden:
a) vor der Abgrenzung und Abänderung von Niederlassungsgebieten und
Hebammenbezirken,
b) vor der Erteilung oder Zurücknahme einer Niederlassungsgenebmigung
(§§ 7 und 9),
c) vor der Erteilung oder Zurücknahme der Genehmigung zu einer anderen
Erwerbstätigkeit (§ 13),
d) vor der probeweisen oder endgültigen Annahme einer Bezirkshebamme,
e) vor dem Ausspruch einer Kündigung in den Fällen des § 26 Abs. 2,
f) vor der Festsetzung einer Gebühr nach § 16,
g) vor der Einleitung eines Strafverfahrens nach § 42,
t») vor der Erhebung einer Klage auf Zurücknahme des Hebammenprüfungs¬
zeugnisses (§ 63 der Beichsg-werheordnung) oder vor der Zurücknahme
einer nach § 4 Abs. 1 erteilten Genehmigung des Ministers für Volks¬
wohlfahrt,
i) vor allen übrigen wichtigen, das Hebammenwesen des Kreises betreffenden
Angelegenheiten.
§ 84. Die Kreishebammenstelle kann im Falle des § 9 d die Ver¬
warnung einer Hebamme beschließen. Der Hebamme steht das Becht zu,
innerhalb 2 Wochen von der Zustellung ab gegen die Erteilung einer Ver¬
öffentlichen Krankenversicherung an der geburtshilflichen Versorgung der
jungen Frauen, denen jenes Gesetz zagute kommt, wesentlich interessiert.
Daher sollen sie berechtigt sein, in die Kreishebammenstelle einen Vertreter
zu entsenden.
* 0 ) Zu § 81 Abs. 2 und § 82 Abs. 2: Die Vorschrift des § 80 Abs. 2
ergibt sich daraus, daß die Hebammenstelle eine kommunale Einrichtung ist.
Der Umfang der Kosten wird nur gering sein, da die Mitgliedschaft ein
Ehrenamt ist und nur die Erstattung von Beisekosten und die Gewährung von
Tagegeldern zulässig ist.
“) Zu § 88: Es sind hier alle Fälle aufgeführt, in denen die Kreis¬
hebammenstelle gehört werden muß.
70
Dr. Bapmund: Der neue Entwarf
Warnung die Entscheidang der Provinzialhebammenstelle anzarnfen. Wenn die
Provinzialhebammenstelle den Einspruch der Hebamme gegen die Verwarnung
für unbegrttndet erklärt, kann sie der Hebamme ganz oder teilweise die durch
die Anrufung der Provinzialhebammenstelle entstandenen Kosten auferlegen. 4 *)
§ 35. (1) Für jede Provinz, mit Ausnahme der Provinz Hessen-Nassau,
ist eine Provinzialhebammenstelle zu bilden. In der Provinz Hessen-
Nassau treten an die Stelle der Provinzialhebammenstelle die nach § 39 einzu-
richtendon Hebammenstellen der Bezirksverbände Cassel und Wiesbaden.
(2) Die Kosten der Provinzialhebammenstelle trägt der Provinzialverband.
§ 86. (1) Der Provinzialhebammenstelle müssen ein Vertreter
des Provinzialausschusses, ein Begierungs- und Medizinalrat, ein Direktor einer
Hebammenlehranstalt, oder wenn in dem Gebiete der Provinzialhebammenstelle
keine solche Anstalt ist, ein Frauenarzt sowie 3 Hebammen, 3 Mütter und
1 Vertreter der Träger der öffentlichen Krankenversicherung angeboren.
(2) Die Miegliedschaft der Provinzialhebammenstelle ist ein E h r e n a m t.
Nur die Erstattung von Beisekosten und Tagegeldern ist zulässig.
§ 37. (1) Hebammen werden in die Provinzialhebammenstelle durch
eine schriftliche Abstimmung aller den Kreishebammenstellen der Provinz
angehörenden Hebammen gewählt. Der Vertreter der träger der öffent¬
lichen Krankenversicherung wird durch den Ausschuß der zuständigen Ver¬
sicherungsanstalt, die übrigen Mitglieder werden durch den Provinzialausschnß
gewählt.
(2) Für jedes gewählte Mitglied ist in gleicher Weise ein Stellver¬
treter zu wählen.
(3) Die Mitglieder und Stellvertreter werden jeweils auf 4 Jahre gewählt.
(4) Im übrigen wird die Zusammensetzung der Provinzialhebammenstelle
und das Verfahren bei der Wahl ihrer Mitglieder durch den Provinzialaus-
schnß geregelt.
Dieser erläßt auch die Geschäftsordnung für die Provinzial-
hebammenstelle.
§ 88. 4S ) (1) Die Provinzialhebammenstelle ist zu hören:
a) vor der Entscheidung des Bezirksausschusses in den Fällen der §§ 10
13 und 16.
b) vor dem Erlaß einer Gebührenordnung (§ 15),
c) vor der Entscheidang über eine Ausnahme bei der Zulassung zur Aus¬
bildung an einer Hebammenlehranstalt und zur Hebammenprüfung,
d) vor der Entscheidung, die auf eine Beschwerde über die Hebammenlebr-
anstalt von der Aufsichtsbehörde in erster Instanz ergeht,
e) in allen übrigen, das Hebammenwesen der Provinz betreffenden Fragen.
4t ) Zu § 84: Die Kreishebammenstelle soll durch das Becbt, einer Heb¬
amme eine Verwarnung zu erteilen, eine gewisse disziplinarische
Befugnis eingeräumt erhalten. Die Verwarnung kommt nur in solchen
leichteren Fällen der Pflichtwidrigkeit einer Hebamme in Frage, bei denen
schärfere Maßnahmen, insbesondere die Entziehung des Prüfungszeugnisses,
nicht am Platze sind. Infolge ihrer Zusammensetzung erscheint die Hebammen¬
stelle als besonders geeignet, derartige Pflichtverletzungen einer Hebamme
unter Abwägung aller Umstände zu beurteilen. Eine dreimalige Verwarnung
innerhalb 10 Jahren soll die Wirkung haben, daß der Hebamme die Nieder¬
lassungsgenehmigung entzogen und einer Bezirkshebamme gekündigt werden
kann. Die Hebammen werden daher durch die Vorschrift des § 34 noch be¬
sonders zu voller Pflichterfüllung angehalten werden. Um ihnen ein Bechts-
mittel gegen eine ausgesprochene Verwarnung zu geben ist bestimmt, daß sie
binnen 2 Wochen die Entscheidung der Provinzhebammenstelle anrufen können.
**) Zu § 88: Die Provinzialhebammenstellen sollen bei allen
Fragen beratend mitwirken, die das Hebammenwesen der ganzen Provinz an-
gehen, und darüber wachen, daß auf diesem Gebiete in der Provinz möglichst
einheitlich verfahren wird. Sie sollen der Organisation der Provinzialverbände
angegliedert werden, die daher auch die Kosten jener Steilen tragen sollen.
Der Staatsrat empfiehlt, von der Errichtung der Provinzialhebammen¬
stellen abzusehen und deren Befugnisse auf eine der bestehenden Staatsstellen
zu übertragen.
eines Gesetzes Qber das Hebammenwesen.
71
0 Die Provinzialbebammenstelle entscheidet endgültig über Einsprüche
gegen Verwarnungen (§ 34). Sie ist verpflichtet, sich auf Ersuchen einer Ver¬
waltungsbehörde oder eines Gerichts gutachtlich in Hebammenangelegenheiten
zu äußern.
§ 89. (1) Die Stadt Berlin, die Bezirksverbände Cassel und Wies¬
baden sowie der Landeskommunalverband der Hohenzollernschen Lande
gelten als Provinz im Sinne der §§ 36 flg.
(2) Landesteile, die nach den bevorstehenden Bestimmungen keiner
Provinzialhebammenstelle angehören würden, sind durch Verordnung des Mi¬
nisters für Volks Wohlfahrt und des Ministers des Innern einer solchen Stelle
anzugliedern.
Staatsbeihilfe.
§ 40. (1) Zur Gewährung von Beihilfen zur Aufbringung der durch
dieses Gesetz entstehenden Kosten für das Bezirkshebammen wesen wird durch
den Staatshaushaltsplan ein jährlicher Betrag in Höhe von 10 Millionen Mark
bereitgestellt. **)
(2) Die näheren Bestimmungen über die Verteilung dieses Betrages erläßt
der Minister für Volkswohlfahrt im Einvernehmen mit dem Finanzminister.
Uebergangs-, Straf- und Schlußbestimmungen.
§ 41. (1) Hebammen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ein
Prüfungszeugnis erworben haben, sind bei der Erteilung einer Niederlassungs¬
genehmigung und der Annahme als Bezirkshebamme in erster Linie zu berück¬
sichtigen. 46 )
44 ) Zu § 40: Der Begründung ist eine Uebersicht über die Kosten der
Neuregelung des Hebammenwesens beigefügt. Danach wird eine Ges amt¬
nab 1 von 16600 Hebammen angenommen; von diesen werden etwa 7000 Be¬
zirkshebammen und 8600 freitätige Hebammen sein. Die Zahl der¬
jenigen Bezirksbebammen, die noch einen Nebenerwerb ausüben, wird im
Verhältnis zur Gesamtzahl zur Zeit auf 1:6, künftighin auf 1:9 geschätzt.
Die Gesamtzahl der jährlichen Geburten 800000, von denen 10% durch Aerzte
und Entbindungsanstalten besorgt werden, sodaß 7200( 0 auf Hebammen ent¬
fallen werden, davon 210000 auf Bezirkshebammen (für jede 80 Geburten).
Die Kosten für die freitätigen Hebammen werden auf rund 2700000 M.
(Zuschuß des Kreises 8500X100 = 860000 M., Versicherungskosten 8600X130
= 1106000 M. und Kosten für Nachprüfungen und Fortbildungskurse 8500X80
— 680000 M.), die Kosten für die Bezirkshebammen auf rund
16300000 M. geschäzt (1. feste Vergütung für 210000 Entbindungen zu
20 M. =4200000 M.; 2. Zuschuß des Kreises: bei 6175 Bezirkshebammen
ohne Nebenerwerb [650 M.] = 3920000 M. und 875 Bezirkshebammen mit Neben¬
erwerb [165 M.] = 144976 M, zusammen rund 4100000 M. Werden jedoch
nicht 110 bezw. 200 M. sondern 90 bezw. 170 M. als Gebühren für eine Ent¬
bindung angenommen, so erhöht sich dieser Zuschuß auf 6600000 M.; 3. Kosten
für Desinfektionsmittel, Geräte usw. [420X70*0] rund 80000(0 M.; 4. Kosten
für Nachprüfungen und Fortbildungskurse 80X7000 = 660000 M.; 5. Buhegeld:
780 Hebammen, davon 682 ohne und 98 mit Nebenerwerb und einem Ruhe-
f eld von je 2850 und 2665 = 1943700 bezw. 251470 M., zusammen rund
200000 M.). Es ergibt sich also eine Gesamtausgabe von rund 19 Millionen
Mark; davon sollen vom Staate 10 Millionen Mark durch Gewährung von
Beihilfen an leistungsschwache Gemeinden getragen werden.
Der Staatsrat schlägt vor, dem § 40 Abs. 1 folgende Fassung zu
geben: „Von den durch die Durchführung des Hebammenwesens im Rahmen
dieses Gesetzes den Kreisen erwachsenen Kosten ist die Hälfte alljährlich vom
8taate zu erstatten. Zu diesem Zwecke wird durch den Staatshaushaltsplan
ein jährlicher Betrag in Höhe von zunächst 10 Millionen Mark bereitgestellt."
tt) Zu § 41: Die im ersten Absatz angeordnete, vorzugsweise Berück¬
sichtigung der schon berufstätigen Hebammen und solcher Frauen,
die sich beim Inkrafttreten des Gesetzes in der Hebammenausbildung befinden,
entspricht der Billigkeit. Die Gründe, aus denen eine solche Berücksichtigung
in gewissen Fällen unterbleiben soll, sind im wesentlichen dieselben, die zur
72
Dr. Bapmund: Der neae Entwurf
(2) Dies gilt nicht in folgenden Fallen:
a) wenn die Hebamme das 65. Lebensjahr überschritten bat,
b) wenn sie infolge eines körperlichen Gebrechens infolge Schwäche ihrer
geistigen oder körperlichen Kräfte zur Erfüllung ihrer Berufspflichten
dauernd unfähig ist,
c) wenn sie die letzte Nachprüfung zweimal hintereinander nicht bestanden bat,
d) wenn sie in dem letzten Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei
weniger als 10 Gebarten Hilfe geleistet hat nnd nicht besondere Gründe
für diese geringe Berufstätigkeit dargetan bat,
e) wenn sie sich wiederholt eines Mangels an Pflichteifer, einer Nachlässig¬
keit im Bernf oder einer ungleichmäßigen Berücksichtigung oder Behand¬
lung der Hilfesuchenden schuldig gemacht hat.
(3) Die Annahme als Bezirkshebamme kann ferner abgelehnt werden,
wenn sonst ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 des Bürgerlichen Gesetz¬
buchs vorliegt.
(4) Bevor die Niederlassungsgenehmigung oder die Annahme als Bezirks¬
hebamme aus den im AbB. 2 b bis e nnd im Abs. 3 angegebenen Gründen abge¬
lehnt wird, ist die Kreishebammenstelle zu hören.
(5) Im übrigen bedürfen Hebammen, die beim Inkrafttreten dieses Ge¬
setzes das Prüfungszeugnis erworben haben, einer Niederlassungsgenehmigung
oder einer Annahme als Bezirkshebamme erst nach Ablauf von 5 Jahren
seit diesem Zeitpunkt. Vorher bedürfen sie einer solchen Genehmigung oder
Annahme nur, wenn sie nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ihren Wohnort
wechseln oder länger als ein Jahr hintereinander ihren Bernf nicht ausüben.
Bis zum Erwerb der Niederlassungsgenehmigung oder zur Annahme als Bezirks¬
hebamme fioden auf sie die §§ 2, 4, 11, 12, 15, 19, 20, 21, 33, 34, 38 und 42
entsprechende Anwendung.
(6) Die Vorschrift des § 13 gilt für Hebammen, die beim Inkrafttreten
dieses Gesetzes neben ihrer Berufstätigkeit eine andere Erwerbstätigkeit aus¬
üben, mit der Maßgabe, daß die Genehmigung zu der anderen Er¬
werbstätigkeit binnen einer von dem Minister für Volkswohlfahrt feat-
zusetzenden Frist nachträglich einzuholen ist.
§ 42.**) Mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft wird, sofern
nicht nach den bestehenden Bestimmungen eine höhere Strafe verwirkt ist, bestraft:
Zurücknahme einer Niederlassungsgenehmigung (§ 9) oder zur Kündigung einer
Bezirkshebamme (§ 26 Abs. 2) berechtigen.
Schätzungsweise sind jetzt in Preußen etwa 1500 Hebammen über den
künftigen Bedarf hinaus tätig. 8ie sollen bis zum Ablauf von 5 Jahren nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes ihren B*ruf noch ohne Niederlassungsgenehmi-
gung oder Annahme als Bezirkshebamme weiter ausüben dürfen, sofern sie
nicht ihren Wohnort wechseln oder den Beruf länger als 1 Jahr ruhen lassen.
Da gegenwärtig etwa 1400 berufstätige Hebammen über 65 Jahre alt sind,
erscheint die Frist von 5 Jahren als ausreichend. Die wichtigsten Bestimmungen
des Gesetzes sollen inzwischen auch auf diese Hebammen Anwendung finden.
M ) Zu § 42: Es wird hier zunächst die nicht gewerbsmäßige Heb¬
ammenpfuscherei (§8) unter Strafe gestellt. Für die gewerbsmäßige
Pfuscherei droht der § 147 der Beichsgewerbeordnung eine Geldstrafe bis zu
800 M. oder Haft an.
Im übrigen richten sich die Strafvorschriften des § 42 gegen die Heb¬
ammen. Bisher verfallen diese wegen Verletzung ihrer Berufs-
pflichten im allgemeinen nur dann einer gesetzlichen Strafe, wenn die Ver¬
nachlässigung der Berufspflichten zu einer Körperverletzung oder zu einem
Todesfall geführt hat. Es hat sich aber das Bedürfnis nach Ahndung von
geringeren Pflichtverletzungen, beispielsweise der die Gefahr einer Kindbett-
nebererkrankung bedingenden Außerachtlassung der Desinfektions Vorschriften
oder der Nichthinzuziehnng eines Arztes in schwierigen Eotbindungsfällen, auch
dann heransstellt, wenn sie keine so schweren Folgen nach sich gezogen haben.
Vielfach sind entsprechende Strafnormen durch Polizeiverordnungen geschaffen
worden. Es ist aber angezeigt, sie jetzt durch eine einheitliche gesetzliche
Strafandrohung zu ersetzen. Außerdem bedarf es einer strafrechtlichen Sicherung
der einzelnen für Hebammen ausgesprochenen Verbote der Berufsausübung.
eines Geeetses über das Hebammenwesen.
78
a) eise in den §§ 3, 4, 24 Satz 1 und im vorletzten Absatz des § 41 ver¬
botene Ansübong der Gebartshilfe,
b) eine Verletzung der den Hebammen nach dem § 6 Abs. 1, § 11 Abs. 1,
§§ 12, 18, 28 and 24 Satz 2 obliegenden Berafspflichten.
§43. Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten nicht für Hebammen,
He an Entbindungsanstalten oder Krankenhäusern angestellt
lind and ihren Bend ausschließlich in deren Dienst aosflben. Der Minister
für Volkswohlfahrt kann jedoch fttr die Aasttbang der Berufstätigkeit dieser
Hebammen besondere Vorschriften erlassen. 47 )
§ 44. (1) Der Minister ftti Volkswohlfahrt erläßt die zur A u s f tt h r u n g
dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen.
(2) Insbesondere erläßt er, unbeschadet der Hechte der Kommunalver¬
bände, die Zulassung zu den Hebammenlehr&nstalten durch Satzung oder Ver¬
ordnung zu regeln, die Vorschriften ttber die Voraussetzungen der Zulassung
nnd die Ausbildung der Hebammenschttlerinnen, über die Zusammensetzung des
Prüfungsausschusses, die Prüfung, Erteilung und Wiederverleihung des Prüfungs¬
zeugnisses, ttber die Berufspflichten, die Nachprüfungen und Fortbildungslehr¬
gänge sowie über die vom Kreisarzt auszuttbende Aufsicht.
§ 46. Alle mit diesem Gesetz im Widersprach stehenden gesetzlichen
oder polizeilichen Vorschriften über das Hebammenwesen treten außer Kraft.
§ 46. (1) Dieses Gesetz tritt am in Kraft.
(2) Für die Hohenzollemschen Lande wird das Inkrafttreten
des Gesetzes durch den Minister fttr Volkswoblfahrt angeordnet. 48 ) Die Anord¬
nung muß erfolgen, wenn in den Hohenzollemschen Landen nicht bis zum
für ein genügendes Mindesteinkommen und eine ausreichende
Altersversorgung der Gememdehebammen Sorge getragen ist.
Eine durchgreifende Reform des preußischen Hebammen¬
wesens ist schon seit vielen Jahren nicht nur von den
Hebammen, Aerzten und Medizinalbeamten, sondern auch von
der Oeffentlichkeit und den gesetzgebenden Körperschaften ge¬
fordert. Zur Vorlage eines das ganze Hebammen wesen neu
regelnden Gesetzentwurfes ist es trotzdem erst im Jahre 1918
4T ) Zu § 48: Es erscheint nicht angängig, die als Angestellte bei
Entbindungsanstalten oder Krankenhäusern ausschließlich tätigen
Hebammen durch Unterstellung unter das neue Hebammengesetz gegenttber
dem übrigen Pflegepersonal jener Anstalten einer besonderen gesetzlichen
Regelung zu unterwerfen. Die Verhältnisse, unter denen diese Hebammen
ihren Beruf ausüben, sind auch ganz anders als bei den freipraktizierenden
Heb amm en oder den Bezirkshebammen. Soweit es noch nötig ist, wird über¬
dies die nach dem Gesetzentwurf geplante finanzielle Besserstellung der letzt¬
genannten Hebammen von selbst eine entsprechende Besserstellung der Anstalts¬
hebammen nach sich ziehen. Denn den Anstalten würden sich sonst künftig
keine geeigneten Hebammen zur Verfügung stellen. Wenn demnach das Gesetz
auf jene Hebammen keine Anwendung finden soll, so ist es doch nötig, dem
Minister für Volkswohlfahrt das Hecht vorzubehalten, die Ausübung der Berufs¬
tätigkeit auch für die Anstaltshebamme durch besondere Vorschriften zu regeln.
*•) Zu § 46: In den Hohenzollemschen Landen sind die Ver¬
hältnisse insofern besonders geartet, als dort nur von Gemeinden fttr deren
Bezirk an gestellte Hebammen, und zwar meist nebenberuflich, tätig sind. Weder
das Erfordernis einer Niederlassungsgenehmigung noch die Einführung des
Bezirkshebammenwesens würde zur Zeit den dortigen Verhältnissen genügend
Bechnung tragen. Das Gesetz soll daher dort grundsätzlich noch nicht sogleich
durchgeführt werden. Nur wenn die Gemeinden der Hohenzollemschen Lande
ihre teilweise mit recht geringen Einnahmen ausgestatteten Hebammen nicht
bis zu einem bestimmten Zeitpunkt finanziell ausreichend versorgen, soll das
Gesetz auch dort durch eine Anordnung des Ministers für Volkswohlfhhrt dem¬
nächst in Kraft gesetzt werden können.
74
Dr. Bapnmnd: Der neue Entwarf
gekommen, dieser Entwurf aber ebensowenig verabschiedet,
wie der zwei Jahre später (im November 1920) der Verfassung^-
gebenden Landesversammlung vorgelegte Entwurf, der trotz
einer sehr ausgiebigen Umgestaltung durch den vorberatenden
Bevölkerungsausschuß in der zweiten Lesung auf erheblichen
Widerstand stieß und schließlich nicht mehr zur dritten Lesung
gelangte, weil die Landesversammlung kurz darauf ihr Ende
erreichte. Vergleicht man die beiden früheren Gesetzentwürfe
mit dem jetzt vorliegenden, so ergiebt sich, daß dieser auf den
gleichen Grundsätzen beruht, wie der Entwurf im Jahre 1918
und nur verschiedene Bestimmungen erhalten hat, die dem
ursprünglichen bezw. durch den Bevölkerungsausschuß ab¬
geänderten Entwurf von 1920 entnommen sind. Ebenso wie
die beiden früheren Entwürfe bezweckt auch der jetzige eine
gründliche Abstellung der auf dem Gebiete des Hebammen¬
wesens bestehenden Mißstände, die er in erster Linie durch
Besserung der wirtschaftlichen Lage und Hebung des ganzen
Hebamraenstandes sowie durch eine angemessenere Verteilung
der Hebammen über das ganze Land zu erreichen hofft. Während
aber der Entwurf vom Jahre 1920 dieses Ziel durch Ein¬
führung des Bezirkshebammensystems über das ganze
Staatsgebiet unter allmähliger Beseitigung der soge¬
nannten freipraktizierenden Hebammen erstrebte und
an diesem Grundsätze auch in dem vom Bevölkerungsausschuß
abgeänderten Entwurf festgehalten war, ist in dem nunmehr
dem Landtag vorgelegten neuen Gesetzentwurf der Beseitigung
der freitäligen Hebammen und damit eine Einschränkung der
freien Hebammenwahl fallen gelassen, da sie nicht nur den
Verhandlungen der Landesversammlung vom 11. und 12. Januar
v. J., sondern auch bei den Hebammen selbst, bei den Aerzten
und Medizinalbeamten sowie vor allem in weiten Kreisen der
Bevölkerung starken Widerspruch erfahren hatte. Demzufolge
kommt der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf dem durchaus be¬
rechtigten Wunsche der Frauen, sich diejenige Hebamme
wählen zu können, zu der sie volles Vertrauen hat, nach Mög¬
lichkeit dadurch entgegen, daß er, wie der Entwurf vom Jahre
1918, die gewerbliche Ausübung des Hebammenberufes von
einer Niederlassungsgenehmigung abhängig macht, die
allerdings nur im Falle des Bedürfnisses erteilt wird. Auf
diesem Wege hofft man auch eine gleichmäßige und an¬
gemessenere Verteilung der Hebammen über das ganze Land
und deren wirtschaftliche Sicherstellung um so mehr zu er¬
reichen, als gleichzeitig die Anstellung von Bezirks¬
hebammen in Landkreisen vorgesehen ist, in denen wegen
geringerer Dichtigkeit und größerer Bedürftigkeit der Bevölke¬
rung eine freie Niederlassung von Hebammen entweder über¬
haupt nicht oder nicht in ausreichendem Maße statlfindet.
Gleichzeitig enthält der Gö^etzentwurf Bestimmungen, um
allen Hebammen, auch den freiiätigen, ein den Kosten ihres
Lebensunterhalts entsprechendes Mindesteinkommen und aus-
eines Gesetzes Aber das Hebammen wesen.
75
reichende Versorgung im Falle von Krankheit und Be¬
rufsunfähigkeit zu sichern. Im großen und ganzen kann
man sich deshalb mit den Grundsätzen, au! denen der Gesetz¬
entwurf aufgebaut ist, nur einverstanden erklären; er bedeutet
jedenfalls gegenüber dem Entwurf im Jahre 1920, sowohl in
seiner ursprünglichen, als in der durch den Bevölkerungs¬
ausschuß abgeänderten Form, eine wesentliche Verbesserung,
die allerdings nach verschiedenen Richtungen hin noch nicht
genügt, um allen in Bezug auf das Hebammenwesen vom
gesundheitlichen Standpunkte aus zu stellenden Anforderungen
gerecht zu werden. Außerdem enthält er einzelne Bestimmungen,
durch die seine Durchführung erschwert wird, und die deshalb
am besten beseitigt oder wenigstens abgeändert werden sollten.
Der Staatsrat, dem verfassungsgemäß derartige Gesetzentwürfe
zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden müssen,
hat bereits verschiedene, unseres Erachtens ganz zweckmäßige
Abänderungsvorschläge dazu gemacht, so daß man sich eigent¬
lich wundern muß, daß sie von dem Ministerium für Volks¬
wohlfahrt nicht berücksichtigt sind.
§ I des jetzigen Entwurfs entspricht seinem Wortlaut nach
dem vom Bevölkerungsausschuß neu hinzugefügten § 1 des
Entwurfs vom Jahre 1920; der Staatsrat schlägt hierzu eine
geringe Abänderung vor, die berücksichtigt zu werden ver¬
dient, wenn sie auch hauptsächlich stilistischer Natur ist.
Die §§ 2— 4 entsprechen den §§ 1—3 des obengenannten
Entwurfs, nur daß hier im § 4 Abs. 1 zur Ausübung des Heb-
ammenberufes eine Niederlassungsgenehraigung vor¬
geschrieben wird, der die Anstellung als Bezirkshebamme gleich
steht. Den in den ftft 5-10 des Entwurfs getroffenen Be¬
stimmungen über die Erteilung der Niederlassungs¬
genehmigung, Verlust ihrer Gültigkeit sowie über
ihre Versagung und Zurücknahme, die im großen und
ganzen den Bestimmungen der §§ 2—5 des Entwurfes vom
Jahre 1918 entsprechen, kann man sich im allgemeinen ein¬
verstanden erklären. Dies gilt auch betreffs des Abänderungs¬
vorschlages des Staatsrats zu § 9 f, der eine Herabsetzung der
für unerlaubte Abwesenheit der Hebammen vorgesehenen
Fristen von 3 Monaten und 6 Wochen auf 2 Monate und
4 Wochen empfiehlt, denn wenn durch diese Bestimmung nach
der dazu zugelassenen Begründung mit Recht der Möglichkeit
vorgebeugt werden soll, daß Hebammen sich die Niederlassungs¬
genehmigung für einen Ort erteilen lassen, wo Hebammen¬
mangel herrscht, ihren Beruf aber auf Grund des § 6 Abs. 2
hauptsächlich an einem anderen Orte ausüben, dann wird dies
jedenfalls durch die vorgeschlagene Abkürzung der betreffenden
Fristen mit größerer Sicherheit erreicht werden. Ebenso halten
wir es in Uebereinstiraraung mit dem Vorschläge des Staats¬
rates und aus später auch auszuführenden Gründen für zweck¬
mäßig, daß die Provinzial-Hebammenstelle überhaupt aus
dem Gesetz fortgelassen wird und damit auch ihre im § 2 Abs. 10
76
Dr. Bapmud: Der neue htmuf
angeordnete Anhörung vor der Entscheidung des Bezirks¬
ausschusses über Beschwerden der Hebammen gegen
Versagung oder Zurücknahme der Genehmigung
fortfällt.
Zu den Berufspflichten der Hebammen ist im §11 unter
c. neu hinzugefügt: „Forderung der natürlichen Er¬
nährung der Säuglinge 0 und damit zum Ausdruck ge¬
bracht, daß die Hebamme auch ohne besondere Anstellung als
Säuglingsfürsorgerin sich um die ordnungsmäßige Pflege der
Neugeborenen bekümmern soll. Unseres Erachtens dürfte
es dagegen richtiger sein, die unter c. und d. aufgeführten
Pflichten der Hebammen dem von der „Vereinigung zur Förde¬
rung des Deutschen Hebammenwesens 0 auf ihrer Versammlung
im Jahre 1918 gemachten Vorschläge gemäß zusammenzufassen
und einfach zu sagen: c. „Säuglingsfürsorge 0 unter Wegfall
des „nach Maßgabe des örtlichen Bedürfnisses 0 . Wie wir bereits
früher bei Besprechung diese Entwurfs betont haben, kommen die
Hebammen in erster Linie als Säuglingsfürsorgerin in Betracht,
besonders wenn sie dafür ausgebildet sind, was künftighin der
Fall sein wird. Es ist deshalb eine Einschränkung „nach Ma߬
gabe des örtlichen Bedürfnisses 0 nicht nur überflüssig, sondern
auch nachteilig für die Förderung und den weiteren Ausbau
der Säuglingspflege. Namentlich auf dem Lande ist die Hebamme
die geeignetste Persönlichkeit, neben der Sorge für die Mütter
auch die ständige Ueberwachung der Säuglinge im ersten
Lebensjahre zu übernehmen. Was wir damals zur Begründung
dieser Forderung ausgeführt haben, gilt auch jetzt noch in
vollem Umfange:
„Die Hebamme ist die berate ne Säaglingsfüraorgerin, die das Ver¬
trauen der Mütter, denen sie in ihrer schweren 8iande beigestanden hat, be¬
sitzt, den Gesundheitszustand der Mütter nnd der 8äaglinge in den ersten
14 Tagen ständig überwacht, allzeit am Orte vorhanden ist nnd auch fast
überall genügend Zeit übrig hat, nm diese mit ihrem eigentlichen Berufe eng
▼erbnndene Tätigkeit zn übernehmen. Dazu kommt, daß sich dadurch nicht nnr
die Bestellung besonderer 8änglingspflegerinoen auf dem Lande erübrigt and
alle sonst unausbleiblichen Mißhelligkeiten zwischen diesen und den Hebammen
vermieden werden, sondern aoch die soziale und wirtschaftliche Lage
der Hebammen durch diese Tätigkeit und die damit verbundene Vergütung
gehoben und es ihr ermöglicht wird, auf jede Hebentätigkeit zu ver¬
zichten, was wiederum im allgemeinen gesundheitlichen Interesse sehr er¬
wünscht ist.“
Nur in größeren Städten und Gemeinden wird es voraus¬
sichtlich notwendig sein, besondere Säuglingspflegerinnen an¬
zustellen, da dort die Hebammen vielfach durch ihre geburts¬
hilfliche Tätigkeit vollständig in Anspruch genommen sind.
Daß die Teilnahme aller Hebammen an Nach¬
prüfungen und Fortbildungskursen im Gesetzentwürfe
gesetzlioh festgelegt ist (§ 12), entspricht einem Bedürfnis.
Die Durchführung dieser Anordnung ist dadurch wesentlich
erleichtert, daß den Hebammen für diese Teilnahme nach
»« 19 und 27e eine Reisegeldentschädigung und ein an¬
gemessenes Tagegeld gewährt werden soll. Es fehlt hier
eines Gesetzes Aber das Hebanunenwesen.
77
aber eine Zusatzbestiramung, wonach die Hebammen keinen
Anspruch auf Tagegelder und Entschädigung haben, wenn die
Unterziehung einer Nachprüfung oder die Teilnahme an einem
Fortbildungskursus durch eigenes Verschulden verursacht
ist Zweckmäßig ist ferner die Bestimmung im § 13, wonach die
Hebamme zu einer anderen Erwerbstätigkeit einer zu¬
vorigen Genehmigung des Kreis- bezw. Stadtausschusses bedarf,
die wieder zurückgenommen werden kann. Ebenso wie bei § 10
Abs. 2 kann aber auch hier die im Abs. 3 geforderte zuvorige
Anhörung der Provinzialhebammenstelle bei Beschwerden gegen
die Versagung der Zurücknahme dieser Genehmigung fortfallen.
Die Fassung im § 11a stimmt übrigens nicht mit den im
§ 1 gegebenen allgemeinen Bestimmungen über die Hebammen¬
hilfe überein; danach muß es nicht: „Beratung von Schwangeren
und Ausübung der Geburtshilfe“, sondern „Beratung und
Hilfe von Schwangeren usw.“ heißen.
Nach § 14 soll die Berufstätigkeit ebenso wie bisher der
Aufsicht des Kreisarztes unterstehen; eine solche Beauf¬
sichtigung ist aber ohne Mitwirkung des Kreisarztes in allen
das Hebammen wesen betreffenden Angelegenheiten mehr oder
weniger illusorisch, deshalb muß diese durch den von uns schon
bei dem Entwurf von 1918 gemachten Vorschlag im § 14 ge- #
setzlich festgelegt werden. Ein derartiger Zusatz erübrigt sich
nicht etwa dadurch, daß der Kreisarzt nach § 31 des Entwurfs
Mitglied der Kreishebammenstelle ist, und deshalb in deu im
§ 33 angeführten Fällen gehört wird; denn alle die hier ge¬
nannten Angelegenheiten bedürfen doch meist Vorberatungen
und Vorverhandlungen, bei denen die Mitwirkung des Kreis¬
arztes unbedingt notwendig ist und nicht etwa, wie jetzt, von
dem Gutdünken der zuständigen Behörden abhängig sein darf.
Manche Mißstände auf dem Gebiete des Hebammenwesens
würden sicher schon früher beseitigt sein, wenn der Kreisarzt
bisher mehr Einfluß auf dessen Regelung in seinem Kreise
gehabt hätte; aber ebenso wie auf verschiedenen anderen Ge¬
bieten hat auch hier die Neigung der betreffenden Behörden
bestanden, seine Mitwirkung selbst in solchen Fällen zu um¬
gehen, in denen sie durch besondere allgemeine Verfügung
vorgeschrieben war. Es empfiehlt sich daher, dem § 14 folgenden
Zusatz zu geben: „der bei der Durchführung dieses Gesetzes,
insbesondere bei dem im § 33 unter a bis i genannten Angelegen¬
heiten mitzuwirken hat.“ Dann erübrigt sich auch Abs. 3 des
§ 26, der das An hören des Kreisarztes vor dem Ausspruch der
Kündigung einer Bezirkshebamme ausdrücklich vorschreibt, und
der sonst zu der irrtümlichen Auffassung führen konnte, daß
seine Mitwirkung in anderen Fällen nicht erforderlich ist.
Unseres Erachtens sollte man überhaupt noch einen Schritt
weiter gehen und im § 31 bestimmen, daß der zuständige Kreis¬
arzt nicht bloß Mitglied, sondern gleichzeitig Vorsitzender
der Kreishebammenstelle sein soll und ihre Geschäfte zu leiten
hat; erst dann darf man erwarten, daß bei Durchführung dieses
78
Dr. Bapmond: Der neue Entwurf
Gesetzes auch in erster Linie die in Betracht kommenden ge¬
sundheitlichen Anforderungen in vollem Umfange berücksichtigt
werden. Demzufolge müßten sich auch die zu § 44 vom Mi¬
nister zu erlassenen Ausführungsbestimmungen über die
vom Kreisarzt auszuübende Aufsicht auch auf dessen sonstige
Mitwirkung erstrecken.
Die für die Tätigkeit der Hebammen geltenden Gebühren¬
ordnungen (§§15 u. 16) sollen wie bisher durch die zu¬
ständigen Regierungspräsidenten entsprechend dem Gesetze vom
10. Mai 1908 festgesetzt und dabei nicht nur Mindest- und
Höchstsätze vorgesehen, sondern deren Höhe auch nach drei
verschiedenen Teuerungsklassen bemessen werden. Vor Erlaß
sollen die Kreisausschüsse, Gemeindevorstände der Stadtkreise
und die Provinzialhebammenstelle gehört werden; ein viel zu
umständliches und insofern auch unpraktisches Verfahren, als
die Provinzialhebammenstelle nicht genügend unterrichtet und
sachverständig in bezug auf die in den einzelnen Regierungs¬
bezirken bestehenden Verhältnisse angesehen werden können.
Weit zweckmäßiger und einfacher würde es jedenfalls sein,
wenn man statt dessen im § 15 Abs. 3 nur die zuvorige An¬
hörung der Kreishebammenstelle vorschreibt, in der
ja alle bei dieser Präge hauptsächlich beteiligten Kreise ver¬
treten sind.
Die Vorteile, die der Gesetzentwurf den freiprakti¬
zierenden Hebammen in den §§ 17—21 namentlich in
finanzieller Hinsicht gewährt, sind recht erheblich, besonders
wenn man bedenkt, daß der einzige Nachteil für sie — Ein¬
führung der Niederlassungsgenehmigung — gleichtzeitig eine
Einschränkung der Konkurrenz und damit auch eine größere
Sicherheit für ein ausreichendes Berufseinkommen bietet. Außer¬
dem hat sie auch Anspruch auf einen vom Kreise zu leistenden
Zuschuß, falls ihr Einkommen ohne ihr Verschulden hinter
einem Mindestbetrage zurückbleibt, der für die drei vorgesehenen
Teuerungsklassen auf je 3000, 4500 und 6000 M. festgesetzt ist
und sich entsprechend der Ausgleichszuschläge der unmittelbaren
Staatsbeamten um 33'/3°/o in den beiden ersten Teuerungsklassen,
um 25°/ 0 in der dritten erhöht. Endlich sollen sie noch eine
Unterstützung bei Abschluß einer Versicherung gegen Alter
und dauernde Berufsunfähigkeit sowie Tagegelder und Reise¬
kostenentschädigungen für die Teilnahme an einer Nachprüfung
oder Fortbildungskursus erhalten. Unseres Erachtens können
die freitätigen Hebammen damit ganz zufrieden sein. Nicht so
günstig liegen dagegen die Verhältnisse in bezug auf die Be¬
zirkshebammen (§§ 22 —29), da sie durch ihre Anstellung
nicht bloß das Recht der Niederlassungsfreiheit, sondern vor
allem auch das Recht der freien Ausübung ihres Berufes ver¬
lieren und in dieser Hinsicht auf einen räumlich abgegrenzten
Bezirk beschränkt sind. Vergleicht man nun die Tätigkeit und
die Aufgaben der Bezirkshebammen mit denjenigen der Fürsorge¬
rinnen, die jetzt meist überall als Kommunalbeamte angestellt
eines Gesetsea Ober das Hebammenwesen.
79
sind, so wird man zugeben müssen, daß die ersteren in bezug
auf ihre Ausbildung, Berufstätigkeit und Verantwortlichkeit den
letzteren völlig gleichzustellen sind. Es ist daher nur recht und
billig, daß auch die Bezirkshebaramen als Geraeindebeamte mit
allen deren Rechten und Pflichten angestellt und einer ihrer
Stellung entsprechenden Ortsgruppe (IV mit Aufrückung in V)
eingereiht werden oder ihnen wenigstens durch Dienstvertrag eine
solche Stellung gegeben wird. Damit ist zweifellos den Hebammen
und dem öffentlichen Gesundheitswohl am besten gedient. Von
mancher Seite wird diesem Vorschläge gegenüber voraussicht¬
lich der Einwand erhoben werden, daß viele Bezirkshebammen
nicht vollbeschäftigt seien; dieser Ein wand wird aber hinfällig,
wenn die Hehammenbezirke nicht zu klein gemacht werden und
den Bezirkshebamroen die Säuglingsfürsorge übertragen wird,
wodurch auch eine zu große finanzielle Belastung der Kreise
vermieden wird. Außerdem könnte man den etwaigen nicht
vollbeschäftigten Bezirkshebammen einen bestimmten Prozent¬
satz ihres Gehalts zurück behalten, besonders in denjenigen
Fällen, wo sie noch eine Nebenbeschäftigung haben, ähnlich
wie dies z. B. in Baden gegenüber den nicht voll besoldeten
Bezirksärzten geschieht. Es darf auch nicht vergessen werden,
daß für die Tätigkeit der Bezirkshebaramen doch von der zahlungs¬
fähigen Bevölkerung Gebühren erhoben werden, die dann in die
Kreiskasse fließen würden, während die Hebammen selbst keinen
Anspruch darauf haben. Nimmt man mit der Begründung des
Entwurfs an, daß von den heutigen 7000 Bezirkshebammen im
ganzen 210000 Entbindungen besorgt werden und von diesen
mindestens 150000 bei zahlungsfähigen Personen, so wird sich
bei durchschnittlich 130 M. für jede Entbindung eine Einnahme
von fast 2 Millionen Mark ergeben, um die sich die Kosten für
die Bezirkshebaramen verringern würden. Das jetzt der Be-
zirkshebamme zugesicherte Gehalt ist unseres Erachtens nicht
ausreichend; vor allem gilt dies betreffs der Teuerungs¬
zulagen, die mit 2ö°/ 0 viel zu niedrig bemessen. Sollte des¬
halb unser Vorschlag nicht verwirklicht werden können, dann
ist mindestens dem Vorschläge des Staatsrats stattzugeben, wo¬
nach den Bezirkshebammen ein Teuerungszuschlag
in der Höhe zu gewährleisten ist, wie er den un¬
mittelbaren Staatsbeamten gezahlt wird. Ebenso zweck¬
mäßig ist auch der andere Vorschlag des Staatsrats, die im
§ 25 vorgesehene Probezeit der Bezirkshebammen von 2 Jahren
auf 1 Jahr abzukürzen.
Mit der Errichtung von Kreishebammenstellen (§§ 30
bis 34) kann man sich aus den in der Begründung dafür an¬
gegebenen Gründen einverstanden erklären, vorausgesetzt, daß
dem Kreisarzt der Vorsitz und die Leitung der Geschäfts¬
führung übertragen wird. Es dürfte sich sogar empfehlen, die
im § 33 genannten Fälle, in denen die Kreishebammenstelle
gehört werden muß, auch dahin zu vermehren, daß dies auch
80 Dr. Rapmund: Der neue Entwurf eines Gesetzes üb. d. Hebammenwesen.
bei Erlaß einer Gebührenordnung (§ 15) und bei Entziehung
des Ruhegehalts gemäß § 28 d zu geschehen hat.
Entsprechend dem Vorschläge des Staatsrats ist der § 34 zu
streichen, da es nicht zweckmäßig ist, einer derartig zusammen¬
gesetzten Stelle, wie die Kreishebammenstelle ein Disziplinarrecht
zu übertragen; das wird am besten in der bisherigen Weise aus¬
geübt. Ebenso können dem Vorschläge des Staatsrats gemäß
die §§ 35—39 über die Errichtung vonP r ovinzialheb am men¬
stellen fortfallen. Derartige Stellen sind durchaus über¬
flüssig, da die ihnen übertragenen Aufgaben teils in aus¬
reichender und den Verhältnissen mehr entsprechender Weise
von den Kreishebammenstellen, teils wie bisher von vorhan¬
denen Staatsstellen wahrgenommen werden können. Durch
Schaffung sovielerlei Instanzen wird die Durchführung des
Gesetzes nur außerordentlich erschwert; denn schließlich wissen
die beteiligten Kreise nicht einmal selbst, wer in den einzelnen
Fragen Koch und Kellner ist. Außerdem erwachsen dadurch
den Provinzen nicht unerhebliche Kosten; denn wenn die Mit¬
gliedschaft auch als Ehrenamt gedacht ist, so müssen doch
Reisekosten und Tagegelder, erstattet werden, die sich unter
den jetzigen Verhältnissen bekanntlich sehr hoch stellen.
Recht erfreulich sind die Bestimmungen des Gesetz¬
entwurfes über die Gewährung von Staatsbeihilfen (§ 40 );
in dön Staatshaushaltsplan für 1922/23 sind bereits 10 Millionen
Mark zu diesem Zwecke bereitgestellt; ob sie ausreichen werden,
wird die Zukunft lehren. Die Hauptsache ist, daß bei Fest¬
legung der näheren Bestimmungen über die Verteilung dieses
Betrages vom Finanzminister nicht zu engherzigeGrenzen
gezogen werden, namentlich gilt dies betreffs des Begriffs
„leistungsschwache Landkreise“, für die nach der Begründung
zu § 40 die Beihilfen bestimmt sind. Der Staatsrat scheint
schon gewisse, nach den bisher in dieser Hinsicht gemachten
Erfahrungen nicht unberechtigte Bedenken gehabt zu haben
und hat deshalb empfohlen, dem § 40 Abs. 1 die Fassung zu
geben: Von den durch die Durchführung des Hebaromenwesens
im Rahmen dieses Gesetzes den Kreisen erwachsenen Kosten,
ist die Hälfte den Kreisen alljährlich vom Staate zu erstatten;
zweckmäßig dürfte es sein, noch das Wörtchen „mindestens“
vor die Worte „die Hälfte“ einzuschieben, um zum Ausdruck
zu bringen, daß jeder Kreis Anspruch auf diese Beihilfe hat,
aber nichts entgegensteht, wenn den leistungsschwachen Ge¬
meinden ein größerer Zuschuß gewährt wird.
Die im § 42 vorgesehene Geldstrafe (bis zu 150Mark),
ist bei dem jetzigen geringen Geldwert der Mark etwas zu
niedrig bemessen und deshalb entsprechend zu erhöhen, sonst
wird sie wirkungslos bleiben.
Mit Recht sind auch in dem jetzigen Gesetzentwurf
(§ 44) die Festlegung der Grundsätze für die Zulassung zum
Hebammengewerbe, Ausbildung, Prüfung, Fort¬
bildung und Beaufsichtigung der Hebammen, Rege-
Koner Ber. üb. d. Vorstandssitzung desPreoß. Medizinal-Beamtenrereins. 81
lung ihrer Berufspflichten usw. dem Minister für Volks¬
wohlfahrt überlassen; zweckmäßig würde es aber sein, wenn dies
auch in Bezug auf die Zusammensetzung und Geschäfts¬
führung der Kreishebammenstelle geschieht, damit
auch in dieser Hinsicht eine einheitliche Durchführung des
Gesetzes gesichert ist.
Da nach der Begründung des Gesetzes zu § 46 in den
Ho henz oller n sehen Landen das Hebammen wesen in den
dortigen Gemeinden besonders mangelhaft und besserungs¬
bedürftig ist, erscheint gerade hier die sofortige Ein- und
Durchführung des Gesetzes dringend nötig und die im § 46 vor¬
gesehene Ausnahmebestimmung überflüssig. Etwaige Schwierig¬
keiten für eine solche Durchführung werden sich durch Ge¬
währung einer größeren Staatsbeihilfe unschwer überwinden
lassen.
Der Entwurf ist im Landtage bereits am 11. und
12. Januar in erster Lesung beraten und nach kurzer Erörte¬
rung, über die bisher ein stenographischer Bericht leider noch nicht
zu erhalten war, an den Bevölkerungsauschuß zur weiteren Be¬
ratung überwiesen. Hoffentlich führt diese Beratung zu einem
befriedigenden Ergebnis und zu einer Fassung des Entwurfs,
in der auch die hier ausgesprochenen Wünsche möglichste Be¬
rücksichtigung Anden.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Koner Bericht aber die am SO. Januar d. Ja. in Berlin
abgehaltene Torstandasttznnff des Preußischen
Medizinal - Beamten - Vereins.
Bei der Vorstandssitzung am 20. 1. 22 zar Vorberatung der am 21. 1.
im Ministerium zu verhandelnden Tagesordnung wurden vom Vorstand folgende
Beschlüsse gefaßt;
1. Entsprechend dem Ergebnis der Abstimmungen sollen beantragt werden als
Dleastbezeichnnug
a) für die Reg.- u. Med.-Räte — Oberregierungsrat;
b) für die Kreisärzte — Med.-Rat bezw. Obermed.-Rat. Dabei soll die
Bezeichnung als Behörde „Der Kreisarzt des Kreises“ bestehen bleiben
und die Ratsbezeichnung „Med.-Rat bezw. Obermed.-Ral N eine dienst¬
liche Ratsbezeichnung darstellen, wie sie in gleicher Weise auch bei
den Gewerbeaufsichtsbeamten vorhanden ist;
c) für die Gerichtsärzte entsprechende Bezeichnungen;
d) für die Kreisassistenzärzte — Medizinalassessor;
e) für die Direktoren der Medizinaluntersuchungsämter
„Med.-Rat“, entsprechend der überwiegenden Zahl dahingehender Wünsche.
Weiterhin wird für die Reg.- u Med.-Räte anßer der Dienst-
bezeichnnng „Oberregierungsrat“ entsprechende Stellung nnd Gebalt
gefordert.
2. Das Gesetz betreffend die Gebühren der Mediziaalbeamten bedarf vor
der Umändernng eingebender Beratnng durch die Bezirksvereine. Vorerst
wird beim Minister beantragt eine Erhöhung des Tarifs auf das Zehnfache
der Vorkriegszeit. Entsprechend dem Nürnberger Beschluß ist die Beseiti¬
gung der Ablieferungspflicht für die gerichtsärztlichen Gebühren zu fordern.
3. Bei den Gebührenordnungen für die Aerzte ist eine besondere Ver¬
gütung za fordern „für eingehende Untersuchung der Organe der Brost-
12 Besprechungen.
öfter Bauchhöhle“, im Übrigen eine angemessene Erhöhung der Gebühr für
Beratung and Besacb.
4. Die Dienatanwelsnag ist in verschiedenen Paukten grundlegend za ändern
and za modernisieren and zwar '
a) Ausgestaltung and größere Selbständigkeit der Behörde „Der Kreisamt“
im Rahmen der Verwaltnngsreform, bis dabin größere Selbständigkeit
in der Seuchenpolizei, Einrichtung der Meldekarten unmittelbar an den
Kreisarzt.
b) Verhältnis za den Organen der Selbstverwaltung. Eine engere Ver¬
bindung mit ihnen ist dringlich notwendig; Reeht an den in Frage
kommenden Siizangen teilzanenmen, Aufsicht über das gesamte Fürsorge-
wesen und fachliche Aufsicht über die in ihm tätigen Personen.
5. Zar Besoldungsfrage wird noch verlangt: Möglichkeit der Einreihung
auch der nicht vollbesoldeten Kreisärzte in Gruppe XI Hierzu wird vor¬
geschlagen entsprechend Anregung von Geh.-Rat Dr. R a p m u n d, Beseitigung
der Bezeichnung „vollbesoldete und nicht voll besoldete Kreisärzte“ im Etat
(wie in Baden), Ansetzung eines gleichen Gehalts mit dem Zusatz, soweit
einzelne Kreisärzte nicht vollbeschäftigt sind, werden 25 "o des Gehalts
eiDbehalten Außerdem soll ein Antrag gestellt werden, wonach die bereits
im Ruhestande befindlichen Mediziualbeamten rückwirkend Rnbe-
« ebalt erhalten entsprechend der derzeitigen brzw. am 1. 4. 22 erfolgenden
lingrnppierong (XI für Kreisärzte and XU für Rcg.-Med-ßät*),
6. Lelchenpaßatteste sind nicht mehr abiührpflichtig, da sie jetzt von jedem
Arst ansgestellt werden können.
7. Der Jahresbeitrag beträgt entsprechend Nürnberger Beschluß bisher
noch 75 M. Er wird aber für das lanfende Jahr nicht ansreicben, da sich
der Bezugspreis für die Zeitschrift auf 40 M. erhöbt. Der Hauptversamm¬
lung wird deshalb ein Jahresbeitrag von 100 M. vorznscblagen sein Dazu
kommt mindestens 50 M. Beitrag znr Berafsvereinignng höherer Verwaltnngs-
beamter, dem der Verein nach Beschluß des Vertretertages beitreten solL
Med.-Rat Dr. Rogowski soll über diesen Beitritt weiter verhandeln; der
Beitritt erscheint gerade jetzt notwendig, andernfalls Nachteile für die
Medizinalbeamten zu erwarten sind. Falls R. erreicht, daß die Medizinal-
beamten eine besondere Grnppe bilden, einen 8itz im Vorstand erhalten
and die im Ruhestand befin>ilicben Mitglieder nicht beizatreien brauchen,
wird er ermächtigt abzascülKß>*n.
8. Der Vorstand soll allen Mitgliedern nahelegen, das in seinem Aufträge von
Geb.-Rat Prof. Dr. Rapmnnd herausgegebene und soeben erschienene
Verzeichnis der Medizinal beamten zu beziehen. Für die Vereinsmitglieder
beträgt der Preis noch 7,50 Mark mit Porto and Verpackung, weun die
Bestellung bis zam 1. März d. Ja. direkt an die Verlagi-buchhandlang
(Fischers med. Buchhandlang; H. Kornfeld-Berlin W 62, Keithstraße 5)
gerichtet wird.
Besprechungen.
X. Dr. Heiarieb Joaohlm, Sanitätsrat und Dr. Alfred Korn, Jnstizrat,
beide in Berlin: Die preussische Gebührenordnung für approbierte
Aente and Zabn&rzte vom 1. September 1920. Für die ßedttifuisse
der ärztlichen uud zahnärztlichen Praxis erläutert. Berlin 1021. Verlag von
G. Coblenz. Gr. 8°; 803 8. Preis: 80 M., geh.: 00 M.
Das Buch stellt die vierte Auflage des Joachim-Kornsehen Kom¬
mentars der froheren ärztlichen Gebührenordnung dar nnd ist ebeni-o wie diese
onter sorgfältiger Berücksichtigung der Rechtsprechung bis znr Gegenwart,
soweit sie noch anwendbar ist, ausgearbeitet. Es teilt alle Vorzüge der
früheren Auflagen nnd stellt jedenfalls den zuverlässigsten and aaslüi<rlicLstea
Kommentar der Gebührenordnung dar. Rpd.
9. Dr. Holarlob Joaohlm, Sanität «rat nnd Waltor Joaohlm, Rechtsanwalt,
beide in Berlin: Kommentar sum Umsatzstenergeaetz vom 24. Dezember
1919. Für Aerzte, Zahnärzte nnd Besitzer von BeilanBtaiten. Berlin 1921.
Verlag von G. Coblenz. Gr. 8"; 94 8elten. Preis: geh. 80 M.
Besprechungen.
.*8
Bin Ihr den praktischen Amt unentbehrliches Hilfsbuch, das ihm einen
»verlässigen Anhalt für die Auslegnng und Anwendung der für Ihn ganz
neuen gesetzlichen Bestimmungen gibt. Jeder einzelne Gesetzparagrsph ist
unter besonderer Berücksichtigung des ärztlichen Standpunktes und den dazu
erfolgten amtlichen Ausführungsbestimmungen, gerichtlichen Entscheidungen
in ebenso erschöpfender als sachkundiger Weise erläutert; namentlich ist dies
bei allen strittigen und zweifelhaften Fragen geschehen. Kurz und gut, ein
Ratgeber, der auf keines Arztes Arbeitstisch fehlen sollte.
H. Schmidt, E. Ebstein, L. Friedhelm, K. Wolfram, J. Doset «ad
H Hohlfeld: Diagnostisch-therapeutisches Vademecum. 20. ver¬
mehrte und umgearbeitete Auflage. Leipzig 1921. Verlag von J. A. Barth.
Kl. 8°; 498 S. Preis: geh. 30 M.
Fast alljährlich, selbst in den Kriegsjahren ist eine neue Auflage von
diesem vorzüglichen, sowohl bei den Studierenden der Medizin, als bei den
praktischen Aerzten sehr beliebten Vademecum erschienen. Man sollte eigentl ch
gar nicht glauben, daß sich in der kurzen Zeit seit der letzten Auflage (1920)
größere Umarbeitungen und Ergänzungen als nötig erwiesen hätten; die Ver¬
fasser haben aber gleichwohl solche für erforderlich erachtet, um dem Taschen¬
buche den Charakter als neuzeitliches Hilfs- und Auskunftsmittel. zu
wahren. Insbesondere hat es durch zwei wertvolle Neuarbeiten: Ernährung
und Ernährungsfragen im Säuglingsaiter (Privatdozent Dr. M.Hohlfeld) und
„Angeokrankheiter (Prof Dr M. Wolfram) eine wertvolle Erweiterung er¬
fahren. Seinen Gesamtcharakter als Vademecum hat es dadurch nicht geändert,
sondern nur an Brauchbarkeit und Einheitlichkeit gowonnen. Bpd.
Dr. J. W. Samson, Arzt der Tuberkulosestation der Landesuntersuchungs¬
anstalt Berlin und Facharzt für Lungen-, Hals- und Nasenkrankheifc-n:
Prostitution und Tuberkulose. Klinische und sozialmedizinische Unter¬
suchungen. Leipzig 1921. V erlag von QeorgThieme. Gr. 8 '; 120 Seiten.
Preis: geh. 18 Mark.
Auffindung und Unschädlichmachung aller Infektionsquellen ist die oberste
Forderung bei der Bekämpfung von Volksseuchen, insbesondere der Tuberkulose.
Verfasser bat sich nun bemüht, den bedeutungsvollen Zusammenhang zwischen
Tuberkulose und Prostitution zu untersuchen und zwar nach der Bichtung hin,
inwieweit die Wohnungs- und Einkommensverhältnisse, Berufskrankheiten und
Berufsschädlichkeiten, insbesondere die Lues, der Alkoliolismus, Tabaksmißbrauch
und der hefiuge Aufenthalt der Prostituierten in Strafanstalten auf die Ent¬
stehung und Fortentwicklung der Tuberkulose bei ihnen von Einfluß ist, eine
sehr interessante und fleiß'ge Arbeit, die sich auf die Untersuchungsergebnisse
des sehr reichhaltigen Materials der Untersuchungsstellen der Berliner Sitten¬
polizei stützt und um so dankbarer zu begrüßen ist, als sie eine bisher noch
nicht in so erschöpfender Weise behandelte und für die Bekfimpfang der Tuber¬
kulose jedenfalls wichtige Frage betrifft. Rpd.
Dr. F. W. Goetxs in Leipzig: Untersuchungsmethoden und Diagnose
der Erreger der Geschlechtskrankheiten. Mit 58 Abbildungen im
Text und 4 Tafeln. München 1921. J. F. Lehmanns Verlag. 8 # ; 187 S.
Preis: 24 M., grb. 30 M.
Ein den Bedürfnissen der jetzigen Zeit entsprechendes Buch; denn zur
Bekämpfung der übermäßig ausgebreiteten Geschlechtskrankheiten ist vor
allem ihre frühzeitige und rasche Erkennung erforderlich, da sie allen eine recht¬
zeitige Behandlung ermöglicht. Dazu gehört aber vor allem auch die bakteriologische
und mikroskopische Feststellung der Krankheitserreger. Verfasser will den
Aerzten durch sein Buch die zu dieser Feststellung erforderliche Anleitung
geben, in der zunächst die Untersncbungsinstrumente und dann die Unter-
8uchung8methoden bei der Syphilis wie bei der Gonorrhoe sowie bei auderen
Geschlechtskrankheiten (Ulcus molle und Ulcus gangränosum et genitale) ein¬
gehend und sachgemäß geschildert werden. Bpd.
84
Tagesnachrichten.
Prof. Dr. B. Finkelnburg- Bonn: Lehrbuch der Unfallbegutachtung der
Inneren und Nervenkrankheiten. Für Studierende und Aerzte. Bonn
1920. Verlag von A. Marcus & E. Weber. Gr. 8°; 544 8. Preis: geh.70 M.,
geb. 82 M.
Verfasser hat in vorliegendem Werk die praktischen Erfahrungen einer
20jähhrigen Gutachtertätigkeit niedergelegt. Er bespricht zunächst in einem
allgemeinen T* il die bei der Unfallbegutachtnng zn berücksichtigenden Momente
wie die Begriffsbestimmung des Unfalles, die Unfallarsachen, die Abfassung
des Gutachtens, die Bentenabschätzung, die Simulation und Uobertreibung unter
Berücksichtigung der sozialen Versicherung, und der Uufallbegutachtung bei
Haftpflichtschäden und der Privatveraicherung. ln dem speziellen T*-il geht
er dann auf die einzelnen inneren Krankheiten ein und erläutert, wie weit ein
Unfall als Bntstehungsursache in Betracht kommen kann. Dabei werden auch
die Infektionskrankheiten, die Vergiftungen, elektrische Unfälle, Sonnenstich
und Hitzschlag, Geistes- und Nervenkrankheiten berücksichtigt. Die klaren
Ausführungen beschränken sich auf das für die Beantwortung der Frage
„Unfall oder nicht" Wichtige und Notwendige, wobei das Verständnis durch
zahlreiche eingeschaltete Beispiele sehr erleichtert wird. Das Werk stellt
eine sehr instruktive Uebersicht über das ganze Gebiet dar und kann nicht nur
angehenden Gutachtern zur Anschaffung empfohlen werden, sondern wird auch
erfahrenen Sachverständigen eine wertvolle 0 nterstützung sein können. Bpd. jun.
Troß Dr. Gotsohltoh, Direktor des hygienischen Instituts in Gießen und
Frlvatdosent Prot Dr. 8okftrmanu- Halle: Leitfaden der Mikro-
Parasitologie und Serologie mit besonderer Berücksichtigung der in den
bakteriologischen Kursen gelehrten Untersuchungsmethoden. Ein Hilfsbuch
für Studierende, praktische und beamtete Aerzte. Hit 218 meist farb gen
Abbildungen. Berlin 1920. Verlag von J. Springer. 8°; 3618. Preis:
geb. 2> M., geb. 28,60 U.
Kein Lehrbuch, sondern ein Hilfsbuch soll das vorliegende Werk sein,
einerseits für den Studenten zur Unterstützung bei den bakteriologischen
Kursen, anderseits für den Praktiker und Medizinalbeamten zur schnellen
Orientierung und Auffrischung seiner Kenntnisse. Dieser Aufgabe wird das
Buch voll und ganz gerecht; es bringt in klaren, kurzen Schilderungen alles
Wichtige des Gebietes und ist übersichtlich angeordnet. Seine Ausführungen
werden durch zahlreiche, gute Abbildungen wirkungsvoll unterstützt. Ein
ausführliches Sachregister am Schluß erleichtert das Zurechtfinden. Auch für
die Arbeit zum Kreisarztexamen dürfte es sich eignen. Bpd. jun.
Tftgesnachrichten.
Berechnung des Besoldnngsdienstulters der preußischen Kreistier*
ftrzte. Nach einem Erlaß des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft
wird den Kreistierärzten bei Feststellung ihres Besoldungsdienstalters 6 Monate
für die tierärztliche Prüfung (wie bei den Kreisärzten) und 9 Monate für
die kreistierärztliche Prüfung angerechnct, also 3 Monate mehr als den
Kreisärzten, obwohl die Anforderungen für die kreiBärztliche Prüfung
wesentlich höher sind und deshalb erheblich mehr Zeit zur Vorbereitung ver¬
langen. Der Vorstand des preußischen Medizinalbeamtenvereins wird jedenfalls
darauf hinwirken müssen, daß für die kreisärztliche Prüfung auch mindestens
9 Monate angerechnet werden. _
Durch Ministererlaß vom 8. Dezember 1921 ist ein neues Muster für
die Jahresgesundheitsberichte der preußischen Kreisärzte eingeführt, das
im großen und ganzen dem Formular nacbgebildet ist, das bisher von der
Buchdruckerei von J C. C. Bruns 1 ) nach Angabe von Herrn Geh. Med.-Bat
Dr. Solbrig-Breslau und dem Herausgeber dieser Zeitschrift hergestellt war
und das zuletzt auch verschiedene Aenderungen auf Veranlassung von Herrn
Beg.- und Med.-Bat Dr Bitter erfahren hatte. Neu ist in ihm nur Abschnitt I
über „Bewegung der Bevölkerung", wozu die Kreisärzte das Material sehr
*) Das neue Formular kann ebenfalls von der Buchdruckerei J. C. C.
Bruns in Miuden L W. zum Preise von 17,6 M. für Beinschrift und 12,60M. für
Entwurf bezogen werden.
Tagesnachrichten.
86
schwer und kaum rechtzeitig erhalten werden, and ein besonderer Abschnitt II
Uber soziale Hygiene nnd Fürsorge, der aber abgesehen von einem besonderen
Unterabschnitt (Allgemeines Über Aufbau nnd Gliederung der Fttroorge-
organisatioa) nicht wesentlich neues bringt, sondern in dem jetzt nnr rer*
schiedeoe Gegenstände wie Säuglingsfürsorge, Kleinkinderfürsorge, Schulhygiene,
Fürsorge fiir Jugendliche, Fürsorge für Kranke und Gebrechliche, Seuchen*
fürsorge, Tuberkulosenfürsorge, Krüppel- — Kriegsbeschädigten- — Fürsorge,
Trinkerfürsorge, Fürsorge für Geisteskranke usw, angebracht sind, für die
bisher besondere Abschnitte vorgesehen waren. Es wäre ja sonst zu wenig
für diesen an zweite Stelle gerückten Abschnitt „Soziale Hygiene“ übrig
geblieben. Man kann auch an dieser Neueinteilung des Musters für den Jahres¬
bericht ersehen, welche große Bedeutung der sogenannten „sozialen Hygiene"
an maßgebender Stelle beigemessen wird; die Bekämpfung der Volkskrank¬
heiten ist daher — ein charakteristisches Kennzeichen der Zeit — von der
ersten an die sechste Stelle gerückt. Der Bericht soll schon in diesem Jahre
nach dem neuen MuBter erstattet, von den Kreisärzten bis zum 1. März, den
Regierungspräsidenten und den Beg.- und Med.-Räten bis zum 1. Juni dem
Ministerium eingereicbt, und eine Fristverlängerung unter keinen Umständen
S ewährt werden. Unter diesen Umständen darf man dann jedenfalls erwarten,
aß der Gesamtbericht für den ganzen Staat spätestens bis zum 1. Oktober d. Js.
erscheinen wird.
Durch Runderlaß des Ministeriums des Innern vom 8. Januar d. Js.
sind von jetzt an alle praktischen Aerzte ermächtigt, die zum Transport
ron Leichen im Iulande erforderlichen gesnndheitspolizeilichen Bescheinigungen
aoszustellen, während bisher ausschließlich die Kreisärzte dazu befugt waren.
Diese Anordnung mag für die Bevölkemng sehr bequem sein, liegt aber,
namentlich mit Rücksicht auf die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten,
nicht im gesundheitspolizeilichen Interesse. Den vollbesoldeten Kreisärzten
bringt sie den Vorteil, daß sie küoftighin die Gebühren für diese Bescheini¬
gung nicht mehr an die Staatskasse abzuführen brauchen, da ihre Ausstellung
von jetzt ab als eine vertrauensärztliche anzusehen ist.
Aus Bayern. Der bayerische Landtag hat jetzt die 8telle eines dritten
Landgerichtsarztes in München bewilligt, dem auch die Leitung der
neuen im Gefängnis Stadelheim im Bau begriffenen psychiatrischen Beobachtungs-
Station übertragen ist. _
Seit dem 1. Oktober 1921 werden „Vorschriften für das Medizinalwesen
Ina Freistaat Sachsen u herausgegeben, die in zwangloser Folge nach Bedarf
erscheinen und dazu dienen sollen, die das Medizinalwesen betreffenden Gesetze,
Verordnungen und Verfügungen, die an den verschiedensten Stellen zerstreut
sind, fortlaufend in möglichst bequemer Weise den Staats- und Gemeinde¬
behörden, Aerzten und allen an der Gesundheitsbehörde beteiligten zugänglich
su machen. Als Herausgeber ist der Präsident des Landesgesundheitsamtes
in Dresden, Geh Reg.-Rat Dr. Weber, benannt. Die Zeitschrift erscheint
im Verlage von C. Heinrich in Dresden.
Ein Lehrgang für Aerzte über Schnlgesundheltspflege wird in Chemnitz
vom 6. bis 11. März 1- 22 abgehalten. Der Lehrgang ist Tn erster Linie für
diejenigen Aerzte Sachsens bestimmt, die als Schulärzte angestellt sind
oder später als solche praktisch tätig werden wollen, ferner für Bezirksärzte.
Die Teilntbmerzahl ist auf 40 beschränkt. Den auswärtigen Teilnehmern wird
vom Ministerium des Innern eine Entschädigung von je 260 Mark bewilligt,
soweit sie eine solche nicht von anderer Seite erhalten.
Anmeldungen sind an den Stadtbezirksarzt von Chemnitz zu richten,
der einen ausführlichen Stundenplan enthält.
In jüngster Zeit ist bei der 8 c h r i f 11 ei tu n g wiederholt wegen etwaiger
Vertrüge über Anstellung von Kreisärzten als Krelskommunalirzte ange¬
fragt. Wir bringen deshalb nachstehend einen solchen uns zur Verfügung
gestellten Vertrag zum Abdruck:
Tagesaachriolliten.
Mi
■ Zwischen dem Versitzenden des Kreisausschusses des Kreises A. und den
Kreisarzt Dr. B. wird heute nachstehender Vertrag geschlossen:
1. Der Kreis A. bestellt den Kreisarzt Dr. B. znm Kreiskommunalarst
und Leiter des Gesundheitsamts für die Däner seiner staatlichen Beamten-
Stellung als Kreisarzt des Kreises A. und zwar mit dieser Maßgabe auf die
Dauer von 12 Jahren. Kreisarzt B. übernimmt diese Stellung. Er ist dabei
abhängig von der Genehmigung seiner Vorgesetzten Behörden.
2. Dr. B. erhält und übernimmt die selbständige Aufgabe, das gesamte
kommunale Gesundheitswesen des Kreises, insbesondere die Gesundheitsfürsorge
im Babmen der Aufgaben des Gesundheitsamtes (Anlage) zu verwalten und
zu fördern.
8. Dr. B. erhält ein jährliches, vierteljährlich im Voraus zu zahlendes
Gehalt von M.. dasselbe steigt entsprechend einer Steigerung der
Gebälter der höheren Beamten des KreiseB. Im Falle des Todes gelten die
staatlichen Bestimmungen über das Gnadenquartal. Außerdem erhält Dr. B.
eine Dienstaufwandsentschädigung von M.jährlich, in vierteljährlichen
nachträglich zu zahlenden Beträgen.
4. Der Kreis A. übernimmt die gesamten Kosten des Kreisarztbüros für
die Dauer des Vertragsverhältnisses. Dafür tritt Dr. B. die ihm für Büro-
Unterhaltung gewährte staatliche Dienstaufwandsentschädignng an den Kreis ab.
Soweit diese Kosten den im jährlichen Etat veranschlagten Betrag übersteigen,
bedarf es einer besonderen Genehmigung des Kreisausschusses.
5. Während der Dauer der Bearlaubungen als Staatsbeamter ist Dr. B.
ohne weiteres auch als Kreiskommunalarzt beurlaubt und wird in fachlicher
Hinsicht durch seinen staatlichen Vertreter, in der Begel den Kreisassistenzarst
vertreten, ohne daß hierdurch dem Kreise besondere Kosten erwachsen. Die
Einreichung eines Urlaubsgesuchs, den Antritt seines Urlaubs und die Bückkehr
teilt Dr. B. dem Vorsitzenden des Kreisausschusses rechtzeitig mit.
6. Dem Kreisausschuß steht der Kreiskommunalarzt als Berater zur
Verfügung. Er hat nach vorherigem Benehmen mit dem Vorsitzenden dee
Kreisausschusses das Recht des Vortrages und des Antrages im Kreisausschuß.
Anlage.
1. Das Gesundheitsamt bildet eine selbständige Abteilung des Kreis¬
wohlfahrtsamtes und führt die Bezeichnung „Kreiswohlfahrtsamt den
Kreises A., Abteilung Gesundheitsamt."
Seine Aufgabe erstreckt sich anf die Pflege des gesamten kommunalen
Gesundheitswesens des Kreises. Dabei arbeitet es im ständigen Einvernehmen
mit dem Kreiswohlfahrtsamt.
2. Das Gesundheitsamt führt selbständigen Verkehr mit vor* und nach-
geordneten Behörden, Vereinigungen und Privatpersonen. Schreiben besonders
wichtiger Art, insbesondere sämtliche Kundscbreiben an die OrtsbehOrden,
werden dem Vorsitzenden des Kreisausschusses vorgelegt zur Unterschrift.
8. Entscheidungen des Gesundheitsamtes von finanzieller Bedeutung,
soweit sie die Durchführung von lüoorgerischen Maßnahmen für Einzelper¬
sonen betreffen und soweit sie den inneren Betrieb des Gesundheitsamtes selbst
angehen, erfolgen selbständig mit Bechtsverbindlichkeit für den Kreis. Der
Leiter des Gesundheitsamtes erteilt selbständig Einnahme- und Ausgabe-An¬
weisungen im Bahmen dieser Zuständigkeit und im Bahmen der im Etat vor¬
gesehenen Mittel an die Kreiskommunalkasse. Die Anweisungen laufen bei dem
Vorsitzenden des Kreiswoblfabrtsamtes durch. Bei Beträgen von über 800 M.,
welche für den inneren Betrieb des Gesundheitsamtes verwendet werden sollen,
ist Mitzeichnung des Vorsitzenden des Kreiswohlfahrtsamtes erforderlich. Die
gesamten dem Kreise für die Verpflegung des Gesundheitswesens zur Verfügung
stehenden Mittel gelangen dementsprechend nur durch Vermittlung des Gesund¬
heitsamtes zur Verwendung. Der Etat des Gesundheitsamtes wird als Ganzes
mit dem des Kreiswohlfahrtsamtes aufgestellt.
4. Der Leiter des Gesundheitsamtes ist der Kreiskommunalarzt. Als
solcher wird der Kreisarzt mit Genehmigung des Ministers für Volkswohlfahrt
auf Grund besonderen Vertrages bestellt. Die Beamten und Angestellten des
Kreises, welche dem Gesundheitsamt zugeieilt sind, sind ihm untenteilt, in
fachlicher Hinsicht auch die Kreisfürsorgerin.
Tageon ach richten.
8®
ft. Das OesnndheitsAmt erhält einen besonderen Beirat, der vom Leitet
des Gesundheitsamtes mindestens einmal jährlich, sonst nach Bedarf einbentfe*
wird and dessen Verhandlangsleiter er ist.
Der Vorsitzende des Kreisaamcbttsses.
Betebsgesetzltche Besrelnng des Apothekenwesens. Nach der pharm a-
neu tischen Presse hat der Reichsminister des Innern sich kürzlich an sämtiche
Landesregierungen gewandt mit der Mitteilang, daß seitens des deutschen
Apothekervereins in Gemeinschaft mit dem Verband dentscber Apotheker Vor¬
schläge lür eine reichsgesetzliche Regelang des Apothekenwesens überreicht
sind, and mit dem Ersuchen: za den grundsätzlichen Fragen in diesen Vor¬
schlägen Stellung za nehmen, nämlich:
1. Wird eine reicbsgesetzliche Reform des Apothekenwesens befürwortet
and für dringlich angesehen?
2. Nach welchem System ist die Frage des Besitzrechtea za lösen?
8. Falls das dem Gesetzentwurf von 1907 zugrunde gelegte ond jetzt
noch vom Deutschen Apotheker-Verein vorgeschlagene System der Personal¬
konzession befürwortet wird, nach welchen Grundsätzen soll dann die Kon-
aesnioo verlieben werden?
4. Soll das bisherige Recht der Witwen und der Waisen, die Apotheke
weiterzoführen, bestehen bleiben?
5. Wird es für notwendig erachtet,
a) die Privilegien,
b) die vererblichen und veräußerlichen Realkonzessionen,
e) die bisherigen Personalkonzessionen in solche des neuen Rechts um-
zuwandeln i
6. Wie sind die in einzelnen Lindern bestehenden Gemeindeapothekeu
sa behandeln ? Empfiehlt es sich, solche durch Reichsgesetz allgemein
zuzalassen t
7. Wie läßt sich die Ablösung der bestehenden Rechte durchführen,
und wie sind die hierfür erforderlichen Mittel aofzubringen t
8. Nach welchen Grundsätzen soll der Wert des Betrieberechtes ( Ideal-
wert) festeres teilt werden?
9. Empfiehlt es sieb, behuf« möglichst baldiger Beschaffung der für die
AblAsungsfrage erforderlichen Unterlagen die Landesregierungen zu ersuchen,
an Band eines einheitlichen Fragebogens für die Beurteilung des Wertes der
Betnetnrecbte erforderlichen Feststellungen alsbald zu veranlassen? —
Zur Besprechung dieser Fragen ist eine 3itzung bereits für Anfang d. i.
in Aussicht genommen. Man wird begierig sein, Näheres über den Fortgang
za hören.
Die mit dem 1. Januar 1922 in Kraft getretene neue Arzneitaxe sieht
weiterhin Teuerunuszus< hläge vor, die von den Apothekern erhoben werden
dürfen, und zwar für jede anf ärztliche Verordnung vum Apotheker zur Abgabe
helgerichtete Arznei 1,20 M., für Arzneimittel oder Arzneien in abgabefertiger
Packung je 0,60 M. — ausgenommen solche Arzneimittel, die auch auß -rhalb-
d**r Apotheken verkäuflich sind, und genau bestimmte Arzneimittel, die für
Blassen abgegeben werden —. Ferner sind die Abschläge für Kranke» kassen
new geregelt, indem bei einem vierteljährlichen Rechnungsbetrag bis zu 109 M.
kein Abschlag,.bei höheren Beträgen für die weiteren 400 M. 5 Proz., darüber
hinaus 10 Proz. Nachlaß zu gewähren ist.
Der 88. Balneologen-Kongrefl findet vom 15. bis 18. Mira d. J. in
Berlin (Kaiser-Friedrich-Beim; Luisenplats Nr. 2—4) statt. Anf der Tages¬
ordnung steht: Die Beeil flussnng des Stoffwechsels ond der Stoffwechsel¬
krankheiten durch die balneologiscben Heilfaktoren. Berichterstatter sind Geh.
Med.-Hat Ür Strauß, Prof. Dr. Bickel, Prof. Dr. Frans Müller, Prof.
Dr. E. Müller. Außerdem werden Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkowski
über Diabetes, Geh. Med.-Rat Prot Dr. Bis über Gicht, Prof. Dr. P. E. Richter
88
Sprechsaal.
über Fettsucht, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Franz, Prot Dr. Schager and
Prof. Dr. Mansfeld über innere Sekretion sprechen. Auskunft erteilt der
Generalsekretär der Baineologischen Gesellschaft Dr. Hirsch, Charlottenburg.
Frankfurts rstraße 16.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreisarztes Dr. v. F. ln B. 1. Auf Grund welcher Be¬
stimmung können Personen, die an Lues leiden, vom Nahrungsmittelverkehr
entfernt werden P Hier ist ein an Lues Erkrankter in einem Milchhof tätig,
der sich aber der ärztlichen Behandlung entzogen hat.
2. Auf Grund welcher Bestimmung müssen sich die Hedlzlnalpraktl-
kanten beim Kreisarzt melden? Der Kreisarzt soll kontrollieren, ob diese als
Assistenten beschäftigt werden; er muß also wissen, ob und wo in seinem
Kreise ein Medizinalpraktikant vorhanden ist.
Antwort: Zu 1. Nach der noch geltenden Verordnung des Beicbsamts
für wirtschaftliche Demobilmachung vom 11. Dezember 1918 kann ein Ge*
schlechtskranker in einem solchen Falle zwangsweise einem Heilver¬
fahren in einem Krankenhause unterworfen werden. Durch Anwendung
dieser Maßregel ist die Gefahr einer Weiterverbreitung der Krankheit durch
ihn am sichersten beseitigt. Die Ortspolizeibehörde hat dafür zu sorgen, daß
er sich dieser zwangsweisen Behandlung in einem Krankenbause unterzieht.
Zu 2. Wenn die Bezirkspolizeiverordnungen über die Meldepflicht der
Aerzte usw. eine solche für die Medizinal praktikanten nicht vorschreiben, oder
den Krankenhausvorständen eine solche nicht durch eine Verfügung des Regie¬
rungspräsidenten allgemein anferlegt ist, so kann der Kreisarzt das Vorhanden¬
sein von Medizinalpraktikanten nur durch Rückfrage oder mit Hilfe der Ortspolizei
feststellen, bei der bekanntlich jeder Zuziehende angemeldet werden muß.
Anfrage Ober Kreisdesinfektoren.
Ich bitte um Mitteilung der Kreise, die Kreisdesinfektoren
haben und um Angabe der Art und Höhe ihrer Besoldung.
Dortmund, den 28. Januar 1822.
Südwall Nr. 361 ^ ,,
Dr. Wollenweber,
Schriftführer des Pr. M. B. V.
Das Verzeichnis der Medizlnalbeamten in
Preußen kann noch für den Preis von 7,50 M. (einschließlich
Porto und Verpackung) von den Vereinsmitgliedern be.
zogen werden, falls die Bestellung bis zum 1. März d Js. un¬
mittelbar an die Verlagsbuchhandlung (Fischers mediz. Back,
handlang, H. Kornfeld, Berlin W 62, Keithstraße Nr. 5) erfolgt.
Druckfehler <* Berichtigung. In Nr. 21 der Zeitschrift für
Medizinalbeamte, Jahrg. 1921, ist auf »eite 609 irrtümlich „Dr. Sonnefeld“ als
Herausgeber von „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“ angegeben, während
diese nach wie vor von Hofrat Dr. Löwenfeld in München herausgegeben
werden. Weiterhin heißt der Verfasser von „Suggestion, Hypnose und Tele¬
pathie“ „Kindborg“, nicht „Kindberg“ und der Verfasser von „Krank¬
heiten des Herzens und der Gefäße“ (Seite 611) nicht „B a r winkel“, sondern
„Bur Winkel“.
Verantwortlich fllr die 8chMfÜeIttu»f: Prof. Dr. B.pmund, Q«h. Xed.-Bnt In Llppeprlnfe.
Druck tob J. C. C. Brnos, Minden I. W.
t ‘i- 4 ^NliMN feöÖ^wfes M a to j l
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•{BÖ töers «?.-mir isEssffr* »*««»>«*,
Wl*. /.V. T 1
85. Jahrs:.
Zeitschrift für Medizinalbeamte.
Nr. 4.
Hans Seele rt in Berlin, Dr. Leonhard Wareow in Leipzig, Dr. T. Math&r
{■ Rheydt, Dr. Erich Westhofen in Hohegeiß, Dr. Ed. Steinebacb in
Gelsenkirchen, Dr. H. Kempa in Tapian, Dr. W. Klein in Frankfurt a. M.,
Dr. P. Jacobi in Münster i. W., Dr. A. Weinberg in Bocbnm, Dr.
JEL8churian in Botenbnrg (Fulda), Dr. G. Brückner in Lüdenscheid, Dr.
G. Beckert in Essen (Bahr), Dr. H. Wex in München-Gladbach, Dr. Fritz
Noack in Gotha, Dr. Karl Hofins in Duisburg-Meiderich, Dr. W. Haneken
in 8tade, Dr. Ew.Eerslen in Münster i. Westf., Dr. A. Schliebs in Kagel,
Dr. H. Rautenberg in Erfurt, Dr. H. Schmitt in Düsseldorf, Dr. fl. Bohl¬
fing in Darmstadt, Dr. J. Caesar in Dortmund, Dr. W. Pieper in Samot-
schin, Dr. Cart Bejach in Now&wes, Dr. H. Lotze iu Bremen, Dr. 0.Klage
n Hannover-Linden, Dr. B. Ulrich in DniBbnrg, Dr. E Boehnke in Alt-
Scherbitz, Dr. Hans Kroemer in Danzig-L&ngfuhr, Dr. Hans Beasch in
Königsberg' i. Pr., Dr. E. Strahlmann in Delmenhorst (Oldenburg), Dr.
Walter Lae nge in Aschersleben, Dr. Joseph Jacobs in Charlottenburg, Dr.
Max Schwellnus in Königsberg i. Pr.
Einberufen: Polizeiarzt Dr. V. Jüttn er beim Polizeipräsidium in Berlin
als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern.
Gestorben: Geh. Med.-Bat La Boche, Kreisarzt a. D. in Schweidnitz,
Geh. Reg.-Bat Dr. Peters in Weimar, früher Mitglied des B.-G.-A. in Berlin.
Bayern.
Ernannt: Ob.-Med.-Bat Dr. K i h n, Bezirksarzt in Würzburg, zum Ober¬
regierangsrat bei der Begierung für Mittelfranken in AnBbach; der praktische
Arzt Dr. Werner in Eichstett zum Bezirksarzt in Dingolfiog.
Gestorben: Bezirksarzt Dr. Betz in Miesbach.
Erledigte Stellen.
Bayern.
Die Bezirksarztstellen in Seheinfeld und Miesbach. Bewerbungen
sind bei der für den Bewerber zuständigen Begierung, Abteilung des Innern,
oinznreichen. (Fortsetzung auf der letzten Seite des Umschlags.)
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Zentralblatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
n. öffentliche Gesundheitswesen, einsohl, der prakt u. sozialen Hygiene
Herausgegeben
TOB
Prof. Dr. Otto Rapmund
Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Verlag von Fischer’s med. Buchhandlung H. Kornfeld
fUrxtgl. Bayer, tief. ■. K. K. Kammar-Bachhladler
Berlin W. 62, Kelthstrasse 5
AasolftB werden durch die AnseifenYarwalftang Hane Pusch, Berlin BW. 48, Wllhelmatr. 28 eowle
TOB almflleheB Anzeigen-Annahmestellen dea In- and Auslandes angenommen«
Die durchgehende Petitseile kostet M« 2£0
Nr. 4.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monate
20. Febr.
Die Zwangsernährung Strafgefangener.
Von Dr. Marggraff- Amorbacb, Bayern.
Da sich in letzer Zeit die Inszenierung von Hungerstreiks
in Gefängnissen und Strafanstalten Deutschlands immer mehr
einzubürgem scheint, so ist es notwendig, daß die Gefängnis¬
ärzte sich vollkommen darüber Klarheit verschaffen, wie sie in
solchen Fällen vorzugehen haben, ohne sich eines möglicher¬
weise folgenschweren Fehlgriffs schuldig zu machen.
Ist der Hungerstreik erst geplant oder frisch ausgebrochen,
so werden wir natürlich zunächst versuchen, ihn, nach Ergrün¬
dung der Ursache, durch Einsetzen unserer Autorität und durch
Suggestionsmittel zu verhindern resp. zu beenden. Bei unserem
Vorgehen haben wir dabei uns einerseits vor schwächlicher
Nachgiebigkeit, anderseits vor allzu schroffer Strenge zu hüten;
denn die Streikenden sind fast stets schwer zu behandelnde,
boshafte, unerzogene Menschen, recht häufig hysterisch psycho¬
pathisch veranlagte Persönlichkeiten, bei denen der Affekt bei
jeder Gelegenheit zum Durchbruch gelangt, wodurch dem Arzt
und den Beamten der Anstalt sohwere Ungelegenheiten bereitet
werden können.
90
Dr. Marggraö. Die Zwangsernahrnng Strafgefangener.
Sehr wichtig ist es, unzufriedene hetzende Elemente, sowie
Personen, die bereits in Streik getreten sind, abzusondern, wo¬
durch am besten weiteres Konspirieren und Komplottschmieden
ausgeschaltet wird. Auch ist ein Isolierter besser zu überwachen,
insbesondere in der Richtung, ob ihm heimlich von irgend einer
Seite Nahrung zugesteckt wird. Der Streikende wird jeden Tag
genau beobachtet, gewogen und erhält sein Essen hingestellt,
gleichviel, ob er es anrührt oder nicht. Bleibt er hartnäckig,
geht das Körpergewicht zurück und hat er 3—4 Tage über¬
haupt nichts zu sich genommen, so wird zur Zwangsernährung
geschritten.
Der zu Fütternde liegt am besten zu Bett in halbsitzen¬
der Stellung. Leistet er Widerstand, wird er gehalten, insbe¬
sondere ist dabei nötig, daß der Kopf gut fixiert wird. Eine
gut geölte, weiche, nicht zu dicke Magensonde (ca. 11 mm
Durchmesser) wird durch ein Nasenloch in den Magen einge¬
führt, die Sonde mittels Qlasröhrchen an einen zweiten Schlauch,
der mit einem Trichter verbunden ist, angeschlossen und die
flüssige Nahrung eingegossen. Die Nahrung muß gut temperiert
sein und kann aus Schleimsuppe, Kakao oder Milch, der zwei
Eier und Zucker zugesetzt sind, bestehen. Diese Eingießung
erfolgt zweimal täglich. Die Einführung des Schlauches durch
die Nase ist meist nicht schwierig und der Fütterung durch
den Mund vorzuziehen, da resistente Menschen entweder den
Mund gar nicht öffnen oder den teilweise eingeführten Schlauch
mit den Zähnen zusammenbeißen. Gleichzeitig wird die um¬
ständliche Anwendung des Mundsperrers, mit dem man über¬
dies leicht Verletzungen machen kann, überflüssig.
Besteht in dem einen Nasengang eine Verbiegung der
Scheidewand oder sonst ein Hindernis (Polyp), so wird die
Sonde durch das andere Nasenloch eingeführt. Bei doppel¬
seitiger Stenose bleibt natürlich nur noch die Fütterung durch
den Mund übrig.
Ist alle Flüssigkeit in den Magen eingeflossen, so wird
der eingeführte Magenschlauch mit den Fingern gut zugeklemmt
und rasch herausgezogen.
Meist werden die Streikenden nach Anwendung der ge¬
schilderten Zwangsernährung durch die Nase es bald vorziehen,
wieder selbst zu essen. Bleibt einer aber trotzdem hartnäckig
und setzt den Hungerstreik wochenlang fort, so gehen wir zur
Einverleibung fester, aber fein zerkleinerter Nahrung mittels
Stempelspritzen aus Metall über. Kartoffelbrei, feinst verteiltes
Gemüse, knochenloses, drei- bis viermal durch die Fleisch¬
maschine getriebenes Fleisch, verdünnt durch Fleischbrühe,
bildet die Ernährungssubstanz in solch hartnäckigen Fällen.
Statt des Trichters wird die mit einem Ansatz und Hahn ver¬
sehene Stempelspritze aus Metall an den Schlauch angeschlossen.
Der Stempel wird herausgezogen, der Ablaufhahn geschlossen,
darauf die Fütterungssubstanz eingegossen bis die Spritze etwa
Dr. Jörns: Leichenpäss«.
91
dreiyiertel davon angefüllt ist. Nun wird der Stempel dei
Spritze eingesetzt, der Ablaufhahn geöffnet und durch Druck
auf den Stempel der Speisebrei durch den Schlauch in den
Magen entleert. Füllen und Entleeren der Spritze geschieht
so oft, bis die ganze Mahlzeit aufgebraucht ist,
Weicher Kartoffelbrei, feinst verteiltes Gemüse kann auch
ohne Anwendung der Spritze nach Eingießen in den Trichter
dadurch in den Magen befördert werden, daß man mit den
Fingern den Schlauch in der Richtung nach dem Mund aus¬
streicht und knetet.
Alle etwa bestehenden Erkrankungen, die die Anwendung
der Magensonde ausschließen, verbieten natürlich auch die Aus-
führung der Zwangsernährung.
Nach dem Gesagten komme ich zu dem Schluß, daß das
angegebene Verfahren sowohl geeignet ist, den Trotz der Streiken¬
den zu brechen, als es auch anderseits, selbst bei längerer
Renitenz, eine körperliche Schädigung vermeidet.
Leichenpässe.
Von Kreisarzt Dr. Jonu-Nordhanzen.
Durch Erlaß des preuß. Ministers des Innern vom 3. Januar
1922 ist bestimmt worden, daß für die Ausstellung von Leichen¬
pässen im Inlande zukünftig amtsärztliche Bescheinigungen nicht
mehr zu fordern sind, sondern daß allgemein einfache ärztliche
Zeugnisse genügen, sofern nicht gemeingefährliche Krankheiten
den Tod herbeigeführt haben. Dieser Erlaß scheint mir nicht
frei von schweren Bedenken zu sein.
Es ist zugegeben, daß die Beschaffung von amtsärztlichen
Bescheinigungen für Leichenpässe, namentlich in ländlichen Ort¬
schaften, umständlich sein kann, besonders dann, wenn etwa
ein Landratsamt den Bürokratismus auf die Spitze treibt. Diese
Umständlichkeit wird durch Einholung der kreisärztlichen Be¬
scheinigung aber kaum vermehrt; denn selbst auf dem Lande
sind Verzögerungen nach meiner Erfahrung dann mit Leichtig¬
keit zu vermeiden, wenn der Fernsprecher benutzt und nach
telephonischer Zustimmung des Kreisarztes der Leichenpaß von
der Ortspolizeibehörde sofort ausgestellt wird. Die schriftlichen
Unterlagen für die nachträgliche Ausstellung des amtsärztlichen
Leichenscheines werden nachgeliefert. Ich habe dies seit Jahren
so gehandhabt und niemals Klagen seitens der Ortspolizei-
b4hörden gehört. Aber selbst zugegeben, daß unter Umständen
4ich hierbei eine Leichenüberführung einmal um einen Tag ver¬
zögert, so sind diese Schattenseiten nicht so groß wie andere
Bedenken, die dem eingangs erwähnten Ministerimerlaß entgegen¬
stehen. Ich darf dies an einigen Beispielen, die mir beim Durch¬
lesen des Erlasses in den Sinn kamen, erläutern:
Vor einigen Wochen wurde mir seitens der PolizeiYerwaltnng der Stadt B.
mitgeteüt, daß nach dem ärztlichen Lelcheaschanscheine ein junges Mädchen
92
Dr. Jörns: Leichenpässe.
an Sepsis gestorben sei nnd in seinen Heimatsort überführt werden solle. Anf
die am Fernsprecher aufgeworfene Frage nach der Ursache der Sepsis erhielt
ich nach einigem Zögern vom Krankenhanse die Ansknnft, daß eine Fehlgeburt
vorangegangen sei. Ich habe daraufhin gerichtliche Ermittlungen veranlaßt,
die zur Leichenöffnung führten; die Leichenöffnung ergab eine verbrecherische
Fruchtabtreibung; der Täter sitzt jetzt in Untersuchungshaft
Ein anderes Beispiel:
In einer hiesigen Frauenklinik war ein junges Mädchen an Wundstarr¬
krampf gestorben. Vor Ausstellung des Leichenüberführungsscheines erkundigte
ich mich nach der Ursache des Wundstarrkrampfes. Angaben über eine Ver¬
letzung konnten mir nicht gemacht werden, nur wurde erklärt, daß eine Fehl¬
geburt vorangegangen sei. Ich veranlaßte die Leichenöffnung. Es fanden sich
Nachgeburtsreste, in denen vom hygienischen Institut in Halle Tetanusbazillen
nachgewiesen wurden. Also wieder eine verbrecherische Frnchtabtreibnng, die
durch schmutzige Werkzeuge bewirkt war. In diesem Falle gelang die Er¬
mittlung des Täters nicht.
Eia drittes Beispiel:
Von einem Dorfe sollte die Leiche eines jungen Seminaristen nach dem
katholischen Friedhofe hiesiger Stadt überführt werden. Der behandelnde Arzt
bescheinigte als Todesursache Zahngeschwür mit Blutvergiftung. Sofort ein¬
geleitete Ermittlungen ergaben, daß ein hiesiger Zahntechniker einen hohlen
Zahn mit Amalgam gefüllt hatte. Die Leichenöffnung ließ feststellen, daß
von einem Wnrzelabszeß des Zahnes eine fortschreitende eitrige Entzündung
mit Gebirnabszeß entstanden, daß also der Tod auf die unsinnige Behandlung
des Zahntechnikers zurückzuführen war. Im Verlaufe der Untersuchung stellte
sich heraus, daß der Zahntechniker an beginnender Hirnerweichung litt. Er
starb vor seiner Aburteilung.
In allen drei Fällen wäre, wenn es bei dem ärztlichen
Zeugnis allein geblieben wäre, nichts erfolgt. Der Straf¬
rechtspflege dient also der Erlaß des Herrn Ministers nicht.
Aber auch hinsichtlich der Seuchenbekämpfung ist er
nicht frei von Bedenken. Nach dem Erlaß genügen auch für
Typhus, Diphtherie, Scharlach usw. ärztliche Leichenüberfüh¬
rungsscheine. Wer von den beamteten Aerzten ist wohl davon
überzeugt, daß jeder praktische Arzt in solchen Fällen die
nötigen Vorsichtsmaßregeln der Ortspolizeibehörde bekannt
f eben wird? In die Hand der praktischen Aerzte wird hierbei
och aber gleichsam die Anordnung der Schutzmaßnahmen
gegen die Verbreitung der Seuchen gelegt. Man wende nicht
ein, daß die Ortspolizeibehörde ihrerseits für die Anordnung
solcher Maßregeln verantwortlich ist. Dies stimmt auf dem
Papier; wer aber ländliche Verhältnisse und ländliche Amts¬
vorsteher kennt, wird selten genug die amtsärztlichen Rat¬
schläge für überflüssig erklären dürfen. Nun ist freilich vor¬
geschrieben, daß bei ansteckenden Krankheiten der Todesfall
zu melden ist, auch wenn der Erkrankungsfall bereits angezeigt
wurde. Wie oft die praktiscken Aerzte diese Anzeige unter¬
lassen, darüber will ich nicht reden. Aber auch bei pünktlicher
Erstattung der Anzeige gelangt die Meldung über die Orts¬
polizeibehörde doch wohl, namentlich wenn es sich um länd¬
liche Ortschaften handelt, in den seltensten Fällen so recht¬
zeitig in die Hände des Kreisarztes, daß er noch in die Lage
kommt, der Ortspolizei Anweisungen über die Maßnahmen beim
Begräbnis zu geben. Wir beamteten Aerzte werden gar bald
Dr. Borntraeger: OberregiernngsratP
95
in der Lage sein, in solchen Fällen darüber zu berichten, wie
der Sarg, wenn die Leiche vom Krankenhause im elterlichen
Hause auf dem Dorfe angelangt ist, wieder geöffnet und wie
Leichenschmäuse abgehalten werden. Bisher konnten wir dies
wenigstens in allen denjenigen Fällen verhüten, in denen der
Tod eines Kranken im Krankenhause erfolgt war. Kurz, auch
schwerwiegende gesundheitspolizeiliche Bedenken lassen sich
gegen den Erlaß Vorbringen.
Auf die finanzielle Seite des Erlasses habe ich keinen
Anlass einzugehen, ich bemerke nur, daß von vollbesoldeten
Kreisärzten, und das werden doch wohl bald alle Kreisärzte
sein, mit den amtsärztlichen Leichenüberführungsscheinen dem
Staate bisher eine Geldsumme zugeflossen ist, die nach meiner
begründeten Schätzung ausreichen würde, mindestens zwei
Dutzend nicht vollbesoldete Kreisarztstellen in vollbesoldete
umzuwandeln.
Nicht Oberregierungsrat?
Von Geh. Med.-Rat Dr. Borntraeger-Düsseldorf.
Laut Bericht über die letzte Vorstandssitzung des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins in Nr. 24 unserer „Zeitschrift für Medi¬
zinalbeamte“ S. 613 ist seitens der anwesenden Vertretung des
Wohlfahrtsministeriums erklärt worden: Die Verleihung des
Amtsgrades „Oberregierungsrat“ sei bei dem Staatsministerium
auf „unüberwindlichen Widerstand“ gestoßen, weil dieses die
Ansicht, daß die Regierungs- upd Medizinalräte Vorsteher einer
besonderen Abteilung seien, nicht teile. Beim Lesen dieser
Feststellung faßt sich der alte Regierungs- und Medizinalrat
an den Kopf — sofern man von einem solchen heute wenig
bewerteten Körperteile bei einem zur Strafe für widerrechtliches
Hinausschieben des fälligen manifesten Altersblödsinns, also ge¬
wissermaßen wegen „Dementia praecox“ gewaltsam pazifizierten
Beamten überhaupt reden darf — also er sucht seine Kopf¬
stelle und ersucht sie vergebens um „Aufklärung“ über diese
tatsachenfremde Anschauungsweise und deren „Unüberwind-
licbkeit“.
Wie liegen in Wirklichkeit die Verhältnisse?
Ich will einmal von der mir am besten bekannten Düssel¬
dorfer Bezirksregierung ausgehen. Hier sind seit April 1921
bisher 6 neue technische Oberregierungsräte ernannt worden:
Der älteste Gewerberat, der älteste Schulrat, die 2 Tiefbauer
und 2 der Hochbauer; ohne Oberrat ist geblieben das Medizinal¬
wesen, das Veterinärwesen und das Gewerbeschulwesen. Dabei
besteht ein irgendwie durchgreifender Unterschied zwischen
dem Maße der Amtsbefugnisse und der Selbständigkeit der
Vertreter dieser beiden Gruppen von Beamten nicht; sie alle
sind „Sachbearbeiter“, also Dezernenten oder Referenten bezw.
Korreferenten für den Regierungs-Präsidenten und in gewissem
Umfange für seine Vertreter, d. h. die Dirigenten der gesetzlich
94
Br. Borntr&ger.
geschaffenen 2—3 Abteilungen; weitere „Abteilungen“ gibt
es weder drüben noch hüben, sondern eben nur „Dezernate“
= sachliche Bearbeitungsstellen.
Unter diesen hat seit jeher allenfalls der älteste Gewerberat
etwas Besonderes in seiner Stellung insofern, als er für ein»
zelne Arbeitsgebiete als „der Regierungs- und Gewerberat“ zu
zeichnen hat, auch etwaigen anderen Gewerbeaufsichtsbeamten
bei der Regierung gegenüber eine gewisse unmittelbare Vor-
geordneteneigenschaft besitzt; doch tritt dies alles gegen seine
Stellung als Referent in der Präsidial-Abteilung weit zurück.
Jedenfalls unterscheiden sich die übrigen genannten technischen
Beamten in nichts in bezug auf Selbständigkeit von den Re¬
gierungs- und Medizinalräten, ja, den zu Oberräten beförderten
technischen Räten ist, soweit meine Kenntnis reicht, bisher
auch gar keine erweiterte Einflußsphäre oder Vorzugsstellung
eirigeräumt worden. Es ist dies eigentlich auch kaum möglich:
Der Hochbauer behält nach wie vor sein materiell oder lokal
abgegrenztes Arbeitsgebiet ohne Eingriffsmöglichkeit in den
Tätigkeitsbereich seiner Fachgenossen; der Tiefbauer bleibt
Korreferent im Eisenbahn-, Wasserbau- und Kanalisationswesen,
und für den ältesten Schulrat ist ebenfalls kein Raum,
neben den wirklichen Dirigenten der Schulabteilung be¬
sondere technische Oberratsbefugnisse auszuüben oder gar
Vorgesetztenrechte geltend zu machen; er bleibt lediglich
Dezlrnent für sein örtlich abgegrenztes Schulgebiet wie
jeder andere Schulrat auch. Alle diese 6 zu Oberräten
beförderten technischen Räte sind also in keiner Weise
mehr als Vorsteher einer besonderen „Abteilung“ anzusehen
als der Regierungs- und Medizinalrat, ja, zum Teil eher
weniger, und hätten, wenn dieser Gesichtspunkt allein
durchschlagend sein soll, die Oberratsklasse nicht erhalten
dürfen. Will man aber entscheiden lassen, daß der eine Per¬
sonalien zu bearbeiten, der andere gewisse Aufsicht über andere
Personen auszuüben habe, so sind das alles Amtsobliegenheiten,
die der Regierungs- und Medizinalrat in ebensolchem Maße, ja,
in erhöhtem Grade wahrzunehmen hat.
Zunächst bearbeitet der Regierungs- und Medizinalrat die
Personalien und Generalien der gesamten medizinischen
Berufs- und Heil- wie Pflegestände, also der Kreis- und
Gerichtsärzte, der Aerzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen,
Drogisten, Dentisten, Krankenschwestern, Kurpfuscher usw.
seines Bezirkes, zumal in größeren Bezirken ein ungemein
umfangreiches, einflußreiches und verantwortungsvolles, sehr
selbständiges Arbeitsgebiet, wie es in gleicher Weise nach
Zahl und Mannigfaltigkeit der Personen wohl kaum einem
anderen Regierungsbeamten überwiesen sein dürfte. Den
Kreisärzten und Gerichtsärzten wie Kreisassistenzärzten gegen¬
über ist er dabei, wenn auch nicht Vorgesetzter, so doch un¬
bestritten übergeordneter und die Geschäftsführung beaufsichtigen¬
der Beamter, für den etwaigen medizinischen Hilfsarbeiter an
Nicht Oberregierangsrat ?
95
der Regierung Primus inter pares, für den in Zukunft im Vor¬
bereitungsdienst an den Regierungen beschäftigten medizinal-
beamtlicnen Nachwuchs doch wohl Vorgesetzter, für die freien
Aerzte Achtungsperson, um so mehr, als er auch zu ihnen bei der
Besichtigung von Impfterminen, Krankenhäusern usw. bei der
Durchführung der Schulhygiene, bei der Begutachtung von Be¬
amten als höherer Kontrollierender oder Obergutachter auftritt.
Bei der Beaufsichtigung der Apotheken, Drogenhand¬
lungen, Krankenhäuser, Säuglingsanstalten, Medizinalunter¬
suchungsämter, Nahrungsmitteluntersuchungsanstalten, Wasser¬
werke usw. ist er selbständig auftretender und oft entscheidender
Kommissar, im Ausschüsse für die Besichtigungen der Apo¬
theken und Drogenhandlungen dabei der Geschäftsführende
und Leitende; er tritt zu dem Personal der hier erwähnten
Anstalten dauernd in die Stellung einer Art technischen Aufsichts¬
führers. Vorsitzender ist er in den Prüfungsausschüssen für
Apothekergehilfen, Krankenpfleger, Säuglingspflegerinnen, Wohl¬
fahrtspflegerinnen, Hebammen, Wochenpflegerinnen, Dentisten,
Desinfektoren, Laborantinnen. In allen diesen Stellungen des
Prüfungs- und Aufsichtswesens zeichnet er mit eigner Firma
als „der Regierungs- und Medizinalrat“ und ist hier gewiß
ebenso selbständig und einflußreich wie der Regierungs- und
Gewerberat.
Für die so überaus wichtige Bekämpfung der übertrag¬
baren Krankheiten, die nach meiner Auffassung der ältere Be¬
zirksmedizinalbeamte niemals ganz aus der Hand geben sollte,
und für ihre fortgesetzte Vorbereitung wie für die Ausgestaltung
der sozialen Hygiene ist der Regierungs- und Medizinalrat
offiziel wie inoffiziell persönlich verantwortlich und zuständig
und hat daher alle in Betracht kommenden nachgeordneten
Organe zur Mitwirkung anzuhalten.
Demgemäß hat das Medizinaldezernat der Präsidialabteilung
sein eigenes Personal, zu dem zumal der Regierungs- und Medi¬
zinalrat im Vorgeordnetenverhältnisse steht, abgegrenzter, als
mancher andere technische Oberrat.
Dabei greift das Medizinal-Dezemat wie kein anderes —
abgesehen allenfalls vom Justitiar — fortgesetzt mit wirkend in alle
anderen Abteilungen und Dezernate der Regierung ein, so in
der Schulhygiene, im Krankenhausbau, im Wasserversorgungs-,
Abfuhr-, Wohnungs-, Ernährungs- und Reinhaltungswesen der
Ortschaften, bei allen die Gesundheit des Menschen berührenden
Fragen, so daß diese „Medizinalverwaltung“ in der Tat wie
nur irgendein Fachgebiet als ein in sich abgeschlossenes Ganzes,
mit dem Regierungs- und Medizinalrat als Spitze, erscheint und
tatsächlich auch so von der ganzen Verwaltung selbst wie von
der Bevölkerung gewertet wird.
Ganz allgemein wird der Regierungs- und Medizinalrat
als „der oberste Medizinalbeamte des Bezirks“ betrachtet; zu
ihm geht, falls dieser nur halbwegs auf dem Posten ist, jeder, der
irgend ein Anliegen von weiterreichender gesundheitlicher Be-
96
Dr. Borntraeger.
deutung hat, so daß es gelegentlich zu Eifersüchteleien an
anderen Regierungsstellen kommt; und wenn es in der Oeffent-
lichkeit heißt „die Medizinal Verwaltung der Regierung ist der
Ansicht“ oder „hat angeordnet“ oder „entschieden“, so weiß,
sofern es sich nicht um große, verschiedene Verwaltungs¬
zweige gleichmäßig berührende Fragen handelt, jeder einiger¬
maßen Unterrichtete, welche Person dahinter steckt, und macht
ihn, im Guten oder Bösen, verantwortlich, nicht den Regierungs¬
präsidenten oder Abteilungsdirigenten.
Und ausgesucht diesem, so vielseitig in Anspruch ge¬
nommenen, mit so eigener Verantwortlichkeit wirkenden medi¬
zinischen Mitgliede der Bezirksregierung wird die gleiche An¬
erkennung der Selbständigkeit eines eigenen Fachgebietes ver¬
sagt, welche Bau-, Schul-, Gewerbeaufsichtsbeamten zugebilligt.
wird! Und das in einer Zeit, in der urbi et orbi die Förde¬
rung gerade der Gesund hei tspf lege als gewissermaßen die
Grundlage für die Wiedererstarkung des deutschen Volkes ver¬
kündet wird — da wird ebeD der offizielle Vertreter dieser
Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung schlechter be¬
handelt als seine Kollegen auf anderen Fachgebieten! Und
die Neigung zu dieser Schlechtbehandlung ist an den maßgeb¬
lichen Ministerialstellen so stark, daß sie von den Kräften in
der preußischen Medizinal-Ministerialverwaltung nicht nieder¬
gerungen werden kann? Arme „Kräfte“, die selbst leider nie
wahre Regierungs- und Medizinalräte waren!
Wenn hier nicht ein Mißverhältnis allerschlimmsten Grades
zwischen Wirklichkeit und Ansicht besteht, so weiß ich nicht,
wo ein größeres eigentlich vorhanden sein könnte; jedenfalls
ist es unerläßlich, daß ein energischer Kampf um die Stellung
des Regierungs- und Medizinalrates vom Vorstande des Medi¬
zinalbeamtenvereins geführt und nicht aufgegeben wird, bis er
gewonnen ist.
Es kommt hier nicht in Betracht zu untersuchen, ob die
neuerdings eingeführte Auflösung des einheitlichen Charakters
der Bezirksregierung in viele einzelne mehr oder minder selbst¬
ständige fachliche Regierungszweige für das Ganze etwas
Gutes ist. Ich persönlich bin mir, da ich mich bemühe, die
Wohlfahrt der Gesamtheit derjenigen des Standes überzuordnen,
völlig klar darüber, daß dieses Vorgehen dem Volksganzen
schädlich ist. Wird aber trotzdem der Grundsatz der Auflösung
und Verselbständigung der einzelnen Fachzweige in der Re¬
gierung eingeführt, so ist es völlig belanglos für das Ganze,
ob man bei einem einzelnen Gebiete Halt macht oder nicht;
es bleibt dann im ersten Falle nur die Zurücksetzung eines
bestimmten Standes übrig. Und hiergegen hat der Stand die
Pflicht, sich zur Wehr zu setzen.
Warum auch hier wieder die Medizinalverwaltung gegen
andere Verwaltungsberufe zurückgeblieben ist, und ob das
durchaus nötig war, ist nicht klar. Ich kann mich von der
Annahme nioht befreien, daß hier allgemeine innerpolitische
Nicht OberregienugsratP
97
ebensowohl wie persönliche Verhältnisse eine Rolle wichtiger
Art spielen. Auch hier wird der Vorstand des Medizinalbeamten¬
vereins Arbeit nach verschiedenen Richtungen zu leisten
versuchen müssen. Eines aber geht unseren ganzen Stand ganz
besonders an, und das ist das, was ich bereits in meinem Auf¬
sätze in Nr. 15 unserer Zeitschrift von 1921 S. 294 berührt habe,
nämlich: Wir müssen immer mehr loskommen von der ärzt¬
lichen Behandlungstätigkeit, von der Verarztung von Präsidenten,
Dezernenten und sonstigen Patienten, von der ganzen „Doktorei“,
wir müssen einen geschlossenen Sanitätsbeamtenstand
berausarbeiten. Auch in der „Fortbildung“ und „Wissen¬
schaft“ kann zu weit gegangen werden. Ein Kreisarzt, ein
Regierung- und Medizinalrat, der immerfort Kurse hören muß
und dabei von den jüngsten Leuten mit Vorträgen versehen wird,
erweckt nach außen den Eindruck des Unfertigen, noch zu
Belehrenden und kommt nicht leicht zur inneren Sicherheit.
Wer mag ihn zum entscheidungskräftigen „Oberregierungsrat“
machen? Dazu noch ein Beispiel:
Nach Seite 615 in Nr. 24 der Medizinalbeamten - Zeit¬
schrift konnte sich der Vorstand des Medizinalbeamten Vereins
anscheinend nicht einigen, ob wir uns zu den „höheren Verwal¬
tungsbeamten“ oder zu den „wissenschaftlichen Staatsbeamten“
zu rechnen haben. Natürlich gehören wir zur ersten Gruppe,
und der Vertretertag ist glücklicherweise auch dieser Meinung
gewesen. „Wissenschaft“, sagte zu mir einmal der frühere be¬
deutende Kultusminister und spätere verdienstvolle Oberpräsident
von Westpreußen v. Goßler, als ich die Wissenschaftlichkeit
eines besonders geschätzten Regierungs- und Medizinalrats lobend
hervorhob, „Wissenschaft kann ich reichlich an anderen Stellen
haben; er ist ein praktischer, taktvoller und tatkräftiger Sanitäts¬
beamter, und das ist es, was ich an ihm besonders schätze“.
Und dieses Urteil ist richtig.
Natürlich brauchen wir als Medizinalbeamte eine ge¬
wisse ärztliche Erfahrung, medizinisches Urteil und einen
Grundstock wissenschaftlicher Kenntnisse und müssen uns
auf der Höhe des wirklichen Fortschritts halten; aber die
Eigenart unseres Standes ist nicht ärztliche Behandlungs¬
und spezielle Diagnostizierungskunst und nicht das Betreiben
eigentlicher „Wissenschaft“, sondern praktische technische Ver¬
waltungsfähigkeit, und dazu gehört praktischer Blick, Pflicht¬
gefühl, Tatkraft, Klarheit, Takt, Fähigkeit, die Ergebnisse der
Wissenschaft und Erfahrung in die Tat umzusetzen, Zuverlässig¬
keit, Wille und Vermögen, sich durchzusetzen und zu überzeugen,
und nicht zuletzt Standesbewußtsein. Gelingt es uns und
unserm Verein, diese Eigenschaften in uns entwickeln zu helfen,
dann werden wir auch nicht überall zurückgesetzt UDd oft nur
als Objekte, sondern als den anderen gleichgeltende Subjekte der
Verwaltung behandelt werden. Wir wollen und müssen mit
den übrigen Verwaltungsberufen gleichen Schritt halten 1
Dr. Trembnr.
Unsere Zukunft.
Von Kreisarzt Dr. H. Trembnr-Berlin-Wilmersdorf.
In Berlin werden 15 Stadtärzte hauptsächlich in den Be¬
zirksämtern angestellt, die noch keinen mit der Leitung des
Gesundheitswesens beauftragten Arzt als besoldetes Mitglied
haben. Das läßt zunächst noch keinen anderen Gedanken auf-
kommen, als daß in Berlin wie in so manchen anderen Städten
die Kreisärzte ihre gesetzmäßige Tätigkeit fortsetzen werden,
neben ihnen die Stadtärzte die Aufsicht über die besonderen
kommunalen Einrichtungen gesundheitlicher Art und die be¬
ratende Tätigkeit der Bezirksverwaltung ausüben, und beide
in einträchtiger Gemeinschaftsarbeit das Volks wohl zu fördern
bestrebt sein sollen.
Diese Annahme ist aber falsch. Ich empfehle die Beach¬
tung folgenden Abschnittes aus einem Aufsatz von Professor
W.Hoffmannin der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“
über „Die Neuorganisation des Gesundheitswesens in der Stadt¬
gemeinde Berlin“. Da der Verfasser Direktor in dem Medi¬
zinalamt des Magistrates Berlin ist, kann das Mitgeteilte als
der Ausdruck der Bestrebungen der Stadtverwaltung angesehen
werden, zumal die Unterrichtung der deutschen Aerztesohaft
sein Zweck ist. Ich gebe den entsprechenden Abschnitt wörtlich
wieder:
..Früher hatte man auch erwogen, die Gesundheitspolizei vom
Polizeipräsidium auf die Stadt za übernehmen, doch hat man von diesem Ver¬
lach Abstand genommen, da er zurzeit als aassichtlos erkannt war. Ob man
in einer nicht mehr allza fernen Zakanft diesen Qedanken wieder aofnehmen
wird, läßt sich heute nicht mit Sicherheit bejahen. Es hängt diese Möglichkeit
von dem weiteren Bestehen der kreisärztlichen Funktionen and a. a. auch davon
ab, ob and wie sich die Kommanalärzte besonders nach ihrer Vor- and Aus¬
bildung in den sozialhygienischen Akademien ihren großen Aufgaben gegen¬
über gewachsen zeigen werden. Nicht jeder Arzt, and wenn er noch so viele
Kenntnisse and Ideen hat, eignet sich zam Verwaltungsbeamten, nicht jeder
vermag der in einem geordneten Geschäftsbetrieb einmal nicht za entbehrenden
Verwsdtangstechnik das erforderliche Interesse entgegenzabringen. Dieser
Mangel wird and maß ihm seine Tätigkeit and seine Stellung besonders an¬
deren mit größerer Gewandtheit auf diesem Gebiet gegenüber erschweren.
Eine solche in jeder Hinsicht zuverlässige Dienststelle maß aber in jeder
Kommane vorhanden sein, wenn der Staat die Ausführung der gesandheits-
polizeilichen Bestimmungen (Seachengesetze usw.) kommanalen Beamten in die
Hand geben soll. Jetzt, wo die Nachfrage nach geeigneten Kommanalärzten
besonders groß ist, wo immer mehr Städte and Gemeinden ihren Stadt- oder
Gemeindearzt verlangen, maß man bei der Auswahl eine gewisse Vorsicht
walten lassen; haben die 8 sozialhygienischen Akademien in Berlin-Charlotten-
barg, Düsseldorf and Breslaa erst für geeigneten Nacbwachs gesorgt, ist
ferner in den Kommunen den Stadtärzten die selbständige Leitung des gesund¬
heitlichen Aufgabenkreises mit voller Verantwortung gesichert, dann wird man
sich im Staat aach hinsichtlich der Debertragang der Gesandheitspolizei auf
die Kommane nicht mehr so ablehnend verhalten können. . . .“
Es kommt also mit nackten Worten auf die Verdrängung
der Kreisärzte heraus. Der erste Versuch dazu ist seitens der
Stadt gemacht. Die staatliche Aufsichtsbehörde hat sich, wie
angenommen werden kann, diesem Versuch widersetzt. Es
wäre für uns Kreisärzte wichtig, au erfahren, womit der ab-
Unser« Zukunft.
99
sohlägige Bescheid an die Stadtverwaltung begründet worden
ist; sie hat Kenntnis davon erhalten, wir, deren Daseinsberechti¬
gung von der Stadt angegriffen worden ist, nicht. Die Stadt
Berlin hat sich von der Stichhaltigkeit der Gründe nicht
überzeugen lassen, da sie ja in nicht zu ferner Zeit den Ge¬
danken unter Umständen wieder aufzunehmen gedenkt. Zu
diesen Umständen gehört aber die Möglichkeit der Abschaffung
der kreisärztlichen Funktionen. Da auf die kreisärztlichen
Funktionen in einem Staat von 40 Millionen Einwohnern nicht
verzichtet werden kann, gehen wir nicht fehl mit der Annahme,
dafl es sich nicht um die Abschaffung der Funktionen, sondern
um die Abschaffung der Kreisärzte handelt, und zwar nach
dem Sinne des obigen Artikels nicht um die Kreisärzte in
Berlin, sondern um die Kreisärzte im Staat.
Deshalb hat die Gesamtheit der Kreisärzte ein großes
Interesse die Gründe zu erfahren, die die Stadtverwaltung Ber¬
lins zur Beseitigung der Kreisärzte vorgebracht hat, und der
Gegengründe, durch die seitens des Ministeriums der Antrag
abgelennt ist. Für die Beurteilung des beiderseitigen Stand¬
punktes wäre wissenswert, ob nicht auch die Wahrnehmung der
Geschäfte eines ärztlichen Beraters im Bezirksamt durch die
Kreisärzte erörtert, oder warum sie event. abgelehnt worden
ist. Bei der Geldnot der Städte und des Staates sollte man
annehmen, daß auch eine sachliche Erörterung des letzten
Punktes nicht unterblieben ist. 15 Bezirksärzte erfordern allein
für Berlin einen jährlichen Mehraufwand von über einer halben
Million. Dazu würden die Wartegelder für die außer Tätigkeit
gestellten oder zu versetzenden Kreisärzte kommen. Von
diesen würde ein Teil sicher dazu beitragen, daß der Prozent¬
satz der Berliner Kassenärzte mit einem das Existenzminimum
überschreitenden kassenärztlichen Einkommen noch kleiner als
3,6 wird, als wie es für dieses Jahr berechnet ist. Die Summe,
welche die vollbesoldeten Kreisärzte allmonatlich von ihren
Einnahmen an die Staatskasse abführen, kommen ebenfalls in
Fortfall. Die Ausgaben der Stadt werden also gewaltig erhöht,
die Einnahmen des Staates verringert. Circulus vitiosus!
Beachtungswert ist die Unsicherheit der Medizinalver¬
waltung Berlins, ob die zukünftigen Kommunalärzte nach ihrer
Vor- und Ausbildung in den sozialhygienischen Akademien
ihren großen Aufgaben gegenüber sich gewachsen zeigen werden.
Wir Kreisärzte stellen unseren jungen Kollegen, die uns nach
der Absicht Berlins ersetzen sollen, eine freundliche Prognose
und wünschen, daß sie in der schwierigen und verantwortungs-
reichen Tätigkeit die Befriedigung und den Erfolg finden mögen,
auf die wohl die meisten von uns dereinst zurückblicken werden.
Es wird ihnen das um so eher glücken, je mehr sie sich Vor¬
halten, daß nicht die Erlernung der Verwaltungstechnik und
der Gesetze, sondern Erfahrung in der praktischen Hygiene,
Kenntnisse der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verwaltungs¬
bezirkes, Menschenkenntnis, tiefes Empfinden für die Bedürf-
100
Dr. A. Grotjahn: Berichtigung.
nisse der Volksgenossen und Rückgrat gegen Einflüsterungen
Voraussetzung für ein gedeihliches Wirken sind. Hoffentlich
werden sie nicht zu sehr enttäuscht sein, wenn sie die Schatten¬
seiten der kreisärztlichen Tätigkeit erkennen.
Der Stadtverwaltung Berlins haben geeignete Persönlich¬
keiten, die die erforderliche Verwaltungstechnik und Zuver¬
lässigkeit z. B. zur Ausführung der gesundheitspolizeilichen Be¬
stimmungen (Seuchengesetze usw.) besitzen, scheinbar noch
nicht zur Verfügung gestanden; den Versuch zur Abschaffung
der Kreisärzte hat sie aber gemacht und will ihn wiederholen,
bis er zu dem erstrebten Ziel führt. Videant consules!
Berichtigung.
Auf Seite 32 der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom
20. Januar 1922 ist in einem vom Herausgeber gezeichneten
Aufsatze vom sozialdemokratischen Parteiprogramm
gesagt worden, daß es „bekanntlich die planmäßige Beseitigung
aller bisher tätigen Beamten wie sonstiger Personen und den
Ersatz durch Parteigenossen fordert unter sorgfältiger Berück¬
sichtigung ihrer Gesinnungstüchtigkeit.“
Diese irrtümlichen Angaben sind dahin zu berichtigen,
daß das im Jahre 1921 auf dem Parteitag in Görlitz beschlossene
Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
ausdrücklich und wörtlich fordert: „Sicherung und Ausbau
der staatsbürgerlichen und wirtschaftlichen Rechte
der Beamten.“
Im gleichen Aufsatze ist auf Seite 675 der Zeitschrift für
Medizinalbeamte vom 20. November 1921 zurückverwiesen, wo
die Richtlinien mitgeteilt worden sind, die von einem
Programmunterausschuß zwecks Vorbereitung eines Gesundheits¬
programmes der S. P. D. aufgestellt wurden. Diese Richtlinien,
die infolge Zurückstellung des Gesundheitsprogrammes übrigens
noch keine parteioffizielle Annahme erfahren haben, enthalten
ebenfalls nichts von einer „planmäßigen Beseitigung aller bis¬
herigen Beamten unter sorgfältigster Berücksichtigung ihrer
Gesinnungstüchtigkeit. a Dessen zum Beweise mögen sie hier
noch einmal wiederholt werden:
„Uebernahme des gesamten Heil- and Gesundheitswesens in den Ge¬
meinbetrieb unter Beseitigung jeglicher privatkapitalistischen Wirtschafts¬
form. Vereinheitlichung des sozialen Versicherungswesens und seine Ausdehnung
auf alle Volksangehörigen. Uebernahme und Ausbau der Krankenanstalten,
Ambulatorien, Polikliniken und gesundheitlichen Fttrsorgeeinrichtungen sowie
aller sonstigen, der öffentlichen Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen in
Stadt und Land. Eingliederung der Aerzte, Hebammen und des übrigen Heil¬
and Krankenpflegepersonals in die Gesamtorganisation des Heil- und Gesund¬
heitswesens unter planmäßiger Verteilung auf Stadt und Land bei sorgfältigster
Berücksichtigung der Arbeitsteilung und Arbeitsersparnis sowie Zuhilfenahme
aller technischen Hilfsmittel. Sozialisierung der Apotheken und aller Stätten
der Herstellung, des Handels und des Vertriebs von Heilmitteln und Sanitäts¬
waren. Unentgeltliche, würdige und gleichartige Totenbeslattung in der Form
4er Beerdigung oder Einäscherung nach erfolgter ärztlicher Totenschau.*
Dr. Bapnmnd: Erwiderung.
101
Es sei ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß im
ersten Satze steht „in den Gern ein betrieb“, nicht Gemeinde¬
betrieb, wie auf Seite 575 der Nummer vom 20. November 1921
gedruckt zu lesen ist. Nur kritiklose Gegnerschaft könnte ver¬
kennen, daß es sich hier um einen Druckfehler handelt, da
selbstverständlich noch niemand in der Sozialdemokratischen
Partei daran gedacht hat, Reich, Staat und Versicherungsträger
von der Gesundheitspflege auszuschließen. Dieser Druckfehler
kommt auf das Konto der Zeitschrift für Medizinalbeamte, denn
in der angeführten Quelle, der Nr. 21 des Jahrg. 1921 der Zeit¬
schrift für ärztliche Fortbildung, ist er nicht zu finden.
Prof. Dr. A. Grotjahn, M. d. R.
Erwiderung.
Erst durch die vorstehende Berichtigung bin ich darauf
aufmerksam geworden, daß sich in dem s. Z. in Nr. 22 dieser
Zeitschrift, 1921, mitgeteilten Richtlinien für das Parteiprogramm
der Mehrheitssozialisten auf dem Gebiete der Gesundheitspflege
ein offenkundiger Druckfehler eingeschlichen hat und statt
„Gern ein dienst“ irrtümlich „Gemeindedienst“ gedruckt ist.
Es hätte deshalb eine einfache Berichtigung genügt und sich
eine weitere Ausführuug dazu als höchst überflüssig erübrigt.
Etwas anderes ist es mit dem anderen, viel wichtigeren Teil
der Berichtigung: Hier wird z. T. etwas berichtigt, was ich
gar nicht behauptet habe; denn in Nr. 22, Jahrg. 1921, S. 535,
nabe ich keineswegs die Ansicht vertreten, daß in den Richt¬
linien etwas „von einer planmäßigen Beseitigung aller bis¬
herigen Beamten unter sorgfältiger Berücksichtigung ihrer Ge¬
sinnungstüchtigkeit enthalten sei“, sondern ich habe nur ebenso
wie in Nr. 2 dieser Zeitschrift vom 20. Januar d. J., S.32 ausdrück¬
lich von einem sozialdemokratischen Parteiprogramm
in bezug auf die Beamten gesprochen. Nach Mitteilung von
Prof. Dr. Grotjahn soll dies allerdings in Wirklichkeit nur „die
Sicherung und Ausbau der staatsbürgerlichen und wirtschaft¬
lichen Rechte der Beamten fordern“. Diese Forderung steht aber
in schroffem Widerspruch mit dem tatsächlichen Vorgehen
der Mehrheitssozialisten auf diesem Gebiete; dafür geben alle
die deutschen Länder mit sozialistischen Mehrheiten wie Sachsen,
Thüringen, Braunschweig und Anhalt sowie die sozialistischen
Regierungen im Reiche, Preußen usw. gleich nach der Revolution
den schlagendsten Beweis. Nicht nach Worten und schön aus¬
gearbeitetem, oft nur auf Stimmenfang ausgehendem Partei¬
programm, sondern nach ihren Werken und ihrem tat¬
sächlichen Vorgehen soll man den Charakter, die Ziele,
und damit das tatsächliche Programm einer Partei beur¬
teilen. Dem gegenüber wird aber selbst der Sozialdemokrat
Herr Prof. Dr. Grotjahn nicht leugnen können, daß seine
Partei mit allen Mitteln bestrebt gewesen ist, ihnen nicht ge¬
nehme Beamten und sonstige Personen trotz ihrer Tüchtigkeit
102
Bericht Ober die amtliche Versammlung
zu beseitigen und durch Parteigenossen unter sorgfältiger Be¬
rücksichtigung ihrer Gesinnungstüchtigkeit zu ersetzen. Wenn
er dies in Abrede stellt, dann hat er entweder seit November
1918 geschlafen oder ist überhaupt kein zielbewuflter Sozial¬
demokrat.
Die vorstehende Berichtigung ist somit lediglich als Druck¬
fehlerberichtigung anzuerkennen; in sachlicher Hinsicht mufi sie
aber als Berichtigung unbedingt abgelehnt und ihr gegenüber
die Richtigkeit unserer Ansicht nochmals ausdrücklich betont
werden, _ Rpd.
Ans Versammlungen und Vereinen.
Bericht Aber die amtliche Teraammlanf der HedlBlmal-
beamten des Begiernngsbesirks Koblenz am 7. November
Im Sitzungssaal der Beglernng.
Anwesend: Der Regierungspräsident und sämtliche Medizinalbeamten
des Bezirkes mit Ausnahme des Kreismedizinalrates von Simmern, sowie
der stellvertretende Direktor des Uedizinaluntersuchungsamtes und als Gäste:
Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Grisar und Geh. Med.-Rat Dr. Roeder,
Dr. Dahm, Beigeordneter der Stadt Koblenz und San.-Rat Dr. Heubach,
Stadtarzt in Wetzlar.
Zum Schriftführer wurde Dr. Lustig in Koblenz bestimmt
Herr Reg.-Präsident v. Gr Önin g eröffnet« die Sitzung, begrüßte in
herzlichster Weise die erschienenen Medizinalbeamten nnd gab seiner besonderen
Frende darüber Ansdruck, daß auch der langjährige, verdiente frühere Reg.- und
Geb. Med.-Rat Dr. Grisar sowie Geh. Med.-Rat Dr. Roeder-St Goar
als Ehrengäste an der Versammlung teilnebmen. Die den Medizinalbeamten
obliegenden Aufgaben seien ihm aus seiner früheren amtlichen Tätigkeit nicht
fremd. Der Weltkrieg habe trotz seines unglücklichen Ansganges der Medizinal¬
verwaltung nicht nur große Erfolge und berechtigte Anerkennung eingetragen,
sondern auch die vielseitige Anregung zur Erhaltung und Hebung der Volka-
gesundheit gebracht namentlich in bezug auf die genaue Erforschung von
übertragbaren Krankheiten sowie auf sozialbjgienischem Gebiete. Neue Auf¬
gaben seien hier den Medizinalbeamten erwachsen, die eine große Entwicklungs¬
möglichkeit in sich tragen. UeberaU sehen wir pulsierendes Berufsleben.
Auch die heutige Versammlung solle diesen Aufgaben dienen; möge über ihrem
Verlauf und ihrem Ergebnis ein guter Stern stehen I
I. Die Desinfektion bei übertragbaren Krankheiten nach dem
Minlsterialerlaß vom 8. Februar 1921. Berichterstatter: Kr.-Med.-Rat Dr.
Lemke in Koblenz:
Absonderung und Desinfektion sind im wesentlichen die Mittel zur Be¬
kämpfung von Infektionskrankheiten. Die Absonderung ist das wirksamste
Mittel und boII am ersten gebraucht werden.
Die Abänderungen der nenen Desinfektionsvorschriften, die nur die über¬
tragbaren und nicht die gemeingefährlichen Krankheiten betreffen, erstrecken sich
1. auf die Zahl der durch Einzelvorschriften behandelten Krankheiten,
2. auf die Zeit und Art der Desinfektion,
8. auf die Mittel der Desinfektion,
4. auf die Ueberw&chung der Desinfektion und
6. auf die Kosten der Desinfektion.
1. Für Kindbettfieber werden die Desinfektionsvorschriften stark
gemildert, eine Schlußdesinfektion fällt ganz fort; für Milzbrand und Rots
tollen jedem Falle angepaßte EinzelvorBchriften im Rahmen der Vorschriften
für Diphtherie und Scharlach gegeben werden.
2. Die neuen Vorschriften bevorzugen die laufende Desinfektion
am Krankenbette, die bei Typhus, Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Rotz und Milz¬
brand erfolgen und von der Pflegerin des Kranken aasgeführt oder von einer
der Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Koblenz.
106
Desinfektionsperson bei Besuchen in 2—8 tägigen Zwischenräumen überwacht
«erden soll. An die Stelle der alten Schlußdesinfektion tritt in der Regel die
logenannte vereinfachte Schlußdesinfektion, die von derselben
Fareon selbsttätig ohne Auftrag sofort nach Tod, Genesung oder UeberfQhrung
in Krankenhaus vorgenommen werden soll. Andernfalls wird sie sofort von
der Ortspolizeibehörde angeordnet. Die erweiterte Schlußdesinfektion kann,
sonn die Verhältnisse besonders ungünstig liegen (in Pensionaten, Lebens¬
mittelgeschäften), angeordnet werden. Durch diese Maßnahmen tritt vor allem
uch eine Beschleunigung der Schlußdesinfektion ein.
Die ganze Desinfektion ist jetzt trotz der Vereinfachung der Schlu߬
desinfektion viel intensiver und wirksamer. Die Sache ist aber eine Personal-
frage. In größeren Städten, in Kreisen, die mit einem Netz von Schwestern
tberzogen sind, ist das Personal vorhanden und braucht nur ausgebildet zu
«erden. In den meisten Kreisen muß dagegen das Personal erst beschafft werden.
Jeder Kreisarzt muß sich über die Zahl der anzustellenden Schwestern
lud Desinfektoren schlüssig werden. Ob die Zahl der Hebammen oder der
fiazelärzte eines Kreises zu Grunde zu legen ist, muß die Erfahrung lehren.
Das Desinfektorenpersonal muß über den ganzen Kreis zerstreut werden und
Tor allem am Sitze des Einzelarztes je eine Desinfektionsperson wohnen.
8. In den Vordergrund treten die chemischen flüssigen Desinfektions¬
mittel infolge der Betonung der laufenden Desinfektion; Formalinlösung fällt
jedoch fort. Alle anderen Mittel bleiben, neue kommen nicht hinzu.
Die Einzelvorschriften unterscheiden: a) Desinfektion der Transport¬
mittel, b) laufende Desinfektion, c) vereinfachte 8chlußdesinfektion, d) erweiterte
Schlußdesinfektion.
Die laufende und vereinfachte Schlußdesinfektion erfordert in der Haupt-
Sache chemische Mittel. Bevorzugt wird die 0,1 # / 00 Sublimatlösung,
hei einigen Gegenständen soll sie nur allein angewendet werden. Bei anderen
Bteht die Wahl zwischen Sublimat und Kresolwasser frei. Verbrennen
▼on Gegenständen, Auskochen kann bei geeigneten Gegenständen angewendet
werden. Dampf Sterilisation ist nicht vorgeschrieben. Kalkmilch
■oll zur Desinfektion von Stuhlgang, Urin, Abortkübeln angewendet werden.
Chlorkalk zur Desinfektion von Badewasser.
Transportmittel enden im Krankenhaus mit Dampfsterilisations-
■pparat. Bei ihnen nimmt die Desinfektion im strömenden Wasserdampf die
wite Stelle ein (Decken, Kissen, Ueberzüge usw.) Nur der Fußboden, Wände usw.
lind mit Sublimatlösung bezw. Kresolwasser zu desinfizieren.
Eine Sonderstellung nimmt die Tuberkulose ein, da der Taberkel-
hacillus widerstandsfähiger als 'andere Keime ist. Als chemisches flüssiges
ttttel soll nur Sublimat in verstärkter Lösung 0,6°/«o gebraucht werden.
Die Schlußdesinfektion beim Wechsel der Wohnung, also der leeren Räume,
i<t hier eine vereinfachte. Sie besteht im Scheuern von Fußböden und in der
Anwendung von verstärkter Sublimatlösung; 6 Stunden lang auf Fußböden
und beschmutzte Wandstellen.
Vorschriften für Desinfektion von Transportmitteln fehlen.
4. Die Ueberwachung der Desinfektoren hat wie bisher der
Kreisarzt, daneben sind dem behandelnden Arzte gewisse Rechte ein-
gerinmt; er kann z. B. auch selbständige Anordnungen treffen. (Bestellung
von Desinfektionsschwestern, Anordnung der Desinfektion von Abgängen in
der Wohnung durch Desinfektionspersonal usw.). Die Ortspolizeibehörde soll
Jftr die vereinfachte Schlußdesinfektion selbständig sorgen; die Gemeindebehörden
lind bei allen Desinfektionsfragen zu beteiligen.
6. Die Kosten werden im wesentlichen den Kommunen und Kommunal-
verbänden übertragen; teilweise können sie von den Haushaltungen eingezogen
werden. Hoffentlich wird von letzterer Möglichkeit möglichst wenig Gebrauch
gemacht.
Die neuen Vorschriften bedeuten nach Ansicht des Berichterstatters eine
entschiedene Verbesserung; sie holen aus dieser Bekämpfungsmögliohkeit von
Seuchen alles heraus, was herauszuholen ist. Bei ungünstigen, übervölkerten
Wohnungen wird allerdings der Desinfektion auch bei Anwendung der neuen
Vorschriften der Erfolg versagt. Hier kann nur die Absonderung im
Krankenhaus helfen; für diese sind ebenfalls neue Vorschriften nötig, die nicht
104
Bericht über die amtliche Versammlung
bloß bestimmen, wann sie anznordnen, sondern auch, in welcher Weise sie aus-
zu führen ist. Vor allem sind aber die Kosten der Absonderung der Allgemeinheit
aufzubürden.
Aussprache.
Beg.- u. Med-Bat Dr. Hatthes: Die neuen Desinfektionsvorschriften
haben auch ron beachtenswerter Seite mancherlei Kritik erfahren, indes bleibt
abzuwarten, wie sie sich in der Praxis bewähren werden. Es ist zweifellos,
daß die Schlußdesinfektion in der alten Form in vielen Fällen illusorisch
war, weil sie nicht in der richtigen Zeit und in der richtigen Weise ausgeführt
wurde. In vielen Fällen wird sie auch überflüssig durch bessere Ausführung
der laufenden Desinfektion. Ob dies aber in der geplanten Weise
durchführbar ist, muß erst durch praktische Erfahrungen erstarkt werden.
Hier wird dies in absehbarer Zeit schon aus Mangel an ausgebildetem Personal
nicht möglich sein, weil es dem Vertreter des bis zum Eintritt in den Buhe¬
stand dauernd beurlaubten Direktors des Medizinaluntersuchungsamtes, bei
Nichtbesetzung der Assistentenstelle neben seinen sonstigen Aerzten kaum ge¬
lingen dürfte, Zeit für die Ausbildung der vorhandenen und der neu auszu-
bildenden Desinfektoren, Krankenpfleger und Schwestern zu finden.
Beigeordneter Dr. Dahm: Die erfolgreiche Durchführung der neuen
Desinfektionsvorschriften wird in den Stadt- und Landkreisen voraussichtlich
auf große Schwierigkeiten stoßen. Das Personal für die Desinfektion muß
eine große Vermehrung erfahren. Da die Schlnßdesinfektion nicht ganz auf¬
gehoben ist, müssen die Desinfektionsanstalten mit den hauptamtlichen Des¬
infektoren besteben bleiben. Daneben muß eine größere Anzahl männlicher
und weiblicher Desinfektoren ausgebildet werden, die meist nur in nebenamt¬
licher Stellung tätig sein können. Auch der Zutritt zum Krankenbette wird
nicht immer gestattet werden. Die neue Desinfektionsordnung bedeutet ferner
für die Stadt- und Landkreise, die bisher schon die Kosten der Desinfektion
übernommen hatten, eine ganz wesentliche finanzielle Belastung. Ein prak¬
tischer Erfolg ist nur zu erwarten, wenn es gelingt, die praktischen Aerzte
zur tatkräftigen Mitarbeit heranznzieben und wenn ihnen die Ueberwachnng
der laufenden Desinfektionen am Krankenbette überlassen wird.
Kr.-Med.-Bat Dr. Tilling-Neuwied: Es fehlt im Landkreise durchaus
an Aufsichtspersonal. Die weitgehende Berücksichtigung der Wünsche des
behandelnden Arztes hemmt die Tätigkeit des Medizinalbeamten und darf
nicht zu weit gehen, wie Bedner durch Beispiele nachweist. Sublimat als
Desinfektionsmittel bei Tuberkulose ist nach facbärztlichem Urteil ungeeignet.
Die Schlußdesinfektion muß vorerst beibebalten bleiben. Weitgehende
Krankenhausüberweisungen sind dringend geboten.
Geh. Med.-Rat Dr. Grisar-Koblenz verwirft ebenfalls die Anwendung
von starker Sublimatlösung bei Tuberkulose. Als hervorragendes Desinfektions¬
mittel empfiehlt er 70°/o Alkohol.
II. Die Beaufsichtigung der Hebammen nach Einführung eines
Hebammeugesetzes. Berichterstatter: Med.-Bat Dr. Klrcbgässer-Koblens:
Da der Kreisarzt Mitglied der künftigen Kreisbebammenstelle ist, so ist wohl
kaum zu befürchten, daß die eigentliche kreisärztliche Bebammenaufsicht durch
Einschaltung dieser beratenden Körperschaft zwischen Landrat und Kreisarzt
erheblich beeinflußt werden wird. Auch sonst enthält der vorliegende Entwurf
keine Vorschriften, die das bisherige dienstliche Verhältnis zwischen Kreisarzt
und Hebamme in wesentlichen Punkten berühren. In Hebammenkreisen scheint
allerdings der Wunsch nach Abänderung zu bestehen. Wenn auf dem Hebammea-
tag von „Verbören* bei den Nachprüfungen gesprochen wird, so liegt darin
zwischen den Zeilen ein abfälliges Urteil über die Nachprüfungen, wenigstens
in ihrer jetzigen Form. Auch sonst herrscht in gewissen führenden Kreisen
der Hebammen, wie man aus Versammlungsberichten gelegentlich entnehmen
kann, die Ansicht, daß der Hebammenstand unter besonders strengen Auf¬
sichtsbestimmungen zu leiden habe. Solche Ansichten sind, wenn man sich
auf den Hebammenstandpunkt stellt, nicht ganz unberechtigt. Die geprüften
Kranken- und Säuglingsschwestern unterstehen, insofern sie freie Praxis aus*
üben, keinerlei staatlicher Aufsicht; es besteht nicht einmal die Meldepflicht
beim Kreisarzt; Fürsorgeschwestern haben bei den Kreiaverwaltungen eine
mehr oder weniger selbständige Stellung, zu der die vollkommene Abhängigkeit
der Medizfnalbeamten des Regierungsbezirks Koblenz. 10B
der Hebammen vom Kreisarzt in einem krassen Gegensatz steht, der darch
nichts gerechtfertigt scheint.
Ein zutreffendes Orteil Aber das Wissen einer Hebamme bei einer
Nachprüfung zu gewinnen, ist unmöglich. Man lernt seine Hebammen bei
Besprechungen unter vier Angen anläßlich der Erstattung Ton Meldungen viel
besser kennen. Die unvermuteten Revisionen sind ebenfalls nichtsehr
hoch zu bewerten.
Allzu große Strenge der Aufsicht verleitet zu Unaufrichtigkeit. Polizei¬
strafen auf Grund der bestehenden Reg.-PoL-Verordnung hat Berichterstatter
■ur in den seltensten Fällen beantragt, er glaubt mehr Erfolg gehabt zu
haben durch Besprechung seiner Feststellungen — ohne Nennung des Namens —
im Hebammenverein. Vorträge im Kreisbebammenverein hält er für geeigneter
zur Fortbildung der Hebammen, wie die Nachprüfungen. Auch die unvermuteten
Revisionen will er einsohränken, ebenso die Meldepflicht, die nicht so sehr der
Beaufsichtigung, als der Entlastung der Hebammen dienen soll. Dnrch die
Berichterstattung und Erteilung von Anweisungen übernimmt der Kreisarzt
die Verantwortung für den weiteren Verlauf des Falles. An Stelle der Nach¬
prüfungen sollen ferner häufigere, aber kürzere Fortbildungslehrgänge in der
Anstalt dienen. Seine Vorschläge lauten:
1. Die kreisärztlichen Nachprüfungen können durch regelmäßige
Vorträge in den Hebammenvereinssitzungen ersetzt werden.
2. Jede Hebamme ist verpflichtet, dem Kreishebammen verein bei¬
zutreten. Hebammen, die nicht mindestens an einer Vereinssitzung im Ver¬
laufe eines Jahres teilgenommen haben, müssen an einer kreisärztlichen Nach-
piQfung teilnehmen.
3. An Stelle der regelmäßigen kreisärztlichen Nachprüfungen treten
kurze Wiederholungslehrgänge in der Hebammenlehranstalt, an denen
jede Hebamme alle 3—4 Jahre teilnehmen muß. Die Hebammen erhalten für
die Teilnahme an den Vereinssitzungen und Wiederholungslehrgängen Tage¬
gelder und Reisekosten von den Hebammebenbezirken bezw. von den Kreisen.
4. Die regelmäßigen unvermuteten Revisionen fallen fort, ge¬
legentliche unvermutete Revisionen sind zulässig.
5. Es empfiehlt sich, die Meldepflicht einzuschränken.
Zum Schluß macht Berichterstatter auf ein von ihm vor Jahren ent¬
worfenes statistisches Formular (Nr. 171 Dickmann, Altenkirchen) auf¬
merksam, das die Hebamme alljährlich mit dem Tagebuch einzureichen bat.
Br benutzt es seit Jahren und glaubt die Einführung empfehlen zu können.
Aussprache.
Reg.- u. Med.-Rat Dr. Matth es bittet zu den Leitsätzen des Her^n
Referenten Stellung zu nehmen, da die Ausarbeitung neuer Vorschriften über
die Beaufsichtigung der Hebammen in Aussicht stehe und die Erfahrungen der
besonders in der Praxis stehenden Medizinalbeamten dafür wichtige Unterlagen
abgeben können.
Kr.-Med.-Rat Dr. Klein-St. Goar: Die Nachprüfungen sind bei¬
zubehalten, nicht aber in der bisherigen Form durch Fragen, sondern mehr in
Form belehrender Besprechungen Aber besondere Fälle aus den Tagebüchern
und über Fragen, die aus der Mitte der Hebammen gestellt werden. Ferner
müßte das Formular fortfallen, besonders die Zensierung. Ein derartiges Ver¬
fahren ist bei keinem anderen Berufe üblich; auch ist es der Hebammen un-
würdig, sich alle zwei Jahre zensieren zu lassen.
Med.-Rat Dr. Vollmer-Kreuznach: Der Schwerpunkt der Hebammen-
Beaufsichtigung ist in die Vereinssitzungen der Hebammen zu legen; in
diesen muß aber der Kreisarzt den Vorsitz führen. Hier muß er auch zu
großen Ansprüchen der Hebammen in Taxen die Spitze abbrechen. — Die
Nachprüfungen sind beizubehalten, aber in einer Form vorzunehmen, durch
die die Hebammen nicht verletzt werden.
Kr -Med.-Rat Dr. Kloninger -Adenau: Besonders in Landkreisen bieten
die Nachprüfungen dem Kreisarzt eine gute Gelegenheit, die Hebammen
»eines Bezirkes kennen zu lernen; sie sind Bchon aus diesem Grund beizu¬
behalten. Das den Hebammen unangenehm klingende Wort: „Nachprüfung"
ist durch „Hebammenversammlung" zu ersetzen. Hier soll kein schulmäßiges
106 Bericht über die amtliche Versammlung der Med.-B. des Rgbz. Koblenz.
Fragen vorgenommen, sondern dnrch zwanglose Besprechungen und Erörterungen
das theoretische Wissen der Hebammen vertieft werden.
Med-Bat Dr. Braun-Wetzlar: Die Nachprfifungen in etwas ver¬
änderter Form sind nötig, jedoch ihre Zahl nach Alter und Menge der Teil¬
nehmer zu beschränken.
Reg.- u. Med.-Rat Dr. Matthes: Die Nacbprüfungen können nicht
ganz entbehrt und durch wissenschaftliche Vorträge ersetzt werden, die in den
Sitzungen der Hebammenvereine abgehalten werden sollen, weil dadurch nicht
das Wissen der Hebammen festgestellt werden kann. Die Nachprüfungen
könnten aber seltener — alle ö Jahre — stattfinden. Wenn dann regelmäßig
der Hebammenlehrer teilnebmen könnte, würden diese eine Form erhalten,
die für die Hebammen und die Medizinalbeamten zweckmäßiger wäre. Will
man aber die Nachprüfungen durch wissenschaftliche Vorträge in den Ver¬
einen ersetzen, dann müßten die Satzungen der Vereine darauf zugeschnitten
werden, da sie in ihrer jetzigen Gestalt nicht für diesen Zweck ausreichen.
Med.-Rat Dr. Vollmer -Kreuznach: Die Abkürzung der Dauer der
Wiederholungslehrgänge ist anzustreben, immerhin muß ein Kursus
für 8—14 Tage eingerichtet bleiben. Dieser ist notwendig zur Wiedereinführung
in den Geist der Desinfektion und zur Rekapitulation des früher Gelernten.
Kr.-Med.-Rat Dr. K lein -St* Goar: Die Abkürzung der Fortbildungs¬
kurse auf 14 event. 8 Tage ist erwünscht. Nötig ist die Regelung der
Kostenfrage, ln meinem Kreis lehnen die Gemeinden resp. die Hebammen*
verbände die Uebernabme der Kosten, die jetzt für eine 4wöchige Dauer recht
hoch sind, ab, und damit wird die Ueberweisung meiner Hebammen in die
Wiederholuugs- resp. Fortbildungskurse uomöglich.
Med.-Rat Dr. Braun-Wetzlar: Die Wiederbolungskurse sind
nicht zu entbehren. Die Hebammenlehrer sollten die Dauer der Kurse fest¬
setzen. Ein 8—4 tägiger Kursus sei jedenfalls zu kurz. Die Hebammen sollen
in der Anstalt die Asepsis und die Antisepsis gründlich kennen lernen.
Kr.-Med.-Rat Dr. Lemke-Koblenz: Es ist nicht zweckmäßig, die An¬
zeigepflicht der Hebammen einzuschränken. Nicht alle Hebammen lernen
in dem neunmonatigen Kursus, daß ein sogenannter schlimmer Finger durch
dieselben Bakterien verursacht wird, wie das Kindbettfieber; nicht alle lernen
unterscheiden, wann beim Vorhandensein eines Panaritiums sie ihre Tätigkeit
wieder aufnehmen können. Ich selbst habe die merkwürdigsten Erfahrungen
gemacht.
Med.-Rat Dr. Kir chgässer-Koblenz: Das Ergebnis der Diskussion
darf ich wohl dahin zusammenfassen, daß die Herren im allgemeinen darin
übereinstimmen, daß die bisherigen Bestimmungen über die kreisärztlichen
Nachprüfungen und die Wiederholungslehrgänge sowie über die
unvermuteten Revisionen abänderungsbedürftig sind. Die Frage der An¬
erkennung der Hebammen vereine als amtliche Organe für die Fortbildung
der Hebammen bedarf sicher noch weiterer Ueberlegungen. Die Mehrheit ist
sicherlich für amtliche Hebammenversammlungen an Stelle der Hebammen-
nachprüfungen.
Bezüglich der FortbildungBlehrgänge bestehen Meinungsver¬
schiedenheiten, nur betreffs ihres Umfangs insofern Uebereinstimmung, als eine
Einschränkung zu erstreben ist.
Hinsichtlich der Anzeigepflicht scheint mein Vorschlag weniger
Anklang gefunden zu haben. Es handelt sich aber doch wohl um Meinungs¬
verschiedenheiten formeller Art. Das Fortbestehen aller Vorschriften, soweit
sie die Verhütung des Kindbetlfiebers beireffen, ist selbstredend notwendig.
III. Neuere serologische Untersuchnngsmethoden. Berichterstatter:
Dr. Blumenthal, Assistent am Iustitat für Infektionskrankheiten, beauftragt
mit der Leitung des Medizinal-Untersnchungsamtes in Koblenz.
Der Vortrag wird an anderer Stelle veröffentlicht.
Nach Schluß der amtlichen Sitzung fand eine Versammlung des
Bezirks-Vereins der Medizinalbeamten statt, nnd im Anschluß
daran ein gemeinsames Essen im Kasino. Dr. Lustig-Koblenz.
Tagesnaehriehten.
107
Tagesnachrichten.
Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist
jetzt vom Reichsrat angenommen. Der Entwurf enthält den ärztlichen Be¬
handlungszwang unter Ausschluß der Behandlung durch nicht approbierte
Personen, ein Verbot der Anpreisung von Heilmitteln in Zeitungen, den Melde¬
zwang und unter Umständen den Krankenhauszwang. Er stellt auch deh
Beischlaf unter Strafe, wenn Ansteckungsgefahr wissentlich vorhanden ist. Die
pflegerischen Gesichtspunkte werden im Gegensatz zu den polizeilichen überall
in den Vordergrund gestellt. In dem endgültigen Entwurf ist nicht mehr die
Rede von Geschlechtskranken als solchen, sondern nur von einem mit An¬
steckungsgefahr verbundenen Stadium. Die bewußte Uebertragung soll auch
dann bestraft werden, wenn eine Ehe unter solchen Umständen geschlossen
wird. Das Plenum des Reichsrats stimmte dem Entwurf zu gegen die Stimme
Bayerns. Der bayerische Gesandte v. Preger erklärte, daß der Entwurf nach
seiner Anschauung dem sittlichen und religiösen Empfinden der Mehrheit der
bayerischen Bevölkerung widerspreche. *
Bekämpfung der Kurpfuscherei. Der preußische Minister für
Volkswohlfahrt hat der Kommission zur Bekämpfung derKur-
pfuscherei durch Bescheid vom 21. November 1921 mitgeteilt, daß er
u Uebereinstimmung mit dem Reiuhsminister des Innern den gegenwärtigen
Zeitpunkt als wenig geeignet für ein reichsgesetzliches Vorgehen gegen die
Kurpfuscherei und kurpfuscherische Anzeigen halte. Auch von einem landes¬
gesetzlichen Vorgehen gegen die Zeitungsreklame der Kurpfuscher glaubt er
unter den obwaltenden Umständen einstweilen Abstand nehmen zu müssen.
Jedoch habe er es den Regierungspräsidenten und den Polizeipräsidenten in
Berlin zur Pflicht gemacht, auf das Kurpfuschereiwesen und insbesondere auf
die von den Kurpfuschern betriebene öffentliche Reklame ihr besonderes Augen¬
merk zu richten und dafür zu sorgen, daß Verstöße gegen die in dieser Hin¬
sicht erlassenen Polizeiverordnungen in jedem einzelnen Falle nachdrücklichst
verfolgt werden. _
Am 16. Februar feierte Herr Geheimer Med.-Rat Dr. Hensgen in Siegen
sein 60jähriges Doktorj ubiläum Nach langjähriger Tätigkeit als prak¬
tischer Arzt im bergischen Lande ist Herr Geheimrat Hensgen von 18& ab
Kreisarzt in Siegen gewesen und infolge der neuzeitlichen Verhältnisse in den
Ruhestand getreten. Seine große Arbeitskraft und Organisationsgabe bat sich
besonders bei der Leitung der Sanitätskolonnen Preußens vor und für den
Krieg bewährt. Möge dem Jubilar ein schöner Lebensabend in der von ihm
selbst gewählten Form neuer Arbeit beschieden seinl
Nach der pharmazeutischen Presse ist ein in den Apothekerkreisen schon
längst — und mit vollem Recht, wie wir meinen — gehegter Wunsch, nämlich
der nach einer Umgestaltung der Preußischen Apothekerkammern, der Ver¬
wirklichung näher gerückt. Im Wohlfabrtsministerium ist ein Gesetzentwurf
ausgearbeitet, der jetzt dem Apothekerkammerausschuß und von diesem den
Apothekerkammern zur DurcLberatUDg zngegangen ist. Neben Aenderangen
des Wahlverfabrenn und Anträgen der Zusammensetzung des Kammerausschusses
(Beteiligung der Nichtbesitzer) bringt der Entwurf vor allem die Einfüürung
des Umlagerecbtes, das bisher vorenthalten war. Die Pharmazeutische Zeitung
begrüßt den Entwurf als einen „Wendepunkt in der Entwicklung der amtlichen
Btandesvertretung der preußischen Apotheker".
Voraussetznng zur Einbringung des Gesetzentwurfs ist nach einem
Schreiben des Herrn Ministers an den Apothekerkammerausschuß, daß nicht
etwa vom Landtag ein Antrag auf Beseitigung des Umlagerechtes der Aerste-
kammern angenommen wird. Es ist zu hoffen, daß das letztere nicht geschieht I
108
Tagesnachrichten.
Apothckenrermehrungen im Deutschen Reich. Das Jahr 1921 brachte
eine erhebliche Steigerung der ausgeschriebenen Apothekenhonzessionen (179),
womit das Jahr 1920 mit der bis dahin höchsten Ziffer (168) noch Qbertroffen
wird. Diese Ausschreibungen verteilen sich auf 1 ly Neuanlagen, 17 Umwand¬
lungen von Zweig- in Vollapotbeken und 48 heimgefallene Konzessionen. Von
der Gesamtzahl entfallen auf Preußen: 98, Bayern: 20, Sachsen: 10,
Württemberg: 6, Baden: 18, Oldenburg, Bremen, Danzig je 1,
Braunschweig: 8, Hamburg: 21 Konzessionen. Dagegen ist die Zahl
der Apotheken verkaufe gegenüber den Vorjahren erheblich zurück¬
gegangen; im Jahre 1921 sind nur 72 derartige Fälle bekannt geworden,
während in früheren Jahren (mit Ausnahme der Kriegsjahre) durchschnittlich
etwa 800 Verkäufe vorkameu.
Der Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder“ hat am 28. Januar
1922 unter Leitung seines Vorsitzenden, des Beichswirtschaftsministers a. D.
Dr. Scholz, seine jährliche Ausschußsitzuog abgehalten. Aus dem Bericht
über das verflossene Jahr ging hervor, daß das Gesamtergebnis der Unter¬
bringung im Inland recht günstig war und gegen das Vorjahr einen erheb¬
lichen Zuwachs erfahren hatte. Dagegen wies die Unterbringung im Ausland
ldder einen erheblichen Rückgang auf. In der Aussprache wurde einmütig
zum Ausdruck gebracht, daß trotz aller gegenwärtigen Erschwernisse der
Landaufenthalt als das wirksamste Mittel für die Erholungsfürsorge unserer
Kinder mit allen Kräften auch in diesem Jahre zu fördern sei.
W
WÜrttembergischer Medizinalbeamtenverein.
Die siebzehnte Jahresversammlung wird am
Samstag und Sonntag, den 4. und 5. Mürz 1922
in Stuttgart (Vortragssaal des früheren Medizinalkollegiums, Azenberg-
straße 14 a) abgehalten werden.
Tagesordnung:
1. Samstag Nachmittag 8 Uhr: a) Geschäftsbericht des Vorstandsvor¬
sitzenden Obermedizinalrat Dr. Köstlin. — b) Kassenbericht — c) Stellung¬
nahme der württembergischen Medizinalbeamten zu der vom württemb.
' Aerzteverband geplanten ärztlichen Versorgungskasse. Berichterstattter:
Oberamtsarzt Dr. Zöppritz, Stuttgart-Cannstadt.
2. Sonntag Vormittag 9 Uhr: a) Neuwahlen für den Vorstand (Vor¬
standsvorsitzender, dessen Stellvertreter und Schriftführer), den Ausschuß,
den Landesgesundheitsrat, den Beamtenbeirat und den Verband höherer
Staatsbeamter. — b) Die Fürsorgetatigkeit der Oberamtsärzte. Bericht*
erstatten Obermedizinalrat Dr. Gnant-Stuttgart und Oberamtsarzt Dr.
V'i 11 i n g e r - Besigheim.
Am Samstag Abend von ‘/*8 Uhr an zwanglose Zusammenkunft*
der Kollegen im Restaurant Koppenhöfer, Kronprinzenstraße 28.
Diejenigen Kollegen, die zu Ziffer la der Tagesordnung Anträge zu
stellen wünschen, werden gebeten, diese schon einige Tage vor der Versamm¬
lung schriftlich, in bestimmter Formulierung und kurzer Begründung beim
Vereins Vorstand einzureichen.
: Bei der. Wichtigkeit der diesmaligen Verhandlungen ist möglichst voll¬
zähliges Erscheinen der Vereinsmitglieder notwendig.
Der Vorstandsvorsitzende: Dr. KSstlin.
Verantwortlich fflr dl« SchrlfUeltun*: Prof. Dr. Kapmand, Geh. Ked.-Rat la Uppepringe.
Drsok tob J. 0 . 0 . Brtma, Uladen 1 . W.
Zeitschrift für MediziBalbeam tfc.
Xrnunft Dr„ Vogler, Oberarzt an der Seil- und Pflegeanstalt- iu
Oaggendarf, zum Laudgeriebtsarzi bei dem Landgericht 1 io Mönchen.
Baden.
Ernannt: Zorn Bezitkimrzt l>r. Beck in Müliheiai.
Erledigte Stellen.
Prensaen.
Zu besetzen zum 1. April 1922: die nicht voHhesoldeten Kreisarzt«
•teilen in Mesferttz, Schwerin a W, und Scbneldemttbl, Begv-Bea, Bchneide*
mtthl, NieMU, Begv'Be*. Schleswig, Maye% Beg.-Bez. C'ohlssz'; die Im Staats¬
haushalt fdr 192? auf Umwandlung »u Vojlbesol<i r «£e Etetle» vorgesehenen
KrelsarztstcUeH {d Höflingen und Soest* Reg -Bez. Aniäherg, sowie die voll^
besoldet« ICreisartistteHe in Slats, Res,-.Be»* Breslau ^.lernet zuro }. Mal 1922 i
die nicht rollheseldete Kreisarzt stell» in Te«W*nHörg', Begieruagshczirk
Münster. 0i& Umwandlung: dieser Stelle in eine '»eilbeneidete Krrisarzt.-
btoBe Ist ebenfttlla im Entwurf zum Staatshaushalt /Ui 1922 vergesehen.
(Bewerbungen Ws «am #ö, MStz); anlieräen* alsbald d»eKr*ina8»isi»asarcl*t«Ü«-
in Celzen* Re^ltez, L&ueburgj UOd zntn 1, Juni 1922 die nicht feUhesoWeto
Kreisarzt*!«!!« in t'ainge», Reg^Bez Wiesbaden., Bewetbuogen sind bis aaun
immmm T2 •»» ^os- lürVolkawobÜain't in Berlin W. Ü6 {
LeipzigsrstftiOc 3, durch Veruiittlong des f&t den Wohnort de« Bewerbers pp
ständigdi« Bctra HegwrungHprRsidenU'a (in Berlin des llerm Polizeipiäabieuten)
einzureicheo. _ • ' ( \ \- t V S 1
Bauern.
Die llczirksa rztatedf <?n in Sonthofen and W&rzbiirg. Bewerbungen sind hei
der für den Bewerber zuständigen Begier nag, Abteilung des Innern, eiazaröfche».
Berichtigung: Dr. Spann iu Greiz ißt nicht Stadtarzt daselbst,
sondern ,thür)nRisdier Kreisarzt*.
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110
Dr. Rapmund.
allein geführt, um sie nunmehr mit Rücksicht auf mein hohes
Alter und das dadurch bedingte Ruhebedürfnis anderen jüngeren,
leistungfähigeren Händen anzuvertrauen. Schon seit längerer
Zeit war dieser Schritt von mir beabsichtigt; besondere Um¬
stände haben mich aber bisher davon abgehalten; insbesondere
war es der mir gegenüber vielfach geäußerte Wunsch, die
Schriftleitung so lange beizubehalten, bis die beabsichtigte Neu¬
organisation des Preußischen Medizinalbeamtenvereins durch¬
geführt sei und sich mein Nachfolger für die ihm künftig ob¬
liegenden Aufgaben genügend eingearbeitet habe. Dieser Zeit¬
punkt ist jetzt gekommen. Nun heißt es: Abschied nehmen
von einem Werke, das ich mitbegründet, eine lange Reihe von
Jahren geleitet und während dieser Zeit Dach Möglichkeit zu
fördern und weiter auszubauen versucht habe. Ob mir dies
gelungen ist, muß ich dem Urteil der vielen Leser und Freunde
der Zeitschrift überlassen. Jedenfalls habe ich ihr den größten
Teil meiner Arbeitskraft gewidmet; sie ist mir so recht ans
Herz gewachsen, und wenn es heißt, daß die Kinder, die ihren
Eltern die meiste Sorge und Arbeit machen, ihnen immer die
liebsten seien, dann kann ich dies auch von der Zeitschrift für
Medizinalbeamte in vollem Umfange sagen. Neben vieler Arbeit,
mancherlei Sorgen, Verdruß undAerger, die bekanntlich keinem
Schriftleiter erspart bleiben, hat sie mir aber auch recht viel
Freude und Anerkennung gebracht, so daß erstere bald wieder
vergessen wurden, wenn sie auch manchmal Ueberhand zu
nehmen drohten und es fast so schien, als ob sich eine gewisse
Mißstimmung gegen den Herausgeber einschleichen wollte, weil
er nicht immer sofort bereit war, die große Weisheit und Klar¬
heit, besonders jüngerer Leute, als solche anzuerkennen. Ich
bin derartigen Anwandlungen gegenüber meist recht ruhig ge¬
blieben, obwohl ich ganz gern einmal einen ehrlichen Kampf
ausfechte, aber man soll seine Kampfkraft nicht um Kleinig¬
keiten vergeuden, sondern sie für die Fälle aufbewahren, wo
es sich nicht um persönliche, sondern wichtige, die Allgemein¬
heit wie den ganzen Stand betreffende Fragen handelt. Ein
Schriftleiter darf es an Anregung, zielbewußtem und gro߬
zügigem Vorgehen nicht fehlen lassen; in manchen Fällen ist
auch ein gewisses Draufgängertum und eine gewisse Rück¬
sichtslosigkeit angebracht. Namentlich muß er sich aber vor
allen möglichen Bedenken und Rücksichten hüten und eine
tüchtige Portion von Idealismus und Optimismus besitzen, wie
ich sie mir bis in mein hohes Alter trotz mancherlei Nacken¬
schläge bewahrt habe. Er darf auch niemals den Zweck, die
Aufgaben und Ziele außer acht lassen, denen die Zeitschrift
dienen soll und die zu ihrer Gründung geführt haben. In dem
damaligen Prospekt (s. Nr. 1, Jahrg. 1888) heißt es:
„Gegenstand ihres Inh<B werden die gerichtliche Medizin and
gerichtliche Psychiatrie, die Hygiene and die Sanitätspolizei
sowie Standesangelegenheiten bilden, and sollen dieselben in Original¬
arbeiten, Referaten and Kritiken behandelt werden. Es wird daher nnser Be¬
streben sein, sämtliche Abhandlangen in gedrängter Kürze za geben, so daß
Zum Abschied.
111
die einzelnen Artikel sich für gewöhnlich über eine Nummer nicht ansdehnen
werden.
. . . Wir hoffen and wünschen, daß ans aas der Beihe unserer Leser recht
sthlreiche Mitarbeiter erstehen werden. Denn nar darch allseitige
frische Teilnahme an unserer Arbeit and darch stete gegenseitige Ermunterung
wird es ans gelingen, das Interesse für unsere Spezial-Wissenschaften rege za
machen and za erhalten, and hauptsächlich darch dieses Interesse das Wachsen
und Gedeihen unserer Zeitschrift möglichst za fördern and za sichern. Die¬
selbe soll auch Gelegenheit bieten, die Erfahrungen der Einzelnen an
die Oeffentlichkeit za fördern and die Beobachtung and Ansicht des
Praktikers darch schnelle Veröffentlichung zum Gemeingut Aller za machen.
Wir wollen es uns endlich angelegen sein lassen, sämtliche amtlichen
Verfügungen, die Personal-Veränderungen der Medizinalbeamten sowie alles
Wissenswerte in Standesangelegenheiten zur rechtzeitigen Kenntnis unserer
Leser zu bringen and werden etwaigen bezüglichen Besprechungen unsere Zeit¬
schrift gern zur Verfügung stellen.“
Die Zeitschrift sollte somit entsprechend den Bestrebungen
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins hauptsächlich zwei
Zwecken dienen: der Wissenschaft auf allen Gebieten der Staats¬
arzneikunde und der Wahrnehmung aller sonstigen beruflichen
und wirtschaftlichen Interessen der Medizinalbeamten.
In ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Fach¬
zeitschrift erwuchs ihr die Aufgabe, die Medizinalbeamten
mit den Fortschritten ihrer Spezialwissenschaften vertraut zu
machen, sie zur Mitteilung ihrer persönlichen Erfahrungen auf
dem gesamten Gebiete der Staatsarzneikunde anzuregen und
durch Meinungsaustausch eine Verständigung über derartige
wichtige Fragen herbeizuführen. Die Zeitschrift sollte also nicht
nur für, sondern auch hauptsächlich von den Medizinalbeamten
geschrieben sein. Wenn sie dieser Aufgabe gerecht geworden
ist und sich allmählich aus dem kleinen, anfangs monatlich nur
in einer Stärke von zwei Bogen erscheinendem Blatte eine
zweimal im Monat erscheinende, bis 80 Bogen umfassende Fach¬
schrift mit stets zunehmender Leserzahl entwickelt hat, so ver¬
dankt sie dies in erster Linie den überaus zahlreichen Mit¬
arbeitern, die sie besonders aus den Kreisen der Medizinal¬
beamten gefunden hat. Gerade nach der fachwissenschaftlichen
Seite hin nat es mir nie an Mitarbeitern und wertvollem Material
S »fehlt, mancher von ihnen hat sich in der Zeitschrift für
edizinalbeamte erst seine Sporen verdient und sich dann zu
einem überaus tüchtigen, der Zeitschrift auch späterhin treu
gebliebenen Mitarbeiter entwickelt. Ich habe deshalb auch
ruhig etwaige Vorwürfe wegen Aufnahme einzelner nicht allen
Ansprüchen des Leserkreises entsprechenden Abhandlungen über
mich ergehen lassen und es mir zu einem besonderen Verdienst
angerechnet, daß ich durch deren Ablehnung die Verfasser
nicht für alle Zeiten abgeschreckt habe, sich wissenschaftlich
und literarisch zu betätigen. Es wird eben niemand gleich als
Meister geboren!
Auf den Umfang und Inhalt des fachwissenschaftlichen
Teiles der Zeitschrift habe ich von jeher das größte Gewicht
gelegt und ihn für demjenigen gehalten, auf dem das Ansehen,
die Aohtung und Stellung einer Zeitschrift sowohl in ihrem
112
Dr. R&pmand.
speziellen Leserkreise, als auch darüber hinaus beruht; deshalb
ist es mir auch besonders schmerzlich gewesen, daß dieser Teil
seit dem Kriege und infolge der dadurch eingetretenen außer¬
ordentlichen Steigerungen der Herstellungskosten eine sehr er¬
hebliche Einschränkung hat erfahren müssen. Unter den Medi¬
zinalbeamten soll es allerdings auch solche geben, die aus der
Zeitschrift ein reines Interessenorgan machen möchten. Wenn
diese Stimmen vorläufig auch nur vereinzelt sind, so würde ich
es doch im Interesse der Medizinalbeamten selbst auf das
schmerzlichste bedauern, falls sie jemals die Oberhand be¬
kommen würden; das würde m. E. nicht nur eine schwere
Schädigung der Zeitschrift, sondern auch des ganzen Standes
der Medizinalbeamten bedeuten, dem sie bisher nach besten
Kräften als Vereinsorgan gedient hat.
Damit komme ich auf die zweite Hauptaufgabe, die sich
die Qründer der Zeitschrift bei deren Herausgabe seinerzeit ge¬
stellt haben: Wahrnehmung der sonstigen beruflichen
und wirtschaftlichen Interessen der Medizinal¬
beamten. Hier habe ich alle berechtigten Bestrebungen,
Wünsche und Forderungen der Medizinalbeamten, insbesondere
der Medizinalbeamtenvereine mit allen Mitteln unterstützt und
bin dabei stets bestrebt gewesen, mit den Vorständen der be¬
treffenden Vereine Hand in Hand zu gehen. Machten sich
Sonderbestrebungen innerhalb des Vereins bemerkbar, die als
schädlich und nachteilig für dessen Ziele angesehen werden
mußten, so habe ich diese rücksichtslos bekämpft, aber ebenso
rücksichtslos die Interessen der Medizinalbeamten gegenüber
den Behörden und sonstigen Körperschaften oder Personen
wahrgenommen. Ebenso wie bei der Gründung des Preußischen
und später des Deutschen Medizinalbeamtenvereins habe ich
vor allem das Hauptziel im Auge gehabt: Ausgestaltung
der Stellung der Medizinalbeamten in einer allen
Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege
und ihrem Standesansehen entsprechenden Form.
Die Erreichung dieses Zieles war nicht leicht, da viele irrige
Anschauungen, selbst im eigenen Lager, bekämpft werden
mußten; und wenn dies Ziel z. B. in Preußen auch jetzt noch
nicht völlig erreicht ist, so sind diejenigen Medizinalbeamten
mitschuldig, die im Jahre 1898 durch ihre Sonderbestrebungen
die ursprünglich von der Staatsregierung beabsichtigte Voll¬
beschäftigung und Vollbesoldung aller Kreisärzte mit zu Falle
gebracht haben. Mit vieler Mühe ist es damals dem Vorstande
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins gelungen, den »voll¬
besoldeten Kreisarzt“ gleichsam durch eine kleine Seitentür in das
Kreisarztgesetz hineinzubringen und ihm dadurch überhaupt eine
Existenzbereohtigung zu verschaffen. Jetzt wird erfreulicher¬
weise diese Existenzberechtigung von keiner Seite mehr be¬
stritten, auch nicht von den damaligen Gegnern; dies Beispiel
lehrt aber am schlagendsten, daß Vereine nur dann auf Erfolg
ihrer Bestrebungen rechnen können, wenn ihre Einheitlichkeit
Zum Abschied.
113
nach jeder Richtung hin gewahrt und dadurch ihre Stoßkraft
gesichert ist. Ihre berechtigten Wünsche werden ferner be¬
sonders dann auf Erfüllung rechnen, wenn sich diese auch mit
denen der Allgemeinheit decken. Gerade in dieser Hinsicht
befinden sich die Medizinalbeamten in einer besonders günstigen
Lage; denn die von ihnen im eigenen Interesse zu stellenden
Forderungen sind fast überall identisch mit denen, die das
öffentliche Wohl und Interesse fordert;* es ist deshalb viel rich¬
tiger und politisch klüger, dieses stes in den Vordergrund zu
stellen, das Weitere ergiebt sich dann von selbst. So lange ich
die Ehre gehabt habe, Vorsitzender des Deutschen und Preußi¬
schen Medizinalbeamtenvereins sowie Schriftleiter dieser Zeit¬
schrift zu sein, habe ich an diesem Standpunkt festgehalten
und außerdem stets die Erörterung nebensächlicher Fragen,
vor allem sog. Groschenfragen in breiter Oeffentlichkeit zu ver¬
meiden gesucht; dazu bieten jetzt die Bezirksvereine genügend
Gelegenheit. Ich kann meinem Nachfolger nur empfehlen, auf
demselben Wege fortzuschreiten; er wird sich viel Aerger und
Verdruß ersparen, insbesondere aber dem Stande am meisten
nützen. Außerdem wünsche ich ihm, daß er bei der Wahrnehmung
der sonstigen beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der
Medizinalbeamten etwas mehr Mitarbeiter findet, als ich sie in
dieser Beziehung gehabt habe. Abgesehen von den Jahren,
in denen es sich um die Umgestaltung des Preußischen Medizinal¬
wesens, Erlaß und Einführung des Kreisarztgesetzes handelte,
hat die Mitarbeit der Medizinalbeamten auf diesem Gebiete ziem¬
lich viel zu wünschen übrig gelassen und sieh erst in allerletzter
Zeit etwas gebessert. Nach meinen langjährigen Erfahrungen
gibt es unter ihnen leider recht viele Leute, die wohl bei jeder
Gelegenheit über alle möglichen Mängel, Unbilligkeiten und
Mißstände, deren Vorhandensein leider auch nicht bestritten
werden kann, klagen und zu deren Abstellung nach ihrer An¬
sicht leicht durchführbare Vorschläge machen, aber nicht die
geringste Lust haben, ihre großartigen Ideen schriftlich nieder¬
zulegen, zu veröffentlichen und dabei ihre Haut zu Markte zu
tragen. Das wird lieber anderen Leuten überlassen, am liebsten
dem Schriftleiter der Zeitschrift selbst, der es ihres Erachtens
angeblich »viel besser versteht“. Wenn dieser aber von dem
»Besserverstehen“ nichts wissen will, dann sind sie verschnupft.
Ueber Mangel an Material für den fachwissenschaftlichen Teil
der Zeitschrift habe ich niemals zu klagen gehabt, sondern oft
bedauert, daß ich wegen Ueberfluß an Material häufiger ab¬
lehnen und die angenommenen zeitweise 6—8 Monate auf ihre
Veröffentlichung warten mußten; einen derartigen Ueberfluß
habe ich dagegen in Bezug auf den anderen Teil der Zeitschrift
auch nicht annähernd zu verzeichnen gehabt, obwohl nur ganz
ausnahmsweise die Ablehnung einer solchen erfolgt ist. Hoffentlich
bleibt die in jüngster Zeit nach dieser Richtung hin erfolgte
Besserung von Bestand und verschwindet nicht ebenso schnell
wie ein leuchtendes Meteor am Himmel.
114 Dr. Solbrig: Geleitwort des neaen Schriftleiters.
Und nun gilt es zum Schluß noch eine überaus große
Dankesschuld abzutragen, in erster Linie gegenüber den
beiden Mitbegründern der Zeitschrift, Med.-Rat Dr. Mitten-
zweig und Geh. Med.-Rat Dr. Sander, sowie dem Inhaber
von Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld, die leider
alle drei bereits verstorben sind. Ihre Mitwirkung wird mir
stets in dankbarer Erinnerung bleiben! Dasselbe gilt betreffs
der Buchdruckerei von J. C. C. Bruns in Minden, die meinen
Wünschen bei der Drucklegung und Versand der Zeitschrift
in jeder Weise entgegengekommen ist. Vor allem aber herz¬
lichsten Dank den überaus zahlreichen sonstigen Mitarbeitern,
von denen leider auch schon viele aus dem Leben geschieden,
sowie für die vielen wertvollen Anregungen, die ich aus
dem Kreise der Leser der Zeitschrift erhalten habe. Ich ver¬
knüpfe diesen Dank mit der herzlichen Bitte, meine langjährige
Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift nicht ganz zu ver¬
gessen und vor allem meinem Nachfolger mindestens die gleiche
Unterstützung wie mir zuteil werden zu lassen. Möge die
Zeitschrift für Medizinalbeamte auch fernerhin gedeihen und
eine recht erfolg- und segensreiche Tätigkeit sowohl im Interesse
der Medizinalbeamten, als auch im Interesse unseres armen, schwer
darniederliegenden Vaterlandes entfalten, dabei aber jederzeit
gedenk sein: „Salus publica suprema lex!“
Das walte Gott!
Bad Lippspringe, den 1. März 1922. Dr. Rapmund.
Geleitwort des neuen Schriftleiters.
Mit dem heutigen Tage übernehme ich im Einverständnis
mit dem Vorstand des Deutschen und Preußischen Medizinal-
beamten-Vereins die Schriftleitung der Zeitschrift, nachdem der
langjährige Herausgeber, unser hochverehrter Ehrenvorsitzender
beider Vereine, Herr Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. R a p m u n d,
sich entschlossen hat, auch von diesem Amt zurückzutreten.
Bei Uebernahme dieser Tätigkeit möchte ich betonen, daß
ich es mir angelegen sein lassen werde, die Zeitschrift in dem
Sinne zu leiten, wie es Herr Geheimrat Rapmund in den
langen Jahren seiner erfolgreichen Tätigkeit zum Besten der
Medizinalbeamten getan hat. Dabei ist es mir von großem
Wert, daß ich auf seinen bewährten Rat für die Zukunft rechnen
darf und daß von nun an eine Anzahl erfahrener Medizinal¬
beamter als Herausgeber der Zeitschrift mir zur Seite stehen
werden. Darüber hinaus bedarf ich, um meinen Aufgaben ge¬
recht werden zu können, weitgehender Unterstützung
durch die Kollegen im ganzen Reich. Die Bitte um diese Mithilfe
liegt mir bei Beginn meiner Tätigkeit ebenso am Herzen wie
der wärmste Dank an den bisherigen alleinigen Herausgeber;
ich bin gewiß, diesen Dank hier zugleich im Namen aller
Medizinalbeamten und aller Leser dieser Zeitschrift ausspreohen
zu dürfen.
Dr. Gr&ßl: Kurpfuscherei und Anderes.
116
Die Steigerung der Kosten für Druck, Papier usw. zwingt
leider dazu, den Umfang der Zeitschrift auoh weiterhin knapper
zu halten, als es an eich erwünscht ist. Um so mehr muß das
Bestreben dahin gehen, Abhandlungen, Berichte, Besprechungen
und Nachrichten zu bringen, die besonderes Interesse für die
Medizinalbeamten haben. Die Beilage wird auch weiterhin die
wichtigeren Gesetze, Verordnungen und dergl., ebenso wichtige
Entscheidungen höherer Gerichte enthalten. Da das Material
hierfür oft nicht leicht rechtzeitig zu beschaffen ist, bitte ich
um freundliche Unterstützung namentlich nach der Richtung,
daß mir wichtige gerichtliche Entscheidungen in höherer
Instanz und solche von Verwaltungsgerichten, ferner allgemeine
Verfügungen und Verordnungen auf dem Gebiete des
Medizinalwesens — besonders aus den nichtpreußischen Län¬
dern — übermittelt werden.
Schließlich ist es, um die Personalien und neu zu be>
setzende Stellen rechtzeitig bringen zu können, erwünscht, daß
ich auch hiervon freundlichst in Kenntnis gesetzt werde.
Breslau, den 1. März 1922. Dr. Solbrig.
Kurpfuscherei und Anderes.
Von Obermedizinalrat Dr. Graßl-Kempten.
Durch Krieg und Revolution wurde ein großer Teil der
Bevölkerung aus dem gewohnten Geleise der Arbeit und der
Pflichten herausgeworfen. Die Mehrzahl des deutschen Volkes
hat sich überraschend rasch wieder auf seine Friedensbeschäfti¬
gung eingestellt. Arbeiter, Bürger und Beamte sind zu ihrer
gewohnten Tätigkeit zurückgekehrt. ' Aber ein noch immer
erheblicher Prozentsatz des Volkes findet noch nicht heim.
Hauptsächlich sind dies die Asozialen und die Antisozialen,
jene, denen die ethischen Grundlagen zur sittlichen Arbeit
fehlen. Diese mußten bereits in der Vorkriegszeit durch künst¬
liche Hemmungen, durch Gesetze und Vorschriften in Schranken
gehalten werden. Gerade diese Schranken sind aber vielfach
gelockert worden. So erklärt sich die Zunahme der Schieber,
Wucherer, der Tagediebe aller Art. Dazu kommt die Un¬
sicherheit des Erwerbslebens, die bei schwachen Charakteren
geradezu deletär auf den Arbeitswillen wirkt. Und diese Ver¬
hältnisse wirken sich besonders auch in der Gesundheitspflege
aus. Aehnlich wie die alte Staatskunst die Fehler der Unter¬
tanen zur Grundlage der Beherrschung machte, so vertrauen
die modernen Heilkünstler auf die Unerfahrenheit und Un¬
wissenheit der Hilfesuchenden. Diese Voraussetzung zu ihrem
Erwerb hat nur zu oft Erfolg. Ideologen werden also zur
Aufrichtung neuer Schranken auffordern. Dem Realpolitiker
in der Gesundheitsverwaltung ist mit diesem Wunsche nicht
gedient. Er weiß, daß leidergottes bereits vor dem Kriege die
Parteiinteressen auch in die Gesundheitsverwaltung herein¬
reichten. Die so notwendigen Gesetze zur Eiuengung der Kur-
116
Dr. Grafil.
pfuscherei sind aus parteipolitischen Gründen gefallen. Und
wer wissen will, welche Parteien mit dem Kurpfuscherwesen
am engsten verbunden sind, der lese die diesbezüglichen Ver¬
handlungen durch und vergleiche weiter die Höhe des Wider¬
standes und die Topographie der Kurpfuscherei mit der Partei¬
richtung der Reichstagsabgeordneten. Als man darangehen
wollte, die Trunksucht zu bekämpfen, scheiterte die Regierung
an dem Widerstand der gleichen Parteien, die erklärten,
sie befürchteten, daß zur Zeit politischen Hochwellenganges
die Staatsbehörden die stimmkräftigsten und daher einflu߬
reichsten Agitatoren mundtot machen könnten. Die auf
der letzten deutschen MedizinalbearatenVersammlung vorge¬
brachten Forderungen nach Bekämpfung der Trunksucht stellen
sich praktisch als akademische Reden dar ohne jede Aussicht
auf Verwirklichung; denn die Parteileidenschaft ist nicht ge¬
ringer geworden, sondern in das Unendliche gesteigert. Kein
Medizinalbeamter wird in der Bekämpfung der Kurpfuscherei
unter anderem auf den Erlaß von Strafgesetzen warten dürfen.
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Hilfe der be¬
stehenden Gesetze die Sache soweit zu fördern, als dies mög¬
lich ist.
Eine Handhabe zur Bekämpfung der Kurpfusche¬
rei bietet die Einführung der Gewerbeordnung für das Deut¬
sche Reich vom 21. Juni 1869. Hier ist besonders der
§ 56a geeignet, erneute Erscheinungen einzudämmen: »Aus¬
geschlossen vom Gewerbebetriebe im Umherziehen sind
ferner 1. die Ausübung der Heilkunde, insoweit der Aus¬
übende für dieselbe nicht approbiert ist.“ Die praktische An¬
wendung des anscheinend so klaren Paragraphen hat bei den
Richtern aber eine merkwürdige Differenz der Entscheidungen
hervorgerufen. A. gründet in einer Groß- oder Mittelstadt ein
„Heilinstitut“ und in den benachbarten Städten und Orten eine
Filiale. Er besorgt die Filiale entweder selbst oder läßt sie
durch einen Beauftragten führen. Da A. nicht für die Heil¬
kunde approbiert ist, erfolgt die Prüfung der Frage, ob dies ein
Herumziehen ist oder nicht. Soviel Richter, soviel Abweichungen.
Der Medizinalbeamte riskiert mit der Anzeige einen Freispruch
des Angeklagten und damit eine Schädigung des Ansehens des
Beamten. Also läßt man die Sache beruhen. Urinbeschauer,
Bandagenhändler usw. beuten das Volk wirtschaftlich aus und
schädigen die Gesundheit. So ein berühmtes Urinschauinstitut
fiel unlängst herein. Man hatte ihm Bier als Urin vorgestellt
und prompt war die Krankheitsdiagnose und die Heilmittel¬
abgabe erschienen. Irreponierbare Brüche werden durch Ban¬
dagen künstlich eingeklemmt und anderes.
Hier gibt es meines Erachtens nur eine Möglichkeit: Die
Zentral-Medizinalbehörde wirkt auf die Gerichte ein, daß min¬
destens innerhalb eines Oberlandesgerichtsbezirks die Recht¬
sprechung sich gleich bleibt. Der Außenbeamte ist dazu
außer stand.
Kurpfuscherei and Anderes.
117
Nach § 66 Ziff. 9 d. G.O. dürfen im Umherziehen nicht
feügeboten werden: „Gifte und giftige Waren, Arznei- und
Geheimmittel.“ Wer die Waren unserer Hausierer besonders
auf dem Lande öfters unter dem Vorwände der Kauflust durch¬
gemustert hat, weiß, daß diese Bestimmung geradezu obsolet
geworden ist. Noch mehr aber der § 57 1 : „Der Wander¬
gewerbeschein ist zu versagen 1. wenn der Nachsuchende mit
einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet
oder in abschreckender Weise entstellt ist.“ Zu Anfang meiner
Amtstätigkeit war dieser Paragraph noch im Bewußtsein der
Behörden. Seit 16 Jahren bin ich bei Ausstellung eines Hausier¬
scheins nicht mehr befragt worden und doch weiß jeder medi¬
zinische Anfänger, daß die Verbreitung der Geschlechtskrank¬
heiten durch manche Hausierer und Hausiererinnen gefördert
wird. Das Abtreibungsgeschäft wird durch Hausierer populär
gemacht und nach meiner Erfahrung oft direkt unterstützt.
Auch hier kann nur die Anweisung der Medizinalverwaltung
an die juristischen Behörden dem Uebel abhelfen oder es
doch eindämmen.
Noch mehr Differenzen treten zutage bei der Bewertung
der Kaiserlichen Verordnung betreffend den Verkehr mit
Arzneimitteln außerhalb der Apotheken. Hier
gehen aber auch die ärztlichen Gutachten auseinander, was
uns ja bekanntlich die Juristen immer Vorhalten, obwohl
jeder Arzt bloß eine Ansicht hat, der Jurist aber nicht selten
zwei. Hier spukt selbst in den Köpfen der Verwaltungs¬
ärzte immer noch der Glaube, daß das Heilmittel ein „medi¬
zinisches“ sein müsse. Die erste Kaiserliche Verordnung ent¬
hielt ja den Beisatz „medicinalis“ bei Mixtura u. s. f. Aber ich
habe schon vor Jahrzehnten in Friedreichs Blättern für ge¬
richtliche Medizin die Unmöglichkeit der Erklärung dieses Bei¬
satzes nachgewiesen, worauf das Wörtchen „medicinalis“ fiel.
Trotzdem habe ich wiederholt Gutachten gelesen, die einen Unter¬
schied zwischen der Schulmedizin und Volksmedizin machen
wollen und die Richter geradezu irre führen. Gerade aber der
Verkehr mit Arzneimitteln ist sehr häufig die Unterlage der
Kurpfuschereien. Ich glaube, daß sich hier bereits die Trennung
der Gerichts- und Verwaltungsmedizin bemerklich macht, weil
nicht der Verwaltungs-, sondern der Gerichtsarzt gehört wird.
Praktisch ist der Verkehr mit Geheimmitteln (Bundesrats¬
beschluß vom 23. Mai 1903) und Ergänzungen weniger häufig;
denn diese Bestimmung trifft nahezu ausnahmslos die großen
Firmen, die nur durch Mittelspersonen an die Kranken heran¬
treten können. Ihre Ergänzung ist immerhin erwünscht und
möglich, da hierzu der Reichstag nicht nötig ist.
Eine durch ganz Deutschland hindurch gehende, obrigkeit¬
lich geduldete, ja gewissermaßen staatlich organisierte Kur¬
pfuscherei ist die von den Apothekern betriebene Heil¬
behandlung. Da zwei meiner Kinder selbst dem Apotheker¬
beruf angehören, so kann ich wohl den öfter gehörten Vorwurf
118
Dr. Graßl.
der Animosität gegen die Pharmazie für meine Person zurück¬
weisen. Ich meine nicht die kleine Gelegenheitspfuscherei, die
jeder Apotheker zur Erhaltung seiner Kundschaft üben muß,
die symptomatische Behandlung der kleineren Gebrechen, für
die das Volk den Pharmazeuten als besonders geeignet hält,
ich meine die durch die Presse, durch Ankündigung in den
Kalendern und anderen Orten getriebene Anpreisung von Heil¬
mitteln, die selbstverständlich den direkten Bezug dieser Mittel
unter Umgehung des Arztes zum Zwecke haben. Diese An¬
preisungen erstrecken sich nicht selten in Gegenden, die weit
ab von dem Versorgungsgebiet der annoncierenden Apotheken
liegen und daher dem ursprünglichen Zweck des Schutzes der
Apotheken zuwiderhandeln. Besonders einige mitteldeutsche
Apotheken liest man in Kempten allwöchentlich in der Tages¬
presse. Die angekündigten Heilmittel sind oft keineswegs
gleichgiltig. Ich erinnere nur an die Mittel, die die Heilung
des Kropfes bewirken. Es kann dem Apothekerstande der
Vorwurf nicht erspart werden, daß er hier aus kaufmännischen
Erwägungen heraus der Gewinnsucht seiner Mitglieder nicht
Einhalt getan hat.
Der Einwurf des Mangels einer gesetzlichen Handhabe
für den Apothekerstand ist zurückzuweisen. Auch die Aerzte
stehen der gleichen Schwierigkeit gegenüber und doch haben
sie es vermocht, das Annoncieren eds standesunwürdig auf die
asozialen Elemente ihres Berufes zu beschränken. Versagt aber
der Stand, so muß die Behörde eingreifen. Ein allgemeines,
durch ganz Deutschland gehendes Verbot der Ankündigung
von Heilmitteln durch die Apotheken ist notwendig. § 6 der
G. 0. könnte die nötige gesetzliche Unterlage geben, namentlich
im Zusammenhalt mit § 367 Ziff. 3 und 5 des Str. G. B. Eine
vorsichtige Behandlung des Gegenstandes durch die Glieder¬
staaten dürfte eine Wiederholung der Verschlechterung der
Vorschriften durch die zentralistische Ordnung vermeiden. So
hatten wir in Bayern das Verbot an die Apotheken, die Rezepte
bekannter Kurpfuscher zu fertigen, der Einheit opfern müssen.
Als Entschädigung könnte den Apotheken die Zuweisung der
Verabreichung der Tierheilmittel gewährt werden. Es hat meines
Erachtens keine Berechtigung mehr, daß die Tierärzte am
Sitze der Apotheken oder in nächster Nähe derselben Hand¬
apotheken führen. Der zu erwartende Einwurf der Apotheken,
daß die Annoncierung durch die Drogenhandlungen und durch
andere Geschäfte erfolgen werde, ist nicht durchschlagend.
Die Apotheken genießen staatlichen Schutz zum Zwecke der
Gesundheitspflege der Allgemeinheit und das „socios habere
malorum“ ist weder Rechts- noch Sittlichkeitsgrund für eine
verbotene Handlung.
Schwieriger ist, das kurpfuschereimäßige, oft an Betrügerei
grenzende Ankünden der großen Fabrik- und Handels¬
firmen zu bekämpfen. Ihr Lieblingssitz ist die Wasserkante und
ein ehemaliges Königreich, das durch die Klugheit seiner Be-
Kurpfuscherei und Anderes.
119
wohner sprichwörtlich geworden ist. Die Kriegsvorschriften über
die einschlägige Materie waren vorbildend; zu ihrer Aufrecht¬
erhaltung wird wohl die gesetzliche Unterlage fehlen. Der
Appell an die Zeitungen ist von vornherein aussichtslos. Aber
die staatlichen Prefierzeugnrisse könnten sich davon frei halten.
Zur Herabminderung des Umsatzes schwindelhaftler Heil¬
mittel könnte auch der ärztliche Stand wesentlich beitragen.
Immer mehr gewöhnen sich die Aerzte daran, auf Empfehlung
einer Geschäftsfirrna, auf die bloße Benennung eines Heilmittels
hin systematisch zu ordinieren ohne jede tiefere Einsicht in
das Wesen und die Heilwirkung ihrer verordneten Mittel. Der
Aerztestand läuft Gefahr, in den allbezwingenden Kreis der
Großfirmen gezogen zu werden, wie es bei den Apotheken
vielfach schon der Fall ist. Die Ordination eines dem Arzt
unbekannten Heilmittels unterscheidet sich in nichts von Kur¬
pfuscherei. Hier kann uns nur eine gründlichere Durchbildung
der Aerzte auf den Hochschulen helfen nicht bloß in specie
der Heilmittellehre, sondern auch generaliter in der Selbst¬
beherrschung und ihrer Auswirkung auf die cupido rerum
nevarum. Die deduktive Erziehung der Aerzte bedarf einer
Verschärfung.
Einer Besprechung ist ferner bedürftig die Kurpfuscherei
des niederen Aerztepersonals. Wer seine Hebammen nicht
fest in der Hand hat, dem gleiten sie zwischen den Fingern durch.
Die Zahl der pfuschenden Hebammen in einem Amtsbezirk ist
ein gutes Merkmal für die Tätigkeit des Amtsarztes. Aehnlich
verhält es sich mit den Pflege- und Fürsorgeschwestern, nur
daß hier der Einfluß des Amtsarztes von vornherein abgemindert
ist. Dieses Institut ist ursprünglich geschaffen als Instrument
der Auswirkung der amts- und privatärztlichen Anordnungen.
Es ist aber Gefahr vorhanden, daß es selbständiges Eigenleben
bekommt und sich von den Aerzten mehr oder minder ab¬
trennt. Besonders die frei praktizierenden Pflegerinnen neigen
dazu, einerseits infolge ihrer natürlichen Anlage, anderseits aus
Mangel an äußeren Hemmungen durch die Einflüsse einer
Organisation. Das Verhältnis zwischen Amtsarzt und Pflege-
und Fürsorgepersonal ist immer noch nicht genügend geklärt,
Die Einführung einer staatlichen Approbation muß von der
Einordnung der Approbierten in die zielbewußte, konzentrisch
wirkende Sanitätsverwaltung begleitet sein. Auch sind neue
Vorschriften, die das ganze Reich gleichsinnig umfassen, am
Platze. Tun wir dies nicht, so schaffen wir uns und den Aerzten
oft selbst Widerstände.
Am schwierigsten sind die Berufskurpfuscher zu be¬
handeln. Bisher war Bayern hierin recht — rückständig. Während
in den übrigen Gliederstaaten sich die Gelegenheitspfuscher längst
zu einer Berufstätigkeit emporgearbeitet hatten, hatten wir in
Bayern noch größtenteils die verhältnismäßig harmlosen Ama¬
teurpfuscher. Dieses Idyll ist aber auch bei uns im Schwinden
begriffen. Es wird die Kurpfuscherei auch bei uns immer mehr
Dr. Seyffarth and Dr. Schräder.
120
eine Lebensbeschäftigung. Sie haben sich zusammengeschlossen,
gehören durchwegs einer politischen Richtung an und sind
daher bei unserer Parteileidenschaft eine willkommene Ergänzung
der Stimmenzahl und damit einer politischen Macht. Sie greifen
bereits in die Rechtspflege über, -wo sie Gleichberechtigung
mit den Aerzten als Begutachter fordern und in einzelnen
Fällen auch schon erhielten. Bei der Aussichtslosigkeit der
Bekämpfung durch das Reich selbst gegen diesen aufstrebenden
Wassertrieb am Baume der ärztlichen Wissenschaft hilft nur
ein enger Zusammenschluß der ganzen Aerzteschaft. Das Lieb¬
äugeln einzelner Aerzte mit den Kurpfuschern kann nicht streng
genug abgelehnt werden. Schon aus diesem Grunde — es gibt
noch hunderte Gründe mehr — muß der Amtsarzt ein führendes
Mitglied der Aerzteorganisation sein und bleiben. Wir Amts¬
ärzte dürfen uns von der Heilmedizin nicht trennen, sonst hängen
wir in der Luft.
Endlich wäre noch die Hypnose und deren verwandte Ab¬
arten zu besprechen. Immer zur Zeit großer Bewegung, großer
Umänderungen fand auch auf dem Gebiete des Okkultismus ein
lebhaftes Treiben statt. Das Volk dürstet nach übernatürlichen
Dingen; es will gruseln. Aber die Gefahren sind nicht geringe.
Der Amtsarzt muß diesen Gefahren zielbewußt in die Augen
schauen. In Bayern ist das öffentliche Auftreten der Hypnoti¬
seure längst verboten. 1 ) Die Durchführung läßt allerdings zu
wünschen übrig. Die Heimat des Okkultismus und Hypnotismus
sind die Großstädte, wo eigene Schulen hierfür Anfänger aus¬
bilden. Es ist mir ganz unverständlich, daß die Gesetzgebung
keine Handhabe dafür bieten sollte, diese Schulen zu unter¬
drücken. Bei den Aerzten finden diese Laien-Hypnotiseure
nicht immer Gegnerschaft. Ja, ich habe selbst beamtete Aerzte
als Empfehler der Künste dieser Oharlatans unterschrieben
gesehen und es waren nicht immer bayerische Amtsärzte. Ich
würde jeden Amtsarzt, der einen Hypnotiseur empfiehlt, dis¬
ziplinieren und gegebenenfalls entfernen. Er zeigt, daß er nicht
genug objektives Urteil zur Ausstellung eines Zeugnisses besitzt.
Die Kurpfuscherei bedarf eines konzentrischen Widerstandes,
sonst wächst sie uns über den Kopf und letzten Endes: Quid-
quid delirant reges, plectunter Achivi.
lieber die Mitwirkung des Amtsarztes
bei der Auswahl der Hebammen.
Von den Kreismediainalräten Dr. Seyffarth-Wehlan
and Dr. Schrader-Gerdaaen.
In Nummer 20 des 34 Jahrganges dieser Zeitschrift findet
sich ein Artikel des Herrn Reg.- und Med.-Rats Dr. Schwabe-
Hannover, der unseres Erachtens von den Amtsärzten nicht
widerspruchslos hingenommen werden darf, und zwar um so
mehr, als er in völlig gleicher Fassung auf Seite 422 der
') Anm. der Schriftleitnng: In Preußen gleichfalls!
Heber die Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen. 121
Allgemeinen Deutschen Hebammenzeitung 86. Jahrgang ab¬
gemuckt ist.
Am Schlüsse dieses Artikels ist folgender Absatz enthalten:
„Wer soll non die geistige £ignnng der Anwärterinnen für den
Hebammenberof prüfen? Nach §60 der Dienstanweisung ist den Kreisärzten
diese Aufgabe zugewiesen.
In der erwähnten Petition wird der Wunsch geäußert, daß die Auf¬
nahmeprüfung an der Hebammenlehranstalt yorzunehmen sei. In Besprech¬
ungen über die Beform des Hebammenwesens ist mir yon Hebammen, die be¬
sonderen Wert auf eine besondere Auswahl der Hebammenschülerinnen zur
Hebung des ganzen Standes legten, dieser Wunsch yerschiedentlich yorgetragen
und begründet worden. Ich halte ihn für durchaus berechtigt und seine
Erfüllung für dringend notwendig.
Für den Kreisarzt gehört die Prüfung der zur Aufnahme in eine Heb-
ammenlehranstalt sich meldenden Frauen mit zu den undankbarsten Aufgaben.
Seine Begutachtung tragen die verschiedensten aus den Begleitumständen sich
ergebenden Rücksichtnahmen ein, und die Prüfung selbst gibt ihm oft genug
nur ein unzureichendes Bild über die intellektuelle Eignung des Prüflings.
Der Erfolg oder besser gesagt der Mißerfolg besteht dann bekanntlich auch
darin, daß die Direktoren der Hebammenlehranstalten mehr oder weniger
bewegliche Klage über die ihnen zugewiesenen ungeeigneten Elemente führen.
Man überlasse daher diesen die Auswahl nach dem Ergebnis der yon
ihnen yorgenommenen Aufnahmeprüfung, die sie weit zweckmäßiger und schärfer
handhaben können, und betraue den Kreisarzt lediglich mit der Untersuchung
auf die körperliche Geeignetheit und mit der Bedürfnisfrage.“
Vernichtender ist wohl kaum über eine der wichtigsten
Dienstverrichtungen des Amtsarztes geurteilt worden. Dieses
Urteil wird um so mehr von allen Gegnern der Amtsärzte be¬
achtet und gegen die Amtsärzte verwandt werden, als es selbst
aus unseren Reihen stammt und dazu noch von einem höheren
Medizinalbeamten, dessen Urteil unseren zahlreichen Gegnern
kompetent erscheinen wird. Wir Amtsärzte haben uns selbst
in dem schweren Kampfe um gebührende Würdigung unserer
Verdienste besonders gern und besonders erfolgreich auf das |
Gutachten unserer vorg^etztgg^Herren Reg.- und Med.-Räte
berufen; denn wir zeugt, daß unsere Interessen von
ihnen am besten vertreten würden und wir haben — Gott sei
Dank — die Erfahrung gemacht, daß wir uns in dieser Annahme
kaum in einem Falle getäuscht sahen.
Was soll nun der Amtsarzt durch seine Prüfung der zu¬
künftigen Hebammen feststellen?
Er soll sich, wenn er die Ausfüllung des Fähigkeitszeug¬
nisses nicht als eine rein mechanische und damit wertlose
Schreibarbeit betrachtet, über die gesamte Persönlichkeit
der betreffenden Frau äußern.
Es ist eigentlich beschämend für einen Amtsarzt, daß er
in diesen Blättern noch darauf hinweisen muß, wie sehr er
seiner ganzen Vorbildung nach unbedingt geeignet ist bei
einem Menschen eine Intelligenzprüfung vorzunehmen; denn
diese Gutachtertätigkeit übt er auch sonst aus und zwar in
noch viel schwierigeren Fällen, bei denen sein Gutachten eine
122
Dr. Seyffarth and Dr. Schräder.
weit größere Bedeutung hat. Ich erinnere nur an die Gut¬
achtertätigkeit des Amtsarztes vor Gericht. Er muß sich hierbei
äußern, ob ein Mensch § 51 des Strafgesetzbuches für sich in
Anspruch nehmen darf, er muß entscheiden, ob ein Mensch
wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche seine Angelegen¬
heiten besorgen kann, aber d i e Fähigkeit, eine Anwärterin für
den Hebammenberuf auf ihre geistigen Fähigkeiten zuver¬
lässig zu prüfen, diese Fähigkeit spricht uns Amtsärzten Herr
Reg.- und Med.-Rat Dr. Schwabe-Hannover abl
Keinem gewissenhaften Amtsärzte wird es einfallen,
aus einer einmaligen Untersuchung in jedem Falle end¬
gültig seine Schlüsse zu ziehen. Ausnahmslos fast wird der
Amtsarzt sich wohl mehrfach mit der betreffenden Hebammen¬
anwärterin beschäftigen. Dazu hat er auch hinreichend Zeit;
denn die Ausstellung des Zeugnisses eilt nicht sehr. Zwischen
den einzelnen Prüfungen wird er gelegentlich bei zuverlässigen
Personen sich über die Bewerberin erkundigen. Es ist mm
auch absolut freigestellt, die betreffende Frau einmal ohne vor¬
herige Anmeldung zu besuchen, damit er sich überzeugen kann,
wie sie in ihrem Haushalte schaltet und waltet. Wenn er aber
dies alles getan hat, dann ist er nicht nur ebenso gut wie
der Lehrer der Hebammenanstalt in der Lage ein zutreffendes
Zeugnis über die betreffende Frau abzugeben, sondern er ist
unseres Erachtens in der Lage, sich zuverlässiger und
treffender über die Geeignetheit der betreffenden Frau zu
äußern; denn er hat nicht nur allgemeine medizinisch-psychi¬
atrische Kenntnisse bei seinem Urteile verwandt, die er unbe¬
dingt ebenso gut beherrscht wie der Leiter der Hebammen¬
anstalt, sondern er hat auch noch aus der Praxis heraus
Umstände für sein Urteil benutzt, die jenem völlig fehlen.
Jeder Amtsarzt wird schon in jungen Jahren die Erfahrung
maohen, was eine Hebamme seines Bezirks leisten muß.
Er weiß ganz genau, daß ungeeignete Elemente in diesem
wichtigen Berufe in erster Linie ihm selbst später einen
Teil seiner Amtspflichten sehr unangenehm machen werden,
daß anderseits er also selbst persönlich ungemein viel Segen
stiften kann, wenn er nur wirklich fähigen Bewerberinnen in
seinem Zeugnis sein „placet“ erteilt. Auf keinem anderen Ge¬
biete wie auf diesem ist er in der Lage, seiner Amtstätigkeit
den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken.
Wir Amtsärzte waren bisher stets besonders stolz darauf,
daß wir in unserer Gutachtertätigkeit unbeeinflußt sind wie
sonst die Aerzte nicht in diesem Grade. Selbst praktische Aerzte
haben zum Ausdruck gebracht, daß der Amtsarzt der gegebene
Gutachter sei, in dessen Händen möglichst die gesamte Gut¬
achtertätigkeit der Praxis vereinigt werden sollte. Ein der¬
artiges Urteil, auf das wir stolz sein dürfen, haben wir uns
redlich verdient durch die gewissenhafte Art und Weise, mit
der wir bei unserer Gutachtertätigkeit vorgegangen sind. Und
nun tritt gegen uns einer aus unseren Reihen auf und be-
Ueber die Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen. 133
hauptet „unsere Begutachtung trage die verschiedensten, aus
den Begleitumständen sich ergebenden Rücksichtnahmen ein!!*
Gegen ein derartiges, unsere Interessen schwer schädigendes
und unseres Erachtens bisher von Herrn Reg.- und Med.-Rat
Dr. Schwabe in keiner Weise bewiesenes Urteil müssen wir
— ungeachtet des schuldigen Respektes, den wir unseren Herren
Vnrgpj.tfpf.tttgnJ n dieser disziplinlosen Zeit mehr als früher schuldig
sind — aufs energischste protestieren.
Die Dienstanweisung der Kreisärzte ist Menschenwerk und
deshalb nicht vollkommen gut. Jedem Amtsärzte ist es ge¬
stattet, seine Erfahrungen für YerbesserungsVorschläge vorzu¬
bringen. Wir würden also nicht das mindeste einzuwenden
gehabt haben, wenn ein Amtsarzt, — gleichgültig, welche
Stellung er einnimmt — in einem vertraulichen Schreiben seine
Erfahrungen seinen Kollegen mitgeteilt hätte, um sich einen
Ueberblick zu verschaffen, wie anderenorts die Erfahrungen in
der betreffenden Angelegenheit sind. Jeder Reg.- und Med.-Rat,
der sich nicht nur als dekVfljyjasiytoti* sondern wirklich als
der Kollege und wohlmeinende Berater seiner Amtsärzte fühlt,
hätte diese Angelegenheit auf der nächsten Medizinalbeamten-
Vereins-Sitzung vorgebracht. Hierbei wären alle Amtsärzte zur
Sprache gekommen. Es hätte festgestellt werden können, ob
denn wirklich ein Mißstand dieser Schwere vorliegt. Diese Fest¬
stellung hätte dann mehr Wert gehabt, als die allgemein ge¬
haltenen Behauptungen des Herrn Reg.- und Med.-Rats Dr.
Schwabe-Hannover. Man hätte dann beraten können, wie
einem derartigen Mißstande abzuhelfen sei. Auch diese Arbeit
wäre wertvoll gewesen, denn ebenso wie der Untergebene nioht
des korrigierenden Urteils seiner VorgesetzterT ffntoehren kann,
sind diese auf die Erfahrungen ihrer untergebenen angewiesen.
Wenn dann wirklich die Gesamtheit der Amtsärzte zu dem
Urteile kam, sich in dem oder jenem Punkte Herrn Reg.- und
Med.-Rat Dr. Schwabe-Hannover anzuschließen, so hätte
dies in der Oeffentlichkeit in einer ganz anderen Form
zum Ausdruck gebracht werden können, als sie von ihm gewählt
wurde und unseres Erachtens unter keinen Umständen mit
Rücksicht auf die Standesinteressen seiner Kollegen gewählt
werden durfte.
Wir stehen mit unserem Urteile nicht allein. Auf der
letzten Sitzung des Medizinalbeamten-Vereins des Reg.-Bez.
Königsberg wurde die gleiche vernichtende Kritik überden
oben erwähnten Artikel einstimmig von allen Amtsärzten
gefällt. Unter ihnen waren aber Männer vertreten, die in
jahrzehntelanger Amtstätigkeit ergraut waren und deren be¬
sonnenes Urteil uns jüngeren von jeher maßgebend war. Das
sollte doch Herrn Reg.- und Med.-Rat Dr. Schwabe in Han¬
nover sehr zu denken geben!
124
Bericht über die im Ministerium für Volks Wohlfahrt
Ans Versammlungen und Vereinen.
Bericht Aber die am Ml. Januar 1922 im nintsteriam iftr
Volkswohlfalirt gepflogenen Verhandlungen.
Nachdem der Herr Minister für Volkswohlfahrt dnrch Erlaß vom 8.1. 22
I M I 8849 den Antrag des Preußischen Medizinalbeamtenvereins auf Aner¬
kennung des gewählten Beamtenausschosses abgelehnt, sich aber gleichzeitig
bereit erklärt hatte, mit dem Vorstand des Vereins über wichtige Fragen der
Medizinalverwaltnng in Verhandlungen einzutreten, fand auf Einladung des
Herrn Ministers am 21. 2. 22 eine Beratung statt.
Unter dem Vorsitz dos Herrn Ministerialdirektors Prof. Dr. Gott¬
stein waren versammelt:
Ministerialrat Wirkl. Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr. Dietrich und Reg.-
und Med.-Rat Dr. Glaubitt, als Vertreter des Ministeriums. Med.-Rat Dr.
Bundt, Kreisarzt Dr. Wollenweber, Med.-Rat Dr. Rogowski, Geh.
Med.-Ral Dr. Solbrig, Med.-Rat Dr. Franz, als Vorstand des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins. Med.-Rat Dr. S a n d h o p, Kreisarzt Dr. M a n t h e y,
als Mitglieder des gewählten Beamtenausschusses.
Ministerialdirektor Prof. Dr. Gottstein begrüßte die Erschienenen.
Geheimrat Dr. Dietrich teilte mit, daß der Herr Minister den Beamten¬
ausschuß Dicht habe anerkennen können, weil ein solcher nach den Bestim¬
mungen vom 24. 8.19 nur für die Beamten einer Behörde mit ihren verschiedenen
Beamtenklassen, nicht aber für eine Vereinigung von Einzelbehörden und von
Angehörigen verschiedener Behörden ernannt werden könne. Der Herr Minister
habe sich aber gern bereit erklärt, mit dem Vorstand des Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins in dem Sinne der erwähnten Bestimmungen über alle wichtigen
Fragen regelmäßig zu verhandeln. Gemeinsame Beratungen werden voraussicht¬
lich zweimal im Jahre stattfinden und können bei Bedürfnis vom Vorstand
darüber hinaus beantragt werden.
Der Vorsitzende des Preußischen Medizinalbeamtenvereins dankt dem
Herrn Minister und seinen Beauftragten.
Als Beratungsgegenstände wurden verhandelt:
1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Reg.- und Med.-
Räte, sowie der Kreismedizinalräte),
2. Gesetz bet. die Gebühren der Med.-Beamten, Ablieferungspflicht der Gebühren,
8. Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte,
4. Dienstanweisung für die Kreismedizinaleäte.
1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Reg.-
und Med.-Räte sowie der Kreismedizinalräte). Wirkl. Geh. Obermed.-Rat
Dr. Dietrich, der für den im weiteren Verlauf verhinderten Ministerialdirektor
den Vorsitz übernahm, besprach die Stellung der Reg.-Med.-Räte,
sowie der Kreismedizinalräte. Die Dienstbezeichnung der Reg.- und Med.-R&te
als „Oberregierungs- und Med.-Räte“, für die Vorgänge in der Bezeichnung
der entsprechenden Beamten in der Gewerbe- und Schulverwaltung vorhanden
seien, und eine entsprechende Dienststellung und Besoldung für sie, werde
erstrebt. Im Etat für 1922 sei für 18 von 34 Reg.- und Med.-Qäten die
Gruppe XII vorgesehen.
Vom Vorstande wurde die Forderung aufgestellt, daß alle Reg.- und
Med.-Räte entsprechend der vorgenommenen Abstimmung die Dienstbezeichnun^
„Oberregierungsrat“ erhalten und ihnen eine selbständige Abteilung bei
der Regierung, gegebenenfalls als Unterabteilung der Abteilung I, sowie ein
entsprechendes Gehalt gewährt werde. Gleichzeitig wurde für notwendig
erklärt, daß entsprechend der Bedeutung des Gesundheitswesens im Staate ein
besonderes Ministerium für Volksgesundheit gebildet, mindestens
aber, falls dies vorerst nicht zu erreichen, die volle Selbständigkeit der
Medizinalabteilung durch Bestellung eines Staatssekretärs als
Leiter unmittelbar unter dem Minister gewährleistet werde.
Auch die Dienststellung der Kreisärzte bedarf der Ausgestaltung und
größerer Selbständigkeit. Die Vollbesoldung aller Kreisärzte steht in
einigen Jahren zu erwarten. Entgegenstehende Bestrebungen einzelner Kreis¬
ärzte müssen gegenüber dem Gesamtinteresse zurücktreten. Im Etat für 1922
sind von 228 vofibesoldeten Kreisärzten 174 für Gruppe XI, 49 für Gruppe X
gepflogenen Verhandlungen
125
vorgesehen. Vom Vorstand wnrde der Antrag gestellt, daß auch nicht voll*
besoldete Kreisärzte in Aafrücknngsstellen gelangen können. Weiter wurde
vorgeschlagen, daß zar Vereinfachung des Besoldungswesens and des Etats
dem Beispiele des Freistaates Baden gefolgt werde. Danach wäre im Etat
nicht mehr zwischen vollbesoldeten und nicht vollbesoldeten Kreisärzten an
unterscheiden, sondern gleiches Gehalt für beide anzusetzen mit dem Zusatz:
„Soweit einzelne Kreisärzte dienstlich nicht vollbeschäftigt sind, werden ihnen
2&°/o des Gebalts einbehalten." Die Aufrückungsmöglickheit und das Ruhe¬
gehalt würde unter diesen Verhältnissen für alle gleich sein.
Geheimrat Dr. Dietrich besprach dann eingehend die Besoldungsvor¬
schriften vom 8. 7. 21, veröffentlicht im Finanzblatt Nr. 14. Er wies insbesondere
darauf hin, daß der Beamte verpflichtet ist, nach der vorgeschriebenen schrift¬
lichen Mitteilung der Regierung an ihn, die, wenn sie noch nicht erfolgt sei,
von dem Beamten bei dem Regierungspräsidenten erbeten werden müsse, die
Festsetzung des Besoldungsdienstalters selbst nachzuprüfen,
daß es im übrigen im eigensten Interesse der Beamten liegt, sich über die
Vorschriften eingehend zn unterrichten. Sondervergütungen fallen vom 1. 4 22
ab weg. Es ist jedoch wiederum eine Summe von 110000 Mark in den Etat
eingefaßt, aus der besonders bedürftigen Kreisarztstellen Stellenzulagen gewährt
werden sollen.
Bei Gelegenheit der Besprechung der gesetzlichen Vorschriften wurde
darauf hingewiesen, daß die Preußische Gesetzsammlung und das
Reichsgesetzblatt von den Kreisärzten notwendigerweise zu halten sind.
Vom Vorstand wurde beantragt, daß im Ruhestand befindlichen
früher vollbesoldeten Kreisärzten ein Ruhegehalt entsprechend Gruppe XI
und denjenigen Regiernngs- und Med.-Räten, die früher Stellenzulagen
von 600 Mark erhielten, ein Ruhegehalt entsprechend Gruppe XII gewährt wild,
so, als wenn sie sich in einer den jetzigen Verhältnissen entsprechenden Auf-
rückungsstelle befunden hätten. Der Vorstand stellte entsprechende Anträge
in Aussicht je an den Herrn Finanzminister, an das Staatsministerium und an
den Herrn Minister für Volkswoblfahrt.
Auf das Besoldungsdienstalter können angerechnet werden:
5 Jahre Studium, V* Jahr Staatsexamen, ein praktisches Jsihr, */* Jahr Kreis¬
arztexamen, 8 Jahre Ausübung ärztlicher Praxis, d. h. für die Gesamtausbildung
10 Jahre. Da hiervon 4 Jahre abgehen, so sind dem Besoldungsdienstalter
6 Jahre Anwärterdienstzeit hinzuzurechnen.
Weitergehende, vom Vorstand geäußerte Wünsche, insbesondere die
Anrechnung fünfjähriger Praxis und einer Zeit von einem Jahr für das Kreis¬
arztexamen haben Berücksichtigung bisher nicht finden können.
Hinsichtlich der Dienslbezeichnuog wurden vom Vorstand entsprechend
der erfolgten Abstimmung folgende Forderungen gestellt:
1. für die Reg.- und Med.-Räte: Oberregierungsrat,
2. für die Kreisärzte: Med.-Rat bezw. O&ermecL-Rat,
8. für die Kreisassistenzärzte: Medizinalassessor.
Dabei soll für die Kreisärzte die Bezeichnung als Behörde bleiben «Der
Kreisarzt des Kreises" und die Amtsbezeichnung „Med.-Rat“ bezw. „Ober-
medizinal rat“ binzugefügt werden, wie sie in gleicher Weise auch bei den
Gewerbeaufsichtsbeamten (Bezeichnung als Behörde „Der Gewerbeaufsicbts-
beamte“ und als Dienstbezeichnung „Gewerberat“) vorhanden ist. Eine ent¬
sprechende Bezeichnung ist auch für die Gerichtsärzte vorzusehen. Zu dieser
nunmehr von der durchaus überwiegenden Mehrheit der Kreisärzte gestellten
Forderung wurde auf die einmütige Ahlehnung der Dienstbezeichnung „Kreis¬
medizinalrat“ erneut hingewiesen, die der Amtsbezeichnung der Versorgungs¬
ärzte „Regierungsmedizinalrat“ und der geplanten Amtsbezeichnung der Aerste
der Schutzpolizei „8taatsmedizinalrat“ gegenüber minderwertig erscheinen muß.
Geheimrat Dr. Dietrich erklärt sich bereit, diese Anträge bei der
Beratung über die Neufassung der Besoldungsordnung und über die end¬
gültige Festsetzung der Amtsbezeichnungen zum Vortrag zu bringen.
Die Direktoren der Medizinaluntersuchungsämter haben
bei einer erfolgten Abstimmung sich überwiegend für die Dienslbezeichnung
„Medizinalrat“ ausgesprochen, während ein Teil von ihnen die Dienstbezeichnung
„Professor“ wünscht. Nach Besprechung mit Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr.
Lentz bedarf die Frage weiterer Klärung. Herr Geheimrat Dr. Lents ist
126 Bericht über die im Ministerium für Volkswohlfahrt
bereit eine Abordnung der Vorsteher der Untersnchnngsämter im Einverständnis
mit dem Vorstand des Vereins zn einer Besprechung zu empfangen.
Med.-Bat Dr. Sandhop übermittelt den Wunsch, daß den gerichts-
ärztlichen Ansschüssen auch ein Kreisarzt angehören soll. Geheimrat
Dr. Dietrich wird die Anregung bei dem Herrn Minister vertreten.
Ein Antrag des Gerichtsarztes Geh. Bat Prof. Dr P n p p e wünscht eine
besondere Dienstanweisung für Gerichtsärzte. Die Berechtigung wird
anerkannt, jedoch sollen den Gerichtsärzten hierdurch nicht wichtige Dienst¬
obliegenheiten der Kreisärzte, insbesondere im Attestwesen übertragen werden.
Geh. Bat Dr. S o 1 b r i g wird gebeten mit Geh Bat Prof. Dr. Puppe einen Entwurf
auszaarbeiten und diesen durch Vermittlung des Preußischen Medizinalbeamten-
Vereins dem Herrn Minister zu übermitteln.
2. Das Gesetz über die Gebühren der Medizinalbeamten soll nen
bearbeitet werden. Med.-Bat Dr. B u n d t legte einen bereits früher eingereiebten
Entwurf vor, der durchberaten wird.
In Paragraph 1 ist hinter „Kreisärzte“ zn setzen „Gerichtsärzte“. Die
Abführungspflicht entsprechend § 4, deren Abschaffung vom Preußischen
Medizinalbeamtenverein gewünscht wird, muß entsprechend der Forderung des
Finanzministers bestehen bleiben. Bezüglich der Abführungspflicht für die
Bevisionen von Färb- oder Gifthandlungen bestanden Zweifel, da es nicht fest¬
steht, daß diese lediglich vom Kreisarzt Torgenommen werden können.
§ 5 Abs. 3 soll heißen: „ Die Tagegelder und Beisekosten in gericht¬
lichen Angelegenheiten sind dieselben wie in den übrigen Amtsgeschäften.“
Im Absatz 4 ist zu setzen nach „§ 2“ und „§ 8“.
§ 17 ist zu streichen, § 14 anderweitig zu fassen.
Im Tarif ist A I 3 zn fassen: „Vorbereitung eines in einem Termine
zu erstattenden Gutachtens:
a) wenn die Untersuchung in der Wohnung des Kreisarztes oder, falls dieser
Anstaltsarzt ist, in der Anstalt Btattfindet (Voruntersuchung),
b) wenn die Untersuchung außerhalb der Wohnung oder Anstalt stattfindet
(Vorbesuch einschl. Untersuchung).
Am Schluß der Ziffer 3 ist hinzuzusetzen: „Fahrtauslagen sind in bar
zu ersetzten.“
In Ziffer II 7 ist der zweite Teil zu streichen. Ziffer 8 ist hinzuzn-
fügen: „Fahrtkosten sind in bar zu ersetzen“, soweit nicht für auswärtige
Termine Beisekosten in Frage kommen.
Unter A III soll der Unterschied zwischen Befundschein und Befand-
attest fortfallen.
Ziffer 11 und 12 zusammengefaßt sollen vielmehr lauten: „Befundattest
oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne gutachtliche Ausführung.“
Ziffer 17 ist hinzuzusetzen: „Gebühren für Voruntersuchung und Vor¬
besuch sind dieselben wie A 1 3, sowohl bei Befundattesten, wie Vorbesuchen.*
Im letzten Absatz Ziffer 17 ist überall anstatt „14 nnd 15“ zu setzen
„14 bis 16“.
B Ziffer 6 Abs. 2 ist zu streichen.
B Ziffer 19, desgleichen Ziffer 13 nnd 14 fallen weg.
Hinsichtlich der Höhe der einzelnen Tarifbestimmungen wird
eine Erhöhung auf das Zehnfache der für die Vorkriegszeit geltenden, als
unbedingt notwendig bezeichnet
Herr Geh. Bat Dr. Dietrich schlägt vor, daß der so abgeänderte
Entwurf der Gebührenordnung vom Vorstande an die BezirkBVereine zur Durch¬
beratung gesandt werde. Der Vorstand sagt dies zu.
3. Bezüglich Veränderung der Dienstanweisung berichtete Dr. Wollen*
weber im Aufträge des Vorstandes:
An sich sei es erwünscht, die gesamte Gesundheitspolizei von der
Allgemeinpolizei gesetzlich abzutrennen und dem Kreisarzt zu übertragen,
wobei diese bis zu einem gewissen Grade ihres polizeilichen Charakters ent¬
kleidet werden und den Charakter der Fürsorge erhalten könnte. Hierzu sei
aber eine Aenderung verschiedener Gesetze notwendig, auch sei die ganze
Einrichtung der Behörde „Der Kreisarzt" keineswegs überall reif dazu. Grund¬
sätzlich sei aber obige Forderung zu stellen, die vielleicht im Bahmen der
Verwaltungsreform Berücksichtigung finden könne.
Schon jetzt sei aber durch Veränderung der Dienstanweisung eine Ver-
geflogenen Verhandlungen.
127
besserang und ein Ausbau der Stellung des Kreisarztes möglich. Zunächst
bedürfe die Stellung zum Landrat einer zeitgemäßen Aenderung. § 12,
Abs. 3, wonach die .Berichte des Kreisarztes an den Regierungspräsidenten
durch die Hand des Landrats einzureichen seien, werde ohnedies in vielen
Kreisen nicht beachtet, sei auch in der Mehrzahl der Fälle überflüssig. Es
wird von Dr. W. vorgeschlagen, den § 12 wie folgt zu formulieren:
„Der Kreisarzt hat sich eine enge Verbindung mit dem Landrat auf
dem Gebiete des Gesundheitswesens angelegen sein zu lassen und ihn von
allen wichtigen Angelegenheiten auf diesem Gebiete zu unterrichten. Er hat
als technischer Berater des Landrats dessen Ersuchen in Angelegenheiten des
Gesundheitswesens nachzukommen. Anderseits hat der Land rat den Kreisarzt
über alle wichtigen Angelegenheiten, die für das Gesundheitswesen in Betracht
kommen, zu unterrichten, ihn vor Erlaß von allen Verordnungen oder all*
f emeinen Verfügungen, die das Gesundheitswesen betreffen, rechtzeitig zu
Ören und sie ihm nach Erlaß mitzuteilen.
Der Kreisarzt gibt dem Landrat auch von wichtigen Berichten an den
Regierungspräsidenten oder eine Abteilung der Regierung Kenntnis."
In § 14, Abs. 4, muß die Vorschrift über die Anmeldung der an¬
steckenden Krankheiten lauten:
„Die Anzeigen von Erkrankungen oder Todesfällen an übertragbaren
Krankheiten sind von den Verpflichteten unmittelbar an den Kreisarzt zu
richten, der sie mit dem nach Lage der Sache notwendigen Anordnungen
(vgl. § 35) ungesäumt der Ortspolizeibehörde gegen Rückgabe weitergibt.
Die Ortspolizeibebörde ist verpflichtet, die Anordnung zur Ausführung zu
bringen. Sofern Bedenken vorliegen, teilt dies die Ortspolizeibehörde dem Kreis¬
arzt ungesäumt mit, der nötigenfalls die übergeordnete Dienststelle anruft.
Bei der Rückgabe der Anmeldungen teilt die Ortspolizeibehörde die aus¬
geführten Maßnahmen mit. Sie hat im übrigen den Kreisarzt, wenn sie auf
andere Weise vom Ausbruch einer der Anzeigepflicht unterliegenden Krankheit
Kenntnis erhält, hiervon ungesäumt zu benachrichtigen. Ihre Verpflichtung
zur Berichterstattung an den Land rat nach Maßgabe sonstiger bestehender
Vorschriften bleibt unberührt."
Dementsprechend ist § 35 folgendermaßen zu fassen; Abs. 1 bleibt be¬
stehen. Aba. 2 soll lauten:
„Die zur Verhütung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit er¬
forderlichen Maßnahmen, soweit sie in den Seuchengesetzen und ihren Aus¬
führungsbestimmungen vorgesehen sind und Feststellungs-, Absonderungs- und
Desinfektionsmaßnahmen darstellen, ordnet der Kreisarzt jedoch selbständig
an. Dies geschieht in der Regel durch schriftliche Anordnung an die Orts¬
polizeibehörde, in dringlichen Fällen unmittelbar an den Betroffenen. Die Orts¬
polizeibehörde und die Betroffenen haben den Anordnungen Folge zu leisten.
Falls die Ortspolizeibehörde begründete Bedenken gegen die Ausführung hat,
sind sie dem Kreisarzt ungesäumt mitzuteilen, der nötigenfalls die über¬
geordnete Dienststelle anruft. Die Anordnungen sollen stets die verschiedenen
Interessen berücksichtigen, das Gemeinwohl aber in den Vordergrund stellen
und möglichst den Charakter der vorbeugenden Fürsorge tragen."
Das Verhältnis zu den Organen der Selbstverwaltung bedarf
einer grundlegenden Aenderung. Unter den jetzigen Verhältnissen wird der
Kreisarzt von ihnen äußerst selten zugezogen, vielfach geflissentlich über¬
gangen. Hierdurch veranlaßt, sind stellenweise höchst unerquickliche Ver¬
hältnisse entstanden. Unter anderen hat sich vielfach die kommunale Gesund¬
heitsfürsorge unter mehr oder weniger völliger Ausschaltung des Kreisarztes
entwickelt, so daß der Kreisarzt weder die notwendige Kenntnis noch irgend¬
einen Einfluß auf das Fürsorgewesen hat. Wenn eine Anzahl von Kreisärzten
auf dem Gebiete des Fürsorgewesens eine wichtige Stellung haben, so liegt
dies an persönlicher Initiative und günstigen örtlichen Verhältnissen. Wenn
naturgemäß der § 16 d. D. A. der gewaltigen Entwicklung des Fürsorgewesens,
welche erst nach dem Kriege entstanden ist, nicht hat Rechnung tragen können,
so ist jetzt seine grundlegende Aenderung unerläßlich.
Dem § 16 ist dementsprechend naeh dem ersten Satz hinzuzusetzen:
„Der Kreisarzt hat anderseits das Recht, an diesen Sitzungen, soweit Fragen
des öffentlichen Gesundheitswesens und der Gesundheitsfürsorge zur Verhand¬
lung kommen, mit beratender Stimme teilzunehmen und nach vorherigem Be-
tu Bericht über he k Hk fib VhknroUiikrt gepflogt ea Yei tofln ga.
mIm nt ha Yonitiwhi das Recht des Vortrags nad des Antrags. Der
Vorsitzende ist verpflichtet, diesbezügliche As trage des Eidumo auf die
Tagesordnung n setzea und dem Kreisarzt Tagesordnung« von Verband-
laages aoi dem Gebiete des Gesundheitswesens nnd der Gesundheitsfürsorge
■dtzateflea.
Soweit der Kreisarzt sieht als nebenamtlicher Kreiskommunalarzt bereits
dam Vorstände der Kreiswohlfahrtsämter mit beschließender Stimme angehört,
ist es Ton Amtswegen Mitglied dieses Vorstandes mit Stimmrecht.
Der Vorsitze des Kreisaosschnsses soll sich mit dem Kreisarzt Tor
■daß tob wichtiges Anordnungen aof dem Gebiete des kommunalen Gesund¬
heitswesens and der Gesundheitsfürsorge iss Benehmen setzen und ihm ge¬
troffene Anordnungen alsbald mitteilen. Aach die Leiter der unteren Kommunal-
Verwaltungen haben für ihr Gebiet dieselbe Verpflichtung wie der Vorsitzende
des Kreisaasschusses.
Anträge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der Gesnndheits-
fftrsorge an die Torgeordneten Dienststellen (Regierungspräsident, Land rat, bezw.
Vorsitzende des Kreisaosschnsses) sind dem Kreisarzt zur Kenntnis vorzulegen.*
$ 34, Ziffer 3 ist dementsprechend zu ändern. In Zeile 5 ist nach
„Hebammenwesen" za setzen:
„Ueber die Krankenschwestern, Ffirsorgerinnea, Werks¬
pflegerinnen, and gleichartige Angestellte der Gemeinden oder sonstiger
Körperschaften, über die Heilgehilfen, Desinfektoren nnd anderes
Hilfspersonal des Gesnndheitswesens nnd der Gesundheitsfürsorge die
fachliche Ansicht zu führen. Auch über alle Einrichtungen der kommu¬
nalen Gesundheitsfürsorge führt der Kreisarzt die Aufsicht.“
Eine entsprechende Aenderung im § 45 regelt die Meldepflicht der
Krankenschwestern, Fürsorgerinnen and gleicnartiger Angestellten
der Gemeinden oder sonstiger Körperschaften.
Geheimrat Dr. Dietrich erkennt die Berechtigung einzelner der ge¬
wünschten Abänderungen an, betont aber, daß andere der Torgeschlagenen
Aendernogen das Einverständnis des Herrn Ministers des Innern, sowie anderer
Ministerien nötig machen. Die Stellung des Herrn Ministers für Volkswoblfahrt
müßte er, wie bei allen anderen Fragen den gemeinsamen Verhandlungen
immer Vorbehalten. Im übrigen stellt er anheim, daß der Vorstand einen Ent'
warf einer neuen Dienstanweisung unter besonderer Berücksichtigung der be¬
sprochenen Punkte ansarbeiten and vorlegen möchte.
4. Ueber die Aenderang der ärztlichen Gebührenordnung referierte
Med.-Rat Dr. Franz. Als notwendig wird gemäß Vorschlag von Kreisarzt
Dr. Wollen weher die Einführung einer besonderen Gebühr für „eingehende
physikalische Untersuchung der Brost- oder Bauchhöhle“ anerkannt, ebenso
eine bedeutende Heranfsetznng der Mindestsätze. Als Mindestgebühr für einen
Besuch werden 15 M. von Med.-Rat Dr. F r a n z bezeichnet, im übrigen werden
einzelne Vorschläge von ihm and Kreisarzt Dr. Manthey gemacht.
Geheimrat Dr. Dietrich teilt noch mit, daß der Erlaß vom 14 . Dezember
1981 betreffend Ausbildung der in der kommunalen Fürsorge
tätigen Aerzte zu Mißverständnissen Anlaß gegeben habe, als ob der
Kreisarzt nicht ohne weiteres als für kommanalärztliche Tätigkeit ansgebildet
ansnsehen sei. Eine entsprechende Richtigstellung werde in einem besonderen
Erlasse erfolgen.
Der vom Vorstand früher gestellte Antrag, wonach die Gerichts*
Erste keine Gebühren abliefern sollen, ist von den zuständigen Ministerien
abschlägig beschieden. Der Vorstand behält sich vor, seinen Antrag von
neuem einzureichen.
Geheimrat Dr. Dietrich regt an, die sämtlichen in Betracht kommenden
Anträge snsammengefaßt einzareichen. Der Vorstand sagt entsprechendes
Vorfahren zu.
Für die nächste Bitsang wird vorläufig der Monat Juli in Aussicht ge¬
nommen. Die Niederschrift soll dem Herrn Minister überreicht werden.
Der Voratand.
ges. Dr. W ollen weher, gez. Dr.Bundt,
Schriftführer. Vorsitzender.
Bericht aber die Hauptversammlungen des Vereins der Sächs. Bezirksärzte. 129
Bericht Aber die Hauptversammlungen
des Vereins der Sächsischen tteztrksärzte Im Jahre 1921.
i. Hauptversammlung in Dresden am 28. Mai 1921.
Die für nachmittags */s5 Uhr einberufene Versammlung konnte erst abends
V*7 Ubr beginnen, da die am gleichen Tage von vormittags 7*10 Uhr an statt-
gefundene Vollversammlung der Bezirksärzte im Ministerium des Innern erst
abends 6 Uhr beendet wurde. Außer 20 Mitgliedern waren anwesend die Ehren*
mitglieder Geh. Med.-Rat Dr. Eras und Ober*Med.*Rat Dr. von Mücke, sowie
als Gäste Dr. Ha Ile-Zwickau und Dr. Lehne rt-Dresden.
Nach Begrüßung der Erschienenen durch den Vorsitzenden, Dr. Petzholdt-
Piraa, und kurzen geschäftlichen Mitteilungen wird sofort in die Tagesordnung
eingetreten.
I. Vorschläge zur Abänderung der Dienstanweisung. Der Bericht¬
erstatter Dr. Holz-Leipzig führt folgendes ans: Wenn anch klar liege, daß
eine seit 37 Jahren bestehende Dienstanweisung dnrchsichtigsbedürftig sei und
manches ansscheiden, anderes umgearbeitet werden müsse, so habe er doch bereits
Tor einem Jahr vor einer Abänderung gewarnt; denn die Dienstanweisung für
die sächsischen Bezirksärzte habe manche Vorzüge vor der anderer Staaten,
es sei den Bezirksärzten größere Freiheit gelassen und ihre Stellung sei selbst¬
ständiger, sodaß an der jetzigen Dienstanweisung im großen nnd ganzen fest-
gehalten werden müsse nnd an ihr nicht viel zu ändern sei. Wenn aber trotz¬
dem eine Aendernng jetzt znr Besprechung gestellt werde, so sei dies dadurch
veranlaßt, daß der Verein im letzten Jahre dem Ministerium eine Denkschrift
unterbreitet habe, in der die Errichtung von Gesundheitsämtern unter Leitang
des Bezirksarztes angeregt worden sei nnd daß das Ministerium eine derartige
grundsätzliche Aendernng der bezirksärztlicben Stellung zwar abgelebnt, daß
es aber zur Entgegennahme von Vorschlägen zur Abänderung einzelner Be¬
stimmungen der Dienstanweisung sich bereit erklärt habe. Dadnrch sei es za einer
Umfrage bei allen Bezirksärzten gekommen, deren Ergebnis dem Entwarf des
Berichterstatters zngrnnde liege. Dieser Entwarf sieht außer verschiedenen
kleineren nnd formgebenden (redaktionellen) Aenderungen als wesentlich nur vor:
die ausdrückliche Einbeziehung der Aufsicht über die Wohlfahrtspflege in dea
Pflichtkreis der Bezirksärzte, die Ueberwachnng des Desinfektionswesens, die
Aufsicht über die schalärztliche Tätigkeit nnd eine größere Bewegungsfreiheit
auf dem Gebiete der Gewerbebygiene. Nach längerer Aussprache stimmte man
dem Vor8chlags-Entwnrf unter unwesentlichen Abänderungen zu. Durch Ver¬
vielfältigung des angenommenen Entwurfs soll den Mitgliedern nochmals vor
Einreichung an das Ministerium Gelegenheit znr Meinungsäußerung gegeben
werden.
II. Kassenbericht; Berichterstattet Dr. San er-Bautzen: Der Einnahme
Ton 970 M. steht eine Ausgabe von 694,50 M. and 668,50 M. Fehlbetrag vom
Voijahre gegenüber, mithin besteht jetzt ein Fehlbetrag von 893 M. Die
dadurch sich nötig machende Erhöhung des Mitgliedsbeitrages anf
30 M. wird beschlossen. Das Tagegeld bei Reisen wird anf 30 M. festgesetzt.
III. Bezirksärztlicher Gefängnisdienst; Berichterstatter Dr. Stahl-
Meißen : Die Bestimmung, daß den Bezirksärzten an ihrem Dienstorte anch der
ärztliche Gefängnisdienst als Pflichtaufgabe zufällt, falls nicht ein besonderer
Ueriuhtsarzt angestellt oder dem Gerichtsassistenzarzt der ärztliche Gefängnis¬
dienst ausdrücklich übertragen ist, fuhrt bisweilen zn bedenklichen Härten,
deren Abstellung nötig erscheint. Der Veiein beschließt, zunächst den davon
betroffenen Mitgliedern die geeigneten Schritte selbst zu überlassen.
IV. Vereinheitlichung der bezirksärztlichen Gebühren. Wegen der
vorgerückten Zeit kann der von Franke-Grimma aasgearbeitete Entwarf
nicht eingehend beraten werden.
V. Leipziger Erfahrungen anf dem Gebiete hygienischer Volksbe-
lehrnugen; Berichterstatter Dr. Poetter-Leipzig: In Leipzig hat sich ein
»Verein für Volksbeleb rang in Säuglings-, Kinder-, nnd Matterpflege (Leipziger
Mütterkarse) u gebildet, der durch einen Facharzt Vorträge and praktische
Marse abhalten läßt, die außerordentliche Erfolge anfweisen. Derartige Kurse
sind unter sehr starker Beteiligung der Bevölkerung von dem gleichen Arzte
io verschiedenen Orten der Kreisbanpunannschaft Leipzig abgehalten worden.
Schloß der Sitzung nach 10 Uhr.
ISO Bericht Uber die Hauptversammlungen des Vereins der 8ichs. Bezirksärzte.
B. Hertstrersammluo in Dresdei ai 17. Oktober 1921.
Beginn V4l Uhr. Anwesend 22 Mitglieder, als Gast Dr. Lehnert-
Dresden.
Der Vorsitzende, Dr. Petzholdt-Pirna, begrüßte die Erschienenen
and weist darauf hin, daß die Bezirksärzte in letzter Zeit doch gewisse
Erfolge erzielt hätten und man den Eindruck gewinne, daß die Oberbehörden
mehr als bisher die Tätigkeit der Bezirksärzte würdigten. Die Einrichtung
einer Vollversammlung aller Bezirksärzte des Landes im Ministerium, die
häufigen Einladungen von Bezirksärzten zu den Sitzungen des L&ndesgesund-
heitsamts, die Berufung von Bezirksärzten in den Landesausschuß für Wohl¬
fahrtspflege und in den Vorstand des Landesausschusses für hygienische Volks¬
belehrung, sowie die Abordnung einer größeren Zahl von Bezirksärzten zum
Tuberkulosekongreß in Elster seien Anzeichen dafür. Nur bei der Besoldungs-
reforrn sei man den berechtigten Wünschen der Bezirksärzte — unbedingte
Gleichstellung mit den Bezirksschulräten — nicht gerecht geworden, während
die von den Bezirksärzten gewünschte Regelung der Kanzleiaufwandsentschädi-
gung (s. u.) bald zu erwarten sei. — Hierauf wurde in die Tagesordnung
eingetreten.
I. Eingänge und Mitteilungen: Unter den ersteren wurde der Aufruf
des Deutschen Medizinal beamten Vereins zum lückenlosen Beitritt besonders
betont und befürwortet. Von den Mitteilungen seien nur die wichtigsten erwähnt:
a) Der früher beschlossene korporative Beitritt des Vereins
zur Vereinigung der Sächsischen Höheren Staatsbeamten ist
nach der letzten Satzungsänderung der Vereinigung nicht möglich, ebensowenig ein
korporativer Beitritt des Vereins zum Bund der Sächsischen Staatsbeamten.
Die Mitglieder werden gebeten, der Vereinigung der S. H. St. ausnahmslos als
Einzelmitglieder beizutreten, wodurch sie auch Mitglieder des Bundes S. St.
werden.
b) Die seit Jahren dringend nötige und vor fast einem Jahr unter ein¬
gehendster Begründung erbetene Begelung der Kanzleiaufwandsent-
schädigung steht bevor. Es wird den Bezirksärzten für Stellung der Ge¬
schäftsräume in ihrer Wohnung jährlich eine Entschädigung in Höhe von ein Viertel
der Wohnungsmiete, aber höchstens 500 M. gewährt; für Heizung, Beleuchtung
und Reinigung der Geschäftsräume erhält der Bezirksarzt eine jährliche Ent¬
schädigung von 1500 M.; der Dienstgebrauch des Fernsprechers wird vergütet;
die Dienstfreimarken and die gesamten sonstigen Kanzleibedürfnisse erhält der
Bezirksarzt auf Anfordern von der Amtshauptmannschaft. Als Amtsblätter
werden ihm kostenlos geliefert das Sächsische Gesetzblatt, das Ministerialblatt
für die innere Verwaltung, die StaatszeituDg, die Blätter für Wohlfahrtspflege
und die Nammern des Reichsgesetzblatts, die für die Bezirksärzte von Wichtig¬
keit sind. Die Kosten tür Vordrucke, die nicht von anderen Dienststellen
erhältlich sind, werden ersetzt; für die Erledigung von Schreib- und sonstigen
bezirksärztlichen Kanzleiarbeiten stellt die Amtshauptmannschaft dem Bezirks¬
arzt auf Anfordern täglich eine Schreibkraft bis zur Dauer von 4 Stunden;
zur Entschädigung für die bis 1. 4. 21 zurückliegende Zeit werden den Bezirks¬
ärzten nachträglich 100 °/o der bisherigen Kanzleiaufwandsentschädigung
gewährt. 1 )
c) Die Bemühungen des Vereins durch eine Eingabe an die Volkskammer
und durch den Einfluß der Beamtenorganisalionen eine der Bedentung der
Bezirksärzte besser entsprechende Einstufung in dieBesoldungsordnung,
mindestens aber eine volle Gleichstellung mit den Bezirksschulräten, zu erreichen,
sind im allgemeinen ohne Erfolg geblieben; es ist nur erreicht worden, daß
anstatt früher ein Drittel, jetzt die Hälfte der Klasse XI zugeteilt sind; eine
Aufrückungsmöglicbkeit in Klasse XII ist aber nicht gegeben.
II. Vorschläge für den im Herbst 1922 statt findenden Fortbildungs¬
lehrgang für Bezirksärzte. Nach eingehender Anssprache wird beschlossen,
das Ministerium zu bitten, für deu Foribildungslehrgang ins Auge zu fassen:
a) neues Bauwesen und neue Baustoffe mit möglichst zahlreichen Besichti¬
gungen, b) Behandlung der Gewerbehygiene, c) Vorträge über Verwaltungs-
*) Diese Neuregelung, die von den Bezirksärzten dankbar begrüßt wrden
muß, ist inzwischen erfolgt.
Berickte über die Versammlungen in Aachen and in Hagen.
131
rechtspflege. Für die nächstjährige Vollversammlung der Bezirksärzte im
Ministerium wird die Besprechung über a) Wasserversorgungsanlagen und
deren Besichtigung und b) Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten vor*
geschlagen.
III. Begründete Vorschläge für Abänderung des § 82 der Dienst*
anweisnng—betrifft die Gewerbehygiene— und betreffs Aufsichts-
ftthrung über die schulärztliche Tätigkeit. Der in der letzten
Hauptversammlung beschlossene Entwurf betr. Abänderung der bezirksärzt¬
lichen Dienstanweisung ist dem Ministerium nicht vorgelegt worden, da es sich
bei Besprechungen im Ministerium gezeigt hat, daß die etwa nötigen Be¬
stimmungen sich durch Verordnungen erreichen lassen. Nach eingehender
Aussprache wird beschlossen zur Zeit von Anträgen abzusehen.
IV. Aussprache über die Minlsterlal-Verordnung vom 24.6.21 betr.
lostenpflichtigkeit der bakteriologischen Untersuchungen der Landes¬
stelle für öffentliche Gesundheitspflege. Durch diese Verordnung werden
die bisher kostenlosen Untersuchungen kostenpflichtig gemacht Mau ist sich
einig darüber, daß dies ein bedeutsamer und nicht ungefährlicher Rückschritt ist.
Gemildert werden die zu befürchtenden Folgen dadurch, daß der Leiter der
Landesstelle zugesicbert bat, in allen Fällen, in denen die Bedürftigkeit durch
den Arzt bescheinigt wird, vom Kostenansatz abzusehen; ferner bleiben alle
Dntersuchungen „im öffentlichen Interesse" wie bisher kostenlos. Es soll zu¬
nächst der weitere Verlauf abgewartet werden.
V. Regelung des Ruhestandsgehalts der Bezirksärzte. Der Bericht¬
erstatter, Dr. Sauer-Bautzen, vermag wegen Mangels geeigneter Unterlagen
nicht bestimmte Vorschläge zu machen. Da die Aussprache ergibt, daß allge¬
mein die Schwierigkeit einer vollkommenen Lösung dieser Frage anerkannt
wird, soll vorläufig auch von deren weiterer Ve<folgung abgesehen werden.
VI. Bezirbsärztllcher Gefiinguisdienst. Diese Sache ist bereits in der
letzten Hauptversammlung behandelt weiden. Auf Wunsch eines Mitglieds
wird sie nochmals besprochen; doch blieb der Verein bei dem Beschlüsse der
Hauptversammlung. —
Schiaß der Sitzung 6 Uhr. Dr. Petzholdt-Pirna.
Bericht Aber die sm 8. Dezember 1921 ln Aachen abge¬
haltene Versammlung der Mitglieder des Nedislnal-
beamtenvereins für den Regierungsbezirk Aachen.
Anwesend waren: Reg.-und Med.-Rat Dr. Loerch, die Kreismedizinal¬
räte Dr. P e r e n - Aachen-Land, Dr. Stühlen-Aachen-Stadt, Dr. Schröder-
Düren, Dr. Herlitzius• Erkelenz, Dr. Saigendorf-Geilenkirchen-Heins¬
berg, Dr. Wex jun.-Monschau, ferner der Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr.
Wex sen.-Düren und der Beigeordnete Reg.-und Med.-Rat a. D. Dr. Clau-
ditz-Aachen.
Die Sitzung wurde nachmittags 6Vt Uhr durch den Unterzeichneten, der
während des Krieges und nach Beendigung des Krieges bis jetzt die Geschäfte
de« Vereins geführt hatte, eröffnet. Er gab eine knrze Uebersicht über die
Kriegsjahre und die ersten Jahre nach dem Kriege. Es wurde alsdann zur
Neuwahl des Vorstandes geschritten. Es wurden gewählt: als erster Vor¬
sitzender: Reg.-und Med.-Kat Dr. Loerch, als Schriftführer: Med.-
Hat Dr. Stühlen und als Kassierer: Dr. Wex jun.
Als Vertreter zur Vertreterversammlung der Bezirksvereine in Berlin
wurde der Unterzeichnete gewählt.
Der Vorsitzende übernahm nach der Vorstandswahl die weitere
Leitung der Versammlung. Er beglückwünschte den Kreismedizinalrat
Dr. Salgendorf zu seiner Ernennung als vollbesoldeter Kreismedizinalrat für
den Bezirk Geilenkirchen - Heinsberg. Der Vereinsbeitrag für das Jahr 1922
wurde auf 100 M. festgesetzt und beschlossen, den außerordentlichen Mitgliedern
des Vereins (pensionierte oder nicht mehr im Staatsdienst befindliche frühere
Aktive Mitglieder des Vereins, ferner kreisärztlich geprüfte nicht angestellte
Aerzte) den Beitrag auf Antrag bis zur Hälfte zu ermäßigen.
Bei der Besprechung der Amtsunkostenentschädigung wurde die in
182 Bericht Qber die Vers, des Vereins der Med.-Beamten der Prov. Sachsen.
Aussicht genommene Aufbesserung (bis höchstens 4200 M.) als völlig unzu¬
reichend betrachtet.
Der Vorsitzende bittet alsdann die Jahresberichte nur auf dem vor¬
gedrucktem Exemplar anzufertigen.
Nach einer längeren Aussprache über die neue Desinfektionsordnung
wurde die Versammlung um 7 1 /* Uhr geschlossen. Dr. Stühlen-Aachen.
Bericht über die Tagung d**s Arnaberger Bezirkgvereina
am 28. Januar 1922 in Bagen.
1. Dr. Wollenweber berichtet über den Vertretertag und die Vor¬
standssitzung in Berlin.
Als Bedingung für die Ausführbarkeit der Debernahme neuer Aufgaben
in der Gesundheitspolizei und Statistik wird vom Verein eine den tatsäch¬
lichen Bedürfnissen entsprechende, wesentlich höher zu bemessende Dienst¬
aufwandsentschädigung bezeichnet. Bei etwaigen Aenderungen des
Tarifs für die Gebühren wird möglichste Beschleunigung der Bekanntgabe
gewünscht.
Vorschläge bezw. Aenderung der Dienstanweisung sind zweckmäßig
an Wollenweber zu richten, der sie bearbeitet.
Der Jahresbeitrag wird auf M. 30.— für alle voll angestellten,
auch Kommunalärzte und auf M. 15.— für die Kreisassistenzärzte und siaats-
ärztlicb approbierten praktischen Aerzte festgesetzt. Dieser niedrige Betrag
ist nnr wegen Ueberscbüsse aus dem Vorjahr, infolge Uebernahme der Ver¬
treterkosten auf den Preußischen Medizinalbeamtenverein, möglich. Der Verein
erklärt sich gegen den Beitritt znm Berufsverein höherer Verwal¬
tungsbeamter, von dem er keinen Nutzen erwartet.
Ein loser Zusammenschluß der drei Bezirksvereine Westfalens zu einer
Provinzial Vereinigung ist geplant.
2. Entsprechend den neuen Satzungen des Preußischen Medizinalbeamten¬
vereins wird der Vorstand des Arnsberger Bezirksvereins neogewählt: Vor¬
sitzender: Med.-Kat Dr. Bliesener, Bochum, Stellvertreter: Dr. Broecker-
hoff, Hagen; Schriftführer: Dr. Wollenweber, Dortmund, Stellver¬
treter: Med.-Kat Dr. Koettgen, Dortmund.
Geheimrat Dr. Graeve-Hagen, der Wiederwahl zum Vorsitzenden ab-
lebnt, wird zum Ehrenvorsitzenden ernannt
3. Der Ministerial - Erlaß vom 14. 12. 21 betr. Ausbildung von
Kommunal- und Fürsorgeärzten hat mehrfach zu unberechtigter Beunruhigung
Anlaß gegeben. Die vorgeschriebene Ausbildung der Kreisärzte ist selbstver¬
ständlich, wie uns autoritativ versichert wird, der im Erlaß geforderten
gleichwertig. Dr. Wollenweber, Dortmund.
Bericht Aber die Winter-Versammlung der Hitglieder des
Vereins der Bedlzlnalbeamten der Provinz Sachsen ana
29, Januar 1922 in Halle a* 84. (Im Hanse der .Landwirte).
Anwesend waren 21 Mitglieder des Vereins. —
Die Versammlung war diesmal schon vor dem Frühjahr einberufen worden,
um zu den Beratungen und Beschlüssen der Vorstandsitzung und der Vertreter¬
versammlung, die am 13 Dezember 1921 in Berlin getagt haben, Stellung
nehmen zu köonen und gemäß der dort durch die Ministerial-Instanz gegebenen
Anregung Eotwürfe zu einer nenen Gebühren-Ordnung und einer Neubearbeitung
der Dienstanweisung durchzuberaten.
Nach einigen einleitenden Worten des Vorsitzenden, Med.-Kat Dr. Kluge-
Wolmirstedt, wurde in die Tagesordnung eingetreten.
I. Entwurf einer neuen Gebühren-Ordnung.
Die Berichterstatter, Med.-Kat Dr. Curtius-Stendal und Kreisarst
Dr. N e u b e 11 - Eisleben, behandelten in ausführlichem Vortrag das Thema,
ersterer in Bezug auf die allgemeinen Bestimmungen des Gebühren-Gesetzes,
letzterer unter Vorlage eines Entwurfs für einen neuen, den jetzigen Verhält¬
nissen angepaßten Tarif.
Bericht Ober die Vers, des Vereins der Med.-Beamten der Prov. Sachsen. 133
Es ist zwar eine angemessene erhebliche Erhöhung der Tarifsätze za
fordern, anderseits vor einer Ueberspannung dieser Sätze ans mehrfachen Zweck-
mäßigkeitsgrttnden za warnen. Die Bestimmungen der Abführbarkeit der gericht¬
lichen Gebühren sind dringend abzaändern; besonders für die vollbesoldeten
Kreisärzte am Sitze eines Landgerichts (ohne Gerichtsarzt) bedeuten die jetzigen
Bestimmungen eine außerordentliche Härte; die durch die gerichtsärztliche Gut¬
achtertätigkeit bedingte Mehrarbeit der Kreisärzte außerhalb ihrer Dienst¬
stunden und. die besonderen persönlichen Gefahren der Obduktionstätigkeit
machen eine anderweite Regelung unbedingt notwendig. Die Ungleichheiten
zwischen den Gebühren für staats- und gerichtsärztliche Tätigkeit müssen voll
beseitigt werden. Die Bemessung der Gebühren für die vertrauensärztliche
Tätigkeit der Kreisärzte soll keinesfalls nach der Gebühren-Ordnung für
approbierte Aerzte, sondern mit Rücksicht auf ien amtlichen l harakter dieser
Gutachten nur nach der kreisärztlichen Gebühren-Ordnung erfolgen dürfen.
Aus dem Entwurf für den neuen Tarif seien herausgehoben:
Abwartung eines gerichtlichen Termins bis zu 2 Standen usw. . 50 M.
Für jede angefangene V» Stunde mehr. 10 ,
Untersuchung behufs Vorbereitung eines im Termin zu erstattenden
Gutachtens in der Wohnung des Kreisarztes usw. ... 20 „
' außerhalb der Wohnung des Kreisarztes usw. 30 „
Mitwirkung hei einer Leichenschau usw. 50 „
Gerichtliche Leichenöffnung. 200 „
Bescheinigung der Todesursache zwecks Feuerbestattung ... 7ö „
Schriftliches Gutachten (Befundschein). 20 „
„ (Befandattest). 30 ,
„ (Begründetes Gutachten). 60—200 „
Kreisärztliche Gesundheitszeugnisse zu den verschiedenen Ver¬
wendungen im allgemeinen usw.. 30— 60 „
ln der eingehenden Besprechung wurde von mehreren Kreisärzten, be¬
sonders von Kreisarzt Dr. Hillen berg-Halle noch einmal dringend vor jeder
Ueberspannung der Forderungen bei Neuaufstellung der Gebühren-Ordnung ge¬
warnt; die dem Staat zukommenden Gebühren könnten soweit erhöbt werden,
als es mit dem Befangen des Publikums vereinbar ist, die den Kreisärzten
Verbleibenden Gebühren sind nur in einem mäßigen Grade zu erhöhen; auch
Kreisarzt Med.-Rat Dr. Bundt-Halle legte noch besonders die Bedenken
gegen einen überspannten Gebühren-Tarif dar. Kreisarzt Dr. Kraemer-Calbe
betonte, daß für gewisse amtliche Verrichtungen die jetzt im Tarif aufgeführten
Positionen zweckmäßigerweise ganz za streichen sind.
II. Abänderungen der kreisärztlichen Dienstanweisung.
Der Referent, Med.-Rat Dr. Poddey-Erfurt, entwickelte in einem aus¬
führlichen Vortrag die Ziele der erstrebenswerten Abänderungen; aus den
Leitsätzen seines Vortrages ist besonders hervorzuheben:
Die Verwaltung des Gesundheitswesens ist auf eigene Füße zu
stellen und damit in der Lokal-Instanz durch Schaffung von Kreisgesund¬
heitsämtern zu beginnen. In der Dienstanweisung wird als neuer Ab¬
schnitt „Bewegung der Bevölkerung, soziale Hygiene und Fürsorge“ auf-
f enommen. Es bleibt dem Kreisarzt auch bei Vorhandensein eines Kreis-
ommunalarztes die Pflicht, sich über alle Bestrebungen und Einrichtungen
auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge seines Amtsbezirks fortlaufend unter¬
richtet zu halten; er ist in allen Sitzungen der Ausschüsse und Aemter dieses
Gebietes der Kommanalverwaltung zu beteiligen. Die Berichterstattung des
Kreiskommunalarztes auf dem Gebiet der sozialen Hygiene und Fürsorge muß
durch die Hand des Kreisarztes geleitet werden.
Es ist dem Kreisarzt ein Büro zu stellen; die Kosten zahlt der Staat
“ach dem Verhältnis der amtlichen zur vertrauensärztlichen Tätigkeit. Das
Kreisgesundheitsamt kann räumlich mit der Gesundheits-Abteilung des Kreis-
Wohltahrtsamtes Zusammenhängen. Der Regierungs-Präsident kann anordnen,
daß die staatliche Verwaltungsbehörde des Kreises dem Kreisarzt Diesträume
“nd Schreibhilfe zu stellen hat.
Die Berufstätigkeit der Wohlfahrtspflegerinnen unterliegt der
Aufsicht des Kreisarztes; sie haben sich bei ihm an- and abzumelden.
ä
184
Besprechungen.
Der Kreierst ist befugt, mit allen Behörden, insbesondere den anderen
technischen Beamten seines Amtsbezirks direkt zu verkehren; in der gewerbe¬
hygienischen Tätigkeit muß dem Kreisarzt eine größere Freiheit in seiner
Beweglichkeit gegeben werden.
Die Ortspolizeibehörden haben seine Anordnungen zur Durch¬
führung zu bringen und sind verpflichtet, ihm über das Veranlaßte Mitteilung
zu machen.
Falls eine Aenderung der Seuchen gesetze unter anderem dahin¬
gehend, daß die Anzeigen an das Kreisgesundheitsamt zu richten
sind, zurzeit untunlich ist, so ist als Uebergang hierzu, die Anordnung zu er¬
lassen, daß die Adresse der Anzeige-Kartenbriefe lautet: „Durch das Kreis¬
gesundheitsamt an die Ortspolizeibehörde.“
In der sehr lebhaften Aussprache wurden die Foddeysehen Thesen
im wesentlichen gebilligt. Med.-Rat Dr. Bundt trat noch einmal energisch
für die Schaffung eines staatlichen Kreisgesundbeitsamtes ein; er betonte aber
wiederum die noch immer drohende Gefahr der Kommunalisierung. An der
weiteren Besprechung beteiligten sich besonders noch die Herren Dr. v. Ingers¬
leben- Quedlinburg, Dr. Cur tius-Stendal, Dr. Kuhn lein-Merseburg, Dr.
Kraemer-Calbe, Dr. Hillenberg-Halle und Dr. Rapmund-Qaerfurt.
III. Frage des Beitritts zum Berufs-Yerein höherer Reglern ngs-
beamter.
Der Referent, Med.-Rat Dr. Bundt-Halle, empfahl den Beitritt, falls
die Bedingungen auf Sitz im Vorstand, Schaffung einer eigenen Gruppe und
Dispens der Bchon pensionierten Beamten vom Beitritt bewilligt würden.
IY. Der Beitrag fUr den Provinzialverein wurde für das Jahr 1922
auf 80 M. festgesetzt. Die wesentlichen Erhöhungen der Beiträge für den
Preußischen Hanptverein infolge der außerordentlichen Verteuerung der Zeit¬
schrift und des beabsichtigten Beitritts zu dem Verein höherer Beamten wurden
auch seitens des Provinzialvereins als unbedingt notwendig anerkannt.
Y. Verschiedenes.
Es ist hier ein Antrag des Reg.- und Med.-Rats a. D. Dr. Herr man n-
Merseburg zu erwähnen: Im Interesse eines gedeihlichen Zusammenarbeitens
der Kreisärzte mit der Landesversicherungsanstalt Merseburg
künftighin bei Beratungen aus dem Gebiet der Invaliden- usw. Versicherung
dem Vorstand der L. V. A. Gelegenheit zur Teilnahme an den Beratungen zu
geben; die L. V. A. will in diesen Fällen einen Vertreter entsenden. Eine an¬
gemessene Erhöhung der Gebührensätze für die vertrauensärztlichen Gutachten
bei der L. V. A.-Merseburg wurde als unmittelbar bevorstehend in Aussicht
gestellt.
Nach Schluß der Sitzung waren die meisten Teilnehmer beim ein¬
fachen Essen noch einige Stunden in anregender Unterhaltung zusammen.
Die Tagungen der 3 Bezirksvereine (Magdeburg, Merseburg und
Erfurt) sollen auch im Sommer wieder zu einer gemeinsamen Tagung des
Provinzialvereins vereint werden, ohne daß dadurch die notwendigen be¬
sonderen Zusammenkünfte innerhalb der einzelnen Bezirksvereine irgendwie
eingeschränkt werden.
Calbe &. 8., den 14. Febr. 1922. Dr. Kraemer.
Besprechungen.
Dr. W. Prauznltx, a. o. Prof, der Bygiene in Graz. Grundzfige der
Hygiene. Für Studierende, Aerzte, Architekten, Ingenieure und Verwal¬
tungsbeamten. Elfte verbesserte Auflage. Mit 289 Abbildungen. München
1920. Verlag von J. F. Lehmann. Gr. 12°; 761 S. Preis: geh. 20 M.,
geb. 23 M.
Das allgemein beliebte Lehrbuch, das nunmehr schon in seiner 11. Auf¬
lage erschienen ist, ist an dieser Stelle schon verschiedentlich besprochen
worden, so daß ein kurzer Hinweis genügen dürfte. Bei der Bearbeitung hat
sich Verfasser von den gleichen Gesichtspunkten leiten lassen, wie früher; die
Anordnung deB Stoffes ist nicht geändert. Erheblich erweitert Mt der Ab-
Tagesnachrichten.
185
schnitt „Infektionskrankheiten“ und neu hinzu gekommen ein Abschnitt über
„Die soziale Tätigkeit des Arztes und das FQrsorgewesen“.
Auch die Neuauflage verdient der Empfehlung; wir wünschen ihr den
gleichen Erfolg, wie den früheren. Rpd.jun.
Dr. Franz Walter, Professor der Theologie in München: Die Sozialhygiene
in ihrem Verhftltniss zur Weltanschauung und Ethik. Sozialhygtenische
Abhandlungen, Nr. 5. C. F. Müllersehe Hofbuchhandlung, Karlsruhe L £.
1921. 8°; 44 8. Preis: geh. 7,70 M.
Das Thema wird von einem Theologen behandelt, einem Theologen, der
sich mit der Hygiene sehr genau beschäftigt und eine reichhaltige Literatur
(QueUenangabe in Fußnoten!; benutzt hat, um in scharfsinniger und außer¬
ordentlich fesselnder Weise darzulegen, wie Ethik und Hygiene in einem
Wechselverhältnis stehen, das nicht ohne Schaden für beide Teile gelöst
werden kann.
Daß die Weltanschauung vielfach in das Gebiet der Sozialhygiene hinein¬
greift, wird im I. Abschnitt gezeigt. Wie Sozialhygiene und Sozialpolitik das
gleiche Objekt, aber jede unter einer besonderen Rücksicht betrachtet, führt
Verfasser im II. Abschnitt aus. Der HI. Abschnitt zeigt, wie sich Sozial¬
hygiene und Ethik auf allen Gebieten menschlicher Bedürfnis-Befriedigung
begegnen. Wenn die gegensätzlichen Weltanschauungen die Entscheidung der
Frage, welche Ethik für die Sozialhygiene maßgebend sein soll, erschweren, so
ist, wie Verfasser im IV. Abschnitt ausführt, das Christentum nicht als Schäd¬
ling anzusehen, vielmehr als eine Weltanschauung des Optimismus von Bedeu¬
tung für die Sozialhygiene, die einen Optimismus nötig hat. Der Abschnitt V
befaßt sich mit dem Zusammenhang der Sozial- und Rassenhygiene. Die Er¬
tüchtigung des Nachwuchses erfordert sittliche Kräfte, wobei die Religion nicht
ohne Bedeutung sein kann. Solbrig.
Tagesnachrichten.
Das Bayerische Staatsministerlom hat unter dem 23. Dezember 1921
hinsichtlich der Wasserversorgung der Gemeinden eine Bekanntmachung
ergehen lassen, in der die Gemeinden dringend davor gewarnt werden, ihre
Wasserversorgungs-Unternehmungen unter Umgehung der Bezirks-Verwaltungs¬
behörden und des Landesamtes für Wasserversorgung durchzuführen, wie dies
verschiedentlich zum Schaden der Gemeinden, namentlich im Jahre 1921 mit
der hier einsetzenden außerordentlichen Trockenheit geschehen sei. Es wird
genauer der Weg angegeben und auf frühere in dieser Hinsicht erlassene Ver¬
ordnungen verwiesen, wie im einzelnen bei derartigen Vorhaben zweckmäßig
vorzugeben ist. Das genannte Landesamt ist in der Lage, kostenlos Entwürfe
aufzustellen, bei den Fragen der Geldaufnahme, des Grunderwerbs, der Ent¬
eignungsmaßnahmen usw. mitzuwirken, und zwar bei hinreichendem Personal
pünktlich alles zu erledigen. Die Gemeinden tun demnach gut, solche Anträge
für Inanspruchnahme des Landesamtes regelmäßig zu stellen und zwar jedes¬
mal durch Vermittlung der Bezirksämter.
(Nach „Wasser und Gas“, 1922, Nr. 19).
Für Württemberg ist der Entwurf eines Gesetzes über die berufliche
Vertretung der württemberglschen Aerzte bekanntgegeben, der zunächst einer
Vorbesprechung im ärztlichen Landesausschuß unterzogen werden soll, worauf
die Bezirks vereine nähere Nachricht erhalten werden. Im wesentlichen soU
nach dem Entwurf als berufliche Vertretung der württembergischen Aerzte ein
aus Abgeordneten der ärztlichen Bezirksvereine bestehender Landesausschuß,
>ls eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gelten. Jeder approbierte Arzt
muß Mitglied eines Bezirksvereins sein. Den Ehrengerichten sollen alle Aerzte,
also auch die beamteten Aerzte unterworfen sein, jedoch mit der Einschränkung,
daß die Dienstaufsichtsbehörde Einspruch gegen die Ladung beamteter Aerzte
Tor den Ehrenrat oder in sonst gegen sie getroffenen Anordnungen erheben darf.
In den Vereinigten Staaten Nordamerikas haben sich die haupsäch-
liebsten, auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege tätigen größeren
136
Tagesnhrichten.
privaten Vereinigungen einen National-Gesundheltsrat (National-Health Conncil)
gegründet, um durch gemeinschaftliches Zusammenarbeiten den weiteren Ausbau
der Öffentlichen Gesundheitspflege in den Vereinigten Staaten zu fördern.
Besondere Ministerien für öffentliche Gesundheitspflege sind in
jüngster Zeit eingerichtet in Canada, Südafrika) Australien und Japan.
An der sozialhygienischen Akademie Charlottenburg wird im Sommer
1922 vom 24. April bis 29. Juli ein sozialhygienischer Vollkursus zur
Vorbildung von Kreis«, Kommunal-, Schul- und FUrsorgeärzten stattfinden.
Der Lehrgang entspricht den Prüfungsbestimmungen für Kreisärzte, ebenso
die nebenbei fakultativ abgebaltenen dreimonatigen Sonderkurse in patho-
logischer Anatomie, Bakteriologie nnd Hygiene sowie gerichtlicher Medizin.
Aerzte können auch Eiuzelvorlesungen als Gasthörer besuchen. Anfragen and
Meldungen sind möglichst bald an das Sekretariat im Krankenhaus Charlotten-
burg-Westend, Spandauerberg 16/16, zu richten, das auch mit Bilfe des Woh¬
nungsamts geeignete Wohnungen vermittelt.
Die diesjährige Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für:
Volksbäder findet am Mittwoch, den 16. März, mittags 12 Uhr, in.
Berlin-Dahlem (Preußische Landesanstalt für Wasserbygiene, Ehrenberg¬
straße 38/42) statt. Auf der Tagesordnung stehen außer geschäftliche
Angelegenheiten folgende Vorträge:
a) Dr. B ü r g e r: Ueber Filterung, Chlorung und Wiederverwendung dea
Wassers von Schwimmbädern, b) Prof. Dr. Wilhelmi: Die unbelebten und
belebten Schwebestoffe des gechlorten Wassers der Hallenschwimmbäder.
(Mit Lichtbildern.) c) Heg -Baumeister, Prof. Dr. ing. Reicble: Ueber Ge¬
winnung und Behandlung von Wasser für Schwimmbäder. d) Iagenieur B o h n r
Praktische Gesichtspunkte für Schaffung von Bademöglichkeiten unter den
jetzigen Verhältnissen.
Nach Besprechung der Vorträge findet eine Kaffeepause (Ein¬
ladung der Gesellschaft) statt und im Anschluß daran unter Leitung von
Geh. Med.-Rat Dr. Beninde: Besichtigung der Landesanstalt für Wasser¬
hygiene mit vorangehender, kurzer Erläuterung über Zwecke und Ziele.
Die allseitige Ablehnung des Bad-Jo als eines marktschreierisch ange¬
priesenen, aber hinsichtlich seiner Wirkung in keiner Weise der Anpreisung
entsprechenden Mittels ist erfreulicherweise jüngst auch einmütig auf der
Tagung des Preußischen Hebammen-Verbandes am 16. Dezember 1921 in Köln
durch eine Entschließung erfolgt. Hiernach lehnt die preußische Hebammen¬
schaft jegliche Verwendung des Rad-Jo ab.
Preus sischer Medizinalbeamten verein.
Kreisarzt Dr. Wollenweber —Dortmund, Südwall36I—
bittet alle Kollegen, ihm etwaige Wünsche zur Abänderung der
Dienstanweisung möglichst beschleunigt mitzuteilen.
Berichtigung. Im ersten Absatz Zeile 13 meines kleinen Aufsatzes
„Nicht Oberregierungsrat?" in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift
ist beim Druck ein den beabsichtigten Sinn völlig entstellender Fehler ent¬
standen; es soll nach der Handschrift heißen „gewissermaßen wegen Dementia
postcox gewaltsam pazifiziert" (natürlich nicht „praecox"). Borntraeger.
Verantwortlich für die SchrlfUeitong: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig-, Reg.- n. Med.-Rat ln Bresluu
Breslau V, RbedigeratraBe 84. Druck tob J. C. 0. Bruns, Minden 1. W.
Zuifesobrili ihr MeuliztoftlbwMUte.
titM VtslnfeküfrtnHßüäct .... ,
l>r, 8«b«irt*rJ lieber die . ^
tafb*«’kttl6*en iurrt ufs ' ),V /; •?'■ 'V. H";••
IW. Dr ; KiwUi»; <Ziu «Tm^c räi-t ;3Dc»*-,
fafoktion d*» tubff^Swta
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KechUvrcohun* . .
Weriif*ln Ai^eteg&Ung c^u*• >
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Sir&ttie; B*,W- Tirtt’feto'ocw * : „
E- -SteSH* **&* Pretfi*
»nf^rdaang uod dte Xuinnft
Fisraon&lien.
Duatsehan »®ir.fe and Trntunten.
Ernannt: Kreiflnjwdmaalrafc Br. Pachnio in Bad Homburg aflua
ütwwräches Kreisarzt io Usingen; Dr. Pieper aas öamoczia zum *Ereis-
taozarvt üt Proatkeo; Krasaasistenzarzt Dr. H ae r t * l io Proatken zum
hiflsariacbeu Kreis-Med.-Bat in Ort ebtWrg.
Gestorbeit: Keg.- u. Med.-Rat Dt. J a » Ö e a 1« Stade; G-ah. tted^Rftt
Racioe io Essen, Kreisarzt ft. D.t KrebieiödixiBaSr&t Dr, Ballinger
sing*« i Kreismedi*soalrat Dr. E b I e r$ in Laugijasalz«. ; KreismedMnairat
jtosoik«!, Medininalrat io Schbolank* uod Krtfemediainairat Dr. Q.erlieh
taahr&ek.
»ayura. s - ;,
Emonnatr Oberarzt sw* der Heil- and PilegeaoataU in Deggendorf Dr.
rler zum LandgericbtaAfÄt beim Landgericht München I; Dr, Stendel
tegensburg zum Bazirksarzt in SUeabaßh; Dr. ÖcbUfltoe in Augsburg
Besirfczarzt io Scheinfetd. • v : ;:.. : ,.''. ,
Verabschiedet *»( eigens» (Jesnehi Bezirksarzt Dr. KJeninger»
pothofen.
Kestorbeni Bezirksarzt Dr. Eoaeosperger i« Kemnatb.
Toramftn
(Trichlorbutylmalonsaures Ammonium D. R, P.)
wirkt stark herabsetzend auf die Erregbarkeit
des Atmungs- und Verdauungsapparate«,
ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
Praktisch be- FTugf />n fast J e ^* r Art and Entetalrang
«rührt gegen ÖMsMwCMt sowie gegfen nervöse Stürun«
gen der Maßen- und Dormtätigk^lt wie Aufstoßen,
Sodbrennen, Magen- und Dainmenralgien, Uebelkeit, Ehrbrechen
Hypereioeoi» gfaTidarmn).
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Zentral blatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
Herausgegeben von
Med.- Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München,
Geh. Med .-Rat Prof. Dr. Pfeiffer - Brest an, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pappe-
Breslau, Kreisarzt Dr. O. Rapmund - Qucrfnrt, Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Göttingen, Prof. Dr. Sieveking-Hamburg,
Geh. Med.-Rat Dr.Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Straßmann-Berlin
und Kreisarzt Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Schiiftleltuntf: Verlag:
leb. HoL-Rat Dr. Solbrlg, Hscber’s med. Bocbhandloog B. Kornfeld,
lag.- ■, lad.-Rat ln Braslai. larlta V. 62, KalthstraN 5.
Bezugspreis für das Jahr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M.
Nr. 6.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monats
| 20. März^
Bemerkungen zn den Kritiken
der nenen preussischen Desinfektionsordnung.
Von Professor Dr. Otto Lentz, Geh. Ober-Med.-Rat und Ministerialrat
im Ministerium für Volkswohlfahrt.
Die neue preußische Desinfektionsordnung vom 8. Februar
1921 ist, wie nicht anders zu erwarten war, in einer ganzen
Anzahl von Besprechungen einer eingehenden Kritik unter¬
zogen worden. Wenn auch die meisten Autoren anerkennen,
daß der Erlaß des Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt einen
erheblichen Fortschritt gegen früher bedeutet, so haben doch
alle an Einzelheiten der Desinfektionsanweisungen und der
Ausführimgsbe8timmungen mehr oder weniger auszusetzen. Auf
die wichtigsten Einwendungen möchte ich im Folgenden ein-
gehen. Eine grundlegende Würdigung wird der Erlaß erst finden
können, wenn hinreichende Erfahrungen über die Wirksamkeit
der neuen Vorschriften vorliegen.
Flügge 1 ), Engelsmann*) und v. Vagedes 9 ) sind
nicht damit einverstanden, daß der Erlaß der neuen Vorschriften
*) Die Ziffern beziehen sich auf diejenigen des Literaturverzeichnisses am
Ende der Arbeit.
4
138
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zn den Kritiken
damit begründet wird, daß in den letzten Jahren die laufende
Desinfektion immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und
deshalb die Neubearbeitung der Desinfektions Vorschriften not¬
wendig geworden sei. Sie weisen demgegenüber darauf hin,
daß schon in den Ausführungsbestimmungen zum Gesetz betr.
die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten vom 28. August
1905 auf die Bedeutung der laufenden Desinfektion mit allem
Nachdruck hingewiesen und bestimmt worden ist, daß die
laufende Desinfektion während der ganzen Dauer der Krankheit
durchzuführen ist.
Den verantwortlichen Redakteuren des Ministerialerlasses
vom 8. Februar 1921 war selbstverständlich diese Bestimmung
bekannt. Sie gründete sich auf die bei der systematischen
Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches gemachten Er¬
fahrungen, die z. Z. der Ausarbeitung der Ausführungsbestimm¬
ungen zum preußischen Seuchengesetz bereits Vorlagen. Wir
haben auch damals im Gebiete der Typhusbekämpfung mit
bestem Erfolge von diesen Bestimmungen Gebrauch gemacht,
ebenso einige große Städte, wie Berlin, Breslau, Cöln, Frank¬
furt a. 0., bei der systematischen Bekämpfung der Diphtherie
durch sogenannte Diphtherie- oder Seuchenschwestern, aber
im ganzen übrigen Preußen waren sie wohl zumeist, wie
Seligmann 7 ) richtig sagt „auf dem Papier“ geblieben. Es
galt, die Durchführung der laufenden Desinfektion neu zu be¬
leben und klar zu sagen, wie und durch welche Personen sie
ausgeführt werden soll.
Wenn Sarganek 5 ) und Engelsmann*) glauben, die Durch¬
führbarkeit dieser neuen Bestimmung schon in der kleinen Stadt,
besonders aber auf dem Lande in Zweifel ziehen zu sollen, so
möchte ich ihnen entgegenhalten, daß wir bereits im Jahre 1904
im Gebiete der systematischen Typhusbekämpfung die regel¬
mäßige Kontrolle der laufenden Desinfektion am Krankenbette
durch die Desinfektoren bei Typhus und später auch bei der
Ruhr selbst im abgelegensten Hochwalddorf durchgeführt haben.
M. E. sollte das, was uns in jenem Gebiete mit Hilfe der dortigen
Kreisärzte gelungen ist — selbstverständlich nach Ueberwindung
mancher bald größerer, bald geringerer Schwierigkeiten —,
auch in Pommern und Schleswig-Holstein für jeden tüchtigen
Medizinalbeamten möglich sein.
Da es aber nunmehr an der Zeit ist, die bei der Typhus¬
bekämpfung gemachten Erfahrungen auch für die Bekämpfung
der anderen übertragbaren Krankheiten nutzbar zu machen,
so war es nur folgerichtig, die Kontrolle der laufenden Des¬
infektion für alle im Gesetz genannten übertragbaren Krank¬
heiten vorzuschreiben. Hierzu reicht aber die Zahl der vor¬
handenen staatlich geprüften Desinfektoren nicht entfernt aus.
Das Nächstliegende ist daher, hierzu auch die in der Kranken¬
pflege tätigen Personen mit heranzuziehen. Auf die Frage,
ob hierdurch den Desinfektoren, wie manche m. E. mit Unrecht
annehmen, ein sie in ihrem Berufe schädigender Wettbewerb
der neuen preußischen Desinfektionsordnung.
139
f
durch die Schwestern erwächst, werde ich später im Zusammen¬
hang mit anderen die Schwestern und Desinfektoren berühren¬
den Fragen erörtern.
Sarganek 6 } sagt in der Einleitung seiner Besprechung,
daß „die neue Desinfektionsordnung es dem pflichtmäßigen
Urteil des Kreisarztes überläßt, ob er nach Lage des 'Falles
eine Schlußdesinfektion überhaupt noch für angezeigt erachtet
oder nicht.“ Dies steht nun, abgesehen einzig von der Des¬
infektionsanweisung für die Körnerkrankheit, an keiner Stelle
der Desinfektionsanweisungen oder der Ausführungsbestim¬
mungen. Eine ähnliche Auffassung spricht aber auch aus den
Angaben von Schild 10 ) und Mitteilungen, die auf dem dies¬
jährigen Desinfektorentag in Berlin 1 *) gemacht wurden des
Inhalts, daß wegen der Einschränkung der Schlußdesinfektion
Desinfektoren von manchen Kommunen entlassen werden sollten.
Endlich bricht auch Flügge eine Lanze dafür, daß in jedem
Falle eine Schlußdesinfektion ausgeführt werden müsse. Also
auch er ist der Ansicht, daß die neue Desinfektionsordnung
aulasse, daß die Schlußdesinfektion unterbleiben könne. Er
führt auch den Satz an, der ihn zu dieser Auffassung veranlaßt
hat; er steht in den Ausführungsbestimmungen am Schluß des
14. Absatzes und besagt, „die Bevölkerung möge darüber auf¬
geklärt werden, daß die von ihr oft als unbedingter Gesund¬
heitsschutz betrachtete Schlußdesinfektion durch die rechtzeitige
und zweckmäßige laufende Desinfektion ersetzt wird.“
Ich muß zugeben, daß dieser Satz aus dem Zusammen¬
hang herausgenommen geeignet ist, die erwähnte falsche
Auffassung zu erzeugen. Im Zusammenhang gelesen
kann er aber m. E. zu Mißdeutungen schon deshalb keinen
Anlaß geben, weil wenige Zeilen zuvor, im Absatz 11 des
Erlasses, ausdrücklich gesagt worden ist, daß überall da, wo
eine Schlußdesinfektion nicht schon von einer in der Desinfektion
ausgebildeten Pflegeperson oder einem Desinfektor als Abschluß
der laufenden Desinfektion ausgeführt wurde, „ihre Durchführung
von der Ortspolizeibehörde möglichst sofort nach erfolg¬
ter Meldung der Verbringung des Kranken in ein Kranken¬
haus, der Genesung oder des Todes anzuorden“ sei. Hierdurch
ist doch klar ausgesprochen, daß eine Schlußdesinfektion in
jedem Falle auszunihren ist. Der Schlußsatz des Absatzes 14
sollte nur erklären, weshalb wir in den Fällen, in denen eine
gute laufende Desinfektion durchgeführt wurde, die Schlu߬
desinfektion sehr viel einfacher gestalten können, als dies früher
angezeigt schien. Zweckmäßiger und sinngemäß muß der Schluß
des Satzes die Fassung erbauen: „Daß die laufende und die
Sohlußdesinfektion je ihre besondere, wertvolle Aufgabe hat
und daß die erstere, wenn sie rechtzeitig und zweckmäßig
durchgeführt wird, der letzteren wirksam Vorarbeiten kann.“
Daß es sich bei der Schlußdesinfektion, auch wenn eine
laufende Desinfektion vorhergegangen ist, nicht lediglich um
»gründliche Säuberung“ handeln darf, wie Engelsmann 1 )
140
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken
meint, sondern um eine Desinfektion nach den in den Des¬
infektionsanweisungen enthaltenen Vorschriften, ist in der Aus¬
führungsanweisung klar zum Ausdruck gebracht. Nach den¬
selben Vorschriften hat aber auch der geprüfte Desinfektor die
Schlußdesinfektion durchzuführen, wenn er vom Kreisarzt hierzu
besonders beauftragt wird. Es ist deshalb falsch, wenn in den
verschiedenen Besprechungen von einer „vereinfachten Schlu߬
desinfektion durch die Pflegeperson oder dem mit der Kontrolle
der laufenden Desinfektion betraut gewesenen Desinfektor*
gegenüber einer „verschärften“ Schlußdesinfektion durch den
vom Kreisarzt hiermit besonders beauftragten Desinfektor ge¬
sprochen wird. Von einer „verschärften Desinfektion“ können
wir nur in den Fällen sprechen, in denen der behandelnde
oder der beamtete Arzt unter besonderen Verhältnissen die
Desinfektion des ganzen Krankenzimmers und aller in ihm ent¬
haltenen Gegenstände, erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme
von Formaldehyd und der Dampfdesinfektion für notwendig hält.
Engelsmann 4 ) wirft ferner die an sich berechtigte Frage
auf, wie „man die Nachricht von der Beendigung der Krank¬
heit“ erhält. Er fordert „eine Bestimmung, daß der behandelnde
Arzt und alle sonst im § 2 des preußischen Gesetzes vom
28. August 1905 genannten Personen der Ortspolizeibehörde,
nach unserer Forderung dem Kreisärzte zu melden haben,
wann der Kranke 1. genesen, 2. die Behausung gewechselt hat,
8. in ein Krankenhaus gebracht wurde.“
Die Meldung zu 2 und 3, und zwar an die Polizeibehörde,
ist bereits durch § 1 Abs. 2 des genannten Gesetzes vorge¬
schrieben. Eine Bestimmung im Sinne der Forderung zu 1
sieht das Gesetz nicht vor, sie könnte nur auf gesetzlichem
Wege erreicht werden, wenn anders sie nicht wirkungslos
bleiben soll. Ich glaube aber, daß wir sie auch weiterhin
werden entbehren können, da der Kreisarzt die Mitteilungen
über die Genesung des Kranken teils durch die mit der Aus¬
führung der laufenden Desinfektion betrauten Personen, teils
auf dem Wege persönlicher Verständigung mit den im Kreise
behandelnden Aerzten leichter wird erhalten können, als wenn
auch für diese Fälle eine neue Meldepflicht durch einen neuen
Gesetzesparagraphen geschaffen würde.
Auch legen die Ausführungsbestimmungen den behandeln¬
den Aerzten nahe, wie sie auch die laufende Desinfektion be¬
antragen können, so auch nach Ablauf der Krankheit die Aus¬
führung der Schlußdesinfektion bei der zuständigen Polizei¬
behörde zu veranlassen. Diese Vorschrift entspricht einer aus
Aerztekreisen unmittelbar dem Ministerium gewordenen An¬
regung, die wir als einen Ausdruck des Willens zur Mitarbeit
und Mittragung der Verantwortung bei dem Kampfe gegen die
Infektionskrankheiten nur freudig begrüßen können. Es ist
daher auch anzunehmen, daß die praktischen Aerzte gern von
dieser Möglichkeit Gebrauch machen und so an ihrem Teile
dazu beitragen werden, daß die Schlußdesinfektionen in Zukunft
der neuen preußischen Desinfektionsordnung. 141
schneller als es bisher manchmal der Fall war, ausgeführt
werden.
Das erstrebenswerte Ziel ist und bleibt ja nach wie vor,
daß alle an einer übertragbaren Krankheit Leidenden behufs
Isolierung in ein Krankenhaus überführt werden und in jedem
Palle, soweit wir die Erreger der Krankheit kennen, nach er¬
folgter klinischer Genesung die bakteriologischen Schlußunter¬
suchungen gemacht werden; dann hätte der Kreisarzt die beste
Handhabe, den Zeitpunkt der bakteriologischen Genesung — und
dieser ist ja für die Vornahme der Schlußdesinfektion der aus¬
schlaggebende — selbst zu bestimmen.
Großen Widerspruch von seiten Engelsmanns 2 , 8 , 4 ),
Rapmunds 17 ) und besonders aus den Kreisen der Desinfek¬
toren 1 *) hat die Auswahl der in den Desinfektionsanweisungen
genannten Desinfektionsmittel hervorgerufen; und besonders die
Empfehlung des Sublimats in 1 und 5°/ 00 iger Lösung wird
von einigen geradezu mit Entrüstung zurückgewiesen. Dem¬
gegenüber sei, wie ich das bereits an anderer Stelle ,4 ) erwähnte,
□och einmal betont, daß die in den Desinfektionsanweisungen
genannten Mittel so ausgewählt sind, daß da, wo es gewünscht
wird, eine vollkommen geruchlose Desinfektion gewährleistet
werden kann. Doch wird in den Ausführungsbestimmungen
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch andere in bezug auf
ihre desinfizierende Wirkung und praktische Brauchbarkeit
erprobte Mittel angewendet werden dürfen; jedoch müssen ihre
Mischungs- und LösungsVerhältnisse sowie ihre Verwendungs¬
weise so gewählt werden, daß nach dem Gutachten des be¬
amteten Arztes der Erfolg ihrer Anwendung einer Desinfektion
mit den in den Anweisungen genannten Mitteln nicht nach¬
steht. Es steht also hiernach jedem Desinfektor frei, im Ein¬
verständnis mit dem zuständigen beamteten Arzt andere wie
die in den Desinfektionsanweisungen genannten Mittel anzu¬
wenden, sogar die 6°/ 00 ige Sublimatlösung, deren Ersatz bei
der Desinfektion bei Tuberkulose in den Ausführungsbestira-
mungen mangels geeigneter gleichwertiger und billiger Mittel
noch als schwierig bezeichnet werden mußte, kann heute nach
den Mitteilungen Uhlenhuths 16 ) durch 4°/oiges Alkalysol
und 8 bis 5°/ 0 iges Parmetol*) ersetzt werden.
Aber selbst wenn wir diesen Ersatz nicht inzwischen er¬
halten hätten, könnte ich die von den Gegnern des^Sublimats
geäußerte Furcht vor der Giftigkeit dieses Präparats nicht als
berechtigt bezeichnen. Müssen doch eine große^Zahl von Aerzten
vor chirurgischen Operationen oder nach dem Hantieren mit
infektiösem Material tagtäglich wiederholt ihre Hände mit
Sublimat desinfizieren. Und selbst, wenn einmal versehentlich
jemandem ein Tröpfchen oder nach dem Desinfizieren der Zahn-
*) Nach den nenesten Vorschriften Uhlenhnths soll 5, # / 0 iges Alkalysol
und 5°/ 0 ige8 Permetol mit je 4 ständiger Einwirkungsdauer verwandt werden.
(Anmerkung bei der Korrektur.)
142
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen za den Kritiken
bürste mit Sublimat ein Spürchen Sublimat in den Mund gerät,
so wird der betreffende noch nicht davon krank. Ich möchte
Herrn Kollegen Engelsmann*) gegenüber, der ja selbst ein¬
mal Bakteriologe war, erwähnen, daß ich, als mir beim Arbeiten
mit frischer hochvirulenter Cholerakultur eine Aufschwemmung
dieser Kultur beim Pipettieren in den Mund geriet, un¬
bedenklich den Mund mehrmals mit 1 °/ 00 iger Sublimatlösung
ausgespült und mit ihr gegurgelt habe, ohne weiteren Nachteil,
als daß ich danach einige Stunden lang einen metallischen
Geschmack und eine leichte Salivation hatte
Das Sublimateccem an den Händen, das bei mir nach reich¬
lichem Desinfizieren der Hände mit Sublimatlösung leicht auf-
tritt, habe ich durch täglich einmaliges Einreiben der Hände
mit einer Mischung von Spiritus rectificatus mit Glycerin zu
gleichen Teilen schnell beseitigen und dann dauernd hintan¬
halten können.
Unter keinen Umständen kann ich aber zugeben, daß die
Vorschrift, daß zu den Desinfektionen auch Sublimat verwandt
werden soll, den Selbstmördern Vorschub leistet. Den Selbst¬
mordkandidaten stehen heute eine so große Zahl von Mitteln
und Methoden, sich aus diesem Dasein hinauszubefördern,
zur Verfügung, daß sie nicht auf das Sublimat besonders ange¬
wiesen sind, anderseits ist aber das Sublimat in diesen Kreisen
nicht sonderlich beliebt, weil es gegenüber anderen Giften ver¬
hältnismäßig langsam wirkt und den Tod nur unter großen
Beschwerden und Schmerzen herbeiführt.
Engelsmann 8 ) glaubt auch, auf einen Widerspruch
zwischen der Besprechung der Berichte, die die Oberpräsidenten
auf den Ministerialerlaß vom 24. Dezember 1916 über die Des¬
infektion tuberkulösen Auswurfs erstattet haben, und dem Erlaß
vom 8. Februar aufmerksam machen zu sollen. Dieser Wider¬
spruch ist ohne praktische Bedeutung. Die Berichte der Ober¬
präsidenten und auch ihre Besprechung gehen von der Vor¬
aussetzung aus, daß unter allen Umständen angestrebt werden
müsse, auch die im Innern der festen Sputumballen enthaltenen
Tuberkelbazillen abzutöten. Bei den Beratungen über die neuen
Desinfektionsanweisungen vertraten aber die zu ihnen hinzu-
gezogeneu Fachgelehrten den jüngst wieder von Flügge 1 ) aus¬
gesprochenen Grundsatz, daß die Desinfektion dem praktischen
Bedürfnis Rechnung tragen müsse, und man da, wo die sichere
Abtötung der Infektionskeime Schwierigkeiten macht, anderer¬
seits eine Infektion durch die bei der Reinigung fortgeschafften
Keime gegenüber anderen Infektionsmöglichkeiten völlig in den
Hintergrund tritt, auf die restlose Abtötung der Keime ver¬
zichten und sich mit ihrer einwandfreien Beseitigung begnügen
könne. Dieser Grundsatz wurde in Anbetracht der Schwierig¬
keiten, die die Abtötung der Tuberkelbazillen im Innern von
festen Sputumballen durch Desinfektionsmittel macht (die Ab¬
tötung durch Kochen ist nicht überall durchführbar), lediglich
für die Desinfektion tuberkulösen Sputums, hier aber auch un-
der nepen preußischen Desinfektionsordnung.
148
bedenklich, als maßgebend, und demgemäß die Desinfektion
mit 5 °/oo iger Sublimatlösung als ausreichend bezeichnet. In
der Tat kann auoh die Beseitigung des sublimatgetränkten Inhalts
des Speiglases eines Tuberkulösen, auch wenn im Innern der
Sputumballen noch lebende Tuberkelbazillen enthalten sind,
praktisch als einwandfrei angesehen werden, wenn er in das
Closett, die Abortgrube oder auf den Misthaufen entleert wird.
Denn daß von hier aus unmittelbar oder auf dem Umwege über
das Feld Tuberkelbazillen wieder in einen Menschen gelangen und
ihn infizieren könnten, würde, wenn es überhaupt vorkäme,
gegenüber den sonstigen Infektionsmöglichkeiten eine ver¬
schwindend geringe Rolle spielen.
Da wir aber jetzt in dem von Uhlenhuth empfohlenen
Alkalysol und Pärmetol Desinfektionsmittel besitzen, die auch
die im Innern von Sputumballen enthaltenen Tuberkelbazillen
abzutöten vermögen und zudem den Vorzug der Billigkeit haben,
so werden wir ihnen selbstverständlich den Vorzug vor dem
Sublimat geben.
Unverständlich ist mir, daß, wie Engelsmann 3 ) meint,
die Stellung der Kreisärzte dadurch erschüttert werden könnte,
daß bei der Anordnung der Desinfektion, der laufenden sowohl,
als auch der Schlußdesinfektion (nicht bei der Schlußdesinfektion,
wie Engelsmann schreibt), den Wünschen des behandelnden
Arztes, soweit irgend möglich, Rechnung getragen wird.
Ich habe eine höhere Meinung von den preußischen Kreis¬
ärzten und ihrer Stellung und glaube nicht, daß ihrem Ansehen
der geringste Abbruch getan wird, wenn ein gewissenhafter
praktischer Arzt, der ja auch im Staatsexamen sich über seine
Kenntnisse in der Hygiene und der Seuchenbekämpfung hat
ausweisen müssen, bei der zuständigen Polizeibehörde den Antrag
auf Einleitung der laufenden Desinfektion stellt, falls er bei
einem Patienten die Ueberzeugung gewonnen oder den Ver¬
dacht hat, daß er an einer übertragbaren Krankheit leidet,
oder wenn er die Ausführung der Schlußdesinfektion veranlaßt,
sobald sein Patient in ein Krankenhaus gebracht, gestorben
oder nach klinischer Genesung seiner Ueberzeugung nach nicht
mehr infektiös ist. Er ist doch derjenige, der bei seinem
Patienten zuerst die Krankheit feststellen soll und der auch
meist über die anderen genannten Momente unterrichtet ist,
sodaß er — zunächst noch mit einer Einschränkung hinsicht¬
lich des Zeitpunktes der bakteriologischen Genesung — besser
als jeder andere in der Lage ist, aen für die Ausführung der
Schlußdesinfektion geeigneten Zeitpunkt zu bestimmen und so
zu verhüten, daß die Schlußdesinfektion infolge zu später Aus¬
führung „zu einer Komödie wird“.
Meiner Ueberzeugung nach — und hierin weiß ich mich
in Uebereinstimmung mit den meisten preußischen Medizinal¬
beamten — ist die erfolgreiche Durchführung der Seuchen¬
bekämpfung ohne die freudige und verständnisvolle Mitarbeit
der praktischen Aerzte nicht möglich. Von dieser Ueberzeugung
144
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken
habe ich mich stets leiten lassen und habe mich immer bemüht,
mir^die Mitarbeit der behandelnden Aerzte zu sichern. Dabei
war es für mich selbstverständlich, daß ich den Wünschen der
Herren Kollegen, soweit ich es irgend konnte, Rechnung trug.
Von wenigen Ausnahmen, die mich aber in meiner Ansicht
nicht irre machen können, abgesehen, habe ich es nicht zu be¬
reuen gehabt, meiner Ueberzeugung gemäß gehandelt zu haben.
Unsere praktischen Aerzte haben oft genug den Beweis
geliefert, daß sie gern bei der Seuchenbekämpfung mitarbeiten,
und durch ihre Aufmerksamkeit und rechtzeitige Meldung ge-.
fährlicher Seuchenausbrüche — ich erinnere nur an das Vor¬
kommen von Cholera, Pocken und Fleckfieber in den letzten
20 Jahren — dazu beitragen haben, daß größere Epidemien ver¬
hütet werden konnten. Deshalb sollten wir Medizinalbeamten uns
nicht durch engherziges Pochen auf unsere Zuständigkeit unsere
besten Helfer im Kampf gegen die Seuchen vergrämen. Uns
bleibt noch genug des Wichtigen zu tun, dessen gewissenhafte
Erfüllung unsere Stellung und unser Ansehen zu heben geeignet
ist. Der tüchtige Kreisarzt wird auch trotz der Mitwirkung
der praktischen Aerzte der eigentliche Spiritus rector der
Seuchenbekämpfung in seinem Kreise bleiben. Bringen wir es
so durch verständnisvolles Entgegenkommen dahin, daß uns
die praktischen Aerzte bei der Seuchenbekämpfung freudig
unterstützen, dann werden wir es allmählich auch erreichen,
daß sie sich schließlich auch daran gewöhnen, die Festsetzung
des Zeitpunktes für die Schlußdesinfektion nach der Genesung
des Kranken von dem Ausfall der Schlußuntersuchungen ab¬
hängig zu machen.
Verständlicher ist schon das Bedenken Engelsraanns 9 )
gegen die Vorschrift, daß der Kreisarzt die Schhißdesinfektion
durch einen staatlich geprüften Desinfektor im Benehmen
mit dem behandelnden Arzt anordnen kaDn, auch wenn
die laufende Desinfektion von einer in der Desinfektion ausge¬
bildeten*) Schwester durchgeführt oder kontrolliert wurde. Diese
Schlußdesinfektion soll in der Regel angeordnet werden, bevor
noch von der Person, die die laufende Desinfektion ausgeführt
oder kontrolliert hat, die Schlußdesinfektion angeschlossen ist,
um eine doppelte Schlußdesinfektion zu vermeiden. Und weiter
soll sie nur in besonderen Fällen angeordnet werden, in denen
die Desinfektion mit Formalin oder im Dampfdesinfektions¬
apparat notwendig wird, oder in denen wegen der Größe oder
der Zahl der zu desinfizierenden Räume (Verkaufsräume, Alum*
*) Ich möchte hier bemerken, daß „staatlich geprüft" and „ausgebildet*
keinen Gegensatz bedeutet, wie Engelsmann*) vermutet. Es soll durch
diese verschiedene Bezeichnung nur zum Ausdruck gebracht werden, daß der
staatlich geprüfte Desinfektor in seinem 14 tägigen Kurs auch in der Ausführung
der Formalindesinfektion und der Handhabung des Dampfdesinfektionsapparats
ausgebildet wird, die in der Desinfektion ausgebildete Schwester in ihrem
8 tägigen Kurs jedoch nicht. Es gibt aber auch vereinzelte Schwestern, die
nach 14 tägigem Kurs das Zeugnis als staatlich geprüfter Desinfektor erhalten
haben.
der neuen preußischen Desinfektionsordnung.
146
nate, Gefängnisse und dergl.) oder wegen besonders unsauberer
Verhältnisse die Schlufldesinfektion mit besonderer körperlicher
Anstrengung verbunden ist. Hier hat die Mitwirkung des be¬
handelnden Arztes eine etwas andere Bedeutung als in den
vorher erwähnten Fällen. Die Desinfektion ist im allgemeinen
bei der Bevölkerung noch nicht sonderlich beliebt. Immerhin
werden die Angehörigen eines eben Genesenen nichts dagegen
haben, wenn die Person, die die laufende Desinfektion durch¬
geführt oder kontrolliert hat, auch gleich die Schlußdesinfektion
vomimmt, die ihnen trotz der Verwendung von Desinfektions¬
mitteln doch im wesentlichen als ein abschließendes Großreine¬
machen erscheint. Aber sie werden es doch vielleicht als eine
besondere Unbequemlichkeit empfinden, wenn ein ihnen bisher
unbekannter Desinfektor nun das Krankenzimmer mit Formalin
ausräuchern und gar ihre Betten und Kleider zur Desinfektion
im Dampfdesinfektionsapparat mitnehmen soll. Mit dieser ein¬
schneidenderen Maßnahme werden sie sich eher einverstanden
erklären, wenn der behandelnde Arzt, der doch in allen mit der
Krankheit zusammenhängenden Fragen ihr Vertrauen besitzt,
mit der Vornahme dieser „verschärften Desinfektion“ einver¬
standen ist und womöglich persönlich ihre Bedenken beschwich¬
tigt. In Alumnaten, Gefängnissen und anderen Anstalten ist die
Mitwirkung des Hausarztes mehr eine selbsverständliche Förm¬
lichkeit.
Mir haben mehrfach Medizinalbeamte, mit denen ich diese
letzte Frage besprochen habe, Bedenken dahin geäußert, daß
seitens der behandelnden Aerzte der Anordnung der Schluß-
desinfektion durch einen Desinfektor Schwierigkeiten in den
Weg gelegt werden könnten. Aber wenigstens gleich groß war
die Zahl derjenigen Medizinalbeamten, die demgegenüber den
Standpunkt vertraten, daß solche Schwierigkeiten durch ver¬
ständige Einwirkung auf die behandelnden Aerzte seitens des
Kreisarztes sich je länger desto leichter würden überwinden
lassen. Den letzteren muß ich mich auf Grund meiner eigenen
Erfahrung unbedingt anschließen.
Bei den vorbereitenden Beratungen der neuen Desinfektions¬
ordnung wurde auch erwogen, daß die Vereinfachung der Schlu߬
desinfektion und die Mitwirkung von Pflegepersonen und
Schwestern bei der Desinfektion in Desinfektorenkreisen Beun¬
ruhigung hervorrufen könnte. Ueberängstliche Gemüter könnten
befürchten, daß in Zukunft gelegentlich ein Desinfektor weniger
beschäftigt sein und dadurch geringere Einnahmen haben könnte
als früher. Um solchen Befürchtungen und daraus entstehender
Beunruhigung von vorn herein vorzubeugen, wurde am Schluß
der Ausführungsbestimmungen darauf hingewiesen, daß beab¬
sichtigt sei, geeignete Desinfektoren durch eine umfassendere
Ausbildung weiter zu fördern, um ihnen als Ober- oder Kreis-
Desinfektoren oder Gesundheitsaufseher den Aufstieg in höhere
Gehaltsstufen zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde den Gemeinden
und Kreisen die Anstellung von solchen gehobenen Gesundheits-
146
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken
beamten empfohlen, da ja ihre Anstellung als staatliche Beamte
bei der jetzigen Finanzlage des Staates ausgeschlossen ist. Auf
die gleiche Möglichkeit der Erweiterung der Tätigkeit der Des¬
infektoren habe ich in meiner kleinen Abhandlung über die
neue Desinfektionsordnung 14 ) hingewiesen.
Leider haben diese Hinweise nicht den gewünschten Erfolg
gehabt 10 ). Zu diesem Mißerfolg hat ganz wesentlich der Vor¬
trag von Engelsmann 8 ) vor den Schleswig-Holsteinischen
Desinfektoren beigetragen, in denen er die Mitwirkung der
Pflegepersonen und Schwestern zu „einer erheblichen Gefähr¬
dung nicht nur einzelner Desinfektoren, sondern des ganzen
Desinfektorenstandes“ stempelte und den Desinfektoren zurief:
„Da bitte ich Sie recht aufzuachten; denn hier geht es um den
Bestand des Desinfektorenstandes.“ Da dieser Vortrag in dem
Verbandsorgan des deutschen Desinfektorenbundes abgedruckt
wurde, so wirkten die erwähnten Wendungen in den weitesten
Kreisen der deutschen Desinfektoren nicht nur beunruhigend,
sondern geradezu irreführend. Selbst der sonst so besonnene
Vorsitzende des Desinfektorenbundes Schild 10 ) hat sich diesem
Eindruck nicht entziehen können und spricht in seiner Be¬
sprechung der neuen Desinfektionsordnung, in der er in aner¬
kennenswerter Weise der eingetretenen Beunruhigung entgegen¬
tritt, von den „freiwerdenden Desinfektoren“, die in ein neues
Arbeitsgebiet übernommen werden müßten. Dabei erwähnt er
auch, daß auch ich 14 ) von einer Verminderung der Tätigkeit
der Desinfektoren gesprochen hätte; macht aber aus meinem
„vielleicht ... für einen Teil der Desinfektoren“ ein „wahr¬
scheinlich ... die Desinfektoren.“
Ganz besonders erregt scheinen sich aber die Desinfektoren
auf dem Desinfektorentag in Berlin 18 ) geäußert zu haben. Man
kann das ganz besonders aus den in dem Sitzungsbericht wieder¬
gegebenen Entgegnungen von v. Vagedes und Seligmann
schließen, in denen diese den Uebertreibungen anderer Redner
entgegentreten.
Es ist mir unverständlich, wie Engelsmann zu seiner
Auffassung und zu dieser Auslegung der Ausführungsbestim¬
mungen gekommen ist. Auf jeden Fall ist aber die Beunruhi¬
gung der Desinfektoren vollständig unberechtigt. Kein einziger
Desinfektor wird infolge der neuen Desinfektionsordnung ent¬
lassen zu werden brauchen. Gewiß werden die Desinfektoren
durch die Vereinfachung der Vorschriften und die Mitwirkung
der Pflegepersonen und Schwestern bei der Schlußdesinfektion
in diesem Zweige ihrer Tätigkeit eine Arbeitsverminderung
erfahren. Dafür wird ihnen aber die Ausführung der Kontrolle
der laufenden Desinfektion so reichliche Mehrarbeit bringen,
daß trotz der Mitwirkung der Pflegepersonen und Schwestern,
jene Verringerung ihrer Tätigkeit bei der Schlußdesinfektion
voraussichtlich mehr als aufgewogen wird. Soll aber die Des¬
infektion, und zwar überall in Stadt und Land, so durchgeführt
werden, so können wir dies ohne die Mitwirkung der Pflege-
der neuen preußischen Desinlektionsordnung.
147
personen und Schwestern gar nicht erreichen. Und zwar nach
zwei Richtungen. Zunächst erfordert die durch die neue Des¬
infektionsordnung angeordnete regelmäßige Durchführung bezw.
Kontrolle der laufenden Desinfektion eine so große Arbeits¬
leistung, daß zu ihrer Bewältigung die vorhandenen Desinfek¬
toren — in manchem Kreise ist es ja nur ein einziger — gar
nicht ausreichen können. Es wird ja auch von Sarganek 5 , 6 )
und Engelsmann*, 8 » 4 ) der neuen Desinfektionsordnung zum
bitteren Vorwurf gemacht, daß sie Dinge fordert, die mangels
ausreichenden Personals gar nicht ausgeführt werden könnten.
Deshalb müssen wir noch andere Kräfte heranziehen, die die
entstehenden Lücken auszufüllen vermögen. Das sind aber die
in der Desinfektion ausgebildeten Pflegepersonen und Schwestern.
Weshalb diese die Desinfektion schlechter ausführen sollten,
als die Desinfektoren, wie Schild 10 ) meint, ist nicht recht ein-r
Zusehen, da sie ja doch — abgesehen von der Formalin- und
Dampfapparat-Desinfektion — die gleiche Ausbildung erhalten
und vom beamteten Arzt wie die Desinfektoren kontrolliert
werden. Sie werden also wie die Desinfektoren die laufende
Desinfektion ausführen und kontrollieren, dabei aber nicht, wie
Sarganek 5 ) meint, als Gesundheitsaufseher die Tätigkeit
der Desinfektoren kontrollieren, aber auch nicht, wie manche
Desinfektoren ll ) es wünschen, von den Desinfektoren kontrolliert
werden. Aber auch ihre Zahl ist noch nicht ausreichend, um
mit den Desinfektoren schon überall die anfallende Arbeit be¬
wältigen zu können. Deshalb sieht der Erlaß vom 8. 2. 21 eine
Uebergangszeit vor, um den Kreisen und Gemeinden zu ermög¬
lichen, erst noch das nötige Personal — Desinfektoren oder in
der Desinfektion ausgebildetes Pflegepersonal und Schwestern —
zu beschaffen, ehe die neue Ordnung vollständig durchgeführt
werden kann.
Der zweite Grund, der die ausgiebige Heranziehung von
Pflegepersonen und Schwestern zur Ausführung der Desinfektion
in hohem Grade erwünscht macht, ist folgender: Ich sagte oben
schon, daß ja leider auch heute noch die Desinfektion sich
keiner besonderen Beliebtheit bei der Bevölkerung erfreut.
Diese Abneigung trifft naturgemäß auch diejenigen, die von
Amts wegen diese Desinfektion ausführen müssen. Sie wird aber
geringer sein gegen Pflegepersonen und Gemeindeschwestern,
die bei der Bevölkerung schon als die treuen Helfer in Krank¬
heit und Not bekannt und geschätzt sind. Diese werden im
Verein mit dem behandelnden Arzt, ohne besondere Widerstände
überwinden zu müssen, die Angehörigen des Kranken von der
Notwendigkeit der Desinfektion überzeugen, die letztere dadurch
auch in weiteren Kreisen beliebt machen und so indirekt geradezu
als Schrittmacher für die Desinfektoren tätig sein. Dasselbe
Bestreben, reges Verständnis zu erwecken, war auch die Ver¬
anlassung für die Anordnung, daß die Schlußdesinfektion nach
Beendigung der laufenden Desinfektion in der Regel sogleich
von der Person, die die letztere durchgeführt oder kontrolliert
148
Dr. Otto Lentz: Bemerkungen za den. Kritiken
hat, vorgenommeu werden soll. Es soll dadurch verhütet werden,
daß zu diesem Zweck noch wieder eine neue, oft dem Kranken
und seinen Angehörigen unbekannte Person ins Haus kommen
muß, was ja naturgemäß Unruhe schafft und nicht dazu bei¬
trägt, die Desinfektion beliebt zu machen. Ich bin mit Selig¬
mann 7 ) überzeugt, daß, wenn sich erst der erste Schrecken
des Neuen gelegt haben wird und an seine Stelle wieder ruhige
Ueberlegung tritt, auch das Mißtrauen gegen die Mitarbeit der
Schwestern verschwinden wird.
Wenn v. Vagedes 9 ) Bedenken gegen die Bestimmung
äußert, daß der Desinfektor nur mit Genehmigung des Haus¬
haltungsvorstandes das Krankenzimmer betreten soll, und meint,
daß diese Genehmigung wohl nur selten erteilt werden wird,
so kann ich ihm darin nicht beipflichten. Ich habe im Gegenteil
die Erfahrung gemacht, daß im allgemeinen die Bevölkerung
bestrebt ist, dem Desinfektor seine Aufgabe nach Möglichkeit
zu erleichtern, und ihm zur Vornahme der Desinfektion und
zur Belehrung des (nicht geschulten) Pflegepersonals auch den
Zutritt zum Krankenzimmer gestattet.
Engelsmann 2 ) erklärt es für ganz unverständlich, daß
in die Desinfektionsanweisung für Tuberkulose nicht ebenso
wie in die anderen Anweisungen, auch Vorschriften für die
Desinfektion von Krankentransportmitteln aufgenommen worden
sind. Ich gebe zu, daß man über diesen Punkt verschiedener
Meinung sein kann. Auch in der Kommission, die zur Be¬
ratung der neuen Anweisungen vom Herrn Minister für Volks¬
wohlfahrt einberufen war, wurden hier verschiedene Auffassungen
geäußert; man einigte sich #ber schließlich dahin, daß die Be¬
stimmungen über die Desinfektion der Krankentransportmittel
hier fortbleiben könnten. Da aber auch von anderer Seite die
Bedenken Engelmanns geteilt werden, so beabsichtigt der
Herr Minister, diese Vorschriften noch nachträglich in die An¬
weisung für die Tuberkulose einzufügen.*)
Zum Schluß möchte ich noch ein paar Worte zur Kosten-
fr a g e sagen, die von manchen Seiten ungünstig beurteilt wird.
Sicher bringt die neue Anweisung den Gemeinden in mancher
Hinsicht Ersparnisse, besonders durch die Vereinfachung der
Schlußdesinfektion. Denen stehen aber auf der anderen Seite
auch Mehrausgaben für die Kontrolle der laufenden Desinfektion
gegenüber. Besonders die Personalkosten werden sich dem
allgemeinen Zug der Zeit entsprechend nicht unbedeutend er¬
höhen. Ob durch die notwendigen Mehrausgaben die Erspar¬
nisse wieder ausgeglichen werden, muß erst die Zukunft lehren.
Ein unverzeihlicher Fehler, der sich eines Tages schwer rächen
könnte, wäre es jedoch, wollte eine Gemeinde auf dem Gebiete
der Desinfektion eine falsche Sparsamkeitspolitik treiben. Wie¬
viel Krankheit und Unglück durch rechtzeitige Schaffung guter
hygienischer Einrichtungen verhütet wird, kann man im allge-
*) Inzwischen durch Erlaß Tom 7. Januar 1922 geschehen.
der neuen preußischen Desinfektionsordnung.
149
meinen nicht mathematisch nachweisen, aber sicher ist, daß
eine große Zahl von schweren Epidemien, die zahllose Opfer
gefordert haben und durch sie bedingte große Geldaufwendungen
nir die Kranken und den Schutz der Gesunden hätten ver¬
mieden werden können, wenn nicht vorher an den Kosten zur
Schaffung hygienischer Zustände ein paar tausend Mark gespart
worden wären. Löffler bezeichnete einmal die für die Seuchen¬
bekämpfung und -Verhütung aufgewandten Geldmittel als die
beste Kapitalsanlage und ich selbst habe berechnet, daß durch
die Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches von 1903
bis 1913 mit einem jährlichen Kostenaufwand von Reich und
Staat in Höhe von 200000 Mark im Durchschnitt eine jährliche
Ersparnis von fast 500000 Mark an Volksvermögen erzielt wurde.
Allein die Krankenkassen im Bekämpfungsgebiet haben ledig¬
lich durch die Abnahme der Typhuserkrankungen eine jährliche
Ersparnis von durchschnittlich 180 000 Mark gehabt. Das sind
(Goldmark-) Werte, für die auch sparsam veranlagte Gemeinde¬
säckelwarte Verständnis haben werden.
Literaturverzeichnis.
2 Flügge, 0. Kritische Bemerkungen zur neuen preußischen Desinfek-
nung. Zeitschr. f. Ued.-Beamte 1921, Nr. 18.
*) Engelsmann, B. Die Stellung der Desinfektoren durch die neuen
Desinfektionsvorschriften in Prenßen. Der Prakt. Desinf. 1921, Heft 6.
*) Derselbe. Die neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen. Zeitschr.
f. Med.-Beamte 1921, Nr. 18.
4 ) Derselbe. Zur Kritik der neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen.
Sozialhygienische Mitteilungen 1921, Heft 4.
®) Sarganek. Die laafende Desinfektion am Krankenbette und die
Beteiligung der Gemeindeschwestern und der Sanitätskolonnen. Erka 1921,
Heft 12/14 und Das Bote Kreuz des deutschen Volkes 1921, Heft 16/16.
•) Derselbe. 26 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. Zeitschr. f.
Med.-Beamte 1921, Heft 19.
*) Seligmann, E. Die neue preußische Desinfektionsordnung und die
Zukunft des Desinfektorenstandes. Zeitschr. f. Soziale Hygiene, Fürsorge und
Krankenhauswesen 1921, Nr. 8.
*) Derselbe. Neuregelung des Desinfektionswesens in Berlin. BerL
Aerzte-Corresp. 1921, Nr. 45.
*) v. Va^edes. Die preußische Desinfektionsordnung. Der prakt.
Desinf. 1921, Heft 11.
,0 ) Schild. Die neue preußische Desinfektionsordnung und die Des¬
infektoren. Der prakt. Desinf. 1921, Heft 7.
M ) Weinert, W. Was lehrt uns die Desinfektionsordnung und was
wollen wir daraus lernen. Der prakt. Desinf. 1921, Heft 7.
'*) Bericht über den Desinfektorentag in Berlin. Der prakt. Desinf. 1921,
Heft 9, 10 und 11.
ia ) Solbrig. Die neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen. Aerztl.
Sachverst Zeitsch. 1921, Heft 17.
14 ) L e n t z, 0. Die neue preußische Desinfektionsordnung. Desinfektion
1921, Heft 4.
I4 ) Derselbe. Die neuen preußischen Desinfektionsvorschriften bei
Tuberkulose. Zeitschr. f, Tuberk. Bd. 84, Heft 7.
**) Uhlenhuth, P. Neue Verfahren zur Desinfektion von tuberkulösem
Auswurf. Zeitschr. f. Tuberk. Bd. 34, Heft 7.
,7 ) Bapmund. Fußnoten zu der Abhandlung von Engelsmann s. Nr. 8.
150 Dr. Wildenrath: Nachkriegsverhältnisse nnd ihre Einwirkung
Nachkrlegsverhältnisse und ihre Einwirkung auf
Öewerhehygiene, Medizinalgesetzgebung
und Medizinalyerwaltung.
Von Kreisarzt Br. Wildenrath in Daun.
Deutschland ist besiegt und muß die Folgen seiner Nieder¬
lage tragen, soweit sie unabwendbar sind. Sich dieser bitteren
Wahrheit verschließen, hieße die Grundlage zur Wiederaufrich¬
tung unseres Volkes verkennen; denn erst aus dem klaren Selbst¬
eingeständnis dieser Tatsache kann der Wille kommen, die äußerst
mögliche und rationelle Kräfteanspannung zum Wiederaufbau
zu entfalten. Das einzige Mittel aber, den gutwilligen Elementen
unter unsern Kriegsgegnern und unter den Neutralen die Ueber-
zeugung beizubringen, daß wir bis an die Grenze des Möglichen
die Folgen des verlorenen Krieges dem Auslande gegenüber
tragen wollen, und damit das einzige Mittel, eine Revision des
Vertrages von Versailles durch die Wucht der Tatsachen zu er¬
zwingen, ist Arbeit, angespannteste Ausnutzung unserer Arbeits¬
kraft. Das Wort unserer Feinde: „Deutschland wird Ueber-
stunden maohen müssen“ enthält einen großen Teil von Wahr¬
heit, wenn auch der gehässige Sinn der Sklavenarbeit, der in
diesem Worte liegt, abgelehnt werden muß. Arbeiten müssen
wir, muß Jeder aus unserm Volke, soweit seine Kräfte dies zu¬
lassen und ohne daß Gesundheitsschädigung die Folge ist. —
Die schwache Seite der Gesetzgebung ist immer die Schemati¬
sierung, die in jedem „für alle Bürger gültigen“ Gesetz begründet
liegt. Und einer der größten, wenn nicht der größte Fehler, den
die Gesetzgebung seit dem Kriegsende begangen hat, ist die
Schematisierung der Arbeitskraft im Achtstundentag. — Es
mag zugegeben werden, daß es für einen nicht allzu kräftigen
Schwerstarbeiter, in Bergwerken, Eisenhütten oder dergl. im
Durchschnitt genug ist, sogar nur 6 Stunden zu arbeiten, ohne
die gegebenen Kräfte zu überspannen und damit vom Kapital
zu zehren. Doch auch in solchen Schwerstarbeiterbetrieben
wird es genug Leute geben, die ohne Ueberspannung ihres
Kräftehaushaltes 10 ja 12 Stunden arbeiten könnten, ja sogar
gerne wollten, wenn ihnen von Gewerkschaftsorganen bezw.
von der Gesetzgebung die Möglichkeit dazu gegeben wäre.
Selbstverständlich wäre zu verhindern, daß nicht ein Arbeiter
aus Not oder ungerechtfertigter Gewinnsucht seine Nerven und
seine Gesundheit durch dauernde Ueberarbeitung schädigte,
ja damit unter Umständen sogar — in gefährlichen Betrieben —
das Leben seiner Mitarbeiter oder die Existenz des Werkes ge¬
fährdete. Haushalt ist eben alles 1
In leichteren Betrieben, z. B. Eisenbahn, Post, Aemtem
oder Bürobetrieben liegen die Verhältnisse natürlich noch weit
günstiger. Warum arbeiten Eisenbahn und Post im Gegensatz
zu den Zeiten vor dem Kriege mit dauerndem Defizit? Gewiß,
die Materialpreise sind vielleicht auf das zwanzigfache der
Friedenspreise gestiegen, während die Tarife noch nicht um
auf Gtewerbebygiene, Medisinalgesetzgebang and Medizinalverwaltang 151
dasselbe Verhältnis erhöht werden konnten, doch iBt dies bei
weitem nicht der wesentlichste Grund. Der Hauptgrund für
das Defizit ist der, daß die Beamten und Angestellten größten¬
teils nur 8 Stunden „arbeiten“, d. h. unter mangelhafter Auf¬
sicht sich teilweise nur mangelhaft beschäftigen und nachher
überflüssige freie Zeit haben, die sie nicht anders hinbringen
können, als indem sie Werte, die sie gewonnen, größtenteils
unnütz verzehren, statt in derselben Zeit neue Werte zu schaffen,
während sie, soweit sie Familie oder Sparbetrieb haben, gerne
weitere Werte schaffen würden. Infolgedessen kommen diese
Leute trotz erhöhter Gehälter nicht aus und werden immer
begehrlicher in Gehaltsforderungen. Das Resultat ist außer
andauernder Personalvermehrung, die doch wenigstens das Gute
hätte, Kriegsbeschädigte unterzubringen, die Schraube ohne
Ende der Gehalts- bezw. Lohnerhöhungen und damit immer
weitergehende Unwirtschaftlichkeit des Betriebes. Jeder Ein¬
geweihte kennt diese Binsenwahrheiten, doch werden sie aus
mannigfachen Gründen nicht genug öffentlich ausgesprochen.
Es ist eine Härte der Natur, die sich niemals ganz umgehen
lassen wird, daß der Schwächling nicht soviel arbeiten kann,
wie der Normale oder gar der Starke. Die Frage, ob der
Schwache seine Schwäche verschuldet hat, oder ob er ohne
eigenes Verschulden schwach ist, bedarf hierbei kaum einer
Prüfung. Doch soll und muß für den — zum mindesten für
den schuldlosen — Schwächling eine Mindesteinnahme, mit der
er für seine Person, oder auch wenn er Familie besitzt oder
trotz seiner Schwäche gegründet hat — das Letztere wäre mög¬
lichst gesetzgeberisch einzuschränken — für diese ein Existenz¬
minimum festgesetzt werden. Anderseits aber soll der Normale
oder gar der Starke nicht gehindert werden, seinen Kräften
entsprechend mehr zu leisten, also Werte zu schaffen, die ihm
selbst in erster Linie, dann aber auch der Gesamtheit zugute
kommen, wenn er will, und soweit er kann. Eine Normierung
der Arbeitskraft, je nach Schwere und Gesundheitsgefährlich¬
keit des Betriebes auf 6, 8 oder auch 12 Stunden ist gerecht¬
fertigt, doch muß es jedem Arbeiter, der will und soweit er — bei
gewerkschaftlicher, gewerblicher und insbesondere ärztlicher Kon¬
trolle — kann, gestattet sein, seine Kräfte auszunutzen, wobei
selbstverständlich die Ueberarbeit über die festgesetzte Betriebs-
Normalarbeitszeit hinaus, weil freiwillig, höher zu bewerten wäre.
Alle diese Fragen basieren also auf der rationellen Kräfte¬
ausnutzung des Einzelnen, und damit auch die Lösung der
volkswirtschaftlichen Frage nach größtmöglichster Ausnutzung
unserer Volkskraft zum Zweck des Wiederaufstiegs. Bei mög¬
lichst vollkommener Lösung dieser Fragen würden sowohl unserer
Außen- wie Innenpolitik große Steine des Anstoßes aus dem
Wege geräumt sein. Jedes Schema, damit auch jedes Gesetz,
findet seine Grenze in der Natur, und nur duroh äußerstmög¬
liche Ausnutzung der natürlichen Kräfte im einzelnen Menschen
wie in der Gesamtheit, kann unsere Volkswirtschaft gesunden.
152 Dr. Wildenrath: Nachkriegsrerhältnisse nnd ihre Einwirkung new.
Der berufene Beurteiler der menschlichen Arbeitskraft und ihrer
rationellen Ausnutzung ist aber der Arzt, nicht der Jurist,
der Gewerkschaftler, Berufspolitiker, Redner usw. Wenn es
daher vor und während dem Kriege gerechtfertigt erschien,
als zur Gesetzgebung und Regierung Berufene diese Letztge¬
nannten zu bezeichnen, so ist es heute dringend an der Zeit,
den Aerzten mehr Einfluß auf Gesetzgebung und Regierung
zu geben als bisher. In den gesetzgebenden Körperschaften
ist der Arzt bisher kaum vertreten, und in Regierung und
oberen und unteren Verwaltungsbehörden ist der Medizinal¬
beamte stets nur Berater, über dessen Vorschlag der bestimmende
Verwaltungsjurist jederzeit hinwegzugehen das Recht hat,
niemals selbständiger, raitbestimmenaer V erwalter eines Ressorts.
Vor allen Dingen wäre den beamteten Aerzten, die ja besondere
Ausbildung und Erfahrung in Medizinalgesetzgebung und volks¬
wirtschaftlicher Denkweise haben müssen, eine viel größere
Selbständigkeit und ein größerer Einfluß in Gesetzgebung, Re¬
gierung und Verwaltung einzuräumen.
Bisher ist der Kreisarzt laut Dienstanweisung nur „Berater“
des Landrats, über dessen „Rat“ der Landrat sich hinwegsetzen
kann und dessen „Rat“ tatsächlich, wie viele Klagen von Kreis¬
ärzten bezeugen können, sein Ende in irgend einer Versenkung
findet. i
So ist der Reg.-Med.-Rat stets nur „Referent“ des Re¬
gierungspräsidenten in Medizinalangelegenheiten, dessen „ Referat“
von verständigen Regierungspräsidenten zwar wohl berücksich¬
tigt werden wird, aber nie selbständige Verfügungskraft hat.
Im Ministerium endlich liegen die Verhältnisse auch wohl
kaum wesentlich anders. Es erscheint m. E. dringend notwendig,
hier grundlegenden Wandel zu schaffen, etwa so, daß in Sam-
täts- oder Medizinalangelegenheiten der Medizinalbeamte selb¬
ständiges Verfügungsrecht hat, und daß seine Verfügungen
zur Rechtswirksamkeit nur der Gegenzeichnung der betreffenden
Verwaltungsbehörde bedürfen. Denn selbstverständlich wäre
der Fall denkbar, wenn er bei erfahrenen Beamten auch kaum
oft Vorkommen dürfte, daß der Medizinalbeamte Verfügungen
erließe, die mit bestehenden Gesetzen in Widerspruch ständen.
Dann* wäre es Sache der Vereinbarung zwischen den gleich¬
zuordnenden Medizinal- bezw. Verwaltungsbehörden, hier keine
Fehler aufkommen zu lassen, bei Nichteinigung wäre die nächst¬
höhere Behörde zur Entscheidung anzurufen. Doch in einer
Zeit, in der man juristische Laien zu Landräten und Regierungs¬
präsidenten ernennt, wenn sie nur den nötigen politischen ,
Hinterhalt haben, wären derartige Fehler eher von solchen
Behörden als den beigegebenen Medizinalbeamten zu erwarten.
Erst wenn die obengenannten Forderungen erfüllt sind, wäre
eine gewisse Gewähr gegeben, und könnte es dahin kommen,
daß einerseits der Schwache — nötigenfalls gegen seinen
Willen — vor Ueberarbeitung geschützt, andererseits aber die
Kraft des Normalen oder gar des Starken zu seinem Wohle
Versammlung des Besirkavereins Cassel der Preoß. Med.-Beamten. 158
und damit auch zum Wohle der OeBamtheit rationell ausge¬
nutzt wird.
Ich habe hier nur ein Moment, allerdings zur Zeit eines
der wichtigsten und aktuellsten, zur Begründung der obigen
Forderungen herangezogen, die rationelle Ausnutzung der
Arbeitskraft des Einzelnen wie des ganzen Volkes. Doch auch
in manch anderer Hinsicht erscheint es dringend notwendig,
dafi dem Medizinalbeamten mehr selbständiges Verfügungsrecht
gegeben wird. Bei Ausbruch ansteckender Krankheiten z. B.
hat der Kreisarzt laut Dienstanweisung nur dann das Recht
su selbständigen polizeilichen Anordnungen, wenn „Gefahr im
Verzüge“ ist, und auch dann sind seine Anordnungen nur vor¬
läufig, bis die eigentliche Verwaltungsbehörde ihren Spruch
getan und die Anordnungen entweder bestätigt oder aufgehoben
hat. Bei notwendigen Krankenhausneu- oder -Aenderungsbauten
wird der Medizinalbeamte nur gehört, nicht daß er eine wesent¬
liche Einwirkung au! die Verwirklichung seiner Angaben und
Pläne hätte.
Solche Beispiele ließen sich noch viele angeben, in der
Wohnungs-, Tuberkulose-, Krüppelfürsorge, Ernährungspolitik,
Wohlfahrtseinrichtungen, Personalfragen u. a. m. Wenn wirklich
die bisherigen Verhältnisse in Vorkriegszeiten, wenn auch kaum
je befriedigend, so doch erträglich waren, so sind in unserer
Zeit des Neuaufbaues unserer Volkswirtschaft und unserer
schwergeschädigten Volksgesundheit grundlegende Aenderungen
im Sinne größeren Einflusses der Aerzte, insbesondere der be¬
amteten Aerzte, in den öffentlichen Körperschaften, Gesetz¬
gebung und Verwaltung, dringend notwendig und zeitgemäß.
Es bedarf zum Wiederaufstieg unseres Volkes der Zusammen¬
arbeit aller Berufe: Nicht bloß einer tragfähigen Koalition in
der Politik, sondern auch einer Gesamtkoalition aller lebendigen
Kräfte, wobei alle Glieder dieser Koalition den ihrer Wirksamkeit
und Notwendigkeit entsprechenden Einfluß haben müssen. Die
Medizinalgesetzgebung und -Verwaltung war bisher stets nur
dienende Magd; sie muß gemäß ihrer größten Bedeutung für
die Gesundung unseres Volkes, namentlich in unserer Zeit des
Volkssiechtums, das ihr zukommende Mitbestimmungs-, nicht
bloß Beratungsrecht erhalten.
Ans Versammlungen und Vereinen.
Teraammlnne de« Bezirk «verein« Can«el 4er Preußische»
Medizi oh 1 beamten in Cassel an 19. Februar 1929.
Anwesend: Ebert,Heilig,Malkus, Meder,Ros elieb,8 chopohl,
Scharian, 8piecker, Wagner ond Wolf.
Tagesordnung:
1. Beitritt iam Berufsvereln höherer Beamten. Nach längerer Be¬
ratung wurde dem Vorstandsbeschluß des Landesvereins vom 21. Januar 1922
beigetreten.
2. Gebührenordnung. Es wurde den vom Lan d es Vereins Vorstand aus-
gearbeiteten Richtlinien zugestimmt.
154
Kleinere Mitteilangen and Referate an« Zeitschriften.
3. Dienstanweisung. Die in der Eingabe des Landesvereinsvorstandes
▼om 10. Febraar 1»22 gemachten Vorschläge wurden im großen and ganzen
angenommen and nar wenige Aendernngen resp. Zusätze empfohlen.
4. Der Verein tritt in Unterbandlangen mit der HauptfÜrsorgentelle
betr. Bezahlung der vertranensärztlichen Tätigkeit.
5. Es soll ein kurzfristiger Elnführungskursus ln die Krüppelffirsorge
in der Kasseler Krüppelheilanstalt beantragt werden.
6. Kassenangelegenheiten.
Nächste Versammlung Sonntag, den 11. Juni, Tormittags 11*/* Uhr in
Marburg. Dr. Wolf.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
1. Fleckfieber.
Znr Fleckfleber• Aetlologie. Von E. Friedberger und F. Schiff.
Ans dem Hygiene - Institut der Universität Greifswald. Berliner klinische
Wochenschrift, 1921, Nr. 13.
Aus ihren Versuchen schließen die Verfasser, daß alle Argumente, die
als Beweise gegen die Identität des Fleck fieborvirus mit einer bestimmten
(0-) Form des X 19 angeführt sind, widerlegt sind. Die apodiktischen An»
sichten von Ko Ile und Pfeiffer, wonach X 19 nicht der Erreger des Fleck-
fiebers ist, sind danach nicht gerechtfertigt. Ueber weitere Versuche zur
Züchtung des Bazillus X 19 beabsichtigen die Verfasser später zu berichten.
_ Dr. Solbrig-Breslau.
2. Typhus.
Ueber die serologische Typhnsdiagnose bei Schutzgeimpften. Von
Priv.-Doz. Dr. Schürer und Dr. Rosel Goldschmidt. Aus der medizin¬
ischen Universitätsklinik Frankfurt a. M. Berliner klinische Wochenschrift,
1920, Nr. 88.
Nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen ist es für die Annahme
einer typhösen Erkrankung bei einem Typbusschutzgeimpften von erheblicher
diagnostischer Bedeutung, wenn sich bei einem Schutzgeimpften neben einer
stärkeren Typhusbazillen-Agglutination eine schwächere Mitagglutination tob
ParatyphuB A-Bazillen findet. _ Dr. Solbrig-Brealau.
3. Paratyphus.
Ist die Aufnahme eines Paratyphns der Scblachttlere ln die Aus*
ftthrnngsbestimmungen zum Fleischbeschangesetz begründet? Von Ober¬
tierarzt Prof. Fr. G1 e g e - Hamburg. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene,
16. September 1921, XXXI, Heft 24, 8. 323.
Auf Grund langjähriger Erfahrungen und eingehender wissenschaftlicher
Studien verneint G. die obige Frage und erörtert dabei ausführlich die auch
dem ärztlichen Gutachter oft aufstoßenden Zweifel, ob eine intravitale oder
ein postmortale bakterielle Durchsetzung des Fleisches mit Paratbyphus-
bakterien für eine Fleischvergiftung verantwortlich zu machen sei. Eine ein¬
heitliche Tierkrankheit, darüber herrscht nur eine Meinung, hat nie Vorgelegen.
Die Kolik der Pferde ist keine Infektionskrankheit, sondern
geht fast stets mit mechanischer Verlegung des Magendarm¬
kanals einher. Nie haben Fütterungsversuche mit menschenpathogenen
Paratyphusbazillen bei großen Haustieren das Bild einer schmerzhaften Kolik
hervorgerufen. G. geht die große Literatur über die Fleischvergiftungen der
letzten Jahre eingebend kritisch durch, besonders auch die Not Schlacht¬
ungen, die dabei oft eine Bolle spielen, und beweist, daß selbst diese nicht
notwendig eine intravitale bakterielle Einwanderung in das Fleisch der Tiere
zur Voraussetzung haben, überhaupt sehr vorsichtig beurteilt nnd mit allen
Begleitumständen genau klargestellt werden müssen. Ein Paratyphns läßt
sich bei Schlachttieren weder klinisch noch nach dem Schlachten diagnostizieren.
Die postmortale Fleischinfektion durch Paratyphus int
sicher und unbestritten, die intravitale nur wahrscheinlich.
Gelegenheit zu ersterer ist im Fleischandel überreich vor-
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
165
handen. Glege polemisiert besonders gegen Müller (dies. Zeischrift Heft 18)
and hält dessen Material für nicht beweiskräftig genag gegenüber seinem
eigenen ablehnenden Standpunkt. Dabei befürwortet er dringend den weiteren
Ausbau der bakteriellen Fleischbeschau. Jedem Amtsarzt, der gewissenhaft
diese wichtige Frage prüfen will, sei diese ernste Arbeit dringend zur Be¬
achtung empfohlen. Dr. Sieveking-Hamburg.
4. Scharlach.
Ein seltener Fall von zweimaliger Scharlacherkranknng. Von Dr.
M. N a m i o t • Berlin. Berliner klinische Wochenschrift, 1920, Nr. 44.
Dieser seltene Fall betraf einen neunjährigen Knaben, der einen regel¬
rechten Scharlach ohne Komplikationen durchmachte, dann zur Schule ging
und 10 Wochen später von neuem an einem echten Scharlach erkrankte, von
dem er nach charakteristischer Abschuppung nach drei Wochen genas.
Dr. Solbrig-Breslau.
Zur Frage der Uebertragbarkeit von Scharlach auf Diphtheriekranke.
Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schloss mann. Aus der akademischen Kinder¬
klinik in Düsseldorf. Berliner klinische Wochenschrift, 1920, Heft 44.
Verfasser widerspricht der in einem verbreiteten Lehrbuch der Kinder¬
heilkunde zu findenden Angabe, daß auf der Dipbtherieabteilung oft Gelegen¬
heit sei, Scharlach zu erwerben. Er kommt bei einer Prüfnng seines — großen —
Krankenmaterials zu dem Ergebnis, daß in der von ihm geleiteten Kinderklinik
Scharlacbübertragungen auf Diphtheriekranke außerordentlich selten waren, in
den letzten drei Jahren mit etwa 160c Aufnahmen von Diphtheriekranken
überhaupt nicht vorkamen. Derartige Uebertragungen lassen sich durch Sauber¬
keit und Aufmerksamkeit auf ein Minimum zurückführen. Insbesondere kann
man es vermeiden, daß auf Diptherieabteilungen Scharlacherkrankungen Vor¬
kommen. Diese Ansicht sollte, wie Verfasser meint, allgemein sich durch¬
setzen. _ Dr. Solbrig-Breslau.
5. Influenza.
Ueber epidemischen SIngultus bezw. Schlucksern bei Influenza. Von
Dr. med. et phil. F. Kanngiesser in Braunfels.
In jüngster Zeit ist vielfach, zunächst in Tageszeitungen, von diesem
Thema die Rede gewesen. So stand z. B. im ßraunfelser Aozeiger vom 12. März
1921: „Aus Paris wurde kürzlich berichtet, daß in Frankreich eine Schluck¬
epidemie aufgetreten sei. Schwedischen Blättern zufolge hat sich diese Krank¬
heit jetzt auch in Malmö gezeigt. Die Kranken sind in der Regel nach 2 bis
8 Tagen wiederhergestellt. Es handelt sich um eine eigentümliche (oft) mit
Schlafsucht verbundene Form der Grippe.“ Ein Arzt schrieb in der Neuen
Badischen Landeszeitung (vom 3. Januar 1921), „daß auch in Mannheim eine
Reihe derartiger bis jetzt aber gutartig verlaufener Fälle vorgekommen. Der
durch das tagelang anhaltende Schlucken hervorgtrufene Zustand ist oft
qualvoll.“ In den Berichten der Vox medicorum (Utrecht) 1920 heißt es p. 87:
»In de gemeente Honten doen sich eenige gevallen van hikziekte voor. Er
zijn patienten bij, die drie dagen achterens den hik (in Holland auch snik
genannt) hadden.“ Das eidgenössische Gesundheitsamt erlaßt (cf. Med. Kl. 1921
p. 334) die Mitteilung, daß im Berner Jura Fälle von epidemischem Singultus
aufgetreten seien in Verbindung mit Symptomen der Encephalitis lethar-
gica oder für sich allein als larvierte Form der grippalen Schlafkrankheit.
Auch aus Ungarn, Spanien, Italien und England wurde aus der Zeit um 1920/21
gehäuftes Singultusvorkommen gemeldet. Ich selbst sah diesen Sommer
einen Fall von Influenza, der abgesehen von rasch vorübergebender
Dämpfung über den Langen lediglich durch langandauernde Vertigo und
leichteren Singultus gekennzeichnet war. Vor zehn Jahren wurde m. W.
wohl erstmals und zwar durch mich hartnäckiger Singultus als Be¬
gleitsymptom der Influenza beschrieben (Med. Kl. 1911 Nr. 13). Der
terminus technicus .Singultus“ scheint nicht allen Kollegen geläufig zu sein;
so schrieb ein angesenener Gelehrter von „combinierten Stimmritzen- und Schling-
kxämpfen nach Grippe“, ein anderer berichtete von „ruckweisen Contraktionen
166
Klemer« Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
des Zwerchfells bei Grippemeningitis*. Ob dieser Sngultus .peripher 0 2 . B. als
„grippöse Infektion des Diaphragma 11 oder er. als Sekretreis Tom Larynx her
durch den Nervus vagus s. phreoicus oder durch centrale Intoxication bedingt
aufzofas8en ist, ist schwer zu entscheiden. Ich möchte geneigt sein, der letzteren
Auffassung beizutreten; so erklärte ich mir auch die grippöse Chorea, die ich
bereits Herbst 1918 bei einem b jährigen Mädchen beobachtete. Der Singultus
wurde übrigens auch bei anderen Infektionskrankheiten beschrieben, ferner bei
Herz* nnd Lungen-, Magen- und Darmkrankheiten, bei Vergiftungen, bei tabischen
Krisen, als postoperatives Vorkommnis, usw. Therapeutisch gibt es die zahl¬
reichsten Mittel und Mittelchen, teils von einem post hoc ergo propter Succesa,
teils von nur temporärem Wert. Selbst das leider zu beliebte Linderungs¬
mittel Morphium kann bei hartnäckigen Singultusfällen vollkommen versagen.
6. Encephalitis epidemica.
Zur Klinik der Encephalitis epidemica, unter besonderer Berück*
sichtlgung der Prognose und des Blutbildes. Von A. G6rönne. Berliner
klinisohe Wochenschrift, 1920, Nr. 49.
Verfasser verfügt über Erfahrungen an 40 beobachteten FäUen dieser
interessanten Krankheit. Die Mortalität betrug 26 °/,. Dauernde Schädigungen
blieben bei den meisten Patienten, die mit dem Leben davon kamen, zurück.
Die Prognose ist daher quoad restitutionem ungünstig. Verfasser sieht in der
Krankheit eine einheitliche, nosologisch gut abgegrenzte Erkrankung, die auch
pathologisch-anatomisch einen recht charakteristischen Befund aufweist, der
nicht identisch mit der Influenzaencephalitis ist. Epidemiologisch bemerkens¬
wert ist, daß einzelne Erkrankungsfalle in ganz einsam und abgeschlossen
gelegenen Dörfern vorkamen. Erkrankungen mehrerer Familienmitglieder und
Uebertragungen durch Infektion im Krankensaal wurden nicht beobachtet.
_ Dr. Solbrig-Breslau.
Ceber die Anatomie der Encephalitis epidemica. Von Gotthold Hox-
heimer. Berliner klinische Wochenschrift ; 1920, Nr. 49.
Wenn auch die Aetiologie der Krankheit noch fraglich ist, so handelt
es sich doch um eine eigene charakteristische Erkrankung, die wegen der Be¬
teiligung des Rückenmarks den Namen Poliomyelo-Encephalitis (epidemica)
erhalten sollte. _ Dr. Solbrig -Breslau.
Bakteriologischer Befund bei der Lelchenuntersncbung eines Falles
von Encephalitis letharglca. Von P. ManteufeL Aus der bakteriologi¬
schen Abteilung des Reichsgesundheitsamts. Berliner klinische Wochenschrift,
1920, Nr. 39.
Die Aetiologie der .Schlafkrankheit“, wie sie neuerdings bei uns nicht
selten vorkommt, ist noch ungeklärt. Manche glauben an einen Zusammenhang
mit der Grippe, andere halten sie für eine Krankheit sui geueris. In dem hier
beschriebenen, obduzierten Fall gelang der Nachweis eines fiitrierbaren Virus
und der Hilgermannseben Körperchen nicht und der einzige ätiologisch
erreichbare Gesichtspunkt blieb der Befund von Influenzabazillen im Nasen¬
rachenraum und in der Luftröhre. Dr. Sol brig-Breslau.
Zur Dlfferentlaldiagnose des Encephalitis epidemica« Von 8an.-R*t
Dr. Herzog. Berliner klinische Wochenschrift, 1921, Nr. 10.
Verfasser gibt auf Grund eigener Beobachtungen ein Bild von dieser
neuerdings ja häufiger vorkommenden Krankheit, die bei der Vielgestaltigkeit
dem Arzt manche Nuß zu knacken gibt, aber ihn auch vor außerordentlich
reizvolle diagnostische Aufgaben stellt. Differentialdiagnostisch sind hysterische
Krämpfe, Tic der Psychopathen, Unruhe der Alkoholisten, Epilepsie, multiple
Sklerose, Paralysis agitans, Paralysis progressiva in Betracht zu ziehen. Eine
Trennung der einzelnen Formen dieser Krankheit vorzunehmen erscheint müßig»
außer aus didaktischen Gründen. Das Charakteristische ist oft nicht das
Momentbild, sondern die groteske Variabilität. Dr. 8olbrig-Breslau.
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
167
Geber das Torkommen tob Encephalitis lethargica nnd Slngnltna
eptdemlcus ln der Schweiz. Ton Dr. Carriöre, Beilage znm Bulletin des
eidgenössischen Gesundheitsamts 1921, Nr. 37. Nach den yom Verfasser fest*
gestellten statistischen Ermittelungen.
Die Epidemie von Encephalitis lethargica erreichte ihren Höhepunkt im
Februar 1920 mit 440 Fällen, der März zählte 848 Fälle. Die ärztliche Melde*
pilicht wurde allerdings erst am 17. Februar angeordnet, so wird die Zahl 88
für Januar wohl zu niedrig sein, sich aber doch höchstens mit derjenigen des
April, in dem 78 Fälle zur Anzeige kamen, vergleichen lassen. Danach sind
nur noch vereinzelte Fälle gemeldet worden, insgesamt 984 im Jahr 1920.
Den wichtigen Einfluß der kalten Jahreszeit bestätigen auch diese Zahlen.
Die Fälle waren über das ganze Land verstreut, nur die Kantone Schwyz und
Basel-Land wurden besonders schwer heimgesucht. Die großen Städte litten ver*
hältnismäßig wenig. Am stärksten befallen war bei den Männern die Altersklasse
ron 80—89 Jahren, bei den Frauen diejenige von 20—29 Jahren, das Säug¬
lingsalter blieb völlig frei, die Jabresklasse von 1—17 Jahren war ebenso wie die
über 70 Jahre nur sehr schwach beteiligt. Der Morbidität von 2,6 auf 10000
Buwohner steht eine Mortalität von 0,75 gegenüber (290 Fälle) oder 29,4°/»
der Erkrankten. Bei beiden Qberwiegt das männliche Geschlecht im Gegensatz
tu amerikanischen und dänischen Berichten. In den ersteh Monaten des Jahres
1921 wurde wieder ein mäßiges Ansteigen der Erkrankuogsfälle beobachtet
(Januar 28, Februar 49, März 86). Klinisch war eine sehr geringe Ansteckung*-
fähigkeit auffällig, alle Fälle traten vereinzelt auf, nur wenige Familien- oder
klebe Hausepidemien ließen sich feststellen. Die Krankheitserscheinungen sind
(ehr wechselnd (Ophthalmoplegie, Nystagmus, Somnolenz, choreaartige Unruhe,
Myalgien, Myoclonus, Paralysis agitans, Exanthem, mäßiges Fieber). Ein Zu¬
sammenhang mit der Grippe wird abgewiesen. DerSingultus epidemicus
wurde gegen Ende 1920 besonders bei Erwachsenen beobachtet, wenige Stunden
bis zu 7 Tagen. Schnell wie er gekommen verschwindet er auch wieder, zumeist
ohne Fieber oder andere Begleiterscheinungen. Der von anderer Seite behauptete
Zusammenhang mit Encephalitis lethargica (vergl. Lisermitte, Presse mödic. 1920,
Kr. 93, ref. D. M. W. 1921, 8.1176) konnte nicht erwiesen werden.
Sieveking-Hamburg.
7. Lungentuberkulose.
Meise Kaltblütertuberkelbazillen nnd das Frledmannsche Mittel.
Von Prof. Dr. A. Müller-Berlin. Berliner klm. Wochenschrift, 1921, Nr. 4.
Müller stellt fest, daß das von ihm schon vor längerer Zeit geübte
Verfahren dem später von Friedmann angewandten gleicht, daß seine
(Müllers) Kaltblüterbazillen (Blindschleichenbazillen) dem Tuberkelbacillus
viel näher stehen als Friedmanns Schildkrötenbazillen, die überhaupt nicht
nur harmlose Sapropbyten seien, daher auch keine Immunität oder Heilung der
Tuberkulose erzielen können. Im übrigen sei mit dem echten vollvirulenten
menschlichen Tuberkelbacillus, mit kleinsten Dosen beginnend, Immunität und
Heilung der Tuberkulose zu erzielen. Dr. Solbrig-Breslau.
Grippe und Lungentuberkulose. Von Dr. 0. Kieffer. Aus dem
8pital für Lungenkranke in Mannheim. Berliner klinische Wochenschrift,
1920. Nr. 40.
Verfasser sagt über die Bedeutung der Grippe als auslösendes Moment
einer Tuberkulose nach dem heutigen Stande unserer Erfahrungen, daß
1. in unmittelbarem Anschluß an eine Grippe es infolge Versagens der
Immunität von einem alten tuberkulösen Lungenherd aus zu dem Bilde
der käsigen Pneumonie (unter Umständen als „galoppierende Schwind¬
sucht“, die rasch zum Tode führt) kommen kann,
2. ein alter inaktiver Lungenherd nach Grippe wieder aktiv werden kann,
8. in einer großen Reihe von Fällen im Anschluß an eine Grippe, auch ohne
daß ein aller Lungenherd vorliegt, eine Aktivierung einer latenten Hilus-
drüsentuberkulose und damit eine Bronchialdiüsentuberkulose, die dann
auch zu einer Lungentuberkulose führen kann, vorkommt. Zwischen der
158
Kleinere Hitteilaugen and Referate aas Zeitschriften.
Grippe and der klinischen Erkrankung an Tuberkulose liegt stets ein Inter¬
vall relativen Wohlbefindens von verschieden langer Dauer.
Dr. Solbrig-Breslan.
Nutsanwendungen aus den Kriegserfahrungen für die Anstaltspflege
Tuberkulöser. Von Dr. Zadek, dirigierender Arzt am Krankonhause und
der Tuberkulosefürsorgestdle in Neukölln. Zeitschrift für soziale Hygiene
und Fürsorge- und Krankenhauswesen, 8. Jahrg., Heft 1.
Z. hat im Kriege beobachtet, daß die bei kräftigen und vor dem Heeres¬
dienst langengesanden Soldaten in großer Zahl aafgetretenen Taberkulosen
von vornherein einen bösartigen Charakter und progressiven Verlauf annehmen.
Im Gegensatz hierzu zeigten die bei den früher bereits langenkrank gewesenen,
im Kriege wiederum an Taberkalose erkrankten Mannschaften trotz gleicher
äußerer Bedingungen zahlenmäßig stark in den Hintergrund tretenden Neu¬
erkrankungen die Tendenz zu milderem Ablauf der Phtise. Für die weitaus
größere Anzahl jener scheinbaren Neuerkrankungen kommt nur die endogene
Reinfektion im Sinne Römers in Betracht, d. h. eine Autoinfektion infolge
Durchbrechens der durch die Kindheitsinfektion erlangten relativen Immunität
Eine wirklich primäre exogene Neuinfektion kann demnach nur für jene Formen
mit galoppierendem Verlauf gefolgert werden, bei denen die Tuberkulose einen
über immunisatorische Kräfte überhaupt nicht verfügenden Körper aus voller
Gesundheit heraus ergreift und rasch vernichtet. Z. wünscht bei der Tuberku¬
losebekämpfung, daß diese Beobachtungen vollauf beachtet und ausgenutst
werden. Bei Erwachsenen treten von außen zustande gekommene Infektionen
an Taberkalose offenbar nur ein unter besonders ungünstigen, die Wider¬
standskraft des Körpers lähmenden Einflüssen bei kontinuierlicher massenhafter
Bazillenüber8chwemmung. Solche Verhältnisse kommen in der Krankenanstalt
niemals in Betracht. Es sollen zwar nicht schwerkranke Phtisiker und Nicht-
tuberkalöse zasammengelegt werden, aber es sei ganz unnötig und verfehlt,
wenn jeder Spitzenkatarrh mit gelegentlichem Bazilienbefand ängstlich isoliert
wird, besonders wenn damit besondere Kosten oder Onzuträglichkeiten ver¬
bunden sind. Z. meint, daß dieses Verfahren nur Schuld hat, weil man die
Taberkulosen in offene und geschlossene trennt und wünscht, daß diese Ein¬
teilung aufgegeben wird. So bemerkt er auch, daß der Erlaß des Reichs¬
ministers des Innern vom 10. November 1920 betreffend den Schutz der Kranken¬
pflegepersonen gegen Erkrankungen an Tuberkulose geändert werden müsse,
da er nicht mit den Erfahrungen am Krankenbett übereinstimme. Besonders
betrifft dies den Schlußsatz 3, in dem es heißt, daß Personen sich nicht für
den Krankenpflegeberuf eignen, die die Zeichen einer latenten Tuberkulose er¬
kennen lassen oder früher Taberkalose Überstunden haben.
Dr. Israel- Breslau.
Sollen wir dte „offene“ von der „geschlossenen“ Tuberkulose trennen T
(Erwiderung auf den Artikel von Zaaek.) Zeitschrift der sozialen Hygiene,
Fürsorge- und Krankenhauswesen, Heft 8.
Gewiß laufen bei der Einteilung in geschlossene und offene Tuberkulose
sehr häufig Fehler unter und es ist gewiß falsch, der bakteriologischen Diagnose
gerade bei dieser Erkrankung ein zu großes Gewicht beizulegen. Wenn wir
jedoch wie bei vielen Krankheiten das positive Ergebnis einer bakteriologischen
Diagnose höher bewerten als das negative, so wird man gegen die Einteilung
wenig einwenden können. Natürlich kann man nicht auf Grund einiger nega¬
tiver Gntersuchungen alle Vorsichtsmaßregeln fallen lassen und man muß die
Patienten aufklären, indem man ihnen die volle Wahrheit sagt; wenn man aber
den Patienten sagen würde, daß das ganze Volk mit Taberkalose seit der
Kindheit durchseucht ist. dann würde seitens der Patienten jede Vorsicht fallen
gelassen werden und die Fürsorge außerhalb der Anstalten, also die Familien-
sanierung, unmöglich gemacht werden. Bei der Tuberkulose ist für die Er¬
krankung die Massigkeit der Infektion maßgebend, gefährlich ist besonders der
tropfenvertreuende Phtisiker. Den chirurgisch-tuberkulösen Kranken mit dem
Lungentuberkulosen zu vergleichen, wie Zadek es tut, ist unmöglich, da bei
dun enteren bei einwandfreier Pflege eine Infektion unmöglich wird. Die Eia-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
IG»
teilung in offene und geschlossene Tuberkulose muß daher beibehalten werden
und bei der Diagnosestellung selbstverständlich der klinische und der bakterio¬
logische Befund zusammen bewertet werden. Dr. Israel-Breslau.
8. Trichinose.
Ueber Trichinose. Von Prof. H. Strauss. Aus dem Krankenhause
der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Berliner klinische Wochenschrift, 1921, Nr. 6.
Es war Aber 8 Fälle von Trichinose berichtet, die in zwei Gruppen vor-
kamen und unter denen im ganzen 2 (Erwachsene) starben. Das erste Mal
erfolgte die Infektion durch Kasseler Rippespeer und Schinken aus Polen, bei
der zweiten Gruppe durch durchwachsenen amerikanischen Speck, wobei die¬
jenigen Personen erkrankten, die den Speck roh genossen hatten, während die
übrigen, die häufig von dem Speck in gekochtem Zustand gegessen hatten,
gesund blieben bis auf einen, der leicht erkrankte.
Die Diagnose im Frühstadium ist stets schwierig bei den er sten Fällen.
Man denkt oft zunächst an Grippe oder beginnenden Typhus. Charakteristisch
sind die „Muskellähmigkeit* und das Lidödem bezw. Gesichtsödem. Letzteres
fehlte in keinem der beobachteten Fälle. Von einer histologischen Untersuchung
— bei der man den M. biceps nahe am Beginn der Sehne wählt — konnte hier
abgesehen werden, da die Diagnose so schon sicher war. Dr. Solbrig-Breslau.
9. Desinfektion.
Die neue Preußische Desinfektionsordnung und die Zukunft des
Desinfektorenstandes. Von Prof. Dr. E. Seligmann-Berlin. Zeitschrift für
soziale Hygiene, Fürsorge- und Krankeuhauswesen, III. Jabrg., Heft 8.
Auf dem im August 1921 abgehaltenen Deutschen Desinfektorentag
wurden bei Besprechungen um die Zukunft des Berufsstandes lebhafte Be¬
fürchtungen ausgesprochen, daß die materiellen Interessen der D. durch die
neue Desinfektionsordnung gefährdet seien. Nach einer Besprechung der neuen
Desinfektionsbestimmungen weist S. nach, daß die Arbeit des Desinfektors in
Zukunft gar nicht eingeschränkt werden soll. Es wird allerdings in Zukunft
weniger mit Dampf desinfiziert werden; daß aber die verstandesmäßige Arbeit
des Desinfektors unzweifelhaft erweitert und seine Verantwortung größer
wird, folgt aus dem Sinn der Anweisung. An die Ausbildung des D. werden
höhere Anforderungen gestellt werden und die Aufgaben werden nur von halb¬
amtlichen D. bewältigt werden können. In seucbenarmen Zeiten können sie auch
auf anderen Gebieten des Gesundheitswesens arbeiten, ganz besonders bei Be¬
kämpfung der Schädlinge. Die D. haben sonach allen Anlaß, die Aufstiegs¬
möglichkeiten, die ihnen die neue Desinfektionsordnung weist, aaszunutzen,
anstatt, wie 8. meint, grollend beiseite zu stehen. Dr. Israel-Breslau.
Heber die Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs. Von Oberarzt
Dr. Schuster-Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten,
92. Bd., 8. Heft, 1921.
Verfasser teilt seine Versuche mit, die er im hygienischen Institut in
Berlin auf Veranlassung von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flügge unter Benutzung
Von Kalk behufs Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs gemacht hat. Er irt
dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kalkmilch ein sehr einfaches und
sehr wirkendes Homogenisierungsmittel des Auswurfs ist und daß in dem damit
behandelten Sputum durch Zasatz von frischem Aetzkalk die darin vorhandenen
Tuberkelbazillen sehr schnell infolge der sich bis -f-120° C. entwickelnden Hitze
abgetötet werden. Es genügt aber auch, wenn man den Auswurf nur mit
Wasser vermische und dann im Verhältnis 2:1 gebrannten Kalk hineinwirft.
Die Hauptsache ist aber, daß der Kalk gut ist. Verfasser empfiehlt, ihn von
den Rüdesdorfer Kaliwerken zu beziehen und zwar den sog. Marmorkalk in
kleinen bis höchstens walnußgroßen Stücken, der sorgfältig verschlossen an
trockenen Orten aufbewahrt werden muß. Das Verfahren hat auch den Vorsag
S toßer Billigkeit gegenüber anderen Verfahren (12 Pfg. um 160 ccm Sputum zu
esinfizieren gegenüber 22—80 Pfg. (Sublimat), 80 Pfg. (Phobrol), 60 P{g.
(Sagrotan), 98 Pfg. (Alkali-Lysol) und 66 Pfg. (Poril). Bpd. een.
160
Besprechungen.
Znr Frage der Desinfektion des tuberkulösen Auswurfes mittels
Aetzkalk. Von Prof. Dr. Kirstein, Direktor des Medizinaluntersuchungs-
amtes in Hannover. Deutsche medizinische Wochenschrift, 1921, Nr. 49.
Verfasser hat durch seine Versache zwar festgestellt, daß durch das
von Schaster empfohlene Verfahren der Desinfektion des tuberkulösen
Answurfs mit Aetzkalk die Bazillen abgetötet wurden, aber nur bei Ver¬
wendung von gutem Aetzkalk, der nicht überall zur Hand ist. Außerdem ist
die Methode umständlich, unhandlich und gefährlich. Schon die Beschaffung
wallnußgroßer Kalkstücke ist schwierig, bei Verwendung yon kleineren Stücken
oder pulverförmigem Kalk verzögert sich aber die Reaktion und tritt dann
schließlich heftig, mitunter explosivartig auf, daß die Speigläser zerspringen
und Aetzkalkteile umhergeschleudert werden und Verletzungen bei den Be¬
teiligten hervorrufen können. Weiterhin ist die spätere Reinigang der Gliser
erschwert, weil sich die Kalksputummassen an der inneren Wand festsetzen.
Endlich ist das Verfahren auch nicht besonders billig, jedenfalls nicht billiger
als bei Verwendung des von Uhlenhuth empfohlenen Alkalilysols. Kirstein
kann deshalb vor der Verwendung von Aetzkalk zur Desinfektion tubcrknlösea
Auswurfes wegen der Unzuverlässigkeit, Umständlichkeit und Gefährlichkeit
dieses Verfahrens nur dringend warnen. Rpd. een.
Besprechungen.
Sr. Hermann flohall: Diagnostik und Ernährungsbehandlung der
Zuckerkrankheit in der Praxis. Zweite vollständig neu bearbeitete Auf¬
lage. Leipzig 1921. Verlag von Curt Kabitzscb. Gr. 8°; 70 8. Preis:
geh. 14 Mark.
Die Arbeit bildet die zweite Auflage der „Praxis der Ernährungstherapie
der Zuckerkrankheit“; sie ist aber namentlich mit Rücksicht auf die Diagnostik
der Zuckerkrankheit wesentlich erweitert und trägt vor allem den jetzigen
Ernährung8möglichkeiten Rechnung. Verfasser will namentlich den praktischen
Aerzten zeigen, daß es auch heute möglich ist, einen Zuckerkranken sach-
S emäß zu ernähren; dies ist ihm vollständig gelungen und wird zweifellos
asu beitragen, seiner Schrift die wohlverdiente weite Verbreitung in ärztlichen
Kreisen su verschaffen. __ Rpd.
Dr. Frans Xaver Mayr: Facharzt für Verdauungs- und Stoffwechsel-
Krankheiten: Fundamente zur Diagnosik der Verdauungskrankheiften.
Mit 67 Abbildungen auf 20 Tafeln. Wien und Leipzig 1921. Verlag von
Wilh. Braumüller. Gr. 8°; 324 8. Preis: geh. 48 Mark.
Die Kenntnisse in der Physiologie und Pathologie des Verdauungsapparats
und somit auch in der Diagnostik ihrer Erkrankungen haben gerade in der
neueren Zeit eine ganz außerordentliche Erweiterung und Verbreitung erfahren,
die in erster Linie auch den Fortschritten anf dem Gebiete der Untersuchung!-
technik zu verdanken ist. Trotzdem ist es nach Ansicht des Verfassers mit
der Diagnostik der Verdauungskrankheiten noch recht schlecht bestellt, nament¬
lich gilt dies in bezug auf die durch lnspektion, Palpation und Perkussion
festzustellenden Untersucbungsergebnisse und ihre praktische Bearbeitung für
die Diagnose. Verfasser will deshalb durch sein Werk den Arzt in den Stand
setzen, sich jederzeit am Krankenbette auch ohne chemische und instrumentale
Hilfsmittel ein möglichst zutreffendes Bild von dem Zustand und der Funktion
der einzelnen Abschnitte des Verdauungsapparates zu verschaffen; eine Auf¬
gabe, durch deren Lösung eine in dieser Hinsicht tatsächlich vorhandene Lücke
ausgefüllt wird. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß diese Lösung dem Ver¬
fasser gelungen ist; ein eingehendes Studium seines Werkes kann deshalb dem
Praktiker nur empfohlen werden; er wird daraus recht viel lernen können und
•ich sein „ärztlicher Blick“ wesentlich erweitern, vorausgeesetzt, daß er eines
solchen überhaupt besitzt _ Rpd.
Dr. Friedrloh Uhlmann, Privatdozent für Pharmakologie in Berlin: Lehr¬
buch der Pharmakologie-Therapie. Für Studierende und Aerzte. Mit einem
Anhang: ▲rzneidifpensierkwide von Dr. B. Bnrow, Diplom-Apotheker
Besprechungen.
161
nnd approb. Nahrangsmittelchemiker. Leipzig, 1921. Verlag Ton F. C. W.
Vogel. Gr. 8°; 449 S. Preis: geh. 100 Mark.
Verfasser will sowohl den Medizinstadierenden, als dem Arzt alles das,
was er über die Heilmittel wissen maß, in übersichtlicher and für seine speziellen
Zwecke geordneten Form geben. Er hat demzufolge den Stoff nach Indikationen
geordnet, damit sich der Arzt im Einzelfalle schnell nnterrichten kann, and
bei jedem Arzneimittel chemische Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften,
pharmakologische Wirkungen, Indikationen, Eontraindikationen, Dosierung nsw.
angegeben. Das Bach ist für das ganze deutsche Sprachgebiet bestimmt, dem¬
zufolge sind das deutsche, schweizerische and österreichische Arzneibach berück¬
sichtigt. Diese Berücksichtigung hat jedenfalls nicht unerhebliche Schwierig¬
keiten verursacht, den Umfang des Werkes vermehrt und wie Verfasser sehr
richtig bemerkt, den Beweis für die Unzweckmäßigkeit erbracht, daß jedes
der drei Länder je ein eigenes Arzneibach hat. Bocht zweckmäßig und
brauchbar ist die im Anhang beigefügte, von einem Apotheker (Dr. Bnrow)
bearbeitete Dispensierknnde, die besonders dem angehenden Mediziner sehr
willkommen sein wird. _ Rpd.
Profi Dr. O. Vauwerok, Geh. San.-Bat and Direktor des pathologischen-
hygieuiscben Instituts der Stadt Chemnitz: ßektionstechnik für Studierende
und Aerste. Sechste vermehrte Auflage. Mit 1 Titelbild und 124 teilweise
farbigen Abbildungen im Text. Jena, 1921. Verlag von Gustav Fischer.
Gr. 8°; 319 8.
Das Nauwercksche Bach ist schon wiederholt in dieser Zeitschrift
besprochen and mit Rücksicht auf seine großen-Vorzüge als geradezu unent¬
behrlich für den Gerichtsarzt and Medizinalbeamten bezeichnet. Dies gilt in
erhöhtem Maße auch von der neuen Auflage, die nicht anerhebliche Ergänzungen
und Verbesserungen, namentlich aber eine sehr wertvolle Erweiterung durch
eine alle Einzelheiten berücksichtigende Anleitung zur Konservierung and
Aufstellung des Skelettmaterials erhalten hat, die von Prof. Dr. C. Pick in
Berlin, einer bekannten Autorität auf diesem Gebiete, verfaßt ist. Hervorzuheben
ist aach die vorzügliche Ausstattung der Neuauflage, für die die Verlags¬
buchhandlung besondere Anerkennung verdient. Bpd.
Dr Karl Birnbaum, Oberarzt an der Irrenanstalt Herzberge der Stadt Berlin:
Kriminal-Psychopathologie. Berlin, 1921. Verlag von Julius Springer,
1921. Gr. 8°, 214 S. Preis: 45 Mark, geh. 51 Mark.
Verfasser will in seinem Buche einen systematischen Ueberblick Uber
die Gesamsheit der Erscheinungen geben, in denen die Beziehungen des Rechts¬
brechers zum Pathologischen geschildert werden. Die eigentliche Kriminal¬
psychopathologie — Ursachen, Grundlagen und Erscheinungsformen von Ver¬
brechen und Verbrechern — findet demzufolge ebenso Berücksichtigung wie
die kriminalforensische — psychopathologische Erfassung des Ver¬
brechers in Strafverfahren und seine psychiatrische Beurteilung — und die
Psychopathologie beim Strafverfahren und Strafvollzug. Im Rahmen
dieser Gesamtdarstellung wird eine grundsätzliche Feststellung und systematische
Beurteilung der grundlegenden Sachverhalte, grundsätzlichen Zusammenhänge
und der daraus sich ergebenden Gesichtspunkte und Feststellungen in ge¬
drängter und geeigneter Zusammenfassung gegeben. Das Buch nimmt dadurch
■ach Verfassers eigner Ansicht gegenüber anderen psychiatrisch - forensischen
Werken in mehr als einer Hinsicht eine wissenschaftliche Selbständigkeit und
Sonderstellung ein; es ist dies aber kein Nachteil, sondern vielmehr ein Vorzug,
der um so stärker hervortritt, je mehr man sich tiefer in das Studium des
Buches vertieft. _ Rpd.
Dr. med. Dreuw, Polizeiarzt a. D. in Berlin: Die Sexualrevolution. Ernst
Bircher Verlag. Leipzig 1921. Preis: brosch. 80 Mk.
Das von juristischer Seite (s. Zt. im „Tag 0 von dem Kieler Oberlandes-
gerichtsrat Dr. jur. et phil. Bovensiepen) so warm empfohlene Buch, ver¬
dient auch die Lektüre des Mediziners, gleichgültig, ob er für den Dreuw-
scheu Vorschlag „der allgemeinen, gleichen, diskreten Anzeige- und Behand¬
lungspflicht (ohne Namensnennung) an ein zum strengsten Stillschweigen
162
Tagesnach richten.
verpflichtetes Gesundheitsamt“ zar Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ein*
tritt oder nicht. Denn ancb ein Gegner der Vorschläge wird das Bach, das ihmüefste
Einblicke in die gegenwärtige Medicopolitik gewährt, mit lebhaftestem Interesse
lesen, zumal die überaus gewandte Stilistik des Autors das Lesen der 628 Oktav-
seiten erheblich erleichtert. F. Kanngiesser-Braunfels.
Tagesnachrichten.
▲na dem preusslsohen Landtag«. Der BeamtennnsschuA des
Landtages hat nun in seiner Sitzung vom 4. d. Mts. den Antrag angenommen,
das Staatsministerium zu ersuchen, nach Benehmen mit der Reichsregierung
die vor dem 1. April 1920 in den Buhestand versetzten Beamten
und die Hinterbliebenen vor dem 1. April 1920 verstorbener
Beamten mit den nach dem genannten Zeitpunkt ausgeschie-
denen Beamten und ihren Hinterbliebenen hinsichtlich der
EinreihunginAufrückung-und nen geschaffene Beförderungs¬
stellen gleichzustellen. Hoffentlich findet der Antrag die Zustimmung
sowohl der preußischen Staatsregierang, als der Beicbsregierung, damit endlich
die bisherige ebenso schwere als ungerechte Benachteiligung der älteren pen¬
sionierten Beamten fortfällt.
Besoldungsfragen. 1 ) Nach den „Nachrichten des Berufsverelns höherer
Verwaltungsbeamten“ (1922, Nr. 1) hat der Beichsbund höherer Beamten Vor¬
schläge zur neuen Besoldungsreform gemacht, wonach neben der Zugrunde¬
legung eines Existenzminimains den einzelnen Besoldungsgruppen ein prozentual
gleichmäßiger Aufstieg der Beineinkünfte gewährleistet sein muß. Als Bein¬
einkommen eines verheirateten Beamten der Ortsklasse A war bei Anwen¬
dung der Indexziffer für November (1897) gefordert:
für Gruppe X 49093 M. Anfangs-, 66 612 M. Endeinkommen
* . XI .6168 „ , 78 781 „
„ „ XII 61994 „ „ 82866 „
Es wird ferner berechnet, daß die neueste Gehaltsregulierur,'- der Be¬
amten, wenn man das Nettoeinkommen mit dem Einkommen im Jahre 1914
vergleicht und dabei berücksichtigt, daß die jetzige Mark zur Goldmark
= 1 : 26 sich verhält, ein ganz erhebliches Zurückbleiben hinter den An¬
forderungen bedeutet: z. B. ist das Nettoeinkommen in Gruppe XI (Höchst¬
gehalt in Ortsklasse B) um 6618 M. geringer zu bemessen, als in Vorkriegi*
mark, so daß es nur 2208 M. in Vorkriegsmark beträgt.
Die Gebühren der Medizinalbeamten in Anhalt sind nach einer Ver¬
ordnung des Staatsrates vom 24. Januar 1922 gegenüber den im Gesetz vom i
22. März 1912 festgesetzten Gebühren mit Wirkung vom 1. Januar 1922 ab J
um 800 v. H. erhöht worden. (Nach Pharmazeut. Zeitung; 1922, Nr. 18). |
Nachruf. Am 4. d. M. ist zu Essen der Kreisarzt im Buhestands
Geheimer Medizinalrat Dr. Hugo Baoine im 67. Lebensjahre plötzlich ver¬
storben. Er war seit 1882, also seit 40 Jahren, Medizinalbeamter nnd zwar
zunächst Königlicher Kreiswundarzt, dann Kreisarzt der Stadt- und Landkreise
Essen mit einer rasch anwachsenden industriellen, viele sanitäts- und medisinal-
polizeiliche Aufgaben stellenden Bevölkerung von schließlich rd. 600000 Seelen,
also gleich der eines mittleren Regierungsbezirks, außerdem auch Stadtarzt
von Essen, bis die Teilung des großen Kreisarztbezirks erfolgte und Bacines
Zuständigkeit auf den Zentralteil der großen Industriestadt Essen beschränkt
wurde. Nur seine ganz ungewöhnliche Leistungsfähigkeit hat Racine be¬
fähigt, die Biesenarbeit dieser Stellungen nicht nur zu bewältigen, sondern
auf das Vortrefflichste durchzuführen; ja, er war außerdem auch ein gewissen¬
hafter Krankenhausarzt, _ beteiligte sieb an vaterländischen Unternehmungen
und fand dabei noch genügend Zeit, seine weiten und tiefen fachwissenacbut-
liehen wie allgemeinen Kenntnisse weiter zu vermehren. Ausgestattet mit
praktischem Blick und großem Taktgefühl, war er bei staatlichen und städtischen
*) Inzwischen ist eine neue Besoldungsordnung beschlossen, die Ver¬
besserungen mit sich bringt, die allerdings noch hinter den obigen Forderungen n
Zurückbleiben. 1
Tagesnachrichten.
168
Behörden, bei Aersteschaft and Poblikam, nach als ärstlicher Konsiliarius,
eine im rheinisch-westf&lischen Industriebezirk hochgeachtete and beliebte
Persönlichkeit. Racine war ein feiner Mensch, ein auf den Versammlungen
unseres Düsseldorfer Bezirks-Medizinalbeamtenvereins regelmäßig erscheinendes
und ebenso gern gesehenes wie gehörtes Mitglied, ein aasgezeichneter Medizinal*
beamter, der auch in der früheren selektorischen Zeit den Durchschnitt ganz
erheblich überragte and dabei immer anspruchslos blieb. Es war mir rer*
gönnt, 18 Jahre mit diesem vortrefflichen Kollegen zahlreiche sanitäre Aal*
gaben von zum Teil hoher Wichtigkeit in seinem, vielen Gefahren aasgesetzten
Kreisarstgebiet zusammen za bearbeiten and dabei seine Bedentnng für das
Gesundheitswesen immer von neuem wahrnehmen za können. Während des
Krieges nahm Racine neben allen seinen Amtsgeschäften auch den militäri*
sehen Dienst trotz seines vorgeschrittenen Lebensalters wieder anf und tat
Dienst als Oberstabsarzt in Beinern Heimatorte. Bei voller Leistungsfähigkeit
fiel er am 1. 4. 1921 dem Altersgrenzegesetz zum Opfer and widmete sich
seitdem mit Eifer seiner ärztlichen Tätigkeit bis zuletzt; er starb in den
Sielen. Wir noch Zurückbleibenden werden ihn nicht vergessen, seine Werke
werden ihm nachfolgen.
Düsseldorf, den 9. März 1922. Borntraeger.
Zur Wohnungsnot. Unter der Wohnungsnot leiden bekanntlich alle
Städte, namentlich die Großstädte in erschreckendem Maße. Aber unter allen
Großstädten ist Breslau am schlimmsten dran; denn hier spielt neben dem
natürlichen Bevölkerungszuwachs der Zuzug aus Oberschlesien eine gewaltige
Rolle. In Breslau haben mehr als 82000 Wohnungslose beim Wohnungs*
Kommissar die Zuteilung einer Wohnung beantragt. Inbezug auf 2-, 8- und
4-Zimmer-Wohnungen herrschen hier die allerungünstigsten Zustände: bei
2-Zimmer-Wohnungen entfielen in Breslau auf ein Angebot 48 Nachfragen (in
Berlin nur 18. in Köln 9, in Essen 10, in Magdeburg 18, in Königsberg
87 Nachfragen), bei 8-Zimmer-Wobnungen entfielen in Breslau auf ein An*
g ebot über 66 Nachfragen (in Berlin 16, in Köln 10, in Essen 18,5, in Magde*
arg 17, in Königsberg 29 Nachfragen), bei 4-Zimmer-Wohnungen waren in
Breslau auf ein Angebot 70 Nachfragen (in den übrigen Großstädten 4 bis 80).
Dabei ist die Zahl der Eheschließungen in erheblicher Zunahme begriffen.
Es wird darauf hingewiesen, daß mit den bisher angewandten Mitteln,
der Verringerung des den einzelnen Haushaltungen zugewiesenen Wohnraums
und dessen zwangsweiser Zuteilung an die Wohnungsuchenden, dem ständig zu*
nehmenden Bedarf nicht genügt werden kann. Der Ausweg, der nur in Frage
kommt, ist der, durch besondere Maßnahmen die Neubautätigkeit zu steigern.
Dies will man erreichen durch die gesetzliche Erhebung einer Abgabe zur
Förderung des Wohnungsbaues, welches Gesetz am 26. Juni 1921 erlassen ist.
Beklmpfnng des Alkoholmlßbrauehs. Ein Erlaß des Preußischen
Ministers für Volkswohlfahrt vom 9. Januar 1922 an die Oberpräsidenten weist
auf den in bedenklichem Umfang zunehmenden Alkoholmißbrauch, der namentlich
die heran wachsende Jugend bedroht, hin. Diese betrübliche Erscheinung kann
leider keinem, der sich mit offenen Augen umsieht, entgehen. Es wird deshalb
mit Recht von der Zentralstelle darauf hingewiesen, daß eine weitere plan*
mäßige Förderung aller in Frage kommenden alkoholgegnerischen Maßnahmen
driogend geboten ist. Wie bereits im Vorjahr wird auch für dieses Jahr ein
Betrag aus den Monopolgeldern den Provinzen zur Verfügung gestellt, der
diesen Zwecken dienen sofi. Bei der Verteilung der überwiesenen Mittel soll,
wie es bisher schon mit Erfolg in mehreren Provinzen (auch in Schlesien 1)
geschah, ein aus Vertretern der alkoholgegnerischen Bewegung zu bildender
Beirat gutachtlich gehört werden. Es sollen in erster Linie bewährte Ein¬
richtungen, die schon erfolreiche Arbeit geleistet haben, unterstützt werden,
der Schutz der Jugend gegen die Gefahren des Alkohols ist bewußt in den
Vordergrund zu stellen.
So erfreulich diese von der Zentralstelle ausgehende Förderung der
dringend nötigen alkoholgegnerischen Maßnahmen auch ist, die sieh nicht mit
Worten begnügt, so notwendig ist auch eine wesentlich größere Bereit*
Tagesnachrichten.
164
Stellung von Geldmitteln, als es bisher der Fall war. Ueber die endgültige
Ziffer der zur Verfügung za stellendenden Geldbeträge ist noch nichts be-
kannt — hoffen wir, daß die Somme so sein wird, daß damit auch etwas an*
zufangen ist!
Im Deutschen Kommunalverlag Berlin-Friedenau wird binnen kurzem
das von Oberbürgermeister Dr. Luther, Oberbürgermeister Mitzlaff und
Generalsekretär Stein herausgegebene Werk über „Die Zukunft saufgabem
der deutschen Städte“ erscheinen. Das Werk verspricht nach dem Inhalts¬
verzeichnis und der großen Anzahl namhafter Mitarbeiter bedeutungsvoll sn
werden. Bei Vorausbestellung wird das Werk vom Verein für Kommunal¬
wirtschaft und Kommunalpolitik zum Vorzugspreise von 160 M. bei 80 Bogen
Inhalt den Mitgliedern des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins angebotea.
Wir verfehlen nicht, hierauf hinzuweisen.
Die ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenetik faa
Berlin veranstaltet eine 2 tägige Sitzung am Sonnabend, den 25. Mär 4L
abends 7 Uhr und am Sonntag, den 26. März, vormittags 10 Uhig
im großen HOrsaal des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht Pott*
damer Straße 120.
Tagesordnung:
Die Mitarbeit des Arztes an der Bekämpfung des Geburtenrückganges,
Beferenten sind die Herren: Begierungsrat Dr. Boesie: Die Tatsachen ded
Geburtenrückganges. — Dr. Gustav Tugendreich: Arzt und Fürsorge»
stelle — Prof. Dr. Grotjahn: Ueber Begeln zur menschlichen Fortpflanzung. —
Prof. Dr. H. Poll: Vererbungslehre und menschliche Fortpflanzung. — Geh.Bat
Prof. Dr. C Posner: Ueber Fortpflanznngstherapie beim Manne. — Dr. Max
Hirsch: Ueber Fortpflanznngstherapie beim Weibe. Wortmeldungen zur Aus¬
sprache sind schon jetzt an den Vorsitzenden Dr. Max Hirsch, Berlin W. 80,
Motzatr. 84 erbeten. Der Verhandlungsbericht erscheint im A>chiv für Frauen¬
kunde und Eugenetik, Sexualbiologie und Vererbungslehre Weitere Auskunft
erteilt der Schriftführer Dr. Czellitzer, Berlin W. 9, Potsdamerstr. 6.
Die diesjährigen Jahresversammlungen des Deutschen Zentral-
Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose finden vom 17. bis 19. Mai
in Bad Kösen statt. Am 1. Tag wird die Tuberkulose-Aerzte-Versammlung
(nur für Aerzte) abgehalten werden, am 2. Tage die Generalversammlung und
die Ausschnß-bitzung und am 3. Tage je eine Sitzung der Mittelstands-, Lupus-
und Fürsorgestellenkommission. Für jede Versammlung ist ein allgemein
interessierender Vortrag mit anschließender Erörterung vorgesehen. ,
Die Mitglieder des Prenßischen Medizinalbeamtenvereins,
die das Personal Verzeichnis der preußischen
Medizinalbehörden und »Beamten zum Vorzugs¬
preis erhalten, aber den Betrag dafür (7,50 M. einschl. Porto)
noch nicht eingeschickt haben, werden um dessen Binsen«*
düng bis zum 5. April d. J. gebeten; andernfalls wird der
Betrag durch Postnachnahme eingezogen werden.
Berlin, den 18. März 1922.
Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld.
VwaatwoHttoh Ar die Sehrt ftleltang: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Bat In Brealan,
Brealan V, BehdlfentraBe 84. — Dreck Ton 3 . 0. C. Brun», Minden 1. W.
Zeitschrift für MedteinalbeamtU.
Gestorben: Geh. Med.»Bat Dr. Bäu her
Io Erfurt
I.aofen, Jjr, 0. Baue i in SchWftbacfc, l}f. E. BfOgger in uttnzburg, Dr.
A. ff oben herge-F i?r Saßfuft, Dr, Jt&ötä in Erlangen, Dr.fLPu rukb aaer
in Lindau» Dt M. Discbiiiger »u Mefliftiiiageo, Dt. M. M alier in Riedenbnrg
Dr. fl. Sofort an in üffenbeieo. Oe. A. Öticki in FiDsen, Dr, A. Eäfm&aa
t# Null*« Dr> K. Göb ring io Rothenberg, Dr» CEWMd Ja WanaisdeS, Dft
©. Borger io tUeitissob, Dr. J. A Idiag&r io Ochteßiart, Dr. L. Mayr in
Mönchen, Di . A. Schelle in Bamberg, Dr.F.Eotbharbinbr mWeilbeim,
Br. M. Hofbsmmer in Wulduitlncbeü, Dr. 3i Hertbl io Speyer, Dr.
W'^Kafipar io Sf Soeben, Dr-A. Gatermaoa in Neumarktv Dr, W. Hof mann
io. Mönchen. Dr, A Sauerteig in Börnberg, Dr. A. Debis-.r ia Landau L Pi,
ro Ober»öted.»Räteo.
Teraettts Besirksarat, Ob<»Med,.Rafc Dr. Becker ton NeostacU a. H.
nach WSrzbarg,
Gentorben: Besirkaarat Dr. Tezett tack in KaristaAt a. M.
Gentorben .* ÖK-Med.-Rat Prof. Dr, Ni p p o I d , Gerjcbtsawt i» Freiberg
K&rnborg-.
Gestorben : Prof. Dr. D un bar, Direktor doB Hygienischen Instituts der
Universität .Hamburg
tPortsdixGCj? *uf 4 er 7 »rIe*itco Seit«* de» OsaftähjAfs.)
Dieabr Kammer fitigt ein Prospekt der Firma Kalle » Co, AkUengeteU»
ehaft, betr. , 4 P»illdol“, bei, worauf besonders aufmerksam gemacht, wird.
y Sißsetsäure^Eiweis#
pro Ttsbl. O/i s Sl ö*; 3X tägl, i Tabl-
Gegen Ekaeme, Ltmgoxtkr&jakheiten. etc.,
besonders gegen beginnende mü fibröse TnberkxdOBe.
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Chetn. Fabrik, Köln a. Rh.
Generalvertreter für Berlin und ümgegeud:
A. Jtosenb erger, Arkona-Apotheke, Berlin Nr- 37,
Arkonapl&tz 5, Tel.* Amt Humbold 1711 und 6823-
I
30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter.
Von Medizinalrat Dr. Israel in Breslau.
„Schon wieder einer mit Erinnerungen an die Amtszeit!
Es scheint, die alten Herren werden redselig.“ So höre ich
manchen Leser im Hinblick auf den Artikel des Herrn Kollegen
Sarganek in Nr. 19 Jahrg. 1921 dieser Zeitschrift ausrufen.
Nicht etwa „die Lust zum Fabulieren“ verleitet mich dazu,
den knappen Raum dieser Zeitschrift zu einem Rückblick in
Anspruch zu nehmen, auch nicht nur der Wunsch, selbst Rechen¬
schaft über meine Tätigkeit abzulegen; ich will zugleich ver¬
suchen, einiges zu schildern, was als Fortschritt in der prak¬
tischen Gesundheitspflege gebucht werden kann. Endlich will
ich den jüngeren und angehenden Kollegen praktische Rat¬
schläge und Hinweise geben für Dinge, die nur durch Erfahrung
gelernt werden können. Schon vor einiger Zeit hatte ich die
Absicht, meine Erlebnisse als Medizinalbeamter Revue passieren
zu lassen, hatte dies aber in dem Gedanken zurückgestellt, daß
ja viele Wege nach Rom führen, daß aus örtlichen Verhält¬
nissen eine Vielfältigkeit in der Amtsführung resultiert und daß
schließlich der Einzelne sein Amt so führt wie es Neigung und
Individualität zulassen. Nachdem aber Kollege Sarganek
166
Dr. Israel.
manches ausführlich geschildert und auch Postulate aufgesellt
hat, möchte ich mit den meinigen, die in mancher Hinsicht
diametral entgegengesetzt sind, nicht mehr zurückhalten.
Schweigen soll hier keine Zustimmung bedeuten und das
Sprichwort „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede“ be¬
steht noch immer zu Recht.
Nach einjähriger Tätigkeit in einer großen Irrenanstalt
und dreijähriger Praxis in einer kleinen Stadt wurde ich in
einem rein ländlichen Kreise Kreisphysikus und dann Kreisarzt,
blieb dort 2B Jahre und hatte neben meinem Amt eine aus¬
gedehnte ärztliche Praxis. Endlich wurde ich vollbesoldeter
Kreisarzt in dem Landkreise, der rings um Breslau liegt, bis
ich im Stadtkreise Breslau gelandet bin. So kann ich mir wohl
ein Urteil erlauben nicht nur über das, was von den Medizinal-
bearaten in den letzten drei Jahrzehnten geleistet wurde, sondern
auch über die Art der Geschäftsführung und über die Zusammen¬
arbeit mit den einzelnen Behörden. Entsprechend dem über¬
wiegend größeren Zeitraum, der der Tätigkeit auf dem Lande
gewidmet war, werde ich hauptsächlich die Verhältnisse auf
dem Lande und in kleinen Städten berücksichtigen. Diese stehen
wohl auch im Vordergründe des Interesses; denn hier gibt es
noch für die nächsten Jahrzehnte viel zu tun; hier fängt auch
die Mehrzahl der Kollegen ihre Tätigkeit an, während in den
Großstädten die sanitären Forderungen mehr oder weniger
erfüllt sind und in ihrer Handhabung sich schon eingebürgert
haben.
Die kreisärztliche Tätigkeit erstreckt sich auf folgende
Arbeitsgebiete:
1. Medizinalpolizeiliche Tätigkeit,
2. Hygienisch-prophylaktische Tätigkeit,
3. Hygienisch-fürsorgerische Tätigkeit,
4. Vertrauensärztliche und Gutachtertätigkeit.
Auf allen diesen Gebieten ist eine Zusammenarbeit mit
Behörden und Medizinalpersonen nötig. Der Verkehr mit über¬
geordneten und gleichgestellten Behörden ist etwas, was der
Medizinalbeamte mit allen anderen Staatsbeamten gemeinsam
hat. In nicht seltenen Fällen ist es mir aber begegnet, daß
der Medizinalbeamte hierin mangels besonderer Vorbildung im
Anfang seiner Tätigkeit große Unsicherheit zeigte. Darum wäre
es sehr zu begrüßen, wenn wenigstens der Mehrzahl der An¬
wärter Gelegenheit gegeben würde, sich als Kreisassistenzarzt
bei älteren Kreisärzten oder auf der Regierung einzuarbeiten.
Eine Sonderstellung nimmt aber der Medizinalbeamte dadurch
ein, daß er ohne Mitarbeit einzelner Gruppen von Medizinal¬
personen sein Amt nicht ausführen kann. Das führt uns zur
Besprechung der höchst wichtigen Beziehungen zu den nicht
beamteten Aerzten, zu dem Gegenstand also, den auch
Kollege S. ausführlich besprochen hat.
Ich muß nun vod vornherein gestehen, daß ich auf ziem-
ich entgegengesetztem Standpunkte stehe. Gerade auf per-
SO Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter.
167
8önliehe Beziehungen zu den Aerzten meiner Kreise habe
ich den größten Wert gelegt und würde es aufs tiefste bedauern,
wenn in § 23 der Dienstanweisung statt „persönliche“ nur
„amtliche“ Beziehungen gefordert würden. Will nämlich der
Kreisarzt gedeihliche Fortschritte in seinen Arbeiten erzielen
und zugleich Befriedigung darin finden, so kann er der Mit¬
arbeit der Aerzte nicht gut entraten. Anregung und An¬
leitung hierzu müssen unbedingt vom Kreisarzt ausgehen, was
aber nicht gut ohne persönliche Annäherung möglich ist. Man
bedenke doch, wie wenig die Aerzte in den klinischen Semestern
von der öffentlichen Gesundheitspflege und der praktischen
Handhabung der diesbezüglichen Gesetze lernen. Zwar hat
sich in den letzten Jahren darin eine kleine Besserung gezeigt,
aber immer bleibt noch sehr viel zu wünschen übrig. So sind,
um nur ein häufiges Vorkommnis herauszuholen, die Aerzte
vielfach nicht genügend über die Anzeigepflicht bei anstecken¬
den Krankheiten informiert; ist es mir doch in jüngster Zeit
vorgekommen, daß sehr erfahrene Aerzte und Frauenärzte mich
befragten, ob Kindbettfieber auch bei Frühgeburten anzeige¬
pflichtig ist, ebenso ob fieberhafte Peri- und Parametritis im
Wochenbett als Kindbettfieber anzusehen sind. Bei Typhus,
wenn z. B. die erste bakteriologische Diagnose negativ aus¬
gefallen ist, wird die Anzeige nicht selten unterlassen. In
solchen und ähnlichen Fällen habe ich mich niemals an die
Polizei wegen der rechtzeitigen Anmeldung durch den Arzt
gewendet, sondern mich stets direkt mit dem Kollegen in Ver¬
bindung gesetzt und bin dann fast nie auf Widerstand gestoßen.
Konventionelle Beziehungen haben mir aber nicht genügt,
sondern ich habe stets persönliche Annäherung gesucht und
auch gefunden. Es ist mir noch hierbei der Rat eines alten
erfahrenen Medizinalbeamten in Erinnerung, der mir sagte:
Der Kreisarzt solle sich den Aerzten gegenüber stets als primus
inter pares betrachten und ich kann hinzusetzen, daß ich nicht
so sehr den Nachdruck auf „primus“ als auf „inter pares“ gelegt
habe, was ich niemals zu bereuen hatte. Selbstverständlich gibt
es auch unter den Aerzten Elemente, die schwer zugänglich
sind und sich allem amtlichen abhold zeigen; daß solche aber
in der Minderheit sind, werden mir die meisten MedizinalbeamteD
zugeben. Es ist mir aber garnicht so schwer geworden, auch
solche Aerzte allmählich zur Mitarbeit heranzuziehen. Das
ärztliche Vereinsleben, dem sich der Kreisarzt aktiv widmen
muß, bildet die beste Plattform, von der aus auf solche wider¬
strebende Kollegen eingewirkt werden kann. Immer muß man
sich den Gedanken vor Augen halten, daß, wenn die Aerzte
abseits stehen und verärgert sind, die Arbeit des Medizinal-
heamten nicht so nutzbringend sein kann wie es dringend nötig
ist. Ich brauche nur auf die Fürsorgetätigkeit hinzuweisen, die
ohne Mitwirkung der Aerzte nicht denkbar ist.
Die Ueberwachung des Hebammenwesens gehört zu
den wichtigsten kreisärztlichen Aufgaben. Auf diesem (Jebiete
168
Dr. Israel.
hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren ge¬
wendet; durch die bessere Ausbildung der Hebammen haben
sich ihre praktischen Leistungen gehoben. Wenn sich auch
auf dem Lande die Zahl der zur Verfügung stehenden Aerzte
vermehrt hat, so hat doch in meinem ostpreußischen Kreise
manche Wendung und Plazentarlösung von der Hebamme aus¬
geführt werden müssen, und, wie ich hinzusetzen möchte, mit
bestem Erfolge. Verschleppte Querlagen, tiefe Dammrisse und
ähnliches gehören jetzt zu den äußersten Seltenheiten. Schon
bei der Auswahl der Kandidatinnen kann der Kreisarzt darauf
hinwirken, das geistige Niveau der Hebammen zu heben. Aller¬
dings lehne ich es entschieden ab, daß als Bedingung für den
Eintritt in die Hebaramenlehranstalt höhere Mädchenschulbildung
gestellt wird; welche von diesen Damen würde dann aufs Land
gehen wollen und sich bei Nacht auf schlechten Wegen bei
geringer Bezahlung quälen? Jüngst wurde von einer Seite der
Vorschlag gemacht, der Kreisarzt solle nur die körperliche
Tauglichkeit der Anwärterinnen feststellen, die geistige Fähig¬
keit dagegen der Hebaramenlehrer. Ich kann nach meinen
eigenen Erfahrungen keine Veranlassung hierzu finden, denn
jedem Medizinalbeamten müssen die zu stellenden Ansprüche
genau bekannt sein.
Die Beaufsichtigung der Hebammen hat in erster Reihe
darauf hin zu wirken, daß der vorgeschriebenen Meldepflicht
genügt wird. Ich habe dies nur dadurch zu erreichen gewußt,
daß ich bei den Ermittlungen nicht als Ankläger und Staats¬
anwalt auftrat, sondern als Berater. Nicht selten gelang es mir,
die Ursachen auch für schwere Kindbettfieberfälle aufzudecken,
ohne daß den Hebammen auch nur die geringste Schuld bei¬
zumessen war. Merken die Hebammen, daß man ihnen beisteht,
wenn ihre Schuldlosigkeit erwiesen ist, dann melden sie auch
lückenlos die Fieberfälle. Daß bei der statistischen Bewertung
dieser gemeldeten Fieberfälle Vorsicht geübt werden muß, sei
nebenbei bemerkt. Uebrigens habe ich mich auch auf diesem
Gebiete der Mitwirkung der Aerzte versichert. War eine Heb¬
amme in ihrer Tätigkeit lau oder hatte ich Verdacht auf
mangelnde Sauberkeit, dann wandte ich mich stets an die
Aerzte, mit denen die Hebamme am Kreißbett zusammenzu-
komraen pflegte. Garnicht selten habe ich dadurch wichtige
Fingerzeige erhalten. Daß die Hebammen auf dem Lande be¬
rufen sind, neben den eigentlichen Fürsorgerinnen als Helfer¬
innen bei der Säuglingsfürsorge zu fungieren, habe ich in dieser
Zeitschrift bereits vor zwei Jahren hervorgehoben. Meine
Ansicht ist mir von vielen Seiten bestätigt worden, sodaß jetzt
wohl allgemein die Losung lautet „Fürsorgerin und Hebamme*.
Man darf aber auch nicht achtlos an den Sorgen der Hebammen
Vorbeigehen, man muß an ihren Vereinssitzungen teilnehmen,
sie in ihren materiellen Fragen beraten und der Kreisverwaltung
gegenüber auf genügende Besoldung usw. dringen. Nicht un¬
wichtig erscheint mir besonders die Gratislieferung der Heb-
80 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter.
169
amraenzeitung seitens des Kreises; es ist dies eins der besten
Mittel zur Fortbildung. Die regelmäßigen Revisionen zu Hause
geben neben der amtlichen Ueberwachung Gelegenheit, auch
auch au! ihre häuslichen Verhältnisse einzugehen.
Meine Besprechung über das Heilpersonal kann ich nicht
abschließen, ohne die Tätigkeit der Gemeindeschwestern
erwähnt zu haben, deren Arbeit ich auf dem Lande stets hoch
eingeschätzt habe. Man muß die Tätigkeit dieser treuen Helfer¬
innen kennen gelernt haben wie ich, um sie gebührend bewerten
zu können. Die Vaterländischen Frauen vereine haben mit
materieller Unterstützung des Kreises oft geradezu muster¬
gültiges geleistet. Dauernde Anregungen kann der Kreisarzt
geben, wenn er sich in den Vorstand des Vaterländischen Frauen¬
vereins wählen läßt. Die Schwestern sind außer bei Hilfe¬
leistungen am Krankenbett, bei öffentlichen Impfungen, Schul¬
untersuchungen, Quäkerspeisungen, besonders bei Bekämpfung
ansteckender Krankheiten, garnicht zu entbehren. Wer anders
soll denn die Desinfektion am Krankenbett, die jetzt noch mehr
als früher in den Vordergrund treten soll, ausführen, wenn nicht
die Krankenschwester? Wer soll die Umgebungsuntersuchungen
bei Typhus und Ruhr machen? Ich kenne Schwestern, die an
Orten mit endemischem Typhus Hunderte von Proben eingesandt
und mich neben den Aerzten unermüdlich durch ihre Beob¬
achtungen unterstüzt haben. Die Bekämpfung der Tuberkulose
und die Ueberwachung der Bazillenträger ist ohne Schwestern
überhaupt nicht denkbar. Auf den alljährlich stattfindenden
Versammlungen habe ich mich bemüht, sie gerade auf diesem
Gebiete zu fördern.
Hiermit kommen wir zum hygienisch-prophylak¬
tischen Arbeitsgebiet des Medizinalbeamten. Mit der
Einführung der Medizinalreform und der Herausgabe der Dienst¬
anweisung war recht bald eine einschneidende Aenderung ein¬
getreten. Brachte letztere auch nicht die Erfüllung aller unserer
Wünsche, so war sie doch die Grundlage zur ersprießlichen
gemeinsamen Arbeit mit den Behörden. Ohne Uebertreibung
kann man behaupten, daß die größere Anzahl der Behörden
erst aus der Dienstanweisung Kenntnis davon erhielt, wozu
der Kreisarzt da ist und welche Befugnisse er hat. Ganz be¬
sonders erleichterte die Dienstanweisung die Arbeit mit den
Behörden zwecks Verhütung ansteckender Krankheiten, nachdem
auch fast um dieselbe Zeit die beiden Seuchengesetze in Kraft
getreten waren. Besonders die Anzeigepflicht war gegen¬
über den Bestimmungen des früheren Regulativs fester um¬
schrieben. Die Aerzte haben sich an die gesetzlichen Be¬
stimmungen immer mehr gewöhnt, es wurde ihnen durch die
eingeführten praktischen Meldeformulare und die Portofreiheit
erleichtert. Von anderen raeldepflichtigen Personen Meldungen
zu erhalten, glückt nur in vereinzelten Fällen, so daß man sagen
kann: Die Aerzte^allein haben die Pflicht und Verantwortung
170
Dr. Israel.
dafür übernommen, übertragbare Krankheiten und Seuchen zur
Kenntnis der Behörden zu bringen.
Der Kampf der Medizinalverwaltung gegen die Seuchen
hat zu einem vollen Siege geführt. Die Bekämpfungsmethoden,
auf den Untersuchungen von Koch basierend, haben sich in
der langen Zeit im Frieden und im Kriege vollauf bewährt.
Eine recht wesentliche Unterstützung bei der Ermittlung und
Feststellung bieten uns die Untersuchungen der Untersuchungs¬
anstalten an den Hygienischen Universitätsinstituten und die
Medizinaluntersuchungsämter. Unter der Aegide Kirchners
eingerichtet, leisten diese Anstalten Mustergültiges. Nur dadurch
ist es möglich geworden, die früheren Wahrscheinlichkeitsdiag¬
nosen in wissenschaftlicher Weise zu präzisieren. Die ganze
Handhabung ist praktisch, sodaß sich auch die Aerztewelt daran
gewöhnt hat und im ganzen fleißig Material einsendet. Im
speziellen wollen wir uns daran erinnern, was bei den einzelnen
Seuchen geschaffen worden ist: Bei Cholera die Flußüber¬
wachungsstationen, bei Fleckfleber die Entlausungsanstalten,
bei Pocken die energische Durchführung der Pockenschutz¬
impfung und endlich für Lepra die Einrichtung des Leprosoriums
bei Memel, wohin alle Leprösen aus Deutschland kommen.
Man hört oft sagen, daß die Mitwirkung des Eireisarztes
bei der Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten
eine wenig befriedigende ist und in den letzten Jahren keine
besondere Leistung aufzuweisen hat. Ich kann dies nicht unter¬
schreiben. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind auch hier
große Fortschritte gemacht worden. Die Aufsuchung der Infek¬
tionsquellen für diese Krankheiten ist, z. B. für den Abdominal¬
typhus, auf eine viel sichere Basis als früher gesetzt. Machte
man früher ausschließlich das Trinkwasser für Typhus ätiolo¬
gisch verantwortlich, wobei es natürlich viele Versager gab,
so steht man jetzt nicht mehr mit gebundenen Händen da,
nachdem die Lehre von den Bazillenträgern und den Daueraus¬
scheidern immer mehr ausgebaut wurde. Gerade diese Unter¬
suchungen bilden jetzt dankenswerte Objekte kreisärztlicher
Tätigkeit. Allerdings muß man zu den vielfachen Umgebungs¬
untersuchungen, deren Zahl manchmal in die Hunderte gehen
kann, Hilfskräfte, also Schwestern zur Verfügung haben. Man
wird auf deren Hilfe mehr als je zurückkommen, wenn die
neue Desinfektionsordnung erat in Kraft treten wird, bei der
mehr als bisher der Hauptwert auf die Desinfektion am Kranken¬
bette gelegt werden soll. Zieht man bei Ermittelung von über¬
tragbaren Krankheiten neben dem Arzt auch die Schwestern
zu, wie ich es regelmäßig getan habe, dann sind auch auf dem
Lande befriedigende Resultate zu erzielen. Was dort allerdings
meist fehlt, ist eine genügende Absonderung, zumal es auch an
Krankenhausbetten mangelt; etwas wird dieser Mangel dadurch
ausgehoben, daß die Bevölkerung auf dem Lande weniger dicht
ist, die Häuser meist in Abständen voneinander stehen und
der Verkehr ein viel geringerer ist.
30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter.
171
Bei den übertragbaren Krankheiten kann ich nicht an der
erfolgreichen systematischen Bekämpfung der Körnerkrank-
heit in Ostpreußen und den übrigen östlichen Provinzen vor¬
übergehen. Die fast vollständige Eliminierung der Krankheit
kann als eine Großtat der Preußischen Medizinalverwaltung
angesehen werden. Man vergegenwärtige sich nur, daß die
Schulkinder zu 10—15°/ 0 , in den Grenzkreisen 60—80 °/ 0 er¬
krankt waren und daß man es mit einer Volksseuche zu tun
hatte, die in schweren Fällen zur Erblindung führte. Neben
den Kreisärzten haben sich die praktischen Aerzte und Augen¬
ärzte in die Arbeit geteilt und last not least haben die Lehrer,
besonders auf dem Lande, sich in jahrelanger Arbeit mit den
täglichen Einträufelungen abgemüht, so daß kein geringer Teil
des Erfolges von ihnen in Anspruch genommen werden kann.
Die Mithilfe der Lehrer habe ich mir aber auch bei der Be¬
kämpfung der ansteckenden Krankheiten zu sichern gewußt.
Hierin hat wohl das Gesetz vom 28. 8. 05 am meisten versagt;
keine Gesetzesbestimmung ist wohl so selten gehandhabt worden
wie der § 6 Abs. 5 des angeführten Gesetzes. Wie selten ist
wohl nach dieser Bestimmung Diphtherie und Scharlach im
Aufträge der Ortspolizeibehörde ärztlich festgestellt worden, wie
wenige Behörden hatten überhaupt eine Ahnung von dieser
Vorschrift! Und doch kann man diese Kinderkrankheiten nur
erfolgreich bekämpfen, wenn die ersten Krankheitsfälle mög¬
lichst schnell gemeldet werden. Ich suchte mir dadurch zu
helfen, daß ich mir die Lehrer, sei es im persönlichen Verkehr,
sei es in Vorträgen bei Lehrerversammlungen, zur Mitarbeit
heranzog. Meine Anordnungen trafen fast durchweg auf Ver¬
ständnis und die Lehrer, welche bald von der Wichtigkeit ihrer
Mitarbeit überzeugt waren, meldeten mir die ersten Fälle weit
früher als die Behörden. Dadurch konnte insbesondere ver¬
hindert werden, daß die Einschleppung der Krankheit ins Schul¬
haus und in die Lehrerfamilien verhindert werden konnte. Mög¬
lichst frühzeitige Schulschließungen, die ja allein wirksam sind,
konnten dadurch auch angeordnet werden. Meine Erfahrungen
in dieser Hinsicht sind also recht gute; ebenso empfiehlt es sich,
auch auf anderen Gebieten die Lehrer mit hinzuzuziehen, zumal
ihr Einfluß nicht gering ist und sie nicht selten im Gemeinde¬
vorstand eine Rolle spielen. Es gehört allerdings hierzu, daß
man möglichst wenig vom grünen Tisch aus erledigt, vielmehr
möglichst an Ort und Stelle persönlich verhandelt und den
Leuten immer wieder einprägt, daß der Kreisarzt jederzeit als
Berater in Gesundheitsangelegenheiten zu haben ist.
Das Kapitel der ansteckenden Krankheiten kann ich nicht
verlassen, ohne das zu erwähnen, was ich empfindlich vermißt
habe: Es fehlt uns eine Anzeigepflicht bei Lungentuber¬
kulose der Lebenden. Sie wird und muß kommen, sonst
bleiben auch die Fürsorgemaßnahmen auf diesem Gebiete eine
Halbheit. Ferner erschien mir als eine große Lücke, daß der
Verdacht bei Typhus und Genickstarre nicht anzeige-
172
Dr. Israel.
pflichtig ist. Endlich müssen auch bei den Geschlechts¬
krankheiten in irgend einer Form Anzeigevorschriften er¬
lassen werden, besonders nachdem sie auch den Weg auf
das Land gefunden haben. Ich bin überzeugt, daß man in den
nächsten Jahren auch hierzu kommen wird. Neulich wurden,
übrigens von gewisser Seite, die es für richtig befindet, auf die
prophylaktische Tätigkeit des Kreisarztes herabzusehen, in einer
Versammlung die Worte gefunden: „Es gibt ja keine anstecken¬
den Krankheiten mehr!“ Mit anderen Worten: Wozu seit Ihr
Medizinalbeamten denn da? Für Euch ist ja nichts mehr zu
tun! — Diesen Herren möchte ich erwidern: Wohl ist die Zahl
der ansteckenden Krankheiten zurückgegangen, und dies ist
nicht zum wenigsten auf unsere Tätigkeit zurückzuführen.
Was würde aber geschehen, wenn unsere bisher bewährte Be¬
kämpfungsarbeit aufhören würde? Würden wir nicht sehr bald
wieder z. B. Typhusepidemien haben? Kaum einer von den
Herren, die so geringschätzig sprechen zu dürfen glauben, ist
sich über die prophylaktische Arbeit des Kreisraedizinalbeamten
klar. Insbesondere: Hat einer von ihnen einen Einblick in die
Tätigkeit des Kreisarztes auf dem Lande? Ich glaube diese
Frage entschieden verneinen zu müssen.
Vorher habe ich von der Mitarbeiterschaft der Lehrer ge¬
sprochen und möchte nunmehr kurz berichten, was auf dem
Gebiete der Schulhygiene zu leisten war. Hier springt der
Unterschied von Land und Stadt so recht hervor: Hier moderne
Schulpaläste, zweckmäßige Inneneinrichtung und angestellte
Schulärzte, dort nicht selten noch primitive Zustände und
fehlende ärztliche Ueberwachung der Schulkinder. Gleichwohl
ist in den letzten 30 Jahren auch auf diesem Gebiete viel ge¬
schehen. Nichts konnte mich mehr erfreuen, als die stattliche
Zahl neuer zweckmäßiger Schulhäuser, deren Bau zum Teil
auf Grund meiner jahrelang wiederholten Forderungen vorge¬
nommen wurde. Immer habe ich die Ansicht vertreten, dafl
die Schulräume für das Kind nicht nur zum Lernen dienen,
sondern auch Vorbild für Ordnung und hygienische Sauberkeit
sein sollen. Schon mit einfachen Mitteln konnte ich nützen,
z. B. fehlten fast überall Ventilationseinrichtungen. Ich half
mir damit, daß ich mich mit einem Glasermeister im Kreise in
Verbindung setzte, der für wenige Mark Glasjalousiefenster
herstellte. Die Schüleruntersuchungen, die nur alle 5 Jahre
vorgenommen werden, genügen natürlich nicht. Mögen die
regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen, deren Kosten jetzt
bei der Armut unseres Vaterlandes fast unerschwinglich er¬
scheinen, noch in weiter Feme liegen, einmal kommen müssen
sie doch. Sie können im Rahmen unserer heutigen Fürsorge¬
bestrebungen eben nicht fehlen. Eins aber ist dabei sicher:
Ohne Mitwirkung der Aerzte wird man auch hierbei nicht aus-
kommen können, in größeren Kreisen kann der Amtsarzt diese
Untersuchungen allein nicht ausführen. Die Erfahrungen, die
wir bei den Granuloseuntersuchungen in den Schulen gemacht
SO Jahre Tätigkeit als Medisinalbeamter.
178
haben, berechtigen zu der Annahme, daß auch hierbei von den
Aeraten segensreiche Arbeit geleistet werden wird.
Die Schulbesichtigung ist ein Teil der allgemeinen Orts¬
besichtigung, die ebenfalls erst durch die Dienstanweisung
eingeführt wurde; sie hat sich auf alle für das öffentliche Ge¬
sundheitswesen wichtigen Verhältnisse und Einrichtungen zu
erstrecken. Im wesentlichen war es eine Revision der Wasser¬
versorgung und der Einrichtungen für die Beseitigung der
Abfallstoffe. Wenn hierdurch u. a. viele Hunderte von Brunnen
im Laufe von 10—20 Jahren neu angelegt, bezw. instandgesetzt
wurden, so war auch für die hygienische Prophylaxe schon
viel geschehen.
Der hygienisch-prophylaktische Teil des kreisfirztlichen
Dienstes mußte etwas ausführlicher abgehandelt werden, wenn
auch damit keineswegs gesagt werden soll, daß die hygienisch¬
fürsorgerische Tätigkeit in den Hintergrund trat. Das Für¬
sorgewesen ist keine Erfindung der jüngsten Zeit, das kann
nicht oft genug gesagt werden; freilich muß zugegeben werden,
daß diese Bestrebungen jetzt etwas einheitlicher und straffer
organisiert werden. Auch hierin war die Großstadt, weit vor¬
aus; in den kleineren Orten und auf dem Lande kam man erst
langsam nach. Wie oft höre ich jüngere Kollegen darüber
Klage führen, daß bis jetzt von der Zentralstelle aus bestimmte
Anordnungen nach dieser Richtung hin nicht gegeben worden
sind. Ich halte das für ganz falsch; von der Zentralstelle
können höchstens Richtlinien angegeben werden, in den einzelnen
Kreisen muß aber alles den örtlichen Eigentümlichkeiten und
Bedürfnissen angepaßt werden. Auch hier heißt es, den Bau
nicht von oben anfangen und sich nicht darum streiten, ob ein
Wohlfahrts- oder Gesundheits- oder Fürsorgeamt eingerichtet
werden und wer es leiten soll. Zuvörderst nabe ich versucht,
unter der Bevölkerung Verständnis für die fürsorgerischen Be¬
strebungen zu verbreiten, indem ich den Vaterländischen Frauen¬
verein und den Kreisausschuß schon im Kriege zu bestimmen
wußte, eine Kreisfürsorgerin anzustellen. Nachdem diese
unter meiner Anleitung die Aufklärungsarbeit begonnen und
durch mündliche Belehrung die Notwendigkeit der Fürsorge¬
bestrebungen gerade in der heutigen Zeit besprochen hatte,
wuchs immer mehr das Interesse. Eine zweite Fürsorgerin
wurde angestellt, die Hebammen wurden zur Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit herangezogen und so weitete sich unser
Arbeitskreis allmählich. Gemeinde- und Amtsvorsteher, Ver¬
trauensdamen des Vaterländischen Frauen Vereins, kurz, alle ein¬
flußreichen Personen sahen den Nutzen der Tätigkeit ein und
nach einigen Probejahren ging man schließlich an die Einrich¬
tung des Wohlfahrtsamtes heran. Ohne diese Vereinigung
aller Bestrebungen in einem einzigen Amt geht es nicht, sonst
zersplittert sich die Arbeit und findet nicht genügend Anschluß
an andere Leistungen des Kreises, z. B. das Armen- und Wohnungs¬
wesen. Nach meinen Erfahrungen sollte man auf dem Lande
174
Dr. Willfahr.
für die einzelnen Zweige der Fürsorge (Tuberkulose, Säuglings¬
und Kleinkinderpflege, Krüppel usw.) nicht besonderes Hilfs¬
personal anstellen, sondern Fürsorgerinnen für das gesamte
Gebiet. Die Fürsorgerin soll nicht zu den einzelnen Kranken
kommen, sondern zu der Familie, um die ganzen Nöte kennen
zu lernen. Sie muß das Vertrauen der Bevölkerung, besonders
der Frauen, durch wiederholte, persönliche Annäherung zu er¬
reichen suchen, Beratungsstunden und Mütterabende einrichten,
kurz, alles tun, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen.
Daß man in größeren Bezirken auch hierbei der freudigen Mit¬
arbeit der Aerzte nicht entraten kann, ist zwar selbstverständ¬
lich, soll aber doch hervorgehoben werden, um den Kreis der
Bestrebungen zu schließen, in welchen sich der Kreisarzt und
die Aerzte zur gedeihlichen Arbeit zusammenfinden müssen.
Von der vertrauensärztlichen und Gutachter¬
tätigkeit habe ich nichts besonderes zu sagen, sie ist so oft
in dieser Zeitschrift nach allen Seiten beleuchtet worden, daß
ich neues nicht hinzufügen kann. Als Impfarzt, Bahnarzt, Ver¬
trauensarzt für die Krankenkasse und in allen übrigen Neben¬
ämtern habe ich immer versucht, Fühlung mit den Kreisein¬
gesessenen, auch mit den wirtschaftlich schwächsten unter ihneu
zu nehmen und mich in ihren Gedankenkreis einzugewöhnen.
So bemühte ich mich, der Vertrauensarzt der Bevölkerung zu
sein; dazu gehört aber Zeit. Darum bin ich sehr dafür, daß
der Kreisarzt nicht zu oft den Ort der Tätigkeit wechselt. Zu
meinen stolzesten Erinnerungen gehört es, wenn ich ohne Ueber-
treibung sagen kann: Vertrauen wurde mit Vertrauen belohnt
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Während der ver¬
flossenen 30 Jahre ist ein vollständiger Umschwung in der
Stellung und Tätigkeit der Medizinalbeamten eingetreten. Jetzt
stehen wir an vorderster Stelle derjenigen, die berufen sind,
das größte und teuerste Gut des geschwächten und gedemütigten
Vaterlandes zu erhalten: die öffentliche Gesundheit. Die große
Entwicklung miterlebt und daran mitgearbeitet zu haben, bildet
den Inhalt meines Werdegangs als Medizinalbeamter. Wenn auch
manches nicht geglückt ist und vieles unerreichbar blieb, so
habe ich mich stets an das Dichterwort gehalten:
„Immer strebe zum Ganzen und kannst du selber kein Ganzes
werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.“
Fleckfieber und soziale Lage.*)
Von Bog.- and Med.-B.at Dr. Willilhr in Liegnitz.
Wenn auch ein Zaubermittel, wie die Impfung, für die
Bekämpfung des Fleckfiebers noch fehlt, so war doch das Fleck¬
fieber in Preußen seit Jahrzehnten, das heißt, ehe man etwas
von der Uebertragung durch Läuse wußte, eine unbekannte
Krankheit geworden. Die letzte schwere Fleckfieberverseuchung
*) Nach einem Vortrag in der Medizinalbeamtenyersammlong in Liegnits.
VergL diese Zeitschrift; 1921, Nr. 17.
Fleckfieber and soziale Lage.
176
herrschte in Preußen von 1877—85. Wie die vorgelegten Zahlen¬
übersichten Nr. 1—4 leicht erkennen lassen, war das Fleckfieber
seit 1886, jedenfalls seit 1895 in Preußen vollkommen erloschen.
Während des Krieges nahm das Fleckfieber in Preußen bu.
Trotzdem ist es falsch, zu glauben, daß der Krieg den Staat
Preußen mit Fleckfieber verseucht habe. Die Zahlenübersicht
Nr. 5 über die Fleckfieberfälle in den einzelnen Regierungsbezirken
von 1913 bis 1919 zeigt auch dieses klar. Die verhältnismäßig
hohen Zahlen des Jahres 1915 än dem daran nichts. Damals w urden
bürgerliche Bevölkerung und Heer noch nicht streng getrennt
und die Zahlen umfassen die Epidemien der Gefangenenlager mit.
Erst mit dem Jahre 1919, d. h. mit dem Umsturz, schnellt die
Zahl der Erkrankungen und Todesfälle mit einem Male auf das
Zehnfache in die Höhe. Wie kommt das? Wie kam es vor
allen Dingen, daß Preußen längst frei von Fleckfieber war,
obwohl es ausgedehnte gemeinsame Grenzen mit den seit Jahr¬
hunderten schwer durch Fleckfieber verseuchten Ländern hat?
Und wenn die Zahl der Fleckfiebererkrankungen 1919 auf das
Zehnfache stieg, hat es vielleicht besondere Gründe, daß nicht
noch eine ganz andere Verseuchung des Staates Preußen erfolgte
in einer Zeit, in der die überstürzte Abrüstung aus den ver¬
seuchten Gebieten zahlreiche verlauste und verseuchte Personen
in die Heimat führte und in der die alte bewährte staatliche
Zucht und Ordnung in die Brüche zu gehen schien?
Das Studium der 186 (36) Erkrankungen (Todesfälle) an
Fleckfieber während der Jahre 1918 und 1919 im Regieruugs-
bezirk Potsdam gab über diese Fragen einigen Aufschluß.*)
Von den Gruppen, in die sich die Erkrankten trennen
lassen, sind für unsere Fragestellung zwei ganz besonders be¬
merkenswert, das sind einmal 29 (13) Erkrankungen
(Todesfälle) von Einzeleinschleppung des Fleck¬
fiebers aus dem Heere, aus den Grenzprovinzen
und Nachbarländern, und zweitens 47 (15) Erkrankun¬
gen (Todesfälle) an Fleckfieber, die deutsche Rück¬
wanderer aus Gegend Rowno und deren Umgebung betrafen.
Von den 29 Fällen der ersten Gruppe waren 4, von den 47 Fällen
der zweiten 41 Kontakte, d. h. die Fälle von Einzeleinschleppung
haben höchst selten, die Einschleppung durch deutsche Rück¬
wanderer aber beängstigend häufig zu Kontakten geführt. Von
den 4 Kontakten der 29 Fälle waren noch dazu 2 in Lazarett¬
betrieben erworbene Fiebererkranknngen, sodaß für unsere Be¬
trachtung nur nuch 2 Kontakte bleiben. Dabei war in diesen
29 Fällen das Fleckfieber in 27 Herden in 20 Orte und in
10 Kreise des Bezirks Potsdam verstreut eingeschleppt, d. h.
eines Bezirks, der Fabrikvororte wie Spandau, Tegel, Reinicken¬
dorf, Weißensee, Köpenick, Steglitz usw. umfaßt. Die zeitige
Bekämpfung kann die Kontakte nicht verhütet haben: die 29
*) Eine ausführliche Darstellung der Verseuchung des Regierungsbezirks
Potsdam mit Fleckfieber ist inzwischen von dem Verfasser in den „Veröffent¬
lichungen aus dem Qebiete der Medizinalverwaltung“, BandIVX, Heft 1, erschienen.
176
Dr. Willflihr.
Kranken lagen nicht weniger als 215 Tage = durchschnittlich
7,4 Tage zu Hause, ehe sie in Krankenhäuser aufgenommen
wurden. Der größte Teil der Erkrankten gehörte
dem Arbeiterstande an, ein großer Teil von ihnen kam
nachweislich verlaust an. Was wäre wohl aus 29 Pocken- und
Cholerafällen unter gleichen Umständen geworden?
Bemerkenswert ist aber zunächst das entschie-
deneReinlichkeitsbedürfnis de rHe im kehrenden: fast
ausnahmslos wuschen sie sich sofort von Kopf zu Fuß und beklei- i
deten sich mit frischer Wäsche. Man wußte, schon ehe man die
Rolle der Läuse kannte, daß in „auch nur einigermaßen besser situ¬
ierten Familien“, wie Gott schlich sich ausdrückt, Kontakte
von Fleckfieber auszubleiben pflegen. Zieht man umgekehrt
die besondere Vorliebe gerade dieser Krankheit für die Ver¬
wahrlosung, für schmutzige Wohnungen, für das Zusammen¬
gepferchtsein in engen, dunklen Räumen in Betracht, so ergibt
sich der zwingende Schluß, daß der deutsche Arbeiter
längst zu den „einigermaßen besser situierten
Familien“ Gottschlichs gehörte, d. h., daß seine
günstige soziale Lage längst dem Fleckfieber den
geeigneten Boden für die Ausbreitung der Seuche
entzogen hatte. Diese Feststellung ist wichtig, wenn man |
bedenkt, daß das oft geschmähte alte Regiment
diesen gewaltigen Fortschritt zu erzielen wußte,
und daß in der fraglichen Zeit nicht nur Scharen verlauster 1
Leute aus verseuchten Gebieten heirakehrten, sondern auch ,
der Seifenmangel noch immer die Reinlichkeit sehr schwer
schädigte.
Das Gegenstück bilden die 41 Kontakte unter den
47 Fleckfieberfällen der Rückwandererseuche. 318
deutsche Rückwanderer aus Gegend Rowno waren um Weih¬
nachten 1918 auf 21 Güter der Bezirke Potsdam und Frank¬
furt a. 0. unentlaust verteilt worden. Die Folge war, daß das
alsbald auf 2 Vorwerken im Kreise Westhavelland und 2 Gütern
im Kreise Neu-Ruppin ausbrechende Fleckfieber gierig um sich
fraß. DieRückwan derer waren sämtlich sehr unsauber
und schwer verlaust. Ihre Unterbringung, besonders
auf den beiden Vorwerken, war recht dürftig, die soziale
Lage sämtlicher Rückwanderer stand auf einer so tiefen
Stufe, wie wir sie in Preußen nur noch bei anderen
Wanderarbeitern, z. B. den „polnischen Schnittern*
der großen Güter, kennen. Die Seuche wurde in sämt¬
lichen Fällen erst eine Reihe von Wochen für Grippe, dann für
Typhus gehalten, bis die Kreisärzte das Fleckfieber feststellten.
Nur dieser Boden ist der geeignete für die Ausbreitung
des Fleckfiebers, ln solchen Fällen greift aber die Seuche
auch sofort rücksichtslos auf die Umgebung über: durch die
Rückwanderer erkrankten (starben) 7 (2) Deutsche, darunter
tötlich der Gutsherr des einen Gutes und ein Desinfektor, sowie
8 (5) Polen, die mit den Rückwanderern zusammen arbeiteten.
Fleckfieber und soziale Lage.
177
Jede Verseuchung mit Fleckfieber, die seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts in Preußen auftrat,
ist von der Einschleppung beherrscht. Das beweist
schon das sehr erhebliche Ueberwiegen der Fleckfieberf&lle in
den Östlichen im Vergleich zu den westlichen Landes¬
teilen sowohl in den Kriegsjahren wie in den Jahren
1877 bis 1885, wie die Zahlenübersichten Nr. 1 und 5 deut¬
lich zeigen. Es ist gewiß zum Teil das Verdienst der sorg¬
fältigen Grenzsperre in den Ostmarken, wenn die Ein¬
schleppung sich allmählich in immer engeren Grenzen hält.
Wenn diese Einschleppung aber — abgesehen von dem Auf¬
flackern 1877—85 — seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
zu keiner endemischen Verseuchung des Landes mehr führte,
wenn vielmehr die Seuche bei uns erlosch, so muß der Grund
ein anderer sein. Der Grund für dieses Erloschen können
nicht unsere jetzigen Kenntnisse über die Rolle der
Läuse bei der Verbreitung sein. Denn die Seuche ist
schon dreißig Jahre, fast kann man sagen sechzig Jahre, früher
bei uns endgültig erloschen.
Uebersicht 1.
Von den Fleckfiebererkr&nkangen der Jahre 1877—85 in Preußen
entfielen auf die Provinzen
Ostpreußen:
Westprenßen:
Brandenburg:
Pommern :
1672
Posen:
1641
Hannover:
57
2067
Schlesien:
4426
Westfalen:
70
1209
8achsen:
268
Hessen-Nassau:
12
840
Schleswig-Holstein:
6
Rbeinprovinz:
Zusammen
105
12966
Uebersicht 2.
ln den Preußischen Heilanstalten sind an Fleckfleber behandelt in
den Jahren
18*6:
109
1889:
42
1892:
89
1887:
808
1890:
19
1898:
28
1888:
122
1891.
29
1894:
208
Uebersicht 8.
An Fleckfieberfällen sind ln Preußen gemeldet in den Jahren
Erkrank¬
Todes¬
Erkrank¬
Todes¬
Erkrank-
Todes¬
ungen
fälle
ungen
fälle
ungen
fälle
1896: —
16
1902:
2
1
1908:
6
1
1896: -
18
19* 8:
2
1
1909:
6
0
1897: —
11
1904:
4
0
1910:
18
1
18 u 8: -
6
1906:
24
4
1911:
6
0
1899: —
11
1906:
12
2
19l2:
6
0
1900: —
14
1907:
5
0
1918:
3
2
1901: 7
1
Uebersicht 4.
An Fleckfieber sind erkrankt (gestorben) in den Jahren
im Begierungsbesirk Oppeln:
1847—49 : 80000 (lb 000)
1856—56 : 2000 (unhek.)
1876—77 : 6091 (644)
in der Stadt Breslau:
1813—14: unbek. (478)
1866-67 : 6000 (800)
18n8—69: HHö (176)
18<8—79 : 600 (70)
Df. WjUftiljr: Klc«k$^bfef üfiö soziale Lag#
l>»er»tcbt «.
Das fc’leckf iobcr in den Jobren 1918-^*1919,
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& CiiiühVoo^q
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Uebersicht Ä.
y ob Heafesangehörigen starben y.pm 1. A ugast 1914
bis 81. Des «mb er 1916 an
'•7 f > \ * \v-./yVJ.£ f. v f “äT < xiio^Cv
»J Darunter }u 0>*:Ui»*«*e*ilng'3r i^anwdatf 3«8.<4'»1
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*) Damalwr uat»afang<*a«nlag«r Müagfc»«»l*^dlß'i iillft): fotraak,
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Dr. Hillenberg: Zar Giftwirkang der Kieselflaßsäureverbindungen. 179
Der Orund für das Erlöschen des Fleckfiebers
in Preußen ist allein die gehobene soziale Lage des
deutschen Arbeiters, die dem Fleckfieber den günstigen
Boden für seine Ausbreitung entzogen hat: Derjenige Grad
von Verlausung, der für die weitere Verbreitung
nötig ist, war bis auf praktisch nicht zählende Aus¬
nahmen in Preußen seit 188& endgültig verschwunden.
Auch scheinbar widersprechende Anschauungen der
Schriftsteller über die Verlausung können an dieser
unumstößlichen Probe auf das Exempel nicht das
Mindeste ändern.
Im Kriege herrschen andere Mächte. Die Ver¬
lausung der Truppen einschließlich der Offiziere galt früher als
unvermeidliches Uebel. Niemand ahnte, daß hier die Wurzel
der Jahrtausende alten Kriegspest und Geißel aller Länder lag.
Der Wandel, den die Erkenntnis dieses Zusammenhanges und
dessen Erfassen durch die deutschen Aerzte brachte, spricht
sich in folgenden schlichten Zahlen aus. Von den 600000 harten,
kriegs- und sieggewohnten Leuten, mit denen Napoleon 1812
oach Rußland zog, waren 400000 Mann verschwunden und ganz
vorwiegend dem Fleckfieber erlegen* als er in Moskau einzog.
Der Weltkrieg führte unsere Heere in dieselben gefürchteten
Seuchenländer, und unsere Feinde erhofften dort ein ähnliches
Massengrab für die deutschen Truppen. Wie Uebersicht Nr. 6
zeigt, starben aber von deutschenHeeresangehörigen vom
1. August 1914 bis 31. Dezember 1916 — soweit reicht bisher
die zahlenmäßige Erfassung — insgesamt 895 030, davon durch
Waffengewalt 839416, an Krankheiten überhaupt 49097, an
übertragbaren Krankheiten 32 815, an Fleckfieber 448. Wer die
Beschichte dieses Krieges schreibt, wird den Ruhm der deutschen
Aerzte verkünden.
Zur Giftwirkang der Kieselflusssäure-
y er bin dun gen.
Von Kreismedizinalrat Dr. Hillenberg in Halle a. 8.
Der Minist.-Erlaß vom 14. September 1921 betr. die Not¬
wendigkeit einer verstärkten Bekämpfung der Rattenplage gibt
mir zu nachstehenden kurzen Erörterungen Anlaß. Es ist
sehr wahrscheinlich, daß infolge obigen Erlasses die Polizei¬
behörden die Bewohner ihrer Amtsbezirke darauf hinweisen
werden, der zunehmenden Rattenplage wegen der mit ihr ver¬
bundenen Gefahren erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken und
an eine intensive Vernichtung dieser Schädlinge heranzugehen.
Wer dieser Mahnung nachzukommen beabsichtigt, wird wahr¬
scheinlich vom Apotheker oder Drogisten sich ein mehr oder
weniger bewährtes Rattengift unter Ausstellung eines Gift¬
scheines verabfolgen oder sich eines der fabrikmäßig her¬
gestellten Mittel anempfehlen lassen, die unter den verschie¬
densten Phantasienamen und in den verlockendsten Packungen
180 Dr. Hillenberg: Zar Giftwirkang der Kieselflaßsäureverbindungeii.
in den Handel kommen und ohne weiteres in den Verkehr ge¬
bracht werden können. Daß diese Mittel, trotzdem keinerlei
Verkehrsbeschränkungen für sie bestehen, nichts weniger als
harmlos sind und nicht nur zur Ratten-, sondern gelegentlich
auch einmal zur Menschenvergiftung gebraucht werden können,
lehren einzelne Beispiele der Literatur. Ein gerichtsärztlicher
Fall, in dem ich vor einigen Wochen zusammen mit dem
hiesigen Chemiker am hygienischen Institut der Universität
Prof. Dr. Klostermann in einer Strafkammerverhandlung als
Gutachter mich zu betätigen hatte, ist ein weiterer Beleg für
die Gefährlichkeit der gedachten Mittel.
Ein janges Dienstmädchen H., bei einem Gutsbesitzer K. in Stellung,
strebte nach Hanse. Sie fahr nach D. and besorgte sich hier bei einem
Drogisten 2 Päckchen Battengift „Erun“, von denen sie eines der Herrschaft
in den von ihr bereiteten Kaffee schüttete. Der Gedanke, daß die Leute nach
dem Genoß desselben erkranken oder gar sterben könnten, sei ihr nicht ge¬
kommen. K. trank von dem Kaffee, gab jedoch schon den zweiten Schlack
wieder von sich, da er schlecht schmeckte, auch die Ehefraa kostete von
jenem, spie ihn jedoch sofort aas. Der Kaffee wurde fortgegossen, das Mädchen
nach Hanse geschickt. K. bekam Debelkeit and Brechreiz, Milch konnte nicht
geschlackt werden; weiter stellten sich starker Speichelfluß and Durchfall ein.
Eine Durchsuchung der Sachen des Mädchens ließ das zweite Päckchen Batten-
gilt auffioden, woraufhin die Verhaftung erfolgte. Das Päckchen wurde dem
Berichtersatter von der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung zugesandt, der
es natürlich sofort zurückschickte mit dem Anheimgeben, es dem oben genannten
Chemiker zu übermitteln, was geschah. Dieser stellte feBt, daß das 60 g
schwere Päckchen 40% kieselfluorwasserstoftsaures Natrium enthielt.
Von den nur spärlich vorhandenen Veröffentlichungen über
Vergiftungen mit Kieselflußsäure Verbindungen, deren Kenntnis ich
Herrn Prof. Dr. Klostermann und Herrn Prof. Dr. Schmidt,
Direktor des hygienischen Instituts, verdanke, ist eine ein¬
gehende Arbeit von Kreisarzt Dr. Krauße in Glogau zu er¬
wähnen, die er im Zentralblatt für Gewerbehygiene (Juli 1921)
veröffentlicht hat, anläßlich einer schweren Vergiftung mit
Mont an in, das ist eine wässerige Lösung von Kieselfluor¬
wasserstoffsäure, die, als Abfall- oder Nebenprodukt in der
keramischen Industrie gewonnen, etwa 28—30 °/ 0 freie Kiesel¬
flußsäure enthält und wegen ihrer keimtötenden Eigenschaft
vornehmlich in der Brauerei- und Brennerei-Industrie zum
Desinfizieren von Bottichen, Fässern, Schläuchen und Rohr¬
leitungen verwandt wird. Ein 13jähriger Knabe hatte aus
einer diese Flüssigkeit enthaltenden Flasche, im Glauben, es
sei Schnaps (1), getrunken und war in ganz kurzer Zeit unter
heftigen Schmerzen und Erbrechen gestorben. — Weiterhin
haben Kockel und Zimmermann in der Münchener Med.
Wochenschrift (1920, Nr. 27) eine Veröffentlichung über Ver¬
giftung mit Fluorverbindungen gebracht, in der 1 Fall von
Selbstmord und 2 Mordfälle geschildert werden. Im ersteren
hatte sich ein 16jähriges Dienstmädchen mit Rattengift„Orwin“,
vcn dem man ein Paket in ihrem Arbeitsbeutel fand, vergiftet,
das von Prof. Siegfried als im wesentlichen aus fluorwasser-
stoffsaurera Natron bestehend festgestellt wurde. Das gleiche
Gift wurde in den beiden anderen Fällen gefunden.
Dr. Schwab«: Entgegnung auf den Aufsatz „tJeber Mitwirkung osw.“ 1S1
Die Obduktion ergab in allen Fällen das Bild des
schweren Reizzustandes der Magen- und Dannschleimhaut,
d. h. diffuse Schwellung und Quellung der Magen- und Dünn-
darmschleimhaut mit Blutungen in dieser und auf ihrer Ober¬
fläche, in einem Fall auch HirnOdem. Die Befunde ähneln bis zu
einem gewissen Grade denen bei der Arsenikvergiftung, unter¬
scheiden sich aber von ihnen durch das Vorhandensein von
ziemlich reichlichen Blutungen auf der Schleimhautoberfläche;
es fehlen auch die für Arsen charakteristischen umschriebenen
Schleimhautverätzungen.
Ueber die tödliche Dosis der Flußsäureverbindungen
hat Tappeiner Tierversuche angestellt und berechnet sie auf
0,6 g pro kg Tier. In dem Vergiftungsfall von Krauße mit
Montanin hat der betreffende Knabe etwa 20 ccm Flüssigkeit
su sich genommen; da diese 50°/ 0 der wirksamen Substanz
enthielt, haben 10 g bei einem lebenden Gewicht von etwa
40 kg, d. h. 0,25 g auf 1 kg Körpergewicht, in kurzer Zeit
tödlion gewirkt.
Wir haben also in den genannten Verbindungen hoch¬
giftige, sehr gefährliche Substanzen vor uns. Während nun
die Fluorwasserstoffsäure nach der Verordnung vom 22. Februar
1906 zu den Giften der Abt. I gehört und nur gegen Giftschein
verabfolgt werden darf, besteht hinsichtlich der Abgabe ihrer
Verbindungen bisher keine Verkehrsbeschränkung. Kocke 1
and Zimmermann haben bereits die Forderung gestellt, die
Fluorverbindungen wegen ihrer großen Gefährlichkeit dem
freihändigen Handel zu entziehen der eingangs erwähnte Fall
und das zu erwartende vermehrte Angebot fluorhaltiger Ratten¬
vertilgungsmittel beleuchtet von neuem die Notwendigkeit,
Mittel jeglicher Art, die Verbindungen der Flußsäure, der
Kieselflußsäure usw. enthalten, den Vorschriften der Gift¬
verordnung zu unterstellen und bei ihrem Gebrauch die größte
Vorsicht anzuempfehlen. Wenn dadurch auch ihre Verwen¬
dung zu Mord- und Selbstmordzwecken nicht ausgeschlossen
wird, so hat der Staat doch die Pflicht, ihre Abgabe zu er¬
schweren, mit gewissen Kautelen zu versehen und das Publikum
vor schweren Gesundheitsstörungen nach Kräften zu bewahren.
Hierzu sollten vorstehende Ausführungen erneut anregen.
Entgegnung auf den Aufsatz „Ueber Mitwirkung
des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen“
in Nr. 5 — 1922 —.
Von Heg.- and Medizinalrat Dr. Schwabe-Hannover.
Die Kritik über meine in Nr. 20 des 34. Jahrgangs dieser
Zeitschrift geäußerte Ansicht, daß die Prüfung der Anwärte¬
rinnen für den Hebammenberuf zweckmäßig in die Provinzial-
Hebammenlehranstalten in Form einer Aufnahmeprüfung zu
verlegen sei, ist nach meinem Gefühl reichlich temperament-
182 Dr. Schwabe: Entgegnung auf den Aufsatz „Ueber Mitwirkung usw. 8
voll und mit einer wohl in ihrer Schärfe vermeidbaren Apo-
strophierung meiner Person geübt.
Sie stützt sich, möchte ich glauben, mehr auf gefühls¬
betonte Momente als auf Tatsachen.
Darum unterstellt sie mir auch die Auffassung, als spräche
ich den Kreismedizinalbeamten die Fähigkeit von Inteliigenz-
prüfungen ab.
Diese Unterstellung ist unrichtig und unberechtigt. Die
Aufnahmeprüfungs Kommission hatte ich mir in folgender Zu¬
sammensetzunggedacht : Vorsitzender der Direktor der Hebammen¬
lehranstalt, Beisitzer ein Kreismedizinalrat und der Oberarzt der
betreffenden Anstalt oder zwei Kreismedizinalräte. Doch das
nur nebenher.
Tatsache ist, daß sich seit Jahren die Direktoren der
Hebaramenlehranstalten über das mehr oder minder ungeeignete
Hebammenschülerinnen-Material beschweren und dafür die Kreis¬
ärzte verantwortlich machen zu müssen glauben.
Tatsache ist ferner, daß die Kreisärzte kaum je die Schuld
trifft, sondern daß einmal die besonderen Umstäde, die nicht
selten in der Präsentation von Anwärterinnen für den Hebammen¬
beruf mitspielen, ausschlaggebend sind und daß nicht selten die
Persönlichkeiten der An Wärterinnen große Schwierigkeiten bieten,
sich über ihre Hebammenberufseignung ein zweifelsfreies Urteil
zu bilden.
Wenn die Herren Kollegen Dr. Seyffarth und Dr.
Schräder durch Wiederholungen der Prüfungen und Besuche
am Wohnort der Prüflinge diese Schwierigkeiten ausräumen zu
können vermeinen, so mag das ja bei ganz besonders gün¬
stigen Umständen hier und da möglich sein. Generell halte
ich das aber für unmöglich nach meinen Erfahrungen in Thüringen,
in der Rheinprovinz, Pommern und Hannover. In Ostpreußen
müssen die Verhältnisse ganz besonders günstig liegen und den
Kreismedizinalbeamten müssen anscheinend die anderen Amts¬
geschäfte die erforderliche Zeit zur Verfügung lassen. Die
Kostenfrage will ich dabei ganz außer Betracht lassen. Unter
allen Umständen bestreite ich aber auf Grund meiner Er¬
fahrungen die Richtigkeit des Satzes: „Ausnahmslos fast wird
der Amtsarzt sich wohl mehrfach mit der betreffenden Hebammen¬
anwärterin beschäftigen.“
Ferner: Aufnahmeprüfungen im allgemeinen an Anstalten
bedeuten doch wahrlich keine utopischen Neuerungen und sind
doch keinesfalls geeignet, irgendeinen Stand zu mißkreditieren;
ebensowenig die an Hebammenlehranstalten. Sie würden ganz
im Gegenteil die Kreismedizinalbeamten von jedem unberech¬
tigten Vorwurf eines sich nicht bestätigenden Befähigungszeug¬
nisses frei halten und die volle Verantwortung auf die Prüfungs¬
kommission, also in erster Linie auf den Direktor der Hebammen¬
lehranstalt übertragen.
Daß aber der letztere in der Beurteilung der besonderen
Berufseignung der Anwärterinnen im allgemeinen die größere
Versammlung des Besirksyereins der Med.-Beamten des Reg.-Bez. Aachen. 188
Erfahrung besitzen wird, kann nur der abstreiten, der bei sich
selbst die größten Erfahrungen yoraussetzt.
Mit dieser Aufnahmeprüfung die amtsärztlichen Gemüts-
sustandsgutachten in Vergleich zu stellen, schießt m. E. weit
über das Ziel hinaus. Daß übrigens auch der Medizinalbearate
gelegentlich der größeren Erfahrung des Fachpsychiaters nicht
entbehren kann, sei nur gestreift.
Die „vernichtende Kritik“ über meinen Aufsatz in Nr. 20
des 34. Jahrgangs dieser Zeitschrift — also auch anscheinend
über das, was ich hinsichtlich der ethischen Gesichtspunkte bei
Ausgestaltung des Hebammenwesens geäußert habe — in der
Sitzung des Medizinalbeamtenvereins in Königsberg, noch dazu
in der Stadt Kants, ist ja schmerzlich für mich. Da ich mich
aber mit meinen Anschauungen im Kreise der Medizinalbeamten
nicht isoliert weiß, auch nicht unter den mit mir „ergrauten“,
und mir bewußt bin, etwa 25 Jahre hindurch die Standes¬
interessen der beamteten Kollegen nach Kräften, freilich unter
dem Gesichtspunkt Salus publica suprema lex, vertreten zu
haben, so werde ich mich zu trösten wissen.
Die freundlich-wohlwollende Belehrung, wie ich mich in
Zukunft bei Veröffentlichung von Fachaufsätzen zu verhalten
habe, gehört wohl kaum in eine sachliche Kritik.
Für mich ist diese Angelegenheit hiermit erledigt.
Ans Versammlungen und Vereinen.
Versammlung des BesirksVereins der üfdizinalbeamten
des tteg.-Bez* Aachen am 11. Vebroar 1911.
Anwesend sind die Herren: Reg.- and Med.-Rat Dr. L o e r c h als Vor¬
sitzender, Qeb. Med.-Rat Dr. Wex ans Dören, Reg.- and Med.-Rat z. D. Dr.
Claaditz, Beigeordneter der Stadt Aachen, die Kreismedizinalräte Dr.
Herlitziu8,Dr.Peren, Dr.S algend or fl, Dr. Sehr öder, Dr.Stühlen,
Dr. Wex.
Med.-Rat Dr. Stühlen legt das Amt als Schriftführer nieder, an seine
Stelle wird Dr.Peren zum Schriftführer and Dr. Wex zam Protokollführer
gewählt.
Bericht des Vorsitzenden über die Vertreter-Versammlung in Berlin am
12. Dezember 1921
Der Vorsitzende schlägt als Gebührensätze für die Schiaßdesinfektion
vor: 60 M. am Wohnort«, 100 M. außerhalb des Wohnortes des Desinft-ktora.
Med.-Rat Dr. Peren stellt den Antrag, daß die kürzlich von den Landräten
dem Herrn Regierungspräsidenten Übersandten Aenßerangen über die Besoldung
der Desinfektoren den Kreismedizinalräten zur Kenntnis und Stellungnahme
zugesandt werden.
Nach eingehender Besprechung werden nachstehend aofgeführte Gebühren¬
sätze für die nene Gebührenordnung der Hebammen als angemessen und not¬
wendig bezeichnet:
für die Gebnrt bis zu 12 Ständen Daner. 200—600 M.
für jeden Hansbesnch. 10 ,
Wegegebühren t.ei Bernfsgescbäften außerhalb des Wohnortes
für den laufenden Kilometer. 2 „
Es wird beschlossen, den Herrn Regierungspräsidenten zu bitten, daß er
auf die Landräte im 8inne der Uebertragnng der Kreiskommunalarztstellen
auf die Kreimedizisaliäte einwirkt. Alsdann werden die amtliche Gebühren-
184
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Ordnung und die Dienstanweisung für die Kreisärzte eingehend durch gesprochen
und Vorschläge gemacht ttber die bei demnächstigem Neuerlaß der Gebühren-
ordnung und der Dienstanweisung zu treffenden Aenderungen. Es wird
eine Erhöhung der amtsärztlichen Gebühren im allgemeinen auf das 10 fache
der Friedenssätze als erforderlich erachtet. Einstimmig sprechen sich die An*
wesenden dahin aus, daß die gerichtsärztlichen sowie vertrauensärztlichen Ge¬
bühren beim Oberversicherungsamt als nicht mehr ablieferungspflichtig bezeichnet
werden mögen. Die Tertrauensärztlichen Gebühren sind in 2 Kategorien n
teilen und zwar:
1. Gebühren für solche yertrauensärztlicbe Amtshandlungen, welche nur der
Kreismedizinalrat ausführen kann,
2. Gebühren für solche yertrauensärztliche Amtshandlungen, die unter Um¬
ständen auch yon nicht beamteten Aerzten ausgeführt werden können.
Einzelne Vorschläge bezügl. der Einzelgebühren sollen dem Vorsitzenden
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins eingesandt werden.
Die Dienstanweisung für die Kreisärzte wird als im allgemeinen auch
den heutigen Verhältnissen entsprechend bezeichnet Wichtig Ist es, daß in
der neuen Dienstanweisung die sozialhygienischen Aufgaben des Kreisarztes
Berücksichtigung finden, ferner, daß die Beaufsichtigung über das Medizinal-
personal sich nicht nur bezieht auf Aerzte, Zahnärzte, Hebammen, Zahn¬
techniker, sowie Kurpfuscher, sondern auch auf das gesamte Krankenpflege- und
Heilpersonal sowie auf das Fürsorgepersonal. Auch bezügl. der Dienstanweisung
werden Sondervorscbläge dem Vorsitzenden des Preußischen Medizinalbeamten-
yereins zugesandt werden.
Zum Schlüsse der Sitzung werden auf Vorschlag des Vorsitzenden die
Kreismedizinalräte a. D. Geh. Med.-Rat Dr. Schmitz-Aachen und Geh. Med.-
Rat Dr.Wex-Düren zu Ehrenmitgliedern des Bezirksyereins ernannt
Dr. Peren-Aachen.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
A. Geriohtliohe Medizin.
Der Nachweis der Zengungsnnfähigkeit. Von Prot Dr. F. Strass¬
mann - Berlin. Aerztliche Sach verständigcn-Zeitung, 1921, Nr. 14.
Zum Nachweis der Zeugungsunfähigkeit — eine Aufgabe, die dem Ver¬
fasser neuerdings häufiger yorlag und auf die das Gericht vielfach gar nicht
verzichten kann — ist es geboten, wie Strassmann ausführt, frisch ent¬
leertes Sperma zu untersuchen. Daß zu diesem Zweck der Untersuchte zur
Ausführung eines masturbatoriscben Aktes veranlaßt wird, hält Verfasser im
allgemeinen für unbedenklich. Nur bei jugendlichen in der Pubertät befind¬
lichen Personen will er hiervon absehen, doch kommen solche Fälle wohl nur
ganz selten vor. Eine andere Methode ist die, mittels Expression der Samen¬
blase vom Mastdarm aus Samenflüssigkeit zu gewinnen. Diese vonFraenkel
angewandte Methode erfordert aber eine besondere Uebung.
Aus seiner gerichtsärztlichen Praxis — es handelt sich teils um Ehe¬
streitigkeiten, teils um Ansprüche illegitimer Kinder, denen mit dem Entwand
der Zeugungsunfähigkeit begegnet wurde — führt Verfasser eine Reihe tob
Fällen an, in denen nach der angegebenen Methode die Untersuchung vor-
genommen wurde und auch mit größerer oder geringerer Sicherheit ein be¬
stimmtes Urteil abgegeben werden konnte. Es genügt eine einmalige, aber
ganz gründliche Spermauntersuchung, wie Verfasser bemerkt, da rechtlich nicht
die Zeugungsfähigkeit, sondern die Zengungsnnfähigkeit festgestellt werden muß.
_ Solbrig.
Ein Beitrag snm Spermanachweis. Von Dr. G. Strass mann. [Aus
der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin.] Aerzt¬
liche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 11.
Es wird eine kombinierte Färbung snm Nachweis der Samenfäden, be¬
sonders zum raschen Aufsuchen im Vaginalinhalt, empfohlen, die regelmäßig
gelingen soll und nicht mehr als 10—20 Minuten beansprucht. Die Methode
besteht in der Kombination der von Baöcchi an g e gebenen mit der Gram-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
185
färbung. Die 8permatozoenköpfe erscheinen danach violett, die Schwänze
bläulich, die Epithelzellen gelbbraun. Am Vaginalinhalt, der wochenlang ein¬
getrocknet war, gelingt dieser Nachweis noch, während andere, bisher an¬
gewandte Methoden hierbei im 8tich lassen. Solbrig.
Die Yergiftungsgefahr bei Verwendung des Baryums als Kontrast¬
mittel Ar Röntgendurchleuchtungen. Von Medizinalrat Dr. Aust und Chef¬
arzt Dr. Krön in Nauen. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 12.
Ein in der Praxis vorgekommener Fall lehrt, daß das als ungefährlich
hingestellte Baryumsulfat, das statt des giftigeren Wismut als Kontrastmittel
bei Röntgendurchleuchtungen dem Magen einverleibt wird, tatsächlich ge¬
fährlich ist. Der betr. Patient, der im allgemeinen gesund und arbeitsfähig
war, ging 24 Stunden nach Einverleibung des Mittels (100 g) zu Grunde.
' Es ist also vor dem weiteren Gebrauch dieses Kontrastmittels zu warnen.
8olbrig.
Beitrag zum gerichtsärztlichen Studium des Todes durch Ueber*
fahrenwerden. Von Dr. R. Romanese. (Aus dem gerichtsärztlicben Institut
der Universität Turin). Archivio di Antropologia criminale eto. 1920, Heft 5 u. 6.
150 im genannten Institut untersuchte Fälle, davon 67 sichere Selbst¬
mord-, 81 (Jngl&ck8fälle, werden den Ausführungen zugrunde gelegt. Einige
gute photographische Abbildungen dienen zur Illustration.
Aus den Schlußfolgerungen sei folgendes wiedergegeben:
1. Das Ueberfahrcnwerden ist ein kompliziertes Ereignis. Man muß den
Komplex der traumatischen Vorgänge ins Auge fassen und darf nicht nur den
Augenblick des Ueberfahrens in Betracht ziehen.
2. Unter den verschiedenen traumatischen Vorgängen kommen, vielfach
mit einander kombiniert, oft auch unter Fehlen des einen oder andern Momentes
vor: Stoß, Hinschleudern auf die Erde, Schleifen, Fortreißen. Entscheidende
Momente sind seitens des Vehikels: Form, Gewicht, Schnelligkeit, seitens des
Erdbodens: Elastizität, Schlüpfrigkeit, Obei flächen Verhältnisse, seitens des
überfahrenen Körpers: Alter, Skelettbescbaffenbeit, Bekleidung.
3. Für die Diagnose kommen die einzelnen Phasen in Betracht. Das
Vehikel selbst ist oft nicht zu ermitteln, seine Kraft, Schnelligkeit und die
Form der Räder ist aber zu eruieren. Die Differentialdiagnose zwischen Selbst¬
mord und Unfall ist nur dann leicht zu stellen, wenn die erste Berührung
zwischen Wagen und Körper mit der Phase des Geschleiftwerdens zuBammenfällt.
Oft weichen in der Praxis die Vorgänge von den aufgestellten Typen ab,
so daß die Feststellungen sehr erschwert werden. Solbrig.
Gerichtsärztliches Studium über den zufälligen Tod durch Ueber*
fahrenwerden. Von Dr. A. Cazzaniga-Florenz. (Aus dem gerichtsärzt¬
lichen Institut zu Florenz). Archivio di Antropologia criminale etc. 1920,
Heft 6 und 6.
Verfasser gibt eine ausführliche Darstellung dieser nicht seltenen, aber
bisher literarisch noch nicht hinreicbend gewürdigten Todesart, die geriebts-
ärztlich von Bedeutung ist. Im besonderen werden 100 im genannten Institut
beobachtete Fälle verarbeitet.
Das kindliche und das Greisenalter liefern die meisten derartigen Unglücks¬
fälle. Es kamen vor: 34 Fälle durch Ueberfahren durch Eisen- und Straßen¬
bahn, 28 mal waren es Automobile, 20 mal Wagen, die von Tieren gezogen
wurden, 10 mal Fahrräder, die das Ueberfahren bewirkten. Am häufigsten
wurde der Schädel verletzt, danach Brust und Bauch. In drei Fällen fehlte
jede Spur äußerer Verletzung, in 46 Fällen waren nur oberflächliche äoßere
Verletzungen sichtbar und nur in 20 Fällen handelte es sich um ausgedehnte
äußere Verletzungen. Knochenbrüche überwogen, sie kamen 91 mal zur
Beobachtung.
Als unmittelbare Todesursache sind zu unterscheiden: Cbok (direkt oder
reflektorisch), Hämorrhagie, septische Komplikationen, ln 20 Fällen trat der
Tod unmittelbar ein, innerhalb der ersten 24 Stunden in 29 Fällen.
Bei Verletzungen durch langsam fahrende Wagen ist es häufiger mög-
186
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
lieh, an ekcbymotisohen Streifen, entsprechend dem Gewebe der Kleidang, das
Zustandekommen der Verletzungen za erkennen. Im übrigen kommen alle
möglichen Variationen bei diesen Verletzungen vor.
Für die gerichtsärztliche Diagnose des Ueberfahrenwerdens sind deshalb
die anatomischen Veränderungen nicht ausschlaggebend, vielmehr ist es erforder¬
lich das Vehikel, das die Verletzungen herbeigeführt hat, zu identifizieren and
den Vorfall möglichst epikritisch za rekonstruieren. Den Aassagen des Wagen¬
führers wie aach etwaigen Zeugen des Unfalls gegenüber ist Vorsicht am
Platze. Solbrig.
Hämorrhagische Diathese nach Kohlenoxydvergiftuiig. Von Priv.-
Doz. Dr. Müller-Hess. (Aus dem Institut fnr gerichtliche Medizin in
Königsberg Pr.). Aerztliche ßachveratändigen-Zeitnng, 1920, Nr. 23.
Müller-Hess lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nachkrankbeiten, die
sich an glücklich überstandene akute Kohlenoxyd-Vergiftungen anschließen
können und speziell auf eine Nachkrankheit, die bisher wenig bekannt ist nnd
deshalb leicht übersehen werden kann. Es ist dies die „hämorrhagische Diathese*.
Verfasser ist in der Lage, die spärliche Literatur über diesen Gegenstand
— es sind bisher 5 Fälle bekannt gegeben, über die knrz berichtet wird —
durch genauere Schilderung von 3 Fällen zu bereichern.
Im 1. Falle handelte es sich um die Erkrankung einer BüroangesteUten,
die in einem kleinen, schlecht gelüfteten, überfüllten Kassenraum bei schlecht
brennenden Gaslampen arbeitete und an Schwindelgefühl, Herzbeschwerden,
psychischen Störungen und Hautblutnngen erkrankte. Die ersten Gutachter
hatten Hysterie angenommen und Dienstbeschädigung verneint. Andere Sach¬
verständige, darunter auch pharmakologische, ksmen zu dem Ergebnis, daß in
dem fraglichen Arbeitsraum CO in der Loft festzustellen war. Das Gutachten
lautete demnach: Dienstunfähigkeit infolge CO-Vergiftung. Im Verlaufe der
länger dauernden ärztlichen Behandlung zeigten sich wieder holt feinste bis
linsengroße Hautblutnngen.
Der 2. Fall betraf einen 37jährigen Beamten, der bewußtlos im Bette
gefunden war, nachdem er bei einer Gaslampe gelesen batte, die nachis aua-
gegangen war. Das Bewußtsein kehrte erst am folgenden Tage wieder, es
bestanden Halluzinationen und vom vierten Tage ab traten Hautblatungen
an verschiedenen Körperstellen auf. Geistige Trägheit, Kopfschmerz und
Hautblutungen bestanden noch nach Jahren.
Im 3. Fall handelte es sich um ein Neugeborenes, das die uneheliche
Matter heimlich geboren und lebend in einen Bauchfang gesteckt batte. Aus
letzterem wurde es lebend, schwarz wie ein Mohr nach einigen Standen heraao-
gezogen. Es starb 12 Tage alt. Die Sektion ergab Blutergüsse unter der
Haut und in verschiedenen Organen. Da zugleich Ikterus nachzuweisen war,
hatte man anfangs an Phosphorvergiftnng gedacht. Es ist aber nicht zweifel¬
haft, daß auch dieser Fall zu den CO- (bezw. Bauchgas-) Vergiftungen ztt
rechnen ist
Es ist anzunehmen, daß anhaltendes, mehrstündiges Einatmen von kleinen
Mengen Kohlenoxydgas eine schädigende Wirkung auf das Gewebe nnd die
Blutbeschaffenheit zurückläßt und dadurch eine Leuchtgasvergiftung gefährlich
macht _ Solbrig.
Wann tribt sich die Cornea aach dem Ted! Von Dr. med. et phIL
F. Kanagiesser in Braunfels.
Das folgende Phänomen nahm ich an dem Kadaver eines erhängten
Greises wahr, der im März in eiskaltem Wud wohl etwa sieben Standen im
Freien gehangen hatte. Die Hornhaut der halb geschlossenen Augen war nicht
die Spur getiübt, sondern durchsichtig klar, obwohl ich das Trübwerden der
Cornea bei einem Apoplektiker, der auf einem Schiff in der Seeböbe der West*
kirnte von Marokko im Dezember starb, schon alsbald nach der Agonie beobachten
konnte. Vibert bemerkt in seinem Präcis de KäJecine legale (Paris 1886):
„Au moment de la mort et quelqueiois 1* agonie, les yeux perdent leor
öclat, leur aspect brillant cela rillte de le formatioa sur la corale d’ uae
couche que 1* ob a appel£e la tolle glaireuse et qai eet coaatitade sanout par
Kleinere Mitteilungen und Referate ras Zeitschriften.
187
I* öpHhölhun mmolli.* Räuber schreibt in seiner Anatomie (TI. 1898 p. 701):
»Nach dem Tode trübt sich die Hornhaut allmihlich, teils infolge der Trübung
Ihres Epitbeb, teils infolge der Qaellung ihrer Sabstans durch das Kammer-
Wasser.* E. y. Hofmann (Lehrb. d. gericbtl. Medisin 1887 p. 80») sagt:
„Das Auge büßt meist schon gleich nach dem Tode seinen Glans ein, und
später trübt sich die Cornea. Bei geschlossenen Augenlidern ist der Vorgang
ein langsamer.* (u. p. 843): „Es kann die Cornea mitunter laoge durchsichtig
bleiben; so fanden wir bei eiuem Mann, der sich im Winter in einem offenen
Keller erhängt batte und erst nach 20 Tagen gefunden wurde, das Auge noch
vollkommen frisch.* Nach einer gütigen Mitteilang des Herrn Priyatdosentea
Dr. E. Wölfflin (Basel) tritt die postmortale Trübung der Cornea gewöhn¬
lich nach ein paar Stunden ein, es hinge dies im spesiellen ab von der Jahree-
seit und auch von dem Alter des Patienten.
Ueber Sterbehilfe. Von Dr. med. et phil. F. Kanngiesser (Braunfeb).
Ohne irgendwie au der von Herrn Kollegen Heyn aufgeworfenen Frage
(s. diese Zeitschr. 1921, Nr. 14 und 15) Stellung su nehmen, und swar ledig¬
lich wegen der Schwierigkeit des Problems, über das lotsten Endes von Fall
su Fall und m. E nicht allgemein entscheidbar ist, möchte adnotationis causa
auf folgendes verweben.
1. Valerius Mazimus IL 6. 7.: „Man hat in Marseille Gift, das mit
Schierling yermbcht ist, in öffentlicher Verwahrung. Man reicht es dem¬
jenigen, der einem von dem Rat der Sechshundert (stichhaltige) Gründe angeben
kann, weshalb er den Tod sich wünsche.*
2. Heyn schreibt (1. c. p. 275): „Diagnostische Irrtttmer werden sich
also mit vollständigster Sicherheit vermeiden lassen.* Vgl. hierin, was Schleich
in seinen Lebenserinnerungen (ref. F.Z. 25. XI. 1920) berichtet. Bergmann
stellte 1888 eben Kranken vor, bei dem er wie Frankel laryngoskopbch
und mikroskopisch die Diagnose auf Kehlkopfkrebs gestellt hatten. B. operierte,
um su zeigen, wie er hier lebensrettend wirken könne, während man ihn bei
Kaiser Friedrich daran verhindere. Während der Operation entpoppte
sich die Fehldiagnose; es lag eine diffuse Tuberculose des Laryux vor. Zwei
Stunden später war der Patient tot. Aber es können nicht nui Zelebritäten,
sondern sogar Konsilien irren. Und wie oft stand mancher allein mit seiner
wie die Zukunft ergab richtigen Ansicht gegen die Mebung der Masse (auch
die der Gelehrten).
8. Heyn schreibt ferner (p. 261): „Da die gewaltsamen gröberen Todee-
arten selbstverständlich außer Betracht bleiben müssen, bleibt nur die Anwen¬
dung von Gift übrig. Der modernen Chemie stehen aber so viele sicher und
schmerzlos wirkende Mittel (Opiumpraeparate, Harnstoffabkömmlinge, Chloral-
bydrat, Blausäure u. a) zur Verfügung, daß die 8terbehilfe jeden falb an dieser
Frage nicht zu scheitern braucht.* Und doch bt gerade diese Frage eine der
schwierigsten; denn m. E. gibt es mit zuverlässiger Sicherheit schnell und
schmerzlos wirkende Euthanatica bb jetzt noch nicht. Der Verlauf und die
sog. tötliche Dosis bei einer Vergiftung bt großen bdividuellen Schwankungen
unterworfen. In der Symptomatologie sei nur an die Praekordialangst, die
furibunden Delirien und an die Fälle erionert, wo trotz bitterster Qualen das
Bewußtsein bb kurz vor dem Tode erhalten blieb. „Opium sedat, opium
mehercule minime sedat.*
4. In dem Altersheim ebes niederösterreichbchen Ortes verübte ein
56 jähriger Pflegling Selbstmord, indem er sich ein langes Messer ins Hers stieß;
er war schwer krank und beging die verzweiflungsvolle Tat, obwohl er sich
in sterbendem Zustand befand. (Braunfeber Anzeiger, 4. V. 1921.)
Wenn, wie Heyn richtig bemerkt, die Literatur über Sterbehilfe eine
im Vergleich zur Sache auffallend geringe bt, so bt daran m. E. teib die
Scheu schuld, sich in Widerspruch zu einer staatlichen oder staatskirchlichen
Auffassung zu setzen. Meine Meinung geht lediglich dahin, daß es schwierig
ist, generelle Bestimmungen über Dinge su formulieren, die in höchster
Instanz vor dem Tribunal des Gewissens su erledigen sind.
188
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
B. Gerlohtllohe Pnyohlntrle.
Ein Fall von Notzucht an einem Hypnotisierten. Von Generals taate-
anwalt Dr. Höpler-Wien. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1921, Nr.4.
Schilderang eines sicher erwiesenen Falles, bei dem ein 17jähriges
— nicht unbescholtenes — Mädchen nach Hypnotisierung von zwei jangen
Männern, bei denen später Neurasthenie bezw. degenerative Defekte sich fest¬
stellen ließen, vergewaltigt wurde. Der Nachweis gelang dadurch, daß durch
Sine neue Hypnose die Genotzücütigte in den Stand gesetzt wurde, eine genaue
Schilderung des Vorgangs zu geben, woza sie vorher bei völliger Amnesie nicht
fähig gewesen war. Es erfolgte Verurteilung. Solbrig.
Aetherlsmus und Kriminalität. Von Dr. Amaldi-Florenz. Archivio
di Antropologia criminale etc.; 1921, H. 2.
Neben Morpbinismus und Kokainismus findet in Italien auch der Aethe-
rismus Verbreitung. Der hier ausführlich beschriebene Fall betrifft einen
Offizier, der zehn Jahre lang regelmäßig Aethef (bis zu 160 g pro die) teils
durch Inhalation, teils per os zu sich genommen hatte und eines Tages kriminell
wurde (versuchter Betrug). Die Beobachtung in der Irrenanstalt ergab keine
besonderen Abweichungen. Es wurde aber verminderte Zurechnungsfähigkeit
angenommen, und zwar mit Rücksicht auf erbliche Belastung und die psychi¬
schen Störungen, die der Aethergenuß notorisch zur Folge hat und die auch
bei dem Untersuchten früher beobachtet wurden (Gedächtnisstörungen, morali¬
sche Defekte). _ Solbrig.
O. Baohverständigentätlgkeit ln Unfall-, Invalidität«- and
Krankenversioherungssaohen.
(Jeher Hernla dlaphragmatlca. Von Reg.- und Med.-RatDr. Lehmann-
Düsseldorf. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921. Nr. 18.
Ein junger Soldat wurde im Felde mit schwerer Quetschung nach Ver¬
schüttung ins Lazarett eingeliefert und starb danach sehr schnell. Bei der
Obduktion wurde neben der Todesursache (Beckenbruch mit Komplikation) das
Vorhandensein einer alten — angeborenen? — Zwerchfellhernie festgestellt,
indem der größte Teil des Magens und ein Teil der Leber durch eine etwa
Fünfmarkstück große Oeffoung des Zwerchfells in die Brusthöhle hineinragtaa.
Außerdem war Kleinheit des Herzens und Kryptorchismus vorhanden. Ob der
abnorme Befand, der zweifellos eine Seltenheit darstellt, in vivo irgendwelche
Erscheinungen verursacht hatte, ließ sich nicht feststellen. Solbrig.
Ela Fall voo Schüttellähmung (Paralysis agttans) nach plötzlichem
Schreck. V on Nervenarzt Dr. Hebestreit - Leipzig. Aerztl. Sachverständigen-
Zeitung, 1921, Nr. 12.
Eine erblich nicht belastete ländliche Arbeiterin von 60 Jahren, die
14 Kinder geboren hatte, angeblich immer etwas nervenschwach gewesen war,
ohne indes in ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt zu sein, erkrankte plötzlich
infolge eines heftigen Schrecks an typischer Schüttellähmung. Eine gewisse
Disposition nimmt Verfasser als vorliegend an, da er es für ausgeschlossen
hält, daß eine solche Erkrankung bei vollständig gesunden Körper- und Nerven-
verhältnissen eintreten kann. _ Solbrig.
Die Elektrographte des Herzens und ihre Bedeutung für die Ver¬
sicherungsmedizin. Von Dr. S a c h s - Berlin. Zentralblatt für Gewerbehygiene,
1921, Heft 1.
Der Versicherungsmedizin muß aus der Elektrokardiographie zwiefacher
Nutzen erwachsen. Einmal vermag dieses diagnostische Hilfsmittel bisweilen
dort Klarheit zu bringen, wo bereits andere klinische Untersuchungsmethoden
Verdacht erweckt hatten. Andererseits, und was weit häufiger und wertvoller
ist, wird das Elektrokardiogramm im Einzelfall den exakten und ausschlaggeben¬
den Beweis dafür liefern können, daß eine alarmierende Arhythmie zweifels¬
ohne harmloser Art ist und ihren Täger nicht belastet. Dr. Wolf-Cassel.
11|WI i 1 i I j Ml Will «
189
Mttttiidrt fiMetnUIgkeltea des elektrischen UnfkHes. Von Dr.
Jeeg er •Zürich. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, Nr. 8.
In der Schweiz besteht eine absolute Zunahme der jährlich verkommen¬
den Unfälle. Nach den vorliegenden Zahlen haben Niederspannung! - und
Hochspannungsunfälle die gleiche Mortalität Oer irrtümlichen Anschauung
von der Ungefährlichkeit der Niederspannung ist energisch entgegenzutreten.
Die Niedetspannungstodesfälle, besonders durch Handlungen mit gewöhnlichem
Beleuchtungsstrom, häufen sich. Es verdient endlich Gemeingut zu werden,
daß unter gewissen Bedingungen, nämlich bei großen Berührungsflächen und
stark reduziertem Kürperwiderstand („nasses Milieu“, Schweiß), die gemeinhin
als ungefährlich bezeichneten Spannungen der Lichtleitung usw. lebensgefähr¬
lich werden können. In der Praxis hat jeder technisch verwendete Strom unter
gegebenen Umständen als lebensgefährlich zu gelten. Der Selbstmord durch
Elektrizität ist im Zunehmen begriffen. Die Differentialdiagnose von elektrischem
Unfall und elektrischem Suicia verlangt erhöhte Beachtung. Die Schuldfrage
beim elektrischen Unfall ist statistisch nicht genau zu fassen; die Subjektivität
des Beurteilenden spielt eine große Bolle. Es besteht eine Häufung der
elektrischen Unfälle in den Sommermonaten Juni, Juli, August Diese ist durch
meteorologisch-physikalische und meteorologisch-biologische Faktoren (erhöhte
Ermüdung, Schweißbildung) zu erklären. Unfälle an Schwachstromanlagen
sind in der Schweiz so gut wie unbekannt. Auch hierin ist die günstige
Wirkung der Gesetzgebung über die elektrischen Anlagen und die getroffenen
Schutzmaßnahmen zu erblicken. Dr. Wolf« Cassel.
Tagesnachrichten.
Atu d«m Hauptaussohuss des Belohstages. Am 18. März d. Ja.
wurde im Hauptausschuß des Reichstages gelegentlich der Fortsetzung der
Berittung über den Haushalt des Beichsmiusteriums für Volksgesundheit bei
der Aussprache über das Beicbsgesundheitsamt seitens des Abg. Dr. Moses
(U. Soz.) der Antrag gestellt sobald als möglich, ein selbständiges Reichs«
mbltutertnm für Volksgesundheit unter fachmännischer Leitung einzurichten.
Der Berichterstatter, Abg. Dr. Schreiber (Z.) widersprach diesem An¬
träge und erklärte es für zweckmäßig, das Reichsgesundheitsamt, das
sdine Aufgaben glänzend erfüllt habe, wie durch seine wissenschaftlich ehren¬
volle Vergangenheit bewiesen sei, beim Beichsministerium zu belassen.
Dagegen verlangte Abg. Dr. Grotjan (Soz.) ebenfalls, eine Reichs-
zehtralbebürde für die Öffentliche Gesundheitspflege zu errichten, und zwar
durch Ueberführung des Beichsgesundheitsamtes in das Reichsarbeitsministerium
und seine Umgestaltung aus einer Untersuchungs- und Gutachterstelle zu
einem Verwaltungsamt. Dies sei notwendig, da nicht mehr wie früher die
Gesundheitspflege in Deutschland durch Preußen in der Hauptsache gefordert
werde. Inzwischen hätten sich diese Verhältnisse dermaßen geändert und
wäre durch das Beicbsgesundheitsamt namentlich auf sozial-hygienischem. Ge¬
biete nichts Genügendes geleistet, wie überhaupt die Ergebnisse des Beichs¬
gesundheitsamtes im wissenschaftlichen Sinne nur sehr bescheiden seien.
Die Abgg.Dr. Mumm (D. Nat) und Koch (Dem.) wandten sich gegen
die beantragte Neuorganisation, da sie bei erheblichen Kosten wenig Nutzen
verspreche.
Der Reichsminister des Innern, Dr. Küster, widersprach gleichfalls
dem Anträge auf Schaffung eines Gesundheitsministeriums. Auf Zentralisierung
drängten zwar die Aufgaben der sozial-hygienischen Fürsorge, trotz aller
finanziellen Note, aber jetzt sei der Zeitpunkt noch zu früh. Im übrigen habe
das Beichsgesundheitsamt außerordentlich viel auf dem Gebiete gesetzgeberischer
Initiative geleistet, was naturgemäß der Oeffentlicbkeit vielfach verborgen
bleibe. Zurzeit seien folgende Gesetze in Vorbereitung:
Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Gesetz zur Aendeiung
des Weingesetzes, Tuberkulosegesetz, Nahrungsmittelgesetz, Irrengesetz, Beichs-
apdthekengeeetz, Feuerbestattungsgesetz, Abwässergesetz, Gesetz gegen Alkohol-
dnßbraucb, Fleisch benchaugeeetz, Prüfungsordnungen für Aerzte, Tierärzte und
190 Tagesnachrichten.
Nahrungschemiker, Krankenpflegegesetz, Säuglingssterblichkeit, Tuberkulone-
fonds and Alkobolfonds.
Der Minister erklärte, dem Reichstag eine Denkschrift Torlegen su
wollen, in der nnter Würdigung der hier Torgebrachten Gesichtspunkte, Vor¬
schläge über eine eventuelle Um Organisierung des Reichsgesundheitsamtes ge¬
macht werden sollen. Der Präsident des Keicbsgesundheitsamts Bumm ver¬
wahrte sich gegen die Angriffe auf das Reicbsgesundbeitsamt. Er machte
darauf aufmerksam, daß die Verwaltungsmaßnahmen in der Gesundheitspflege
ausreichend seien, was schon daraus hervorgehe, daß Tuberkulose, Pocken,
Typhus, Ruhr und Geschlechtskrankheiten in Deutschland nicht stärker ver¬
breitet seien, als in Frankreich, Italien usw. Noch niemals seien Seuchen in
so geringem Maße einem ungeheurem Kriege, wie dem Weltkriege gefolgt.
Daß die wissenschaftlichen Arbeiten des Reichsgesundheitsamtes erfolgreich
gewesen seien, werde dadurch bewiesen, daß hier der Tuberkelbacillus und
der Erreger des Syphilis entdeckt wurden. Kürzlich sei es auch hier gelungen,
den Erreger der Maul- und Klauenseuche zu züchten und damit die Basis für
die Immunisierung der Tiere gegen diese Seuche zu finden.
Abg. Dr. Grotjan (Soz.) betonte, niemals die ruhmvolle Vergangen¬
heit des Reichsgesund beitsamtes bestritten zu haben; jetzt aber seien neue
Aufgaben, weniger auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung als auf dem sozial-
hygienischen Fürsorgewesen zu lösen. Er beantragte, daß seitens der Reichs-
regierung Vorarbeiten veranlaßt werden für eine Umgestaltung der
Schutzpockenimpfung im Sinne der Einführung der Gewissens-
klausel und der Haftpflicht des Reiches für nachgewiesene Impfschäden,
sowie der Aufhebung der Wiederimpfang.
Der Haaptau8scbuß lehnte diesen Antrag ab.
Ein Antrag des Abg. Dr. 8chreiber (Z.) über die Vorlegung einer
Denkschrift und über die Gesamtaufwendungen des Reiches und der Länder
für die bestehenden Organisationen in der Tuberkulosebekämpfung wurde
angenommen. Zur Förderung der Bekämpfung des Typhus wurden
760 000 M. bewilligt. Als Beitrag zu den Unterhaltungskosten einer Anstalt
für die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit wurden 2 Millionen
Mark gewährt, ein gleicher Betrag für die Bekämpfung der Säuglings¬
sterblichkeit und für die Kleinkinderfürsorge im Deutschen Reich.
Zur Bekämpfung der Tuberkulose bewilligte der Hauptausschuß 8 Millionen M.
Also das gleiche Bild wie im Vorjahre in der Sitzung des Reichstages
am 16. März (vgl. diese Zeitschrift 1921, S. 129). Die Linksparteien beantragen
die Schaffung eines eigenen Reichsgesundüeifrminisieriums, die anderen Parteien
sind dagegen und der Herr Minister verweist auf das Reichsgesundheitsamt,
von dem eine Fülle von gesetzgeberischen Arbeiten geleistet sei, während noch
eine große Menge von Gesetzen in Vorbereitung sei (wie lange aber schon!
und wie lange noch!) Immerhin eine leise Hoffnung auf eine dermaleinstige
Verwirklichung des Reichsgesundheitsministeriums, das zu fordern die Medi¬
zinalbeamten nicht müde werden düifen. Aus den Worten des Herrn Ministers
geht diesmal hervor, daß die Zentralisierung der mannigfachen Aufgaben als not¬
wendig anerkannt wird, nur sei der Zeitpunkt zur Durchführung noch verfrüht!
Gültigkeit des Altersgrensengesetzes. Die mit Spannung erwartete
höcbBtgerichtliche Entscheidung über die Berechtigung der Zwaogspensionierong
ist eingetroffen: Das Reichsgericht hat unter dem 14. März diese Berechtigung
anerkannt. Nach Ansicht des erkennenden Senats verstößt das preußische
Altert>gre»zengesetz nicht gegen die Reichsverfassung und ist rechtskräftig.
Die Verpflichtung des 8taates gegenüber den Beamten bestehe darin, diese und
ihre Familien standesgemäß zu unterhalten, die Vergütung spalte sich dabei
in Amtsgebalt und Ruhegehalt. Der Ausdrack „lebenslänglich“ dürfte also
nicht wörtlich genommen werden. Der Staat kann auch wohlerworbene
Rechte einschränken oder anfheben. und zwar mit oder ohne
Entschädigung, denn die Wurzel allen Rechtes ist die Macht
des Staates. Die Beamten haben kein wohlerworbenes Recht darin, daß
die Frage, wann die Dienstunlähigkeit eintritt, lediglich au beurteilen sei nach
Tageinachrichten.
191
individuellen und persönlichen Gesichtspunkten. Maßgebend ist das
Interesse der Allgemeinheit, und dieser dient das Altersgrenzengesetz,
da es dem Nachwuchs den Aufstieg in höhere 8tufen ermöglicht.
Hiernach gilt es also für die von dem Altersgrenzengesetz Betroffenen
■ich in das Schicksal zu finden!
Eue neue ärztliche Gebührenordnung ist in Preußen unter dem
16. Mira erlassen, die mit dem 1. April in Kraft tritt. Gegenfiber den Friedens*
Sätzen ist durchschnittlich eine 10 fache Erhöhung eingetreten (Beratung eines
Kranken beim Arzt 10—200, Besuch des Arztes beim Kranken bei Tage 20 bis
400 Mark). Die Gebührenordnung wird in der „Volkswohlfahrt* veröffentlicht
werden.
Nachruf. Ein schmerzlicher Verlost bat wiederum uns Medizinalbeamte
g etroffen. Am 20. März starb nach kurzem schweren Leiden im 70. Lebensjahr
[. Geh. Med.-Rat Dr. Räuber, Reg. u. Med.-Rat a. D. in Erfurt Der Verstorbene
war lange Jahre Mediziualbeamter und hat als solcher in den verschiedenen
Orten nnd Stellungen hervorragend gewirkt; erst vor einem Jahr schied er aus
dem Amt Den Medizinalbeamten des Bezirks Erfurt war er lange Jahre
hindurch ein wohlwollender Freund und Berater. Ein „treuer deutscher Mann*
ist mit ihm dahingegangen, wie aus seinem ersten Wirkungskreise Nordhausen
gerttbmt und betrauert wird. Für unsere Zeitschrift hat er wiederholt wert¬
volle Beiträge geliefert. Jedem ist seine „Zusammenstellung der gesetzlichen
Bestimmungen* pp. ein unentbehrliches Nachschlagebuck geworden Räubers
Andenken hoch in Ehren zu halten, wird uns eine selbstverständliche Pflicht sein.
Todesfall. In Hamburg starb der bekannte Professor der Bakteriologie
und Direktor des hygienischen Instituts der Universität Dr. William Dunbar
im Alter von 59 Jauren. Seine Verdienste um die Hygiene — wir erwähnen
nur seine Forschungen über die Epidemiologie der Seuchen, seine Leistungen
auf dem Gebiete der Abwasserreinigung — werden unvergessen bleiben und
sichern dem zu früh Verstorbenen ein ehrenvolles Andenken besonders auch
unter den Medizinalbeamten.
Prcussischer Medizinal beamten-Verein.
XXXIII. Hauptversammlung
und
U. Vertreterversammlung.
Tagung am 27., 28. und 29. April 1922 in Magdeburg,
Gesellschaft Harmonie, fiaiserstraße 64, beim Museum. *
Tagesordnung:
Mittwoch, den 26. April, Begrfissungsabend mit Damen um 8 Uhr
in der Harmonie und Vorstandssitzung, zu welcher noch besondere Ein¬
ladungen an die Vorstandsmitglieder erfolgen.
Erster Sitznngstag:
Donnerstag, den 27. April, 9 Uhr vormittags: Vertretertag in
der Harmonie.
1. Geschäfts- und Kassenbericht, Prüfung der Rechnungen, Beratung bezw.
Festsetzung des Jahresbeitrages und Wahl eines besonderen Kassenffihrers.
2. Aenderung einiger Bestimmungen der Satzungen in §§ 9, 12 und 15. *)
*) Die §§ 9 und 12 der Satzungen, in denen einmal Vertretung des Ver¬
eins durch alle 5 Vorstandsmitglieder, dann nur durch Vorsitzenden und
IM TagCiüBehrichtetf.
3. Aussprache übet* die wirtschaftliche Lage und amtliehe tfiflp
Medizinsibeamten.
4. Mitteilangen and Vorberfttang von Anträgen.*)
8 Uhr nachmittags: Mitgliederversammlimg in der Harmonie;
1. Ueber Gebartsschädigungen der Neugeborenen. Berichterstatter: Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Puppe, Breslau.
8s Die Dienstanweisung für die Kreis- und Gerichtsärzte. Berichterstatter ;
Kreisarzt Dr. Wollenweber, Dortmund, Med.-Bat Dr. Franz, Löfseh
and Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslaa.
3. Geschäfts- und Kassenbericht, Bericht der Bechnungsprüfer, Entlastung
des Kassenfttbrers. Wahl eines besonderen Kassenfahrers, Festsetzung des
Jahresbeitrages.
4. Allgemeine Aussprache über die amtliche Stellung und wirtschaftliche
Lage der Medizinalbeamten, Stellung zu den Beamtenverbänden.
8 Uhr: Gemeinsames Essen im Bestaurant Harmonie.
Zweiter Sitzungstag.
Freitag, den 28. April, vormittags 10 Uhr in der Harmonie.
1. Die gesetzliche Neuregelung der amtsärztlichen Gebühren. Berichterstatter:
Medizinalrat Dr. Bogowski, Berlin.
2. Kreisarzt und Fürsorge. Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Huebner-
Waldenburg.
3. Mitteilungen. Verschiedenes.
Nachmittags 4 Uhr: Weitere Vorstandssitaung.
Dr*. Wöllenweber, Dr. Bundt,
Schriftführer. Vorsitzender.
Schriftführer festgesetzt wird, müssen auf Forderung des Amtsgerichts Berthe
Mitte, bei dem die Eintragung der Satzungen beantragt ist, in Uebewtm*
Stimmung gebracht werden.
Die Belastung des Landesvereins mit den Kosten der V. T. ist ohne ge¬
waltige Erhöhung der Beiträge nicht möglich.
a) Antrag Wollen Weber auf Aenderung des § 15: „Die Bezirlovereiao
trägen die Kosten ihrer Vertreter auf den Vertretertagen."
b) Antrag Bogowski: „Der Landesverein und die BezirkävereiSer tragen
die Kosten der Vertretertage je zur Hälfte."
Es wird gebeten, im Hinblick auf die finanzielle Lage des Vereins, von
der Bestimmung der Satzungen, wonach 1 Vertreter mebrere Stimmen aus
seinem Bezirk-übernehmen kann, Gebrauch zu machen.
*) Anträge Bogowski:
1. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Herrn Miniftteh d Hk
Antrag, daß dort, wo die Begierungspräsidenten den Kreisärzten das
* Halten eines Telefons im dienstlichen Interesse auferlegen, die Kosten für
die laufende Unterhaltung des Telefons der Staatskasse besonders zur
Last fallen.
2. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Aerztekammeraisschuß
den Antrag, den Kreisärzten in allen Provinzen eine gleichmäßige Br»
Mäßigung des Kammerbeitrages zuzubilligen.
Hotels in Magdeburg: Magdeburger Hof, Central- und Conti¬
nental-Hotel (Preis für das Bett 6^—80 M.), Weißer Bär, Kaiserhof, Bellevue,
InlUeft Hotel, Stadt Prag (Preis für das Bett 42—50 Mark), alle höchsten*
8 Minuten vom Bahnhof. — Möglicherweise werden auch Privatwohnungen nur
Verfügung gestellt. — Anfragen sind zu richten an Herrn Medizinalrat
Dt: Themas, Magdeburg, Medizinal an tersuchungsamt, Fernruf 1911.
VerttfctiriMUfaV ftr dfe SchrtfUeltim*: G«h. ¥ed.-B«« Dr. Solbrlr, Be*.- «. Mtav-BbT lä Brtafea,
AMMUrV, 84. — Dmek Ttitf J. O. O. Bkob», MfSdeS 1. W*.’
ir*fc**s3
Ü^J
esa
. ;' ‘-ifij^t.- 1 --»’^^ lifi fo. 'Aiid jtf->f:.^Jit^ftti»;lfci<H,^V^ i ?>^!ir
aSBS
86. Jahrg.
Zeitschrift für Medüinalbeamte.
Nr. 8
Sarganek in Köslin, Dr. Michaelsohn in Meseritz, Dr. Dörrenberg in
Soest, Dr. Nanck in Hattingen sowie die Med .-Räte Dr. Birkholz in Naum-
barg, Dr. Nobler in Glatz nnd Dr. Söhle in Mühlhausen (Thür.)
Ansgeschieden ans dem preußischen Staatsdienst: der Kreisassistenz¬
arzt Dr. Barten in Stralsund.
Gestorben: Die Kreismedizinalräte Dr. Ehlers ln Langensalza, Med.*
Bat Dr. Koschel in Schönlanke.
Bayern.
Ernannt: Dr. M1 n d e r 1 ei n in Berolzheim znm Bezirksarzt in Sonthofen,
Dr. Lift, Stadtschularzt in Wttrzborg ztim Stadtarzt daselbst.
Berufen: Dr. 8 i m o n, Chefarzt des städtischen Krankenhauses in Ludwigs¬
hafen als Mitglied des Kreismedizinalausschnsses der Pfalz.
Versetzt: Obermedizinalrat Dr. Becker, Bezirksamt in Neustadt a. S.
nach Würzburg (Stadt), Bezirksamt Dr.Schmid ron Meßkirch nach Emmen-
dingen.
Sachsen.
Ernannt: Dr. Steudemann, Polizeiamt in München zum Stadt-Schul¬
amt in Leipzig.
Württemberg.
Ernannt: Oberamtsamt Dr.Schott zum Tollbesoldeten Oberamtsamt
ausschließlich für den Oberamtsbezirk Eßlingen.
Versetzt: Oberamtsarzt Dr. Haffner in Langenburg in die Oberamts¬
stelle in Kirchheim.
Gestorben: Dr.Bister, Oberamtswundamt in Bllwangen.
Erledigte Stellen.
Bayern.
Die Beslrksnrztstellen in Günzborg, Karlstadt und Neustadt a. Saale.
Bewerbungen sind bei der für den Bewerber zuständigen Begierung, Abteilung
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Jahrg. 35.
Zeitschrift
für
1922.
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegrdndet und von 1882 bis 1922 herausgegeben von ß&h. Med.-Rat Prot. Or. RAPMUND.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin' und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
Heraosgegeben von
Med.> Bat Dr. Bundt- Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger - München,
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslan, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Poppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmnnd-Querfnrt, Med.-Rat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, -Prof.
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat.
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigisohen Medizinalbeamtenvereins
Schrlftleitung: Verlag:
Geb. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flscbefs med. Buchhandlung B. Kornfeld,
Rag.- n. Hei.-Rat ln Breslau. Berlin V. 62, SelttastraOe 5.
Bezugspreis für das Jahr: 60 M., durch die Post bezogen: 63 M.
Nr. 8.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monate
j 20. April.
Notwendigkeit und Organisation städtischer
Gesundheitsämter.
Von Prof. Dr. Bürgers, Stadtarzt in Düsseldorf.
Die von Kommunalärzten schon lange erhobene Forde¬
rung in größeren Stadtverwaltungen selbständige Gesundheits¬
ämter unter Leitung eines Arztes zu schaffen, ist nur in ganz
wenigen Städten Wirklichkeit geworden. In manchen Kommunen
wird darum gekämpft, in anderen ist das Gesundheitsamt eine
Unterabteilung des Wohlfahrtsamtes oder sogar des Jugendamtes,
in anderen Orten wiederum fungiert der Amtsarzt nur als tech¬
nischer Berater der Verwaltung. Es ist daher als ein Fort¬
schritt zu verzeichnen, daß auf dem 1. Deutschen Gesundheits¬
fürsorgetag auf Grund der Referate von Grotjahn, Kraut-
wig, Pfeiffer und Silberstein die Versammlung der
Kreis- und Kommunalärzte fast einmütig die Schaffung von
selbständigen Gesundheitsämtern in größeren Städten als eine
dringende Forderung der Zeit bezeichnete. Da die Gründe,
weswegen noch keine einheitliche Regelung in dieser Frage
erzielt werden konnte, die Allgemeinheit der Aerzte interessiert,
soll in folgendem eine kurze Darstellung der ganzen Organi¬
sation auf Grund persönlicher Erfahrung gegeben werden.
194
Dr. Bürgers.
Es mag befremdend erscheinen, daß in der heutigen Zeit,
wo man dem Fachmann weitgehende Kompetenzen einräumt,
wo bereits Schulämter, Bauämter, Wohlfahrtsämter, Presseämter
bestehen, Berufs- und Arbeitsämter eingerichtet werden, ledig¬
lich dem Arzt die selbständige Stellung nicht gewährt werden
soll, unter der Begründung, daß der Arzt die Verwaltung, be¬
sonders die von selbständigen Etats, nicht verstehe und daß
lediglich der Jurist dazu imstande sei. Dabei sei nur an zwei
Tatsachen erinnert:
1. Der Weltkrieg hat zur Genüge gezeigt, daß deutsche Aerzte
sehr gut zu organisieren und zu verwalten vermögen. Sie
haben das oft unter den schwierigsten Verhältnissen be¬
wiesen, die sich nicht im entferntesten mit den ruhigen
Arbeitsbedingungen der Jetztzeit vergleichen lassen.
2. Wie schon Krautwig in seinem Referat hervorhob, macht
die traurige Finanzlage der meisten großen Kommunen es
zur Pflicht, alle Ausgaben für die Gesundheit und Für¬
sorgetätigkeit und deren Einrichtungen auf ihre Not¬
wendigkeit oder Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Und wer
kann das besser als der in allen Zweigen der Hygiene
bewanderte Arzt? Es genügt unseres Erachtens auch nicht,
die Verwaltung der vorhandenen Mittel in die Hände von
anderen Aemtern, oder Deputationen oder Kommissionen
zu legen und dem Arzt in diesen Sitz und Stimme zu
geben. Wie oft kann er da überstimmt werden? Wer
glaubt, daß alle Menschen auf den Rat des Arztes hören,
der ist ein Tor.
Wir postulieren also: An die Spitze der Ver¬
waltung von öff entliehen Mitteln, die ganz oder
überwiegend der Gesundheitspflege un d ge¬
sundheitlichen Fürsorge dienen, gehört der
Arzt als selbständiger Dezernent im Range
oder besser in der Stellung eines Beigeordneten
bezw. Ratsmitgliedes.
Wir kommen nun zu der Organisation des Gesund¬
heitsamtes selbst. Hier sei eine Vorbemerkung gestattet:
Nicht ein Heer von Beamten macht das Amt, sondern die Tüch¬
tigkeit und Arbeitsfreude von wenigen guten Beamten und der
Geist, der die s'aubigen Akten mit lebendigem Leben erfüllt.
Das ist eine schwere Aufgabe, aber ihre Erledigung ist un¬
erläßliche Vorbedingung. Noch eines: In keinem Teile dieses
Amtes hat Politik oder Religion Platz, es muß die Betätigung
der sozialen Hygiene eine absolut neutrale Plattform sein, auf
der sich alle Parteien und Religionsgemeinschaften einig zu¬
sammenfinden.
Nach diesen notwendigen Abschweifungen müssen ^zunächst
die Aufgaben, die in einem Gesundheitsamt bearbeitet werden
sollen, aufgezählt werden, woran sich zweckmäßig eine Be¬
sprechung besonderer Einrichtungen, die notwendige Mitarbeit
Notwendigkeit und Organisation städtischer Gesundheitsämter.
195
mit anderen Dienststellen und schließlich die Aufzählung des
erforderlichen Beamtenapparates anschließt. i
Vielfach trennt man eine reine gesundheitliche Abteilung
von einer gesundheitsfürsorgerischen, d. h. einer sozialhygieni¬
schen, prophylaktischen. Abgesehen davon, daß das Wort
„gesundheitsfürsorgerisch“ nicht gerade glücklich gewählt ist,
scheint eine Trennung in mancher Hinsicht sachlich nicht be¬
rechtigt, da Maßnahmen auf einem Gebiete dem anderen zugute
kommen. Auch ergibt sich eine Einteilung von selbst da, wo
die Funktion von Kreis- und Stadtarzt in einer Hand liegt.
(Unseres Erachtens sprechen mehr Gründe für eine Trennung
der Stadt- und Kreisarztgeschäfte als dagegen.)
Nach wie vor bildet die Bekämpfung der anstecken¬
den Krankeiten eine Hauptaufgabe des Gesundheitsamtes.
Gerade hier bedarf es einer harmonischen Zusammenarbeit
zwischen Kreisarzt als Aufsichts- und anordnende Behörde und
Gesundheitsamt als praktisch tätige und ausführende Behörde,
die ja durch ihre städtischen Desinfektoren und die Desinfektions¬
anstalt wenn möglich auch durch ihr Laboratorium alle nötigen.
Maßnahmen schnell ausführen kann. Uns ist nicht bekannt,
daß auf diesem Gebiete nennenswerte Reibungsflächen zwischen
den beiden Dienststellen entstanden sind. Von manchen Seiten
wird verlangt, die Durchführung getroffener Maßnahmen aus
der Hand der Polizeiverwaltung in die des Gesundheitsamtes
zu überführen. Auch wir halten die gesetzliche Regelung dieser
Frage im obigen Sinne für erstrebenswert. Logischerweise
unterstehen die Desinfektionsanstalt und die städtischen Des¬
infektoren dieser Abteilung des Gesundheitsamtes. Gerade hier
gilt es, auf Grund der neuen Desinfektionsvorschriften kost¬
spielige Schlußdesinfektionen zu sparen und die Desinfektoren
auf die Ueberwachung der fortlaufenden Desinfektion umzu¬
stellen. Anderseits wird diese Stelle öfters von der Tuber¬
kulosefürsorgestelle und Bezirksfürsorgerin in Anspruch ge¬
nommen werden müssen.
Zur Verhütung der ansteckenden und sonstigen Er¬
krankungen dient die hygienische Aufsicht und Ueber¬
wachung von Nahrungsmitteln vornehmlich der so oft
gefälschten Milch, Genußmittel, besonders der wilden Speiseeis¬
fabrikation und Gebrauchsgegenstände, die heute notwendige
Ueberwachung der Verkaufsstände auf den Straßen und Märkten.
Diese Abteilung bedarf enger Zusammenarbeit mit der Polizei
und dem hygienischen Institut, der Nahrungsmitteluntersuchungs-
atelle oder ähnlichen Einrichtungen, wo beanstandete Proben,
besonders Milch von Fachleuten untersucht werden können.
Sofern diese Angelegenheiten schon einem Polizeitierarzt anver¬
traut sind, muß dieser seinen Sitz im Gesundheitsamt haben.
Aehnlichem Zwecke dient eine weitere Einrichtung des
Gesundheitsamtes: Ortsbesichtigungen hygienischer
Natur und Bearbeitung dieser Angelegenheiten, Ersuchen an
uie Polizeibehörde zur Abstellung von Mißständen in der
196
Dr. Bürgers.
Wasserversorgung, Abortanlagen, Schutt-und Müllabladeplätzen.
Namentlich letztere führen oft zu einer starken Verstaubung
von anliegenden Straßen.
Eine besondere und ganz eigenartige Quelle von Infektions¬
krankheiten und Ungezieferverbreitung bilden die öffentlichen
und privaten Asyle, deren Ueberwachung daher vom Gesund¬
heitsamt ausgeübt werden muß. Dahin gehören auch öffent¬
liche und private Säuglingsheime, Kinderhorte, Krippen,
Bewahranstalten und ähnliche Einrichtungen, auf deren
Gefährlichkeit als Infektionsquelle für Keuchhusten, Diphtherie
und andere Krankheiten in neuester Zeit immer wieder von
Kinderärzten hingewiesen wird.
Wenn auch Uebertraguhgen von ansteckenden Krank¬
heiten durch Badeanstalten inkl. Luftbäder immerhin zu den
größten Seltenheiten gehören, so muß doch ihre hygienische
Ueberwachung dem Gesundheitsamt zur Pflicht gemacht werden.
Eine in heutiger Zeit ganz besonders wichtige Aufgabe
in der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten ist dem
Gesundheitsamt in der Ueberwachung der Prostitution
erwachsen. Dabei wird zweckmäßigerweise die dabei tätige
Fürsorgerin dem Gesundheitsamt unterstellt, womit auch diese
soziale Fürsorgearbeit ihren polizeilichen Charakter verliert. Ob
bei der Umwandlung in staatliche Polizei die Prostitution ganz
der Ueberwachung der Kommune entzogen werden soll, ist nicht
sicher. Ein Zusammenhang mit dem Gesundheitsamt wäre sach¬
lich wohl wünschenswert. Großen Wert auf diese ärztliche
Ueberwachung werden allerdings viele Gesundheitsämter nicht
legen.
Wir halten es ferner für nötig, daß die vielfach dem Poli¬
zeidezernenten unterstellte Bearbeitung des Impfwesens ihren
Platz im Gesundheitsamt findet, von wo die Ausübung der
Impfung ja sowieso geleitet wird. Die Aufsicht bleibt Sache
des Kreisarztes, ohne daß auch hier Reibungen zu befürchten
sind. Strafverfügungen erläßt nach wie vor der Polizeidezement.
Ganz verschieden in den einzelnen Städten ist die folgende
Abteilung des Gesundheitsamtes organisiert: Bearbeitung der
Angelegenheiten der städtischen und privaten
Krankenanstalten, Genesungsheime, Heilstätten,
Säuglingsheime, Krippen, Kleinkindergärten, Wald¬
erholungsstätten, Licht-und Luftbäder. Am vorbild¬
lichsten ist diese Organisation wohl in Köln und in Berlin. Die
Aufgaben sind einmal rein gesundheitlicher Natur: Zweckmäßige
und ausreichende Versorgung von Kranken und Bedrohten,
anderseits rein verwaltungstechnisch: Bereitstellung der erforder¬
lichen Mittel an der bedürftigsten Stelle. Wir denken hier
beispielsweise an Vermehrung der Betten für Tuberkulose¬
kranke. Selbst bei Anerkennung der Selbständigkeit der ge¬
nannten Betriebe darf dieses wichtige Glied in der viel ver¬
schlungenen Kette des Gesundheitswesens nicht fehlen.
Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 197
\ .
Sehr buntscheckig ist die Regelung des Unfall- und
Rettungs wesens. Unseres Erachtens sollte der Knotenpunkt
aller darauf gerichteten Bestrebungen im Gesundheitsamt liegen,
unter Wahrung aller Selbständigkeit von Einrichtungen bei
Feuerwehr, Polizeistationen, Hilfspersonal, Sanitätskolonnen und
dergleichen. Besonders nötig erscheint uns die ärztliche Ueber-
wachung der polizeilichen Unfallstationen und der Verband¬
kästen in den Trambahnen, ferner der Zentralnachweis für
Krankenpfleger und -pflegerinnen. Aerzte, Apotheken und
Hebammen gehören unseres Erachtens nicht unbedingt zum
Gesundheitsamt. Diese Angelegenheiten unterstehen besser
nach wie vor dem Kreisarzt.
Dagegen gehört die Wohnungshygiene unbedingt in
das Gesundheitsamt. Zuleitende und ausführende Organe sind
die Bezirksfürsorgerinnen und Desinfektoren. Zur Mitarbeit sind
alle charitativen Vereine und das Wohnungsamt heranzuziehen.
Dies darf natürlich nicht dazu führen, daß nun von seiten des
Publikums alle Beschwerden beim Gesundheitsamt einlaufen.
Es ist hier wohl die Stelle, einmal mit allem Nachdruck
auf die Gefahren der Wohnungsrationierung für die
körperliche und seelische Gesundheit der Gro߬
stadtbewohner hinzuweisen. Wir kommen immer mehr zu
der Auffassung, daß diese Zwangsmaßregel mehr Schaden
als Nutzen gestiftet hat. Man soll aber als Arzt und
Hygieniker auch den Mut haben, sich offen zu dieser Auffassung
zu bekennen.
Viel Zeit und Arbeit erforderten bisher Untersuchungen
undBegutachtungenvon Beamten und Angestellten.
Wenn solche Gutachten nur von beamteten — ich verstehe
darunter gut ausgebildete — Aerzten gemacht würden, wäre
die Arbeit wesentlich leichter. Leider haben sich auf dem
Gebiete des Attestwesens Zustände herausgebildet, die besser
unerörtert bleiben. Auf jeden Fall dient die in Juristen- und
Verwaltungskreisen oft geäußerte Anschauung, daß heute jedes
Gutachten von praktischen Aerzten zu haben sei, nicht zur
Hebung des Ansehens deutscher Aerzte. Das Vorgehen des
Aerztevereins in München in dieser Frage, der seinen Mit¬
gliedern das Ausstellen von Attesten nur auf Ersuchen von
Behörden gestattet, erscheint daher vorbildlich.
Das große Material, was in den Gesundheitsämtern zu¬
sammenfließt, sollte für die Kenntnis sozialhygienischer Vor¬
gänge nicht unfruchtbar bleiben. Die Ergebnisse von Massen¬
untersuchungen, Krankheitsbewegungen, Feststellungen und
Erfolge von Fürsorgestellen sollten in wissenschaftlichen Ver¬
öffentlichungen niedergelegt werden. Die Kritik der Aerzte
und des Publikums kann durch solche Arbeiten nur geschärft
und korrigiert werden.
Das Gesundheitsamt findet eine besondere wichtige Be¬
tätigung in der Auf klär ung weiter Volkskreise über Krank¬
heiten und Hygiene. Hier scheinen uns Vorträge vor kleinerem
198
Dr. Bürgers.
Publikum mit anschließender Diskussion besser zu wirken, als
solche vor Hunderten von Menschen. Guten Resonanzboden
linden solche Belehrungen in Volkshochschulkursen, au! Eltern¬
abenden und Veranstaltungen einzelner Berufsgruppen, wobei
das wichtige Gebiet der Gewerbehygiene nicht vernachlässigt
werden soll. Ausstellungen mit ärztlicher Führung und gute
Filme vervollständigen diese Propaganda auf das wirksamste.
Wir kommen nun zu den gesundheitsfürsorgerischen
Aufgaben, wobei man als obersten Satz voranstellen soll:
Die Fürsorge soll Vorsorge, Prophylaxe und da¬
durch wirtschaftlich sein. Nicht in dem sinnlosen Aus¬
bau aller Fürsorgebestrebungen liegt das Ziel der Arbeit,
sondern, wenn die einzelne Fürsorge alle Bedürftigen einmal
erfaßt hat, müßte sie — ordnungsgemäße Arbeit vorausgesetzt —
von Jahr zu Jahr auf einen kleineren Kreis von Bedürftigen
stoßen. Das Gegenteil ist zurzeit der Fall. Die Erörterung
der Gründe hierfür würde zu weit führen. Das Gebiet der
Fürsorge umfaßt heute fast schon die bedürftige Menschheit
vom wachsenden Embryo bis zum Grabe und zeigt starke
Neigung zum Spezialistentum. Auch ist die Strömung, die das
sozialwirtschaftliche Moment betont und alles Heil von einer
Besserung der sozialen Lage erhofft, zurzeit stärker, als die
Betonung der gesundheitlichen Seite durch hygienisch gut vor¬
gebildete Aerzte, wozu natürlich auch eine gründliche Kenntnis
von Sozialpolitik gehört.
Ferner kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
ein beschränkter Horizont den Blick trübt. Rasseneinflüsse,
Vergleiche mit anderen Völkern, wo nicht hinter jedem Säug¬
ling eine Fürsorgerin steht, bleiben ganz unberücksichtigt. )
Welche hygienischen Einrichtungen sollen nun
dem Gesundheitsamt zur Verfügung stehen?
1. Fürsorge- und Beratungsstellen für hoffende
Mütter, Wöchnerinnen, stillende Mütter, Säuglinge
und Kleinkinder in genügender Zahl im Weichbild der Stadt
zerstreut, in hygienisch einwandfreien Räumen mit einem Für¬
sorgearzt oder Aerztin als Leiter an der Spitze. Bei den
Kleinkindern soll sich die ärztliche Fürsorge im besonderen
auf die körperlich und geistig anormalen Kinder erstrecken.
Denselben Aerzten bezw. Aerztinnen ist die besonders not¬
wendige Kontrolle von Kleinkinderbewahranstalten, Kleinkinder¬
gärten usw. zu unterstellen. Ein zweimaliger Besuch in der
Woche scheint bei der großen Gefahr als Infektionsherd dieser
Einrichtungen nicht zuviel verlangt.
2. Die Ausübung der Schulgesundheitspflege durch
*) Hat man in Amerika — nm nur ein Beispiel herauszugreifen — wo
an einzelnen Stellen jede Woche eine fürsorgerische Untersuchung in den
Schulen stattfindet, vielleicht bessere Erfolge als in Japan, iro das nicht der
Fall ist?
Ist die körperliche Konstitution unserer fleischfressenden Nation etwa
der der hauptsächlich von Vegetabilien lebenden Nordchinesen überlegen?
Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 199
besondere Aerzte entweder im Haupt- oder Nebenamt. Welches
System das bessere' ist, wird sich nie ganz entscheiden
lassen; wie ich schon an anderer Stelle betonte, ist das eine
reine Personenfrage und jede Diskussion darüber höchst un¬
fruchtbar. Die Mehrzahl der Großstädte besitzt heute wohl
hauptamtliche Aerzte.
Zu den eigentlichen Aufgaben der Schul- und Schüler¬
hygiene incl. Fürsorge tritt neuerdings die Organisation und
Ueberwachung der Schulspeisung, ferner die Auslese und Ueber-
wachung für die orthopädischen Kurse, Stottererkurse und die
Arbeit eines Psychiaters in den Hilfsschulen und Hilfsklassen.
Soweit Waldschulen vorhanden, bedürfen sie der be¬
sonderen ärztlichen Kontrolle seitens des Gesundheitsamtes.
Binen breiten Raum in der Tätigkeit des Schularztes nehmen
die Untersuchungen und Entsendungen zum Land- und Kur¬
aufenthalt ein. Soll hier nicht Geld vergeudet werden, muß
eine eingehende ärztliche Begutachtung vor und nach dem
Aufenthalt stattfinden. In erster Linie sind tuberkulosebedrohte
und unterernährte Kinder zu berücksichtigen, erstere vom
Tuberkulosefacharzt begutachtet, der die Kur vorzuschlagen hat.
Zwei Grundsätze sollen befolgt werden:
a) Lieber weniger Kinder, dafür aber auf längere Zeit, 8 Wochen
und mehr entsenden;
b) Entsendung in nahegelegene städtische Heime, Hospize, Er¬
holungsstätten, die unter guter fachärztlicher Kontrolle
stehen, ist wirtschaftlicher und der Gesundheit dienlicher,
als Entsendung in ferngelegene See- oder Badeorte, wo
jede ärztliche Aufsicht immer noch fehlt und die meist
imerträglich lange Reise schadet. Als Begleitpersonen
kommen nur in der Kranken- und Kinderpflege ausgebildete
Personen in Betracht.
3. Die Fürsorge für Genesende und Kranke besteht einmal
in der Bereitstellung der nötigen Bettenzahl in Krankenanstalten
und Genesungsheimen, worauf das Gesundheitsamt bei den zu¬
ständigen Behörden dringen muß, zweitens in der Organisation
des Krankenpflegedienstes, d. h. einer Zentralnachweisstelle,
der Mitarbeit der Bezirksschwestern zwecks Familienunter¬
stützung durch öffentliche oder private Organisationen.
4. Das wichtigste Gebiet ist aber zurzeit der Ausbau der
Tuberkulosefürsorge, damit endlich einmal alle an¬
steckungsfähigen Tuberkulösen erfaßt und ihre Angehörigen
dauernd ärztlich kontrolliert werden. Diesem Zwecke dient
eine dem Gesundheitsamt auch verwaltungstechnisch zu unter¬
stellende Zentralfürsorgestelle mit den notwendigen Einrich¬
tungen (Röntgenapparat) und ausreichendem Personal und
dezentralisierten Beratungsstellen. Die Frage, ob man zu diesen
Aufgaben die Bezirksfürsorgerin oder spezialistisch aus¬
gebildete Fürsorgerinnen heranzieht, scheint sich in
neuerer Zeit an Orten, wo wirklich positive Arbeit geleistet
200
Dr. Bürgers.
wird, wie Stettin, Halle, Mannheim, zu Gunsten der letzteren
zu entscheiden. Auf Einzelheiten soll tjis auf einen Punkt
nicht eingegangen werden. Dieser betrifft den Aufenthalt der
ansteckungsfähigen Tuberkulösen in der Familie. Solange nicht
der Grundsatz strikte durchgeführt wird: „Jeder An¬
steckungsfähige muß ein eigenes Schlafzimmer zu
seinem alleinigen Gebrauch haben“, ist alle Fürsorge
umsonst, und alle Aufwendungen hinausgeworfenes Geld. Man
sieht, wie eng hier der Konnex mit dem Wohnungsamt auf der
einen, der Wohnungs- und Familien pflege auf der anderen Seite
sein muß.
5. Damit kommen wir zu einer neuen Organisation, nämlich
der Familienfürsorge, verkörpert durch die Bezirksfürsorgerin.
Wenn man auch dem sozialen, pädagogischen, selbst psychischen
Moment in der Familienpflege Gleichberechtigung neben dem
gesundheitlichen einräumen muß, so scheint uns doch nach dem
Kriege das gesundheitliche Moment schon mit Rücksicht auf
die Volkswirtschaft im Vordergrund zu stehen. Nicht auf die
Beseitigung kleiner Mißstände, wie schlechte Tapeten, die Zer¬
streuung häuslicher Sorgen, die Zuleitung von Geldmitteln an
jeden Bedürftigen kommt es an, sondern in erster Linie auf die
Erhaltung der produktiven Kraft des Volkes, welche durch das
Wohnungselend und die Volksseuchen bedroht ist. Immer wieder
wird der enge Zusammenhang von Krankheit und sozialer Lage
vergessen.
6. Hier sei einer noch nicht erwähnten schleichenden
Seuche gedacht, der Geschlechtskrankheiten. Seit langem
hat sich die Fürsorge auch dieser Kranken angenommen, ein¬
mal durch Unterbringung in wirtschaftlich arbeitenden An¬
stalten, die wir sachlich als Arbeitskrankenhäuser, nach außen
hin als Fürsorgeheime bezeichnen möchten, zweitens durch
Einrichtung von Beratungsstellen, die oft nur im losen Konnex
mit dem Gesundheitsamt zum Teil als Einrichtung von Landes¬
versicherungsanstalten arbeiten, drittens durch die Arbeit einer
besonders auf diesem Gebiete tätigen Fürsorgerin.
7. Die Fürsorge für körperlich defekte Personen ist Auf¬
gabe der Krüppelfürsorge und Beratungsstellen. Der Schwer¬
punkt scheint uns nicht in der registrierenden Tätigkeit des
Kreis- oder Stadtarztes, sondern in der guten Ausstattung der
Ambulatorien bei den chirurgischen Kliniken und der Unter¬
bringungsmöglichkeit in Anstalten zu liegen. Vielfach sind die
Gesundheitsämter hier ganz ausgeschaltet, unseres Erachtens
zu Unrecht.
8. Die Fürsorge für geistig defekte Personen
gehört, soweit das kindliche Alter in Betracht kommt, in die
Abteilung Schulgesundheitspflege. Für Erwachsene sollte das
Gesundheitsamt über eine Beratungs- und Fürsorgestelle ver¬
fügen, die in Händen eines nebenamtlich beschäftigten Psy¬
chiaters und einer Fürsorgeschwester liegt.
Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 201
9. Fürsorge für Trinker wird zwar vielfach betrieben,
die Erfolge stehen aber in keinem Verhältnis zu den Auf¬
wendungen. Wichtig erscheint hier die Mitarbeit der Ver¬
einigungen gegen Mißbrauch von alkoholischen Getränken. Die
bereits oben erwähnte hygienische Volksaufklärung scheint uns
billiger und wirksamer zu arbeiten.
10. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge gehört nicht
notwendigerweise in das Gesundheitsamt. Erstens ist sie eine
vorübergehende Erscheinung, zweitens ist sie in den meisten
Orten eme selbständige Organisation mit selbstgewählten Ver¬
trauensärzten.
11. Die Mitarbeit mit verwandten sozialen Einrichtungen
ist in den meisten Städten dadurch genügend gesichert, daß
der Leiter des Gesundheitsamtes Mitglied der Deputationen
und Kommissionen der betreffenden Aemter ist. Besondere Be¬
achtung verdient die bisher noch recht mangelhafte Mitarbeit
der Aerzte des Gesundheitsamtes bei der Berufsberatung. Hier
muß entschieden bessere Arbeit geleistet werden.
Damit ist der Rahmen des Gesundheitsamtes genügend
skizziert. Entgegen verschiedenen an anderer Stelle geäußerten
Anschauungen Feilchenfeld, Wilden, Polligkeit u. a.
müssen wir unseren Standpunkt in der Frage des Gesundheits¬
amtes in großen Städten in Uebereinstimmung mit Grotjahn,
Krau twig und Pfeiffer dahin präzisieren, daß die Verwaltung
öffentlicher Mittel in den wichtigsten Zweigen der öffentlichen
Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge dem Arzte über¬
tragen werden muß, der allein entscheiden kann, welches die
dringlichsten Aufgaben sind und die am wirtschaftlichsten
gelöst werden.
Ueber den Beamtenapparat können nur annähernde An¬
gaben gemacht werden. Für eine Stadt von 400—500 000 Ein¬
wohner läßt sich schon viel erreichen, wenn das Gesundheits¬
amt verfügt:
1. Aerzte: 1 Leiter, 2—3 Stadtärzte, 2 Tuberkulosefachärzte,
3—4 Kinderärzte oder Aerztinnen, 5 Schulärzte, alle im
Hauptamt, 2 Psychiater im Nebenamt;
2. 20—25 Bezirksfürsorgerinnen, 1 Röntgenschwester, 12 Tuber¬
kulosefürsorgerinnen, 5 Schulfürsorgerinnen, 6 Fürsorge¬
rinnen in Mütterberatungs- und Säuglingsfürsorgestellen
unter Heranziehung von ehrenamtlichen Helferinnen bezw.
Schülerinnen.
3. 1 Bürovorsteher, 8—10 Bürobeamte.
Geht man von der Tatsache aus, daß ein Mensch, der
mit Lust und Liebe arbeitet, an einem Tage unheimlich viel
leisten' kann, und beherzigt man den Grundsatz der englischen
Verwaltung: „the right man on the right place“, dann wird
ein, nach d$n oben entwickelten Grundsätzen aufgebautes Ge¬
sundheitsamt jeder städtischen Verwaltung zur Ehre gereichen
und sich im Volke die Anerkennung verdienen, die ihm gebührt.
202
Dr. Krantwig.
Kreisärzte und Kommunalärzte.
Von Prof. Dr. Krautwig-Köln.
Das Thema ist im Laufe der letzten Monate reichlich be¬
sprochen worden, u. a. auf der Tagung des Deutschen bezw.
Preußischen Medizinalbeamtenvereins in Nürnberg im September
1921 und in einer Reihe von Aufsätzen, die in der Zeitschrift
für Medizinalbeamte erschienen sind. Auch in die Tages¬
zeitungen ist der Streit der Meinungen getragen worden. Eine
gewisse Gegensätzlichkeit zwischen Kreisärzten und Kommunal¬
ärzten besteht nicht nur nach der Anstellung, sondern auch
nach dem vornehralichen Pflichtenkreis. Die ersteren, die Be¬
amten des Staates, bezeichnen sich mit einem gewissen Stolz
als unpolitisch angestellt, als unpolitisch auf ihre Aufgaben ein¬
gestellt. Das halten sie gern gegenüber den Kommunalbeamten,
die sie nach der Anstellung und nach ihren Aufgaben für poli¬
tisch abhängig halten. Gemeinsam ist beiden amtsärztlichen
Gruppen der Wunsch, im Dienste der Oeffentlichkeit angesichts
der gesundheitlichen Nöte der heutigen Zeit das Beste zu
leisten. Gemeinsam ist ebenfalls beiden Teilen die Klage, daß
die Bedeutung der öffentlichen Gesundheitspflege heute trotz
aller schönen Reden von Behörden und Parlamentariern aller
Richtungen noch nicht genügend eingeschätzt wird, und daß
sowohl die Zentralstellen in den Ministerien, wie die Gesund¬
heitsämter in der Lokalinstanz bisher noch nicht die notwendige
Selbständigkeit der Organisation erhalten haben.
Innerhalb der Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege
wird die soziale Hygiene, die Gesundheitsfürsorge in zunehmendem
Maße von allen Gesundheitsbeamten als die wichtigste Auf¬
gabe anerkannt, die heute in Stadt und Land zu leisten ist.
Es ist richtig, daß an ihrer Ausgestaltung auch Kreisärzte und
Mitglieder der obersten Medizinalverwaltung in Preußen in er¬
heblichem Maße mitgewirkt haben. Wer die Geschichte der
Fürsorgebewegungen schreiben will, kann an den Namen
Kirchner, Dietrich und Krohne und an der Tätigkeit
vieler Medizinalbeamten, ich nenne nur Berger, As eher,
Hillenberg, Lohmer, Dohm u. a. nicht vorübergehen.
Weit über das Ziel aber schießt die Behauptung, ja, sie ist
direkt falsch, daß die Kreisärzte schlechthin auf dem Gebiete
der sozialen Hygiene führend gewesen seien, daß sie die soziale
Hygiene aus der Taufe gehoben hätten. Der Tatsache gegen¬
über, daß viele Kreisärzte mit den Vertretern der sozialen
Hygiene, wie sie besonders im Dienste der Kommune sich be¬
tätigen, gemeinsam an den neuen Zielen gearbeitet haben,
steht die andere Tatsache unleugbar gegenüber, daß viele Kreis¬
ärzte sich mit den praktischen Aufgaben der sozialen Hygiene
nur wenig beschäftigt haben. Das ist gewiß erklärlich und
sicher auch zum Teil entschuldbar. Es liegt daran, daß viele
Kreisärzte keine Gelegenheit hatten, sich mit den Problemen
der sozialen Hygiene und mit ihrer spezifischen Arbeitsweise
Kreisärzte and Kommun&lärzte.
203
genügend bekannt zu machen. Es liegt zum Teil an dem un¬
genügenden Entgegenkommen, das interessierte Kreisärzte, be¬
sonders in Landkreisen bei ihren sozialhygienischen Bemühungen
erfahren haben; es liegt gewiß auch bei vielen Kreisärzten
daran, daß sie durch die bisherigen Aufgaben ihres Amtes mehr
als ausreichend in Anspruch genommen waren.
Es soll auch anerkannt werden, daß der Staat sowohl bei
den Anforderungen der Kreisarztprüfung, als auch durch Ge¬
legenheit zu Fortbildungskursen in wirksamer Weise dahin
arbeitet, daß diese sozialhygienische Schulung undlnteressierung
der Kreisärzte in immer höherem Maße erreicht wird.
Aber trotz alledem wird die Frage, ob heute alles ge¬
schieht, um die soziale Hygiene schnell und umfassend zur
praktischen Auswirkung in der Gemeinde zu entwickeln, noch
mit Recht geprüft werden müssen. Nicht nur die Kreisärzte,
sondern auch die meisten an den Fragen der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege beteiligten Aerzte halten die soziale Hygiene
in der jetzigen und kommenden Zeit für das wichtigste Gebiet
der Gesarathygiene. Sie ist trotz aller Kritik zutreffend vom
Ministerialdirektor Gottstein die neue Gesundheitspflege der
heutigen Zeit genannt worden. Selbstverständlich ist es, daß
auch der sozialhygienisch eingestellte Arzt alle Aufgaben der
Ortshygiene und der Seuchenbekämpfung für wichtig hält.
Aber manche Aufgaben, die der Kreisarzt bis heute vornehmlich
betreibt: Revision von Apotheken und Drogerien, Erledigung
vertrauensärztlicher Untersuchungen, Wahrnehmung von Stellen
als Gefängnisarzt, Impfarzt usw. treten an Bedeutung erheblich
zurück hinter die sozialhygienische Aufgabe, den kostbarsten
Besitz, den wir haben, die Gesundheit der breiten Massen durch
eine weitausgreifende sozialhygienische Fürsorge zu schützen
uud zu heben. Das schält sich immer mehr zu der Haupt¬
aufgabe der Hygiene in der heutigen Zeit heraus, und die Er¬
füllung dieser Aufgabe verlangt in Stadt und Land die immer
weitere Ausdehnung des fürsorgeärztlichen Dienstes, der vieler¬
orts einen solchen Umfang angenommen hat, daß er nicht
mehr nebenbei durch den Kreisarzt, sondern im Hauptamt durch
den Kommunalarzt als Fürsorgearzt wahrgenommen werden muß.
Diese Entwicklung geht ihren Weg. Immer mehr werden
selbständige Fürsorgeärzte angestellt, und nur auf dem Lande
wird es noch die überwiegende Regel sein, daß der Kreisarzt
die Fürsorgearbeit nebenamtlich übernimmt.
So ist es gekommen, daß vielerorts im Dienste der öffent¬
lichen Gesundheitspflege die Kreisärzte und Kommunalärzte
nebeneinander tätig sind, daß an vielen Stellen die schönste
und wichtigste Arbeit der heutigen Gesundheitspflege den Kreis¬
ärzten genommen ist, so daß in solchen Fällen mit mehr oder
weniger Recht gesagt werden kann, daß die Kreisärzte sich
überwiegend mit polizeilichen und vertrauensärztlichen Attest¬
aufgaben beschäftigen. Denn auch die Bekämpfung der In¬
fektionskrankheiten, zumal der wichtigsten derselben, der Tuber-
204
Dr. Krautwig.
kulose, verspricht nur dann Erfolg, wenn sie nicht nur mit
dem Rüstzeug der Seuchengesetze, deren Durchführung in erster
Linie den Kreisärzten obliegt, vorgenommen wird, sondern mit
den Mitteln der sozialen Hygiene.
Diese ganze Entwicklung gibt zu denken. Es ist ver¬
ständlich, daß viele Kreisärzte in Unruhe sind ob der Zukunft
ihres Standes angesichts der Entwicklung der kommunalärzt¬
lichen Tätigkeit. So schnell die Entwicklung gehen mag, so
wird doch nicht von heute auf morgen eine grundsätzliche
Aenderung der kreisärztlichen Organisation möglich sein; ander¬
seits ist es aber nötig, gerade im Interesse der öffentlichen
Gesundheitspflege sich nicht nur von der Entwicklung treiben
zu lassen, sondern die Frage einer zweckmäßigen Organisation
der Organe der öffentlichen Gesundheitspflege für die Zukunft
zur Diskussion zu stellen.
ln den Vorschlägen, die eine Kommunalisierung als die
beste Lösung zur Schaffung eines wirksamen öffentlichen Ge¬
sundheitsamtes auffassen, sehen die Kreisärzte eine große Gefahr
für die öffentliche Gesundheitspflege. Anscheinend haben die
Gesetzentwürfe einer Verwaltungsreform den Gedanken der
Bestellung der Kreisärzte durch die Gemeinden wenigstens zeit¬
weise verfolgt. Ich selbst habe nach dieser Richtung hin Vor¬
schläge auf dem 41. Deutschen Aerztetage in Eisenach am
27. September 1919 gemacht. Aber auch aus den Reihen der
Kreisärzte selbst sind solche häretischen Vorschläge erfolgt
(s. Dr. Katluhn, Zeitschrift f. Med.-Beamte; 1919, Nr. 16).
Die Kommunalärzte als solche haben zu der Frage der Kom¬
munalisierung der Kreisärzte noch keine Stellung genommen.
Ihr Interesse ist es nicht, daß ihnen unter allen Umständen die
staatlichen Aufgaben des Kreisarztes übertragen werden. Die
meisten derselben fühlen sich in ihrer gemeindlichen Anstellung
und in ihrer gemeindlichen Tätigkeit durchaus wohl.
Die Kreisärzte scheinen nun die Meinung zu vertreten,
daß die gegebene Lösung die ist, daß dem Kreisarzt, dem
staatlichen Gesundheitsbeamteu, auch von der Gemeinde die
Fürsorgeaufgaben übertragen werden, und sie glauben wohl
auch, daß die Gemeinden dazu ^urch Verfügungen des Staates
angehalten werden können. Man übersieht aber, daß die
Fürsorgetätigkeit eine freiwillige Arbeit der Gemeinde ist, für
die sie in der Zeit der heutigen Wirtschaftsnot nur unter
großen Opfern die Gelder aufzubringen vermag. Man über¬
sieht, daß es ein verständlicher Wunsch der Gemeinden ist,
daß sie diese ganze Arbeit im Wege völliger Selbstverwaltung
mit eigenen Organen am liebsten ausführen. Wir alle können
nur wünschen, daß da, wo die Summe der Fürsorgearbeit nicht
zu groß ist und wo ein interessierter Kreisarzt zur Verfügung
ist, die Gemeinden diesem Kreisarzt auch ihre Fürsorgearbeit
übertragen mögen. Das wird aber nicht nur in großen Städten,
sondern auch in vielen größeren Landbezirken nicht erreich¬
bar sein. Nun hat ja der Staat hier und da Versuche,gemacht,
Kreisärzte und Kommanalärzte.
206
kreisärztliche Tätigkeit an Stadtärzte zu übertragen. Nach
Geheimrat Dietrich (Zeitschrift f. Med.-Beamte; 1921, Nr. 24)
hat der Staat aber zum Teil die Erfahrung gemacht, daß für
solche Stadtärzte die Wahrung der Unabhängigkeit (soll wohl
heißen: gegenüber der Gemeinde) allzu schwer, wenn nicht
unmöglich gewesen sein soll. Es wäre doch erwünscht, wenn
man die näheren Tatsachen, die zu diesem Urteil berechtigen,
erfahren könnte. Dieser Ein wand führt zu dem Bedenken,
das die Kreisärzte wiederholt aussprachen, daß eine etwaige
Kommunalisierung die ärztlichen Beamten der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege in ihrer Bewegungsfreiheit, in ihrer politischen
Unabhängigkeit und in ihrer unparteiischen Tätigkeit als Öffent¬
liche Sachverständige bedrohe. Auch der, welcher die Ueber-
tragung der heute weniger wichtigen Geschäfte staatlicher
Gesundheitsbearaten an den Kommunalarzt für möglich oder
gar für wünschenswert hält, wird stets verlangen, daß die
wissenschaftliche Qualifikation der Bewerber, welche die Ge¬
meinden für solche Stellen in Frage ziehen, durch bestimmte
Forderungen festgelegt wird. Daß die Gemeinden, die sich
Kommunalärzte zugelegt haben, ungeeignete Kräfte heran¬
gezogen hätten, wird man nicht behaupten können. Und nun
die Meinung, daß der gemeindliche Gesundheitsbeamte ohne
weiteres „politisch“ sein müßte. Zweifellos muß der Arzt, der
die öffentliche Gesundheitspflege vertritt, heute viel mehr in
die Politik hineingehen, als es bisher geschehen ist. Ist nicht
die Medizin nach virchov eine soziale Wissenschaft und die
Politik nichts weiter als Medizin im großen? Kann man heute
noch, nicht wegen des politischen Stigmas unserer Zeit, sondern
wegen der anerkannten Zusammenhänge der Probleme der
sozialen Hygiene mit Wirtschaft und Sozialpolitik sich vornehm
auf eine rein ärztliche oder ärztlich hygienische Arbeit zurück¬
ziehen? Greift nicht die praktische Fürsorgearbeit hinein in
zahlreiche Gebiete der Gemeindearbeit, die von den politischen
Organen gebilligt und beschlossen werden muß? Darum muß
der Sozialarzt, der in der Gemeinde erfolgreich sein will, nicht
nur reden und schreiben, sondern er muß mit den beschließenden
Organen der Selbstverwaltung, ja mit der öffentlichen Meinung
in lebhafte, „politische“ Fühlung treten. Man frage mal die
staatlich-ärztliche Zentralinstanz im Wohlfahrtsministerium, in
welchem Maße sie sich politisch einstellen muß.
Das gibt man vielleicht zu, und man will mit dem apo¬
litischen Arzt nur ausdrücken, daß er in seiner Bestellung und
in seiner Arbeit unabhängig sein soll von den Strömungen der
politischen Parteien. Diese Gefahr verkenne ich gewiß nicht.
Sollte sie aber in der heutigen Zeit für die Stellenbesetzungen
und für die Gestaltung der Gesundheitsarbeit nicht gleich stark
sein im Staate, wie in der Gemeinde? Werden Beweise ge¬
wünscht?
In meiner großen und langjährigen kommunalärztlichen
Tätigkeit und in dem Austausch der Erfahrungen mit vielen
206
Dr. Krantwig.
Kommunalärzten habe ich bis jetzt von schweren Konflikts¬
stoffen, die durch politische Beeinflussung etwa geschaffen
worden wären, sehr wenig gehört. Im allgemeinen wird gerade
der Kommunalarzt mit seiner Fürsorgearbeit auf die Unter¬
stützung aller Parteien mehr als jeder andere Beamte rechnen
können. Dabei wird ihm meist ein viel größeres Maß der
Selbständigkeit eingeräumt, als es der Mehrzahl der staatlichen
Kreisärzte beschieden ist. Wollen etwa die Kreisärzte be¬
haupten, daß gerade sie immer die wünschenswerte Selbst¬
ständigkeit und Unabhängigkeit gehabt haben ? Vielleicht
gegenüber den Gemeinden, aber auch gegenüber den staat¬
lichen Instanzen? Die Wohlfahrtsarbeit innerhalb der Gemeinde
gewinnt sicherlich nicht dadurch, daß sich der staatliche Ge¬
sundheitsbeamte, auf seine Unabhängigkeit pochend, der Gemeinde
dafür zur Verfügung stellt. Seine Unabhängigkeit mag von
Bedeutung sein, wenn auf sanitärem Gebiet Mißstände in der
Gemeinde abzustellen sind, für welche die Gemeinde die Mittel
schwer zu besorgen vermag. Auch hier erreicht der Kreisarzt
heute in vielen Städten und in vielen Landgemeinden am besten
sein Ziel, wenn er sich mit den Gemeinden, die auch für solche
sanitären Verpflichtungen zumeist das notwendige Verständnis
aufbringen, in freundschaftlicher Weise benimmt. Wo aber
gegenüber notwendigen sanitären Forderungen eine Gemeinde
sich halsstarrig zeigt, wird der Staat auch da, wo der Kommunal¬
arzt angestellt ist, in ihm durchaus einen verständnisvollen
Förderer notwendiger Pläne Anden. Hat übrigens der Kreis¬
arzt bisher trotz seiner staatlichen Anstellung und Unabhängig¬
keit auf dem Lande überall in wünschenswertem Maße durch¬
greifen können ? Ist es wirklich nötig, ausdrücklich sich dagegen
zu verwahren, daß der Staat mal in irgendeinem Ausnahme¬
fall, wie es z. B. in Essen und Düsseldorf geschehen sein soll,
einem nicht staatlich geprüften Arzt auch irgendeine kreisärat-
liche Tätigkeit übertragen hat? Man kann kaum annehmen, daß
der preußische Staat dadurch ins Wanken kommt, und man könnte
eigentlich den Herrn Kollegen Wollenweber und andere,
die sehr beunruhigt sind, darauf verweisen, daß bisher schon
der Staat insbesondere auf dem Polizeigebiet in recht um¬
fassendem Maße staatliche Hoheitsgeschäfte an Gemeindeorgane
übertragen hat, ohne daß er deshalb aus den Fugen ging.
Und wenn wirklich die Kreisärzte so ängstlich sind gegen¬
über der Gemeinde, wie wollen sie dann ihren Wunsch be¬
gründen, daß die Gemeinde auf der anderen Seite gerade ihnen
in erster Linie die kommunalärztliche Fürsorgetätigkeit über¬
weisen soll.
• Aus diesen Ausführungen soll nur hervorgehen, daß das
Problem der Ausgestaltung des Gesundheitsamtes in der Ge¬
meinde durchaus nicht so einfach liegt, wie es nach den Ver¬
öffentlichungen vieler Kreisärzte zu sein scheint. Auch wir
Kommunalärzte werden gerechter weise zugeben, daß der Weg
der besten und wirksamsten organisatorischen Gestaltung der
Kreisärzte und Kommanalärzte.
207
öffentlichen Gesundheitspflege in der Lokalinstanz noch ge¬
sucht werden muß, gesucht werden muß am besten in gemein¬
samer Arbeit der Kreisärzte und der Koromunalärzte, für deren
Entscheidung schließlich doch allein die Ueberlegung ma߬
gebend sein muß, ob auf dem einen oder anderen Wege die
öffentliche Gesundheitspflege am besten gefördert wird.
Diese gemeinsame, freundschaftliche Beratung schwebender
Fragen sollte auch nach dem Ausklang der Diskussion, die auf
der schon eingangs genannten Hauptversammlung der Medizinal¬
beamten in Nürnberg sich entwickelte, beiderseitig erstrebt
werden. Wir stimmten damals alle den vortrefflichen Aus¬
führungen des Vorsitzenden der Hauptversammlung der Deutschen
Medizinalbeamten, Geheimrat Wodtke zu, als er sagte: „ln
der Forderung der Selbständigkeit der Gesundheitsverwaltung
werden staatliche und kommunale Medizinalbeamte sich wieder
zusamraenflnden und inne werden, daß sie besser tun, gemeinsam
höhere Ziele zu verfolgen, als sich um Kirchturmsinteressen
gegenseitig zu befehden. “
Zu dem Zwecke hat die Vereinigung der deutschen
Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte sich gerne entschlossen,
in ihren Vorstand auch Medizinalbeamte hineinzuwählen, die
in der Fürsorgearbeit der Gemeinde tätig sind. Auf seiten der
Kreisärzte ist man aber anscheinend sehr beunruhigt und hat
meiner Meinung nach durch verschiedene Ausführungen der
weiteren Verständigung nicht gerade gute Dienste geleistet.
So kann ich die Annahme folgenden Antrages des Kreisarztes
Dr. Wollenweber nicht gerade günstig beurteilen:
„Der Preußische Medizinalbeamtenverein erblickt in den Bestrebungen
nach einer Umwandlung der staatlichen Beamtenstellung der Kreisärzte in
eine kommunale — die sogenannte „Kommunalisierung“ — eine Gefährdung
ihrer Unabhängigkeit als Gesundheitsbeamter wie als Gutachter. Er ist der
Ueberzeugung, daß die „Kommunalisierung“ die Kreisärzte in Abhängigkeit
von den kommunalen Körperschaften bezw. der jeweils in ihnen herrschenden
Partei bringen und einer „Politisierung“ nahe kommen würde. Eine derartige
Abhängigkeit ist aber weder mit der Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf-
dem Gebiete des Gesundheitswesens, noch mit einer unparteiischen Tätigkeit
als öffentlicher ärztlicher Sachverständiger vereinbar. Die öffentliche Gesund¬
heitspflege würde durch die Kommunalisierung Schaden leiden. Der Verein
glaubt aber auch in einer gegen den Willen der Medizinalbeamten etwa statt¬
findenden Umwandlung ihrer Stellung einen Eingriff in die durch die Ver¬
fassung geschützten, wohl erworbenen Rechte der Medizinalbeamten erblicken
zu müssen.“
Wenn der Antragsteller in einer solchen Kommunalisierung
die größte Gefahr für die Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit
der beamteten Aerzte sieht, so verweise ich hierzu auf meine
obigen Ausführungen.
Den gleichen Eindruck einer allzu polemischen Einstellung
wird man haben, wenn man den Bericht über die Sitzungen
des Vorstandes und der Bezirks Vertreter des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins am 13. Dezember 1921 in Berlin in
Nr. 24 der Zeitschrift für Medizinalbeamte durchliest. Man ver¬
steht es, wie gegenüber dieser Unruhe der Kreisärzte der Minister
208 Dr. Scholz: Ein Beitrag zur Frage der Kommaoalisiernng der Kreisärzte.
für Volks Wohlfahrt in seiner Programmrede die Kreisärzte zu
beruhigen versucht und ihnen verspricht, ihre berechtigten
Forderungen, die sie zur Wahrung ihres unbehinderten Wirkens
in der Erfüllung der ihnen durch ihre Dienstanweisung über¬
tragenen Aufgaben aufstellen, mit Nachdruck zu unterstützen.
Was aber „berechtigt ist", darüber läßt sich streiten. Hier
soll nur versucht werden, eine sachliche Auseinandersetzung
über tatsächlich vorhandene Gegensätze einzuleiten und mit
dem Minister zu hoffen, „daß auch hier sich zwischen den
staatlichen und kommunalen Gesundheitsbeamten eine Ver¬
ständigung über die Abgrenzung ihrer Wirkungsbereiche und
über ihre Zusammenarbeit anzubahnen beginnt". Unerfreulich
klingt auch die fortgesetzte Polemik gegen den I. Deutschen
Gesundheitsfürsorgetag und besonders gegen Prof. Grotjahn,
denen man trotz wiederholter Richtigsstellungen der beteiligten
Stellen aggressive Tendenzen gegen die Medizinalbeamten zu
Unrecht vorwirft. Wir wollen aber friedlich unsere Gegensätze
austragen.
Wir müssen einig sein in dem Verlangen, daß sich der
Fürsorgegedanken der sozialen Hygiene innerhalb der öffent¬
lichen Gesundheitsarbeit immer mehr durchsetzen möge, be¬
sonders auch in den längst fälligen Gesetzen zur Bekämpfung
der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten; wir müssen
zusammenstehen in der Forderung, daß den Vertretern der
öffentlichen Hygiene zu ihrer Arbeit die notwendige Selbst¬
ständigkeit und die notwendigen Mittel eingeräumt werden.
Ein Beitrag zur Frage der Kommunalisierung
der Kreisärzte.
Von Kreismedizinalrat Dr. Scholz in L&ndsberg a. W.
Vor einigen Monaten trat in meiner Kreisstadt ein junger
Mann auf, der sich Krirainalpsychologe Hanns Heinz Wolf gang
nannte, in Wirklichkeit aber Wolff-Pinner heißt. Er hielt
öffentliche Vorträge über Hypnose, Suggestion usw. und führte
hypnotische Experimente an Menschen jeden Alters bis herab
zu 15jährigen Jungen vor. Außerdem arbeitete er in Privat¬
zirkeln. Icn machte die Polizeiverwaltung auf den Unfug auf¬
merksam und ersuchte sie gemäß den auch ihr wohlbekannten
Verfügungen des Ministers des Innern, diese verbotenen Vor¬
führungen zu verhindern. Die Polizeiverwaltung, der der junge
Mann vorgeschwatzt hatte, er sei Mediziner, halte seine „auf¬
klärenden“ Vorstellungen „im Aufträge der Berliner Gesellschaft
für Volksaufklärung" und habe auch die Erlaubnis des Berliner
Polizeipräsidiums, schritt nicht ein. Als ich mein Ersuchen
wiederholte, gab sie den Bescheid, ihre Beamten seien leider
nicht in der Lage, entscheiden zu können, wann der Vortragende
den Rahmen des Erlaubten überschritte und zu unerlaubten
Experimenten überginge, da er auch in Gedankenübertragung,
Tagesnachrichten.
209
Telepathie und dergl. arbeite! Auch mein Hinweis, daß einige
der Zuhörer ihrer Verwunderung Ausdruck gegeben hätten,
daß es dem W. erlaubt sei, sogar an unerwachsenen Menschen
öffentlich Experimente mit Hypnose zu machen, fruchtete nichts.
Schließlich war ich gezwungen, mich beschwerdeführend an
den Herrn Regierungspräsidenten zu wenden. Inzwischen hatte
aber W. seinem Publikum genügend Geld abgenommen und
war von der Bildfläche verschwunden, nachdem er noch in
einer Rolle als „Detektiv“ einen recht peinlichen Reinfall er¬
lebt hatte. Inzwischen ist W. vom Gericht in Berlin wegen
Betruges zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Die Polizeiverwaltung hatte also im vorliegenden Falle
den staatlichen Gesundheitsbeamten beim Versuch, eine mini¬
sterielle Anordnung durchzuführen, im Stich gelassen. Folge
war Beschwerde des Gesundheitsbeamten bei seiner Vorgesetzten
Behörde. Welche Möglichkeit würde nun der kommunalisierte
Arzt haben, sich durchzusetzen, wenn selbst in derart wichtigen,
die Volksgesundheit berührenden Fragen Stadt und Polizei
versagen? Recht angenehme Aussichten eröffnen sich dabei
für die Stellung und für das Ansehen des kommunalisierten,
beamteten Arztes!
Tagesnachrichten.
Tages* und Vereinsfragen vom Vorsitzenden des Preoß. Medizinal¬
beamtenvereins Medizinalrat Dr. Bnndt: Mit dem Verleger unserer Zeit¬
schrift, Herrn Kornfeld, Inhaber von Fischers medizinischer Bnchhandlong
in Berlin, ist ein Znsatzantrag für das Jahr 1922 geschlossen worden. Nach
diesem beträgt die Bezogsgebühr in diesem Jahre 40 M. für jedes Mitglied,
die nach dem Nürnberger Beschloß an den Deutschen Verein gezahlt werden
nnd daher im Mitgliedsbeitrag an den Deutschen Verein mit abzuftthren sind.
Die Mitarbeiterhonorare sind auf 160 M. für den Druckbogen erhöht. Von
dem Reingewinn erhalten der Verleger, der Preußische und der Deutsche
Medizinaibeamtenverein je ein Drittel, ebenso wie sie auch einen etwaigen
Verlust zu gleichen Teilen tragen.—
Auf unseren Antrag vom 27. Dezember 1921, den wir infolge eines auf
der Vertreterversammlung am 13. Dezember 1921 in Berlin gefaßten Be¬
schlusses an den Herrn Minister für Volkswohlfahrt gestellt hatten: „den
Medizinalbeamten eine fünfjährige praktische Arbeit als Vorbereitungszeit für
das Besoldungsdienstalter anzurechnen und die Prüfungszeit auf ein ganzes
Jahr festzusetzen“, ging am 25. Februar folgende Antwort des Herrn
Ministers ein:
„Bei der Festsetzung der nach Ziffer 159 der Preußischen Besoldungs¬
vorschriften auf das Anw. D. A. bezw. die Anw. D. Z. der Beamten anzu¬
rechnenden Ausbüdungs- und Prüfungszeiten dienen die bestehenden
Prüfungsvorschriften als Grundlage. So ist durch die Prüfungsordnungen
für Kreisärzte festgesetzt, daß die Zulassung zur kreisärztlichen Prüfung
erst drei Jahre nach Erlangung der Approbation erfolgen kann. Diese
Zeit ist daher auch in meinem Runderlaß vom 25. November 1921 —
I M I 2992, A 1 Nr. 1117 II — als Vorbereitungszeit in Ansatz gebracht
worden. Die in § 3 Ziff. 4 der Dienstanweisung für die Kreisärzte vom
1. September 1909 für die Anstellung als Kreisarzt vorgesehene Ausübung
einer fünfjährigen selbständigen praktischen ärztlichen Tätigkeit kann als
Grundlage für die Ermittelung der in Ansatz zu bringenden Vorbereitungs¬
zeit nicht dienen, weü diese Vorschrift keine Zwangsbestimmung darstellt
und die Einstellung der Btellenanwärter für Kreisarztstellen (Kreisassistenz-
ärzte) in den meisten Fällen alsbald nach der Ablegung der Kreisarzt-
210
Tagesnachrichten.
prüfang erfolgt. Da die Dienstzeit als Kreisassistenzarzt ohne weiteres
als Anw.D.Z. gilt, wird die nach der Dienstanweisung gegenüber den
Prüfungsordnungen geforderte weitere zweijährige Tätigkeit als praktischer
Arzt von den meisten Medizinalbeamten bereits als Anw. D. Z. zurückgelegt.
Eine Berücksichtigung dieser Zeit nach Ziff, 159 P. B. V. ist daher auch
zur Vermeidung von Doppelrechnungen nicht zulässig.
Die Festsetzung der Prüfungszeit für die kreisärztliche Prüfung auf
ein halbes Jahr entspricht dem Durchschnitt der letzten Jahre. Sollte
dieser Durchschnitt zdkünftig wesentlich überschritten werden, bin ich
bereit, die Prüfungszeit entsprechend höher anzusetzen, aus Anlaß einer
Aenderung der Prttfungsvorschriften und erhöhter Anforderungen für die
schriftliche oder mündliche Prüfung.
Im Aufträge: gez. Gottstein.“
Die Antwort wird die Medizinalbeamten nicht voll befriedigen, denn wenn
die Forderung der Ausübung einer fünfjährigen selbständigen praktischen
ärztlichen Tätigkeit auch keine Zwangsbestimmung darstellt, so ist sie doch
im § 8 Abs. 4 der immer noch gültigen Dienstanweisung gefordert —
Das Reichsgericht bat entgegen den Entscheidungen mehrerer Land*
gerichte entschieden, daß die Zwangspensionierung der Staatsbeamten mit dem
66. Lebensjahre zu Recht besteht. Damit ist wieder eines der alten Beamten¬
rechte, die lebenslängliche Anstellung, solange die DienBtfähigkeit dauert,
dahin. Es gilt, die uns verbliebenen um so schärfer zu wahren. —
Unseren Beitritt zum Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten (der
„Säule Hoheit“, des Reichsbundes höherer Beamten) hat der Vorstand bisher
nur bedingt vollzogen, unter der Voraussetzung der Zustimmung der Haupt¬
versammlung am 27. und 28. April, zu der am Schlüsse der vorliegenden Nummer
der Zeitschrift eingeladen wird.
Der B. h. V. hat uns eine eigene Fachgruppe, einen Sitz im Vorstand,
die volle Beitragspflicht nur für aktive Medizinalbeamte, halbe Beitragspflicht
für die im Vorbereitungsdienst befindlichen und Rückzahlung von 26% der an
den Reichsbund höherer Beamten bisher gezahlten Beträge zugesagt. Die
Mehrzahl der Bezirksvereine, soweit sich diese bisher geäußert haben, sind für
den Anschluß eingetreten. Die endgültige Entscheidung wird also am 27. und
28. April fallen. —
Der Deutsche Medizinalbeamtenverein wird in diesem Jahre keine Haupt¬
versammlung haben, ob er seine Vorstandssitzung im Anschluß an unsere
Aprilsitzungen abhalten oder zu anderer Zeit und am anderen Orte tagen wird,
darüber ist eine Entscheidung noch nicht gefallen. Er hat im übrigen an die
Reichsversicherungsanstalt eine Eingabe um beträchtliche Erhöhung der Gut¬
achterhonorare gerichtet. —
Die Erhöhung der kreis- und gerichtsärztlichen Gebühren um 900'/oder
Friedenssätze ist nunmehr durch Ministerialerlaß vom 8. März 1922 Tat ge¬
worden, auch die Anweisung zur Auszahlung der erhöhten Dienstaufwands¬
entschädigungen soll an die Regierungen gegangen sein. Es wird nun wohl
in absehbarer Zeit die Nachzahlung seit dem 1. April 1921 erfolgen. Auch sie
wird freilich nur ein ganz unzureichender Ausgleich für die von Monat zu
Monat steigenden Aufwendungen sein. Bei den stark beschäftigten, ohne
Schreibhilfe und Büroräume nicht auskommenden Kreisärzten wird trotz der
erhöhten Gebühren der Dienstaufwand die Einnahmen durch Gebühren und ver¬
trauensärztliche Tätigkeit fast völlig aufbrauchen. Die Zeiten, in denen die
großen, zumeist großstädtischen Kreisarztbezirke begehrenswert waren, sind
vorüber. —
Die Jahresberichte sind eingereicht Eine Fristverlängerung, um die in
den meisten Bezirken gebeten wurde, ist nicht gewährt worden. Und doch
verlangten die neuen statistischen Uebersichten vielfach eine vollkommen ver¬
änderte Fragestellung an die Behörden. Viele Kreisärzte, die ihre Anfragen
bei Herausgabe der neuen Muster schon hatten herausgehen lassen, mußten
noch einmal Umfragen, und das vieliach bei Behörden und Vereinigungen,
denen keinerlei Verpflichtung zur Beantwortung oblag. Man sollte dort, wo
man eine Verpflichtung zur Anfrage fordert auch eine aolehe Antwort festsetzen.
Tagesnachrichten.
211
Es wäre im übrigen wissenswert zu erfahren, wie die Bearbeitung der
Jahresberichte in den einzelnen Regierungsbezirken gehandhabt wird, ob man
überall die einzelnen Abschnitte an einzelde Kreisärzte verteilt oder hier und
da wohl auch einem Kreisarzt die ganze Bearbeitung überläßt. —
Vor kurzem gab einer unserer Kollegen eine Anregung für die Aus¬
nutzung der Fortbildungskurse für unser Vereinsleben. Der Obmann des
Kurses, so meint er, soll seine Beobachtungen und Erfahrungen jedesmal dem
Vereinsvorstand mitteilen. Auch seien die Kurse sehr geeignet zum Meinungs¬
austausch für Standesfragen,, wenn ein Mitglied des Vorstandes unseres Vereines
an der am Schlüsse des Kurses üblichen vertraulichen Aussprache teilnähme.
Die Anregung ist durchaus beachtenswert. Sie läßt uns vor allem auch auf
die Kollegen Einfluß gewinnen, die durch weitere Entfernung oder durch
sonstige ungünstige Verhältnisse den Versammlungen unseres Vereines fern-
E halten werden und oftmals in recht großer Unkenntnis unserer Ziele und
Strebungen sind. —
Der Entwurf des Reichsjugendgesetzes ist leider noch nicht vollständig
in meine Hand gelangt. Aber die mir vorliegenden §§ 8 und 4 geben zum
Denken und zu Bedenken Anlaß:
Das Gesetz sagt in §§ 8 und 4:
§ 8. Aufgaben des Jugendamtes sind:
1. Der Schutz der Pflegekinder gemäß §§ 20—81 des Gesetzes.
2. die Mitwirkung im Vormundschaftswesen, insbesondere die Tätigkeit des
Gemeindewaisenrals, gemäß §§ 82—49,
8. die Fürsorge für hilfsbedürftige Minderjährige, gemäß §§ 50—56,
4. die Mitwirkung bei der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung, gemäß
§§ 57-78,
5. die Jugendgerichtshilfe gemäß reichsgesetzlicher Regelung.
§ 4. Aufgabe des Jugendamtes ist ferner, Einrichtungen und Veran¬
staltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen für:
1. Beratungen in Angelegenheiten der Jugendlichen,
2. Mutterschutz vor und nach der Geburt,
8. Wohlfahrt der Säuglinge,
4. Wohlfahrt der Kleinkinder,
5. Wohlfahrt der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend außerhalb des
Unterrichts,
6. Wohlfahrt der schulentlassenen Jugend.
Das Nähere kann durch die oberste Landesbehörde bestimmt werden.
Zwar sind die Aufgaben des § 4 für das Jugendamt nicht als pflicht¬
gemäße gedacht wie die des § 3, die seine ureigenste Tätigkeit darstellen.
Das Jugendamt soll bei ihnen für gewöhnlich nur Anregung und Unterstützung
geben, soll aber auch selbst die nötigen Einrichtungen und Veranstaltungen
treffen, wenn es sieht, daß ohne sein Eingreifen die nötigen Maßnahmen nicht
zustande kommen.
Bedenklich ist in dem Gesetzentwurf, daß die Gesundheitsbehörden in
ihnen kaum eine Stelle finden, bedenklich ist auch die Trennung der gesund¬
heitlichen Fürsorge nach Altersklassen. Die Herausnahme unter Umständen
auch der rein ärztlichen Jugendfürsorge aus der allgemeinen Fürsorge.
Hierzu hat uns freilich der Herr Minister für Volks Wohlfahrt unter dem
14. Juli 1921 I M I 2015 auf unsere Eingabe zugesagt, daß die Mitwirkung
der staatlichen und kommunalen Medizinalbeamten im Jugendamt im preußi¬
schen Ausführungsgesetz besonders geregelt werden wird in der Weise, daß
den Medizinalbeamten nicht nur beratende, sondern auch entscheidende Stimmen
verliehen werden. Es wäre eine Aufgabe für den deutschen Medizinalbeamten¬
verein, auch seinerseits hierzu Stellung zu nehmen. —
Wir sind in allen den Dingen, wo es heißt, unsere Rechte gegenüber
nichtärztlichen Verwaltungs- und Fürsorgeorganen zu wahren, in gleicher
Verdammnis wie die Kommunalärzte. Sie stehen hier in ebenso schwerer Ab¬
wehrstellung wie wir. Ein Zusammenarbeiten mit ihnen wurde schon auf der
Nürnberger Hauptversammlung angeregt und könnte meines Erachtens beiden
Teilen nur zum Vorteil dienen. Man glaubt an vielen Orten und in so manchen
auch ärztlichen Fürsorgezweigen des ärztlichen Rates mehr und mehr entraten
212
Tagesnachrichten.
zu können. Die Ueberschätzung in kurzer Zeit gewonnener volkswirtschaft¬
licher and oberflächlicher sozialbygienischer Kenntnisse ist groß, and die Gründ¬
lichkeit des Arztes bisweilen unbequem, seine kritische Würdigung vermeint¬
licher Taten nicht immer angenehm.
Am 10.—12. September tagt in Frankfurt a. Main die diesjährige Haupt¬
versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege mit dem einzigen
Verhandlungsgegenstand „Wohnungsnot und Volksgesundbeit", ein Thema,
das in seiner Bedeutung für die Gesundung unseres ganzen Volkes doch sicher
eine größere Anzahl unserer Mitglieder zur Tagung dort zusammenführen wird.
Sollte sich hier nicht die Gelegenheit zu einer Besprechung mit führenden
Mitgliedern des Kommunalärztevereins bieten und zu einem Zusammenschluß
in einer Arbeite- und Kampfgemeinschaft? Ich weiß wohl, daß die Belange
beider Vereinigungen nicht immer übereinstimmen und daß ihre Wege nicht
immer parallel laufen, aber sie gehen schließlich doch denselben Zielen zu
den Zielen des gesundheitlichen Wiederaufbaues unseres armen, kranken Volkes
und „getrennt marschieren und vereint schlagen" war schon immer ein guter
taktischer Wahlsprach. _
Das Kaiserin Auguste Victoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfnng
der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit Charlottenburg, Frankstraße,
veranstaltet vom 29. Mai bis 6. Juli einen 6 wöchigen Lehrgang für Aerzte über
Ernährung, Krankheiten und Fürsorge des frühen Kindesalters, der von jetzt
ab halbjährlich stattfindet. Dieser Lehrgang soll unter besonderer Berück¬
sichtigung praktischer Arbeit den Teilnehmern einen Ueberblick über das ge¬
samte Gebiet der Physiologie, Pathologie und Therapie im Säuglings- und
Kleinkindesalter und der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge geben. Er bildet
in sich ein organisches Ganzes, ist aber so aufgebaut, daß auch Einzelkurse in
jeder Woche gesondert belegt werden können.
Das Kurshonorar beträgt M. 1200.—, für Ausländer wird es unter Be¬
rücksichtigung der Valuta besonders vereinbart; Honorar für Einzelkurse nach
besonderer Vereinbarung. Für Unterbringung kann Sorge getragen werden.
Aus dem Kursprogramm: Propaedeutische Klinik, Ernährung des
gesunden und kranken Kindes, die Pflege des gesunden und kranken Kindes
mit praktischen Arbeiten auf den Stationen, Klinik und Poliklinik der Säug¬
lings- und Kleinkinderkrankheiten mit Demonstrationen und Kolloquium, Tuber¬
kulose und Syphilis, diagnostische und therapeutische Technik mit praktischen
Demonstrationen am Krankenbett, Arzneiverordnungen und Arzneidosierung
im Kindesalter, Immunitätsverhältnisse im Kindesalter, Böntgendiagnostik,
pathologische Anatomie des Kindesalters, nervöse Störungen im Kindesalter
unter besonderer Berücksichtigung der Psychotheiapie, Milchuntersuchungen
und Herstellung von Milchmischungen und Heilnahrangen, Säuglings- und Klein¬
kinderschutz unter vorwiegender Berücksichtigung der vom Arzt durchzu¬
führenden praktischen Maßnahmen.
Anmeldungen sind zu richten: an das Kaiserin Auguste
Victoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfung der Säuglings- und Klein¬
kindersterblichkeit, Charlottenburg 5, Mollwitz-Frankstraße. Von hier aus sind
ausführliche Kursprogramme beziehbar.
Der Vorstand der Vereinigung zur Förderung des deutschen Heb-
anunenwesens erlaubt sich den Kollegen mangels einer Vollversammlung
folgendes zur Erwägung vorzulegen und dessen Entschließung zu erbitten.
Eine Vollversammlung der Vereinigung ist in diesem Jahre erforderlich.
Es liegt am nächsten, sie mit dem Pfingsten in Innsbruck statlflndenden
(7. Juni beginnend) Kongreß der deutschen Gesellschaft der Gynäkologie
nnd Geburtshilfe zu verbinden. Es ist uns seitens Herrn P. Math es für
Dienstag, den 6. Juni, 4 Uhr nachm, der Hörsaal der geburtshilflichen Klinik,
Schulgasse 1, zur Verfügung gestellt.
Die Mehrzahl des Vorstandes glaubt, daß diese Verbindung am vorteil¬
haftesten ist, und schlägt eie demgemäß vor.
Tagesnachricbten.
218
Es ist aber auch geltend gemacht worden, daß die wirtschaftliche Lage
diesem oder jenem Kollegen die weite Eeise nach Innsbrnck unmöglich machen
würde. Es bleibt festzostellen, wie weit dieses Bedenken zutreffend ist.
Würden daraus größere Schwierigkeiten für einen guten Besuch der Versamm¬
lung sich ergeben, so bleibt zu erwägen, daß den nach Innsbruck reisenden
Kollegen die Teilnahme an einer Versammlung an einem Orte ermöglicht werden
kann, der dem Wege nach Innsbruck von Osten, Westen und Norden her nahe
liegt und der auch den übrigen Kollegen leicht erreichbar ist. Das ist
Würzburg.
Wir bitten daher um tunlichst umgehende Entscheidung zu folgenden
Fragen:
1. Werden Sie voraussichtlich an dem Gynäkologenkongreß in Innsbruck
teilnehmen ?
2. Wenn nicht, werden Sie an einer Versammlung unserer Vereinigung in
Würzburg teinehmen ?
8. Haben 8ie sonstige Vorschläge zu machen?
Würden wir bis zum 16. A p ril ohne Nachricht bleiben, so nehmen wir an,
daß die betr. Herren Kollegen ohne Interesse an der Frage sind, also weder
nach Innsbruck noch nach Würzburg kommen können. Um aber möglichst den
Wunsch der Kollegen zu ermitteln, bitten wir um Bescheid.
Außer den geschäftlichen Erörterungen, die der Vorstand von Amts wegen
vorzutragen haben wird, sind angeköndigt als Vorträge: Hammerschlag-
Neukölln: Zum HebammeDgesetz. — E. Martin-Elberfeld: dasselbe (Kor¬
referent). — Mann-Paderborn: Voraussetzungen und Ziele des Hebammen-
unterrichts. — Bis mann -Osnabrück: Welche Schulbildung sollen wir von
unseren Schülerinnen verlangen.
Weitere Vorschläge zur Tagesordnung werden erbeten. Die Einladung
mit dem schließlichen Programm wird, danach rechtzeitig ergehen.
1. L das Verstandes der Vereinigung zur Förderung des deutschen Bebauunenwesenst
B a u m m - Breslau, I. Vorsitzender. Mann- Paderborn, Schriftführer.
(Anschrift: San.-Bat Dr. Mann, Direktor der Landesfrauenklinik in
Paderborn, Bußdorfwall 80.)
In Magdeburg findet in der Zeit vom Juni bis September d. J.
«ine „Mitteldeutsche Ausstellung des Wiederaufbaues“ statt, die nach den
vorliegenden Mitteilungen gut beschickt und von vielen Seiten gefördert zu
werden verspricht. U. a. findet das ßiedlungswesen, die Sozialfürsorge, das
Schulwesen, Sport und Spiel besondere Berücksichtigung.
Leitsätze des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins über die
Durchführung des Jugendamtsgesetzes. Der Württembergische Medizinal¬
beamtenverein hat in seiner am 4. und 5. d. M. stattgefundenen 17. Jahres¬
versammlung folgende Leitsätze angenommen:
1. Der Württembergische Medizinalbeamtenverein erklärt sich mit der
Uebertragung der gesamten ärztlichen Fürsorgetätigkeit an die Oberamts-
ärzte grundsätzlich einverstanden.
2. Im Bahmen der bestehenden oberamtsärztlichen Dienstverhältnisse
kann die Fürsorgetätigkeit nicht übernommen werden. Der Medizinalbeamten¬
verein erkennt deshalb übereinstimmend mit dem Württembergischen Aerzte-
verband als Notwendigkeit an, daß zu wirksamer Ausgestaltung der Fürsorge-
tätigkeit für jedes Oberamt ein eigener vollbesoldeter Oberamtsarzt bestellt wird.
8. Der Oberamtsarst muß als Leiter der Fürsorgetätigkeit eine selbst¬
ständige Stellung in medizinaltechnischen und gesundheitlichen Fragen be¬
kommen, in der ihm Ausführungsbefugnis zusteht. In diesen Fragen müssen
214 Tagesnachrichten.
ihm auch schon bestehende FürsorgesteUen, deren Leitang nicht an ihn über¬
geht, unterstellt werden.
4. Zu diesem Zweck ist in jedem Bezirk ein Gesundheitsamt mit aus¬
reichendem Personal zu errichten, dessen Leiter der Oberamtsarzt ist
Todesfall. Bin schwerer Verlust hat neuerdings wieder die Aerzteschaft
und darüber hinaus weite Kreise betroffen, der Tod von Prof. Dr. Blaschko in
Berlin. Wissenschaftlich auf dem Gebiet der Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten hervorragend, hat sich Blaschko besonders dadurch einen Namen ge¬
macht, daß er im Jahre 1902 die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten“ mit begründete und nach Neissers Tod als Vor¬
sitzender der Gesellschaft eine weitnmfassende Tätigkeit ausübte. Der jetzt
dem Reichstag vorliegende Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten ist im wesentlichen seiner Initiative zu verdanken. Es wird nicht
leicht sein, die Lücke, die entstanden ist, auszufüllen.
Ueber die von dem Zentralausschuß für die Auslandshilfe übernommene
Tätigkeit der Quäker erfahren wir aus der letzten Zeit folgendes: Englische
Quäker haben erneut eine größere Spende, bestehend aus Lebertran,
Schmalz und Zucker, zur Bekämpfung der Tuberkulose in der offenen Für¬
sorge gesandt. Ferner ist von den Methodisten eine Kinderhilfe ins
Leben gerufen, die Kindern und Jugendlichen Aufenthalt in ihren Erholungs¬
heimen z. T. unentgeltlich gewährt. Die Kinderspeisung umfaßte im
Februar insgesamt täglich 607 940 Portionen, davon die meisten für Schul¬
kinder, daneben auch für Kleinkinder, Jugendliche und stillende oder schwangere
Mütter. Für die Herstellung der Mahlzeiten sind insgesamt vom 1. Januar bis
11. März d. J. Nahrungsmittel im Werte von 89,2 Millionen Mark verwandt
worden, von denen rund 31 Millionen auf deutsche und 68,2 Millionen Mark
auf amerikanische Lebensmittel entfallen. Die Unkosten für die Herstellung
der einzelnen Mahlzeit betrugen durchschnittlich 4,70 M.
Soziale Zahnheilkunde. Das Kuratorium der Ostdeutschen Sozial-
Hygienischen Akademie in Breslau veranstaltet auf Wunsch weiter Kreise
der Zahnärzteschaft und auf besondere Anregung des Deutschen Zentral¬
komitees für die Zahnpflege in den Schulen E. V. einen Kurs der Sozialen
Zahnheilknnde, der vom 19. Juni bis 1. Juli 1922 stattflnden soll. Der
Kurs umfaßt allgemeine und spezielle theoretische Vorlesungen und aus¬
gedehnte seminaristische Uebungen aus den für den Zahnarzt wichtigen Ge¬
bieten der Sozialen Hygiene, Sozialen Medizin, Sozialen Gesetzgebung, des
Fürsorgewesens und der Standesorganisation. Der Unterricht wird erteilt von
Universitätsprofessoren, von beamteten Aerzten der Stadt und von erfahrenen
Männern der Praxis. Nähere Auskunft erteilt das Sekretariat der Ostdeutschen
Sozial-Hygienischen Akademie, Breslau XVI, Maxstraße 4.
Anschauungstafeln für den Unterricht ln der Säuglings* und Klein¬
kinderpflege. Das Organisationsamt für Säuglings- und Kleinkinderschutz,
Charlottenburg V, Mollwitz-Frankstr. teilt mit, daß die zweite Auflage des
„Atlasses der Hygiene des Säuglings und Kleinkindes, für Unterrichts- und
Belehrungszweeke“ soeben im Verlag Julius Springer, Berlin W.9, er¬
schienen ist.
Der Atlas, der 100 lose, teils farbige Tafeln (35 X 60 cm) enthält,
dient als Anschauungsmaterial in Säuglings- und Krankenpflegerinnenschnlen,
Hebammenlehranstalten, Wohlfahrt- und Frauenschulen, Kindergärtnerinnen-
Seminaren, Mädchenfortbildungschulen und Mädchenschulen, wird in Säuglings-
fiirsorgestellen als Wandtafeln und von Wanderlehrerinnen und Fürsorgerinnen,
besonders auf dem Lande, bei Veranstaltung von Mutterschulkursen und be¬
lehrenden Vorträgen verwendet
Tagesnachrichten.
215
Prenssischer Medirinalbgamten -Verein«
XXXffl. Hauptversammlung
und
H. Vertreterversammlung.
Tagung am 27., 28. und 29. April 1922 in Magdeburg
Id der Loge Harpokrates, Gr. Mfinzstr. 10, Ecke Kaiserstraße.
Tagesordnung:
Mittwoch, den 26. April, Begrüssnngsabend mit Damen nm 8 Uhr
im Hotel Kaiserhof und Vorstandssitzung, zu welcher noch besondere
Einladungen an die Vorstandsmitglieder erfolgen.
Erster Sitiungstag:
Donnerstag, den 27. April, 9 Uhr vormittags: Vertretertag in
der Loge Harpokrates, Gr. Milnzstr. 10.
1. Geschäfts- und Kassenbericht, Prüfung der Rechnungen, Beratung bezw.
Festsetzung des Jahresbeitrages und Wahl eines besonderen Kassenführers.
2. Aenderung einiger Bestimmungen der Satzungen in §§ 9, 12 und 15. *)
3. Aussprache über die wirtschaftliche Lage und amtliche Stellung der
Medizinalbeamten.
4. Mitteilungen und Vorberatung von Anträgen. 1 )
*) Die §§ 9 und 12 der Satzungen, in denen einmal Vertretung des Ver¬
eins durch alle 5 Vorstandsmitglieder, dann nur durch Vorsitzenden und
Schriftführer festgesetzt wird, müssen auf Forderung des Amtsgerichts Berlin-
Mitte, bei dem die Eintragung der Satzungen beantragt ist, in Ueberein-
stimmung gebracht werden.
Die Belastung des Landesvereins mit den Kosten der V. T. ist ohne ge¬
waltige Erhöhung der Beiträge nicht möglich.
a) Antrag Wollenweber auf Aenderung des § 15: „Die Bezirksvereine
tragen die Kosten ihrer Vertreter auf den Vertretertagen.“
b) Antrag Bogowski: „Der Landesverein und die Bezirksvereine tragen
die Kosten der Vertretertage je zur Hälfte.“
Es wird gebeten, im Hinblick auf die finanzielle Lage des Vereins, von
der Bestimmung der Satzungen, wonach 1 Vertreter mehrere Stimmen aus
seinem Bezirk übernehmen kann, Gebrauch zu machen.
*) Anträge Rogowski:
1. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Herrn Minister den
Antrag, daß dort, wo die Regierungspräsidenten den Kreisärzten das
Halten eines Telefons im dienstlichen Interesse auferlegen, die Kosten für die
laufende Unterhaltung des Telefons der Staatskasse besonders zur Last fallen.
2. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Aerztekammerausschuß
den Antrag, den Kreisärzten in allen Provinzen eine gleichmäßige Er¬
mäßigung des Kammerbeitrages zuzubilligen.
Beschlüsse der Versammlung des Bezirksvereins Potsdam:
1. Die Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins wird ge¬
beten, bei der Staatsregierung eine Erhöhung der Amtsunkostenentschädigung
auf das 20 fache des Friedenssatzes als unbedingt notwendig zu beantragen.
2. Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamten Vereins wolle dahin wirken,
daß in dem neuen Hebammengesetz der Vorsitz bezw. stellvertretende
Vorsitz in der Kreishebammenstelle für den Kreisarzt gefordert wird.
8. Als unverrückbare Grundlage für jede Aenderung der Dienstanweisung
werde der Leitsatz angenommen:
Die Stelle des Kreisarztes soll in eine selbständige Behörde mit einem
staatlichen Gesundheitsamt und Büro und mit den daraus sich für den
Kreiz&rzt ergebenden Pflichten nmgewandelt werden.
216
Tagesnachrichten.
8 Uhr nachmittags: Mitgliederversammlung in der Loge Harpokrates.
1. Ueber Geburtsschädigungen der Neugeborenen. Berichterstatter: Geh.
Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslau.
2. Die Dienstanweisung für die Kreis« und Gerichtsärzte. Berichterstatter:
Kreisarzt Dr. Wollenweber, Dortmund, Med.-Bat Dr. Franz, Lötzen
und Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslau.
3. Geschäfts- und Kassenbericht, Bericht'der Bechnungsprüfer, Entlastung
des Kassenftthrers. Wahl eines besonderen Kassenftthrers, Festsetzung des
Jahresbeitrages.
4. Allgemeine Aussprache über die amtliche Stellung und wirtschaftliche
Lage der Medizinalbeamten, Stellung zu den Beamtenverbänden.
8 Uhr: Gemeinsames Essen im Bestaurant der Loge Harpokrates.
Zweiter Sitzungstag.
Freitag, den 28. April, vormittags 10 Uhr In der Loge Harpokrates.
1. Die gesetzliche Neuregelung der amtsärztlichen Gebühren. Berichterstatter:
Medizinalrat Dr. Bogowski, Berlin.
2. Kreisarzt und Fürsorge. Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Hu ebner-
Waldenburg (Aenderung Vorbehalten).
3. Mitteilungen. Verschiedenes.
Nachmittags 4 Uhr: Weitere Vorstandssitzung.
Dr. Wollenweber, Dr. Bundt,
Schriftführer. Vorsitzender.
Hotels In Magdeburg: Central- und Continental-Hotel, Weißer
Bär, Kaiserhof, Bellevue, Müllers Hotel, Stadt Prag, alle höchstens 8 Minuten
vom Bahnhof. — Möglicherweise werden auch Privatwohnungen zur Verfügung
gestellt — Anfragen sind zu richten an Herrn Medizinalrat Dr. Thomas,
Magdeburg, Medizinaluntersuchungsamt, Fernruf 1911. — Auskunftsstelle
für alle Ankommenden imCentral-Hotel( gegenüber dem Bahnhofsausgang).
Es wird noch besonders darauf hingewiesen, daß der Versammlungsort
die Loge Harpokrates ist, die Begrüßung im Kaiserhof stattfindet.
Bitte der Schriftleitung.
Es wird dringend gebeten, Manuskripte für Abhandlungen
und Mitteilungen, die zur Veröffentlichung in der Zeitschrift
bestimmt sind, gut leserlich, einseitig beschrieben,
möglichst in Maschinenschrift, einzusenden, und dabei auch die
Privatadresse des Schriftleiters zu benutzen.
Ferner werden die Autoren gebeten, zur Vermeidung von
recht hohen Korrekturkosten bei der Durchsicht möglichst
wenig Aenderungen vorzunehmen.
Die Schriftleitung.
Verantwortlich für die Bchriftleltunf: Geh. Med.-Bat Dr. So Ihrig, Bef.- n. Med.-Bat ln Breelan,
Breslau V, Behdlfentrafle 84. — Druok von J. 0. 0. Brom, Minden L W.
Zeitathiift für Medizinal bearalo.
Fer «ö na Li «ft.
0»ntsoh«rx Stole b und Pnunch
In den Eahttttand getrefceo: Direktor des MffdfefaalontoTBachaagsamt«
Dr. Kci»tfc AttCf in Cobleaz.
Ernannt: Kraisasshifiruarzt Dr; IIa*r teJ *nm Krelsmedwinalrat iß
Örtelsbörg.
Bajrereu .
Ernannt: Bezirktarst Ob.-MedUftat Dr, Kert*l ia Speyer aont Mitglied
<U» Ereisined)izinalaus8cliD38es der Pfalz.
mmm WpNksarat Dr, CHer&r von Teaschnite nach Karlafcadt;
Beairkearat Dr, Stark ton Pegnjts nach Nenaudt a. H.
Oestorbeo: Bedtjfc»arst Ober-Med.' Bat ©r. B r a gg e r ia Qünzburg,
Bexirks&rst «. D. Med,'Bat Dr, Scbmid ia ViMorfen.
W*ld*ok.
Eroaant; Komm, Kreuphysäm! 0?, Waldsöbtnidt zum Kreisarzt des
Kreises der Eder, — Der fcäti&rige Gberl&ndpbysiknfi «ad Medizraalreforeat
tdhrt den Dienattitel Eegiernng«* &, Medizinalrat, die Krftisphyaücer de« Drenst-
SoxtÄÜg« F&miHeniiaclmeliten
KreisÄssistenzarat 0r, C Ö tb . Meta Ofith, geborene Feste*, Feml<e,
( _M' y 0 JbT JF W siäi / ^ Kolloidales
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1888 mitbegrflndet und von 1882 bis 1822 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prot. Dr. RAPMUND.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie fflr das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
Heraasgegeben von
Med.-Bat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.- Rat Dr. Frickhinger-München,
Prot Dr. Kanp-München, Geb. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe -Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Querfurt, Med.-Bat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof.
Dr. Sieveking-Hambarg, Geh. Ü6d.-R&t Dr. Solbrig — Breslau, Geh. ü^ied.—R>at
Prof. Dr. StraBmann-Berlin, Geh. Reg.- Bat Dr. Weber- Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Schriftleltung: Verlag:
GUl Med.-Rat Dr. Solbrig, flscber’s med. Bocbbandlang H. Kornfeld,
lag.- 1 . Bad.* lat la Breslau. Berlin V. 62, KelthstraBa S.
Bezugspreis für das Jahr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M.
Nr. 9.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monats
5. Mai.
Die Durchführung der neuen Preußischen
Desinfektionsordnung im Saalkreis.
Von Kreisarzt Dr. Hillenberg in Halle a. S.
Verschiedene Anfragen von Fachollegen nach der Art der
Neu-Organisation des Desinfektionswesens im hiesigen Kreise
veranlassen mich, in Kürze die praktische Regelung desselben
hier zu schildern, wie sie auf Grund eines eingehenden Berichts,
den ich dem Kreisausschuß schriftlich und mündlich erstattete,
von diesem beschlossen wurde.
Wir hatten im Saalkreis mit seinen etwa 92 000 Einwohnern
drei Desinfektoren, von denen der Dienstälteste als Kreisbeamter
mit der Dienstbezeichnung „Kreisoberdesinfektor“ schon vor der
Neuordnung angestellt war. Von den beiden anderen war der
eine auf Privatdienstvertrag hauptamtlich, der dritte im Neben¬
amt gegen Bezahlung der Einzelleistungen dem Kreise ver¬
pflichtet. Dieser letztere warjjedoch derart beschäftigt, daß
er für seinen Hauptberuf Zeit nicht mehr erübrigen konnte.
Die drei Desinfektoren reichten bisher vollkommen aus bei einer
durchschnittlichen Zahl von jährlich 115 Formalin-, 126
Dampf- und 127 chemisch-mechanischen Desinfektionen. Hinzu-
218 Dr. Hillenberg.
kommt eine kleinere Zahl von Entwesungen mittels Hya-
Apparates.
Es war vom Berichterstatter in den letzten Jahren wieder¬
holt beim Kreisausschuß der Antrag gestellt worden, sämtliche
Desinfektoren als Kreisbeamte und zugleich alsGesundheits-
a u f 8 e h er anzustellen, deren Mitarbeit im Interesse einer erfolg¬
reichen Seuchenbekämpfung dringend erwünscht erschien. Diese
Anträge waren bisher stets abgelehnt worden mit der Begrün¬
dung, es sollten keine neuen Beamtenstellen geschaffen werden.
Nach dem Erlaß der Verordnung vom 8. 2. 21 erreichte ich end¬
lich mein Ziel: Alle drei Desinfektoren wurden hauptamtlich
und zugleich als Gesundheitsaufseher angestellt, der Oberdes¬
infektor mit einem jährlichen Gehalt von zur Zeit 30400 Mark,
die beiden anderen von je 20109 Mark; hinzukommen für den
ersteren Tagegelder von 25 Mark, die beiden anderen von
7,50 Mark und die baren Auslagen. Für sie ist folgende Dienst¬
anweisung in Anlehnung an den amtlichen Leitfaden „Die Des¬
infektion“ von Geh. Rat Hensgen in Siegen aufgestellt und
vom Beamtenbetriebsrat sowie Kreisausschuß genehmigt worden,
die ihre Tätigkeit im einzelnen näher vorschreibt:
§ 1. Der Desinfektor and Gesnndheitsaafseher ist dem Kreismedizinalrat
als dem staatlichen Gesundheitsbeamten and dem Kreisaasscbaß dienstlich
unterstellt.
Aufträge in Seachenangelegenheiten, die ihm von dem behandelnden Arzt
Uber eine an einer übertragbaren Krankheit erkrankten Person zageben, hat
er pflichtgemäß za erledigen. Za diesem Zweck hat er mit den behandelnden
Aerzten ständig Fühlung za halten and sich nach deren Wünschen za erkundigen.
§ 2 enthält die Anstellangsbedingungen.
§ 8. Die vornehmlicLste Aufgabe des Desinfektors and Gesund-
heitsanfsehers besteht in der Unterstützung des Kreismedizinalrats in der
Seachenbekämpfang. Br hat sich über die gesundheitlichen Verhältnisse in
einer Ortschaft auf Grand besonderer Aufträge za unterrichten, über den Stand
und die Ausbreitung jeweils anftretender Epidemien za berichten and insbe¬
sondere die Darchführang derjenigen Maßnahmen gegen einzelne übertragbare
Krankheiten za beaufsichtigen, welche darch allgemeine Verordnungen oder
durch Sonderanweisungen des Kreismedizinalrats oder des behandelnden Arztes
getroffen worden sind.
§ 4. Allmonatlich hat er unter Vorlegung seines Tagebuchs (§ 14) mit
dem Kreismedizinalrat persönlich über seine Tätigkeit und die hierbei gemachten
Beobachtungen sich zu besprechen, im übrigen in allen wichtigen Fällen, die
besondere Anordnungen erheischen, diesem unverzüglich mündlichen oder
schriftlichen Bericht zu erstatten und sich Belehrung und Anweisung zu holen.
§ 5. Die Haushaltungsvorstände, welche über das Wesen der Seuche
und ihre Bekämpfung nicht unterrichtet sind, hat er bei Zustellung polizeilicher
Verfügungen unter Ueberweisung eines Merkblattes entsprechend anfzuklären,
ihnen die zur Desinfektion in der Krankenstube (laufende Desinfektion) not¬
wendigen Chemikalien zu übergeben und zu ergänzen und die Pflegeperson des
Kranken in deren Gebrauch nötigenfalls zu unterrichten.
Im Hause des Erkrankten, in der Nachbarschaft und unter denjenigen
Personen, die mit dem Erkrankten während der sog. Inkubations- (Vorbereitungs-)
Zeit in Verkehr gestanden haben, hat er ebenfalls Belehrungen zu erteilen.
§ 6. Auf Ersuchen des Kreismedizinalrates, des behandelnden Arztes oder
der Ortspolizeibehörde hat er Proben für die bakteriologische Untersuchung zu
entnehmen und mit größter Beschleunigung an das hygienische Institut der
Universität Halle a. 8. einzusenden.
§ 7. Der Desinfektor bat nach besonderer Anweisung des Kreismedizinal-
Die Durchführung der neuen PreuB. Desinfektionsordnung im Saalkreis. 219
rate durch regelmäßige Ueberwachuogsbesuche, die in 2- bis 3 tägigen Zwischen¬
räumen auszaiühren sind,
1. dafür zu sorgen, daß die Absonderung (Isolierung) des Erkrankten in der
Behausung der polizeilichen Anordnung entspricht;
2. dafür 8orge zu tragen, daß die laufende Desinfektion in yorschriltsmäßiger
Weise von den Angehörigen ausgeführt wird. Erforderlichenfalls hat er
die Desinfektion der Abgänge des Kranken selber yorzunehmen;
3. frühzeitig zu ermitteln, ob in der Nachbarschaft des Erkrankten neue
Verdachts- oder Erkrankungsfälle aufgetaucht Bind;
4. gesundheitswidrige Zustände, soweit sie das Entstehen und die Verbreitung
der Seuche fördern können, dem Kreismedizinalrat zur Anzeige zu bringen.
§ 8. Die Kontrolle der Desinfektoren erfolgt durch den Kreisober¬
desinfektor mittels gelegentlicher Besuche gemäß besonderen Auftrags des
Kreismedizinalrats. Dem Oberdesinfektor stehen Reisekosten und Tagegelder
nach den staatlichen Sätzen zu. Im Bedarfsfälle ist der Oberdesinfektor ver¬
pflichtet, auch selbst laufende und Schlnßdesinfektionen auszuführen.
§ 9. Bei Kranken, die in ihrer Behausung abgesondert werden, hat der
Gesundheitsaufseher durch Nachfragen bei dem behandelnden Arzt den Zeit¬
punkt der Genesung festzustellen, oder wenn ein behandelnder Arzt fehlt, dies
dem Kreismedizinalrat zu melden.
§ 10. 24 Stunden nach der Feststellung der Genesung hat er, sofern
nicht eine in der Desinfektion ordnungsmäßig ausgebildete Pflegeperson die
Schlußdesinfektion ausführt, die Desinfektion der verseuchten Bäume und
Sachen yorzunehmen. Er hat sich hierbei genau an die Anweisungen zu halten,
wie sie für die einzelnen Krankheiten yorgeschrieben sind.
g 11. In gleicher Frist ist die Desinfektion yorzunehmen, wenn der
Erkrankte in das Krankenhaus überführt worden ist oder seine Wohnung ge¬
wechselt hat, oder im Falle des Todes die Leiche aus dem Krankenzimmer
entfernt ist.
§ 12. Vor der Ausführung der Schlußdesinfektion durch die Pflegeperson
oder den amtlichen Desinfektor hat dieser sofort der Ortspolizeibehörde
und dem Kreismedizinalrat Nachricht zu geben.
§ 13. Hinsichtlich seiner praktischen Tätigkeit hat sich der Gesund-
heitsaufseher im übrigen nach den Vorschriften zu richten, wie sie in den
§§ 26 bis 31 des amtlichen Leitfadens ‘für Desinfektoren und Gesundheitsauf¬
seher niedergelegt sind.
§ 14. An Büchern hat der Desinfektor und Gesundheitsanfseher zu führen:
a) ein Anzeigebuch für gemeldete ßenchen;
b) ein Beschäftigungsbuch, in das er genaue Eintragungen über seine dienst¬
liche Tätigkeit an jedem Tag zu machen hat.
Beide Bücher können auch zu einem Tagebuch vereinigt werden. Die¬
selben sind allmonatlich dem Kreismedizinalrat, vierteljährlich dem Kreisaus-
sohuß zur Durchsicht vorzulegen.
§ 16. Die Desinfektoren haben sich den Nachprüfungen durch den
Kreismedizinalrat zu unterziehen und an den Wiederholungslehrgängen teil¬
zunehmen.
Da zu erwarten steht, daß wir mit den drei Desinfektoren
nach der erheblichen Erweiterung ihres Arbeitsgebietes nicht
auskommen werden — schon jetzt muß der eine von ihnen fast
tftglich 12—13 Stunden unterwegs sein —, ist bereits die Neu¬
ausbildung zweier weiterer Kräfte vom Kreisausschuß genehmigt,
die aus einer Sanitätskolonne vom Roten Kreuz als tüchtige
Leute ausgesucht wurden und sich zur Ausbildung bereit er¬
klärten. Von ihnen soll der eine als vierter Desinfektor wieder
hauptamtlich angestellt werden, der andere als Reservekraft für
Epidemien bereit stehen.
Ursprünglich hatte ich dem Kreisausohuß die Ausbildung
zweier im Kreise bodenständiger Qemeindeschwestern als
220
Dr. Hillenberg.
Seuchenschwestern vorgeschlagen. Sie waren auch zu-
S ächst hierzu bereit, sagten jedoch schließlich mit der Begrün¬
ung ab, daß ihre sonstigen Pflichten in der Gemeinde-Kranken¬
pflege und Fürsorgetätigkeit bereits so umfangreich seien, daß
sie nur unter Vernachlässigung dieser Tätigkeit neue Aufgaben
übernehmen könnten. Diese Begründung erschien stichhaltig,
und so wurde von ihrer Wahl Abstand genommen. Die ministe¬
rielle Anweisung sieht zwar die Beteiligung von Schwestern an
allen die Desinfektion betreffenden Fragen und die Bereitstellung
von Desinfektions- bezw. Seuchenschwestern vor; ich glaube
jedoch, daß weibliche Kräfte im Hauptamt in ausgedehnten
Landkreisen sich für die Zwecke der Seuchenbekämpfung im
allgemeinen nicht recht eignen. Ueberhaupt halte ich die ganze
Tätigkeit, die einmal erhebliche Anforderungen an die körper¬
lichen Kräfte stellt, über die die Schwestern nicht verfügen,
sodann unter gewissen Umständen ein gewisses autoritatives
Auftreten erheischt, das der Frau in der Oeffentlichkeit weniger
als dem Mann gegeben, für weibliche Kräfte nicht besonders
geeignet. Außerdem sollte man die Schwestern, die für Kranken¬
pflege und soziale Arbeit immer seltener werden, diesem Gebiet
so wenig wie möglich entziehen!
Nebenamtlich werden sie natürlich gelegentlich mit
großem Nutzen herangezogen werden können, wie es ja bisher
schon zu Epidemiezeiten überall geschehen. —
Die Hauptaufgabe der Desinfektoren als Gesundheits¬
aufseher sehe ich nun darin, daß sie als Vortrupp für hygi¬
enische Volksbelehrung und -Aufklärung zu wirken haben, wozu
ihnen die regelmäßigen Besuche der verseuchten Familien aus¬
reichende Gelegenheiten bieten. Um möglichst frühzeitig hier¬
mit einsetzen zu können, erhalten sie von der Ortspolizeibehörde
sofort Abschrift von jeder einlaufenden Anzeige und haben sich,
tunlichst nach vorherigem Benehmen mit dem behandelnden
Arzt, unverzüglich an Ort und Stelle zu begeben.
Ich habe ihnen eingeschärft, sich nicht sowohl als Polizei-,
sondern als Fürsorgeorgane zu fühlen und danach zu handeln.
Derjenige werde seme Aufgabe am besten lösen, der durch un¬
ermüdliche Belehrung des Publikums dessen Verständnis für
die Abwehrmaßnahmen der Seuchen, sowie für hygienische
Lebensführung am weitesten zu fördern imstande sei. Es ist
hierzu natürlich nötig, daß die Desinfektoren selber ein gewisses
Maß von hygienischem Wissen besitzen, daß sie ferner in engem
Konnex mit dem Kreisarzt arbeiten. Der Oberdesinfektor er¬
stattet mir wöchentlich Bericht; alle vier Wochen werden an
der Hand der ausführlichen Geschäftsbücher alle Fälle mit ihnen
in gemeinsamer Besprechung erörtert, außerdem sind sie ja ge¬
halten, mich bei allem, was ihnen an Besonderheiten aufstößt,
um Hat zu fragen. Es ist im übrigen geboten, die künftigen
Desinfektionskurse, deren Verlängerung ja in Aussicht genommen,
so auszugestalten, daß denjenigen Teilnehmern, die auf Anstellung
als Gesundheitsaufseher rechnen, eine entsprechende weiter-
Di* Durchführung der neuen Preuß. Desinfektionsordnung im Saalkreis. 221
gehende Ausbildung zuteil wird, die mit einer Sonderprüfung
abzuschließen wäre.
Die Gesundheitsaufseher haben natürlich neben der ibe-
lehrenden Tätigkeit bei ihren Besuchen soweit als erforderlich
die laufende Desinfektion selber auszuführen; im wesentlichen
wird diese dort, wo keine sachverständige Pflegerin den Kranken
betreut, was nur ausnahmsweise geschehen wird, den Angehörigen
überlassen bleiben müssen; diese zu verständnisvoller Mitarbeit
zu erziehen, ist Aufgabe von Arzt und Gesundheitsaufseher.
Dem behandelnden Arzt soll der Gesundheitsaufseher
sich weitgehend zur Verfügung stellen und auch mit ihm rege
Fühlung halten. Die praktischen Kollegen scheinen diese Rege¬
lung nicht ungern zu sehen; können sie sich doch durch die
Mitarbeit der vorgebildeten Laien mancherlei Erleichterungen
bei Versorgung ansteckender Kranker bereiten. Ich habe ihnen
in einer Vereinssitzung über Zweck und Ziel der neuen Des¬
infektionsordnung Bericht erstattet und ihre Mitarbeit erbeten.
Daß sich der Kreisarzt mit ihnen vor Anordnung einer „amt¬
lichen Schlußdesinfektion“ ins Benehmen setzt, dürfte der großen
Mehrzahl von ihnen überflüssig und als reine Formsache er¬
scheinen, auf die sie keinen Wert legen, ich habe daher auch
in den wenigen Fällen, in denen icn bisher eine ausgiebigere
Desinfektion für nötig erachtete, von diesem Schritt abgesehen.
Es bedeutet übrigens ein Stücklein vorwärts auf dem Weg zur
polizeilichen Selbständigkeit des Medizinalbeamten, daß er nach
der neuen Verordnung selbst eine Schlußdesinfektion anzuordnen
in der Lage ist; hoffentlich sind wir bald soweit, daß die ge¬
samte Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, wenigstens
soweit sie das Gesetz vom 28. 8. 05 umgreift, zu dem Aufgaben¬
kreis der Kreisgesundheitsbeamten gehört!
Die Gemeindevorsteher, denen nach der ministeriellen
Anweisung gleichfalls eine Rolle bei der Bekämpfung der Seuchen
zufallen soll — Versendung der Desinfektionsmittel durch Ge-
meindeboten in die Häuser der Kranken und Aushändigung der
gemeinverständlichen Belehrungen — haben wir in der betreffen¬
den Kreisausschußbesprechung völlig ausgeschaltet. Ein
großer Teil von ihnen befindet sich tagsüber fern des Hauses
auf Arbeit und kann somit unmöglich immer im geeigneten
Moment zur Verfügung stehen. Aehnlich geht’s mit dem Ge¬
meindediener, der allein als Bote in Frage kommen kann. Wer
soll die Sachen in deren Abwesenheit erledigen ? Die Ehefrauen
möchte ich ausgeschlossen wissen. Nach meinen langjährigen
Landerfahrungen — und ich glaube, alle Kollegen dürften mir
beipflichten — würden wir mit unsern Maßnahmen bald Fiasko
machen, wollten wir die Hilfe der Gemeindevorsteher auch noch
für dieses Gebiet beanspruchen. Wir haben die Aufbewahrung
und Verteilung der Desinfektionsmittel den Desinfektoren selber
übertragen, die zugleich die Merkblätter übernehmen. Auf dem
Kreisständehaus wird ein großes Depot von Desinfektionsmitteln
angelegt, von dem aus die Desinfektoren versorgt werden; jene
222 Dr. Hillenberg: Die Durchführung der neuen Preuß. Desinfektionsordnung.
werden übrigens vielfach den Kranken, soweit sie Kassenmit¬
glieder sind, von den Aerzten auf Kassenrechnung verschrieben,
sodaß der Desinfektor nur ihre Zubereitung und Erläuterung
ihrer Anwendung zu übernehmen braucht.
Ueber die regelmäßigen Besuche der Gesundheitsaufseher
sind Klagen bisher nicht laut geworden, im Gegenteil ist das
Publikum bis jetzt sehr erfreut über die neue Art der Des¬
infektionshandhabung, und man hört immer wieder die Frage:
warum ist das nicht schon immer so gemacht worden? Nament¬
lich, der Fortfall der umständlichen Schlußdesinfektion auf der
einen, und die sofortige Vornahme der vereinfachten
Schlußdesinfektion auf der anderen Seite löst große Befriedigung
aus. Um den Desinfektor in den Stand zu setzen, sofort nach
eingetretener Genesung usw. die Schlußdesinfektion auszuführen,
legt er bei seinem ersten Besuch im Krankenzimmer dem be¬
handelnden Arzt nachstehenden Zettel hin:
Benachrichtigung.
.. den.
Dein Desinfektor and Gesandheitsanfseher.
Der
pj- an.erkrankte.
ist genesen — gestorben — nach dem Krankenhanse überführt. Die Schia߬
desinfektion kann vorgenommen werden.
Tag der Erledigung: Der behandelnde Arst:
Unterschrift des Desinfektors:
Dieser wird im gegebenen Zeitpunkt vom Arzt ausgefüllt
und dient dem Desinfektor als Unterlage für die Vornahme der
Desinfektion; in einer Reihe von Fällen ist freilich persönliche
Erkundigung des Desinfektors beim Arzt nach dem Termin der
Schlußdesinfektion vonnöten. Hinsichtlich der Ausführung der
letzteren ist dem Beamten eingehends eingeschärft worden, was
der Altmeister Flügge in Nr. 18 dieser Zeitschrift über die
mechanische Desinfektion ausgeführt hat: Nie zu übersehen,
daß diese niemals eine Desinfektion in seuchentechnischem
Sinne ist, vielmehr stets darauf Bedacht zu nehmen, die Krank¬
heitserreger am Ort des Kranken erst zu vernichten, dann sie
mit dem Schmutz zu beseitigen. —
loh hoffe, daß wir mit Hilfe der Gesundheitsaufseher all¬
mählich auch eine bessere Absonderung der Kranken
erreichen werden. Die Ueberführung ansteckender Kranker in
ein Spital findet jetzt fast ausnahmslos lediglich bei Genick¬
starre, Typhus und Ruhr statt, bei Scharlach und Diphtherie nur
in Ausnahmefällen. Daß bei der heutigen Wohnungsmisere eine
Isolierung in der Familie noch schwieriger als früher sich ge¬
staltet, liegt auf der Hand; immerhin läßt sich doch manches
erreichen, wenn dauernd durch Kontrollbesuche amtlicher Per¬
sonen auf die Notwendigkeit guter Absonderung hingewiesen
wird. Es wird hier eingewendet werden, daß der behandelnde
Dr. med. 0. Neaatätler: Kreisarzt and hygienische Volksbelehrang. 22 $
Arzt hier an erster Stelle maßgebend ist. Gewiß ist er das;
aber die Erfahrung lehrt, daß, wie vor Jahrzehnten so auch
jetzt noch der praktische Kollege im Drang seiner therapeu¬
tischen Tätigkeit nicht selten den sonstigen nicht rein ärzt¬
lichen Forderungen gegenüber sich mehr oder weniger indifferent
verhält. Deshalb wird auch in Zukunft die Seuchenbekämpfung
in der Hauptsache auf den Schultern des staatlichen Gesund¬
heitsbeamten und seiner Organe ruhen.
Was zum Schluß die Kostenfrage anlangt, so vermag ich
den Kollegen Engelsmann, der von der neuen Desinfektions¬
ordnung eine „wesentliche Verbilligung“ des Desinfektionswesens
erwartet, nicht beipflichten. Durch die hauptamtliche Anstellung
der Desinfektoren als Gesundheitsaufseher, deren häufige Reisen,
erwachsen die Kost.n erheblich, und ich glaube wohl, daß nicht
alle Kreise in der Lage sein werden, ihr Desinfektionswesen
im geschilderten Sinne einzurichten. Dafür pflichte ich ihm
durchaus darin bei, daß eine größere Wirksamkeit erhofft werden
kann, besonders wenn die Gesundheitsaufseher entsprechend
ausgebildet werden. Alles in allem halte ich die neue Des¬
infektion sordnung für einen ungemein wichtigen Fortschritt,
wenn ihr in der Praxis sinngemäß Rechnung getragen werden
kann. Daß wir in der Seuchenbekämpfung noch erheblic^ mehr
zu leisten imstande sind als bisher, ist sicher; sie stellt m. E.
das Hauptgebiet der Wohlfahrtspflege dar, die freilich in leichtem
Polizeimäntelchen daherschreitet, in Wirklichkeit aber nichts
anderes ist, als reinste Fürsorgearbeit, und als solche bewertet
und im Grunde gehandhabt werden muß.
Kreisarzt und hygienische Volkshelehrung.
Von Dr. med. 0. Neustätter, Generalsekretär des Beichsansschnsses
für hygienische Volksbelehrung, Dresden.
Der Artikel von Kühnlein über die Kreisärzte und den
1. Deutschen Gesundheitsfürsorgetag in Berlin gibt Anlaß zu
diesen Zeilen. Sie sind nicht bestimmt, nochmals die Wunde
zu berühren, die ja in Nürnberg noch stark blutete. Zweifel¬
los haben Kreisärzte Vieles und Großes geleistet in sozialer
Hinsicht, nur daß man früher dieses Gebiet nicht so scharf
abgrenzte wie jetzt. Es gab ja auch schon eine Sozialhygiene,
ehe man sie umschrieb. Die ganze Schule Pettenkofers
hatte einen wesentlichen sozialen Zug. Aber wie durch Ab¬
grenzung der Hygiene zunächst gegenüber der „medizinischen
Chemie“, der „Staatsarzneikunde“, der „gerichtlichen Medizin“
und jetzt der „Sozialhygiene“ gegenüber der „technischen
Hygiene“ sich den Förderern der neuen Richtung'das Bedürfnis
ergeben hat, nach scharfen Abgrenzungen zu suchen, die im
Leben meist ineinander überzugehen pflegen und wie im ersten
Eifer dort so manches von den früheren Ergebnissen übersehen
worden ist, so geht es jetzt auch mit der Leistung der Kreisärzte.
Was für die hygienische Volksbelehrung von großem
224
Dr. med. 0. Neustätter.
Interesse ist, das ist die Aufzählung der zahlreichen Qebiete
und der vielseitigen Hörerkreise, in denen sich die Kreisärzte
betätigt haben. Daraus geht hervor, daß in der „hygienischen
Volksbelehrung“, was übrigens von uns niemals verkannt worden
ist, schon recht Erhebliches unternommen worden ist. Trotz¬
dem darf gesagt werden, daß noch mehr geleistet werden muß,
wenn das Ziel erreicht werden soll, daß der Mensch von seinem
Körper und der Erhaltung seiner Funktionen und den Wegen
zur Kräftigung seiner Widerstandskraft mindestens soviel wissen
und planmäßig beigebracht bekommen soll, wie etwa über die
Flüsse von Frankreich, die Bäume des Waldes, die Schlachten
der Römer und Griechen. Wenn übrigens von solchem Unter¬
richt eine Selbstüberhebung befürchtet wird, so ist das nur so¬
lange gerechtfertigt, als dieses Wissen eben allzu oberflächlich
ist. Denn echtes Wissen macht bescheiden. Es zeigt am besten
die Grenze des eigenen Könnens und lehrt Hochachtung vor
dem tieferen Verständnis und Können.
Es darf nun angenoipmen werden, daß die Kreisärzte, die
bisher schon in Schulen, wie in Vereinen, vor Eltern, Lehrern,
Gewerkschaften, Ortskrankenkassen mitgewirkt haben an der
Aufklärung und die ja, wie es Kühnlein aussprach, das Auf¬
klärer^ für eine Pflicht anseheu, auch weiterhin in dieser Rich¬
tung inre wertvolle Hilfe nicht versagen werden, und es darf dies
um so eher erwartet werden, wenn ihnen die Lasten erleichtert
werden können, die ein solcher Vortrag zu machen pflegte.
Unter diese Beschwerlichkeiten werden die Vorbereitung der
Vorträge, dann aber die Opfer an Geld, die dabei zu entstehen
pflegten, angeführt.
Es ist Zweck dieser Zeilen, darauf hinzuweisen, daß in
dieser Richtung die Landesausschüsse für hygienische
Volksbelehrung den Kreisärzten an die Hand zu
gehen bestrebt sein werden. Denn eine ihrerjAufgaben-
ist es allgemein, möglichst vielseitige Vorbereitungen zu treffen,
die tatsächlich dem Praktiker draußen — der ja nicht nur in
der Aufklärungsarbeit sich erschöpfen kann, dem die Zeit und
oft die Gelegenheit fehlt, sich mit Literatur wie Anschauungs¬
material für einen Vortrag zu versehen — recht beschwerlich
fallen und nur zu oft von der sonst vielleicht gern übernommenen
Aufgabe abhalten.
Es sind schon jetzt z. B. durch den Reichsausschuß die schönen
Lichtbilderreihen zu vermitteln, die das Deutsche Hygiene-
Museum in Dresden aufgestellt hat und weiterhin zu ergänzen im
Begriff steht. Es seien hier nur die Titel der Lichtbilderreihen er¬
wähnt, die fertig zur Verfügung stehen: Entwicklung und Aufbau
des menschlichen Körpers; das Knochengerüst des Körpers; Haut
und Muskeln; Blut, Blutkreislauf, Lymphe; Atmungsorgane; Ver¬
dauungsorgane; Nervensystem; Sinnesorgane; Ausscheidungs¬
organe — Geschlechtsorgane — Drüsen mit innerer Sekretion;
Zerrüttung der Volksgesundheit durch Geschlechtskranheiten;
Tuberkulose: Wesen, Verbreitung, Bekämpfung; Alkoholismus;
Kreisarzt and hygienische Volksbelehrung.
286
Krankheitserreger — Krankheitsübertragung und -Verhütung;
Pocken-Irapfung; Typhus—Cholera—Ruhr; Ansteckende Kinder-
Krankheiten; Zahnpflege; Keimesentwicklung — Schwanger¬
schaft — Geburt; Jugend wandern —Jugendfrohsinn; Säuglings¬
ernährung; englische Krankheit; Pflege des Kindes im ersten
Lebensjahr; Soziale Fürsorge für Mutter und Kind; Erneuerung
der Männertracht; die weibliche Unterkleidung (Korsettfrage);
Hygiene der Kleidung; die Kochkiste; Wohnungshygiene; das
Onr und seine Pflege; Keimesentwicklung des Menschen; Körper¬
pflege — Leibesübungen; Luftbad; Wasserbad — Schwimmen;
erste Hilfe bei Unglücksfällen; Tuberkulose (Schulreihe); Knochen-
und Gelenktuberkulose; Tuberkulose im Kindesalter; Unsere
heimischen Pilze; Die Stätten der Leibesübungen sowie einige
geschichtlichen Reihen.
Es ist nicht gesagt, daß sich nun der Vortragende stets
an die Titel zu halten braucht. Die Reihen enthalten so viel,
daß man manchmal die Hälfte der Bilder weglassen kann und
doch einen Vortrag noch reichlich auszustatten vermag. Anderer¬
seits sind Teile der Bilderreihen auch für sich zu verwenden
und auf Wunsch werden auch für ein gegebenes Thema nach
Mitteilung eigene Reihen aus den vorhandenen zusammen¬
gestellt. Es ist ahpr anzuempfehlen, gegebenenfalls mehrere
Reihen zu bestellen, aus denen man sich dann die für einen
besonderen Vortrag gewünschten Bilder zusammenstellen kann.
Doch ist aus den bereit gehaltenen Verzeichnissen der einzelnen
Bilder, die auf Wunsch zugesandt werden, zu ersehen, daß ge¬
wöhnlich die bezeichneten Gebiete nicht eng genommen, sondern
aus Grenzgebieten schon Bilder herangezogen sind.
Es sei ferner besonders erwähnt, daß der preußische
Landesausschuß und der bayrische ebenfalls eine größere
Sammlung vonLichtbilderreihen bereit halten. Auch
andere Stellen haben solche vorbereitet, z. B. der Reichs¬
ausschuß für Leibesübungen Berlin, die Arbeitsgemeinschaft
sozialhygienischer Reichsverbände in Berlin u. a. Die Qualität
ist noch nicht überall gleich, wie sich denken läßt, besonders
wenn man weiß, wieviel Arbeit und Kosten die gute Ausgestal¬
tung solcher Lichtbilderreihen bedeutet und wie bisher die
Lichtbilder nur nebenher, jedenfalls ohne eingehende Prüfung
und Anpassung an das Gesamtgebiet der Hygiene ausgeführt
wurden. Was vorhanden ist, das soll demnächst in einem
vom preußischen Landesausschuß vorbereiteten Verzeichnis der
verleihbaren hygienischen Lichtbilderreihen zusammengestellt
werden.
Der Reichsausschuß ist andererseits im Begriff, eine Leih¬
bibliothek für Vortragende zusammenzustellen, die es
sich zur Aufgabe macht, das bereit zu halten, was ein Vor¬
tragender für seine eigene Orientierung vor einem solchen Vor¬
trag rasch einmal durcharbeiten möchte. Das setzt natürlich
eine gewaltige Sammelarbeit voraus, die noch durch die un¬
geheuerlichen Preise aller Drucksachen in der Jetztzeit äußerst
226 Dr. med. 0. Neustätter: Kreisarzt and hygienische Volksbelehrung.
erschwert ist. Es wird sich aber allmählich durchsetzen, daß,
wie an dasReichsgesundheitsarat oder an sonstige neutrale Stellen,
die Autoren je einen Separatabzug ihrer Arbeiten auch an
den Reich sausschuß nach Dresden senden, wo, wie nicht
leicht irgendwo anders, die gesammelte Literatur der breitesten
Oefientlichkeit dann indirekt zu gute kommt. Es möchte bei
dieser Gelegenheit auch an die Kreisärzte die Bitte gerichtet
werden, von ihren Arbeiten dem Reichsausschuß Sonderabzüge —
wenn irgend angängig in 2 Exemplaren — zuzustellen. Der
Reichsminister des Innern hat übrigens bei sämt¬
lichen Landesregierungen diese Bitte befürwortet
und gebeten, daß die staatlichen und kommunalen
Stellen die zuständigen Veröffentlichungen fort¬
laufend dem Reichsausschuß zusenden möchten.
Der Reichsausschuß wird außerdem bemüht sein, auch den
hygienischen Film zu weiterem Ausbau zu bringen. Auch
das ist eine nicht nur sehr schwierige, sondern vor allem sehr
kostspielige Sache. Immerhin sind jetzt schon mehrere Film¬
firmen mit Material versehen, das freilich mangels einer Fühlung¬
nahme mit den in der hygienischen Belehrung besonders er¬
fahrenen Stellen, noch nicht ganz auf der Höhe steht, die man
wünschen möchte. Das ist nicht technisch zu verstehen, sondern
bezüglich der Anpassung an das Publikum und des Ueberblicks
über das besonders Wichtige, das gelehrt werden soll. Auch
ein Verzeichnis der vorhandenen Filme mit Leihbedingungen
steht auf Anfrage zur Verfügung.
Jedenfalls würde es sich empfehlen, wenn die Amtsärzte
enge Fühlung nehmen würden mit den Landesaus-
sohüssen für hygienische Volksbelehrung. Es existieren solche
bisher in Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden,
Thüringen, Anhalt, Waldeck, Lippe-Detmold, Hamburg, Olden¬
burg, Hessen, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe.
Mit der angedeuteten Tätigkeit erschöpft sich aber nicht
das Ziel der Landesausschüsse. Gerade das, was ebenfalls den
Kreisärzten bei ihrer Tätigkeit noch viel zu schaffen gemacht
hat: die Vorbereitungen an Ort und Stelle, die Aus¬
wahl der Lokale, die Beschaffung und Bedienung von Licht¬
bildapparaten, die Anzeigen in den Blättern und sonstige Werbung
von Zuhörern und was all die kleinen Sorgen vor einem solchen
Vortrag oder gar einem Kursus sind, das soll durch die Organi¬
sation der Ortsausschüsse geleistet werden. Unter den Landes¬
ausschüssen soll sich ein Netz von Ortsausschüssen bilden.
Deren Aufgabe wird es sein, die angedeuteten örtlichen Erforder¬
nisse zu erfüllen und auch, soweit irgend angängig, für die
Deckung der entstehenden Kosten zu sorgen, so daß dann der
Vortragende sich nur noch mit der Darbietung seiner Belehrung
zu befassen braucht. In Sachsen ist durch aas Landesamt für
Wohlfahrtspflege den Pflegebezirken diese Aufgabe der Orts¬
ausschüsse überantwortet worden und ein Teil von ihnen hat
schon Mittel und Wege für die Arbeiten gefunden.
Dr. Plenske: Die Martener Typhus-Epidemie im Sommer 1921. 227
Die Organisation der Landesausschüsse ist erst in der
Bildung begriffen und schreitet bei den jetzigen schwierigen
Verhältnissen nur allmählich vor. Man wird dabei wiederum
die Mitarbeit der Kreisärzte, und sicher nicht ohne Erfolg, an-
rufen : daß sie nämlich die Einrichtungen mitschaffen helfen,
die ihnen wiederum die Arbeit erleichtern werden, die sie bisher
trotz so vieler Hindernisse geleistet haben. Und es ist auch,
wie ich nach den Erfahrungen in Sachsen sagen kann, zu er¬
warten, daß gerade die Medizinalbeamten in ihrer Tätigkeit
nicht nur fortfahren, sondern sie auch weiter ausdehnen werden,
bis die Organisation auf breitere Basis gestellt ist. Durch den
Erlaß des Reichsarbeitsministeriums, der auch die Ver¬
sorgungsärzte aufgefordei t hat, bei der hygienischen Volks¬
belehrung mitzuwirken, wird ihnen Gelegenheit geboten sein,
sich mit Kollegen zusammenzufinden, die einen Teil der bisher
ihnen allein aufgebürdeten Arbeit mit leisten könnten.
Und so darf man der Ueberzeugung Ausdruck geben, daß
es nach und nach gelingen wird, was Kühnlein ausspricht:
Besinnung in unser Volk zu bringen, Besinnung darauf, daß die
Gesundheit des Volkes das Einzige ist, was wir armen Deutschen
uns vielleicht zurzeit noch etwas besser gestalten können und
unbedingt gestalten müssen, wenn wir nicht als Volk zu Grunde
gehen wollen. Für große sozialhygienische Aufgaben anderer
Art fehlen ja leider die Mittel. Aufklärung zu schaffen ist im
wesentlichen abhängig von der Arbeitswilligkeit, der zur Auf¬
klärung Berufenen. Sie wird sich durchsetzen, wenn die Kreis¬
ärzte ihre bewährte Kraft weiter zur Verfügung stellen. Die
angedeuteten, jetzt schon bestehenden Erleichterungen mögen
ihnen dabei den Entschluß stärken und die Arbeitsfreudigkeit
erhöhen.
Die Martener Typhus-Epidemie im Sommer 1921.
(Aus dem Kreise Dortmund-Land.)
Von Kreis&ssislonzarzt Dr. Plenske in Dortmund.
Im Landkreise Dortmund treten in jedem Jahr und be¬
sonders in den Sommermonaten zahlreichere Typhuserkrankungen
auf. Ein verhältnismäßig häufiges Vorkommen wurde fast regel¬
mäßig in dem von ungefähr 12000 Einwohnern bewohnten
Dorfe Marten beobachtet, in dem es auch schon im Jahre 1909
und 1917 zu epidemischer Ausbreitung des Typhus gekommen
war. Die damaligen Epidemien konnten auf Kontakt-Infektion
zurückgeführt werden. Marten liegt im Senkungsfelde der um¬
liegenden Zechen und ist bis heute noch ohne Kanalisation,
besitzt aber fast in sämtlichen Häusern Wasserleitung. Die Häuser
sind aber zum größten Teil vor 1900 gebaut; die Wohnungs¬
verhältnisse sind ungünstig.
Während es in den Jahren 1918 bis 20 nur zu dem seit
Jahren gewohnten endemischen Auftreten des Typhus kam,
Or. Plansk«.
machte sich Mitte des Jahres 1921 ein ganz plötzliches, ge¬
häuftes Auftreten von Typhuserkrankungen bemerkbar. Die
erste Erkrankung ließ sich auf den 9./10. 6. zurückführen, dann
folgten am 12. und 14./6. je 2 Fälle, am 16./6. drei Fälle, am
17./6. vier Fälle, am 18./6. drei, am 20./6. fünf und am 21. und
22./6. je 2 Fälle. Die ersten dieser Fälle wurden aber erst am
28. Juni bekannt. Es handelte sich um Personen von ganz
verschiedenem Alter und verschiedenen Berufen. Die örtliche
Ausbreitung erstreckte sich über verschiedene Straßen und ver¬
schiedene Ortsteile. Bei dem verhältnismäßig plötzlichen Beginn
und der örtlichen Ausbreitung wurde bereits bei den ersten Fest¬
stellungen am 28. Juni eine gemeinsame Ursache angenommen
und eine Milchinfektion vermutet. Der ganze Ort bezog
den größten Teil seiner Milch, über 1500 Liter, aus der Molkerei
0. bei H. i. W. Die Ausbreitung der Epidemie fand im Ver¬
sorgungsbereich sämtlicher Milchhändler statt, die aus der
Molkerei 0. bezogene Mich verkauft hatten. Es wurde daher
wegen Typhusverdachts in der Molkerei noch an demselben
Tage, an dem die ersten Fälle bekannt geworden waren, eine
telegraphische Anfrage an den Kreisarzt des dortigen Kreises
gerichtet und wegen des Verdachtes einer Milchinfektion bereits
am 28. Juni in Marten die Anordnung getroffen, daß die Milch
nur in abgekochtem Zustande abgegeben werden dürfte. Diese
Maßnahme ließ sich sehr gut durchfüren, da die für die Quäker-
Speisung vorhandenen Kessel sich sehr gut zum Abkochen der
Milch benutzen ließen. Am 30. Juni traf vom Kreisarzt in B.
folgende telegraphische Antwort ein:
„Soeben Typhusfälle in Molkerei 0. festgestellt, Molkerei
vorläufig gesperrt.“
Schon vor Wirksamkeit der Sperrung hatte sich übrigens
Marten ab 30. Juni anderweitig mit Milch versorgt.
Die außerordentlich ungünstigen Verhältnisse des Ortes,
insbesondere der Mangel einer Kanalisation ließen auch nach
Verstopfung der Infektionsquelle noch eine weitere Ausbreitung
der Epidemie befürchten.
Im ganzen erkrankten in Marten selbst 111 Personen.
Die Erkrankungsziffer stieg von Mitte Juni bis Anfang
Juli schnell an — es waren bis 8. Juli schon 72 sichere und
4 Verdachtsfälle bekannt — um dann allmählich abzunehmen
und etwa Anfang August ganz zu erlöschen. Nach Monaten
geordnet ergibt sich folgende Uebersicht, in der man im Gegen¬
satz zu der Epidemie 1917 besonders das fast explosionsartige
Auftreten der Epidemie erkennen kann.
1917:
Juli 1
Anglist 3
September 88
Oktober 65
November 17
1921:
April 1
Mai 0
Jnni 87
Juli 22
August 8
Oie It&rtener Typhu*- Epidemie im Sommer 1921.
829
oder noch weiter gesondert:
September bis November 1917.
1.—14./9. 16.-80./9. 1.—14./10. 16.—31./10.
1.—14/11. 16.-30./1L
10 28 89 26
9 8
Juni bis August 1921.
1.—14./6. 16.—80./6. 1.—14./7. 16.—31./7.
1.—14./8. 16.—81./8.
6 82 19 8
2 1
Sehr gut veranschaulichen auch die beiden Kurven das
allmähliche Ansteigen der Erkrankungsziffer im Jahre 1917
und das plötzliche Emporschnellen 1921.
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Die nach dem 15. August auf getretenen Fälle konnten
nioht mehr mit der Milchepidemie in Verbindung gebracht
werden.
Die Verteilung auf die Milchverteilungsstellen des Ortes
aeigt nachfolgende'Tabelle:
Bezirk 1
Bezirk 2
Bezirk 8
Bezirk 4
40
21
27
28
Unter den 111 erkrankten Personen waren 47 männliche
und 64 weibliche Personen. Die Verteilung auf die einzelnen
Lebensalter gibt die folgende Uebersicht:
o-l 1—6 6—14 14—80 80—60 80-40 40—70 Jahr«
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w m
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0
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6 12
12 18
10 10
21 6
10 2
6
D 10 i
t \
iT^ ^
1
230
Dr. Plenske.
Bemerkenswert ist, daß im Säuglingsalter keine und im
Kleinkindesalter relativ wenig Fälle aulgetreten sind. Als
Erklärung ist anzunehmen, daß die Milch für die Säuglinge
stets und auch meist für die Kleinkinder abgekocht wird. Die
hohe Beteiligung des höheren Lebensalters läßt sich besonders
aus dem Umstand erklären, daß kurz vorher die Milch frei
gegeben war, Anfang Juni große Hitze herrschte und daher
damals reichlich mehr oder weniger gesäuerte Milch genossen
wurde. Weiter war ungekochte Milch in einigen Familien
auch im Kaffe genossen worden. In einigen Familien konnte
direkt festgestellt werden, daß nur die Person, die ungekochte
resp. saure Milch genossen hatte, erkrankt war, während die
anderen Familienmitglieder von der Krankheit verschont ge¬
blieben waren. Auch die höhere Beteiligung der Frauen im
Alter von 20 bis 70 Jahren erklärt sich aus dem größeren
Milchverbrauch der Frauen als dem der Männer und vor allem
daraus, daß die Hausfrauen oft und besonders im Sommer erst
die Milch vor dem Kochen kosten.
Unmittelbar auf die Infektion durch die Milch konnten
86 Fälle zurückgeführt werden, der Rest mit 25 Fällen ist als
auf Kontakt beruhend anzusehep, davon 7 als wahrscheinlich,
18 als sicher. Die ersten Kontaktfälle wurden am 4. Juli be¬
obachtet, also 28 Tage nach Auftreten der ersten Erkrankung.
Es handelte sich zum Teil um schwere und mittelschwere
Fälle, aber noch mehr um leichte und zum Teil abortiv ver¬
laufende. Die leichteren Fälle wurden zum größten Teil da¬
durch ermittelt, daß fast täglich von unserer Seite die vom
Typhus befallenen Häuser abgesucht wurden und allen auch
nur einigermaßen krankheits verdächtigen Personen nachgegangen
wurde. Die Mortalität war verhältnismäßig niedrig, es ver¬
liefen nur 6 Fälle tödlich.
Die Diagnose wurde hauptsächlich aus dem klinischen
Bilde gestellt. Die bakteriologische Untersuchung ließ bei 31
klinisch sicheren Fällen, dabei 2 tödlich verlaufenden, im Stich.
Eine Uebersicht über die bakteriologischen Ergebnisse ergibt
nachstehende Tabelle. Von den 111 Fällen hatten:
pos. Widal
Tjphasbaz. im Blut
Typhusbaz. im Kot
72 Fälle
13
10
(Von diesen außerdem
(davon pos. Widal 7)
(davon pos. Widal 8)
Basillen im Blot 7, imKot 8)
Sämtliche Kranke und Verdachtsfälle, von denen sich
12 nicht bestätigten, wurden in den umliegenden Kranken¬
häusern abgesondert. Die Bevölkerung setzte im allgemeinen
der Absonderung keine wesentlichen Schwierigkeiten ent¬
gegen, da sie an solche Maßnahmen gewöhnt ist und weiß,
daß Widerstand zwecklos ist. Wo sich in einzelnen Fällen
Widerstände gegen die Absonderung zeigten, wurden sie be¬
seitigt; bei 2 Fällen genügte die Androhung zwangsweiser
Die Matener Typhus-Epidemie im Sommer 1921.
281
Ueberführung. Eine Frau versuchte sich der Absonderung da¬
durch zu entziehen, daß sie sich mit einem Kraftwagep nach
einem etwa 20 km entfernten Industrieort begab. Sie wurde
aber nach sofortiger telefonischer Benachrichtigung der zu¬
ständigen Polizeibehörde bereits bei ihrer Ankunft in Empfang
genommen und in das dortige Krankenhaus befördert. Eine
andere Kranke, eine Lehrerin, reiste nach ihrem Heimatort,
um ebenfalls so der Krankenhausabsonderung zu entgehen.
Der sofort benachrichtigte zuständige Kreisarzt sorgte für als¬
baldige Krankenhausüberführung im dortigen Bezirk.
Die Desinfektionsmaßnahmen wurden in der üblichen
Weise unter Heranziehung von Hilfsdesinfektoren durchgeführt,
Uragebungskotuntersuchungen wurden in möglichst großem
Umfange veranlaßt. Den ernsten Bedenken, die bezüglich
weiterer Ausbreitung der Epidemie wegen der ungünstigen
hygienischen Verhältnisse des Ortes insbesondere wegen der
fehlenden Kanalisation bestanden, wurde durch fortlaufende
Desinfektion der Abwässer mit Kalk, Kontrolle des Abortwesens,
der Nahrungsraittelgeschäfte und Wirtschaften Rechnung ge¬
tragen. Die Aufklärung der Bevölkerung erfolgte durch ein
besonderes Flugblatt, im übrigen wurden auch Merkblätter des
Reichsgesundheitsamtes verteilt. Die Abhaltung öffentlicher Fest¬
lichkeiten wurde untersagt. In allen von Typhus befallenen
Häusern wurden zunächst die in ihnen wohnenden Schulkinder
vom Schulbesuch befreit. Da aber bis zum 6. Juli schon
20 Schulkinder erkrankt waren, eine weitere Ausbreitung durch
die Schule zu befürchten war und außerdem noch ungefähr
70 Kinder aus den von Typhus befallenen Häusern vom Schul¬
besuch befreit waren, wurden auf Antrag des Kreisarztes am
6. Juli sämtliche Schulen geschlossen.
Während der Epidemie 1917 waren mit der Typhus¬
schutzimpfung günstige Erfahrungen gemacht worden. Von
den damals geimpften 691 Personen fand sich keine unter den
jetzt Erkrankten, obwohl 4 Typhusfälle in der Familie und 46
in den Häusern s. Zt. geimpfter Personen aufgetreteu waren.
Daher wurde auch diesmal der Plan einer weiteren Durch¬
impfung der Bevölkerung gefaßt. Es wurden zweimal wöchentlich
von den ortsansässigen Aerzten Impftermine abgehalten und
die Bevölkerung durch Flugblatt aufgeklärt und zur Impfung
aufgefordert. Trotzdem war der Erfolg dieses Mal sehr gering.
Es ließen sich nur 189 Personen impfen, von diesen sogar nur
44 dreimal. Als Ursache für die geringe Beteiligung sind vor
allem übertriebene Erzählungen von Kriegsteilnehmern über
Beschwerden nach der Impfung und ohne Zweifel auch das
wenig vorbildliche Verhalten der Beamten des Amtes anzu¬
sehen, die sich nicht impfen ließen.
Weiter wurde als Hilfsmittel in der Bekämpfung der
Epidemie die Errichtung einer besonderen bakteriologischen
Untersuchungsstelle in Marten in die Wege geleitet und
dazu das Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsen-
282 Dr. Plenske: Die Martener Typhus-Epidemie ijn Sommer ld21.
kirchen in Anspruch genommen. Hierdurch wurde die zeit¬
raubende Versendung der Proben und ihr Verderben resp. Aus¬
laufen auf dem Transport verhütet, und konnten so die bakterio¬
logischen Untersuchungen beschleunigt und in vollem Umfange
leicht durchgeführt werden. Unter andern wurden durch diese
Untersuchungen drei abortiv verlaufende Krankheitsfälle ent¬
deckt, die daraufhin der Absonderung im Krankenhaus zu¬
geführt werden konnten, und drei Bazillenträger ermittelt.
Es hat sich also um eine Milchepidemie gehandelt,' die
von an Typhus erkrankten Angestellten einer Molkerei ihren
Ausgang genommen hat. Die Ursache des Typhus in der
Molkerei ist nicht sicher aufgeklärt. Es wurde u. a. von dem
dortigen Kreisarzt und der Molkereiverwaltung auch vermutet,
daß der Typhus erst von Marten nach der Molkerei mittels der
Milchkannen eingeschleppt worden sei. Anhaltspunkte hierfür
haben sich nicht ergeben.
Die Tatsache einer Milchverseuchung in einer Molkerei
und dadurch hervorgerufene Typhus-Epidemie gehört nicht zu
den Seltenheiten. Es ergibt sich daraus Anlaß zu der Forde¬
rung, daß eine allgemeine eingehende hygienische Kontrolle
der Molkereien und eine gesundheitliche Ueberwachung
des Personals, verbunden mit regelmäßig wiederkehrenden
bakteriologischen Untersuchungen durchgeführt werden sollten.
Daß in unserem Falle nur eine verhältnismäßig geringe primäre
Ausbreitung — 86 Fälle auf etwa 12 000 Einwohner — statt¬
gefunden hat, beruht im wesentlichen auf der im allgemeinen
geübten Sitte der Abkochung der Milch, dem zurzeit noch ver¬
hältnismäßig geringen Milch verkauf und auf sofortiger Ver¬
stopfung der Infektionsquelle. Die geringe weitere Ausbreitung
kann auf die nicht übermäßig große Infektiosität und plan¬
mäßige Bekämpfung mit streng durchgeführter Absonderung
zurückgeführt werden. Als Grundlage der Bekämpfung hat
sich die energische Anwendung der im Landesseuchengesetz
gegebenen Maßnahmen bewährt. Weiter hat die Epidemie ge¬
zeigt, wie yerschieden schwer die einzelnen Erkrankungen auch
bei ein und derselben Ansteckungsquelle verlaufen können.
Neben sehr schweren und mittelschweren Fällen wurden viele
ganz leicht abortiv verlaufende Fälle beobachtet, die in epidemiö-
freier Zeit nicht zur Kenntnis gekommen und sicher nicht für
Typhus gehalten worden wären. Der Typhus als Seuche be¬
trachtet bietet eben ein ganz anderes Bild als das der Schul¬
fälle in den Kliniken, und wer sich in seiner Diagnose an sie
halten will, wird häufig falsch diagnostizieren.
Die bakteriologische Untersuchung hat trotz um¬
fangreicher Anwendung in einer Reihe von Fällen im Stich
gelassen und nicht nur bei einzelnen leichteren, sondern auch
bei 2 schweren tödlich verlaufenden Fällen, während anderseits
einige abortiv verlaufende erst durch die bakteriologische Unter¬
suchung entdeckt wurden. Wie schwankend gerade die Unter¬
suchungen nach Widal sind, haben auch wieder in letzter
Versammlungen der Medizinalbeamten der Reg.-Bez, Stade u. Potsdam 238
Zeit 2 typische Typhusfälle gezeigt, bei denen während der
Erkrankung fünfmalige Untersuchungen nach Widal angestellt
wurden. Z. B. ergab Fall 1) am 15./8. Agglutination mit Ty.
Bac. 1: 100 +, 30./9.1:200 +, 6-/10. 1:100 +, 28./10.1:50 + (!),
3./11.1: 200 +.
Fall 2) 22./Ö. Aggl. mit Ty. Bac. 1:200 +, 4./10. 1:1000 +,
19./10. 1 : 500 +, 28./10. neg. (!), 3./11.1:100 +.
Aus dieser Tatsache, daß keineswegs alle Typhuskranken
bakteriologisch positive Befunde geben, ergibt sich die Forde¬
rung, daß die praktischen Aerzte sich nicht dadurch, daß die
bakteriologische Untersuchung negativ ausfällt, verleiten lassen,
bei klinisch verdächtigen Fällen keinen Typhus anzunehmen
und eine Meldung zu unterlassen, wie es so oft noch vorkommt.
Die bakteriologische Untersuchung, besonders der
negative Ausfall kann nicht allein entscheidend
sein für die Diagnose „Typhus“ oder „kein Typhus“.
Sie kann nur als ein Hilfsmittel in der Diagnose angesehen
werden, das hinter dem klinischen Befunde znrücksteht.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Versammlung des Medlzlnalbeamten-Vereins des Reg.-Bez.
Stade in Bremervörde am MM. 91ärz 1922.
Anwesend: Beck, Elten, Gattmann, Hancken, Hapke.
Laben au, Menke, Müller, Pannen borg, Prölss, Bes sei, Tinschert.
Tagesordnung: Prölss eröffnet die Versammlung und widmet dem
verstorbenen Reg.- und Med.-Bat Dr. Janssen-Stade einen warmen Nachruf.
1. Yorstandswahl: Vorsitzender: Prölss, Schriftführer: Pannen¬
borg. Vertreter für Berlin: Menke.
2. Menke berichtet über die Yertreterversammlung ln Berlin.
8. Müller referiert über Entwurf zur neuen Gebührenordnung, der
nach anregender Diskussion im ganzen Zustimmung findet.
4» Prölss beantragt, durch den Vertreter den korporativen Beitritt
des Preufi. Med.« Beamten «Vereins zum Bernfsvereln höherer Verwaltungen
beamten zu befürworten. Angenommen.
5. Elten bespricht die einheitliche Begelung der Impfgebühren im
Beg.*Bez. Stade.
6. Tinschert bespricht die Titelfrage und Dienstanfwandseut«
Schädigung.
7. Kassenangelegenbelten und Verschiedenes.
Nach der Sitzung fand ein gemeinschaftliches Essen statt.
Dr. P r ö 1 s s • Bremervörde.
Versammlung des BesIrksverelnsPotodamder prenssischen
Hedialnalbeamten ln Berlin, Kaiserin Friedrichhaus tttr
ärztliche Fortbildung am 25. Stärs 1922.
Anwesend: Geiseier, Mantey, Schulz, Aust, Heinze, Gatt¬
wein, Wilhelm, Tietz, Stölting, Larras.
Tagesordnung.
1. Neuwahl. Nachdem Geiseier erklärt hatte, eine Neuwahl ans
Mangel an Zeit nicht wieder annehmen zu können, wird Mantey-Belzig zum
Vorsitzenden und Anst-Nauen zum vorläufigen Schrift« nnd Kassenführer
gewählt.
2. Gehaltsfragen. Es wird der Wunsch nach Festsetzung des Be¬
soldungsdienstalters für jeden Medizinalbeamten geäußert. Jeder Staatsbeamte
234
Kleinere Mitteillingen and Beferate aas Zeitschriften.
hat das Hecht, eine Gehaltsaofrechnong von der Vorgesetzten Dienststelle za
verlangen. Die Schriftleitnng der Zeitschrift für Medizinalbeamte wird ge¬
beten, von Zeit za Zeit Fragen der Gehaltsberechnung za erörtern, so daß
jeder Kreisarzt die Möglichkeit hat, sein eignes Gehalt sicher za berechnen.
3. Amtsnnkostenentschädignng. Die Hauptversammlung des Preußischen
Medizinalbeamten-Vereins wird ersacht, bei der Staatsregierang eine Erhöhung
der Amtsunkostenentschädigung auf das 20 fache des Friedenssatzes als un¬
bedingt notwendig zu beantragen.
4. Als Vertreter des Medizinalbeamtenvereins im Berufsverein höherer
Verwaltungsbeamten wird Bogowski-Berlin in Vorschlag gebracht.
5. Im neuen Hebammengesetz wird für die Kreishebammenstelle der
Vorsitz bezw. stellvertretende Vorsitz des Kreisarztes verlangt. Diesbezüg¬
licher Antrag an den Hauptverein.
6. Aenderungen der Dienstanweisung sollen bis zom 15. April von den
einzelnen Mitgliedern angeregt werden. Als unverrückbare Grandlage für jede
Aenderung der Dienstanweisung wurde der Leitsatz angenommen: Die 8telle
des Kreisarztes soll in eine selbständige Behörde mit eignem, staatlichem Ge¬
sundheitsamt und Büro and mit den daraus sich ergebenden Pflichten für den
Kreisarzt amgewandelt werden. Dr. M a n t e y - Belzig. Dr. A u s t - Nauen.
Kleinere Mitteilungen n. Beferate ans Zeitschriften.
Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen.
L Schulhygiene.
Ein Rechenschieber zur Feststellung der prozentualen Abweichung
des Rohrerschen Index vom Normalindex. Von Studienrat Luckey-Elber¬
feld. Zeitschrift für Schul gesundheitspflege, 1921, Beilage der Schul- und
Fttrsorgearzt, Nr. 1.
Der hier abgebildete Rechenschieber soll an Stelle der etwas umständ¬
lichen Tabellen bei geringem Umfang des Apparats die Bestimmung bequemer
machen. Man stellt die Körperlänge unter das Gewicht, dann steht die ge¬
suchte Prozentzahl unter dem Alter. Solbrig.
Rohrerscher Index and Ernährungszustand. Von Stadtassistenzärstin
Dr. Lisa Brunn-Kiel. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Beilage:
Der Schul- und Fürsorgearzt, Nr. 1.
Aus den Ergebnissen der Untersuchung von 1000 Kieler Schulkindern
folgert Verfasserin, daß der Rohr ersehe Index in der von der Quäker-
kommission angegebenen Modifikation der Anwendung zur Beurteilung des Er¬
nährungszustandes des einzelnen nicht, zur Massenbeurteilung nur bedingt
brauchbar ist. Solbrig.
üeber die Eignung des Rohrerschen Index zur Bestimmung der
Unterernährung der Schulkinder und über die dazu gestellte Tabelle.
Von Stadtassistenzarzt Dr. Re deker-Mülheim a. R. Zeitschrift für Schal¬
gesundheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2.
Der Roh rer sehe Index ist, wie Verfasser auf Grund von eigenen
Prüfungen annimmt, wohl beim Erwachsenen (bei stabilen Verhältnissen), nicht
aber beim aufwachsenden Kinde zu gebrauchen, um als Maßstab zur Fest¬
stellung von Unterernährungszuständen in objektiven Zahlen zu dienen. Speziell
bei der individuellen Auswahl der unterernährten Kinder ist Augenschein und
Untersuchung des unbekleideten Kindeskörpers durch den Schularzt nebst
Berücksichtigung der Angaben von Lehrer und Fürsorgerin erforderlich.
_ Solbrig.
Die Indexmethode, Insbesondere der Rohrersche Index, als Haß zur
Beurteilung der Entwicklung der Kinder. Von Prof. Dr. E. Schlesinger-
Frankfurt a. M. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 3 und 4.
An einer Reihe von Beobachtungen und Untersuchungen sucht Verfasser
zu zeigen, daß die Indexmethode, so wenig sie bei einmaliger Anwendung zur
Beurteilung des einzelnen Kindes leistet, doch wertvolle Ergebnisse zeitigt bei
Kleinere Mitteilungen and Beforate aas Zeitschriften. 386
wiederholter Bestimmang des Index bei demselben Kinde and vor allem zom
objektiven Vergleich von Gruppen yon Kindern ans verschiedenen Bevölke-
rangsschichten oder von verschiedener Konstitution. In dem Bob rer sehen
Index kommt vor allem das Wachstum, kaum der Ernährungszustand zom
Aasdrack, derart, daß sich niedere Werte im allgemeinen mehr bei großen,
schlanken, als bei mageren Kindern finden and niedere Zahlen im allgemeinen
die günstigeren Werte darstellen, daß dagegen die hohen Zahlen (Pluswerte)
aber den im Wachstum zurückgebliebenen Kindern entsprechend die weniger
günstigen Ziffern sind. Die schwachen, kleinen, mageren, fürsorgebedürftigen
Under haben meist (abgesehen von sehr kleinen, rachitischen) einen geringen,
nicht auffallenden Pias- oder Minaswert, indem anormale gleichsinnige Ver¬
änderungen der Länge und des Gewichts, wie Wachstamshemmang und Ab¬
magerang, sich in den Formeln in einander entgegengesetzter Bichtang äußern.
_ Solbrig.
Untersuchung der Schüler and Schülerinnen In Kristiania. Von
LOo Bnrgerstein-Wien. Zeitsch. für Schnlgesandheitspflege, 1921, Nr. 1 a. 2.
In Kristiania sind nach einer vom Chef des dortigen Schalarztwesens
aasgearbeiteten Methode, die auf dem Bohr er sehen Index beruht, wobei aber
Normen für Höhe and Gewichtsverhältnisse für Altersmonate festgelegt worden,
in größtem Umfange Untersuchungen von Schülern and Schülerinnen vor¬
genommen worden, die außerordentlich wertvoll sind, wie Bargerstein
meint, and weiterhin Anwendang finden sollen, am die Wirkung des Ferien¬
aufenthaltes ganz objektiv bearteilen za können. Solbrig.
Ein vereinfachtes Verfahren, um ans WSgnng and Messung die körper¬
liche Entwicklung der Schalkinder za bestimmen. Von Med.-Bat Dr.
Drescher- Alzey. Zeitschrift für Schnlgesandheitspflege, 1921, Nr. 6 a. 6.
Das hier angegebene Verfahren Ä>11 an Stelle des mit mancherlei Fehlern
behafteten Verfahrens der Benutzung des Bohr er sehen Index praktischen
Zwecken dienen. In Tabellen sind Gewichts-, Größen- and Alterszahlen ver¬
merkt, Gewicht and Größe des za untersuchenden Kindes werden an ent¬
sprechender Stelle eingetragen, durch Vergleich der Differenz zwischen Ge¬
wichts- and Längenstafenzahlen and zwischen Größen- and Altersstufenzahlen
gelingt es leicht, Abweichungen vom Normalzustand der betreffenden Alters¬
stufe zu erkennen. _ Solbrig.
Ueber Erfahrungen bei Qu&kerspeisangen und Erholungskuren.
Von 8tadtschalarzt Dr. Stephani-Mannheim. Zeitschrift für Schalgesund¬
heitspflege, 1921, Nr. 8 and 4.
Die Erfolge der Qnäkerspeisangen waren gute (Zunahme an Gewicht
und Größe bei 72,5 °/ 0 Knaben und 88,5 °/ 0 Mädchen nach 3 Monaten), worden
aber noch weit übertroffen von den Erfolgen von Erholungskuren (Zunahme
von Gewicht und Größe bei 86,6 °/ 0 Knaben and 94,8 °/„ Mädchen nach 6 Wochen).
_ Solbrig.
Erholungskuren für Schulkinder auf dem Lande. Von Schalinspektor
H. Th. Matthias Meyer in Hambarg. Zeitschrift für Schalgesundheitspflege,
1921, Nr. 7 und 8.
Verfasser unterscheidet folgende Formen der Ferienkolonien:
1. unentgeltlicher Anfenthalt bei Familien anf dem Lande, was nur vereinzelt
zur Anwendang kommen kann, wobei aber dankbar an die neutralen
Länder während des Krieges zum Nutzen unserer notleidenden Jagend zu
denken ist;
2. die „offene Ferienkolonie", d. h. Unterbringung einzelner Kinder gegen
Entgelt bei Landleaten, was heute nur selten vorkommt und sich wenig
bewährt hat;
8. die -geschlossene Gastkolonie", d. h. Unterbringung einer größeren Anzahl
von Kindern bei Gastwirten; auch dies hat sich in Hamburg nicht bewährt
und ist aufgegeben;
236
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
4. die „geschlossene Regiekolonie*', wobei die Organisationen selbst die Be¬
wirtschaftung übernehmen; dies hat sich recht bewährt and wird in
Hambarg bevorzugt.
Das Ideal ist, daß die Schale selbst eigene, in enger Verbindung mit
dem Scbulleben stehende Erholungsheime schafft. Die Dsrchführwg stößt
aber gerade heutzutage auf große Schwierigkeiten. Sol orig.
Die Neuköllner Gartenarbeitsschule. Von Gartenschalleiter A. H e y n -
Neukölln. Zeitschrift für Schalgesandheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2.
Die hier beschriebene Gartenarbeitsschale, Ostern 1920 eröffnet, hat sich
nach jeder Richtung bewährt. Es erhielten hier die 4 obersten Klassen von
6 Volksschulen wöchentlich an 2 Tagen 10 Unterrichtsstanden, wozu praktische
Arbeit kam. Schüler, Lehrer, Eltern waren zufrieden. Die Sdhule arbeitet
mit Ueberschüssen. _ Solbrig.
Die Schulpflegerin. Von Stadtarzt Dr. Fischer-Defoy in Frank¬
furt a. M. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 7 und 8.
Die Schulpflegerin gehört heutzutage unbedingt in der Großstadt zu
einem schulärztlichen Betrieb. Die Grenze zwischen Schulschwester und Schul¬
pflegerin verwischt sich immer mehr. Die Aufgaben der Schulschwestern sind
vor allem darin zu suchen, sämtliche Ermittlungen über Mißstände allerlei Axt
anzustellen, auf die Abstellung von solchen Mängeln hinzuwirken, die Ver¬
mittlung zwischen Arzt und Elternhaus, zwischen Arzt und Fürsorgeeinrich¬
tungen zu übernehmen, bei der Jagendgerichtsbarkeit mitzuwirken u. a. m.
Eine Schulpflegerin maß neben besonderen Eigenschaften eine gediegene
Schulbildung und ein bestimmtes Maß von Kenntnissen aufweisen. Der Be¬
such einer Wohlfahrtsschule mit Abschlußprüfung erscheint dem Verfasser
nicht unbedingt erforderlich. Solbrig.
o
Ueber die schulärztliche Tätigkeit an Fortbildungsschulen. Von
Schulärztin Dr. Ilse Szagunn-Charlottenburg. Zeitschrift für Schulgesund¬
heitspflege, 1921, Nr. 6 und 6.
Verfasserin tritt für die Einstellung von Schulärzten an den Fortbildungs¬
schulen ein. Die Tätigkeit dieser Schulärzte soll zunächst eine nebenamtliche
sein, ihre Ausgestaltung zu einer halbamtlichen nach dem Vorbild von Frankfurt
a. M. ist anzustreben, während Anstellung im Hauptamt bei der gegenwärtigen
Form der Fortbildungsschulen nicht anznraten ist. Eine Schulpflegerin ist dem
Schularzt zur Seite zu stellen.__ Solbrig.
Bemerkungen zur Berufseignungsforschung. Von Dr. Erich Stern,
Priv.-Doz. in Gießen. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2.
Da das Experiment allein nicht ausreicht, um für die Berufsberatung
oder Berufsauslese sichere Ergebnisse zu erzielen, müssen zur Gewinnung eines
Bildes von der Veranlagung des jugendlichen Bewerbers auch die Beobachtungen
über sein spontanes Verhalten, seine Gefühls- und Willensbeschaffenheit in
gleicher Weise mit berangezogen werden. Der Weg, auf den man zu
solchen Erkenntnissen gelangt, ist der Beobachtungsbogen, der von allen In¬
stanzen, welche das Kind lange Zeit zu beobachten Gelegenheit haben und
dabei psychologisch hinreichend vorgebildet sind, auszufüllen ist. Also hat
die Schule hier ausschlaggebend zu wirken. Solbrig.
Berufsberatung der schwerhörigen Schulkinder. Von Pro! Dr.G.B r ü h 1 -
Berlin. Zeitschrift für Schalgesandheitspflege, 1921, Nr. 5 und 6.
Die Berufsberatung Ohrenkranker und Schwerhöriger hat von dem ärzt¬
lichen Befund nebst Prognose aaszugehen, dabei ist die Beobachtung der
Pädagogen während der Schulzeit als Ergänzung des ärztlichen Befundes von
Wichtigkeit. Bestimmte Berufe bringen besondere Schädlichkeiten für daa
Gehörorgan mit sich, wobei meteorologische Einflüsse, Staubentwicklung, Qift-
wirkungen, Geräusche, Luftdruckschwankungen, äußere Gewalteinwirkungen
von Bedeutung sind. Grundsätzlich sollten Ohrenleidende oder hierzu Disponierte
von allen Berufsarten ferngehalten werden, die 1. ein dauernd gutes Gehör
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
287
beanspruchen, 2. erfahrungsgemäß leicht zur Erkrankung des Ohres führen.
Es gibt mancherlei Berufe, die sich auch für Schwerhörige eignen. Dazu ge¬
hören alle Berufe, in denen verhältnismäßig leicht Selbständigkeit erworben wird.
_ Solbrig.
Berufsberatung bei Augenleiden. Von Prof. Dr. Levinsohn-Berlin.
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 5 und 6.
Bei dieser Berufsberatung kommt es darauf an,
1. Kinder von Berufen fern zu halten, für welche die Sehfähigkeit nicht
ausreicht,
2. neben der Beurteilung der zentralen Sehschärfe auch das Gesichtsfeld, den
Farben-, Raum- und Lichtsinn zu berücksichtigen,
3. Individuen mit Neigung zu Katarrhen von Berufen mit starker Staub¬
entwicklung zurückzuhalten.
4. Individuen mit nur einem Auge von Berufen abzuraten, in denen das
Auge besonders gefährdet ist,
6. Sünder mit stärkerer Myopie vor Berufen zu warnen, welche eine stärkere
Rumpf- und Kopfbeugung verlangen (mit Rücksicht auf die Tatsache,
daß solche Beugung das anslösende Moment für die Entstehung der
Myopie bildet).
Im übrigen ist bei der Berufsberatung niemals das einzelne Organ zu
sehr in den Vordergrund zu stellen, sondern das ganze Individuum auf die
Eignung zu dem Beruf zu berücksichtigen. Solbrig.
2. Jugendfürsorge.
Jugendwohlfahrtsgesetz und Gesundheitspflege. Von Obermedizinalrat
Dr. Tj aden-Bremen. Zeitschr. f. soz. Hygiene, Fürsorge- und Kranhenhaus-
wesen, Juni 1921.
T. geht von dem vorliegenden Gesetzentwurf aus und weist darauf hin,
daß als Ziel der Jugendpflege in der neuen Organisation der Jugendämter das
körperliche, geistige und sittliche Gedeihen des Menschen vom Mutterleibe bis
zur Volljährigkeit gesetzt ist. Der Kreis gliedert sich in Jugendfürsorge und
in Jugendpflege. Es fragt sich nun, meint Verfasser, ob der geplante Weg
sachlich und auch organisatorisch gangbar ist, ob sein Beschreiten Nutzen
bringt, oder ob bereits Erreichtes gefährdet und verheißnngsreiche Anfänge ver¬
nichtet werden. Im großen und ganzen wird die Frage verneint, da für den
ärztlichen Fachmann keine Zweifel bestehen, daß die öffentliche, gesundheit¬
liche Pflege und Fürsorge für die Jugend sich als Sonderaufgabe aus dem
Rahmen der Gesundheitspflege für das Gesamtvolk nicht loslösen lassen,
ohne das ganze oder die einzelnen Teile zu gefährden. So läßt sich bei der
Säuglingsfürsorge nicht Durchgreifendes schaffen, wenn man die Sorge für die
Schwangeren für das Wochenbett und für das geborene Kind außer acht läßt.
Bei der Kleinkinderfürsorge sind es die heimischen Infektionskrankheiten, deren
Bekämpfung bisher Aufgabe der Gesundheitsbehörden war und unmöglich den
Jugendämtern übertragen werden kann. Die Schulkinder sollen während des
Unterrichts von den Schulärzten und der Schulverwaltung überwacht und ge¬
pflegt werden, außerhalb des Unterrichts aber von den Organen der Jugend¬
ämter. Wieder eine sachliche Unmöglichkeit! Endlich ist bei der schul¬
entlassenen Jugend die Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechts¬
krankheiten die dringendste Aufgabe. Da sie auch bei den Erwachsenen zu
bekämpfen sind, so kann man sie nicht den Jugendämtern übertragen, weil
sonst eine schädliche Trennung erfolgen würde. So kommt Verfasser zu dem
Schluß, daß der Entwurf in der vorliegenden Fassung nicht Gesetz werden
darf. Entweder muß man den ganzen öffentlichen Gesundheitsdienst voll¬
ständig den Jugendämtern angliedern (was natürlich unmöglich) oder man muß
die gesundheitliche Fürsorge für die Jugendlichen den Gesundheitsbehörden
überlassen, wohin sie organisch gehören. Dr. Israel-Breslau.
Fllmzensur und Jugendbewegung. Von G. Gohde-Potsdam. Zeit¬
schrift für Schalgesundheitspflege, 1920, Nr. 11 und 12.
Die Gefahr, die in sittlicher Beziehung durch die nach Aufhebung der
Zensur schrankenlos erfolgende Ausübung des Lichtspielwesens erwächst,
244 Tagesoachfichtea.
fordert ein Einschreiten. Der „Ausschuß dar deutschen Jugend verbände“ hat
bestimmt« Forderung a«fge stellt and sie dem AasscboB für Berdtkeraugspolitik
Vorgelegt Hoffentlich wird ihnen Beachtung geschenkt. Ohne eine Zensor
wird matt nicht auskommen können. Selb rig.
- •' «• V» • //•••/ ' . ■ —*—r*-—«*—‘v : • -• = v -Y'V • •
3, IrreafttTBorge.
Offene Fürsorge fUr Geisteskranke. Von Dr, Friedrich Wendenbarg,
St&dtam in Gelsenkirchen. Zeitschrift für sos. Hygiene, Fürsorge- tt. Kranken¬
haus weisen, Heft 12, Juni 1921.
Dort, wo die Gesundheitsfürsorge als eia besonderes kommunales Ver¬
waltung* gebiet systematisch betrieben’ wird, seil auch die geistige Anomalität
in das «osiftl « hygienische Arbeitsgebiet eingeaogeu werde«. Es bandelt sich
um die Pfi »Bürge für außerhalb der AnrtaHeß bufihdlichs Öeistes.kratike, Grena-
zustande uu4 Geistesschwache. Solche sind eheuBO fürsorgebedlMtig feie
Tuberkulose, Krüppel uaw, Die -Fürsorge «mß im iödmdaeDea Äöd i» soaialen,
im wirtsuhnftiiehen und hygienischen SitmO unter fachäraüicher Leitutig ge¬
leistet Würden. Unter diesen .Zweig der Fürsorge fallen sCl'bxtyefst&odlidi
all« Idioten, die Insaasen aller Hüfsschtüsa und die eatlaaseacu HlUsacbliler,
Trinker und Psychopathen Dia EiartchtttiSjf* der offenen Föw%e öiy Geistes¬
krank« reiht sich da, wo «n« geordnete Familifenftlrsofge bokteht, natür¬
lich ein. Die laufende Beobachtung geschieht nicht^ dardi SpusialfiwsorgerinBen*
sondern wird uur durch Bezirksfürsorgeriocea fit andere Gebiete gleichseitig
mit ausgeübt. Verfasser zeigt im Hinblick auf die seit Hai^ to Gelseti-
kircheu bestehende FürsorgeBtelle. welche von der BevSlkeiruag. „Herveur
fürBorge* genannt wird, daß der ciMig rlcbüge Wl^; : aftsh auf dieäetn Gebiete
die Familienfürsorge ist. _ __ l)r. Israel * Breslau.
Tagesnaekrichteiu
Bei der Beratung dea Baushalts des Beichsministetittms des Innern im
Reichstag* Anfang April Ist von dem Herrn Beiehaminister des lauer«
Dr. Köster die bemerkenswert« Aettßentng: getan, daß tu m einem Beleb»-
gesundhettmoiialsterlui« kommen müssen/ Sobald die stenographischen Be¬
richte vollständig Torüßge«, werden wir auf die ReichstngsTwbasdlueg aus¬
führlicher au sprechen kommet!. _
Öle SefUClieBgefabrIW DfiUbsehlaud, Maßnahmen der Eegier un g.
Der Minister für VolltswokUahrt -erteilte kürzlich auf eine Anfrage Über die
Maßnahmen der Regierung gegen die drohenden Seuchen einscMeppuogtn ei**
sehr eingehende Antwort, deren einzelne Punkte hier wiedergegeban seieu. Der
Minister führte aus, jt&ß die beispiellose Hungersnot an der Wolga und in der
Krim Tausende von dorr ansässig gcweoeßen/ lk^tschstammiigen’nsch Westen
treibe. Wenn von ihnen auch Iwreite m ü^e» Heimatgebitle» und auf
dem Wege nach hierher dem Hunger lind de» -^Caches. «uns Opfer fielen. *o
ist doch damit an rechnen, daß ein großer Teil dieser Flüchtlinge über die
deutsche Grenre gelangen werde. Die Hafipigcfahr bei diesen audringesdes
Massen liege darin, daß sowohl in der rirssjetlien 'Heimat dieser liebt* Fleck-
ticbcr, Rückftlläftber, S'ock-rc. ».'Wera, Typhus, Rohr und Scharlach in einer
ungewöhnliche* Stärke verbreitet seien, als such is Polen, durch das diene
Answandervrströme hindurch müßten, tlSes-6 Seuchen tu ausgedehntem Maße
wutetca. Besonders die von den Polen und Letten eingerichteten großes
Quarastkaelsger seien wegeo des Cagariefer* in den dortiges Baracken geradezu
Herde für Fieckfie^refkninkcsgea geworden. i/' ■ •
Der Minister führte daua weiter aus. «iaS demeasprechend auch die
ersten Transporte von Wolga-De ätsche» im D*»aifeer rongea Jahres stark
Seckfieberrerseach* vrarea. Vcs dem erstö»Tmssprrt, der aas"363 Personen
bestand, erkrankte* damals aivfct weßig-tt als 2öS. Meuerdings
kaltes die Pole« weitere Transporte ha den '«f U
de* deutsche» Lagern die MNebelten »sr Aufenhsie i-trw T>ri»«,:-vi*
ist 8 m« m befürchte», 3*6 Polen m-Ssä
üb-rfiotet wird c»l dar» sich die Amncs tderer alsFaiti enge besamt dt» dir
dcaivct»'* Grrw« ergror« werdwc Vor #J>.» Pisgea wird in dies«! Huwicht
die Graue toc Brasdeahurg und de: öreamark twdrobt. Ob e*
Tagesnachrichten. t89
f
gelingen wird, diese Hassen durch Besetzung der Grenze mit Polizei abzu-
halten, ist fraglich.
Die deutsche Regierung hat sich aber doch entschlossen, der drohenden
Gefahr so weit wie möglich zu begegnen. So ist die Grenze von Ostpreußen
dadurch geschützt worden, daß bei Neidenburg und in Prostken Sanierungs¬
anstalten und in Eydtkuhnen ein 1200 Personen fassendes Lager mit großer
Entlausungsanstalt eingerichtet ist. Es stehen ferner zur Aufnahme sanierter
Flüchtlinge ehemalige Gefangenenlager sowie Rote-Kreuz-Lager zur Verfügung.
Auch am polnischen Korridor und an der Grenze der ehemaligen Provinz Posen
ist beabsichtigt, eine größere Sanierungsanstalt einzurichten. In Schneidemtthl
steht ein Entlausungs-Eisenbahnzug zur Verfügung. Zur Ueberwachung der
Strecke Posen—Bentschen, auf der sich der Hauptverkehr von Polen nach
Deutschland abspielt, ist in Stentsch eine große Aerztestation eingerichtet.
In gleicher Weise ist einstweilen die Sicherung der schlesischen Grenze
vorgesehen, aber es war hier noch nicht möglich, wegen der Unsicherheit der
endgültigen Grenzfestlegung Entlausungsanstalten einzurichten. Zur Unter¬
bringung von Flüchtlingen steht für Schlesien das frühere Gefangenenlager
Neiße zur Verfügung.
Der Minister schloß mit der Hoffnung, daß selbst, wenn es nicht ge¬
lingen sollte, alle Flüchtlinge in die Quarantäne-Anstalten zu leiten, die Aerzte
ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf die verstreut im Lande auftretenden
Erkrankungen richten und durch die Absonderung der Kranken und die Durch¬
führung aller Maßnahmen der modernen Seuchenbekämpfung diese Infektions¬
krankheiten unschädlich machen werden. Jedenfalls sind die Aerzte von der
Regierung wiederholt auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht worden.
(Voss. Zeitung.)
Eine neue Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige für
das Beioh ist in Kraft getreten. Die Zeitversäumnis wird mit 1 bis 16 M.
für jede angefangene Stunde vergütet. Dabei wird der Erwerb berücksichtigt.
Für jeden Tag werden nicht mehr als 10 Stunden vergütet. Handarbeiter,
Handwerker und kleine Gewerbetreibende erhalten die Entschädigung auch
ohne Zeitversäumnis. Sachverständige bekommen bis zu 20 M. für die Stunde,
für besonders schwierige Leistungen bis zu 80 M. Besteht ein üblicher Preis,
so gilt dieser. Für einen Weg von mehr als 2 Kilometer wird eine Ent¬
schädigung nach billigem Ermessen oder für jedes angefangene Kilometer
BO Pf. gewährt. Für einen auswärtigen Aufenthalt sollen nicht mehr als 60 M.,
für das Nachtquartier nicht mehr als 80 M. vergütet werden. Notwendige
Begleiter für Jugendliche und Gebrechliche erhalten dieselben Entschädigungen.
In dem vom Beiohstage angenommenen neuen Branntwein¬
monopolgesetz werden 30 Millionen Mark zur Bekämpfung der Trunk¬
sucht und anderer der Volksgesundheit drohenden Schäden, die mit dem mi߬
bräuchlichen Branntweingenuß Zusammenhängen, insbesondere der Tuberkulose
und der Geschlehtskrankheiten ausgesetzt.
Fleckfiebererkrankungen im Deutschen Belebe im Jahre 1921. Nach
den Mitteilungen des Reichsgesondheitsamts wurden im Jahre 1921 insgesamt
688 Erkrankungen (gegenüber 1103 im Vorjahr) angezeigt. Davon entfielen
826 auf Flüchtlinge, Rückwanderer und sonstige, aus dem Ausland zugereiste
Zivilpersonen, 106 auf internierte Russen, 71 auf ehemalige Soldaten und Heim¬
kehrer, 26 auf einheimische Zivilpersonen, 3 auf polnische Arbeiter und 2 auf
sonstige Personen, über die nähere Angaben fehlen. Die meisten Erkrankungen
(474) kamen in den Internierten- und anderen Lagern vor; an erster Stäle
stand Frankfurt a. 0. mit 276 Rückwanderern und 2 Krankenpflegepersonen.
Sämtliche Lager waren mit Entlausungsanstalten und Desinfektions¬
einrichtungen, viele mit eigenen Seuchenkrankenhäusern versehen worden.
Nach Monaten verteilt, war der Dezember mit 847 der bä weitem am meisten
befallene Monat, danach Januar mit 91 und Februar mit 42 Fällen, in den
übrigen Monaten kamen nur wenige, in zwäen gar keine Erkr&nkungsfälle vor.
Unter den einheimischen Zivilpersonen (26) befanden sich 8 Krankenpflege¬
personen, 1 Hebamme.
240
Sprechsaal.
Der Zweite dentsche Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung
findet in der flimmelfahrtswocbe, and zwar vom 22. bis 25. Mai 1922 in
Berlin statt. Der Kongreß wird den Teilnehmern einen allgemeinen Ueber-
bliek über den heutigen Stand der Alkoholforschnng and Alkoholbekampfang
bieten, die Fragen der alkoholfreien Jugenderziehung eingehend behandeln und
praktische Wege weisen, wie wir unsere Jagend zar alkoholfreien Lebens*
führang bringen and sie dadurch vor den ihnen besonders verderblichen
Wirkungen der alkoholischen Getränke schützen können. — Auf die große Be¬
deutung dieser Veranstaltung braucht an dieser Stelle kaum besonders hin¬
gewiesen werden. Daß der Veranstaltung in weitesten Kreisen lebhaftestes
Interesse entgegengebracht wird, hat sich bereits während der Vorbereitungen
herausgestellt; so hat der Herr Reichsminister des Innern sich bereit erklärt,
den Ehrenvorsitz des Kongresses zu übernehmen; namhafte Persönlichkeiten
haben bereits Vorträge übernommen. Es ist zu erwarten, daß die Tagung den
erwünschten Erfolg haben wird. Das Programm der Tagung kann von der
Geschäftsstelle der Reichshauptstelle gegen den Alkoholismus, Berlin-Dahlem,
Werderstraße 16, bezogen werden.
Für die zunehmende Bedeutung, welche die Soziale Hygiene auch in
den Kreisen der praktischen Aerzte gewinnt, liefert einen neuen Beweis die
Tatsache, daß die „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ vom April ab
dieser Disziplin eine eigene Beilage widmet, in welcher über die neuesten
literarischen Erscheinungen auf den einzelnen Gebieten (Bevölkerungsbewegung,
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, Schulkinderfürsorge, Jugendpflege-
und -fürsorge, Krüppelfürsorge, Seuchenbekämpfung, Tuberkulosefürsorge etc.}
berichtet wird. Die Redaktion dieser Beilage hat der bekannte Sozialhygieniker
Prof. Rott, Direktor im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichsanstalt zur
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und Vorsitzender der Arbeitsgemein¬
schaft sozialbygienischer Reichsfachverbände übernommen.
In dem bekannten medizinischen Verlage von J. F. Lehmann in Berlin
erscheint jetzt eine neue sozialhy gienische Wochenschrift: „Blätter
für Gesundheitsfürsorge“, die von der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft zur
Förderung der Volksgesundheitspflege herausgegeben wird und an Stelle der bis¬
herigen „Blätter für Säuglings- und Kleinkinderpflege“ tritt. Die Schrift¬
leitung haben Hofrat Dr. Doernberger und Med.-Rat Dr. Seiffert-
München übernommen. Die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate und kostet
halbjährlich 15 M.; für Mitglieder der Landesverbände: 7,50 M.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreismedicinalrats L. in L.: Können für Mitführung eines
Fahrrades auf der Bahn die Auslagen besonders liquidiert werden, wenn der
Beamte das Rad zur Beförderung von dem Endpunkte der Bahnstrecke zum
Geschäftsorte braucht?
Antwort: Ja! Nach den Ausführungsbestimmungen deBStaatsministeriums
zu den Vorschriften über die Reisekosten der Staatsbeamten vom 24. 9. 10
§ 87 werden Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten,
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäftes bedarf, ge¬
sondert erstattet.
Auf die Anfrage des Med.-Rats W. in Kl. M. über die ihm zustehenden
Rnhegehaltsbezüge, die direkt beantwortet ist, und die Bitte, hierzu an dieser
Stelle eine allgemeine Antwort zu geben:
Das Ruhegehalt wird auf der Regierung nach der Aasführungsanweisung
des Finanzminister8 vom 20.12. 21 (Ges.-S. S. 558) berechnet. Der Regierungs¬
präsident schickt die Festsetzung an die Kassenverwaltung, letztere gibt die
Anweisung an die Kreiskasse und Nachricht dem Empfänger. Ausstellungen
sind an die Regierangs • Kassenverwaltung zu richten.
Verantwortlich für die Schrlftleitong: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat in Brealaii,
Breslau V, Rehdlgerstraße 84. — Druck ?on J. C. 0. Bruns, Minden I. W.
Zeitschrift Dir Medizinalbeamte;
Sonstige Famlliennaclmchten.
Regf atati Geh- Med.-Rat Dr. Bo I b r i g gibt die Verlobung seiner Tochter
Cläre mit Herrn Kaufmann Ernst Bchoedon in Beathen bei. au nt.
Erledigt« Stellen.
Prtmuaau.
Zn. besetzen die nicht vollbesoldeten Kreidarzistellea in Waldbröl,
Eeg.'fezlrt Kßln, Hattingen, Reg>Bex. Arnsberg, Schönl&olie, Reg.-Bezir»
r» f\}.<in, .ushunpn^ Arn&uerg,, öueuhiaoki 1 «
BcjraeidemUhl, Mei«enbein>, Bcg.-Bez. Coblenz, and NJebtftl, Reg.-BeZ. Sdüsswlg,
I»i$ Umwandclnog dsr Kreisärzte telleaWaldbröl and Hattingen in vollbeaoidete
Stelle® ist im Entwarf zum Staatshaushalt för 1922 vorgesehen. Dem Kreis-
medizittairat in Hattingen werden Tom KrasnusscbUfl. voraussichtlich «ach
kreiskommnrtalärztiicbe. Dienstgeschälte übertragen werden. Außerdem ist die
Krefaasstairnxarztstelle in Banmhojdcr, Reg.-ßez. Trier, zu heBetzwr. Be»
Werbungen sind bis zum 20 . Juni 1922 an das Ministerium, tftr Volks wohl fahrt
in Berlin W. 86 , Leipziger Straße 8 , dnrch Vermittlung des für den Wohnort
des Bewerbers anständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin de« Herrn
Polizeipräsidenten) einzureichen.
Bayern.
Zu besetzen: Bezlrbsarztateile in Wegscheld. Bewerbopirea siui bei
der f&r den Bewerber zuständigen Regiernng, Abteilung des Innern, ein»
zureicben.
Zu besetzen ist — bis sui Verabschiedung des Staatshaushaltsplans 1922
in vorläadger Weise — dl« Stelle eine« Oberanilgarefes — mit ärztlicher
Praxis — für »Jen Oheramtebexlrk Gerahroun mit dem Sitz in Langeitbarg.
Vorbehalten feleit-t die Umwandlung der Steile in eine vollbesoldete Ober*
amtearstitelR? urit sTweitertem Amtsbezirk und Anweisung eines anderen
DienatatizeSi Die Bewerber haben sich binnen 8 Tagen beim Minist, d. Innern
zu melden. ' 3 ">V. • 0 : '.'-i;vVV:v " c vVV -V V Vf.*" -'V-V .
Q Jfr JF Jj y'+S Ko'üoktate«
’Ws Kieselsäure-Eiweisa
pro Tafel. 0,1 g Si 0 >; 3 X tägl. 1 Tabi,
I
Gegen Ekzeme, Lungenkraukliesteti etc.,
besonders gegen beginnende und fibröse Tuberkulose.
Kolloidale Mmeral-Eiweissnahrung.
Fördert die KnocbenMldung,
Kräftigt den gesamten Organismus
Proben und Literatur vom Le ein werk Hannover.
Zeiurchfjji Mr Medista&ibeamte.
( O iacetv ia m Idoazotol u o!)
Hasche, gfün<Hiche Epitb«iisiefting gt^noliemidfer WoiidflacLon.
Wesentliche Abkürzung »ler Heildaner. — Zafertässige, Wir¬
kung hei Ekzemen ftlie§ Ail lind hartnäckigen Hamkmnkheiten.
Amrendonet Hauptsächlich in Fora vnn 12*/*Selbe, ferner als
2*/» /iinkpastfc and 5®/fr BeJaspuder, r ; V
Orartnal-Pazkun^-M : V
| Tub*v
PtttidoU Salbt oder 7Jnkfast* . 2 ,J .W , 4 -V Dof» su ru. j\? ||
[ 1 1 Do>*h zu cu> Sc. ir • ,>y.
Botuspuaer j'Yo , . - . ..
Aoirfuhrliclie Lit^etatur dttfch
Nr. itti
Levnrinose
31 ae§ M
if r
haltbares altbewährtes Trockeohsfe-Präparat
hat, sieb in mehr als 'iOjäbriger Praxis b*sh>u« bewährt bei
Furunkulose, Poitlkultils, Akne, Impetigo»
Urtikaria, Anthrax, Efctem
Levurirtose fitulat »nit Erfulrf Aowefftlartg bei habitueller
Obstipation, Diabetes,vaginaler u* zervikaler
beukorrhoß sowie ähnlichen Erscheinungen
Meri-lur und Proben den Herren Aeufert gratis und franko durch
C'lteniisclie Fabrik «f. Blaes «& C-o.
f^itiilau ([Bayern)
Mrg^i 5 .- Zeitschrift l92ä -
für
MEDIZINALBEAMTE
1888 raitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.* Rat Prot. Dr. RAPMUND.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie fflr das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt u. sozialen Hygiene
Heraasgegeben von
Med.- Bat Dr. Bundt- Halle a. 8., Ober-Keg.-Rat Dr. Frickhinger- München,
Prof. Dr. Raup -München, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer- Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Pappe -Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund -Querfurt, Med.-Bat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof.
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Bat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Schriftleitung: Verlag:
Heb. Med.-Rat Dr. Solbrig, Hscber’s metL Buchhandlung fl. Kornfeld,
leg.- u. lad.- Rat li Brösln. Itrlln V. 62, laltbstraße 5.
Bezugspreis für das Jabr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M.
Nr. 10.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monat«
20. Mai.
Die Frage der Bildung eines Reichsgesundheits-
ministerinms bei der Beratung des Haushalts des
Reichsministerinms des Innern im Reichstage
am 3. bis 6. April 1922.
Vom Schriftleiter.
Im vorigen Jahre wurde bei der Sitzung des Reichstages
vom 16. März bei der Beratung des Haushalts des Reicns-
ministeriums des Innern von seiten der unabhängigen sozial¬
demokratischen Partei die Errichtung eines Reichsministeriums
mit einem sozial-hygienisch denkenden Fachmann an der Spitze
erneut beantragt, aber erneut abgelehnt, nachdem sich der
Reichsminister des Innern dagegen ausgesprochen hatte.*) Die
Begründung der Ablehnung durch letzteren lag in folgenden
Gesichtspunkten: Fehlen des Einheitsstaats, hervorragende
Leistungen des Reichsgesundheitsamts auf gesetzgeberischem
Gebiete. Daß diese Begründung auf schwachen Füßen ruhte,
wurde von Rapmund schlagend bewiesen.
In diesem Jahr bei der Beratung desselben Haushalts ein
*) VergL diese Zeitschrift, 1921, S. 129.
242 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines ReichagesundheitsminiBteriums
wesentlich anderes Bild: zwar gleichfalls Ablehnung des von
derselben Partei erneut gestellten Antrages, aber ein Stand¬
punkt des Reichsministers des Innern, der an sich der Errich¬
tung eines eignen Reichsgesundheitsministeriums durchaus zu¬
neigt, aber die sofortige Inangriffnahme dieses Plans ablehnt,
und zwar aus finanziellen Gründen und aus Kompetenz¬
schwierigkeiten zwischen Reich und Ländern. In der Tat ein
bemerkenswerter Wechsel der Ansicht in der maßgebenden
Zentralstelle 1 Die Erklärung des Reichsministers Dr. Köster,
daß er, wie er bereits im Ausschuß gesagt habe, der Ueber-
zeugung sei, daß wir „zu einem Reichsgesundheits¬
ministerium kommen“, erweckt begründete Aussicht, daß
der in den letzten Jahren von manchen Seiten, besonders aus
den Kreisen der Aerzte und Medizinalbearaten nachdrücklich
geäußerte Wunsch seiner Erfüllung nicht mehr allzu fern ist.
Wenn der Herr Reichsminister ferner in Aussicht gestellt hat,
eine Reorganisierung des Reichsgesundheitsamts in Angriff zu
nehmen, sofern und soweit eine solche notwendig erscheint,
und an eine Vereinheitlichung der heute noch auf eine Reihe
von Ministerien verteilten, mit Gesundheitsfragen des Reichs
befaßten Stellen heranzugehen, so ist das gleichfalls erfreulich
i zu hören. Diese Reorganisationen dürfen aber, was ausdrücklich
hier zu betonen ist, keinesfalls den Plan, ein eignes Reichs¬
gesundheitsministerium zu gründen, hintanhalten. An finan¬
ziellen Schwierigkeiten darf das Werk nicht scheitern, mag die
finanzielle Not des Reichs auch noch so groß sein. Schließlich
wird durch Errichtung eines solchen Ministeriums so manches
auf dem Gebiete des Gesundheitswesens vereinheitlicht werden,
wodurch Zeit und Geld bei der gegenwärtigen Zersplitterung
erspart werden kann. Das ist oft genug betont worden, so daß
es sich erübrigt, näher darauf einzugehen.
Bei der Bedeutung des Gegenstandes halten wir es für
erwünscht, das wichtigste aus den Reichstagsverhandlungen
nach den vorliegenden stenographischen Berichten, manches
auch im Wortlaut hier wiederzugeben. Des Raummangels wegen
beschränken wir uns möglichst. Es soll aber ausdrücklichst
hervorgehoben werden, daß in diesen Verhandlungen auch sonst
manches außerordentlich Wichtige in Frage des Wiederauf¬
baues überhaupt, besonders auch bei der Jugenderziehung und
Jugendbewegung, verhandelt worden ist, was allgemeines
Interesse beansprucht.
Aus den Aeußerungen derjenigen Abgeordneten, die zu
dem Gegenstand gesprochen haben, sehen wir am besten, wie
die politischen Parteien zu der Frage stehen, und an welchen
Stellen es gilt, aufklärend zu wirken, damit die noch vielfach
fehlende Einsicht von der Bedeutung eines Reichsgesundheits¬
ministeriums Platz greift und dann der Plan der Verwirk¬
lichung nahe gerückt wird.
Neben dieser Frage der Errichtung eines Reichsgesund¬
heitsministeriums waren es auf gesundheitlichem Gebiete noch
bei der Beratung des Hansbalts des Beicbsmin. des Innern im Reichstag. 248
einige andere Dinge, die zur Besprechung kamen, so besonders
die Tätigkeit des Reichsgesundheitsamtes, die Frage der Ein¬
führung der „Gewissensklausel“ bei der Impfung, die Bereit¬
stellung von Mitteln für Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
und der Tuberkulose; auch dieses ist wichtig genug, um in
Kürze wenigstens auf die hierüber stattgehabten Verhandlungen
hier einzugehen.
Wir lassen nunmehr die Aeußernngen der Beteiligten
folgen.
Der Herr Reichsminister Dr. Köster eröffnete die Be¬
sprechung über den Haushalt des Reichsministeriums für das
Rechnungsjahr 1922, indem er nach Bemerkungen über all¬
gemeine Aufgaben und über die Wichtigkeit eines Wieder¬
aufbaues des deutschen Volkes nach den schwerwiegenden
Kriegsfolgen fortfuhr:
„Um so wichtiger ist die Aufgabe, die das Reich in dieser Beziehung
hat. Ich verstehe durchaus, daß wie im vorigen Jahre, so auch in diesem
wieder an uns der Wunsch herangebracht worden ist, diese große sozial-
hygienische Aufgabe des körperlichen Wiederaufbaus des deutschen Volkes
auf ein eigenes Reiclisgesundheitsministerlum zu übertragen. Ich habe im
Ausschuß schon erklärt, daß ich der Ueberzeugung bio, daß wir zu einem
solchen Reichsgesundheitsministerium kommen. Ich habe aber auch erklärt,
daß nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus dem Grunde, weil
die Gesundheitspflege heute noch zwischen Ländern und Reich verteilt ist, an
eine sofortige Inangriffnahme dieser Aufgabe nicht zu denken ist. Ich habe
im Anschuß mitgeteilt, daß die Frage einer Reorganisierung des Reichs¬
gesundheitsamts, einer Erweiterung seiner Aufgabe, einer Modernisierung,
wenn es sie wirklich nötig hat, von mir in Angriff genommen wird und daß
ich bis zum nächsten Jabre dem hohen Hause eine Denkschrift vorlegen werde,
in der die Vereinheitlichung der heute noch auf eine Reihe von Ministerien
verteilten Stellen, in denen die Gesundheitsfragen des Reichs behandelt werden,
vorgeschlagen werden soll.
Ich mache Sie in dieser Beziehung auf eine weitere große Gefahr auf¬
merksam, die dem deutschen Volkskörper gesundheitlich aus dem Osten droht,
von den Tausenden und aber Tausenden von Flüchtlingen, die über unsere
Grenzen hereinströmen, ob wir das wollen oder nicht, und von denen zahllose
mit Krankheiten behaftet sind, die den deutschen Volkskörper bedrohen. Wir
haben auch in diesem Etat von Ihnen Mittel verlangt, die die Seuchen¬
bekämpfung ans dem Osten mehr als bisher ermöglichen gemäß dem immer
breiter werdenden Strome von solchen kranken Flüchtlingen, mit denen wir
rechnen müssen.“
Von den Abgeordneten sprach als erster Dr. Schreiber
(Zentr.), indem er u. a. die große physische Schwächung, an
der unser Volk heute durch Unterernährung, Tuberkulose,
Volksseuchen leidet, betonte, auf die Gefahr hin wies, die für
Deutschland besteht, wenn es finanziell und wirtschaftlich weiter
geschwächt wird und dann nicht mehr imstande ist, sich der
Seuchen zu erwehren, die bisher immer noch eingedämmt
werden konnten. Er setzte sich dann noch für Bereitstellung
von Mitteln zum Zweck der Tuberkulosebekämpfung und Be¬
kämpfung der Säuglingssterblichkeit ein, nahm aber nicht
Stellung zu der Frage eines Reichsgesundheitsministeriums.
Darauf äußert sich Abg. D. Mumm (D. Nat.), wie folgt:
„Die Rede des Herrn Reichsministers des Innern bot noch eine zweite
Ueberraschnng, nämlich die Ankündigung eines neuen Ministeriums. Wir
244 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines BeichsgesondheitsministeriiunB
haben ja in vergangenen Zeiten manch nenes Ministerium ans dem Reichsamt
des Innern heraas geschaffen, and ich erinnere mich sehr wohl der Zeit, wo
es hieß: jetzt ist das Reichsministeriam des Innern ein feines, kleines, vor¬
nehmes Ministerium geworden. Inzwischen ist dann allerdings viel Neues
hinzugetreten. Aber wenn nun der Herr Minister uns heute — ausgerechnet
in dieser gegenwärtigen Gesamtsituation — ein neues Reichsministerium an¬
kündigt, dann frage ich doch: ist das ein Beschluß des Kabinetts, der uns
hier mitgeteilt worden ist, oder ist das nur die Privatansicht des Herrn
Ministers? Ein neues Gesundheitsministeriuml Wenn wir unsererseits unseren
Bedenken, — die, soviel ich weiß, die Bedenken der Mehrzahl des Hauses
sind; so sah es wenigstens im Hauptausschuß aus — dagegen Ausdruck
geben, dann geschieht das wahrhaftig nicht aus dem Gedanken, als ob wir
die Pflege der Gesundheit irgendwie als geringwertig bezeichnen wollen, nein,
gerade aus der Ueberzeugung heraus, daß das, was bisher von seiten des
Reichsgesundheitsamts geleistet worden ist, nicht allen möglichen Experimenten
— die Mehrheitssozialisten schlagen das vor, die Unabhängigen Sozialisten
schlagen wieder etwas anderes vor; so war es im Hauptaasschuß — aus¬
gesetzt werden soll. Wir freuen uns, daß fttr die Bekämpfnng der Säug¬
lingssterblichkeit vermehrte Mittel eingesetzt werden können, und wir geben
der Hoffnung Ausdruck, daß wir auch auf diesem Gebiete weiter werden
voranschreiten dürfen.“
Am folgenden Sitzungstage (5. April) folgte der Abg. Dr.
Moses (U. Soz.), der nach absprechenden Bemerkungen über
die Einsetzung unzulänglicher Mittel zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose und der Säuglingssterblicheit (3 bezw. 2 Millionen, während
seine Partei B bezw. 4 Millionen beantragt hatte) zu der uns
hier beschäftigenden Frage folgendes ausführte:
„Und nun noch ein letztes Wort zu all . den Gesetzesvorlagen, die uns
von dem Herrn Mihister angekündigt worden sind. Er hat uns mitgeteilt,
daß ein Tuberkulosegesetz in Vorbereitung sei. Das Tuberkulosegesetz war
uns bereits im vorigen Jahr angekündigt worden. Der Herr Minister hat uns
weiter ein Irrengesetz angekündigt, dessen Notwendigkeit ganz besonders
Herr Kollege Kahl auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für
Psychiatrie ausführlich begründet hat. Herr Kollege Kahl will die Schaffung
einer Zentralbehörde für das Irrenwesen, und er will diese Behörde ein¬
gerichtet wissen als eine dem Reichsministerium des Innern angegliederte
Reicbsbehörde; er fordert als Leiter dieser Behörde einen Psychiater. Diese
Forderung ist für mich deshalb so wertvoll, weil ich als Leiter eines Reichs¬
gesundheitsamts einen Fachmann, einen Arzt, und nicht einen juristisch
vorgebildeten Verwaltungsbeamten fordere 1“
Der nächste Sitzungstag (6. April) brachte alsdann eine
ausführlichere Besprechung zum Kapitel Gesundheitswesen. Zu¬
erst sprach Abg. Dr. Grotjahn (Soz.) und führte folgendes aus.
„Während sich in allen Zentralbehörden des Reichs in den letzten drei
Jahren grundlegende und erfreuliche Wandlungen vollzogen haben, war davon
im Reichsgesundbeitswesen, soweit man von einem solchen überhaupt sprechen
kann, nichts zu verspüren. In Zeiten, die glücklicherweise hinter uns liefen,
hat die Medizinalverwaltung Preußens die Medizinalangelegenheiten des Reichs
sozusagen im Nebenamte mitverwaltet, — ein Zustand, der gegenwärtig
unhaltbar geworden ist, zumal die Verfassung des Reichs gerade auf dem
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege der Gesetzgebung und der Ver¬
waltung wichtige Aufgaben zuweist.
Anerkanntermaßen ist Deutschland das klassische Land der wissen¬
schaftlichen Hygiene. In recht auffallendem Gegensatz dazu steht aber die
Tatsache, daß das Deutsche Reich allein von allen Ländern Europas, seien sie
reich oder arm, seien sie alt oder neu, eine besondere zentrale Verwaltungs¬
behörde für die gesundheitlichen Aufgaben entbehren muß. Nun haben wir
ja allerdings ein Reicbsgesundheitsamt. Aber schon der Name ist irreführend,
denn es handelt sich dabei nicht um eine Verwaltungsstelle, Bondern lediglich
bei der Beratung des Haushalts des Reichamin. des Innern im Reichstag. 245
um eine Untersuchung»- und Gutachterstelle, die keine Verwaltungsbefug¬
nisse hat.
Die augenblickliche Tätigkeit des Beichsgesnndheitsamts ist etwas
undurchsichtig, da Verwaltnngsbericbte niemals erschienen sind. Man ist
daher gezwungen, sich aus den Veröffentlichungen des Amts ein Urteil zu
bilden, zumal es sich im wesentlichen um eine wissenschaftliche Tätigkeit
handelt. Da darf man denn doch wohl sagen, daß die Aasbeate an Publika¬
tionen innerhalb der letzten beiden Jahre sowohl quantitativ wie qualitativ
nicht als voll befriedigend bezeichnet werden kann. Wir haben da zunächst
die „Veröffentlichungen“, die allwöchentlich erscheinen und bei denen schon
der Name irreführend ist, denn es handelt sich hier vorwiegend um Notizen
und kleine Mitteilungen, in denen die Tierseuchen und die ausländischen
8euchen eigentlich den Hauptinhalt bilden, während gerade jener Teil der
Hygiene, der in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine so große Be¬
deutung gewonnen hat, das sozialbygienische Fürsorgewesen, fast vollständig
vernachlässigt wird. Als Beilagen erscheinen nun die „Arbeiten aus dem
Reichsgesundheitsamt“, von denen in zwei Jahren nur ein einziger Band
erschienen ist. Schon die Titel der Arbeiten, die dort veröffentlicht sind,
lassen erkennen, daß es sich hier um Aufgaben handelt, die auch von jeder
anderen Untersuchnngsstelle oder von Universitätsinstituten ausgefübrt werden
können, so daß ein Amt mit einem Personenstand von 200 Personen dafür
eigentlich nicht notwendig wäre. Ferner erscheinen die ^Medizinalstatlstischen
Mitteilungen“, von denen in den letzten Jahren als selbständiger Band nur
ein Band über die Heilanstaltenstatistik, also eine vergleichsweise nebensäch¬
liche und die Oeffentlichkeit wenig interessierende Statistik, erschienen ist.
Erkundigt man sich nun nach dem Teil der Statistik, der für die Grundlage
des physischen Wiederaufbaues am allerwichtigsten ist, nämlich nach der
Todesursachenstatistik, so findet man, daß eine solche Statistik nur in ver¬
streuten Abschnitten der oben erwähnten Amtsblättchen enthalten ist. Sie
erscheint in einer Form, die eines 60-Millionenvolkes unwürdig ist. Ich möchte
dabei nicht mißverstanden werden. Die Kritik, die ich an der Todes¬
ursachenstatistik und an allen diesen Publikationen übe, soll sich nicht gegen
die Persönlichkeiten richten, die diese Publikationen mit ihrem Namen zu decken
haben, weder gegen den Statistiker von Ruf, der die medizinische Statistik
im Reichsgesundheitsamt bearbeitet, sondern es soll lediglich eine Kritik der
Organisation sein und eine Feststellung, daß das Amt augenscheinlich in der
Stellung, die es augenblicklich einnimmt, sich nicht in dem Maße durchzusetzen
vermag, wie es wünschenswert wäre. Wir können eine Todesurxachenstatistik
verlangen, die schnell und rechtzeitig mit Hilfe der Länder herausgegeben
wird. Ich glaube, daß die Todesursachenstatistik nicht von der Bevölkerungs¬
statistik, die Bevölkerungsstatistik wieder nicht von dem allgemeinen Statisti¬
schen Amt losgelöst werden kann. Ich möchte deshalb den Herrn Reichs¬
minister des Innern bitten, Bich zu überlegen, ob es nicht besser wäre, auch
die Todesursachenstatistik dem Reichsgesundheitsamt wieder zu nehmen und
sie in das statistische Reichsamt zu überfuhren.
Wir finden unter den angeforderten Summen auch einen Betrag von
800000 Mark für die Typhusbekämpfung in Mitteldeutschland. Die Typhus¬
bekämpfung ist eigentlich Sache der örtlichen Behörden, sowohl der Medizinal¬
beamten als auch der Gemeindeverwaltungen, und ich verstehe nicht recht,
warum das Reich hier plötzlich für einen umschriebenen Bezirk eine solche
Typhusbekämpfung inauguriert. Ich habe beinahe den Eindruck, als ob hier
wieder eine Beschäftigung für einen Apparat gewonnen werden soll, der durch
Abtretung von Gebieten im Westen und Süden des Reiches frei geworden ist.
Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß diese Summe im nächsten Etat
nicht wieder erscheint; denn es hat keinen Zweck, den Landes- und Gemeinde¬
behörden diese Aufgaben abzunehmen. Auch versiehe ich nicht recht, wie
man fünf Cntersuchungsämler in einer Gegend ei richtet, in der vier Univer¬
sitätsstädte liegen, und daß man zwei Untersuchungsämter dort noch ein¬
richtet, wo, wie in Halle und Jena, schon solche Universitätsinstitute vor¬
handen sind.
Man hört häufig die Ansicht aussprechen, das Reich hätte zum Unter¬
schied von den Ländern keine lokalen Medizinalbeamten und brauche daher
246 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines Beicbsgesondheitsministerioms
ancb keine einflußreiche Zentralbehörde für gesundheitliche Aufgaben.
Nun, daß ist ein Irrtum. Tatsächlich unterhält das Beich durch seine
Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung bis in das kleinste Dorf hinein
unmittelbare Beziehungen zur öffentlichen Gesundheitspflege. Aber das soziale
Versicherungswesen gipfelt jetzt im Beichsarbeitsministerium, wodurch sich
die sonderbare Tatsache ergibt, daß die gesundheitlichen Zentralbehörden des
Beichsministeriums des Innern von jener Stelle getrennt sind, die für die Volks¬
gesundheit die größte Bedeutung erlangt hat, nämlich vom Beichsversicherungs-
amt. Ich möchte doch den Herrn Beichsminister des Innern bitten, zusammen
mit dem Herrn Beichsarbeitsminister zu überlegen, ob es nicht an der Zeit ist,
sowohl das Beicbsamt als auch die medizinische Unterabteilung des Beichs¬
ministeriums des Innern in das Reichsarbeitsmiuisterium zu verpflanzen, also
in die unmittelbare Nähe des Beichsversorgungswesens und des Beichsver-
sicherungsamts. Wir brauchten dann kein besonderes Gesundheitsministerium,
sondern hätten dann schon ein solches, und zwar, ohne daß uns dadurch
irgendwelche Kosten entständen. Meine Freunde hatten einen diesbezüglichen
Antrag im Ausschuß gestellt. Wir wiederholen diesen Antrag hier nicht, da
er in diesem Jahre dort keine Mehrheit gefunden hat, und weil uns der Herr
Beichsminister des Innern im Ausschuß zugtsagt hat, eine Denkschrift über
die Neuorganisation der gesundheitlichen Beichsbehörden ausarbeiten zu lassen!*
Es folgen dann noch Ausführungen über die Bekämpfung
des Alkoholismus, wobei auf das Experiment, das die Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika mit der Prohibition gemacht
haben, hingewiesen wird, ohne daß sich der Redner darauf fest¬
legen will, ob diese Form der Alkoholbekärapfung für unser
Land das einzig Richtige ist, und der Antrag gestellt wird,
daß seitens der Reichsregierung eingehende Ermittlungen über
die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sittlichen Wirkungen
der Alkoholgesetzgebung in den Vereinigten Staaten angestellt
und danach Folgerungen für die deutsche Gesetzgebung ge¬
zogen werden sollen. Schließlich spricht Grotjahn für die
Einführung der Gewissensklausel bei der Wiederimpfung, ohne
einen besonderen Antrag darüber zu stellen. Er erklärt aus¬
drücklich, nicht Impfgegner, vielmehr von der Nützlichkeit des
Impfschutzes überzeugt zu sein; nur sei es fraglich, „ob die
kostspielige und in manchen Bevölkerungkreisen wenig beliebte
rigorose Art, Hygiene zu treiben, wie sie durch den Impfzwang
gegeben ist, nun bis in alle Ewigkeit weiter fortgesetzt werden
soll.“ Die in England seit 25 Jahren herrschende Gewissens¬
klausel habe nicht dazu geführt, daß die Pocken wieder ins
Land hineingekomraen seien, obwohl in England bereits 50°/ 0
aller Kinder nicht geimpft werden. Es wird zum Schluß die
Bitte an den Herrn Reichsminister ausgesprochen, diese Frage
der Einführung der Gewissensklausel, die auf jeden Fall wieder¬
kehren werde, von seinen Medizinalräten von neuem prüfen
zu lassen.
Der nächste Redner, Abg. Streiter (D. Vp.) begrüßt die
deutschen Bestrebungen zur Verbesserung der hygienischen Zu¬
stände und zur Bekämpfung der Seuchengefahr in Rußland, er
hält reichsgesetzliche Regelung über die Ausbildung und Prüfung
des Krankenpflegepersonals für nötig und wünscht im Reichs¬
gesundheitsrat auch Vertreter des Pflegepersonals. Dem Ge¬
sundheitswesen im Deutschen Reich werden anerkennende Worte
gewidmet.
bei der Beratung des Haushalts des Reichsmin. des Innern im Reichstag. 247
Darauf erneuert Abg. Dr. Moses (U. Soz.) seinen schon
wiederholt eingebrachten Antrag auf Errichtung eines eignen
Reichsgesundheitsrninisteriums mit folgenden Worten:
„Wir haben unseren Antrag wieder eingebracht, den wir schon in der
Nationalversammlung gestellt und im vorigen Jahre wiederholt hatten, den
Antrag nämlich auf Errichtung eines eigenen Reichsgesnndheitsministerlnms
mit einem Fachmann an der Spitze. Ich habe mich im vorigen Jahre aus¬
führlich über die Notwendigkeit der Errichtung eines solchen Ministeriums
ausgelassen und verweise hier anf die Ausführungen, die ich damals gemacht
habe. Ein Fortschritt ist jedenfalls erzielt worden. Der Herr Minister hat
nämlich im Ansschuß und anch hier im Plenum erklärt, anch er sei überzeugt,
daß diese Forderang über kurz oder lang in Deutschland in die Wirklichkeit
umgesetzt werden würde. Welche Gründe ihn dazu geführt haben, weiß ich
nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß in einer ganzen Reibe von
Staaten, zuletzt, will ich nur sagen, in England 1919, in Frankreich 1920, in
Rußland 1919, in Polen 1919, in Jugoslawien 1919, in der Tschechoslowakei
1919, in Ungarn 1920 usw., solche Reichsgesnndheitsministerien errichtet
worden sind, und zwar unter dem Druck der ungeheuren Verhältnisse, die der
Krieg ans hinterlassen hat.
Es sind ja überwiegend Bedenken finanzieller Natur, die die meisten
• davon abhalten, einem solchen Anträge ihre Zustimmung zu geben. Der Herr
Minister bat uns versprochen, daß er dafür sorgen werde, einmal rein finanziell
all diese Positionen zusammenstellen zu lassen, die sich in den verschiedensten
Ministerien mit den Problemen der Gesundheit nnd der Gesundung des Volkes
befassen. Ich bin überzeugt, wenn alle diese großen Positionen rein zahlen^
mäßig zusammengefaßt werden, daß der Herr Minister selbst erschreckt sein
wird über die angehenreu Summen, die hier in den verschiedensten Ministerien,
verschieden verteilt, aaxgegeben werden, und daß es finanziell keine Belastnng
sein würde, wenn wir ein neaes Gesandheitsministeriam errichten, sondern im
Gegenteil auch finanziell gesprochen eine Entlastung. Aber wir werden ja
abwarten, was ans dem heranskommt, was der Herr Minister versprochen hat.
Ich will auf die vielen sonstigen Gründe, die mich dazu geführt haben,
den Antrag immer wieder zu stellen, nicht näher eingehen. Ich sagte ja schon,
aus welchem Grnnde ich das nicht tnn will. Nnr eines: mir ist in den letzten
Tagen von einem alten bewährten Arzt etwas sehr Interessantes zngeschickt
worden. Unsere Forderung lautet auch, daß an die Spitze eines solchen
Reichsgesundheitsministeriums ein Fachmann gestellt werden soll. Für andere
Länder ist das eine Selbstverständlichkeit. Bei uns steht an der Spitze eines
Beichsgesnndheitsamts nnd vielleicht anch eines neu zu errichtenden Reichs-
gesnndheitsmlnisteriums ein Verwaltnngsbeamter, ein Jnrist. Das ist für
Deutschland nichts Ungewöhnliches. Da ist es nun interessant, wenn ich Ihnen
noch — und damit bin ich schon am Ende meiner Rede — eine Kabinetts¬
order Friedrichs des Großen vom 1. Febrnar 1784 vorlese. Diese Kabinetts¬
order ist an seinen Minister v. Hagen gerichtet nnd lautet:
„Bester Rat, besonders lieber Getreuer!
Es bat mich gewundert, ans Eurem Bericht vom 80. Jannarii zu er¬
sehen, daß der beym Kammergericht gestandene Präsident von Rebour
zugleich die Direktorstelle beym Ober-Collegio-Mediko mit einem Traktament
von 200 Talern gehabt hat Wie schickt sieb denn der Justiz Mann zu
dem medizinischen Fach; davon versteht er ja nichts, und soll auch keiner
dergleichen wieder dabei gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu ein guter
und vernünftiger Medikus, und mnß man suchen einen solchen dazu vor¬
zuschlagen; der schickt sich eher dahin als einer von der Justiz, welches
ich Euch also hierdurch erkennen geben wollen, umb Euch hiernach zu
richten.“
Ich brauche also zu dem Antrag, daß an der Spitze des Reichsgesundheits¬
ministeriums ein Fachmann stehen soll, keine bessere Begründung zu geben,
als die Friedrich der Große vor über 100 Jahren- gegeben hat.
Der Abg. Dr. Mumm (D. Nat.) hat „auf den Wunsch nach
Schaffung eines besonderen Gesundheitsministeriums in dieser
Stunde nur die eine Antwort: Reichsgesundheitsamt.“
248 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines Beicbsgesnndheitsmin. usw.
Zum Schluß verteidigt Dr. Bumm, Präsident des Reichs¬
gesundheitsamts, die Arbeit seiner Beamten und seines Amts.
Br versichert, daß „durchgehends mit treuer Hingabe und mit
allen Kräften, mit Freude und mit Aufopferung“ die Beamten
ihre Pflicht erfüllen.
„Aber leider kommen eben ihre Leistangen nicht anmittelbar für jeder¬
mann zar Erkennung, sondern sie stecken darcbgehends in der großen Anzahl
von Gesetzen, Verordnungen, Anweisungen und Vorschriften, die vom Reiche
oder auf Veranlassung der Beichsverwaltung oder auf Grund von Beschlüssen
des Beichsrats von den Landesregierungen erlassen werden. Das Reichs¬
gesundbeitsamt ist nach seiner Organisation nicht in der Lage, selbständig
nach außen mit Anordnungen, Kundgebungen, Gesetzesvorschlägen und der¬
gleichen hervorzutreten, es ist nur eine beratende und begutachtende Behörde
für die Zentralstellen des Reichs.*
An Berichten und Gutachten pp. werde vom Gesundheits¬
amt alljährlich sehr viel geleistet, die Aufgaben, die es zu er¬
füllen gebe, seien reichlich. Gegenüber den Klagen des Abg. Dr.
Grotjahn über allzu geringe und zu wenig interessante Arbeiten
in den „Veröffentlichungen des Reichsgesundheitsamts“ wird-
darauf hingewiesen, daß diese Wochenschrift anerkanntermaßen
die einzige Quelle sei, die über den jeweiligen neuesten Stand
jder Krankheiten unter Menschen (und Tieren) innerhalb des
Reichsgebietes Auskunft gibt. Hinsichtlich der „Gewissens¬
klausel“ bei der Impfung sei unter Berufung auf Virchow es
das „Verfehlteste, was man tun kann“, das Impfgesetz zu
lockern.
Am Schlüsse der Sitzung wurde der Antrag Moses auf
Einrichtung eines eigenen Reichsgesundheits-
ministeriumsabgelehnt.
Angenommen wurde der Antrag Moses und Genossen,
die Summe der zur Bekämpfung der Säuglingssterb¬
lichkeit und für die gesundheitliche Kleinkinderfürsorge auf¬
zuwendenden Mittel von 2 auf 4 Millionen Mark zu erhöhen.
Abgelehnt wurde ein ähnlicher Antrag, die zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose aufzuwendenden Mittel statt
mit 3 Millionen mit 6 Millionen Mark zu beziffern. —
Ueberblicken wir diese inhaltsreichen Reichstagsverhand-
lungen, so müssen wir auf der einen Seite mit Bedauern fest¬
stellen, daß die Notwendigkeit der Errichtung eines eignen
Reichsgesundheitsministeriums (mit einem Fachmann an der
Spitze) im Parlament erst bei einer einzigen Partei erkannt
wird. Ein Fortschritt ist es aber zweifellos, daß man sich an
der jetzt maßgebendeden Zentralstelle nicht mehr der Einsicht
verschließt, daß wir zu einem solchen Ministerium kommen
müssen. Das Reichsgesundheitsamt, dessen Verdienste gewiß
nicht unterschätzt werden sollen, ist auch bei etwaiger Um¬
organisation nicht als vollwertiger Ersatz für das zu fordernde
Ministerium anzusehen.
Daß namhafte Mittel für die Bekämpfung der Säuglings¬
sterblichkeit bewilligt worden sind, ist erfreulich. Es wäre zu
wünschen gewesen, daß auch die Mittel zur Bekämpfung der
Dr. med. Dreaw: Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 249
Tuberkulose eine Erhöhung erfahren hätten; immerhin ist mit
der bewilligten Summe schon etwas anzufangen.
Die Einführung der Gewissensklausel ist abgelehnt.
Hoffentlich wird ihr dieses Schicksal jedesmal, wenn sie wieder
auf die Tagesordnung kommen sollte, zuteil!
Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten.*)
Von Polizeiarzt a. D. Dr. med. Dreuw-Berlin, Facharzt für Geschlechtskrankheiten*
Der dem Ausschuß des Reichstags überwiesene Regierungs¬
entwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wirft eine
Reihe von Fragen auf, die für die Zukunft unseres Volkes —
haben wir doch ca. 10 Millionen Geschlechtskranke — von
größter Bedeutung sind. Jeder Gesetzentwurf muß eine leitende
Idee haben. Der Grundgedanke des Regierungsentwurfs ist die
sogenannte „beschränkte Anzeigepflicht“, d. h. das „Anzeige¬
recht“, d. h. in Wirklichkeit die „Anzeigewillkür“ des Arztes,
ein Prinzip, das jeder fortschrittlichen, gerechten und wirkungs¬
vollen Auffassung widerspricht. Daher hat auch die Preußische
Landesversammlung nach schweren Debatten dieses System
abgelehnt und hat sich für das von mir seit 1916 verfochtene
System der „allgemeinen, gleichen, diskreten Anzeige- und
Behandlungspflicht“ ohne Namensnennung an ein zum strengsten
Stillschweigen verpflichtetes Gesundheitsamt ausgesprochen, das
die Patienten unter einer bestimmten Chiffre, die ihm vom
Arzte mitgeteilt wird, registriert und erst dann das Recht hat,
sich nach dem Namen des Betreffenden zu erkundigen, wenn
dieser gröblich seine Pflichten verletzt. Dieses System funktioniert
in Amerika mit großem Erfolg (S. S.421 der „Sexualrevolution“).
Wenn der jetzige Regierungsentwurf mit seiner Anzeige¬
pflicht Gesetz würde, dann gestalteten sich die Verhältnisse,
an einem praktischen Beispiel demonstriert, etwa folgender¬
maßen: Angenommen, ein Herr Müller ist geschlechtskrank
oder fürchtet, es zu sein, so ist er verpflichtet, ob er Geld
hat oder nicht, sich von einem approbierten Arzt behandeln zu
lassen. Der Arzt hat ihn nun über die Art der Krankheit und
die Ansteckungsgefahr aufzuklären und händigt ihm ein amtlich
genehmigtes Merkblatt aus. Nunmehr fängt der Arzt, der doch
schließlich auch nur ein Mensch und menschlichen Versuchungen
unterworfen ist, gemäß dem § 8 des Gesetzentwurfes an, zu
überlegen, ob nicht gerade dieser „Patient infolge seines Be¬
rufes oder seiner persönlichen Verhältnisse andere besonders
*) Eine kritische Würdigung der beiden Gesetzentwürfe sowie die Aus¬
landsgesetzgebung findet sich in meinem Buche „Die Sexualrevolution“. Verlag
von Ernst Bireher-Leipzig. 644 Seiten. Eine zosammenfassende Dar¬
stellung des gesamten Problems (82 Seiten) findet sich in meiner Broschüre
„Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“. Berlin W. 30. Bitter-
T er lag, Neue Winterfeldstr. 82.
250
Dr. med. Dreuw.
gefährdet“. Kommt er zu diesem Ergebnis, was natürlich in
100 v. H. der Pall ist, da jeder Geschlechtskranke eine große
Gefahr darstellt, dann ist er, ebenso, „wenn der Patient sich
der ärztlichen Behandlung entzieht“, verpflichtet, den Patienten
der sogenannten Beratungsstelle zu melden. Also der reine
Schnüffel- und Bütteldienst I Der Beratungsstelle ist der Patient
auf Gnade und Ungnade ausgeliefert und hat ohne Berufungs¬
recht den Anweisungen Folge zu leisten. Folgt er nicht, so
hat die Beratungsstelle der Gesundheitsbehörde Kenntnis zu
geben. Wer diese Behörde ist, wird nicht gesagt. Aber diese
völlig in der Luft schwebende Gesundheitsbehörde hat das
Recht, nach Belieben Personen, die dringend verdächtig sind,
geschlechtskrank zu sein und diese Krankheit weiter zu ver¬
breiten, anzuhalten, daß der Betreffende ein ärztliches Zeugnis
über den Gesundheitszustand vorlege oder sich der Unter¬
suchung durch einen behördlich ermächtigten Arzt unterziehe.
Die Gesundheitsbehörde kann also jedermann, ob geschlechts¬
krank oder auch nur verdächtig, zwangsweise einem Heil¬
verfahren unterziehen, und zwangsweise in ein Krankenhaus
bringen, wenn dies zur Verhütung der Krankheit erforderlich
scheint. Der Willkür der Beratungsstellen kann jeder Deutsche,
der auch nur verdächtigt wird, geschlechtskrank zu sein, aus¬
geliefert werden. Unter dem Namen einer Gesundheitsbehörde*)
*) In einer Broschüre „Gesetzgeberische Sexualdiktatur“ schreibt der
Verfasser Dr. jur. med. et rer. pol. B. S p u h 1 über den Regierungeentwurf:
„Wer ist die zuständige Gesundheitsbehörde? In der Praxis wird sie dar¬
gestellt durch einen Schutzmann, durch einen Angestellten der Sittenpolizei
oder noch schlimmer, durch Leute, die diesen Schnüffler-, Spitzel- oder Büttel¬
dienst leisten. Man muß sich dieses praktisch vergegenwärtigen: Herr
Schulze macht (da er ja keine Verantwortung trägt) ohne jedes Risiko einen
Herrn Müller von der Gesundheitsbehörde darauf aufmerksam, daß die Frau
seines Freundes und Gegners Namens Mayer ihm verdächtig erscheint, ge¬
schlechtskrank zu sein. Jetzt kommt zu diesen Leuten, nämlich zu Familie
Mayer, der im ganzen Ort bekannte Beamte und fordert die Untersuchung,
oder es wird an die Familie Mayer ein Brief geschrieben, der in Form,
Farbe usw. in der kleinen Stadt natürlich bekannt ist und so wird Frau
Mayer zu einer Untersuchung aufgefordert. D. h. obwohl überhaupt noch
nichts festgestellt ist, wird im ganzen Ort über den Fall gesprochen und auf
der Familie lastet von vornherein ein schweres Odium. Nun kommt Frau
Mayer wirklich diesem Gesetze nach und geht zu dem Arzt. Da sie gesund
ist, kann der Arzt nichts finden; weil aber alle Geschlechtskrankheiten das
Unangenehme haben, daß in gewissen Zeiten Stadien vorhanden sind, in denen
Erscheinungen noch nicht oder nicht mehr feststellbar sind und ein gewissen¬
hafter Arzt zwei oder drei Untersuchungen vornehmen muß, so ist die ganze
Stadt davon überzeugt, daß, wenn Frau Mayer sogar zwei- oder dreimal zum
Arzt geht, sie nicht nur verdächtigt, sondern auch daß sie geschlechiskrank
ist. Was haben die Aerzte für Schwierigkeiten bei der Diagnose und wie
schwanken dabei die Entscheidungen! Ich erinnere hier nur an die Blutunter¬
suchungen nach Wassermann, die seitens der verschiedensten Aerzte außer¬
ordentlich verschieden bewertet wird. Wer hat laut § 9 ein berechtigtes
Interesse, als dritter von den Beamten der Gesundheitsbehörde über die Ge¬
schlechtskrankheiten eines anderen Mitteilung zu erbitten? Der Ehemann, der
Verlobte, oder auch der Knecht oder die Magd i Oder alle die Leute, die die¬
selbe Toilette benutzen müssen? Oder vielleicht anch sogar der Wucherer,
der bei der Vergebung eines Darlehns genau wissen muß, wieweit die Syphilis
seines Schuldners vorgeschritten ist?“ \
GeseUliche Bekämpfung dor OftscLkcbtalsrankhiMten. 351
wird die Sexualpolizeiauf ca, 60 Millionen Menscher» ausgedehnt
und eine Kultursklaverei ■ schlimmsten Stils eingeSüfcrt.
Ein anderer, vors mir herruh render Oesetze?itwurh der aut
der allgemeinen, gleichen,. diskreten Anzeige- und Behsndlurigs»
pfliehtj dem von mir sogenannten ^I>i8krep6i3»t»us 4 '^henibt^
würde, wie sieh an folgendem Beispiel zeigt, eine «dich« Sklaverei
ausschalten und die ängesitebten Ziele deiinoeh erreichen:
Angenommen, Herr Albert M ü Iler, geboren ara 17. März 1883
zu Breslau, befürchtet, gosohlechtslCrank , zu m«. Baun wäre
er Verpflichtet-, sic!» auf Staatskosten von e>ioero, für .GeSöbleehts-
krankbeiten staatlich zugelässeneh Arzt imtersuehcu -zu- lassen,
Dem Arzt teilt er seine richtige Adresse raU v wird von ihm
aufgeklärt, erhält ein Merkblatt/ und wird vom Arzt dem/Zur
strengsten Diskretion verpflichteten' Gesu.ridh.eifsmnt mit den
Anfangsbuchstaben seines Namens, Geburtsortes, sovae der drei
Gcbnrtszahlen gemeldet. Also I I. 3/83. B.
Jede Verwechslung ist somit ausgeschlossen und die Diskret io«
bleibt gewahrt. Nur der Arzt /weiß, von tU i Krankheit. Von
diesem Augenblick an ist liew Müller verpflichtet, jede Woche
einmal dem diskreten G esundheit samt tn der Stadt, wo er die
erste Meldung dem oben .angeführten Zeichen
ein von einem attesüe<rfähfg*ft deutschen A rztfausgelülltes Ein-
2ch?eibeforrr»iiIar zu senden, l/ntersuchung. Behandlung und
Attest müßieit bei zahlurigsuu fähigen Patienten auf Staatskosten
geschehen. / Däuft der Binschndbebri^ hat das
Gesundheitsamt da» Recht, nach weiterem achttägigem Warten
beim ^rkt'ejp. Arzt sich nach : Ablfn 'zu • etkupdigen und
den DÄtienten/^wAter Berechnung eirtei' sofort vollstreckbaren
Strafgehühr uni Einsendung zu ersuchen. Tot er dies auch
jetzt, noch nicht, dann - erst kann er in. zwangsweise Behand¬
lung gebracht Werden, Kommt er immer noch seiner Pflicht
nicht nach, wird er bestraft,Alle Akten und Aufzeichnungen
müssen Unbefugten liözugängiieh sein- Ist der Patient für
gesund; erklärt, schickt er ein’Schiuüatuch ein.
Durch dieses System wird auch die Prostil utionsfragc ge¬
löst. Sittenpolizei und. .Beglernent.iemng wird abgeschäflt, die
KontröHmädchert werdfjü Birrgertluveti wie alle anderen und
werden nicht- mehr geheiztuod gejagt. Sie haben, •.
andere GoseMechtskranke, auf Staatskosten wöchentlich den
Nachweis der Öesundbeit an das Gcsundhciti-amt- zu erbringen.
Pa sie aber, der Praxis ■ 'däuffchfl kfaftk oder krankheits»
verdächtig und besonders /gefährlich sind,. den Kanlw
weis dreimal wö&heniheH orbrbgoo. Jeder nr tesS ierhihigo deutsche
Arzt darf; sie auf Staatikxfeten untersuche«. Bei einer Er-
krankung müssen sie u«te» .strenger SirafändrehiHtg sofort vom
Arzt aus das Krankenhaus' aubmehen. Höhere aU die staatlich
festgesetzte Taxpreise darf der Arzt nicht nehmen, iiisbesondero
nicht direkte Bezabliurg von dön MSdehen selbst. Pin Pflöge--
amt kümmert sich um die sozialen und Wirtschaft liehen Ver¬
hältnisse, soweit sie dem Gesundheitsamt HemAmg ihres/Nanaens
252
Dr. med. Dreuw.
gestatten. Man erkennt also die strenge Scheidung zwischen
der Polizei, die sich nur um die Auirechterhaltung der Ordnung
und der Sitte zu künpmera hat, zwischen dem reinen medi¬
zinisch-sanitären Gesundheitsamt und dem Pflegeamt.
Zunächst sei bemerkt, daß nach englischen und fran¬
zösischen Statistiken ca. 25 °/ 0 geschlechtskrank sind, also auch
voraussichtlich bei uns. Die Regierungsstatistik, wonach 1913
in den zehn größten Städten mehr krank als 1919 waren, ist
sicher nicht richtig. Der Regierungsentwurf ist im übrigen
eine Unmöglichkeit. Das Prinzip war nämlich fast wörtlich
vom Jahre 1835 bis 1905 in Preußen als sogenanntes „Regulativ“
Gesetz. DeT'§ 65 besagte: „Anzeige an die Polizeibehörde muß
bei einer Strafe von fünf Talern erfolgen, wenn nach dem Er¬
messen des Arztes nachteilige Folgen für den Kranken selbst
und für das Gemeinwesen zu befürchten sind.“ Heute als § 8
Regierungsentwurfes: „Anzeige erfolgt an die Beratungsstellen,
wenn der Kranke sich der ärztlichen Behandlung entzieht oder
infolge seines Berufs oder seiner persönlichen Verhältnisse andere
gefährdet. Kommt er den Anweisungen (welchen?) der Be¬
ratungsstelle nicht nach, so hat diese der Gesundheitsbehörde
(Wer ist das?) Kenntnis zu geben.“ Also der fast wörtliche
Abdruck des „Regulativs“ von 1835. Nur statt des klaren Be¬
griffs „Ortspolizeibehörde“ der verschwommene Kautschukbegriff
„Beratungsstelle und Gesundheitsbehörde“. Also noch ein
Nachteil.
Wie hat sich dieses Regierungssystem (Blaschko-D.G.
B.G.) nun bewährt? Hierüber schreibt das Ehrenmitglied der
privaten D. G. B. G. Ministerialdirektor Kirchner, der das Regu¬
lativ noch in Tätigkeit sah: „diese Art hat große Bedenken.
Sie ist ln das Ermessen des Arztes gestellt und von Bedin¬
gungen abhängig, deren Vorhandensein oder Fehlen der Arzt
in vielen Fällen gar nicht beurteilen kann. Sie ist weder Fisch
noch Fleisch. Der Arzt bekommt eine Verantwortung, die er
eigentlich gar nicht tragen kann. Meines Wissens hat kein
Arzt jemals diese Anzeigepflicht beachtet.“ Privatdozent Dr.
Christian, der Rassenhygieniker, schreibt (Oeffentl. Gesund¬
heitspflege, 1921, S. 631), daß wir auf diese Weise „gewissen¬
hafte Aerzte bekommen, die nichts mehr zu melden haben
und weniger gewissenhafte, die nichts melden“. Also dieser
70 Jahre alte Ladenhüter ist für die moderne Aerzteschaft
völlig unbrauchbar. Daß er wieder hervorgeholt wurde, ist un¬
begreiflich.
Nun soll die Meldung an die von Blaschko eingeführten
Beratungsstellen gemacht werden.
Im ganzen Königreich Sachsen meldeten in drei Jahren:
1916, 1917, 1918, nur 99 (!) Aerzte je einen Patienten allen
Stellen zusammen. In Deutschland waren 1919 122 solcher
Stellen. 1918 berieten sie 33078 Patienten, d. h. jede durch¬
schnittlich im Jahre etwa 330 Patienten, d. h. täglich einen
einzigen.
Beiciimpfang öe8<iilfr(jhtjs)S?iiokh^i9rt;
ÄS
Das Reicihsverßic^rungsjimt gibt bek&i. ; : ■
184 BeratuRgsst^ileir» fßr vörhorfd»*!!' warn«,
di«? trotz; "der gewaltigen'Ifeklame 107 995 . ;
(18898), Krarike«hä«ser.H: (t&lOü), Müitärvv • , . ^ ;
und andere« Stelteii übprwiesBTi wurden. Ai^ erat unt
stelle hatte hei Millionen Kranken (*) Ulg’B M je • » >
und je eine überwiesene Meldung. Bei der*' •;<«« IfakJjüw)
mit Films, Behörden, Vorytcdiungen, Äftfnm • <■•
ein Resultat, bei dfem ; . jadcf 'anaeirö : .>ip|4yAie .|5flr}oir*i.A»g dm
BanAerott anrnüiden rnüiit,!*. Em Pmakfürler Atsi •-..
Meldungen tägbch ohne Reklame.
ln Nr, SB der t&vfofcti" Ptttefs*' hrkUirt^
1 -..w $3 •: .„ f-... ,-•- 1 .. aK..;,«! _ 7 *.:* ‘ .
Dr. G h ri st i a n die „Schlau en(;die feö^usbAkoÜMU^ß- bij%i}. daii
man in den Beralung-ssteilen eine Biutuub. • • ■ • -
halten kan«. Dir 1 fhdähriifske» aber werden rdhwL;
Dr.
Nr.
haben kann. Die Gefährlichen aber werdeu niein e
Dr. Hodaun »uhreibi im „Archiv für ■-• •*. ;•-
1920
1 , daß! von «K> Kranken jhner rhemß.üh^
ml
stelle nur ein einziger trotz aüer Ermahnuogv.ri •; •
aulsuchte. Und 90 Prosent aller Kranken jna&gn tffash nanh
Philip flieht grüadileb hohaudviö. Wie sollen diese gwsw
werden? Durch die BeratuogsstollHa oder .
Äo^etgepftich! ? Dies atiaunehmen. Ist ^absurd "ttm-
su nehmen''. Millionen Gelder werden durch diese UdiHö uot-z-
los verschwendet.
Was sagt nun die^ _dje Öaphynr?t 4 ndi^f. ; das
Parlament u&w. ;$l$jir: dcn'-^Di^feretiAi^ite'jSs^ pty: prctv&feö«**
Landesversämmlung .»ahm. ihn trotz aller (•■ , <■■ : r.-
25 . Februar 1920 ao. Der Vertreter Preußens ist dttkat ver*
pöichtet. im Reichstage dafür einzutföten.
•. lieber tneioe Vorschläge fin meinem Buche ,Div . '• •.!■*;! • ■ :
liegen u. a. folgende Ur/.e«Je vor. Geh. 'jfustizm Dr. A '
flitzende der Gesellschaft, ftfr sozWes Reckt; „Die £• Jam&tfybiw&ft”- kalies
sich fern von traditionellen V^rflftidlßo, dm sex na) ky £i>fljjwhe U‘>*ucjt dev
„Stexaalrerc'lution“ wird dwn ZeU^ti-vtc als .festen gereckt.' - .
Uirektör des Hygienischen UnlvturBit'atsiofltjtätß in .V«nch?ö - .■> An J r *t>-
P . 'Bache, bnl mich besonders die Änzeigepöieht inf«t>ai*ii».*rv . üil#;
{Jarchaus JMtf dem Standpunkt, <1«Ö ohne aiigernme u: .* • '..,. >
nicht Äasrnkoßuaen iai.“ Okeriandeakericktsfat l)f, jr&r.et puit hu $*«.»)
Kiel; „Jeder objektiv urteilende, unbefangene Leser wi--.i rjcf-iumzh v.
4ie Wacht des von Drenw keigobrachtön Bew»t.;c.nikl^m |^S WWHK
etdrückend wl Trotz aller aDftindaf.gee hat er denn u<« w:Wi:/>cVeu
Trvamph erlebt, daß sowohl die könstituierende jirenöisc!
durch Annahme eines Gesetzentwurfes Vöül %&.. ifehrtuu' WjA AVeli. ;U’t
lv.____ tr.z V ;v. ;i?nU V-.. ;s. - .... :r - : - ....
Pflicht bei allen öesckletktskranbia dürchuug teUen/’
Difln)Königsberg);' „ 0 erG^danködesÖreo wsehen Dsktim^i , aha£^lS^t*cb-e;r
nad wird in Bälde za einem Woitbekefrsuheoden werden, c
Stand müßte geschlossen für den Dtiakretionismaa eim . - ».■ a -
flngeht and alle beschäftigt,“ Der bekannte Sozia:.-• v> : .. .
264
Dr. med. Drenw.
W. Sch ve isheimer schreibt in den „Münchener Neuesten Nachrichten 11
über die Sexnalrevolntion: „Ob die D re a wsehen Vorschläge richtig sind,
darüber läßt sich vielleicht oder sicher streiten. Aber besser ein nener and
vielleicht steiler Weg, als das dampfe Arbeiten and Mühen, das die jetzige
staatliche GeschlechtskrankheitenbekämpfoDg darstellt and dessen Ergebnis-'
losigkeit an dem Erfolg des im Tretrade sinnlos sich abmühenden Hundes
erinnert. Vor allem leuchtet den Dreawschen Vorschlägen ein Licht voran,
das auf jeden Fall, was man anch beginnen mag, den ersten Schritt znr erfolg¬
reichen Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bilden maß and wird. Ver¬
bohrte Energie zar Darchführang des als richtig Erkannten ist nötig. Das
Lebenswerk Drenws weist dieselbe verbohrte Energie aaf, die Jenner,
Semmelweis, Robert Mayer nsw. gekennzeichnet hat. In dem Bache
wird etwas Neues gegeben, hier wird Leben gebracht in den stagnierenden
Sampf, der sich staatliche Geschlechtskrankheitenbekämpfang nennt. Die
„Deutsche Gesellschaft zar Bekämpfang der Geschlechtskrankheiten" gibt sich
redlich Mühe, aber was ist das Ergebnis?: MißerfolgI Mißerfolg 1 MißerfolgI
Immer dasselbe larmoyante Lied. Nan kommt das Dreawsche Bach and
zeigt neue Wege.“
In ähnlichem Sinne äußern sich Staatsminister S i v k o v i c h,
Sanitätsrat Dr. Leo Silberstein, Dr. Weyl, M. d. L., Dr.
Käte Schirraacher, Dr. Helene Stöcker, die • Kölnische
Volkszeitung, das Berliner Tageblatt, die Kieler Zeitung, die
Germania, die Leipziger Volkszeitung, Hamburger Echo, Berliner
Volkszeitung, Deutsche Tageszeitung, Der Rote Tag, Leipziger
Neueste Nachrichten, Kölner Tageblatt, Zeischrift für Sexual¬
wissenschaft, Essener Arbeiterzeitung, Wiener Reichspost,
European-Press usw. Ich gebe aus Raumgründen nur diese
kleine Auslese aus zahlreichen anderen Urteilen. Darum ist es zu
verstehen, wenn man an der Hand der Erfahrungen mit dem
schwedischen Spezialgesetz in Sachverständigenkreisen anfängt,
die Vorzüge des Diskretionisraus, auf den das Wort paßt: »Der
Prophet genießt in seinem Vaterlande“ zu erkennen. In
Schweden existiert bekanntlich das größte Spezialgesetz der
Welt (31 Paragraphen). Darum ist es von Bedeutung, was der
Direktor des hygienischen Universitätsinstituts in Stockholm,
Prof. Dr. Alfred Pettersson über mein Buch in der schwedischen
„Hygiea“ schreibt: „Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Er¬
fahrungen ergeben werden, daß den Dreuwsehen Vorschlägen
der Vorzug vor den in Schweden geltenden gesetzlichen Be¬
stimmungen zu geben ist.“
Aber auch in Deutschland sehen die für die Zukunft be¬
sorgten Sachverständigen auf dem Gebiete der Rassenhygiene
ein, daß nur ganze Arbeit zum Ziele führen kann. Daher lehnte
die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene in einer länger
begründeten Resolution den Entwurf: Syst. D. S. B. G. ab und trat
für den diskretionistischen Entwurf ein, dessen Annahme sie im
Interesse der Volksgesundheit forderte. Und am 23. 3. 22 nahm
wiederum unter Ablehnung der beschränkten Anzeigepflicht
eine Versammlung von Aerztinnen, Juristinnen und National¬
ökonominnen den Diskretionismus an.
Auch die Aerzte sollten sich, zumal eine gerechte Ver¬
teilung der Patienten stattfindet, nicht mit Redensarten von
diesem System abbringen lassen. Wenn auch etwa 36 Dermato-
SesetJEliehe Bekämpf upg 4s? Öesclilechtskmakheitea, 26S-
logen und auf Antrag der letzteren die Berliner Medizinische
ßesellsühalt vhne l^lskiiäston (1) sieh für dve Kegierwngsideo
ausspraehen, so ist es mimdrjjin beschämend, daß mau bei einer
so wichtigen Sache ohne Diskussion einen 70 .Jahre alten Laden¬
hüter, der in der Praxis YiUlig versagt hatte, wieder hervor-
holen will. Leider ist die AefZtt33chalt, da die führende medh
ßinische Fachpresse bisher jedets Aufsatz' über den „Disoretioms-
mu8 u ab leimte, nicht orientiert.
Auch der Vorwarf, den ra&n dem DLkretionisrous macht,
er sei zu teuer, verschlinge zuviel Geld und erfordern zuviel
Beamte, trifft nicht zu; denn die Sittenpolizei mit ihren vielen
Beamten (in Berlin m. 400) imdöebäuden und Gehälter» wird
abgeaehalft, femer die Bcratung^steilen, dicBordenwIftschaft. etc,
uud alle diese Ersparnisse würden für die Beaufsiehttgung aller,
arm und reich, ÄfAöh Wh! Weib verwandt werden, damit endlich
di» K.!as3enhj r g>cne und die doppelte Moral aufhÖren,
Der Frankfurter Arzt, Prof. Br. Max Flosch, hat aus
f »rechnet, daß einer der meistheachäftigtsteh Bermatnlogen
Frankfurts täglich etwa vier Fälle habe, das gäbe auf ein Jahr
etwa 1200 und für etwa 40 Fachärzte 50 OCX), Dazu käme, wate
sieb noch bei de» nicht approbierten KraakenbchandJcrn, bei
den praktischen Äerzten und in den Heilinstituteü befände, etw&
die gleiche Anzahl. jEse wäre Ambestroitbar, daß wir da au! eine
viel zu hohe Zahl kämen, d. h. in einer Stadt von einer halben
Million Einwohner kämen im Jahr etwa 100000 Zugänge,
d. h. etwa täglich ?SQ. m registrierende Meldiuigfen. Arbeit für
etwa 2 Beamte 1 Sulbist' uiHer detti heutigen; Arbeitstag von
tatsächlich bloß 6‘/g Stur,Jon würden nach Ansicht voiv Fach¬
leuten des Registratur Wesens : S Boamtü diosh Arbeit leicht be¬
wältigen könnet]. Für die Wciterhcarbeiturig aber käme nur
ein Bruchteil io Frage,
Selbst wenn 40 und 50 Beamte nötig wären.. : wäre es
immer iJOdh eine Ersparnis^ wenn die BeraturigssteUen fielen
die der Regierungsentwurf eigenartigerweise als „vorzügliche
Resultate liefernd“ bezeiohnei
Nachdem bereits sämtliche Frauenvemne, die Schweiz und
Amerika, zahlreiche Juristen,' Aerzte, Parlämentaricr und Sozio¬
logen,, Ferner die beiden sozialdeaiokratischen Fraktionen, die
deutsch-nationale Volkspartci, das Plenum der preußischen
Landesversammlung am 25. 2. 20, der Kölner bevölkerungs
politüiche Kongress ira Mät 1921, dl® Aerätmneüt Juristen und
NationälökonottunRen für die allgemeine diskrete Atvzesgcpftich t
eingotreten sind, dürfte diese Jm Rei<^tjagn weit eher Annahme
finden, als die ins R*gievu»gsent.w«rf verankerte leitende Idee,
der beschränkten Anzcigepfiichi. Leider aber hat sich, wie der
So 2 ialpolitiker Diy näed. Cattahi io der Neuen Züricher Zeitung
schreibt, der moderne Stank allen diesen Fragen gegenüber ah
impotent, rat-and hilflos erwiesen. Da aber die Geschlechts¬
krankheiten ins MUlionenhaSte sich vermehrt haben, so kann
256 Bericht Über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirksvertreter
nur ganze Arbeit, die der Diskretionismus in der schonendsten
Weise leistet, zum Ziele führen.
Professor von Zumbusch-München, Direktor der Uni¬
versitätshautklinik, bespricht in Nr. 13 der v Münchener Medi¬
zinischen Wochenschrift 1922“ den Gesetzentwurf der Re¬
gierung. Der letzte Absatz seines Referates bringt zusammen¬
fassend folgendes Urteil:
„Die drei letzten Paragraphen bestimmen, daß Beratungsstellen errichtet
werden müssen, daß ihr Wirkungskreis von Beichs wegen geregelt wird und
daß die Länder die Kosten aufzubringen haben. Da diese Dinge nicht medi¬
zinischer Natur sind, möchte ich mir nur ein paar ganz kurze Fragen erlauben.
Ist sich der, welcher das Gesetz verfaßt hat, klar, was diese 8ache kostet?
Es gibt nämlich noch keine Beratungsstellen, wie in der Begründung in voll¬
kommen unrichtiger Weise behauptet wird. Das, was nämlich jetzt an Be¬
ratungsstellen existiert und was die Begründung erwähnt, sind rein private
Anstalten, welche von den Landesversicherungsanstalten erhalten werden.
Diese Anstalten sind weder ihrem Ausmaß und ihrer Einrichtung nach in der
Lage, die ihnen zugedachten Aufgaben zu übernebmen, noch werden die Landes¬
versicherungsanstalten ihr sauer mittels Invalidenmarken zusammengeklebtes
Geld dazu hergeben, um das Reich zu entlasten; besonders gering dürfte ihre
Lust sein im Hinblick auf den Inhalt des Gesetzes. Dies werden wohl alles
die Bandesstaaten übernehmen müssen zum Dank dafür, daß man ihre meist
viel besseren Vorschriften abschafft und ihnen ein Gesetz aufzwingt,
welches in wenig Jahren soviel Unheil stiften kann, daß man
ein Jahrhundert zur Behebung der Schäden braucht."
Bericht
über die Sitzungen des Vorstandes nnd der Bezirks-
Vertreter des Prenssischen Medizinalbeamtenvereins
am 26. nnd 27. April 1922 in Magdeburg.
A. Vorstandssitznng.
Die Vorstandssitzung fand vor dem Vertretertage am
26. April nachmittags statt. Anwesend waren: Rapmund sen.,
Bundt, Wollenweber, Rogowski, Franz und Solbrig.
Bundt erstattete den Geschäfts- und Kassenbericht. Da
derselbe auch auf dem Vertretertage und in der Hauptversamm¬
lung wiederholt wurde, wird darüber später berichtet. Besonders
bemerkt wurde, daß die Geldüberweisungen vielfach eine absolut
unleserliche Unterschrift tragen, so daß es zuweilen unmöglich
war, den Einzahlenden zu erkennen. Notwendig ist deutliche
Unterschrift oder Anwendung von Stempel.
Gelegentlich bei der Neuordnung des Besoldungsgesetzes
soll vom Vorstand versucht werden, für die im Ruhestand befind¬
lichen Mitglieder Pensionierung aus Gruppe XI zu erreichen.
Es wurde berichtet, daß es in letzter Zeit wiederholt vor¬
gekommen ist, daß die Versorgungsärzte (Reg.-Medizinalräte)
amtsärztliche Atteste ausstellen. Die Reg.-Präsidenten und das
Ministerium sollen darum angegangen werden, an die nachge-
ordneten Behörden aufklärende Bestimmungen dahin zu erlassen,
daß die staatlich beamteten Aerzte nur die Kreisärzte sind.
de» Pr«nß, ÜodiiiaiVit-eauifceneereiDa ans 26. a. 27« April w Mftgdebarg. 26r?
In allen Fragen wurde Einhelligkeit erzielt Zur Ver¬
meidung von Wiederholungen werden sie im Bericht des Ver¬
tretertages erwähnt.
B. YortreterVersammlung
aiu 27. April, vormittags 9 Uhr*
Fa waren anwesend: 33 Vertreter der Bezirksrvereine
außerdem Geh. Oberrned.-Rat Prof. Dr. Dietrich als Vertrete,
des Ministeriums und Geh. Med.-Hat Prof. Dr» ßäpinund al •
Ehr*.»'Vorsitzender, Der Vorsitzende Bundt erstattete den
Öesfühäfts* dnd Kassen bericht ( vgl. Anlage),
Zu Rechnungsprüfern würden dauernd Jörns und
R t o e « k e r hö! 1 ge wäh) U Die Kässenführung wurde von Ihnen
geprüftund für richtig befunden..
Dem Vorstand wurde Bntlastußg erteilt. Aul Wunsch
erklärte sich ö u adt bereit:, da ihm »Üb vorzügliche Hille eine?
Bankiers zur Seite stöbt, : die Kasse weiter zu führen. Er
wurde Raraufentspröclreßd§ R) der Satzungen'als Schatzmeistei
bntondenr gewählt. Alle UeberweisUngeß und Forderungen sind
daher weiter an ihn bezw. at* sein Bankkonto *) zu richten.
Gemäß Forderung des Amtsgerichts Berlin-Mitte muß § I-
Abs, 2 der Satzungen dahin geändert werden: .»Der Vorstand
oder sein Stellvertreter bilden den Vorstand im Sinne des §2t*
B. Gr. B. ..Stellvertreter ist irn Falle der Verhinderung des Voi •
sitzenden der Sühr]ftfdbrer H > Dieser zur Eintragung als B. V.
notwendigen Aeodäferung stimmt die Vertrelerversatmulung ze
(sie kt von der Haupf ver^Äiurniyng genehmigt} so daß nunmehr
die Eintragung ins Vtuemsregister keine Schwierigkeiten mehr
haben dürfte).
.'Der Vorstand hat vorbehaltlich der Genehmigung der Haupt- Vü
vcrsanmdung den korporaüven Beitritt des Preuß. Medizittal*
beamU'iHmreitis zürn Berufs? ertdö höherer VerwäUungsboamto;
Untergruppe des RotVhsbeamtenburtdoB vollzogen.
Ö#; Aoschluß andiese Spitzeuofgartisatton erschien in heutige;
Zeit notwendig. Die Verhandlungen, sind .-von Rogowski ge-
führt. Er hat erreicht, daß et« Vertreter im engeren Verstand,
iihbt Besold ungsaussehuß und Besehwerdeauseuhüß zugesagt ist
Er berichtet eingehend über die. Organisation, und die Verhand¬
lungen. Kur die voll angestellten Mitglieder müssen den volle"
Beitrag für den BerxiRverein höherer Verw&itüngsbeämter zahlen
4b. im 'VAsiig Hälfte, im Ruh©-
stand befindliche Mitglieder keinen. Beitrag (auch die Haupt
Versammlung hat. dem Beitritt augestimrat);
Die Luge der Kasse — . Bedingt durch die allgemeine Geld*
ebtwertung, insbesondere aber die durch die Gehern ahme de: v
Kosten- .lür die Vertue erläge -auf die Kasse des. - Lande«verein
••.eiagettefteiiö • : $sr]ku. fth den- Berufs verein
höherer VerwalUingsl/earoter abzufährenden' Beiträge — vei
langen eine Darke ßrhöhung des Jahresbeitrages und ein v '
*} Baakiaaa P. L e h m a n n in Hallo i, Postscheckkonto 1096 Leipzig
|
i
I
I
258 Bericht über die tiitzangen des Vorstandes und der Bezirksvertreter
Nachtragsforderung für 1922. Die Vertreterversamralung
beschließt
1. daß der derzeitige Zustand der Belastung der Haupt¬
kasse durch die Vertretertagskosten bestehen bleibt. Dafür
spricht insbesondere der Umstand, daß die weit entfernten
Bezirks vereine aus sich heraus kaum die Kosten ihrer Vertreter
tragen können. Eine Verteilung auf alle Bezirksvereine bezw.
alle Mitglieder erscheint als eine Forderung der Gerechtigkeit;
2. für das Jahr 1922 einen nachträglichen Beitrag von
M. 200,— pro Mitglied zu erheben. Diese Nachtragsforderung
gilt nicht für im Ruhestand befindliche Mitglieder, nur zur
Hälfte für Kreisassistenzärzte bezw. Stadtassistenzärzte und für
praktische Aerzte. (Von der Hauptversammlung genehmigt,
Jahresbeitrag also bis auf Weiteres M. 276,—, dafür aber keine
hohen Beiträge der Bezirksvereine).
In der Aussprache über die wirtschaftliche Lage und
die amtliche Stellung der Kreisärzte wird festgestellt, daß
die* in anderen kleinen Freistaaten wohnenden, bisher dem
Preuß. Medizinalbeamtenverein angehörigen Mitglieder dies
unverändert bleiben. Sie schließen sich zweckmäßig, falls sie
keine besondere Bezirksvereine bilden können, dem nächst¬
gelegenen Bezirksverein an.
Die Jubiläumsstiftung braucht, um ihrer Aufgabe
gerecht zu werden, für notleidende Hinterbliebene aus den
Kreisen des Preuß. Medizinalbeamtenvereins zu sorgen, vor allem
mehr Mitglieder und höhere Beiträge. Die Vertreterversamm-
lung beschließt für Beides einzutreten. Die Bezirksvereine
erheben zweckmäßig die Beiträge zusammen mit allen anderen,
insbesondere denen für den Preuß. Medizinalbeamtenverein und
führen sie an Geh. Rat Schlüter, Gütersloh, Postscheckkonto
2959 Hannover ab. (Von der Hauptversammlung sind M. 80,—
als Mindestbeitrag genehmigt).
Sandhop beantragt allgemein die Einführung von Provinz¬
gruppen unter Wegfall der Bezirks vereine. Der Antrag findet
keine Zustimmung, es wird den einzelnen Bezirksvereinen über¬
lassen, sich in durchaus zweckmäßiger Weise zu Provinzgruppen
lose zusammenzuschließen, insbesondere zur Pflege gleichartiger
wirtschaftlicher Interessen.
Wollenweber weist darauf hin, daß die Behördebezeich¬
nung „Der Kreisarzt“ gesetzlich weiter fortbesteht, die vom
Preuß. Medizinalbeamtenverein abgelehnte Bezeichnung „Kreis¬
medizinalrat“ keine gesetzliche Bezeichnung als Behörde,
sondern nur eine Dienstbezeichnung des Stelleninhabers sei, dafi
daher „Kopfstempel“ und Dienststempel „Der Kreismedizinal-
Rat“, ebenso wie entsprechende Adressen falsch seien. Die
Aenderung der Amtsbezeichnung als Behörde kann nur durch
Gesetzesänderung erfolgen. Diese Ansicht wird anerkannt —
unwidersprochen..
Auf Antrag Rapmund sen. wird beschlossen, noch am
Tage der Versammlung einen Antrag an den Vorsitzenden des
des Preuß. Medizinalbeamtenvereins am 26. a. 27. April in Magdeburg. 259
•
Haushaltsausschußses der Landesversammlung zu richten, die
Dienstbezeichnung der Medizinalbeamten durch Aenderung der¬
selben im Etat den Wünschen der Medizinalbeamten entsprechend
lestzusetzen. Es wird gefordert für die Reg.- und Med.-Räte
die Dienstbezeichnung „Oberregierungs- und Med.-Rat“, für die
Hülfsarbeiter bei der Regierung „Regierungs- und Med.-Rat“,
für die Kreis- bezw. Gerichtsärzte „Medizinalrat“, in der Auf-
rückungsstelle „Obermed.-Rat“, für die Kreisassistenzärzte
„Medizinalassessor“. (Der Antrag ist nach Zustimmung der
Hauptversammlung am gleichen Tage an den gerade tagenden
Haushaltsausschuß als Eilbrief abgegangen).
Eine besondere Amtsbezeichnung für die Vorsitzenden der
gerichtsärztlichen Ausschüsse und die Mitglieder derselben wird
von der Vertreterversammlung als unnötig einhellig abgelehnt.
Nach eingehender Aussprache über die Dienstaufwands¬
entschädigung, die allseits als unerhört niedrig bezeichnet wird,
wird beschlossen, die Unterhaltung eines staatlichen Büros mit
staatlichen Mitteln zu beantragen, nicht eine stets mehr oder
weniger unzureichende Dienstaufwandsentschädigung. Hinsicht¬
lich des derzeitigen Zustandes des Ersatzes der Telefonkosten
wird festgestellt, daß in den verschiedenen Regierungsbezirken
ein verschiedenes Verfahren geübt wird. Offenbar ist es bereits
jetzt möglich, die gesamten Kosten der Staatskasse aufzuerlegen,
wobei von dem einzelnen Kreisarzt für etwaige Privatgespräche
die Gebühren für einen Nebenanschluß abzuführen sind. Es
wird empfohlen, entsprechende Anträge bei den Regierungs¬
präsidenten zu stellen.
Die weitere Uebertragung kreisärztlicher Geschäfte auf
Stadtärzte wird von der Vertreterversammlung als unzweck¬
mäßig angesehen. Sie scheint auch vom Ministerium nicht
weiter beabsichtigt zu sein. Rapmund jun. beantragt die
Beseitigung der Prüfung der Protokolle bei Leichenöffnungen
und der Gutachten in Entmündigungssachen. Die Vertreter¬
versammlung stimmt dem nicht zu, die Frage soll aber auf
der nächsten Vertreterversammlung weiter geprüft werden.
Anträge auf Verhandlungen des Preuß. Medizinalbeamten Vereins
mit Landesversicherungsanstalten werden nicht genehmigt.
Derartige Verhandlungen werden bei der Verschiedenartigkeit
der Verhältnisse als Aufgabe der Bezirks vereine bezw. der
Provinzialvereinigungen angesehen. Die Aerztekammer Berlin
zieht die Medizinalbeamten im Gegensatz zu anscheinend sämt¬
lichen anderen Aerztekammern in voller Höhe zu den Beiträgen
heran, dies wird als ungerechtfertigt von der Vertreterversamm-
lung angesehen und ein Abzug entsprechend den Kosten für die
Ehrengerichte als notwendig bezeichnet. Der Vorstand wird
beauftragt, in Verhandlungen mit dem Aerztekammerausschuß
zu treten.
Auf Antrag Bundt wird beschlossen, die Berliner Fort¬
bildungskurse für Medizinalbeamte zur Pflege der Standes-
angelegenheiten auszunutzen, zumal bereits von anderer Seite
260 Bericht über die Siudageo des Vorstandes and der Bezirfermfcrefcer
an die Eur-abdln.ehTOwr heranget raten worden ist. In Zukunft
soll «in VorstatMlsmitglied Gelegenheit zu kollegialerAussprache
mit den Kursteilnehmern snehen, Von Geb.-RatDletrieh ■wird
<&ms Vorstand dmZusondung enies FrogTainrns der Kurse xugesagt. * ’
Bundt uftd Woil?nweb«r : weisen aöf die Zweckmäßig-
keife einer Yerbindutijg mit den ■Kornnmnalärzteü zur Pflege der
.gleichartigen Interessen hin. Die•.V«sf'tretcrveir^mmluög beauf¬
tragt den Vorstand, die in beiderseitigem Interesse liegende
Verbindung als «Arbeilfegemeins^afti 4 zu suchen.
Dagegen wird diu von den Versorgungsärzten angeregte
Vereinigung als den Interessen der staatlichen Medizinalbeamten
nicht entsprechend von der Vergaaunlung bezeichnet. Insbesondere
wird darauf hingewiesen, daft. die Versorgungsärzte die Aus¬
stellung amtsärztlicher- Atteste von behördlichem Charakter
erstreben und bei Reiehsbe&rnicn bereits dazu übergegangen
sind. Daa Reichsarbeitsministerium 9öil über diese Sachlage
Aufklärung erhalten.
Von Br o ec k er h ofl wird eine rührige Tätigkeit der
Impfgegner berichtet, Selbst der Prof. Groljab r «oU für
Siütühryng der Ge.wigsensk 1 s* u sei sein. Die Veftreterversamra-
luog gibt seiner üeberzeugung Ausdruck, daß jegliche Durch¬
löcherung dea Reichsiinpfgeeetzes su einem Schäden für die
VnJksge>vundheit führe.
Auf. Antrag R o go w $ k i wird beschlösse^ durch Vermitt¬
lung des BesoickmgsäüRSchusses des Borufavereiti» höherer Ver-
waHungsbeamter den . Antrag auf Einreihung der Medizinal¬
bear« ten in eine höhere ■Besoldungsgruppe zu ätelfü«,
Broeckerhoff beantragt Aeüdriung der Beziinmümge»
über Pestsetzung dos PensiGnadleiisiälters, Es wird Bist■gestellt,
daß schon jetzt ein* , ausgßsjjroeheire als
Assistenzarzt, Krankesihausarzt, vielleicht auch als Mditärärzt —
gemäß AusRihrnngshestimmungen des Besoldungsgesetzen bis
äg t dührdn ängersehnet werden kann. Dahingehende Anträge
bleiben im EiozehaU zu stellen. G$h.-Rä< Dietrich gibt auf
Wunsch Wo j iettwebers eine autoritative Erläuterung der
Begriffe „BcsolduftgadionstaRer^ und „ Anwärtord’fengi&her“
Die Kroisassisterizarzizeit gehört als solche nicht zum Bcsotdupg»
diensralter,kannvielmehr nur angeroehnet worden, soweit sie
5 Jahre überschreitet. Dagegen ist es nicht aussichtslos, später
eine Anrechnung der Tätigkeit als praktischer Arzt, bis zu
o anstatt 3 -fahren'zu .erreichen.
Bundt gibt dem emheiligenr Gedanken der Versammlung
Ausdruck, daß die ^Ereishebammeustelle“ in der im Gesetz
vorgesehenen Form nicht den berechtigten Wünschen der Kreis¬
ärzte entspricht, Mindestens muß gefordert werden., daß der
Kreisarzt Vorsitzender ist.
Verschiedentlich werden Klagen darüber laut, daß einzelne
Kreisärzte bei der Aufstellung der Jahresberichte für die Bezirke
übermäßig in Anspruch genommen werden, es ist sogar vor-
*) Vgl. den ersten Aufsatz iti dieser N rutnmer der ZeiUudirjf t. ß, ÖeJjrifü.i
des Preuij. Medizlnalbeanitejivereujs am 26. ü, 27. April in MagdoUtnrg. 2^’
gekommen, daß einem Kreisarzt der Gesamtbericht übertrag':*,
Würde. Eine angemessen« Verteilung wird ab notwendig
gefordert, die Beteiligung der jflngeren Kreis8.rzte bei der Am
Stellung aber ab für ihre Weiterbildung förderlich bezeichn- ■
Die Frage einer Revision des einschlägigen M'misterorla^es s
später neu bearbeitet werden.
t, Geschäftsbericht (8 u n d i).
Wir ..hatten bei unserer Baoptversanmilurig im Septemb
in Nürnberg 753 Mitglieder. Es sind■. seither 58 abgegangen.. •
57 neu eingetreten, .'verbleite?« 76.2' Mitglieder, Von den ab-.
gegängened sind 11 jjeat<drHen:"u.hd'; zwar'?.';.
1) iii r G«-h. R»t K. *> p K1 pt t .Berlin, f
.2t der Mt'd.-I'is.t KofBerlin,
ü) ii.i» Mtd ~Rai.jU*.k(% Liegnite,.
4t -ler M-Sl - Rat :JS bl c r '*, Xaojiei'.sälza, -
ö) <ter Grb. R&t Etsiers, ScbUinsiMgen,
. 6 t ft , • Wesfaubttrg,
7- San.. ÄRf. M iij. o:t a ;jSti?isi‘nhr:ini. b;' ~ ,
ü) ■ Me-l. -Ivut liaei.no , Eshc-d,
Dl Öe'l». Air-»!,- Bat. Räuber. Erfurt.
, JtO) Mö-i.dtiu. K o $ <vh fr \, Äeböiilank, .
11) Med 'Rat Geri-ich. 0>na,hn1ic}?.
Es ist erfreulich, daß trotz der Erhöhung der Beiträge d
Äbwaöderffög ein» so geringe ist. Es sind in der Baupteae;
nmblbeanitete Mitglieder, die sich durch .die Erhöhung cb?jr
Beiträge »um Austritt b«weges. dicßhn.- und Pensionäre, Von
letzteren hat eiü Teil der schoß Ausgetretenen ihre Abroeldüut:
zurückgezogen, ale ich ihnen mitteilcn konnte, daß die Vor
treterversammlung beschlossen habe, ihnen Ermäßigung der
Beiträge zuzubilhgen.
Ich bitte nun an dieser Stelle die rückständigen Bezirk
vereine — es sind noch 12 — ihre Mitgliederlisten mögliche.
Umgehend dem Vorsitzenden und dom Schrihfiihrer zuzusendtm
Die Listen sind zur endgültigen Feststeiföng. des - Mitglieder-
Verzeichnisses und auch für die KÄ^o-nlührtmg 'dringend nötfö
Was mm die Tätigkeit des Vereins seit der letzten Hauj
Versammlung in Nürnberg angeht, so lassen Sie mich. ztinäei •
über Sitzungen und Bespreohungen berichten. ?
Am 13. 12. 22 fand eine Vorstandssitzung und Vertreter-
Versammlung i» Berlin statt, die Yprtre^^
ip Nürnberg mit der endgültigen Fassung des angepomrodäGte
SatzungsenitwurSes beauftragt war* An den Sitzungen nahmen
Vetreter dea H«rrp Ministers teil- ln der VorstaudsaitÄung, $$f
der Herr Ministerialdirektor Gef tsteui und Gehoinmü
Dietrich teilnahme-», kam es zuerst zu einer BespreclHi
über die Mißverständnisse zwischen der Mediztnäl&hioÜung u?-d
unserem Verein, die, 'darüber war man einig, pur durch ete-
•, .regelmäßige Fühlungnahme und Aussprache zu beseitige-'- 1
seien. Die Vertreter des Herrn Ministers gaben die Vorsteher um-;
ab, daß sie stete .«u einer solchen bereit seien, ln den dara
folgenden. Besprechungen kamen die Amtsbezeichnung und $
262 Bericht über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirks Vertreter
Besoldung, die Stellung und die drohende Kommunalisierung
der Medizinalbeamten, überhaupt die ganze wirtschaftliche und
staatliche Stellung der Medizinalbeamten zur Verhandlung.
Ihnen ist ja wohl aus den Veröffentlichungen der Zeitung
der Verlauf der Verhandlungen bekannt, so daß es sich für mich
erübrigt, hier Einzelheiten zu bringen.
Bemerken will ich nur, daß immer noch die Aussicht auf
eine Amtsbezeichnung besteht, und daß dahingehende Anträge
für die kommenden Verhandlungen über Besoldung zurück¬
zustellen sind. Bemerken will ich ferner, daß die Kommu¬
nalisierung der Kreisärzte bei der Medizinalabteilung und dem
Herrn Minister genau die gleiche Ablehnung findet wie bei uns,
und daß auch unsere Bestrebungen für eine selbständige
Gesundheitspolizei mit Fürsorgecharakter für ein Reiohs- bezw.
Staatsgesundheitsamt und Gesundheitsämter in der Kreisinstanz
mit einem staatlich angestellten Arzt an der Spitze bei unserer
Zentralbehörde volles Verständnis finden.
Drei unserer Vorstandsmitglieder, unser Vorsitzender
G. H. Wodtke, Kreisarzt Dr. Wollen weber und der Bericht¬
erstatter hatten darauf Gelegenheit, auch dem Herrn Minister
in Gegenwart des Herrn Staatssekretärs Dr. Scheidt, Mi¬
nisterialdirektor Gottstein und Geheimrat Dietrich nähere
diesbezügliche Wünsche und Forderungen vorzutragen. Wir
fanden auch hier großes Entgegenkommen und gingen aus der
Besprechung mit der Hoffnung, auch bei dem Herrn Minister
volles Verständnis für unsere Bestrebungen und Förderung
unserer wirtschaftlichen und amtlichen Belange gefunden zu
haben.
Wir danken auch an dieser Stelle dafür dem Herrn Minister
und der Medizinalabteilung.
In der am Nachmittag stattfindenden Vertreter Versamm¬
lung kamen als erster Punkt die Satzungen zur Baratung.
Sie wurden im allgemeinen dem Rapmund-Bundtschen
Entwurf gemäß, d. h. im Sinne der Bezirksorganisation, genehmigt.
Die Hauptänderung betraf:
1) die Begrenzung des Vorstandes auf 5 Mitglieder.
2) die Bestimmung, daß bei Abstimmung über dienstliche
Angelegenheiten der aktiven Medizinalbeamten nur
diesen allein das Stimmrecht zusteht.
3) die Bestimmung, daß der Landesverein sämtliche Kosten,
auch für die Vertreterversammlungen trägt.
Ich darf hier gleich vorausschicken, daß das Amtsgericht
Berlin-Mitte, dem die Satzungen zur Genehmigung und Ein¬
tragung vorliegen, diese nicht ohne weiteres bewilligt hat. Es
ist vorher eine kleine Unstimmigkeit in § 12 zu beseitigen,
welche den Vorstand in Hinsicht auf § 25 des B. G. B. betrifft.
Es hat sich außerdem als kaum durchführbar erwiesen, daß
gemäß § 16 letzter Absatz der Landesverein sämtliche Kosten
trägt und endlich sind einige Protokollunterschriften noch nach-
des Preuß. Medizroalbeamtenyereins am 26. a. 27. April in Magdeburg. 268
zuholen. Wir werden daher noch einmal eine kurze Nach¬
beratung der Satzungen vornehmen müssen.
In den Wahlen wurde der Berichterstatter zum Vorsitzenden,
Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin zum stellv. Vorsitzenden,
Dr. Wollen weher-Dortmund zum Schriftführer und die
Herren Geh. Med.- und Reg.-Rat Dr. Solbrig-Breslau und
Med.-Rat Franz-Loetzen zu Beisitzern gewählt.
Der Eintragung des neuen Vorstandes stehen nach Mit¬
teilung des Amtsgerichtes Berlin-Mitte Bedenken nicht entgegen.
Wie Sie wohl wissen, ist in dieser Vertreterversammlung
auch ein Beamtenausschuß gewählt, der aber die Billigung des
Ministeriums aus gesetzlichen Gründen nicht finden könnte.
Das Ministerium hat uns aber die Anerkennung des Vorstandes
als Vertretung des Vereins für alle Verhandlungen zugesagt.
Es wurde dann noch in Kürze über die Kommunalisierung
der Kreisärzte und das Verhältnis des Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins zu anderen Beamtenvereinigungen verhandelt.
Am 21. Januar 1922 fand darauf auf Einladung des Herrn
Ministers eine Besprechung des Herrn Ministerialdirektors und
des Herrn Geheimrats Dietrich mit unserem Vorstand im
Ministerium für Volkswohlfahrt statt. Auch hier verhandelten
wir über Amtsbezeichnung, amtsärztliche Gebührenordnung,
vor allem über Erhöhung der Tarife und Ablieferung der
gerichtsärztlichen Gebühren, und insbesondere über die Aen-
derung der Dienstanweisung in dem Sinne, daß dem Gesund¬
heitswesen und den staatlichen Gesundheitsbeamten eine größere
Selbständigkeit in Anordnung und Ausführung gegeben wird.
Auch die neue ärztliche Gebührenordnung fand Berück¬
sichtigung.
Es wurde beschlossen, die in den Ausführungen zum
Ausdruck gebrachten Wünsche in einer Gesamteingabe an den
Herrn Minister für Volks Wohlfahrt, den Herrn Justizminister
und den Herrn Finanzminister niederzulegen. Ueber die
Wünsche der Vorsteher des Medizinaluntersuchungsamts hin¬
sichtlich Besoldung, Amtsbezeichnung und Kreisarztexamen als
Anstellungsbedingung wurde in einer Sonderbesprechung mit
Herrn Geheimrat Lenz verhandelt.
Im Verfolg der Nürnberger Verhandlungen und der Be¬
schlüsse der oben angeführten Vertreter- und Vorstandssitzungen
und der Besprechung im Ministerium sind vom Vorstand folgende
Eingaben an die zuständigen Behörden gemacht.
Am 21. 10.: An den Herrn Minister für Volkswohlfahrt
betreffend Anhörung des Medizinalbeamtenvereins vor Fest¬
setzung des Besoldungsdienstalters und Entgegennahme der
Wünsche für die Stellung der Medizinalbeamten.
Am 19. 9. 21.: Bitte an den Herrn Finanzminister um
Mitteilung der Grundsätze bei Festsetzung des Besoldungs¬
dienstalters.
Am 18. 10. 21: An die Preußische Landesversammlung:
Einspruch gegen die Amtsbezeichnung.
264 Bericht Über die Sitzungen des Vorstandes and der Bezirksvertreter
Am 2.12.21: Bitte an den Herrn Minister für Volks Wohlfahrt,
sich bei der Vorstandssitzung am 13. 12. vertreten zu lassen.
Es gingen hierauf Antworten ein:
Unter dem 30. 9. 21 vom Preußischen Ministerpräsidenten
auf unser Nürnberger Telegramm, daß eine Aenderung der
Dienstbezeichnung nicht möglich sei.
Unter dem 1. 11. 21 vom Herrn Minister für Volkswohlfahrt
die Mitteilung, daß er unserem Antrag gemäß unseren Vorstand
empfangen werde.
Außerdem am 17. 9. 21 vom Herrn Minister für Volks¬
wohlfahrt die Antwort auf einen früheren Antrag, daß die
höheren Tagegelder nach teueren Städten genehmigt seien.
Am 18.12. 22 stellten wir beim Minister für Volkswohlfahrt
den Antrag, den in der Vertreterversammlung vom 13. 12. 22
gewählten Beamtenausschuß als gesetzmäßige Vertretung des
Preußischen Medizinalbeamtenvereins anzuerkennen.
Hierauf erfolgte am 8. 1. 22 die Antwort, daß der Beamten¬
ausschuß nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, die
diese Ausschüsse nur für die sämtlichen Beamten einer Behörde
in vertikaler Gliederung zulasse. Gleichzeitig damit erfolgte
die Einladung zu gemeinsamer Besprechung im Ministerium
am 21. 1. 21.
Am 27. 12. 21 stellten wir den Antrag auf anderweitige
Festsetzung des Besoldungsdienstalters mit Anrechnung von
5 Jahren ärztlicher Tätigkeit und 1 Examensjahr als gütige
Vorbereitungszeit.
Hierauf erfolgte am 27. 2. 22 die Ablehnung mit der Be¬
gründung, daß die fünfjährige ärztliche Vorbereitungszeit der
Dienstanweisung keine Zwangsbestimmung sei und daß die
durchschnittliche Examensdauer nur */* Jahr sei.
Dem Gesuch um sofortige Erhöhung der amtsärztlichen
Gebühren vom 23. 2. 21 folgte 3. 2. 22 der Erlaß des Herrn
Ministers für Volkswohlfahrt mit der Erhöhung der Tarife A
und B um 900 °/ 0 der Friedenssätze.
Unter dem 10. Februar 1922 war inzwischen schon die
Gesamteingabe auf Grund der am 21. Januar 1922 im Ministerium
gepflogenen Verhandlungen an die Ministerien gegangen. In
diesen wurde um Ausbau eines selbständigen Gesundheitswesens,
Neufassung einzelner Abschnitte der Dienstanweisung in diesem
Sinne mit Einfügung der Bestimmungen über die Tätigkeit der
Kreisärzte im Fürsorgewesen, Erhöhung der Dienstaufwand¬
entschädigung, Nachprüfung der Amtsbezeichnung, der Besoldung
und des Besoldungsdienstalters, Neuordnung der Gebührenord¬
nung gebeten. Dazu kommt am 15. 2. ein Antrag an den Herrn
Minister für Volkswohlfahrt, die Kreishebammenstelle aus dem
Entwurf zum Hebammengesetz herauszulassen oder wenigstens
dahin zu wirken, daß der Kreisarzt in dieser Stelle den Vorsitz hat.
Dazu kommen Anträge an die Reichsversicherungsanstalt
um Erhöhung der Gutachtengebühren und an den Herrn Mi¬
nister um Bewilligung von Anwesenheitsgeldem auch für die
de$ Preaß. MßdmoaJbe&mtcfivereiue um 26, u, 27. Apt.il in Magdebnr^. 205
auswärtigen Mitglieder der geriehtsiirzxliehefi Provinzial*
aussehüsse.
Sie sehen auch diesmal eine rciiehe BIütenieRe voti-Gesuchen
und Eingaben und wir können mit einer gewissen Befriedigung
sagen, nicht mehr mit se geringem Erfelg wig in der Nürnberger
Versammlung, in der in dieser Ilmsieht; lebhafte Klage geführt
wurde.
Manches ist erreicht, .vieles hie»ht noch zu erstreben.
Die Vertreter Versammlung hatte inner der Bedingung
einer eigenen Fachgruppe.. Vertretung'- im Vorstand und.-'Beitrag
nur für aktive Mediztaalbearote unseren Beitritt -zur...Berufs*
Vereinigung. höherer ^rwaUimg^heamter besöh'teM^• den
BezirksvereifieQ hatten sich mir 53 .zu 'dieser Frage erklärt,
7 waren, dafür, 4 dagegen, 2 unensebieder» Wir haben tlah«t . %r
bisher u&äßrim 'y#b#aitli.eb.\^^U8timm.UDg dieser
Hauptversammlung erklärt.
Zum Schlüsse muß ich noch berichten, daß wir mit un¬
serem Verleger,.- Herrn KomMd» einen Zumizkonirakt über die
Medizloalbeamienzeitung .machen mußte». Di« gestiegenen
Druck-, Papier- .und öbW^häft-kkbsten erforderten eine Erhöhung
der Bezugsgebühr, wenn wir flicht I« eine bedeutende Ein¬
schränkung des Umfange,* «ml des Inhalte» unserer Zeitung
einv/illigen wollten. Der Bezugspreis .betrügt, seit V 1. 22 auf
Grund dieses..Vortrages 40 Mark. Am Oewi'nn ' und Vertust
sind der Deutsche und Preußische Medizinalbeamtenverein und
Kornfeld' mit je l /* beteiligt. Kornfeld er.höJt- lö'Vo Verlags¬
wird durch den Deutschen. Vom» an den Verleger abgeführt,
so daß der io Nürnberg..'fe>:igexet.zte Beitrag' an den Deutschen
Verein einer-Erhöhung bedürfen wird,'. Unser Verleger hat den
Antrag gestellt, ihm sein Defizit für das Jahr 1921, welches
79S2 Mark beträgt, zu 2h mit 1983 Mark tragen zu helfen -
Wie Sie ja gesehen hnbeu« ist mit dem 1, Mai die Re
daktiöh der 'Zeitschrift aus den Händen «üseres all verehrt er*
EhreÖt'orstia&^tdeh G^hefrurät ßäpmu nß hi die Hatni unseres
Vors tan dsmi tgliedes $ o i h r i g iBwogfigiUTge». loh möchte auch
hier noch einmal unserem Kap m u n d. dom wir für unsere!*
Verein und unsere Leitung so unendlich viel verdanken, chm
den wir' uns eine .'Sitzung unseres Vereins gar nicht: denken
können, def uns auch in seinem öiiutn «um .summa dignitate
imruet noch du getreuer Eickaii nur seinem Rat- i.* t, unser -alk«
Dank aüssprgcrhen und-ihn unserer dauernde» Verehrung und
Liebe versichern.
Wir dürfe« aber auch seinem Nachfolger Snihr.lg - in
Vollem Maße das Vertraue« ontgegeubringes» daß er im 'Sinnt
R ap rn n n d s- und m unserem Öe-te« die -Zeitung weiter fort
führt. Er hat ja schon die erste Probe seines Könnens und
SüitiöS Eifers- in diesöm Siaine gegeben. Ihm steht ja auch
t ■: t
V/.-'b
266 Bericht über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirks Vertreter
unter den Mitherausgebern eine Anzahl von Männern zur Seite,
deren Namen in der Wissenschaft und Medizinalverwaltung
die Gewähr dafür gibt, daß unsere Zeitung auf der Höhe bleibt,
auf die sie Rapmund gebracht hat.
2. Kassenbericht (Bundt).
Nach den neuen Sätzen sollen die Mitgliederbeiträge von
den Bezirksvereinen eingezogen und von diesen den Kassen¬
führern übermittelt werden. Diese neue Art der Kassen¬
führung ist aber noch nicht durchweg durchgeführt. Es
hängt dies wohl damit zusammen, daß ein Teil der Beiträge
auch für das Jahr 1922 schon vor der Neuordnung der Ge¬
schäfte bezahlt war. Es liegen den Kassenführern auch bisher
noch keineswegs alle Mitgliederverzeichnisse von den einzelnen
Bezirksvereinen vor, sodaß eine genaue Feststellung der rück¬
ständigen Mitglieder bisher nicht vollkommen möglich war,
zumal einzelne Mitglieder bei den Einzahlungen ihre Namen
auf der Zahlkarte so undeutlich schreiben, daß deren Ent¬
rätselung weder der Bank noch mir möglich war.
Ich habe hier für die einzelnen Bezirke die Listen der
Rückstände mitgebracht, muß aber aus den oben angeführten
Gründen um Nachsicht bitten, wenn einige Irrtümer vorgekommen
sind, um deren baldige Richtigstellung ich bitte. Es ist auoh
in Zukunft notwendig, daß bei den Einzahlungen der Bezirke
eine Liste mit den Namen der Beitragenden und der Höhe der
Beitragssume beigefügt wird.
Es ist zwar schon in Nürnberg bis zuraß. September 1921
Rechnung gelegt, doch gebe ich der Vollständigkeit und Ordnung
halber hier noch einmal eine Uebersicht über das ganze
Rechnungsjahr 1921.
A. Einnahmen.
1. 19. 2. Uebernahme von Nationalbank Minden 3184.55 M.
2. 1921 Beiträge. 52 263.95 „
3. Kapital-Zinsen 5000 M. Reichsanleihe . . . 219 20 „
4. Guthaben-Zinsen der Baok . .. 349.90 „
66017.60 M.
B. Ausgaben.
1. Drucksachen. 1760 50 M.
2. Sitzungen des Vorstandes, der Vertreter usw. 5 845.— „
3. Beitrage: a) an den Deutschen Verein . . 4530.— „
4. den Beichsbnnd höherer Beamter .... 3040.— „
5. den Verein für Volkshygiene. 20.60 „
6. für die Zeitung Bruns-Minden. 9375.— „
7. Bürobedarf, Schreibhilfe, Porto. 2 386 85 „
8. Kapitalateuern.. 37 65 ,_
26 995.60 M.
Bleibt 1. 1. 22 Bestand: 29022.- M.
Es sind vorhanden an Kapital 6000 M. Deutsche Reichs¬
anleihe.
Die Abrechnung ist von den Herren Jorns und
Broeckerhoff geprüft.
ia Jfcä&<tei>isr£. 2G7
- .(v 03 r.cn der Desr-bätte iiihriW£ pinl d»e gewaltige
sr:teigvr»ii*£ ulk-r Uchttft«* und Bi ■ ■•■ im Jahre \iesttöfc
Es 4«v Benuupttng- der Höhe des
'fafästo fJöWsieht liber BhV
m'i atthkwt und Ausgaben für jus begonnen« Jahr 1922 zu gehen.
;. h> bisher eingiüiovww: ao tKmVagru..f>9 800.— 31.
|r^r *fort KM^raoli^ü ; . . f . * . '' ' .*' •' \ '"'; • - *•
^r : . i. fttr dir Zt'*Limg Krna^hrtfe»'• • HiSA.- iJ
V !(‘:t-ri,K>.r..-n amf < ‘J i; :;i ;,-
W£i, ’ >?. --IHimHdö.jfeiiä jf',. Par i« , 2 >£>;*, - »■ _
'■...-= *•'“>.» - M. ■
p: ; Biwbr r;su. : 'i.(i 1 ]^
gj;. Beitrag au «kr» Deutschen Verein, der i- - erhöht^ Bezug»-
^ v;{*ehf.vhr (pt ■ dfo-Zeittmg w*mh naf minihMUenii- ‘Äh iahrÄ
g* .d«*t*usei se«. •: • - ; p w - .". p
. • ■ •&’ - iD\ 'O-XV-1 iV.a
- 'f' BiiroimMwf >'.'.•■ .,:•; .\ .m .; , d v; : :v,.■'
;: YoMtor».«iUii'»ee«i 80 Yskretör •-.«.< 5 ; '(«
tV mitylkder ---• U5> .i...v.i,;-u,».itrikn i<X*tfJE3' .:'>■><m.~-
■beamte --• GOO, rx, « .km I.Mäadm.-.b' Xi-m*. - ;
5. fc»staiTj <kr irliHiyUT^fsa t.mii,,.-.. . . ; • .yono ... r
v • . . •• . . MiMx'ttifih'-- M«
. Nbeu A-fttgigr »:(>•»• •y-mhyrkwim» - M.
1 ’I' :•■• v -WiX* P ? xV-- Ü.
Hnphnet man rur.d Jo* - Mörder $§ .i; m ...r ^ '{VjI aus-
1. h^lli unef heduiikf- ihw},. dati ijau! auiuuk ?ii der T^rl-rethrver-
■ «Äinmhu^ 1 AvJrug dih !v :.>!:>;■ *on-a. u!.;ä- die
p . Kreisärzte und v. >/;. Ut.r den
halben Beitrag', dky .'Pttftsä'^iriiwv dilnön virnjkrihffujh:■■'.fk < i-irag
If fahlen, m pver jdtt Jilr 2?X> M, fid uJctivfr- Medi7id)üB
| J heamte, tCHj M, ftii' AirivdriHr und wie hi^lief Ö0 lü; nach
Efböhurig des ßezugskrei^ii.ihr diti ^*ntidig 7<t Mi für Penaiouäre
;:, 4u iah Jeu sein.
liin^Anin-g wirtl ajtgeu«i<»>nw-.v.
ist ferner hierzu jef Aiitrhg Yhn Di, VV r ü I len wuher
lioftrmiü«! .!l ( ei mm ««j'^r.nen KaHsenfühnT zu wählen, da
m 2k Last Jur Kussen^nsdhdfti' für. deu \%v^i\wudm utui den
miS- ihrer sunst
wird der Eiinv.uid
C’hnjtisvrr}, isly Xuihi ■;! ^ m \ er sitz ' j ud t-n oder
uhrödec . .wirtgöitaftlioheö
ttmmW
7 xHkK.' t!“ .
V r arsit.zend*«n utui deft
'ghuH zu grüß werden,
gett.efid; geifiaeht, daß es
^ffierordentheh
^erhäi tiifs^e' -Wetii daher mit-naivem
M*««Verständnis der V r ursitzendK saun Ka.sc»d'tfii'liier guhänli.
t tiesdi{ifJ,.sl)mdvlii iih<,r die ,f •ihüliü.tiistlttmig: Jie* Browßiscfivij
if!-v?»/;I!HUu>*smtot>ofi’ies ja; r.r-'f
»i- Hnroh das'BeHrefön von 2u »-Mi*frii«-'<•!*.:**»•••' lu'f ^jot, d>e
MHgJiödevzaid diu JuhihiaMusU.ÜMUia v.-ü iui V'.,j,ahre co'i
’r 1 /’- rn Bucichtijahre erhöht. -väl.M-od m% BMwmi du/f.h
\*> i/- ■> '*-■*• * ^ » • ••••''• ■* * v 3 •. .
268 Bericht über die 8itioogen des Vorstandes und der Bezirksvert.ro ter osw.
Todesfälle, teils durch Abmeldung 15 Mitglieder eingebüßt hatte.
An Jahresbeiträgen sind rund 3020 M. gegen 2859 M. im Vorjahr
gezahlt und an einmaligen Gaben 63,60 M. gegen 445 M. im Vor¬
jahre. Der Gesamteinnahme an Beiträgen mit 3083,55 M., ein¬
schließlich der einmaligen Gaben, steht eine Ausgabe von 4200M.
für Unterstützungen gegenüber, die in Beiträgen von 400 bis
1000 M. an 2 Medizinalbeamte und an 5 Witwen gewährt sind.
Die Jahresrechnung schließt ab wie folgt:
a. Einnahme.
Mitglieder-Beitr&ge and einmalige Gaben . . .
Zinsen d. Fingerstiftarg nach Abzug d. 10°/ o Steuer
Sonstige Zinsen nach Abzug der 10°/ o Steuer . .
Zinsen der Wertpapiere naoh Abzug der 10 “/« Steuer
8088,65 M.
186,« 0 ,
164,66 ,
1864,00 ,
Zusammen-Einnahme:
5227,21 M.
b. Ausgabe.
Gewährte Unterstützungen.
Porto, Drucksachen, Hinterlegung»- u. Bankgebflh ren
4200.00 M.
88688 „
Zusammen - A na« h r>«:
46X11.88 M.
Verbleibt als B^tand:
Dazu der EassenbeBtand am 81. Dez. 1920 von:
6902.66 M.
640,38 M.
Gesamtbestand am 81. Dezember 1921:
Davon sind abzuzieben für Kapitalanlage durch
Beschaffung von 7000 M. 6°/ 0 mündelsichere
Obligationen Badenwerk.
6982 20 M.
7542,99 M.
Verbleibt Bestand am 81. Dezember 1921 von:
660,79 M.
Das Vermögen der Stiftung beträgt am 21. Dezember
1921 insgesamt 48113,99 M. und zwar:
Kurswert
1. Zinstragende Wertpapiere: Nennwert so.u. mi
8Vi°/ 0 Preußische Staatsanleihe.10000 M. 6010,00 M.
4«/ 0 „ n . 14000 * 9674,00 ,
4 # / 0 Deutsche Beichsanleihe. 2000 „ 1766,00 „
6«/ 0 „ „ . 22000 „ 17050.00 „
4 # / 0 Westfäl. und Pommersche Provinzial-Anleihe 8000 „ 2710.00 a
Deutsche 8parpr&mienanleihe. 4000 n 8872,00 „
5 °/ 0 Obligationen Badeuwerk. 7 000 „ 6 982.20 ,
2. KasBenbestand am 31. Dez. 1921:
62000 M.
47 63.20 M.
560,7» „
Zusammen:
Vermögensbestand am 81. Dez. 1920:
62000 M,
66 >'00 ,
48113,99 M.
45786.66 „
Mithin mehr:
7000 M.
2878,88 M.
Die 24000 M. der 3*/> und 4 °/ 0 Preußischen Staatsanleihe
und die 24000 M. der 4 °/ 0 und 5 # / 0 Reichsanleihe sind auf den
Namen des Preußischen Medizinalbeamtenvereins in das Staats-
bezw. Reichsschuldbuch eingetragen, während die übrigen Wert¬
papiere 3000 M. 4°/ 0 Provinzialanleihe, 4000 M. Sparprämien¬
anleihe und 7000 M. 5°/ 0 Obligationen des Badenwerks teils
bei der Dresdener Bank, Filiale Gütersloh, teils bei der Städti¬
schen Sparkasse in Gütersloh hinterlegt sind. Im Jahre 1922
270
Dr. Solbrig: Zur Besold ungsdienstaltersf rage.
I. Das An Wärter dienstalter wird folgendermaßen
berechnet. Es wird zusammengezählt:
1. Hochschulstudium (4‘/ 8 J- bezw. 5 J., je nachdem
die Prüfungsordnung vor oder nach 1901 maßgebend war, wobei
eine etwaige Kürzung vorzunehmen ist, wenn die Ausbildungs¬
zeit infolge der auf Grund des Krieges erlassenen Vorschriften
eine kürzere war),
2. nach dem Studium folgende Vorbereitungszeit, nämlich
a) etwa abgeleistetes praktisches Jahr = 1 Jahr, b) 3 Jahre
Tätigkeit als praktischer Arzt, als Vorbereitung zur Zulassung
zur kreisärztlichen Prüfung (bezw. 2 Jahre, falls die Zulassung
zur Kreisarztprüfung tatsächlich nach zweijähriger Beschäftigung
beantragt wurde, gemäß Ministerialerlaß vom 20. 3. 22).
3. Prüfungszeit für die ärztliche Prüfung */* J* \ i t
desgl. für die kreisärztliche Prüfung */* J* j ’
im ganzen höchstens 10 Jahre.
Von dieser Zeit wird nun angerechnet die 4 Jahre über¬
steigende Zeit, also höchstens 6 Jahre.
Diese so bestimmte Zeit der Anrechnung wird von dem
Zeitpunkt der tatsächlichen Anstellung als Kreisassistenzarzt
zurückdadiert und dieses neue Datum als Anwärterdienstalter
errechnet.
Beispiele.
A. Dr. X. 1. Aerztliches Stadium (nach der Prüfungsordnung vor 1901) 4 1 /* J.
2. Nachfolgende Vorbereitungszeit als Arzt (ohne prakt. Jahr) 3 J.
8. Regelmäßige Prüfungazeit a) ärztliche V» J\ _ i t
b) kreisärztliche */« J.) ~~ 1
Zas.: 8V* J.
mithin anrechnungsfähig: 4 1 /* Jahre.
Dr. X. ist als Kreisassistenzarzt angestellt am 31.10. 13.
Das neue Anwärterdienstalter wird danach errechnet auf den 1. 6. 09.
B. Dr. T. 1. Aerztliches Studium (nach der Prüfungsordnung nach 1901) 5 J.
2. Naobfolgende Vorbereitungszeit (mit praktischem Jahr) . 4 J.
8. Prüfungazeit (wie bei A). . . . 1 J.
Zus.: 10 J
mithin anrechnungsfähig: 6 Jahre.
Dr. Y. ist als Kreisassistenzarzt angestellt am 1. 1. 20.
Das neue Besoldungsdienstalter gilt vom 1. 1. 14.
11. Jetzt wird das Besoldungsdienstalter errechnet,
indem festgestellt wird, wieviel Zeit zwischen dem errechnten
Anwärterdienstalter und der ersten planmäßigen Anstellung als
Kreis-(Gerichts-) Arzt liegt, und von dieser Zeit nur der 6 J.
übersteigende Teil zur Anrechnung kommt.
Beispiel. Das errecbnete Anwärterdienstalter ist (a. oben unter A)
1. 6. 09. Die Anstellung als Kreisarzt erfolgt am 1.10.16. Die dazwischen
liegende Zeit beträgt fdso 7 Jahre, 6 Monate. Es werden also angerechnet
2 Jahre 5 Monate. Das Besoldungsdienstalter wird demnach auf den 1.5. 14
festgesetzt.
Hiernach wird jeder Medizinalbeamte, der aus der Gruppe
der Kreisassistenzärzte hervorgegangen ist, leicht ausrechnen
können, ob sein Besoldungsdienstalter richtig festgestellt ist.
Bericht. Uber die 6, Versammlungdes Tbüring. Medizis^bcßmteftvereics. 97t
tm Zweifeisfallß wird er sich an seinen Regierungspräsidenten
au weudejn haben. Wegen 4er Üeberlastung mit/Ärbeiteß bei
der Regierung wird vielleicht noch nicht jeder Bescheid über
sein Dienstalter und die danach zustehenden Gehälter erhalten
haben j jedenlalls wird dies aber in kürzester Zeit überall ge-
fegelfe sein. Denjenigen Medizinalheamteri, die nicht Kreis*
assistenzärzte gewesen sind, sieb etwa in anderen staatlichem
oder kommunale« Stellungen während der Vorbereitungszeit
befunden haben, ist zu raten, entsprechende Anträge wegen
Anrechnung solcher Zeit auf das Bösolduogadienstaiter zu stellen.
Dabei ist aber immer zu berücksichtigen, daU nur elnö
■Vordatierung des Besöldungsdier.stalters angängig ist, wenn eine
als Afiwärterdienst in Ansatz zu bringende Äusbiidungs- und
PrüfüngS 2 öit von rcelrr als 5 Jahren aulzuweisou ist.
Ars Yersaiumlungeii und Vereinen.
Bericht über die ft. Verkant«»lang tie» Thiiringiftchem
•»*» 366. Möc* 19ÜS la Erfurt, ' ,
Tagesordnung:
1. Mitteilangen des Vorsitzenden.
2. ») Recböaogalegung Über das Jahr 1921.
b) PestselZuirg des Vereinsbeitrags,
eiört und Zeit der nächsten Vcrmuätolotig,
3. Besprechung über die Zukunil, der Thüringer tiedizinalbeaaiten, ins¬
besondere
A) über die RnhegebaUsregelung der bei der neuen Kreiseln teiiang
ansscbeideitden beamtete» Aerzte,;
b) öfter Besoldung and Hebaneinoahinett der vollbeaoldeten und nicht
voUbespldeten zukünftigen Kreisärzte.
4. Verschiedenes.
Es waren an wesend 19 Mitglieder, als Vertreter des Wirtscbaftsministorinrns
der Thüringer Medizinalreferent Rerr öeü. Med.* Bat Prof» Dr. O a mp recht
Weimar.
Za 1, Der Vorsitzende NeöbaäB'öera eröffnet« die Versammlung
1,30 nachmittags, berichtete utr-r die Tätigkeit des'Vorstandes seit der letzten
Versammlung am 26. 6. 21 in Erfurt und Machte Mitteilong yom Ableben des
Mitgliedes Med,.Rat Dr. Lüde mz-Slafilfenbein.
Zn 2 ») Osawald-BoiitRrsbaäse» fegte Rechnung über das Jahr 192t
ab.. Die Rechnung ward« geprMfc and richtig beUrede«.
b) Der Vereinsbeitrag für 1923 wurde auf M, -40 festgesetzt. V»u den
»ul Grand der Kreiseinteilnng fest angesleUten Kfmlnien füll tvent. auf
Qraod eines VorstandsbeacbluBBes ein baherer Beitrag erböbeft werden.
Fttr 1922 soll noch eine BöUragsaaehz&hltt&g vm M lö erhaben werden.
c) Oie Bestimmung aber Ort und Zeit der nächsten V ei Sammlung wird
dem Vorstand Obertasse«.
Zu 3 a.i Neahatts-Gera trog di»-- wichtigsten Abschnitte ans der
vom Vorstand auf VeranlassüBg des Wirfsehaftstainisteriume in Weimar atu-
bearbeitetet* DfeBsionweisong für die künftigen Tbürineej Kreisärzte. naffiset-
lieb die öher die persönlicben VerhttUtiissevor. Die, RubegebaltBrrgelasg der
bei der Neuregelung des Medizinal Wesens in Thüringen ausscheideadeu Bezirks¬
ärzte soll, «ach $ 11 des vom- Verein 19z0 de?r Regierung und dem Landtag
Torgelegten Entwurfs eines K.reiearztgeaetzes erfolgen.
b) Die sehr aHsgedebnr.e A osspracbe bezog sich nicht nur auf die öe-
haltsverbältsiase uAwv der künftigen, sondern auch Auf die der jetzt noch im Amt
befindlichen Kreis* (Bezirks-) Aerzte. Die nicht vollbesoldeien jetzigen Bezirks-
irste sollen einen bestimmtea Prozentsatz des Gebelles der yollfeefioldeten
i
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272
Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften.
berechnet nach der Einwohnerzahl ihrer Bezirke, erhalten. Die Aufrückungs-
möglicbkeit der Kreisärzte in Gruppe 12 soll erstrebt werden.
Da für eine Anzahl der bei der Neuregelung in Betracht kommenden
Kreisärzte die Vollbesoldung pekuniäre Härten mit sich bringen würde, soll
diesen eine Uebergangszeit gewährt werden, während deren sie sich zn ent*
scheiden haben, ob sie vollnesoldet werden wollen oder nicht. Während dieser
Zeit soll die Besoldung nach badischem Muster erfolgen. Die Dienstalters¬
berechnung soll nach den Preußischen Bestimmungen erfolgen. — Der Vorstand
wird beauftragt, entsprechende Eingaben sofort an das Wirtschafts- und Finanz¬
ministerium in Weimar zu richten.
Za 4 a) Ein vom Wirtschaftsministerium vorgelegter Tarif über die
Amts- and gerichtsärztlichen Gebühren der Kreisärzte wird mit kleinen Aende-
rungen gutgeheißen. Die neuen Gebühren sollen rückwirkend vom 1. 4. 1922
Gültigkeit haben.
b) Einem Antrag des Kollegen G r ä f - Frankenhausen, die Hebammen
sollen in der bei schweren Blutungen nach der Geburt äußerst wirksamen
Kompression der Aorta unterrichtet werden, wird von der Versamlung zuge¬
stimmt. Der Antrag soll dem Leiter der Hebammenlehranstalt in Jena über¬
mittelt werden.
Schlnß der Versammlung 4,30 Uhr nachmittags.
Dr. 0 8 8 wa 1 d - Sondershausen.
Kleinere Mitteilungen u. Referate ans Zeitschriften.
A. Gerlohtllohe Psyohlatrie.
Körperverletzung durch Hypnose. Von Med.-Rat Dr. Schröder-
Altona. Aerztliche Sachverstandigen-Zeitung, 1922, Nr. 22.
Es erfolgte gegen einen Kaufmann, der ein junges Mädchen hypnotisiert
und dadurch in ihrem Gesundheitszustand geschädigt hatte — die von
Haus aus nervöse Person hatte wochenlang unter allerhand nervösen Ver¬
änderungen gelitten — rechtskräftige Verurteilung wegen fahrlässiger Körper¬
verletzung zu einer Geldstrafe von 900 M. Solbrig.
Ueber Schädigungen durch hypnotische und spiritistische Sitzungen.
Von Dr. W. Jacobi-Jena. Aerztliche Sachverstnndigen-Zeitung, 1921, Nr. 16.
Der Unfug der öff entlichen Vorträge und Experimente mit Hypnotismus
und Spiritismus bat bereits mehrfach zu schweren psychischen Störungen der
Medien aus dem Publikum geführt. Dafür führt Verfasser mehrere Fälle von
Psychose an, die in der Psychiatrischen Klinik in Jena Aufnahme fanden. &
wird mit Recht ein einheitliches Reichsgesetz zum Schutze vor solchen üblen
hypnotischen Folgeerscheinungen gefordert.
Uebrigens ist in Preußen bereits ein derartiges Verbot durch Minist.-Erl.
vom 6. Oktober 1919 ergangen (D. Ref.). Solbrig.
B. 8aohver*tändlgentä.tlgkelt ln Unfall-, Invalidität«- und
Krankenverslohernngasaohen.
Tödliche Luugentubeikulose 15 Mouate nach kompliziertem Unter¬
schenkel brach — keine Unfallfolge. Von Prof. Dr. R o e p k e - Melsungen.
Zeitschrift für Bahnärzte, 1921, Nr. 6.
Am 6. September 1919 off -ner doppelter Bruch beider Knochen des
rechten Unterschenkels, der am 20 Dezember geheilt war bis auf eine kleine
Fistel. Wegen ungünstiger Stellung des Braches erfolgte im März 1921
operative Geradstellung des Beins und Entlassung am 21. August 1920. Der
Dienst wurde am 6. September 1920 aufgenommen. Anfang Oktober die ersten
Zeichen der tuberkulösen Lungenerkrankung; der Tod erfolgte bereits am 4. Dez.
1920. Der Verfasser lehnt den Zusammenhang ab. Dr. W o 1 f - Cassel.
Leistenbrüche als Betriebsunfälle. Von Geh. Med.-Rat Dr. Meyer -
Göttingen. Zeitschrift für Babnärzte, 1921, Nr. 10.
Es muß stets der Nachweis erbracht werden, daß tatsächlich der Aus¬
tritt des Braches eine Folge eines Betriebsunfalls ist, und dieser Nachweis
Kleinere. Mitteilungen und Referate ans Steitachriften.
273
maß in ganz zwingender Weise geführt werden in keinem Fall genügt die
Wahmiit-jüIscJikint. Der Stftuiijiunkt t!es li. V.A. muß als* richtig anerkannt
Werdern Br. W o, }f •üsssei.
l>* f gerichtsärztlicbe Beurteilung der hlrnverletzton Apbaslschen.
Von l)r, Jacob i, Oberarzt an der Provi)i2iaihedläaslalt Münster. Aerztliehe
Sachv^f&t&adigen-^iftflngi7,921, Nr; 18'.and 19.
Zwei Fr&gen bat sich der Gefichtsarzt bei Bnumilung von ^unverletzten
Ajfcaäikv.ra foraak'gen V • ’• ^
1. Ist der Apbasische imstande,seine Gedanken durch Sprache, Wort,
Se&Blt :■ Verstand heb za machen?
2. Wte ist die Intelligenz des Apbasiscben, läßt sie ein geregeltes
Deukern zo?
Zar iJatersaeiang von Spracbleistungfioempäehlt Verfasser ein be*
sümsntes Schema,.
E.i würde« danach diese Kranken; iii-'-*ivUreclitüch«t Sinsieht {Te«ti#js : ; :
fähigkeit, ;&\i£iAffndigüng, Eheschließung! betrachtet, die Frage des Zusammen*
hanga. nait Du feilen and die Erwerbstähigkeit besprochen and in Strafrecht«
iiefaer Beziehung die Beurteilung gemäß § 224 8t.G--& and die Zeugnis-, 2»fir
rechnungs-, VerbandiMogs- and StralvoUzugsfäliigke.it erörtert. Ibttg,
Arbeti.st'dhtekeft bei 'ärztlich nachgotvleflener tdlligw Tuvalidit&f,
Yoo Beg - and Med-JUt Br- Leb n a n n, ärztl; Berater der LäÄdesvwsjshefunga-
suoatalt Rbeißprövioz in Düsseldorf. AerztUche Saßhv&rdt&ndlgeb^ Zeitung,
1921, Nr. 15. "
Za ähnlichen, bereits früher Veröffentlichten Fallen führt Veriasser
felgenden an, den er aeliwt beinah« za den „unglaublicher/ rechnet. Ein jetzt
r>l Jaü?o alter Mann bezieht seit Über 20 Jahre die Invalidenrente wegen nach
Ripjienreäektjon offen gebliebene? lirusitböhle nnd Speiserobren&itel in derselben.
Bei einer kürzlich stttttgefaabteö iSacbantersacbnng fand sich eine stark inauos-
iattstgrroße Höhle des isrustfauras. zu der eine Fünfmarkstbck^große Oeffiiung
flihrte. Bie Speiseröbreetliud lv-ft sich daran feststellen, daß beim Trinken
Von Kakao der Schleim in der Höhle gefärbt wurde, lief Mann bat, trotzdem
noch scfecchter Ernährungszustand und erheblicnß nervöse Beizharkeit besteht,
den tarifmäßigen iioho al# Straßenkehrer verdient Bä& aber Invalidität 'im
gesetzlichen Sinne weiterbestebt, hat Verfasser mit Recht daher Zweifel
gelassen. • : :- r S^lhtlg.
CnfallpratDkei' gegen pathologlsdliCT» Änatoia. Ja einem Falle von
Tuberkuih«e, Bbergntaebten von Job. 0 rth-Berlin, Äerstlicba Sacbve?-'
st.Andiget!-ZüHUD^, 1921, Nr. 5, • ■ 'Y ‘ 1
Ein iutereseftnier Fall, in dem Cirth zu einem von zwei Vßrgut*ßht<iTH,
eiiujin patiudogiseben Anatomen und einem Kreisarzt, abweichenden Urteil kommt.
Bef Fall lag, kurz gesägt, so r Ein 61 jähriger Arboiteir, bid dahin Ääscbeinend
fgSilftd, erlitt eine« nicht nnboiräebtlicbenStoß gegen dis Brust, wobei Scövvel?ong v
itttitnieriaufoiig und ein iUppenbruCh aafträten. Im Anschluß dafao eine
Eilsrgesehwuist, dBtiaeh »»tufcsto Langenfcnbftrkulbse. Tod fünf ftlduaie nach
dem Unfall. Svktiünsbt-fund; Tuberkulose eis*?■'■Lange, l-jmpbdrffaenknoten.
• Eiterherd i« der Muskulatur, ausgedehnte Tübeikaiose der Wirbelsäule und
des Brustbeins,
Der erste Üuuu’titet lehnte den ursächlichsn Zusammenhang ab, weil es
sich am alle tuberkulöse ErkranktiiugeB handJe. Der zweite Gutachter brachte
die KoOcbebuiberkHlose mit dem Unfall in Z«samWeSii&Kng.
Orth bemängelt zunächst, daß hier der pathologische Anatom io einen
Oegensalz *iil dem Praktiker gebracht wurde. Er beurteilt dön Fall so, daß
die Imngöritu borkiilose’zwcifoUbs Tön frühe£ F#Fbätä&4, daß TiäSfekhl auch diö
Bhocbcneikra&kangen: bereits zur Zeit des ÜnMlK bestanden haben, daß aber
durch den Unfall eine wesentliche Vetsdhilfflhibfnng ebigdtreten sei, demnach
der Tod in ursächlichem Zusammenhang mit ß.niall stehe. Beroentsprächend
wurde vom Rekhsvetsiaberuhgsamt entscMeden.' Solbrig.
274
Besprechungen.
Phlegmone und Unfall. Von Dr. Pickenbach-Berlin. Aerztliche
Sachverstandigen-Zeitung, 1921, Nr 2.
Verfasser hat bei Durchsicht von Bernfsgenossenschafts-Akten den Ein-
drnck gewonnen, daß die häufige Ablehnung der Entscbädignogspflicbt bei
Phlegmonen nicht berechtigt war. Er nimmt bei Phlegmonen als Ursache
immer einen Unfall an, sei es, daß es sich nm winzige Verletzungen, sei es
nm stumpfe Gewalteinwirkungen irgendwelcher Art sich handelt, ln diesen
beiden Fällen liegt aber ein Tranma vor. Erst wenn diese Ursachen negiert
oder ansgeschaltet werden können, ist man berechtigt, den Zusammenhang
zwischen Unfall und Phlegmone abzulehnen, sonst muß der Zusammenhang an¬
erkannt werden, wie die Gerichte es für gewöhnlich tun. Der volkstümliche
Begriff „aus heiler Haut" kann vor der strengen medizinischen Forschung
nicht bestehen. 8 o 1 b r i g.
0. Kriegsbesoh&dlgten-Fftrsorge.
Ueber Hysterie derKriegbsesch&digten. Von Gerichtsarzt Dr. Schulz -
Gleiwitz. Sonderabdruck aus der Zeitschrift für ärztlich-soziales Versorgungs¬
wesen, 1921, H. 8.
Die größte Zahl der sog. Kriegsneurotiker gehört zur Gruppe der sozialen
Hysterie. Bei solchen Personen besteht die durch Selbst- oder FremdBuggestion
gewährte überwertige Idee, eine möglichst hohe Geldentschädignng zu er¬
langen. Ans einem größeren Krankenmaterial zieht Verfasser den Schloß
von der psychogenen Natur des hysterischen Symptomenkomplexes, das all¬
mählich abzublassen pflegt, so daß die Prophylaxe durchaus nicht als un¬
günstig zu bezeichnen ist. Eine Berufsbeschaftigung ist von günstigstem
Einfluß auf das Schwinden der Krankheitsvorstellnngen. Deshalb ist Kapitals-
abfindung nicht am Platze, vielmehr für die schwereren Fälle eine befristete
Beute (auf 2—3 Jahre) von 20—30 v. H. Wer der Heilung widerstrebt, hat
einen schlechten Gesundheitswillen und soll nicht mit einer Rente bedacht
werden. _ Solbrig.
Die Versorgung« • Heilbehandlung der Kriegsbeschädigten nach
dem Reichsversorgungsgesetz vom 15. Hai 1920. Von Generalarzt a. D.
Dr. Herhold-Hannover. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 15.
Das wichtigste aus diesem Gesetz ist, daß die Heilbehandlung der
Kriegsbeschädigten von den Krankenkassen und Versdrgungsbehörden gewährt
und durchgeführt wird, wobei aber die amtlichen Fürsorgestellen nicht be¬
teiligt sind. _ Solbrig.
Besprechungen.
OrandrlM der menzohlloheo Erbllohkeitslehre und Rassonhyglene.
Band I: Menschliche Erolichkeitnlehre. Von Prof Dr. Baor, Direktor
des Instituts für Vererbungsforschung in Potsdam, Prof. Dr. Fischer,
Direktor des anatomischen Instituts der Universität Freiburg i. Br., Dr. Lens.
Priv.-Doz. für Hygiene an der Universität München. Mit 65 Figuren im Text.
Gr. 8°. 305 8 . Band II: Menschliehe Auslese und Rassenhygiene.
Von Dr. Lenz. Verlag von J F. Lehmann-München. 1921. 251 S.
Bevöikeruogspolitik und Rassenbygiene stehen heute im Vordergrande
des Interesses, unsere Gesetzgebung basiert vielfach auf ihnen und die Menschen
aller Parteirichtungen und Schichten befassen sich mit ihnen. Da ist vor
allem not, daß die maßgebenden Persönlichkeiten sich eine genaue Kenntnis
darüber verschaffen, welche verschiedenen RassenbcBtandteile ein Volk zusammen¬
setzen, nach welchen Gesetzen die Rassenunterschiede und die zahllosen Unter¬
schiede der Einzelm^nschen vererbt werden und die Auslesevorgänge auf ein
Volk einwirken. Das vorliegende Werk ist geschrieben, um diese Kenntnisse
zu vermitteln. Wohl für den Arzt in erster Reihe bestimmt, kann es auch
dem gebildeten Laien die interessanten Probleme der Erblichkeitslebre und
Rassenbygiene verständlich machen nnd näher bringen. Der erste Band ist
mehr theoretisch, der zweite berücksichtigt die Praxis. Jeder Teil ist aber
ein Werk für sich und auch einzeln erhältlich. Das Hauptgewicht liegt auf
dem zweiten Bande, der eine Fülle von Aufklärungen und Anregungen bietet
Besprechungen.
275
und erkennen läßt, daß die erbliche Beschaffenheit unserer Bevölkerung in der
Gegenwart sich im g»nzen in ungünstiger Richtung ändert, andererseits aber
zeigt, weiche praktischen rassebygieniscben Maßnahmen mit Erfolg anzuwenden
sind, um den drohenden Gefahren zu begegnen.
Das Werk, so außerordentlich fesselnd geschrieben, verdient beachtet
und verbreitet zu werden. _ 8 o 1 b r i g.
Prot Dt. mod. et vet. h. o. Robert v. Ostertag, Geh. Beg.-Rat und Minist.-
Rat im Ministerium des Innern zu Stuttgart: Handbuch der Fleischbeschau.
7 u.8. neubearbeitete Anflage. I. Bd. Mit 168Textabbildungen und 3 Tafeln.
Preis: geh. lo2 M , Gr. 8°, 630 8 Stuttgart 1922 Verlag von Ferd. Enke.
Bas rühmlich bekannte Handbuch hat eine Neubearbeitung, die eich als
notwendig herausstellte, erfahren; zunächst liegt der I. Baud in neuer Be¬
arbeitung, entsprechend den Fortschritten von Wissenschaft und Praxis der
Fleischbeschau, vor. Die Einteilung des Stoffes ist die gleiche geblieben, wie
früher (vergl. die Besprechung in dieser Zeitschrift, 19)3, 8. 42), aber ganze
Abschnitte haben eine völlige Umarbeitung erfahren. Die Ausstattung,
namentlich hinsichtlich der zahlreichen Abbildungen ist eine vortreffliche;
letztere haben eine nicht unerhebliche Vermehrung erfahren. Das Werk bedarf
keiner besonderen Empfehlung. In erster Reihe für Tierärzte bestimmt, ist es
auch fttr den Mediziner und Richter, die sich über die Grnndzttge der wissen¬
schaftlichen Fleischbeschau unterrichten wollen, von Wert. Solbrig.
Dr. F. Dionomann, 8tadtarzt in Dresden: Die gesundheitlichen Grund¬
lagen für gewerbliche Arbeit und Taylorsystem. Veröffentlichungen
der Dresdner Volkshochschule. 4. Heft. Verlag von C. Heinrich, Dresden.
71 8. Preis: geh. 6 M.
Verfasser will den Leser mit den Vorbedingungen bekannt machen, die
erfüllt sein müssen, wenn gewerbliche Arbeit ohne Schädigung von Körper
und Geist getan werden boII, und zeigen, inwiefern das bisher Geschehene un¬
genügend war, damit er selbst za beurteilen vermag, ob das Tnylorsystem
eben Fortschritt bedeutet. In der Hand des erfahrenen Untersuchers ist die
experimentelle Psycbotechnik mit ihren Apparaten und Methoden geeignet,
nützlich zu sein, wenn auch nicht für aUe Berufe solche feine Prüfungen
weder möglich noch nötig sind.
Die Schrift ist für den, der sich schnell über die vorliegenden Fragen
unterrichten will, ohne erst in Sonderwerke sich vertiefen zu wollen, namentlich
auch fttr Aerzte, zu empfehlen. Solbrig.
Internationale Uebereiebt Aber Gewerbekrankholten naoh den
Beriohcen der Gewerbelnepekti nen der Kulturländer Aber daa
Jahr 1913. Mit Unterstützung von Dr. L. Teleky, bearbeitet voo Prof.
Dr. Ernst Brexlna in Wien. Berlin 1921. Verlag von Jul. 8pringer.
143 3. Preis: geh. 28 M. Dieselbe Ueberaicht über die Jahre 1914—1918.
270 8. Preis: geb. 66 M.
Nach längerer Panse ist es möglich gewesen, an eine Fortsetzung der
„Internationalen Uebersicht“ beranzugeben. Freilich fehlen für die Kriegsjahre
Berichte aus Frankreich und Belgien, so daß außer Deutschland, Oesterreich,
die Schweiz, England und die Niederlande berücksichtigt werden können. Sind
diese Berichte von großem Interesse, so verdienen die sieb auf die Kriegs¬
jahre beziehenden Ausführungen besonders beachtet zu werden. Namentlich
erhalten die Berichte aus Deutschland und England durch die Besprechung der
Kriegsindustrie und die durch den Krieg geschaffenen außergewöhnlichen Ver¬
hältnisse (Beobachtungen über Vergiftungen bei der Mnnitionserzengung, wie
sie bisher niemals vorkamen) ihr charakteristisches Gi-p äge. In der englischen
Gewerbeinspektion tritt die intensive selbständige ärztliche Mitwirkung als
eia großer Vorteil gegenüber dem in dieser Hinsicht in Deaschland außer
Bayern und Baden bestehen Mangel in die Erscheinung.
Die Einteilung des Stoffes ist wie bei den früheren Berichten: Das
aeliologische Moment wird in den Vorderund gestellt, demnach werden die
gowerbiichen Gifte einzeln abgehandelt, daneben aber auch einzelne Körper¬
organe (Hautkrankheiten, Augenerkrankungen) durchgenommen. Solbrig.
;
276
Besprechungen.
Dr. Paul Dittrioh, ord. Professor der gerichtlichen Medizin an der deutschen
Universität und Landgericbtsarzt in Prag: Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin für Aerzte und Juristen. Zweite vermehrte und vollständig
umgearbeitete Auflage. Mit 2 Tafeln und 111 Abbildungen im Text. Prag,
1921. Schulwissenschaftlicher Verlag von A. Haase. Gr. 8°; 300 8. Preis:
geh. 68 Mark, geb. 64 Mark.
Die einzelnen Abschnitte der vorliegenden zweiten Auflage des D i 11 r i ch-
schen Lehrbuches haben unter Zugrundelegung der langjährigen eigenen Er¬
fahrungen des Verfassers und des gegenwärtigen Standpunktes der medizinischen
Wissenschaften eine vollständige Umarbeitung erfahren. Die Einteilung des
Stoffes (Tätigkeit des Arztes vor Gericht, Verletzungen, Schädigungen durch
Hitze und Kälte, Erstickung, Vergiftungen, Kindesmord, Zeugangsfähigkeit,
Selbstmordverbrechen, Schwangerschaft und Geburt, Fruchtabtreibnng) ist jedoch
die gleiche und nur die gerichtliche Psychiatrie ist diesmal unberücksichtigt
geblieben. Die Ausstattung des Buches, auch der Abbildungen, ist eine bessere
und reichhaltigere geworden. Der Charakter eines kurzgefaßten, in erster
Linie für den Studierenden der Medizin bestimmten Lehrbuches ist gewahrt;
es wird sich aber- auch für erfahrene Gerichtsärzte und für Juristen als brauch¬
bares Nachschlagebuch erweisen. Bpd.
Dr. Ernat Friedberger, o. ö. Prof, der Hygiene in Greifswald und Dr. Richard
Pfeiffer, o. ö. Prof, der Hygiene in Breslau: Lehrbuoh der Mikrobiologie
mit besonderer Berücksichtigung der Seuchenlehre. Herausgegeben unter
Mitwirkung einer großen Anzahl der bekanntesten Hygieniker und Bakterio¬
logen. Jena 1919 und 1920. Verlag von Gustav Fischer 8°; Zwei
Bände. I. Band: Allgemeiner Teil. Mit 8 Tafeln, 8 Diagrammen und 149
Abbildungen. II. Band: Spezieller Teil. Mit 4 Tafeln nnd 218 zum Teil
mehrfarbigen Abbildungen. 1206 Seiten. Preis: geh. 40 M.
Ein ziemlich umfangreiches und ausführliches Lehrbuch, das den Haupt¬
wert auf die Darstellung der allgemeinen Seuchenlehre und des Seuchen¬
schutzes legt, wobei die wertvollen Erfahrungen, die unsere Wissenschaft
durch den letzten Krieg gerade auf diesem Gebiete erfahren hat — ich brauche
hier nur auf das Fleckfieber hinzuweisen — sämtlich berücksichtigt sind. Der
auf möglichst breiter Grundlage angelegte allgemeine Teil behandelt in
seinen einzelnen Abschnitten die Geschichte der epidemiologischen Forschungen,
die Einwirkung der Krankheitserreger, die allgemeine Morphologie und Biologie
der Bakterien, die allgemeine Morphologie und Biologie der übrigen Virus-
arten, Schimmel und Hefen, die Schimmel- und Hefenerkrakungen, die all¬
gemeine Morphologie und Physiologie der Protozoen, die Infektion und Im¬
munität, die experimentelle Chemotherapie, die allgemeine Epidemiologie und
Prophylaxe, die Desinfektion, die Gesetzgebung, die Methodik der bakterio¬
logischen Untersuchungsmethoden; er enthält außerdem einen Abschnitt über
Bakterien in Luft, Wasser, Erdboden und Milch. Im speziellen Teil werden
dann die einzelnen, durch Bakterien hervorgerufenen Erkrankungen ausführ¬
lich besprochen. Sämtliche Abhandlungen stehen durchaus auf der Höhe der
Wissenschaft und sind leicht verständlich und klar geschrieben; ihr Wert wird
durch zahlreiche gute Abbildungen unterstützt Ein ausführliches Sachregister
am Schluß erleichtert den Gebrauch. Das Lehrbuch bildet eine wertvolle
Bereicherung unserer wissenschaftlichen Literatur auf diesem Gebiete; seine
Anschaffung kann nur warm empfohlen werden. Bpd. jun.
Dr. E. Kraaemann, Kinderarzt in Bostock: Säuglings- und Eieinkinder¬
pflege in Frage und Antwort. Eine Vorbereitung zur Prüfung als
staatlich anerkannte Säuglings- und Kleinkinderpflegerin. 2. verbesserte Auf¬
lage. Leipzig 1922. Verlag von Georg Thieme. 90 S. Preis geh. 15 M.
Das kaum vor Jahresfrist zuerst erschienene Büchlein (s. die Besprechung
in dieser Zeitschrift 1921, S. 612) liegt nach gründlicher Ueberarbeitung und
in mancherlei Hinsicht verbessert nun schon in zweiter Auflage vor, ein Zeichen,
daß es sich bewährt hat und weiterhin Eingang finden wird. Für etwaige
weitere Auflagen wird empfohlen, von den seuchengesetzlichen Bestimmungen
etwas mehr zu bringen (besonders Anzeigepflicht, fortlaufende Desinfektion).
_ 8 o 1 b r i g.
Tagesnachrichten.
277
Prof. Dr. ö. Bobornhelm-Bern: Leitfaden für Desinfektoren. 4. Auf¬
lage, erweitert und neu bearbeitet von Prof. Dr. E. Seligmann-Berlin.
Halle a. 8.1922. CarlMarhold Verlagsbuchhandlung. 68 S. Preis geh. 7 M.
Der bekannte Leitfaden liegt in neuer Auflage, von Seligmann auf
6rand der neuesten Fortschritte und der neuen für Preußen ergangenen Des¬
infektionsvorschriften bearbeitet und erweitert, vor. Das Büchlein hat sich
bewährt und wird künftig erst recht als Anleitung für die praktische Aus¬
führung der Desinfektion, sowie für den Unterricht der auszubildenden Des¬
infektoren nützliche Verwendung finden. Solbrig.
Tagesnachrichten.
Die Vertreter-Versammlung der Bezirksvereine sowie die Haupt¬
versammlung des Preuß. Hedizinalbeamtenvereins bat einen, wie alle Teil¬
nehmer gern bekunden werden, außerordentlich befriedigenden, harmonischen Ver¬
lauf genommen. Wir berichten heute über die Vertreterversammlung. Der Bericht
über die Hauptversammlung folgt in der nächsten Nummer. Es sei beute nur
kurz bemerkt, daß die Teilnahme eine verhältnismäßig recht zahlreiche, daß
auch die Zahl der Damen nicht gar zu gering und alles aufs beste vorbereitet
war, um ein gutes Gelingen zu gewährleisten. Trotz fleißiger und angestrengter
Arbeit in den Sitznngen, die von unserm neuen Vorsitzenden aufs beste ge¬
leitet wurden, kam auch der Frohsinn zur Geltung. Die Festtafel, durch
launige Beden, Musik und Gesang gewürzt, wird allen Teilnehmern in an¬
genehmster Erinnerung bleiben. Mit Magdeburg als Versammlungsort war
entschieden ein guter Griff getan. Berlin, ja zunächst in Aussicht genommen,
eignet sich heute nicht mehr recht hierfür. Der Gedanke, die nächste Jahres¬
versammlung in einem größeren Ort in Thüringen oder im Harz stattfinden zu
lassen, wurde in Magdeburg lebhaft begrüßt.
Der Vorstand des Deutschen Ucdizinalbeamtenvereins teilt mit:
Auf die im Verfolg der Beschlüsse der Nürnberger Hauptversammlung vom
• September 1921 an das Boichsarbeitsminisierium, betr. Aenderung der
Amtsbezeichnung der Versorgungsärzte, und an das Reichs-
ministerinm des Innern, betr. Zuwahl von zwei Mitgliedern des
Deutschen Medizinalbeamtenvereins zu Mitgliedern des
Reichsgesundheitsrats, gerichteten Eingaben sind die folgenden Ant¬
worten eingegangen:
D S 'minister. Berlin NW ^ den 15 März im
Die Verleihung der Amtsbezeichnungen „Regierungs - Medizinalrat“ und
„Oberregierungs -Medizinalrat“ an die Versorgungsärzte war die natürliche und
notwendige Folge der Verleihung der Amtsbezeichnungen „Regierungsrat“ und
„Oberregierungsrat“ an die Beamten des höheren Dienstes im Versorgnngswesen.
Da diese Amtsbezeichnungen sich bereits in der Bevölkerung eingebürgert
haben, und eine Aenderung der Amtsbezeichnungen „Regierungsrat und „Ober¬
regierangsrat“ für die betreffenden Versorgungsbeamien nicht beabsichtigt ist,
ao bin ich nicht in der Lage, dem dortigen Wunsche näher zu treten.
gez. Dr. Ritter.
Der Reichsminister des Innern. Berlin Nw ^ den 2Q April l922 .
Der Reicbsrat hat, um die Grundsätze für die Neugestaltung des Reichs-
gesundheitsrats einer eingehenden Nachprüfung unterziehen zu können, in der
Sitzung vom 23. Febrnar 1922 beschlossen, die am 3t. Dezember 1920 ab¬
gelaufene, durch Beschluß des Reichsrats vom 14. April 19H bis 31. De¬
zember 1921 verlängerte Wahlperiode des Reichsgesundheitsrats um ein
weiteres Jahr, das ist bis zum 31. Dezember 1922, zu verlängern.
Für diese Uebergangszeit sind Veränderungen in der Zusammensetzung
des Reichsgesundheitsrats, insbesondere Ersatz- und Zusatzwahlen, nicht beab¬
sichtigt. Für die Beteiligung von behördlichen Vertretern wie aach von Ver¬
tretern interessierter Verbände und Organisationen und von sonstigen Sach¬
verständigen wird § 2 der Geschäftsordnung des Reichsgesundheitsrats eine
geeignete Handhabe bieten. gez. Hamei.
278
Tagesnachrichten.
Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins teilt folgen»
den Erlaß des Herrn Ministers für Volkswohlfahrt mit, der nnter dem 5. Mai
an den Vorsitzenden ergangen ist:
Der Herr Preußische Ministerpräsident hpt Ihre an das 8taatsministeritun
gerichtete Eingabe vom 10. Februar d. Js. — Nr. 280/22 — an den Herrn
Finanzminister und mich zur Bescheidung abgegeben. Im Einvernehmen mit
dem Herrn Finanzminister und unter Bezugnahme auf die von mir am 13. De¬
zember v. Js. den Vertretern des Vereinsvorstandes gegenüber abgegebenen
Erklärungen teile ich ergebenst mit, daß
1. Ihre Anregung, betreffend den Ausbau des Gesundheitswesens mit einer
f rößeren Selbständigkeit in der Zentral-, Bezirks- und Kreisinstanz bei
eu Beratungen über die Verwaltungsreform zum Gegenstand eingehender
Erwägungen gemacht werden wird,
2. die Vorbereitung einer Neufassung der Dienstanweisung für die Kreis¬
ärzte habe ich ungeordnet. Ich hoffe, daß die Hauptversammlung Tom
27. d. Mts , die sich auch mit der genannten Dienstanweisung beschäftigen
wird, beachtenswerte Vorschläge ergeben wird. Der Entwurf eiuer neuen
Fassung soll nach der eiforderlichen Beratung zwischen den beteiligten
Ministerien in einer der nächsten Sitzungen mit Ihrem Vereinsvoratand
durchberaten werden.
8. Die anderweitige Festsetzung der Dienstaufwandsentscbädigung für die
Medizinalbeamten wird bei den demnächst beginnenden Verhandlungen
über die Beamtenbesoldungen zum Gegenstand besonderer Erwägungen
gemacht werden.
4. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Besoldung und Amtsbezeichnungen
der Medizinalbeamten neu geprüft werden.
5. Die Neuordnung der Gebühren der Aerzte und Zahnärzte ist durch Be¬
kanntmachung, betreffend die Gebührenordnung für approbierte Aerzte
und Zahnärzte vom lb. März 1922 (Volkswohlfahrt S. 185) bereits erfolgt.
Die Tarife des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten
vom 14. Juli 1909 (G.S. S. 625) sind durch den Erlaß vom 13. März d. Ja.
(G.S. 8. 60) angemessen erhöht worden. Eine Abänderung des Gesetzes
selbst ist in Vorbereitung.
Der bevölkerungspolitische Ausschuß des Reichstags begann am 4. 6.
seine Verhandlungen über den Entwnrf eines Gesetzes znr Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten mit der Generaldebatte. Ministerialdirektor Dam-
mann gab zunächst einen kurzen UVberblick über die Maßnahmen während
des Krieges, die schließlich zu der Notverordnung vom 11. Dezember 1918
geführt hätten, ging dann anf das ein, was bisher auf dem Gebiet der Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten von Reichs wegen geleistet worden ist,
auf die Zählung der Geschlechtskrankheiten, die verschiedenen Ausstellungen,
Merkblätter usw. Abg. Dr. Qu es sei (Soz.) erläuterte als Berichterstatter
kurz den Gesetzentwurf, der den Zwang zur Behandlung der Geschlechtskranken
durch approbierte Aerzte — also ein Kurpfuscherverbot — und die Aufhebung
der Reglementierung der Prostitution als Kernpunkte einführe. Als besonderen
Fortschritt begrüßte er es, daß der Kontrollzwang auch auf die männlichen
Kranken ausgedehnt werde. Der Gesetzentwurf trage einen durchaus sanitären
Charakter und wolle mit den Polizeimaßnahmen aufräumen. Abg. M um m (D. Nat.)
wünschte, daß nicht nur Bestimmungen rein sanitärer, sondern auch ethischer
Natur in daß Gesetz aufgenommen würden, war aher zur Mitarbeit anf der
Grundlage des Entwurfs bereit. Abg. Dr. Luther (D. Vp.) sprach sich gegen
die Beseitigung des Paragraphen aus, die sich auf die gewerbliche Prostitution
beziehen. Abg. Frau Neu haus (Zentr.) wollte insbesondere gesetzliche Für-
sorgemaßnabmen für die Prostituierten eingeführt whsen. Abg. Dr. Moses
(U. Soz.) begrüßte es als besonders erfreulich, daß mit der Erörterung des
ganzen Problems der Geschlechtskrankheiten dieses endlich aus dem Gebiet der
Heimlichtuerei herausgeholt werde, und bedauerte, daß das Reichsgesundheitsamt
in seiner Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse in Deutschland
während der Jahre 1920 und 1921 zu anderen Ergebnissen über den Umfang
der Geschlechtskrankheiten gekommen sei, als in den Erläuterungen zu diesem
m
GesetseBtvnsrf ftwgefiihrt; 'Werde. Er- kenn^chnet« dw S^wienekfiten,
die sich der Erfaseuoe der öescblecbtskranken entgegenKieilen, and wünschte
bei den» Knrpfflacinyrterbbt Dne besondere Aosbtldttnjf der praktischen Aerzto
in bezug auf die Beli&odinng von Gß-seiiJcebtsliMnke»; ..Abg. Br Ö FötJ&hn
tSoz.i bezeichn* te die grundsätzliche A i.^cha üfucg. derpolizeilichen. BegiemekttCTUpg
als das Bedeutendste in-diesem ßeseuentwurf. Ai*-'. Privö Pr. Lu der* fÖeiiL.l
beschäftigte sieb Id derHrniptsache ml* derStollsHg des Eeichsratö m dem
rieseueniwurf.- Dem gegenübe r erklärte ■ der '.Vertreter Freiherr
»on I m b o ff, daß die bayerische .Eegiera»g dem yo?{.teg»ädeaA.id)»4®Nibwint(
skeptisch gtsgenübemehe. da er vielfach, den n'UgRssee und sit-tju'heD Grund-
lagen und Empfindungen des Wy'efjBchco APtikea «ridereprcchA Er hielt, die
strafrechtlich« Freigabe 4er Pnzecbt und Acpuusimg von Mitteln 2 tsr Verh&tueg
von öeechleehtakrurikheiteo als gefährlich, letzteres inabesondere, da es nach
rar Verhütung der EfDpfftngms -und damit zu einer Etnsöhränkung der Bevölkerung
beitragen wtirde, Abg. Frnü M ii lier-0 tfr.iipii ,iD. Kat.) wandt« sieb gegen
die Aaßeracbtiassnug ivligioSssiti lieber Beweggründt; in A cm Entwarf, begrüßte
aber die Gleiehbekäudlwng von Mann und Fr&ii. ■ l<rbae‘Fttägeämter wäre da»
Gesetz für ihre Partei unvollständig, ■'.■L^rHisieriiddifektoi’ Hamei bestritt, daß
die Geschlechtskrankheiten in d-r letzten Zeit eiueu außergewöhnlich großen
Umfang nngimoiuroeu hätten, und .ben<>f «cfc auf die Statistik des .Reiebsg-esnnd*
beitsauita. 'Von Vertretern des Keiclisgesündbeitsaiats wnrdfcn dann noch auf
Omnd von Karten omfangreiehe Angaben über die Verbreitung -der-■'Geschlechts--
krankhehea in Deutschland gemacht, di« von einem Vertreter der preußischen
Regierung ergänzt würden, (Voss. Ztg,}
, 'Der Bevölkerangsapsscbpß des Landtages nahm nach laugen ^sfband-
ittngen den £Wtr#ffi«s: prenßlscbt-B U^batumengesettes an, das sowohl frei
prtlrtiswrande wie beamtete HVoamajen vorsieht , ßs. soll, am JU C'klaWr 1922,
wenn möglich, in Kraft treten und enthält n, A eine Stsaisbeibüfe für die
Kreise und Gemeinden in Höhe von 25 Millionen Mark.
Die Vereinigung der ln leitender Stellfiitg tätigen lonoraonalfirzte
wird an< der diesjährigen Tagung dos deutschen Vereins fur ilffeot liebe D«sond-
betlapftege in Frankfurt a. M. ihre Jahresversammlang «bhalteß. Genaue
Nachrichten folgen. . ■ ■'" _. _ . A ‘‘
SprechsaaL
AeaBtnsf des KrelsmedfztnaJratH W. in €. An zeig e von Kind¬
bett fieber, Auf Seite 167 m Heft 7 hat Herr Med.-Hat Pr. Israel
darauf biogewicse.n, daß sehr arftibrone Aerzte und Frauenärzte ihn befragt
hätten, ob Kindbettfieber auch bei Frühgeburten an/.'-igepftichtig sei und. ob
fieberhafte Peri- und Paraiuetriiis im Wochenbett als Kirnt beu hebet auztiaeben
.'«lad,.. -.Hierüber herrscht, wie aarjb von andOfep Swtla schon geäußert ist* in.
Aerztekreiscn eine große MoiniingsverschiedenbeJi ; cs wäre daher sehr wäuseheBa-
wert, wenn diese Frage allgemein geklärt würde; Vor allen Dingen auch, daß
Kindbcttfteber auch daun anzeigepfüchitg ist, wenn keine Hebamme zttgezogen ist.
Hieraaf kann nur geantwortet werden, daß leider die Anzeige von Kind-
bottfiebej durch Aeme nicht selten ante-rUsscm wird, wobei dann sur Erklärung
abgegeben wird, es habe eich nicht um eiu .eigeptliches* E-odbettflabef, sondern
am Parametritis u. dgl gehandelt. Es ist. selbstverständlich, duß auch Kind*,
bottfieher bei Frühgeburten nnd in solchen Fällen anzeigepfiiciög ist, wem»
keine Hebamme zugezogeo ist.
/A;-A \1«.' Krelsw^tHzlnalrni l*. tu jil beklagt sich darüber, daß ihm von der
Rogisruag far Biensträi^on bei lAudwegen 60 PI angesf-tzt Tferdöo* während
p tiBen eigenen K ruh wagen benutzt, ■ wofür er 4 M. pro .Kilömeter in Ansatz
gebföcht hat. Dabei wird arigegbbcti, daß Mißtsfiihrwerkd, tjbefBanpt.
phäitiinh, pro Kilometer etwa f> M. kosten.
Antwort: iäcllwtverständlicü süul Bte nicht verpÜichtet, Landweg« über
'd km su Fnß zitröckzulcgt;» Sie ton gut, sieh eine aoitiiche Bescheinigung
über die dort üblichen Sätze für Miotsfohrwerk« (pro Kilometrir befeehnet)
280
Bitte an die Leser der Zeitschrift
ausstellen zu lassen und mit den Reisekostenliqnidationen einzureichen. Stellt sich
heraus, daß der Kraftwagen nicht teurer ist als Mietsfahrwerk, muß Ihnen der
Betrag, den Sie für den Kraftwagen in Ansatz gebracht haben, erstattet werden.
2. Derselbe tragt: Outachterhonorare der Regierung erhielt ich neuer¬
dings unter Absetzung des Ueberscndungsportos, was ich rein rechtlich nicht
für zulässig halte. Kann ich remonstrieren?
Antwort: Nein. Wenn der Betrag nicht abgeholt wird, sondern über¬
sandt wird, werden die Kosten Ihnen zur Last gelegt (vgl. Bekanntmachung
des Pr. Staatsministeriums vom 7. 2. 94, § 1 dieser Zeitschr., Beilage 1894, S. 46).
Herr Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. J. in Cli. beschwert sich bitter
darüber, daß die Zeitschrift nachgelassen habe, die wohlberechtigten wirtschaft¬
lichen Fragen, die die im Ruhestand befindlichen M.-dizinalbeamten angehen,
zum Gegenstand der Erörterung zu machen. Im besonderen vermißt er in den
lezten Nummern ein Eingehen auf die Bezüge, die die Pensionäre jetzt nach
dem 1. April zu bekommen haben. „Warum“, sagt er, „wollen Sie (d. h. der
Leiter der Zeitschrift) alle wirtsc aftlichen Fragen und Mitteilungen aus der
Zeitschrift für Medizinalbeamte ausmerzen?“ —
Hierauf folgende Antwort: Die Bezüge der im Ruhestand befindlichen
Mcdizinalbeamten sind leicht von der zuständigen Kreiskasse zu erfahren. Auch
dürfte durch die Bezirks vereine, denen satzungsgemäß jedes Mitglied des Preuß.
Medizinalbeamten Vereins angehören soll, dies festzustellen sein. Es sei aber
hier gleich mitgeteilt, daß die Versorgungsgebührnisse der Ruhegehaltsempfänger
gleichmäßig so geregelt sind, daß das Grundgehalt nach den seit 1. 4. 22 für
die Beamten gültigen Sätzen nebst dem Durchschnittssatz des Ortszuschlags
(4680 M ) und dem Satz von 2250 M. für ruhegehaltsfähige Nebenbezüge
zugrundgelegt, vou dieser Summe der nach der Länge der Dienstzeit zu berechnende
Anteil genommen und hierzu ein Ausgleich- und Versorgung'Zuschlag hinzu¬
gerechnet wird, wozu dann noch die Frauenbeihilfe in voller Höhe kommt.
Der Preuß. Med.- Beamtenverein bat sich nach wie vor bemüht, die Interessen
der Pensionäre, wie es seine Pflicht ist, zu vertreten und zu fördern, soweit er
vermag. Darüber ist in d m Bericht über die Magdeburger Tagung mehr zu lesen.
Im übrigeu soll den geäußerten Wünschen mögL Rechnung getragen werden.
Bitte an die Leser der Zeitschrift.
Herr Professor Dr. Müller-Hess in Königsberg, nach Bonn
berufen, hat die Bitte ausgesprochen, die von der Schriftleitung
gern unterstützt wird, ihm bei der Einrichtung des gerichts¬
ärztlichen Instituts, in dem noch alles fehlt, möglichst
dadurch zu helfen, daß ihm Instrumente und Bücher, die von
ihren Besitzern nicht mehr gebraucht werden, käuflich über¬
lassen werden. Besonders sind von Gerätschaften Mikroskop
und Mikrotom, von Büchern Zeitschriften (auch ältere Jahr¬
gänge) aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin, der sozialen
Medizin, der Psychiatrie und Pathologie erwünscht. Spenden
werden selbstverständlich besonders dankbar entgegengenommen.
Da Herr Professor M. H. zur Zeit noch keine Adresse in
Bonn angeben kann, ist der Schriftleiter gebeten, Anmeldungen
von dem, was zum Verkauf bezw. zur Schenkung zur Ver-
fügung gestellt wird, anzunehmen..
Dieser Nummer liegt eia Prospekt von Fischers med. Buchhand¬
lung, Berlin W. 62, Keitstr. 6, betr. »Kompendium der sozialen Hygiene“,
bei, worauf besonders aufmerksam gemacht wird.
Verantwortlich für die Schriftlcitnng: Qeh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau
Breslau V, Rehdlgerstraße 84. — Druck von J. C. C. Bruns, Minden L W.
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35. J&hrg.
Zeitschrift für Medizin&lbeamte.
Nr. 11.
Personalien.
Deutsches Reloh und Preussen.
Ernannt: Znm ordentlichen Professor für gerichtliche Medizin in Bonn
der Priv.-Doz* Dr. Müll er-Hess in Königsberg.
Württemberg.
In den Ruhestand auf Ansuchen versetzt: Oberamtsarzt tit. Med.-Bat
Dr. Essig in Ravensburg.
Erledigte Stellen.
Prenssen.
Zu besetzen alsbald die Kreisassistenzarztstelle in Burgdorf, Regierungs¬
bezirk Lüneburg. Bewerbungen sind an das Ministerium für Volkswohlfahrt
in Berlin W. 66, Leipzigerstraße 3, durch Vermittelung des für den Wohnort
des Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn
Polizeipräsidenten) einzureichen.
Württemberg.
Die Oberamtsarztstelle — mit ärztlicher PraxiB — in Ravensburg.
Bewerber haben sich binnen 10 Tagen beim Ministerium des Innern zu melden.
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35. Jkbrg.
282
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
unseres alten Preußischen Medizinalbeamtenvereins in seinem
neuen Gewände, der Sie die Ehre Ihrer Teilnahme geben.
Stehen doch in unserer schweren und bedrängten Zeit einer
Zusammenkunft starke und schwere Hindernisse entgegen, die
nicht immer allein durch den guten Willen zu besiegen sind.
Ich sehe vieb, die fast an jeder Versammlung unseres
Vereins teilgenommen haben, ich sehe aber auch manche Neue.
Alte Medizinalbeamte und junge, alle bereit, an dem Wohl
unseres Standes mitzuarbeiten. Sie finden reiche Arbeit und
wichtige Punkte stehen zur Beratung. Aber wir dürfen wohl
hoffen, zu einem guten Ende zu kommen, denn wir werden
auch der Unterstützung unserer Staatsbehörden nicht zu ent-
raten brauchen, können wir doch hier begrüßen: Herrn Wirkl.
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich als Verrtreter des
Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt, Herrn Landesrat
Dr. Albrecht als Vertreter der Landes Versicherungsanstalt
Sachsen, den Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg Herrn
Beims, Herrn Polizeiarzt Dr. Gerhardt als Vertreter des
Herrn Ministers des Innern, Herrn Prof. Dr. Alt, Vorsitzenden
der Aerztekammer der Provinz Sachsen, Herrn Prof. Dr. Habs,
Vorsitzenden der Medizinischen Gesellschaft Magdeburg, Herrn
Reg.- und Med.-Rat Dr. Ostermann, Vertreter des Herrn
Ober- und des Herrn Regierungspräsidenten zu Magdeburg. Die
Herren Regierungspräsidenten zu Merseburg und Erfurt waren
verhindert, an den Verhandlungen teilzunehmen.
Darf ich diese uns so sehr willkommenen Herren bitten,
sowohl für sich selbst unseren Dank entgegenzunehmen für ihr
Erscheinen und den Herrn Minister, Oberpräsidenten und Regie¬
rungspräsidenten unseren besten Dank auszusprechen für das
Interesse, das sie dadurch an unserer Zusammenkunft und unseren
Verhandlungen beweisen.
Sind wir uns doch wohl bewußt, daß nur in dem stetigen
Meinungsaustausch und engster Zusammenarbeit aller der
Stellen, die verantwortlich sind für das öffentliche Gesund¬
heitswesen, die Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge, der
gesundheitliche Wiederaufbau unseres Volkes und auch das
Wohl unseres Standes gefördert werden kann.
Dank sagen möchte ich auch den Vertretern der guten
alten Stadt Magdeburg für die Gastfreundschaft, die sie uns in
ihren Mauern gewährt. Auch sie trägt ein gut Teil dazu bei,
wenn unseren Tagungen heute ein schöner Erfolg beschieden ist.
Noch einmal, meine sehr verehrten Herren Kollegen und
Ehrengäste, seien Sie bedankt für Ihr Erscheinen und seien
Sie uns herzlich willkommen.
Wirklicher Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich: Meine
Herren, sehr verehrte Herren Kollegen 1 Der Herr Minister für
Volks Wohlfahrt, mein Herr Chef, ist zu seinem Bedauern durch
dringende Dienstgeschäfte verhindert, an Ihrer Hauptversamm¬
lung teilzunehmen. Er hat von der übermittelten Tagesordnung
mit Interesse Kenntnis genommen und bestimmt, daß zwei
des Preußischen Medizin albeamtenyerrins.
288
Vertreter, Herr Staatssekretär Scheidt und ich, an der Ver¬
sammlung teilnehmen sollten. Leider hat mir der Herr Staats¬
sekretär gestern abend telegraphisch mitgeteilt, daß er im letzten
Augenblick an der Teilnahme verhindert worden ist, da in dieser
Stunde die Verhandlungen im Hauptausschuß des Landtags über
den Haushalt unseres Ministeriums, im besonderen auch über
den Haushalt der Abteilung I Volksgesundheit stattfinden, an
denen er teilnehmen muß. Aus demselben Grunde hat mich
auch Herr Ministerialdirektor Gottstein ersucht, sein Fern¬
bleiben zu entschuldigen. Die Herren haben mioh beauftragt,
dem Vorstand für die freundliche Einladung zu dieser Ver¬
sammlung bestens zu danken und in ihrem Namen Ihren Ver¬
handlungen guten Erfolg zu wünschen. Um so mehr freue ich
mich, daß es mir trotz der augenblicklichen schwierigen par¬
lamentarischen Lage vergönnt ist, an Ihren Beratungen teilzu¬
nehmen.
Meine Herren, die Wünsche und Hoffnungen, die die Preußi¬
schen Medizinalbeamten hegen, sind dem Herrn Minister bereits
im Dezember v. J. durch Ihren Vorstand vorgetragen worden.
Er hat schon damals zugesagt, alles zu tun, was in seinen
Kräften steht, um die staatliche Stellung des Kreisarztes zu
erhalten und zu stärken. (Bravo!)
Was im besonderen die Erstrebung einer größeren Selbst¬
ständigkeit der Stellung der Medizinalbeamten in allen Instanzen
angeht, so wird diese Frage bei den Beratungen über die Ver¬
waltungsreform eingehend erwogen werden. Damit sich das
erstrebte Ziel durch eine Neufassung der Dienstanweisung für
die Kreisärzte erreichen läßt, soll versucht werden, bei der Neu¬
bearbeitung der Dienstanweisung entsprechende Bestimmungen
mit den übrigen beteiligten Ressorts zu vereinbaren. Ihre Be¬
ratungen werden, wie ich hoffe, dafür beachtenswerte Gesichts¬
punkte ergeben.
Eine Ueberprüfung und anderweite Festsetzung der Be¬
stimmungen über die Besoldung, der Dienstaufwandsentschädi¬
gung und der Amtsbezeichnungen der Medizinalbeamten soll
bei den demnächst wieder beginnenden Verhandlungen über
die Besoldung und Amtsbezeichnung der Preußischen Beamten
Überhaupt Ihren Wünschen und Anträgen entsprechend in An¬
regung gebracht werden.
Was die Gebühren der beamteten und nicht beamteten
Aerzte angeht, für die Ihr Vorstand neue Vorschriften beantragt
hat, so ist Ihnen bekannt, daß zunächst durch die neue Ge¬
bührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom
15. März d. J. privatärztliche Gebühren festgesetzt worden sind,
die den derzeitigen Teuerungsverhäitnissen Rechnung tragen,
und in denen auch die Wünsche Ihres Vorstandes Berücksichti-
10 fache des Friedensstandes angeordnet und vom Landtag ge¬
nehmigt worden. Was die Vorschriften des Gesetzes, betreffend
284 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
die Gebühren der Medizinalbeamten, angeht, so ist die Neu¬
bearbeitung bereits im Gange. Ich hone, daß Ihre morgen
stattfindenden Verhandlungen über eine Neufassung dieses Ge¬
setzes uns wünschenswerte und willkommene Unterlagen für
unsere Arbeit geben werden.
Meine sehr verehrten Herren Kollegen, in dieser schweren
Zeit, in der wir immer noch an den Folgen des Weltkrieges
und der Umwälzung, namentlich auf wirtschaftlichem und ge¬
sundheitlichem Geibiete zu tragen haben, ist nichts nötiger, als
daß alle für das Volkswohl bestellten und sorgenden Kreise
treu zusammenstehen, ist nichts nötiger als gemeinsame Arbeit
und Einigkeit. Deshalb legt der Herr Minister besonderen Wert
darauf, daß seine Medizinalabteilung mit dem Vorstand Ihres
Vereins enge Fühlung hält. Er beabsichtigt, wie Ihnen bereits
bekannt ist, die Mitglieder Ihres Vorstandes zweimal im Jahre
ins Ministerium einzuberufen zur gemeinsamen Beratung über
wichtige Fragen der Volksgesundheit und Medizinal Verwaltung
mit seinen Beauftragten. Außerdem wird es meine besondere
Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß alles, was für die Medizinal¬
beamten und für die öffentliche Gesundheitspflege von grund¬
sätzlicher Bedeutung ist, Ihrem Vorstand und wenn erforderlich,
durch diesen Ihrer Vertreterversammlung oder Ihrer Haupt¬
versammlung vorgelegt wird. (Bravo 1)
Der Herr Minister ist sich mit Dank dessen bewußt, was
Sie, meine Herren Kollegen, insbesondere auch die Herren
Kollegen in der Kreisinstanz, auf dem Gebiete der Volksgesund¬
heit in selbstloser, hingebender Arbeit geleistet haben, und
welche Verdienste sie sich um das Allgemeinwohl und den
Staat erworben haben. Er gibt sich der Hoffnung hin, daß
Sie gemeinsam mit ihm und seinen Vertretern in Zukunft in
derselben verdienstvollen Weise wie bisher arbeiten werden,
dann werden auch Ihre Wünsche mit aller Kraft vertreten und
der Erfüllung nahegebracht werden können nicht so zu Ihrem
Nutzen, als vielmehr zum Segen für unsere Volksgesundheit
und zur Erstarkung unseres in so trauriger Weise geschwächten
Volkes. In diesem Sinne darf ich im Namen des Herrn Mi¬
nisters Ihren Verhandlungen den besten Erfolg wünschen. (Leb¬
haftes Bravo!)
Prof. Alt: Meine sehr verehrten Herren! Im Namen der
Aerztekammer der Provinz Sachsen habe ich herzlich zu danken
für die freundliche Einladung, die an den Vorstand der Kammer
erging, Sie herzlich willkommen zu heißen in der Hauptstadt
unseres Kammerbezirks und dem Wunsche Ausdruck zu geben,
daß Ihre in der heutigen Versammlung beginnenden Verhand¬
lungen nach jeder Richtung fruchtbringend verlaufen mögen.
Die Aerztekammer bringt ebenso wie Geheimrat Dietrich für
das Ministerium vorgetragen hat, gerade der jetzigen Tages¬
ordnung das größte Interesse entgegen. Darüber dürfen wir
nicht im Zweifel sein, ohne einen berufstüchtigen Aerztestand
gibt es keinen Fortschritt in der sozialen Hygiene und all die
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
285
großen Worte, die die Wohlfahrtspflege gebraucht, die nament¬
lich von Laien so hochtönend im Munde geführt werden, sind
nur Schall und Rauch, wenn nicht ein berufsfreudiger Medizinal-
Beamtenstand geschaffen ist. Die Aerztekammer legt großen
Wert darauf, stets in inniger Gemeinschaft mit Ihnen zu arbeiten.
Sie sollen unsere Führer sein auf dem Gebiet der Volksgesund¬
heit. Wir wollen Ihre auserlesene Truppe und ausführenden
Organe sein. Gerade in der Provinz Sachsen haben wir die
denkbar innigste Zusammenarbeit zwischen Aerztekammer und
allgemeiner Aerzteschaft. Unsere gemeinsame Zusammenarbeit
— wir haben die Freude zwei Ihrer Mitglieder, Herrn Med.-Rat
Dr. Bundt und Herrn Geh.-Rat Dr. Kluge, in der Aerzte¬
kammer zu sehen — hat schöne Früchte getragen nicht nur
auf dem Gebiet der Volksgesundheit, sondern auch auf dem
Gebiet der Bekämpfung des Kurpfuschertums. Wenn heute
Otto Schlesinger, gen. Otto-Otto, nicht mehr Professor
der Psychotherapie und Sepp Oerter dicht mehr Minister in
Braunschweig ist, so ist das das Hauptverdienst der Aerzte¬
kammer und der Medizinalbeamten. In gleicher Weise haben
wir in Magdeburg einen Kurpfuscher durch gemeinsame Arbeit
zur Strecke gebracht. In diesem Sinne wünschen wir, daß die
Forderungen, die Sie mit voller Berechtigung stellen, in Er¬
füllung gehen, damit Ihr Stand weiterhin schaffenstüchtig, be¬
rufsfreudig bleiben möge. In diesem Sinne heiße ich die Tagung
willkommen. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen.)
Oberbürgermeister Beims: Ich danke dem Herrn Vor¬
sitzenden, daß er es mir möglich machte, in Ihrer Versamm¬
lung anwesend sein zu können und von Ihren Bestrebungen
Kenntnis zu nehmen, um sie so in unserer Gemeinde nach
Möglichkeit nutzbringend anzuwenden. Wir werden in diesem
Jahre in Magdeburg durch die Mitteldeutsche Ausstellung eine
ganze Reihe von Kongressen haben, viele Organisationen werden
ihre Tagungen nach Magdeburg legen. Aber die Vereinigung
der Medizinalbeamten unterhält zu den Kommunen so innige
Beziehungen und die Kommunen sind auf ihre Mitwirkung so
außerordentlich angewiesen, daß Ihre Tagung unseren Magistrat
veranlaßt hat, eine Delegation zu beschließen und ich heiße Sie
als ihr Vertreter willkommen und hoffe, daß dieses Willkommen
angenehmen Widerklang finden möge. (Bravo 1)
Landesrat Albrecht (Vertreter der Landesversicherungs-
Anstalt): M. H.! Ihre vertrauensärztliche Tätigkeit bedingt ein
Hand in Handarbeiten zwischen Kreisarzt und der versicherten
Bevölkerung. Der V orstand der Landesversicherungsanstalt, in
deren Bezirk die Tagung fällt, hat Ihre Einladung mit Dank
aufgenommen und heißt Sie ebenfalls auf das herzlichste will¬
kommen.
Prof. Habs, Vorsitzender der Medizinischen Gesellschaft in
Magdeburg, beißt die Versammlung ebenfalls herzlich willkommen.
Dr. Gerhard dankt für die Einladung und überbringt Grüße
und beste Wünsche als Vertreter des Ministers des Innern.
286
Bericht Aber die XXXIII. Hauptversammlung
Reg.- u. Med.-Rat Ostermann dankt als Vertreter des
Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten für die Einladung.
Der Vorsitzende Dr. Bundt dankt allen Vorrednern für die
freundlichen Wünsche und Willkomraensgrüße und erteilt Herrn
Prof. P u p p e - Breslau das Wort zu seinem Vortrag über Ge¬
burtsschädigungen der Neugeborenen.
II. Gefourtsschädigungen des kindlichen Kopfes,
Vorschläge zu einer Abänderung der bisher
üblichen Sektionsmethode*).
Berichterstatter Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau:
Die Geburtsschädigungen des kindlichen Kopfes haben eine hohe
gerichtsärztliche Bedeutung. Insbesondere interessiert den Ge¬
richtsarzt, ob und in wie weit bei Spontangeburten Verletzungen
auftreten können, die den Verdacht einer gewaltsamen Geburts¬
schädigung hervorrufen. Die durch einen geburtshilflichen Ein¬
griff hervorgerufenen Geburtsschädigungen will ich deshalb
nicht in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen.
Die häufigste und hinlänglich bekannte Geburtsschädigung,
die der kindliche Kopf erleidet, ist die Kopfgeschwulst. Das
bekannte sulzige Infiltrat, das stets mit kleinen Blutungen ver¬
gesellschaftet ist, und das sich stets am vorliegenden Kindsteil,
Kopf, Gesicht, Steiß nachweisen läßt, wenn nicht, und das wird
ja ausreichend gerichtsärztlich gewürdigt, ein besonders schneller
Geburtsverlauf das Zustandekommen einer Geburtsgeschwulst
verhindert.
Auch das Kephalhämatom ist eine allgemein bekannte
Veränderung, die gleichfalls als Geburtsschädigung anzusprechen
ist, und die in ähnlicher Weise erklärt wird, wie das sogenannte
Döcollement de la peau, die Taschenbildung im Unterhautfett¬
gewebe bei tangential auf die Körperhaut einwirkenden Gewalten.
Wichtig ist, daß das Kephalhämatom demgemäß nicht nur bei
Kopflagen auftritt, sondern auch bei Beckenendlagen. Wir
müssen annehmen, daß beim Hindurchtreten des Kopfes durch
das Becken Periost und Knochen tangential von einander ver¬
schoben werden, und daß so die Blutung zustande kommt.
Weniger bekannt sind die Druckmarken, die durch
einen rigiden Muttermund am vorliegenden Kindsteil erzeugt
werden können, und die zum Teil einen strangmarkenartigen
Charakter annehmen können. Ich muß gestehen, daß ich eine
derartige Geburtsschädigung noch nicht gesehen habe. Doch
möchte ich Ihnen hier im Bilde aus der bekannten Krattef-
schen Abhandlung einen typischen Pall dieser Art vorführen.
(Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin, 3. Folge XIII).
Wichtiger, als die durch den Muttermund hervorgerufenen
Druckmarken sind aber die durch Teile des knöchernen Beckens
bedingten. In erster Linie kommt hier das Promontorium, in
zweiter Linie die Symphyse in Betracht. Druck dieser Teile
*) Mit Vorführung von Lichtbildern.
des Preußischen Medizin albe amten verein«.
287
des knöchernen Beckens auf die Haut des kindlichen Schädels
kann Druckmarken erzeugen, die zur Nekrose und zu Wund¬
komplikationen Veranlassung geben können.
loh erwähne bei dieser Gelelegenheit die kongenitalen
Cutisdefekte, die durch amniotische Verwachsungen in
utero zustande kommen,. und die durch Fehlen der obersten
Hautschichten, Fehlen der Haare und dergleichen charakteristisch
sind. Ich erlaube mir hier, Ihnen die von Dittrich und
Keller in der Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin
(Band 9 und Band 85) publizierten Abbildungen vorzuführen.
Diese kongenitalen Cutisdefekte sind also keine Effekte einer
Geburtsschädigung; sie sind weniger allgemein bekannt, und
ioh halte es deshalb für wichtig, wenn Sie selbst durch Au gen¬
schein sich von der Art der Veränderungen überzeugen können.
Wiederholt haben größere Verletzungen gerichtsärztliche
Gutachten erfordert, wenn behauptet worden war, daß das Kind
mit den Verletzungen geboren worden sei, die durch den Ge¬
burtsakt entstanden, oder wenn die durch eine Kopfgeschwulst
vorgebuchtete Kopfschwarte von einer Pfuscherin für die Frucht¬
blase gehalten und zerschnitten wurde. Einen derartigen Fall
hat Kratter mitgeteilt. Die für die Fruchtblase gehaltene
Kopfhaut war mit einer großen Handscheere zerschnitten worden.
Der unmittelbare Effekt dieses Eingriffes konnte von der
Pfuscherin nicht beobachtet werden, weil die Gebärende so
heftige Wehen bekam, daß sie niedergehalten werden mußte.
Als dann die Geburt erfolgte, wies zum Entsetzen aller An¬
wesenden der Kopf des Kindes eine kreuzweis klaffende Wunde
an der rechten Seite auf, die ich Ihnen hier nach einer Skizze
vorführe. Um den Fehler wieder gut zu machen, wurde vom
Kaufmann eine starke Nähnadel herbeigeholt, und die Pfuscherin
nähte die Wunde mit fortlaufender Naht kunstgerecht wieder
zu. Natürlich ohne ateptische Cautelen. Tod an eitriger
Meningitis und Hirnabszeß nach 10 Tagen.
Bei einem zweiten von Dittrich mitgeteilten Falle war
auf diese Weise eine Skalpierung der Kopfhaut erfolgt. Hier
wurde sofort eine sachgemäße ärztliche Behandlung eingeleitet
und es gelang, das Kind am Leben zu erhalten.
Einen dritten Fall dieser Art habe ich selbst erlebt. Eine
XIX para (17 normale schnelle Entbindungen, ein Abort) kon¬
sultiert eine Pfuscherin, die sie angeblich wegen zu weiter
Entfernung der Hebamme vom Wohnort schon öfter zu Ge¬
burten hat herbeirufen lassen. Bei der 19. Entbindung war der
Wehenbeginn angeblich abends 8 Uhr, um 8 l / s Uhr erfolgte
Blasensprung mit erheblichem Wassererguß, das Fruchtwasser
kam durch das Bettstroh bis in die Stube. Um 8 3 / 4 oder 9 Uhr
erfolgte die Geburt. Als die Fruchtblase sprang, war die
Pfuscherin noch nicht da. Nach dem Blasensprung untersuchte
sich die Gebärende selbst mit dem zweiten Finger der rechten
Hand, der keinen scharfen Nagel hatte. Als dann die Pfu-
scherin erschien, waren nur ganz schwache Wehen vorhanden,
288
Bericht Uber die XXXLH. Hauptversammlung
die gleichwohl verschwanden. Das dauerte etwa 10 Minuten
an und während dieser Zeit hat die Pfuscherin einmal unter¬
sucht, nachdem sie sich vorher einmal die Hände mit Wasser,
aber ohne Seife gewaschen hatte. Die Kreisende hatte der
Pfuscherin befohlen zu sehen, ob das Kind mit dem Kopfe
vorkam. Dann erfolgte die Geburt. Als die Pfuscherin das
Kind nahm, sah sie angeblich, daß der Kopf des Kindes offen
war. Weiter behauptet sie „dreimal sackte sie mit der Hand
Blut und Eiter weg und warf es in den Eimer“. Diese von
der Pfuscherin gemachte Angabe wird auch von der Tochter
und von dem Ehemann der Gebärenden, die bei der Entbindung
assistierten, in ganz stereotyper Weise wiederholt. Offenbar
war das Verabredung. Die Tochter reichte der Pfuscherin dann
eine Scheere, und mit dieser durchtrennte sie den Nabelstrang.
Das Kind ist dann nach 3 Tagen auf Veranlassung der kon¬
sultierten Diakonissin zum Arzt gebracht worden, der eine 12 cm
lange, an den Enden 2 1 /» in der Mitte 3 cm klaffende Wunde,
die ziemlich scharfrandig war, feststellte. Die Wunde war an
den Rändern bereits schwach granulierend, in der Tiefe sah
man die mißfarbig, gelbgrünlich aussehende Knochenhaut über
den beiden Scheitelbeinen. Das Kind ist dann nach dem
Krankenhaus überführt worden und starb hier 8 Tage nach
der Geburt infolge von Anämie und Sepsis. Die zur Verant¬
wortung gezogene Pfuscherin behauptete, die Kopfgeschwulst
sei geplatzt, und es mußte gerichtsärztlich die Frage beant¬
wortet werden, ob denn das überhaupt möglich sei. Die Ant¬
wort lautete selbstverständlich verneinend. Es ist auch in
diesem Falle anzunehmen, daß die Kopfhaut für die Frucht¬
blase gehalten und angeschnitten wurde. Versuche, die wir
in meinem Königsberger Institut angestellt haben, haben er¬
geben, daß nach Anlegen einer primären kleinen Hautwunde
mit einer Scheere leicht mit dem gekrümmten Finger Durch¬
trennungen der Kopfhaut im Siune der Spaltbarkeitsrichtung
der Haut ausgeführt werden können. Weiter haben Versuche
ergeben, daß es auch durch Kratzen und Bohren mit dem Finger
gelingt, die Kopfhaut zu durchtrennen und dann von dem
primären Loch aus eine größere Rißwunde, wie sie hier eine
Rolle spielt, zu erzeugen. Was nun im vorliegendem Falle
erfolgt ist, ließ sich nicht feststellen. Es konnte auch nicht
einmal Anklage erhoben werden, weil nicht feststand, wer denn
nun eigentlich die Durchtrennung der Kopfschwarte vorge¬
nommen hatte, die Pfuscherin, die Kreisende, der Ehemann
oder die Tochter.
Die Knochenverletzungen sind entweder Frakturen
oder Fissuren, oder es handelt sich um die bekannten löffel- oder
rinnenförmigen Impressionen, die gewöhnlich auf dem Scheitel¬
bein gelegen, dem Druck des Promontoriums ihre Entstehung
verdanken. Irgend welche Exostosen am mütterlichen Becken,
aber auch Ossifikationsdefekte oder Weichkeit der Knochen am
Kopfe des Kindes können das Zustandekommen dieser Ver-
des Preußischen Medizin&lbeamtenvereins. 289
änderungen unterstützen und befördern. Zuweilen kommt es
nicht zu Frakturen oder Fissuren, sondern zum Platzen der
Nähte, event. mit traumatischer Enzephalozele oder Meningozele.
Es ist abwegig, wenn wir diese Frakturen oder Fissuren
oder Impressionen lediglich für sich betrachten, sondern wir
müssen uns klar machen, daß in diesen Fällen stets ein starker
seitlicher Druck auf den kindlichen Schädel durch die Geburts¬
wege, insbesondere Promontorium oder Symphyse ausgeübt
wird, und daß naturgemäß dadurch auch das Gehirn mit seinen
Häuten eine Schädigung erfahren kann.
Das, was hier in Betracht kommt, sind Blutungen, ent¬
weder in die weichen Hirnhäute hinein oder zwischen die
weiche und die harte Hirnhaut, oder beides, wie wohl in den
meisten hierher gehörigen Fällen.
Ich habe in meinem bisherigen Wirkungskreise im An¬
schluß an die bekannten Veröffentlichungen Benekes mich für
dieses Problem schon lange interessiert. Das große Material
in meinem Breslauer Institut hat die Voraussetzungen, unter
denen ich neuerdings an diese Frage herangegangen bin, vollauf
bestätigt: Tatsächlich sind Geburtsschädigungen des kindlichen
Gehirns und seiner Häute durch die mütterlichen Geburtswege
häufiger, als man wohl allgemein annimmt, und, so möchte ich
mit Nachdruck hervorheben, sie sind auch unter Anwendung
der entsprechenden Untersuchungsmethoden durchaus der Fest¬
stellung zugänglich.
Die bisherige Methode zur Obduktion des kindliohen Kopfes
vernichtet die Falx und zum Teil auch das Tentorium cerebelli.
Ich habe deshalb eine Aenderung der Sektionsmethode des
kindlichen Kopfes seit längerer Zeit in Anwendung gebracht,
die darin besteht, daß ich nicht das ganze Schädeldach in toto
umschneide und abhebe, sondern, daß ich nach Zurückklappen
und Untersuchung der Kopfhaut in ihrer vorderen und hinteren
Hälfte durch den gewöhnlichen Sektionsschnitt und nach ge¬
nauer Untersuchung der Knochen und ihrer Nähte jede Hälfte
des knöchernen Schädeldaches für sich umschneide und streng
darauf bedacht bin, in der Mitte eine schmale Knochenleiste
zu beiden Seiten der Pfeilnaht zu erhalten. Zu diesem Zwecke
steche ich mit einer kräftigen Schere in die Lambdanaht ein
und lenke die Schnittführung dann kurz vor der Mittellinie
nach vorn neben der Pfeilnaht entlang, sodaß der Längstblut¬
leiter erhalten bleibt. Diese Schnittführung geht bis an die
Wölbung des Stirnbeins nach vorn und wendet sich dann nach
der Seite im Sinne unseres bisherigen Sektionsschnittes. Nach
Umschneidung jeder Hälfte des knöchernen Schädeldaches hebe
ich es ab, inspiziere das Schädeldach von innen, untersuche
die. einzelnen Knochen und stelle dann die Beschaffenheit der
weichen Hirnhaut fest. Dann entferne ich die betreffende Gro߬
hirnhälfte und untersuche diese durch die üblichen Längs¬
schnitte. Das, was nunmehr übrig bleibt, ist die schmale, der
Pfeilnaht entsprechende Knochenleiste mit der Falx und dem
290
Bericht Ober die XXXIU. Hauptversammlung
Tentorium cerebelli und dem Kleinhirn mit der Brücke. Diese
Teile werden nunmehr besichtigt, dann wird das Tentorium
durch Scheerenschläge vom Felsenbein getrennt, dann wird
das untere Tentoriumblatt au! Blutungen und Risse untersucht
und schließlich erfolgt die Herausnahme und Untersuchung von
Brücke und Kleinhirn und die Untersuchung der Schädelbasis.
(Cf. Zangemeister: Ueber Teutoriumrisse. Zentralblatt für
Gynäkologie; 1921, Nr. 13.)
Beneke hat darauf hingewiesen, daß es sehr leicht mög¬
lich sei, an einem, so wie ich es beschrieben habe, vorbereiteten
Schädel, zu demonstrieren, daß durch Druck von der Seite her
eine Spannung der Falx und des Tentoriums eintritt. Ich kann
das durchaus bestätigen und ich möchte an Hand dieser sche¬
matischen Darstellung*) der Blutleiter der Schädelhöhle demon¬
strieren, wie die Falx mit ihrem oberen und unteren Längs¬
blutleiter von Gefäßen versorgt wird. Wird die Falx gezerrt,
dann werden die Gefäße bersten können und wir werden in
Gestalt von Blutungen und Einrissen in die Falx den ob¬
jektiven Nachweis führen können, daß hier eine starke Kom¬
pression des Schädels von der Seite her stattgehabt hat. Weiter
werden wir feststellen können, ob die von Beneke zuerst in
ihrer Bedeutung gewürdigten Tentoriumrisse mit Blu¬
tungen in das Tentorium, ob Tentoriumblutungen mit oder
ohne intermeningeale Blutung vorhanden sind.
Ich bemerke, daß ich diese Art der Sektionsmethode des
kindlichen Kopfes seit Jahren bei allen Obduktionen von Leichen
Neugeborener angewendet habe, und daß es sich nach meinen
Erfahrungen verlohnt, diese Aenderung unserer bisherigen
Sektionsmethode einzuführen. Ganz besonders aber habe ich den
Eindruck, daß die Obduktionen von Kindern, die einige Zeit
nach der Geburt zu Grunde gegangen sind, uns entsprechende
Befunde liefern. Gewiß werden manche Blutungen in die
Blätter des Tentoriums oder in die Falx wieder ausheilen können,
aber in anderen Fällen wird sich das Neugeborene nicht er¬
holen von der schweren Geburtsschädigung, die das Gehirn
erlitten hat. Es wird nicht ordentlich schreien und wird an
Bronchialkatarrh oder Atelectase oder an sonstigen krankhaften
Zuständen zugrunde gehen, die im ursächlichen Zusammenhang
stehen mit der Geburtschädigung, deren Indikator Blu¬
tung und Ruptur in Falx und Tentorium sind. Ich
zeige Ihnen hier einige Diapositive, aus denen sie die Bedeutung
der von mir erwähnten Blutungen und Rupturen entnehmen mögen.
Wir werden demnächst in den Besitz einer neuen An¬
weisung für das Verfahren bei gerichtlichen Obduktionen ge¬
langen. Ich möchte wünschen, daß das von mir ausprobierte
Verfahren ebenfalls in diesen Vorschriften eine Stelle finden
möge. loh weiß, wie wenig positive Befunde bei gerichtlichen
Sektionen bei der Untersuchung der Kopfhöhle, wenn man von
Kopfhaut und -knochen absieht, erhoben zu werden pflegen.
*) Im Lichtbild gezeigt
des Preußische» Mcdiirit‘»It:>efjwte»y«rajii«r. 29t*
Aus diesem Grunde halte ich m ftfc o^tweodjgi fiarswit hinzu-
weisen, daß die Zahl der Beiuedv dun h Anwendung des von
mir empfohlenen Verfahrens Verraehn werden kann.
Nach einer Zusammenstellung von Soli Ui er:'intrakraniell*
Blutungen bei Neugeborenen (Öev-!,•.•'!>* men kt milche tWom-e
schriftf 1020 Obduktionen von
Leichen Neugeborene? Sucht: 'weuic--' 140 intrakranielle
Blutungen, davon 114, 3 hpr&tenter sS; b* ;Öiu(un g «m, 8* inira*en-
torielle Biutungeo, und IT mal beiden {ungleich. Von diesen
Infra- und anpratentoneljen Blutehgen .-rAhften Bl von Twj-
tormmrissen her, 8 von Falxrissen nud ? vua Fakt- und Ten-
toriurarissen, In ÖÖ Fällen war ■■■M-'id der ünd
Blutungen eine schwere geburtshHflo.’he Operation. S <.• h a i e-r
hebt hervor, daß besonders' bei f*Vi)l (gebürten Tent.orLmuisse-
leichfc Vorkommen können.
Ich möchte abet noch hthweFon da, Frage der Kon¬
kurrenz der Todesursachen,. Selbkiy. ühioh wird ein Lgb 06
schwaches, durch Kompression ; • - • ' iu der tiebort
geschädigtes Kind auch durch cb-oo d-.:-.meif Eingriff jgsw
tötet werden k&nheöi; Man die Bedeutung
der Fafe und Tentöriumrase n \jjß : m überschätzen haben,
sondern wird jdl® Frage -Gach Todesursachen
unter Borücksichtiguö^ des ümstoeaiiiv.-orten haben,
ob die bei der Obduktion • lastgßsteHte todbringende Verletzung-
vitale Reaktion zeigt oder nicht,
(Lebhafter BeifallK •
• Y Arj ä'pie h c It e.
Prof. Dr» (ttRll&r*Ues8: Ala sch • ■ tsack KAuiesberß als Assistent
uh das gecichtsÄraltiche Institut kam, ha"W ich die Vife Perm p»<>/. Puppe
heteate Art *5&r Ötdaktioü kenne» greleni» bd-einer tietbe von ftlUc haben
vir dnr&h; eie ©ibe Aofklärang bekommen die raf£h twi ihrer vwitiragepdoo
Bedeutung übersengt. ; P. : » fp b Vw»; jr.&ßgsFprg • Jarl ist habe ich
voröbergebebd die Leitawg des Institut* < ; eine Beibe rub o.u.'uhh»««*
gemacht. Hier erlebteich däno eisige k»-i.*..?o *iio ich Ihnen mehr \»r~
enthalten möchte. Es handelte sieh jda \?m «tue «SfjßjirVo- VerKüVfeVia, die-
ohne yofhAteftobg - gehöre» butteA .JÖt« riafeim dahuebö äü* hmnueH. Bas
Kind fca«r lebeuil sar ^4^«**®* w. 'mx »ift ro^iif smx -BAw^c«ig a^kommeh.
Die- öebärehde; war bewußüo#' geworden,' - 'SÜdki*. *ie- sich nfuiit um das Kind
kömmern konnte. Das Kmd war gesierfcre Bk* ÖerifhC tegt© t<uu ’O
CöSfeZöstaUeo, ,öb die Geburt toUktfatfifii* ; ob>*a»hrr©Ußi «eschtih Ich
hatte dte Obduktion vöraoaehmeo Rad' sieil*..- den» *aeh iti» Jtvatvsiofti atu©
Beihe von Bintange» fest.
Etwa acht Wochen später ereignete «uh ein ,1-Vh. SfeWl
SSjährtgö WäschbfiB hatte heimheh geboren. i>>* .(.bhun hat.-e aw "«ngehbeh-
hberraschk Sio dauerte nnr eine Stunde. Wie tuer die «arktf j£ompr«MtQB
/piande kam, habe jeb mir nicht erklä? . » knWnm Bei dtr Ohifbktion fand,
ich fünf Bisse im Tentorinm tetrhelli* Der ^0S^f.K0^c&r für > ivet> Steckoadel.
knöpf durchgängig. .Auch, hier .hatte' Verdacht geschöpft,
weil die Gehört heimlich erfolgte. Auch hi: > rü öraufsii-htigung
nach, einer Stande gestorben, Aach hier h»rt» <ä>rr. ' " '••;•. Oituaic hintcrlassen
durch die Zerreißungen and Blutungen irr. r -
Ein anderer Pulk Eine Sfäfi^ÄOhSbeiude .käbjjr - 1 b>. drei Biuodbo gehOTeo
Wie die Tuchter angab. war das mhd nie r^itttk 'ghr'-'Entfaltung gt-kommen,
hatte nie richtig geachrien nsw. fünf Stuodeo nach der Gehört war
gestorben. Eier ergab die Obduktion elwufalL aoscedeboto Blutung>vr, hu
292
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
Tentorinm cerebelli. Wenn ich die Sektionen vor acht Jahren gemacht hatte,
hätte ich die Todesursache nicht entdeckt; denn wir wissen, daß, wenn wir
die falx durchschneiden, sich das Blut durch die Qehirnmasse ergießt, so daß
man dann nicht weiß, wodurch die Blutung entstanden ist. Ich glaube, daß
diese Fälle sehr instruktiv sind.
Dr. Hillenberg: Ich habe mich zum Wort gemeldet, um zu bitten, daß
sich die Herren befleißigen möchten, alle Fachausdrttcke, die durch die deutsche
Sprache zu ersetzen sind, auch zu verdeutschen. Wir haben einen interessanten
Vortrag von Prof. Puppe gehört und eine Fülle von Ausdrücken vernommen,
die nach meinem Empfinden sich auch sehr gut auf deutsch hätten sagen lassen.
Es ist zweifellos, daß es eine Reihe von Ausdrücken gibt, die wir nicht gut
verdeutschen können, oft schon ihrer prägnanten Kürze wegen. Aber es gibt
doch eine Menge von Ausdrücken, die sich auf gut deutsch sagen lassen. Ich
möchte die Kollegen bitten, überall da deutsche Ausdrücke anzuwenden, wo
sie angebracht und möglich sind.
Vorsitzender: Ich begrüße die Anregung, glaube aber doch nicht, daß
wir sie gleich in die Tat umsetzen können. Die Kollegen sind zu sehr an
die fremden Ausdrücke gewöhnt.
Dr. v. Ingersleben: Prof. Puppe hat uns darauf aufmerksam gemacbtt,
daß bei Blutergüssen in der falx auch in der Nachbarschaft Blutungen in
lebenswichtigen Organen, wie das Atmungszentrum, Vorkommen und Todes¬
folge haben können. Ich beobachtete, daß derartige Schädigungen des Zentral¬
nervensystems auch ohne Blutaustritt stattgefunden und den Tod herbeigeführt
haben. Solche Verletzungen kommen offenbar sowohl bei Kindern wie bei
Erwachsenen vor. Wir haben in Aschersleben einen Sektionsbefund gehabt,
der den gleichen Charakter trug. Ein 55 jähriger Mann erhielt in einem öffent¬
lichen Lokal von einem Betrunkenen mit einem Bierseidel einen Schlag auf
den Kopf. Der Getroffene war nicht ganz bewußtlos. Ein Eingriff des
Chirurgen wurde nicht vorgenommen, da keine Symtome dafür da waren. Noch
des Nachts um 1 Uhr war der Verletzte bei vollem Bewußtsein und leidlichem
Wohlbefinden. Um 2 Uhr trat plötzlich Benommenheit ein und darauf schnell
der Tod. Nun erwarteten wir natürlich bei der Sektion eine Schädelfissur und
eine Blutung. Das war aber nicht der Fall. Der Schädel war vollständig
unverletzt. Es war nicht einmal eine Schramme an den entsprechenden Schädel¬
knochenstellen zu finden, die unter den Weichteilverletzungen lagen. Es fand
sich vielmehr eine vasamotorische Lähmung, ein Gehirnödem. Zugleich ist
bemerkenswert, daß der Schädel eine bemerkenswerte Dünne hatte. Wir haben
angenommen, daß dieser dünne Schädel durch den Schlag wie ein Gummiball
zusammengedrückt wurde und daß in dem Moment der Formveränderung eine
starke mechanische Einwirkung auf das Gehirn stattgefunden hat, die die
tödliche vasamotorische Lähmung zur Folge hatte, ohne daß ein Bluterguß
an einer Stelle des Gehirns aufzufinden war. Solche Verletzungen kommen in
erhöhtem Maße auch bei Kindern vor.
Vorsitzender: Ich erinnere mich dieser Tentoriumrisse aus Vorträgen
Beneckes. Ich weiß nicht, ob Benecke der erste Beobachter war, ich
nehme es aber an. Benecke hat, soviel mir erinnerlich, niemals eine besondere
Sekiionsmetbode angewandt. Er hat nur die Knochen vorsichtig mit der Schere
herausgeschnitten ohne die Methode von Prof. Puppe, die mir außerordent¬
lich praktisch erscheint, anzuwenden. Ich begrüße, daß unB diese Sektions-
methode vorgeführt wurde. Was ich noch zu sagen habe, liegt in derselben
Richtung, wie es von Herrn v. Ingersleben geschildert wurde. Es war
eine meiner ersten Sektionen im Kreise Belgard. Es bandelte sich um einen
Peitschenschlag und zwar nicht etwa mit dem dicken Ende. Ein Vater hatte
seinem betrunkenen Sohn einen Schlag mit dem elastischen Ende des Peitschen¬
stiels an die Seite des Kopfes versetzt. Der Sohn war hingefallen, er wurde
auf das Sofa gebettet, nach einiger Zeit war er tot. Die Sektion ergab eine
außerordentliche Blutfülle im Gehirn, aber keine Schädeiverletzung. Diese
Stauung im Gehirn mußte als Todesursache angesehen werden. Was straf¬
rechtlich herausgekommen ist, weiß ich nicht. Wir haben damals auf das
Tentorium nicht geachtet. Es wäre möglich, daß eine kleine Blutung in der
Nähe des Atmungszentrums vorhanden gewesen war.
des Preußischen Medizinalbeamtenrereins. 293
III. Die Dienstanweisung für die Kreis-
nnd Gerichtsärzte.
Erster Berichterstatter: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pappe-
Breslau : Die Gerichtsärzte stellen insofern unter den preußischen
Beamten ein Unicum dar, als eine besondere Dienstanweisung
für sie nicht vorhanden ist, und als sie, wie nicht zu leugnen
ist, tatsächlich vorhanden sind und sich auch an den Stellen,
an denen sie amtieren, als ein unentbehrlicher Bestandteil des
für die Rechtspflege bestimmten Apparates erwiesen haben.
Gewiß werden sie in der bisherigen Dienstanweisung für die
Kreisärzte an mehreren Stellen erwähnt, aber das, was das
Wichtigste ist, eine Abgrenzung ihrer Zuständigkeit gegenüber
den Kreisärzten ist in dieser Dienstanweisung nicht vorgesehen.
Es sind jetzt 19 Jahre her, als ich, damals Berliner
Gerichtsarzt, die neu errichtete Professur für Gerichtliche Me¬
dizin in Königsberg Pr. übernahm. Ich habe damals sofort
diesen eben erwähnten Mangel empfunden und habe unter Zu¬
stimmung des Regierungspräsidenten ein freiwilliges Abkommen
betreffend die Zuständigkeiten mit dem Kreisarzt in Königsberg
getroffen. Dieses Uebereinkommen ist dann auch von den
späteren Kreisärzten mit gewissen Abänderungen übernommen
worden, da es sich bewährt hatte. Wenn jet?t über eine
Dienstanweisung für Gerichtsärzte gesprochen wird, so glaube
ich in diesem Sinne kompetent zu sein, meine Erfahrungen
darzulegen.
Das, was unentbehrlich ist, ist jedenfalls Herbeiführung
eines gedeihlichen Nebeneinanderarbeitens von
Kreisarzt und Gerichtsarzt. Es ist unerfreulich, wenü
z. B. ein kreisärztliches Attest über die Haftunfähigkeit eines
Menschen vorliegt, und wenn nachher auf Ersuchen des Gerichts
ein gerichtsärztliches Gutachten zu einem anderen Ergebnis
gelangt. Ebenso wie es unerfreulich ist, wenn der Geriohtsarzt
einem Gerichtsbeamten eine Urlaubsnotwendigkeit bescheinigt,
die ein kreisärztliches Attest nicht anzuerkennen vermag. Der¬
artige Kompetenzkonflikte müssen unter allen Umständen ver¬
mieden werden in einer Zeit, in der vieles fließt, wenig
Bestand hat, und in der auch in dem Arbeitsgebiet der be¬
amteten Aerzte alles mögliche zu ändern versucht witd. Des¬
halb sollen wir Zusammenhalten, eine Abgrenzung der Zu¬
ständigkeiten herbeiführen, und zwar so genau und so bestimmt
wie möglich, und dann die Dinge gehen lassen, wie sie ge¬
regelt sind.
Noch ein anderer Grund spricht für die Regelung der
Zuständigkeiten: Es handelt sich hier um die Frage der ge¬
deihlichen Pflege der Gerichtlichen und Sozialen
Medizin an den preußischen Universitäten. Die
Professoren der Gerichtlichen Medizin, die zum großen Teil
auch einen Lehrauftrag für Soziale Medizin haben, können na¬
türlich nur lehren, wenn sie genügendes Material haben. Sie
294
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
werden verstehen, wenn ioh Ihnen sage, daß auch dieser
Gesichtspunkt für mich seiner Zeit in Königsberg bestimmend
war, eine Abgrenzung der Zuständigkeiten zu erstreben. Das
Wohl der Gerichtlichen Medizin an den Universitäten, die
Leistungsfähigkeit der Gerichtsärztlichen Institute ist eine
Angelegenheit, die den Kreisarzt ebenso angeht, wie die wenigen
außer den Professoren noch vorhandenen Gerichtsärzte.
Wir haben wohl alle von Versuchen gehört, Gerichtsärzte
einzusetzen, die vergeblich gewesen sind. Die betreffenden
Kollegen haben keine Existenz als Gerichtsarzt gefunden, und
die Stellen sind wieder eingezogen worden. Ich zweifle nicht
daran, daß die Ursache weniger in der Insuffizienz des betr.
Kollegen lag, als in dem Fehlen einer Dienstanweisung, in
dem Nichtvorhandensein von Bestimmungen, welche die Zu¬
ständigkeit des neuauftretenden Gerichtsarztes von der des am
Orte befindlichen Kreisarztes abgrenzten.
Das, was wir jetzt in irgend eine Formel fassen müssen,
ergibt sich aus den geltenden Gesetzen, St. G. B., St. P. 0. aber
auch aus dem kommenden St. G. B. (Entwurf 1919), ergibt sich
endlich aus den Erfahrungen, wie ich sie in Königsberg habe
machen können.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen,
daß das Protokoll über die am 21. 1. 1922 im Ministerium
für Volks Wohlfahrt gepflogenen Verhandlungen auf Seite 126
der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 6. 3. 1922 insofern einen
Irrtum enthält, als ich nicht eine Dienstanweisung für Gerichts¬
ärzte beantragt habe. Dem Ministerium lag lediglich ein
Antrag von mir vor, eine Dienstteilung in Breslau zwischen
den Kreisärzten und dem Gerichtsarzt hebeizuführen.
Zuständig sind die Gerichtsärzte nach der St. P. 0. für
gerichtliche Obduktionen. Ueber diesen Punkt bedarf
es keinen weiteren Wortes. Wer 2. Obduzent sein soll, regelt
sich nach den bestehenden Bestimmungen.
Zuständig sein aber müssen die Gerichtsärzte auch für alle
sonstigen gerichtsärztlichen Angelegenheiten. Ich verstehe
hierunter: Gutachten betr. den körperlichen oder
Geisteszustand eines Menschen oder der krimi¬
nellen Eignung einer Sache auf Ersuchen der
Gerichte oder der Polizei in einer schwebenden
Untersuchung, in einer Strafsache, im Entmündi¬
gungsverfahren oder in Zivilprozessen. Damit ist
aas Gros der Tätigkeit des Gerichtsarztes Umrissen.
Die Freiheit der Gerichte und der Polizei in der Wahl
ihrer Sachverständigen wird durch eine derartige Abgrenzung
der Zuständigkeit des Gerichtsarztes gegenüber der des Kreis¬
arztes nicht berührt. Gerichte und Polizei können sich zum
Sachverständigen wählen, wen sie wollen. Der Sinn der Zu¬
ständigkeit aber ist fraglos der, daß, wenn das Gericht einen
beamteten Arzt als Sachverständigen nimmt, dieser die Zu¬
ständigkeit wahren muß, und wenn der Kreisarzt für ein von
des PfeaSiftehea MedizinalheatßtenreffciwB.
ihm erfordertes Gutachten nicht zuständig ist, er die Akten
zuatÄndigkeitshalher dem Gerichtsarzt s^gehen läßt, indem
er gleichzeitig die ersuchende Gerichts- oder Polizeibehörde
davon benachrichtigt — und umgekehrt.
Zuständig ist der Gerichtsarzt demgemäß auch für die
Feststellung der Haitiähigkeit, insofern, als es sich hier
um die Vollstreckung des Urteils, vielleicht auch um die Ver¬
hängung der Untersuchungshaft handelt. Ich erwähnte oben
bereit« die Gefahr der Doppelbegutaohumg durch Kreisarzt und
Gerichtsarzt, ich halte es nicht mit der Würde des beamteten
Arztes für vereinbar, wehrt bei einer zweilachen Begutachtung
zwei verschiedene Meinungen verlautbart werden. Eine Re¬
gelung der Zuständigkeit ergibt das Fernbleiben von Reibungeii
zwischen Kreisarzt 'und Gerichtsarzt,.
Unberührt von dieser Zustätidigfeeit3regeluiig bleiben die
Geiän gn isär zte. Erhält der Kreisarzt io seiner Eigenschaft afe
Gelängmsarzt den Auftrag, den in seinem Gefängnis heündlioher,
Geiangenea zu untersuchen, dann.- gilt er auch als hierfür zu¬
ständig.
Nach hieinem X>afürbai!tett ist die Feststellung, daß der
Tod eines Menschen, dessen Lei che feuCr bns ta tte 1 werden
soll, durch eine strafbare ITandl ung hiebt her beigeführt sei,
eine ausgesprochen gerichtsärzthche Angeiegeiiheit Inh habe
deshalb nicht verstanden* daß diese zunächst den. ÖMehtsäraton
überantwortete Leichenschau zur Feuerbestattung nunmehr auch
den Kreisärzten in gleicher Weise offen stehen soll, ebenso
wie sich auch Krankenhsusärzte daran beteiligen dürfen, Ich
stelle erneut die Forderung auf. die- Leichenschau zur Feuer¬
bestattung als eine geriehtsärztltehe Angelegenheit den Gerichts
Ärzten zu überantworten, im Falle der Behinderung aber dessen
gesetzlichen Vertreter für die Leichenschau zur Feuerbestattung
heranzuzieheti.
Hierbei will ich auch nicht unterlassen, der Gebühren
zu gedenken. 5Efjfc muß davon ausgehen, daß der alte Satz
immer noch seine Richtigkeit hat : Porarduura et admodum
difficile est medieorurn jüria peritorum officium. Ich kann m
nicht für richtig halten, die schwere, so viel Initiative bean¬
spruchende Tätigkeit des Gsnchtsarztes dadurch unerfreulich
zu machen* daß man ihn zwingt, Gebühren abzuführen. Ich
fürchte, daß durch ein derartiges Verfahren die ohnehin nur
geringe Neigung der Aerzte zum gerichtsärztlichen Berufe nicht
onr ftbgoscwächt, sondern getötet wird. Dem Grundsatz der
heutigen Zeit entsprechend muß auch jede Arbeit ihren Ent
gelt finden, und die stets mit körperlicher Anstrengung aus-
f eführte Arbeit des Gerichtsarztes, die nicht selten "mit leib-
eher Gefährd ang verbunden ist, sollte von derartigen Ein
griffen bewahrt bleiben.
Wenn ich oben schon von den Gefängniäärzteö goapimöhen
habe, so verstehe ich hierunter eine yertrauensärztliche
Tätigkeit, die der Gerichtsarzt ausüben kann, wenn er mag.
296
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
oder ausüben soll, wenn der Regierungspräsident das für not¬
wendig hält. Die Regelung der Bezüge als Gefängnisarzt
unterliegt der freien Vereinbarung durch die hierfür ent¬
standenen Organisationen der Gefängnisärzte und der Gefängnis¬
verwaltung, die durch den Generalstaatsanwalt repräsentiert wird.
VertraueDSärztliche Tätigkeit ist es auch, wenn der
Gerichtsarzt bei dem Versicherungsamt, Oberversicherungsamt,
bei den Versorgungsgerichten, bei den Berufsgenossenschaften
Gutachten abgibt. Wie die gefängnisärztliche Tätigkeit steht
diese vertrauensärztliche Tätigkeit selbstverständlich den Ge¬
richtsärzten ebenso offen, wie den Kreisärzten.
Bei der Ausführung von sogenannten Unfallobduk¬
tionen ist es nach meinem Dafürhalten, und hier spreche ich
als Vertreter der gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute,
unter allen Umständen notwendig, daß der Gerichtsarzt in
erster Linie zu dieser vertrauensärztlichen Tätigkeit von der
Polizei herangezogen wird. Die Zuziehung eines Kreisarztes
oder 2. Gerichtsarztes als 2'. Obduzenten richtet sich nach den
örtlichen Verhältnissen.
Von Bedeutung erscheint mir ferner noch zweierlei.
Einmal die Frage der gerichtsärztlichen Univer¬
sitätsinstitute und ihrer Zuständigkeit, und sodann
die Frage der Einführung des Instituts der Gerichts¬
assistenzärzte.
Was zunächst die Zuständigkeit der gerichtsärztlichen
Institute anbetrifft, so dienen sie ja in erster Linie dem Unter¬
richt. Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, daß ihr Ma¬
terial geregelt und gut fließend sein muß. Ich möchte bitten,
sich damit einverstanden erklären zu wollen, daß jedes gerichts¬
ärztliche Universitätsinstitut in ganz ähnlicher Weise, wie die
Medizinaluntersuchungsämter, die Zuständigkeit für seinen
geographischen Bezirk erhält, wenn es sich um Blut- und
Haaruntersuchungen, um Fingerabdrücke oder Fußspuren, oder
um ähnliche Untersuchungen handelt. Auch Untersuchungen
von Leichenteilen, Mazeration von Schädeln, Herstellung von
mikroskopischen Präparaten — alle diese Materialgruppen
sollen dem gerichtsärztlichen Universitätsinstitut zufließen, und
es ist Aufgabe der bei der Obduktion tätigen beamteten Sach¬
verständigen, diese Beteiligung des gerichtsärztlichen Instituts
im Ermittlungsverfahren bereits im vorläufigen Gutachten nach
der Obduktion zu beantragen.
Was weiter die Einführung von Gerichtsassistenzärzten
anbetrifft, so stellt sich das für uns in Preußen als ein Novum
dar. Ich möchte aber bitten, die Versammlung möge sich damit
einverstanden erklären, daß in ähnlicher Weise, wie jeder Kreis¬
arzt Kreisassistenzarzt gewesen sein muß, auch in Zukunft jeder
Gerichtsarzt auf eine gewisse Bewährungsfrist als Gerichts¬
assistenzarzt zurückblicken muß, es sei denn, daß er durch eine
Assistentenzeit an einem Gerichtsärztliohen Universitätsinstitut
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
297
eine Zeit durchgemacht hat, die der Beschäftigung als Gerichts¬
assistenzarzt als gleichwertig zu betrachten ist.
Schließlich noch ein Hinweis auf die sozial-medizini¬
sche, d. h. prophylaktische Tätigkeit des Gerichts¬
arztes! Es empfiehlt sich, die Feststellung zu treffen, daß
die Gerichtsärzte nicht nur in gerichtlich-medizinischen, sondern
auch in sozial-medizinischen Angelegenheiten Berater der Ge¬
richte und der Polizeibehörden ihres Amtsbezirks sind, Hierzu
habe ich noch folgendes zu bemerken:
Die sozialärztliche Tätigkeit des Gerichtsarztes regelt sich
nach Maßgabe des Gesetzes. Der Gerichtsarzt hat in Zukunft
(cf. Entwurf zum Strafgesetzbuch 1919) nicht nur über die Zu¬
rechnungsfähigkeit bei Begehung eines Rechtsbruches ein Gut¬
achten abzugeben, sondern er hat das Gericht auch nach der
Richtung hin zu beraten, wenn ein diesbezügliches Verlangen
an ihn gestellt wird, was weiter mit dem Rechtsbrecher zu
geschehen hat. Insbesondere wird dies bei Unzurechnungs¬
fähigen im Sinne des § 61 St.G.B., geistig Minderwertigen
(vermindert Zurechnungsfähigen), Trinkern und Jugendlichen
der Fall sein. Zu diesem Zwecke muß er sich in engster
Fühlung mit den in seinem Bezirke vorhandenen Fürsorge¬
organisationen halten und solche, falls sie noch nicht vorhanden
sind, ins Leben zu rufen bestrebt sein. Er hat hierbei davon
auszugehen, daß der beste Teil der Strafrechtspflege in der
Prophylaxe liegt. Daran, daß die diesbezüglichen grundlegen¬
den Bestimmungen des Entwurfs von 1919 auch wirklich Ge¬
setz werden, zu zweifeln, liegt nicht der geringste Anlaß vor.
Von den Jugendlichen ist im besonderen zu sagen,
daß der Gerichtsarzt der Zentrale für Jugendfürsorge in seinem
Bezirk mit Rat und Tat zur Seite zu stehen hat. Insbesondere
hat er auch allgemeine Maßnahmen nach Kräften zu fördern,
sowie einzelne Jugendliche auf Ersuchen der Zentrale zu unter¬
suchen. Hierbei hat er festzustellen, ob sozialtherapeutische
Maßnahmen erforderlich sind (Vermahnung, Verweisung an die
Zucht des gesetzlichen Vertreters oder an die Schulbehörden,
Anordnung einer anderweitigen Erziehung oder Unterbringung
in Fürsorgeerziehung oder Schutzaufsicht). Die Fürsorge für
jugendliche Psychopathen durch systematische Einrichtung
von Unterrichtskursen, Erholungsheimen, Arbeitsstätten und
dergleichen mehr muß er sich ganz besonders angelegen sein
lassen.
Ebenso muß der Gerichtsarzt auch der Trinkerfürsorge¬
stelle ratend zur Seite stehen. Er wird, da ihm die Macht¬
mittel des Staates zur Verfügung stehen, in ganz anderer
Weise die Trinkerfürsorge günstig zu beeinflussen im Stande
sein, als das ein nicht beamteter Arzt kann. Trinker, welche
der Untersuchung durch einen nicht beamteten Arzt Wider¬
stand entgegensetzen, müssen dem Gerichtsarzt auf sein Ver¬
langen von der Polizei vorgeführt werden. Der Gerichtsarzt
hat dann den Heilplan festzustellen, unter anderem auch, wenn
298
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
die Unterlagen hierfür vorhanden sind, die Entmündigung,
gegebenenfalls die vorläufige Vormundschaft gemäß § 1906B.G.B.
anzuregen, damit der vorläufige Vormund entweder den Trinker
alsbald einem Heilverfahren* unterzieht, und zwar, wenn die
Landesversicherungsanstalt an dem Fall interessiert ist, auf
Kosten der Landesversicherungsanstalt, oder ihn in einem In¬
validenheim oder Armenhaus oder sonstwie unterbringt. Auf
Verlangen der Gerichtsbehörden hat er sich darüber zu äußern,
ob Schutzaufsicht genügt oder ob V erbringung in eine Trinker¬
heilanstalt notwendig ist.
Was endlich Psychopathen und Geisteskranke
anbelangt, so hat der Gerichtsarzt kraft seines Amtes die Für¬
sorge für die in seinem Bezirk wohnenden Geisteskranken und
Psychopathen. Er hat sich mit den für diesen Zweck be¬
stehenden Fürsorgeorganisationen in Verbindung zu halten und
gegebenenfalls solche ins Leben zu rufen. Auf Verlangen des
Gerichts hat er sich darüber zu äußern, ob für einen Geistes¬
kranken oder vermindert Zurechnungsfähigen Anstaltsbehand¬
lung erforderlich ist, oder ob Schutzaufsicht genügt. Ent¬
lassungen aus der Irrenanstalt sind ihm mitzuteilen. Auf
Verlangen der Polizei hat er sich auch über die Entlassungs¬
fähigkeit der in eine geschlossene Anstalt eingelieferten ge¬
meingefährlichen Geisteskranken zu äußern, und zwar
auf Grund der in der Anstalt geführten Krankenblätter oder
auch der Gerichtsakten. Gegebenenfalls hat er gemäß Mi-
nisterialerlaß vom 15. 6. 1901 bei der Polizei zu beantragen,
daß diese die Genehmigung zur Entlassung verweigert.
Er wird sich um so lieber diesem Zweige seiner Tätigkeit
zuwenden, als er so häufig Gelegenheit erhält, nicht krimi¬
nellen Geisteskranken gegenüber zu treten, und seine Kennt¬
nisse auf dem Gebiete der Geisteskrankheiten auf dem laufenden
zu erhalten. Für entsprechende Arbeitsnachweise hat er eben¬
falls Sorge zu tragen, wie er sich auch der Verpflichtung, die
Kranken oder ihre Angehörigen zu beraten, nicht wird ent¬
ziehen wollen.
Daß all’ diese Bestimmungen in einer besonderen Dienst¬
anweisung für Gerichtsärzte niedergelegt werden, erscheint mir
nicht notwendig; es würde genügen, sie in der zu erwartenden
Dienstanweisung für Kreisärzte und Gerichtsärzte
so bestimmt wie möglich zu umschreiben.
(Lebhafter Beifall.)
Die'Leitsätze hierzu lauten:
Die Dienstanweisung für Kreis- und Gerichtsärzte.
1. Eine besondere Dienstanweisung für Gerichtsärzte erübrigt
sich, wenn in der erwarteten Dienstanweisung für Kreis-
und Gerichtsärzte eine Abgrenzung der Zuständigkeit
beider herbeigeführt wird.
2. Diese ist notwendig im Interesse eines gedeihlichen Neben-
einanderarbeitens von beiden, wie auch zur Sicherung des
dos Preußfscjico
akademischen Unterrichte jp-tfor g^HührKöheii und sozialen
Medizin, den etwa ein- Drittel Ser' UeriühtsÄrzie t» ihrer
Eigenschaft als Universität^ ruf essürftu zu Steilen hat.
3» Der Gerichtsarzt ist in gevichtlich-mediziniachon und in
sozial-medizinischen Angelegenheiten cter Berater der
Gerichte und der Polizeibehörden seines Amtsbezirks nach
Maßgabe der nachstehenden Normen.
4. Der Gerichtsarzt ist zuständig für gyrinUthohe Obduktionen.
5, Ferner für ITntersüchung und Begutachtimg des kbrper-
licheh odet Geisteszustandei? eines Menschen oder der
einer Sache auf Ersuche« des 0«~
rieht«' oder der Polizei in ein«» schwebenden Üntersuolntu*;,
in einer Strafsache, im EntUiündigmigsverfahren oder im
2iivit|irogeß;ic;|^- '
8. Ferner für die Feststellung der Haftfähigkeit..
% Kreisärzte, di« Gefängnisänte sind, besitzen in gleicher
Wels«, wie der zuständige ÖöriohtHäfzfc,. die Zuständigkeit
für die Elegtjtächtüng der ihnen anverträuten Gefangen««,
8. Für die Leichenschau zur FeuerbBstattubg, die «rtuitteln
soll, ob der Tod durch «me Äitäfbstr* Handlung herbei-
geführt ist, und die songch eine r.eüj c/-ru & .• •'••/:dom.
Angelegenheit darsteltt, ist der Geriebtsa.rzt irr erster Linie
zuständig.
9. Die amtsärztlichen Gehührei'. der Genohts'ärzte unterliegen
nicht der Abfübningsphiciu
10 Als vertrauensärztliche Tätigkei•' Kommt für ihm GeHchis*-
arzt in Frage die Tätigkeit, als UeUuiguisärzt, die Bi
verständigeßtätigkeit beim Yersich^tUngiiänJ . i merve?*
sicheruiigsamt und Fersotirungsgeriobt, . sowie als Vier,
tjfauensarzt der Berüfsgönö.4ieri»c!iaften,
11» Bei den polizeilichen Ötoukiiohek der Leichen von unter
UnfäUverdacht ver^tcrbeae'i' i-V^onen, ’ dir. auf Ersuchen
./ der . ßerufsgenössenschafteri ausgefftbrt werden, ist der
GerichtSÄrzt kr erster Linie zuständig*
12. Der Gerichtsarzt hat die AuLmbv über die Geisteskranken
und Psychopathen in seinem Di.-ii db.^irk, «.»weit sie .«.ich
außerhalb der geschlossene« Anstalt^« • befinden.' ßr ist
auch für die Feststellung der Gen'ioiriguiälirlichkeii eine*
Geistesfersökefi zuständig, desgleichen für die Frage der
Entlässungafähigkeit eines gemeingefährlichen Oeisfuic
kranken,
13. Auch di« in seinem Dienstb^idib; vt oh«haften Trinker und
clugendlicheB hat der:üeHfejk;^*£ aii't^aufsiuhWgen.
14. Der Kreisarzt.- ist zuständig/ihr >.% Begutachtung des-
Gesundheitssiistandes riöht-Micther uod HitdHrichterficher
Beamter bef deren - k aßd v ; Beurlaubung und
Pensionierung.
15. Desgleichen Über die Frage der Eignung von Schöffen
und Geschworenen zum Ridiicrarm.
300 Bericht über die XXXUI. Hauptversammlung
16. Unberührt durch diese Bestimmungen bleibt die Befugnis
des Gerichts, unbeschränkt ihre Sachverständigen zu
wählen; wird aber ein beamteter Arzt um ein Gutachten
ersucht, dann hat er die vorbezeichnete Zuständigkeit zu
wahren.
Zweiter Berichterstatter: H. Med.-Rat Dr. Wollenweber-
Oortmund: M. s. v. H.I Wenn wir heute die Neufassung der
D. A. für die Kreisärzte beraten, so handelt es sich nicht nur um
zeitgemäße Aenderung einiger Paragraphen. Ganz anderes
steht auf dem Spiele. Es handelt sich darum, daß wir unsere
Stellung ausbauen, so daß wir sie -bei dem im Gange befind¬
lichen und noch zu erwartenden Angriffen halten können.
M. H.I Das Gesetz über die Dienststellung des Kreisarztes
vom 16. 9. 99. und die Dienstanweisung für die Kreisärzte
vom 23. 3. 01. bedeuteten gegenüber den vorher herrschenden
Verhältnissen einen gewaltigen Fortschritt. Zwar war bereits
seit 1813 der Kreisphysikus unmittelbarer Staatsbeamter und
nicht wie vorher Kommunalbeamter, aber er war nur im Neben¬
amt angestellt, bezog eine kärgliche Besoldung, war in der
Hauptsache praktischer Arzt und wurde dementsprechend als
Beamter gering eingeschätzt. Durch das Kreisarztgesetz wurde
der Gesundheitsbeamte wesentlich selbständiger, bekam größere
Aufgaben, eine größere Initiatiye und Bewegungsfreiheit und
entsprechend höheres Gehalt. Der Urheber dieser gesetzlichen
Bestimmungen wird man in der Geschichte der Medizinal¬
verwaltung stets mit Dank gedenken müssen.
Dieser preußische Kreisarzt hat sich überall, wo der rechte
Mann am rechten Platze war, bewährt. Wir dürfen für uns
in Anspruch nehmen, daß ein wesentlicher Grund für die Hebung
der Volksgesundheit die unermüdliche Tätigkeit der Kreisärzte
ist, die erst die Umsetzung der gewaltig fortgeschrittenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse der Hygiene in praktische
Arbeit, mag es sich um allgemeine oder soziale Hygiene ge¬
handelt haben, ermöglicht haben.. Wir sind dem Herrn Minister
für Volks Wohlfahrt und der Medizinalabteilung dafür dankbar,
daß wir bei den letzten Etatsberatüngen gegenüber den maß
losen, unberechtigten Angriffen gegen uns die berechtigte An¬
erkennung gefunden haben und weiter für die frühere und
und heutige autoritative Erklärung des Herrn Ministers gegen¬
über dem Vorstande des Pr.M.B.V., daß er den Bestrebungen
auf Umwandlung unserer staatlichen Stellung in eine kommu¬
nale durchaus gegnerisch gegenüber stehe.
Aber, m. H.! darüber müssen wir uns klar sein, wir haben
viele und mächtige Gegner, denen die Selbständigkeit des
staatlichen Medizinalbeamten ein Dom im Auge ist. Wir wissen,
wo sie stehen. Sie finden sich in sonst ganz voneinander ge¬
trennten Lagern.
Wir wissen auch, daß der im vergangenen Jahre ab¬
geschlagene offene Angriff anderen Methoden, die man zum
des Preußischen Medirinalbeamtenvereius.
801
Teil als Minenkrieg, zum Teil als Sirenenklänge bezeichnen
kann, Platz gemacht hat und müssen uns darauf einrichten
durch festes Zusammenhalten und durch Arbeit jedes Einzelnen.
M. H.l Das Fundament unserer Stellung als Gesundheits¬
beamter ist „der Kreisarzt ist der staatliche Gesundheits-
bearate des Kreises“. Das lassen wir nicht sprengen. Das muß
stehen, solange es einen geordneten Staat und solange es
Medizinalbeamte gibt. Auf diesem Fundament ist aufgebaut
der ganze Bau des staatlichen Gesundheitswesens. Seine Be¬
deutung für die öffentliche Gesundheitspflege ist
unserer festen Ueberzeugung nach noch ungleich größer, als
die Bedeutung für unsere eigene Beamtensteliung.
Wir wollen aber von dem Fundament auch nichts ab-
bröckeln lassen. Das ist gesehen dadurch, daß man uns die
Dienstbezeichnung * Kreismedizinalrat“ gegen unseren ein¬
mütigen Willen gegeben hat. Ich zweifle nicht daran, daß
das Staatsministerium mit der Veileihung dieser Dienstbezeich¬
nung es gut gemeint hat, wenngleich wir alle uns darüber
wundern, daß es unseren Wünschen so wenig Rechnung ge¬
tragen oder sie so wenig gekannt hat. Tatsächlich hat man
uns damit schwer geschädigt. Nach über 20 Jahren wußte die
Oeffentlichkeit in ihrem überwiegenden Teil allmählich, wer der
Kreisarzt war, daß er Staatsbeamter war. Gewiß führt die
Bezeichnung leicht zu der Anschauung, daß der Kreisarzt ein
dem Landrat unterstellter Kreisbeamter sei — wir kennen
alle wohl Beispiele bei keineswegs unklugen Personen, aber sie
waren doch in der Minderzahl. Die Bezeichnung hat Hand
und Fuß, ist dem Volke vertraut geworden und der Kreisarzt ist
zu Ansehen und Ehren, infolge seiner Dienstaufgäben not¬
gedrungen auch zu viel Feindschaft gekommen. Die neue Be¬
zeichnung „der Kreismedizinalrat“ gefährdet unser Ansehen als
Staatsbeamter aufs neue. Das war uns wohl allen vor ihrem
Erlaß klar. Ich hörte sie zuerst von einem höheren Medizinal¬
beamten eines anderen Freistaats und vergesse nicht sein
„malitiöses“ Lächeln, das so mancher von uns auch bei an¬
deren wohl beobachtet haben wird. Nachdem die Kreise dazu
übergegangen sind, ihre Baubeamten „Kreisbauräte“ zu nennen,
nachdem die Versorgungsärzte „Reg.-Medizinalräte“ längst heißen,
bedeutet die Bezeichnung „Kreismedizinalrat“ glattweg eine
Herabsetzung unserer behördlichen Stellung in den Augen des
Publikums. Wir müssen sie daher wieder zu beseitigen suchen.
Wenn die Bezeichnung im übrigen für uns als Behörde, nicht
als persönliche Dienstbezeichnung gebraucht wird, wie auf vor¬
gedruckten Briefumschlägen auch von den Regierungen jetzt
geschieht, so scheint mir das gesetzlich bedenklich. § 1 des
Gesetzes vom 16. 9. 99. sagt, „der staatliche Gesundheits¬
beamte ist der Kreisarzt“. Damit ist die Bezeichnung der
Behörde als „der Kreisarzt“ festgelegt. Sie ist auch in 20 Jahren
ausgeübt. Nie haben wir die Behördenbezeichnung der „staat¬
liche Gesundheitsbeamte“ gehabt, also kann nur die „der
■ ■■
302 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
Kreisarzt“ gelten. Das Staatsministerium kann die gesetzlioh
feststehende Bezeichnung der Behörde m. E. allein gar nicht
ändern, denn es wäre eine Gesetzesänderung — hat es m. E.
auch gar nicht gewollt. Es hat dem Vertreter der Behörde
nur entsprechend dom Verfahren bei anderen Behörden eine
Rats-Dienstbezeichnung, die leider so unglücklich ausgefallen
ist, geben wollen und können. Das Amtsgericht bleibt das
Amtsgericht auch, nachdem seine Richter, u. U. sein einziger
Richter die Dienstbezeichnung „Gerichtsrat“ hat, der „Gewerbe¬
aufsichtsbeamte“ bleibt der „Gewerbeaufsichtsbeamte“, auch
wenn sein Vertreter „Gewerberat“ heißt. Bezeichnung der
Behörde und Dienstbezeichnung ihres jeweiligen Inhabers sind
eben 2 ganz verschiedene Begriffe. Selbst wenn bei
der Genehmigung des Etats in der Landesversammlung — also
bei einer gesetzgeberischen Maßnahme *- die Dienstbezeich¬
nung „Kreismedizinalräte“ gebraucht wird, so bedeutet das
ra. E. keine Aenderung des Kreisarztgesetzes, also keine Aende-
rung der Bezeichnung der Behörde, sondern nur der Dienst¬
bezeichnung der Stelleninhaber.
Ich bin also der Auffassung, als Behörde heißen wir weiter
„der Kreisarzt“. Diese Auffassung müssen wir durchsetzen.
Ich möchte mich hier gleich auseinandersetzen mit den Be¬
strebungen, die sich richten auf Errichtung von besonderen
Gesundheitsämtern, Kreisgesundheitsämtern oder Medizinal¬
ämtern oder wie man sie nennen will. Sie gehen aus von dem
absolut dringlichen Bedürfnis auf Herstellung eines den Auf¬
gaben entsprechenden Büros mit den nötigen Räumen, der
Ausstattung und dem nötigen Hilfspersonal. So dringlich dieses
Bedürfnis, so unnötig ist es, deshalb den Namen der Behörde
zu ändern. Hat etwa der Landrat kein Büro mit vielen Hilfs¬
kräften?! Niemand denkt daran, deshalb diese Verwaltungs¬
behörde „Verwaltungsamt“ nennen zu wollen!
Die Bezeichnung „Kreisgesundheitsamt“ ist aber sogar
direkt gefährlich für unsere Stellung. Es gibt bereits eme
Reihe kommunaler Gesundheitsämter, ich selbst leite neben¬
amtlich ein Kreisgesundheitsamt. Es würde zum wilden Durch¬
einander führen, wenn staatliche Gesundheitsämter errrichtet
würden. Sie müßten mit den kommunalen vereinigt werden,
dann käme das staatliche leicht zu kurz — solche Sachen
liegen oft an Aeußerlichkeiten, am Namen — die Gefahr der
Kommunalisierung des staatlichen Gesundheitsbeamten wäre
ungleich größer.
Nein! m. H.! Wir wollen den „Kreisarzt“ behalten.
Er soll da stehen wie ein wuchtiger Granitblock, auf den und
um den sich alles übrige im Gesundheitswesen aufbauen kann.
Wir haben selbstverständlich wie alle höheren Beamten An¬
spruch auf eine Ratsbezeichnung. Sie ist von Ministerpräsident
Stegerwald seinerzeit versprochen. Zufolge unzureichender
Information hat er geglaubt, daß „Kreismedizinalrat“ erwünscht
und sachgemäß sei. Der Irrtum dürfte nunmehr aufgeklärt
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. . 308
sein. Wir wünschen die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“ und
in der Vorrückungsstelle „Obermedizinalrat“. Demgemäß liegt
dem Herrn Minister der Antrag des Vorstandes seit etwa
2 Monaten vor: Die Bezeichnung der Behörde bleibt „der
Kreisarzt“, die Dienstbezeichnung des Stelleninhabers ist „Medi¬
zinalrat“ bezw. in der Vorrückungsstelle „Obermedizinalrat“.
§ 1. Abs. 1 der D. A. soll meinem Vorschläge entsprechend
demnach in seinem Wortlaut bestehen bleiben, anstatt „techni¬
scher Beamter“ wird nur zu setzen sein der „fachliche Beamte“.
Dementsprechend bleibt in der ganzen D. A. die Bezeich¬
nung der Kreisarzt stehen, wo es sich um die Bezeichnung
der Behörde handelt. Ueberall, wo mehr die Person des
Stelleninhabers, als die Behörde als solche in Frage kommt,
tritt an ihre Stelle »der Medizinalrat“, z. B. beim Dienst-
einkomraen. Um an dieser Stelle gleich die sonstige Bezeich¬
nung der Behörden zu erledigen, so muß selbstverständlich an
Stelle de’s „Ministers der Medizinalangelegenheiten“ überall der
„Minister für Volkswohlfahrt“, an Stelle des „Regierungs- und
Medizinalrats“ entsprechend dem beim Minister gestellten An¬
trag je nach Entscheidung der „Oberregierungsrat“ oder der
„Oberregierungs- und Medizinalrat“ treten.
(Die Dienstbezeichnung des Kreisarztes wird zweckmäßig
in § 4 zu behandeln sein.) Die Rangklassenfrage hat
heutzutage nur eine Bedeutung für die Höhe der Tagegelder.
Dabei bin ich der Meinung, daß ein so wichtiger Beamter,
wie der Med.-Rat (Kreisarzt), von vornherein in die 4. Rang¬
klasse gehört, und daß er als Obermedizinalrat in die dritte
Rangklasse aufrücken und dann seinem Dienst- und Lebens¬
alter entsprechend auch die höheren Tagegelder haben muß.
§ 4 würde demnach lauten: „Der Kreisarzt wird vom
Minister für Volkswohlfahrt angestellt. Er gehört zur vierten
Rangklasse der höheren Staatsbeamten“ (der bisherige Wort¬
laut „Provinzialbeamten“ führt zu irrigen Auffassungen). „Er
führt die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“.“ Wenn er seinem
Dienstalter entsprechend in die höhere Gehaltsgruppe einrückt,
gehört er zur dritten Rangklasse und führt die Dienstbezeich¬
nung „Obermedizinalrat“.“
Ueber die Gerichtsärzte werde ich im ganzen später
sprechen.
Ueber die Voraussetzungen der Anstellung im § 3 wäre
zu sagen: Die im Abs. 4 im allgemeinen geforderte fünfjährige,
„selbständige, praktische Tätigkeit als Arzt“ muß bestehen
bleiben, aber auch bei der Festsetzung des Besoldungsdienst¬
alters an Ausbildungszeit voll angerechnet werden.
Die Unklarheit in der Fassung ist zu beseitigen, indem es
heißen muß „Tätigkeit als praktischer Arzt“.
Auf der Hauptversammlung in Nürnberg bereits bestand
Einstimmigkeit darüber, daß die Tätigkeit als praktischer Arzt
wichtiger, als eine andere in Instituten für die Ausbildung des
Kreisarztes ist. Um die „Rücksichtnahme auf besondere Ver-
804 Bericht ttber die XXXIII. Hauptversammlung
hältnisse" nicht zum allgemein üblichen Gebrauch werden zu
lassen, ist es angezeigt, den Satz 2 wie folgt anders zu fassen: „der
Minister für Volkswohlfahrt kann in Äusnahraefällen eine in
anderer Art verbrachte ärztliche Tätigkeit anrechnen". Dagegen
ist zu streichen „diesen Zeitraum abzukürzen".
(§ 6). Das Dienstsiegel wird zweckmäßig heißen: „Der
Preußische Kreisarzt des Kreises ..." und für Gerichtsärzte:
„Der Preußische Gerichtsarzt in . . ."
Der Diensteid richtet sich nach Artikel 38 der Verfassung.
Es fragt sich, ob er auch vor Gericht gelten soll. Dazu läßt
sich manches dafür aber auch dagegen sagen. Da der Kreis¬
arzt gleichzeitig als Gerichtsarzt seines Bezirks vereidigt ist,
so ist er logisch für die einzelnen gerichtsärztlichen Geschäfte
auch vereidigt. Die Gerichte lassen das aber vielfach, ich
glaube in der Regel, nicht gelten. Deshalb wäre ein ent¬
sprechender Zusatz zum § 6, Abs. 1 am Schluß „und die ge¬
richtsärztlichen Geschäfte innerhalb des Amtsbezirks" notwendig.
Diese Regelung würde aber Unklarheiten praktisch mit sich
bringen. Ich halte es daher für richtiger, wenn der § 6 Abs. 1
ergänzt wird: „Für gerichtsärztliche Geschäfte kann von den
Gerichten ein besonderer Eid verlangt werden, der durch eine
Vereidigung als Sachverständiger ein für allemal durch den
Landgerichtspräsidenten für den Landgerichtbezirk ersetzt werden
kann."
Im § 8, Abs. 2 betr. ärztliche Ehrengerichte. Zusatz:
„Auch den Schiedsgerichten ärztlicher Vereine ist der Kreis¬
arzt nicht unterstellt."
Zu § 10: Prüfung der Amtsführung durch den Ober¬
regierungsrat „mindestens" alle 3 Jahre streichen und dafür
setzen „m der Regel".
Nun! Meine Herren, das wichtige Kapitel des Verhält¬
nisses zum Landrat) zu den Ortspolizeibehörden nnd den Organen
der Selbstverwaltung. Um von vornherein auch den gro߬
städtischen Verhältnissen Rechnung zu tragen, bemerke ich,
daß praktisch die Oberbürgermeister den Landräten gleich zu
rechnen sind und daher das Verhältnis zu ihnen nicht besonders
besprochen zu werden braucht.
Von einer großen Zahl von Kreisärzten wird das der¬
zeitige Verhältnis zu den Landräten als unglücklich, zum min¬
desten als recht einseitig, an manchen Stellen als nicht würdig
empfunden, wenn auch in der durchaus überwiegenden Mehr¬
zahl wohl ein harmonisches Verhältnis vorhanden sein mag.
Unglückliche Verhältnisse liegen selbstverständlich nicht nur
an der gesetzlichen Regelung, sondern in weit höherem
Maße an den Personen — an einer oder genau so wie in
der Ehe in der Regel an beiden. Die werden sich auch
durch die beste Neuregelung nicht ganz aus der Welt schaffen
lassen.
Wenn wir den Mißhelligkeiten auf den Grund gehen, so
finden wir, daß das Aufwärtsstreben der Kreisärzte, das sachlich
des Preußischen Medizinalbeamtenrereins.
806
begründete Streben nach Einfluß und nutzbringender Arbeit,
kollidiert mit dem Machtgefühl der Verwaltungsbeamten, dem
Bestreben von ihrer Stellung und ihrem Einfluß nichts ab¬
zugeben. Es ist derselbe Konflikt, der überall zwischen „Tech¬
niker“ und Verwaltungsbeamten, der alles verstehen und ent¬
scheiden will, aber nach Meinung des „Technikers“ von seinen
Sachen nichts versteht, zu Tage tritt.
Die neue Zeit könnte freilich mit der hochgespannten
Ueberzeugung der Juristen von sich gründlich aufgeräumt
haben. Mit der alten Stellung des Landrats als König in
seinem Kreise ist es offenbar endgültig vorbei. Man glaubt
gar nicht, wie vorsichtig mancher sein muß, wenn er nicht sich
auf eine starke parteipolitische Mehrheit als Parteigenosse
stützen kann. Wenn Gärtner oder Zimmerleute Landräte werden,
wenn Parteisekretäre Minister, Vorgesetzte aller Berufsbeamten
werden können, so sollte man es für selbstverständlich halten,
daß ohne weiteres anerkannt würde, daß ein „Techniker“ —
also ein Schulbeamter, Baubeamter, Medizinalbeamter usw. erst
recht imstande und der rechte Mann dazu wäre, auf seinem
ureigensten Fachgebiete Entscheidungen zu treffen und nicht
nur sachverständig zu beraten. Ich glaube, daß die
„Techniker“ mit Fug und Recht 10 mal mehr für sich in An¬
spruch nehmen können, auf ihrem Gebiete Entscheidungen zu
treffen, als so mancher neuzeitliche Verwaltungsbeamter.
Nun besteht die eigenartige Tatsache, daß diese neuzeit¬
lichen Verwaltungsbeamten ohne juristische Vorbildung viel¬
fach sehr schnell von demselben Machtgefühl durchdrungen
werden, wie ihre juristischen Vorgänger, und daß sie ihnen in
der eifersüchtigen Wahrung ihrer Stellung bald nichts nach¬
geben.
Damit, meine Herren, müssen wir rechnen. Wir müssen
aber auch rechnen mit der Notwendigkeit einer gewissen Ein¬
heit der Verwaltung — es geht nicht wohl an, daß sie schließlich
zerfällt in alle möglichen Sonderzweige, die ohne Zusammen¬
hang untereinander, womöglich gegeneinander bearbeitet werden.
Vom Standpunkt des Gesundheitsbeamten ist im Interesse
der gedeihlichen Entwicklung des Gesundheitswesens volle
Selbständigkeit der GesundheitsVerwaltung zu fordern, —
Ministerium für Volksgesundheit, eine selbständige Abteilung
für Volksgesundheit mit einem medizinischen Oberregierungsrat
bei den Regierungen und eine selbständige Gesundheits¬
behörde „der Kreisarzt“, auf die unter Abtrennung von der
allgemeinen Polizei auch die Gesundheitpolizei, die möglichst
den Charakter der Fürsorge tragen muß, zu übertragen ist.
Eine solche „Gesundheitsbehörde“ finden wir in dem neuen Ge¬
setzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten § 3,
zum erstenmal genannt. Ich hoffe, daß es ein vielversprechender
Anfang ist.
Diese Gesundheitsbehörde würde auch zu den Organen
der kommunalen Selbstverwaltung in ein gesetzlich fest-
806 Bericht Ober die XXXIU. Hauptversammlung
gelegtes, organisches Verhältnis zu bringen und ihr in
einschlägigen Fragen Sitz und beratende Stimme zu ver¬
leihen sein. Derartig durchgreifende Aenderungen bedürfen
aber einer Aenderung einer ganzen Reihe von Gesetzen — ich
nenne nur das über die allgemeine Ländesverwaltung, das all¬
gemeine Landrecht, soweit es noch gilt, die Seuchengesetze,
das Kreisarztgesetz und die Städte- und Kreisordnung — die
bevorstehende Verwaltungsreform muß darauf zugeschnitten
sein. Die Behörde, „der Kreisarzt“, müßte sehr ausgestaltet
werden, auch ihre Vertreter verwaltungsrechtlich noch besser
ausgebildet werden. Bis wir das alles haben, wird viel Wasser
den Rhein heruntergeflossen sein. Wir müssen mit der Gegen¬
wart und nur mit der durch Umänderung derD. A. möglichen
Besserung rechnen.
Zunächst ist es möglich und notwendig, im Verhältnis
zum Landrat mehr die Koordination herauszuheben und es auf
Gegenseitigkeit einzustellen.
§ 12 wäre daher zu formulieren:
„Der Kreisarzt hat sich eine enge Verbindung mit dem
Landrat auf dem Gebiete des Gesundheitswens angelegen sein
zu lassen und ihn von allen Angelegenheiten auf diesem Gebiet
zu unterrichten. Br hat als fachmännischer Berater des Land¬
rats dessen Ersuchen in Angelegenheiten des Gesundheits¬
wesens nachzukommen. Andererseits hat der Landrat den
Kreisarzt über alle wichtigen Angelegenheiten, die für das Ge¬
sundheitswesen in Betracht kommen, zu unterrichten, ihn vor
Erlaß von allen Verordnungen oder Verfügungen, die das Ge¬
sundheitswesen und die gesundheitliche Wohlfahrtspflege be¬
treffen, rechtzeitig zu hören und sie ihm nach Erlaß mitzu¬
teilen. Vorhandene Meinungsverschiedenheiten sind durch Ver¬
handlungen oder durch Anrufung des Regierungspräsidenten
zu beseitigen. Wichtige Berichte an den Regierungspräsidenten
oder eine Abteilung der Regierung in Angelegenheiten des
Gesundheitswesens oder der Gesundheitsfürsorge des Kreises
müssen vom Landrat wie vom Kreisarzt entweder durch
die Hand des anderen erstattet werden oder dem anderen in
Abschrift mitgeteilt werden.
Dabei ist jedem von beiden unbenommen, eigene Aeuße-
rungen oder eigene Sonderberichte hinzuzufügen. Verfügungen
des Regierungspräsidenten in den genannten Angelegenheiten
gehen beiden Behörden zu.“
Verhältnis zu den Ortspolizeibehörden.
Die jetzige Fassung des § 14 führt vielfach zu einer
falschen Auffassung der Stellung des Kreisarztes. Sie ist noch
zu sehr von der Polizeimajestät durchdrungen. Es ist für
uns selbstverständlich, daß wir gemeinsam mit der
Ortspolizei arbeiten müssen. Wir wollen aber nicht ihr Hand¬
langer sein, sondern sie soll unser Helfer sein.
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
807
Die Bestimmung, {laß der gegenseitige Verkehr durch die
Vermittlung des Landrats geht, steht, wenigstens im Westen,
meist nur auf dem Papier. Sie hat auch m. E. im allgemeinen
keinen Wert mehr, denn sie läuft doch schließlich nur darauf
eu, daß der Landrat die ganze Polizei in der Hand behalten
soll, was, in großen Kreisen wenigstens, absolut nicht der Fall
ist; in Städten, die einen Polizeipräsidenten haben, erst recht
nicht. Durch die Zwischenstelle wird zwecklos nur Zeit
vergeudet.
§ 14 wird daher zweckmäßig von Absatz 2 ab dahin zu
ändern sein:
„Der Kreisarzt und die Ortspolizeibehörden stehen in un¬
mittelbarem Verkehr untereinander und unterstützen sich
gegenseitig in der Durchführung der Gesundheitsgesetze. Dem
gegenseitigen Ersuchen haben sie nach pflichtgemäßer Prüfung
Folge zu geben, insbesondere die Ortspolizeibehörden die ver-
anlaßten und ausgeführten Maßnahmen mitzuteilen. Von wich- •
tigen Angelegenheiten ist der Landrat zu unterrichten.
Die Ortspolizeibehörde hat dem Kreisarzt bei der Aus¬
übung seiner Tätigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit die er¬
forderliche Unterstützung zuteil werden zu lassen, ihn über
alle wichtigen das Gesundheitswesen ihres Bezirks betreffenden
Verhältnisse in Kenntnis zu setzen und zu erhalten und ihm
auf Ersuchen die notwendigen Unterlagen für sein Urteil und
Berichte zu liefern.
Den Entwurf von Polizei Verordnungen und sonstigen
allgemeinen Anordnungen auf dem Gebiete des Gesundheits¬
wesens und insbesondere auch des Wohnungswesens muß die
Ortspolizeibehörde dem Kreisarzt frühzeitig mitteilen, seinen
etwa geäußerten Bedenken Folge geben oder sie durch Ver¬
handlungen oder Anrufung der übergeordneten Dienststellen
aus dem Wege zu räumen suchen und die Verordnungen nach
Erlaß dem Kreisarzt mitteilen. Erfährt die Ortspolizeibehörde
durch die gesetzliche Anzeige oder auf anderem Wege Er¬
krankungen oder Todesfälle an übertragbaren Krankheiten, so
hat sie dem Kreisarzt sofort Mitteilung zu machen. Bei den
gemeingefährlichen Krankheiten des Reichsseuchengesetzes ist
außer den schriftlichen Mitteilungen vom Fernsprecher oder
Telegrammen Gebrauch zu machen. Bei Verzögerungen von
mehr als 24 Stunden nach dem Eintreffen der Meldung bei
der Ortspolizeibehörde ist der Kreisarzt zur dienstlichen
Beschwerde verpflichtet. Bei der Weitergabe der Mel¬
dungen ansteckender Krankheiten hat die Ortspolizeibehörde
die etwa bereits getroffenen Maßnahmen mitzuteilen.
Die Anordnungen des Kreisarztes zur Bekämpfung einer
ansteckenden Krankheit nach Maßgabe der Seuchengesetze und
ihrer Ausführungsbestimmungen hat die Ortspolizeibehörde zur
Ausführung zu bringen. Sofern Bedenken vorliegen, teilt
sie die Ortspolizeibehörde ungesäumt dem Kreisarzt mit, der
nötigenfalls die der Ortspolizeibehörde übergeordnete Dienst-
308
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
stelle anruft. Die ausgeführten Maßnahmen hat die Orts¬
polizeibehörde in jedem Einzelfalle dem Kreisarzt mitzuteilen.“
Sie wissen, m. H., daß ich ursprünglich ein anderes Ver¬
fahren, nämlich der Anmeldung ansteckender Krankheiten un¬
mittelbar an den Kreisarzt, der die Meldung an die Ortspolizei¬
behörde weiter geben sollte, vorgeschlagen habe. Ich bin davon
abgekommen und versuche die Verzögerungen der Weitergabe
der Meldekarten an den Kreisarzt durch die obige Fassung zu
beseitigen. Der Gründe sind mehrere:
1. Der Bürobetrieb der meisten Kreisärzte ist bei der
dürftigen Dienstaufwandsentschädigung unzureichend, so daß
durch das Verfahren vielfach eine Verzögerung der Be¬
kämpfungsmaßnahmen anstatt der beabsichtigten Beschleuni¬
gung zu erwarten stände. Die notwendige Ausgestaltung
durch Gestellung eines Hilfsbeamten äteht aber vom Staate
vorläufig nicht zu erwarten.
2. Die Seuchengesetze schreiben die Meldungen an die
Ortspolizeibehörden vor. Um dem Rechnung zu tragen,
hat der Provinzialverein Sachsen die Meldung an die Ortspolizei-
behörden durch die Hand des Kreisarztes vorgeschlagen.
Dabei bleibt 1 bez. Unzulänglichkeit des Bürobetriebes aber
bestehen.
3. Die Kreisärzte des besetzten, insbesondere des von
Belgiern besetzten Gebietes befürchten die allergrößten Schwierig¬
keiten, da dort ganz rigorose Ententevorschriften gelten.
Wir werden also die weitere Entwicklung der Verhält¬
nisse abwarten müssen. Am zweckmäßigsten dürfte nunmehr
der § 34 und § 35 zu besprechen sein:
§ 34 der D. A. wird ebenso wie bei einer Aenderung des
Kreisarztgesetzes § 6 zweckmäßig zu lauten haben:
„Der Kreisarzt hat insbesondere die Aufgabe“ .... usw.
1, 2, 4, 5 wie bisher. Jetziger Abs. 3 wird Abs. 5 und
lautet: „Als ständiger Beauftragter des Regierungs¬
präsidenten die Durchführung der Gesundheitsgesetzgebung
und“ usw. bis „Gesundheitswesens“ dann weiter „und der Ge¬
sundheitsfürsorge zu beaufsichtigen. Auch hat er über das
Apotheken- und Hebammenwesen, über die Krankenschwestern,
Wohlfahrtspflegerinnen oder Fürsorgerinnen, Werkspflegerinnen
und gleichartige Angestellte der Gemeinden oder sonstiger Kör¬
perschaften, über die Heilgehilfen, Desinfektoren und anderes
Hilfspersonal des Gesundheitswesens und der Gesundheitsfür¬
sorge die fachliche Aufsicht zu führen. Auch über alle Ein¬
richtungen der kommunalen Gesundheitsfürsorge
führt der Kreisarzt die fachliche Aufsicht.“
Der Gedanke des Zusatzes „als ständiger Beauftragter
des Reg.-Präs.“ entspringt der Tatsache, daß im § 1 der D. A.
für die Gewerbeaufsichtsbeamten derselbe Satz vorhanden ist.
Er kann unsere Stellung nur festigen.
Hinsichtlich des Zwanges zu vertrauensärztlicher Tätigkeit,
über die der letzte Absatz des § 34 spricht, möchte ich hier be-
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
809
merken, daß ein Bezirksverein sich dagegen ausgesprochen hat. Ich
glaube mit Unrecht. Das Interesse manches Nachfolgerkollegen
verlangt es, daß der Vorgänger nicht aus Mangel an Interesse
oder wegen persönlicher Wohlhabenheit die vertrauensärztliche
Tätigkeit aufgibt und damit die Stelle dauernd verdirbt. Eine
Härte aus dieser Bestimmung steht doch kaum zu befürchten.
Die jetzige Fassung des § 35 ist uns unsympathisch und
entspricht nicht den tatsächlichen Bedürfnissen. Wir können
es nicht weiter mitmachen, wie es noch in manchen Kreisen
geschieht, daß der Kreisarzt die Ueberführung eines Kranken
ms Krankenhaus für notwendig erklärt, daß sie aber nicht er¬
folgt oder erst, nachdem weiteres Unheil angerichtet ist. Im
Reg.-Bez. Arnsberg haben wir freilich seit Springfelds Zeiten
bereits glänzende Verhältnisse, aber sie sind keineswegs über¬
all so. Man könnte ja den sehr dehnbaren Begriff von Gefahr
im Verzüge ausnutzen — ich habe schon einmal ein ganzes
größeres Krankenhaus durch schriftliche Anordnung gesperrt
wegen Pockenverseuchung, — aber zweckmäßiger ist die Aen-
derung des § 35 Abs. 2 in folgender Fassung:
„Die zur Verhütung der Verbreitung einer übertragbaren
Krankheit erforderlichen Maßnahmen, soweit sie in den Seu-
ohengesetzen und ihren Ausführungsbestimmungen vorgesehen,
sind und Festst eil ungs-, Absonderungs-und Desinfek¬
tionsmaßnahmen darstellen, ordnet der Kreisarzt selbst¬
ständig an. Dies geschieht in der Regel durch schriftliche An¬
ordnung an die Ortspolzeibehörde, bei Gefahr im Verzüge un¬
mittelbar schriftlich an den Betroffenen. Die Ortspolizeibehörde .
und die Betroffenen haben den Anordnungen Folge zu leisten.
Falls die Ortspolizeibehörde begründete Bedenken gegen die Aus¬
führung hat, sind sie dem Kreisarzt ungesäumt mitzuteilen, der
nötigenfalls die übergeordnete Dienststelle anruft. Die Anord¬
nungen sollen stets die verschiedenen Interessen berücksichtigen,
das Gemeinwohl aber in den Vordergrund stellen und möglichst
den Charakter der vorbeugenden Fürsorge tragen.“
Bei dieser Fassung kann m. E. der Absatz 1 mit seinen
negativen Gedanken ganz wegfallen, er führt dem Publikum
und den Polizeibehörden doch gar zu sehr zur Gemüte, daß
wir unmittelbar nichts zu sagen haben sollen. Er ist vom
Geist der alten Polizeimajestät durchdrungen, der doch auf allen
möglichen anderen Gebieten praktisch abgewirtschaftet hat.
In der Fassung des Abs. 2 liegt implicite enthalten, daß der
Kreisarzt sonst nach der bisherigen gesetzlichen Lage keine
selbständigen Anordnungen treffen soll. Ich möchte es dem
Herrn Minister für Volks Wohlfahrt überlassen, ob es notwendig
ist, das Negative im Abs. 1 hervorzuheben. Wenn es für not¬
wendig gehalten wird, so halte ich die gleichsinnigen
Bestimmungen in der Dienstanweisung für Gewerbeaufsichts¬
beamte § 8 Abs. 2 für außerordentlich viel glücklicher.
Hier ist von dem Rechte, polizeiliche Verfügungen als
ständiger Beauftragter des Regierungspräsidenten zu treffen
310
Bericht Ober die XXX [II. Hauptversammlung
die Rede — einem Recht, das sich aus der von mir vorge¬
schlagenen Fassung des § 4 neuer Abs. 6 ohne weiteres auch
für den Kreisarzt als „ständigen Beauftragten des Re¬
gierunspräsidenten“ ergeben würde.
Von diesem Recht soll der Gewerbeaufsichtsbeamte nur
bei Gefahr im Verzüge Gebrauch machen. Das gleiche wäre
dem Kreisarzt vorzuschreiben, ihm aber die Verfügungsbe-
rechtigung amtlich zuzugestehen. Ich bitte also den §8 der
der D. A. für die Gewerbeaufsichtsbeamten als Muster zu nehmen.
Man befürchte nicht von uns unzeitgemäßen Polizeigeist und
Uebereifer! Davon sind wir weit entfernt und durchaus da¬
von durchdrungen, daß Beratung und Fürsorge viele, wenn
auch nicht alle Polizeimaßnahmen ersetzen kann. Mancher von
uns scheut sogar die Erweiterung seiner Befugnisse wegen der
Verantwortung. Aber verantwortungsfreudig müssen wir
sein, m. H., im Interesse der Sache und des Standes. Der
Prozeß der Entwickelung vom prakt. Arzt zum vollen Beamten
geht weiter und es ist unzweckmäßig, wenn sich einzelne etwa
dagegen stemmen wollen.
Das Verhältnis zu den Organen der Selbstver¬
waltung bedarf einer grundlegenden Aenderung. Unter den
jetzigen Verhältnissen wird der Kreisarzt von ihnen äußerst
selten zugezogen, vielfach geflissentlich übergangen. Hierdurch
veranlaßt, sind stellenweise höchst unerquickliche Verhältnisse
entstanden, u. a. hat sich vielfach die kommunale Gesundheits¬
fürsorge unter mehr oder weniger völliger Ausschaltung des
Kreisarztes entwickelt, sodaß der Kreisarzt weder die notwendige
Kenntnis noch irgend einen Einfluß auf das Fürsorgewesen hat.
Wenn eine Anzahl von Kreisärzten auf dem Gebiete des Für¬
sorgewesens eine wichtige Stellung haben, so liegt dies an
persönlicher Initiative und günstigen örtlichen Verhältnissen.
Wenn naturgemäß der § 16 der D. A. der gewaltigen Ent¬
wickelung des Fürsorgewesens, welche erst nach dem Kriege
entstanden ist, nicht hat Rechnung tragen können, so ist jetzt
eine grundlegende Aenderung unerläßlich.
Dem § 16 ist dementsprechend nach dem ersten Satz hin¬
zuzusetzen: »Der Kreisarzt hat andererseits das Recht, an diesen
Sitzungen, soweit Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens
und der Gesundheitsfürsorge zur Verhandlung kommen, mit
beratender Stimme teilzunehmen und nach vorherigem Be¬
nehmen mit dem Vorsitzenden das Recht des Vortrags und
des Antrags.
Der Vorsitzende ist verpflichtet, diesbezügliche Anträge
des Kreisarztes auf die Tagesordnung zu setzen und dem Kreis¬
arzt Tagesordnungen aus dem Gebiete des Gesundheitswesens
und der Gesundheitsfürsorge mitzuteilen.
Soweit der Kreisarzt nicht als nebenamtlicher Kreis¬
kommunalarzt oder Stadtarzt bereits dem Vorstande der Wohl¬
fahrtsämter oder ähnlicher Einrichtungen mit beschließender
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
311
Stimme angehört, ist er von Amtswegen Mitglied deses Vor¬
standes mit Stimmrecht.
Der Vorsitzende des Kreisausschusses (Magistrats) oder
der Bürgermeister muß sich mit dem Kreisarzt vor Erlaß von
wichtigen Anordnungen auf dem Gebiete des kommunalen Ge¬
sundheitswesens und der Gesundheitsfürsorge ins Benehmen
setzen und ihm getroffene Anordnungen alsbald mitteilen. Auch
die Leiter der unteren Kommunalverwaltungen haben für ihr
Gebiet dieselbe Verpflichtung wie der Vorsitzende des Kreis¬
ausschusses.
Anträge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der
Gesundheitsfürsorge an die vorgeordneten Dienststellen (Re¬
gierungspräsident, Landrat bezw. Vorsitzender des Kreisaus¬
schusses) sind dem Kreisarzt zur Kenntnis vorzulegen.
In Großstädten, in denen mehrere Kreisarztbezirke vor¬
handen sind, fallen die aus vorstehenden Bestimmungen sich
ergebenden Rechte dem vom Regierungspräsidenten dazu be¬
sonders bestellten Kreisarzt zu. Er hat die dienstliche Ver¬
pflichtung, sich mit den anderen Kreisärzten der Stadt ins
Benehmen über alle einschlägigen Fragen zu setzen und zu halten“.
Die sachliche Notwendigkeit solcher Aenderung brauche
ich in diesem Kreise nicht zu besprechen. Die Kreisausschüsse
sollten allgemein einsehen, wie notwendig der medizinische
Fachmann bei ihren Beratungen ist.
§ 45 betreffend Meldepflicht der Med. Personen ist wesent¬
lich zu ändern und eine Pflicht der „An- und Abmeldung von
Hebammen, Krankenschwestern, Wohlfahrtspflegerinnen, Für¬
sorgerinnen und gleichartigen Angestellten der Gemeinden oder
sonstiger Körperschaften, der Gesundheitsaufseher, Desinfek¬
toren und sonstiger geprüften oder nicht geprüften Heil- oder
Fürsorgepersonen“ festzulegen. Anstatt „niederlassenden“
Aerzte ist zu setzen „tätigen“, da sonst die Assistenzärzte
glauben, sie brauchten sich nicht zu melden. Bekanntlich steht
der Durchführung der Meldepflicht aus § 45 und 46 eine
Kammergerichtsentscheidung entgegen, trotzdem ist aber die
Beachtung durch Min. Erl. vom 10. 11. 14 weiter verlangt und
sachlich zweifellos durchaus notwendig.
§ 65 über Beaufsichtigung von Heilpersonen ist § 45 ent¬
sprechend zu ändern.
§ 64 über Heilgehilfen und Masseure fällt weg.
Ueber Hebammenwesen jetzt, wo der Gesetzentwurf über
das Hebammenwesen in der Kommission ist, zu sprechen, mag
verfehlt erscheinen. Ich möchte es auch aus Zeitmangel lassen,
nur — ich glaube unserer einmütigen Auffassung dahin Aus¬
druck geben zu dürfen, daß wir die dem Kreisarzt nach dem
Gesetzentwurf zugedachte Stellung, insbesondere in der Kreis¬
hebammenstelle für unglücklich, seiner Dienststellung nicht
entsprechend und die Einrichtung wenigstens in der geplanten
EJorm für sohädlich für das Hebammenwesen halten. Richtiger
312
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
erscheint uns, daß die Kreishebammenstelle nur aus dem Med.
Rat und mehreren Hebammen besteht.
In § 67 betr. Desinfektoren ist ein Zusatz erwünscht „Zur
Beaufsichtigung der Desinfektoren sollen die Kreise Kreis*
desinfektoren anstellen, die nach Anweisung des Kreisarztes
und ihm fachlich unterstellt ihren Dienst zu versehen haben“.
Diensteinkommen pp. Verhältnisse. Zu ändern ist vor
allem die jetzige Art der Unterscheidung zwischen vollbesoldeten
und nicht vollbesolldeten Medizinalräten.
Diensteinkommen.
§ 24 Abs. 1 fällt weg. Er lautet: „Die Med. Räte erhalten
Gehalt mit den gesetzmäßigen Zuschüssen in derselben Weise
wie andere höhere Staatsbeamte unter Ausschluß von Gebühren
für amtliche Verrichtungen (Vollbesoldete Stellen)“.
Ob im Abs. 3 der letzte Satz betr. gerichtsärztliche Tätig¬
keit zu streichen ist, bedarf eingehender Erwägung. Wirklich
amtlich zugezogen werden wir von den Gerichten vielfach doch
nur zu den Leichenöffnungen, während in allen anderen
Sachen das Gericht nicht den Kreisarzt nehmen muß und es
vielfach auch nicht tut. Die ganze Stellung des Gerichtsarztes
hat sich doch im Verlaufe der letzten Jahrzehnte, insbesondere
durch das ärztliche Specialistentum wesentlich verändert. Eine
innere Berechtigung die gerichtsärztlichen Gebühren als amt¬
liche anzusehen, ist also kaum vorhanden bezw. nur bei den
Leichenöffnungen. Andererseits werden die begründeten Gut¬
achten zumeist von den Kreisärzten nur durch Ueberarbeit, in
Abend- und Nachtstunden erstattet, in denen erst die dazu
notwendige Ruhe und Konzentration vorhanden ist. Etwa aber
gerade von den Med. Beamten zu verlangen, daß sie die sehr
anstrengende, oft ekelhafte und gefährliche Tätigkeit — wie
viele sind schon der Infektion bei Leichenöffnungen erlegen —
einer Leichenzerlegung ohne persönlichen Sondergegen¬
wert für ihr Gehalt leisten, wird auch Fernstehenden als nicht
unbedingt erforderlich erscheinen. Andere Beamte haben auch
Gerichtstermine und Gutachten zu erstatten, deren Gebühren
ihnen selbstverständlich verbleiben.
Ich meine also, wir haben Recht, wenn wir die Abschaffung
der Abführpflicht gerichtsärztlicher Gebühren fordern, wie es ja
auch bereits in Nürnberg geschehen ist.
Ob wir damit beim Staatsministerium durchkommen, ist
eine andere Frage. Sollte es nicht der Fall sein, so wäre
folgender Kompromiß Vorschlag zu machen und die D. A. ent¬
sprechend zu ändern: „Die Gebühren für die m der normalen
Arbeitszeit am Tage stattfindenden amtlichen gerichtsärztlichen
Verrichtungen innerhalb seines Amtsbezirks im Termin, Vor¬
besuche, Untersuchungen, kurze gutachtliche Aeußerungen sind
abfuhrpflichtig bezw. sind von den Gerichtskassen nicht zu er¬
heben. Die Gebühren für als Sonderleistung zu wertende
Verrichtungen — Leichenöffnungen, Leiohenschau und schritt-
des Preußischen Medisinalbe&mtenvereins.
818
liehe wissenschaftlich begründete Gutachten verbleiben dem
Medizialrat bezw. werden von den Gerichtskassen erhoben“.
Die Begründung für das Nicht erheben von bestimmten
Gebühren ist ohne weiteres gegeben.
Es kann m. E. doch der Staatskasse ganz gleichgültig
sein, ob sie Geld gar nicht auszahlt oder es auszanlt und auf
Umwegen wieder erhält. Oder besser gesagt, es kann der
Staatsverwaltung gar nicht gleichgültig sein, ob dieser nur
durch Interessen einer Etatsverwaltung allenfalls zu begrün¬
dende Zustand weiter besteht. Der Aufwand an Beamtenkraft,
Zeit und Papier, von dem der Staat auch nicht 1 Pfennig
Nutzen hat, ein Zustand, wie er m. E. nur wegen leicht ander¬
weitig ausgleichbarer Ressortinteressen noch besteht, kann nicht
mehr gerechtfertigt erscheinen.
Ueber die Dienstaufwandsentschädigung (§ 26)
möchte ich nur wenige Worte sagen. Der jetzige Zustand
einer absolut unzureichenden Entschädigung, die den Kreisarzt
zwingt, einerseits seine Kraft in minderwertiger Schreibarbeit
zu vergeuden, oder Frau oder Tochter dafür heranzuholen,
andererseits trotz alledem ständig hohe Beträge für reinen
Büroaufwand aus seinen sonstigen Einnahmen zuzusetzen, ist
unhaltbar. Dies gilt um so mehr, als die rein büromäßigen
Aufgaben von Jahr zu Jahr steigen, in letzter Zeit durch die
Verarbeitung der standesamtlichen Nachweisungen so, daß die
Außentätigkeit auf Dienstreisen darunter zu leiden droht. Es
ist daher mindestens für größere Kreisarztbezirke zu fordern,
daß die Dienstaufwandsentschädigung so bemessen wird, daß
eine Schreibhülfe gehalten werden kann. Damit ist erst die
Möglichkeit einer ersprießlichen Dienstleistung gegeben, damit
aber auch erst die notwendige Rücksicht auf das Pu¬
blikum, das doch erwarten kann, jemand in den Dienststunden
auf dem Büro aufzufinden zur Auskunft bei Abwesenheit des
Medizinalrates. Bisher leisten auch diese Aufgaben Angehörige
oder Privatpersonal des Medizinalrats. Es ist daher entsprechend
Vorschlag des Prov. Vereins Sachsen zu fordern, daß der Staat
grundsätzlich die vollen Bürokosten einschl. der für etwa
notwendige Bürohilfe trägt. Von diesen Kosten ist aber abzu¬
ziehen und vom Medizinalrat selbst zu tragen ein bestimmter
vom Regierungspräsidenten jährlich festzusetzender Teil, dessen
Höhe sich nach der etwa betriebenen Praxis oder nebenamt¬
lichen Tätigkeit richtet. Eine entsprechende Aenderung des
§ 26, Abs. 1 ist daher notwendig.
Der § 33 betreffend Kreisassistenzärzte wird zweckmäßig
anders zu fassen sein.
Ueberschrift: „Hilfsarbeiter“.
Wortlaut: „Dem Kreisarzt können usw.“ als Hilfsarbeiter
beigegeben werden. Sie werden vom Minister usw. bestellt
und führen die Dienstbezeiohnung „ Medizinalassessor“.
Ein Bez.-Verein hat den Antrag gestellt, daß die Ueber-
314
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
tragung eines bestimmten Teiles der Geschäfte zur eigenen
Erledigung wegfallen sollen. Meines Wissens kommt diese
Uebertragung doch nur bei räumlich sehr ausgedehnten Kreises
in Betracht und die Möglichkeit dazu muß m. E. bestehen bleiben.
Die Vorschriften über das gesundheitliche Wohl¬
fahrtswesen sind grundlegend umzuarbeiten.
Die Gesundheitsfürsorge hat eine noch vor wenigen Jahren
ungeahnte Entwicklung genommen. Vielfach ist sie absolut
planlos und überhastet gewesen. Ich erblicke den Grund
für diese Planlosigkeit hauptsächlich darin, daß man zwar die
Idee der beschleunigten Fürsorgemaßnahmen für das zusammen¬
brechende und zusammengebrochene Volk von der Zentrale
aus den Gemeinden gegeben, aber die Ausführung der Idee
aus einer meiner Meinung nach falsch angewandten Rücksicht
auf das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden ihnen völlig
überlassen'hat. Spät erst und übervorsichtig hat man die
notwendig ordnende Hand des Staates an das kaleidoskop¬
artige Bild des Fürsorgewesens angelegt und noch jetzt be¬
stehen die allergrößten, sachlich durchaus unerwünschten
Verschiedenheiten in durchaus gleichartigen, aneinander
stoßenden Städten und Kreisen, sogar zwischen den einzelnen
Gemeinden eines Kreises. Auch wir Kreisärzte sind bisher von
Amtswegen organisch mit dem Fürsorge wesen nicht ver¬
bunden. Das bleibt jetzt nachzuholen.
Von § 97 ab ist ein neuer Abschnitt XXVII.
„Gesundheitliche Wohlfahrtspflege (Gesundheitsfürsorge) 4
zu bilden, in den die §§ 97, 98, 98 a, 99, 103 a, 104, 105 hin¬
einzuarbeiten, in dem die der jetzigen Dienstanweisung noch
unbekannte Fürsorge für Tuberkulöse, Geschlechtskranke und
Psychopathen, für Schwangere und Wöchnerinnen, fürWohnungs-
fürsorge zu verwenden, kurz die gesamte als „Familienfürsorge 4
zusammengefaßte Fürsorge zu besprechen ist.
Aus diesem Abschnitt aber müssen heraus bleiben die
§§ über Beaufsichtigung der Krankenanstalten. Sie sind wieder
in einem besonderen Abschnitt zu besprechen.
Vor a 11 e m ist bei der neuen Fassung des Abschnitts XXVII
Klarheit darüber zu schaffen, „welche Aufgaben hat der
Kreisarzt als staatlicher Gesundheitsbeamter auf dem
Gebiete der Gesundheitsfürsorge? 4 Liest man sich die jetzigen
Bestimmungen, z. B. den § 98 a über Säuglingsfürsorge durch,
so könnte man glauben, der Kreisarzt habe die Pflicht, minde¬
stens die gesamte Gesundheitsfürsorge des Kreises von Amts¬
wegen zu organisieren und zu verwalten, wenn nicht gar die
zu befürsorgenden Personen zu beraten. Und in der Tat hat
es Kommunen gegeben und gibt es noch, die derartige Auf¬
gaben vom Kreisarzt von Amtswegen verlangen ohne oder mit
minimaler Entschädigung. Zahlreiche Kreisärzte haben solche
Aufgaben von Amtswegen übernommen und ehrenhalber
ausgeführt.
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
815
Der Erlaß derartiger Vorschriften, von denen das Kreis¬
arzt g e s e t z noch nichts weiß, ist heutzutage, wo die Entwicke¬
lung längst andere Wege gegangen ist nur so zu verstehen,
daß der Staat das dringliche Bedürfnis hatte, das Fürsorgewesen
in Gang zu bringen, den Kommunen keine unmittelbaren Vor¬
schriften machen wollte und sich deshalb seiner Beamten be¬
diente, die Fürsorgeidee zu inaugurieren und in die Praxis um¬
zusetzen. Das ändert aber nichts daran, daß die eigentliche
Gesundheitsfürsorge eine rein kommunale Aufgabe
ist und zwar ihre Organisation und Verwaltung, ebenso wie die
Ausübung. Das wissen die Kommunen auch ganz genau, lassen
sich höchst ungern oder gar nicht von. Staatsbeamten in diese
Sache hineinreden, die verständigen von ihnen sind anderseits,
wenn sie den Kreisarzt nebenamtlich als Kommunalarzt betei-
ligen, gerne bereit, ihn besonders zu honorieren. Der Staat
selbst erkent z. B. im Krüppelfürsorgegesetz diese Sachlage an,
indem er vom Kreisarzt nur das Meldewesen leiten läßt. So
glaube ich denn mit vollem Recht sagen zu dürfen:
„Die Organisation, Verwaltung und Ausübung der Ge¬
sundheitsfürsorge gehört nicht zu den staatlichen Aufgaben
des Kreisarztes. Wenn er sie übernimmt, so kann und darf er
es nur mit Genehmigung seiner Vorgesetzten Dienststelle als
eine kommunale Aufgabe.
Der Kreisarzt muß aber von Amtswegen staatliche Auf¬
sichtsbehörde auch über das Fürsorgewesen sein. Die ge¬
sundheitliche Wohlfahrtspflege ist heute derart wichtig gewor¬
den, daß wir in ihr mitwirken müssen, daß man auch unsere
Mitwirkung nicht entbehren kann, wenn nicht Schaden in
der einen oder anderen Weise entstehen soll. Wir müssen auch
bereit sein auf Antrag und kraft besonderen Vertrages mit
den Kommunen organisierend, verwaltend und ausübend für¬
sorgerisch tätig zu sein. Prof. Krautwig hat vor etwa 1 Jahr
einmal etwa gesagt: „Die Kreisärzte müssen sich auf das Für¬
sorgewesen einstellen“, womit er nach anderen seiner Aeußerungen
zu schließen wohl auch meinte, sie müßten sich kommunalisieren
lassen, sonst verlören sie allen Einfluß und Bedeutung und
würden „an die Wand gequetscht“. NunI Mit dem Letzteren
hat es wohl noch weite Wege, aber daß wir im Fürsorge wesen
mitarbeiten müssen, freilich ohne Kommunalisierung das läßt
wohl jeder von uns gelten. Ich betone auch hier, daß die ein¬
zelnen Kreisärzte mit wenigen Ausnahmen sich aber gar nicht
fürsorgerisch erst einzustellen brauchen, längst eingestellt sind,
solange es eine Fürsorge gibt und bahnbrechend gewirkt haben.
Ich halte es zur Klärung der Rechtsverhältnisse und zur
Vermeidung von Unzuträglichkeiten gegenüber den Trägern der
Selbstverwaltung für unbedingt geboten, daß die gesamten Be¬
stimmungen der derzeitigen Dienstanweisungen, die den Ein¬
druck erwecken, als habe der Kreisarzt von Amts wegen für¬
sorgeärztliche Aufgaben, anders gefaßt werden — also auch be¬
züglich Beaufsichtigung der Haltekinder, Geisteskranken usw.
316
Bericht über die XXXIII. H&aptverB&mmlang
Selbst der Umstand, daß die Ueberwachung des Haltekinder¬
wesens bisher noch Polizeiangelegenheit ist, darf nicht daran
hindern. Sie muß auch Angelegenheit der Fürsorge werden, der
die Polizeihilfe immer im Notfall zur Verfügung steht.
So schlage ich denn für den neuen Abschnitt „Gesund¬
heitliche Wohlfahrtspflege“ folgende Fassung vor:
„1. Der Kreisarzt hat als staatliche Gesundheitsbehörde
seine volle Aufmerksamkeit der gesundheitlichen Wohlfahrts¬
pflege zu widmen, deren Organisation, Leitung und Ausführung
Aufgabe der Gemeinden und Gemeindeverbände ist. Br hat
von Amtswegen das Staatsinteresse an der Gesundheits¬
fürsorge zu vertreten, die Einrichtungen derselben zu über¬
wachen und sich über den Stand der Gesundheitsfürsorge unter¬
richtet zu halten. Er hat das Recht und die Pflicht auf die
Einrichtung einer den Bedürfnissen der Bevölkerung angepaßten
Gesundheitsfürsorge in ihren verschiedenen Zweigen hinzuwirken
und an die Gemeinden mit Vorschlägen heranzutreten Anträgen
der Organe der Selbstverwaltung um fachliche Beratung in der
allgemeinen Regelung der Gesundheitsfürsorge hat er Folge zu
geben. Falls Bedenken vorliegen, hat er sie dem Regierungs¬
präsidenten vorzulegen. Dagegen gehört die Einrichtung,
Leitung und Ausführung der Gdkundheitsfürsorge nicht zu seinen
staatlichen Aufgaben. Der Medizinalrat ist aber berechtigt, in
dem Maße, wie seine staatlichen Dienstaufgaben es tunlich
erscheinen lassen, diese Tätigkeit als vertrauensärztliche mit
Genehmigung des Ministers für Volkswohlfahrt zu übernehmen.
Sind besondere Kommunalärzte (Stadtärzte, Kreiskommunal¬
ärzte) vorhanden, so hat der Medizinalrat sich ein enges dienst¬
liches Verhältnis zu ihnen angelegen sein zu lassen und mit
ihnen die gesundheitsfürsorgerischen Interessen zu pflegen. Das
Austragen von Meinungsverschiedenheiten in der Oeffentlichkeit
ist zu vermeiden. Sie sind, falls ein Ausgleich nicht möglich
ist, dem Regierungspräsidenten zu unterbreiten.
2. Die Organe der Selbstverwaltung haben demgegenüber
die sich aus § 16 ergebenden Verpflichtungen. Sie haben weiter
die Verpflichtung, den Kreisarzt über die Einrichtungen ihres
Bezirks auf dem Gebiete der Gesundheitsfürsorge unterrichtet
zu halten und ihm auf Ersuchen Auskunft und das zur Aus¬
führung der staatlichen Vorschriften notwendige statistische
Material zu liefern.“
An diese Paragraphen würden sich Einzelbestimmungen
über die Mitwirkung auf dem gesamten Gebiete der Gesund¬
heitsfürsorge anzuschließen haben. Sie müssen ein scharf ge¬
faßtes Oompendium der zahlreichen einzelnen Fürsorgezweige
darstellen, das Richtlinien für die staatliche Aufsicht und die
kraft kommunalen Sonderauftrags mögliche Beteiligung in der
Organisation, Verwaltung und Ausübung der Fürsorge gibt, das
auszuarbeiten ich noch nicht die Zeit gefunden habe, das zu
besprechen aber auch zu weit führen würde, zumal Herr Kollege
Hillenberg morgen ein besonderes Referat über Kreisarzt
des Preußischen Medizinalbesmtenvereins.
317
und Fürsorge halten wird. Es wird daher erst in dem Ge¬
samtentwurf der neuen Dienstanweisung durch den Vorstand
vorzulegen sein.
Für diese Bestimmungen muß eine Uebergangsvorschrift
wohl duroh Ministerial- Erlaß gegeben werden, etwa folgenden
Wortlauts:
„In denjenigen Kreisen, in denen die Organisation der
gesundheitlichen Wohlfahrtspflege noch nicht so weit vor¬
geschritten ist, daß eine gedeihliche selbständige Tätigkeit
möglich ist, hat der Kreisarzt mit Nachdruck auf ihre Ein¬
richtung hinzuwirken und gegebenenfalls nach besonders ein¬
zuholender Anweisung des Regierungspräsidenten seine Bereit¬
willigkeit in nebenamtlicher Tätigkeit kommunale Aufgaben zu
übernehmen, kund zu geben. Die ausübende Fürsorge durch
Beaufsichtigung der Haltekinder und Geisteskranken in Privat¬
pflege hat er nach Maßgabe der in der alten D. A. gegebenen
Vorschriften solange auszuführen, bis eine geordnete kommunale
Fürsorge auf diesen Gebieten eingeführt ist.“
Gerichtsärzte.
Es bleiben noch als besonders wichtige Punkte zu be¬
sprechen die Bestimmungen über die Gerichtsärzte.
M. H.! Es sind in den letzten Jahren wiederholt Be¬
strebungen hervorgetreten, die Gerichtsärzte von den Kreis¬
ärzten abzuzweigen. Ich erinnere an das Referat von Herrn
Geheimrat Straß mann im vorigen Jahre in Nürnberg, das die
Möglichkeit besonderer Ausbildung und Prüfung vorsan, und an
die Wünsche einer besonderen Dienstanweisung für Gerichtsärzte,
die, wie ich erst gestern hörte, irrigerweise als von Herrn Geh.
Rat Puppe herrührend bezeichnet worden sind.
Ich kann die Berechtigung weder der einen noch der
anderen Forderung anerkennen.
Genau so wie der Kreisarzt eine gerichtsärztliche Vor¬
bildung haben muß, muß der Gerichtsarzt eine hygienische und
sozialhygienische haben. Dafür gehen die Arbeitsgebiete beider
in der Praxis zu sehr ineinander über. Ich erinnere nur an die
Aufgaben des Gefängnisarztes, der doch als Hygieniker und
Sozialhygieniker durchaus auf der Höhe sein muß, darüber sind
wir uns ja auch schon in Nürnberg klar geworden. Das
kommende Strafgesetz wird aller Voraussicht nach ja auch dem
Gerichtsarzt viele fürsorgerische Aufgaben auf dem Gebiete
kriminell gewordener Personen geben.
Die Forderung einer besonderen Dienstanweisung für Ge¬
richtsärzte mag auf den ersten Blick etwas für sich haben. Sie
geht freilich zunächst gar nicht davon aus, daß der Gerichts¬
arzt zu wenig mit den kreisärztlichen in der Dienstanweisung
festgelegten Aufgaben zu tun hat, sondern von dem Bestreben,
Grenzgebiete und bisherige Aufgaben der Kreisärzte auf das
gerichtsärztliche Gebiet hinüberzuziehen und durch die besondere
Dienstanweisung diesen neuen Zustand festzulegen. Diese beiden
Momente müssen wir aber streng auseinander halten.
818
Bericht Qber die XXXIII. Hauptversammlung
Zu der Frage, ob die Gerichtsärzte eine besondere Dienst¬
anweisung haben müssen oder nicht, möchte ich den Gerichts¬
arzt Dr. Teudt zu Wort kommen lassen, indem ich seine Aus¬
führungen vorlese:
„Die kürzlich erfolgte Besprechung westdeutscher Gerichts¬
ärzte in Düsseldorf ergab, daß wir es für zweckmäßig halten,
unsere besonderen Aufgaben und Zuständigkeiten im Rahmen
der neu zu bearbeitenden Dienstanweisung für Kreisärzte, nicht
in eigener Dienstanweisung festlegen zu lassen.
Wir befürchten von einer eigenen Dienstanweisung, die in
weiterer Folge eine Angliederung an das Justiz¬
ministerium möglicherweise bedingen wird, eine allmähliche
Abtrennung vom Gros der beamteten Aerzte, den Kreisärzten,
mit denen uns doch überwiegende Interessen, auch der engeren
beruflichen Tätigkeit verbinden. Wir befürchten, daß der bisher
mögliche Uebergang von einer zur anderen Stellung, unter
Umständen damit auch die Aufrückungsmöglichkeit in die Re¬
gierungsinstanz uns abgeschnitten würde. Wir erblicken auch
in der unmittelbaren Angliederung an die Justiz mit der Folge
der Unterstellung unter den Landgerichtspräsidenten keinen
Vorteil.
Da trotz ausgiebiger Inanspruchnahme der Kreis unserer
Wirksamkeit — im Gegensatz zu den Kreisärzten — in wenigen
Paragraphen Umrissen werden kann, erblicken wir in einer be¬
sonderen Dienstanweisung für Gerichtsärzte insofern sogar die
Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung, als es dann
nicht ausgeschlossen ist, daß es — sei- es von Regierungs- sei
es von parlamentarischer Seite — den Gerichtsärzten zur Ab¬
rundung ihres Wirkungskreises zugemutet werden könnte, die
gefängnisärztliche Tätigkeit amtshalber wahrzunehmen, so daß
damit die einzige Nebeneinnahme in Wegfall käme.
Wir halten es aus allen diesen Gründen für erwünscht,
unseren besonderen gerichtsärztlichen Aufgabenkreis, mit Pflich¬
ten und Rechten, in dessen Formulierung wir im wesentlichen
mit Herrn Geheimrat Puppe übereinstimmen, nicht in selbst¬
ständiger Dienstanweisung, sondern in Form von Grundsätzen
zu den entsprechenden Paragraphen der Dienstanweisung für
Kreisärzte festlegen, in die unsere Kompetenzen ja ohne dies
hineingearbeitet werden müssen. Die neue Dienstanweisung
würde zweckmäßig dann den Namen Dienstanweisung für Kreis¬
ärzte und Gerichtsärzte erhalten, damit die Gerichtsärzte als
selbstständige und gleichwertige Gruppe auch im Titel gekenn¬
zeichnet werden, nicht bloß als nebensächliche Klammergruppe
in Erscheinung treten.“
Ich glaube, wir können diesen Ausführungen durchaus bei¬
pflichten. Ich tue es um so mehr, als 5 von 6 westlichen Ge¬
richtsärzten (Berg-Düsseldorf, Teudt-Duisburg, Dorsch-
Essen, Plempel-Köln, Klein-Elberfeld), die sich über die
Frage haben beraten können, d. h. doch ein sehr erheblicher
des Preußischen Med izin al beamten Vereins.
819
Teil der Gerichtsärzte überhaupt sich ihnen anschließen. Ich bin
ausdrücklich von ihnen beauftragt, diesen ihren Standpunkt hier
zu vertreten. Ließe man sämtliche preußischen Gerichtsärzte
abstimmen, so würde, davon bin ich überzeugt, eine gleich¬
sinnige, durchaus überwiegende Mehrheit zustande kommen.
Wir wollen also die für die Gerichtsärzte in Betracht
kommenden Sonderbestimmungen in die allgemeine Dienst¬
anweisung hereinarbeiten. Die Gerichtsärzte sind bisher nicht
vollbesoldet und müssen den Teil der Gebühren, der die Voll¬
besoldung überschreitet, in die Staatskasse abliefern. Dieser
Zustand ist m. E. für den Staat, wie die Gerichtsärzte schon
wegen des komplizierten Rechnungswesens unerwünscht. Die
Gerichtsärzte sind m. E. als vollbesoldete Beamte, wie die voll¬
besoldeten Kreisärzte anzustellen und haben dieselbe Abführ¬
pflicht wie diese, d. h. sie sollen abführen nach meinem Vor¬
schlag die Gebühren für amtliche, in den Normalarbeitsstunden
am Tage geleisteten Verrichtungen — also für Termine, Unter¬
suchungen, Vorbesuche, kurze Atteste und gutachtliche Aeuße-
rungen, nicht aber für die als Sonderleistung zu wertende
Leichenöffnung und Leichenschau und nicht für die in der
Regel in den Abend- und Nachtstunden ausgearbeiteten ausführ¬
lich begründeten Gutachten. Ich meine, das ist eine Forderung
der Gerechtigkeit, der auch der Herr Finanzminister sich kaum
verschließen dürfte.
§ 1 Abs. 3 der D. A. würde danach zu lauten haben „Die
besonderen Gerichtsärzte werden wie die vollbesoldeten Kreis¬
ärzte angestellt. 8
ln der Abgrenzung der Gebiete zwischen Kreisärzten und
Gerichtsärzten halte ich ein weitgehendes Entgegenkommen
gegenüber den Gerichtsärzten für geboten. Es kommt nach
den Wünschen der Gerichtsärzte eine Abgrenzung im Attest¬
wesen, bei Leichenöffnungen in Unfallsachen und in der Ge¬
sundheitsfürsorge in Betracht. Im Attestwesen wird folgende
Regelung durch Zusatz zu § 43 Abs. 1 vorgeschlagen:
„ln den Bezirken, für die ein besonderer Gerichtsarzt be¬
stellt ist, gehört jede Begutachtung, die und soweit sie Zwecken
der Rechtspflege oder des Strafvollzugs dienen soll, insbesondere
die amtsärztliche Feststellung von Gesundheitsschädigung, be¬
stehender Schwangerschaft, erfolgter Geburt, Infizierung mit
Geschlechtskrankheiten, Notwendigkeit der Entmündigung und
Pflegeschaft, Notwendigkeit der Verwahrung in Irrenanstalten,
Haftunfähigkeit zur Zuständigkeit des Gerichtsarztes. An den
Kreisarzt kommende amtliche oder private Ersuchen sind von
diesem an den Gerichtsarzt als die zuständige Stelle zu über¬
weisen. Die Befugnis der Polizei- und Gefängnisärzte für ihren
Tätigkeitsbereich auf amtliches Ersuchen Zeugnisse auszustellen,
wird hierdurch nicht berührt. 8
Hinsichtlich der Leichenöffnungen bei Betriebsunfällen
herrschen bei einigen Gerichtsärzten offenbar falsche Vor¬
stellungen. Derartige Leichenöffnungen sind eine reine Ange-
820
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
legenheit der Träger der sozialen Unfallversicherung. Sie ver¬
lieren diesen Charakter auch nicht dadurch, daß die Polizei¬
behörde gelegentlich dabei — lediglich als Rechtshilfe —
mitwirkt. Die Berufsgenossenschaften und gegebenenfalls die
von ihnen um Hilfe angegangene Polizeibehörde können dazu
einen Arzt wählen, welchen sie wollen, und verfahren dement¬
sprechend. Die Gebühren sind auch nach der ärztlichen
Gebührenordnung bei der Berufsgenossenschaft zu liqui¬
dieren. Die Frage hat also mit der der Gerichtsärzte gar nichts
zu tun, gegebenenfalls kann sie nur durch örtliche Verein¬
barung geregelt werden.
Der Wunsch einiger Gerichtsärzte, im Fürsorgewesen be¬
teiligt zu werden, ist hinsichtlich der Fürsorge für Geisteskranke,
Epileptische, Idioten und Psychopaten ohne weiteres verständ¬
lich so weit es sich um Maßnahmen zur Verhütung von
Kriminalität handelt. Dies ist aber keineswegs die Haupt¬
aufgabe dieses Fürsorgezweiges, Maßnahmen rein gesundheits¬
fürsorgerischer und wirtschaftlicher Art stehen durchaus im
Vordergründe. Wer auf diesem Gebiete daher als aus¬
übende Fürsorge treibender Fürsorge arzt zu bestellen
ist, muß ganz den örtlichen Verhältnissen und dem Willen der
Kommunen, die als Träger der ausübenden Gesundheitsfürsorge
völlig freie Wahl ihrer Fürsorgeärzte haben, überlassen bleiben.
Auch der Kreisarzt 'wird weder durch die bisherige noch die
nach meinem Vorschläge etwa kommende neue D. A. der Für¬
sorgearzt auf diesem Gebiet. Er ist nach meinen Vorschlägen
lediglich staatliche Aufsichtsbehörde, wie über das gesamte
Fürsorgewesen, so auch über diesen Zweig derselben. Das
muß er aber m. E. unbedingt bleiben.
Es bestehen noch eine Reihe von Einzelwünschen, die ich
aus Zeitmangel nicht ausführlich besprechen kann:
In § 64 muß das Recht selbständiger Revision der
Drogenhandlungen festgelegt werden — nötigenfalls ohne Polizei.
Der § 81a über Bekämpfung des Alkoholismus wird zweck¬
mäßig eine Beteiligung des Kreisarztes bei der Konzession von
Schankstätten vorsehen.
Das Recht zur Teilnahme an allen Wohlfahrtskom¬
missionen und Wohnungskommissionen, zur Besichtigung von
Wohnungen ist festzulegen. Ein Kollege hat angeregt, die
Abführpflicht durch Entwertung von Stempelmarken zu er¬
ledigen. Ich habe mich dem in den Leitsätzen angeschlossen. Ein
anderer schlägt vor, in die D. A. aufzunehmen das Recht gegen
Gestellung eines Vertreters Selbstbeurlaubung bis zu 3 Tagen
vorzunehmen.
Ein dritter stößt sich an die Formalität der amtseidlichen
Versicherung am Schluß von Attesten oder Gutachten, da doch
auch andere Beamte keine Versicherungen abgeben.
Alles beachtenswerte Gedanken. Manche formelle Ver¬
besserungen sind auch noch notwendig.
des Preußischen Medirinalbeamtenvereins.
321
Au! andere Fragen wird Herr Kollege Franz in seinem
Referat noch eingehen.
M. H. I Es lag mir heute weniger daran, alle einzelnen
Paragraphen zu besprechen, als leitende Gesichtspunkte auf¬
zustellen. Sie sehen, ich habe bei dem Ausbau unserer Stellung
besonderen Wert auf ihren staatlichen Charakter und eine klare
Abgrenzung unserer Aufgaben gegenüber den Aufgaben der
Kommunen, andererseits auf die Herstellung einer organischen
Verbindung unserer und der kommunalen Arbeit gelegt. Ich
kann eben bei aller Hochachtung vor dem verfassungsmäßigen
Selbstverwaltungsrecht und bei vollster Ueberzeugung davon,
daß nur auf Grund dieses Rechts von ihnen etwas Gutes
geleistet werden kann auf dem Gebiete der Gesundheitsfürsorge
wie auch auf allen ähnlichen die Augen vor dem heutigen
Durcheinander nicht verschließen. Ich glaube, daß eine Besse¬
rung nur durch eine kräftiger eingreifende Hand des demo¬
kratischen Staates, die sich ja auch auf anderen Gebieten
bereits mehr bemerkbar macht, erfolgen kann. Das allen ge¬
meinsame Ziel eines geordneten Staatswesens und des Wohl¬
befindens der Bevölkerung kann jedenfalls dadurch nur ge¬
fördert werden. Aus der starken staatlichen Beteiligung in der
Organisation erwachsen m. E. selbstverständlich aber dem Staate
auch größere finanzielle Pflichten. Auch unsere Aufgabe ist
es, hier vermittelnd zu wirken.
Der Mängel meines Referates bin ich mir wohl bewußt,
zumal manche verwaltungstechnische Gesichtspunkte in Frage
kommen. Die Aufstellung des endgiltigen Entwurfs der Dienst¬
anweisung wird noch viel Arbeit von uns allen erfordern. Ich
halte es für ratsam, daß wir uns in der Diskussion nicht in
Einzelfragen verlieren, sondern uns über die Hauptgesichts¬
punkte, die ich auch nur in meine Leitsätze aufgenommen
habe, einigen.
Zum Schluß möchte ich noch bitten — rein psychisch —
ungedruckt — einen Paragraphen in die Dienstanweisung auf¬
zunehmen, der etwa lauten würde: „Die Medizinalräte haben
sich eines engen persönlichen und dienstlichen Verhältnisses
zueinander und der Pflege des Standesbewußtseins zu be¬
fleißigen."
Wir dürfen die Pflege dieses Korpsgeistes, dessen reges
Leben bei uns das unauslöschliche Verdienst unseres verehrten
Ehrenvorsitzenden ist, mit um so größerer Berechtigung
treiben, als wir damit auch unserem ganzen Volke dienen.
(Lebhafter Beifall!)
Die Leitsätze hierzu lauten:
1. Die neu zu fassende Dienstanweisung für die Kreisärzte
muß die bisherige Stellung des Kreisarztes als Staats¬
beamter neu festigen und sie neuzeitlichen Bedürfnissen
entsprechend ausbauen im Interesse der Volksgesundheit.
822
Bericht ttber die XXXITL Hauptversammlung
Der Geist des Ereisarztgesetzes und der bisherigen
Dienstanweisung, der dem staatlichen Gesundheitsbeamten
Unabhängigkeit und freies Wirken ermöglichen will, muß
auch bei der Neuordnung herirschen. Ein Aufgeben der
staatlichen Stellung des Kreisarztes würde zu schwerem
Sohaden für die Kreisärzte wie das Gesundheitswesen
führen. Alle dahin. zielenden Bestrebungen sind daher
energisch zu bekämpfen.
2. Die in ihrer Art glücklich gewählte, klare, dem Volke
vertraut gewordene Bezeichnung des staatlichen Gesund¬
heitsbeamten als Behörde „der Kreisarzt“ muß erhalten
bezw. wiederhergestellt werden. Die entgegen dem ein¬
stimmigen Beschluß der Kreisärzte eingeführte Bezeich¬
nung „der Kreismedizinalrat“ muß als unglücklich gewählt
und irreführend wieder abgeschafft werden. Dabei ist die
allen höheren Beamten zuteil gewordene Dienstbezeich¬
nung als Rat auch den Kreisärzten zu gewähren, indem
sie die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“ und in der Vor¬
rückungsstelle „Obermedizinalrat“ erhalten.
3. Entsprechend der Bedeutung des Gesundheitswesens im
Staate und im Interesse seines dringlich notwendigen Aus¬
baues ist seine volle Selbständigkeit zu sichern. Das ge¬
schieht durch Errichtung eines besonderen Ministeriums
für Volksgesundheit, die Errichtung einer besonderen
Abteilung bei den Regierungen unter Verleihung der Dienst¬
stellung und Bezeichnung der Regierungs- und Medizinal¬
räte als „Oberregierungsräte“ und Ausbau der Gesundheits¬
behörde „der Kreisarzt“ zu einer auch büromäßig leistungs¬
fähigeren Dienststelle. Solange und insoweit die daraus
sich ergebenden, nur durch Gesetzesänderungen möglichen
Maßnahmen nicht völlig durchführbar sind, ist durch
Aenderung der Dienstanweisung den Bedürfnissen Rech¬
nung zu tragen. Die Ausgestaltung der Behörde „der
Kreisarzt“ führt zweckmäßig wegen der bereits vorhan¬
denen kommunalen Gesundheitsämter nicht zur Errich¬
tung staatlicher Kreisgesundheitsämter.
4. Das Verhältnis zum Landrat ist als auf Gleichberechtigung
als Beamter und Gegenseitigkeit beruhend in der D. A.
klarer hervorzuheben.
6. Das bisher wenig fruchtbare Verhältnis zu den Organen
der Selbstverwaltung ist enger zu knüpfen zur Erzielung
eines nutzbringenden Zusammenarbeiten. Der Medizinalrat
muß das Recht der Teilnahme an sämtlichen Beratungen
kommunaler Körperschaften, bei denen Fragen des Ge¬
sundheitswesens und der gesundheitlichen Wohlfahrtspflege
verhandelt werden, haben. Er muß auch Mitglied dee
Vorstandes der Wohlfahrtsämter in der Kreisinstanz sein.
6. Der Kreisarzt ist als staatliche Gesundheitsbehörde in ein
klares Verhältnis zu allen Einrichtungen der gemeind-
des Preußischen Medizinalbe&mtenvereins.
823
liehen gesundheitlichen Wohlfahrtspflege zu bringen. Er
hat das Recht, das Staatsinteresse an der Gesundheits¬
fürsorge zu vertreten und dementsprechend anregend zu
wirken, andererseits das Interesse der Gemeinden an staat¬
licher Hilfe zur Geltung bringen zu helfen.
Anträgen der Organe der Gesundheitsfürsorge um Be¬
ratung hat er tunlichst Folge zu geben und seine guten
Dienste nach Maßgabe seiner staatlichen Pflicht zur Ver¬
fügung zu stellen. Eine dienstliche Verpflichtung zur
Organisation, Verwaltung oder Ausübung der Gesundheits¬
fürsorge liegt dem Medizinalrat nicht ob. Er darf diese
Aufgaben aber mit Genehmigung des Ministers für Volks¬
wohlfahrt nebenamtlich übernehmen. Die Uebernahme
ist, soweit die staatlichen Aufgaben es zulassen, sachlich
erwünscht.
Der Medizinalrat hat ein möglichst gedeihliches Zu¬
sammenarbeiten mit den vorhandenen Kommunalärzten
zu erstreben.
7. Die bisherigen Bestimmungen der D. A. über Fürsorge¬
wesen sind dementsprechend grundlegend urazuändera.
auch hinsichtlich der Beaufsichtigung . der Haltekinder
und Geisteskranken in Privatpflege. Wo keine geordnete
kommunale Gesundheitsfürsorge auf diesem Gebiete be¬
steht, ist auf ihre Einführung hinzuwirken. So lange als
notwendig, sind die diesbezüglichen Aufgaben der bis¬
herigen D. A. aufrechtzuerhalten.
8. a) Die Abtrennung der Gesundheitspolizei von der all¬
gemeinen Polizei und ihre Uebertragung unter Ver¬
änderung ihres Charakters möglichst im Sinne der
Fürsorge auf den Kreisarzt ist an sich zu erstreben,
aber in Rücksicht auf die gesetzlich festgelegten Ver¬
hältnisse, die bisherige Organisation der Gesundheits¬
behörde und die Verhältnisse im besetzten Gebiet noch
nicht durchführbar. Ebenso ist die Teilmaßnahme der
Meldung ansteckender Krankheiten unmittelbar an den
Kreisarzt noch nicht allgemein durchführbar.
b) Dem Kreisarzt ist jedoch schon jetzt in gleicher Weise
wie den Gewerbeaufsichtsbeamten auf ihrem Gebiete
als ständigem Beauftragten des Regierungspräsidenten
ein Anordnungsrecht mit Wirkung polizeilichen Zwanges
bei Gefahr im Verzüge zu gewähren.
c) Die zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten not¬
wendigen Anordnungen trifft der Kreisarzt selbständig —
in der Kegel durch Vermittelung der Ortspolizeibehörde,
bei Gefahr im Verzüge unmittelbar.
d) Dem Kreisarzt ist bereits jetzt das Recht zu verleihen,
auch die selbständigen Revisionen der Drogenhand¬
lungen, gewerblichen Anlagen und Besichtigung von
gesundheitlich bedenklichen Unterkunftsräumen vor¬
zunehmen.
324
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
9. Die Medizinalräte sollen mit Vollendung des 12. Dienst¬
jahres in eine höhere Gehaltsstufe einrücken, und damit
die Dienstbezeichnung Obermedizinalrat erhalten. Hin¬
sichtlich der Bemessung der Tagegelder gelten die Medi¬
zinalräte als Räte IV. Klasse, die Obermedizinalräte als
solche III. Klasse.
10. Der Unterschied zwischen vollbesoldeten und nicht voll¬
besoldeten Medizinalräten ist anderweitig festzulegen, so
daß die Vollbesoldung als die Regel angesehen werden und
die Pensionsverhältnisse für alle gleich sind. Die Gerichts¬
ärzte sollen vollbesoldete Beamte werden, und den Medi¬
zinalräten der Kreise in jeder Weise gleichgestellt werden.
11. Die Kreisassistenzärzte sollen als Beamtenkategorie „Hilfs¬
arbeiter beim Kreisarzt 0 heißen und die Dienstbezeichnung
„Medizinalassessor 0 führen.
12. Die Pflicht zur Abführung amtsärztlicher Gebühren soll dahin
für alle vollbesoldeten Medizinalbeamten eingeschränkt
werden, daß Leichenöffnungen, Leichenschau und die wissen¬
schaftlich begründeten Gutachten als Sonderleistungen an¬
gesehen werden und ein Anspruch auf Gebühren ohne
Abführpflicht bestehen bleibt. Für andere gerichtsärzt¬
liche Verrichtungen innerhalb des Amtsbezirks sollen die
Gerichtskassen Gebühren nicht auszahlen, wodurch die
Abführung wegfällt. Die Abführpflicht der sonstigen Ge¬
bühren wird durch die Vorschrift der Entwertung von
Stempelmarken auf den verfaßten Attesten bei ihrer Aus¬
händigung oder bei nachträglicher Zahlung der Gebühren
durch Entwertung in einem besonders zu führenden Ver¬
zeichnis zu ersetzen sein.
Gegenüber diesem große Ersparnis an Arbeitskraft ver¬
schiedener Beamten, Zeit und Papier mit sich bringenden
Verfahren werden Ressortinteressen zurücktreten müssen.
13. Die Dienstaufwandsentschädigung der Kreisärzte soll so
bemessen sein, daß die jährlich nachzuweisenden Kosten
für Büroräume, ihre Einrichtungen und Betrieb und eine
Schreibhilfe gedeckt werden. Für die Medizinalräte, welche
Nebenämter haben oder Praxis treiben, ist ein vom Re¬
gierungspräsidenten jährlich festzusetzender Teil der Ge¬
samtkosten auf Grund dieser Tätigkeit in Abzug zu bringen.
Dritter Berichterstatter: H. Med.-Rat Dr. Franz-Lötzen. M.s.
v. H.l Als Ergänzung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen
Wollenweber, welcher besonders die Stellung des Kreis¬
arztes als Staatsbeamter den neuzeitlichen Bedürfnissen ent¬
sprechend geändert, das Verhältnis zum Landrat, zu den Polizei¬
organen im Sinne der Gleichberechtigung durch die neue
Dienstanweisung geregelt wissen will und vor allem eine klare
Festlegung des Verhältnisses des Kreisarztes zu allen Ein¬
richtungen der gemeindlichen gesundheitlichen Wohlfahrtspflege
wünscht, will ich auf eine Reihe von Spezialabschnitten ein-
des Preußischen Medixinalbeamtenvereius.
825
§ ehen, so weit sie am dringendsten der Abänderung bedürfen.
eit dem Jahre 1909 sind ferner zahlreiche Ministerialerlasse
ergangen, die für unsere Dienstführung von maßgebender Be¬
deutung sind, sie liegen wohl in unseren Akten gut verwahrt,
können dem Gedächtnis zu gegebener Zeit wieder entschwinden,
und müssen daher in die einzelnen Abschnitte hineingearbeitet
werden.
Zuvor erscheint es mir von Wichtigkeit, Ihre Aufmerk¬
samkeit noch auf folgenden Punkt zu lenken:
Herr Kollege Wollenweber hat über die Dienstbezeich
nung des Kreisarztes, des Kreisassistenzarztes, des Regierungs¬
und Medizinalrats gesprochen; eine weitere Gruppe von Medi¬
zinalbeamten bedarf noch der Erwähnung, die ständigen, medi¬
zinisch-technischen Hilfsarbeiter bei der Regierung.
M. H. 1 Es dürfte wohl allgemein bekannt sein, wie schwer
es ist, gerade für diese Beamtenkategorie geeignete und bereite
Kräfte zu gewinnen; weshalb diese Stellungen überhaupt ge¬
schaffen sind, vermag ich nicht einzusehen; der Kreisschulrat,
der Oberförster, der Kreistierarzt wird sofort Regierungs- und
Schulrat bezw. Regierungs- und Forstrat und Regierungs- und
Veterinärrat, der Kreisarzt muß, bevor er die Dienststellung
eines Regierungs- und Medizinalrats bekleiden darf, im all¬
gemeinen erst den dornenvollen Pfad eines ständigen Hilfs¬
arbeiters in läogerer Reihe von Jahren — früher waren es
sogar häufiger 5 und mehr Jahre, — durchwandern. Sein Ver¬
hältnis zu den Kreisärzten wird leicht ein schwieriges, seine
Stellung als Regierungsdezernent ist eine, um mich milde aus¬
zudrücken, recht bescheidene. Was das Verhältnis zum Re¬
gierungs- und Medizinalrat anbetrifft, so tritt das Vorgesetzten¬
verhältnis dem Hilfsarbeiter gegenüber häufig viel mehr hervor
als gegenüber jedem anderen Kreisarzt. Es wird hieran nichts
geändert, wenn dem Hilfsarbeiter ein besonderes, kleines De¬
zernat zugeteilt wird. Das Interessanteste, Wichtigste wird der
Medizinalreferent nicht an seinen Hilfsarbeiter abgeben. Es
ist also im allgemeinen eine sehr wenig befriedigende Tätigkeit
und glücklich fühlt sich in dieser Stellung kaum einer, wenn
er aufrichtig ist. Es bleibt weiter die Frage aufzuwerfen, sollen
ältere oder jüngere Herren für diese Hilfsarbeiterposten ge¬
wählt werden. Eine kurze Zeitlang wurde der Weg ein¬
geschlagen, junge Kreisassistenzärzte, die Hilfsarbeiter im Mini¬
sterium waren, für diese Stellungen zu wählen. Was die Unter¬
ordnung anbetrifft und das Dezernat, welches ihnen zugeteilt
wurde, so war dieser Weg vielleicht empfehlenswerter als ältere,
erfahrene, an Selbständigkeit gewöhnte Kreisärzte hierzu aus¬
zuersehen. Aber auch diesem System haftete ein großer Nach¬
teil an; der Hilfsarbeiter soll bei Urlaub, Abwesenheit des
Regierungs-Medizinalrats doch auch sein Vertreter sein. Unter
diesen Umständen ist es nötig, daß er auch Dienstreisen in
den Bezirk der Kreisärzte unternimmt, hierbei können sich
dann leicht Reibungen ergeben. Deshalb sollte diese Stellung
326
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
überhaupt abgeschafft werden. Es ist zu verlangen, daß der
jetzige Regierungs- und Medizinalrat die Dienstbezeichnung
Oberregierungs- und Medizinalrat erhält, die anderen Medizinal¬
referenten die Dienstbezeichnung Regierungs- und Medizinalrat
bezw. Obermedizinalrat führen. Der Hilfsarbeiter soll wegfallen,
soweit diese Bezeichnung für einen Kreisarzt in Frage kommt.
Nun komme ich zu den besonderen Obliegenheiten des
Kreisarztes, die in dem Abschnit B. unserer Dienstanweisung
festgelegt sind. Im Gegensatz zu der Besprechung der all¬
gemeinen leitenden Gesichtspunkte ist dieser Stoff ein recht
trockener und wird Sie weniger fesseln. Um den Teil des
Referats, welcher mir zugefallen ist, nicht zu sehr in die Länge
zu ziehen, mußte ich mich in den meisten Fällen darauf be¬
schränken, lediglich die notwendigen Aenderungen dem bis¬
herigen Text einzuverleiben unter genauer Angabe der ein¬
zelnen Erlasse. Ich glaubte andererseits für den speziellen Ab¬
schnitt meine Aufgabe darin sehen zu müssen, dem Text
möglichst schon denjenigen Wortlaut geben zu sollen, wie ihn
die neue Dienstanweisung tatsächlich verlangt.
Zu § 45. Meldepflicht der Medizinalpersonen, die Herr
Kollege Wollenweber schon näher erörtert hat, bleibt noch
nachzutragen,' daß an Stelle der Worte „Gehilfen und Lehr¬
linge“ in den Apotheken die neuen Bezeichnungen „Prakti¬
kanten und Assistenten“ Platz greifen müssen. Ich kann mich
den diesbezüglichen Ausführungen in der Zeitschrift für Medi¬
zinalbeamte vom 5. 1. 22. Nr. 1 nur anschließen, daß die neuen
Bezeichnungen wohl oft geäußerten Wünschen aus Apotheker¬
kreisen entsprechen, jedoch was speziell den Praktikanten an¬
betrifft, die Stellung unzutreffend bezeichnen. Hoffentlich
werden sich auch die Leistungen und der Eifer der Praktikanten,
die nach meinen Erfahrungen schon seit Jahren immer mehr
nachlassen, auf Grund dieser gehobenen Stellung bessern.
Zu § 47. Apothekenwesen:
ln Absatz 3 ist hinter die Worte „unbefugtes Halten von
Lehrlingen“ einzuschieben „sowie gesetzwidrige Verwendung
ungelernten Personals“. Es muß von uns Kreisärzten mit allen
Mitteln dem Ueberhandnehmen sogenannter Helferinnen Einhalt
getan werden. Kommen doch gerade von ihnen nicht selten
Uebergriffe vor, zumal die Apothekenbesitzer mit ,Rücksicht
auf Kostenersparnis sie mit Arbeiten und Funktionen betrauen,
die lediglich gelerntem Personal Vorbehalten sind. Bereits vor
Jahresfrist hat der Verband deutscher Apotheker hierüber
Klage geführt.
Dem Absatz 4 schlage ich vor, folgende Fassung zu geben:
„Bei der Musterung sind die Praktikanten in der pharma¬
zeutischen Wissenschaft im Beisein des Kreisarztes von dem
Lehrherrn zu prüfen, im übrigen vom Kreisarzt.“
Zu § 48. Im Absatz 3 müßte statt der Worte „mit Ab¬
lauf der gesetzlichen Frist“ gesagt werden „mit Ablauf der
festgesetzten Frist“.
X
des Preußischen tfedisinalbeamtenvereins.
827
§51 ist folgendermaßen zu fassen:
Der' Kreisarzt hat demjenigen, welcher als Praktikant in
eine Apotheke eintreten will, auf Grund der ihm vorzulegenden
Papiere — Zeugnis der Reife von einem deutschen Gymnasium,
deutschen Realgynasium oder einer deutschen Oberrealschule
bezw. einer an Mädchenlyzeen errichteten Studienanstalt —
(Beschluß des Reichsrats vom 22. 7. 20. Volks Wohlfahrt S. 238),
Zeugnis über die Wiederimpfung, selbst geschriebenen Lebens¬
lauf, ein Zulassungszeugnis auszustellen . . .
§ 52. Prüfung des Personals für Krankenhausapotheken
muß am Schlüsse folgenden Zusatz erhalten: vergl. Ministerial-
erlaß vom 2. 6. 1858, vom 6. 4. 1905 M.B1. S. 195 und vom
18. 11. 1916, S. 401.
Der letzte Ministerialerlaß schreibt die Dauer mindestens
eines Jahres zur Ausbildung vor, mindestens 7 Monate hat der
Unterricht durch einen Apotheker zu erfolgen und 3 Monate
entfallen auf die Tätigkeit in der Dispensieranstalt des Kranken¬
hauses unter Aufsicht und Anleitung der geprüften Apotheken¬
schwester.
§ 54. Besichtigung der Drogen- und ähnlichen Hand¬
lungen.
Zum Schluß des zweiten Absatzes ist hinter Ministerial¬
erlaß vom 22. 12. 02 zu setzen: Ministerialerlaß vom 13. 1. 1910,
Ministerialblatt Seite 65 und Ministerialerlaß vom 22. 11. 1912,
Seite 385. Hiernach sollen wenigstens einmal jährlich alle
Handlungen besichtigt werden, in denen die genannten Waren
allein oder vorzugsweise feilgehalten werden, ferner solche,
deren Besichtigungen gröbere Mängel ergeben und endlich die
Drogenschränke, bei kleineren Handlungen darf auch ein Zeit¬
raum von 2 bis 3 Jahren liegen. Die Besichtigungen erfolgen
durch die Polizeibehörde unter Mitwirkung des Kreisarztes,
auf dessen Erfordern auch die Zuziehung eines approbierten
Apothekers stattfindet.
Als neuen dritten Absatz schlage ich vor:
Dem Kreisarzt steht andererseits das Recht zu, auch selbst¬
ständig, nötigenfalls ohne Polizei Revisionen der Drogenhand¬
lungen vorzunehraen.
In den Vorschlägen eines Bezirksvereins habe ich folgenden
Passus gefunden: „Die Bestimmungen über den Verkehr mit
Arzneimitteln außerhalb der Apotheken sind grundlegend zu
ändern. Die Besichtigung der Drogenhandlungen, wie sie jetzt
ist, ist ein Narrenspiel.“
Es kommt tatsächlich bei der bisherigen Form der Revision
der Drogenhandlungen sehr wenig heraus, wie wir wohl alle
erfahren haben; die einzelnen Gerichtsentscheidungen zudem
sind einander so widersprechend, eine positive Liste für die
Drogisten fehlt, in Nebenräumen bezw. eingebauten Schränken
wird unseren Blicken vieles entzogen. Ich glaube sicher, wenn
dem Kreisarzt das Recht zur selbständigen Besichtigung zu¬
erkannt wird, werden wir mehr erreichen, weil durch die
828 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
unteren Polizeiorgane die Revisionstermine häufig verraten
werden.
Was die Drogenschränke anbetrifft, die speziell auf dem
Lande vielfach anzutreffen sind, so halte ich für diese eine Be¬
sichtigung in Abständen von 2—3 Jahren für vollkommen aus¬
reichend, sie müssen den kleinen Handlungen gleichgestellt
werden, es werden gerade bei diesen Revisionen wenig Vor¬
schriftswidrigkeiten festgestellt.
Zu § 57. Hebammenwesen.
Wenn das Hebammengesetz auch noch nicht verabschiedet
ist, so möchte ich doch in Kürze einige wichtige, notwendig
erscheinende Aenderungen vorschlagen, schon mit Rücksicht
auf das neue Hebammenlehrbuch.
Absatz 1 soll lauten: Die Berufstätigkeit sämtlicher
Hebammen des Bezirks untersteht der Aufsicht des Kreisarztes,
bei welchem sie sich vor Beginn ihrer Berufstätigkeit oder vor
deren Wiederaufnahme nach längerer, höchstens ein Jahr be¬
tragender Unterbrechung unter Vorlegung des Prüfungszeug¬
nisses, der erforderlichen Instrumente und Geräte sowie des
Tagebuchs persönlich zu melden und dem sie auch jeden
Wohnungswechsel und Verlegung ihres Wohnorts anzu¬
zeigen haben. — Hebammenlehrbuch; Ausgabe 1920, S. 415.
Im Laufe von zwei Jahren ist jede Hebamme mindestens
einmal an ihrem Wohnort außerordentlich vom Kreisarzt zu
revidieren.
Bisheriger Absatz 2 kann wegfallen.
Neuer Absatz 2: Der Kreisarzt hat insbesondere darauf
zu achten, daß die Hebammen in Erfüllung der ihnen auf¬
erlegten Verpflichtungen jeden Fall von Fieber, der während
der Geburt festgestellt wurde, sowie von Fieber im Wochen¬
bett oder nach Fehlgeburt von mehr als 38 Grad anzeigen sowie
jeden Todesfall einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin,
sowie jeden in den ersten 10 Lebenstagen erfolgten Tod eines
Neugeborenen — vergl. §§ 481, 482 des Hebammenlehrbuchs,
Ausgabe 1920.
Zusatz zu letztem Absatz: Ministerialerlaß vom 3. 12. 21.
Hiernach müssen auch die Zahlen der Aborte und Früh¬
geburten, soweit sie dem Standesbeamten nicht meldepflichtig
sind, angegeben werden, außerdem die Zahl der während der
ersten 10 Tage nach der Geburt erkrankten und gestorbenen
"Neugeborenen; früher betrug der Zeitraum 14 Tage.
Zu § 60. Was die Prüfung der zum Hebammenberuf sich
meldenden Personen anbetrifft, so glaube ich mich, ohne weiter
des Näheren auf die bereits in der Zeitschrift für Medizinal«
beamte gepflogenen Erörterungen eingehen zu wollen, des Ein¬
verständnisses der Mehrzahl der Herren Kollegen sicher, wenn ich
hierfür wie bisher den Kreisarzt als die gegebene Persönlichkeit
erachte und mich gegen jede Aenderung des Absatz 1 aus¬
spreche.
des Preußischem Mediiinalbeamteurereina.
329
Zu § 61 Abs. 5 empfehle ich folgenden Zusatz:
„Ueber den Ausfall der Nachprüfung ist ein Vermerk in
das Tagebuch und die Personalakten der Hebamme einzutragen*.
Abs. 6 soll folgende Fassung erhalten: „Diejenigen Heb¬
ammen, welche den Anforderungen der Nachprüfung genügen
und sich auch sonst als tüchtig bewähren, wird der Kreisarzt
in ihrem Beruf zu fördern suchen. Bei denjenigen, welche eine
vorgeschriebene Nachprüfung zweimal hintereinander nicht be¬
stehen, einen angeordneten Fortbildungslehrgang ohne Qrund
versäumen oder sonst den in § 9 des Heb. Ges. gestellten Be¬
dingungen nicht entsprechen, hat er die Zurücknahme der
Niederlassungsgenehmigung bezw. des Prüfungszeugnisses zu
beantragen.*
§ 62 Abs. 2 soll lauten:
„Bei der Bildung und Abgrenzung der Hebammenbezirke,
bei der Annahme von Bezirkshebammen auf Grund statu¬
tarischer Regelung durch Dienstvertrag hat der Kreisarzt sich
dem Kreisausschuß gegenüber gutachtlich zu äufiern, überhaupt
bei der Durchführung des Heb. Ges. insbesondere bei den in
§ 33 des Ges. genannten Angelegenheiten mitzuwirken.
Abs. 3 fällt weg.
§ 63 ist dahin abzuändem:
„Besondere Aufmerksamkeit hat der Kreisarzt auf die ge¬
werbsmäßige sowie auf die nicht gewerbsmäßige Vornahme
geburtshilflicher Handlungen durch Frauen zu richten, welche
weder eine ärztliche Approbation noch ein HebammenzeugniB
besitzen, und gegebenenfalls deren Bestrafung zu veranlassen*.
Zu § 65, welcher entsprechend dem Vorschlag des Herrn
Kollegen Wollenweber der Abänderung bedarf, erscheint
mir noch der Zusatz wichtig, daß der Kreisarzt bei Beur¬
laubungen speziell von Desinfektoren und Gemeindeschwestern
stets in Kenntnis zu setzen ist, da nach meinen Erfahrungen
schon häufiger bei Ausbruch von Seuchen durch die Unter¬
lassung dieser Mitteilung größere Schwierigkeiten und Mißstände
hervorgerufen sind.
§ 67 Desinfektoren.
Für Abs. 1 schlage ich folgenden Zusatz vor:
„Weiterhin hat der Kreisarzt Sorge zu tragen, daß die Ge¬
meindeschwestern und sonstigen Krankenpflegepersonen in der
Desinfektion ausgebildet werden, am besten in einer staatlichen
Desinfektorenschule. Er soll ferner dahin wirken, daß die Des¬
infektionsmittel von den Kommunen oder den Kommunalver¬
bänden beschafft und für die laufende und Schlußdesinfektion
zweckmäßig ganz aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung ge¬
stellt werden.“
Absazt 2 soll lauten:
„Der Kreisarzt beruft die Desinfektoren von 3 zu 3 Jahren
zur Nachprüfung ein.“ Die Worte „und zwar die von einem
Kommunal verbände angestellten durch Vermittlung der Kom¬
munalbehörde“ fallen weg. Die Prüfung hat sich aut die Grund-
330
Bericht über die XXXUL Hauptversammlung
züge der Bakterienkunde, die Entstehung und Verbreitung der
übertragbaren Krankheiten, die Desinfektionsmittel und Desin¬
fektionsapparate und deren Anwendung gemäß der Desinfektions¬
anweisung nach dem Ministerialerlaß vom 8. 2. 21. (Volkswohl-
fahrt S. 191—193) zu erstrecken.
Absatz 3 ist dahin zu ändern: „Ueber den Ausfall der
Nachprüfung ist ein Vermerk in die Akten einzutragen.“
Das genügt m. E. vollständig, der Erteilung eines Aus¬
weises bedarf es nicht.
Zu § 69 Ortsbesichtigungen:
In Absatz 2 fällt weg „Im Einvernehmen mit dem Landrat.“
Ueber die Reihenfolge und die Zeiträume, in denen Ort¬
schaften zu besichtigen sind, kann und muß allein das Urteil
des Kreisarztes maßgebend sein, da dies eine rein hygienische
und keine Verwaltungsangelegenheit ist.
Abs. 3 soll mit Rücksicht darauf, daß Ortspolizeibehörden
nur in seltenen Fällen zu den Ortsbesichtigungen erscheinen,
Gemeindevorsteher gleichfalls häufiger fehlen, die Benachrichti¬
gung des Landrats doch nur ausnahmsweise Zweck hat, folgende
Fassung erhalten:
„Zu den Besichtigungen müssen die Ortspolizeibehörden
und Gemeindevorsteher erscheinen, Gesundheitskommissionen
sind in denjenigen Orten, in welchen sie bestehen, nach Möglich¬
keit zuzuziehen. Die entsprechende Benachrichtigung hat tun¬
lichst 8 Tage vorher stattzufinden. Die Besichtigung der Do¬
mänen ist wenigstens 14 Tage vorher bei der Regierung,
Domänenabteilung, anzumelden. Falls dem Kreisarzt in be¬
sonderen Fällen die Teilnahme des Landrats von Wichtigkeit
erscheint, hat er demselben von den angesetzten Terminen Mit¬
teilung zu machen.“
Absatz 6. Ueber das Ergebnis der Besichtigung ist eine
Verhandlung nach Formular VII aufzunehmen und von den
Beteiligten zu vollziehen, der Kreisarzt hat diese mit seinen
Vorschlägen dem Landrat zu übersenden. Ich halte die Auf¬
nahme der Verhandlung — abgesehen von Domänenbesichti¬
gungen — in einem Stück für vollkommen ausreichend. Soll
der Kreisarzt auch die zweite Ausfertigung schreiben, so be¬
deutet dies für ihn eine große Belastung und Zeitversäumnis,
überläßt er es wiederum dem Gemeindevorsteher, der bei uns
im Osten wenigstens sehr ungeeignet dazu ist, so hat' man
noch mehr Arbeit durch die vielfachen notwendigen Umände¬
rungen und Verbesserungen. In den Registraturen der Ge¬
meindevorsteher sucht man überdies meist vergebens nach der
Besichtigungs verhan dlung.
Uber den Wert der Ortsbesichtigungen kann man ver¬
schiedener Meinung sein. Eins steht jedenfalls fest, daß diese
Besichtigungen in ländlichen Bezirken heute mit großen Kosten
verbunden sind, die häufig in keinem Verhältnis zu den Er¬
folgen und dem Erreichten stehen. Für Schulen erscheint mir
die Zeitspanne von 5 Jahren zu weit, für rein ländliche Ort-
des Preußischen Medizinalbeamtenyereins.
881
schäften ohne industrielle Betriebe wird der Zeitraum weiter
gefaßt werden können.
§ 78. Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und
Gebrauchsgegenständen.
Zu Absatz 1 ist folgender Zusatz notwendig:
„Die Untersuchungsergebnisse und etwaige Bestrafungen der
Beteiligten sind dem Kreisarzt regelmäßig mitzuteilen. 0
In § 79 ist am Schlüsse der Erlaß betreffend Grundsätze
für die Regelung des Verkehrs mit Kuhmilch als Nahrungs*
mittel für Menschen vom 26.7.1912 M. Bl. S. 246—248 anzuführen.
§ 80 Abs. 2 ist dahin zu ergänzen:
Erlaß betreffend Benachrichtigung der Kreistierärzte bei
Fleischvergiftungen vom 25. 2. 1914 M. Bl. S. 117, 118.
Erlaß betreffend Nachprüfung der Fleischbeschau bei Fest¬
stellung von Fleischvergiftungen vom 19. 5. 1914 S. 207, 208.
x Zu § 81 „Beaufsichtigung der Mineralwasserfabriken 0
empfehle ich am Schluß folgenden Zusatz:
„Wird kein destilliertes Wasser oder nicht Wasser aus öffent¬
lichen Wasserleitungen verwendet, sondern undestilliertes Was¬
ser anderer Herkunft, so darf letzteres nur dann zur Verwen¬
dung zugelassen werden, wenn der Unternehmer auf Grund
einer örtlichen Besichtigung der Entnahmestelle durch den Kreis¬
arzt und alljährlich einmal vorzunehmender chemischer und
bakteriologischer Untersuchung des Wassers durch geeignete
Sachverständige nachweist, daß das Wasser einwandfrei ist. 0
(Ministerialerlaß vom 26. 8. 1912 S. 305—809.)
§ 81 a. Bekämpfung des Alkoholismus.
Absatz 1 Satz 2 soll dahin geändert werden:
„Er hat die ihm seitens der zuständigen Behörden mitzu¬
teilenden Anträge und Gesuche daraufhin zu prüfen, ob nach
Maßgabe der örtlichen Verhältnisse Einschränkungen usw.
wünschenswert erscheinen, ferner die Einrichtung von Beratungs-
Fürsorgestellen und Heilstätten für Alkoholkranke anzuregen. 0
Zusatz zu Abs. 2 am Schluß:
„Insbesondere dem Deutschen Verein gegen den Alkoholis¬
mus Berlin-Dahlem. 0
Absatz 3 erhält unter Beibehaltung des ersten Satzes fol¬
gende Fassung:
„Der Schul- und Fortbildungsunterricht, die Volksunter¬
haltungsabende, die Impftermine, öffentliche Vorträge aller Art,
Verteilung von Merkblättern bieten die Gelegenheit, die Be¬
lehrung weitesten Kreisen zugänglich zu machen. Mittel zur
Förderung dieser Bestrebungen sind aus dem dem Herrn Minister
für Volks Wohlfahrt zur Verfügung stehenden, aus dem Ertrage
des Branntweinmonopols gebildeten Fonds, zu erbitten. 0
§ 82. Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krank¬
heiten.
Absatz 4 wird zweckmäßig folgende Fassung erhalten:
„Der Kreisarzt hat, sobald er von dem Ausbruch einer
übertragbaren Krankheit Kenntnis erhält, möglichst umgehend
332 Bericht über die XXXI11. Hauptversammlung
an Ort und Stelle die erforderlichen Ermittelungen vorzu¬
nehmen. 0
ln c. ß. fällt weg:
„Im Einverständnis mit dem Landrat — in Stadtkreisen
der Ortspolizeibehörde. —“
Im vorletzten Absatz müssen gleichfalls die Worte „soweit
der Landrat — in Stadtkreisen die Ortspolizeibehörde — damit
einverstanden ist“ gestrichen werden.
Der letzte Absatz erübrigt sich vollkommen.
§ 84III c ist dahin abzuändern:
„Geschlechtskranke, an Syphilis, Tripper und Schanker lei¬
dende Personen, welche gewerbsmäßig Unzucht treiben oder
bei denen sonst die Gefahr besteht, daß sie ihre Krankheit
weiter verbreiten (Verordnung der Reichsregierung vom 11. 12.
1918 zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten).
§ 86 erhält in Anpassung an die Beschlüsse des Bundes¬
rats zur Ausführung des Impfgeschäfts vom 22. 8. 17 folgenden
Wortlaut:
„Die Bestellung der Impfärzte erfolgt durch die Staatsbe¬
hörde. Der Kreisarzt ist vor der Anstellung derselben bezüg¬
lich ihrer Befähigung sowie über die Abgrenzung der Impf¬
bezirke zur gutachtlichen Aeusserung aufzufordern.
, Das öftentliche Impfgeschäft ist vorzugsweise den Kreis¬
ärzten zu übertragen. Nicht beamtete Aerzte sind bei der
Uehernahme der öffentlichen Impfung ausdrücklich in Pflicht zu
nehmen.“
Zu § 89. „Aus den Berichten der Impfärzte und den Impf¬
listen hat der Kreisarzt einen Hauptimpfbericht gemäß Ministerial-
erla^nvom 26. 7. 17. und 21. 4. 18. zusammenzustellen usw.“
, Bezüglich des Impferysipels wird auf Ministerialerlaß vom
28. jl. 22. hingewiesen.
, Zu § 90 schlage ich einen neuen dritten Absatz vor:
„Die Einrichtung von Beratungsstellen für Geschlechts¬
kranke hat der Kreisarzt, soweit es die örtlichen Verhältnisse
gestatten, anzuregen und durch Vorträge auf die Bevölkerung
auf klärend und belehrend einzüwirken. Er hat sich zu diesem
Zwecke auch die Propagandatätigkeit der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Berlin W Wil-
helmstr. 48 zu nutze zu machen. Wo ein Facharzt nicht zur
Verfügung steht, soll er sich, soweit es seine sontsigen Dienst¬
geschäfte gestatten, zu dieser Tätigkeit in der Beratungsstelle
bereit finden.“
§ 92 Mitwirkung bei Gewerbeaufsicht.
Abs. 2 soll lauten:
„Es steht ihm das Recht zu allein, auch unangemeldet die
Gewerbebetriebe seines Amtsbezirks zu besuchen, namentlich
durch Beobachtung der Tätigkeit, erforderlichenfalls auch durch
Befragen und Untersuchung von Arbeitern, Feststellungen zu
machen, ob und wodurch deren Gesundheit Schaden erleidet.
Ueber Abstellung etwaiger Schädigungen und Belästigungen hat
des Preußischen Medizinalbe&mtenvereins.
388
er sich mit den zuständigen Behörden insbesondere dem Ge-
werbeaufsichsbeamten ins Einvernehmen zu setzen und nach Be¬
dürfnis eine erneute Besichtigung vorzunehmen. Falls eine Eini¬
gung über die Massnahmen nicht erzielt wird, hat der Medizinal¬
beamte die Entscheidung der Aufsichtsbehörden herbeizuführen.
Der Kreisarzt und der zuständige Gewerbemedizinalrat haben
zusammen zu arbeiten, indem sie sich ihre Beobachtungen über
gewerbliche Schädigung der Arbeiter und Belästigung der Um¬
gebung mitteilen und nach Bedürfnis gemeinschaftliche Besichti¬
gungen ausführen.“
§ 94 Schulhygiene,
Abs. 3 soll den Zusatz erhalten:
„Ueber das Yeranlaßte ist dem Kreisarzt Mitteilung zu
machen.“ Bisher hörte man nur in den seltensten Fällen, ob und
inwieweit die Vorschläge durchgeführt sind.
Zusatz zu Abs. 4.
„Vor der Genehmigung einer deratigen Anstalt ist der
Kreisarzt. zu hören und über die erfolgte Genehmigung ihm
Mitteilung zu machen“.
Neuer Absatz 8:
„Der Kreisarzt hat auf Ersuchen der Magistrate an den
Sitzungen der Schuldeputationen teilzunehmen und ist, sofern
gesundheitliche Fragen erörtert werden, regelmäßig zur Teil¬
nahme einzuladen. Bei der Anstellung von Schulärzten ist ihm
die Dienstanweisung zur gutachtlichen Aeußerung vorzulegen.
An der schulärztlichen Tätigkeit soll er, soweit es seine sonsti¬
gen Dienstgeschäfte zulassen, möglichst beteiligt werden.“
§ 100 Abs. 1. „Beaufsichtigung der Krankenanstalten“ ist
nach Erweiterung der Besichtigungspflicht auf die Kranken¬
häuser des Johanuiterordens und die Versorgungskrankenhäuser
gemäß Ministerialerlaß vom 30. 7. 20 und 21. 11. 21 abzuändem.
Als Zusatz zu Abs. 1 schlage ich vor:
„ln den Krankenanstalten soll tunlichst nur noch vor¬
schriftsmäßig ausgebildetes Pflegepersonal beschäftigt werden —
Ministerialerlaß vom 19. 7. 21.“
Auf genügende und rechtzeitige zahnärztliche Versorgung
der Krankenhausinsassen ist gleichfalls zu achten — Ministerial¬
erlaß vom 31. 10. 21.“
Vor § 101 ist ein neuer unter der Ueberschrift: „Bevöl¬
kerungsbewegung und Statistik“ einzugliedern.
§ 101. „Uebersichten über die Eirankenbewegung“ ist ent¬
sprechend dem Ministerialerlaß vom 11. 9. 16 dahin abzuändern:
„Die von den Heilanstalten alljährlich bis zum 1. Februar
an die Kreisärzte einzureichenden Tabellenformulare über die
Krankheitsverhältnisse des Vorjahres hat dieser spätestens am
1. März an das statistische Landesamt weiter zu geben.“
Zu § 106. „Aerztliche Hilfe in Notfällen“ ist von einer
Seite folgende Aenderung vorgeschlagen:
884 Bericht aber die XXXIII. Haaptvers&mmlarg
Statt „der Kreisarzt“ muß es heißen „der Praxis ausübende
staatliche Medizinalbeamte“, da der nicht Praxis ausübende die
Verantwortung infolge des Fehlens der nötigen Instrumente
und Medikamente nicht tragen kann. Ich glaube die hieraus
sprechenden Bedenken sind wohl mehr theoretischer wie prak¬
tischer Natur.' Selbstverständlich kann und wird es von keinem
Kreisarzt verlangt werden, daß er zu diesem Notfallzwecke An¬
schaffungen macht, um vielleicht in Abständen von Monaten
oder Jahren davon Gebrauch zu machen. Bedenklicher er¬
scheint mir, daß das Publikum bei einem Aerztestreik aus dem
§ 106 Folgerungen ziehen könnte, die uns in schwere Gewissens¬
und kollegiale Konflikte zu bringen geeignet sind. Ich bin der
Ansicht, der § 106 könnte vollkommen fallen, da die ärztliche
Hilfe in Notfällen eine so selbstverständliche Standespflicht ist,
daß sie nicht noch durch einen besonderen § für uns Kreis¬
ärzte festgelegt werden braucht.
§ 107 „öffentliches Badewesen“ Abs. 1 erhält den Zusatz:
„vergl. Ministerialerlaß vom 11. 7. 10. betreffend Anleitung
und Förderung des Badewesens“.
§ 111. „Leichenbeförderung“ ist folgendermaßen abzuändern
auf Grund des Ministerialerlasses vom 3. 1. 22.:
„Bei Beförderung von Leichen nach dem Auslande oder
behufs Feuerbestattung sowie bei Beförderung im Inlande, so¬
fern der Tod an Pocken, Fleckfieber, Cholera und Pest erfolgt
ist, ist die Ausstellung einer amtsärzlichen Bescheinigung not¬
wendig. In allen anderen Fällen genügt eine ärztliche Be¬
scheinigung über die Todesursache für die Ausstellung eines
Leichenpasses — Ministerialerlaß vom 3. 1. 22“.
Absatz 3 Satz 1 ist dahin zu fassen:
„Für die Beförderung der Leichen von Personen die an
einer gemeingefährlichen Krankheit gestorben sind, nach einem
anderen, als dem ordnungsmäßigen Beerdigungsort, ist die Aus¬
stellung der amtsärztlichen Bescheinigung zu versagen“.
Bezüglich der Einschränkung der amtsärztlichen Beschei¬
nigungen bei Leichentransporten sind bereits in einem Artikel
der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 20. 2. 22. Nr. 4 von
dem Herrn Kollegen Jorns schwere Bedenken geltend gemacht,
welche sich in sanitätspolizeilicher Beziehung speziell auf dem
platten Lande hieraus ergeben. Als Kreisarzt eines im wesent¬
lichen ländlichen Kreises weiß ich alle diese Bedenken sehr
wohl zu würdigen. Auch meines Erachtens wird durch dieses
weitgehende Zugeständnis gegenüber den prakt. Aerzten und
die erweiterten Befugnisse uns Medizinalbeamten die Seuchen¬
bekämpfung sehr erschwert werden, zumal doch sogar für die
Leichenbeförderung von zwei gemeingefährlichen Krankheiten
wie Gelbfieber und Aussatz — letzterer kommt doch in den
östlichen Provinzen auch vor — amtsärztliche Zeugnisse nicht
mehr notwendig sind.
des Preußischen Medizinalbeamtenyereins.
335
Als 4. und neuen Absatz zu § 111 schlage ich vor:
„Inwieweit bei ärztlichen Bescheinigungen über die Todes¬
ursache zum Zwecke der Feuerbestattung an Stelle des Kreis¬
arztes der besondere Gerichtsarzt oder Aerzte größerer Kranken¬
häuser zuständig sind, regelt sich nach den Ministerialerlassen
vom 29. 9. 11. und 5. 6. 19.“
§ 113. Begräbnisplätze.
Absatz 1 erhält folgende Fassung:
„Die Genehmigung zur Anlegung neuer und der Erwei¬
terung bestehender Begräbnisplätze ist von der Beibringung
eines kreisärztlichen Zeugnisses über die Geeignetheit abhängig
zu machen — Ministerialerlaß vom 4. 7. 10.
Zu § 115. „Vertrauensärztliche Tätigkeit“:
f. „Reklamationsatteste“ ist zu streichen, zu n. ist „Kreis¬
kommunalarzt“ zuzusetzen, o. „Zeugnisse über Militärtaug¬
lichkeit bei Naturalisierungsanträgen“ fällt weg.
Dafür kommen als vertrauensärztliche Tätigkeit neu hinzu:
„Gesundheitszeugnisse, welche zum Eintritt in Reichswehr
oder Marine vorgesehen sind;
die Tätigkeit als Gerichtsarzt, soweit Leichenschau,
Leichenöffnung und wissenschaftliche begründete Gutachten
hierüber sowie über Geisteszustandsuntersuchungen in Frage
kommen“.
§ 116. „Amtlicher Schriftverkehr“ wird dahin abgeändert:
„Berichte sind auf der ersten Seite in halber Breite, von
da ab in dreiviertel Breite zu schreiben. Die Worte „des
Bogens“ fallen weg, da bei kleineren Berichten ein viertel Bogen
genügt und bei der großen Papierteuerung und Knappheit auch
in dieser Beziehung Sparsamkeit geübt werden muß.
Zu § 117 ist der Zusatz notwendig „nach dem Muster
Volkswohlfahrt 1922 S. 25 bis 39 (Ministerialerlaß vom 3.12.21).“
In § 118 Absatz 2 fallen die Worte: „Durch Vermittelung
des Landrats“ weg.
Dieser Durchgang der Liquidation durch den Landrat er¬
scheint mir zwecklos, die Kontrolle des Landrats einem gleich¬
berechtigten Beamten gegenüber unwürdig.
§ 121 erhält folgende Fassung:
„Die amtlichen Sendungen sind unter Aufdrückung des
Dienstsiegels mit Dienstmarken zu versehen. Das Portobuch ist
nach den geltenden Vorschriften ordnungsmäßig zu führen, am
31. März jeden Jahres für das Rechnungsjahr abzuschließen
und mit Richtigkeitsbescheinigung an den Regierungspräsidenten
einzureichen“.
§ 122. Geschäftsbücher und Listenführung:
Ziffer 9 ist dahin abzuändem: „Krüppelstammliste und
Krüppelnachweisung“.
336
Bericht über die XXXILL Hauptversammlung
Die neue Ziffer 10 soll lauten:
„Verzeichnis des Krankenpflege- und Fürsorgepersonals“.
Die neue Ziffer 11 soll lauteu:
„Verzeichnis der in Privatpflege untergebrachten Geistes¬
kranken und Geistesschwachen“.
M. H.! Ich bin mir wohl bewußt, die Abänderungen aller
derjenigen Paragraphen unserer Dienstanweisung, die Ihnen
vielleicht dringlich erscheinen, nicht völlig erschöpft zu haben.
Aber ich mußte mich bescheiden; vergessen Sie nicht, daß
noch eine größere Anzahl von Gesetzen in Vorbereitung sind,
die wiederum erneut eine Abänderung verlangen werden. In
unserer heutigen Zeit, in der die einzelnen Erlasse und Ver¬
fügungen sich jagen, kann eine Dienstanweisung für Kreisärzte
nicht mehr auf längere Zeit, sondern nur auf eine Reihe von
Jahren festgelegt werden. Es kommt daher m. E. darauf an,
daß in Bälde unsere Dienstanweisung eine andere Fassung er¬
hält auf Grund der notwendigsten Forderungen und der An¬
regungen, wie sie von den einzelnen Bezirksvereinen gegeben
und bei der Aussprache gewiß noch eine Ergänzung er¬
fahren werden.
Die Dienstanweisung wird vielfach einen anderen Wortlaut
erhalten, angepaßt den heutigen Bedürfnissen und der neuen
Zeit, der Buchstabe wird ein anderer sein. Aber eins, wollen
wir hoffen, wird das alte, das gleiche bleiben und keine Aen-
derung erfahren, es ist der Geist, in dem auch die neue, ab¬
geänderte Dienstanweisung von uns beachtet und befolgt werden
wird. Es ist der Geist der Pflichttreue und nie versagenden
Schaffensfreudigkeit, der uns stets beherrscht hat und auch
fernerhin leiten soll.
(Lebhafter Beifall.)
Zweiter Sitzungstag.
Freitag, den 28. April 1922.
IY. Die Gebührenordnung für Kreis-
und Gerichtsärzte.
Berichterstatter Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin nimmt die
einzelnen Paragraphen der Gebührenordnung mit den vorzu¬
schlagenden Aenderungen vor, woran sich dann gleich die Aus¬
sprache schließt und die einzelnen Paragraphen beschlossen werden.
Der alsdann angenommene Entwurf findet sich hier am Schluß
der Besprechung.
§ 1 wird ohne Diskussion angenommen.
§ 2 bleibt in der alten Fassung.
| 3 wird ohne Aussprache angenommen.
g 4 wird angenommen, nachdem Wirkl. Geb. Ob.-Med.-Bat Dietrich
sich dazu geäußert hatte.
des Preußischen Medizin&lbeamtenrereins.
337
§ 6 wird angenommen mit dem Antrag, den zweiten Teil za streichen,
ebenso mit dem Antrag auf Ersatz der Fahrkosten am Orte.
§ 6 wird in der alten Fassang angenommen, nachdem Geh.-Rat
Bapmand and der Vorsitzende dafür eingetreten waren.
§ 7. Geh. Med.-Rat Forstreuter-Königsberg: Unser Bezirksverein be¬
antragt an dieser Stelle zn sagen: „ln den Fälien nach §§ 2 and 3 werden
Tagegelder nar insoweit gezahlt, als sie die Gebühren für die amtliche Tätig¬
keit am Tage der Verrichtung übersteigen.“ Bei uns kommt es vor, daß wir
drei Tage unterwegs sind. Dann bekommen wir eventl. bei der Verrechnung
gar keine Tagegelder. Das muß fortfallen. Wir beanspruchen auch die Tage-
f elder für den Tag der Abwesenheit. (Zuruf: Das ist selbstverständlich.)
las ist nicht selbstverständlich. Es besteht darüber eine gerichtliche Ent¬
scheidung, daß für den Tag die Gelder abgezogen werden, wenn die Tage¬
gelder weniger betragen wie die Gebühren. Um völlige Klarheit za schaffen,
möchte ich daher diesen Passns aufgenommen haben wissen.
Vorsitzender: Ich bin auch dafür, daß wir diesen Passus aufnehmen.
Dr. Schals: Es besteht tatsächlich eine Entscheidung des Oberlandes¬
gerichts Stettin, auf die sich alle Amtsrichter berufen. Ich habe es durch-
gefochten and mich beschwert darüber. Das Gericht Insterbarg entschied
ebenso, aber das Landgericht hat anders entschieden.
Der Antrag Forstrenter wird angenommen.
Dr. Wollenweber: Im Absatz 1 des § 8 heißt es: .Für die Gebühren
ist der dem Gesetz beigefügte Tarif maßgebend.“ Ein solcher Tarif hat keine
Labilität. Die Verhältnisse ändern sich aber jetzt so außerordentlich schnell,
daß ein gesetzlich auf lange Dauer gebundener Tarif für uns eine Benach¬
teiligung bedeutet. Ich schlage deshalb vor: „Für die Gebühren ist der Tarif
maßgebend, der vom Staatsministerium erlassen wird.“ Dann bat das Staats-
ministerium das Recht, die Gebühren schnell and leicht zu ändern. Werden
sie aber darch das Gesetz festgelegt, so ist keine Labilität möglich, weil
jedesmal eine Gesetzesänderang erforderlich wäre.
Dr. Rogowski: Was Dr. Wollenweber vorschlägt, ist eine Er¬
schwerung gegen den bisher bestehenden Zustand. Bisher war der Mi¬
nister für Volkswohlfahrt berechtigt, den Tarif abzaändern. Ich schlage vor,
daß der Minister für Volkswohlfahrt im Benehmen mit den anderen Ministern
eine Aenderang des Tarifs vornehmen kann.
Geh. Rat Dietrich: Gestatten Sie mir hierzu eine Bemerkung. In dem
Gesetzentwurf, der diesem Gesetz vorausgegangen ist, war die Bestimmung
vorgesehen, daß der Minister für Medizinalangelegenheiten in Gemeinschaft
mit anderen Ministern, ohne jede Mitwirkung des Landtags, den Tarif erläßt.
Das ist von den Parteien des Landtags, die damals die Mehrheit hatten, ab¬
gelehnt worden, weil der Landtag eine dauernde Kontrolle über die Gebühren¬
sätze haben sollte. Das gab eine Erschwerung insofern, als damit die Ge¬
bührensätze der Kritik des Landtages unterzogen wurden. Wenn es so wäre,
wie die Ermächtigung zu § 80 der Gewerbeordnung besagt, daß die Zentral¬
behörde ermächtigt ist, den Tarif za erlassen, so wäre diese allein zuständig
and eine Kontrolle des Landtages über die Gebührensätze gesetzlich nicht
vorgeschrieben. Ich bin gewiß grundsätzlich durchaus dafür, daß die Volks¬
vertretung die innere Politik und Regierangsarbeit überwacht und kontrolliert;
wo es sich aber um spezifisch fach technische Fragen bandelt, ist eine sach¬
gemäße Prüfung durch Sachverständige und Verwaltungsbeamte besser als
eine Kontrolle nach parlamentarischem Regime. Deshalb würde ich es für
richtig halten, wenn der Antrag Wollenweber angenommen würde. Es ist
möglich, daß gewisse Schwierigkeiten entstehen, wie Herr Rogowski schon
sagte. Wenn Sie es jedoch für richtiger halten, daß der Landtag Ihre Ge¬
bührensätze regelmäßig nach prüft, dann müssen sie dem Antrag Rogowski
sastimmen. Ich darf noch das eine geltend machen: Als der Tarif auf das
Zehnfache erhöht wurde, sind von verschiedenen Seiten des Parlaments erhebliche
Bedenken geäußert und Abänderungsvorschläge gemacht worden, die sich nach
in der gleichen Richtung bewegen, wie sie Herr Kollege Rogowski vorge¬
schlagen hat, die einen Spielxaom lassen für die Höchst- and Mindestgrenze.
338 Bericht Aber die XXXIII. Hauptversammlung
Ich mochte mich daher zusammenfassend dahin äußern, daß es nicht im In¬
teresse einer schnellen and fachtechnisch richtigen Festsetzung der Ge¬
bührensätze liegt, wenn der Landtag bei dem Erlaß der Gebühren mitwirkt
Dr. Kortins: Ich möchte Vorschlägen, daß wir möglichst bald eine Aen-
derang vornehmen und alles vermeiden, was die Aenderung verzögert Bei
der Aenderung der Gebührenordnung haben wir leicht den Nachteil, daß wir
nachher Gelder nicht mehr einzieben können. Von Privatpersonen sind wir
überhaupt nicht in der Lage, nachträglich etwas einzuziehen wie bei den Ge¬
richten U8W. Deshalb glaube ich, daß eine möglichst baldige Aenderung bei
den heutigen teueren Verhältnissen das Wichtigste ist. Das Zehnfache mag
vielleicht hoch erscheinen, aber wenn man bedenkt, was man früher für 6 Mk.
kaufen konnte und heute für 60 Hk. kauft, so muß man sagen, daß das ein
schreiendes Mißverhältnis ist.
Geh. Bat Rapmund: Ich halte die Bedenken für richtig. Der Tarif ist
entsprechend den Teuerungsverhältnissen abzuändern. Hierbei darf aber niemals
eine Nachzahlung erforderlich sein. Wir müssen vielmehr Wert darauf legen,
daß der Tarif rechtzeitig abgeändert und rechtzeitig bekannt gemacht wird.
Geh. Bat Dietrich: Es ließe sich so machen, daß der Tarif, der am
1. April erlassen wird, erst mit dem 15. April in Kraft tritt. Dann weiß jeder,
wann der neue Tarif Gültigkeit hat, und Nachzahlungen kommen dann nicht
mehr in Frage.
Dr. Wollenweber: Wir können unmöglich solche Bestimmungen in das
Gesetz bringen. Wir können dort nur hineinbringen: „Für die Gebühren ist
der vom Staatsministefium erlassene den jeweiligen Verhältnissen anzupassende
Tarif maßgebend.“ Ich bin aber nicht einmal dafür, sondern schlage vor:
„Für die Gebühren ist der vom Staatsministerium erlassene Tarif maßgebend“.
Dr. Rogowski: Ich stimme dem Kollegen Wollen weher zu, aber die
Bedenken sind nur dann gerechtfertigt, wenn der Landtag nicht mitzureden
hat. Wenn der Landtag mitzureden hat, dann muß in das Gesetz eine Be¬
stimmung hinein, daß eine Aenderung des Tarifs entsprechend den Teuernngs-
verhältnissen stattfinden mnß, damit der Landtag durch diesen Wortlaut des
Gesetzes auch gebunden ist.
Vorsitzender: Ebenso wie der Landtag sich das Recht vorbehält, zu
kontrollieren, kann er auch unsere Bestimmungen herausstreichen, die wir
darin haben wollen. Die Sache liegt so, daß wir die Sätze durch das Staats-
ministerium feststellen lassen wollen.
Der Paragraph wird angenommen (Festsetzung des Tarifs durch das
8taat8minislerium).
Ueber die Frage, ob Dienstverrichtungen am Sonntag höher bezahlt
werden sollen, entspinnt sich eine längere Erörterung. Rogowski ist grund¬
sätzlich dafür, Franz, Puppe, Wollenweber bestreiten, daß eine Mehr¬
bezahlung für Sonntagsarbeit in das Gesetz kommen kann, vielmehr kann dies
nur im Tarif selbst zum Ausdruck kommen.
Vorsitzender: Vor dem Tarif befindet sich ja noch eine Einführnng.
Da ist die Bestimmung vielleicht unterzubringen.
Der Paragraph wird angenommen. Die Versammlung ist dafür, daß die
Sonntagsbestimmung aus dem Gesetz herausgelassen wird.
Die §§ 9—11 werden ohne Aussprache angenommen.
Wollenweber: Zu § 12 stelle ich den Antrag, daß hinter „Aerzte* ge¬
setzt wird oder „Zahnärzte“. Diese haben den Wunsch ausgesprochen, daß
sie hier auch berücksichtigt werden. Es kommen Fälle vor, daß ein Zahnarzt
hinzugezogen werden mnß.
Geh. Bat Dietrich: Ich unterstütze den Antrag Wollenweber, daß
hinter Aerzte gesagt wird „oder Zahnärzte“.
Bei der Abstimmung bleibt der Paragraph bestehen mit dem Zusatz
„oder Zahnärzte“.
Geh. Bat Dietrich: Zu § 13 möchte ich bitten eine Bestimmung auf-
zunehmen, die der Zentralbehörde die Ermächtigung erteilt, auch für die
Chemiker die Gebühren in Form neuer Verordnung festzusetzen.
Dr. Rogowski: Nach meinem Empfinden ist ein besonderer Tarif nicht
erforderlich, weil in dem Tarif für die beamteten Aerzte die chemischen nnd
bakteriologischen Untersuchungen erwähnt sind. § 13 müßte dann vielleicht
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
389
so lauten: Wird ein Chemiker hinzugezogen, erhält er für seine Arbeit Ent¬
schädigung nach dem Tarif.
Geh.-Bat Bapmnud wünscht, daß die Chemiker gestrichen werden, da
sie nicht Beamte sind und unter die Reichsgebührenordnung fallen.
Die Versammlung erklärt sich, nachdem auch Dr. Wollenweber dafür
gesprochen hat, für die Einbeziehung der Chemiker in den Entwurf.
Dr. Bogowskl: Wir kommen jetzt zu dem Tarif und ich schlage Ihnen
yor, an geeigneten Stellen des Tarifs Mindest- und Höchstsätze einzusetzen,
um den 'verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen, und
nach der wechselnden Schwierigkeit der Leistung unsere Gebühren abstufen zu
können.
Zur Frage, ob im neuen Tarif Mindest- und Höchstsätze einzuführen
sind, wird nach Meinungsäußerungen des Vorsitzenden, von Rapmund sen.
und Rapmund jun. beschlossen, Höchst- und Mindestsätze einzuführen.
Der Antrag, für Sonntagsarbeit, wenn sie von Behörden oder Privat¬
personen verlang wird, doppelt zu berechnen, wird ohne Aussprache an¬
genommen.
Es folgen die §§ 4, 5 und 6.
Dr. Rogowski: Ich schlage vor, nicht über die Sätze zu beraten, sondern
beantrage: Der Höchstsatz beträgt das Vierfache des Mindestsatzes.
Dr. Nowack: Ich halte die Spannung für zu niedrig und beantrage eine
8pannung von 1: 10.
Vorsitzender: Es steht zur Abstimmung die Sätze 1:4 und 1:10.
Die Versammlung erklärt sich für die Spannung von 1:10.
Die Paragraphen werden angenommen.
Dr. Rogowski: Jetzt kommt Tarif A:
Es entspinnt sich eine längere Erörterung über die Fragen:
1. ob für die Terminsgebühr (I, 1) die Untersuchung während des Termins
mit abgegolten ist, wogegen sich Rapmund sen. wendet;
2. ob und inwieweit Unterbrechungen der Verhandlungen in die Terminsdauer
einzurechnen sind, wozu Angenete, Rapmund sen., Rogowski, Bundt
und Fewson sprechen.
Vorsitzender: Es steht also zur Debatte: 1. Unterbrechungen werden
bezahlt. 2. Die Unterbrechung hat nach dem bisherigen Wortlaut zwei
Stunden zu dauern oder kann bis zu vier Stunden dauern und dann das Amen¬
dement dazu: nach der Unterbrechung von zwei Stunden wird der Termin
neu bezahlt.
Die Versammlung lebnt die Anrechnung der Unterbrechung in beliebiger
Höhe ab und stimmt für Neuberechnung des Termins bei Unterbrechung von
mehr als 2 Stunden Dauer.
Dr. Rogowski.: Für Teilnahme an einer Sitzung eines Schiedsgerichts,
Versicherungsamtes, Versorgunggerichts etc.
Die Fassung bleibt bestehen mit der Aenderung von Schiedsgericht in
„Oberversicherungsamt“.
Nr. 3. Vorbereitung eines zu erstattenden Gutachtens.
Dr. Bundt: Ich möchte hier die Bedenken äußern, die hauptsächlich die
Psychiater haben. Dieselben halten es nicht immer für möglich, sich in drei
Untersuchungen über den Geisteszustand schlüssig zu werden. Ich bitte 8ie,
sich dazu zu äußern. Wir können es, glaube ich, wohl im allgemeinen dabei
lassen, da ja die Gerichte auf Antrag wohl stets eine größere Anzahl Vor¬
besuche zugestehen.
Dieser Ansicht wird allgemein zugestimmt.
Absatz c und d werden angenommen (ohne Debatte).
N. 4 „Aktendurchsicht“ wird angenommen.
Geh.-Rat Bapmnud: Die Akteneinsicht muß auch bezahlt werden, wenn
der Termin nicht stattfindet.
Nr. 5 wird gestrichen.
Ueber die Frage, ob bei gerichtlichen Sektionen eine Mindest- und Höchst¬
gebühr zu verlangen sei, äußert sich Rogowski zustimmend, während Schulz
Schwierigkeiten in einer solchen Regelung erblickt. Dazu bemerkt Geh.-Rat
Dietrich: Ich sehe nicht die großen Schwierigkeiten, wie sie Herr Kollege
Schulz sieht. Es handelt sich im wesentlichen darum, daß die Leistungen,
840
Bericht über die XXXIII. Hanptvers&mmlnng
die nach Mindestsätzen berechnet werden sollen, in den allgemeinen Be¬
stimmungen des Tarifs festgelegt werden. Hier könnte bestimmt werden, daß
in gerichtsärztlichen Angelegenheiten nnr die Mindestgebühr in Ansatz zn
bringen sei. Ich wurde dies aber nicht für richtig halten, denn es gibt Ob¬
duktionen von ganz verschiedener Zeit- und Arbeitsleistung, von verschiedener
Qualität in den äußeren Umständen. Auch für die gerichtlichen Obduktionen
müßten daher Mindest- und Höchstsätze festgelegt werden.
Dr. Krämer: Es besteht durchaus der Wunsch, daß für gerichtsärzt¬
liche Leistungen ein einziger Satz besteht. Außerdem kommt derselbe Ge¬
sichtspunkt hier in Frage, der vorhin hier ausgesprochen ist, daß wir über
der ganzen Sache stehen uud als Beamte nicht einen beliebigen Satz berechnen.
Dr. Franz: Ich bin sonst für die Spannung in den Sätzen. Nur bei den
Sektionen bin ich dafür, daß lediglich ein einziger Satz festgelegt wird. Nur
bei Vergiftungen ist vielleicht eine Ausnahme zu machen.
Dr. Neubelt: Wir hatten früher schon verschiedene Sätze festgelegt.
Eine Leiche, die nach sechs Woeben wieder ausgegraben wird, ist eine derart
unangenehme Sache, das ein höherer Satz berechtigt ist.
Dr. Bundt: Ich bin ebensowenig wie bei gerichtsärztlichen Terminen für
Höchst- und Mindestsätze bei Obduktionen zu haben. Wir wollen einen Satz,
der nicht zu niedrig ist und der ausgleicbend wirkt.
Dr. Wollenweber: Wenn wir die Verhältnisse allgemein betrachten, so
erscheint eine besondere Gebühr für besondere Obduktionen nicht notwendig.
Die Verhältnisse liegen doch praktisch so, daß eine Obduktion oft eine lorcht-
bar einfache Sache ist, andererseits kommt es vor, daß sie sehr unangenehm
ist und die dreifache Leistung verlangt. Das gleicht sich aus. Dann, was ist
das für eine unangenehme Geschichte, sich mit den Gerichten herumzastreiten
darüber, was eine besonders schwierige Obduktion ist.
Geh. Bat Dr. Solbrig: Es ist nicht so schwer, im Einzelfall den an¬
gemessenen Satz festznlegen. Wenn z. B. eine Vergiftungsobduklion vorliegt
und die Obduzenten erklären, die Obduktion war schwierig, so ist das ein¬
fach bei der Begierung zu prüfen und der doppelte oder noch höhere Satz
zu bewilligen.
Dr. Bundt: Wer ist für den einheitlichen Satz?
Durch Handerheben ergibt sich eine überwiegende Mehrheit für den
Einheitssatz.
Von verschiedenen Seiten wird darauf aufmerksam gemacht, daß es ge¬
rechtfertigt sei, das Schleifen der Sektionsinstrumente in Ansatz bringen zu
können. Dazu bemerkt Wollenweber, daß in Bheinland-Weslfalen die
Obduzenten überhaupt nicht die Instrumente mitbringen, sondern letztere von
dem Heilgehilfen auf Kosten des Gerichts beschafft werden.
Dr. Hillenberg: Es besteht die Bestimmung, daß der Kreisarzt für
die Instandhaltung der Instrumente zu sorgen hat und solange diese Bestimmung
besteht, können wir nicht darauf bestehen, daß das Messerschleifen bezahlt
werden muß.
Der Antrag Bogowski auf besondere Entschädigung für Vorhaltung
der Instrumente wird angenommen.
Dr. Rogowski: Bei 11 „Befundschein“ (soll fortfallen), 12 bis 16 wird
nach den Vorschlägen des Berichterstatters angenommen.
Bei Punkt 17: Erhöhung des Schreibgebührensatzes um */<, wenn dem
Gutachten ein Durchschlag beigefügt wird, bemerkt
Dr. Wollenweber: Ich bin der Meinung, das */* für den Durchschlag
zu wenig ist. Wir schaffen damit eine ungünstigere Lage als wir sie bereits
haben. Bei uns ist es so, daß davon */* berechnet wird.
Dr. Bnndt: Wer ist für */, und wer für */*•
Die Mehrzahl ist für */*•
Dr. Forstreuter: Ich bin von meinem Verein beauftragt zu beantragen,
daß bei Ziffer 18 hinzugefügt wird, Schreibgebühr soll auch in den Fälle 0
bewilligt werden, in denen der Kreisarzt selbst mit der Schreibmaschine die
Niederschrift vollzogen hat. In den kleinen Verhältnissen, in denen ein Teil
der Kreisärzte keine Schreibkraft zom Äbschreiben hat nnd er selbst die Rein¬
schrift besorgen maß, erwachsen dem Betreffenden auch Kosten und er kann
sie nioht liquidieren.
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
841
Dr. Rogowski: Das habe ich ja auch vorgeschlagen, (Liest den Text
nochmal vor).
Betreffend Besichtigung der Apotheken bemerkt Geh.«Bat Rapmund,
daß er gegen eine Gebühr des Reg.- und Med.-Rats für Besichtigung von
Apotheken am Wohnorte sei.
Ihm wird von anderer Seite widersprochen (Solbrig), gerade mit bezug
auf die zeitraubenden Besichtigungen in großen Städten.
Dr. Wollenweber: Es ist der dringliche Antrag eingegangen von
sechs Kollegen: „Die weitere Beratung des Tarifs wird dem Vorstand
überlassen“.
Dr. Bundt: Das ist ausgeschlossen. Wir können uns ganz kurz fassen.
Kollege Dr. Rogowski gibt nur Abänderungen.
Soll also der Reg.-Med.-Rat an seinem Wohnort für die Apotheken-
besichtigang Gebühren erheben oder nicht i
Wer ist für die Gebührenerhebung? 24, also angenommen.
Beim Thema „Voruntersuchung“ bemerkt Geh. - Rat Rapmond: Es
entspricht früheren Beschlüssen, daß für die Voruntersuchung besondere Gebühr
erhoben wird. Es ist ein großer Unterschied, wenn z. B. bei einer Hebamme
eine Harnuntersuchung gemacht werden muß, ob eine besondere Gebühr er¬
hoben wird oder nicht.
Dr. Bundt: Wer ist dafür, daß die Voruntersuchung auch für diese
Atteste bezahlt wird? Die Versammlung beschließt, auch für solche Atteste
Gebühr für Voruntersuchung zu beantragen. Bei Ablehnung eines Attestes
soll nur die Gebühr für Voruntersuchung erhoben werden.
Die Vorschläge des Berichterstatters zum Rest des Tarifs werden mit
geringen Aenderungen angenommen.
Rogowski wird beauftragt, mit noch zwei Herren die einzelnen Sätze
festznsetzen, damit für die im Juli in Aussicht genommenen Verhandlungen
mit dem Minister der Gesetzentwurf vollständig vorgelegt werden kann.
Besprechung Uber die Vorschläge für die neue Dienstanweisung für die
Kreisärzte nnd Gerichtsärzte. (Vgl. ersten Verhandlungstag.)
Dr. Bundt schlägt für die Kommission zur Beratung der Dienstan¬
weisung eine Kommission von 5 Herren vor.
Dr. Wolleuweber wünscht die Kommission wesentlich kleiner. Die Ver¬
sammlung ist einverstanden mit einer Kommission für die Dienstanweisung,
bestehend aus Franz, Puppe, Wollenweber.
Dr. Bundt: Hält die Versammlung eine besondere Dienstanweisung für
die Gerichtsärzte überhaupt nötig? Ich bin der Meinung, daß diese sehr wohl
in der allgemeinen Dienstanweisung unterzubringen ist.
Geh.-Rat Kapmund betont, daß es erwünscht sei, wenn diejenigen Kollegen,
die noch besondere Wünsche hinsichtlich der Dienstanweisung haben, diese der
gewählten Kommission mitteilen.
Dr. Rogowski: Namens der 7 Berliner Gerichtsärzte habe ich die Er¬
klärung abzugeben, daß sie eine besondere Dienstanweisung für die Gerichts¬
ärzte nicht für nötig erachten. Die Berliner sind 7, das ist mehr als ‘/* aller
Gerichtsärzte, das fällt ins Gewicht.
Dr. Nowak: Ich weiß nicht, ob die Dienstanweisung überhaupt Eile
hat. Jeder der heute hier war, kann in der Zeitschrift nuchlesen, was hier
gewesen ist. Anßerdem ist ja über die Dienstanweisung schon eine Anfrage
bei den Bezirksvereinen gewesen. Wenn diese sehen, was für Leitsätze auf-
gestellt sind, ob sie sich mit ihren Anträgen decken oder nicht, können sie
sich dazu äußern oder nicht.
Dr. Wollenweber: Wir legen großen Wert ( auf die Vorträge als Ganzes.
Sie können leicht gedruckt werden. Es geht sehr schnell. Der Vorstand bittet
dann jeden Kollegen, Bedenken oder Vorschläge den Betreffenden vorzulegen.
Dr. Bundt: Das ist die einfachste Methode. Die Vorträge liegen vor
und können innerhalb vier Wochen erscheinen.
Ich frage Sie: Hält die Versammlung eine Neuordnung unserer Dienst¬
anweisung für nötig? Ja, also angenommen.
842 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
Hält die Versammlung eine eigene Dienstanweisung für Gerichts&rzte
für nötig? Nein, also abgelehnt.
Es genügt also Ihrer Meinung nach eine Einbeziehung in unsere
gemeine Dienstanweisung.
Der von der Versammlung beschlossene Entwurf des neuen
Gebührengesetzes nebst Tarif lautet demnach:
§ 1. Die Kreisärzte und die Gerichtsärzte erhalten für
amtliche Verrichtungen (§ 6 des Gesetzes betr. die Dienst¬
stellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheits¬
kommissionen vom 10.9.99, Ges.S.S. 172), deren Kosten der
Staatskasse zur Last fallen, soweit dieses Gesetz in den §§ 3
und 5 nicht ein anderes bestimmt, außer ihren staatshaushalts¬
mäßigen Bezügen keine weitere Vergütung aus der Staatskasse.
§ 2. Bei anderen amtlichen Verrichtungen erhalten die
Kreisärzte und die Gerichtsärzte Gebühren, und zwar
1. wenn es sich um ortspolizeiliche Aufgaben handelt^ deren
Erfüllung den Gemeinden gesetzlich obliegt, von den
letzteren, auch in Orten oder Bezirken mit staatlicher
Polizeiverwaltung,
2. in allen übrigen Fällen von den Beteiligten, in deren Inte¬
resse die Verrichtungen erfolgen.
§ 3. Für die Tätigkeit als gerichtliche Sachverständige
steht den Kreisärzten und den Gerichtsärzten ein Anspruch auf
Gebühren zu.
§ 4. Die vollbesoldeten Kreisärzte haben die ihnen nach
§ 2 zustehenden Gebühren an die Staatskasse abzuführen.
§ 5. 1. Die Kreisärzte und die Gerichtsärzte erhalten aus
der Staatskasse, in den Fällen des § 2 von den Beteiligten,
Tagegelder und Reisekosten nach Maßgabe der für Staats¬
beamte geltenden allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen.
2. Werden die in den §§ 1 bis 3 bezeichneten amtlichen
Verrichtungen am Wohnort oder in einer Entfernung von weniger
als 2 km vom Wohnort des Kreisarztes oder Gerichtsarztes
vorgenommen, so hat dieser Anspruch auf Ersatz der veraus¬
lagten Fahrgelder.
3. Die Gemeinden und sonstigen Beteiligten sind befugt,
mit den Kreisärzten und Gerichtsärzten Gewährung von Bausch-
entschädigungen zu vereinbaren.
§ 6. 1. Sind mehrere amtliche Verrichtungen auf einer
Reise in einer Entfernung von mindestens 2 km vom Wohnort
des Kreisarztes bezw. des Gerichtsarztes vorgenommen worden
und ist eine Verteilung der Kosten auf die verschiedenen Ver¬
richtungen erforderlich, so sind für die ganze Reise Tagegelder
und Reisekosten nach den für Staatsdienstreisen geltenden
Sätzen zu berechnen*und gleichmäßig nach der Zahl der Ge¬
schäfte auf diese zu verteilen; hierbei gelten mehrere an dem¬
selben Orte für denselben Zahlungspflichtigen verrichtete Dienst¬
geschäfte der in den §§ 1 und 2 genannten Art als ein Geschäft.
2. Für die in den §§ 1 und 3 bezeichneten Geschäfte ist
an Tagegeldern und Reisekosten der nach Absatz 1 berechnete
des Preußischen Medizinalbeamtenyereins.
843
Anteil zu entrichten, jedoch nicht mehr, als wenn zur Aus¬
führung des Geschäfts eine besondere Reise unternommen
worden wäre.
3. Die vorstehenden Bestimmungen finden ensprechende
Anwendung auf die bei Verrichtungen am Wohnort oder in
einer Entfernung von weniger als 2 km von diesem entstan¬
denen Auslagen für Fuhrkosten.
4. Tagegelder können auch dann, wenn mehrere Dienst¬
reisen an einem Tage erledigt werden, nur einmal beansprucht
werden.
§ 7. 1. In den Fällen der §§ 2 und 3 werden Tagegelder
nur insoweit gezahlt, als sie einzeln die Gebühren für die auf
der Reise am Tage der Verrichtungen vorgenommenen amt¬
lichen Verrichtungen übersteigen.
2. ln den Fällen des § 2 haben die vollbesoldeten Kreis¬
ärzte denjenigen Betrag, um welchen die Gebühren den gesetz¬
lichen Tagegeldersatz nebst Teuerungszulagen überschreiten, an
die Staatskasse abzuführen.
§ 8. Das Staatsministerium setzt den Tarif für die amt¬
lichen Verrichtungen der Kreisärzte und der Gerichtsärzte fest.
Der Minister für Volks Wohlfahrt kann im Einvernehmen mit
den sonst beteiligten Ministern die Sätze des Tarifs den
wechselnden Teuerungsverhältnissen anpassen.
§ 9. 1. Werden in den Fällen, in welchen der Tarif einen
Mindest- und Höchstsatz vorsieht, Bedenken gegen die An¬
gemessenheit des geforderten Betrages erhoben, so entscheidet,
soweit nicht für gewisse Verrichtungen ein anderes bestimmt
ist, der Regierungspräsident, innerhalb des seiner Zuständigkeit
unterstellten Bezirks der Polizeipräsident von Berlin.
2. Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten An¬
rufung des Ministers für Volks Wohlfahrt zu, dessen Entscheid
endgiltig ist.
§ 10. Als Kreisärzte bezw. Gerichtsärzte im Sinne dieses
Gesetzes gelten auch die Kreisassistenzärzte und die Gerichts¬
assistenzärzte.
§ 11. Inwieweit bei der Versetzung der nicht vollbesoldeten
Kreisärzte und Gerichtsärzte in den dauernden Ruhestand aufier
dem Gehalt amtliche Gebühren im Sinne dieses Gesetzes und
andere Dienstbezüge der Ruhegehaltsberechnung zugrunde zu
legen sind, wird durch die Besoldungsordnung bestimmt.
§ 12. Werden andere Aerzte oder Zahnärzte, beamtete
oder nicht beamtete, zu kreis- oder gerichtsärztlichen Geschäften
herangezogen oder mit solchen baauftragt, so erhalten sie für
deren Ausführung in Ermangelung anderweitiger Verabredung
Reisekosten, Tagegelder und Gebühren nach den Bestimmungen
dieses Gesetzes, sofern sie nicht nach ihrer Amtsstellung An¬
spruch auf höhere Tagegelder, Reisekosten und Fuhrkosten haben.
§ 13. 1. Wird zu einer gerichtlichen oder medizinalpolizei¬
lichen Feststellung ein Chemiker zugezogen, so erhält er für
seine Arbeit einschließlich des Berichts Gebühren.
344
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
2. Hinsichtlich des Tarifs für die Gebühren gelten die
Vorschriften der §§ 8 und 9.
§ 14. Uebergangsbestimmung.
Tarif für die Gebühren der Kreisärzte and der Gerichtslrzte.
1. Wird eine der in dem nachstehenden Tarif aufgeführten gerichts¬
ärztlichen Verrichtungen auf Veranlassung einer Privatperson ausgeführt, so
stehen dem Sachverständigen höhere als die tarifmäßigen Sätze zu.
2. Wird eine der in dem Tarif verzeichneten Verrichtungen besonderes
Ersuchen einer Behörde oder einer Privatperson an einem Sonntag oder einem
gesetzlichen Feiertag vorgenommen, so tritt eine Verdoppelung der Gebühren ein.
8. Soweit in dem Tarif unter B. Gebührensätze für vertrauensärztliche
Verrichtungen besonders aufgeführt sind, sind diese in Anwendung zu bringen.
4. Die Höhe der Gebühr ist, sofern der Tarif einen Mindest- und Höchst¬
satz vorsieht, innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen Umständen
des einzelnen Falles, insbesondere nach der Beschaffenheit und Schwierigkeit
der Leistung, der Vermögenslage des Zahlungspflichtigen, den örtlichen Ver¬
hältnissen, sowie dem Zeitaufwand zu bemessen. Bei ausnahmsweise schwierigen
Verrichtungen darf die Höcbstgebühr mit Zustimmung des Begierungspräsidenten
(Polizeipräsidenten in Berlin) überschritten werden. In dringenden Fällen kann
diese Zustimmung nachträglich eingeholt werden. Gegen die Entscheidung des
Begierungspräsidenten (Polizeipräsidenten in Berlin) kann die Entscheidung des
Ministers für Volks Wohlfahrt angerufen werden.
5. Wird mehr als der Mindestsatz einer Gebühr beansprucht, so ist dies
auf Verlangen des Auftraggebers in der Gebührenrechnung unter Angabe der
besonderen Umstände des einzelnen Falles näher zu begründen.
6. Soweit die Festsetzung der Gebühren durch das Gericht erfolgt, ist
dieses befugt, den Begierungspräsidenten (Polizeipräsidenten in Berlin) um eine
gutachtliche Aeußerung zu ersuchen.
7. Verrichtungen, für welche der Tarif Gebührensätze nicht vorsieht,
sind nach Maßgabe der Sätze für ähnliche Verrichtungen zu vergüten.
A. Gebühren für gerichtsärztliche Verrichtungen.*)
1. a) Abwartung eines Termins bis zur Dauer von zwei Stunden, einschließlich
der während des Termins erstatteten mündlichen Gutachten . — Mark
b) Jede an gefangene halbe Stunde mehr.— Mark
c) Als Anfang des Termins gilt die Zeit, zu welcher geladen ist, als End¬
punkt die Zeit der Entlassung.
d) Unterbrechungen der Verhandlungen und Beurlaubungen des Medizinal¬
beamten werden in die Terminsdauer eingerechnet.
e) Bei einer Unterbrechung oder Beurlaubung, welche auf mehr als zwei
Stunden bestimmt wird, kommt, wenn der Kreis- oder Gerichtsarzt an
seinem Wohnort vernommen wird, für die Fortsetzung des Termins die
Gebühr zu a und danach za b von neuem in Ansatz.
f) Die Gebühr ist für jeden Verhandlungstag besonders zu berechnen.
g) Ist der Kreis- oder Gerichtsarzt in mehreren Terminen an demselben
Tage beschäftigt- gewesen, so darf eine mehrfache Berechnung derselben
Zeit nicht stattfinden.
h) Für eine während eines Termins vorzunehmende Untersuchung wird nach
8 besonders berechnet.
2. Teilnahme an einer Sitzung des Versicherungsamtes oder Oberversicher¬
ungsamtes, einschließlich der erforderlichen körperlichen Untersuchungen
und mündlichen Gutachten ohne Bücksicht auf die Anzahl der ver¬
handelten Sachen
für die erste Stunde.— Mark
für jede weitere angefangene Stunde .... — Mark
*) Der einzelne Gebührensatz für die verschiedenen Verrichtungen wurde
nicht beraten; zurzeit wird mit einer Erhöhung um das 10fache dem Friedens¬
satz gegenüber gerechnet.
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
845
8. Vorbereitung eines Gutachtens:
a) Wenn die Untersuchung in der Wohnung des Medizinalbeamten oder,
falls dieser Anstaltsarzt ist, in der Anstalt stattfindet, (Vorunter¬
suchung) .— bis — Mark.
b) Wenn die Untersuchung außerhalb der Wohnung oder Anstalt stattfindet
(Vorbesuch einschließlich Untersuchung).— bis — Mark.
c) Die höheren Sätze kommen insbesondere auch zur Anwendung, wenn eine
einfache qualitative Harnuntersuchung oder eine Untersuchung mittels
des Kehlkopf-, Nasen-, Augen-, Ohren-Scheidenspiegels oder eine gynä¬
kologische Untersuchung stattgefunden hat.
d) Hat sich der Medizinal beamte in dem Falle zu b an Ort und v Stelle
begeben und kann die Untersuchung ohne sein Verschulden nicht statt¬
finden, so ist eine Gebühr von — bis — Mark in Ansatz zu bringen.
e) Mehr als drei Untersuchungen dürfen nur mit Zustimmung der ersuchen¬
den Behörde berechnet werden.
4. Für eine Akteneinsicht je angefangene Stunde . . . — bis — Mark
5. Hat sich auf Erfordern des Gerichts der Medizinalbeamte behufs Ein¬
sichtnahme der Akten an Gerichtsstelle oder eine andere vom Gericht
ihm bezeichnete Stelle begeben, so kommt außer der Gebühr für die
Akteneinsicht noch die Gebühr zu 8 b in Ansatz.
6. Für die Mitwirkung bei einer richterlichen Leichenschau, die sonstige
Besichtigung einer Leiche oder die Besichtigung von Leichenteilen oder
einer Leibesfrucht.— Mark.
7. Für eine Leichenöffnung, Oeffnung einer Leibesfrucht oder Sektion von
Leichenteilen..— Mark.
8. Außer der Gebühr zu 7. für die Verrichtung erhält derjenige, der für
die Vorhaltung der notwendigen Gerätschaften verantwortlich ist, hierfür
ein Zehntel der Gebühr für die Verrichtung.
9. Für die Bescheinigung über die Todesursache gemäß § 8 des Gesetzes
über die Feuerbestattung vom 14. 9. 1911 (Ges.-S. S. 198)
1. sofern es einer Leichenöffnung nicht bedarf . . . — bis — Mark,
2. sofern es einer Leichenöffnung bedarf.— bis — Mark.
8. Werden in 'demselben Baum gleichzeitig mehr als zwei Leichen
besichtigt, so ermäßigt sich die Gebühr zu 1 für die dritte und
folgende Leiche auf die Hälfte.
10. In den Gebühren zu 6, 7, 8 und 9 ist die Gebühr für den Termin und
den zu Protokoll gegebenen Bericht einbegriffen.
11. Kann ausnahmsweise der Bericht über eine Besichtigung nicht sogleich
in dem Termine zu Protokoll gegeben werden, so ist für ihn eine Gebühr
von — bis — Mark außerdem anzusetzen.
12. Wird ein besonderer Bericht zu 7 (Obduktionsbericht) ausdrücklich
erfordert, so ist außer der Gebühr zu 7 die Gebühr zu 15 anzusetzen. Der
zweite Obduzent erhält als Mitherichterstatter die Hälfte dieser Gebühr,
es sei denn, daß er einen besonderen Bericht erstattet.
18. Erteilung einer schriftlichen Auskunft.— bis — Mark.
14. Schriftliches Befundattest ohne Begründung der gutachtlichen Aenßer-
ung.— bis — Mark.
15. a) Schriftliches begründetes Gutachten über den körperlichen oder geistigen
Zustand einer Person oder über eine Sache .... — bis — Mark,
b) Sind mehrere Kreisärzte oder Gerichtsärzte zu einem gemeinschaftlichen
Gatachten aufgefordert, so erhält der erste Gutachter die volle Gebühr,
die folgenden je die Hälfte, soweit sie nicht ein besonderes, von dem
ersten abweichendes Ouiacbten erstatten.
16. Untersuchung eines Nahrangs- und Genußmittels, sowie Gebrauchsgegen¬
standes, eines Arzneistoffes, Geheimmittels oder dergleichen nebst kurzer
gutachtlicher Aenßerung ohne Begründung .... — bis. — Mark.
17. a) Untersuchung, mikroskopische, chemische, physikalische, bakteriologische,
an Personen oder Sacben, einschließlich einer gutachtlichen Aenßerung,
ohne Begründung.-.— bis — Mark.
b) Das verbrauchte Material an Beagentien, verbrauchten Gerätschaften,
Nährböden, Auslagen für Benutzung eines besonderen Baumes, sowie
sonstige notwendige Unkosten sind neben der Gebühr zu vergüten.
846
Bericht Ober die XXXIII. Hauptversammlung
18. In den Fällen za 13 bis 17 kommen zutreffenden Falles noch die 8ätze
nach 8, 4 und 5 zur Anwendung, im Falle der Wahrnehmung eines
Termins kommt außerdem die zu 1 bestimmte Gebühr znr Anwendung.
19. Erfordert eine schriftliche Auskunft, ein Befundattest oder ein begründetes
Gutachten eine Untersuchung der in 16 und 17 bezeicbneten Art oder
wird in den Fällen zu 16 und 17 nachträglich ein schriftlich begründetes
Gutachten erfordert, bo kommen die Gebühren zu 13 bis 15, sowie zu
16 und 17 nebeneinander in Ansatz.
20. a) Schreibgebühren für Beinschriften sind nach Maßgabe der für die Be¬
rechnung der gerichtlichen Schreibgebühren geltenden Bestimmungen zu
bewilligen.
b) Werden auf Erfordern bei Benutzung einer Schreibmaschine Durchschlüge
angefertigt, so kommt für jeden Durchschlag die Hälfte des ursprüng¬
lichen Satzes in Anwendung.
c) Sind nachweislich höhere Schreibgebühren entstanden, so sind diese zu
ersetzen. •
d) Für verbrauchte Schreibmaterialien kann ein angemessener Satz in An¬
wendung gebracht werden.
e) Erfordert die Art des Gutachtens oder Befundattestes ganz oder zum
Teil Aufnahme eines Stenogramms, so kann Ersatz der hierdurch ent¬
standenen Unkosten gefordert werden.
B. Gebühren für sonstige amtliche und vertrauensärztlicbe
Verrichtungen.
1. Werden Verrichtungen der unter A 6 bis 17 genannten Art in außer¬
gerichtlichen Angelegenheiten vorgenommen, so kommen dieselben Gebühren
wie für die gericbtsärztlichen Verrichtungen in Anwendung.
2. Für die Besichtigung einer Apotheke erhält der medizinische Kommissar
an seinem Wohnort — Mark Entschädigung. Liegt die besichtigte
Apotheke mehr als 2 km von der Grenze der Wobngemeinde des
Kommissars entfernt, so erhält er außerdem Reisekosten und Tagegelder.
Der pharmazeutische Kommissar erhält Tagegelder und Reisekosten nach
den den Kreisärzten zustehenden Sätzen, außerdem für jede Apotheken¬
besichtigung — Mark Entschädigung, sowie Ersatz der verbrauchten
Reagentien.
8. Musterung einer Apotheke auf einem Kauffahrteischiff, einschließlich
des Besuchs.— bis — Mark.
4. a) Besichtigung einer Wohnung^ eines Gebäudes, einet Wasserversorgungs-
stelie, einer gewerblichen Anlage, eines verdächtigen oder verseuchten'
Schiffes, einer Privatkranken-, Entbindangs- oder Irrenanstalt und der¬
gleichen, einschließlich einer kurzen gutachtlichen Aeußerung, ohne
Begründung.— bis — Mark.
b) In dem Verfahren bei der Errichtung genehmigungspflichtiger gewerb¬
licher Anlagen können für eine Prüfung der Unterlagen ohne vorherige
Ortsbesichtignng sowie für die Angabe des Prüfungsergel nisses Gebühren
nicht gefordert werden.
6. Besichtigung eines Begräbnisplatzes oder eines für dessen Anlegung
oder Erweiterung in Aussicht genommenen Grundstücks einschließlich
des vorgeschriebenen Gutachtens.— bis — Mark.
Zu dieser Gebühr tritt an Stelle der Gebühr für den Vorbesuch die'
Terroiosgebübr gemäß Al..
6. Gutachten über Geisteskranke, Blinde, Trunksüchtige, Epileptische,
Idioten, Taubstumme und sonstige Krüppel zwecks Aufnahme in eine
Anstalt.— bis — Mark.
7.
8 .
9.
10.
Ausstellung eines Leicbentransportscheines
a) ohne Besichtigung der Leiche.— bis — Mark,-
b) mit Besichtigung der Leiche.— bis — Mark.
Erteilung der Genehmigung zur Umbettung einer Leiche — bis — Mark.
Besichtigung einer Mineralwasserfabrik, Drogenhändlung, Farbenhandlang,
Gifthandlang, Arzneimittelhandlung.— bis — Mark.
Prüfungszeugni8 für den Handel mit Giften außerhalb der Apotheken
, — bis — Mark.
itt Preußischen MedisineIbeatnteu vergiß® 347
11. ZulafurongszeugoiB zur Erlernung der Apotbukerktinst — bis — M«rk,
12. ui Priilang beliafs Verwaltung einer Krankenhauaapottieke für Mitglieder
*<in S-rftnkenpäegeßenossenöChftften . . ... . . . v . - Mark,
b) B«r BJitprttfenda pharB?a8eotisehe Kommissar erhält die gleiche Gebfthr.
13. BeläiugüßgssfiagHiÄ zur Aufnahme in eine Hebammenlebramitalt
— bis — Merk.
14. Be^hignmgii 2 eagtii 88 iaf Afifnabinein eine DesinfektorenschoiB—bis—Mark.
15- S*iibigong»zeuga)8 ab L'-ichenseMaer . . . . *. , — bis — Mark.
16. &} Nachpiüfttnig disf Besiufektoren. ; . . . . *'• - —Mark,
b) Sind mehr als zwei f)e»jnfekt*:>feo gleichzeitig nacbZQprüfen, ao ermäßigt
sich die Gt-bübr- für jeden auf die Hüllte der Gebühr zu *.
17. v Für ein aal fir/eoinrn der anständigen Behörde abgegebenes schrift-
; liebes SefaHdat»est über daöernd© gänzliche Erwerbsaolähigkeit für
eine Person düs Unterolftzier« oder Mannsebafi.« 9 taDdea des Heeres oder
der Marine aut Grund dos Artikels I Nr. 3 des Iteichagesetzes vom
22.5. 95 (E. Ges. S. S. 237), ^otvie TO«' firuteMbliebenen von KriecsUU*
nehmen» im Säpitalabfiadttagsrerfülirofe können Gebühren nicht gefordert j
werden.
18. Geaandheitssebguls beliofä FiblTitts in Üe« riffentlichen Bieost (äts Büro-.
Steuer-, Post-, Teiegrepbea-, Eisenbahn^ Bankbeamter, Lehrer, i«sho<ftö^> '
Lotse and dergleichen) . . . . . . . . . . — bk — Mark.
19. Gesundbeitazeugb» tebsli Ayoalisac in »in Seminar oder riae Pfbps-
Tandenanslak . . . , . , . . . . , . , • — big — Mu?k.
20. Für ein Zeögnis behufs Begriinduag von öeauubdu wegen Unterstützung,
Urlaubs, Ablehnung von Jübrea&mtern, NjchwrsfGbeinens for Gericht,
Aufsehiebeaa der Strafvollstreckung and defglelcben sind Gebühren nach
A 16 bis 19 za entrichten.
21. , In den Fällen der &ififera 4«, 6, 7 h, 9, 10, JbjA 15, Änd 18 bis 20
kommen außer Öen festgesetzte« öabftbre» noch Geblibren nach A S
uud 4 in AaöatÄ.
22. Hat in den Fällen der Zidern 4 a, ti, 7 b, iö, 12 bis 15 und 13 bis 20
eine Prüfung bezw. Untersuchung «tattgefonden, ubot» daß dem Aaftrug*
geber das geforderte Zeugnis ferteilt werdea koent« odet terzicbt&t
dieser nach Btattgebabtar Prüftmg odgt p&tersttub&rtg auf das Zdugnis, 4
sö but er Gebühren nach A 3 uud 4 *u entrichte«.
23. Wegen der Scbreibgebührett gelten die unter A 20 geirofiduen Be¬
stimmungen. ' ■ •- - ,-k-, ‘ - -' .. < . ■ /• _ , ■ .
AamerkttUgen; Bio nöchsfcgebttbr ist in der Regel auf da* Zeh#*
fache der Mindeafcge'bühr fcstzusetze», . . ", ‘ V ; .
7ör»ch)äge für dse einzelnen Gebührensätze können aur £eU hiebt gemacht
werden, da die Eotwicklung der Teaerangaverhältniaso bis zur endgültiges
Gestaltung des Tarifs sich nicht voransseheo läßt. -'kv.‘/Cv V7* '• •• •••''•••".•
' « ■ .... _ __ _ ....
Y. Kreisarzt und Fürsorge.
Berichterstatter: Med.-Rat Dr. Hilleuberg-Halle a. S-
M. H.I Es ist. nach dein Kriege über Pürsorgewesen und die Be¬
ziehungen des staatlichen Gesundheitsbeamten zu ihm recht
viel gesprocfien und geschrieben worden. Man könnte daher
meinen, zumal ja auch auf der Weimarer Tagung das Thema
von hervorragenden Sach ^erHSudigen in prinzipieller Weise
erschöpfend behandelt worden ist. die Frage sei theoretisch
genügend geklärt, ihrer praktischen Auswirkung müsse nunmehr
freier Lauf gelassen werden. Wer jedoch etwas tiefer in den
Gang der Dinge hinein schaut^ wicd sieh nicht verhehlen, daß
eine sichere Eptwicklungsrichuing noch nicht zu verfolgen ist,
daß vor allem hinsichtlich de? Stellung des Kreisarztes im
Rahmen der Kreiswohlfahrbämter, sowie der Frage,
848
Bericht über die XXXIII. Haaptvers&mmlug
Fürsorge vornehmlich durch hauptamtliche Aerzte oder durch
praktische Kollegen im Nebenamt auszuüben sei, die Anschau¬
ungen noch recht schwanken. Aus diesen Gründen erscheint
eine abermalige kurze Besprechung des für uns Kreisärzte so
überaus wichtigen Themas gerechtfertigt.
M. H.l Bei« der Durchführung des Fürsorgegedankens
und der Stellung des Medizinalbeamten hierzu müssen wir
unterscheiden zwischen den großen städtischen und den länd¬
lichen Gemeinwesen; zwischen beiden stehen die Mittelstädte,
die bald mehr jenen, bald mehr diesen in der praktischen
Handhabung der Fürsorge sich zuneigen werden. Das Feld der
Gesundheitsfürsorge in Großstädten zu beackern, ist ein ganz
anderes Ding als in einem Landkreis. Dort die Möglichkeit,
die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt leicht herzustellen,
die Fäden von einer Stelle aus verhältnismäßig sicher zu leiten
und zu übersehen, die Fürsorgemaßnahmen zweckgemäß zur
Durchführung zu bringen, den Konnex mit den einzelnen Ar¬
beitsgruppen ständig aufrecht zu erhalten, mit den ausübenden
ärztlichen Persönlichkeiten in naher Fühlung zu stehen. Hier,
d. h. auf dem Lande, ein räumlich zum Teil sehr weit ausge¬
dehntes Gebiet, das die Zusammenarbeit der einzelnen Für¬
sorgezweige, den Zusammenhang zwischen Fürsorgeorganen
und Hilfsbedürftigen, die Ueberwachung der angeordneten
Maßnahmen, die ärztlich*technische und ärztlich-organisatorische
Durchführung der Fürsorgearbeit so außerordentlich erschwert
und zu mancher Abweichung von bewährten städtischen Me¬
thoden führt, die nur derjenige ganz zu würdigen versteht, der
unter ländlichen Verhältnissen zu arbeiten gezwungen gewesen ist.
Bei der Vielseitigkeit der Pflichten und dem Umfang des
Aufgabenkreises in der Großstadt ist es nur natürlich gewesen,
wenn die Kommunen zur Leitung ihrer Gesundheitsämter sich
eigene, bestgeschulte und erfahrene Persönlichkeiten erwählten,
die ihre Kraft ausschließlich den gesundheitlichen Belangen des
Gemeinwesens zu widmen hatten. Wie weit hier der erfahrene
staatliche Medizinalbeamte, über dessen Eignung zur Leitung
eines Gesundheitsamtes an sich kein Wort mehr zu verlieren
ist, mit dem hauptamtlichen Stadtarzt in Wettbewerb treten
kann, muß ausschließlich nach der besonderen Art der jeweiligen
Persönlichkeiten und Verhältnisse beurteilt werden. Hier lassen
sich m. E. bestimmte Richtlinien nicht aufstellen. Aus der
Tatsache aber, daß eine nicht kleine Reihe von Großstädten
den staatlichen Gesundheitsbeamten auch zu ihren Gesundheits¬
berater erwählt haben, läßt sich einmal der Beweis ableiten,
daß ersterer selbst hier ein großes gemeindliches und staat¬
liches Amt zur Zufriedenheit der Vorgesetzten Behörden zu
verwalten imstande iat, sodann spricht dies besser als alle Worte
dafür, daß jener tatsächlich sich ebensogut für die gedachte
Aufgabe eignet, wie ein hauptamtlicher Stadtarzt. Es wird
viel von den Persönlichkeiten und dem Grad des Vertrauens
abhftngen, das sie in ihrer amtlichen Tätigkeit bei der Korn-
des Preußischen Medizinalbeatatenvereins.
349
munalbehörde zu erringen verstanden haben, ob diese auf sie
bei Besetzung einer leitenden Kommunalarztstelle zurückgreift
oder nicht Daß daneben auch andere, nicht ausschließlich
sachliche, Gesichtspunkte hier eine ausschlaggebende Rolle
spielen können und spielen, ist bekannt; auf sie will ich nicht
näher eingehen.
Eine besondere Bedeutung gewinnt die Frage der Leitung des
Fürsorgewesens für uns Kreisärzte in ländlichen Kommunen,
indem hier nicht selten ein Schwanken, eine gewisse Unsicher¬
heit bemerkbar wird, wenn es die Entscheidung gilt: An¬
stellung eines besonderen hauptamtlichen Kommunalarztes oder
Uebertragung der kommunalärztlichen Geschäfte auf den Kreis¬
arzt im Nebenamt. Der Ausweg aus diesem Dilemma scheint
mir eng verknüpft zu sein mit der anderen Frage: sollen auch
auf dem Lande hauptamtliche Fürsörgeärzte tätig sein,
oder muß das Bestreben dahin gehen, ihre Anstellung tunlichst
einzuschränken, dafür die praktischen Kollegen an der gesamten
Fürsorgearbeit zu beteiligen, bezw. sie durch diese allein aus¬
üben zu lassen. Auf diese Frage will ich zuerst kurz eingehen.
In Weimar, m. H., wurde als vierter Leitsatz folgendes
beschlossen: „Die Heranziehung von nicht beamteten Aerzten
zu den Aufgaben der sozialen Fürsorge ist durch ihre An¬
stellung als Fürsorgeärzte möglichst zu fördern“.* Die Verwirk¬
lichung dieser Forderung ist m. E. ein unabweisliches Bedürfnis.
Ohne die weitgehende Mitarbeit der prakt. Aerzte ist auf dem
Lande eine wirklich ersprießliche Fürsorge nicht zu betreiben.
Wir haben es, m. H., im Saalkreis erfahren,* was es hieß, als
eines Tages die Aerzteschaft infolge eines unglücklichen Mi߬
verständnisses erklärte: von morgen ab wird jede Fürsorgearbeit
eingestellt. Wochenlang ruhte die Tuberkulosefürsorge, die
Säuglingsfürsorge fast ganz, teilweise die Schul- und die
Krüppelfürsorge, und es traten sehr ungemütliche Zeiten ein.
Der Kreis war nahe daran, zu der vorhandenen Kreiskommunal¬
ärztin ein bis zwei weitere hauptamtliche Aerzte anzustellen,
und auf die Mitarbeit der prakt. Aerzte ein für allemal zu ver¬
zichten. Ich riet dringend ab, da ihre Tätigkeit schließlich,
um mit einem technischen Ausdruck zu reden, „leer laufen“
mußte. Was hätte es uns genützt, wenn wir in einigen Orten
z. B. Tuberkulosefürsorgestellen eingerichtet, die Aerzte aber
keine Kranken gesandt, ja diese vielmehr abgehalten hätten,
die Stellen aufzusuchen? Die wenigen, die von selbst gekommen
wären, hätten die Anwendungen an Zeit und Kosten nicht im
entferntesten gelöhnt. Was wäre ferner aus der Schulfürsorge
geworden, wenn diese sich in der Hauptsache auf die bloße
Untersuchung der Kinder hätte beschränken müssen, während
ärztliche Behandlung der gefundenen Mängel wahrscheinlich
nur in geringem Umfang stattgefunden hätte? Wir atmeten
auf, als dieser Aerztestreik beigelegt wurde. Aber auch ohne
Streik kann z. B. die Schulfürsorge auf dem Lande m. E. ohne
verständnisvolle Mithilfe der prakt. Kollegen, der sog. „Heil-
350
Bericht Ober die XXXIII. Hauptversammlung
ärzte“ nicht recht gedeihen. Eine ausreichende Kontrolle der
Ueberwachungs8chüler vermag z. B. doch nur jemand auszu¬
üben, der die Kinder oft genug zu sehen und zu untersuchen
Gelegenheit hat, und nicht derjenige, der erst durch eine Tages¬
reise mit vielen Kosten von den Kindern und deren Ange¬
hörigen aufgesucht werden muß. Auch wenn einzelne Aerzte
aus irgend einem Grunde mit der Persönlichkeit des haupt¬
amtlichen Schularztes nicht einverstanden sind, kann die Sache
nur schlecht gefördert werden. So klagte unsere Kommunal¬
ärztin, die vornehmlich bisher die Schularzttätigkeit in geradezu
vorbildlicher Weise ausübte, wiederholt, sie sehe keinen Nutzen
ihrer Mühe, da anscheinend ein Teil der prakt. Aerzte mit ihr
nicht Hand in Hand arbeiten wolle und die Durchführung der
Heilmaßnahmen ablehne. Daß die Aerzte mit der Art der
heutigen Fürsorgetätigkeit überhaupt nicht überall zufrieden
sind, habe ich in einer größeren Aerzteversammlung in Halle
persönlich zu erfahren Gelegenheit gehabt, auf der bitter darüber
- geklagt wurde, die prakt. Aerzte bekämen in der Stadt keinen
kranken Säugling, keinen Tuberkulösen mehr zu sehen, alles
liefe in die Fürsorgestelle; eine völlige Neugestaltung des Für¬
sorgewesens sei unbedingt zu verlangen. Es liegt gewiß etwas
richtiges in der eben gehörten Behauptung, wenn auch viel¬
leicht die prakt. Kollegen selber nicht ganz schuldlos an der
Entwicklung der Dinge sein dürften. Jedenfalls sind wir im
Saalkreis dazu übergegangen, alle Kollegen auf allen Ge¬
bieten der Fürsorge praktisch mitarbeiten zu lassen, auf Grund
eines Kollektivvertrages mit der Aerzteorganisation, der für
alle Mitglieder derselben bindend sein soll. Es ist selbstver¬
ständlich für die Leitung eines Gesundheitsamtes erheblich
einfacher, wenn nur hauptamtliche Kräfte in der Arbeit stehen,
die zweifellos in mancher Beziehung durch jene auch kräftiger
gefördert werden kann. Es muß aber nach meiner Auffassung
des Fürsorgewesens unser Bestreben dahin gehen, dieses aus
der Monopolstellung, die es inne hat und in die es gewisser¬
maßen hineingedrängt ist, wieder zu einem freien Betätigungs¬
feld für sämtliche Aerzte zu machen, die freilich erst noch
mancher Vervollkommnung und fachlicher Erziehung bedürfen,
ehe sie überall und auf allen Gebieten Vollwertiges leisten
werden. Sie dazu zu erziehen, ist Sache ihrer Ausbildung, die
nach der sozialhygienischen Seite hin vertieft werden muß,
was im Rahmen des 'bisherigen Ausbildungsganges durchaus
möglich ist. So kann ich es von meinem Standpunkt aus auch
nur beklagen, wenn in einer Großstadt nebenamtlich tätige
Schulärzte gekündigt worden sind; nach meiner Auffassung
müßte man auch hier allen Kollegen, die Verständnis, Können
und ernstes Wollen mitbringen, Gelegenheit zur Mitarbeit geben.
Doch ich will mich nicht weiter hiermit befassen, sondern nur
noch einmal betonen, daß auf dem Lande die Kollegenschaft
tunlichst lückenlos für den Dienst in der Wohlfahrtspflege ge¬
wonnen werden muß. Sie muß dafür zeitgemäß honoriert
des Preußischen Medizinalbeamtenrereins.
361
werden, eine Forderung, an der ihre Mitarbeit hier und da
scheitern kann und wird. Es sollten daher die Honoraransprüche
immer unter dem Gesichtspunkt gestellt werden, daß es sich
um eine nebenamtliche wohlfahrtliche Betätigung handelt,
bei der nicht jede einzelne Leistung ihre volle materielle Ab-
§ eltung findet. Teurer wird natürlich einer Kommune dieses
ystem, aber es zeitigt auf die Dauer nutzbringendere Ergebnisse.
Wenn nun diese Forderung restlos oder zum größten Teil
erfüllt wird, so würde man nur noch in der Zentrale, d. h. im
Kreis wohlfahrts- oder Kreisgesundheitsamt einer leitenden
Stelle bedürfen, welche die Außenarbeit organisatorisch und
technisch leitet, die Durchführung der Fürsorgemaßnahmen
veranlaßt, daneben für den Kreisausschuß und die anderen Ab¬
teilungen des Kreiswohlfahrtsamts Berater und Mitarbeiter ist.
Zur Ausübung dieser Tätigkeit dürfte nach meiner Ueberzeugung
der Kreisarzt in fast allen Landkreisen, sofern er nur die nötige
Arbeitsfreudigkeit und geistige Beweglichkeit besitzt, in erster
Linie in Frage kommen. Ob er sie als Kreiskommunalarzt im
Nebenamt oder ohne diese größere Bindung an die Kommune,
einfach als Leiter der Gesundheitsabteilung oder des Kreisge¬
sundheitsamts wahrnimmt, ist ziehmlich gleichgültig und hängt
von den jeweiligen Wünschen des betreffenden Kreistages bezw.
eigenen Wünschen ab. Einer Kommunalisierung der Medizinal¬
beamten bedarf es zur sachlichen Erfüllung der gedachten Auf¬
gabe keinesfalls; wo sie gefordert wird scheinen mir die Gründe
durchaus nicht zwingend zu sein und den Erfahrungen der
Praxis nicht ganz zu entsprechen.
Die praktische Mitarbeit des Kreisarztes in der Für¬
sorge wird sich je nach dem Umfang der amtlichen Geschäfte
und der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, sowie nach seiner
persönlichen Eignung und Neigung für ein bestimmtes Fürsorge¬
gebiet zu richten haben. Es gibt Kreise, in denen er aus¬
schließlich die gesamte Fürsorgearbeit leistet, z. B. in der
Provinz Sachsen in den Kreisen Salzwedel und Heiligenstadt.
Nach den eben gemachten Ausführungen über die Mitarbeit
der Aerzte möchte ich aber empfehlen, auch dort, wo er an
und für sich die ganze Fürsorgearbeit allein zu bewältigen sich
imstande fühlt, diese Last nicht auf sich zu nehmen, sondern
die Kollegen mit heranzuziehen und sich auf die bloße Mit-*
arbeit zu beschränken. Nur wenn die Aerzte jegliche Betei¬
ligung ablehnen sollten, was bei einem guten Verhältnis zwischen
ihnen und dem Kreisarzt kaum Vorkommen dürfte, wäre er
m. E. zur alleinigen Wahrnehmung der ärztlichen Fürsorge
berechtigt. Erwähnen möchte ich hier, daß es mir nicht richtig
dünken würde, wenn er berechtigte Honorarforderungen der
Kollegenschaft für ihre Mitarbeit, die die Kommune nicht be¬
willigen zu können angibt oder nicht bewilligen will, durch sein
Einspringen hintertreibt. M. E. muß er hier auf begründete
und erfüllbare Forderungen der Aerzteschaft in objektiver
Weise Rücksicht nehmen.
852 Bericht über die XXXTTI. Hauptversammlung
Ich bin also der Ansicht, daß, soweit es sich ausschlie߬
lich oder in der Hauptsache um die Leitung der Kreisgesund-
heitslürsorge handelt, es hier zu der Anstellung besonderer
Kreiskommunalärzte in den meisten Kreisen nicht bedarf. Der
Kreisraedizinalbeamte ist vielmehr die gegebene Persönlichkeit
zur Übernahme dieser Stellung. Es kann hier eingewendet
werden: wie kommt es denn, daß diese Erkenntnis teilweise
noch eine recht einseitige ist, daß die andere Seite von ihrer
Richtigkeit noch garnicht so ganz überzeugt zu sein scheint,
da sonst viel häufiger als bisher die Verbindung zwischen
Kreisarzt und Kreiskommunlarzt anzutreffen sein müßte? M. H. 1
Die Eignung des staatlichen Gesundheitsbeamten zur Leitung
von Gesundheitsämtern ist bisher leider fast ausschließlich aus
dem eigenen Lager verkündet worden; diese Art der Beweis¬
führung besitzt keine durchschlagende Werbekraft. Es wäre
sehr erwünscht, wenn größere Kommunen mit bestehender
Personalunion beider Stellen von sich aus ihre diesbezüglichen
Erfahrungen in geeigneter Weise der Oeffentlichkeit zugänglich
machten. Die- Zahl solcher Verwaltungen ist ja nicht ganz
klein. Ich habe aus dem Rapmundschen Verzeichnis der
preußischen Medizinalbehörden und -Beamten für 1922 mir die
Kollegen zusammengezählt, die nebenamtlich Stadt- bezw. Kreis¬
kommunalärzte sind und die Zahl 44 erhalten, also eine nicht
ganz unbeträchtliche Ziffer, die sicher eine Mindest Ziffer dar¬
stellt. Im Regierungsbezirk Schleswig sind von 15 Kreisärzten
9 zugleich im Kommunalgesundheitsdienst leitend tätig, ähnlich
im Regierungsbezirk Düsseldorf, der eigentlichen Wiege der
Kreiskommunalärzte, von 26 Medizinalbeamten 10. In gleicher
Weise habe ich die Ziffer der besonderen hauptamtlichen Stadt-
und Kreiskoromunalärzte festgestellt und gleichfalls die Zahl
44 erhalten; auch sie dürfte eine Mindestziffer sein. Immer¬
hin geht m. E. aus diesen beiden Zahlen hervor, daß die An¬
schauung, der man immer wieder begegnet und die von man¬
chen Seiten nicht laut genug verkündet werden kann, die An¬
stellung von besonderen Kreiskoromunalärzten mache Riesen¬
fortschritte, während die Kreisärzte ständig stärker ins sozial¬
hygienische Hintertreffen gerieten, doch nicht ganz zutreffend sein
dürfte. Und wenn behauptet wird, die weitere Entwicklung
dränge mit Naturnotwendigkeit auf ein derartiges Ueberwiegen
der sozialhygienischen Aufgaben der Kommune hin, daß nur
vollbesoldete hauptamtliche Kommunalbeamte ihnen gerecht zu
werden vermöchten, und daß der Kreisarzt, will er seine Stel-
tung und seinen Anteil an dem Wachsen und Werden wahren,
selber zum Kommunalbeamten sich wandeln müsse, so kann
ich bei nüchterner Betrachtungsweise der Dinge nichts von
dieser vermeintlichen Notwendigkeit wahrnehmen. Ja, ich habe
nach persönlichen Erfahrungen, zu denen ich auch Erzählungen
und Berichte von Fachkollegen rechne, das Gefühl, daß auch
dort, wo in einer Kommune auf dem einen Stuhl ein älterer
erfahrener und tüchtiger Kreisarzt, auf dem andern ein gleich-
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
368
falls nicht mehr junger und bewährter Kreiskommunal- oder
Stadtarzt sitzt, der erstere, d. h. der Kreisarzt, nicht selten als
Berater und Gutachter höher eingeschätzt zu werden scheint
als der letztere. Aber es wird auch, seien wir nur bescheiden
und ehrlich, umgekehrte Fälle geben 1 Natürlich soll den Ge¬
meinden ihr gutes Recht gewahrt bleiben, dafür, daß sie ihr
gutes Geld bezahlen, sich einen Beamten ihres Geschmacks aus¬
zusuchen, einen Mann, von dessen Qualitäten sie sich selbst
überzeugt haben, wie Herr Bürgermeister Luppe in Nürnberg
in einem Artikel in der „Sozialen Praxis“ ausgeführt hat. Ich
meine, die Kommunen haben keine vollkommenere Gelegenheit,
sich über die Qualitäten eines Anwärters für den Stadtarzt¬
oder Kreiskommunal-Arzt-Posten klarzuwerden, als sie ihnen
die kritische Würdigung der gesamten Tätigkeit des staatlichen
Gesundheitsbeamten bietet. Kommen sie hierbei zu der Ueber-
zeugung, daß er ihnen nicht die gewünschten Garantien für eine
fördersame Amtsführung auf dem Gebiet der kommunalen Ge¬
sundheitsfürsorge bietet, so mögen sie sich ruhig die Persönlich¬
keit holen, die ihnen zusagender ist. Gr wird auch in der Er¬
füllung seiner staatlichen Aufgaben ein voll gerüttelt und ge¬
schüttelt Maß Arbeit übrig behalten; freilich dürfen jene
nicht in dem Ausmaß in den Bereich der kommunalen Ge¬
sundheitsämter hineingezogen werden, wie es Herr Kollege
Bürgers, Stadtarzt in Düsseldorf, in seinem Artikel „Notwendig¬
keit und Organisation städt. Gesundheitsämter“ wünscht, in
welchem er dem Kreisarzt herzlich wenig von seinen Pflichten
läßt. M. H. Soll ein gedeihliches Zusammenarbeiten zwischen
Kreis- und Kommunalarzt stattflnden, was durchaus nötig ist,
so müßen gewisse Grenzen des Tätigkeitsbereichs von beiden
Seiten respektiert werden 1
Was bleibt nun für den Kreisarzt zu tun übrig, wenn er
bei der Wahl eines Kommunalarztes übergangen wird, oder aus
besonderen Gründen sich für eine solche nicht zur Verfügung
stellen zu können glaubt? Nach meinem Dafürhalten muß er
entweder, da er sich dem Kreiskommunalarzt dienstlich nicht
unterstellen kann, auf jede Mitarbeit in der Fürsorge verzichten
und sich lediglich bemühen, in eine kollegiale Arbeitsgemein¬
schaft mit ihm zu treten; oder er muß, falls ihm die Ausübung
bestimmter Fürsorgetätigkeit angetragen wird, sich für dieses
Gebiet absolute Unabhängigkeit vom Kreisausschuß zusichern
lassen. So geschah es nach der Revolution im Saalkreis: Der
Kreisausschuß wollte von vornherein einen bestimmten Arzt
einer bestimmten Parteirichtung als Kreiskommunalarzt haben;
trotzdem reichte auch ich ein Gesuch ein, das natürlich nicht
Erfolg hatte. Dafür wurde mir in Anerkennung meiner bisheri-
§ en Tätigkeit die schon bis dahin von mir ausgeübte Leitung
er Tuberkulose- und Säuglingsfürsorge übertragen mit der Zu¬
sicherung völliger Selbständigkeit auf diesem Fürsorgegebiet,
so daß ich keine Bedenken zu tragen brauchte, diese Tätigkeit
weiter auszuüben. Es gibt noch einen dritten Ausweg: Den
364
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
Kreiskommunalarzt dem Kreisarzt, der die Leitung der Für¬
sorge handhabt, dienstlich zu unterstellen, wie es in einzelnen
Kreisen, z. B. in Jerichow II und z. Zt. im Saalkreis, geschieht.
Dieser Ausweg wird naturgemäß auch nur unter besonderen
Verhältnissen beschritten werden können.
Sehr bedeutungsvoll hinsichtlich der für die Leitung des
Kreisgesundheitsamts bezw. die Stelle eines Kreiskoramunal-
arztes zu wählenden Persönlichkeit ist, m. H., die Haltung der
ärztlichen Organisation. Besteht in einem Kreise eine
festgefügte, geschlossene Standesvertretung unter zielbewußter
Leitung, und versteht es der Kreisarzt, sich mit ihr in ein gutes
Einvernehmen zu setzen, so hat er an ihr einen sehr erheblichen
Rückhalt gegenüber der Kommune. Sie sollte im Hinblick auf die ab¬
solut notwendige Zusammenarbeit zwischen Kreiskommunalarzt
und Aerzteschaft vom Kreisausschuß verlangen, vor der Wahl eines
Kommunalarztes bezw. der Regelung des Fürsorgewesens gehört
zu werden. Diese Forderung durchzusetzen, ist sie stets in der
Lage. Meist wird ja eine gütliche Vereinbarung in irgend einer
Form zustande kommen; so ist z. B. im Saalkreis der Vor¬
sitzende des Aerztevereins Mitglied des Arbeitsausschusses des
Kreiswohlfahrtsamts geworden, in dem auch die Anstellung von
Kommunalärzten vorberaten wird. Er kann nun sehr wohl dem
Vorsitzenden des Kreisausschusses gegenüber die Wünsche der
Aerzteschaft hinsichtlich der Frage der ärztlichen Leitung des
Fürsorgewesens, der etwaigen Bestellung eines besonderen
Kommunalarztes und der zu wählenden Persönlichkeit mit dem
nötigen Nachdruck äußern und auf Beachtung seiner be¬
gründeten Vorschläge rechnen. Jedenfalls besteht hier ein
Weg, dem Kreisarzt, der sich nioht selber für eine bestimmte
Stellung vorschlagen kann oder will, u. U. die Pfade zu ebnen.
Es kann daher nicht dringend genug auf die Zweckdienlichkeit
eines persönlichen guten Einvernehmens zwischen Medizinalbe¬
amten und Aerzteschaft hingewiesen werden. Wenn auch jede
Kommune sich selbstverständlich völlige Unabhängigkeit in
ihren endgültigen Beschlüssen wahren wird, so kann durch die
etwaigen Anregungen, die ihr von einer geschlossenen Aerzte¬
schaft gegeben werden, unter Umständen die Sache nur ge¬
fördert und geklärt werden.
M. H. I Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen,
ohne noch zu einer etwas abseits liegenden Frage Stellung zu
nehmen, die Herr Kollege Christian, der frühere bekannte
Mitherausgeber der leider eingegangenen »Concordia“ und
jetzige Leiter des sozialhygienischen Seminars an der Charlotten¬
burger Akademie in einem Aufsatz, betitelt: »Das hygienische
Studium" in der Münch. Med. Wochenschrift behandelt hat.
Er kommt hier nach eingehenderen theoretischen Erörterungen
über die Ausbildung der »Heilärzte" und Medizinalbeamten, zu
welch letzteren er auch die in kommunalen Stellungen be¬
findlichen Kollegen rechnet, zu dem praktischen Vorschlag,
daß nach dem Vorexamen drei Semester dazu bestimmt werden,
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
866
die Einarbeitung in die klinischen Fächer zu übernehmen.
Vom 8. Semester an sollte sich aber der Ausbildungsgang
§ abein in der Weise, daß die späteren Heilärzte den bisherigen
tudiengang fortsetzen, die späteren Hygieniker (Sozialärzte,
Verwaltungsmediziner, Medizinalbeamte) die letzten 3 Semester
ausschließlich hygienischen Fächern, vornehmlich der Be¬
schäftigung im sozialhygienischen Seminar widmen sollten. Er
will hierdurch „den jetzigen ungesunden Zuständen“ ein Ende
gemacht und Klarheit für Vorbildungsanforderungen der Medi-
zinalbearaten geschaffen sehen. M. H.l So manche treffende
Bemerkung auch sein Aufsatz enthält, so meine ich doch, daß
wir staatlichen Medizinalbeamten uns gegen seinen Vorschlag
mit ganzer Energie wehren müssen. Es ist eigentlich ver¬
wunderlich, daß dieser Artikel in unseren Kreisen so wenig
Beachtung und Ablehnung erfahren hat; nur der bekannte
bayrische Kollege Obermedizinalrat Dr. Oraßl hat in kurzen
treffenden Ausführungen den Vorschlag Christians als „prin¬
zipiell und technisch verfehlt“ bezeichnet. Ich meine, daß
gerade der staatliche Medizinalbeamte, diese Vertrauensperson
für staatliche, kommunale und private Behörden und Körper¬
schaften, unter keinen Umständen schlechter beschlagen sein
darf, als sein praktischer Kollege, und auch auf dem Gebiet
der allgemeinen Medizin jederzeit auf .der Höhe stehen muß.
Freilich will Christian ihm schließlich alles nehmen, was mit
der praktischen Medizin noch irgendwie im Zusammenhang
steht, und ihn dafür zu einem reinen Gesundheitswirschaftler
und -Politiker, also zu einer Art Gesundheitsjuristen oder juri¬
stischen Mediziners machen. Vor allem soll ihm neben der
gerichtsärztlichen auch die vertrauensärztliche Tätigkeit völlig
unterbunden werden, die den praktischen Aerzten zu über¬
lassen sei, da Atteste schreiben jeder Arzt könnte. Ich möchte
mir hierzu einige Bemerkungen erlauben. Ganz abgesehen
davon, daß die Fälle wirklich nicht selten sind, in denen ein
Antragsteller von seinem Arzt, der das betreffende Attest ohne
weiteres ausstellen könnte, direkt zum Kreisarzt zwecks Ab¬
gabe desselben geschickt wird, glaube auch ich, daß die prak¬
tischen Kollegen gemäß ihrer Vorbildung das Ausstellen von
Attesten mit der Zeit in gleicher Weise erlernen würden, wie
wir Kreisärzte es haben lernen müssen. Denn zum Ausstellen
eines guten Attestes gehört nicht nur Wissen, sondern vor
allem Erfahrung und Uebung; deshalb wird auch nicht dadurch
ein Attest brauchbar, daß es ein Kreisarzt als solcher aus¬
gestellt hat — es wird ja auch über manches schlechte kreis¬
ärztliche Attest geklagt —, sondern meist erst dann, wenn
letzterer im Laufe der Jahre sich den gehörigen Schatz von
Erfahrungen gesammelt und die erforderliche Uebung angeeignet
hat. Aber auch dies genügt noch nicht; vielmehr kann, wie
in unseren Kreisen vollauf bekannt, nur ein von der Praxis
völlig unabhängiger Arzt stets auch ein völlig objektives Gut¬
achten erstatten. Daß dem so ist, geht schon aus der täg-
366
Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung
liehen Erfahrung hervor, daß jetzt selbst private Vereinigungen
in zunehmendem Maße Atteste über Angestellte von dem staat¬
lichen Gesundheitsbeamten verlangen, die früher von den prak¬
tischen Kollegen ausgestellt wurden. Soll also künftig die ver¬
trauensärztliche Tätigkeit zum großen Teil auf die Aerzteschaft
übertragen werden, so könnte dies nur an praxisfreie Aerzte
geschehen; andernfalls glaube ich, daß Behörden und öffentlich-
rechtliche Körperschaften sich auf die Dauer mit dieser Aende-
rung nicht einverstanden erklären würden. Es würde eine
Lücke in unserem Rechtsstaat sich auftun, die wieder geschlossen
werden müßte, und zwar nur dadurch, daß man wieder auf den
verpönten praxislosen Medizinalbeamten zurückgriffe.
Im übrigen ist es mir sehr zweifelhaft, ob es überhaupt
rechtlich zulässig wäre, den Kreisarzt von der vertrauensärzt¬
lichen Tätigkeit gänzlich auszuschließen, sie ihm zu verbieten.
Man könnte m. E. lediglich die praktischen Kollegen für gewisse
Gebiete als gleichberechtigte Konkurrenten zulassen, womit aber
in der Praxis fast alles beim alten bleiben würde.
M. H.l Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, der Ver¬
wirklichung der Gedanken, wie sie in demVorschlagChristians
zum Ausdruck kommen, mit aller Kraft uns entgegenzustellen.
Was sich aus der durch Verhältnisse und Zeiten bedingten
zwangsläufigen Entwicklung von selbst ergibt, wollen wir gern
hinnehmen, uns aber nicht in eine Wandlung drängen lassen,
die mehr aus theoretischen und etwas akademisch anmutenden
Ueberlegungen, als aus wirklicher Facherfahrung und prak¬
tischen Bedürfnissen entsprossen ist. Für einen großen Fehler
würde ich es halten, wenn der staatliche Medizinalbeamte von
der Stammütter seines geistigen Wesens, seines Wissens und
Könnens, der allgemeinen Heilkunde, auch nur um Haaresbreite
abgedrängt würde; soll eine Vertiefung in den Spezialdisziplinen
des Hygienikers erfolgen, — und diese Notwendigkeit soll nicht
bestritten werden — so könnte dies am ehesten während des
praktischen Jahres geschehen, in dem denjenigen angehenden
Aerzten, die die staatliche Medizinalbeamtenlaufbahn später
einschlagen wollen, zur Pflicht gemacht wird, jenes zu einem
Teil an einer der drei Akademien, zum anderen Teil an größeren
Stadt- oder Kreisgesundheitsämtern abzuleisten. Ob der kom¬
munale Verwaltungsmediziner und Fürsorgearzt für seinen
Teil mit der von Christian vorgeschlagenen Aenderung seiner
Ausbildung einverstanden ist, darüber haben wir hier nicht zu
befinden. Jedenfalls halte ich es für eine Pflicht des Preußischen
Medizinalbeamten-Vereins, auch zu dieser Frage unzweideutig
Stellung zu nehmen, um so bei Zeiten der Vollendung einer
Tatsache vorzubeugen, vor die wir uns eines Tages zu unserer
Ueberraschung gestellt sehen könnten. Auch bin ich der An¬
sicht, daß aus den Kreisen der staatlichen Medizinalbeamten
selber die Anregung zu derartigen einschneidenden Aenderungen
erfolgen müßte und würde, wenn sie als notwendig empfunden
würden, denn sie sind wohl die berufensten Beurteiler der
des Preußischen Medizin&lbeamtenyereins. 867
eigenen Belange, die zugleich denen der Allgemeinheit Bich
weitgehend angleichen.
M. H. 1 Ich stehe am Schlüsse meiner Ausführungen, die
dem Zweck dienen sollten, eine erneute Besprechung des immer
noch aktuellen Themas: „Kreisarzt und Fürsorge“ einzuleiten.
Sie werden nicht alle mit allem einverstanden sein, und es ist
ja ohne weiteres zuzugeben, daß auch auf anderen Wegen und
in anderem Gewände zum gleichen Ziel marschiert werden kann;
wie denn überhaupt immer je nach den örtlichen Verhältnissen
die Bauausführung mehr oder weniger variiert werden muß.
Nur die Forderung müssen wir unentwegt erheben, daß bei
dem weiteren Ausbau unseres öffentlichen Gesundheitswesens
in der Richtung einer verstärkten Gesundheitsfürsorge das neu
zu Schaffende in organische Verbindung mit Altbewährtem ge¬
bracht wird, solange nicht der unumstößliche Beweis geliefert
ist, daß das alte Fundament keine tragfähige Fläche für das
neue Gebäude mehr bietet. An uns wird eB liegen, durch
die Tat zu beweisen, daß wir auch erweiterten Aufgaben und
neuen Pflichten gerecht zu werden vermögen.
(Lebhafter Beifall!)
Die Leitsätze hierzu sind folgende:
1. Die Wahl des Leiters des Gesundheitsfürsorgewesens in
Groß- und Mittelstädten muß sich ausschließlich nach den
örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen richten; es ist
aber auch hier nach den Erfahrungender Praxis möglioh,
den staatlichen Medizinalbeamten im Nebenamt mit der
Leitung zu betrauen.
2. Der Kreisarzt ist in allen Landkreisen der gegebene
Leiter der Gesundheitsabteilung des Kreiswohlfahrtsamtes,
oder des selbständigen Kreisgesundheitsamtes, sei es in
der Form des nebenamtlichen Kreiskommunalarztes, sei
es lediglich als Leiter des Fürsorgewesens, Berater und Mit¬
arbeiter des Kreisausschusses bezw. des Kreis Wohlfahrtsamtes.
3. In Landkreisen ist zur ausübenden Fürsorge auf allen
Gebieten in erster Linie der prakt. Arzt berufen, erst in
zweiter Linie kommt die Anstellung von hauptamtlichen
Fürsorgeärzten in Frage.
4. An der praktischen Fürsorge soll sich der Kreisarzt prin¬
zipiell nur in beschränktem Umfang neben anderen Aerzten
beteiligen und zwar auch in solchen Kreisen, in denen er an
und für sich in der Lage wäre, erstere allein zu leisten.
5. Der Kreisarzt hat mit der Aerzteorganisation seines Kreises
in allen prinzipiellen Fürsorgeangelegenheiten enge
Fühlung zu halten.
6. Die Abtrennung der vertrauensärztlichen Tätigkeit von
dem Amte des Medizinalbeamten und Uebertragung auf
die praktischen Aerzte erscheint nicht zweckmäßig.
360
Besprechungen.
räte haben es sich außerordentlich bequem gemacht, indem sie 20—25000 M.
dem Kreisarzt geben, wenn er Kreiskommunalarzt ist, wofür er aber denn
auch die ganze Impfung zu besorgen hat. Das ist ein Zastand, der nicht
haltbar ist. Ich bin für rege Mitarbeit der praktischen Aerzte. Eine Ver¬
rechnung des Impfbonorars darf aber nicht stattfinden. Dem betreffenden Arzt
muß in den einzelnen Kreisen die Impfang bleiben, sonst schafft man nur
Feindschaft.
Dr. Hutwein: Ich bin anfs Entschiedenste dafür, daß der Kreisarzt
nicht nur im Landkreise, sondern auch im Stadtkreise nur der Leiter der Für¬
sorge Ist. Ich glaube, daß der Kreisarzt im Landkreise nicht *die Möglichkeit
hat, die ausübende Fürsorge so zu betreiben, wie es erforderlich ist. Ich möchte
weiter unterstreichen, daß der Kreisarzt sich in enge Fühlungnahme mit der
Aerzteorganisation stellt, denn überall sind die Aerzte stark organisiert. Dann
ist es auch erforderlich, daß der Vorsitzende der örtlichen Organisation heran¬
gezogen wird.
Dr. Fewson: Es ist nicht schwer Richtlinien zu geben. Ich habe die
Sache sehr kurz gemacht. Wenn Sie eine hauptamtliche Position im Kommunal*
dienst einnehmen, so bringt das in Gruppe 12 so und soviel Mark. Ich habe
das Dezernentengehalt von 105000 M. Ziehe ich von diesem mein Kreisarzt¬
gebalt ab, so bleibt der Rest für meine Bezahlung als Kommunalarzt. In
Landkreisen läßt sich das auch so machen. Entschädigung nach Gruppe 12
— unter 11 gibt es ja keinen. Ich ziehe davon das Gehalt des Kreisarztes
ab, der Rest ist für den Kommunalarzt.
Dr. Bundt: Das ist aber doch bedenklich, denn schließlich muß ein
Kreisarzt bei Erhöhung der staatlichen Besoldung, z. B. auf Gruppe 12, die
kommunale Tätigkeit noch umsonst leisten.
Hierauf wird in die Allgemeine Aussprache über
die amtliche Stellung und wirtschaftliche Lage
der Medizinalbeamten eingetreten, über die keine Nieder¬
schrift und Bekanntgabe der Einzelheiten gewünscht wird. —
Danach wurde die Versammlung vom Vorsitzenden ge¬
schlossen.
Besprechungen.
Dritter Jahresbericht des Landeegesundheltzamtee Aber das Ge¬
sundheitswesen in Saohsen für die Jahre 1914—1918. Dresden 1921.
Der vorliegende Jahresbericht umfußt die Kriegejabre, er mnßte (ähnlich
wie der für Preußen) mit Rücksicht auf die Kosten kurz gefaßt werden. Aus
dem reichen, den Statistiker und Arzt besonders interessierenden Inhalt Bei nur
folgendes kurz hervorgehoben. Die Geburtenziffer sank im Jahre 1917 als dem
ungünstigsten Jahre auf 52721 (gegenüber 127482 im Jahre 1913). Die un¬
günstigen Wirkungen des Krieges auf die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse
machen sich besonders beim Mittelstände, weniger bei den Arbeitern bemerkbar.
Typhus, Ruhr und Pocken stiegen wesentlich an. Die lnflaenza wurde im
Jahre 1918 zu einer weit verbreiteten, bösartig verlaufenden Epidemie. Die
Bevölkerungsziffer erfnbr von 1914 bis 1918 einen starken Rückgang. (Ge¬
burtenüberschuß im Jahre 1313: 54473, im Jahre 1918 ein Ueberschuß
der Gestorbenen über die Lebendgeborenen von 25250).
In einem Anhang sind genauere statistische Tabellen enthalten, auch
fioden hier die während der Berichtszeit erlassenen Gesetze und Verordnungen
von sanitärer Bedeutung Erwähnung. Solbrig.
Bericht Aber die zweite Tagung Aber Psychopathenfürsorge Köln a. Btu
17. nnd 18. Mai 1921. Berlin 1921, Verlag von JuliuB Springer.
98 8. Pr. 16 M.
Auf dieser bemerkenswerten Tagung wurden eine Reihe interessanter
Vorträge von Persönlichkeiten verschiedener Berufsstände, die auf dem Gebiete
der Psychopathenfürsorge tätig sind, gehalten. Als Ergebnis kam eine Ent¬
schließung zustande, die folgende Forderungen stellte: \
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
869
Kursus von 4—6 Wochen dorchmachen. Die Führung müßte der Kreisarzt
natürlich behalten.
Dr. Simon: Stadt- and Landkreis sind zweierlei and es ist außer¬
ordentlich leicht, wie es Herr Dr. Wollenweber in Dortmund hat, and
außerordentlich schwer bei unserem durchaus ausgedehnten Landkreis. Da
ist es ungeheuer schwer das richtige za finden. Ich maß vollkommen Herrn
Dr. flillenberg zustimmen, wir müssen die praktischen Aerzte als Mit¬
arbeiter haben und nur einen kleinen Teil der auszuübenden Fürsorge selbst
haben. Wenn wir uns hinstellen und sagen, wir wollen nur die Leitung haben,
lassen sich das* die praktischen Aerzte wieder nicht bieten. Wir müssen einen
Teil übernehmen, aber im eniren Anschluß an die Tarife, die von dem Zweck-
verband aufgestellt sind. Eine Frage habe ich nie richtig beantwortet ge¬
funden: Wie sollen wir bezahlt bekommen i Dafür müssen wir Bichtlinien
haben. Deshalb möchte ich gern, daß von hieraus Bichtlinien gegeben werden.
Deshalb schlage ich vor, daß in Kreisen bis zu 600U0 der Kreisarzt für seine
Tätigkeit, die z. T. ausübend, z. T. leitend ist, die Hälfte der Qruppe 10, in
Kreisen von 60000 bis 100000 die Hälfte der Qruppe 12 und über 100000 die
Hälfte der Qruppe 16 bekommt.
Dr. Bundt: Es kommt bei der Bemessung des Honorars auf die ein¬
zelnen Kreise an. Ich glaube, diesen Punkt, Über die Höhe und die Bicht¬
linien der Entlohnung, müssen wir heute fallen lassen, das müssen wir einer
späteren Zeit überlassen. Da müßte, glaube ich, erst einmal eine Bandfrage
gemacht werden. Es ist das eine rein wirtschaftliche Sache des Vertretertages.
Dr. Neubelt: Ich habe die Fürsorge im Kreise. Ich schreibe nicht ein
einziges Bezept, gebe nicht einen einzigen Batscblag. Jeder Taberkulöse wird
dem betreffenden Arzt zugewiesen, ebenso die krank befundenen Säuglinge.
Wenn man so handelt, kann man sehr wohl mit praktischen Aerzten aaskommen.
Dr. Manthey: Die Bezahlung muß durch die Aerzteorganisationen fest¬
gesetzt werden. Die Bezahlung von 50 Mk. pro Doppelstunde ist nicht so
schlimm. Ein hauptamtlicher Kommunalarzt wird teurer. Ich kann die Für¬
sorge überhaupt nicht wahrnehmen. Die Kreisfürsorge muß als leitendem
Arzt dem Kreisarzt unterstellt werden.
Dr. Herfurt: Ich halte es für richtig, daß der Kreisarzt sich auch in
den Landkreisen mit an der Fürsorge beteiligt, aber nur zu einem Teil. Ich
stehe nicht auf dem Wollenweber sehen Standpunkt. Es ist das in seinem
Kreise vielleicht anders. Ob die praktischen Aerzte, die an der Fürsorge
beteiligt sind, das leisten können, weiß ich nicht. Es ist nötig, sich durch
eigene Mitarbeit zu orientieren und zu helfen, daß die Arbeiten so ausgeführt
werden, wie sie müssen.
Dr. Kühnlein: Nach den Beobachtungen, die ich heute gemacht habe,
finde ich, daß wir uns der Entwicklung der Aerztevereine außerordentlich
nähern. Früher beschäftigte man sich bei den Fragen vom idealen Standpunkte
aus. Wenn Sie heute in einen Aerzteverein kommen, fioden Sie, daß nur wirt¬
schaftliche Dinge behandelt werden. Ich fürchte, wir nähern uns auch zu
sehr diesem Standpunkt. Es kommt das meiner Ansicht nach auch in den
Hillenbergsehen Leitsätzen zum Ausdruck. Die Fürsorge für unsere unter¬
ernährte Bevölkerung ist außerordentlich wichtig. Wir werden also die prak¬
tischen Aerzte heranziehen müssen. Mit den Bichtlinien, wie sie Kollege
8imon fordert, werden wir zu keinem Schluß kommen. Da muß von Fall zu
Fall entschieden werden. Wir Kreisärzte werden darauf sehen müssen, daß
wir uns auf einen idealen Standpunkt stellen und die gestellten Forderungen
nicht so hoch aasfallen wie die der Aerztekammer. Ich bin durchaus nicht
der Ansicht, daß die Entwicklung auf die Anstellung hauptamtlicher Kommunal¬
ärzte gebt. Im Qegenteil man wird abbauen, denn der Staats- und Medizinal¬
beamte wird herangezogen, weil er es etwas billiger macht
Dr. Franz: Gerade mit Bttcksicht darauf, daß in Allenstein eine Ver¬
sammlung der Kreisärzte und Laodräte statlfinden soll, um sich darüber
schlüssig zu werden, wie am billigsten und besten gerade die kommunale
Tätigkeit statlfinden kann, ist es mir doch von Wichtigkeit, gerade die Vor¬
schläge des Herrn Kollegen Simon gehört zu haben. Der eine Kreis will
das bewilligen, der andere das. Ich habe nicht sagen können, dies oder jenes
kann verlangt werden. Ich will auf eins aufmerksam machen. Manche Land-
860
Besprechungen.
ritte haben ee sich außerordentlich bequem gemacht, indem sie 20—26000 M.
dem Kreisarzt geben, wenn er Kreiskommunalarzt ist, wofür er aber denn
auch die ganze Impfung zu besorgen hat. Das ist ein Zastand, der nicht
haltbar ist. Ich bin für rege Mitarbeit der praktischen Aerzte. Eine Ver¬
rechnung des Impfbonorars darf aber nicht stattfinden. Dem betreffenden Amt
muß in den einzelnen Kreisen die Impfung bleiben, sonst schafft man nur
Feindschaft.
Dr. Hutwein: Ich bin aufs Entschiedenste dafür, daß der Kreisarzt
nicht nur im Landkreise, sondern auch im Stadtkreise nur der Leiter der Für¬
sorge ist. Ich glaube, daß der Kreisarzt im Landkreise nicht *die Möglichkeit
hat, die ausübende Fürsorge so zu betreiben, wie es erforderlich ist. Ich möchte
weiter unterstreichen, daß der Kreisarzt sich in enge Fühlungnahme mit der
Aerzteorganisation stellt, denn überall sind die Aerzte stark organisiert. Dann
ist es auch erforderlich, daß der Vorsitzende der örtlichen Organisation heran¬
gezogen wird.
Dr. Fewson: Es ist nicht schwer Richtlinien zu geben. Ich habe die
Sache sehr kurz gemacht. Wenn Sie eine hauptamtliche Position im Kommunal¬
dienst einnehmen, so bringt das in Groppe 12 so und soviel Mark. Ich habe
das Dezernentengehalt von 105000 M. Ziehe ich von diesem mein Kreisarzt¬
gehalt ab, so bleibt der Rest für meine Bezahlung als Kommunalarzt. In
Landkreisen läßt sich das auch so machen. Entschädigung nach Gruppe 12
— unter 11 gibt es ja keinen. Ich ziehe davon das Gehalt des Kreisarztes
ab, der Rest ist für den Kommunalarzt.
Dr. Bundt: Das ist aber doch bedenklich, denn schließlich muß ein
Kreisarzt bei Erhöhung der staatlichen Besoldung, z. B. auf Gruppe 12, die
kommunale Tätigkeit'noch umsonst leisten.
Hierauf wird in die Allgemeine Aussprache über
die amtliche Stellung und wirtschaftliche Lage
der Medizinalbeamten eingetreten, über die keine Nieder¬
schrift und Bekanntgabe der Einzelheiten gewünscht wird. —
Danach wurde die Versammlung vom Vorsitzenden ge¬
schlossen.
Besprechungen.
Dritter Jahresbericht des Landnsgezundheltsamten Aber das Ge¬
sundheitswesen in Saohsen für die Jahre 1914—1018. Dresden 1921.
Der vorliegende Jahresbericht umfaßt die Knegpj&bre, er mußte (ähnlich
wie der für Preußen) mit Rücksicht auf die Kosten kurz gefaßt werden. Aus
dem reichen, den Statistiker und Arzt besonders interessierenden Inhalt sei nur
folgendes kurz bervorgehoben. Die Geburtenziffer sank im Jahre 1917 als dem
ungünstigsten Jahre auf 62721 (gegenüber 127482 im Jahre 1918). Die un¬
günstigen Wirkungen des Krieges auf die allgemeinen Gesundheitsverbältnisse
machen sich besonders beim Mittelstände, weniger bei den Arbeitern bemerkbar.
Typhus, Ruhr und Pocken stiegen wesentlich an. Die Influenza wurde im
Jabro 1918 zu einer weit verbreiteten, bösartig verlaufenden Epidemie. Die
Bevölkerungsziffer erfuhr von 1914 bis 1918 einen starken Rückgang. (Ge¬
burtenüberschuß im Jahre 1818: 54473, im Jahre 1918 ein [Jeberschuß
der Gestorbenen über die Lebendgeborenen von 25260).
In einem Anhang sind genauere statistische Tabellen enthaltet), auch
finden hier die während der Berichtszeit erlassenen Gesetze und Verordnungen
von sanitärer Bedeutung Erwähnung. Solbrig.
Bericht Aber die zweite Tagung Aber Psychopathenfürsorge Eßln a. Rh.
17. und 18. Mai 1921. Berlin 1921, Verlag von Julius Springer.
98 8. Pr. 16 M.
Auf dieser bemerkenswerten Tagung wurden eine Reihe interessanter
Vorträge von Persönlichkeiten verschiedener Berufsstände, die auf dem Gebiete
der Psychopathenfürsorge tätig sind, gehalten. Als Ergebnis kam eine Ent¬
schließung zustande, die folgende Forderungen stellte: V
Besprechungen.
861
1. Ein planmäßiges Zusammenwirken zwischen Arzt, Erzieher und Wohl*
fahrtsstellen während der gesamten Entwicklung der jngendlichen Psycho¬
pathen yon der frühesten Kindheit bis zur Volljährigkeit.
2. Ebenso ein Zusammenwirken aller Jugendwohlfahrtsstellen unter¬
einander zum Zweck einheitlicher kontinuierlicher individualisierender Erziehung.
3. Die Ausbildung von Helfern für die Fürsorge für jugendliche Psycho¬
pathen ist angesichts der fortschreitenden Bedeutung einer Heilerziehung
psychopatischer Konstitution und angesichts neuer Aufgaben, wie sie auch das
Jugendwohlfahrtsgesetz vorsieht, eine der wichtigsten Aufgaben der öffent¬
lichen Wohlfahrtspflege.
Es wird die dringende Bitte an alle in Betracht kommenden Stellen ge¬
richtet, die Ausbildung von Männern und Frauen, insbesondere von Lehrern,
Geistlichen, Verwaltungs- und Sozialbeamten für die Psychopathenfürsorge tat¬
kräftig in die Hand zu nehmen. Solbrig.
Dr. Siegfried Oberndorfer, a. ö. Universitätsprofessor, Vorstand des patho¬
logischen Instituts am Krankenhaus München-Schwabing: Pathologisch¬
anatomische SitU8bilder der Bauchöhle. Mit 92 Tafeln in Kupfertief¬
druck und 92 Abbildungen im erklärenden Text. München 1922, Verlag von
J. F. Lehmann. Gr. 12°, 133 S. Preis: geb. 100 M.
Das vorliegende Werk bildet eine beachtenswerte Bereicherung der be¬
kannten medizinischen Atlanten Lehmanns. Was den Atlas besonders aus¬
zeichnet, sind die ganz hervorragenden Tafeln, die photographische Situsbilder
in einer Vollendung bringen, wie man sie wohl nur selten zu sehen bekommt.
Dazu kurze Beschreibung der einzelnen krankhaften Veränderungen in der
Bauchhöhle nebst einführenden Bemerkungen über Magen und Darm. An der
Hand solch vorzüglichen Anschauungsmaterials wird es leicht gemacht, die
Kenntnisse über die Pathologie des Abdomens zu vertiefen und sich in der
Diagnose der krankhaften Veränderungen in der Bauchhöhle zu vervollkommnen.
_ Solbrig.
Prof Dr. Frans M Aller-Berlin und Oberapotheker Alfons Koffka- Berlin-
Wilmersdorf : Eezepttaschenbuch sparsamer Arzneiverordnungen für Privat-
und Kassenpraxis. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1922,
Verlag von Georg Thieme. 66 Seiten, Preis geh. 16,60 M.
Das Taschenbuch bietet eine größere Auswahl von Verordnungen (440
im ganzen) bei verschiedenen, nach Gruppen geordneten Krankheiten in relativ
billigster Form unter Beifügung der Preise für die Privatpraxis (nach dem
Stande vom Juni 1921). Das letztem ist ein besonderer Vorteil in heutiger
Zeit, wo die Arzneipreise so stark in die Höhe gegangen sind, daß möglichst
billige Verschreib weise in den meisten Fällen geboten erscheint. Solbrig.
Dr. med. Carl Breul: Ueber Tuberkulose und Mittelstand nebst Vor¬
schlägen zu einer Erweiterung der Bekämpfnngsmaßnahmen. (Tuberkulose-
Bibliothek, Beihefte zur Zeitschrift für Tuberkulose, herausgegeben von
Prof. Dr. L. Ra bin o witsch, 1922, Nr. 6, Verlag von Joh. Ambr. Barth).
Eine überaus fleißige und verdienstliche Untersuchung. Ihre Grundlage
bilden sehr eingehende anamnestische Erhebungen, die vor dem Kriege an
42 Kranken in der Deutschen Heilstätte zu Davos gemacht wurden. Da unter
den Kranken viele Lehrpersonen waren, werden beachtenswerte Erörterungen
über die Schulen in ihrer Beziehung zur Tuberkulose und über die Erweiterung
und Vertiefung der schulärztlichen Tätigkeit angestellt. Der Verf. formuliert
bestimmte Schlußsätze über die Entstehung der Tuberkulose im Lehrerberufe
und bezeichnet als Haupterfordernisse der Prophylaxe:
1. Fortschreitende Sanierung der Schulbauten und schulärztliche Dauer-
Überwachung der Lehrer und Schüler sowie aller im Schuldienst regelmäßig
tätigen Personen; 2. Fernhaltung Tuberkulose-Verdächtiger und -Disponierter
vom Lehrerberufe; 3. Revision und Sanierung der auf den Lchrerberuf vor-
bereitendeb Anstalten, ärztliche Dauerbeobachtung und periodische Zwangs-
untersnchungen an diesen Anstalten.
Verfasser kommt zu dem Ergebnisse, daß das Hauptgewicht der Be¬
kämpfung der Tuberkulose im Mittelstände auf der vorberuflichen Zeit ruht;
362
Besprechungen.
doch auch in den Berufen selbst worden Löcken in den Abwehreinrichtongen
aufgedeckt. Die in Zukunft nötigen Maßnahmen werden zum Schlosse knrx
zusammen gefaßt. Das auffallendste Ergebnis ist vielleicht, wie oft die Tuber¬
kulose lange Zeit unbeachtet bleibt, obwohl manche für das Einschleichen
charakteristische Erscheinungen vorhanden sind. Es ist notwendig, an mög¬
lichst vielen geeigneten Stellen mit allen Mitteln periodisch za antersachen
and die Kenntnisse über die Entstehang and Verbreitengsart der Tuberkulose
in allen Volkskreisen immer mehr auszubreiten. Dr. Wolffberg -Breslau.
Dr. Th. Fürst, städt. Schalarzt in Mönchen: Die Frage der Berufsberatung
und Berufseignung vom hygienischen Standpunkt. Mönchen und
Berlin 1921, Verlag von Oldenbourg. 16 S. mit einer Tafel. Pr. 3 M.
Die ärztliche Seite bei der Berufsberatung gilt es besonders in den
Vordergrund zu stellen, am Erfolge erzielen za können. In München hat man
durch Zusammenwirken von Fachvertretern mit Lehrer and Arzt gute Er¬
fahrungen gemacht.
Der Schalarzt hat die Aufgabe der ärztlichen Berufsberatung, dem Fort¬
bildungschalarzt soll die wichtige Aufgabe einer Kontrolle der Berufseignung
zafallen.
Ein Ausbau der schulärztlichen Tätigkeit erscheint nach folgenden
Bichtangen nötig:
1. nach der klinischen Seite (genauere klinische Untersuchungen unter An¬
wendung der Röntgenuntersuchung, quantitativer Urinuntersuchungen und dergL),
2. Regelung der statistichen Erhebungen an dem Schülermaterial (ein¬
heitliche Vorschriften),
3. Fühlungnahme mit der Gewerbebygiene.
Eine vom Verfasser auf gestellte Tabelle soll den „Dienstweg" zeigen,
der sich bei der Ueberweisung von Fortbildungsschülern ergibt, die einer be¬
sonderen ärztlichen Ueberwachung bedürfen. Solbrig.
Die Meldepflicht der Berufskrankheiten« Eine Umfrage, bearbeitet von
von Dr. Q. Franoke, Frankfurt a. M. und Sanitätsrat Dr. Baohfeld,
Offenbach. Berlin 1921, Verlag von Julius Springer. 49 S.
Das Ergebnis der Umfrage, die seitens des Instituts für Gewerbehygiene
bei einer größeren Anzahl von Sachverständigen aus verschiedenen Berufs-
Ständen veranstaltet wurde, faßt Francke dahin zusammen, daß die große
Mehrzahl der Bearbeiter grundsätzlich für Erweiterung der Meldepflicht und
Einführung der Entschädigungspflicht ist. Die Forderung nach allgemeiner
Anstellung von Landesgeweibeärzten (in Preußen in jüngster Zeit durch¬
geführt ! D. Ref.) und eine bessere Ausbildung der Aerzte auf dem Gebiete
der Gewerbebygiene ist zu erheben.
B a c h f e 1 d äußert sich auf Grund der eingegangenen Antworten genauer
über die Art der Meldung. Zur Meldung soll der behandelnde Arzt und der Arbeit¬
geber verpflichtet sein, und zwar soll der Arzt dem Kreisarzt, der Arbeitgeber
der Behörde und der Berufsgenossenschaft melden. Als meldepflichtige In¬
fektionen werden vorgeschlagen: Milzbrand, Rotz, Maul- und Klauenseuche,
Strahlenpilz, Starrkrampf, extragenitale Syphilis der Glasbläser, Lungen¬
entzündung der Thomasschlackenarbeiter, Wurmkrankheit der Bergarbeiter u. a.,
dazu kommen meldepflichtige Folgen der Arbeit wie Blasengeschwülste bei
Arbeitern mit Benzolderivaten, Lungenkrebs bei Bergarbeitern in Kobaltgruben,
Hautkrebs infolge von Ruß und Teer, Augenzittern bei Bergleuten, Linsen¬
trübung bei Ofenarbeitern und Gasbläsern, Schwerhörigkeit bei Lärmberufen.
Francke fordert schließlich hauptamtliche Gewerbeärzte, da der Kreis¬
arzt auch beim besten Willen nicht genügend mit der Gewerbehygiene sich
beschäftigen könne, eine Forderung, der ja in Preußen jüngst durch Anstellung
von 5 Landesgewerbeärzten Genüge geschehen ist. Solbrig.
Dr. Wilhelm Stekel: Der Wille zum Leben, 143 S.; — derselbe: Das
liebe Ich, 212 S. Berlin 1920. Verlag von Otto Salle.
Ganz anders als Schleich, der in seinem „Am Schaltwerk der Ge¬
danken“ u. a. Schriften seino Theorien über den Bau und die Tätigkeit des
Tagesnachrichten.
863
Gehirns and des Zentralnervensystems gemeinfaßlich darzostellen versucht, and
doch in gewissem inneren Zns&mmenhange mit ihnen, führt in diesen Schriften
ein Praktiker, Nervenarzt in Wien, den Laien in die wichtigsten Scelenstörungen
besonders des Neurotikers ein. Aber diese kurzen psychoanalytischen Kapitel:
„Der Segen der Krankheit“, „Der seelische Schwerpunkt“, „Der Freiheitsteufel“,
„Das liebe Ich“, „Lebenskünstler“ and wie sie alle heißen, sind auch für den
denkenden praktizierenden wie begutachtenden Arzt belehrend und anregend
zugleich. Entstanden in der Leidenszeit unseres Volkes wollen die Aufsätze
Menschenherzen auf richten, verblendeten and törichten Menschen den Weg zar
Arbeit and zam Gluck weisen. Dr. Sieveking-Hamburg.
Tagesnachrichten.
Zam Nachfolger des in den Bahestand getretenen Geh. Med.-Bats
Prof. Dr. Flügge ist Geh. Hof rat Prof. Dr. M. Hain» in Freibarg i. Br. berufen
worden and hat den Buf angenommen.
Um jenen Aerzten, die sich bereits in amtlicher Stellung befinden, die
Möglichkeit za geben, sich die für ihr Amt immer notwendiger werdenden
Kenntnisse in der sozialen Hygiene und der Gesundheitsfürsorge za ver¬
schaffen, and ihnen vor allem die theoretischen Grundlagen für die auf diesem
Gebiet praktisch auszuübenden Tätigkeit za vermitteln, wird in der West*
deutschen Sozialhygienischen Akademie im Juli dieses Jahres ein vier*
wöchentlicher Sozialhygienischer Kurs abgehalten. — An diesen Kursen
können alle Aerzte, die im staatlichen oder städtischen Gesundheitsdienst sind,
teilnehmen, die Hörerzahl ist beschränkt, deshalb möglichst baldige Anmeldung
notwendig. — Das Sekretariat der Akademie bemüht sich um Wohnung-
beschaffung and erteilt nähere Auskunft. — Verpflegung za ermäßigtem
Preis ist in der Akademie selbst erhältlich.
Zar Aasbildang von Zahnärzten in der sozialen Hygiene und in der
zahnärztlichen Gesundheitsfürsorge als Vorbereitung für die Tätigkeit als
Schulza'hnarzt, Städtischem oder Krankenkassenzahnarzt, wird in der West¬
deutschen Sozialhygienischen Akademie ein 3 wöchentlicher Kurs abgehalten.—
Kursbeginn am 3. Juli 1922.
Eine öffentliche Konferenz des Ansschnssds der deutschen Jngend-
verbäude (Berlin W. 50, Augsburgerstr. 61), dem nahezu alle .Organisationen
der deutschen Jugendpflege und Jugendbewegung angehören, die sich an zwei
Tagen mit der Lage der deutschen Jugend uach dem Kriege beschäftigen soll,
wird am 21. and 22. Juni in Braunschweig veranstaltet werden. Für
den ersten Tag sind drei Vorträge in Aussicht genommen. Der erste wird
eine nüchterne Darlegung des so mangelhaften Gesundheitszustandes der
deutschen Jugend geben. Als Unterlagen hierzu werden Untersuchungen
dienen, die apf Grund eines im Beichsgesnndheitsamt ausgearbeiteten Frage¬
bogens in den Jugend vereinen vorgenommen werden. Der zweite Vortrag wird
die Schwierigkeiten, die sich angesichts der gänzlich unsicheren Lage unseres
Wirtschaftslebens den Jugendlichen bei der Berufswahl entgegenstellen, zu
schildern haben, und der dritte wird in Form einer psychologischen und
psychophysischen Erklärung, nicht einer Anklage, ein Bild von der ethischen
Situation der Jugend von heute geben. — Am zweiten Tage wird davon zu
reden sein, wie der deutschen Jugend geholfen werden kann.
Mit dieser Veranstaltung gedenkt der Ausschuß der deutschen Jagend¬
verbände die bekannten Jugendpflegekonferenzen der Zentralstelle für Volks¬
wohlfahrt auf seine Weise fortzusetzen. Er hofft, daß es den Stellen in
Staats- und Kommnnalverwaltung, die sich mit den Fragen der Jugendwohl¬
fahrtspflege befassen, der gesamten deutschen Wohlfahrtspflege und einer
breiteren Oeffentlichkeit, die sich für die Angelegenheiten der Jugend interessiert,
willkommen sein wird, wenn ihnen wieder Gelegenheit geboten wird, sich auf
neutralem Boden mit den führenden Fachleuten der Jugendpflege und Jugend¬
bewegung zu freiem persönlichen Gedankenaustausch zu begegnen.
364
Tagesnachrichten.
Einladung
zu der
am Montag, den 26. Juni 1922, vormittags 9 1 /» Uhr in München
(Polizeidirektion, Unterrichtssaal, 111. St.)
stattfindenden
XVI. Landesversammlung des Bayerischen
Medizinalbeamtenvereins.
Tagesordnung:
1. Rechenschaftsbericht des Kassenführers. Festsetzung des Jahresbeitrages-
2. Tätigkeitsbericht der Vorstandschaft mit anschließender Besprechung
von Standesfragen.
3. Stellungnahme gegen die Agitation zur Beseitigung der §§ 218 und 219
R.Str.G.B. Berichterstatter: Obermedizinalrat Dr. Graßl-Kempten.
4. Vortrag von Universitätsprofessor Dr. Isserlin-München: „Hirnschäden
und Psychopathie“.
6. Wünsche und Anträge.
Für die am Nachmittag in München noch anwesenden Kollegen ist Ge¬
legenheit zu Besichtigungen gegeben.
Die Vorstandsmitglieder werden ersucht, sich am Sonntag, den 24. Juni,
nachmittags 4 Uhr, zu einer Vorstandssitzung im Hotel Union (Barerstrabe)
einzufinden.
Um zahlreiches Erscheinen ersucht
Die Vorstandschaft.
Dr. Frickhinger, Landesvorsitzender. Dr. Schuster, Schriftführer.
Mitteilung an die Leser der Zeitschriit.
Das „Handbuch der preußischen Gesundheitsgesetzgebung“
(von Rapmund und Solbrig), dessen Erscheinen in Fischers
medizinischer Buchhandlung bereits für das Frühjahr angekündigt
war, wird erst später erscheinen. Die Hinausschiebung hat sich
mit Rücksicht darauf, daß die Dienstanweisung für die Kreis¬
ärzte einer Umänderung unterliegt und daß verschiedene wich¬
tige Gesetze auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬
wesens in Vorbereitung sind, als zweckmäßig erwiesen. Der
genauere Zeitpunkt des Erscheinens läßt sich noch nicht an¬
geben; es wird aber an der Herausgabe des Handbuchs fest¬
gehalten.
Zugleich im Namen von Herrn Geheimrat Rapmund
und der Verlagsbuchhandlung:
Die Schriftleitnng.
Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau,
Breslau V, Rehdigerstraße B4. Druck von J. C. C. Bruns, Minden i. W.
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1862 ins 1622 tonuMQäp*«* m MW.- %i PfOl. Dr. RAPMUftü.
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^tbrMn ■it&i&vvi ft n»l. ^rvV$’rt; :djuvt> y4ji
nsa, Ar$ett»/nii'cvif.«> ItqüOr'AHwil'ÄP^L. tniuof *Nav Ats»li,,
Ä, filsoUGrimfi, IHaoIrSfreupufve^ P^rhsuroaf, Toramtii,
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Angelegenheiten der Polizei im Ministerium des Innern Polizeiarzt J)r, Jüttner.
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Prof. Dr. Q. Puppe und Prof. Dr,P. Stolper.
2 &&cnJe und l 3«pp fernen
Geheftet: M. 70,—. 8d. 1 v. 2 auch getänden in Halbfranz-Band
gegen Berechnung des Einbandes von M. 25.—.
86. Jshrg.
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Dr. Hillenberp.
sehen Aufgaben zurücktreten. Als ich diese Zeilen las, fragte
ich mich zunächst: Hat denn der verehrte Herr Kollege jemals
unsere Dienstanweisung ernstlich studiert? Ich meine, daß
auch derjenige, der niemals preußischer Kreisarzt gewesen,
bei seinem Studium doch eine wesentlich andere Vorstellung
von diesem Aufgabenkreis gewinnen müßte. Als ich 1918 in
Livland einem dort sehr bekannten esthnischen Kollegen und
Lepraforscher auf dessen Bitte unsere Dienstanweisung geliehen,
gab er sie mir nach einigen Tagen etwa mit den Worten
zurück: Herr Kollege, was da von ihnen verlangt wird, ist ja
mehr, als ein deutscher Professor ausführen kann. Er wollte
damit nur andeuten, daß der Umfang unserer Pflichten ein
riesengroßer, jedenfalls erheblich vielseitiger ist, als Herr Kollege
Krautwig anzunehmen scheint. Unsere Dienstanweisung
umgreift doch in der Tat im Kern bereits fast alle diejenigen
Aufgaben, die die alte und neue Gesundheitspflege umschließt.
Ich bedauere nur, daß die wenigsten hauptamtlichen Kom¬
munalärzte aus eigener Erfahrung die außerordentliche Mannig¬
faltigkeit und Vielgestaltigkeit der Tätigkeit eines nur einiger¬
maßen beschäftigten Kreisarztes kennen, daß sie nicht selber
eine Anzahl von Jahren in einem größeren Kreis staatliche
Gesundheitsbeamte gewesen sind; sie würden dann vermutlich
anders urteilen. Daß es eine Reihe kleiner, größtenteils rein
ländlicher Kreise gibt, in denen die amtliche Tätigkeit des
Gesundheitsbeamten sich in verhältnismäßig einfachen ruhigen
Linien bewegt, weiß ich wohl.
Was insbesondere die sozialhygienischen Aufgaben anlangt,
so sind wir Kreisärzte nach unserer bisherigen Dienstanweisung
freilich in erster Linie gehalten, Schaffung von entsprechenden
Einrichtungen anzuregen, Maßnahmen in die Wege zu leiten,
und erst in zweiter Linie kommt eine ausübende, persönliche
Fürsorgetätigkeit in Frage. Und in diesem Geiste fasse ich
auch für die Zukunft unsere gesundheitsfürsorgerische Arbeit
dahin auf, daß wir selbst dort, wo genügend Zeit und Neigung
vorhanden, nur in beschränktem Maße uns an der prak¬
tischen Betätigung der Gesundheitsfürsorge beteiligen sollen.
Diese ist z. T. von den praktischen Kollegen nebenamtlich,
z. T. von hauptamtlichen Fürsorgeärzten auszuüben. Auch der
Stadtarzt als hauptamtlicher kommunaler Beamter übt ja gar
keine oder nur beschränkte soziale Arbeit aus. Der Kreisarat
soll aber überall dort, wo auf der einen Seite seine amtlichen
Dienstobliegenheiten es gestatten, auf der anderen die kommu¬
nalen Gesundheitsaufgaben nicht zu umfangreich sind, die
Leitung auch der Gesundheitsfürsorge im Sinne seiner Dienst¬
anweisung in Händen haben. Dieser Aufgabe wird er sich
z. B. in den meisten Landkreisen sehr gut unterziehen können.
Dies ist m. E. der Weg, auf den die Komunen mit der Zeit
von selber als den nach meiner Auffassung einzig richtigen
freiwillig gelangen oder durch die finanziellen Nöte getrieben
werden. —
Kommanalärzte and Kreisärzte.
3f>7
Bei der bisherigen Entwicklung der Dinge will es mir
scheinen, daß nicht jeder der in einer leitenden Stellung be¬
findlichen Kommunalärzte sioh auf seinem eigensten Gebiet
voll befriedigt fühlt, so daß ihre Arbeitslust sie nach weiterer
Betätigung ausschauen läßt. Denn wie anders wären die Aus¬
führungen des Herrn Kollegen Bürgers zu erklären, der in
seinem Artikel „Notwendigkeit und Organisation städtischer
Gesundheitsämter“ weit über die Grenzen seines eigentlichen
Aufgabengebiets hinausgeht und auf ein Feld hinüberwechseln
möchte, das nach der Dienstanweisung für die preuß. Kreisärzte
ausschließlich diesen zugewiesen ist? Unser Streben, daß die
Stelle des Kreisarztes und Kreis-Kommunalarztes am zweck¬
mäßigsten in der Hand des historisch älteren Staatsmedizinal¬
beamten vereinigt bliebe, kann durch nichts kräftiger unter¬
stützt werden, als durch seine Forderung, daß ein großer Teil
der Obliegenheiten des staatlichen Gesundheitsbeamten dem
Leiter der kommunalen Gesundheitsfürsorge übertragen werden
möchte. Ich wäre mit seiner Forderung durchaus einverstanden,
wenn der Kommunalarzt die Priorität seiner Existenz für sich in
Anspruch nehmen könnte, und wir Kreisärzte nach ihm in die
Erscheinung getreten wären. Da nun aber das umgekehrte
Verhältnis historisch gegeben ist, erscheint es mir logisch,
wenn der Kreisarzt seine Stimme erhebt und sagt: Nachdem
die Kommunen endlich daran gegangen, unsere oft geäußerten
Wünsche nach Ausbau der sozialen Aufgaben zu verwirklichen,
stellen wir, die wir bisher bereits im Dienste der öffentlichen
Gesundheitspflege unsere Kräfte geopfert, die Forderung, auch
das erweiterte Gebäude zu leiten und zu verwalten. Der Ein¬
wand, daß die Kommune als diejenige Instanz, der die Durch¬
führung des „modernen“ Teils der öffentlichen Hygiene obliegt,
sich eigene, nur ihr verantwortliche und vom Staat unabhän¬
gige Aerzte sichern will, ist völlig verständlich und berechtigt.
Dieses Recht soll auch keinem Gemeinwesen streitig gemacht
werden. Lediglich aus dem Gesichtspunkt heraus, daß die
Einheitlickeit des Ganzen gewahrt, eine Kräftezer¬
splitterung vermieden werden sollte, glauben wir Kreisärzte,
unter gleichzeitiger Berücksichtigung des historischen Werde¬
ganges nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet zu sein,
prinzipiell auf Beachtung und Berücksichtigung bei der
Wahl von Leitern der kommunalen Gesundheitsfürsorge rechnen
zu können .
Ich halte es für ein Unding und durch nichts zu begründen,
daß wir wesentliche Teile unseres Pflichtenkreises abtreten
und uns damit völlig den Boden unter den Füßen fortziehen
lassen sollen, sodaß Vertreter der neuen Gesundheitspflege
eines Tages sagen könnten: jetzt ist der staatliche Gesundheits¬
beamte überflüssig geworden, wir wollen und werden ihn er¬
setzen. Ich vermag es nicht zu verstehen, wie Herr Kollege
Bürgers große und wichtige Gebiete der uns durch Gesetz
übertragenen Aufgaben, denen wir m. E. bisher vollauf gerecht
368
Dr. Hillenberg: Kommanalärzte and Kreisärzte.
geworden sind — Landtags- über. Landtagsverhandlung des
letzten Jahrzehnts hat das ja öffentlich ausgesprochen — in
die Bannmeile des kommunalen Gesundheitsamts einbeziehen
will, ohne auf intensiven Widerstand der Medizinalbeamten zu
stoßen. Dieser Drang nach Expansion zwingt fast den schon
geäußerten Gedanken auf, daß die reine Gesundheitsfürsorge
den Arzt und Beamten nicht so glücklich macht, wie es gern
verkündet wird. Wäre das der Fall, würde doch kaum ein
solches Streben nach Gebietszuwachs sich bemerkbar machen,
wie es aus den Wünschen des geschätzten Herrn Kollegen her¬
vorgeht. — Ich meine, daß wir uns bemühen müssen, die einander
gesteckten Grenzen zu achten. — Kollege Krautwig spricht
von „tatsächlich vorhandenen Gegensätzen“ zwischen Kreis¬
ärzten und Kommunalärzten. Ich muß gestehen, daß ich bei
objektiver nüchterner Betrachtung der Verhältnisse eigentliche
Gegensätze gar nicht wahrzunehmen vermag. Wo und wenn sie
vorhanden, dürften sie mehr aus mißverständlicher Auffassung
des Wesens der Sache, aus persönlichen Unstimmigkeiten her¬
vorgerufen, als in der Sache selbst begründet sein. Ebensowenig
wie alte und neue Gesundheitspflege Gegensätze, sondern nur
Fortentwicklunksphasen sind und sich zu einem einheitlichen
Bau ergänzen sollen, ebensowenig dürften zwischen ihren Ver¬
tretern Gegensätzlichkeiten auftauchen. Wenn allerdings alte,
gesetzlich verbriefte Besitzrechte angetastet werden, dann
wären Mißstimmung und Kampf die unausbleibliche Folge; sehr
zum Schaden der Sache. Wir haben doch wirklich, die wir
alle einem großen Ziele zustreben, einem Ideale dienen: dem
gesundheitlichen Wohl unseres schwer geprüften Volkes, volle
Veranlassung, mit vereinten Kräften an die Meisterung der so
unendlich schweren Aufgabe heranzutreten. Wenn sich Herr
Kollege Krautwig beklagt, daß wir Kreisärzte noch immer
gereizt und aggressiv erseneinen, so darf ich ihn nur daran
erinnern, daß wir nicht nur heftig, und zwar ohne Grund, an¬
gegriffen worden sind, sondern nach wie vor in einer gewissen
Kampf- und Abwehrstellung erhalten werden durch fortgesetzte
Bestrebungen, unsere Pflichten und Rechte zu verkürzen. Ich
halte es für durchaus nötig, wie auch schon Herr Kollege
Bundt in seinen „Tages- und Vereinsfragen“ in Nr. 8 ausführt,
daß beide Teile sich zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden,
vor allem ihr Arbeitsgebiet schiedlich-friedlich durch sachliche
Aussprache abgrenzen — Erlasse und Verfügungen allein nützen
da nichts — und miteinander sowie gemeinsam mit anderen
großen Gesundheitsorganisationen sich zu einer kraftvollen
Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, in der Vertreter der
öffentlichen Gesundheitspflege und -Fürsorge alle die Aufgaben
und Maßnahmen anregen, vorberaten und überwachen, die zur
Förderung des Gesamtwohls nötig sind. Dann wird auch das
Problem: Kreisärzte und Kommunalärzte und all das Dornwerk,
das ihm angeblich anhaftet, sehr bald von der Bildfläche ver¬
schwinden, und ein kleiner Schritt zur Einigung des zerissenen
Dt. Faetsch: Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem richtigen Wege ? 369
Volkes weiter getan sein, die wir doch alle mit heißer Seele
erstreben. Das ist das politische Moment, das ich in unserer
Arbeit sehen möchte: Gegensätze im täglichen Leben zu über¬
brücken, einander Fernstehende zum gemeinsamen Schaffen zu
vereinigen. Im übrigen sollte nach meiner Ueberzeugung sich
gerade unsere Arbeit von jeder Politik freihalten, die sich
leider — hierin ist ja Herrn Kollegen Krautwig nur zuzu¬
stimmen — von ihr nicht freihält, aber ich hoffe, daß die
Zukunft sich auch hier als Lehrmeisterin zur Ein- und Umkehr
erweisen wird.
Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem
richtigen Wege?
Von StadtfQrsorgearzt Dr. Paetsch-Bielefeld.
Im Heft 8 der Zeitschrift für soziale Hygiene vom Fe¬
bruar d. J. wird eine Arbeit des Kreisarztes Dr. B o e g e referiert,
die im Heft 13, Jahrgang 34 der Zeitschrift für Medizinalbeamte
im Juli 1921 unter dem Titel erschienen ist: „Ueber Fürsorge
im allgemeinen und über Tuberkulosefürsorge im besonderen.“ —
So ist mir diese Arbeit leider erst jetzt bekannt geworden; ihr
Inhalt ist aber meiner Meinung nach so außerordentlich an¬
greifbar und widerspricht vielfach den Tatsachen so sehr, daß
es mir geboten erscheint, einige Punkte einmal etwas näher zu
beleuchten, wobei ich mich nur auf die Tuberkulosefürsorge
beschränken will.
Boege sagt: „Werden die Tuberkulösen nicht vom be¬
handelnden Arzt geschickt, so lernt sie die Fürsorge nur selten
kennen. ..." Das kann zutreffen, braucht aber nicht so
zu sein. Selbstverständlich ist es mit allen Mitteln anzustreben,
möglichst viel Zuweisungen von den praktischen Aerzten zu
bekommen; ist das aber nicht zu erreichen, so kann man doch
auch auf anderen Wegen an die Kranken herankommen, z. B.
mit Hilfe der Krankenkassen, die heute ja doch den weitaus
größten Teil der Bevölkerung in sich schließen, — der Ministerial-
erlaß vom 9. 11. 18 (Handelsministerialblatt 1918, S. 283) gibt
eine sehr geeignete Handhabe dazu; — ferner durch die Ver¬
sicherungsämter, Landesversicherungsanstalten usw. In Bielefeld
z. B. hat die Fürsorgestelle, die erst 3 Jahre besteht und erst
seit 3 / 4 Jahren einen hauptamtlichen, fachärztlichen Leiter hat,
durch die Aerzte 1921 nur 23,13 % Zuweisungen erhalten, trotz¬
dem kennt sie aber 68,04 % aller Offenen (auf Grund der Toten¬
scheine berechnet). Stettin hat 83,4% ärztliche Zuweisungen
und kennt 64 % Offene. — Also es gibt schon die Möglichkeit,
die Kranken zu erfassen.
Im weiteren Verlauf der Arbeit stellt Boege nun einige
Leitsätze auf und sagt: „Meistens werden die Verhältnisse in
Groß- oder doch Mittelstädten den Erörterungen zugrunde ge¬
legt. Ein Beitrag aus einem Landkreis seien die folgenden
Leitsätze ....“:
370
Dr. Paetscb.
„I. Was will die Tuberkulosefürsorge?
Sie will
1. alle Tuberkulosen erfassen,
2. Tuberkulose diagnostizieren, d. h. dem Hausarzte mit ihrem
größeren Rüstzeug aushelfen und da, wo der Kranke mittel¬
los ist, den Hausarzt ersetzen,
3. den unbemittelten Kranken wirtschaftlich unterstützen,
4. und das ist ihre wesentlichste Aufgabe, der Weiterver¬
breitung der Tuberkulose Vorbeugen, indem sie den Kranken
in seiner Wohnung aufsucht und ihn und seine Angehörigen
Hygiene lehrt.
II. Ist dieFürsorge diesen vier Aufgaben bisher
gerecht geworden?
Die Antwort muß leider „Nein“ lauten.“ —
Und nun kommt der Beweis 1 Die meisten Tuberkulösen
blieben in Behandlung ihrer Haus- und Kassenärzte und nur
wenige kämen zur Fürsorge. Daß das nicht so sein muß, habe
ich oben schon erörtert; im übrigen sollen doch die Kranken
in Behandlung ihrer Aerzte bleiben. Behandlung ist Sache
des praktischen Arztes und nicht Sache der Fürsorge. Die Be¬
hauptung ferner, die Fürsorge leiste in der Erkennung der
Tuberkulose nicht mehr als der praktische Arzt, sondern
weniger ist durch nichts zu halten. Allerdings malt Bo ege
hier ein Bild eines Fürsorgearztes wie er nicht sein soll, ge¬
wissermaßen einen medizinischen Torso, unfähig bis dahinaus.
Warum soll „der Fürsorgearzt“ kein Mikroskop haben? Wenn
er in Ueckermünde keins hat, kann er es doch wo anders
haben 1 Daß diagnostische Tuberkulinproben nicht zu machen
seien, trifft nicht zu; ungezählte Fürsorgen machen sie. Ebenso
stehts mit dem Röntgenapparat und der Unfähigkeit, Röntgen¬
platten zu deuten. Diese verallgemeinerte Behauptung B o e g e s
ist durch nichts bewiesen. Gott sei Dank haben eine Reihe
von Fürsorgestellen Röntgenapparate, werden fachärztlich ge¬
leitet und sind auch infolgedessen von den Aerzten als diagnosti¬
sche Autorität anerkannt. Und schließlich sollte man meinen,
daß auch der Fürsorgearzt, der nicht einen Röntgenapparat
zur Verfügung hat, durch die große Uebung in der Perkussion
und Auskultation sich auch eine größere Sicherheit in der
Diagnostik aneignen kann, als der praktische Arzt. Und wenn
dieses diagnostische Uebergewichl der Fürsorgestelle dem prak¬
tischen Arzte klar geworden ist und er sieht, daß die Fürsorge
gar nicht daran denkt, ihm Patienten zu entziehen, sondern
sie im Gegenteil ihm Diagnosen stellen hilft und zwar gute
Diagnosen, wird er ihr auch Kranke zu weisen. Diese Erkennt¬
nis braucht allerdings Zeit und zwar oft jahrelang. Dann wird
der praktische Arzt auch gar keinen Grund mehr haben, an¬
zunehmen, die Fürsorgestelle leiste nicht mehr als er selbst,
ln dieser Annahme liegt auch gar nicht der Grund des Mi߬
trauens gegen die Fürsorgestellen, sondern in dem unberech¬
tigten Argwohn der Konkurrenz.
Sind wir mit der Tuberkulose auf dein richtigen Wege f
871
„Der vierten Aufgabe, den Kranken in der Wohnung auf¬
zusuchen, ist die Fürsorge wiederum sehr unvollkommen nach¬
gekommen. Einmal, weil sie, wie gesagt, nur einen kleinen
Teil der Tuberkulosekranken kennt und dann, weil die Fürsorge¬
schwestern so mit allerlei Arbeit überhäuft sind, daß sie nicht
einmal bei den wenigen bekannten Tuberkulösen genügend
Hausbesuche machen könnend
Beweise fehlen. Auch hier muß es nicht so sein, wie
Boege es schildert; so hatten z. B. in Stettin 45,7 °/ 0 der Kranken
hygienisch einwandfreie Verhältnisse auf zu weisen, in Biele¬
feld 80. «/o *)
Boeges Vorschläge, um diese vermeintlichen Uebelstände
abzustellen, erscheinen allerdings reichlich eigenartig, denn sie
gipfeln in der Forderung: „Weg mit der ärztlichen Unter¬
suchung uod Beratung, mehr Fürsorgeschwestern einstellen,
mehr Hausbesuche der Schwestern und Zusammenarbeiten der
Schwestern mit den behandelnden Aerzten.“
Ich glaube kaum, daß hierin die Mehrzahl der Fürsorge¬
stellenleiter Boege zustimmen werden, abgesehen von der
Einstellung der Schwestern und der Forderung auf recht viel
Hausbesuche. Vielmehr muß man annehmen, daß dann noch
weniger Tuberkulöse erfaßt werden, weil der praktische Arzt
gar nicht die Zeit und oft auch nicht das Interesse daran hat,
sich mit all solchen Dingen abzugeben. Und wo würden sich
die Schwestern finden, die so und soviel praktischen Aerzten
unterstellt wären, von denen der eine „Hüh“, der andere „Hott“
und der dritte gar nichts sagt? Nach ganz kurzer Zeit würden von
dem Betriebe die Schwestern sicher genug haben und dankend
den Dienst quittieren.
Und nun heißt es zum*Schluß: „Erstrebenswert bleiben
unter allen Umständen Fürsorgestellen, die nicht nur beraten,
sondern auch untersuchen und sogar behandeln.“ Ob Boege
nun glaubt, daß durch die Behandlung der Fürsorgestellen die
praktischen Aerzte eher geneigt sein werden, Patienten zu über¬
weisen, lasse ich dahingeste lt. Zusammenfassend läßt sich
sagen, daß Boege spezielle Fälle verallgemeinert und so eine
Organisation herunterreißt, die recht Gutes schon geleistet hat
und leisten kann, wenn man es nur richtig anfängt. Die Mehr¬
zahl der Fürsorgeärzte wird aber diese Boege sehen Vorschläge
ablehnen, und vielmehr fordern:
1. Weiteren Ausbau der Fürsorgestellen in ihrem bisherigen
System, unter fachärztlicher Leitune:, ausgestattet mit modernem,
diagnostischem Instrumentarium (Röntgenapparat).
2. Heranziehen der Aerzteschaft zür Mitarbeit, vor allem
durch Ablehnung der Behandlung und dadurch, daß die Fürsorge¬
stelle als fachärztlicher Konsiliarius ihre Arbeit in den Dienst
*) Ich empfehle Herrn Boege, sich mal die Stettiner Fürsorgestelle
anznsehen und mal die Jahresberichte von Stettin nnd Mannheim za studieren,
auch den meinigen stelle ich gern zar Verfügung. Dann dürfte er doch viel¬
leicht eines Besseren belehrt werden.
372
Pr. Schräder.
des behandelnden Arztes stellt. Erfolgt dann eine rege Zu¬
weisung von verdächtigen Kranken durch Aerzte, Kassen usw.,
so soll die Fürsorgestelle jede Selbstmeldung ablehnen, die an¬
zunehmen sie leider bei ablehnendem Verhalten der Aerzteschaft
gezwungen ist.
3. Ablehnung der Behandlung in der Fürsorgestelle, aus¬
genommen prophylaktische Tuberkulinkuren bei Kindern in
offen tuberkulösen Haushalten und Tuberkulinkuren auf Er¬
suchen des behandelnden Arztes.
Zukunft saufgaben amtsärztlicher Tätigkeit.
Von Kreismed izinalrat Dr. Schräder • Gerdauen.
ln den nächsten Monaten soll die Dienstanweisung für die
Kreisärzte einer Umarbeitung unterzogen werden, um sie den
inzwischen eingetretenen veränderten Verhältnissen anzupassen.
Dies bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte unseres
Standes und zwingt dazu kritisch zu betrachten, in wiefern die
bisherige Dienstanweisung Mängel enthielt und festzustellen, in
welcher Weise in der Zukunft diese Mängel abgestellt werden
können.
In dieser Zeitschrift sind in den letzten Monaten so viele
gute Artikel von berufener Seite zu diesem Thema veröffent¬
licht worden, daß über viele Fragen Klarheit geschaffen ist.
Und doch werden sich in den nächsten Wochen die einzelnen
Medizinalbeamten - Bezirksvereine noch weiter mit ähnlichen
Gesichtspunkten beschäftigen müssen, denn unsere Wünsche
hinsichtlich der Verbesserung unserer Diensttätigkeit sind noch
lange nicht alle erfüllt. Es ist unsere Pflicht, emsig in diesem
Sinne weiter zu arbeiten und einander durch Aussprache auf
gewisse Punkte in der Ausübung unseres Dienstes aufmerksam
zu machen.
Den Lesern dieser Zeitschrift brauche ich wohl nicht erst
anzudeuten, worauf sich die Angriffe gegen die Amtsärzte
gründeten. Von verschiedenen Seiten wurde behauptet, daß
von der sozial-fürsorgenden Tätigkeit wenig in der Praxis zu
verspüren gewesen wäre.
Woran sollte das gelegen haben? An Nachlässigkeit und
Oberflächlichkeit der Amtsärzte bei Ausübung ihres Dienstes?
Sicherlich nicht I Jeder neu auf eine Stelle versetzte Amtsarzt
wird die Akten seines Vorgängers studieren, um sich hieraus
ein Bild zu schaffen, in welchem Sinne dieser als Fürsorgearzt
des Kreises gewirkt hat und — worauf es doch in erster Linie
ankomrat — was er bei dieser Tätigkeit erreichte. Bei solchen
Vergleichen wird man nicht selten zu dem für uns Amtsärzte
selbst am schmerzlichsten Ergebnisse kommen, daß viele An¬
regungen, die der Amtsarzt als der technische Berater des
Kreises seinem Landrate gab, nicht oder nur mangelhaft befolgt
wurden und die enorme Arbeit, die dem Amtsärzte durch diesen
Schriftverkehr erwuchs, nicht den notwendigen Erfolg hatte.
Zukunftsaufgabon amtsärztlicher Tätigkeit
873
Wenn ein Amtsarzt von dem zuständigen Regierungs¬
präsidenten eine Verfügung erhält, mit der Aufforderung im
Sinne dieser Verfügung zu wirken, so kann eine derartige
Verfügung, nur allgemeine Richtlinien enthalten. Wie sie nun
am besten unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse
des Kreises durchgeführt werden müssen, das kann die Vor¬
gesetzte Behörde nicht anordnen.
In den Kreisen, in denen der Landrat es als seine vor¬
nehmste Aufgabe ansieht, den Anregungen seines beratenden
Amtsarztes so weit wie irgend möglich nachzukommen, wird
sich wohl stets ein Mittel finden lassen, um das zu verwirk¬
lichen, was die Verfügung andeutet. Doch nicht selten wird
dieses Zusammenarbeiten zwischen beiden Beamten nicht so
reibungslos vor sich gehen. Landräte sind nun einmal nicht
nur Regierungsbeamte, sondern nehmen oft — ob aus eigener
Ueberzeugung oder unter dem Drucke ihrer Kreistage, das sei
hier nicht erörtert — eine so weitgehende Rücksicht auf die
Kreise, die die für Durchführung sozialer Tätigkeit notwendigen
Mittel aufbringen müssen, daß es oft bei der Anregung des
Amtsarztes (und sei diese auch noch so gut begründet) verbleibt.
Nun braucht der betreffende Amtsarzt sich hierbei nicht
zu beruhigen. Er wird sich an seine Vorgesetzte Dienstbehörde
wenden und ihr schildern, daß und weshalb er in dem oder
jenem' Punkte nichts erreichte. Nach meinen Erfahrungen
wird er oft nachträglich doch noch etwas durchdrücken, was
ihm kategorisch als undiskutabel und unausführbar hingestellt
wurde.
Dieser Weg ist langwierig. Er bringt dem Amtsärzte
sehr viel Arbeit, die ihm erspart werden könnte. Und zwar
in vielen Fällen, wenn er die Möglichkeit haben würde, seine
Anregungen selbst vor dem Kreistage oder dem Kreisausschusse
vorzubringen und nicht gezwungen wäre zu warten, ob und in
welcher Form der betreffende Landrat dies tun wird.
Einige Beispiele mögen dies erläutern:
In einem Bezirke ist die Stelle einer Hebamme zu besetzen. Der Amts¬
arzt hat eine Hebamme gefunden, die geeignet wäre, diese Stelle auszufüllen.
Er bittet seinen Landrat dafür zu sorgen; daß eine Wohnung für diese Heb¬
amme geschaffen wird. Der Landrat reicht dies Schreiben dem betreffenden
Gemeindevorsteher weiter. Dieser und die anderen Besitzer der Gemeinde
haben kein besonderes Interesse daran, daß die Stelle neu besetzt wird. Erstens
einmal sind ihre Frauen zum großen Teile aus den Jahren, in denen sie Mutter
werden könnten, heraus. Zweitens verfügen sie alle über genügend Fuhrwerk,
um im Bedarfsfälle sich eine Hebamme von weit her zu holen. Folglich be¬
müht sich der Gemeindevorsteher nicht genügend, um eine Wohnung für die
betreffende Hebamme in absehbarer Zeit frei zu bekommen. So kenne ich einen
Fall, in dem ein Hebammenbezirk mit über 80 Geburten im Jahre und zwar
ausschließlich auf dem Lande nicht neu besetzt werden konnte, weil sich trotz
aller erdenklichen Bemühungen des Amtsarztes keine Wohnung im Verlaufe
von mehr als einem Jahre für die neue Hebamme auftreiben ließ. Ja dieser
wurde sogar von einem der einflußreichsten Besitzer des Ortes gesagt, in dem
Orte würde eine Hebamme gar nicht ihr Brot finden können. Und das, obwohl
seit Jahrzenten eine Hebamme dort ihr Auskommen hatte.
Ist dem betreffenden Kreistage von der Kreisbehörde dar-
874
Dr. Schräder.
gelegt worden, was es bedeutet, wenn zu einer Geburt die
Hebamme meilenweit erst herangeholt werden muß? Ist ihm
dargelegt worden, daß auf dem Lande so und so viele still¬
fähige Frauen zur Flasche greifen, um ihr Kind —• und dann,
womöglich noch von einer alten Großmutter schlecht beraten,
falsch — zu ernähren, nur weil die Hebamme in der ersten
Woche nach der Geburt die junge Mutter nicht besuchen
konnte und ihr über die kleinen, aber oft das Leben des
Kindes entscheidenden technischen Schwierigkeiten des Still¬
geschäftes hinweghelfen konnte? Was weiß der Kreistag
über die Erfahrungstatsache, daß die Hebammenfuscherei dort
ihre Giftblüten treibt, wo die regelrechte Versorgung mit
Hebammenhilfe eine mangelhafte war? Sicherlich nichts.
Sonst wäre sehr schnell eine Wohnung für die Hebamme ge¬
schafft worden. Der umständliche Weg, auf dem sonst der
amtsärztliche Antrag möglichst bürokratisch und mit vielfachen
passiven Widerständen von verschiedenen Seiten weitergegeben
und erledigt, d. h. oft nicht erledigt wurde, wäre mit einem
Male ausgeschaltet. Anstatt stundenlang am Schreibtische zu
sitzen, Anregungen schriftlich zu geben, von denen doch nur
wenige verwirklicht werden, würde der Amtsarzt schnell und
schlagend Erfolge erzielen, weil er für seine Arbeit selbst ein-
treten kann. Anstatt mit der Zeit über die häufige Erfolglosig¬
keit seiner Arbeit mißmutig zu werden, würde ihn jeder-Erfolg
zu neuen Taten anspornen.
Oder einen anderen Fall:
Ich kenne einen Kreis, in dem drei Gemeindeschwestern tätig sind. Je
eine ist in den beiden Städten des Kreises stationiert, eine anf dem Lande.
Der Kreis müßte noch mindestens 5 Gemeindeschwestern haben. Dies hat der
Amtsarzt immer und immer wieder dem Landrat vorgestellt. Und stets erhält
er zur Antwort, diese Lasten könne der Kreis nicht aufbringen, der Kreis, der
— nebenbei bemerkt — sprichwörtlich wohlhabend ist! Hätte der Amtsarzt
die Möglichkeit vor dem Kreistage darzulegen, welcher Segen von der Tätigkeit
einer Gemeindeschwester ausgehen könnte, dann würde unter den heutigen
Verhältnissen kein Kreistag die Mittel fiir die Anstellung der Gemeinde¬
schwestern verweigern.
Und diese Beispiele ließen sich um vieles vermehren!
Deshalb muß in Zukunft eine unserer Hauptforderungen
sein, daß wir Amtsärzte in allen Fragen unseres
Dienstes und beiBeratung eines jeden unserer Vor¬
schläge vom Kreistage oder dem Kreisausschusse
gehört werden müssen. Wir müssen es als unsere Pflicht
ansehen zu verlangen, daß der Amtsarzt zum mindesten Sitz
und beratende Stimme im Kreistage und dem Kreisausschusse
erhält. Diese Forderung haben die Kommunalärzte längst ge¬
stellt und erfüllt bekommen. Und wo sie mehr als wir erreicht
haben, da haben sie diese Erfolge nicht etwa ihrer größeren
Sachkenntnis oder ihrem größeren Diensteifer zu verdanken
gehabt, sondern lediglich der Tatsache, daß sie die Möglichkeit
*) Anm. d. Scbriftl.: Diese Forderung ist auf der Hauptversammlung des
Preußischen Medizinalbeamten-Vereins in Magdeburg bereits gestellt.
Zukanftaanfgaben der amtsärztlichen Tätigkeit.
875
hatten, ihren Standpunkt einem größeren und entscheidenden
Forum gegenüber zu vertreten I
Nun wird ja der oder jener Amtsarzt bereits Mitglied des
Kreistages sein, weil er von irgend einer Partei in diese Körper¬
schaft gewählt wurde. Er hat zwar die Möglichkeit, nunmehr
seinen Standpunkt zu vertreten; aber er tritt hierbei doch in
erster Linie als Vertreter einer Partei oder einer Wirtschafts¬
gruppe auf. Hierdurch sind ihm die Hände gebunden; er ist
dauernd Angriffen ausgesetzt, daß er in seinen Forderungen
für die Wohlfahrt seines Kreises zu weit oder nicht weit genug
gehe. Deshalb halte ich es für unbedingt erforderlich und
besser, daß der Amtsarzt — ganz unabhängig von der Zu¬
sammensetzung des Kreistages oder Kreisausschusses oder der
Person des Landrates — von amtswegen verdichtet wäre an
den Sitzungen beider Körperschaften teilzunehmen und daß der
Leiter dieser Sitzungen, der Landrat, verpflichtet wäre, ihm bei
Beratung über jeden seiner Anträge und jede seiner Anregungen
das Wort zu erteilen.
Die Teilnahme an diesen Sitzungen würde aber noch in
anderer Beziehung die Tätigkeit des Amtsarztes vielfach be¬
fruchten 1 Er würde viele Teile kommunaler Verwaltungstätig-
keit kennen lernen, die er so kaum kennen lernt. Bis jetzt ist
er vielfach darauf angewiesen, nur das von diesen Dingen und
nur so viel von ihnen zu erfahren, was der Landrat ihm mit¬
zuteilen für gut hält. Und auch das oft nur von einem ein¬
seitigen Standpunkte aus.
Den betreffenden Abgeordneten dieser beiden Körper¬
schaften könnte er bei strittigen Fragen oft als Berater dienen
und zwar als ein Berater, der völlig uninteressiert an der oft
recht hitzigen Debatte unparteiisch, sachlich und ohne die
bekanntlich den Blick verdunkelnde Parteibrille vor dem
geistigen Auge urteilt.
Bei einem verständnisvollen Zusammenarbeiten zwischen
Landrat und Amtsarzt wird schließlich auch ersterer mit der
Zeit diese neue Tätigkeit des Amtsarztes als angenehm für
sich selbst empfinden. Immer jedoch wird sie ihn zwingen,
unserer Tätigkeit ein größeres Augenmerk zu schenken und
hierdurch werden die amtsärztlichen Erfolge auf sozialhygieni
schera Gebiete von selbst wachsen. Ein Jahrzehnt solcher Tätig¬
keit, und unsere Gegner werden anders über unsere Tätigkeit
urteilen I
Unsere Leistungen werden sich dann jederzeit mit denen
der Kommunalärzte vergleichen lassen dürfen. Denn wir ver¬
fügen über die gleiche Sachkenntnis, haben aber nebenbei noch
den enormen Vorteil, unser wertvollstes ideales Gut, unsere
wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Kreise, bei unserer Tätig¬
keit mit in die Wagschale werfen zu können. Und dies ist in
der heutigen Zeit mehr noch als früher Vorbedingung, wirklich
sachliche und wertvolle Arbeit auf diesem Gebiete leisten
zu können.
376
Dr. Hahn.
Ein Beitrag znr Frage der Aufhebung
der Zwangsimpfting.
Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn-Königsberg i. Pr.
Nach einer Mitteilung in Nr. 1254 des „Aerztlichen Vereins¬
blatts“ vom 23. März 1922 Seite 101 hat am 3. März 1922 im
Reichstagsgebäude ein Vortrag gegen den Impfzwang seitens
einer Vorkämpferin des Frauenbundes dieser Bewegung vor
Reichstagsabgeordneten und Aerzten stattgefunden, in dem
gegen den angeblich unzeitgemäßen und unpopulären
Fortbestand des Impfgesetzes zu Felde gezogen wurde.
Auf das „Für“ oder „Wider“ der Zwangsimpfung in
diesem Blatte einzugehen, darf ich mir versagen, da es m. E.
für den erfahrenen Medizinalbeamten nur ein „Für“ geben kann.
Es ist mir aber letzthin bekannt geworden, daß ich als
ehemals Pockenkranker in der Presse der Impfgegner zugunsten
ihrer Bestrebungen aufgeführt werde — als Beispiel, daß die
Impfung nicht vor der Erkrankung schützt. Ich halte es des¬
halb für angebracht, wenn ich über meine Beobachtungen am
eigenen Körper während der Erkrankung berichte und den
etwaigen Einfluß der an mir vorgenommenen früheren Impfungen
auf die Erkrankung einer kritischen Würdigung unterziehe.
Ich war vorschriftsmäßig als Kleinkind, im zwölften Lebens¬
jahr und zuletzt als Soldat im Jahre 1890 geimpft worden; die
ersten beiden Male „mit“, als Soldat „ohne“ Erfolg.
Im Jahre 1910 oder 1911 traten in Marienburg (Westpr.),
und alsdann in der mit der Stadt Marienburg in starkem Ver¬
kehr stehenden, zum Kreise Stuhm gehörigen Ortschaft P., wo
fast ausschließlich ärmliche Arbeiterbevölkerung wohnte, die
Pocken auf, mutmaßlich eingeschleppt durch polnische Saison¬
arbeiter, die alljährlich in dem damals zum Kreise Marienburg
gehörigen „Großen Werder“ für den Zuckerrübenbau in starker
Auflage benötigt wurden.
Wohl hatte ich von etwaigen in Marienburg vorgekommenen
Pockenerkrankungen gehört, aber — ich plaudere hier aus der
Schule — mir gedacht: „So etwas kommt in meinem Kreise
nicht vor.“
Eines Tages erhalte ich vom Landratsamt den Auftrag,
nach P. zu fahren, da dort ein eigentümlicher Krankheitsfall,
wahrscheinlich eine Infektionskrankheit, vorliege.
Ich fuhr sofort hin. Krank war ein etwa 11 jähriger Junge,
krankheitsverdächtig ein Kind im ersten Lebensjahr. Die
Diagnose war: Pocken. Ich hatte noch nie einen Pocken¬
kranken gesehen. Der Junge bot ein allerschwerstes Krank¬
heitsbild ; — das Gesicht war eine schwärzlich-braune Kruste,
der Körper übersäet mit Pockenpusteln und Schorfen. Der
Knabe starb bald darauf, desgleichen das andere Kind nach kurzer
Pockenkrankheit, während die übrigen Familienmitglieder —
darunter auch Kinder —, die im übrigen sogleich schutzgeimpft
wurden, gesund blieben.
Bin Beitrag zur Frage der Aufhebung der Zwangsimpfung. 377
Heimgekehrt impfte ich meine Frau, meine Kinder von 10
bezw. 5 Jahren, Dienstmädchen und mich selbst. In den nächsten
Tagen nahm ich Massen-Impfungen in P. vor, denen sich das
Publikum freiwillig in ziemlich geschlossener Zahl unterzog.
Nach kürzerer Zeit fühlte ich mein sonst stets einwand¬
freies körperliches Gleichgewicht gestört. Ich tat indes meinen
Dienst, bis die zunehmenden Rückenschmerzen mich nötigten,
das Bett aufzusuchen. Der Verdacht einer nahenden Pocken¬
erkrankung kam mir nicht; ich glaubte, mich „erkältet“ zu
haben. Die folgende Nacht war wenig erfreulich. Am nächsten
Vormittag konstatiere ich plötzlich, daß sich der Körper — fast wie
bei einem Masernkranken — mit Ausschlag bedeckt und daß die
meisten Flecke im Zentrum kleine Blutpunkte auf wiesen. Es war
heraus: — ich hatte die Pocken. Allein ich fühlte mich schon
fast obenauf und war am nächsten Morgen fieberfrei. Der weitere
Verlauf war der, daß ich täglich bedauerte, die Außenwelt meiden
zu müssen. Nur hier und da, besonders auf der Kopfhaut, ent¬
wickelten sich einige windpockenartige Pusteln.
Welche Folgerungen muß man als Arzt aus diesem Er¬
lebnis ziehen, selbst wenn man ein arger Skeptiker ist?
Bevor ich diese Frage beantworte, weise ich auf eine
andere Erfahrung aus eigener Beobachtung hin, nämlich die,
daß, nachdem zu Anfang des Weltkrieges eine ganze Zahl von
Verwundeten auf der Westfront an Wundstarrkrampf zugrunde
ging, die Erkrankungen mit einem Schlage auf hörten, als be¬
fehlsmäßig jeder Verwundete aufs schnellste der Tetanusschutz¬
impfung unterzogen wurde. Diesen plötzlichen Umschwung
muß man erlebt haben; dann kann man keine Zweifel hegen,
daß allein die Schutzimpfung unsere Verwundeten vor der fast
immer tödlichen Erkrankung an Starrkrampf bewahrte.
Ist der Pockenimpfschutz weniger gut, weniger bewährt? —
Neinl Ich verdanke ihm sicher damals mein Leben und den
schnellen Ablauf der Erkrankung. Nicht aber hat sich, wie
die Impfgegner wähnen, die Schutzpockenimpfung als etwas
überflüssiges, zur Verhütung der Krankheit imgeeignetes er¬
wiesen. Ich hatte mich sicher aufs schwerste infiziert. Dafür
sprach — abgesehen davon, daß die beiden verstorbenen Pocken¬
kranken sch werst-krank gewesen waren — der enorme Aus¬
schlag mit den zentralen Blutungen in den Ausschlagsflecken.
Aber ich hatte aus den während meines Lebens voraus¬
gegangenen Schutzimpfungen noch soviel Impfschutz in mir,
daß die Attacke seitens der in mir vorhandenen Schutzstoffe
glatt und kurz paralysiert werden konnte.
Meine Erkrankung lieferte nicht den Beweis, wie ihn
die Impfgegner finden, daß die Schutzpockenimpfung nichts
nützt, sondern den, daß sie, gesetzmäßig durchgeführt und
wiederholt, einen zum mindesten derartigen Schutz gewährt,
daß eine schwerste Infektion nur oberflächlich krankmachend
wirkt, und daß, sofern die Umgebung geimpft ist bezw. schnellstens
geimpft wird, weitere Erkrankungen nicht auftreten. Von den
378
Dr. Solbrig.
beiden Verstorbenen in P. war das Kleinkind überhaupt noch
nicht geimpft; es erlag sehr schnell der Krankheit. Bei dem
11 jährigen Knaben war wegen der Pusteln und Krusten nicht
feststellbar, ob die Erstimpfung intensiven Erfolg gehabt und
er genügend Impfschutz im Körper erworben hatte. Im übrigen
stand der Junge unweit der zweiten Impfung, die ihm weiteren
Schutz gewähren sollte. Bekannt ist ja, daß tunlichst alle
5 Jahre die Pockenschutzimpfung erfolgen müßte, um best¬
möglichen, vielleicht ganz sicheren Schutz zu erreichen.
Es wäre durchaus verfehlt im Interesse der Volksgesund¬
heit, wollte man mit der Zwangsimpfung brechen. Wozu nur
rütteln an dem, was sich voll bewährt hat und unter allen
Umständen zu unserem für die Abwehr einer schweren Volks¬
krankheit notwendigen Rüstzeug gehören muß! Wer nicht
hören will, der sehe die vielen pockennarbigen Gesichter der
russisch-polnischen Saisonarbeiter. Ich habe sie in Westpreußen
in recht hoher Zahl erlebt. Wie überaus selten findet man
einen pockennarbigen Deutschen I
Jetzt, wo die Infektionskrankheiten mehr als früher die
östlichen Grenzen bedrohen, laufe man nicht gegen die
Zwangsimpfung an. Sie ist nicht zu entbehren, und bei sach¬
gemäßer Ausführung und hygienisch einwandfreier Betreuung
der Kinder nach der Impfung sind ernstere Störungen durch¬
aus selten. Das hat mich die Erfahrung an vielen Tausenden
von Impflingen gelehrt, die ich teils selbst geimpft oder über
die ich die pflichtmäßigen Aufstellungen gemacht habe.
Wenn Gefahr droht, wie damals beim Auftreten der echten
Pocken, kommt übrigens die Bevölkerung von selbst, um sich
impfen zu lassen und vergißt alle Impfgegnerschaft.
Kurzum, nur die Beibehaltung der Zwangsimpfung kann
dem Volkswohl nützen.
Besoldungsfragen.
Vom Schriftleiter.
Den verschiedentlich geäußerten Wünschen, daß in der
Zeitschrift, und zwar fortlaufend*) nach den eintretenden Aende-
dungen, die Bezüge für die im Dienst befindlichen, die bereits
im Ruhestand befindlichen Medizinalbeamten und deren Hinter¬
bliebenen genauer bekannt gegeben werden, da es schwierig
sei, sich aus den fortwährend wechselnden Bestimmungen ge¬
hörig zu unterrichten, kommt die Schriftleitung gern nach.
Maßgebend ist für Preußen zur Zeit die vom Landtag
beschlossene Aenderung des Gesetzes mit Wirkung vom
1. April 1922 nebst einer Aenderung mit Wirkung vom I. Mai
1922 ab. Die zweite Aenderung bezieht sich lediglich auf
eine Erhöhung des allgemeinen Ausgleichs- und Sonderzuschlags.
•) Anm.: Zar Zeit schweben bereits, wie man hört, Erwägungen Aber
Erhöhung der Bezöge, die ja auch, mit Biicksicht auf die immer zunehmende
Teuerung durchaus nötig erscheint.
fiesoldungsfragen.
379
Hiernach setzt sich das Gehalt der im Dienst befind¬
lichen Beamten zusammen aus:
1. Grundgehalt, 2. Ortszuschlag, 3. Ausgleichs¬
zuschlägen, 4. gegebenenfalls Kinderbeihilfen und
Prauenbeihilfe,' 5. gegebenenfalls Wirtschaftsbeihilfe
(für bestimmte teure Orte).
Das Grundgehalt richtet sich nach den Gehaltsgruppen
und steigt bei den Einzelnen je nach seiner Dienstzeit, wobei
in den Gruppen 10 und 11 (Kreisärzte) das Höchstgehalt nach
14, in der Gruppe 12 (Reg.- und Med.-Räte in Aufrückungs-
steilen) in 12 Jahren erreicht wird; eine Steigerung vom An¬
fangsgrundgehalt tritt jedesmal nach 2 Jahren ein.
Zum Grundgehalt tritt der Ortszuschlag, dessen Höhe
sich je nach der Höhe des Grundgehalts und nach den Orts¬
klassen (5 Klassen von A—E) verschieden gestaltet, im höchst-
fall 8000 M. beträgt.
Ausgleichszuschläge kommen zum Grundgehalt und
Ortszuschlag und zwar:
a) der allgemeine Ausgleichszuschlag auf Grundgehalt und .
Ortszuschlag, einheitlich 65 v. H.,
b) ein Sonderzuschlag von 65 v. H. für die ersten 10000 M.
des Diensteinkommens.
Verheiratete erhalten einheitlich 2500 M. jährlich (also
auch solche, welche gekürzte Grundgehälter beziehen — nicht
vollbesoldete Kreisärzte und Kreisassistenzärzte) als sogenannte
Frauenbeihilfe. Voraussetzung ist, das die Ehefrauen unter¬
haltsberechtigt sind, was ohne weiteres als gegeben anzusehen
ist, wenn die Eheleute zusammen leben, dann aber, wenn die
Eheleute getrennt leben, gleichfalls in Betracht kommt, wenn
der Beamte der getrennt lebenden Ehefrau den Unterhalt ge¬
währt oder mindestens in Höhe der Frauenbeihilfe einen Beitrag
dazu leistet. Die Frauenbeihilfe ist ferner auch verwitweten
Beamten zahlbar, welche im eignen Hausstande für den vollen
Unterhalt von Kindern aufkommen, für welche sie die gesetz¬
lichen Kinderbeihilfen beziehen.
Kinderbeihilfen werden gezahlt:
a) für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahre 3960 M.,
b) vom vollendeten 6. bis vollendeten 14. Lebensjahre
4950 M.,
c) vom vollendeten 14. bis vollendeten 21. Lebensjahre
6940 M., letzteres (c) aber nur dann, wenn das Kind sich in
der Schulausbildung oder in der Ausbildung für einen künftig
gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf befindet oder wenn
es wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd er¬
werbsunfähig ist. Bezüglich der Kinderbeihilfen für Kinder
vom 14. bis 21. Lebensjahre ist außerdem festgesetzt, daß von
dem eigenen Einkommen des Kindes ein Betrag von 4000 M.
als anrechnungsfrei gilt.
Schließlich kommt dem Beamten und zwar nur den im
Dienst befindlichen, und nur für ganz bestimmte Orte eine
380 Dr. Solbrig.
Wirtschaftsbeihilfe zugute, deren Höhe schwankt zwischen
etwa i000 bis 3000 M.
Hiernach beziffert sich der Jahresbetrag des Grundgehalts
nebst Ortszuschlag und Ausgleichszuschlag (einschl. des Sonder¬
zuschlags von 5500 M.) in den Gehaltsgruppen 10, 11, 12 (ohne
Frauenbeihilfe und Kinderbeihilfen) folgendermaßen:
I. Besoldungsgruppe 10.
8rti-
klisst
in den
ersten
2 Jahr.
nach
2 Jahr.
nach
4 Jahr.
nach
6 Jahr.
nach
8 Jahr.
nach
10
Jahren
nach
14
Jahren
Grundgehalt
ggfffjTB
RS
IgfiMiW
42000
A
Ortszuschlag
ff
M
BßSfl
■Rff i
K^j
7200
8000
JhugleitfcszBufalige
EkaS
ESU
EES
Elia
Eiitt
3800
ZUR.
63580
66880
70180
73480
| 76780
80080
83380
88000
Grundgehalt
300U0
Kl BW
ETOTiim
38000
n
42000
B
Ortszuschlag
KM
all :!jß(
Kl
5400
■N
6000
inglädiszBidüigi
KU!
ISS
EHfl
EttiSs
33710
Es
36700
ZU«.
60610
63910
67210
70510
73810
77110
80410
84700
Grundgehalt
n
KW|
HM
42000
c
Ortszuschlag
Klffl
5000
JUsglädiszBsililige
IBS
SS
ES
E»
EttKB
m
36050
zus.
59125
62425
65725
69025
72325
7562f'
78925
83050
Grundgehalt
BMYt
ggrrni
400O0
42000
D
Ortszuschlag
Kw
K ff®
K ffffl
3600
4000
lu|lMksntdß|t
Esi
Euiii
ES
KiUiSl
Efiiiil
33840
35400
ZUS.
57640
60940
64240
67540
| 70840
77440
81400
Grundgehalt
gT>Wi]
wm
—
40000
42000
E
Ortszuschlag
2700
ütri
2700
8000
lu|liidKn«kll|i
25455
26755
28055
29365
30655
31955
83255
34760
56155
59455
62755
66056
69355
72656
75956
79750
II
Besoldungsgruppe 11.
Irts-
klust
in den
ersten
2 Jahr.
nach
2 Jahr.
m
nwvffl
nach
6 Jahr.
nach
8 Jahr.
nach
10
Jahren
EU
jjg
nach
14
Jahren
Grundgehalt
gm
HW
48000
A
Ortszuschlag
7200
Bo
wo
Km
■S
8000
ftuflddisnsdiligi
Ki||
32605
cB
EIuImS
EU
En
EB
41900
ZU8.
CB
74305
78430
82555
88000
91300
94600
97900
Grundgehalt
34500
KTüüJ
HM
HW
48000
B
Ortszuschlag
Km
6000
InilnhzistUigi
29810
31435
33060
K|T!7!h
EM
ES
EB
40600
ZU8.
672i0
71335
754«0
79585
84700
88000
91300
94600
Grundgehalt
B
42000
48000
C
Ortszuschlag
Biff fl
5000
5000
lis|hhhoiscUi|<
E22
BE
32475
Eil lü
36050
B
38650
39950
zus.
65725|
69850
73976
78100
83050
EH
92960
Besoldungsfragen.
381
Ms*
Mas»
in den
ersten
2 Jahr.
nach
2 Jahr.
nach
4 Jahr.
nach
6 Jahr.
nach
8 Jahr.
nach
10
Jahren
nach
14
Jahren
Grundgehalt
eütr
KWITJJ
46000
481)00
D
Ortszuschlag
Br ijffi
Kt®!
Bß «Ei
Bn
40: )0
4000
teglritbsandillgi
ese
WRm
Eüi
35400
38000
39300
ZU8.
64240
68366
76615
81400
| 84700
88000
91300
Grundgehalt
IftTiVV
güTTT
in
46(00
48000
E
Ortszaschlag
taitofemuUSii
Hm
3000
3000
ESI
ES
37850
38650
zus.
| 62755
| 66880
| 71005
| 75180
| 79760
| 88050
86350
89650
III. Besoldungsgruppe 12.
litt-
nach
nach
nach
nach
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
LI-
flwtl
2 Jahr.
4 Jahr.
6 Jahr.
8 Jahr.
Grundgehalt
40000
Pjrm
BETiTW]
54000
60000
A
Ortszuschlag
7200
Kl
!
8000
Ausgleichszuschläge
36180
Bü
47750
49700
ZUS.
83380
91300
97900
102850
t07800
112750
117700
Grundgehalt
Bffl!
IS
60000
B
Ortszuscblag
Brto
|B|
nm
Hm
2
6000
AuBgleichszuschläge
38000
ESSE
48400
ZUR.
80410
88000
94600
99550
104600
109450
114400
Grundgehalt
■OIlHII]
44000
B®
BH
c
Ortszuschlag
m
6000
Km
BR!
K®
V/
Ausgleichszuschläge
84425
37350
mmm
47750
zus.
78926
86350
92950
97900
102850
107800
112750
Grundgehalt
44000
BQ
B®
■mcu
60000
D
Ortszuschlag
BPaE
4000
Hm
HQ
H®
■Eii'i'i
4000
Ausgleichszuschläge
36700
Hirni!
ra!»'
Em
47100
ZU8.
77440
84700
91300
96250
101200
106150
111100
Grundgehalt
vn
48000
61000
isisiss
60000
E
Ortszuschlag
Ausgleichszuschläge
m
rm
3000
88650
3000
40600
B
3000
46450
ins.
| 76955
83050
94600
I 99550
1104500
109450
Wenn sich hiernach die Bezüge der vollbesoldeten Medi¬
zinalbeamten ergeben, so wird bei den nicht vollbesoldeten
Kreisär zten folgendermaßen verfahren. Die nicht voll¬
besoldeten Kreisärzte erhalten 75 v. H. der Grundgehaltssätze
der vollbesoldeten Kreisärzte in Gruppe 10, dazu der diesem
f »kürzten Grundgehalt entsprechende Ortszuschlag, wozu die
usgleichszuschläge, wie oben angegeben, kommen. Etwaige
Kinderbeihilfen und Frauenbeihilfe werden in gleicher Höhe,
wie den vollbesoldeten Beamten gewährt. Dasselbe gilt von
der Wirt8ohaft8beihilfe.
882
Dr. Solbrig.
Hiernach beziffert sich das Einkommen des nicht voll¬
besoldeten Kreisarztes (ausschließlich Frauenbeihilfe,
Kinderbeihilfen und Wirtschaftsbeihilfe) wie folgt:
Irts-
klast
in den
erst. 2
Jahren
nach nach
2 4
Jahren Jahren
nach
6
Jahren
nach
8
Jahren
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
nach
14
Jahren
Grundgehalt
24000
25500
81500
A
Ortsznscblag
Hm
HO
6400
6400
KM
7200
7200
äisglwhsnudilige
25260
26235
80655
zus.
49390
Ö318&J
55660
58185
60610
63406
66880
69355
Grundgehalt
BBSI
KTjTO
kess
KjTIXj
31600
B
Ortszuschlag
■M.
4800
KM
KM
5400
luilwbaiiuUigt
Bbsii
IMrM
29485
ZUS.
47O80
50545
53020
55495
57970
61435
63910
66385
Grundgehalt
iiUiVjl
BTiüüTB
31500
c
Ortszuschlag
■n
■m
4500
Jüis|Mdiszn(tngt_
31425
22725|
23700
K&mi 1
27926
28900
zus.
45925
49225|
51700
56650
59950
62425
64900
Grundgehalt
wvm
22500
27000
gTjWi]
D
Ortszuschlag
3200
3200
K?£CSj
faqltidiguiiip
Kirnt
22‘205[
Km» 1
Kiigf!
26130
26365
27841
| 28316
zus.
44770
47905j
50380
52855
66330
58465
60940
Grundgehalt
21000
KgMITI
ehss
31500
E
Ortszuschlag
2100
KM
km
2700
Ifls|isithszisdiligs_
20515
1 ^^
27780
zus.
48615|
4658ö|
49060
51535
54010
56980
59455
61930
Die Kreisassistenzärzte gelten nach den Besoldungs¬
gesetzen als Stellenanwärter für die vollbesoldeten Kreisarzt¬
stellen und erhalten als solche:
a) eine Grundvergütung in Höhe von 95 v. H. des
Anfangsgrundgehalts eines vollbesoldeten Kreisarztes der
Gehaltsgruppe 10,
b) einen Ortszuschlag der voll dem des Kreisarztes entspricht,
c) ‘einen Ausgleichszuschlag (allgemeiner und Sonderzu¬
schlag) in voller Höhe entsprechend dem Einkommen zu a und b.
Die etwaige Frauenbeihilfe und etwaige Kinderbeihilfen
erhalten sie außerdem in voller Höhe wie der planmäßige Beamte.
'Eine etwaige Wirtschaftsbeihilfe wird ihnen in Höhe von
95 v. H. der planmäßigen Beamten gewährt.
Danach beträgt das Diensteinkommen des Kreis¬
assistenzarztes (außer Frauenbeihilfe, Kinderbeihilfen und
Wirtschaftsbeihilfe):
Ortski. Ortski.
Grandvergütung . . 26600 M.
* Ortszuschlag . . . 7200 „
A Ausgleichs- and Son¬
derzuschlag . . . 27470 „
za». 61270 M.
Grundvergütung . . 26600 M.
t> Ortszuschlag . . . 5400 „
Ausgleichs- und Son¬
derzuschlag. . ■ 26800 „
zus. 68800 M.
V
Besoldungsfragen.
388
Ortokl.
Grondyergütong . . 26600 M.
q Ortszuschlag . . . 4500 „
Ausgleichs* und Sou-
derzuschlag. . . 25715 „
zus. 56816 M.
ßrundvergütung . . 26600 M.
n Ortszuschlag . . . 3600 „
u Ausgleichs- und Son-
derzuschlag. . . 26130 „
zus. 55380 M*
Rahegehälter.
Die Ruhegehälter der Medizinalbeamten werden
gleichmäßig für alle, also auch die bereits längere Zeit im
Ruhestand befindlichen, so geregelt, daß die Grundgehaltssätze,
die mit dem 1. April 1922 in Kraft getreten sind, zu Grunde
gelegt werden und auch die mit dem 1. Mai 1922 erhöhten
Äusgleichszuschläge Berücksichtigung finden. Für die nicht
vollbesoldeten Kreisärzte wird bei der Pensionierung ein Betrag
von 5000 M. *) für sonstige Dienstbezüge hinzugerechnet. Hierzu
kommt dann für alle ein Durchschnittssatz des Ortszuschlags,
der bei einem Grundgehalt von über 27400 bis 40000 M. 4680
und bei einem Grundgehalt von über 40000 M. 5200 M. beträgt.
Hinzugerechnet wird hierzu ein Versorgungszuschlag vom ruhe¬
gehaltsfähigen Diensteinkoramen (Grundgehalt nebst Ortszu¬
schlagsdurchschnitt), nämlich 120 v. H. der ersten 10000 M. und
65 v. H. des Restbetrages.
Etwaige Frauenbeihilfen und Kinderbeihilfen werden den
RuhegehaltBempfängern in gleicher Höhe bewilligt wie den im
Dienst befindlichen Beamten. Eine Wirtschaftsbeihilfe kommt
nicht in Frage.
Beispiele werden diese etwas kompliziert erscheinende
Berechnungsart verständlicher machen. Als bekannt wird vor¬
ausgesetzt, daß das ruhegehaltsfähige Diensteinkommen in der
Weise berechnet wird, daß, wenn die Versetzung in den Ruhe¬
stand nach vollendetem zehnten Dienstjahr eintritt, die Pension
80 /«o beträgt und von da mit jedem weiteren vollen Dienstjahr
bis zum vollendeten 80. Dienstjahre um l l 60 des Dienstein¬
kommens, von da ab um l / 120 bis zum vollendeten 40. Dienstjahre,
in welchem der Höchstbetrag von 45 / 60 erreicht wird, steigt.
Beispiel I: Kreisarzt X. hat eine Dienstzeit von 28 Jahren hinter sich,
war vollbesoldet und in Gehaltsgruppe 11. Der Buhegebaltsberechnung sind
demnach zu Grunde zu legen w/eo des Diensteinkommens; das letztere betrug:
48000 M. Grundgehalt
zus. 53200 M. Davon sind M /eo. 33687 M.
Hierzu kommt:
Versorgungszuscblag vom Buhegehalt, und 2war 120 v. H. der
ersten 10000 M. 12000 M.
65 v. H. des Bestbetrages von 23 687 M... . 15 396 M.
_ zus. 27 536 M.
*) Nicht 2250 M. wie bisher und wie noch in Nr. 10 d. Zeitschr. anf
8.280 angegeben ist 1
Ortski.
GvnndvergQtung . . 26600 M.
U Ortszuschlag . . . 2700 „
Ausgleichs- und Son¬
derzuschlag . . . 24545 „
zus. 53845 M.
384
Dr. Solbrig: Besoldungsfragen.
Es betragen also die Versorgungsgebührnisse 33687 M.
27896 M,
zus. 61083 M,,
wozu etwaige Frauenbeihilfe (2600 M.) und etwaige Kinderbeihilfen treten.
Beispiel II: Kreisarzt Y. hat eine Dienstzeit von 10 Jahren hinter
sich, war nicht vollbesoldet und befand sich in Gehaltsgruppe 10. Der Rtxhe-
gehaltsberechnung sind also zu Grunde zu legen , 7 90 des Diensteinkommens;
letzteres betrag:
28500 M. Grundgehalt
4 ir j_i___i_.‘ui
zus. 3b 180 M.
dazu 6000 M. fü r sonstige Dienstbezüge
zus. 38180 M. so/eo hiervon .. 12726 M.
Hierzu kommt:
Yersorgungszuschlag vom Hubegebalt, und zwar 120 v. H. der
ersten 10000 M. 12000 M.
65 v. H. des Bestes von 2726 U.. . 1771 M.
zus. 13771 M.
Es betragen also die Versorgungsgebührnisse 12726 M.
18771 M.
zus. 26497 M.,
wozu etwaige Frauenbeihilfe (2600 M.) und etwaige Kinderbeihilfen treten.
Die Yersorgungsgebührnisse der Hinterbliebenen
regeln sich nach den neuesten Bestimmungen derart, daß der
Witwe des verstorbenen Beamten 2 / 6 des ruhegehaltsfähigen
Diensteinkommens (Grundgehalt nebst Ortszuschlag) zusteht, zu
welchem der Verstorbene berechtigt war oder berechtigt gewesen
sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt
wäre. Dazu wird ein Ausgleichszuschlag gewährt, der die
Hälfte des Betrages ist, den der Verstorbene im Ruhestand
erhalten haben würde. Die Waisen erhalten je Vs des Witwen¬
geldes (bezw. Vs, falls die Mutter nicht mehr lebt). Kinder¬
beihilfen werden nebenher gewährt, wie in den Fällen, in denen
es sich um aktive oder im Ruhestand befindliche Beamte handelt.
Beispiel: Kreisarzt Z. (vollbesoldet, Gruppe 10) ist gestorben, nach¬
dem er volle 20 Jahre im Dienst sich befunden hat. Er hinterläßt eine Witwe.
Die Versorgungsgebühmisse der letzteren berechnen sich folgendermaßen: das
ruhegehaltsfähige Diensteinkommen des Verstorbenen betrug
42000 M. Grundgehalt
_ 6200 M. D urchschnittssatz deB Ortszuscblags
zus. 47200 M., danach würde das Buhegehalt *°/«> davon, d. h.
23600 M., betragen. Die Witwe erhält davon */* als Witwengeld 9440 M.
Dazu Versorgungungszuschlag, und zwar vom Aus¬
gleichszuschlag vom ruhegehaltsfähigen Dienst¬
einkommen (47200 M. Grundgehalt nebst Orts¬
zuschlagsdurchschnitt) von 36180, 120 v. H. der
ersten 100C0 M. 12000 M.
66 v. H. des Bestbetrages von 26180 M.17 017 M.
zus. 29017 M.
Davon die Hälfte. 14608 M . 14 508 M.
zus. 23948 M.
Also beträgt das Witwengeld 23948 M.
Hierzu würden, falls Kinder hinterlassen werden, Waisengeld und Kinder¬
beihilfen kommen.
Verhandlungen des Vorstandes des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 386
Aus dieser Zusammenstellung wird, wie wir hoffen, jeder
Kollege, ob noch im Dienst oder schon im Ruhestand befindlich,
sich leicht darüber unterrichten können, wie sich zur Zeit die
Gebührnisse für ihn und dermaleinst für die Hinterbliebenen
gestalten, und wie sie errechnet werden. Dazu sei am Schlüsse
noch bemerkt, daß die der neuen Aenderung entsprechenden
Umrechnungen bestimmungsgemäß mit größter Beschleunigung
in allen Verwaltungen erfolgen sollen, und zwar haben die
Kassen Verwaltungen der Regierungen die vom 1. Mai in Frage
kommenden Umrechnungen für die Ruhegehälter und Ver¬
sorgungsbezüge der Hinterbliebenen vorzunehmen, worauf von
dort die Mitteilungen an die Empfänger ergehen werden. Die
neuen Festsetzungen der Gehälter der im Dienst befindlichen
Medizinalbeamten erfolgen bei jeder Regierung durch den Re¬
gierungspräsidenten.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Verhandlungen des Vorstandes des Deutschen Medizinal*
beamten Vereins ln Magdeburg. Zentralhotel,
am £9. April 19**.
Anwesend: Rapmund,Bundt,Sieveking,Petzhold t, Wollen¬
weber, Gnmprecht, Zoeppritz, Solbrig. Entschuldigt fehlen:
Frickhinger, Kaspar, Baader, Strassmann, Schnitze.
nachdem Herr Geh. Med.-Bat Dr. Wodtke zum großen Bedauern des
Vorstandes trotz allseitiger Bitten auf der Niederlegung des Vorsitzes besteht,
wird einstimmig Herr Med.-Bat Dr. Bundt zum Vorsitzenden gewählt.
Der Schriftführer Dr. Sieveking legt die Antworten vor, die auf die
verschiedenen von der Nürnberger Hauptversammlung am 10./11. Sept 1921
beschlossenen Eingaben erfolgt sind:
a) vom Beichsarbeitsministerinm, betr. Amtsbezeichnung „Reg.-Med.-Rat“ und
„Ober-Reg.-Med.-Bat“ der Versorgungsärzte;
b) vom Reichsministerium des Innern, betr. Vertretung des Deutschen Mcdiz.
Beamtenvereins im Reichsgesundheitsrat. (Wortlaut mitgeteilt in der
Zeitschrift für Medizinalbeamte, Nr. 10 vom 20. Mai 1922, S. 277.)
Er berichtet über die von ibm im Aufträge des Vorstandes mit der Reichs-
Versicherungs-Anstalt für Angestellte in Berlin gepflogenen Verhandlungen,
betr. Erhöhung der Gutachtenhonorare. Es ist in Aussicht genommen, sie ent¬
sprechend den Veränderungen der Beamtengehälter za verändern. Jeden¬
falls werden die Kollegen dringend ersucht, nicht durch
Einzelgesuche die Bemühungen des Vorstandes zu erschweren.
Die Abrechnung für 1921 wird vorgelegt nnd genehmigt. Sie schließt
mit einem Fehlbetrag von M. 3897 ab. In Zukunft sollen, wie bisher sehon
in Preußen und Bayern, die Vorstände der Landesvereine (Sachsen,
Württemberg, Baden, Hessen, Thüringen) die Jahresbeiträge einziehen.
Um die Zeitschrift für Medizinalbeamte, über die eine lebhafte Ans¬
sprache stattfand, überhaupt weiterführen za können, wird für das laufende
Jahr ein zweiter Beitrag von M. 60 notwendig werden.
Die Satzungen sollen zwecks Eintragung des Vereins umgearbeitet werden.
In der Frage der Amtsbezeichnungen soll der Vorstand einstweilen von
weiteren Schritten absehen, da in Preußen, Württemberg und Baden Verhand¬
lungen darüber schweben.
Eine Hauptversammlung soll 1922 schon der hoben Kosten wegen nicht
atattfinden. Für 1923 wird an eine mitteldeutsche Stadt gedacht
Sehr eingehend wurde über die Verhandlungen mit den Berufsorgani¬
sationen gesprochen. Nachdem der Preuß. Medizinal-Beamtenverein korporativ '
386 Bericht ttber die dienstliche Versammlung der Med.-B. des Bgbz. Köln.
dem Berufsverein höherer Verwaltangsbeamten (Berlin W 50,
Pragerstr. 9) beigetreten ist, wird allen Landesvereinen empfohlen, diesem Bei«
spiele zu folgen. Kleinere, nicht za Landesvereinen znsammenznfassende Gruppen
werden gebeten, sich benachbarten derartigen Vereinen anzaschließen oder utre
Mitglieder einzeln beitreten za lassen. Erst wenn so ein möglichst restloser
Beitritt aller Mitglieder erreicht ist, wird der Deutsche Medizinalbeamtenverein
auch seinerseits wie der Prenß. Med.« Beamtenverein eine Vertretung im Vor¬
stande des Berufsvereins Höherer Verwaltangsbeamten erhalten können.
Kassenbericht des Deutschen Medlzlnalbeamtenverelns für 1921.
Einnahmen:
Bestand von 1920 .
Zinsen der Beichskriegsanleihe.
Zurücke rstattete Kapital-Ertragssteuer.
Jahresbeiträge:
Preußischer Medizinalbeamtenverein 750 X 3
Bayerischer „ 310 X 29 .
Deutscher „ 284 X 30 .
Porti.
Fehlbetrag.. . .
M.
7t
7t
2869,63
270,—
52,50
n
7t
7t
71
n
2250 —
8990,—
8520,—
77,86
3897,-
M. 26926,98
Ansgaben:
Verwaltungskosten •.M. 200,78
Porti und Briefumschläge.„ 238,60
Jahresbeiträge.„ 126,—
Beisekosten f. Vorstandssitzung in Cassel 30. L 1921 „ 2898,30
Beisekosten für Hauptversammlung in Nürnberg
10./11. IX. 1921. „ 2898,30
Unkosten der Tagung in Nürnberg. . 67,—
An Druckerei J. C. C. Bruns und Verlag H. Kornfeld *
für die Zeitschrift für Medizinalbeamte . . . . „ 21724,15
M. 26926,98
Hamburg, 15. April 1922. Dr. G. Herman Sieveking.
Geprüft und mit den Belegen übereinstimmend befunden.
Hamburg, 26. April 1922. Dr. Sannemann. Dr. Spaethe.
Bericht ttber die diemntliche Versammlung der üedlzinal«
Beamten den Heg.- Bez. Köln am 86. Aprii 1988 in Köln.
Es nahmen teil: Der Begierungspräsident Graf Adelmann, die Ober-
regierungsräte Bad ding und von Heinsberg, Beigeordneter Prof. Dr.
Kraut wig, Gerichtsmedizinalrat, Geheimrat Prof. Dr. Unger-Bonn, Beg.«
nnd Med.-Bat Dr.Döllner, die Kreismedizinalräte Prof. Dr.Meder, Lohmer,
Schmidt, Schrammen, Meerbeck,Hillebrand, Basten, Bachem,
Viereck, Kessel, Schäfer, Heinecke, Möbius und Kreisassistenzarzt
Steinebach.
Nach der Eröffnungsrede des neuernannten Begierungspräsidenten, der
die Medizinalbeamten seines regsten Interesses versicherte hinsichtlich ihrer
Aufgaben und ihrer Stellung, referierte zunächst
Dr. Steinebach über das Thema Kreisarzt und Kommunalarzt* Hierzu
hielt Dr. Viereck das Korreferat.
Nachdem in der Debatte Prof. Dr. Krautwig darauf hingewiesen hatte,
daß für eine Beihe von Bezirken sich die Anstellung besonderer Kommunal«
ärzte als notwendig erwiesen habe, und daß auf Grund dieser Tatsache der
Wirkungskreis der Kreismedizinalbeamten gegenüber dem Kommunalarzt durch
gegenseitige Verständigung und durch entsprechende Fassung der Dienst¬
anweisung abgegrenzt werden müsse, einigte man sich auf folgende Leitsätze:
Im allgemeinen ist der Kreisarzt der gegebene Leiter des kommunal¬
ärztlichen Dienstes, doch machen besonders ausgedehnte oder besonders
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 887
i
dicht bevölkerte Bezirke vielfach die Anstellung besonderer Kommanal¬
ärzte empfehlenswert.
Ihre Tätigkeit grenzt sich dann insofern ab. als der Kreisarzt der
staatliche Aofsichtsbeamte für die Durchführung der Medizinal- and Sani-
tätegesetzgebung und der Berater der Behörden in der allgemeinen Ge¬
sundheitsfürsorge ist, während dem Kommanalarzt die praktische Aus¬
führung bezw. Leitung der individuellen Gesundheitsfürsorge obliegt.
Die Uebertragung der gesamten Kreisarztgeschäfte an den Kommanal¬
arzt ist ebenso ^bzulehnen, wie die gänzliche Kommunalisierung der
Kreisärzte.
Sodann referierte Dr. Basten über Kreisarzt and Kreiswohlfahrtsamt.
Hierzu korreferierte Dr. Schrammen.
Man einigte sich hierbei darauf, daß die Leitung der Gesundheitsfürsorge
einem Arzte, und zwar, falls der Kreisarzt nicht überlastet ist, diesem za
übertragen ist. Die Gesundheitsfürsorge soll in einer besonderen Abteilung
dem unter Leitung des Landrats stehenden Kreiswohlfahrtsamt mit der not¬
wendigen Selbständigkeit eingefügt und mit dem erforderlichen Personal ver¬
sehen werden. Für die Tätigkeit als Leiter der Gesundheitsabteilung des
Kreiswohlfahrtsamtes ist dem ärztlichen Leiter eine angemessene Entschädigung
zu gewähren. Ein Wohlfahrtsamt, das zum Staatsmedizinalbeamten in keinerlei
Beziehungen steht, ist abzulehnen. Dr. D ö 11 n e r - Köln a. Rh.
Kleinere Mitteilungen u. Referate aus Zeitschriften.
Gewerbehygiene.
Die gewerbehygienischen Aufgaben und die Mitwirkung der Aerzte
in der Gewerbeaufsicht. Von Dr. Rasch-Hamburg und Prof. Dr. Hol tz-
mann-Karlsruhe. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, Nr. 8—9.
1. Zur Wahrung der einheitlichen Verwaltung muß auch in gewerbe¬
hygienischen Fragen der Gewerberat in seinem Bezirk zuständig und verant¬
wortlich bleiben.
2. Der Gewerberat muß in allen Zweigen der Gewerbehygiene um¬
fassende Kenntnisse besitzen; er muß über technisches Können verfügen, um
das wissenschaftlich Erkannte in den praktischen Betrieb überzuführen.
3. Die ärztliche Mitwirkung in der Gewerbeaufsicht ist unentbehrlich.
Sie wird gesichert durch die Tätigkeit von Landesgewerbeärzten io großen
Industriegebieten und durch die Beteiligung örtlich zuständiger Amtsärzte, die
in ständigem unmittelbarem Verkehr mit den Gewerbeaufsichtsbeamten stehen.
4. Grundsätzlich sollte Aerzten mit technischer Neigung und Befähigung
nach der für technische Beamte geforderten Berufsausbildung die Laufbahn
als Gewerbeaufsichtsbeamter eröffnet werden.
Der zweite Verfasser kommt zu folgendem Schluß:
1. Zur Wahrung der einheitlichen Verwaltung muß auch in gewerbe¬
hygienischen Fragen der Gewerberat in seinem Bezirk zuständig und verant¬
wortlich bleiben.
2. Der Gewerberat muß in allen Zweigen der Gewerbehygiene um¬
fassende Kenntnisse besitzen, muß über technisches Können verfügen, um das
wissenschaftlich Erkannte in den praktischen Betrieb überzuführen.
3. Die ärztliche Mitwirkung in der Gewerbeaufsicht ist unentbehrlich.
Sie wird gesichert durch die Tätigkeit der Landesgewerbeärzte, die in den
Gewerbeaufsichtsdienst eingegliedert und als Beamte im Sinne des § 139 b GO.
bestellt werden. Für den Arbeiter- und namentlich für den Anwohnerschutz
können, soweit erforderlich, auch fernerhin die örtlich zuständigen Amtsärzte
zugezogen werden, die in unmittelbarem, ständigem Verkehr mit den Gewerbe¬
aufsichtsbeamten stehen müssen. Dr. Wolf-CasseL
Beruf und Krankheit und ihre Erfassung durch die Statistik. Von
Landesgewerbearzt Dr. Thiele-Dresden. Zentralblatt für Gewerbehygiene,
1921, Nr. 2.
Es ist unter allen Umständen zu fordern, daß die Geschäftsführung der
Krankenkassen so geordnet wird, daß ihre Ergebnisse ohne weiteres berufs-
388
Tagesnachrichten.
hygienisch, d. h. auch praktisch-statistisch, ausgewertet werden können; ohne
ärztliche Mitwirkung dttrfte eine auch sozial-, im engeren Sinne gewerbe¬
hygienisch nützliche Krankenkassenstatistik nicht geschaffen werden.
Dr. Wolf-Cassel.
Die neuen Fortschritte der Gruppenbeleuchtung. Von H. Müller-
Offenbach. Zeitschrift für Gewerbehygiene, 1921, H. 1.
Neben vielen anderen Vorteilen liegen die Vorzüge einer ausreichenden
Beleuchtungsstärke und eines ruhigen Lichtes darin, daß sie der Augenkrank¬
heit der Bergarbeiter, dem bekannten Augenzittern, Einhalt bieten. Als bestes
Vorbeugungsmittel gegen diese Krankheit hat sich die Erhöhung der Beleuch¬
tungsstärke erwiesen. _ Dr. Wolf-CasseL
Ueber den Einfluß der Nachtarbeit auf den Gesundheitszustand der
Arbeiterschaft* Von H. Brückner. Zentralblatt für Gewerbehygiene,
1921, H. 10.
Soweit wir die Verhältnisse bis jetzt Überblicken, ist der Einfluß der
Nachtarbeit auf die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiterschaft in keiner Weise
von ausschlaggebender Bedeutung. Ein einwandfreies Urteil kann aber erst
dann abgegeben werden, wenn es gelungen ist, eine vergleichende Statistik
über die Tages- und Schichtarbeiter hinsichtlich der Verteilung innerer Krank¬
heiten fertigzustellen und wenn noch weitere Forschungsrichtungen zu dem¬
selben Besätat gelangen. _ Dr. Wolf-Cassel.
Bericht über den ersten Kurs der Fabrikärzte der deutschen Blei¬
farbenfabriken über Prophylaxe der Bleivergiftung. Von Dr. Grobe-
Katzhütte. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, H. 8.
Prof. Schmidt-Halle besprach vor allen Dingen die 4 Kardinalsymp¬
tome unter den objektiven Merkmalen: Bleisaum, Bleikolorit, basophile Körnung
der Erythrozyten und Hämatoporphyrinurie. Ein völliger Ausschluß von der
Arbeit kommt bei niederen Werten der Körnung und des Hämatoporphyrins
ohne klinische Symptome nicht in Frage, aber doch eine verschärfte Beob¬
achtung der betreffenden Arbeiter. Plötzlich starke Aenderungen des Blutbildes
und des Urinbefundes sind von alarmierender Bedeutung und rechtfertigen
eventuell den Arbeitsausschluß oder doch wenigstens eine Beschäftigung an
ungefährlicher Stelle. Ebenso wurden die für eine Abweisung maßgebenden
Gründe erörtert (Potatoren, Schwächliche und Anämische, Neurastheniker,
Luetiker, Mundatmer usw. sollten nicht eingestellt werden, insbesondere nicht
bei Bleistaubgefahr). _ Dr. Wolf-Cassel.
Tagesnachrichten.
Ana dem Reichstage. Im Reichstage wurde eine Vorlage an¬
genommen, die sich auf die Pensionskürzung bezieht Danach bleibt das
Arbeitseinkommen, das von pensionierten Beamten nebenher erworben wird, bis
zur Höhe von 60000 M. bei der Kürzung unberücksichtigt. Ruhegehalt, ein¬
schließlich des Teuerungszuschlages wird aber um die Hälfte des Betrage«
gekürzt, um den das gesamte Arbeitseinkommen das kürzungsfreie Arbeits¬
einkommen übersteigt. Die Hälfte des Ruhegehalts, einschließlich des Teue¬
rungszuschlages muß jedoch dem Ruhegehaltsempfänger verbleiben. Das Gesetz
gilt nicht für Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben.
Bei der Schlußsitzung des Reichstages am 31. Mai wurde der Gesetz¬
entwurf auf Ausdehnung der Krankenverslchernngspfllcht endgültig an¬
genommen, und zwar in der Ausscbnßfassung, die die Versicherungspflicht bis
auf ein Jahreseinkommen von 72000 M. ausdehnt, während der Regierungs¬
entwurf nur bis 60 000 M. gehen wollte. Auch die Gesetze über Erhöhung der
Leistungen für Wochenhilfe, Wochenfürsorge und Sozialversicherung, über das
Soldatenversicherungsgesetz wurden angenommen, schließlich auch das Gesetz
über die Umgestaltung der Angestelltenversicherung insoweit, als die Grenze
des versicheren gspflientigen Einkommens auf 100000 M. erhöht wird.
Tagesnachrichten.
889
Am 22. Hai fand im Preußischen Ministerium für Volks¬
wohlfahrt eine Besprechung über Maßnahmen zur Bekämpfung der aus
Rußland und Polen drohenden Senchengefahr statt, zu der der Herr Minister
die Regierungs- und Medizinalräte aus Ostpreußen, Schlesien und den Bezirken
Stettin, Köslin, Marienwerder, Frankfurt, Schneidemühl berufen hatte, an der
auch Vertreter des Reichsministeriums des Innern, des Reichsgesundheitsamts
und des Preuß. Ministeriums des Innern teilnahmen. Herr Ministerialdirektor
Gottstein leitete die Versammlung, Herr Ministerialrat Lentz gab im
Anfang einen Ueberblick über die zu treffenden Maßnahmen. Er führte aus,
daß unsere langgestreckten Ostgrenzen mangels ausreichender Polizeimann¬
schaften ganz ungenügend geschützt seien; daher sei dauernd mit einer Seuchen¬
einschleppung aus dem stark verseuchten Osten zu rechnen. Wir müssen des¬
halb von unseren Medizinalbeamten und praktischen Aerzten erwarten, daß sie
ihre Aufmerksamkeit wie in früheren Jahren drohender Seuchengefahr auf ver¬
dächtige Erkrankungen richten und diese sofort zur Anzeige bringen. Daneben
seien alle früher bewährten Maßnahmen zu treffen, um sofort schon die ersten
eingeschleppten Fälle unschädlich zu machen und etwaige Epidemieherde
schon in ihren Anfängen zu unterdrücken.
Die zur ausführlichen Besprechung gelangenden Gegenstände waren:
I. Cholera.
a) Einrichtung von Stromüberwachungsstellen.
Diese soU in der Weise, wie früher mit Nutzen geschehen, vor sich
gehen.
b) Ihre Versorgung mit Aerzten, Desinfektoren, Landjägern, Dampfern oder
Motorbooten.
Es gilt rechtzeitig für Aerzte und Desinfektoren zu sorgen. Medi¬
zinalbeamte werden nur im Anfang und meistens nur für kürzere Zeit
abkömmlich sein. Es ist aber anzunehmen, daß es nicht schwer halten
wird, in dieser Hinsicht vorzusorgen (Gewinnung von Aerzten aus großen
Städten).
c) Bereitstellung von Krankenhäusern.
Nach den Berichten aus den verschiedenen Bezirken ist im aUge-
meinen ausreichend gesorgt. Wo es noch fehlt, soll auf die Gemeinden
eingewirkt werden. Diese Bereitstellung bezieht sich auf die Unter¬
bringung einzelner Kranken. Sollte es zu Epidemien kommen, muß
je nach den Verhältnissen durch Aufstellung von Baracken, Herrichtung
von Notlazaretten in Schulen und dergl. verfahren werden.
d) Sonstige Maßnahmen — Benachrichtigung der Aerzte, Eisenbahnen usw.,
Versorgung der Schiffer mit frischem Trinkwasser.
Die Kreisärzte sollen mit den praktischen Aerzten rege Fühlung be¬
halten, damit diese ihnen schon die ersten Verdachtsfälle sofort melden;
die Trinkwasserentnahmestellen an den Flußläufen müssen häufig kon¬
trolliert werden.
II. Fleckfieber.
a) Entlausungsanstalten.
Entlang der Grenze zwischen Preußen und Polen sind verschiedene
Entlausungsanstalten teils schon fertig, teils in Vorbereitung. Sie werden
an Grenzübergängen mit großem Reiseverkehr (z. B. Schneidemühl), sonst
an größeren Eisenbahnknotenpunkten in der Nähe der Grenze erbaut.
Bei den ungeheuren Kosten der Errichtung solcher Anstalten ist eine
Beschränkung geboten, doch wird man mit den vorgesehenen Einrichtungen
auskommen, wenn der Grenzschutz einigermaßen zuverlässig durchgeführt
wird. Als bedenklich ist es aber zu bezeichnen, wenn die Schutzpolizei
an der Grenze die schon an Zahl gering ist, zurückgezogen wird (For¬
derung der Entente I).
b) Arztstationen.
Solche sollen an vorderster Stelle an allen wichtigen Eisenbahngrenz¬
stationen eingerichtet werden und sind dazu bestimmt, die die Grenze
überschreitenden Personen zu untersuchen, wobei im allgemeinen eine
Besichtigung zur Feststellung kranker und verlauster Personen ausreicht.
Kranke Personen sind dem nächsten Krankenhause, Verlauste der nächsten
Sanierungsanstalt zuzuführen. Saisonarbeiter sind, soweit dies nicht schon
390
Sprechsaal.
in den Grenzübernahmestationen der deutschen Arbeiterzentrale geschehen
kann, unmittelbar nach ihrem Eintreffen am Orte ihrer Beschäftigung
ärztlich zu untersuchen, zu impfen und, soweit notwendig, zu entlausen,
c) Quarantänelager.
Diese sind in genügender Zahl vorhanden und müssen beibehalten
werden. Die schlesischen Lager sind z. Z. allerdings durch oberschlesische
Flüchtlinge überfüllt. Hier muß Abhilfe geschaffen werden.
Grundsätzlich sollen die Kosten für Sanierung und die Kosten für
ärztliche Untersuchung von den Beteiligten eingezogen werden. Dies ist
auch häufig gut möglich. Die allgemeinen Kosten des Betriebes der
Stationen verringern sich dadurch.
III. Maßnahmen in den Häfen.
Diese sollen wie früher in der erprobten Weise zur Durchführung kommen. —
Am Schluß betonte Herr Ministerialdirektor Gottstein, daß die Gefahr
der Seucheneinschleppung aus dem Osten sehr groß, viel größer als je zuvor und
als viele ahnen, sei und die Medizinalverwaltung demgegenüber wohl gerüstet
sein müsse.
Herr Kreismedizinalrat Dr. Wolf- Cassel, Schriftleiter der Monatsschrift
„Der praktische Desinfektor“ teilt mit:
„Deutscher Desinfektoreubund. Eine Hauptaufgabe des Bundes ist
die Fortbildung seiner Mitglieder; dies ist natürlich nur möglich, wenn die
beamteten Aerzte den Band in diesen Bestrebungen unterstützen.
Nun haben aber die meisten Kreise so wenig Desinfektoren, daß ein Zu-
sammenschlaß einer so kleinen Anzahl nicht vorteilhaft ist; vielmehr wird es
sich empfehlen, daß sich mehrere Kreise zusammenschließen, wie es sich bei
den jetzigen Verkehrs Verhältnissen am besten einrichten läßt. Aus dem Grunde
ist es auch nicht möglich, zu große Vereine zu bilden, da sonst die Reise¬
unkosten zu hoch werden. Da auf diesen Versammlungen Fortbildungsvorträge
gehalten und neue Erlasse, Vorkommnisse aus der Praxis besprochen werden,
so wird es nicht schwer halten, dafür zu sorgen, daß die Kreisausschüsse oder
Städte die Reiseunkosten ersetzen. Auf diese Weise wird es möglich sein,
alle Desinfektoren eines kleineren Bezirks zweimal im Jahre zu versammeln.
Diese Vereine wählen je einen Vertreter, der seinen Verein bei der Delegierten¬
versammlung des Regierungsbezirks vertritt. Diese Versammlung tagt alle
1—2 Jahre, wenigstens aber 4 Wochen vor dem Desinfektorentag, um die
Tagesordnung des Desinfektoreutages durchzuberaten. Jeder Regierungsbezirk
schickt einen stimmberechtigten Vertreter zu dem Desinfektorentag. Außerdem
dürfte es sich empfehlen, für jeden Desinfektor die Fachzeitschrift „Der prakt.
Desinfektor“ zu bestellen, die in vielen Staaten durch Min. Erlaß empfohlen
ist; viele Kreise bezahlen sogar die Mitgliederbeiträge für den Desinfektoren*
bund. Wenn auf diese Weise für den Desinfektorenstand gesorgt würde,
würde die Berufstüchtigkeit und Arbeitsfreudigkeit der Desinfektoren gefördert;
der beamtete Arzt würde also neben dem Hebammenverein, wo er schon seit
Jahren mitarbeitet, auch dem Desinfektorenverein sein Interesse zu widmen
haben. Selbstverständlich muß auch dafür gesorgt werden, daß der Desinfektor
genügend beschäftigt ist, damit er berufstüchtig bleibt und Befriedigung in
seinem Beruf findet.“ —
Hierzu sei kurz bemerkt, daß die Bemühungen des Herrn Kollegen
Wolf zur Hebung des Desinfektorenstandes und zur Fortbildung der Des¬
infektoren weitgehende Förderung verdienen. Das kann besonders dadurch
geschehen, daß die Zeitschrift „Der prakt. Desinfektor“ von den Herrn Kreis-
medizinalbeamten nach Möglichkeit unterstützt wird.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreismedizinalrats Dr. K. ln B.: Ist es gesetzlich zu¬
lässig, daß ein Amtsgericht als Sachverständigen in einem Entmündigungs¬
verfahren wegen Geistesstörung einen Pastor benennt (es bandelt sich um den
geistlichen Leiter einer nicht öffentlichen Fürsorgeerziehungsanstalt, in welcher
der zu Entmündigende untergebracht ist)?
Unsere Zeitschrift.
891
Antwort: Eine Entmündigung darf nach § 665 Z. P. 0. nicht aus¬
gesprochen werden, bevor das Gericht einen oder mehrere Sachverständige Aber
den Geisteszustand des zn Entmündigenden gehört hat. Für die Erstattung
derartiger Gutachten sind in Preußen nach § 43 der Dienstanweisung für die
Kreisärzte die Kreisärzte als Sachverständige öffentlich bestellt. Nach § 404,
Abs. 2 Z. P. 0. sollen daher die Gerichte als Sachverständige andere Personen
nur dann wählen, „wenn besondere Umstände es erfordern". Dies hat die
Just.-Minist.-Verfg. vom 1. 10. 02 noch ausdrücklich hervorgehoben. Um die
entstandenen Zweifel zu beseitigen, als ob die Aerzte der betr. Irrenanstalt
als Sachverständige nun ausgeschaltet sein sollten, betonte eine neue Verfügung
des Just-Minist. vom 21. 3. 04 (diese Zeitschr., Beil. 1904, S. 112), daß die
„besonderen Umstände“ zwar bei den Leitern und Aerzten von Irrenanstalten
häufig vorlfbgen werden. Aus diesem ganzen Zusammenhang ergibt sich mit
voller Deutlichkeit, daß dem Sinne des Gesetzes in den §§ 665, 668, 404
Z. P. 0. nur durch Vernehmung eines Arztes als Sachverständigen im Ent¬
mündigungsverfahren genUgt wird und daß ein Geistlicher keinesfalls als
Sachverständiger in diesem Verfahren angesehen werden kann.
Ein Verstoß gegen diese Bestimmmungen durch das Amtsgericht wird
von den beim Verfahren Beteiligten durch Anfechtungsklage, vom Kreisarzt
selbst nur mittels der allgemeinen DienstaufBichtsbeschwerde gerügt werden
können.
Anfrage des Kreisarztes Dr. K. in B.: Kann ein Verfahren zur Ver¬
nichtung von Kopfläusen mit schwefliger Säure bei Schulkindern empfohlen
werden ?
Antwort: Ein Verfahren znr Vernichtung von Kopfläusen mit schwef¬
liger Säure gibt es nicht. Es wird der bewährte Gebrauch von Sabadillessig
empfohlen, auch die Benutzung der von der Auergesellschaft herausgegebenen
Lixhaube, mit der nach Auskunft des hygienischen Instituts in Breslau gute
Erfahrungen gemacht sind.
4. Sitzung
des
Sächsischen Medizinalbeamtenvereins
Sonntag, am 18. Juni 1922 in Leipzig.
1. Professor Dr. Kruse: Hygienische Topographie von Sachsen.
2. Professor Dr. Kockel: Die Bekonstruktionen von Verletzungs¬
vorgängen.
Beginn der Versammlung '/all Uhr im hygienischen Institut Liebigstr. 29.
Fortsetzung im Institut für gerichtliche Medizin Johannes-Allee 28.
Dr. llberg.
Unsere Zeitschrift.
Schon in der Vorstandssitzung des Deutschen Medizinal¬
beamtenvereins in Magdeburg am 29. April mußten wir in
Rücksicht auf die gestiegene Bezugsgebühr für die Zeitschrift
für Medizinalbeamte den Beitrag zum Deutschen Verein um
20 M., d. h. von 40 auf 60 M. erhöhen.
Leider ist es damit nicht getan. Unser Verleger hat uns
inzwischen mitgeteilt, daß die seit dem 1. April ganz außer¬
ordentlich gestiegenen Herstellungskosten eine weitere Erhöhung
der Bezugsgebühr fordern. Wir haben nach sorgfältigster Be¬
rechnung festgestellt, daß die Zeitschrift in dem jetzigen, ohne-
392
Unsere Zeitschrift.
hin gegen früher stark verkleinerten Umfange von 40 Bogen
jährlich und bei zweimaligem Erscheinen im Monat nicht unter
80—90 Mark herzustellen ist.
Es ist das eine bittere Erkenntnis und wir haben auf
Abhilfe gesonnen. Wir haben bedacht, ob man eine weitere
Einschränkung des Umfanges oder ein selteneres, vielleicht
einmal monatliches Erscheinen, vorschlagen soll. Wir haben
auch Kornfelds Vorschlag der Vereinigung mit einer anderen
Zeitschrift in Erwägung gezogen. Wir sind aber doch zu dem
Entschlüsse gekommep, daß wir weder unsere Selbständigkeit
aufgeben noch in eine Verkleinerung unserer Zeitschrift
willigen dürfen.
Wir verdanken ihr viel. Sie war uns unter Rapmund!
Leitung ein Führer und Helfer in unserem Kampfe um dk
Medizinalreform um die Wende dieses Jahrhunderts. Sie hat
somit unseren Stand und unser Amt begründen helfen. Sk
war und ist uns allen auch unter der jetzigen Redaktion io
schwierigen amtlichen Fragen ein treuer Berater und vielen
von uns ein Sprachrohr unserer Ansichten und Wünsche und
ein Vermittler von Wissen und Können in unserem schönen
und schwierigen Amt. Das soll sie in vollem Umfange bleiben!
Jetzt wie früher I
Und gerade jetzt ist das in ganz besonders hohem Maße
nötig, da wir wiederum wie damals an der Jahrhundertwende
vor großen und wichtigen Entscheidungen über unsere amtliche
Stellung und unsere wirtschaftliche Lage stehen. Da brauchen
wir unsere Zeitschrift, um uns den Vertretern des Volkes und
den Behörden zu Gehör zu bringen und um ihnen aus unserer
Sachkenntnis und unserer Erfahrung heraus zu sagen, wie man
dem gesundheitlichen Wohl des Staates und unserem Stande
am besten dient. Dazu brauchen wir sie in altem Umfange
und als unser alleiniges Organ, durch keine Rücksicht auf
Mitbesitzer eingeengt.
Aus diesen Ueberlegungen heraus haben wir in eine neue
Erhöhung der Bezugsgebühr für die Zeitung und damit auch
in eine weitere Erhöhung des Beitrages für den Deutschen
Verein auf 90 M. jährlich eingewilligt und hoffen bestimmt,
daß wir damit die Zustimmung aller unserer Mitglieder finden.
Denn diese wissen alle, daß in dieser Zeit des Wechsels und
des Kampfes ein enger Zusammenschluß der Medizinalbeamten
mit dem unverrückten Ziele des Wiederaufbaues der Volks¬
gesundheit und der Hebung unseres Standes eine dringende Not¬
wendigkeit ist, und daß das festete Band für diesen Zusammen¬
schluß unsere Medizinalbeamtenzeitung auch für die Zukunft
sein wird.
Dr. Bundt,
Vorsitzender des Deutschen u. Preuß. Medizinalbeamtenvereins.
VerentwortUoh für die 8chrlfUeltung: Geh. Med.-Kat Dr. Solbrig, Keg.- u. Med.-Hat ln Bre»!»«,
Bretleu V, Rehdlgentraß« 84. Druck Ton J. 0. 0. Bruns, Minden i. W.
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V *.73* y' .Ä>U^y * ■ *■ % 1 , ' ' .,. r i T .•: ^ v >»*l • >__ *•-« iH > I *
85. Jahre.
Zeitschrift für Medizinalbe&mte.
Nr. 18.
Hamborg.
Ernannt: Zum Direktor des Hygienischen Instituts Prof. Dr. Neu mann
ans Bonn.
Erledigte Stellen.
Prenraen.
Zu besetzen: alsbald die Kreisassistenzarztstellen ln Oppeln und
KOlo sowie die nicht Tollbesoldete Kreisarztstelle in Prenzlan, Reg.-Bez.
Potsdam; zum 1. September 1922 die Tollbesoldete Kreisarztstelle in Inster¬
burg, Beg.-Bez. Gumbinnen und zum 1. Oktober 1922 die Tollbesoldeten
Kreisarztstellen der Kreisarztbezirke Königsberg Land, Beg.-Bez.Königsberg;
Clere nnd Lennep, Beg.-Bez. Düssledorf, und Wolmirstedt, Beg.-Bez. Magde¬
burg, sowie die Gerichtsarztstelle in HannoTer. Bewerbungen sind bis zum
1. August 1922 an das Ministerium für Volks Wohlfahrt in Berlin W. 66,
Leipzigerstr. 3 durch Vermittelung des für den Wohnort des Bewerbers zustän¬
digen Herrn Begierungspräsidenten (in Berlin des Herrn Polizeipräsidenten) ein¬
zureichen.
Kolloidales
f Kieselsänre^Eiweiss
v ^ ^ pro Tabl. 0,1 g Si 0 *; 3 X tägl. 1 Tabl.
Gegen Ekzeme, Lungenkrankheiten etc.,
besonders gegen beginnende nnd fibröse Tuberkulose.
Pas a c o1
Kolloidale Mineral-Eiweissnahnmg.
Fördert die Knoohenbildung.
Kräftigt den gesamten Organismus.
a Proben nnd Literatur vom Lecinwerk Hannover. H
Die Stelle eines
Stadtarztes
ist bei unserer Verwaltung zu besetzen. Anstellung erfolgt als Beamter mit
Buhegehaltsberechtigung und HinterbliebenenTersorgung. Besoldung nach
Gruppe XII der staatlichen Besoldungsordnung. Ausübung Ton Priratpraxis
ist nicht gestattet. Erwünscht ist, daß Bewerber das Physikatsexamen be¬
standen haben. Bewerbungen mit Lebenslauf und Zeugnisabschriften bis
1, August Cr. erbeten.
Insterburg, den 17. Juni 19221
Der Magistrat.
ge'itsntittjk.
JaHrxehfrtiJwge EHahruog^ts» Maraafajsparats «fssüi ir#rritig. Vollständig«
0esißfektDi^^A<»rt(^angm. Sämliisf« 0asi»rfe*tiö<w»itto5.
DE5INFEKTION5-CENTRALE
BERLIN-WEI55EN5EE / LEHDEP5TR.74-79
ist niefet mor ein
Gicht mittel ersten Ranges
s<iu*l*Tn berührt sich vwtreftMch such bei
Gelenkrheumatismus und sonstigen
Gelenkschmeftei), gonorrhoischer;
Neuralgien, Ischias, Lumbago, li
Entzündungen der oberen
krankhelfen («feafcoite' Ekueme. ürtiferiäv'^i
Formen von 1
Arthritis usw. 1
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Opg.-Packung: Hohfeben mit2d Tabletten k 0,&:
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ai» 10 St. ?n 1,0)$ Klinik * Packung itölas mit 50
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Ctaiscise Fabrik ml Anlien (vorm. LScterliMl Berlin 1 1
IM - j, |,~ ,-, 1 !
394
Dr. Solbrig: Annahme des Gesetzentwurfs über das
genommen ist, erscheint es zwecklos, an ihm noch weiter Kritik
zu üben, zumal wir Medizinalbeamte einmütig der Ansicht sein
werden, daß mit dem Zustandekommen des Gesetzes im all¬
gemeinen ein bedeutender Schritt vorwärts zum besten unserer
Hebammen, damit auch zur Förderung der Volksgesundheit
gemacht worden ist. Der Herr Minister für Volkswohlfahrt hat
mit Recht in seiner Rede gelegentlich der Verhandlung über
diesen Gegenstand im Landtage diesen Standpunkt vertreten,
indem er der Freude Ausdruck gibt, daß es endlich gelungen
ist, die mancherlei widerstreitenden Interessen zu überbrücken
und damit eine gemeinsame Basis zu schaffen, auf der auch für
längere Zeit gearbeitet werden kann zum Segen unseres ganzen
Volkes.
Von den verschiedenen Parteien waren es die sozialdemo¬
kratische, die unabhängige sozialdemokratische und die kommu¬
nistische Partei, die für weitergehende Forderungen eintraten,
besonders nach der Richtung, die Hebammen zu vollbesoldeten
Beamten (Besoldungsgruppe 7 bezw. 8) zu machen und die
Hebammenhilfe unentgeltlich zu gestalten. Aber auch diese
Parteien stimmten der Vorlage zu, nachdem sie gesehen hatten,
daß ihre weitergehenden Anträge keine Berücksichtigung fanden.
Es ist also nach dem neuen Gesetz vorgesehen, neben den
Bezirkshebammen freipraktizierende zu behalten, wie bisher.
Diese Lösung begrüßen wir besonders. Es wird sich in dem
Nebeneinanderleben der beiden Formen des Hebammenberufs
eine Konkurrenz weiterhin bemerkbar machen, die nur nützlich
sein kann, woraus sich dann für die Zukunft etwa nötig werdende
Reformen ergeben, wie die Abg. Frau Dönhoff richtig aus¬
führte. Bei der Festsetzung der Einkommen der Hebammen
(§ 17) ist es wichtig, daß zu den Mindestbeträgen — je nach
der Teuerungsklasse 3000—6000 M. — Zuschläge hinzutreten;
bei der gegenwärtigen Teuerung, deren steigende Tendenz leider
von Tag zu Tag zu bemerken ist, müssen diese Zuschläge er¬
hebliche sein, wenn den Hebammen ein einigermaßen sorgen¬
freies Einkommen, was doch der Fall sein muß, gewährt
werden soll.
Daß das Gesetz erst zum 1. April 1923 in Kraft treten
soll, ist, so bedauerlich auch dieser späte Termin ist, erklärlich,
da es, wie von dem Herrn Minister hervorgehoben wird,
mancherlei Vorarbeiten für die Durchführung bedarf. Es ist
aber wenigstens in Aussicht genommen, bereits früher, vielleicht
sogar vor dem 1. Januar das Gesetz in Kraft treten zu lassen.
Wir lassen in Kürze die Ausführungen folgen, die bei den
letzten Beratungen über den Gesetzentwurf von den Abgeord¬
neten — unter denen naturgemäß die weiblichen überwogen —
und namentlich von dem Herrn Minister selbst gemacht wurden.
Dabei soll nicht der am Schlüsse der Verhandlung ergötzliche
Zwischenfall unerwähnt bleiben, der darin bestand, daß der
Kommunist Kilian sich folgenden schönen Satz leistete:
Heb&mmenwesen im Prenß. Landtage am 14. n. 15. Juni.
395
„Wir lehnen das Gesetz ab als soziale Mißgeburt, als ein verstümmeltes
Samenkorn im Mutterleibe, das von der Stinnes-Roalition stammt 11 — worauf
ihn unter der schallenden Heiterkeit des Hauses der Unabhängige Dr. Weyl
ironisch aufforderte, eine verstinnesierte Hebamme auf den Tisch des Hauses
su legen, und fragte, was denn „der arme Stinnes“ noch alles verschuldet
haben solle. . . .
Abg. Da 11 mar (D. Nat.) erstattet den mündlichen Bericht über die
Ausschußverhandlungen. § 1 statuiert das Becht jeder Frau auf Hebammen¬
hilfe nach Maßgabe dieses Gesetzes. Diese Hilfe soll sich erstrecken auf Be¬
ratung und Hilfe in der Schwangerschaft, Hilfe bei Störungen in derselben,
Hilf e bei der Geburt, Versorgung der Wöchnerinnen im Wochenbett und der
Neugeborenen, sowie auf Beratung Über die Pflege und das Stillen der Kinder.
Abg. Frau Ege (Soz.): Die große Zunahme der Kindersterblichkeit
fordere gebieterisch eine Neuregelung. Der Entwurf und auch die Ausschu߬
fassung werde aber weder dem dringendsten Bedürfnis, noch den viel weiter¬
gehenden Forderungen gerecht, die die sozialdemokratische Fraktion schon
vor Jahr und Tag erhoben habe. Es sei nur eine Halbheit herausgekommen.
Das beste an der Kommissionsarbeit seien noch die vorgeschlagenen Ent¬
schließungen, die den Erlaß eines Beicbsgesetzes zur Begelung des Hebammen¬
wesens und unentgeltliche Hebammenhilfe für der Beichsfürsorge unterworfene
Wöchnerinnen sowie Altersbeihilfe für Hebammen fordern. Trotz alledem
werde die Fraktion, da endlich einmal ein .Anfang mit der Beform gemacht
werden müsse, sich bemühen, die Ausschußfassung möglichst zu verbessern.
Abg. Frau Heßberger (Zentr.) glaubt konstatieren zu können, daß
ans allen Meinungsdifferenzen in der Frage sich schließlich ein Begierungs-
entwurf herauskristallisiert habe, den man nur lebhaft begrüßen könne. In der
Frage, ob den Hebammen Beamtencharakter beizulegen sei, gehe die Vorlage
den richtigen Mittelweg.
Abg. Dr. Quaet-Faslem (D. Nat.): Der Entwurf entspricht gewiß
nicht allen Erwartungen, wird sich aber doch als lebensfähig erweisen. Den
Vorwurf der Frau Ege gegen die Bechte, sie habe den besseren Vorschlag
der sozialdemokratischen Partei zu Fall gebracht, weisen wir zurück; wir
werden für die Ausschußvorschläge eintreten. Der Hebamme wird ein Mindest¬
einkommen garantiert; eine zeitgemäße Gebührenordnung ist vorgesehen. Die
Niederlassungsgenehmigung wird sicher zur Hebung des ganzen Hebammen¬
standes beitragen. Natürlich wird das Gesetz sich erst einleben müssen. Für
die dienstunfähig werdenden Hebammen muß gesorgt werden; darum ist die
vorgeschlagene Entschließung begrüßenswert.
Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Der Entwurf ist ein Kompromiß. Meine Partei
hat daran positiv mitgearbeitet. Unser Ziel bleibt unverrückt; wir unter¬
stützen alles, was nuf dem Wege zu diesem Ziele liegt, und bei den derzeitigen
Mehrheitsverhältnissen ist mehr als dieser immerhin erhebliche Schritt zur
Besserung vorerst nicht zu erreichen. Wir können also mit gutem Gewissen
für diesen mehrfach mit sozialistischem Oele gesalbten Entwurf eintreten. Mit
einer bloßen Entschließung ist den Veteranen der Hebammenkunst freilich nicht
gedient. Wie wir unentgeltliche Hebammenhilfe fordern, verlangen wir auch
Sicherstellung der alt oder dienstunfähig gewordenen Hebammen durch ein
Buhegeld in Höhe von zwei Dritteln des Buhegeldes für Bezirkshebammen.
Abg. König-Weißenfells (Komm.): Unsere Anträge hat der Ausschuß
abgelehnt. Wir werden für die Vorlage stimmen, wenn das Plenum diese An¬
träge annimmt. Wir verlangen u. a. die Besoldung der Hebammen nach
Gruppe 8 der Besoldnngsordnung; der Antrag der Unabhängigen, welcher sic
in Gruppe 7 einrangieren will, geht uns nicht weit genug.
Abg. Frau Dönhoff (Dem.): Auch wir hoffen, den Entwurf heute ver¬
abschieden zu können, so unvollkommen er ist, er bedeutet einen ersten Anfang
auf dem Wege einer Beform in modernem Sinne. Die beiden Formen des
Hebammenberufs, die freie und die beamtete Bezirkshebamme, werden in der
Praxis nebeneinander sich zu bewähren haben und die gesammelten Erfahrungen
werden evtl, das Material für weitere Beformen liefern.
Minister für Volkswohlfahrt Hirtsiefer: Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Das heute hoffentlich endgültig zur Verabschiedung gelangende
Hebammengesetz hat, wie bereits angedeutet worden ist, eine sehr wechselvolle
396 Dr. Solbrig: Annahme des Gesetzentwurfs über das Hebammenwesen.
Geschichte hinter sieb. Bereits in der Preußischen Landesversammlang lag ein
Gesetzentwurf vor zur Regelung dieser für unsere Volksgesundheit so wichtigen
Materie. Leider aber platzten damals die Gemüter so aufeinander, daß es nicht
zu einem Ergebnis kam. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß dank der ein¬
gehenden Arbeit des Bevölkerungsausschusses endlich eine Lösung gefunden
worden ist.
Ich will es mir versagen, auf Einzelheiten einzugehen, die schon mehr
oder weniger von den Vorrednern angeführt worden sind. Ich will nur sagen:
im Interesse unserer Volksgesundheit ist es sehr erfreulich, daß jetzt endlich
ein Weg gefunden worden ist, der die widerstreitenden Interessen zwar nicht
beseitigt, aber doch wenigstens überbrückt, eine gemeinsame Basis schafft, auf
der vorläufig gearbeitet werden kann. (Zuruf bei den Sozialdem.: Doch nur vor¬
läufig !) — Ich hoffe doch, auch für längere Zeit, verehrte Frau Abgeordnete. —
Allerdings müssen auch wir zu unserem Bedauern sagen, hat die Beratung
nicht so schnell gefördert werden können, wie wir es alle gewünscht und aucu
wohl gehofft hätten. Leider hat auch das Plenum in die Beratung der Vorlage
vor Pfingsten nicht mehr eintreten können, und es ist dadurch eine weitere
Verzögerung der Angelegenheit eingetreten, ich glaube daher doch wohl, daß
der Anregung der Frau Abgeordneten Heßberger nahegetreten werden muß,
den Termin nicht auf den 1. Oktober dieses Jahres festzusetzen. Ich darf
daran erinnern, daß wir in der Sommerzeit sind, und daß die Urlaubsfrage
eine große Rolle bei den Vorarbeiten für die Durchführung des Gesetzes spielen
wird. Wir hoffen, daß die Vorarbeiten baldigst bewältigt werden können,
glauben aber nicht, daß sie in allen Gemeinden,''insbesondere anch in den
größeren, so zeitig gefördert werden können, daß das Gesetz bereits am 1. Ok¬
tober in Kraft treten kann. Wir hoffen, daß es möglich sein wird, sie spätestens
bis zam 1. Januar durchzuführen und das Gesetz mit diesem Tage in Kraft
treten zu fassen. Wir glauben aber, daß es besser ist, auch im Interesse der
Lösung der Frage, ein gut vorbereitetes Gesetz in Kraft zu setzen, als durch
schlechte Vorbereitung, wenn auch uur vorül ergehend, eine Diskreditierung
des Gesetzes eintreten zu lassen. Deshalb bitten wir, die Inkraftsetzung des
Gesetzes auf den 1. April 1923 anzusetzen, aber dem Wohlfahrtsministerium
das Recht zu geben, das Gesetz früher in Kraft treten zu lassen, wenn irgend
möglich noch vor dem 1. Januar. Wir hoffen aber, wie ich bereits sagte, dafi
es am 1. Januar bestimmt möglich sein wird, und wenn es möglich sein sollte,
werden wir es auch noch vorher in Kraft setzen. Wir halten es für richtiger,
nicht durch ein schlecht vorbereitetes Gesetz Schwierigkeiten zu schaffen, die
im Gesetz nicht begründet sind. Wir hoffen dann zuversichtlich, daß du
Gesetz nicht nur unserem für die Volksgesundheit so wichtigen Stande der
Hebammen, sondern auch in außerordentlich großem Umfange Mutter und Kind
und damit unserem heranwachsenden Geschlecht zu wirklichem und großen
Segen gereichen wird. Es ist mit Recht gesagt worden: es sind gewiß nicht
alle Wünsche erfüllt; aber ich glaube doch sagen zu dürfen, daß mit der
gegenwärtigen Gesetzesvorlage auf diesem so außerordenlich wichtigen Gebiete
ein wesentlicher Schritt vorwärts gemacht wird, und ich möchte es mir nicht
versagen, dem Bevölkerungsausschuß und dem ganzen Hause für das außer¬
ordentlich große Interesse, für die große Mühewaltung und opferfreudige
Mitarbeit bei der Bewältigung dieser schwierigen, für unsere Volksgesundheit
aber so außerordentlich wichtigen Frage meinen besonderen Dank abzustatten.
Ich gebe gern der Hoffnung Ausdruck, daß damit für unsere Volksgesundheit
auf einem ganz außerordentlich wichtigen Gebiete eine neue gesetzliche Grund¬
lage geschaffen wird, auf der zum Segen unseres ganzen Volkes gearbeitet
werden kann. (Bravo 1)
Abg. Frau Poehlmann (D. Vp.) wirft einen Rückblick auf die wechsel-
vollen Stadien, durch die sich alle Beteiligten bis zu dem Entwurf des Aus¬
schusses durchgerungen haben, und hebt nochmals dessen Vorzüge hervor, die
dem dringendsten Erfordernis des Augenblicks immerhin genügten. Die Deutsche
Volkspartei werde in der überwiegenden Mehrheit dafür stimmen. Rednerin
schließt mit dem Wunsche, die Hebammen möchten auch fernerhin an des
freien Berufe festbalten. —
§ 1 wird in der Ausschußfassung unverändert angenommen, ebenso unter
Dr. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande usw. 397
Ablehnung weitgehender Anträge der Kommunisten und der Unabhängigen
Sozialdemokraten die §§ 2 bis 14.
§§ 15 bis 21 handeln yon den Gebühren und Vergütungen für die He*
b&mmen. Die Gebührenordnungen haben die Bildung yon drei Teuerungsklassen
yorzusehen. Die Unabhängigen und die Kommunisten beantragen Einreihung
der Hebammen in Gruppe 7 bezw. 8 der Besoldungsordnung. — § 15 fiodet
unverändert Anwendung, ebenso §§ 16 bis 21 mit einigen vom Zentrum bean¬
tragten redaktionellen Verbesserungen.
§§ 22 bis 29, die Bezirkshebammen betreffend, werden ebenfalls nach
kurzer Erörterung in der Ausschußfassung genehmigt.
§§30 bis 89 (Kreis- und Prorinz-Hebammenstellen), § 40 (25 Millionen
Staatsbeihilfe) und §§ 41 bis 45 (Uebergangs-, Straf- und Schlußbestimmungen)
werden angenommen, in § 46 mit knapper Mehrheit, der Anregung des Ministers
gemäß, der Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes auf spätestens 1. April
1923 festgesetzt. Der Antrag der Unabhängigen in § 41 den Anspruch auf ein
Buhegeld zu statuieren, wird nach nochmaliger Aussprache abgelehnt.
Dafür nimmt die Mehrheit die vom Ausschüsse vorgeschlagenen Ent¬
schließungen an, diejenigen wegen Gewährung eines Buhegeldes auf Antrag
des Zentrums in der Form, daß die Kreise veranlaßt werden sollen, den Vete-
raninnen der Hebammenkunst angemessene Beihilfen zu gewähren, und daß
mindestens die Hälfte dieser Beiträge den Kreisen aus dem 25-Millionen-Fonds
(Staatsbeihilfe) wiedererstattet werden soll.
Es folgt die dritte Lesung des Entwurfs, wobei von den
Sozialdemokraten beantragt wird, den Termin für das Inkraft¬
treten auf den 1. Januar 1928 festzusetzen.
Nach Bemerkungen der Abg. Kilian (Komm.) und Weyl
(Unabh.) wird in der Gesamtabstimmung der Entwurf mit sehr
großer Mehrheit endgültig genehmigt und der Termin, 1. April
1923, unverändert gelassen.
Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande nebst Be¬
merkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie.
Von Kr.-Med.-Bat Dr. HiUenberg in Halle a. 8.
Der Aufsatz des Herrn Kollegen Boege in Uecker¬
münde in Nr. 13/21 dieser Zeitschrift „Ueber Fürsorge im all¬
gemeinen und über Tuberkulosefürsorge im besonderen u gibt
mir Veranlassung, die Organisation der Tuberkulosefürsorge
im Saalkreis den Kollegen mit kurzen Strichen zu schildern,
um vielleicht diesem oder jenem dort, wo die Einrichtung der¬
selben noch nicht in zufriedenstellender Weise arbeitet, einen
Weg anzudeuten, auf dem Ersprießliches zu erzielen ist.
Wir hören viel und lesen noch mehr von vortrefflich
arbeitenden Fürsorgestellen der Großstädte, vernehmen mit Be¬
wunderung von ihren modernen diagnostischen Einrichtungen
und lassen mit Staunen die Zahlen der Besucher an unsem
Augen vorüberziehen. Ein stiller Neid packt wohl manchen,
der mit Eifer und heißem Bemühen ähnliches schaffen möchte,
aber vom Schicksal nicht in eine Stadt mit verständnisvollen
und gebefreudigen Stadtvätern, mit trefflichen sanitären Ein¬
richtungen, guten, wenn auch jetzt teuem Verkehrsmitteln ge¬
setzt ist, sondern in einen Landkreis, der womöglich kein
größeres Zentrum besitzt, sehr weitläufig, schwer zu bereisen,
arm an Mitteln ist, dafür aber auch ein gerüttelt und geschüttelt
398
Dr. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande
volles Maß von Tuberkulösen hat, die ebenso dringend der Für¬
sorge bedürfen, wie in der Großstadt. Wie unendlich viel
schwerer ist doch hier Fürsorge zi 1 treiben I Wieviel mehr
Anerkennung verdient deshalb der Arzt, der in stiller, aber
zäher Arbeit dem spröden Boden kärgliche Frucht abringtl
Man hat vielfach versucht, die Einrichtungen der Städte
ohne weiteres auf das Land zu übertragen, d. h. auch hier Für¬
sorgestellen einzurichten, einen Fürsorgearzt oder deren mehrere,
Fürsorgeschwestern anzustellen und in regelmäßigen Beratungs¬
stunden die sich zu ihnen Findenden zu betreuen. Ich weiß,
daß dieses System hier und da auch auf dem Lande gut ge¬
deiht, besonders wenn ein tüchtiger Kollege die Fürsorge leitet,
technisch-diagnostische Hilfsmittel nicht fehlen und auch sonstige
Umstände günstig sind. Ich denke z. B. an den Landkreis
Quedlinburg meiner Provinz, in dem die Tuberkulosefürsorge
sehr gut nach städtischem Muster wirkt. Ebenso kenne ich
aber auch Kollegen — und diese sind die zahlreicheren —, die
ähnliche Klagen äußern, wie sie der Kollege Bo ege sich vom
Herzen geschrieben. Es steht viel auf dem Papier; die Wirk¬
lichkeit weist aber unbestelltes Feld auf. Nach meinen persön¬
lichen Erfahrungen, die in der Tuberkulose-Fürsorgefrage, be¬
sonders soweit das Land in Betracht kommt, nicht gering sind,
halte ich es im allgemeinen für nicht richtig, unter länd¬
lichen Verhältnissen die gleichen Wege wie unter städtischen
wandeln zu wollen. Jeder muß sich hier seinen eigenen, be¬
sonderen Bau zimmern. Die Technik der praktischen Arbeit
muß sich vornehmlich von zwei Gesichtspunkten leiten lassen:
Einmal muß nicht nur der Kranke zum beratenden Arzt, sondern
auch dieser zu jenem kommen, wenn äußere Umstände (weite
Wege, schlechtes Wetter) es erfordern. Sodann muß tunlichst
die Gesamtheit der Aerzte eines Kreises an der Fürsorge¬
arbeit beteiligt sein; denn nur so werden wir möglichst restlos
alle Fürsorgebedürftigen erfassen und daneben die Gewähr
haben, auch therapeutisch weiter greifen zu können, als wenn
nur die Fürsorgestelle mit ihrem Arzt den Fürsorgebetrieb hand¬
habt. Die Einrichung besonderer Beratungsstellen fällt hierbei
natürlich fort; Untersuchung und Beratung findet in der Sprech¬
stunde des Arztes statt.
Wir sind nun im Saalkreis folgendermaßen vorgegangen:
Durch ein Rundschreiben des Kreiswohlfahrtsamts an sämt¬
liche Aerzte des Kreises und an diejenigen Kollegen der be¬
nachbarten Kreise, die in ersterem mitpraktizieren, wurde zur
Mitarbeit aufgefordert, die, wie von vornherein betont wurde,
nach näher zu vereinbarenden Sätzen honoriert werden sollte,
und die Frage nach der Bereitwilligkeit hierzu gestellt. Wir
erhielten nur zusagende Antworten.
Weiterhin wurde mit dem Vaterländischen Frauen¬
verein in Verbindung getreten und dieser gebeten, unter be¬
stimmten Bedingungen (Beitrag des Kreises zum Unterhalt der
Schwesternstationen) seine Gemeindeschwestern in der
nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie.
399
Tuberkulosefürsorge mitarbeiten zu lassen. Die Einwilligung
wurde gegeben. Die Kreisfürsorgerinnen sind von vorn¬
herein zur Mitarbeit verpflichtet. Nach Erledigung dieser Präli¬
minarien wurde eine Versammlung der Aerzte, Kreisfürsorge¬
rinnen und Gemeindeschwestern auf dem Landratsamt anberaumt,
und hier den Anwesenden der geplante Gang der Fürsorge
mitgeteilt. Aerzte und Schwestern erhalten vorgedruckte Melde¬
formulare, auf denen sie jeden ihnen bekannt werdenden Fall
von Schwindsucht oder begründetem Verdacht der Krankheit
dem Kreis Wohlfahrtsamt mitteilen. Auch dieörtlichenWohl-
fahrtsämter (Wohlfahrtsausschüsse), von denen für jeden
Amtsbezirk eines besteht, sind zur Meldung verpflichtet. Nach
Eingang einer Anzeige wird die zuständige Gemeinde¬
schwester oder Kreisfürsorgerin aufgeforiert, an der Hand eines
eingehenden wirtschaftlichen Fragebogens die häus¬
lichen Verhältnisse festzustellen. Nach Erledigung geht dieser
zum behandelnden Arzt oder, wenn ein solcher noch nicht oder
nicht mehr vorhanden, zum Arzt der Wahl des zu Unter¬
suchenden, mit der Bitte, diesen mittels Vordrucks in die
Sprechstunde zu bestellen, zu untersuchen, das in seinen
Händen befindliche Arztformular genau auszufüllen, an der
Hand seiner eigenen Kenntnisse, der Angabe des wirtschaft¬
lichen Fragebogens und des Untersuchungsbefundes die not¬
wendigen Maßnahmen anzugeben und beide Fragebogen dem
Kreiswohlfahrtsamt zurückzusenden. Hier entscheidet der
Kreisarzt als Leiter der Tuberkulosefürsorge an der Hand
der Vorschläge von Arzt und Schwester, was endgiltig ge¬
schehen soll, wobei natürlich die Vorschläge der Kollegen weit¬
gehend berücksichtigt werden. Die Zentrale muß die Ent¬
scheidung haben, weil sich in ihrer Hand die Mittel befinden,
und sie allein weiß, welche Leistungen sich ermöglichen lassen.
Die endgiltigen Vorschläge des Kreisarztes werden durch das
Kreiswohlfahrtsamt bezw. die örtlichen Wohlfahrtsämter zur Aus¬
führung gebracht. Besondere Berichtsbogen der Schwestern,
die jährlich dem Kreiswohlfahrtsamt eingereicht werden,
geben eine laufende Uebersicht über deren Tätigkeit; münd¬
liche Rücksprachen der einzelnen Schwestern sowie gelegent¬
liche gemeinschaftliche Besprechungen mit dem Kreisarzt
stellen den Zusammenhang zwischen diesem und den Kranken
her. Von Zeit zu Zeit werden nach Bedarf weitere ärztliche
Berichte erbeten. Die Kollegen haben bisher für die erste
Untersuchung 15 M. und mehr, für die folgenden Berichte je
10—12 M. erhalten. Für Besuche bei Kranken, vom Kreis-
wohlfahrtsarat veranlaßt, erhalten sie die ortsüblichen Gebühren;
tunlichst sollen dies Gelegenheitsbesuche sein. Alle Auslagen
werden ihnen vergütet. Um den Aerzten in diagnostisch un¬
klaren Fällen die Hilfsmittel moderner Untersuchungsmethoden
zugänglich zu machen, hat das Kreiswohlfahrtsamt mit der
musterhaft eingerichteten und von dem bekannten Facharzt
Dr. Blümel geleiteten Lungenfürsorgestelle des Vereins zur
400
Dr. Hillenberg: Taberkulosebekämpfong auf dem Lande
Bekämpfung der Schwindsucht in der Stadt Halle a. S. ein Ab*
kommen getroffen, nach dem der Saalkreis der genannten Stelle
eine jährliche größere Summe (3000 M.) zahlt; hierfür werden
die Einwohner des Saalkreises auf Ueberweisung durch den
behandelnden Arzt fachärztlich untersucht und zwar erforder¬
lichenfalls auch röntgenologisch, wofür noch eine besondere
Gebühr zu zahlen ist. Für kurze klinische Beobachtungen
werden die Kranken der Medizinischen Klinik der Universität
überwiesen. Für Lupuskranke steht die Universitäts-Hautklinik
zur Verfügung.
Diese Organisation hat sich bisher gut bewährt; sie er¬
scheint vielleicht etwas umständlich, bietet aber große Vorteile.
Vor allem sind wir nicht nur auf solche Kranke angewiesen,
die, ohne in ärztlicher Behandlung zu stehen, aus eigenem An¬
trieb die Fürsorgestelle aufsuchen oder ihr vom Arzt zuge¬
wiesen werden, sondern ich kann sagen, daß wir eben alle
Kranken in Fürsorge bekommen, da ja kein Arzt seinen Kranken
verloren gehen sieht und nur Interesse daran hat, daß unter
seiner Aufsicht und Leitung letzterer bestmöglich sozial ver¬
sorgt wird.
Aber auch prophylaktisch-therapeutisch läßt sich,
wie ich schon oben andeutete, durch diese Art der Gemein¬
schaftsarbeit mancherlei erreichen. Ich hatte bereits vor end-
giltiger Einrichtung der Tuberkulosefürsorge in einzelnen be¬
grenzten Bezirken meines Kreises mit Unterstützung einiger
sehr gewissenhafter Gemeindeschwestern zunächst an einem
kleinen Material von Kindern aus tuberkuloseverseuchten Familien
das Petruschky sehe Perkutanverfahren unter meiner ständigen
Aufsicht ausführen lassen und, wie nicht anders zu erwarten
war, hinsichtlich deren Allgemeinbefinden gute, sinnfällige Er¬
folge erzielt, die natürlich auch den praktischen Kollegen nicht
verborgen blieben. Diesen wurde nun auf einer Versammlung
an der Hand von Beispielen ein kleiner Vortrag über das Ver¬
fahren gehalten, mit einzelnen von ihnen auch persönlich ein¬
gehend darüber gesprochen, und alle wurden gebeten, vor¬
nehmlich bei tuberkulosebedrohten Kindern, aber in geeigneten
Fällen auch bei Erwachsenen das Verfahren in Anwendung zu
bringen. In gleicher Weise wurde die Schwesternschaft be¬
lehrt und ihr Interesse für die Sache geweckt. So wurde mit
der Zeit, nachdem die Kollegen sich durch persönliche Er¬
fahrungen von dem Nutzen der Methode überzeugt, diese in
größerer Ausdehnung angewandt und wird jetzt von der großen
Mehrzahl der Kollegen sehr geschätzt und nicht nur bei ge¬
fährdeten Kindern zur Prophylaxe, sondern fast ebenso häufig
bei Erwachsenen zu therapeutischen Zwecken angewandt, und
zwar vorwiegend mit günstigem, ja teilweise überraschendem
Erfolge. Es hieße, Eulen nach Athen tragen, wollte ich mich
des längeren über den Nutzen des Perkutanverfahrens hier ein¬
gehend äußern. Lungenheilstätten, Fürsorgestellen, einzelne
Aerzte machen von ihm mit Erfolg Gebrauch. Auch während
nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutan therapie.
401
der Verhandlungen des vorletzten Tuberkulose-Kongresses in
Bad Elster wurde von einzelnen Rednern, die dieses Thema an¬
schlugen, der Wert des Verfahrens voll gewürdigt und an¬
erkannt, besonders von Med.-Rat Dr. Breoke-Stuttgart. Ich
stehe freilich nicht auf dem Standpunkt, wie ihnToeplitz in
Chemnitz, Jänicke in Apolda und Petruschky selber ein¬
nehmen, alle Kinder, die auf Pirquet positiv reagieren, mit
dem Liniment zu behandeln. Wir wissen ja noch nicht — und
es werden Jahre vergehen, ehe uns darüber Klarheit wird —,
wie sich die prophylaktisch mit Tuberkulin behandelten Kinder
später der Tuberkulose gegenüber verhalten. Ob es uns, wie
Petruschky glaubt, gelingt, die behandelten Kinder später
gegen Neu-Infektionen, endogene oder exogene, ganz schützen
zu können, dafür lassen sich Beweise noch nicht erbringen.
Nach meinem Dafürhalten dürfen wir keinen zu hohen Wechsel
auf die Zukunft ausstellen; es genügt m. E. vollauf, wenn es
uns gelingt, die z. T. sehr elenden, blassen, appetitlosen, an¬
fälligen, ewig kränkelnden Kinder durch das Verfahren in vielen
Fällen aufblühen zu lassen, zu kräftigen, sie gegen ein Fort¬
schreiten des tuberkulösen Prozesses zu schützen — auf die
immun-biologischen Vorgänge will ich hier nicht näher ein-
gehen —; was später aus ihnen wird, wenn sie in die Puber¬
tätszeit eingetreten, muß abgewartet werden.
. Auch bei bereits tuberkulösen Erwachsenen besitzen wir
in dem Verfahren, in geeigneten Fällen zielbewußt und mit
Ausdauer angewandt, ein Mittel, die Kranken zu bessern, für
Heilstättenbehandlung vorzubereiten, nach einer solchen die
Erfolge zu festigen oder aber dort, wo Heilstättenbehandlung
nicht mehr möglich, wenigstens in einzelnen Fällen durch vor¬
sichtige Anwendung noch erhebliche Besserung zu erzielen.
Es sei mir gestattet, hier in kurzer Zusammenfassung meine
Erfahrungen mitzuteilen, um diejenigen Kollegen, die noch
skeptisch der Sache gegenüberstehen, einen Antrieb zu eigener
Prüfung zu geben. Daß eine solche „Anregung wünschenswert
sein kann, schließe ich aus einer zufällig gehörten Bemerkung
eines Kollegen, etwa dahin lautend: „Was soll von einer solchen
Schmiererei wohl Gutes herauskommen?“ Ohne eigene Er¬
fahrung sollte man nicht so urteilen!
Sämtliche Schwestern haben nachstehenden Berichtsbogen
zu führen, auf dem sie über jeden Fall fortlaufend Aufzeich¬
nungen machen müssen:
Bericht Aber Taberkullnbehandlang nach Prof. Petruschky.
Vor- and Znn&men.Wohnung.
Geboren.Beginn der Kar: .
Dosis
Datum
der Ein-
reibung
Tropfen-
Tempe-
zahl
ratur
Bemerkungen Ober das
Gewicht
Befinden des Kranken und den
Verlauf der Krankheit
402
I)i. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande
Diese Bogen werden mir von Zeit zn Zeit vorgelegt, meist
unter gleichzeitiger Vorstellung derjenigen Kinder, die einer
besonderen Besprechung bezw. Nachuntersuchung bedürfen. So
bin ich in der Lage, ständig über den Verlauf der Kur im
Bilde zu bleiben. Es wurde bisher etwa die gleiche Zahl von
Kindern und Erwachsenen nach Petruschky behandelt und
zwar im wesentlichen nach den von ihm gegebenen Vorschriften
mit denjenigen Abweichungen, die gelegentlich der einzelne
Pall erheischte. Die Einreibungen wurden fast restlos gut ver¬
tragen; bei einem Kranken (Erwachsenen) mußte mit ihnen
ausgesetzt werden, weil er angeblich bald nach Beginn der
Kur einen derart öligen Geschmack im Munde bekam, daß ihm
alles ölig schmeckte. (Hysterie?) Nach längerer Pause wurde
ein erneuter Versuch gemacht, der bis jetzt geglückt ist. Ferner
waren wir genötigt, vorübergehend bei einer Frau die Kur zu
unterbrechen, weil sie nach jeder Einreibung heftige ziehende
Schmerzen in Armen und Beinen zu verspüren behauptete.
Hier lag sicher Hysterie vor. Auch bei diesen Kranken scheint
ein zweiter Versuch besser vertragen zu werden.
Wie ich schon sagte, behandeln wir nicht alle Kinder, die
pirquetpositiv sind, sondern nur mit Auswahl, d. h. diejenigen,
die aus tuberkulösen Familien stammen und infiziert sind, so¬
dann solche, die klinisch und röntgenologisch als besonders
gefährdet anzusehen sind. Massenbehandlungen auf dem Lande
auszuführen, halte ich im allgemeinen für nicht ratsam. Soll
das Verfahren nicht diskreditiert werden und vor allem seine
S ute Wirkung ausüben können, so muß bis zu einem gewissen
rade individualisiert, die Kur mit Vorsicht und Sorgfalt aus¬
geführt werden. Sie wird deshalb fast durchweg von den
Fürsorgeschwestern persönlich ausgeübt, die die Kinder in der
Mehrzahl an bestimmten Tagen zu sich bestellen, im übrigen
die Kranken in den einzelnen Ortschaften- aufsuchen und in
ihrem Heim die Einreibung vornehmen. Bei Massenbehandlungen
könnten die Schwestern .die Arbeit gar nicht bewältigen, es
fehlte bei Handhabung der Kur durch die Angehörigen jede
Gewähr für die peinliche Beobachtung der Vorschriften, Un¬
regelmäßigkeiten wären die notwendige Folge und schließlich
ein Ausbleiben der erhofften Wirkung, womit der ganzen Methode
das Grab gegraben würde.
Zu Beginn einer Kur finden regelmäßige Temperatur¬
messungen statt, die später nur nach dem Uebergang zu einer
stärkeren Dosis gemacht werden. Das Gewicht wird vierwöchent¬
lich festgestellt.
Die Erfahrungen sind bei den Kindern, wie auch andere
Kollegen bereits bestätigt haben, zum Teil geradezu verblüffend:
Die bisher elenden, anämischen, appetitlosen, teilnahmlosen
Kinder leben auf, werden fröhlich, spielen und lachen, essen
mit Appetit und nehmen ständig an Gewicht zu. Die durch¬
schnittliche Gewichtszunahme betrug nach Ablauf der zwei¬
jährigen Kur 5,17 kg, ohne daß eine Aenderung der Lebens-
nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie.
403
weise eingetreten. Die Mindestzunahme waren 5, die höchste
14 l /> Pfund. Soweit bei einzelnen Kindern leichte Lungen¬
veränderungen bereits nachweisbar gewesen, sind diese zurück¬
gegangen; selbstverständlich ist dieser anscheinende Erfolg mit
großer Vorsicht zu bewerten. Das Zurückgehen von Drüsen¬
schwellungen ist eklatanter. Einen negativen Pirquet habe ich
jedoch bei keinem Kinde nach Ablauf einer 2jährigen Kur
erlebt, soweit ich die Reaktion anstellen konnte; es ist ja mög¬
lich, daß sich unter dem Rest der nicht nachuntersuchten
Kinder — äußere Verhältnisse verhinderten die Schlußkontrolle —
einzelne mit erzielter positiver Anergie bestanden. Besonders
hervorheben möchte ich den Fall einer 13jährigen Marie M.,
die seit Juni 1918 wegen Knie- und Handgelenktuberkulose
krank zu Bett lag. Im November 1919 wurde bei ihr mit dem
Perkutan-Verfahren begonnen; es machten sich bald die ersten
Zeichen der Besserung bemerkbar, die Juni 1920 so weit vor¬
geschritten war, daß das Kind die Schule besuchen, im November
1920 sogar am Turnen teilnehmen konnte. Das Allgemein¬
befinden hat freilich mit der örtlichen Besserung nicht Schritt
gehalten; das Kind schaut noch blaß aus und wird im Früh¬
jahr in ein Soolbad gesandt werden. Immerhin betrug die
Gewichtszunahme 5,21 kg. Ob das Tuberkulin diesen Erfolg
gezeitigt, oder ob auch spontan diese Besserung eingetreten wäre,
lasse ich dahingestellt.
Fast gleich günstige Resultate haben wir bei Erwachse¬
nen erzielt, unter denen einzelne zur Behandlung kamen, die
trotz wiederholter Heilstättenkuren kein rechtes Vorwärts¬
kommen merken ließen. Die durchschnittliche Gewichtszunahme
war bei ihnen erheblicher als bei den Kindern und betrug 6,6 kg
in 2 Jahren; einige haben freilich gar keine Zunahme, aber
auch keine Abnahme erfahren. Das geringste Plus an Gewicht
betrug 3 kg, das höchste 16,5 kg, wieder ohne jede Aenderung
der allgemeinen Lebensweise! Was mir besonders bemerkens¬
wert erscheint, ist, daß mehrere tuberkulöse Frauen während
der 2 jährigen Kur zweimal eine Niederkunft ohne jede Spur
von Nachteil für ihren Lungenprozeß durchmachten. Auch habe
ich den Eindruck, daß wiederholte schwere Grippeanfälle unter
der Petruschky-Kur von den Tuberkulösen verhältnismäßig
leicht überwunden wurden. Ich darf kurz noch einige besonders
bemerkenswerte Fälle mitteilen:
1. Frau D., Landjägersgattin, 42 Jahre alt, seit 1914 an Tuberkulose
krank, wiederholt in Lungenheilstätten gewesen. 1917 schwerer Gelenkrheumatis¬
mus. T. B. + +• Ueber beiden Oberlappen Dämpfung, Bassein, viel Auswurf
mit Blutbeimengung. Beginn der Kur 18.11. 19 mit 57,5 kg Körpergewicht.
Nach 2jähriger Kur fast kein Auswnrf, nur noch geringe Lungenveränderungen.
Gewicht 74 kg, kann leichte Haus- und Handarbeit verrichten.
2. Marie K., 22 Jahre alt; seit 1. 4.19 arbeitsunfähig, starke Abmage¬
rung, Auswurf. Beginn der Kur am 12. 8.19 mit 37,5 kg (1) Körpergewicht
Pirquet •+■+• Nach 2 Jahren Kurgebrauch Ende September 21 arbeitsfähig
mit 53 kg Körpergewicht entlassen. Kein positiver Pirquet mehr!
3. Frau W, 43 Jahre alt, seit 1916 tuberkulös, 1 Kind an Tuberkulose
gestorben; vom 1. 5. bis 1. 8. 18 in der Heilstätte Vogelsang. Sommer 1919
404
Dr. Hjlienberg: Tuberkolose.auf dem Lande naw.
Verschlechterung des Befindens. Beginn der Petrnschky-Eor Oktober 19
mit 40,5 kg Körpergewicht. Nach 2 Jahren mit 50,5 kg Qewicht and roll'
ständig gutem Befinden and voller Arbeitsfähigkeit entlassen.
4. Otto M., 22 Jahre alt, April 19 wegen Banchfelltaberknlose In
„Bergmannstrost“ in Halle a. S. operiert; nach Aafhören der Kassenleistangen
angeheilt and bettlägerig entlassen. Am 6.4.20 Beginn der Kar; Gewicht
kann nicht festgestellt werden; im Jani 1920 zam ersten Male gewogen: 34,5
Fortschreitende Besserang des Befindens, Jam 21 zam ersten Male leichte Arbeit
Seit Oktober 1921 als Bergmann wieder aaf der Grabe tätig, sieht sehr gnt
aas and fühlt sich völlig gesand. Gewicht 57 kg!
Selbstverständlich besagt die Mitteilung dieser wenigen
Fälle nicht viel; ihre Zahl kann jederzeit vermehrt werden,
der Raummangel verbietet es. Jeder wird ein wenden können,
daß auch bei völlig abwartendem Verhalten derartige Kranke
erhebliche Besserungen auf weisen, ja, gesund werden können.
Gewiß; immerhin spornen sie zu weiterer Anwendung des Ver¬
fahrens an.
Und gerade dadurch, daß alle Kollegen an der Fürsorge
beteiligt sind, ist es möglich, sie auoh zu therapeutischem
Handeln bei ihren Kranken anzuregen; bisher sind sie der¬
artigen Anregungen fast stets in dankenswertester Weise
entgegengekommen. Sind nur besondere Fürsorgeärzte vor¬
handen, so ist es diesen schwer oder gar nicht möglich, bei
Kranken, die sich in ärztlicher Versorgung befinden, Einfluß auf
die Behandlung zu gewinnen. Daher auch die Schwierigkeit
der Lösung der Frage: Soll in den Fürsorgestellen
überhaupt behandelt werden oder nicht? Es ist ja
bekannt, daß eine Richtung jegliche Behandlung völlig ablehnt
und sich nur auf Beratung und wirtschaftliche Betreuung be¬
schränkt, während andere ohne Behandlung in den Fürsorge-
steilen nicht mehr auskommen zu können glauben. Auch ich
halte es für durchaus erwünscht, bei geeigneten Personen Be¬
handlung eintreten zu lassen. Ich darf hier gleich einschalten,
daß nicht etwa nur nach Petruschky behandelt wird, sondern
einzelne Kollegen ziehen das Deyke-Muchsche Verfahren
vor und wollen auch mit ihm günstige Erfolge erzielen, wenn¬
gleich das Urteil über letzteres zurzeit wohl dahin neigt, daß
die großen Hoffnungen, die die Aerzteschaft mit den Entdeckern
desselben auf diese genial ausgedachte, wenn auch etwas um¬
ständliche Methode gesetzt, sich leider nicht erfüllt haben.
Auch das Stoelznersche Tebelon-Verfahren (Behandlung mit
einem flüssigen Wachs, das intravenös injiziert wird) käme etwa
unter den gleichen Voraussetzungen bei Kindern, wie das
Petruschky sehe in Betracht, läßt sich jedoch nicht in größerem
Umfang zu Sanierungszwecken anwenden. Haupsache ist m. E.,
daß in der Fürsorge behandelt werden kann, und dies ist nur
möglich, wenn eine weitgehende Beteiligung der Aerzteschaft
an der Tuberkulosefürsorge Platz greift.
Man hört hier und da noch immer von Kollegen, die die
Wirksamkeit des Perkutan Verfahrens anzweifeln. Darüber ist
indes nicht mehr zu streiten, daß bakterielle Antigene von der
Haut aus gut resorbiert werden (N e u f e 1 d); fieberhafte Allgemein-
Dr. Hallenberger: Principiis obsta t
405
reaktionen und Hautreaktionen treten auch nach Einreibung
von Tuberkulin auf und beweisen, daß das Präparat auch auf
diesem Wege eine spezifische Wirkung ausüben kann, und
daß die Behandlung durchaus keine Scheinbehandlung ist
(Brecke-Stuttgart). Zudem hat Petruschky selber durch
den Versuch bei Meerschweinchen bewiesen, daß nach Ein¬
reibung abgetöteter imzerkleinerter Vollbakterien in die Haut
diese schon nach wenigen Stunden im Corium nachweisbar,
nach 24 Stunden zu Qranula geworden und nach spätestens
48 Stunden restlos parenteral verdaut sind.
Gerade die langsame, mildere Aufnahme des Antigens von
der Haut ist als ein besonderer Vorteil des Verfahrens hin¬
sichtlich der Einwirkung auf den tuberkulösen Herd anzusehen,
sofern nur geeignete Verdünnungen und nicht sofort zu starke
Konzentrationen gewählt werden. Denn so einfach die ganze
Behandlungsmethode erscheint, erfordert sie doch ein besonderes
Studium, eingehendes Individualisieren und ständige Beobachtung,
vornehmlich bei der Behandlung Erwachsener. Ich kann jedem
Kollegen das Büchlein von Großmann*), der selbst an offener
Tuberkulose erkrankt war, sich Jahre hindurch vonPetruschky
mit vollem Erfolg perkutan behandeln ließ und während dieser
Zeit bei ihm arbeitete, zu näherem Studium der ganzen Frage
dringend empfehlen und raten, soweit das Verfahren von ihm
bei der Tuberkulosebekämpfung noch nicht angewandt worden
sein sollte, einen Versuch hiermit zu machen. Ohne von dieser
Methode alles das, was manche begeisterte Anhänger erwarten,
zu erhoffen, kann mit ihr doch viel Nutzen gestutet werden;
mir jedenfalls erscheint ihre Anwendung als ein recht gang¬
barer Weg wirksamer Tuberkulosebekämpfung durch die Für¬
sorgestellen, von dem ich nicht wieder abgehen möchte, eine
Anschauung, die sich mit derjenigen von Br ecke in Stuttgart,
von Jänicke in Apolda, der sie in ausgedehntem Maße an
Hunderten von Kindern anwendet, und anderer Kollegen deckt.
Gerade für die ambulante Behandlung lungenkranker Erwachsener
und die prophylaktische Behandlung gefährdeter Kinder hat
sie Vorzüge, die ihre Anwendung in Zukunft in viel umfang¬
reicherem Maße als bisher angezeigt erscheinen lassen.
Principiis obsta!
Von Kreisarzt Dr. Hallenberger-Höchst a. M.
Den in Nr. 5 dieser Zeitschrift veröffentlichten Bericht über
die am 21. 1. 22 im Ministerium für Volkswohlfahrt gepflogenen
Verhandlungen haben wir wohl alle mit größtem Interesse ge¬
lesen, und ich glaube, daß wir den Anträgen und Ausführungen
unseres Vorstandes unbedenklich zustimmen können. Nur auf
*) Dr. Felix Großmann: Die spezifische Perkutanbehandlung der
Tuberkulose mit dem Petruschky scheu Tuberkulin-Liniment. Verlag von
Urban & Schwarzenberg, SerUn-Wien 1921.
406
Dr. Hallenberger: Prindpiis obsta!
einen Punkt, dessen Verwirklichung wohl noch in einiger Ferne
liegt, möchte ich, eingedenk dem Grundsatz „principiis obsta“,
rechtzeitig die Aufmerksamkeit der Kollegen lenken.
Unser Vorstand hat gefordert, daß uns als Behörde die
Bezeichnung »Der Kreisarzt des Kreises.“ neben der
Dienstbezeichnung »Medizinalrat“ verbleiben solle; andererseits
wird von uns die Abtrennung der Gesundheitspolizei von der
allgemeinen Polizei und die Zusammenfassung des gesamten
Gesundheitswesens in einer besonderen Behörde erstrebt, von
der jetzt in unseren Kreisen schon ganz allgemein als von dem
Kreisgesundheitsamt gesprochen wird. Ich halte es für un¬
politisch, wenn wir selbst diesen Ausdruck gebrauchen. Solange
das Damoklesschwert der Kommunalisierung noch über uns
schwebt, sollte m. E. alles vermieden werden, was beim Publikum
und bei Behörden Zweifel an unserer staatlichen Stellung auf-
kommen lassen könnte, ist es doch heute schon der Fall, daß
nicht nur Privatleute, sondern auch Staatsbeamte und Behörden
nicht mehr wissen, ob wir Staatsbeamte oder Kommunalbeamte
sind. Früher ging der staatliche Charakter des Kreisarztes
aus dem »Königlich“ einwandfrei hervor; um Mißverständnisse
zu vermeiden, sollten wir uns stets, wie das andere Behörden
ja auch tun, als »staatlicher“ oder »preußischer“ Kreisarzt be¬
zeichnen, und bei Erörterungen über das zu erstrebende Ge¬
sundheitsamt sollten wir immer nur von dem »staatlichen
Gesundheitsamt für den Kreis.“*) sprechen und nicht
einfach von dem Kreisgesundheitsamt. Sollte das erstrebte
Gesundheitsamt Wirklichkeit werden, dann muß es auch eine
nicht zu Mißverständnissen Veranlassung gebende Bezeichnung
haben. Die Gegenüberstellung Kreiswohlfahrtsamt = Kreis¬
gesundheitsamt besagt genug, zudem gibt es in einer ganzen
Reihe von Kreisen bereits Kreisgesundheitsämter als kommunale
Einrichtungen, denen aber eine ganz andere Aufgabe zufällt,
als dem staatlichen Gesundheitsamte zufallen würde.
Es ist wohl unser einmütiger Wille, nicht kommunalisiert
zu werden, und deshalb ist es wichtig, daß wir selbst bei Er¬
örterung unserer Wünsche in Wort und Schrift jede irreführende
Bezeichnung vermeiden. Ein Wort wird leicht zur Gewohnheit,
und die Gewohnheit, vom Kreisgesundheitsamt zu sprechen,
kann uns etwas bescheren, was unserem Interesse zuwider läuft,
denn haben wir oder das erstrebte Gesundheitsamt erst einmal
eine dienstliche Bezeichnung, die den Eindruck erwecken kann,
als ob wir Kommunalbeamte bezw. eine kommunale Behörde
seien, dann ist der Schritt zu der von einigen politischen Parteien
so sehr gewünschten Kommunalisierung der staatlichen Medizinal¬
beamten erheblich kleiner geworden. Die Form macht viel
aus, darum videant consules!
*) Anm. bei der Korrektor: Durch Erlaß des Finanzministers rom 14.1. 22
inzwischen für die Kreiskassen die Bezeichnung „staatliche* vorgeschrieben.
Dr. Karl Meixner: Loichenzeretörang daroh Fliegenmadon. 407
Aus dem Institut für gerichtliche Medizin in Wien
(Hofrat Prof. Dr. A. H a b e r d a).
Leichenzerstörung durch Fliegenmaden.
Von Prof. Dr. Karl Meixner.
In Heft 21 des Jahrganges 1920 dieser Zeitschrift be¬
richtet Neumann von einem Fall, in welchem die Leiohe
eines neugeborenen Kindes durch Fliegenmaden sehr rasch
zerstört wurde. Das Kind war am 29. Juli tot geboren, am
30. in einem einfachen Holzsarg beerdigt worden. Als es am
4. August, also 6 Tage nach dem Tode wegen des Verdachtes
einer Kindestötung wieder ausgegraben wurde, fanden sich
aufler den Knochen nur spärliche Reste von Haut, Knorpel,
Sehnen und harter Hirnhaut.
So rasche Zerstörungen von Leichen kommen nicht so selten
vor und 63 ist wichtig, dies zu wissen, um nicht zu falschen
Schlüssen über den Zeitpunkt des Todes zu gelangen. Einen
ähnlichen Fall, wie den eben erwähnten, konnten wir im Vor¬
jahre beobachten:
Bine Fracht aas dem 9. Mondmonate, deren Beste von Kollegen
Werkgartner und mir gerichtlich untersucht worden, war in unserer im
Kellergeschoß gelegenen Leichenkammer in wenigen Tagen zerstört worden.
Die Fracht war am 18. Jani unter einem Banm im Ottakringer Wald ober¬
flächlich eingescharrt, in Zeitangspapier and Wacbsleinwand eingebaut, entdeckt
worden. Der Polizeiarzt, der sie am 19. aaf dem Ottakringer Friedhofe be-
schaate, schrieb in seinem Befand: „Sie ist frisch, dürfte einige Standen vor
der Auffindung geboren worden sein“. Wenn der Beschaaarzt sich auch in
letzterer Folgerung vielleicht geirrt hatte, so ist doch nicht anzonehmen, daß
damals von Fliegenmaden schon etwas za merken war. Bei der Leichenöffnung
waren fast nar mehr die Knochen erhalten. Von WeichteUen fanden sich bloß
einige schwärzliche Fetzen an den Kippen, ferner einige Fetzen der vorderen
Baachwand mit Nabelschnur and EihaatstUcken, während das Zottengewebe
des Mutterkuchens fast vollständig aafgefressen war. Ferner fand sich die
Brnstschlagader, an der als Best des Herzens einige bindegewebige Fetzen
hingen, and WeichteUreste der Füße. Sogar die Zwischenwirbelscheioen waren
vielfach zerstört, die Halswirbelsänle größtenteils zerfaUen.
Wenn es auch zwei Jahre zuvor im Sommer vorgekommen
war, daß die unversehrt eingelieferte Leiche eines Neugeborenen
im Laufe einer Woche, bis die Staatsanwaltschaft die Leichen¬
öffnung an ordnete, von Maden bis auf die Knochen auf gefressen
war, so zweifelten wir hier zunächst doch, ob es sich um die¬
selbe Leiche handelte, zumal das Geschlecht in den verschiedenen
Ausweisen nicht übereinstimmte. In der Polizeianzeige und im
Ueberbringungszettel war es als männlich angegeben, während
der Polizeiarzt es als weiblich vermerkt hatte. Nachforschungen
ergaben aber, daß in jener Zeit in der Leichenkammer des
Ottakringer Friedhofes keine andere Frucht, weder in den Tagen
vorher noch nachher sich befunden hat. Auch in unserer
Leichenkammer kam eine Verwechslung in diesem Falle nicht
in Betracht. Uebrigens stimmte die Umhüllung, Zeitungspapier
und Wachsleinwand. Zudem ergab sich ein Befund, der die
zuerst begründeten Bedenken zerstreute. Es war nämlich ein
Vorfuß der kleinen Leiche vollständig erhalten und dieser war
408
Dr. Karl Meixner.
von der rosigen Farbe einer frischen Frucht mit zwar abzieh¬
barer, jedoch erhaltener Oberhaut und festhaftenden Zehen¬
nägeln, ein eindrucksvoller Gegensatz zu den übrigen schwärzlich
mißfarbenen Resten.
Unter günstigen Bedingungen vermögen die Fliegenmaden
noch weitaus mehr zu leisten, wie ein Fall im Frühsommer
1920 lins lehrte:
Am 25. Mai abends wurde knapp außerhalb der Wiener Gemeindegrenxe
an einer der ins Marchfeld fahrenden Straßen in einem Düngerhaufen eine
männliche Leiche gefunden. Sie lag am Fuße des mächtigen Düngerhaufens,
nur in dünner Schichte von Mist bedeckt, wobei ein Fuß vorschaute. Die Leiche
wurde als der seit dem 18. Mai abgängige Kutscher K. J. erkannt, dessen Fahr-
werk am Abend des 18. Mai ohne Pferde in einer Straße Wiens gefunden
wurde. Bei dem am nächsten Morgen vorgenommenen Augenschein konnte ich
folgenden Befund erheben: Die mit einer feldgrauen Uniform bekleidete Leiche
lag auf dem Bauche, rund um sie etwas auseinandergeworfener Dünger. Der Kopf,
der halb auf der linken Seite gelegen war, war nur durch ein vom Knochen
gelöstes Stück Kopfschwarte, unter welchem es von Fliegenmaden wimmelte
und einen Streifen der Nackenbaut mit dem Kumpfe in Zusammenhang. Von
der rechten Hand fehlten die meisten Fingerglieder. Von der Mittelhand
waren nur Knochen und Bänder erhalten. Auch von den Armen waren, wie sich
durch die Kleidung durchfühlen ließ, nur mehr die Knochen übrig, die übrigens
im rechten Ellenbogen vollkommen voneinander gelöst waren. An der reimten
bloßliegenden Seite des Schädeldaches fand sich eine kleine Einschußltteke.
Die vom Kollegen Katz am 28. Mai vorgenommene Unter¬
suchung ergab nachstehenden Befund:
Schädel an der linken Seite von einem lappenförmigen Best der Kopf¬
schwarte, der mit der Nackenhaut zusammenhängt, wie von einer Kappe lose
bedeckt, sonst nahezu frei von Weichteilen. Nur am Unterkiefer haftet noch
ein zur Gegend der Drosselgrube herabziehender Hautstreifen. Kippen größten¬
teils bloßliegend. Knorpelknochenverbindungen gelöst. Bauchwand fehlt. Von
dem Inhalt der Bauchhöhle nur ein schmieriger Best vorhanden. Der linke
Darmbeinteller bloßgelegt. Schoßfuge klafft handbreit auf. Ein schmaler,
platter, 5 cm langer Gewebsstreifen scheint ein Kest des männlichen Gliedes
zu sein. Am Schultergürtel fanden sich beiderseits Muskelstümpfe. Am rechten
Oberarm waren reichlich Weichteile, hie und da sogar Haut, am linken nur
spärliche Muskelreste erhalteiü Vorderarme und Hände bis auf Sehnenreste
und Knochen zerstört. Das rechte Ellenbogengclenk gelöst, das linke leicht
zu lösen. Von den Händen fehlten rechts alle Finger und drei Mittelhand¬
knochen, links mehrere Fingerendglieder. Mehr war von den Weichteilen der
Beine erhalten. Das linke war sogar größtenteils noch von der Lederhaut
bedeckt. Eechts lagen die Muskeln teils frei, teils waren sie zerstört, das
rechte Sprunggelenk war eröffnet. Vom Halse nur die Wirbel erhalten, von
welchen 1 und 2 am Kopfe haften. Von den Lungen nichts mehr kenntlich.
Vom Herzen nur ein schlaffer Fetzen und die zweizipfelige Klappe erhalten.
Von der Körperschlagader kein Kest aufzufinden. Vom Zwerchfell nur Fetzen
vorhanden, die Leber stark verkleinert, doch verhältnismäßig am besten er¬
halten, beide Lappen noch kenntlich, Gewebe von Gasblasen dicht durchsetzt.
Sonst von den Baucheingeweiden nur ein Fetzen der Harnblase erhalten.
Die hochgradige Zerstörung erklärt sich einerseits durch
die hochsommerliche Wärme jener Tage, andererseits durch die
Bettung im Dünger, der ja eine Hauptsammel- und Brutstätte
der Fliegen ist. Noch wenige Tage und es wären nur
mehr Knochen erhalten gewesen, was leicht zu einem Trug¬
schluß in Bezug auf den Zeitpunkt des Todes hätte verleiten
können. Bemerkenswert war, daß von den Weichteilen des
Kopfes nur an der linken Seite, wo er auflag, etwas übrig
Leichenzerstörung durch Fliegenmadeo.
409
war. Auch von Armen und Beinen war links mehr er¬
halten. Daß sich von den Beinen überhaupt mehr Vorland,
war auch durch die enganliegende Reithose und die Stiefel
bedingt. Die Fliegenmaden beginnen eben dort, wo sie aus
den Eiern auskriechen, ihre Arbeit und Teile, die durch Aul¬
liegen oder andere Umstände weniger leicht zugänglich sind,
kommen erst später daran, können auch vertrocknen, ehe
die Maden dahin gelangen. Bemerkenswert ist ferner, daß so
derbe Gewebe, wie Knorpel, Bänder, harte Hirnhaut und die
Körperschlagader so rasch aufgefressen werden. Daß die Wirbel¬
säule im Halsteile zuerst zerfällt, ist, abgesehen von ihrer ge¬
ringeren Stärke, auch in Anbetracht der Unmengen von Eiern,
die in Mund und Nase abgelegt werden können, leicht begreiflich.
Der Schädel war übrigens von zwei Schüssen durchbohrt. Trotz der
hochgradigen Zerstörung landen sich beide Geschosse, das eine, welches gegen¬
über dem Einschuß nur einen unvollständigen Lochbruch erzengt hatte, in dem
geringen Beste von Hirnbrei, das andere, welches gleichfalls in die rechte
Schläfe eingedrungen war, stak in einem Fetzen Gesichtshaut an der
linken Seite.
Sehr lehrreich war ferner im Hinblick auf das, was über
die Entwicklungszeiten der Fliegen in den meisten Büchern zu
linden ist, folgender Fall, über den ich in anderem Zusammen¬
hänge schon einmal berichtet habe. 1 )
An einer Frauenleiche, die in einem abgelegenen slowakischen Gebirgs-
dorf am 14. Juni 1917, nachdem sie vier Wochen lang begraben war, cnterdigt
und von mir untersucht wurde, fanden sich Fliegenmaden in solchen Mengen,
wie ich es nur wenige Male gesehen habe. Dabei war die Zerstörung der
Leiche noch nicht einmal so weit gediehen. Nur die Weichteile des Kopfes
und Halses fehlten in größerer Ausdehnung.
Daß Fliegenraaden auch an der Zerstörung beerdigter
Leichen reichen Anteil haben können, wie es auch der ein¬
gangs erwähnte Fall lehrt, ist bekannt. 2 ) Zum Teil sind es
Maden von Fliegen, welche ihre Eier vor der Beerdigung an
den Leichen ablegen, also vor allem die der Schmeiß- und
Goldfliege, zum Teil von Arten, deren Maden erst in der Erde
an die Leichen gelangen. Die Reste letzterer finden sich im
Gegensatz zu den erst erwähnten Arten auch an Leichen von
im strengen Winter Verstorbenen.
Mit großer Begelmäßigkeit wird an Leichen, die mehrere Jahre beerdigt
sind, eine kleine Fliegenart der Familie Phora angetroffen, welche bei der
Zerstörung begrabener Leichen die Hauptarbeit zu leisten scheint. Nach
Reinhard und Hunziker wurde sie als Conice ra atra Meig bestimmt,
Megnin nennt sie Phora aterrima. Letzterer fand bei im Winter be¬
erdigten Leichen außerdem Puppen von Angehörigen der Familie Anthomyia
*) W. Kl. Wochenschrift, 1919, Nr. 40.
*) Megnin: Virchows Jahrbücher 1883, 1.617; 1888, 1.467; 1894,
I. 477; Ann. d. hyg. publ. XIX., 8.160; la faune des cadavres, Paris 1894 in Ency-
clop&die scientifique des aide-mömoire. Reinhard: Beiträge zur Gräberfauna,
Verh. der Wiener zool. bot. Ges., 1881, XXXI. Bd., S. 207. Hunziker: Ueber
Befunde bei Leichenausgrabnngen auf den Kirchhöfen Basels. Frankf. Zeitschr.
f. Path., 1919/20, XXII. Bd.,' 8.147.
410
Dr. Kail Meixner.
(La faune des cadavree, 8.101) and in einigen ungefähr 1 Jahr begrabenen
Leichen yon einer Art, der er den Namen Ophrya cadaverina gab, Maden,
Pappen and frisch aasgeschifipfte Fliegen. (La faune des cadayres, S. 106.)
Yon den Phoren worden an Leichen, deren Zerfall schon vorgeschritten war
(bei Megnin waren die Leichen 1 bis 3 Jahre, bei Hnnziker 2 bis 5 Jahre
beerdigt gewesen) fast ausnahmslos zahlreiche, meist leere Pappen vorgefanden,
die an Stelle der zerstörten Weichteile die Knochen bedeckten oder nmhüUten
oder in den Haaren staken. Bis 6 Jahre nach der Beerdigung fanden Reinhard
und Hnnziker, wenn noch Weichteile vorhanden waren, nach lebende Maden,
häufig sogar in großer Menge und in voller Tätigkeit, so daß die Weichteil«
reste von ihnen dicht durchsetzt waren. Ferner fanden bis za dieser Zeit alle
Untersacher vereinzelt lebende Fliegen. Megnin schien es hervorhebenswert,
daß in lebenden Pappen die Entwicklung der Nymphen vielfach noch nicht
weit gediehen war. In Gläschen sah er aus solchen Pappen nach 3—4 Tagen
in großer Zahl Fliegen aasschlüpfen. Er folgert daraas, daß die Phora die
beerdigten Leichen' erst später befalle, was angesichts der zahllosen leeren
Pappen nicht ganz schlüssig ist. Mingaud 1 * * ) hat Phora an der Leiche einer
menschlichen Fracht, die nar 58 Tage vergraben war, festgestellt
Mehr wissen wir, soweit ich ermitteln konnte, vom Lebensgange dieser
Fliegen nicht. Hinsichtlich des Weges, auf dem sie an die begrabenen Leichen
gelangen, erörtert Megnin zwei Möglichkeiten: erstens, daß die Fliegen,
aarch die Aasdünstang der Gräber angelockt, ihre Eier in die oberflächlichen
Erdschichten ablegen and die aaskriechenden Maden, vielleicht unter Be¬
nutzung der Gänge von Regenwürmern and anderen Erdbewohnern sich an die
Leichen heranarbeiten oder daß die in die oberflächlichen Erdschichten auf den
Friedhöfen abgelegten Eier beim Zaschütten der Gräber in die Tiefe gelangen.
Es wäre wohl noch eine dritte Möglichkeit in Betracht za ziehen, daß nä mlich
die Fliege selbst sich zar Eiablage tiefer eingräbt Ungeklärt ist ferner, ob
die in den Gräbern ansschlüpfenden Fliegen sich wenigstens zum Teil den
Weg an die Erdoberfläche bahnen and nar Maden« and Pappenleben an der
begrabenen Leiche sich abspielt oder ob nach die Fliegen in der Tiefe bleiben,
sich daselbst paaren and fortpflanzen können. Erstere Möglichkeit ist nicht
von der Hand za weisen. Denn nach Doflein*) stellten amerikanische
Forscher fest, „daß Imagines, Ophrya and Masca dom. L. durch Sandschichten
von 1 bis 2 m sich durcharbeiten, nachdem sie ihre Metamorphose in den bo
tief vergrabenen Faeces darchgemacht haben“. Megnin nimmt za dieser
Frage nicht klar Stellung, äußert nar, es sei kein Zweifel, daß zahlreiche Ge¬
schlechter einander folgen. Orfila*) meint mit Beziehung auf Fliegenarten,
die ihre Eier noch vor der Beerdigung an die Leichen bringen, daß sie im
Grabe ihre volle Verwandlung durchmachen, sich paaren and wieder vermehren
and so 7 bis 8 Geschlechter erleben können, was wohl ein Irrtum ist Aach
Hanziker neigt der Annahme za, daß Conicera atra im Grabe sich weiter
vermehre, bis die Leiche vollständig anfgezehrt ist
Um Phora und andere später auftretende Fliegenarten kann
es sich in dem Fall aus dem slowakischen Qebirgsdorf nicht
gehandelt haben. Ebenso wie die Fliegen selbst, sind auch die
Maden der Phoriden sehr klein, während mir an dem Maden¬
gewimmel nichts besonderes aufgefallen ist. An die Be¬
stimmung ihrer Art habe ich damals, da meine Aufmerk¬
samkeit hauptsächlich Verletzungsspuren galt, freilich nicht
gedacht. Es waren also wohl die gewöhnlichen Arten, die
ihre Eier an Leichen ablegen, in erster Linie Lucilia Caesar,
die Goldfliege, welche, nach Graham Smith 4 ) sehr lichtliebeud,
im Freien am reichlichsten von den Aasfiiegen vorkommt, so*
l ) Ann. d. byg. publ. 1896, Bd. 85, S. 424 (von Megnin selbst vorgetragen).
*) Hesse und Doflein, Tierleben, 8.257.
8 ) Traitö des ezhumations jaridiques, Paris 1880.
4 ) Flies in rel&tion to disease, Cambridge 1918.
Leichenzerstörung durch Fliegenmaden.
411
dann die Schmeißfliegen (Calliphoren) 1 ). Die ungeheure Menge
läßt sich dadurch erklären, daß die Leiche vor der Beerdigung
schon einmal gerichtlich geöffnet worden, somit zu einer aus¬
giebigen Eiablage reichlichste Gelegenheit gegeben war. Nun
ergibt sich aber noch die Schwierigkeit, das Vorhandensein so
zahlreicher Maden mit den gewöhnlichen Angaben über die
Entwicklungszeiten der Fliegen in Einklang zu bringen.
Von den Schmeißfliegen und der Goldfliege gibt Brehm 2 )
an, daß die Maden spätestens 24 Stunden nach der Eiablage
auskriechen, daß sie nach 8 bis 14 Tagen erwachsen seien, und
daß die Verwandlung in der Puppe bis zum Ausschlüpfen der
jungen Fliege 14 Tage währe. Nach Graham Smith 3 ) kriecht
die Made der Goldfliege nach 8 bis 18 Stunden aus. Sie frißt
dann 60 bis 72 Stunden, wandert darauf aus der Leiche aus.
Vom Aus wandern bis zur Verpuppung können 2 bis 4 Tage
und mehr vergehen. Ungefähr 8 Tage dauert das Puppen¬
dasein, so daß von der Eiablage bis zum Ausschlüpfen der
jungen Fliege durchschnittlich 14 Tage vergehen.
Megnin 4 ) gibt sowohl die Dauer des Maden- wie die des
Puppendaseins bei der Goldfliege mit 14—20 Tagen an.
Bei den Schmeißfliegen erreichen nach demselben Schrift¬
steller die Maden ihre volle Ausbildung in 8 Tagen und 14 Tage
nach der Verpuppung schlüpft die Fliege aus.
Aehnlich berichtet Graham Smith 5 ), daß die Made der
Schmeißfliegen nach 8 bis 20 Stunden auskrieche, durch 7 1 /»
bis 8 Tage fresse und daß das Puppenleben 14 Tage dauere.
Thompson Lowne 6 ), welcher der Schmeißfliege ein zwei¬
bändiges Werk gewidmet hat, gibt an, daß die Maden nach
20 bis 24 Stunden auskriechen. Hie und da soll es dadurch,
daß ein oder mehrere befruchtete Eier (die Fliege wird nur
einmal begattet, ihre Eier bei der Ablage befruchtet) nicht so-
§ leich abgelegt werden, Vorkommen, daß ähnlich, wie es bei
arcophaga die Regel ist, lebende Maden abgesetzt werden.
Die Made, welche sich wahrscheinlich dreimal häutet, frißt
durchschnittlich 14 Tage. Bei höherer Wärme ist sie schon in
8 bis 10 Tagen ausgewachsen. Dann bohrt sie sich in die
Erde ein und es folgt vor Beginn der Verpuppung ein Ab¬
schnitt der Ruhe, der gewöhnlich nur 2 bis 3 Tage dauert, bei
geringer Wärme aber auch mehrere Wochen, selbst Monate
*) Bei den Leichenöffnungen im Felde waren wir am meisten von
den stahlblauen Schmeißfliegen belästigt, welche, so sehr wir auch bedacht
waren, die Spalten zwischen den Brettern zu verschließen, immer wieder in
unsere Holzverschläge und Leichenkammern zahlreich den Weg fanden. Nach
Megnin und Niezabitowski (Vierteljahrsschr.f.ger.Med. 1902, H. 1, S. 44)
kommen sie früher an die Leichen als die Goldfliege.
•) Tierleben, 1892.
•) a. a. 0.
4 ) la faune des cadavres.
6 ) a. a. 0.
•) the anatomy, pbysiology, morphology and development of the blow fly,
London 1890—92.
412
Dr. Earl Meixner.
dauern kann. Wird die Made in ihrer Ruhe gestört, so kriecht
sie lebhaft umher, um sich neuerdings einzugraben. Gegen
Ende der Ruhezeit wird sie immer träger und verpuppt
sich, wobei ihre äußeren Hüllen zur Puppentonne werden. Das
Puppendasein dauert durchschnittlich 12 bis 14 Tage, kann im
Winter auch viele Monate dauern. Unter 45 Grad Fahr, (un¬
gefähr 7 Grad C.) steht nach Thompson Lowne alle Ent¬
wicklung still.
Eine ähnliche Abhängigkeit der Entwicklungsdauer lassen
die Angaben von Graham Smith 1 ), der sich auf Newstead*)
beruft, über die Entwicklung der Stubenfliege, welche zur
selben Familie gehört wie die Schmeißfliegen, erkennen. Nach
ihm kann sich aas Auskriechen der Maden aus den Eiern unter
ungünstigen Bedingungen gegenüber einem Durchschnitt von
8 bis 12 Stunden bis zu 4 Tagen verzögern. Es kann ferner
das Madenleben gegenüber der gewöhnlichen Dauer von 5 bis
8 Tagen auf 6 bis 8 Wochen verlängert sein und es kann in
gleicher Weise die Umwandlung in der Puppe anstatt wie ge¬
wöhnlich 5 bis 7 Tage 2 bis 4 Wochen in Anspruch nehmen,
ganz abgesehen von der Ueberwinterungsdauer der Puppen.
Zweifellos hat es sich auch in dem uns hier beschäftigenden
Falle um eine Verzögerung der Entwicklung gehandelt, denn
die Eier können nur vor der Beerdigung an die Leiche gelangt
sein. Nach dem, was über den Einfluß der Wärme auf die
Entwicklungsdauer der Fliegen vorstehend berichtet ist, darf
uns auch aas nicht wundern. Denn in der Tiefe von 6 Fuß
ist es, gar im Frühjahr, recht kalt und wir müssen annehmen,
daß überhaupt nur die Fäulnisvorgänge und die Lebensvorgänge
bei einer größeren Zahl von Maden die für eine Entwicklung
letzterer nötige Wärme liefern. Durch die entwicklungshemmende
Wirkung der Kälte erklärt es sich wohl, daß Reinhard 9 ) aus
Puppen, welche er aus Gruftsärgen gesammelt hat, eine Musciden-
art (Homalomyia scalaris) ausschlüpfen sah.
Unser Fall lehrt, daß bei Schätzung des Leichenalters
nach dem Tierleben größte Vorsicht geboten ist und daß eine
Rechnung wie Mingaud 4 ) sie anstellt: „Lucilia Caesar
braucht 30 Tage, die erst später auftretende Phora 25 bis
30 Tage zur Entwicklung, macht zusammen 60 Tage. Daher
kann der Tod vor 68 Tagen erfolgt sein“ nicht ohne weiteres
zulässig ist. Uebrigens warnen auch Reinhard 5 ), v. Niezabi-
towski*), Strauch 7 ), Hunziker 8 ), Kratter 9 ) vor den weit-
*) a. a. 0.
*) Second interim report on the flouse Fly, as obseryed in the city of
Ltrerpooi 1909.
«) a. a. 0.
<) a. a. 0.
*) a. a. 0.
0| Q t
T ) Vierteijahrschrift f. ger. Med., 1912, Bd. 43, 2. Sappl. H.: S. 47.
•) a. a. 0.
9) Lehrbach der gerichtlichen Medizin, 1921, 8.69.
Leichenzeratörung durch Fliegenmaden.
418
S ehenden Schlüssen, welche Megnin aus dem Tierleben in
ezug auf das Leichenalter ableitet.
Sowie mit Eintritt wärmeren Wetters die Fliegen erscheinen, sollen an
unserer Anstalt Versuche Qber den Entwicklungsgang der Leichen-Fliegen unter
verschiedenen Bedingungen angestellt werden.
Die unterschiedliche Zerstörung von gleich lang auf der¬
selben Stätte im Grabe ruhenden gleichzeitig beerdigten Leichen
erklärt sich wohl, wie schon Orfila 1 ) betont, hauptsächlich
durch die verschiedene Menge von noch mit ins Grab ge¬
langter Eier oder Maden von Fliegen.
Bei unbeerdigten Leichen gebietet auch im Sommer die
Vertrocknung der Weichteile dem Zerstörungswerk der Fliegen ,
oft Einhalt und an Leichen von im Winter Verstorbenen, die
an trockenen Oertlichkeiten liegen geblieben sind, finden die
Fliegen bei ihrem Erscheinen häufig überhaupt keine Nahrung
mehr. Aus dem Umfang der Zerstörung aufgefundener ver¬
trockneter Leichen läßt sich manchmal in weiten Grenzen die.
Jahreszeit des Todes erschließen. (Beispiele auch bei Megnin.)
Am 16. Dezember 1920 habe ich die Leiche eines neugeborenen Kinde 8
untersucht, das von einem Spängler (Klempner) in einem ganz niedrigen Luft¬
räume unter der flachen Betondecke eines Wiener Hauses, von einem Tuch
locker umhüllt, gefunden wurde. An den oberen frei liegenden Bezirken des
Kopfes und des Bumpfes und an den Gliedmaßen war die hart vertrocknete
Haut größtenteils erhalten, von kleinen runden Lücken, die teils nur ver¬
einzelt, teils dichter standen, durchbrochen. Am Kopfe waren Lippen, Nase,
Lider und Inhalt der Augenhöhlen zerstört, am Halse fand sich nur unter
einem Drosselband ein den Abdruck desselben noch deutlich wiedergebender
hart vertrockneter Hautstreifen, der durch das eng anliegende Band vor den
Maden geschützt geblieben war, bis ihn die Vertrocknung vor weiterer Zer¬
störung bewahrte. Sonst fehlten alle Weichteile am Halse. Die Unterkiefer¬
hälften lagen völlig frei. In den aufliegenden Bezirken des Bumpfes war auch
die Haut größtenteüs zerstört. Hier fand sich Moder mit zahlreichen Puppen.
Nach dem Befunde ließ sich folgern, daß das Kind in der wärmeren Jahreszeit
geboren worden sein muß, als es reichlich Fliegen gab, weil andernfalls die
kleine auf dem Dachboden rascher Vertrocknung ausgesetzte Leiche den
Fliegen keine Nahrung mehr geboten hätte. So war es auch. Die Mutter
wurde ermittelt und gestand, das Kind im Aprii des Vorjahres in ihrer Boden¬
kammer geboren, erwürgt und gedrosselt und die Leiche dann unter dem
flachen Dach versteckt zu. haben.
Schließlich möchte ich noch auf eine Veränderung hin-
weisen, die wohl jedem erfahrenen Gerichtsarzt bekannt ist,
die ich aber nirgends erwähnt finde. An Stellen, wo die Haut
längere Zeit von darauf wimmelnden Fliegenmaden bedeckt
war, wie es in der Umgebung der Augen, der Atemöffnungen,
besonders aber unter blutdurchtränkten Verbänden vorkommt,
ist die Haut schmutzig dunkelgrau verfärbt, feucht. Die Ver¬
färbung deckt sich genau mit der Ausbreitung der Maden.
W ahrscheinlich handelt es sich um die Wirkung einer Absonde¬
rung der Maden, wohl des Verdauungssaftes, durch den sie die
Gewebe vor der Aufnahme verflüssigen. Werden die Maden
entfernt, wie z. B. bei Abnahme von Verbänden, so können
solche Stellen vertrocknen und können dann Aetzspuren oder
andere Hautveränderungen Vortäuschen.
*) a. a. 0.
414
Vom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie
Aus Versammlungen und Vereinen.
Tom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie
Jugenderziehung vom 81. bis 85. Mai in Berlin.
„Alle ernsten Aerzte and Erzieher sind heate darüber einig, daß geistige
Getränke in jeder Form and jedem Maße die körperliche, geistige and sitt¬
liche Entwicklung der Jagend schwer gefährden. Diese Erkenntnis maß ver¬
breitet werden. Die Mittel und Wege za ihrer Verwirklichung müssen auf¬
gezeigt werden. Es gilt, die hierfür beratenen Persönlichkeiten and Steiles
zar Mitarbeit heranznziehen. Die Jugend maß aufgerafen werden, d&ß sie
selbst mithilft an ihrer eigenen Befreiung aas den Ketten alter Anschauungen,
Ueberlieferungen and Sitten". Das war laut dem Einladungsblatte der Inhalt
and Zweck des 2. deatschen Kongresses für alkoholfreie Jugenderziehung.
Der Zwischenraum zwischen der ersten deatschen Tagung dieser Art im Jahre
1913 und dieser zweiten umschloß einesteils den Weltkrieg, der jene machtvolle
Kundgebung nicht za ihrer vollen Aaswirkung kommen ließ (infolge der starken
zwangsweisen Einschränkung des Alkoholverbraachs, die er herbeifuhrte, er¬
schien es aach weniger nötig), andernteils die Nachkriegsjahre, die die Alkohol-
flnt wieder mehr und mehr bedrohlich anschwellen ließen, wobei gerade auch
die vielfach gatbezahlten Jugendlichen wesentlich mit hereinbezogen wurden.
Dadarch legte es sich gebieterisch nahe, mit der erneuten Veranstaltung einer
solchen Bekundung und allgemeinen öffentlichen Gewissensschärfung nicht
länger zuwarten.
ln der Tat begegnete denn auch der diesmalige Kongreß, von der im
vorigen Jahre gegründeten Deutschen Beichshauptstelle gegen den Alkoholismus
planmäßig und umsichtig vorbereitet und dnrcbgeführt, wieder sehr weithin,
vor allem naturgemäß in den Erzieher-, Wohlfahrts- und Jugendkreisen, leb¬
haftestem Interesse. Von den angemeldeten rund 2000 Teilnehmern mögen,
soweit bis jetzt zu übersehen, rund 1300 aus allen Teilen Deutschlands und
dem Ausland (aus Deutsch-Oesterreich, Tschechoslowakei, Holland, der Schweiz,
Skandinavien, Litanen usw. etwa 30) tatsächlich erschienen sein. Setzte sich
jedoch die Teilnehmerschaft, wie erwähnt und zu erwarten, vorwiegend aus
Lehrern, Lehrerinnen und Schulleitern, Geistlichen, Jugendpflegen! u. dgl.,
andererseits einem stattlichen Aufgebot von Jugendlichen zusammen, so sah
man in der Zuhörerschaft doch auch eine nicht geringe Zahl von Aerzten und
Medizinalbeamten,*) ebenso Vertreter von Wohlfahrtsämtern usw. — begrüßte
doch auch der preußische Wohlfahrtsminister selbst bei der Eröffnung in
eigener Person mit warmen Worten. Unter den Rednern, unter denen der
der Natur der Sache nach wieder die der Schulwelt überwogen, waren ebenfalls
verschiedene Mitglieder der Aerzteschaft: Tuczek (Marburg), Mallwitz und
Agnes Bluhm (Berlin), Fuchs (Breslau), Holitscher (Pirkenhammer).
Sachkundige Männer und Frauen waren als Vortragende oder vorgemerkte
Ausspracheredner gewonnen. Auch Jugendliche kamen diesmal am dritten
Tage, dessen größere erste Hälfte ausdrücklich der „Mitarbeit der organisierten
Jagend selber bei der alkoholfreien Jagenderziehung" gewidmet war, ausgiebig
zum Wort. Eine Reihe von Nebenveranstaltungen, die mit dem Charakter der
Tagung zusammenhingen oder auf ihn abgestimmt wurden, umrahmten die
Hauptverhandlungen, so eine entsprechende Ausstellung, Lichtbildervorführungen,
öffentliche und geschlossene Sonderversammlungen von Erwachsenen, Jugend¬
lichen und Fachvereinen, Besichtigungen guter Ersatzeinrichtungen für die
Jugend usw.
Der erste Tag brachte die allgemeine Grundlegung: Bedeutung der
Alkoholfrage für den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sittlichen Wieder¬
aufbau unseres Volkes, Einfluß des Genusses geistiger Getränke auf die
stillende Mutter einerseits, auf das Kind und die heranwachsende Jugend
andererseits, Stand der Antialkoholbewegung. Der zweite gehörte der Erör¬
terung der alkoholfreien Jugenderziehung selber durch Haus, Schule, Kirche,
Reich, Staat und Gemeinde; und der dritte bot neben einer Einzelüberschau
*) Anm.: Wer, wie der Schriftleiter, die Freude hatte, an dem Kongreß
teilzunehmen, wird bestätigen, daß die Vorbereitung vorzüglich war und der
Verlauf in hohem Maße befriedigte.
Jugenderziehung vom 21. big 25. Mai in Berlin.
415
über die Mitarbeit der Jugend namentlich noch Vorträge über die Ueberwindung
der Alkoholgefahren durch Förderung der körperlichen und geistigen Ertüch¬
tigung der Jugend. Alles in allem bildete der Kongreß im Banmen dieses
reichen, fast überreichen Tagungsplans unter starker Beteiligung der Behörden
eine großzügige und einmütige Kundgebung für den Qedanken, unter dem 8r stand.
Aus den vielseitigen Vortragsdarbietungen, die durch die Aussprache
in wertvoller Weise ergänzt wurden, seien an Hand der ausgegebenen Selbst¬
berichte bezw. Leitsätze einige Ausführungen kurz andeutend wiedergegeben,
die hier besonderes Interesse finden dürften.
Der bekannte Irrenarzt Dr. Tuczek in seinem Vortrage über die Be¬
deutung der Alkoholfrage für den gesundheitlichen Wiederaufbau: Die
Hoffnung auf allmähliche Wiedererstarkung der deutschen Volkskraft wird
getrübt durch den zunehmenden Alkoholismus. Durch weite Kreise der Be¬
völkerung geht eine gefährliche Sehnsucht nach Anregung oder Betäubung
durch Genußgifte. Der Alkohol wirkt schädigend auf alle lebenswichtigen
Organe, besonders auf das Nervensystem. Weiter werden ungeheure Summen,
die für geistige Getränke ausgegeben werden, dazu diejenigen, welche auf
das Konto des Alkoholmißbrauchs auflanfen, trotz Nahrungmittelknappheit
und Teuerung aller Lebensmittel der Gesamtheit entzogen zum Nachteil der
Lebenshaltung und damit der Gesundheit breiter Volksmassen. Bei Kindern
und Jugendlichen wirkt der Alkohol besonders verheerend, die Entwicklung
störend und hemmend. Schon aus diesem Grunde — von andern wichtigen
Gesichtspunkten ganz abgesehen — ist der Kampf gegen den Alkoholismus
dringend notwendig, heute mehr als je. — Die Gesundheitsfürsorge muß noch
viel mehr als früher auf die ganze heranwachsende Jugend sich erstrecken.
Völlige Enthaltung von geistigen Getränken ist für alle Jugendlichen bis zur
Vollentwicklung zu fordern. Die jungen Leute sollen angeleitet werden, ihren
Verdienst zweckmäßig anzulegen und ihre freie Zeit gesuudheitsgemäß an¬
zuwenden. In allen Schulgattungen muß Belehrung über die Alkoholfrage
dem Unterrichtsplan fest eingefügt werden. Das Haus muß hier mit der
Schule Hand in Hand arbeiten. Lehraufträge über die Alkoholfrage sind
an allen Hochschulen zu erteilen. Wichtiger aber als Verbote und Belehrung
ist neben der Sorge für veredelnde alkoholfreie Unterhaltung das Beispiel der
Erwachsenen und der aus eigenem Willen hervorgegangene Verzicht der
Jugendlichen auf berauschende Getränke.
Dr. A. Bluhm, durch ihre rassen-biologischen Forschungen bekannt,
zur Frage des Einflusses des Alkohols auf die stillende Mutter: Alkohol ist
ein allgemeines Zellgift, welches auf jede Zelle lähmend wirkt. Der genossene
Alkohol geht sehr schnell in das Blut des Trinkenden und damit in jedes
seiner Organe über. Am meisten geschädigt werden die Zellen des Zentral¬
nervensystems, an welche unsere geistigen und seelischen Funktionen gebunden
sind, und die Keimzellen, welche die gesamten Anlagen für den aus ihnen
hervorgehenden Organismus enthalten. Der von der Mutter genossene Alkohol
geht fast in der gleichen Menge wie in ihr eigenes in das Blut der sich in
Ihrem Leibe entwickelnden Frucht und in deren sämtliche Organe über. Neuere
einwandfreie Tierexperimente zeigen, daß stärkere Alkoholvergiftung der Mutter
(ebenso wie diejenige des Vaters) nicht nur eine starke Erhöhung der vorge¬
burtlichen und Jagendsterblichkeit sowie mangelhafte Körperentwicklung,
sondern gelegentlich auch schwere Mißbildungen bei der Nachkommenschaft
bis ins dritte und vierte Glied bewirkt. Schon '/» Liter Bier, von der hoffenden
Mutter täglich genossen, kann nicht ohne schädliche Folgen für das Kind
bleiben. Deshalb hat die alkoholfreie Jugenderziehung bereits im Mutter leibe
zu beginnen. Wie in das Blut geht der Alkohol nachgewiesenermaßen auch in die
Milch der Mutter über. Stärkerer Alkoholgenuß der Nährmutter ruft beim
Säugling Krämpfe hervor; geringerer bewirkt nicht sofort greifbare Schädi¬
gungen, bleibt aber sicherlich nicht ohne schädlichen Einfluß. Schon das dünne
sogenannte Ammenbier kann schädlich werden. Deshalb hat sich ebenso wie
die hoffende auch die stillende Matter jeden Genusses geistiger Getränke
zu enthalten. Das gegebene Getränk für beide ist die Milch.
Bürgermeister Dr. Caspari (Brandenburg) über den Gegenstand »Die
ulkeholfrele Jugenderziehung durch Beleb, Staat und Gemeinde": Nach
416 Vom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung.
Artikel 120 der Reichsverfassung ist die Erziehung des Nachwuchses, also aller
Jagend zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit oberste
Pflicht und natürliches Hecht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche
Gemeinschaft wacht. Nach Artikel 122 ist die Jugend gegen Ausbeutung
sowie gegen sittliche, geistige oder körperliche Verwahrlosung zu schützen.
Staat und Gemeinde haben die erforderlichen Einrichtungen zu treffen. Dem¬
gemäß ist es die Aufgabe des Reiches, der Länder und der kommunalen Selbst¬
verwaltungskörper, die Erfüllung der in beiden Vorschriften genannten Pflichten
zu überwachen und bei der Schatzgewährung für die Jugend mitzuwirken.
Eine planmäßig durchgeführte Wohlfahrts- und insbesondere Jugendwohlf&hrta-
pflege bedingt aber die Aufnahme des Kampfes für die alkoholfreie Jugend¬
erziehung. Wertvolle Ansätze hierzu bietet der Entwarf des Reichsjugend¬
wohlfahrtsgesetzes, der in Kürze vom Reichstag verabschiedet werden soll.
Wir brauchen im übrigen für Deutschland eine einheitliche Wohlfahrtsrahmen¬
gesetzgebung. In ihr darf die Bestimmung, die sich beispielsweise in dem
oldenburgischen Gesetz befindet: „die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs*,
nicht fehlen. Neben den Schutzmaßnahmen für die Jugendlichen sind Zwangs¬
maßnahmen gegen die Erwachsenen zu erstreben. Zwangsmaßnahmen gegen¬
über den Jugendlichen werden abgelehnt. Zu fordern ist in erster Linie du
Verbot an die Gastwirte, geistige Getränke an Jugendliche zu verabfolgen.
Die alkoholfreie Jugenderziehung bedingt aber eine andere Einstellung der
Erwachsenen zur Alkobolfrage. Diese Umerziehung der Erwachsenen ist aber
wiederum auch nur möglich, wenn die organisierte Jugend im Kampf für die
alkoholfreie Jugenderziehung vorangeht und durch gutes Beispiel erziehe¬
risch wirkt.
Von Wichtigkeit mag im Rahmen dieser Zeitschrift etwa besonders noch
die Betonung der Ersatzmittel nnd -bestrebungengegen über den Reizen
und Versuchungen der Trinkaitten nnd des Wirtshauses erscheinen, wie sie
in verschiedenen Vorträgen und Verhandlungen zum Ausdruck kam. Re&l-
»cbuldirektor Dr. Neuendorff (Mühlheim a. R.) führte in einem Lichtbilder¬
vortrag Jagendheime und -herbergen und ihre hohe Bedeutung vor Augen.
Gymnasialdirektor Prof. Dr. Berger (Aschersleben), der Vorsitzende der
Deutschen Turnerschaft, und Dr. Mallwitz, der bekannte Sportarzt und
Abteilungsleiter an der Hochschule für Leibesübungen, beleuchteten treffend
aus der Praxis heraus das Turnen und den Sport als wertvolle Hills- und
Gegenmittel gegen die Alkoholgefahren bei der Jngend. Frau Friese-Schmidt
(Schwerin i.Meckl.) und Oberlehrer Ulbricht (Dresden) endlich behandelten
die Erneuerung der Geselligkeit in Familie, Vereinen, bei Kinder-, Jagend- und
Volksfesten usw. mit Hilfe der Organe der Jugenderziehung.
Besonders eindrucksvoll waren zweifellos am letzten Tage die Bekun¬
dungen der organisierten Jugend bezüglich ihrer bisherigen Mitarbeit oder
künftigen Mitarbcitsboroitschaft bei der alkoholfreien Jugenderziehung sowohl
seitens dor den Knthaltsamkeitsverbänden angeschlossenen Jugendvereine, als
seitens dor allgemeinen Jugend verbände, wobei Generalsekretär F. Goebel
eine zusammonftissonde Uebersicht über die mannigfaltige Haltung dieser
letzteron zu der Frage bot. Es gehört wohl zum Bemerkenswertesten und
Kennzeichnendsten an dem Kongreß, daß sich hier die alkoholabgew&ndte und
mehr oder weniger bewußt und tätig alkoholgegnerische Stellung von Verbänden
kundtat, hinter denen rund zwei Millionen Jugendliche stehen.
Man hat von Tagungen dieser Art wohl mit einem gewissen Recht gesagt,
sie seien so viel wert, als sie nach wirken. Möchten dann nicht bloß alle
Teilnehmer dieser großen Tagung und alle Hörer und Leser von Berichtes
über sie, sondern insgesamt alle, die von der brennenden Wichtigkeit und
hohen Tragweite der in ihrem Namen aasgedrückten Forderung durchdrungen
sind, nach Kräften dazu beitragen, daß die gesprochenen Worte und ausge¬
tauschten Gedanken, die gebotenen Anregungen und gefaßten Entschlüsse an
wirklicher, ziei bewußter und planmäßig lebendiger Tat werden, zum Wohl und
Heil unserer Jugend und unseres ganzen Volkes. 1
Dr. J. Flalg, Berlin-Wilmersdorf.
- V
Tagesn&chrichten.
417
Besprechungen.
Bi« Preuasisohe Gebührenordnung für approbierte Aerzte und
Zahn Arzte vom 16. März 1923. Unter Mitwirkung von Dr. Drucker
erläutert und herausgegeben von Prof. Dr. Dietrich, Wirkl. Geh. Ober-Med.-
Eat in Berlin. 8. Auflage des Förster* Dietrich sehen Kommentars.
Berlin 1922, Verlag von Eich. Schoetz. 12°, 182 S. Preis: geb. 66 M.
Der bekannte Kommentar, der in dieser Zeitschrift wiederholt bei seinen
verschiedenen Auflagen besprochen ist, mußte mit Erlaß der neuen Gebühren¬
ordnung neu erscheinen. Er ist in den Kreisen der Aerzte und Medizinal¬
beamten rühmlichst bekannt und so beliebt, so daß er weiterer Empfehlung
nicht bedarf und es genügt, auf sein Neuerscheinen hinzuweisen. So Ihrig.
Preueeiaobe Gebührenordnung fftr Aerzte und Zahnärzte vom
16. März 1922 mit eingehenden Erläuterungen und den für das Erwerbs-
leben der Medizinalpersonen gültigen Bestimmungen sowie mit dem Gesetz
über die Gebühren der Medizinalbeamten. Von Dr. Borntraeger, Geh. Med.-
Eat. 6. verbesserte Auflage. Leipzig 1922, Verlag von C. Kabitzsch.
Kl. 12 # , 101 S. Preis: brosch. 30 M.
Der beliebte Borntraegersche Kommentar erscheint, nachdem nun
eine neue ärztliche Gebührenordnung erlassen ist, in neuer Auflage. Die Ein¬
teilung des Stoffes ist die gleiche geblieben. (Vergl. die Besprechung der
vorigen Auflage in dieser Zeitschrift, 1921, S. 406.) Es ist nicht zu zweifeln,
daß das Büchlein, dessen besonderer Wert noch in den beigefügten Abschnitten
über allgemeine ärztliche Fragen liegt, in ärztlichen Kreisen weitere Freunde
Anden wird. _ Solbrig.
Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte vom L April 1922.
Sonderabdruck aus der „Volkswohlfahrt" 1922.
Vorrätig als Nr. 589 in Carl Heymanns Verlag, Berlin W. 8.
_ Solbrig.
Tagesn&chrichten.
Aus dem preussisohen Landtage. In der Sitzung vom 14. Juni
wurde gelegentlich der Beratung über das Hebammeogesetz ein Antrag der
Abg. Frau Ege (Sozialdem.) angenommen, wonach bei allen Bezirksregierungen
Dezernate für Bezirksfürsorgerlnnen eingerichtet werden sollen.
Der Haushalt des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt ist
nach kurzer Beratung fast durchweg nach den Anträgen des Hauptausschusses
angenommen worden. Soweit aus den Tageszeitungen zu ersehen ist — die
Stenogramme sind leider bisher noch nicht erhältlich gewesen — ist bei der
Besprechung des unsere Leser hauptsächlich interessierenden Gebietes „Volks¬
gesundheit“ nicht viel besonders Bemerkenswertes zur Sprache gekommen.
Von den Medizinalbeamten selbst und ihrer Tätigkeit scheint man sich nicht
unterhalten zu haben, woraus man wenigstens schließen kann, daß in den
Kreisen der Abgeordneten niemand an uns und unserer Tätigkeit etwas aus¬
zusetzen gefunden hat. Erfreulich ist es, festzustellen, daß immerhin von
einer Seite auf die gänzlich unzureichenden Tagegelder für Dienstreisen der
Medizinalbeamten bingewiescn wurde (Abg. Dr. Stemmler, Zentr.).
Die Verhandlungen erstreckten sich hauptsächlich auf die Notwendigkeit,
für die Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrank¬
heiten größere Mittel zur Verfügung zu stellen, wie dies seitens des Haupt-
auBBchusses auch beantragt worden war.
Die Ueberführung der preußischen Staatsbäder in die Verwaltung des
Wohlfahrtsministeriums soll für 1923 dem Anträge des Ausschusses ent¬
sprechend geschehen. Abg. Wey 1 trat erneut für Sozialisierung des ärztlichen
Standes ein, bemängelte die geringe Finanzierung des Haushalts für die Volks¬
gesundheit (40 Millionen Staatszuschüsse gegenüber 41 Millionen für die Ge-
st&tsverwaltung I) und setzte sich nachdrücklich für die Bekämpfung des
Alkoholismus ein. Ministerialdirektor Gottstein gab ein Bild über den
Stand der Volksgesundheit in Preußen und forderte ein Zusammenwirken aller
beteiligten Kreise um den Kampf gegen die Tuberkulose and die anderen
Volkskrankheiten mit allem Nackdruck za führen. Der Minister Hi rtsief er
selbst erinnerte daran, daß er in seiner Antrittsrede gebeten habe, Ton dem
wichtigen Gebiete der Wohlfahrt unseres Volkes alle Parteipolitik fernzuhalten,
and forderte za gemeinsamer Arbeit auf.
Bei der Abstimmung gelangten die Anträge des Hauptausschusses fast
durchweg zur Annahme, einige wenige wurden an diesen zurückverwieeen. Bin
Antrag aer Sozialisten wegen systematischer Einrichtung von Dezernaten für
Bezirksfürsorgerinnen bei allen Bezirksregierangen fand schließlich noch mit
einer geringen Stimmenmehrheit Annahme.
Wir behalten uns yor, nach Einsicht in die stenographischen Berichte
noch ausführlicher hierauf zurftckzukommen.
Der Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten hat nnter dem 26. Mai
d. Js. folgende Eingaben an den Beamtenaasschuß des Preußischen Landtags
gerichtet und durch seinen Geschäftsführer dort persönlich vertreten lassen.
„Im Anschluß an unsere Eingabe Tgb. Nr. 1628/22 vom 10. d. M. bitten
wir bei den Verhandlungen über die Eingruppierung der höheren Beamten
nachstehendes berücksichtigen zu wollen:
Das Verhältnis der Beamtenzahl in den Gehaltsgruppen X, XI and XII
in Preußen ist zurzeit 9:8:2, während im Beiche auf die Besold ungsgrappe X
4368, auf die Besoldungsgruppe XI 6511 und auf die Besoldungsgruppe XU
2888 Beamte entfallen. In einfachen Zahlen ausgedrückt ergibt das, daß im
Beiche das Verhältnis der Beamtenzahl in diesen Gruppen 2:3:1 ist. Dieser
Unterschied wird noch deutlicher bei Umrechnung auf gleiche Anfangszahl;
für das Beich ergibt sich dann ein Verhältnis von 18:27 :9, dem in Preußen
das Verhältnis 18 :14 : 4 gegenübersteht.
Bei einer Angleichung an das Beich muß das gleiche Verhältnis auch
den preußischen Beamten zugestanden werden. Die in den vorliegenden Ent¬
würfen vorgesehene Verteilung der Beamten auf die genannten drei Gruppen
im Verhältnis 3:2:1 bedeutet im Gegensatz hierzu eine wesentliche Schlechter¬
stellung der preußischen Beamten. Es ist dabei zu bemerken, daß in vielen
Verwaltungen des Beiches das Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander
noch wesentlich günstiger ist, so z. B. in der Beicbpostverwaltung, wo Bich in
Gruppe X 289, in Gruppe XI 2250 und in Gruppe XII 623 höhere Beamte be¬
finden. Das ergibt ein Verhältnis von rund 1:7:2. Ebenso wie im Beich ist
eine wesentliche Besserstellung der höheren Beamten auch in den übrigen
Ländern, insbesondere ln Bayern erfolgt. Lediglich für die preußischen höheren
Beamten ist die dringend notwendige erforderliche Angleichung auch durch die
Aendernngen im diesjährigen Staatshaushalt noch nicht annähernd erreicht.
Für die im Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten zusammen¬
geschlossenen Fachgruppen von höheren Beamten ergeben sich im einzelnen
folgende Wünsche, die wir noch zu berücksichtigen bitten:
pp.
5. Für die nicht vollbesoldeten Kreisärzte ist eine Aufrttckungsmöglich-
keit nach Gruppe XI geboten, und zwar für ein Drittel, da die Aussichten
für diese Beamten, durch PrivatpraxiB erhebliche Nebeneinnahmen zum Dienst¬
einkommen hinzuzugewinnen, durch Vermehrung der Dienstgeschäfte sehr ein¬
geschränkt sind, und sich immer mehr verschlechtern.
6. Den vollbesoldeten Kreisärzten ist eine Aufrückungsmöglichkeit nach i
Gruppe XII, wie sie alle höheren Beamten haben, auch nach dem neuen Ent- {
warf zur Besoldungsregelung versagt. Diese Zurücksetzung ist bei diesen
Beamten um so härter, als bei den äußerst geringen Beförderungsmöglich¬
keiten (nur 6 v. H. gegen z. B. 20 v. H. bei den richterlichen Beamten) nur ein
verschwindender Bruchteil bisher die Aussicht hat, in Gruppe XU za gelangen, jj
Wir müssen daher für einen Teil der vollbesoldeten Kreisärzte eine Auf- |
rückung8möglichkeit in Gruppe XII fordern. 1
Die im Vorstehenden dargelegten Wünsche bitten wir berücksichtigen
zu wollen, damit die Schlechterstellung der preußischen höheren Beamten
gegenüber denen des Beiches und der anderen Bundesstaaten be¬
seitigt wird.
Der Vorsitzende, gez. Dr. L e n t z e, Staatsminister.“
Tagesnachrichten.
419
Dieser Antrag ist hinsichtlich der nicht Tollbesoldeten and der voll-
besoldeten Kreisärzte vom Landtagsaasschaß angenommen worden, hat aber
bei dem Staatsministerinm keine Gegenliebe gefunden and ist von ihm ab¬
gelehnt worden.
Eine weitere Eingabe unseres Hauptvereins betr. die Abffihrnngspflicht
der Gerichtsärzte hinsichtlich ihrer amtlichen Gebühren Ober das Gehalt eines
Tollbesoldeten Kreisarztes der Groppe X hinaus ist in Bearbeitung des Berufs-
vereins höherer Verwaltangsbeamten and dessen Besoldangsaasschasses. Ueber
den Ansgang werde ich seinerzeit berichten. Dr. Rogowski-Berlin.
Das Beichsgesundheitsamt hat im Anschluß an eine von ihm
im Dezember 1918 verfaßte Denkschrift über die Schädigungen der deutschen
Volkskraft durch die Blockade (Verlag von G. Stalling, Berlin SW.,
Zimmerstraße 77) eine weitere Denkschrift bearbeitet, in der die gesundheit¬
lichen Verhältnisse des deutschen Volkes im Jahre 1920/21 geschildert werden.
Die darin behandelten Untersuchungen erstrecken sich auf die Geburts- und
Sterblicbkeitsverhältnisse im Deutschen Beiche während der angegebenen Zeit,
auf die Häufigkeit der Sterbe- und Erkrankungsfälle bei einzelnen Krankheiten,
insbesondere der Tuberkulose, ferner auf die Gesundbeitsverhältnisse unter den
Kindern sowie auf die fortdauernden Schwierigkeiten auf dem Gebiete des Er-
nährungs-, Wohnungs- und Bekleidungswesens. Der Schlußabschnitt der Denk¬
schrift lautet:
Die Untersuchung fiber den Gesundheitszustand des deutschen Volkes
für die Zeit von Ende 1918 bis in das erste Vierteljahr 1921 ergibt somit:
1. Seit dem zweiten Viertel des Jahres 1920 beginnt eine fortgesetzte
Abnahme der vordem erheblichen allgemeinen Sterblichkeit, bei der diejenige
an Tuberkulose, Grippe, Wochenbettfieber eine bedeutende Bolle spielten. Die
Zahl der Geburten nimmt mit dem zweiten Halbjahr des Jahres 1919 zu, bleibt
im Jahre 1920 aber noch hinter dem letzten Friedensjahre 1918 zurück.
2. ln den Berichtsjahren übertrafen die Typbus- und Bahrerkrankungen
noch wesentlich die Ziffern der Friedenszeit. Hauterkrankungen, Schädigungen
der Bauchorgane, des Herzens und der Gefäße, des Nervensystems waren noch
weit verbreitet
3. Die allgemeine Sterblichkeit an Tuberkulose hat sich zwar seit dem
Jahre 1919 vermindert; es ist aber noch eine sehr wesentliche Steigerung der
Absteckungen mit Tuberkulose vorhanden, die sich vorzugsweise auf das frühe
Kindesalter erstreckt.
4. Für eine außerordentliche Zunahme der Geschlechtskrankheiten haben
sich Anhaltspunkte nicht ergeben.
5. Der Gesundheitszustand der Kinder jenseits des Säuglingsalters hat
besonders unter dem Mangel an Milch schwer gelitten und tut sich in ge¬
häufter Skrofulöse, Bachitis und Blutarmut kund.
6. An dem Tiefstand der Volksgesundheit ist vorzugsweise der Nahrungs- ’
mangel schuld, der zu einer allgemeinen Unterernährung führte. Wohnungs-,
Bekleidungs-, Kohlen- und Seifennot sowie die Teuerung verschärfen die Lage.
Die Gesamtbetrachtung läßt für die Berichtszeit also nur bezüglich der
Verminderung der Sterblichkeit und der Steigerung der Geburtenziffern eine
Besserung der Verhältnisse erkennen. Dieser stehen aber zahlreiche schlimme
Zustände gegenüber. Eine weitere Zunahme der erwähnten Ernährungs- und
Wirtschaftsschwierigkeiten wie auch etwaige Einbrüche von Seuchen können
das sich mühsam behauptende Gleichgewicht zerstören. An dieser Auffassung
ändert vorderhand die an sich erfreuliche Tatsache nichts, daß die Abnahme
April 1921 bereits um 1,3 auf 1000 der Bevölkerung geringer war, als in
demselben Monat des Jahres 1918. Ferner läßt leider die Mitteilung des Ge¬
sundheitsrats von Bremen, wonach der Ernährungszustand der Schulkinder sich
um 66 v. H. gehoben hätte, keine Verallgemeinerung zu, noch kann sie gegen¬
über anderslautenden Berichten, z. B. aus Thüringen, alB Signal für eine an¬
haltende Verbesserung der Ernährungslage gedeutet werden. Noch immer
besteht eine große Knappheit an Milch und anderen wichtigen Lebensmitteln
und wieder erhebt sich infolge der sinkenden Kaufkraft des Geldes, die eine
420
Tagesnachrichten
stärkere Einfuhr aus dem Ausland nicht zuläßt, eine neue Teuerungswelle,
während die Wohnungs- und Eieidungsnöte sich in keiner Weise geändert haben.
Ein Versuch, die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes
des deutschen Volkes, insbesondere bezüglich seiner Kinder, vorherznsagen, ist
wegen der Gnsicherheit der ihn beeinflussenden Verhältnisse unmöglich. Keines¬
falls aber wird man die gesundheitliche Zukunft der deutschen Jugend als
ungefährdet bezeichnen können, sondern nur von einer günstigeren Gestaltung
der Lebensbedingungen eine glückliche Wendung erwarten dürfen.
(Veröffentlichungen des Reichsgesundheitsamts, 1922, Nr. 17.)
Ln Reichsgesundheitsamt ist ein Entwurf für ein Relchsgesets
Aber Ausübung der Krankenpflege und der Säuglings- und 'Wochenpflege
ausgearbeitet, der dem Reichstage zugehen soll, nachdem die einzelnen Länder
ihre Stellungnahme zu dem Entwurf dem Reichsgesundheitsamt mitgeteilt haben.
(Nach deutsch, med. Wochenschrift; 1922, Nr. 24.)
Die neue Erhöhung der Beamtenbezüge. Durch Verhandlungen des
Reichsfinanzministeriums mit den Gewerkschaften ist folgende Verbesserung
der Besoldung mit Rückwirkung vom 1. Juni zustande gekommen: Die Aus¬
gleichszuschläge zum Grundgehalt nebst Ortszuschlag werden in der Weise
bemessen, daß a) der allgemeine Ausgleichszuschlag auf Grundgehalt und Orts¬
zuschlag von 65 auf 105 v. H., b) der Sonderzuschlag für die ersten 10000 M.
des Diensteinkommens von 55 auf 95 v. H. erhöht wird. Dies bedeutet also
eine Erhöhung der Zuschläge um 40 v. H., was einer Erhöhung der Gesamt¬
bezüge um etwa 22 v. H. entspricht. Für Preußen hat der 8taatsrat gleichfalls
einem dahingehenden Gesetzentwurf zugestimmt. Er bedarf noch der Beschlu߬
fassung seitens des Reichstages bezw. des Abgeordnetenhauses. Es ist aber
nicht daran zu zweifeln, daß diese Zustimmung erfolgen wird. Den unerhörten
Steigerungen der Kosten für die Lebenshaltung werden diese an sich natürlich
erwünschten Aufbesserungen kaum gerecht, zumal zu fürchten ist, daß alle
Preise mit Steigerung der Gehälter und Löhne weiter steigen.
t
Nachruf. Am 24. Juni verstarb in Waldenburg der Kreisarzt i. R.,
Geh. Med.-Rat Dr. Dybowski im Alter von 70 Jahreo. Mit ihm ist wiederum
einer von uns gegangen, der lange Jahre als Medizinalbeamter an wichtiger
Stelle hervorragend tätig gewesen ist und vorbildlich gewirkt hat. Sein Leben
galt dem Dienste, unermüdlich war er tätig, Ruhe und Erholung kannte er
nicht. Nur wenige Jahre waren ihm beschieden, nachdem er aus dem Dienste
schied. Wir Medizinalbeamte des Bezirks Breslau danken dem Verstorbenen
für alles, was er zur Ehre des Standes, zum Besten des Volkswohls getan
hat. Besonders sind es auch zahlreiche Kreisärzte, die in Waldenburg als
Kreisassistenzärzte unter der Leitung des Heimgegangenen zu ihrem Berufe
hervorragend ausgebildet, stets dankbar seiner gedenken werden. So lange
Männer wie Dybowski in unserem Stande sein werden, so lange wird der
Kreisarzt geachtet und geehrt sein! Wir werden dem Verstorbenen ein treues
Andenken bewahren.
Im Namen des Vereins der Medizinalbeamten des Bezirks Breslau:
S o 1 b r i g.
Mitteilung.
Der Schriftleiter ist bis Ende Juli auf Urlaub. Wichtigere
Mitteilungen erreichen ihn und werden erbeten unter der Adresse:
Alexandersbad im Fichtelgebirge, Roglermfihle.
Verantwortlich für die Schriftleltnng: Geh. Med.-Hat Dr. Solbrlg, Re*.- n, Med.-Rat ln Breslau,
Breslau V, Bahdlferttraße 84. Drmok tob J. 0. 0. Bruns, Minden 1. W.
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1888 mitbegrQndet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Ra! Prot. Dr. RAPMUND.
Zentralblatt
ffflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
Heraasgegeben von
Med.*Bat Dr. Bnndt-Halle a. 8., Ober-Beg.- Rat Dr. Frickhlnger-München,
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslan, Geh. Med.-
Bat Prof. Dr. Pappe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Querfurt, Med.-Bat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schnitze - Güttingen, Prof.
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Bat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, S&chsisbhen,
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Schrlftleitung: Verlag:
Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flschefs med. Buchhandlung H. Kornfeld,
lug.-«. lud.-lat li Breslau. Btriln V. 62, KeitbstraBe 5.
Bezugspreis fOr das Jahr: 100 M., doreh die Post bezogen: 103 M-
• Nr. 14.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monats
20. Juli.
Kreisarzt und Kreiskommunalarzt.
Ein Vorschlag für eine neue Dienstanweisung.
Von Kreisarzt Dr. Boege - Deckermünde.
Als ich noch Kreisassistenzarzt war, war mir der Gedanke
als Kreisarzt einmal etwas wie ein Amt zu haben, das alle
staatliche, kommunale und private Gesundheitspflege und Für¬
sorge zusamraenfaßte, ein Traum stiller Stunden. Mein Traum
ist Wahrheit geworden, wenn auch nicht ganz in der Form, in
der ich ihn damals geträumt habe. Seit 1919 hat mein Kreis
ein Wohlfahrtsamt, und seit 1920 bin ich als Kreiskommunal¬
arzt Leiter der Gesundheitsabteilung dieses Amtes.*)
Die Personalunion hat sich bewährt, der Staatsbeamte wie
der Kommunalbeamte in mir können jeder mit dem andern
zufrieden sein. Jeder hat aus des andern Unterstützung und
*) Ich bekomme dafür die Hälfte des jeweiligen Grundgehalts meiner
Besoldungsgruppe und die gesetzlichen Teuerungszuschläge; Beisekosten
werden nicht ersetzt, weil der Kreis ganz mit Recht sagt, daß ich bei meinen
staatlichen Dienstreisen genügend Gelegenheit hätte, mir die für den Kreis¬
kommanalarzt erforderliche Kenntnis der örtlichen Verhältnisse zu beschaffen.
Die Tätigkeit als Impfarzt und falls ich Fürsorge treibe, als praktischer
Fürsorgearzt, ist hiermit jedoch nicht abgegolten.
422
Dr. Boege.
Mitarbeit Nutzen gezogen. Aber, was wesentlicher ist, der Sache
sowohl des Staates wie des Kreises ist damit gedient gewesen.
Ich würde es für ein Unglück, für eine Torheit halten, wollte
man, wenigstens in einem Landkreise wie dem meinigen, der
mit seinen 56000 Einwohnern einer der größten Pommerschen
Landkreise ist, aber trotzdem immer noch ein kleiner Kreis
bleibt, die beiden Aemter auseinander reißen. Abgesehen von
Kriegsbeschädigtenfürsorge habe ich als Kommunalarzt nichts
zu tun, wozu mich nicht schon meine kreisärztliche Dienst¬
anweisung verpflichtet. Wenn ich früher diesen Verpflichtungen
nicht oder nicht in dem Umfange nachgekommen bin, so lag
es daran, daß ich um ihnen nachzukommen weder von Staat
noch Kreis die erforderlichen Mittel bekam. Wenn ich nicht
selbst Kreiskommunalarzt wäre, würde ich meinem kommunalen
Kollegen dauernd von Amts wegen in die Haltekinder-, Säug¬
lings- und Tuberkulosefürsorge, in die Geschlechtskranken¬
fürsorge, in Schularzt- und Schulzahnarztfragen ins Hebammen¬
wesen und Desinfektionswesen usw. hineinreden müssen. Und
umgekehrt, wenn der Kreis nicht mir die Stelle des Kreis¬
kommunalarztes übertragen hätte, könnte dieser nichts anregen,
nichts unternehmen, nichts vertreten, ohne Gefahr zu laufen,
daß ich ihm von Amtswegen hineinredete. Reibungslos würde
sich die Sache nur abwickeln, wenn entweder der Kreiskoramu-
nalarzt dem Kreisarzt unterstellt würde, woran nicht zu denken
ist, oder wenn der Kreiskomraunalarzt lediglich die praktische
Fürsorge zu machen hätte. Der Ansicht, daß der Kreis¬
kommunalarzt lediglich Fürsorgearzt sei, begegnet man aller-,
dings öfter, sogar unter Kreisärzten, aber sie ist falsch. Selbst¬
verständlich kann dem Kreiskommunalarzte auch die ganze
praktische Fürsorge oder ein Teilgebiet der praktischen Für¬
sorge, im ganzen Kreise oder in einem Teil des Kreises, über¬
tragen werden, je nach der Größe und nach den Verkehrs¬
verhältnissen des Kreises und je nach seiner Vorbildung und
seinen Kenntnissen in Säuglingsfürsorge, Tuberkulosefürsorge
oder Krüppelfürsorge u. s. f. Seine Hauptaufgabe ist jedoch die
Organisation und Ueberwachung der Fürsorge und die Beratung
des Kreises in allen hygienischen und gesundheitlichen Fragen.
Diese haben in den letzten Jahren einen solchen Umfang und
solche Bedeutung gewonnen, daß zu ihrer Bearbeitung ein Fach¬
mann gehört, aber nicht ein Jurist oder ehemaliger Offizier, sie
mögen noch so tüchtig sein, auch nicht eine Wohlfahrtspflegerin.
Weil aber der Kreiskommunalarzt in der Hauptsache
organisatorische und beratende Arbeit zu leisten hat, geriete er
leicht mit dem Kreisarzt aneinander und würde viel Doppel¬
arbeit geleistet werden, wenn die beiden Funktionen ausein¬
andergerissen würden. Und gerade darum haben mir die letzten
1 l /* Jahre gezeigt, daß die Tätigkeit als Kreiskommunalarzt
die notwendige Ergänzung des Kreisarztamtes ist. Ich will nur
einige Beispiele herausgreifen. Der Kreis hat im letzten Jahre
unter anderm das Desinfektionswesen'und das Hebaramenwesen
Kreisarzt and Kreiskommanalarzt.
423
neu geregelt,*) er hat den Bau eines städtischen Krankenhauses
subventioniert, er hat einen Ausschuß für hygienische Volks¬
belehrung ins Leben gerufen und berät z. Z. die Einführung
der Schulzahnpflege. Die Regelung des Desinfektionswesens
und des Hebaramenwesens war von mir als Kreisarzt aus¬
gegangen, denn an beiden Dingen hahe ich ja überwiegendes
Interesse. Allein, wenn es wie früher gegangen wäre, hätte
ich dem Kreise meine Entwürfe eingereicht, und die Entwürfe
wären in Kreisausschuß und Kreistag ihren Weg gegangen.
Jetzt habe ich sie beide in Kreisausschuß und Kreistag per¬
sönlich vertreten und auch durchgebracht. Aber auch an dem
Ausbau des Krankenhauses, an der hygienischen Volksbelehrung,
an der Schulzahnpflege bin ich als Kreisarzt höchst interessiert.
Trotzdem, wenn ich nicht selbst Kreiskommunalarzt gewesen
wäre, hätte, glaube ich, der Kreis alle diese Dinge mit seinem
Kreiskommunalarzt abgemacht, ohne mich zu fragen.
Habe ich somit gesehen, wie die Personalunion die Arbeit
des Kreisarztes erleichtert; ja erweitert und ergänzt, so ist es
mir auch erschreckend klar geworden, welche Gefahr es für die
amtliche Stellung des Kreisarztes bedeuten würde, welche
traurige Rolle er auf hygienischem Gebiete, ja womöglich auf
seinem Spezialgebiete der Seuchenbekämpfung, spielen würde,
wenn sich zwischen ihn und den Kreis, ihn und die Desinfek¬
toren, ihn und die Hebammen ein Kreiskommunalarzt schöbe,
wobei er wohl das Recht hätte einzusprechen, aber der Kreis
nicht die Pflicht ihn zu hören. Er würde bald in Fragen der
öffentlichen Gesundheitspflege nicht viel mehr zu sagen haben,
als jetzt, auf dem Gebiet der Gewerbehygiene, d. h. so gut wie
nichts. Ich habe mir erzählen lassen, daß dieses Zukunftsbild
in manchen Großstädten schon jetzt Wirklichkeit ist. Der
Kreisarzt bekämpft dort die^ Seuchen, beaufsichtigt das Medi¬
zinalpersonal und schreibt Gutachten: alle andern Aufgaben
sind ihm abgenoramen worden, vom Stadtmedizinalrat, vom
Stadtschularzt, von den Fürsorgestellen, vom Stadtgesundheits¬
amt u. s. f. Dagegen, daß er in großen Kreisen entlastet wird,
ist vielleicht gar nichts zu sagen, sein Arbeitsgebiet würde
sonst zu groß, wohl aber ist sehr viel dagegen zu sagen, daß er
von der Arbeit an diesen Aufgaben geradezu ausgeschlossen ist.
Nun scheinen ja die Kreise in überwiegender Zahl zu der
Ansicht gekommen zu sein, daß der Kreisarzt, wenn er es irgend
leisten kann, am besten gleichzeitig auch Kreiskommunalarzt
ist, und zwar nicht nur im Interesse des Staates, sondern auch
des Kreises seibst. Allein es ist schon in früheren Zeiten nicht
immer geschehen, was richtig und nötig war, und heute, wo
persönliche und politische Gründe oft schwerer als sachliche
*) Wir haben jetzt Kreisdesinfektoren mit Grundentschädigung and Ge¬
bühren. Den Hebammen wird bis zar Regelung durch das Hebammengesetz
ein Einkommen von 8750 M. gewährleistet. Darauf werden ihnen jedoch nicht
die wahren Einkünfte ungerechnet, sondern nur je Entbindung der Mindestsatz
der jeweiligen Gebührenordnung z. Z. 70 11.
\u
Dr. Ä. Lasrisi nun.
wi^srcr*. sir.d f *e^rra.v' r. ..ngen noch weniger ausgeschlossen,
•ich b**.; er» köür.en die K'.rnrr.'j.vrr». da sie die Kosten und die
Folger» zu tragen haben, auch tun. was sie wollen. Da aber
staatliche Ir.tereesen üheran in das kommunale Gesundheits¬
wesen hineinspieier.. so muß der Staat Vorsorge treffen, daß
«einem Kreisarzt das Recht gewahrt bleibt, im kommunalen
Gesundheitswesen mitzuberaten, uni den Kommunen die Pflicht
aufzuerlegen, den Kreisarzt zu hören und nichts ohne Zustimmung
den Kreisarztes zu tun. Eine dementsprechende Bestimmung
gehört daher in das Kreisarztgesetz und die Dienstanweisung
hinein, und die Dienstanweisung muß den Zusatz bekommen,
dal» diese Bestimmung auch für die Kommunen gilt. Ich denke
mir den % 10 der Dienstanweisung etwa wie folgt geändert.*)
Verhältnis zu den Organen der Selbstverwaltung:
Der Kreisarzt hat die Pflicht, die ihm vom Kreise an¬
gebotene Stelle eine3 Kommunalarztes anzunehmen, wenn ihm
nicht, der Krnfang seiner sonstigen Dienstobliegenheiten die
Annahme verbietet. Der Regierungspräsident hat sowohl An¬
nahme wie Ablehnung dieses Nebenamts zu genehmigen.
Soweit der Kreisarzt nicht gleichzeitig Kreiskommunalarzt
oder in einer kreisfreien Stadt Stadtarzt ist, hat er die Ent¬
wicklung des kommunalen Gesundheitswesens in seinem Kreise
von Amts wegen zu verfolgen. Auf Ersuchen des Vorsitzenden
des Kreisausachusses und Kreistages, (in kreisfreien Städten)
des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung, hat er
an den Sitzungen dieser Körperschaften mit beratender Stimme
teilzunohmen. Auch ungeladen hat er das Recht mit beratender
Stimme an den Sitzungen teilzunehmen. Für die Teilnahme
stellt ihm ein Anspruch auf Gebühren nicht zu.
Vor der Neuregelung und jeder grundsätzlichen Aenderung
einer von der Kommune (Gemeinde, Stadt, Kreis) freiwillig oder
pflichtgemäß übernommenen Leistung auf dem Gebiet des Ge¬
sundheitswesens (z. B. Hebammenwesen, Desinfektionswesen,
Haltekinderwesen, Säuglingsfürsorge, Tuberkulosefürsorge,
Krünpelfürnorge, Geschlechtskrankenfürsorge, hygienische Volks-
holohrung, Gemeindekrankenpflege) ist der Kreisarzt zu hören.
Glaubt er der Regelung nicht zustimraen zu können, so hat er
den Entwurf mit Abänderungsvorschlägen zurückzugeben.
Geht die Kommune auf seine Vorschläge nicht ein, so ist die
Entscheidung des Regierungspräsidenten einzuholen.
Die Durchführung der neuen Desinfektionsordnung
in Stadt- und Landkreisen.
Von Dr. R. Engelsmann, Kreismedizinalrat in Kiel.
Der Herr Minister für Volks Wohlfahrt hat am 17. Januar
11)22 auf eine Entschließung des Deutschen Desinfektoren¬
bundes eingehend geantwortet.
*) Anmerkung der Schriftleitang: Vergl. die Beschlüsse aaf der Magde¬
burger Tagung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins (diese Zeitschrift,
1W22, Nr. 11, S. 810).
X
\
Die Durchführung der neuen Deeinfektionsordnung in Stadt* und Landkreise. 426
Einzelheiten müssen im praktischen Desinfektor 1922, H. 1,
S. 9 nachgelesen werden. Der wichtigste Satz ist „Dieser Punkt
gehört zur Zuständigkeit der Gemeinden, denen in der Desinfek¬
tionsordnung nur Richtlinien an die Hand gegeben worden sind.“
Wäre dieser Standpunkt früher bekannt, hätte er früher
berücksichtigt werden können, so hätten sich viele Kreise mit
den neuen Vorschriften befreundet, die ihnen bis jetzt ab¬
lehnend gegenüberstehen.
Ebenso wichtig sind die Ausführungen des Herrn Ministers,
dahin lautend, daß nicht die Tätigkeit der Desinfektoren ein¬
geschränkt werden solle und daß eine Mitarbeit der
Schwestern durchaus notwendig sei, um die laufende Desinfektion
im beabsichtigten Umfange durchzuführen.
Hiermit ist die Grundlage gegeben, auf der den Kreisen
praktische Vorschläge gemacht werden können.
I. Die Tätigkeit der Desinfektoren soll nicht eingeschränkt
werden.
Welche Aufgaben werden ihnen auf Grund des Wortlautes
der Verordnung zugewiesen?
a) Die Ausführung oder Ueberwachung der laufenden Des¬
infektion, wenn dieselbe sich durch die zu 1 und 2 ge¬
nannten Personen nicht ausführen läßt;
b) die Ausführung der Schlußdesinfektion 1. wenn dem Kreis¬
ärzte die Ausführung derselben durch die Pflegepersonen
nicht genügt, also wohl nur bei gemeingefährlichen Krank¬
heiten. Warum sollte in bestimmten Fällen dem Kreis¬
ärzte die Ausführung nicht genügen? Entweder erfüllen
die Pflegepersonen ihre Aufgaben oder nicht;
2. wenn nach den Anweisungen weitergehende Ma߬
nahmen für erforderlich erklärt werden. Hierbei ist nicht
angegeben, daß oder ob der Desinfektor allein in Frage
kommt.
II. Die Mitarbeit der Schwestern ist unbedingt erforderlich.
In Landkreisen kommen für die Ausführung der Schlu߬
desinfektion, für die Ausführung und Ueberwachung der laufenden
Desinfektion in Betracht:
1. Kreis- oder Bezirksfürsorgerinnen,
2 . Gemeindeschwestern,
3. Desinfektoren.
Zu 1. Die Kreise haben Kreis- oder Bezirksfürsorgerinnen
in sehr verschiedener Zahl angestellt. Fast in der Hälfte der
Kreise unserer Provinz ist nur eine tätig.
Fast von allen Seiten werden diese Organe als ungeeignet
für dieses Arbeitsgebiet bezeichnet: 1. wegen der geringen
Zahl, 2. weil sie andere, wichtigere Aufgaben zu erfüllen haben.
Der Name der Fürsorgerin wurde in der Prüfungsvorschrift
vom 1. November 1920 in den der Wohlfahrtspflegerin um¬
geändert. A. Salomon hat in der Volkswohlfahrt (1921, Nr. 3)
die wirtschaftlichen Aufgaben der Fürsorgerinnen unterstrichen,
die auch die Ursache der Namensänderung gewesen sind.
420
Dt. JL Gogelsmajui.
Sind mehrere Bezirksfürsorgermnen in einem Kreise an¬
gestellt, — in einzelnen Kreisen beträgt ihre Zahl 8 — so
kommen diese für die Ueberwachung der laufenden Desinfektion
mit in Frage.
Zu 2. Auch Gemeindeschwestern finden wir in verschie¬
dener Zahl in den Kreisen. Die Zahl schwankt zwischen 10
und 22. Aber auch bei der genannten Höchstzahl sind weite
Bezirke unversorgt.
Also auch die Gemeindeschwestern können nicht als Haupt¬
träger der neuen Einrichtung gelten, da auch sie mit anderen
Arbeiten, Pflegen von akut und chronisch Erkrankten, über¬
lastet sind.
Wesentlich ist, daß die Gemeindeschwestern von Frauen¬
vereinen, Gutsbezirken und freien Gemeinden angestellt, dem¬
nach dem Kreisarzt dienstlich nicht unterstellt sind. Sie melden
sich bei ihm nicht an, noch ab.
Aus diesen Gründen können Gemeindeschwestern in ihren
Bezirken die Ausführung der laufenden Desinfektion über¬
wachen, sie nur in seltenen Fällen ausführen. Für die
Ausführung der Schlußdesinfektion kommen auch sie nicht in
Frage.
Diese Arbeit müssen nach wie vor die Desinfektoren aus¬
führen ; noch mehr, sie müssen die Ueberwachung der laufenden
Desinfektion in den Bezirken übernehmen, für die Gemeinde¬
schwestern nicht angestellt sind.
Für diese Bezirke müssen hauptamtliche Desinfektoren —
es kommen 1 höchstens 2 in Frage — angestellt werden, die
gleichzeitig als Gesundheitsaufseher für den ganzen Landkreis
dem Kreisärzte wichtige Dienste bei der Ermittelung und Ueber¬
wachung der Absonderung in Fällen von übertragbaren Krank¬
heiten leisten können.
Für die laufende Desinfektion kommen die Desinfektoren
so lange nicht in Frage, als sie nebenamtlich angestellt sind.
Lentz meint, daß in einzelnen Kreisen nur ein einziger
angestellt sei. Dann muß in diesen Kreisen das Desinfektoren¬
wesen in unverantwortlicher Weise vernachlässigt worden sein.
Meiner Meinung nach kann man auf Grund des § 29 des
Gesetzes vom 28. August 1905 die Gemeinden wohl dazu ver¬
anlassen, Desinfektoren in genügender Zahl anzustellen. Kein
Mittel hat man, die Anstellung von Gemeindeschwestern zu
vorlangen.
Mit den größten Opfern werden Schwesternstationen jetzt
erhalten; Empfehlungen für Neuanstellungen haben keinen
Erfolg. Die Landkreise zeigen die größte Abneigung gegen
die Neuordnung des Desinfektionswesens auf Grund des Wort¬
lautes der Verfügung. Bis November 1921 hatten erst 3 weib¬
liche Pflegepersonen aus Landkreisen der hiesigen Provinz an
den Ausbildungskursen teilgenomraen. Einen großen Schritt
würden wir vorwärts kommen, wenn, wie es der Desinfektoren¬
bund in seiner Entschließung angeregt hatte, der zuständige
Die Durchführung der neaen Desinfektionsordnung in Stadt- and Landkreise. 427
Kreisarzt die Gemeindeschwestern in der laufenden Desinfektion
unterweisen dürfte. Zahlreiche Kreise, die die Reise- ünd Ver¬
pflegungskosten scheuen, würden diesen Weg beschreiten, und
so würde das Desinfektionswesen gefördert werden.
Noch wurden die wichtigsten Förderer der Desinfektion
nicht genannt, die praktischen Aerzte. Ich hatte eine gesetz¬
liche Bestimmung verlangt, dahingehend, daß alle in § 2 des
Gesetzes vom 28. August 1905 genannten Personen auch die
Genesung des Kranken der Ortspolizeibehörde, besser dem
Kreisärzte zu melden haben. Nur weil dieser Zeitpunkt un¬
bestimmbar war, blieb die Schlußdesinfektion bisher so un¬
wirksam 1
Man kann nur hoffen, daß der erhöhte Wille der Aerzte-
schaft zur Teilnahme an der Fürsorgetätigkeit sie auch ver¬
anlassen wird, zum Schutze den Gesunden die Ueberwachung
der Desinfektion gewissenhaft durchzuführen. Ohne die Aerzte
muß die Organisation in den Landkreisen erfolglos bleiben.
Sie müssen die laufende Desinfektion vornehmen, die dazu er¬
forderlichen Mittel bei der Gemeinde beantragen, die laufende
Desinfektion überwachen, den Zeitpunkt der Schlußdesinfektion
angeben.
In Landkreisen fällt die Ueberwachung der laufen¬
den Desinfektion den Aerzten, Gemeindeschwestern, evtl.
Bezirksfürsorgerinnen, den Desinfektoren, die Ausführung der
Schlußdesinfektion nur den Desinfektoren zu.
Wir • können uns den resignierten Ausführungen von
Sarganek nicht anschließen; möge sie aber jeder beherzigen,
der in Landkreisen organisieren will.
Wie steht es in den Städten?
An anderer Stelle habe ich die Neuordnung in Kiel kurz
beschrieben. Interessant sind die Richtlinien, die Rabnow
als Leiter des Hauptgesundheitsamtes für Berlin aufgestellt hat.
Hier heißt es „Praktisch ist die Umstellung nur durchführbar
durch ausschließliche Beschäftigung hauptamtlicher Desinfek¬
toren.“ Ebenso wichtig ist Punkt 10 „Ist sachkundiges, in der
Desinfektion ausgebildetes Pflegepersonal vorhanden, so hat er
durch taktvolle Rücksprache mit diesem sich über die zweck¬
mäßige Ausführung zu unterhalten und im übrigen durch Be¬
suche, ein- bis zweimal in der Woche zu überwachen.“ Den
Desinfektoren wird so hier, wie z. B. auch in Kiel, eine über¬
ragende Stellung eingeräumt.
Nach dem Bericht von Gutfeld wurde 1921 1004mal die
einfache Schlußdesinfektion von den Schwestern, wie oben ge¬
schildert, in enger Fühlung mit den Desinfektoren, 955 mal die
verschärfte Schlußdesinfektion von den Desinfektoren auf An¬
trag der Schwestern ausgeführt, ln Stadtkreisen werden
Schwestern in den Fällen, in denen sie bei übertragbaren Krank¬
heiten pflegen, mit Vorteil die vereinfachte Schlußdesinfektion
ausführen. Eine Irreführung der Desinfektoren hat nicht statt¬
gefunden. Nach dem Wortlaut der Desinfektionsordnung war
428
Dr. Poten.
das Arbeitsfeld der DesiDfektoren so beschnitten, daß die Ver¬
kümmerung des Standes drohen mußte. In seiner Antwort auf
die Entschließung des Desinfektorenbundes hat der Herr Mi¬
nister die Arbeit der Desinfektoren „an erster Stelle“ erwähnt,
die „Mitarbeit“ der Schwestern als unentbehrlich bezeichnet.
So sind in dankenswerter Weise Mißverständnisse beseitigt
worden. Die praktische Arbeit wird dadurch gefördert.
Möchten in allen Land- und Stadtkreisen die Kreisärzte
fußend auf diese ministeriellen Anweisungen, die die nötige Be¬
wegungsfreiheit gewähren, die Neuorganisation in die Hand
nehmen. Gemeinde und Kreise werden dann der Neueinrichtung
freundlich gegenüberstehen. Gilt im allgemeinen der Satz: „wo
ein Wille ist, da ist ein Weg“; so hier das Wort: „wenn sie
einen Weg sehen, werden sie auch wollen“.
Liter&tnr.
Siehe bei 0. Le nt z: Diese Zeitschrift; 1922, Nr. 6 außerdem.
Erlaß des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 7. Januar 1922:
Volkswohlfahrt; 1922, Nr. 8, 8.59.
Antwort des Herrn Ministers für Volkswohlfahrt an den Desinfektorenbund
vom 17. Januar 1922. Der Praktische Desinfektor; 1922, H. 1, S. 9.
H. Engelsmann: Die nene Desinfektionsanweisung und der praktische Arzt
Klinische Wochenschrift; 1922, Nr. 6, S. 276.
F. v. Gutfeld: Bericht über die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern . . . •
ebenda; Nr. 12, 8. 591.
Die Neuordnung des Desinfektionswesens in Berlin. Der Praktische Desinfektor;
1922, H. 1, 8. 8.
A. Salomon: Die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen. Volks-
Wohlfahrt; 1921, Nr. 3, 8. 64.
Die Answahl der Hebammen.
Von Dr. Poten, Direktor der Prov.-Hebammenlehranstalt in Hannover.
Gegen die Anregung des Regierungs- und Medizinalrats
Dr. Schwabe, die Hebammenschülerinnen auf Grund einer
an der Lehranstalt abzuhaltenden Prüfung zu den Ausbildungs-
kursen zuzulassen, wenden sich in Nr. 5 dieser Zeitschrift die
Kreisärzte Dr. Seyffarth und Dr. Schräder. Wenn sie die
Form und den Ort der Veröffentlichung Schwabes bemängeln,
so kann es nicht meine Sache sein, hierüber ein Urteil abzugeben,
wohl aber glaube ich als langjähriger Hebammenlehrer ein Wort
zur Sache selbst sagen zu müssen, zumal ich bereits auf der
Haller Tagung der Vereinigung zur Förderung des Hebammen¬
wesens 1918 denselben Vorschlag wie jetzt Schwabe gemacht
habe, nämlich daß bei der Auswahl einer Hebammenschülerin
dem Kreisarzt zwar die Begutachtung der körperlichen Eignung
der Kandidatin belassen werden solle, die Zulassung zum Kurse
aber von dem Bestehen einer Prüfung abhängig zu machen sei,
welche sie in der Lehranstalt selbst ablegt. Für mich ist der
Gesichtspunkt maßgebend, daß ein Fortschritt im Hebamraen-
wesen in allererster Linie nur möglich ist auf Grund der Auswahl
wirklich geeigneter Persönlichkeiten, welche imstande sind, das
ihnen im Unterricht vorgetragene Wissensgebiet zu ihrem
Die Auswahl der Hebammen.
429
dauernden geistigen Besitz zu machen. Den Lehrstoff in
succum et sanguinem zu überführen und nicht etwa nur not¬
dürftig gedächtnismäßig sich anzueignen. Dazu gehört aber
mehr als wir es bei der Mehrzahl aller uns von den Kreisärzten
präsentierten und als zum Hebammenberuf geeignet bezeichneten
Frauen finden, und der letzte Grund für diese von allen
Hebammenlehrern beklagte Dissonanz zwischen dem Urteil des
Kreisarztes und den Anforderungen der Lehrschule liegt darin,
daß von hundert Kreisärzten kaum einer jemals einer Unter¬
richtsstunde in der Hebammenschule beigewohnt hat, die Kreis¬
ärzte also in die Anforderungen und Methoden neuzeitlicher
Hebammenausbildung nicht genügende Einsicht haben. Die
Zeiten gedächtnismäßigen Einpaukens des Lehrbuchs, des
Eindrillens bestimmter Vorschriften sind vorüber; wir Heb¬
ammenlehrer verlangen verständnisvolles Erfassen der Materie
und vollbewußtes Eindringen in den Lehrstoff, weil nur auf
diese Weise die oft beobachtete Verflachung und Entartung
nach Eintritt in die Praxis vermieden werden kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es bei der Schülerin
gewisser Vorkenntnisse, für welche als Mindestmaß eine gute
Volksschulbildung verlangt werden muß, also die Beherrschung
der hochdeutschen Muttersprache soweit, daß ein Diktat ein¬
facher Art in sinnrichtiger Wiedergabe und ohne erhebliche
orthographische Fehler mühelos niedergeschrieben, ein leichtes
Lesestück — auch in lateinischem Druck! — fließend gelesen
und inhaltlich richtig in verständlicher Form wiedergegeben
werden kann; ferner ist unbedingt erforderlich die Kenntnis
der einfachen Rechnungsarten mit Einschluß der Bruch-, De¬
zimal- und Prozentrechnung und das Vertrautsein mit den Maß-
und Gewichtsgrößen, sowie der Wärmemessung. Fehlen diese
elementarsten Kenntnisse, so ist das geistige Niveau der
Kandidatin für den Hebammenberuf und speziell für die nutz¬
bringende Beteiligung an dem Unterricht ein zu niedriges, und
es hilft dann nicht, auf den gesunden Menschenverstand und
den guten Willen sich zu verlassen, denn eine solche Schülerin
wird immer wieder anecken und nur als Ballast mitgeschleppt
werden können. Bei Vorhandensein der geforderten Kenntnisse
muß aber erst eine weitergehende Intelligenzprüfung durch An- -
fertigung einer selbständigen Arbeit (Lebenslauf oder ähnliches),
durch Unterhaltung über einfache politische, wirtschaftliche, natur¬
wissenschaftliche und andere Dinge ergeben, ob die Schülerin wirk¬
lich im Stande sein dürfte, dem Unterricht mit Nutzen zu folgen.
Zu Beginn eines jeden Kurses stelle ich eine derartige
Prüfung an, finde aber, daß kaum ein Drittel der Schülerinnen
den genannten Anforderungen notdürftig entspricht; die Mehrzahl
versagt vollständig und müßte — wir Direktoren haben das
Recht dazu, — wieder entlassen werden, was sich aber aus
praktischen Rücksichten verbietet. Die Aussiebung unbrauch¬
barer Elemente muß vor Beginn der Lehrkurse abgeschlossen
sein; in der Hand der Kreisärzte hat sie bisher versagt, und
430
Dr. Poten: Die Auswahl der Hebammen.
sie muß versagen, weil diese Aufsichtsbeamten den Aufgaben
des Hebammenunterrichts fremd gegenüber stehen und weil,
wie mir scheint, die Autorität des Kreisarztes gegenüber den
Wünschen der Gemeinden und Landräte, wenn es sich um
Abweisung unbefähigter Kandidatinnen handelt, nicht immer
ausreicht. Vor einigen Jahren habe ich in Gemeinschaft mit
meinen Kollegen in Osnabrück und Celle ein Schreiben an
sämtliche Kreisärzte der Provinz gerichtet, um eine bessere
Auswahl der Hebammenschülerinnen herbeizuführen; fast der
einzige Erfolg ist gewesen, daß ich wegen Nichtbeachtung des
Instanzenweges einen amtlichen Rüffel bekommen habe; nach
wie vor werden uns Frauen geschickt, die auf der niedrigsten
Bildungs* und Geistesstufe stehen, die in einem Lande mit
Schulzwang überhaupt möglich ist. Beispiele hierfür, kann ich
aus den Kursen nach dem Kriege noch genügend beibringen.
Eine Revision der Vorbedingungen, welche zum Eintritt in
eine Hebammenlehranstalt befähigen, ist deshalb unbedingt
nötig, doppelt nötig angesichts der bevorstehenden Verlängerung
der Lehrkurse. Was soll es nützen, von vornherein ungenügend
vorgebildete Schülerinnen ein ganzes Jahr zu plagen? Leeres
Stroh gibt auch bei fortgesetztem Dreschen kein Korn! Die
Verlegung der Vorprüfung an die Stelle, wo auch die Aus¬
bildung erfolgen soll, wird aber erst die Sicherheit bieten, daß
nur wirklich geistig befähigte und mit genügenden Vorkennt¬
nissen versehene Personen den verantwortungvollen und hy¬
gienisch so wichtigen Beruf einer Hebamme ergreifen. Die
sonstige Eignung der Kandidatin — körperliche Gesundheit,
moralische Qualität — festzustellen, bleibe Sache des Kreis¬
arztes, der hier als Medizinalbeamter und durch seine Ver¬
trautheit mit den lokalen Verhältnissen seines Bezirkes kompetent
ist. Die Einführung in das Berufswissen der Hebamme und
die damit in Verbindung stehende Prüfung der erforderlichen
Vorkenntnisse und geistigen Fähigkeit ist ein Kapitel für sich,
ist Sache der Hebammenschule, deren Lehrer besser als der
Kreisarzt beurteilen kann, was die Schülerin an geistigem
Besitz mitzubringen hat, um in einer verhältnismäßig kurzen
Zeit eine Fülle von Kenntnissen sich anzueignen, die sie be¬
fähigt, selbständig eine Tätigkeit auszuüben, die in ihrem sozial¬
hygienischen Wert unter allen Berufsarbeiten des nachgeordneten
Heilpersonals — Krankenpflegerinnen etc. — wohl die erste
Stelle einnimmt, die vor allem auch dadurch, daß die Hebamme
eine bei jeder Geburt bedeutungsvolle Diagnose aus eigener
Erkenntnis heraus stellen muß, sich wissenschaftlich über andere
Tätigkeiten des niederen Heilwesens erhebt.
Wie die Vorprüfung in der Lehranstalt im Einzelnen zu
gestatten ist, braucht hier nicht näher dargelegt zu werden.
Es möge genügen, auf eine veraltete und verbesserungsbe¬
dürftige Erscheinung in unserem Hebammenwesen hingewiesen
zu haben; nicht gegen den Stand der Kreisärzte, sondern gegen
eine verfehlte Verwaltungsmaßregel richten sich diese Zeilen.
Dr. Matbar: Urinantersachtuig von Schulkindern.
431
Urinuntersuchung von Schulkindern.
Von Kreisass.* und Schularzt Dr. Mathar.
In Ausführung des Erlasses des Herrn Ministers für Volks¬
wohlfahrt I M IV 908/20 vom 11. 5. 20 habe ich die angeregte
Urinuntersuchung bei sämtlichen Volksschulkindern der Stadt
Rheydt (6817) vorgenommen; dabei hat sich mir folgendes Ver¬
fahren praktischer als das durch den Ministerialerlaß (Kochprobe)
vorgeschlagene erwiesen:
1. Die Entnahme des Urins erfolgte in der Brause¬
anlage der kath. Volksschule VIII, weil dort auch für die
Mädchen hinreichende und ästhetisch einwandfreie Möglichkeit
des Urinierens war. Hilfspersonal: 2 Familienfürsorgerinnen.
Aufsicht: die Klassenlehrperson. Die übrigen Volksschulen
fanden sich klassenweise dort ein. Das zu untersuchende Schul¬
kind ließ den Urin in ein Spitzglas (später des häufigen Bruches
wegen in einen Emaillebecher) und brachte dieses dann der
mit einer Anzahl (etwa 10) von Uringläsern versehenen Für¬
sorgerin; die andere Fürsorgerin trug den vorläufigen Befund
in die von den Lehrpersonen aufgestellte Klassenliste ein.
2. Vornahme der Untersuchung: mittels Eßbach-
Reagenz wurde von der Fürsorgerin nach Anleitung durch den
Schularzt erforscht, ob eine Trübung des Urins im Reagenz¬
glase eintrat. Die Kinder, bei denen dies der Fall war, mußten
sich dann — da das Eßbach-Reagenz bisweilen schon in nor¬
malen eiweißfreien Harnen Niederschläge gibt (Pikrinsäure und
Kalisalze, Urate und andere Stoffe) — im städt* Gesundheits-
arate einfinden, wo dann die Salpetersäure-Schichtprobe den
genauen Eiweißbefund erkennen ließ; trüber Urin wurde, vor
Anstellung .dieser Heller’sehen Probe stets filtriert. Mikro¬
skopische Untersuchung ergänzte die Probe. Bei positivem
Befunde wurde gleich die vollständige Untersuchung des Kindes
durch den Schularzt angeschlossen (Herz, Blutdruck, wässerige
Schwellungen usw.)
Die Methode der vorläufigen Untersuchung des Harnes in
der Schule mittels ^ßbach-Reagenz und der eventl. nach¬
folgenden mit Salpetersäure im Gesundheitsamte ist einfacher,
erspart Zeit, Material und Feuer, da der Urin weder gekocht
noch transportiert zu werden braucht. Die Entnahme des Urins
in der Schulbad-Anlage, wo reichlich fließendes Wasser zur
Verfügung stand, machte die Untersuchung sauber und angenehm.
In einer Stunde konnte bequem der Harn von 100 Schulkindern
untersucht werden. Eine Störung des Unterrichts trat nicht ein.
3. Untersuchungsergebnis:
a)Juli 1921. Von den 6817 Untersuchten litten 86 (66
Mädchen und 20 Knaben) an Eiweißausscheidung, d. i.
1,26 °/ 0 . Die Erkrankung der Kinder war, abgesehen von
wenigen Ausnahmefällen, den Eltern unbekannt. Granu¬
lierte oder hyaline Cylinder. Oedeme und Blutkörperchen
fanden sich in einigen Fällen. Vorangegangene fieberhafte
482
Dr. Berneick.
Mandelentzündung (Angina), Grippe, Furunkulose, Bron¬
chialkatarrh, Erkältung, Masern, Nesselfieber waren als
auslösende Ursache der Erkrankung zu betrachten. Einmal
bestand ein Blasenkatarrh; viermal litt auch ein Elternteil
an Nierenentzündung (familiäre Neigung). Mit je einem
Elternteil nahm der Schularzt Rücksprache und erreichte,
daß in allen Fällen eine Behandlung durch den Hausarzt
erfolgte. Die genaue Ermittelung der Ursache der Eiwei߬
ausscheidung (statisch-lordotisch, Ernährungsstörung, Nie¬
renentzündung nach Infektionskrankheit oder Erkältung,
degenerative Form nach Infektionskrankheiten, herdför¬
mige Nierenentzündung) blieb dem Hausarzt überlassen,
da sie nicht Sache der sozialhygienisch-statistischen Er¬
mittelung sein konnte. Der Wasser- und Konzentrations¬
versuch wurde aus dem gleichen Grunde nicht angestellt.
Nierenentzündung auf sklerotischer Grundlage kam nicht
in Frage, da bei den Jugendlichen in keinem Falle Blut¬
drucksteigerung oder Herzvergrößerung vorhanden war.
b) 1. Nachuntersuchung Oktober 1921: 39 Kinder
aus der Zahl der 86 Eiweißausscheider sind frei von Eiweiß.
Nochmalige Rücksprache des Schularztes mit den Eltern
der übrigen 47.
c) 2. Nachuntersuchung Januar 1922: Es sind noch
40 Eiweißausscheider vorhanden.
d) 3. Nachuntersuchung März 1922: Im Harne von
23 Kindern findet sich noch Eiweiß. '
Der Nutzen der Urinuntersuchung bei den Schulkindern
ist aus den angeführten Zahlen ohne weiteres ersichtlich.
86 Eiweißausscheider unter 6817 Schulkindern bedeuten ein
Maß von körperlicher Minderwertigkeit, welches nicht unbeachtet
bleiben darf. Zudem ist diese Minderwertigkeit bis dahin fast
stets den Kindern, den Eltern und den Lehrpersonen unbekannt
geblieben. Die Unterrichtsfähigkeit der betreffenden Knaben
und Mädchen war sicherlich herabgesetzt, ohne daß die Ursache
ermittelt war. Die Heilung ist zwar im Laufe von 8 Monaten
bei fast 8 / 4 der Kinder erreicht worden, doch ist das restliche ‘/a
trotz hausärztlicher Behandlung noch nicht frei von Eiwei߬
ausscheidung, ein Zeichen, daß der Zustand nicht ein neben¬
sächlicher oder vorübergehender Krankheitsbefund war, sondern
ernstlich und zäh haftend.
Mit Notwendigkeit ergibt sich aus diesen Untersuchungen
die Forderung:
1. Die Urine der Schulneulinge sind jährlich zu untersuchen.
2. Die der übrigen Schulkinder etwa alle 3 Jahre.
Ein Fall von Melancholie
mit vermeintlicher Gravidität.
Von Dr. Berneick-Gilgenburg, kreisärztlich approbiert.
Ara 10. 2. er. wurde ich zu der Besitzerstochter G. K. in
H., 20 J. alt abgeholt; bezüglich der Anamnese erfuhr ich dort
Ein Fall von Melancholie mit vermeintlicher Gravidität.
483
folgendes: Pat. war seit 1. 10. 21 zur Erlernung der Wirtschaft
auf einem Gut im Kreise 0. in Stellung gewesen und dort
anfangs November 1921 unter Kopfschmerzen und gestörtem
Allgemeinbefinden erkrankt, war müde und unlustig zur Arbeit,
einsilbig und traurig; die anfangs Dezember 1921 erwartete
Periode blieb aus; sie teilte dies dem Wirtschaftsfräulein mit,
diese nahm an, daß sie geschlechtlichen Verkehr gehabt und in
anderer Lage sei und schrieb in diesem Sinne den Eltern, sie
möchten das Mädchen am 1. Januar 1922 nach Hause nehmen;
daheim wurde sie sofort mit der Frage bestürmt, mit wem sie
den unerlaubten Umgang gepflogen hätte; Pat. behauptete, sie
wüßte von keinem männlichen Verkehr, fand aber bei den
Eltern keinen Glauben; eine Tante, welche in der Nähe als
Bezirks-Hebamme fungiert, wurde zu Rate gezogen, untersuchte
und fand eine „weite Scheide“ und nahm an, hier müsse
Schwangerschaft vorliegen; da die Eltern „möglichst schnelle
Wiederkehr der Periode“ wünschten, so wurden heiße Scheiden¬
spülungen vorgenommen, doch ohne Erfolg. Mein Unter¬
suchungsbefund war folgender: Bild einer deutlichen Seelen¬
störung, Pat. jammert in weinerlichem Tone, ohne daß wirkliche
Tränen fließen, sie wolle Gift haben zum Sterben; alle Leute
sagen, sie sei in anderer Lage, und das müsse dann auch* wahr
sein, ich solle ihr doch helfen, diese Worte kehrten immer
wieder, von der bereits längere Zeit anhaltenden Schlaflosigkeit
war das Antlitz bleich und ängstlich verstört. Die genitale
Untersuchung ließ sie willig vornehmen; ich fand das Hymen
intakt, Scheide rugös, Uterus hart, leicht verdickt, in regelrechter
Lage, Portio und Uterus virginell; Scheideneingang, große und
kleine Schamlippen sowie die Dammgegend bis zum After
weißlich verfärbt, verbrüht von den heißen Scheidenspülungen;
ich redete sofort den Eltern zu, die Kranke in die nächste
Irrenanstalt zu bringen, fand aber keine Gegenliebe, sie wollten
erst abwarten, ob sich der Zustand nicht beruhigen möchte;
ich gab eine Morph.-Spritze und Chloral hydr. in Lösung 6/200,
2 stdl. 1 Eßl.; am 13. 2. er. wurde ich nochmals herausgeholt,
fand die Kranke wie bei dem ersten Besuch zu Bett, das Bild
der Seelenstörung hatte sich nicht geändert: ^Der Arzt hilft
nichts, er lügt, daß ich nicht schwanger bin, ich bin es doch,
alle Leute sagen es.“ Es war eine gewisse Verbigeration in
der Art zu klagen, im ganzen sprach der Zustand für Melan¬
cholie. Ich habe von neuem den Eltern gesagt, daß die Kranke
in Anstaltsbehandlung müsse, daß sie sich leicht in einem un¬
bewachten Augenblick ein Leid antun könnte und schrieb ein
Begleitattest für die Ueberführung in die Irrenanstalt, welche
am Tage darauf erfolgen sollte; ich hatte den Eltern gleich
bei dem ersten Besuch gesagt, daß das Ausbleiben der Periode
nichts weiter auf sich hätte, daß keine Schwangerschaft vorlag,
auch gar kein Grund zu der Annahme, daß die Kranke jemals
männlichen Verkehr gehabt und uaß die Periode sich von selbst
wieder einstellen werde, sobald sie seelisch wieder genesen.
434 Dr. Berneick: Ein Fall von Melancholie mit vermeintlicher Gravidität
Am 15. 2. er. erschien der Vater in meiner Wohnung mit der
Meldung, aus der Reise nach K. (Irrenanstalt) sei nichts ge¬
worden, die Kranke habe nicht fahren wollen; später erfuhr
ich, die Eltern hätten sie zu Verwandten gebracht, damit sie
auf andere Gedanken* komme; sie war aber nach ca. 4 Wochen
in demselben Zustande zurückgebracht worden. Die Nacht vom
22. zum 23. März schlief sie, wie gewöhnlich, mit der Mutter
zusammen; als diese morgens erwachte, fand sie den Platz
neben sich leer; ihr ahnte nichts Gutes; man fand im Schnee
eine Spur, welche von der Wohnung zu dem Ufer des nahe- ,
gelegenen Sees führte, aber nicht zurück; sie gilt seitdem als
vermißt, man nimmt an, sie habe sich ertränkt.
Der Fall hat für mich nach mehreren Richtungen hin
etwas Interessantes, einmal, weil das zufällige Ausbleiben der
Periode, wie es die schwere Seelenstörung mit sich brachte,
ganz in den Vordergrund des Krankheitsbildes trat; die Kranke,
welche im Januar 1922 und auch später noch die richtige
Kritik über sich hatte, widersprach den Eltern und beteuerte
ihre Unschuld, wurde aber, als selbst die sachverständige Tante
Hebamme anfangs Februar ihr den Vorwurf der Bescholtenheit
(„sie sei möglicherweise im Schlaf vergewaltigt, so daß sie es
gar nicht wissen könne“, Worte der Hebamme,) mitmachte und
heiße Scheidenspülungen vorgenommen wurden, durch eine
Art Suggestion an sich irre, so daß sie schließlich selbst an die
Schwangerschaft glaubte und sich nicht mehr davon abbringen
ließ; — ich habe die Hebamme später gefragt: wie sie zu der
Diagnose der Schwangerschaft gekommen sei; bei drei Monate
bestehender Schwangerschaft hätte sie anfangs Februar doch
mindestens eine deutlich vergrößerte Gebärmutter finden müssen;
ob sie denn gar nicht gesehen, daß das Hymen gänzlich un* !
versehrt war? „Nein, danach hätte sie gar nicht gesehen*,
sie sagte, es wäre ihr nur aufgefallen, daß sie mit dem Finger |
bequem die Portio erreichen konnte; als sie von ihrem Kreisarzt
als Hebammenschülerin untersucht wurde, hätte dieser nur mit |
Mühe den Finger in die Scheide hineinbekommen, wäre aber
bis zur Portio nicht vorgedrungen; sie hätte wohl einen Scheiden-
krampf gehabt; aus dem Ausbleiben desselben in diesem Falle
glaubte sie sich zu dem Schluß berechtigt, daß die Nichte nicht
mehr jungfräulich wäre; sie wollte nun ihr Versehen dadurch
wieder gut machen, daß sie die Eltern zur Unterbringung der
Tochter in eine Nervenanstalt überreden würde, kam jedoch
mit der Ausführung ihres Vorhabens zu spät; inzwischen hatte
sich die Kranke das Leben genommen; — nach der dritten Seite I
hin ist es interessant zu sehen, wie schnell man in Laienkreisen
mit Abtreibungsversuchen bei der Hand ist; im Publikum geht
die Meinung: erst muß die Periode da sein, dann werden auch
die Nerven wieder gesund.
Versammlungen d. Mediziaalbeamten d. Rog.-Bezirke Cassel n. Hildesheim. 485
Ans Versammlungen und Vereinen.
Bericht Aber die zweite Versammlung; des BeslrksTereln«
Cassel der Preuss. Medizinal beamten am 11. Juni 198t
in Marburg;.
Anwesend: Boerner, Dreising, Fehsenfeid, Heilig, Hilde¬
brand, Kahle, Malens, Boselieb, Schulze, Schnrian, Spiecker,
Vahle, Wagner, Wolf. Vorsitz: Boselieb.
Tagesordnnng:
1. Besichtigung des neueingerichteten gerichtsärztlichen Instituts und
Demonstrationen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin, von Röntgen¬
aufnahmen und Photographien durch den Direktor Geh. Med.* Rat Professor
Dr. Hildebrand.
2. Spiecker-Fritzlar, stellvertr. Vertreter, berichtet Ober die Magde¬
burger Tagung, woran sich eine lebhafte Aussprache anschloß.
3. Kassenbericht. Festsetzung der Nachzahlungen.
4. Wolf-Cassel stellt den Antrag: „Der Verein tritt korporativ der
Jubiläumsstiftung bei“, der einstimmig angenommen wird.
5. Verträge mit der L. V. A., L. B. G. und der Hauptfttrsorgestelle.
6. Aussprache betr. Fernsprechanschluß.
7. Besprechung über die Stellung des Kreisarztes zur Kreisfürsorgerin.
8. Bs wird beschlossen, an den Landesverein sich zu wenden zwecks
Brhöhung der Landweg-Kilometer-Gelder unter Bezugnahme auf den Erlaß des
Landwirtschaftsministeriums bez. der Kreistierärzte.
9. Nächste Sitzung am 24. September in Herafeld. Tagesordnung:
Kreisarzt und Kreiskommunalarzt. Berichterstatter: Heilig-Rotenburg.
Nach Schluß der Sitzung ein gemeinschaftliches Mittagessen mit Damen
im Hessen-Nassauerhaus unter Leitnng von Prof. Hildebrand mit an¬
schließender Kaffeetafel auf der Veranda. Dr. Wolf-Kassel.
Bericht Ober die 3. Tagung des Medtztnalbeamtenvereins
des Regierungsbezirks Hildeshelm
am 11. Juni 1933 in Goslar.
Es waren erschienen: die Kreisärzte von Göttingen, Osterode, Marienburg,
Northeim, Alfeld und Goslar. Die Kollegen von Hildesheim und Duderstadt
fehlten leider wegen Krankheit, außerdem waren der Kreisarzt von Peine und
der Kreisassistenzarzt von Göttingen nicht erschienen.
Aus der Tagesordnung ist folgendes zu erwähnen: der frühere Reg.- u.
Med.-Rat Dr. Arbeit wurde einstimmig zam Ehrenmitglieds des Bez.-Vereins
ernannt. Betr. Uebernahme des Telefons auf die Staatskasse soll
ein gemeinsames Gesuch an den Herrn Reg.«Präsidenten gerichtet werden,
damit dieser uns das Halten des Telefons auferlegt. Privatgespräche sollen
zurückvergütet werden.
Der Bez.- Verband sprach sich erneut gegen jede Kommunalisierung
der Kreisärzte aus.
Der Preuß. Med.- Beamtenverein soll ersucht werden, eine Aufhebung der
Verfügung betr. Halten der Preaß. Ges.-Samml. herbeizuführen, da dieselbe uns
jeder Zeit auf den Lanratsämtern zugängig ist. Andernfalls soll um eine Er¬
höhung der D.-A.-Entschädigung eingekommen werden. Es wurde betont, daß
uns allen viel mehr an der Gestellung eines Büros mit einer Schreibkraft als
an der Erhöhung der Entschädigung gelegen ist.
Der Prov. Med.-Beamten verein in Hannover soll ersucht werden, bei der
L. V. A. um eine Erhöhung der Gebühren für die Gutachten von 50 auf 100 M.
wie die L. V. A. von Berlin pp. einzukommen.
Die kreisärztlich geprüften Aerzte des Reg.-'Bez. Hildesheim sollen be~
fragt werden, ob sie dem Bez.-Verein als Mitglieder beitreten wollen. Die
Jahresgebühr von 800 Mark ist an den Schriftführer des Vereins abzuführen.
Hierin ist der Jahresbeitrag für den Peuß. Med.-Beamtenverein inbegriffen.
436
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Als Ort der nächsten Zosamoienkanft warde Hildesheim bestimmt and zwar
der 16. Oktober d. J. Der Herr Reg.-Präsident soll dazu anfgefordert werden.
Nach der Sitzung begaben sich die Teilnehmer za einem gemeinsamen
Essen mit ihren Damen in das Hotel „ Der Achterm&nn“ und blieben bis 8 Uhr
abends in Goslar zusammen. Dr. Roo»-Goslar.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin.
Untersuchungen bei Schoßverletzungen. Von Dr. Strassinann-
Aus der Unterricbtsanstalt für Staatsarzneikunde Berlin. Aerztliche Sach¬
verständigen-Zeitung, 1922, Nr. 6.
Beschreibung zweier interessanter Fälle Yon tödlichen Schußverletzungen
durch Tesching and Pistole. Im zweiten Fall war die Einschußwunde an der
•Stirn kreazförmig mit so scharfen Bändern, daß die ersten Obduzenten sie für
eine Schnittwunde gehalten hatten. Die Frage, ob Selbstmord oder Tötung
durch eine fremde Person vorlag, war medizinisch nicht zu entscheiden.
_ S o 1 b r t g.
B. SaohverztAndlgontätigkeit ln Unfall-, Invalidität«- and
Krankenverzloherungss&ohen.
Hirngeschwulst und Kopfverletzung. V on Kr.-Med.-Rat Dr. Lewerenx-
Scbleswig. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 3.
Ein 27 jähriger Mann erlitt durch Hufschlag einen komplizierten Schädel-
brach und verfiel sogleich in Bewußtlosigkeit und Krämpfe. Nach günstigem
Heilungsverlauf wurde er anfangs mit einer Rente von 90°/o bedacht, die dann
allmählich auf 20°/o herabgesetzt wurde. Für die Folge blieben erheblichere
nervöse Kopfbeschwerden bestehen; 17 Jahre nach dem Unfall verschlimmerte
sich der Zustand, heftiges Kopfweh und vermehrte Neigung zu Schwindel¬
anfällen trat auf; nach einigen Monaten erfolgte der Tod. Die Sektion ergab
außer den Folgen des lange zurückliegenden Schädelbruchs eine vom Boideo
der linken Seitenhirnböhle ausgehende walnußgroße gestielte Geschwulst, die
sich histologisch als Neurofibrom erwies und als Todesursache angesehen wurde
(der Tod war unter den Erscheinungen zunehmenden Hirndrucks eingetreten).
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kopfverletzung und dem 17 Jahre
später eingetretenen Tode wurde nicht als erweislich oder wahrscheinlich be¬
zeichnet. _ So Ihrig.
Gasvergiftung und Herzschädigung. Von Stabsarzt Dr. Frehse. Ans
der medizinischen Universitätsklinik Heidelberg. Aerztliche Sachverständigen-
Zeitung, 1922, Nr. 7.
Mitteilung eines Falles .von dauernder Schädigung des Herzens durch
Gasvergiftung im Kriege bei einem früher gesunden Manu; es handelt sich um
eioen als chronische Myocarditis angesehenen Zustand. Die Erwerbsverminde-
rang wurde auf 83 ‘/s °/o angenommen, Kr. D. B. war bereits anerkannt.
Die Bedeutung des mitgeteilten Falles ist darin begründet, daß bisher
derartige dauernde Schädigungen des Herzens nicht bekannt geworden sind,
wie Verfasser hervorhebt. Solbrig.
Zur Neürosenfrage. Von Dr. Hübner, Oberarzt der Klinik für
psychische und Nervenkranke zu Bonn (Geh. Rat Westphal). Aerztliche
Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 1.
Die Frage, ob versicherungspfiichtige Patienten mit Neurose verpflichtet
sind, sich einer psycho-therapeutischen Behandlung zu unterwerfen, wird be¬
jaht, sofern es sich um schmerzlose Maßnahmen handelt. Es stehen uns ge¬
nügend derartige Methoden zur Verfügung. Die Resultate der Suggesuv-
beh&ndlung haben sich verschlechtert, da der Gesnndheitswille der Kriegs-
nourotiker geringer geworden ist. Bei Militärrentenempfängern und Unfall-
verletzten kann man anf etwa &0°/o Heilungen bezw. wesentliche Besserungen
rechnen (gegenüber 90°/o bei Zivil-Neurotikern ohne Rentenansprüche). Ab-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
487
f i n d u n g ist bei Neurotikern immer anzustreben, am besten frühzeitig, die
Erfolge bleiben aber auch nach jahrelangem Prozessieren nicht aus. Pekuniäre
Sorgen sind für den Heilungsverlauf von Neurosen von Bedeutung.
Solbrig.
Die Bedeutung der Blutdruckmessung lu der augeuärztltohen Unfall*
begutachtung. Von Prof. Dr. Reis-Bonn. Aerztliche Sachverständigen-
Zeitung, 1922, Nr. 1.
Daß die exakte Bestimmung des Blutdrucks ein geeignetes Mittel ist,
um Gefäßwanderkrankungen, speziell in der Netzhaut, als Grundlage von Netz¬
hautblutungen sicher zu stellen, wird an 4 Fällen, bei denen die Frage eines*
ursächlichen Zusammenhangs einer Netzhautvenenthrombose mit einem Unfall
gutachtlich zu beurteilen war, gezeigt. Solbrig.
Znr Reform des Reichshaftpllichtgesetzes für Eisenbahnen. Von
Priv.-Doz. Dr. Horn-Bonn. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 1.
Seitens des Reichsjustizministers sind neue Grundzüge eines Gesetzes
über die Haftpflicht der Eisenbahnen als Entwurf aufgestellt, der den gesetz¬
gebenden Körperschaften vorgelegt werden soll, Verf. prüft diesen Entwurf von
der medizinischen Seite und macht allerlei Vorschläge zur Abänderung. Seine
Ansicht, daß nur durch Zusammenarbeit von Rechtswissenschaft und Medizin
die erstrebte Reform zustande kommen kann, wird von unserer Seite nicht auf
Widerstand stoßen. _ Solbrig.
Ueber einen FaU von Aneurysma der Arteria vertebralis dextra
nach einem Trauma. Von Dr. MenacheL (Aus dem phatol. anat. Institut
des Stadtkrankenhauses Dresden-Friedrichstadt). Aerztliche Sachverständigen-
Zeitung, 1922, Nr. 2.
Traumatische Hirnaneurysmen sind äußerst selten. Der hier beschriebene
Fall dürfte deshalb des Interesses nicht ermangeln. Es handelte sich um ein
2 jähriges Kind, das von einem Wagen geschleift, besinnungslos ln die Kinder¬
heilanstalt gebracht und nach 8 tägiger Behandlung munter entlassen wurde,
bald darauf von neuem besinnungslos ins Krankenhaus kam und nach 4 Wochen
plötzlich starb. Wie die Sektion ergab, war die Arteria vertebralis dextra
zerrissen, und hatte zu einem Aneurysma geführt, das dann geplatzt war und
den Tod herbeigeführt hatte. Der ursächliche Zusammenhang mit dem Trauma
wurde noch dadurch bewiesen, daß keinerlei Gefäßerkrankung nachzuweisen war.
_ Solbrig.
O. Hygiene und öffentliehes Gesundheitswesen.
Soziale Hygiene.
Der Unterricht in der sozialen Medizin. Von Th. Rumpf-Bonn.
Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 2.
Ueber dieB strittige Thema äußert sich Rumpf, der selbst einen Lehr¬
auftrag^ für soziale Medizin besitzt, dahin, daß die soziale Medizin wichtig
genug ist, um ihre Selbständigkeit im Rahmen des medizinischen Unterrichts
zu erhalten. Es erscheint ihm auch erforderlich, daß die soziale Versichernngs-
medizin als ein obligatorisches Unterrichtsfach bestimmt und im Staatsexamen
als Prüfungsfach eingeführt werde. Der Unterricht in diesem Fach bedarf
einer wesentlichen Erweiterung, indem u. a. auch die speziellen ärztlichen
Pflichten bezüglich Anzeige und Bekämpfung der Infektionskrankheiten, die
rechtliche Stellung des Arztes, die ärztliche Standeskunde und dergl. eingefügt
werden. Dagegen ist es unnötig, Detailskenntnisse der speziellen Fürsorge
für Säuglinge usw. in das Gebiet der sozialen Medizin einzubeziehen. Im
ganzen sind für den fortlaufenden Unterricht 4—5 Stunden in der Woche
während eines Halbjahrs nötig. Es wird empfohlen, die vorkliniscben Semester
des ärztlichen Studiums um eins zu kürzen, ebenso das Praktikantenjahr auf
ein halbes Jahr zurückzusetzen. So würde hinreichend Zeit gewonnen, ohne
das Studium im ganzen zu verlängern, um den künftigen Arzt mit der sozialen
Medizin hinreichend vertraut zu machen. Solbrig.
438
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
Wohlfahrtspflege and Arzt. Von Ministerialdirektor Prof. A. Gottstein.
Zeitchrift f. soz. Hygiene, Fürsorge* and Krankenhauswesen, Jani 1921, Heft 12.
Unter Hinweis auf den I. Deutschen Gesnndheitsfürsorgetag, auf welchem
im Interesse der Sache dafür eingetreten wurde, daß den Aerzten and dem
von ihnen vertretenen Fach das für ihr Wirken erforderliche selbständige Be*
tätignngsfeld eingeräumt wird, betont Verfasser, daß es sich am einen alten
Kampf am die Stellung der Aerzte handelt. Dieser sei bei den Beratungen
über das Jagendwohlfahrtsgesetz wieder nea aasgebrochen. Er weist aas
Schriften von Dr. Marie Kröhne and Dr. Marie Baum nach, daß den Aerzten
mangelnde Eignung zu sozialer Arbeit nachgesagt wird und daß ihnen nicht
immer frühzeitig genug bei Maßnahmen für die vorbeugende Gesundheits¬
fürsorge das Wort and die Mitarbeit verstattet wird. So hat z. B. die Toll
ständige Unkenntnis der Feststellungen der Ernährungsphysiologie dazu ge*
führt, die Volksernährung nur als ein Verwaltungsproblem und nicht als ein
solches der Sozialhygiene anzasehen. Damit die Zusammenhänge, welche bei
den verschiedensten Verwaltangsmaßregeln mit sozialhygienischen Beobach¬
tungen obwalten, rechtzeitig aufgedeckt werden, hat G. stets vorgeschlagea,
daß in großen and mittleren Städten der Stadtarzt im Magistrat Sitz und
Stimme haben sollte. Häufig werde zum Schaden der Sache der Arzt ent
gehört, wenn der Laie glaubt, seine sachverständige Beratung nicht entbehren
zn können. Weiter betont G., daß gerade führende und anf dem Gebiete der
Wohlfahrtsfürsorge hochverdiente Frauen sich so sehr gegen die Forderungen
der Aerzte einsetzen. G. hat dafür folgende 4 Gründe gefunden: a) für jede
Frau ist mit der Gesundheitsfürsorge ein Stück Schönheitskultar verbunden,
aber nicht im Sinne des Hygienikers, dem Schönheit und Gesundheit des Körper*
dasselbe sind, sondern es handelt sich am eine Ausschmückung der Umgebang
des Körpers; vereinzelt ist sogar die letzte ihr Hauptziel and die gesund¬
heitliche Fürsorge nar der Umweg daza. b) Frauen können zwischen Leiden
and Krankheiten nicht unterscheiden and übertragen anf die letzteren die
Forderungen, der Askese, d. h. sie unterschätzen ihre Bedeutung gegenüber der
geistigen Zucht, c) Die Fraaen weisen die Rechnang für die im Kriege ge¬
leistete soziale Kriegsarbeit vor and verlangen die Begleichung derselben. Sie
haben damit Erfolg gehabt, d) Die Behauptung, daß gewisse Fragen der
persönlichen Frauenwürde weder Verständnis noch Beachtung bei den Männern
finden, ist richtig, ebenso aber aach, daß auch die klügste and erfahrenste
Frau selbst bei naturwissenschaftlicher Schalung für die Stellung des Manne*
za einigen sexaalen Problemen kein Verständnis hat. — G. schließt: „Die
Gleichberechtigung der fachmännisch vorgebildeten Frau ist überhaupt nickt
angefochten, wohl aber maß man sich ganz entschieden dagegen wenden, daß
der Fachmann zarücktreten soll, wo rein weibliche Aaffassang za ungutste*
der sachlichen Lösung Alleinherrschaft beansprucht." Dr. Israel-Breslau.
Wohlfahrtspflege, Arzt und Frau. Eine Replik. Von Dr. Marie Baum -
Karlsruhe. Zeitschr. f. soz. Hyg., Fürsorge u. Krankenhauswesen, UI. Jahrg., H. 2.
Als Erwiderung aaf obige Arbeit behauptet B., daß die Zahl der sozial
geschalten Aerzte, derer, die ihrer Ausbildung und ihrer Einstellung nach dea
Namen Sozialarzt verdienen, beute noch nicht groß ist. Das sei nicht Schuld
der Aerzte, sondern lediglich Schuld der Ausbildung. Hierin sollte Wandel
geschaffen werden und daran sollte die oberste Zentralbehörde ihren Einfluß
geltend machen, wie auch die Fraaen im gleichen Sinne hierin arbeiten, wo sie
Einfluß haben. Die Schwierigkeiten, welche bei der gemeinsamen Arbeit er¬
wachsen, liegen nicht bei den Frauen, sondern innerhalb des der gesamten
Entwicklung der Wohlfahrtspflege nicht ungefährlichen Einflusses des büro¬
mäßigen Apparates, wo das Verständnis für den Unterschied der starren und
lebendigen Form der sozialen Arbeit vielfach völlig verkannt wird. Frauen
und Aerzte sollten sich zur Abhilfe dieses Uebelstandes die Hand reichen.
Gesundheitliche, wirtschaftliche und Erziehungsfürsorge bilden eine Einheit,
Fürsorgerin und Arzt müssen sich ergänzen und die innerliche Zusammen¬
gehörigkeit in der Arbeit anerkennen. Eingehend auf die Gründe, welche sich
speziell gegen die Frauen richten, vermag Frau B. mit dem unter a) an¬
geführten Motiv nichts anzufangen und kann darauf nicht antworten. Zu b)
will Frau B. von der heiligen Unteilbarkeit des Menschen nicht lassen, dessen
Schicksal durch die soziale Fürsorge beeinflußt werden soll. Za den psychische*
Besprechungen.
439
Hilfsfaktoren rechnet sie auch die Stärkung des Lebenswillens und die Be¬
einflussung seiner Lebensgestaltung durch die helfende Kraft eines anderen
Menschen. Dies gelte nicht bloß für ansgesprochene Krankheitserscheinungen,
sondern besonders für die vorbeugende Gesundheitsfürsorge. Zucht und Sitte
dtlrfe jedoch nicht mit Askese verwechselt werden. Ganz besonders leiden¬
schaftlich wendet sich Verfasser gegen den Punkt c). Die Frauen haben das,
was von ihnen im Kriege gefordert wurde, selbstverständlich getan und es
liege ihnen fern, Vorteile daraus ziehen zu wollen. Die seit 1919 von ihnen
vertretenen sozialen und sozialpolitischen Forderungen hätten ihre Wurzeln in
einer viel früheren Zeit. Sie hält es für die Aufgabe der Frau, das ihr aus
der Familie vertraute Gefühl der Ganzheit und Unteilbarkeit von Lebens¬
schicksalen wieder in das Gebiet der Wohlfahrtspflege zu tragen. Der Sozial¬
arzt, die sozial empfindende und geschuldete Frau, sie können einander in ihrer
Arbeitsweise sehr nahe stehen. Dr. Israel-Breslau.
Was will die Bassenhygiene? Von Dr. H. W. Sie mens -München.
Zeitschrift für Säuglingsfürsorge, 1920, H. 5—6.
Der Geburtsrückgang bedroht uns nicht nur in quantitativer Einsicht,
sondern er bewirkt auch eine fortschreitende Verminderung der durchschnitt¬
lichen Tüchtigkeit unseres Volkes, er bewirkt einen Bassenverfall.
Dr. Wolf-Hanau.
Gesundheitlicher Rechtsschutz der Ehe. Von Dr. G. Mamlock-
Berlin. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 6.
Es wird eine bemerkenswerte Stellungnahme des Kammergerichts zu der
Frage ärztlicher Ehe-Beratung mitgeteilt. Ein Bräutigam wollte die Ver¬
lobung zurückgehen lassen, weil die Braut sich nicht vor der Eheschließung
ärztlich untersuchen lassen wollte. Das Kammergericht hatte dieses Verlangen
eines Verlobten, nämlich bei Auftreten besorgniserregender gesundheitlicher Er¬
scheinungen (was hier vorlag!) vom andern Verlobten ärztliche Beratung und
Begutachtung einzuholen, gebilligt. Solbrig.
Besprechungen.
Baus Muoh: Die Partialantigengesetze und ihre Allgemeingttltigkeit.
(Erkenntnisse, Erlebnisse, Erstrebnisse). 70 Seiten mit 2 Tafeln.
Curt Kabitschs Verlag, Leipzig. Preis 8 Mark.
Die Methode der Tuberkulosebehandlung mit Partialantigenen des
Tuberkelbazillus nach Deyke und Much findet heute bereits ausgedehnte
Anwendung. Der Wert dieser Methode ist keineswegs unbestritten.
In der vorliegenden programmatischen, im Tone eines Künders neuer,
umwälzender Wahrheiten gehaltenen Schrift geht Much von der These aus,
daß die Partialantigene eine Gültigkeit schlechthin haben. Sie gelten nach
ihm „nicht nur für Krankheitserreger, sondern auch für Krankheitserzeugnisse
(Krebszellen) und weiterhin für alle zusammengesetzten reizhaften (reaktiven)
Stoff- und Kraftmischungen“. Wesen und Wirkung der Antigene, d. h. der
Stoffe oder Kräfte, die im lebenden Körper einen Beizzustand, d. b. eine
Störung des Gleichgewichtes irgendwelcher Art hervorrufen, faßt er in „Ge¬
setzen“ zusammen, deren erstes und wichtigstes ist: Jedes natürliche Antigen
besteht aus Teilbestandteilen, aus Partialantigenen, die durch Aufschließung
des Antigens mit möglichst schonendem Darstellungsverfahren gewonnen
werden (nach Deyke und Much z. B. durch längere Einwirkung von Milch¬
säure auf die Bazillen bei 56°). Jedes Partialantigen hat einen besonderen
Partialantikörper. Nicht nur Eiweiß, sondern auch Lipoide und Fette können
als Partialantigen wirken. Die Beizzustände, durch die einzelnen Partialan¬
tigene hervorgerufen, sind nicht nur in ihrer Art, sondern auch in ihrer Be¬
deutung verschieden. Es gibt günstige und ungünstige Beizzustände. So sind
die Reaktionen gegen 3 der 4 Partialantigene des Tuberkelbazillus günstig,
gegen das 4. ist sie ungünstig. Weiter schildert Much die Anwendung der
„Partigengesetze“ auf die pathologische Biologie; Blu timmuni tät, Zellimmunität.
Die letztere erzeugt die erstere; die Zellimmnnität, die beständiger ist, ver¬
stärkt rückwirkend die wandelbare Blutimmunität. Eine Begleiterin der Im-
440
Besprechungen.
munität ist die Ueberempfindlichkeit; sie ist eine Gleichgewichtsrerschiebung
im günstigen Sinne, wenn sie sich gegen den Erreger richtet (Abbauüber-
empfindlichkeit). Daneben gibt es eine höchst bösartige Umstimmung gegen¬
über Giften (z. B. gegen Tuberkulin); Giftüberempfindlichkeit.
Much erläutert dann vom Standpunkte des Partigenforscbers aus die
biologischen Heilverfahren, die übertragene Immunität, die Vaccinetherapie, die
Schutzimpfung und noch verschiedene andere Probleme der ImmunitätsWissen¬
schaft. Alles in allem eine zum mindesten geistreiche, anregende Schrift.
Wie viel von den „Erkenntnissen, Ergebnissen, Erstrebnissen* gesicherter
Besitz der Wissenschaft wird, muß die Zukunft lehren. Kathe-JBreslau.
Dr. Traugott Baumg&rtel: Die staatlichen Bestimmungen über die
Ausführung der Wassermannschen Reaktion. Erläutert für prak¬
tische Aerzte und Untersucher. J. F. Lehmanns Verlag, München 1922.
Preis 7,50 Mark.
Mit den zahlreichen Monographien über die Wassermannsche Reaktion
will die nur 32 Druckseiten umfassende Abhandlung Baumgärtels nicht in
Wettbewerb treten. Gleichwohl halte ich sie für recht wertvoll und möchte
wünschen, daß sie von jedem Wassermannlaboratorium angeschafft und dort
von dem ärztlichen, wie dem technischen Personal auch gründlichst gelesen wird.
In „kritisch-historischen Vorbemerkungen* gibt £. einen kurzen [Jeber-
blick über die Grundlage und die Entwicklung unserer Anschauungen über
das Wesen der Wa. R. In der Hauptsache aber erläutert er die am 1. 1. 1921
in Kraft getretenen staatlichen Bestimmungen und zwar einmal der Anleitung
für die Ausführung, der Wa. R. und dann die Vorschriften über die bei der
Wa. R. zur Anwendung kommenden Extrakte und Amboceptoren. Wertvoll
erscheinen mir besonders seine, offenbar auf große eigene Erfahrung gegrün¬
deten kritischen Bemerkungen über die zahlreichen Fehlerquellen der Reaktionen,
die dem doch sonst mit leidlich zuverlässigen Methoden arbeitenden Serologen
die Wa. R. nie so recht zu einer Quelle reiner Freude werden läßt. Deswegen
stehen wir Serologen ja wohl meist auch der Wa. R. wesentlich skeptischer
gegenüber als der Praktiker, für den wir arbeiten. Käthe-Breslau.
F. A. Hoffmann P. o. em. an der Universität Leipzig: Die Reiohsver-
Sicherungsordnung nach der Vorlesung für Juristen und Aerzte.
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel 1921. Geh. 65 S. Preis 20,00 Mark.
Die Schrift verfolgt den Zweck, juristische und medizinische Gedanken¬
gänge miteinander in Einklang zu bringen.
Verf. hält die allgemeine Zwangsversicherung, zu der die Verschiebung
der Besitzverhältnisse nötige, für erforderlich. Er erhofft davon eine Ver¬
minderung der Klassengegensätze und eine Erhöhung des Verantwortungs¬
gefühls, wenn der einzelne die Beiträge selbst zahlen müsse, statt der Ein¬
ziehung durch die Arbeitgeber.
Es werden nicht alle Aerzte sich dieser Ansicht anschließen, ebenso,
wie der, daß der gegenwärtige Zustand der Kurpfuschereigesetzgebung be¬
friedigend sei und daß die Aerzte bei der Bekämpfung der Kurpfuscher mehr
in den Hintergrund treten sollten.
Die beiden Hauptabschnitte behandeln Kranken- und UnfallgeBetzgebung.
Bei der Durchführung der Krankenversicherung ergeben sich die Haupt¬
schwierigkeiten aus der Unklarheit des Begriffes der Krankheit, wie Verf. aas
eingehend an den Symptomen des Schmerzes und Schwindels zeigt Auch
Arbeitsfähigkeit und besonders Behandlungsbedürftigkeit sind recht schwan¬
kende Begriffe. Darch diese Unklarheiten, und auch durch die sich oft wider¬
sprechenden ärztlichen Zeugnisse wird dem Juristen die Beurteilung stark
erschwert, bei Fragen der Krankenversicherung nicht weniger, als bei solchen
der Unfallversicherung. Bei der Besprechung der letzteren verurteilt Verf.
mit Recht scharf die Neigung vieler Gutachter, durch Spitzfindigkeiten Zu¬
sammenhänge zwischen Unfällen und Neurosen, sowie allerlei Spätfolgen ia
konstruieren. Die Entschädigung der letzteren lehnt er als „weder ethisch
noch medizinisch zu rechtfertigen“ ab.
Die staatliche Arbeitslosenversicherung wird verworfen. Verf. will sie
durch eine großzügige Regelung des Arbeitsnachweises und der Arbeitsver¬
mittlung ersetzen.
Tagesn&chrichten.
441
Die Lektüre des Baches, das den Inhalt einer reichen Lebenserfahrung
darbietet, wird nicht nur für Juristen und Verwaltungsbeamte, für die es wohl
hauptsächlich geschrieben ist, sondern auch für Aerzte, besonders für solche,
die viel als Gutachter tätig sind, von großem Interesse und Nutzen Bein.
_ Richter- Münsterberg.
Brauer (Hamburg): Die Ruhr, ihr Wesen und ihre Behandlung. Berlin
(Kornfeld) 1922. 118 8.
Die erste Auflage dieses Buches wurde von Brauer während seines
Aufenthaltes in Palästina als beratender Innerer einer Armee geschrieben und
infolge einer milden Spende den Feldärzten zur Verfügung gestellt. Die jetzige
Auflage ist von Theys ausgearbeitet und um die Erfahrungen, die im Heimat¬
gebiet und im Eppendorfer Krankenhaus gemacht waren, bereichert. Aus dem
Bache spricht eine gewaltige Erfahrung, große Gewandtheit und Frische in
der Darstellung, ein feinfühliger Instinkt für das Richtige unter den vielen
schwankenden Angaben anderer Beobachter. Krankheitsbild, Differentialdiagnose,
Diätfragen sind mit souveräner Beherrschung behandelt. Ob es nötig ist, jetzt
noch Mittel, die man sich wohl nui mit Schwierigkeiten und teilweiso nur aus
dem Ausland verschaffen kann (Granatrinde, Simaruba, Akazien- und Krameria-
sirup) und die doch wohl nur als Tanninträger dienen, den deutschen Aerzten
zu empfehlen, möchte ich dahingestellt lassen. . Für den Medizinalbeamten ist
Epidemiologie und Prophylaxe etwas kurz, Vergleichungen mit-den großen in
Preußen beobachteten Epidemien fehlen. Die Literatur ist nur berücksichtigt,
wie sie gerade dem Autor über den Weg lief. Die Kurve Fliegen und Ruhr¬
fälle ist ohne Erklärung nicht verständlich. Gumprecht-Weimar.
Kaiser (München). Die syphilitischen Erkrankungen in der All¬
gemeinpraxis. München (Lehmann) 1922. 366 S. 90 Mark.
Das Bach ist für den praktischen Arzt geschrieben, verzichtet auf Dar¬
stellung von Kontroversen und auf Literaturangaben ebenso wie auf historische
Betrachtungen; es enthält einen allgemeinen Teil von nur 16 Seiten, dem dann
die Spezialgebiete, Haut, Eingeweide, Ohr, Augen, Nervensystem, kongenitale
Lues, chirurgische Affektionen folgen. Die Spezialgebiete sind wohl etwas
lang geraten, da sie alle von besonderen Sachverständigen bearbeitet wurden.
Das Hautkapitel erscheint allerdings nur so lang, weil es die Therapie enthält,
die eigentlich in das Allgemeine gehörte. Interessant für den Medizinalbeamten
ist das hier abgedruckte Mulzer’sche Merkblatt, das jedem in Behandlung
befindlichen Syphilitiker vom Arzt mitgegeben werden soll und in der Tat sehr
wohl überlegt und zweckmäßig ist, aber jetzt wohl durch die vom Reiche
aufgestellten 2 Formulare ersetzt werden muß. Das Buch ist dem Praktiker
zu empfehlen. _ Gump recht-Weimar.
J. Sohwalbe (Berlin). Diagnostische und therapeutische Irrtttmer und
deren Verhütung in der Kinderheilkunde. Leipzig, G. T h i e m e. 1922.
Die neuesten Hefte dieses verdienstvollen Lehrwerkes stehen auf der
gewohnten Höhe; besonders eingehend und interessant ist H a p p e r t (Wien):
Krankheiten des Nervensystems im Kindesalter. Die andern Autoren, Körte
(Berlin), Stock (Tübingen), Fehling (Baden-Baden) behandeln Einzelthemata
ihrer Disziplinen. Gump recht-Weimar.
Tagesnachrichten.
Wie bekannt, hatte der Staatsrat für Preußen beschlossen, das Zwangs-
pensionlerungggesetz auf die Dauer, von zwei Jahren außer Kraft zu lassen.
Das Preußische Abgeordnetenhaus ist, wenn die bei dem infolge Buchdrucker¬
streik in Berlin nur äußerst spärlich dem Schriftleiter in seinem Urlaubs¬
aufenthaltsort zugänglichen Zeitungsnachrichten recht haben, diesen Beschluß
nicht beigetreten, und zwar mit großer Mehrheit, da nur die Deutschnationalen
und ein Teil der Volksparteiler für die Außerkraftsetzung waren. Danach
würde es also bei der Zwangspensionierung nach vollendetem 65. Lebensjahr
verbleiben 1
442
T&gesnadmchteo.
Gleichzeitig mit der diesjährigen S7. Nitirfonckerrtmianlnf
(Hundertjahrfeier) in Leipzig rindet die XII. Tagvug der Deutschem Ge-
sellsehaft für gerichtliche und soziale Medizin in der Zeit Tom 18. bis
2 3. September im Institut für gerichtliche Medizin. Johaamsallee 28, statt.
Vorträge and Demonstrationen sind möglichst umgehend dei dem
Scbriftfttrer der Gesellschaft Prof. Dr. Karl Beut er, Hamburg 23, Hagenau 10,
anzumelden.
Fritz Reuter, Graz; M. Nippe, Greifswald; Karl Reuter, Hamborg;
Vorsitzender. Schatzmeister, Schriftführer.
R. Ko ekel, Leipzig; Einführender.
Wie die Zeitungen melden, finden mit Rücksicht auf die fortschreitende
Geldentwertung und Teuerung — die Steigerung der Reichsindezziffer be¬
trägt im Juni gegenüber dem Mai 9.2 v. H., gegen 9 t. E von April zum Mai —
Verhandlungen zwischen den einzelnen Beamtenorganisationea statt, um eine
neue Teaerangsaktion in die Wege zu leiten.
Warum entschließt man sich nicht, von Monat zu Monat dem Teuerungs¬
index angemessene Teuerungszulagen automatisch! ein treten zu lassen? Das
Verfahren hat sich doch in größeren industriellen Betrieben und dergL längst
bewährt!
ln München ist die Errichtung eines eigenen Städtischen Gesund«
heitsamts mit einem ätadtarzt als berufsmäßigem Stadtrat an der Spitze
beschlossen.
Die noch immer umstrittene „Wünschelrutenfrage“ ist von Geheimrat
Prof. Dr. J. Walther, der als bestbekannter Geologe gilt, zum Gegenstand
eines Vortrages gemacht worden. W., der „selbst lange Jahre den Ruten-
Problemen ablehnend gegenüber gestanden hat“, hat durch die Beschäftigung
mit dem „Wünschein“ folgende wahrscheinliche Voraussetzungen zu eint»«
Rutenausschlag erkannt; 1. einen natürlichen Zustand der Erdrinde unter der
Rutenstelle, die von ihrer Umgebung verschieden ist; 2. die besondere an¬
geborene Reizbarkeit gewisser Gewebe des Rutengängers; 3. seine durch Uebuag
erworbene Fähigkeit von den vielen schwachen Reizen, die auf ihn ein wirken,
denjenigen herauszulesen, der nach seinen Erfahrungen auf einen bestimmtes
Zustand des Teiles der Erdrinde schließen läßt. Seine bisherigen Erfahrungen
und Beobachtungen faßt er in folgende Sätze zusammen: „Die Wünschelrute
ist kein mystischer Zauberstab, sondern ein mechanisches Hilfsmittel, um
nervöse Reizzustände sichtbar za machen. Es gibt eine geringe Zahl von
Menschen, deren Nervensystem durch örtliche Zustände oder Vorgänge unter¬
halb der Erdoberfläche in einen Reizznstand versetzt wird, der in ihren Ge¬
weben fühlbar oder an den Bewegungen ihrer Muskeln mit oder ohne Wünschei*
rote sichtbar wird. Nach längerer Uebnng sind solche Menschen imstande,
aus diesen Reflexen auf die unterirdische Verteilung von gasförmigen (Kohlen¬
säure, Kohlenwasserstoffe), .flüssigen (gespanntes Wasser, Salzsole, Mineral¬
wasser) oder festen (Kohle, Salz, Kalisalz, Metalle) Bodenschätzen mit größerer
oder geringerer Sicherheit za schließen. Ueber die wirklichen Ursachen dieser
Reizerscheinungen und deren Anslösang sind wir noch ganz im Dunklen, und
die bisher darüber aufgestellten Hypothesen können vor einer ernsthaften
wissenschaftlichen Kritik nicht bestehen. Nur langjährige vergleichende geo¬
logische und psychologische Untersuchungen können eine Aufklärung dieser
Zusammenhänge herbeiführen.“ (Wasser und Gas, 1922, Nr. 28).
An der Preußischen Hochschule für Leibesübungen in Spandau findet
vom 8.—18. August unter der Leitung von Med.-Rat Prof. Müller ein
Fortbildungsknrsus in Leibesübungen für Aerzte statt (Beginn: 8. August
1922, morgens 9 Uhr). Außer einigen von der Medizinalverwaltung einbernfenen
preußischen Medizinal beamten können daran Schulärzte, Stadtärzte und prak¬
tische Aerzte (auch Assistenten) ans Preußen nnd anderen Bundesstaaten teil*
nehmen. Preußische Teilnehmer erhalten die Fahrkosten 3. Klasse für Hm*
und Rückfahrt sowie eine tägliche Beihilfe von 30 M. einschL der Reisetage.
Tagesnachriohten.
443
Eine entsprechende Vergütung an außerpreußische Teilnehmer richtet sich nach
der beantragten geldlichen Beteiligung des Reiches. Ausreichendes Mittag¬
essen zum Preise von 7 M. (anßer Sonntags) wird von der Volksküche Spandau
in den Bäumen der Hochschule nachgewiesen, wo sich die Teilnehmer am besten
am 7. Angust im Laufe des Nachmittags oder Abends melden. Preußische
Aerzte wollen ihre Meldungen an den zuständigen Regierungspräsidenten ein¬
reichen, außerpreußisebe Aerzte unmittelbar an das preußische Wohlfahrts-
ministerium in Berlin.
Ostdeutsche Sozial-Hygienische Akademie. Der nächste Kurs zur
Ausbildung von Kreis-, Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzten, der den Be¬
stimmungen der neuen Kreisarzt-Prüfungsordnung entspricht, wird vom
26. September bis 23. Dezember 1922 in Breslau abgehalten werden.
Anmeldungen und Programme durch das Sekretariat der Akademie, Breslau XVI,
Maxstr. 4.
Am 24. Mai fand die 6. Tagung der kommunalen Vereinigung für
Gesundheitsfürsorge im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in Mül¬
heim (Ruhr) statt, auf der besonders die Frage erörtert wurde, wie am zweck¬
mäßigsten das kommunale Gesundheitswesen zu organisieren sei. Hierüber
referierte Med.-Rat Gasters-Mülheim und Oberbürgermeister von Wedel-
s t a e d t - Gelsenkirchen, wonach es zu folgender Resolution kam, die zweifellos
allgemein und besonders auch die Medizinalbeamten interessieren wird:
„Die kommunale Vereinigung für Gesundheitsfürsorge im rheinisch-west¬
fälischen Industriegebiet ist von der ungeheuren Wichtigkeit planmäßiger Ge¬
sundheitsfürsorge in unserem Volke durchdrungen und spricht sich deshalb
für die Schaffung und Unterhaltung kommunaler Gesundheitsämter in allen
großen Kommunalverbänden aus. Zu ihrem geschlossenen Arbeitsbereich müssen
alle Angelegenheiten vorwiegend gesundheitlicher Bedeutung gehören. An
ihrer Spitze muß ein besonders geeigneter beamteter Arzt stehen, der nicht nur
gutachtlich, sondern leitend und auch führend tätig zu sein hat und der des¬
halb Vorgesetzter der Beamten und Angestellten seines Verwaltungsbereiches,
namentlich der in diesem tätigen Fürsorgerinnen sein muß. Ihm ist im Inter¬
esse der Sache die Möglichkeit gutachtlicher Aeußerung zu allen sonst im
Bereich der ganzen Stadtverwaltung auftauchenden Fragen zu sichern."
Tagesordnung für die X. Versammlung der Vereinigung Deutscher
Schul- und Fürsorgeärzte am 10. Septemberl922imRömerinFrank-
f urt a. M.
Samstag, den 9. September 1922, von abends 8 Uhr ab, zwang¬
loser Begrüßungsabend im Restaurant „Thomasbräu", Börsengebäude, Schiller¬
straße, Haltestelle Hauptwache.
Sonntag, den 10. September 1922, vormittags 9 Uhr, Haupt¬
versammlung der Vereinigung Deutscher Schul- und Fürsorgeärzte in der
Geschlechterstube des Römers.
„Die Aufgaben und Grenzen der schulärztlichen Tätig¬
keit“. 1. Berichterstatter städtischer Kinderarzt Dr. Th. Hof f a-Barmen. —
2. Berichterstatter Schularzt Prof. Dr. Alfred Le wand owski-Berlin. —
3. Berichterstatter Stadt-Med.-Rat Dr. Oxenius-Frankfurt a. M.
Nachmittags 3 */* Uhr :Mitgliederversammlungin der Geschlechter¬
stube des Römers. 1. Derzeitiger Stand der Honorarverhältnisse der neben-
und hauptamtlichen Schul- und Fürsorgeärzte. Berichterstatter: Stadtschul¬
arzt Dr. Rothfeld-Chemnitz. — 2. Tätigkeitsbericht des Geschäftsführers.
Kassenbericht des Schatzmeisters. — 3. Satzungsänderungen. — 4. Wahlen. —
6. Verschiedenes.
Abends 8 Uhr: Gesellschaftsabend gemeinsam mit dem Deutschen Verein
für öffentliche Gesundheitspflege im Römer. Darauf Begrüßung im Kaisersaal
und kurzer Vortrag in der großen Römerhalle über Alt-Frankfurt, mit gemüt¬
licher gegenseitiger Aussprache bei gemeinsamer Eß- und Trinkgelegenheit.
444
Tagesaachrichten.
Tagesordnung für die 18. Jahresversammlnng des Deutsches Vereint
für Schulgesundlieitspflege am Mittwoch, den 13. September 1922
im Börner in Frankfurt a. M.
Dienstag, den 12. September 1922, von abends8 Uhr ab. Unter»
haltongs- and Begrüßangsabend im Restaurant „Steinernes Haus" nahe dem
Börner. '
Mittwoch, den 13. September 1922, Tormittags 8*/. Uhr: Mit¬
gliederversammlung in der Geschlechterstube des Börners.
1. Eröffnung durch den Vorsitzenden. — 2. Tätigkeitsbericht des Ge¬
schäftsführers. — 3. Kassenbericht des Schatzmeisters. — 4. Wahlen. — 5. Ver¬
schiedenes.
Vormittags 10 Uhr: Hauptversammlung in der Geschlechterstabe
des Börners.
„Wie weit läßt sich die auf kulturellem Gebiete er¬
forderliche Sparsamkeit mit den Forderungen der Schul¬
gesundheitspflege in Einklang bringen! 1 “ 1. Berichterstatter:
Prof. Dr. S e 11 e r - Königsberg i. Pr. — 2 Berichterstatter: Geh. Baorat Dr.
Ha ne-Berlin. — 3. Berichterstatter:
Nachmittags 3 Uhr: Besichtigungen nach näherem Programm. Gleich¬
laufend für Damen Stadtführung.
Donnerstag, den 14. September 1922: Ausflug auf die Weg-
scheide bei genügender Beteiligung.
Nach einem Bericht des Schweizerischen Gesundheitsrates
hat in der Schweiz im Jahre 1921 eine Blatternepidemie geherrscht. Die
Zahl der Erkrankungen betrag 696, darunter 8 Todesfälle. Von den Ver¬
storbenen sind 7 nicht geimpft und 1 wieder geimpft; von den Erkrankten nur
23 geimpft, 16 wieder geimpft und 359 ungeimpft; bei 198 war der Haupt-
zustand unbekannt. Mit Recht heißt es in dem Bericht „Eine richtige Durch¬
impfung der Bevölkerung *) würde die Pocken ohne weiteres zum Verschwinden
bringen und den Gemeinden und Kantonen sowie dem Bunde die großen
Aufgaben ersparen, die ihnen für Epidemien, wie sie das Jahr 1921 zu ver¬
zeichnen hatte, erwachsen“. Nach Annahme des Gesundheitsamtes haben die
Gesamtkosten für diese Epidemie eine halbe Million Franken überstiegen.
(Münchener med. Wochenschrift; Jahrg. 1922, Nr. 26.)
*) In der Schweiz ist die Regelung der Schutzpockenimpfung den ein¬
zelnen Kantonen überlassen und unter dem Einfluß impfgegsodscher Be¬
strebungen in verschiedenen Kantonen die obligatorische Impfung und Wieder¬
impfung wieder abgeschafft.
Mitteilungen an die Leser.
Der Schriftleiter macht erneut darauf aufmerksam, daß bei
Anfragen zur unmittelbaren Beantwortung das Porto beigefügt
werden muß.
Es ist ferner darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht
angängig ist, Dienstmarken bei Einsendung von Manuskripten
eder Anfragen zu verwenden.
Verantwortlich für die 8chrifÜeittmg: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat ln Bmlau
Brealan V, Rehdigerstraße 84. — Druck ron J. O. C. Bram, Minden I. W.
35. Jahro. Nr. t5
ZEITSCHRIFT *■*+**■ -
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1892 bis 1022 herausgegeben von Geh. Med.- Rat Prot. Or. RAPMUND.
Zentralblatt
flr das gesamt« Gebiet der gerlcbtlicben Medizin and Psychiatrie, des Staat'
lieben und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal' und
fiffentllche .Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene.
Her&usgegeben von
Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober«Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München,
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer -Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. £. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttiagon, Prof..
Dr.*Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ des Deutschen. Prensslschen. Bayerischen, Sächsischen,
WQrttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen, Thüringischen
and Braunschweigischen Medlzlnalbeamtenverelns.
Eins Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzggbnng.
Schriftleitung: Verlag:
Geb. HetL-Rat Dr. Solbrig, Ftscber’s med. Bochhandlong H. Kornfeld,
leg.- e. Hat.-Kat ln Breslau. ' larlln V. 62, KelthslnOa 5.
Bezugspreis für da« Jahr: 100 durch die Post bezogen: 103 M.
Tora
(Trichlorbutylmalonsaures Ammonium f). R. P.)
wirkt stark herabsetzend auf dies Erregbarkeit
des Atmungs- und Verdauungsapparates,
ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
Praktisch be- I||ic|£»|V fast jeder Art und Entstehung
währt gegen AAIASIhCI* sowie gegen nervöse Störun«
gen der Magen« und Darmtätigkeit wie Aufstoßen,
Sodbrennen, Magen- und Darmnenralgien, Uebelkeit, Erbrechen
(auch Hyperemesis gravidarum).
TnPQinin ist frei von narkotischer u. drasti-
A UI OlllUft scher Nebenwirkung, daher anch bei
Schwächlichen, Kindern nnd älteren Leuten in wirksamer
Gabe gefahrlos anwendbar.
Zu verordnen in Tabletten (1 Originalröhrchen mit
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sowie Proben kostenfrei durch
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35. J&hrg.
Zeitschrift für Medizinslbe&mte.
Nr. 15.
INHALT.
Abhandlungen:
ISftf hkomrhfn^^ haff^hy^if oe and ^ hale. Von
Vr. Heinrich Berger ..445
Zu Yonrcbt&gen 4<r „*t>*kr*tea“’ B*-
kimpfqir^ «iPMhiecbiAronkbviU'D
Von Dr. Lortntzes , . * . . 44 ^
Be*prechange& 455
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j Dr. SolbHe: «Sonfeti, Boifuan^n niici
W Hji.sc.he , . .. , . . 453
• Dr. Rogowski: Zar Ertaubung de« Jahr^-
bvitraj'M . . v *. 46i
; Beilage
HerbwprcChang ...... r . « <gfy
M»dL*LnaIff^-1*^chung* . . . » . . rty
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HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstraße 28.
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Anzeigen angenommen. i»ie durchgehende Petitzeile kostet M. 2,50.
Personalien.
Deutsche* Reich und Freussen.
Verabschiedet auf eigenes Ersuche»; Reg.-Rat Dr. G iin ter im Reich*-
geaumdbeitsamt.
Ernannt: Prof, für Seuchenbekämpfung und Yeteriniirpolizeu Hygiene
und Bakteriologie an der Tierärztl. Hochschule in Hannover, Dr. H. Mie fixier,
und Oberbürgermeister Dr. Luther in Essen zu Mitgliedern des Preußischen
Landesgesundheitsrates; zum kommissarischen Kreismedizinalrat io Usingen
Dr. Erb; zu Kreisroedizinalräteo: die Kreisassistenzärzte Dr. Helming
in Ahaus, Dt. Hartwich in Nienburg, Dr. Beyreis in Dramburg; zum
Direktor des Medizinal an tersuchungsamts in Düsseldorf: Dr. Klein, bisher
Assistent am Hygienischen Institut in Köln: zum kommissarischen Gerichts-
arzt: Dr. Vorkastner in Greifs waid; zu Kreisassistenzärzten : Dr. Lu b e n a u
in tftentsek, Dr, Beck er t in Maffen,
Zeitschrift für Medizitmlbefttnie.
Tersetit : Kreismod.- fiat ftrüt • l)f;. W. ywä VfaidbröI niÄb K6siio,
KreTsjrnRÜ.-Kftt 0r. Miibius vo» Meidats Hilfsarbeiter an die Segiefn.Bg ln
Xtfin, K;reiätßed.*Eat Dr. lt u d o 1 p h y ?ös Hüi rt&ch XriJiäa&sistöaizaTzt
iJp. Olim v«u Oppeln nach Firm. •■*'•■ * ; . ■■■ :yJ \:;•;• ’ ."
Württemberg,
VefSiWi'.’iJiedet anf eigenes Ersuche»: OberamUferzt Med.*Rat Dr. Essig
in Ravens karg,
Oideahnrg.
y^ttäMR i Die Dienst bezeif-bnang M ed.* R a t: den Amtsärzten Dr, Rau
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Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.- Ra! Prol. Or. RAPMUND.
Zentralblatt
fOr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für aas Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der pKakt. u. sozialen Hygiene
Her&osgegeben von
Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München,
Prof. Dr. Kanp-München, Geb. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Querfurt, Med.-Rat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schultze - Göttingen, Prof.
Dr. Sieyeking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
Schriftleltung: Verlag:
Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flscher’s med. Buchhandlong H. Kornfeld,
lag.- 1. lad.- lat li Braslaa. Berlin V. 62, Kelthstrafie 5.
Bezugspreis ffir das Jabr: 100 M.. durch die Post bezogen: 103 M-*
Nr. 15.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monats
5. Aug.
Nachkonunenschaftshygiene und Schule.
Zu Gregor Mendels hundertjährigem Geburtstag.
Von Dr. Heinrich Berger, Reg.- und Med.-Rat in Düsseldorf.
Unbeirrt von der Parteien Gunst und Haß zieht die
Wissenschaft ihre Kreise und stellt ihre Kräfte in den Dienst
der reinsten Idee. Der Natur folgend, die nicht bloß physi¬
kalische Wettkämpfe aufführt, sondern nach geistigen Prinzipien
zur Form, zur Auslese des Schönen und Guten drängt, will sie
den Menschen zum Glück führen.
Die Gesundheitswissenschaft, die vermöge des Objekts
ihrer Betätigung unter allen Wissenschaften einen der ersten
Plätze einniramt, beschäftigte sich erst vorwiegend mit der Um¬
gebung des Menschen; dann erfaßte sie als soziale Hygiene
den Menschen und seine Nachkommenschaft, ja, sie griff über
die Grenzen Wiege und Bahre hinaus und wollte in der Säug¬
lings- und Mutterfürsorge schon den werdenden Menschen unter
Bedingungen bringen, die eine gesunde Säuglingszeit und da¬
mit gute Aussichten der Aufzucht und der zukünftigen Gesund¬
heit gewährleisten.
Die soziale Hygiene wendet sich dabei auch im wesent-
446
Dr. Heinrich Berger.
liehen wie überhaupt und wie die gesamte Hygiene an das
Menschenkind, wenn es da ist, an das lebende Geschlecht, für
das die Verhältnisse der gesamten Umwelt von ausschlag¬
gebender Bedeutung sind.
Die Hilfe, die Hygiene und soziale Hygiene dem Menschen
bringen, steht bei manchen zu Unrecht in dem Geruch, daß
sie das Verantwortungsgefühl herabsetze und die natürliche
Auslese, die für das Höherzüchten aller Wesen Bedingung ist,
zu beeinträchtigen geeignet sei, ich sage zu Unrecht, denn
einzig richtige soziale Hygiene will durch planmäßige Arbeit
und planmäßige Beseitigung von derzeitigen Uebelständen sich
selbst das Objekt der Betätigung entziehen und dadurch über¬
flüssig machen.
Da bei den Fortschritten nach allen Richtungen immer
neue Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt eintreten,
so wird auch die soziale Hygiene nie ersterben, im Gegenteil,
sie ist die Wissenschaft der Zukunft, auch sie wird wie alles
nach eigenen Gesetzen immer neue Formen suchen, auch wenn
ihr Objekt, der Mensch, in Abermillionen von Jahren eine
weitere Entwicklung aus seinem jetzigen Zustand genommen
hat, wie sie in den bisher ins Meer der unsichtbaren und
sichtbaren Geschichte gefallenen vom Nebelfleck an vor sich
gegangen ist.
Die soziale Hygiene will das Verantwortungsgefühl gar
nicht herabsetzen, sie will es erziehen, und erziehen läßt sich
leichter bei einem Menschen, der mit Verantwortungsgefühl
gezeugt ist und bei dem die Voraussetzungen für die heiligsten
Güter, Gesundheit und Arbeit, gegeben sind.
Dieses Verantwortungsgefühl für den kommenden Menschen
ist noch recht schwach. Wer denkt himmelhochjauchzend zum
Tode betrübt an Enkel? Schlagen wir an unsere eigene Brust.
So wird zum eigentlichen Kern der Hygiene, der sozialen
Hygiene, die Rassenhygiene, die die Wege zeigt, wie wir uns
in einer gesunden Nachkommenschaft zu höheren Menschen im
Sinne des nichtverstandenen Nietzsche hinaufzeugen, nicht
in Brutalität, sondern in höchstmenschlicher Vitalität; die Rassen¬
hygiene, die mit einer bestimmten Rasse oder gar mit einem
Volk, einer Gemeinschaft durch Sprache, Kultur und Schicksal
nichts zu tun hat, da sie die Züchtung hochwertiger Individuen
aller Rassen will und deshalb besser Vererbungs-, Deszendenz¬
oder Nachkommensohafts-Hygiene genannt wird.
Auf das zukünftige Wesen sind wir nicht ohne Einfluß,
und wenn auch beim Menschen begreiflicherweise noch manches
Dunkel auf diesem heimlichsten und subtilsten Gebiete zu
lichten ist, wobei es ohne Irrungen und Wirrungen nicht ab¬
gehen wird, so weisen doch Mendels — dessen 100jährigen
Geburtstag wir am 22. Juli still dankbar gefeiert haben, —
grundlegende Forschungen an Pflanzen und Tieren verheißungs¬
volle Wege.
Nachkommenschaftshygiene nnd Schale.
447
Was hat zu geschehen, ura der heute mehr als je not¬
wendigen Rassenhygiene, die die Grundlage für hohe Politik,
für Sozialpolitik, für Vaterlands wohl, Familienglück und persön¬
liches Glück bildet, den Weg zu bahnen, der ihr gebahnt
werden muß. Wäre es vielleicht hier möglich, eine geistige
Einheit in Deutschland zu sohaffen, die aber wohl ebenso schwierig
ist, wie es die politische war, sagte doch bei den Verhand¬
lungen über die Erweiterung der Stadt Barmen durch an¬
grenzende Teile der Provinz Westfalen, ein Abgeordneter im
preußischen Landtag, daß Teile aus Westfalen einer Provinz
angegliedert werden, mit der sie keine Verbindung in Bezug
auf Sprache und Empfindung haben; ja, leben wir denn immer
noch im Mittelalter?
Der Gegenstand ist öffentlich zu behandeln in Vorträgen,
Zeitungen, Zeitschriften, im Kino, in Volkshochschulkursen,
selbstverständlich auf der Universität, allgemein verständlich,
und für Mediziner.
Eheberatungsstellen, deren Benutzung zunächst freiwillig
ist, mit sachverständiger Leitung sind einzurichten; in Wien
ist kürzlich eine solche Stelle dem städtischen Gesundheitsamt
angegliedert.
Es erübrigt sich zunächst, auf die Fragen Zwangszeugnis
oder freiwilliges Zeugnis bei der Verheiratung, auf Geburten¬
rückgang, Frühehe, Steuerfragen, Erbschaftssteuer und Er¬
ziehungsbeihilfen einzugehen, so wichtig sie auch für die ganze
Angelegenheit sind.
Die Belehrung Erwachsener erfordert einen großen Kraft¬
aufwand; wenn wir der Natur, die überall mit dem geringsten
Kraftaufwand arbeitet, folgen, so müssen wir wie überall bei
der Jugend einsetzen.
Die biologische Ausgestaltung des Unterrichts in der
Schule ist zu vervollkommnen; die Erziehung hat überhaupt
neue Wege zu finden; wir müssen zu Zwecken erziehen, die
das Leben ausmachen, nicht einen Komplex von Gesetzen ver¬
mitteln, den die Natur darstellt; wir müssen uns aus östlichem
Meditieren über Gesetze zu westlichem Wollen umstellen. Aber
das reicht nicht aus.
Das Tragische unserer Zeit geht in seinen Ursachen im
wesentlichen auf Erziehungsfragen zurück, und so sehr ich
selbstverständlich der Forderung der Gesundheit mit die erste
Stelle eingeräumt wissen will, eins erscheint mir jetzt not¬
wendiger als alles, nämlich die Pflichtfortbildungsschule auch
für das weibliche Geschlecht. Das Mädchen muß zur Hausfrau
und Mutter erzogen werden, das ist der Angelpunkt für alle
weiteren Fragen; wie sich die mangelhafte Ausbildung der
Mädchen überall bemerkbar gemacht hat und noch macht, ist
bekannt.
Schule und Fortbildungsschule führen die Menschen in
der Entwicklungszeit, hier muß körperlich und geistig erzogen
werden, die Erfolge bleiben auch bei der Nachkommenschaft
448 Dr. Heinrich Berger: Nachkommenschaftahygiene lind Schale.
nicht aus; es würde zu weit führen, hier auf die Vererbbarkeit
erworbener Eigenschaften einzugehen, Erziehbarkeit sehen auch
die Zweifler an der Richtigkeit der Laraarck sehen Ansicht
als vererbbar an, und was die Vererbung körperlicher Eigen¬
schaften anlangt, so sei nur darauf verwiesen, daß alle Punk¬
tionen des Menschen auf hinterlassenen Spuren von Reizen,
Erinnerungsbildern, Engrammen beruhen, deren Gesamtheit die
persönliche Erfahrung, die Mneme ist; unter diesem Gesichts¬
winkel verdienen die Körperübungen aller Art die nachhaltigste
Förderung.
Das Kind ist aber weiter in dieser Entwicklungszeit am
aufnahmefähigsten, und hier ist der Hebel für allgemeine Bildungs¬
fragen, hier sind Fragen der Vererbungshygiene je nachdem
offen und im Gewände anderer Unterrichtsgegenstände zu über¬
mitteln.
Für die planmäßige Förderung der Gesundheit der Be¬
völkerung sind allenthalben die Schulen schulärztlich zu über¬
wachen, aber wirklich ausreichend und planmäßig, der jetzige
Zustand ist nicht im entferntesten überall befriedigend, es wäre
leicht, massenhaft Beweise dafür zu erbringen. Wann wird die
starke Hand kommen, die auf diesem Gebiete Plan und Ziel
steckt? Ihr Besitzer darf der Gefolgschaft der ganzen Be¬
völkerung sicher sein.
Fortlaufende Gesundheitsbüchlein, mit kurzen Gesundheits¬
lehren — am besten werden 2 geführt, eins für Säuglings-Klein¬
kind- und Schulzeit, eins für die Schulentlassenen — müssen
die Menschen begleiten von der Säuglingszeit bis in die Pflicht¬
fortbildungsschule. Sie dienen der Gesundheit des Einzelnen,
und sie müssen zu einer Fundgrube für den Erblichkeitsforscher
ausgestaltet werden; die Mendels sehen Regeln enthalten viel,
aber noch lange nicht alles.
Der Lehrer, der selbst auf hoher gesundheitlicher Warte
stehen muß, ist in der ganzen Schularztfrage von ausschlag¬
gebender Bedeutung, in der Familienforschung wird er bei den
einzelnen Kinder wichtige Unterlagen bringen, vermöge seiner
örtlichen Kenntnisse wird er dem Arzt Fingerzeige geben, deren
Verknüpfung Sache des Arztes ist, Arzt ohne Lenrer, Lehrer
ohne Arzt sind nicht imstande, das Ziel zu erreichen.
Der Schularzt steht in enger Beziehung einerseits zu den
Aerzten, deren Mitarbeit unentbehrlich ist, andererseits zu dem
beamteten Arzt, dessen Aufgabe hier ist, die Volksbelehrung zu
organisieren, und das von den Schulärzten geschaffene Material an
der Hand seiner Kenntnisse über Infektionskrankheiten, Todes¬
ursachen (Verbindung mit dem Standesamt) usw. zu verarbeiten.
Tiefste Wissenschaft wird hier ihre Triumphe feiern und
eine Einheitsfront von Aerzten, Fürsorgeärzten und Amtsärzten
wird dem Stande und der Bevölkerung zugute kommen, nicht
zuletzt auch durch Bekämpfung der Kurpfuscherei, die hier
nicht folgen kann; ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die
Dr. Lorentzcn: Za Dreuws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung usw. 449
Worte von Alt auf der 33. Hauptversammlung des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins über die gemeinsamen Erfolge der
Aerztekammer und Medizinalbeamten gegen die Kurpfuscherei.
Die Priester, denen in grauer Vorzeit auch die gesund¬
heitliche Fürsorge mit oblag, waren eine einheitliche Front.
Jetzt muß die Einheitsfront der Aerzte marschieren.
Zu Dreuws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten.
Antwort auf die Abhandlung in der Zeitschrift für
Medizinalbeamte; 1922, Nr. 10.
Von Dr. Lorentzen, Kreismedizinalrat in Langenschw&lbach.
Es ist sehr dankenswert, daß die Frage der Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten sine ira et Studio in unserer Zeit¬
schrift durchbesprochen wird und daß auch Ansichten, die in
anderen Blättern nicht genügend zu Worte kommen, bei uns
durchberaten werden. Wir sind aber jedem Autor gegenüber
verpflichtet, zu seinen Ausführungen eine präzise Stellung ein¬
zunehmen, zumal wir Kreisärzte in unserer Gesamtheit, da wir
unter den verschiedensten Umständen arbeiten, eher ein Urteil
darüber haben, ob ein Vorschlag durchführbar ist, als ein ein¬
zelner Autor, der doch nur die Verhältnisse genauer kennt,
auf die ihn das Schicksal nun einmal gestellt hat.
Mir scheint, als ob Dreuw sein System allzusehr so auf¬
gebaut hat, daß es zur Not noch in der Millionenstadt Berlin
durchführbar und vielleicht (?) von Nützen ist. Daß es in
andere Verhältnisse nicht hineinpaßt, glaube ich im folgenden
darlegen zu können.
Dreuws Vorschlag ist recht kompliziert. Er steht und
fällt damit, daß die Vorteile, die er bei seinem System zu haben
glaubt, auch wirklich vorhanden sind. In erster Linie muß
also die Anzeige und die Ueberwachung wirklich diskret sein.
Dreuw stellt sich eine automatisch wirkende Einrichtung vor,
die etwa wie die automatischen Telephonämter funktionieren
soll. An einem Ende der Leitung der Patient, am anderen das
Gesundheitsamt; die Verbindung, die nun doch mal vorhanden
sein muß, besorgt die Post durch eingeschriebene Briefe.
Nehmen wir am besten als Beispiel den von Dreuw schon
zitierten „Herrn Müller“. Der Arzt füllt allwöchentlich ein
Formular mit vorgeschriebenen Zeichen aus und der Herr
Müller schickt diesen Brief eingeschrieben dem Gesundheits¬
amt. In Berlin wird dieses sehr einfach sein, abgesehen von
den ziemlich erheblichen Portokosten. Man geht einige Straßen
weiter in eine fremde Stadtgegend und dort kennt einen kein
Mensch. Aber in der Kleinstadt und auf dem Lande kennt
einen jeder, auch im Nachbardorf ist man keineswegs unbekannt.
Da muß man unter Umständen seinem Stammtischbruder den omi¬
nösen Brief in den Postschalter hineinreichen, der alles besagt.
460
Dr. Lorentzeo: Zn Oreaws Vorschlägen
Ura einen herum stehen andere Leute, die einem über die
Schulter sehen und sich sehr dafür interessieren, wer denn den
Brief bekommt. Was ein eingeschriebener Brief an das Gesund¬
heitsamt bedeutet, wird in kurzem jeder wissen. In der Klein¬
stadt wird am selben Abend die große Neuheit schon die Runde
gemacht haben. Was geschieht, wenn jemand an einer Krank¬
heit plötzlich krank wird und auf einige Zeit das Bett hüten
muß? Dann wird zu allem Unglück noch die ganze Familie
über alles unterrichtet, denn der Brief des Gesundheitsamts
kommt dann ganz sicher in die unrichtigen Hände. Der Arzt
für Geschlechtskrankheiten, der den Kranken in dieser Krank¬
heit nicht behandelt, ahnt natürlich nichts von der neuen
Krankheit, ebensowenig das Gesundheitsamt, und automatisch
kommt der Brief des Gesundheitsamts ins Haus. Wenn der
Betreffende plötzlich stirbt, werden mit Sicherheit die An¬
gehörigen höchst unnötigerweise über die Krankheit des Ver¬
storbenen instruiert werden, denn in diesen Fällen bleibt das
Schlußattest sicher aus.
Ein Ausweg wäre ja dadurch gegeben, daß der Arzt
selber die Meldung übernähme und selber die Briefe besorgte.
Ob das aber nicht ein Danaergeschenk für die Aerzte wäre!
So ziemlich jeder Arzt, der über die Vorteile und Nachteile
des Kreisarztberufes mit uns spricht, drückt unumwunden seinen
Abscheu vor schriftlichen Arbeiten aus und die Praxis bestätigt
in dieser Hinsicht sicherlich die Theorie. Jedenfalls würde ein
Arzt, der infolge Vergeßlichkeit dem Patienten Unannehmlich¬
keiten bereitet, sich strafbar und haftpflichtig machen.
Was versteht Dreuw unter einem „attestierfähigen
Arzte“ ? oder unter einem „für Geschlechtskrankheiten staatlich
zugelassenen Arzt“? Sind das alle Aerzte, die ja auf Grund
ihrer Approbation alle Krankheiten behandeln dürfen, also auch
alle Geschlechtskrankheiten? Sind es die Fachärzte für Ge¬
schlechtskrankheiten ? oder sind es die Aerzte, von denen man
nichts Ungünstiges weiß? Ich glaube, daß das, was Dreuw
dem Regierungsentwurf, und zwar mit Recht, nachsagt, daß die
gewissenhaften Aerzte bald nichts mehr zu tun hätten, auch
für seinen Entwurf gilt. Ich kann hier aus Erfahrung sprechen.
Als in unserer kleinen Stadt im besetzten Gebiet ein Bordell
eingerichtet wurde, klappte im Anfänge verschiedenes nicht.
Vor allem war nicht geregelt, was mit den erkrankten Prosti¬
tuierten geschehen sollte, wer die Kosten trüge usw. Die Folge
dieser Unsicherheit war nun, daß in kurzem die Mädchen mir
mit Attesten von praktischen Aerzten und Spezialärzten kamen,
daß sie ganz gesund seien. Es handelte sich dabei um ganz
eklatante Fälle: florider Tripper mit Gonokokken und Syphilis
mit breiten Kondylomen, also keineswegs um Fälle, über die
die Gelehrten streiten konnten. Wenn das nun auch bei unseren
kleinen Verhältnissen nicht viel Schaden anrichten konnte, im
großen Betriebe, ohne daß die Betreffenden voruntersucht
worden wären, wäre es ausgeschlossen, diese Art Atteste heraus-
der „diskreten" Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
451
zufinden. Wenn das Gesundheitsamt ein Schlußattest bekommt,
muß es den Patienten einstweilen streichen, und solche Schlu߬
atteste werden nicht ausbleiben.
„Dem Arzt teilt er seine richtige Adresse mit“. Ja, wenn
er das nur immer täte. In Wirklichkeit werden sehr viele
falsche Namen beim Arzt angegeben, wenn es sich um ein
heikles Thema handelt, in der Großstadt wohl mehr als in der
Kleinstadt. In meiner Kurpraxis, in der verhältnismäßig oft
Frauen mit sexuellen Abnormitäten sich einfinden, haben die
Patientinnen mehrmals schon gebeten, anonym bleiben zu
dürfen, da sie sich sonst nicht offen aussprechen konnten.
Selbstverständlich habe ich dies ohne weiteres gewährt. In
anderen Fällen habe ich den Namen nicht für den richtigen
gehalten, aber jede Nachforschung unterlassen. Was nun, wenn
der Herr Müller gar nicht Müller, sondern Schulze heißt,
und der Geburtstag natürlich auch nicht stimmt. Dann würde
das Gesundheitsamt natürlich nie heraus bekommen, wer denn
der Herr Müller, geboren dann und dann, ist. Nur unnütz
Porto hätte es ausgegeben. Und daß man auf diese einfache
Weise die ganze Kontrolle illusorisch machen würde, das würde
in kurzem allgemein bekannt sein, und jeder Arzt, der mehr
als ein Augurenlächeln bei der Nennung des Namens übrig
hätte, würde viel riskieren.
Anders in der kleinen Stadt. Dort kennt der Arzt den
Kranken. Er füllt also das Formular richtig aus, aber hier weiß
auch der Beamte des Gesundheitsamts sofort, wer gemeint ist.
Wenn der Beamte des Gesundheitsamts wissen will, ob eine
junge Dame seiner Bekanntschaft auf der Liste steht, ein Blick
sagt ihm genug. Noch viel schlimmer ist es aber, was wohl
auch Vorkommen kann, daß er irrtümlich jemand mit gleichem
Monogramm dort vermutet. In einer Stadt sei der Name Müller
sehr häufig, dann sind alle Maria, Magda, Magdalena usw.
Müller unter M. M. verzeichnet, und jeder kann allerlei munkeln.
Wozu also die gesuchte umständliche „diskrete“ Meldung, wenn
in vielen Fällen die Sache nicht diskret bleibt, in anderen
Fällen dadurch leicht umgangen wird.
Dann das „Gesundheitsamt“! Wer ist das? Der Kreisarzt
oder eine Abteilung des Landratsamtes, des Bürgermeister¬
amtes? In letzteren Fällen läuft solch ein Schreiben durch fast
alle Hände, bis es in die rechten kommt. Man muß es nur
mal mit angesehen haben, wie die Post in einem großen Haufen
ankommt, von mehreren Personen sortiert und gesichtet wird,
von anderen in die verschiedenen Abteilungen getragen, dort
weiter gesichtet, registriert, und bearbeitet wird, alles von ver¬
schiedenen Leuten, bis es dem eigentlichen Dezernenten vor¬
gelegt wird. Dann wird alles und jedes stenographiert und mit
der Maschine geschrieben und schließlich auf einem ebenso
komplizierten Wege erledigt. Dazu noch ein paar Irrwege und
das ganze Amt hat das betr. Schriftstück gesehen. Wenn das
nun auch in vielen Dingen gar nichts schadet, hierbei geht
452 Dr. Lorentzen: Zu Dreuws Vorschlägen
es wirklich nicht an. — Beim Kreisarzt geht es ja etwas ein¬
facher zu, aber der ist doch nicht das „Gesundheitsamt“ und
weshalb ihm gegenüber die Heimlichtuerei?
Dreuw scnreibt ferner, daß „Untersuchung, Behandlung
und Attest bei Zahlungsunfähigen auf Staatskosten“ erfolgen
soll. Dann muß aber die Verschwiegenheit auf hören, denn der
Staat wird nur dann die Kosten übernehmen, wenn er die Ver¬
hältnisse nachprüfen kann und Belege irgendwelcher Art, wie
sie jede Krankenkasse auch hat, bekommt. Nur auf die Ver¬
sicherung des Arztes: ich habe so und soviel Patienten für so
und soviel Geld behandelt, wird er nie zahlen. Dann hört aber
die Verschwiegenheit in ganz anderem Maße auf, als bei der
Meldung an den Kreisarzt. Wer entscheidet die Zahlungs¬
unfähigkeit? Irgendeine Behörde muß doch dafür zuständig
sein. Es werden Anfragen nötig werden, aus denen die Heimat¬
behörde alles erfahren kann. Also bei den Minderbemittelten
wird die Verschwiegenheit sicher durchlöchert werden und nur
wegen der besser situierten Leute, um diese nicht zu inkommo¬
dieren, den ganzen Apparat in Bewegung setzen, ist doch nicht
sehr sozial in der Wirkung.
Trotzdem Dreuw die Prostituierten als „Bürgerinnen wie
alle anderen“ behandelt wissen will, muß er doch eine Reihe
Ausnahmebestimmungen für sie vorsehen, da er auch zugibt,
daß sie besonders gefährlich sind; so haben sie dreimal
wöchentlich sich untersuchen zu lassen, allerdings bei jedem
attestierfähigen deutschen Arzt auf Kosten des Staates. Bei
einer Erkrankung müssen sie unter strenger Strafandrohung
sofort vom Arzt aus das Krankenhaus aufsuchen. Also muß
doch irgendwer ihnen das mitteilen, daß sie Prostituierte seien
und dies und das zu tun hätten. Und da man nicht verlangen
kann, daß der betr. Beamte die Namen auswendig lernt, so
muß er sich eine Liste zulegen. Wer das nun tut, ist ganz
einerlei. Das entscheidende Wort hat doch die Polizei, die
allein die erforderlichen Beobachtungen auf den Straßen machen
und die Mädchen ertappen kann. Dann ist aber die Reglemen¬
tierung wieder da und höchstens die Aenderung getroffen, daß
das letzte Wort, ob jemand als Prostituierte anzusehen ist oder
nioht, jemand außerhalb der Polizei hat. Das wird man aber
kaum als Aufhebung der Reglementierung ansehen können.
Die Sittenpolizei wird überhaupt nicht abgeschafft werden
können, wenn man nicht den allergrößten öffentlichen Skandal
heraufbeschwören will, denn kein Gemeinwesen wird darauf
verzichten können, für Anstand und Ordnung in den Straßen
und in den Lokalen zu sorgen. Ob man dann die Beamten,
die nur für diesen speziellen Zweig der Polizei arbeiten, etwas
absondert, ist eine so kleine Reform, daß man nicht viel darüber
reden sollte. Jedenfalls werden alle übrigen Polizeibeamten für die
Sittenpolizei mitarbeiten müssen wie bisher. Ueberhaupt kommt
es mir so vor, wenn ich die Aufsätze von Sozialhygienikern lese,
als wenn diese die Hauptaufgabe der Sittenpolizei in der Vor-
der „diskreten 11 Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
463
bereitung und Mitarbeit bei der ärztlichen Untersuchung sehen.
Die Sittenpolizei hat doch so viele andere Aufgaben, daß sie
schon aus diesem Grunde nie abgeschafft werden kann.
Meiner Ansicht nach leiden viele wohlmeinenden Ver¬
besserungsvorschläge daran, daß die Reformer in erster Linie
den Prostituierten helfen wollen, ohne viel Kenntnis der Prosti¬
tuierten selber. Dreuws Vorschlag will zum Besten der
Prostituierten Sittenpolizei und Reglementierung abschaffen; es
geschieht aber in der Tat zum Schaden der anderen, die ge¬
waltsam mit den Prostituierten in dasselbe Prokrustesbett ge¬
zwängt werden. Es geht wirklich gegen mein Gefühl, eine
anständige Frau, die von ihrem Ehemanne infiziert worden ist,
genau so zu behandeln wie die Prostituierte. Niemandem, auch
nicht den Prostituierten, wird hierbei wohl zu Mute.
Am besten frage man einmal die Prostituierten selber.
In Frankfurt a. M. sind jetzt — in bester Absicht — aber, um
nur eins zu erwähnen, ohne die zuständigen Kreisärzte zu be¬
fragen — die Bordellstraßen abgeschafft. Da wir hier genügend
Beziehungen zu Frankfurt a. M. haben, weil ein großer Teil der
Prostituierten vor nicht gar zu langer Zeit in Frankfurt a. M.
gewesen ist, so bin ich über die Stimmung unter den Prosti¬
tuierten in Frankfurt a. M. genügend unterrichtet. Eine Prosti¬
tuierte sagte mir z. B.: „Wenn unter uns abgestimmt würde,
dann werden morgen die Bordellstraßen wieder eröffnet. Jetzt
wissen die Pr. nicht, wo sie wohnen sollen. Wohnungen sind
schwer erhältlich. Die Pr. werden ganz anders als früher aus-
f enutzt. In die Wohnung darf man nur in den seltensten
'ällen den Besucher mitbringen, weil die Zimmervermieter
dann jederzeit bei irgendeiner Gelegenheit vom Hauswirt auf
die Straße gesetzt werden können, wovor die Polizei die Ver¬
mieter nicht schützen kann.“ Der Geschlechtsverkehr spielt
sich natürlich viel mehr als früher im Freien, z. B. in den An¬
lagen oder Winkeln ab. Irgendwelche Kontrolle seitens der
Mädchen, ob der Mann geschlechtskrank ist, ist dort natürlich
ausgeschlossen. In den Absteigequartieren ist diese Unter¬
suchung zwar wohl möglich, aber nicht die Konsequenz, den
Besucher abzuweisen, da das Mädchen niemanden zur Hilfe in
der. Nähe hat. Den Besucher ordentlich untersuchen, ob er
geschlechtskrank ist, kann nur die Bordellinsassin. Und diese
Untersuchung ist vielleicht wichtiger als die ärztliche der
Prostituierten. Die Prostituierten nehmen nach meiner Er¬
fahrung Reglementierung und Untersuchung ganz gleichmütig
hin. Der Typus des Weibes, das sich nur in Liebe hingeben
kann, aber die Untersuchung des Arztes unangenehm empfindet,
ist mir bei den Prostituierten nicht begegnet, wohl aber in
vielen mehr minder guten Romanen, aus denen die Mitwelt an¬
scheinend viel Belehrung schöpft, z. B. im „Tagebuch einer
Verlorenen“. Die Prostituierten wissen, daß sie für ihr Leben
ohne nennenswerte Arbeit, aber mit schönen Kleidern, Putz
und anderen guten Sachen einen Preis bezahlen müssen; sie
in^S^ch
>
454 Dr. Lorentzen: Zn Drenws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung new.
haben nur einen grimmigen Haß gegen ihre Kolleginnen unter
den „anständigen Frauen 0 , die äußerlich die vornehme Dame
spielen und doch nicht besser sind als sie.
Dreuw setzt mit vielen anderen bei den Prostituierten
seinen eigenen Trieb, gesund zu bleiben oder zu werden, vor¬
aus. Den haben sie zurzeit wohl künstlich bekommen, weil
Kranksein ihnen viele Unannehmlichkeiten bringt; ob sie ihn
aber unter lockeren Bestimmungen haben werden, ist doch sehr
zweifelhaft. Meine oben geschilderten Beobachtungen sprechen
nicht dafür.
Das einzige, worüber die Prostituierten sich eigentlich be¬
klagen, ist unnötig schroffe Behandlung. Da ließe sich viel¬
leicht allerlei ändern. Ich bin weit davon entfernt, alle Er¬
zählungen für bare Münze zu nehmen, aber das ist doch meiner
Ansicht nach sicher, daß mancher Beamte den allerschroffsten
Polizeiton meint anschlagen zu müssen, wohl in bester Ab¬
sicht, um sich Respekt zu verschaffen, und vielleicht auch ge¬
reizt durch Unverschämtheiten mancher Prostituierten, und daß
manchmal die Polizeivorschriften recht scharf angewandt werden.
Aber das sind Sachen, die sich ändern lassen, wenn auch nicht
von heute auf morgen; die Tätigkeit der Polizei wird auch bei
noch soviel Neuorganisation nicht verschwinden. Denn wenn
eine Prostituierte Anstand und gute Sitte verletzt und die zu
ihrem Schutze erlassenen Verordnungen Übertritt, so wird eben
gar nichts anderes übrig bleiben, als daß die Polizei sie mifc-
nimmt, und das wird jede Prostituierte unter allen Umständen
unangenehm empfinden, ob sie nun reglementiert ist oder nicht.
Meiner Ansicht nach tut man am besten, die Prostituierten
mit aller Art wohlgemeinten VerbesserungsVorschlägen zu ver¬
schonen, von denen sie selber nichts wissen wollen. Die durch¬
aus gutgemeinten Aenderungen in Frankfurt a. M. z. B. haben
nicht viel Gutes gebracht, wobei man gerne zugeben kann,
daß eine langsamere Umstellung in einer Zeit ohne Wohnungs¬
not bessere Resultate ergeben hätte. Die Prostituierten wünschen
nur, daß die Art der Ueberwachung sich in etwas milderer
Form abspielt und würden dann vollkommen zufrieden ge¬
stellt sein.
Was hier über den Entwurf des Kollegen Dreuw gesagt
ist, gilt mutatis mutandis auch für den Regierungsentwun.
Wenn es in die Hand des Arztes gelegt wird, ob er anzeigen
soll oder nicht, wird nichts dabei herauskommen. Das Publikum
wird die Anzeige in vielen Fällen für einen persönlichen Rache¬
akt ansehen, zumal wenn jemand aus der Behandlung fort¬
geblieben ist oder die Rechnung noch nicht bezahlt hat, und
das Bewußtsein, daß dieses der Erfolg der Anzeige sein wird,
wird wohl die meisten Aerzte abschrecken.
Das einzige, was überhaupt zu diskutieren ist, ist die An¬
zeige an den Kreisarzt, mit voller Namensnennung, und zwar
in allen Fällen, und es diesem zu überlassen, in den dafür ge¬
eigneten Fällen möglichst geschickt unter Anpassung an die
Besprechungen.
456
jeweiligen Verhältnisse die Fürsorge eintreten zu lassen, und
an der bewährten Form der Ueberwachung der Prostituierten
nur das suaviter in modo, fortiter in re mehr als bisher zur
Geltung zu bringen. Wenn die Kreisärzte sich dann mit dem
praktischen Kollegen ins Benehmen setzen, wird in den Fällen,
in denen Fürsorge nötig ist, diese still und unauffällig aus¬
geführt werden können, in den anderen wird der Kranke gar
nichts davon merken, daß er gemeldet ist. Wie die Fürsorge dann
im einzelnen ausgeführt wird, welche Organe als Mittler ge¬
nommen werden, *ob z. B. die Krankenkassen, was sich an ein¬
zelnen Stellen sohon bewährt hat, das kommt ganz auf die ört¬
lichen Verhältnisse an und soll hier nicht weiter erörtert werden.
Wenn ein Schlagwort nötig sein sollte, so soll es nicht
heißen: „diskrete Anzeige“, sondern „diskrete Fürsorge“. Der
Fürsorger darf nicht im Blinden tappen. Wenn man ihm gegen¬
über diskret sein will, kann er nicht diskret sein.
Besprechungen.
Th. Friedrlohs: Zur Psychologie der Hypnose und der Suggestion.
Kleine Schriften zur Seelenforschung. Stuttgart 1922. Jul. Püttmann,
Verlagsbuchhandlung. 32 ; S., Preis: 20 M.
Ein Versuch, die hypnotischen und suggestiven Phänomene einheitlich
zu erfassen und beide gemeinschaftlich aus der gleichen Dynamik der Affekte
und Triebe zu erklären, die auch in der Neurosenlehre u. a. als das Fundament
angesehen werden: Die Hypnose kein Schlafzustand, keine Bewußtseinstrübung,
sondern eine Bewußtseinseinengung; zwischen Suggerierten und Suggestor eine
affektive Bindung derart, daß der erstere an den letzten glaubt wie das Kind
an seinen Vater, seine Mutter; es entsteht so ein Zustand des Unterworfen«
seins, der Abhängigkeit, eines Ohnmachtgefühls gegenüber dem Suggestor;
das Hirnleben des Hypnotisierten ist paralysiert, er wird der Sklave aller un¬
bewußten Funktionen seines Bückenmarks. Die Freudscbe Lehre, die die
Affekte auf rein sexueller Grundlage beruhend ansieht und Verliebtheit mit
Hypnose in engen Zusammenhang bringt, hat manches für sich, doch kann
damit nicht alles erklärt werden.
Als Ergebnisse formuliert Verfasser seine Ausführungen:
1. Die Suggestibilität äußert sich in bestimmten archaistischen Erlebens¬
weisen und -Dispositionen im Sinne der „Gläubigkeit“ und ihrer „magischen“
Symbolik.
2. Die Suggestibilität stammt aus affektiven Quellen.
3. Die suggestive Bindung ist in vieler Hinsicht analog der Liebes-
bindung anzusehen.
4. Die Suggestibilität ist genetisch begreifbar aus einer unbewußten
Determinante: der friedbedingten ichlosen „suggestiven“ Folgsamkeit. des
Kindes gegen die Eltern. _ Solbrig.
Dr. A. Manie, Professor in Freiburg i. Br.: Richtlinien und Vorschläge
für einen Neuaufbau der Kräfte und Leistungen unseres Volkes.
Verlag von Emil Groß. Freiburg i. Br. 1922.
Als Ziel aller Politik bezeichnet N i s s 1 e die Sicherung der Unabhängig¬
keit, Existenzmöglichkeit und Geschlossenheit des Staates und seiner Be¬
völkerung. Das Hauptmittel zur Erreichung dieses Zieles ist nach ihm die
Erhaltung einer ausreichenden Wehrkraft im weiteren Sinne. Diesem Bestreben
wiU er auch alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen untergeordnet sehen.
Eine wichtige Aufgabe sei die Unterbringung des Bevölkerungsüberschusses.
Intensivere Bewirtschaftung auf aUen Gebieten soll den nötigen Nahrungs¬
spielraum schaffen. Die Gefahren der Auswanderung werden vom Verfasser
wohl etwas überschätzt. Nissie fordert vor allem qualitative Bevölkerungs-
Tagesnachricb ten
45«
Politik, eioe Zacbt za Pflicbtmenschen; in der ßiedlangsfrage sieht er den
kern derselben beschlossen. Beschleunigte Urbarmachung der Oedländereien
ist erwünscht.
Neben einer Aaslese der Erbanlagen fordert Nisale die Pflege des Er¬
scheinungsbildes. Bassen- and Sozialhygiene sollen nebeneinander bestehen,
denn in einem durch die Umweltsbedingnngen erworbenen kranken Körper ver-
mögen sich die besten Erbanlagen nicht aaszawirken. Verfasser fordert weiter,
daß unsere gesamte Arbeit auf praktische Ziele gerichtet sein soll, da unsere
Lage keinerlei Luxus gestatte, ln der Frage der Kinderzulagen ist bei sonstiger
Uebereinstimmung mit den Grundziigen des Verfassers eine grundsätzliche Be¬
richtigung nötig. Es ist bestimmt unrichtig, den Kinderzulagen nur eine vor¬
übergehende durch die außergewöhnlichen Verhältnisse, bedingte Berechtigung
zuzusprecben. Die Kinderzulagen sind vielleicht das wichtigste Mittel der
BcvöHcerungspolitik und müssen allen Volkskreisen gewährt werden. Schoo
längst nicht mehr werden die Kinderzulagen als Belohnung fttr eine besondere
Mühewaltung aufgefaßt, sondern als Entlohnung für eine zum Heile der Ge¬
samtheit vollbrachte Leistung. Der Matterlohn ist nicht Geschenk, sondern
Lohn für die Arbeit der Frau alB Matter. Eine Staffelung der Kinderzulagen
ist zu wünschen, wird aber vorerst nicht zu erreichen sein. Als nächstes Ziel
ist zunächst die allgemeine, gesetzliche Begelung dieser Frage anzustreben.
Alles in allem wäre zu wünschen, daß der Geist des Heftes in weite Kreise
dringe und namentlich unsere Volksvertretungen befruchte.
Dr. med. F e t s c h e r - Dresden.
Tagesnachrichten.
Das Kelchs jagend Wohlfahrtsgesetz ist vom Reichstag im wesentlichen
nach den Mehrheitsbeschlüssen des Ausschusses, aber doch mit einer ganzen
Reihe von Abänderungen angenommen worden. Die Vorarbeiten im Ausschuß
hatten ein großes Maß von Arbeit erfordert und fast ein ganzes Jahr in An¬
spruch genommen. Im Reichstag selbst war das Interesse hierfür nicht über¬
mäßig groß, wenigstens wird in den Zeitungen berichtet, daß die Abgeordneten,
die zu dem Gesetz das Wort nahmen, teilweise vor fast leerem Hause sprachen.
Die Vertreter sämtlicher Parteien erkannten trotz einzelner Bedenken
hier und da die Wichtigkeit eines Gesetzes an, das unter Sammlung der bisher
zerstreuten Gesetzesvorschriften und aller auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt
tätigen Kräfte dazu dienen soll, der weiteren Verwahrlosung der Jugend zu
steuern (Jugendfürsorge) und die gesunde Jugend in jeder Beziehung zu fördern
(Jugendpflege). Die Grundzüge des ganzen Gesetzes sind im § 1, wie er genau
nach der Fassung des Ausschusses angenommen wurde, dargelegt. Hiernach
wird jedem deutschen Kinde dasRecbt auf Erziehung zur leib¬
lichen, seelischen und gesellschaftlichen Tätigkeit gewähr¬
leistet. Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung
werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Oeffentliche
Jugendhilfe tritt unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger
Tätigkeit ein, soweit der Anspruch desKindes auf Erziehung
von der Familie nicht erfüllt wird.
Mehr oder weniger einschneidende Aenderungen wurden von den Deutsch-
nationalen und den Unabhängigen beantragt; die Kommunisten lehnten das
Gesetz als unzulänglich ab, wiewohl auch sie einige Fortschritte gegenüber
dem jetzigen Zustande anerkannten; die übrigen Parteien traten für unver¬
änderte Annahme des Gesetzentwurfs ein. Unter Ablehnung verschiedener
Abänderungsanträge der äußersten Linken und der äußersten Rechten wurde
dann schließlich das Gesetz mit seinen mehr als 200 Paragraphen im ganzen
angenommen, ebenso das Einführungsgesetz mit der Abänderung, daß das In¬
krafttreten auf ein Jahr hinausgeschoben wird, nämlich auf den 1. April 1924.
Zu bemerken ist noch, daß es noch auf das hartnäckige Drängen des Aus¬
schusses gelungen war, Tom Reichstinanzminister statt der ursprünglich vor¬
gesehenen 50 Millionen 100 Millionen Mark als Reichszuschuß zur Durch¬
führung des Gesetzes zu erlangen.
Es ist dann beschlossen worden, das Gesetz in der Fassung des Reichs¬
tages an die Ausschüsse nochmals zur Prüfung zu verweisen. Das soll aber,
Tagesnachrichten.
457
wie besonders betont wurde, keine Verzögerung in der Verabschiedung des
Gesetzes bedeuten.
An dem nun beschlossenen Jagendwohlfahrtsgesetz wurde von Anfang
an von ärztlicher Seite bemängelt, daß Arzt und Medizinalbeamter so gut wie
nicht beteiligt werden, obwohl ihre Mitwirkung entschieden geboten sei. Es
bleibt abzuwarten, ob in der praktischen Durchführung dem Mangel abgeholfen
werden kann und wird.
Der vom Minister fttr Volkswohl fahrt vorgelegte Entwurf eines Prenßi-
sehen Gesetzes zur Bekämpftang der Tuberkulose hat die Zustimmung des
Preußischen Staatsministeriums unter dem 14. Juli erhalten. Der Entwurf geht
nunmehr dem Staatsrat zu und wird dann veröffentlicht werden.
Aus dem Inhalt des Gesetzentwurfs wird mitgeteilt, daß das wesentliche
die Einführung der Meldepflicht bei Erkrankungen ansteckender Lugentuber-
kolose und die Ausfüllung einiger Löcken in der Fürsorge ist. Das in Vor¬
bereitung befindliche, umfassendere Reichsgesetz zur Bekämpfung der
Tuberkulose soll dadurch nicht hintangehalten werden, es wird aber Wert
darauf gelegt, die Zwischenzeit zur Verabschiedung des Reichsgesetzes für
dringliche Aufgaben der Vorbeugung nicht ungenützt vorübergehen zu lassen.
(Nach Deutscher Allg. Zeitung.)
Der Landesverband der höheren Beamten Preußens teilt unter dem
1. J u 1 i folgendes mit:
I. Die sich ständig verschärfende Wohnungsnot der Beamten hat
den Landesverband veranlaßt, bei der Preußischen Staatsregierung Abhilfe¬
maßnahmen zu beantragen, insbesondere eine gesetzliche Festlegung der Be¬
rücksichtigung wohnungsloser Beamten bei der Zuweisung freiwerdender Woh¬
nungen an erster Stelle, Verpflichtung der Wohnungsämter gegenüber der
staatlichen Aufsichtsbehörde zur regelmäßigen Vorlage von Nachweisungen über
die Zahl der freigewordenen und der an Beamte überwiesenen Wohnungen
sowie der noch unerledigten Wohnungsgesuche von Beamten, ferner eine sich
der steigenden Teuerung anpassende Erhöhung der Beihilfen für Beamte mit
doppeltem Haushalt und Unterstützung des Eigenbaues von Wohnungen durch
Beamte und Bau staatseigener Wohnungen.
II. Der Preußische Herr Finanzminister ist erneut auf die Notlage eines
großen Teiles der preußischen Ruhegehalts- pp. Empfänger infolge der
schleppenden Auszahlung der erhöhten Bezüge hingewiesen und um energische
Beschleunigung des Umrechnungs- und Auszahlungsverfahrens, sowie Anweisung
von Vorschüssen auf die rückständigen Bezüge ersucht worden.
HI. Der Landesverband hat in einer Eingabe an den Landtag zu dem
ihm vorliegenden Gesetzentwurf, betreffend die Reisekosten der Staatsbeamten
— Drucks. Nr. 2960 — Stellungen genommen und insbesohdere die Erhöhung
der im Entwurf vorgesehenen, durch die Teuerung bereits überholten Tage¬
geldsätze von 60—120 Mk., sowie fortlaufende Anpassung an die Teuerung
gefordert.
IV. In der Frage der Aufstiegsmöglichkeiten der höheren Be¬
amten (Gruppe 10, 11, 12) hat der Verbandsvorstand in Ergänzung seiner bis¬
herigen Eingaben wiederholt mit dem Beamtenausschuß des Landtages und
einzelnen Mitgliedern desselben verhandelt. Die Angelegenheit wird zurzeit
in einem aus je einem Mitglied jeder Partei bestehenden Unterausschuß bearbeitet,
gez. Bolle. _ gez. v. Strempel.
I. Aerztlicher Spezialkurs für Frauen-•. und Herzkrankheiten in
Franzensbad. Vom 21. bis einschließlich 24. September 1922.
Vorträge:
Prof. Dr. Anton Ghon-Prag: Genese der Genitaltuberkulose der Frau.—
Prof. Dr. Josef Hai bau-Wien: Menstruationsstörungen. — Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. H. B. Hering-Köln a. Rh.: Nervöse Herzstörangen. — Prof. Dr.
F. Hit schm an n-Wien: Störungen der Menstruation. — Prof. Dr. Rudolf
Jaksch-Prag: Herz- und Infektionskrankheiten. — Prof. Dr. Rudolf Th.
v. Jaachke-Gießen: Funktionsstörungen des Herzgefäßapparates bei Ge-
458
Tagesnachrichten.
schwülsten der weiblichen Genitalorgane. — Geh. flat Prof. Dr. E. Kehrer-
Dresden: Sexnologisch - gynäkologische Fragen und ihre Bedeutung für die
Indikationsstellung zur gynäkologisch -konservativen Therapie. — Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. 0. Minkowski-Breslau: Herz und Gefäße bei Stoffwechsel¬
krankheiten. — Hofrat Prof. Dr. Jaques Pal-Wien: Ueber die Pathologie des
Herz- und Arterientonus und seine therapeutische Beeinflussung. — Prof.
Dr. Rudolf Schmidt-Prag: Kardiovaskuläre Störungen und Konstitution. —
Geh. Hofrat Prof. Dr. Seitz-Frankfurt a. M.: Strahlenbehandlung bösartiger
Geschwülste. — Prof. Dr. Hans T h a 1 e r - Wien: Fernwirkungen pathologischer
Zustände des weiblichen Genitales auf innere Organe. — Prof. Dr. Volhard-
HaUe a. d. 8.: Ueber die Differentialdiagnose der Herzfehler mit Vorzeigungen. —
Prot Dr. G. A. Wagner-Prag: Die Erkrankungen des Herzens und der Ge¬
fäße bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. — Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. G. W i n t e r - Königsberg i. Pr.: Die Sterilität der Frau. — Med.-Rat Doz.
Dr. Karl Zörkendörfer-Prag: Die chemischen und pbysikalisehen Verhält¬
nisse der Franzensbader Kurmittel.
Die Vorträge werden im Kurhause abgehalten. Die Zeitfolge der ein¬
zelnen Vorträge wird später bekanntgegeben.
Tagesordnung:
Donnerstag, den 21.September 1922, 8 (20) Uhr abends: Zwanglose
Zusammenkunft der Kursteilnehmer im Speisesaale des Kurhauses.
Freitag, den 22. September 1922, 9*/* Uhr, Begrüßung der Kursteil¬
nehmer im großen Kursaale. 9—1 (9—18) Uhr Vorträge. 3—4 (15—16) Uhr
Vortrag. Anschließend Besichtigung der Kureinrichtungen. 8'/t (20*/*) Uhr
gemeinsames Abendessen, gegeben von der Kurstadt Franzensbad.
Samstag, den 23. September 1922, 9—1 (9—13) Uhr: Vorträge. 3 bis
5 (15—17) Uhr: Vorträge. 5 (17) Uhr: Tee im Kurpark, gegeben von den
Damen der Kurstadt. 8 (20) Uhr: Abendunterhaltung mit Tanz im großen
Kursaale, gegeben von der Kurstadt Franzensbad.
Sonntag, den 24. September 1922, 8—1 (8—13) Uhr: Vorträge.
4 (16) Uhr: Ausflug zum Kammerbühl und Schloß Seeberg. Bei ungünstiger
Witterung Konzert im großen Kurhaussaale.
^ Bemerkungen für die Kursteilnehmer.
Zur Teilnahme am Spezialkurs ist jeder Arzt gegen vorherige Anmeldung
und Entrichtung einer Einschreibgebühr von £K 50.— berechtigt. Voran¬
meldungen werden bis 19. September 1922 an den vorbereitenden Ausschuß des
Spezialkurses Franzensbad, Stadthaus, erbeten. Die Zuweisung der Teilnehmer¬
karten erfolgt durch die Geschäftsstelle im Kurhause.
Die Geschäftsstelle des Spezialkurses (Kursbüro) befindet sich bis ein¬
schließlich 21. September im Staathause, von da an im Kurhause. Dortselbst
werden Mitteilungen bezüglich des Kurses durch Anschlag verlautbart werden.
Für die Kursteilnehmer und deren Angehörige werden in den Hotels und
Kurhäusern in Franzensbad Freiquartiere durch die Geschäftsstelle zugewiesen.
Bäder stehen den Kursteilnehmern während der Vormittagsstunden in.den
städtischen Badeanstalten zur freien Verfügung. Auskünfte erteilt der Unter¬
zeichnete Ausschuß.
Der vorbereitende Ausschuß
des I. Aerztlichen Spezialkurses für Frauen- u. Herzkrankheiten in Franzensbad.
Todesfall. Im Alter von 81 Jahren starb der frühere Direktor des
Anatomischen Instituts in Breslau Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hasse.
*
Nachricht an die Mitglieder des Deutschen und
Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Der Vorsitzende Medizinalrat Dr. Bnndt- Halle a. S. ist im
August verreist und wird während dieser Zeit vom Schriftführer
Dr. Wollenweber -Dortmund vertreten.
459
Dr. Buodt: Sorgen, Hoffnungen und Wünsche.
Sorgen, Hoffnungen und Wünsche.
Vom Vorsitzenden.
Mir sind in den letzten Wochen manche Klagen von
Kollegen zugeflogen, die sich über die hohe Nachzahlung zum
Jahresbeitrag des Preußischen Medizinalbeamtenvereins für 1922
entrüsten, wie sie auf der Hauptversammlung in Magdeburg
beschlossen wurde. Mit den Klagen sind sogar einige Austritts¬
erklärungen gekommen, meist von Kollegen, die nicht mehr
oder noch nicht aktive Medizinalbeamte sind, aber auch einige
aktive haben uns den Rücken gekehrt. Ihnen ist der Beitrag
zu hoch und im Verhältnis dazu der Erfolg des Vereins in wirt¬
schaftlicher Beziehung zu gering.
Ist nun wirklich der Beitrag unverhältnismäßig hoch gegen¬
über früheren Zeiten?
Man kann doch die Mark zurzeit auch im Inland nur mit
*/ 50 ihres Goldwertes einsetzen, das ergibt bei dem heutigen
Jahresbeitrag von 275 Papiermark 5,50 Goldmark. Dafür wird
die Medizinalbeamtenzeitung geliefert, die schon heute 85 Mark
Bezugsgeld jährlich kostet und bald noch teurer wird, dafür
wird der Beitrag zum Reichsbund höherer Beamten mit durch¬
schnittlich 120 Mark für das Mitglied bezahlt, dafür trägt der
Landesverein die Kosten der Vorstandssitzungen und Vertreter-
Versammlungen. Mögen die Herren Kollegen dazu die Steige¬
rung der Reisekosten und Tagegelder und des für die Geschäfts¬
führung nötigen Aufwandes an Porto, Schreibgebühr und Büro¬
bedürfnissen in Rechnung setzen, so werden sie erkennen, daß wir
mit unserem Magdeburger Beschluß nicht zu hoch gegriffen haben.
Man wird auch zugeben müssen, daß alles das, was wir
mit unseren Mitteln erhalten und ausbauen wollen: Zeitschrift,
Zugehörigkeit zu einer Spitzenorganisation, Versammlungswesen
und ordnungsgemäße Geschäftsführung, dringend nötig sind.
Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr heißt: „Der
Starke ist am mächtigsten allein.“ Wir brauchen dringender
als je zuvor einen engen Zusammenschluß nicht nur unserer
Mitglieder untereinander, sondern auch unseres Vereines mit
anderen Beamtenverbänden, um uns durchzusetzen gegenüber
allen Angriffen auf unsere besondere Stellung und auf die
Stellung der Staatsbeamten überhaupt.
Organisationen kosten Geld, um so mehr Geld, je stärker
sie sind; und je stärker und gefestigter der Umwelt gegenüber
sie dastehen, desto wirksamer sind sie.
Auch wir haben schon manches erreicht, teils allein, teils
gemeinsam mit unseren Spitzenorganisationen, dem Reichsbund
höherer Beamten und dem Berufsverein höherer Verwaltungs¬
beamten. Die Zahl der vollbesoldeten Stellen ist erhöht; 323
vollbesoldeten Stellen stehen nur noch 230 nichtvollbesoldete
gegenüber. 174 der vollbesoldeten Kreisärzte sind in Auf-
rückungsstelle in Gruppe XI, 18 Regierungs- und Medizinalräte
in Gruppe XII.
460
Dr. Bnndt.
Für die Dienstaufwandsentschädignng wird eine Erhöhung
um fast 200 °/ 0 beantragt werden. Und noch manches andere.
Was aber das All er wichtigste ist, unsere dienstliche Stellung,
die jahrelang so vielen Angriffen und Aenderungsversuchen
ausgesetzt war, ist zurzeit wieder gefestigt.
Das sind alles Erfolge unseres Zusammenhaltens, das wir
uns nicht durch persönliche Verärgerung und allzu kritische
Wertung des Erreichten gegenüber dem, was noch zu wünschen
übrig bleibt, stören lassen wollen.
Andere Organisationen auch verwandter Berufe, z. B. der
Apotheker, bringen viel größere Opfer, ganz zu schweigen von
den Gewerkschaften, vor deren Opfer Willigkeit wir beschämt
die Augen senken müssen.
Der Vorstand weiß genau, daß seiner noch viel Mühe und
Arbeit für unsere Bestrebungen und für das Wohl des staat¬
lichen Gesundheitswesens und der staatlichen Gesundheits¬
beamten wartet, aber er wird sich dieser gern unterziehen,
wenn er weiß, daß die ganze Zahl der Medizinalbeamten und
der Vereinsmitglieder geschlossen hinter ihm steht.
Zu den immer und wieder vorgebrachten Klagen aus der
Reihe unserer Mitglieder heraus gehört auch die, daß den
Preußischen Medizinalbeamten in den neugeschaffenen Reichs¬
medizinalbeamten, den Aerzten der Versorgungsämter, die den
stolzen Titel Regierungsraedizinalrat bezw. Oberregierungs¬
medizinalrat tragen, Wetterwerber in ihrer vertrauensärztlichen
und Gutachtertätigkeit entstehen. Das ist in der Tat so. Die
Reichsämter, namentlich das Reichsfinanzamt haben ihren ört¬
lichen Stellen Anweisung erteilt, ihre Anwärter und Beamten
von den Regierungsmedizinalräten untersuchen und begutachten
zu lassen.
Dabei ist allerdings die Freude der Herren Kollegen vom
Versorgungsamt doch nur eine geteilte. Die Erlasse besagen,
daß alle Untersuchungen im Aufträge einer Behörde zu den
Amtspflichten gehören, und man deutet wohl nicht falsch,
wenn man aus dem Erlaß herausliest, daß dies der gewöhnliche
und zumeist beliebte Weg der Begutachtung sein wird.
Wir sind damit natürlich in Zukunft auch der Verpflich¬
tung enthoben, für die Reichsbehörden Rezepte zu revidieren,
Rechnungen festzusetzen und ihnen sonst ex officio amtsärzt¬
liche Dienste zu leisten.
Aber das Reich geht so langsam damit um, sich einen
Stand von Medizinalbeamten zu schaffen. Seien wir auf der
Hut, daß wir zu unserem Rechte kommen, wenn es einmal dazu
kommt, das öffentliche Gesundheitswesen von Reiches wegen zu
ordnen; eine Entwicklung der Dinge, die wir ja selbst in Weimar
und Nürnberg angeregt und für erstrebenswert erklärt haben.
Wir wollen freilich auch .unter dem Reichsgesundheits¬
ministerium bezw. Reichsgesundheitsamt — dem richtung¬
gebenden Mittelpunkt — den einzelnen Ländern und Landes¬
teilen eine möglichst umfassende Selbständigkeit in der Aus-
Sorgen, Hoffnungen und Wünsche.
461
führung mit möglichst eingehender Anpassung an die örtlichen
Verhältnisse erhalten wissen.
Zu leugnen ist es aber nicht, daß das Reich diese seine
Beamten besser stellt und anscheinend auch höher bewertet
als unser Preußen. Jene Regierungsmedizinalräte, wir Kreis¬
medizinalräte; jene alle vollbesoldet, mit der Erlaubnis Privat¬
praxis zu treiben, wir immer noch zu einem Teil nicht voll¬
besoldet und wenn vollbesoldet, so ohne diese Erlaubnis; jene
in der XI. Besoldungsklasse mit der Möglichkeit, in die XII. aul¬
zurücken, wir in der X. und nur zu einem Teil in der XI., ohne
Aussicht auf die XII. Es liegt in der Tat eine gewisse Minder¬
bewertung unseres Standes in dieser Gegenüberstellung, die wir
nicht verdient haben.
Wir sind sowohl dem Herrn Minister für Volks Wohlfahrt
als auch dem Leiter unserer Ministerialabteilung sehr dankbar,
daß sie unserem Wirken gegenüber' so mancher Unkenntnis
und Böswilligkeit in den Parlamenten so warme Anerkennung
gezollt haben, um so mehr, als wir diese Schätzung unseres
Amtes früher oft genug vermißt haben. Aber wir möchten den
Ausdruck dieser Schätzung auch in unserer Amtsbezeichnung
und in unserer Stellung sehen.
Medizinalrat und Obermedizinalrat soll man uns in der
Kreisstelle bezeichnen, ohne den „Kreis“, der uns der „Regierung“
gegenüber herabsetzt. Ebenso wollen und sollen auch die Ge¬
richtsärzte, die Gewerbeärzte und die Leiter der Medizinal¬
untersuchungsämter genannt werden, schon damit hierdurch
ihre enge Zusammengehörigkeit mit uns dokumentiert wird,
auf die sie stets das allergrößte Gewicht legen. Oberregierungs¬
und Medizinalrat soll die Amtsbezeichnung für die Bezirksstelle
sein, denn in dieser sind wir in der Tat Leiter einer besonderen
Abteilung, der bisher leider noch nicht als selbständig aner¬
kannten Medizinalabteilung, und müssen als solche, als eine
Auswahl besonders geeigneter und in Beförderungsstelle befind¬
licher Medizinalbeamter auch durch die Amtsbezeichnung hervor¬
gehoben werden.
Wir hoffen, daß es dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt
und unserer Medizinalabteilung gelingt, diese unsere berechtigten
Wünsche im Staatsministerium durchzusetzen.
Das Aufrücken in die höheren Besoldungsklassen erstreben
wir, weil wir uns vollkommen gleichwertig und gleichberechtigt
mit den juristisch vorgebildeten Verwaltungsbeamten in gleicher
Kreis- und Bezirksstelle halten, und wir sind der Medizinal¬
abteilung für ihre Bemühungen in dieser Richtung dankbar,
wenn sie auch bisher erfolglos waren.
Aber dies ist uns nicht das Wesentliche unserer Be¬
strebungen. Das Wesentliche ist die Hebung unseres Standes und
unserer Stellung, die ihren äußerlichen Ausdruck auch in unserer
Amtsbezeichnung finden soll und mit der zunehmenden An¬
erkennung für seine staatlichen Vertreter zugleich die immer
wachsende Einsicht in die Wichtigkeit des öffentlichen Ge¬
sundheitswesens und der Arbeit an diesem gewährleistet.
462
Dr. Bondt: Sorgen, Hoffnungen und Wünsche.
Ich scheue mich fast, auch au diesem Orte in der Medizinal-
beamtenzeitung vor Wissenden den von uns allgemein aner¬
kannten Satz auszusprechen, daß in der Tat neben der Sorge
für Zucht und Ordnung und untrennbar von diesen das öffent¬
liche Gesundheitswesen der allerwichtigste Baustein, ja, der
Grundstein am Wiederaufbau unseres Volkes und Vaterlandes
ist. Jedoch, es muß auch hier noch einmal gesagt werden,
damit wir uns darüber klar werden, vor wie wichtigen Ent¬
scheidungen wir an dem Tage stehen, an dem der Leiter der
Medizinalabteilung, der zentralen Gesundheitsbehörde des Preußi¬
schen Staates, Herr Ministerialdirektor Gottstein, von uns
scheidet. Wir bedauern sein Gehen, denn er hat in schwerer
Zeit seine ganze Kraft in den Dienst des staatlichen Gesund¬
heitswesens und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge gestellt,
und ist unserem Stande ein wohlwollender Helfer und Förderer
G ewesen, mit uns eins darin, daß die Erhaltung der staatlichen
tellung der Medizinalbeamten ein unbedingtes Erfordernis für
das Allgemeinwohl sei.
Er geht mitten aus einer Entwicklung heraus. Obwohl
er manches zum Abschluß gebracht hat — ich nenne hier nur
Landesgesundheitsrat, Wohlfahrtsämter und Ausschüsse, Heb¬
ammengesetz —, so ist doch vieles Andere noch im Werden.
Ich will hier nur an das Tuberkulosegesetz, das Gesetz zur
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, vor allem aber an den
ganzen großen von uns gewünschten Ausbau des öffentlichen
Gesundheitswesens, überhaupt, Schaffung selbständiger, von
polizeilicher Bevormundung unabhängiger und mit weitreichender
Initiative ausgestatteter Gesundheitsbehörden erinnern.
Gruhd genug für uns, die wir die berufenen Vertreter
dieses Gesundheitswesens sind, Umschau zu halten und mit uns
zu Rate zu gehen, wie dieser unserer Lebensarbeit am besten
gedient wird und wer ihr an leitender Stelle der beste erste
Dienpr sein wird. Es gibt vielleicht mehrere Berufene. Eins
aber ist uns gewiß. Er muß ein Mann sein, der aus dem Stande
der Medizinalbeamten hervorgegangen ist, der in örtlichen und
zentralen Stellen die nötigen Erfahrungen gesammelt, die Art
des Volkes in Stadt und Land als Arzt und Medizinalbeamter
kennen gelernt hat und weiß, wie man ihm mit gesundheitlichen
Maßnahmen näher kommt. Er muß aber auch von höherer
Warte aus einen Ueberblick über die Gesamtheit aller gesund¬
heitlichen Bestrebungen im Staate gewonnen und sich in der
Verwaltung mit Erfolg betätigt haben.
Ein Mann, geschult in bewährter Verwaltungstechnik,
muß er aber auch das nötige Verständnis für die Forderungen
und Strömungen unserer Zeit besitzen, um diesen die nötigen
Auswirkungen in unserem Gesundheitswesen zu geben, um
andererseits aber auch drohenden unerwünschten Schädigungen
mit der nötigen Sachkenntnis und Festigkeit entgegenzutreten.
Die Preußische Medizinalbeamtenschaft, die ihre berufene
Vertretung im Preußischen Medizinalbeamten verein hat, müßte
Dr. Rogowski: Zur Erhöhung des Jahresbeitrages. 468
es als eine Mißachtung, ja, als einen Schlag ins Gesicht empfinden,
wenn man sie auch bei dieser Besetzung der Ministerialdirektor¬
stelle überginge. Sie kann für die Besetzung dieser Stelle nur
sachliche Gründe, wie sie eben auseinandergesetzt sind, gelten
lassen, alle anderen Gründe müssen diesen gegenüber zurücktreten.
Die Sorge für das Gesundheitswesen ist allein das höchste
Gesetz. , Dr. Bundt-Halle a. S.
Zur Erhöhung des Jahresbeitrages.
Von Dr. Rogowski - Berlin.
Der Beschluß unserer letzten Hauptversammlung, den Ver¬
einsbeitrag für 1922 auf 275 Mark bezw. für Kreisassistenzärzte
auf 175 Mark zu erhöhen, hat den Unwillen manches Vereins¬
mitgliedes, das an der Versammlung nicht teilgenommen hat,
hervorgerufen, und einige Kollegen haben erklärt, daß sie, wenn
der Jahresbeitrag nicht wieder auf 75 Mark herabgesetzt wird,
ihren Austritt aus unserem Verein erklären müßten; sie seien
hierzu durch ihre schlechte geldliche Lage gezwungen. Wir
Berliner Kreisärzte, die hinsichtlich der amtlichen Nebenein¬
nahmen wohl hinter dem kleinsten Landkreise zurückstehen,
haben für diese Klage vollstes Verständnis, und es fällt uns
gewiss auch nicht leicht, die 275 Mark für unseren Verein auf¬
zubringen. Und doch muß es sein.
Zunächst kostet unsere Vereinszeitschrift jetzt schon mehr
als 75 Mark jährlich, so daß wir gezwungen sind, um unsere
Zeitschrift überhaupt noch erscheinen lassen zu können, sie mit
einem anderen Aerzteverband gemeinsam herauszugeben. Die
Kosten der Zeitschrift wachsen, wie auch den Kollegen, die
nicht dem Vorstand angehören, bekannt sein muß, mit jeder
Nummer und werden am Ende des Jahres wohl auf 150 Mark
für jedes Mitglied gestiegen sein. Daß durch die Führung der
Vereinsgeschäfte gleichfalls Kosten entstehen, müßte gleichfalls
jedem Mitglied ohne weiteres klar sein. Die Ausgaben für
Schreibpapier, Briefumschläge, Schreibhilfe, Porti haben sich
seit Beginn des Jahres vervielfacht und müssen gleichfalls durch
die Vereinsbeiträge gedeckt werden. Dazu kommen die Aus¬
gaben für den Vertretertag mit etwa 32000 Mark in diesem
Jahre, für die Hauptversammlung und für die Mitgliedschaft
zum Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten. Wenn einzelne
Kollegen diese letzteren Einrichtungen für unproduktiv ansehen
und ihre Wiederabschaffung fordern, so verkennen sie doch
vollkommen, was sie diesen zu verdanken haben. Die wieder¬
holten erheblichen Erhöhungen des Gebührentarifs — eine
weitere steht in Aussicht —, die bevorstehende beträchtliche
Erhöhung der Amtsunkostenentschädigung, die Uebernahme des
Fernsprechers bei einer Anzahl von Kreis- und Gerichtsärzten
auf die Staatskasse, das demnächst zu erwartende neue Ge¬
bührengesetz wären ohne den Rückhalt, den der Vorstand unseres
*) Anm. d. Scbriftl.: nech nicht endgültig beschlossen, aber ernsthaft
erwogen nnd in Aussicht genommen!
464
Dr. Rogowski: Zar Erhöhung de* Jahresbeiträge*.
Vereins im Vertretertag; und in den Bezirksvereinen hat, nicht
denkbar. Und nun der Berufsverein höherer Verwaltungs¬
beamten! Von seinen Verdiensten will ich nur eines hervor¬
heben. Bis zu den letzten Teuerungszulagen ging das erfolg¬
reiche Bestreben des Deutschen Beamten - Bundes und der
Gewerkschaften im Verein mit der Staatsregierung darauf hin¬
aus, die Unterschiede in den Besoldungen der einzelnen Be¬
soldungsgruppen möglichst niedrig zu gestalten. Dem entsprach
bei den früheren Teuerungsverhandlungen die Gewährung eines
für alle Beamtengruppen gleichen Kopfzuschlags von 10000 M.,
einer für alle gleichen Prauenbeihilfe und Kinderzulage. Der
Erfolg war, daß — infolge der staffelförmigen Steigerung der
Einkommensteuersätze — der untere und mittlere Beamte tat¬
sächlich 90 v. H., der höhere Beamte aber nur 70 bis 40 v. H.
dieser Zulagen erhielt. Erst bei der letzten Teuerungszulage
ist es den Verbänden der höheren Beamten gelungen, die Zu¬
lage wieder prozentual zu gestalten und damit die gröbste Un¬
gerechtfertigkeit in der vorherigen Form der Teuerungszulage
zu beseitigen. Es würde hier zu weit führen, die weiteren
Pläne, die der B. h. V. im Verein mit anderen Verbänden höherer
Beamten zur Verbesserung der geldlichen Lage der letzteren
verfolgt, das kann ich aber allen mit der Steigerung der Jahres¬
beiträge, unzufriedenen Kollegen versichern, daß sie sich keine
Vorstellung davon machen können, in welcher nachhaltigen,
an die Arbeitswilligkeit der Mitglieder des Vorstandes und der
verschiedenen Ausschüsse dieser Verbände sehr erhebliche An¬
sprüche stellenden Weise von diesen auch zum Wohle der
Medizinalbeamten, auch der im Ruhestand befind¬
lichen, gearbeitet wird. Das erfordert nicht nur viel Zeit und
guten Willen, sondern auch viel Geld für die Organisation. Denn
nur wenn hinter diesen Ausschüssen eine gut organisierte große
Mitgliedschaft steht, haben die Forderungen dieser Verbände
genügend Stoßkraft, um sich durchzusetzen. Es ist natürlich
bequemer und billiger, an den Erfolgen dieser Tätigkeit — von
denen ein einzelner nicht ausgeschlossen werden kann — teil¬
zunehmen, ohne Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Aber schon die
Rücksicht auf das Ansehen des eigenen Standes sollte es jedem
Kollegen selbstverständlich erscheinen lassen, daß er, wenn er
die Vorteile, die er durch die Tätigkeit seiner Vertreter ein¬
heimst, genießt, auch wenigstens an den geldlichen Lasten, die
mit deren Tätigkeit verbunden ist, sich beteiligt. Daß diese
Tätigkeit in jeder Hinsicht ehrenamtlich ist, möchte ich zur
Vermeidung von Mißverständnissen noch besonders betonen.
Darum, liebe Kollegen, nicht murren und die Vereins¬
beiträge gern zahlen, und wenn die Beiträge im nächsten Jahre
noch höher werden sollten, immer daran denken, daß sie sich
zehn- und hundertfach wieder einbringenl
Verantwortlich für die SchrlftleUung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat ln Breslau
Breslau V, Rehdlgerstra&e 84. — Druok von J. 0. C. Brune, Minden 1. W.
34. Jahrp.
Zeitschrift für Medizinalbeamte.
Nr. 16.
Abhandlungen:
Mit Volldampf voraus — gc^on d<*n Kreis¬
arzt. Von Dr. Hahn .465
Die neuen Vorschriften über das Verfahren
der Gerichtsärzte bei gerichtlichen Unter¬
suchungen menschlicher Leichen vom
31. Mal 1922. Von Ueheimrat Pappe . 467
An» Versammlungen und Vereinen.
Sommcrvrrtfammlung des Medlsinalbeaniten-
INHALT.
j Vereins der Provinz Sachsen am 9. Juli
1922 in Naumburg a. S.
Besprechungen . . .
Tagesnaohrlohten . .
Spreohsaal .
Beilage
Medizfnalgesetzgebung
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Geschäftsstelle und Versand für die Mitglieder des Medlzinalbeamteii-
Vereins durch 3 . C. C. BRÜNS, Buchdruckerei, MINDEN i. WESTf.
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Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schnitze - Güttingen, Prof.
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Thüringischen u.Braunsohweigisohen Medizinalbeamtenvereins
Schrlftleltung: Verlag:
Ml Med.-Ra! Dr* Solbrig, Fischers med. Bacbhandlang H. Kornfeld,
lag.« i. Isd.-Bat la Breslau. Isrlln V. 62, KoltlistnBe 5.
Bezugspreis für das Jahr: 100M.. durch die Post bezogen: 103 M.
Nr. 16.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monate
20. Aug.
Mit Yolldampf voraus — gegen den Kreisarzt.
Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn • Königsberg i. Pr.
Der Artikel von Hillenberg in Nr. 12 dieser Zeitschrift
„Kommunalärzte und Kreisärzte" kennzeichnet so außerordent¬
lich treffend die Situation bezüglich der Kreis- und Kommunal¬
arztfrage, daß man seine Wucht und seinen Wert nur verkleinern
könnte, wollte man viele Worte dazu machen.
Diese Zeilen sollen denn auch weiter nichts als eine
Illustration der Machtbestrebungen einer Großstadt im Interesse
der Ausdehnung kommunalärztlicher Amtsbefugnis sein; dem
zuständigen Stadtmedizinalrat sind die Absichten seiner Stadt¬
vertretung zum mindesten nicht unbekannt.
Seit etwa 9 Monaten erstrebt die Stadt Königsberg mit
immer größerem Eifer die Uebertragung amtsärztlicher Obliegen¬
heiten auf die Stadt und zwar zuletzt in dem Ausmaße, daß
dem staatlichen Medizinalbeamten fürderhin nur noch — „als
Polizeiarzt die Ueberwachung des Meldewesens der Medizinal¬
personen, des Heilgewerbes und der Prostitution verbleiben solle."
Der hier zutage tretende „Expansionsdrang" der Kommune
kann kaum mehr überboten werden. Sein Ziel ist — nach fast
468 Dr. Hahn: Mit Volldampf voraus — gegen den Kreisarzt.
völliger Lahmlegung staatsärztlicher Tätigkeit — die Umfassung
so ziemlich des ganzen dem Kreisarzt durch die Dienstanweisung
zugewiesenen Aufgaben- und Pflichtenkreises. Daß der Stadt¬
medizinalrat nicht von sich aus derartigen, in nichts als in
Machthunger begründeten, Ausdehnungsplänen der Kommune
hemmend, ja abwehrend entgegentritt!!!, sofern es nämlich
zutrifft, daß die Betreuung aller Fürsorgegebiete in der Gro߬
stadt größte und immer neue, volle Befriedigung gewährende,
Arbeitsaufgaben mit sich bringt, und im Hinblick darauf, daß
in der Großstadt der staatliche Medizinalbeamte, auch ohne
direkte Betätigung auf sozialhygienischem Gebiete, das restlos
dem Kommunalarzt als Domäne überlassen wird, durchweg
volle Arbeitstage hat II
Das Volkswohlfahrtsministerium hat den Antrag der Stadt
kürzlich abgelehnt.
Dennoch gibt letztere den Kampf um die Herrschaft
— wie anders soll roan’s nennen, da irgendwelche, in volks¬
gesundheitlichen Zielen zu findende Gründe nicht erbracht
werden — nicht auf, sondern hat am 21. Juli d. J. dem in
Königsberg weilenden Herrn Volkswohlfahrtsminister noch ein¬
mal durch den Mund des Magistratsdirigenten — wie man’s in
den Lokalzeitungen vom 23. Juli lesen kann, — ihre Wünsche
bezüglich „Uebertragung amtsärztlicher Funktionen auf die
Stadt“ vorgetragen.
Nach der bisherigen Stellungnahme des Herrn Ministers,
der, wie sein Vorgänger, im Parlament voll anerkennende Worte
für die Tätigkeit seiner staatlichen Medizinalbeamten gefunden
hat, ist zu hoffen, daß auch durch die neuerlichen Vorstellungen
des Stadtvertreters die Stellung und der Aufgabenkreis der staat¬
lichen Medizinalbeamten keine Einbuße erleidet, daß „dem
Kreisarzt bleibt, was nach der Dienstanweisung des Kreis¬
arztes ist“.
Man sieht aber immer wieder, es geht „mit Volldampf
voran“ gegen den Kreisarzt, und — obwohl eine Zersplitterung
oder Schwächung der Arbeitskraft des Kommunalarztes nur dem
Ziel selbstgewählter speziell sozialhygienischer Betätigung
abträglich sein müßte.
Im übrigen darf mit Recht und erneut zugunsten der Er¬
haltung der uneingeschränkten Amtsbefugnisse des Kreisarztes
betont werden: So frei wie der staatliche Medizinalbeamte,
ist der „mit staatlichen Obliegenheiten betraute Kommunalarzt“
in seiner Kommune niemals auf den vielen, der Betreuung
des Kreisarztes unterliegenden Gebieten; und gerade mit
Bezug auf das öffentliche Gesundheitswesen ist unbeeinflußtes
Urteil, gelegentlich von jeder Rücksichtnahme freie Entschließung
— wie noch jüngst hier eine wahrscheinlich mit der Zentral¬
wasserleitung in ursächlichem Zusammenhang stehende Para-
tvphus-Epidemie erwiesen hat — geboten.
Dr. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte nsw. 467
Die neuen Vorschriften über das Verfahren der
Gerichtsärzte bei gerichtlichen Untersuchungen
menschlicher Leichen Tom 31. Mai 1922.*) .
Von Geheimrat Poppe-Breslan.
Die neuen Vorschriften für das Verfahren der Gerichts¬
ärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen
sind lange erwartet. Ihr Erscheinen wird allseitig begrüßt
werden. Das alte Virchowsehe Regulativ bedeutete eine
ziemlich starre Anweisung für das Verfahren bei den Obduk¬
tionen, doch dürfen wir nicht vergessen, daß diese Eindeutigkeit
der Vorschriften zwar etwas Schematisches hatte, aber das
Gute in sich schloß, daß der Obduzent wußte, so und nicht
anders habe er zu handeln. Die Orth sehen Vorschriften vom
Jahre 1904—1905 ließen dem individuellen Können ebenso
Raum, wie sie auch eine Anpassung der Methode an die Einzel¬
heiten des Palles gestatteten. Es bedarf wohl kaum eines be¬
sonderen Hinweises, daß die neuen Vorsphriften, als deren
geistige Väter wir wohl O. Lubarsch und P. Strassmann
anzusprechen haben, und an denen auch die Deutsche Gesellschaft
für Gerichtliche und Soziale Medizin mitgewirkt hat, auf diesem
letztgenannten Wege weiter fortgeschritten sind. Im einzelnen
zeigen die Vorschriften mancherlei Aenderung gegen früher.
Sie stellen erhöhte Anforderungen an das technische Können
des Obduzenten, und es ist zu wünschen, daß den durchaus
modern gehaltenen Vorschriften nun auch die erzielten Resultate
entsprechen mögen.
Rein äußerlich hat sich die Zahl der Paragraphen um
einen vermehrt, und zwar betrifft dieser neue § 22 Trichinen-
und Fleischvergiftungen. Im übrigen ist die Anordnung der
Vorschriften dieselbe geblieben, wie sie war.
Unter den Instrumenten ist insofern eine Aenderung
eingetreten, als das Miskroskop jetzt nicht mehr bei jeder ge¬
richtlichen Obduktion zur Stelle zu sein braucht. Diese Aende¬
rung ist wichtig, wenn man berücksichtigt, wie groß die
Schwierigkeiten sind, die sich der Durchführung dieser Vor¬
schrift bei ländlichen Obduktionen — und das sind doch wohl
etwa 50 °/ 0 aller gerichtlichen Obduktionen — entgegenstellen.
Dafür ist aber nunmehr Vorschrift, 'daß eine Flasche mit ab¬
solutem Alkohol und eine solche mit 10°/ 0 Formalin mit einem
Zusatz von Müll er scher Flüssigkeit, so daß die Flüssigkeit
eine goldgelbe Farbe besitzt, sowie einige durch Glas- oder
Korkpfropien gut verschließbare, reine Glas- oder Porzellangefäße
zur Aufbewahrung von Leichenteilen, welche chemisch oder
mikroskopisch untersucht werden sollen, zur Stelle sein müssen.
Ferner müssen mehrere keimfreie Reagenzgläser, ein zum
Ausglühen geeignetes Messer und eine ebensolche Pinzette
sowie eine Spirituslampe zur Blutentnahme behufs bakterio-
*) Beilage zur Volks Wohlfahrt, 1922, Nr. 12.
468 Dr. Poppe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte
logischer Untersuchung zur Stelle sein. Nach § 18 ist es zweck¬
mäßig, in allen Fällen, in denen nicht eine gewaltsame Todes¬
art feststeht oder weit fortgeschrittene Fäulnisvorgänge vor¬
liegen, aus dem rechten Herzen keimfreies Blut zur etwaigen
bakteriologischen oder serologischen Untersuchung zu entnehmen.
Zu diesem Zwecke soll mit einem an der Spiritus- oder Gas¬
flamme ausgeglühten Messer die Außenfläche der Kante des
rechten Herzens abgesengt, mit dem nochmals geglühten Messer
in Vorhof oder Kammer eingestochen, und dann das Blut direkt
in ein bereit gehaltenes keimfreies Reagenzglas eingelassen
werden. Auch die Benutzung, einer keimfreien Lu ersehen oder
Rekordspritze, die nach Abglühen der Herzoberfiäche in das
Herz eingeführt wird, ist erlaubt. Nach § 9 soll bei Verdacht
auf Septicaemie, Pyämie und Septicopyaemie nicht nur eine
kulturelle Untersuchung des Herzblutes erfolgen, sondern auch
der Milz und gegebenenfalls auch der Lymphdrüsen.
Es ist hier der Ort, darauf hinzu weisen, daß das Ver¬
halten der Gerichtsbehörden hinsichtlich der Zeit
der Obduktionen ein nicht einheitliches ist. Während
manche Gerichte, wie das ja den Umständen durchaus ent¬
spricht, die Obduktion so schnell wie möglich nach dem Tode
stattfinden lassen, legen andere wieder Wert darauf, erst die
Ermittlungen der Polizei vor Anordnung der gerichtlichen Ob¬
duktion abzuwarten. Daß sich hierdurch in vielen Fällen der
Zustand der Leiche ergibt, den ein Spötter als die „gerichtliche
Reife“ einer Leiche bezeichnet hat, ein Zustand der Leichen¬
zersetzung, wie er der Erhebung exakter Befunde widerspricht,
muß nachdrücklich betont werden. Es muß darauf hingewiesen
werden, daß ein derartiges Verhalten bei der Feststellung des
objektiven Tatbestandes nicht den Bedürfnissen der strafrecht¬
lichen Praxis entspricht, die unter allen Umständen verlangt,
daß die Befunde an der Leiche möglichst kurze Zeit nach dem
Tode erhoben werden, weil sie sonst nicht mehr mit der not¬
wendigen Eindeutigkeit zu erheben sind. Eine allgemeine
Regelung des Verfahrens seitens der Justizbehörden nach der
Richtung hin, daß in allen Fällen, bei denen der Verdacht der
Täterschaft eines Dritten nicht von der Hand zu weisen ist,
ungesäumt die gerichtliche Sektion zu beantragen und aus¬
zuführen ist, wäre dringend von Nöten. Dies auch aus dem
Grunde, weil unmöglich ein Gerichtsarzt auf der Höhe wissen¬
schaftlichen Könnens bleiben kann, der selten frische und fast
stets nur mehr oder weniger zersetzte Leichen obduziert.
Die Beurteilung der Leichenzersetzung (Fäulnis- und Ver¬
wesungserscheinungen, autolytische Veränderungen) bleibt wie
bisher Sache der obduzierenden Aerzte. Die besondere Be¬
achtung dieser Erscheinungen wird ihnen im § 9 zur Pflicht
gemacht. Eine Bemerkung sei hier eingeschaltet: Wenig zweck¬
mäßig ist es, wenn in den Protokollen von „blutiger Durch¬
tränkung der Gewebe“ gesprochen wird, wenn „frei ausgetretenes
Blut“ festgestellt wurde, weil hierdurch leicht Verwechslungen
bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. MaI 1922. 469
von Zersetzungstranssudation mit vitalen Blutergüssen ein-
treten können, so daß eine Nachprüfung der Befunde nur schwer
möglich ist. Sind Zweifel bei dem Obduzenten vorhanden, ob
frei ausgetretenes Blut oder Zersetzungstranssudat vorliegt,
dann muß die mikroskopische Untersuchung bei der Obduktion
fixierter Stücke lehren, welcher Zustand vorhanden ist.
Es wird von den lokalen Verhältnissen abhängen, ob der
Gerichtsarzt diese mikroskopischen Untersuchungen
selbst macht oder von irgendeinem gerichtlich-medizinischen
oder pathologisch-anatomischen Institut machen läßt, wenn er
nicht über ein eigenes Laboratorium verfügt. Es ist notwendig,
daß die gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute bei diesen
Untersuchungen von den obduzierenden Aerzten in erster Linie
herangezogen werden.
Unter den Instrumenten, die bei der Sektion vorhanden
sein müssen, ist, abgesehen von einem schmalem, spitzen Messer
zur Eröffnung des Brustbein-Schlüsselbeingelenks*) als neu zu
verzeichnen: „wenn möglich ein Taschenspektroskop
mit 2 Untersuchungsgefäßen“. Als letztere können
naturgemäß Reagenzgläser dienen. Auch ein Fläschchen mit
S ilbern Schwefelammonium muß natürlich zur Verfügung stehen.
ie Beschaffung eines Taschenspektroskops, das heutzutage
etwa 1000 M. kostet, erweist sich jedenfalls als notwendig.
Es ist durchaus zu billigen, wenn im § 21 die Blutuntersuchung
auf Kohlenoxyd-Hämoglobin den Gerichtsärzten
übertragen wird. Es handelt sich hierbei um eine Unter¬
suchung, die in einfachen Fällen schon während der Obduktion
ausgeführt werden kann; liegt der Fall nicht vollkommen klar,
dann soll bei Verdacht auf CO-Vergiftung nur Blut und nichts
anderes zur nachträglichen Untersuchung zurückbehalten, und
die Untersuchung soll dann, wie gesagt, von den Gerichts¬
ärzten selbst vorgenommen werden.
Daß nach § 6 für die Leichenöffnung in der kalten Jahres¬
zeit ein geheizter Raum beschafft werden soll, ist durchaus
zu billigen. Die Obduzenten werden bei ländlichen Obduktionen
das anordnende Gericht auf diesen Punkt hinzuweisen haben.
Was nun die Ausführung der Obduktion anbetrifft,
so wird als Hauptregel hingestellt: entweder muß die Heraus¬
nahme der Organsysteme unter Wahrung der natürlichen Zu¬
sammenhänge erfolgen, oder, wenn die Organe, was für viele
Fälle vorzuziehen ist, einzeln herausgenommen werden, so darf
die Herausnahme erst dann erfolgen, nachdem die natürlichen
Zusammenhänge genau geprüft sind und festgestellt ist, daß
keine Abweichungen von der Norm vorliegen. Es soll also
individualisiert werden. Die Herausnahme der Nieren soll erst
erfolgen, nachdem Nieren- und Nebennierengefäße, Spermaticae
und Harnleiter freigelegt sind. Die Ablösung der Därme vom
*) Der Ausdruck Brustbein-Schldsselgelenk § 18 ist ein Druckfehler, auch
der Ausdruck Pfortegang in § 20 ist hier wohl zu nennen.
470 Dr. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte
Gekröse soll erst dann vorgenommen werden, nachdem die Be¬
ziehungen der Blut- und Lymphgefäße des Darmes zu denen
des Gekröses untersucht sind.
Bei der äußeren Besichtigung ist neu die Vorschrift,
daß Proben der Haare einer unbekannten Leiche
zurückzubehalten sind, auch bei bekannten Leichen sind Haare
zurückzubehalten, wenn ein Verbrechen vorliegt und wenn
eine Vergleichung der Haare des Getöteten mit etwa bei dem
Verdächtigen oder an einem Instrument aufgefundenen Haaren
notwendig werden sollte. Neu ist auch die Vorschrift, wenn
möglich, eine photographische Aufnahme zu machen.
Neu ist ferner, daß, wenn es sich um Steckschüsse handelt,
wenn möglich zur Erleichterung des Auffindens des Geschosses
vor der Leichenöffnung eine Röntgenaufnahme zu ver¬
anlassen ist. Neu ist weiter, daß bei Starkstromverletzungen
Teile der verletzten Haut auf Korkplatten aufgespannt zur
mikroskopischen Untersuchung sofort einzulegen sind; auch
Gehirnteile, besonders Brücke, verlängertes Mark und große
Ganglien sollen dann nach Konservierung in absolutem
Alkohol mikroskopisch untersucht werden. Spuren von Ein¬
spritzungen unter die Haut sollen gesammelt und für eine
etwaige chemische Untersuchung aufbewahrt werden.
Vielleicht wäre es zweckmäßig gewesen, bei der Fest¬
stellung einer unbekannten Persönlichkeit auch der Daktyloskopie
zu gedenken, die sich verhältnismäßig leicht mit den durch
Tinte geschwärzten Fingern der Leiche ausführen läßt.
Sehr wesentlich ist nunmehr hinsichtlich der inneren
Besichtigung die Bestimmung, daß von der Reihenfolge
Kopf-, Brust- und Bauchhöhle nur in ganz beson¬
deren Fällen abgewichen werden kann. Nämlich dann,
wenn feststeht, oder wenn vermutet werden kann, daß die Blut¬
füllung der einzelnen Organe und der Körperhöhlen für die
Beurteilung des Falles bedeutungslos ist. Neugeborene sind
nach wie vor in der Weise zu obduzieren, daß zuerst
Brust- und Bauchhöhle und dann die Kopfhöhle
untersucht wird. Bei Vergiftungen kann die Unter¬
suchung der Brust- und Bauchhöhle vor der Untersuchung der
Kopfhöhle erfolgen; letztere muß aber zuerst untersucht werden,
wenn es sich um Blausäurevergiftungen handelt, weil der Geruch
des Giftes besonders an der Kopfhöhle, insbesondere nach dem
ersten Abheben des Schädeldaches mit charakteristischer Rein¬
heit festzustellen ist.
Bei der Obduktion der KQpfhöhle ist nunmehr auch die
altbekannte Regel in den Vorschriften enthalten, daß, wenn
schwer trennbare Verwachsungen zwischen Schädeldach und
harter Hirnhaut vorhanden sind, die Herausnahme des Gehirns
im Zusammenhang mit harter Hirnhaut und Schädeldach er¬
folgen muß. Ein Einschneiden und Abziehen der weichen
Hirnhaut von der Gehirnrinde soll unterlassen
werden. Bei der Gehirnsektion wird es als zweckmäßig an-
bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. Mai 1922. 471
erkannt, das Gehirn mit einem großen Gehimmesser von der
Spitze nach dem Hinterhaupte zu in Frontalschnitte zu zer¬
legen. Ich würde es sogar für richtig halten, wenn ein Ob¬
duzent das ganze Gehirn, zumal, wenn es eine weiche Konsistenz
hat, /erst in toto härtet und dann später die Zerlegung vor¬
nimmt; er muß sich dann sein abschließendes Gutachten am
Ende der Leichenöffnung Vorbehalten. Selbstverständlich ist
auch die Obduktion nach der alten V i r c h o w sehen Methode
zugelassen, aber es ist ausdrücklich bemerkt, daß die Schnitte
nicht zu tief geführt werden sollen, so daß der Zusammenhang
der Teile nicht zu stark gelockert wird. Daß durch diese Vor¬
schrift, die durch die Notwendigkeit etwaiger mikroskopischer
Untersuchungen diktiert ist, wichtige Befunde unentdeckt bleiben,
ist eine Befürchtung, der ich Ausdruck geben möchte. Man
wird sich doch zu sagen haben, daß nach wie vor die makro¬
skopische Untersuchung die Regel und die mikroskopische Unter¬
suchung die Ausnahme bilden wird.
Bei der Untersuchung der Brust- und Bauchhöhle
ist darauf hinzu weisen, daß die Vorschriften bei der Feststellung
der Lage der Bauchorgane eine Untersuchung des Wurm¬
fortsatzes und der Bruchpforten verlangen. Finden sich
in der Bauchhöhle fremde Bestandteile, Blut-, Magen¬
oder Darrainhalt, so ist sofort eine genaue Untersuchung der
in Betracht kommenden Bauchorgane vorzunehmen, um mög¬
lichst gleich die Durchbruchstelle feststellen zu können. Diese
neuen Vorschriften beziehen sioh insbesondere auf Fälle von
Schuß- und Stichverletzung, in denen, wie es ja wohl meist
geschehen ist, bei der Betrachtung der Bauchhöhle und vor der
Obduktion ihrer Organe, Lage, Richtung und, wenn möglich,
auch Tiefe der Verletzungen festgestellt werden soll.
Neu ist bei der Untersuchung der Brust höhle die Forde¬
rung, die Pneumothoraxprobe anzustellen, wenn diesbezüg¬
liche Befunde zu erwarten sind. Diese sollen so angestellt
werden, daß man die abgelösten Weichteile am Rippenbogen
umschlägt, in die Höhe hebt und in die so gebildete Tasche
zwischen Haut und Brustkorb Wasser hineingießt; dann wird
in einen oder mehrere Rippenzwischenräume im Gebiete der
Wasseransammlung vorsichtig und wenig tief hineingeschnitten
und ein weicher Druck auf die betreffende Brustkorbhälfte aus¬
geübt, wobei dann Blasen im Wasser, aufsteigen, wenn sich
Luft oder Gas im Brustkörbe befindet.
Sind nunmehr die Knorpel der 2., 3. usw. Rippe durch¬
schnitten, dann wird dasBrustbeinende mit denRippen-
knorpeln empor gehoben, und es muß jetzt fest¬
gestellt werden, ob fremder Inhalt in der Brust¬
höhle vorhanden ist, und welcher Art derselbe ist.
Erst nach dieser Feststellung soll das Brustbein-
Schlüsselbeingelenk eröffnet und die erste Rippe
durchschnitten werden. Diese Bestimmung ist neu, wesent¬
lich und, wie mir scheint, auch unschwer auszuführen. Sie be-
172 Dt. Pappe: Die oeaen Vorschrillen aber das Verfahren der Geriebisim
zweckt die Prüfung der Befunde vor Hineinfließen von Blut in
die Brugtfellhöhle durch Verletzung der Schlüsselbeingefäße bei
der Eröffnung des erwähnten Gelenks oder der Durchtrennung
der ersten Rippe.
Bei Verdacht auf Luftembolie soll nun ebenfalls vor
Eröffnung des Brustbein-Schlüsselbeingelenks der Herzbeutel
eröffnet und mit Wasser angefüllt werden, damit dann unter
Wasser die Eröffnungsschnitte des Herzens vorgenommen werden
können. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß in solchen
Fällen nicht mit der Eröffnung der Schädelhöhle
begonnen werden soll (z. B. plötzlicher Tod bei
Fruchtabtreibung, Tod durch Stich verletz ung in
den Hals und ähnliches mehr). Ferner ist des Umstandes
zu gedenken, daß sich für die Feststellung der Luftembolie
ganz besonders der rechte Vorhof zur genauen Untersuchung
empfiehlt, der häufig schon makroskopisch, aber auch perku¬
torisch die entsprechenden Veränderungen erkennen lassen
wird. Entwicklung von Gasen aus dem Blute durch Leichen¬
zersetzung muß ausgeschlossen werden können. Ein derartiger
Ausschluß wird aber nicht möglich sein, wenn es sich um eine
Leiche handelt, die als solche älter wie 24 Stunden ist.
Nachdem nunmehr die Brusthöhle vollkommen freigelegt
ist, sollen entweder die gesamten Brust- und Hals¬
organe nach vorheriger Unterbindung der Aorta
und der Speiseröhre dicht über dem Zwerchfell im
Zusammenhang herausgenommen werden, oder es
sollen nach Eröffnung der Brusthöhle die Brustdrüse*) und
die Lungen entfernt, und dann die Halsorgane mit
dem Herzen, abermals nach Unterbindung der Aorta
und der Speiser Öhre dicht über dem Zwerchfell ent¬
fernt werden. Die alte Prüfung auf Schlußfähigkeit
der Schlagaderklappen durch Eingießen von Wasser
ist als unzuverlässig nicht mehr auszuführen. Doch
ist auch die bekannte Herausnahme des Herzens je nach den
Einzelheiten des Falles in Zukunft nicht etwa als verpönt an¬
zusehen. Es wird sich aber w’ohl in den meisten Fällen empfehlen,
Halsorgane mit Herz und Speiseröhre und Brustschlagader im
Zusammenhang herauszunehmen, nachdem die Lungen entfernt
sind. Es sei denn, daß man auf eine Lungenarterienembolie
fahndet, die man naturgemäß am besten nach Entfernung der
? ranzen Brustorgane im Zusammenhang auffinden kann. Jeden-
alls sind die seitlichen Einschnitte in die Vorhöfe und Kammern
noch in situ anzubringen, ebenso wie Größe, Gestalt, Farbe,
Konsistenz und Inhalt des Herzens in situ festzustellen sind.
Nach Herausnahme des Herzens mit den Halsorganen erfolgt
die Eröffnung der rechten Kammer, ebenso wie die der linken
Kammer in der bisher üblichen Weise. An letztere schließt
sich unmittelbar die Eröffnung der ganzen Aorta bis zum ab-
*) Thymus ist Brustdrüse, Mamma ist Milchdrüse.
bei geriehtlicheu Untersuchungen menschlicher Leichen vom 81. Mai 1982. 473
steigenden Brustteil an. Dann werden mit einer geknöpften
Schere (Bronchialschere) die vom Aortenbogen abgehenden
großen Schlagadern aufgeschoitten und daran anschließend die
Kranzgefäße des Herzens eröffnet. Es ist zu wünschen, daß
die Obduzenten bei der Wiedergabe der Befunde der letzteren
Unterschiede zwischen Kranzblutadern und Kranzschlagadern
machen; denn im wesentlichen sind es ja Erkrankungen der
Kranzschlagadern, die gerichtsärztliches Interesse haben. Erst
nunmehr werden die Verbindungsschnitte zwischen Vorhöfen
und Kammern angelegt und vom rechten Vorhof aus wird
noch die obere Hohlvene und die Azygos auf¬
geschnitten. Schließlich folgen noch Schnitte in die Herz¬
muskulatur (Hinterwand, Septum, Papillarmuskel) sowie in den
linken Schenkel des Reizleitungssystems (His-Tawarasches
Bündel), das dreiteilig sich verzweigend etwas unterhalb der
rechten Aortenklappe beginnt*), und das sich vielfach mit dem
bloßen Auge verfolgen läßt. Hierbei ist auf Narben, Blutungen
und Geschwülste usw. zu achten. Die Dicke der Wand ist zu
messen usw.
Die Untersuchung der Lungen hat im übrigen keine
Aenderung erfahren. Dagegen ist eine Aenderung in der Unter¬
suchung der Halsorgane insofern vorgeschrieben, als nun¬
mehr die Darmschere zwischen Zunge und Rachen¬
wand einzuführen und um die linke Gaumenmandel
herum in die Speiseröhre vorzuschieben ist. Letztere
ist dann in der Mitte aufzuschneiden. Gaumenmandeln
und Zäpfchen bleiben so in ihrem natürlichen Zu¬
sammenhang.
Die Untersuchung der Milz hat sich nicht verändert.
Hinsichtlich derNieren- und Nebennierenuntersuchung
wurde oben bereits auf die Notwendigkeit der Untersuchung
der zuführenden Arterien und des Harnleiters hingewiesen, bevor
die Nieren aus dem Zusammenhang entfernt werden. Bei der
Herausnahme der rechten Nebenniere und Niere soll das Zwerch¬
fell in vertikaler Richtung eingeschnitten und die Leber nach
links herüber präpariert werden, bis dann die Nebenniere und
die Pfortader freigelegt sind.
Die Untersuchung der Beckenorgane**) hat keine Aende¬
rung erfahren. Magen und Zwölffingerdarm werden wie bisher
eröffnet, dann wird die Durchgängigkeit des Gallenganges er¬
mittelt, dann soll der Gallengang bis zur Leberpforte auf¬
geschnitten werden, wie es bisher erfolgt ist, dann aber wird
die Leber besichtigt und herausgeschniten, um nun¬
mehr genauer untersucht zu werden. Dann soll die Gallen¬
blase aus ihrem Bette entfernt und über einem
*) Abgebildet u. a. inNauwerck: Sektionstechnik (Jena, QastavF i s c b e r
1921) and in L. Aschoff: Pathologische Anatomie, Band II, S. 7. (Jena,
Gustav Fischer 1921).
**) Gewiß hätte wohl mancher gern den Ausdruck Trompeten durch
Eileiter ersetzt gesehen (§ 20).
474 Dt. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte
reinen Gefäß aufgeschnitten werden, um gleich
wieder in die Leiche zurückgelegt zu werden. Nun
erst werden Magen, Zwölffingerdarm, Bauch¬
speicheldrüse, Bauchaorta und Gekröse — der Darm
kann schon vorher, nach Herausnahme der Milz oder der Neben¬
nieren oder Nieren entfernt werden — im Zusammenhang
herausgenommen und Magen und Zwölffingerdarm nach
Abspülen und Entfernen etwaiger Schleimmassen genau unter¬
sucht. Dann wird ein Schnitt durch die Bauchspeicheldrüse
vom Kopf bis zum Schwanz gelegt, und die Bauchaorta wird
mit der Darmschere aufgeschnitten.
Jetzt erfolgt die Untersuchung des Gekröses, des Dünn-
und Dickdarms in der üblichen Weise. Ob sich die neue Vor¬
schrift, daß das Aufschneiden der Därme auf dem Sektionstisch
nicht mehr vorzunehmen ist, sondern über einem entfernt
stehenden Behälter (Eimer, Kübel, Ausguß) wird allgemein
durchführen lassen, wage ich zu bezweifeln. Die Vorschrift ist
offenbar durch Erfahrungen, wie sie in gut eingerichteten
Sektionsräumen gemacht worden sind, veranlaßt, entspricht
aber kaum den Verhältnissen, wie sie bei der Mehrzahl der
gerichtlichen Sektionen herrschen werden.
Hinsichtlich des Verfahrens bei Vergiftungen sei auf
die oben gemachten Bemerkungen hinsichtlich der Blausäure¬
vergiftung, wie auch hinsichtlich der Reihenfolge der Körper¬
höhlen hingewiesen. Die Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle
an erster Stelle der inneren Besichtigung ist, wie ich wieder¬
holen möchte, eine Kannvorschrift. Gefordert wird eine Bereit¬
stellung folgender Organe zur chemischen Untersuchung: Gefäß
A. Blut, Gefäß B. Magen, Mageninhalt, Gefäß C. Dünndarm und
Duodenum, nebst Inhalt, Gefäß D. Dickdarm, nebst Inhalt, Ge¬
fäß E. Nieren, Gefäß F. Harn, Gefäß G. Leber und Gallenblase,
Gefäß H. Gehirn (nur bei narkotischen Giften), Gefäß J. ein
handtellergroßes Stück Bauch- oder Brusthaut und 5 g Haare
(nur bei Verdacht einer Arsen Vergiftung). Hinsichtlich der Ent¬
nahme der Erdproben und des Mittelstücks des Sargbodens bei
Enterdigungen unter Vergiftungsverdacht bleiben die bisherigen
Bestimmungen in Kraft (§ 4).
Ein besonderes Verfahren zur Bereitstellung von Organeu
bei Verdacht einer Vergiftung durch Einatmung, wie es bisher
vorgeschrieben war, wird in den neuen Vorschriften nicht ge¬
fordert. Auch die Bereitstellung von Teilen des Herzens, der
Lungen und der Milz zur chemischen Untersuchung ist nicht
mehr erforderlich. Aus welchen Gründen diese Forderung unter¬
blieben ist, geht aus den Vorschriften nicht hervor.
Was die Technik der Untersuchung anbetrifft, so ergibt
sich gegenüber dem bisherigen Verfahren keine Aenderung.
Es bleibt also dabei, daß zunächst die Brusthöhle untersucht
wird, und daß dann die Halsorgane nach Unterbindung der
Speiseröhre oberhalb des Magenmundes aus dem Zusammen¬
hang entfernt, aber nicht oberhalb des Zwerchfelles durchtrennt
bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. Mai 1922. 475
werden. Dann erfolgt die Untersuchung der Milz und der
Nieren sowie Nebennieren nach doppelter Unterbindung des
Zwölffingerdarms im oberen Drittel. Doppelte Unterbindung
zwischen Dünn- und Dickdarm und doppelte Unterbindung
oberhalb des Mastdarms. Es sind also insgesamt 7 Unterbin¬
dungen anzulegen. Finden sich ungelöste amorphe oder kristalli¬
nische Teilchen im Magen, dann sind diese nach Möglichkeit
zu sammeln und für die chemische Untersuchung aufzubewahren.
Bei Verdacht auf Trichinose soll die mikroskopische
Untersuchung des Magens und oberen Dünndarminhaltes an¬
gestellt werden. Ferner soll ein Teil der Zwerchfell-, Hais¬
und Brustmuskulatur zur weiteren Prüfung zurückgelegt werden.
Bei Fleischvergiftungen (Paratyphus B, Botulismus u. a.)
sind Proben zur bakteriologischen Untersuchung in der üb¬
lichen Form zu entnehmen. Ebenso sind auch bei Verdacht
auf Botulismus kleine Scheiben vom Gehirn, Brücke und ver¬
längertem Mark, sowie Rückenmark zur mikroskopischen Unter¬
suchung in absolutem Alkohol zu konservieren.
Die Obduktion von Leichen Neugeborener hat nach
2 Richtungen hin längst erwartete Neuerungen erfahren. Einmal
bringt der § 23 letzter Absatz die Vorschrift: „ergibt sich aus
der Beschaffenheit der Frucht, daß sie vor Vollendung der
26. Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Ab¬
stand genommen werden, wenn sie nicht von dem Richter
ausdrücklich gefordert wird“. Hiermit haben sich die Vor¬
schriften auf denselben Boden gestellt, wie das Bürgerliche
Gesetzbuch, in dem der 181. Tag als Beginn der Empfängniszeit
genannt ist, und wie das Hebammenlehrbuch, das mit 32 cm
Körperlänge eine standesamtliche Meldung verlangt. Es wird
hiernach in einschlägigen Fällen das vorläufige Gutachten dahin
abzugeben sein, daß das untersuchte Kind die Grenze der
Lebensfähigkeit erreicht (oder überschritten) hat, daß es neu¬
geboren war, und daß es ein Fruchtalter von so und soviel
Wochen erreicht hat. Dann wird in Nummer II des Gut¬
achtens auszusprechen sein, ob es gelebt hat und unter
Nummer III woran es gestorben ist.
Sodann ist eine zweite wichtige Neuerung, daß die
Magendarmschwimmprobe bei negativem oder zweifel¬
haftem Resultat der Lungenschwimmprobe angestellt werden
soll. Es wäre wohl zweckmäßig gewesen, ihre Anstellung in
allen Fällen zu fordern, insofern, als sie uns doch über die
Dauer des Lebens des Kindes nicht zu unterschätzende Auf¬
schlüsse zu geben imstande ist. Die neuen Vorschriften ent¬
halten die Magendarmschwimmprobe als Soll-Vorschrift nur
bei negativem oder zweifelhaftem Ausfall der Lungenschwimm¬
probe. Bei ihrer Anstellung sind, abgesehen von der Unter¬
bindung der Speiseröhre oberhalb des Zwerchfells wie bisher
2 Unterbindungen am Duodenum anzulegen und 2 Unterbin¬
dungen am Mastdarm. Es ist zu prüfen, ob eine fortgesetzte
Luftanfüllung von Magen und Darm vorhanden ist. Würden
476 Dr. Puppe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsirzte
nur einzelne Luftblasen hie und da vorhanden sein, so würde
das ein Befund sein, der für Gas bildende Leichenzersetzung
spräche. Ein Befund von Luft im Magen und in den oberen
20 cm des Zwölffingerdarms und des Dünndarms würde die
Annahme rechtfertigen können, daß das Kind länger, als nur
ein paar Augenblicke gelebt hat. Ich weiß sehr wohl, daß Er¬
fahrungen vorhanden sind, die dafür sprechen, daß eine kurze
Lebensdauer auch mit mehr oder weniger erheblicher Füllung
des Dünndarms vereinbar ist, muß aber bezweifeln, daß diese
Erfahrungen der Regel entsprechen.
Hinsichtlich der Lungenschwimmprobe sind 2 Aende-
rungen gegenüber dem bisherigen Verfahren zu verzeichnen.
Die Eröfmung der Luftröhre in situ oberhalb der Unterbindung
(bisher § 23 f) soll nicht mehr stattfinden. Ebenso soll auch
nicht mehr eine Durchschneidung der Luftröhre oberhalb der
Unterbindung und eine Entfernung der Luftröhre mit den ge¬
samten Brustorganen von dieser durchschnittenen Stelle aus
stattfinden (bisher § 23g) Vielmehr soll nach Unter¬
bindung der Luftröhre, die auch in den neuen Vor¬
schriften gefordert wird, die Brusthöhle eröffnet, der Zu¬
stand der Lungen, insbesondere ihre Lage ermittelt, der Herz¬
beutel und ebenso die einzelnen Herzabschnitte eröffnet und
ihr Inhalt bestimmt werden — alles wie bisher — dann aber
sind die Brustorgane im Zusammenhang mit den Halsorganen
herauszunehmen. Jetzt werden die Lungen abgeschnitten,
ihre Schwimmfähigkeit geprüft, dann erfolgt das Aufschneiden
des Herzens und der großen Gefäße, wobei auf die Durch¬
gängigkeit des Botanischen Ganges und des eiförmigen Loches
zu achten ist, und dann findet die Sektion der Lungen statt,
wie bei jeder anderen Leichenöffnung. Nunmehr erfolgt das
Einschneiden der Lungen unterhalb des Wasserspiegels, es wird
dann jeder Lappen auf Schwimmfähigkeit geprüft, und es findet
die weitere Fortsetzung der Lungenschwimmprobe in der bis¬
herigen Weise statt. Daß die Brustdrüse nicht erwähnt ist,
möchte ich nicht für zweckmäßig erachten. Diese Untersuchung
findet natürlich vor der Untersuchung des Herzens statt. Die
Feststellung ihres Gewichtes ist mir nicht nur bei Neugeborenen,
sondern auch bei Leichen von Kindern und gegebenfalls auch
von Erwachsenen, immer wertvoll erschienen (am besten mittels
Briefwage).
Die Notwendigkeit einer Untersuchung der Lungen bei
Verdacht auf Ertrinken in Flüssigkeit, Kot oder bei Verdacht
von Aspiration von Kindsschleim besteht naturgemäß nach
wie vor.
Daß die Vorschriften hinsichtlich der Untersuchung der
Kopf höhle eines Neugeborenen meinen Vorschlag, den
ich auf der letzten Hauptversammlung des Preußischen Medizinal¬
beamtenvereins in Magdeburg machte, und der sich auf eine
besondere Untersuchung der Hirnsichel und des Kleinhirnzeltes
bezieht, nicht enthalten, bedauere ich. Ich nehme wohl an,
bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 81. Mai 1922. 477
daß meine Anregung zu spät erfolgte, um noch Aufnahme in
die Vorschriften finden zu können. Hierbei weise ich noch darauf
hin, daß in der bekannten Sektionstechnik von Nauwerck
in ihrer neuesten Auflage (Jena, G. Fischer 1921) auf Seite 175
die Abbildung eines ganz ähnlichen, von 6. F i s c h e r empfohlenen
Verfahrens zu finden ist, und daß sonach auch mein Vorschlag
Anspruch auf die Beachtung weiterer Kreise haben dürfte.
Die Tatsache, daß die Vorschriften dieses Verfahren nicht ent¬
halten, wird den, der sich desselben einmal bedient hat, gewiß
nicht abhalten, auch in Zukunft nach meiner Empfehlung zu
arbeiten, wenn er die Untersuchung der Kopf höhle der Leiche
eines Neugeborenen vornimmt. Ich bin überzeugt, daß die Er¬
gebnisse die etwas größere Mühe rechtfertigen werden.
Hinsichtlich der Abfassung der Protokolle über die
Leichenöffnung, sowie der Begutachtung ist zunächst festzu¬
stellen, daß die Vorschriften im § 26, 27 usw. an dem Ausdruck
Protokoll festhalten, während im § 9 das Protokoll als „Befund¬
bericht“ bezeichnet wird. Wir werden uns wohl nach wie vor
der alten eingebürgerten Bezeichnung Protokoll bedienen wollen.
Ausdrücklich ist hervorgehoben, daß stereotype Wendungen zu
vermeiden sind. Der Bericht muß ein durch den Einzelfall
bedingtes möglichst bestimmtes Gepräge haben. Angaben über
negative Befunde (keine Auflagerungen, keine Flüssigkeits¬
ansammlungen, unverändert und unverletzt) sind nur dann zu¬
lässig, wenn nach der Lage des ganzen Falles oder nach den
bereits erhobenen Befunden derartige Veränderungen erwartet
werden konnten, sich aber nicht fanden. Zeigen sich in mehreren
Organen oder Organabschnitten dieselben Veränderungen, dann
soll nur das Abweichende von der ersten genauen Beschreibung
hervorgehoben werden. Befunde, die als nebensächlich an¬
gesehen werden, sind kürzer, aber ebenfalls genau zu beschreiben.
Die Vorschriften wiederholen die Mahnung der früheren
Vorschriften in § 26 drittletzter Absatz, daß über die technische
Ausführung der Leichenöffnung in ihren einzelnen Teilen nur
dann Angaben zu machen sind, wenn man von der vor¬
geschriebenen Form abweicht. Ich weise auf diese Bestimmung
ausdrücklich hin, weil häufig dagegen verstoßen wird. Daß
man die Untersuchung der Kopfhöhle im allgemeinen nicht
anders machen kann, als nachdem man einen von einem Ohr
bis zum anderen Ohr ziehenden Schnitt angelegt hat, ist ebenso
selbsverständlich, wie es klar ist, daß der Untersuchung der
Brust- upd Bauchhöhle eine Eröffnung dieser Höhlen durch
einen langen Schnitt durch Brust- und Bauchhaut vorangehen
muß. Ich zweifele nicht daran, daß diese sich in vielen Proto¬
kollen findenden Angaben Reminiszenzen anVirchows Muster-
Protokolle sind, die er im Anschluß an seine Erläuterungen
zum Regulativ von 1875 (Die Sektionstechnik im Leichenhause
des Charitdkrankenhauses mit besonderer Rücksicht auf gerichts¬
ärztliche Praxis, Berlin-Hirschwald) veröffentlicht hat, weil sich
hier derartige, durch die damalige Zeit wohl erklärliche An-
478 Dr. Pappe: Die neaen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte asw.
gaben finden. Mittlerweile wissen wir aber, wie Kopf-, Brust-
und Bauchöhle zu eröffnen sind, und es erübrigt sich ein dies¬
bezüglicher Hinweis im Protokoll. Nur z. B. dann, wenn die
Freilegung der Halsorgane durch eine Verlängerung des Schnittes
durch die Weichteile des Kopfes (unter „ weichenKopfBedeckungen“,
die sich ebenso, wie in dem ersten der erwähnten V i r c h o w sehen
Musterprotokolle, auch jetzt noch im § 14 der Vorschriften
finden, versteht man heute wohl allgemein etwas anderes), nach
unten zu bis zur Drosselgrube erfolgt, würde das in einem
Protokoll besonders erwähnt werden können (§ 19 Absatz 7).
Der in § 19 Absatz 8 angegebenen Methode der Anlegung des
Hautschnittes bis in die Unterlippe hinein mit Abpräparieren
der Wangen von den Unterkiefern und Durchkneifen der hori¬
zontalen Unterkieferäste nahe den Unterkieferwinkeln mit der
Rippenschere bediene ich mich wegen der Wichtigkeit von
Rachenverletzungen bei Neugeborenen in allen Fällen — ohne
das jemals im Protokoll zu erwähnen.
Wichtige Aenderungen enthält der § 28 der Vorschriften
hinsichtlich des vorläufigen Gutachtens und der er¬
gänzenden Untersuchungen. Letztere werden ihrer Be¬
deutung entsprechend ausdrücklich der alten Ueberschrift des
betreffenden Paragraphen (Vorläufiges Gutachten) angefügt.
Das Gutachten soll sich zuerst auf die Todesursache und zwar
nach Maßgabe desjenigen, was sich aus dem objektiven Be¬
funde ergiBt, nächstdem aber auf die Frage der verbrecherischen
Veranlassung richten. Allgemeine Bezeichnungen wie Herz¬
schwäche, Herzschlag, Lebensch wäche, Altersschwäche sindzu ver¬
meiden, vielmehr sind die anatomischen Veränderungen anzugeben,
die für den Eintritt des Todes verantwortlich gemacht werden
sollen. Ist die Todesursache in dem Zusammenwirken mehrerer
Organveränderungen zu sehen, so ist möglichst das Abhängig¬
keitsverhältnis der verschiedenen Veränderungen anzugeben.
Ist es nun aber nicht möglich gewesen, zu einem sicheren
Urteil über die Todesursache zu kommen, so haben das die
Gerichtsärzte wie bisher anzugeben, aber auch anzuführen,
welche Todesursachen etwa in Betracht kommen, und was zur
weiteren Aufklärung zu geschehen hat. Dabei sind in erster
Linie von den Gerichtsärzten ergänzende Untersuchungen
(mikroskopische, bakteriologische, serologische, experimentelle
und chemische) in Betracht zu ziehen und in zweiter Linie das
Aktenstudium und die weiteren Ermittlungen. Die Vorschriften
fordern in allen Fällen, in denen über wichtige Fragen eine
Aufklärung aus dem groben Leichenbefunde nicht zu erhalten
war, die Vornahme von ergänzenden Untersuchungen. Es ge¬
nügt auch nicht, yrenn der Verdacht auf eine Vergiftung aus¬
gesprochen wird, sondern es muß die Art der in Betracht
kommenden Vergiftung angegeben werden, oder wenigstens
müssen diejenigen Vergiftungen bezeichnet werden, die nach
dem Leichenbefund mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlich¬
keit ausgeschlossen werden können.
.Sommerversammlung des Medizinalbeamtenvereins der Provinz Sachsen. 479
Wenn die Untersuchungen von den Gerichtsärzten nicht
selbst vorgenommen werden können, dann soll den mit der
Untersuchung betrauten Stellen ein genauer Bericht über die
bisher erhobenen Befunde gegeben und bestimmt bezeichnet
werden, worauf sich die Untersuchung erstrecken soll. Bei den
bakteriologischen Untersuchungen ist an die kulturelle stets
eine bakterioskopische der betreffenden Teile anzuschließen. Es
wird auch empfohlen, sämtliche Leichenteile zunächst auf Eis
oder in mit dünner Formalinlösung oder Chloralhydratlösung
getränkten Tüchern aufzubewahren, da durch weitere Er¬
hebungen noch Anhaltspunkte für neue Untersuchungen ge¬
geben werden können. In Fällen, wo derartige Untersuchungen
nötig sind, oder wo zweifelhafte Verhältnisse vorliegen, ist ein
begründetes Gutachten ausdrücklich vorzubehalten.
Finden sich Verletzungen an der Leiche, so haben
sich die Gerichtsärzte über die Eignung in Frage kommender
Werkzeuge zur Zufügung dieser Verletzungen zu äußern.
Ebenso auch über die Art, wie der Täter, und über die Kraft,
mit der er verfahren ist. Werden bestimmte Werkzeuge nicht
vorgelegt, so haben sich die Gerichtsärzte, so weit das zu er¬
möglichen ist, über die Art der Entstehung der Verletzung zu
äußern.
Hinsichtlich der Erstattung des begründeten Gutachtens
bleibt es bei den bisherigen Vorschriften.
Die Vorschriften über das Verfahren bei der Leichen¬
schau enthalten im § 31 als Soll-Vorschrift, daß die Ein¬
schnitte in die Umgebung von Wunden zu unterlassen sind.
Ebenso wie das Einschneiden von Totenflecken, wenn eine
Verwechslung mit Blutaustretungen möglich wäre, das bei der
Sektion vorgeschrieben ist.
Die Untersuchung eines Menschen auf den Geisteszustand
kann wiederholt werden, so lange der Betreffende zur Unter¬
suchung zur Verfügung steht. Ebenso ist es mit Untersuchungen
auf Erwerbsfähigkeit bestellt. Eine schlecht ausgeführte Ob¬
duktion aber läßt sich nicht wiederholen; die Befunde werden
in der Regel — auch abgesehen von der Leichenzersetzung —
namentlich in verwickelteren Fällen so verwischt sein, daß eine
Wiederherstellung des Befundes beim Tode unmöglich wird.
Mit Recht sind deshalb die neuen Vorschriften für das Ver¬
fahren der Gerichtsärzte mit vielen Einzelvorschriften versehen
worden. Ich zweifele nicht daran, daß sie sehr schnell Gemein¬
gut der obduzierenden Gerichtsärzte sein werden — zum besten
der Rechtspflege! _
Aus Versammlungen und Vereinen.
Sommer-Versammlung des Medlzlnalbeamten-Verelns der
Provinz Sachsen am 9. Joll 1999 ln Blanmbnrg a. 8.
Es beteiligten sich an der Zusammenkunft 17 Medizinalbeamte; der
Bezirk Merseburg war gut, die Bezirke Magdeburg und Erfurt leider nur in
beschränkter Zahl vertreten; die Versammlung wurde an Stelle des durch
480 Sommer-Versammlung des Medixin&lbeamtenvereins der Provinz Sachsen
Krankheit in der Familie behinderten Herrn Pr. Klage -Wolmirstedt von Herrn
Hillenberg - Halle a. 8. geleitet.
Zar Tagesordnung sprach in einem eingehenden, recht beifällig auf¬
genommenen Referat Herr Hühnlein - Merseburg über das Thema: Kreisarzt
und Rassenhygiene.
Der Vortrag soll demnächst in der Medizinalbeamten-Zeitschrift oder in
den „Veröffentlichungen aus der Medizinalverwaltung" erscheinen, so daß von
der eingehenden Wiedergabe hier Abstand genommen werden kann. Es sei
aus dem Vortrag nur andeutungsweise hervorgehoben: Die große Bedeutung
der „Mendelschen Vererbungsgesetze“ wird in ihrer Gültigkeit auch für den
Menschen noch immer nicht ausreichend für die rassenhygienischen Bestrebungen
gewürdigt. Die Auswirkungen der schweren Keimschädigungen, wie sie be¬
sonders Tuberkulose, Syphilis und Alkohol bewirken, werden sich schwer noch
in der Zukunft zeigen; diese Zukunftsaussicht muß uns Medizinalbeamte auf
den Plan rufen zu tatkräftiger Mitarbeit bei einer gut durchdachten Eugenik;
die Arbeitsgebiete der Sozialhygiene, zu denen ja letzten Endes auch die
Eogenik gehört, sind weiter auszubauen. Die praktische Arbeit rassenbygieni-
scher Art darf nicht nur eine negative sein, sondern sie muß auch positiv sein;
es sind Ehe - Beratungsstellen einzurichten, die auf Grund sorglich geführter
Familientafeln ihre Tätigkeit ausüben; erfolgreiche Arbeit ist aber nur dann
zu leisten, wenn die Bevölkerung aufgeklärt ist; die Bedeutung der Ver¬
erbungsgesetze muß in ihren Grundlagen schon durch die Schule der Jugend
vermittelt werden. Verantwortung- und Gemeinschaftssinn muß wieder zur
vollen Geltung gelangen. Beschränkung der Kinderzahl ist, da ja erst im
reichen Kindersegen die Erbwerte sich auswirken können, abzulehnen; die Früh-
Ehe ist zu begünstigen, weil sie allein Aussicht auf Erfolg im Kampfe gegen
die Geschlechtskrankheiten verbürgt. Die Pflege des Menschenlebens ist min¬
destens mit derselben Sorgfalt durchzuführen, wie solche bei der Viehzucht in
Geltung ist. Die Steuer- und Lohnverhältnisse, die Lebens- und Wohn¬
bedingungen sind für unser Volk entsprechend den Artikeln 119—122, 161,
166 und 168 der Weimarer Verfassung zu gestalten: ganz besonderer Wert
im Interesse rassehygienischer Bestrebungen ist auf eine großzügige Boden¬
politik zu legen. In der Hauptsache werden wir auf Schaffung sozialwirt¬
schaftlicher Gesetze hinwirken müssen, die am meisten geeignet sind, den
gesunden Erbeinheiten zum allmählichen Debergewicht zu verhelfen.
In der Diskussion wurde u. a. von Herrn Bundt-Halle a. S. her¬
vorgehoben, daß vom Ausschuß für Rassenhygiene im Landesgesundheitsrat
dem Staat die Schaffung eines eigenen Forschungsinstituts vorgeschlagen sei;
von Herrn Jorns-Nordhausen wurde noch in eingehenden Darlegungen
entwickelt, daß die rassehygienischen Schäden unseres Volkes besonders dem
Hochkommen des Großstadtlebens auf Kosten des gesundheitlichen Landlebens
zuzuschreiben sind. Erwähnenswert ist noch der Hinweis, daß für etwaige
Vorträge zur Volksaufklärung auf diesem Gebiete Lichtbilder vom Hygiene-
Museum in Dresden beschafft werden können.
Ein weiterer Punkt der Tagesordnung betraf Besprechung der Leitsätze
von Wollenweber und Franz zu dem Thema: Die Dienstanweisung für
die Kreis- und Gerichtsärzte.
Herr Kühn lein wünschte, daß in der neuen Dienstanweisung eine
größere Selbständigkeit des Mediziaalbeamten bei gewerbehygienischer und
ähnlicher Tätigkeit klar zum Ausdruck komme; er müsse auch in der Lage
sein, die hygienischen Schuluntersuchungen ohne vorherige Benachrichtigung
des Schulrats zu machen, auch die Revisionen der Drogen- und Gifthandlangen
ohne Inanspruchnahme der Polizei vorzunehmen.
Herr Bundt-Halle a. 8., der als Vorsitzender des Preußischen Medizinal-
Beamten-Vereins am nächsten Tage zu einer Besprechung im Ministerium ein¬
geladen war, betonte nochmal die Notwendigkeit, daß in jedem Fall der Kreis¬
arzt die Uebersicht und Aufsicht über' die Fürsorgearbeit in seinem Kreise
behalten müsse; für die Schwestern ist eine Meldepflicht beim Kreisarzt zu
fordern.
Herr Hillenberg-Halle a. 8. macht gewisse Bedenken in bezug anf
die volle Selbständigkeit des Kreisarztes in der Gewerbehygiene geltend; es
genüge eine Verpflichtung für den Gewerbe -Aufsichts • Beamten, auch wirklich
bei allen hygienischen Fragen den Kreisarzt zuzuziehen.
Besprechungen.
481
Weiter wurde von Hillenberg die Schwierigkeit der Ausbildung aller
Gemeindeschwestern in der Desinfektion betont; weiter von ihm hervorgehoben,
daß es nicht möglich sei, regelmäßig Amts- oder Gemeindevorsteher zu den
Ortsbesichtignngen znznziehen.
Unter Sonstiges kam noch zur Besprechung:
Ein neuer Ministerial- Erlaß vom 26. Juni 1922 setzt neue erhöhte Ge¬
bühren für öffentliche Impfungen fest; die Bestimmung konnte nicht gleich¬
mäßig ansgelegt werden, so daß Klarstellung abgewartet werden muß. Als
eine außerordentliche Benachteiligung muß auch jetzt noch empfunden werden,
daß die Tagegelder bei gerichtsärztlichen Verrichtungen noch immer 20. bezw.
28 M. betragen. Es wurde weiter Kenntnis genommen von der Heranfsetzung
der Gebühren durch die Reichs-Versicherungs-Anstalt für Angestellte, die be¬
vorstehende Heranfsetzung der Gebühren für die Landes-Versicherungs-Anstalt
und die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft der Provinz; die Gebühr für
die vortrauensärztliche Atteste für die L.V. A. Sachsen-Anhalt ist ab 1. Juli d. J.
mit 60 M. in Aussicht genommen.
Am Nachmittag des Sonntags der Zusammenkunft unternahmen die Teil¬
nehmer mit ihren Damen einen Ausflug über Bad Cösen zur Rudelsburg. Mittag
hatten wir gemeinsam im Bürgergarteu in Naumburg zu uns genommen.
Dr. Kraemer-Calbe a. S.
Besprechungen.
Prof. Dr. H. Többen, Nervenarzt in Münster i. Westf.: Die Jugendverwabr-
losung und ihre Bekämpfung. Münster i. Westf. Aschen dörfische
Verlagsbuchhandlung. 1922. 246 8. Geh. Preis 36 M., geb. 44 M.
An der Hand eines außerordentlich reichhaltigen Materials bespricht Ver¬
fasser anschaulichst die Ursachen der Jagendverwahrlosung, die begründet
sind zum Teil in Anlageschäden, die von früher Jugend an nachweisbar sind,
oder auch in späteren Jahren erst hervortreten, zum Teil in Schädigungen
durch die Umwelt. Folgerichtig muß die Bekämpfung der Verwahrlosung er¬
setzen bei den Anlageschäden. Verfasser bespricht hier die Vorbeugungs¬
maßnahmen: Verhinderung der Fortpflanzung der Minderwertigen, Bekämpfung
des Alkoholismus und der Geschlechtskrankheiten, Schutz des keimenden
Lebens und Leibesübungen — und die Behandlung der Anlageschäden bei den
schwachsinnigen, epileptischen, psychopathischen, nervösen und geisteskranken
Kindern. Um die Umweltsch&den zu bekämpfen, gilt es vor allem eine Besserung
der WohnungsVerhältnisse herbeizuführen und Jugendpflege und Jugendschutz
in jeder Weise anszubauen. Ein fest verankertes Familienleben bleibt jeder¬
zeit der Angelpunkt für eine sittliche Erneuerung unseres Volkes, aber bei den
Massenschäden unserer Zeit müssen soziale Hygiene und soziale Psychologie,
soziales Recht und soziale Wirtschaft den Kampf mit auf nehmen.
Solbrig.
Tagesnachrichten.
Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins batte am
17. März d. J. bei dem Herrn Minister für Volks Wohlfahrt beantragt, allen
Mitgliodern der gerichtsärztlichen Ausschüsse' eine besondere Vergütung für
die Teilnahme an den Sitzungen zu gewähren. Darauf ist unter Bezug¬
nahme auf einen Erlaß, nach dem den „auswärtigen Mitgliedern der gerichts¬
ärztlichen Ausschüsse, soweit sie nicht Beamte sind, neben den bestimmungs¬
mäßigen Fahrkosten und Tagegeldern eine (Sachverständigen-) Vergütung in
Höhe des für die einheimischen Mitglieder zuständigen Anwesenheitsgeldes
von 50 Mark für jeden Sitznngstag gewährt wird“, von dem Herrn Minister
unter dem 26. Juli geantwortet, daß „die Gewährung dieser Vergütung an die
beamteten Mitglieder der gerichtsärztlichen Ausschüsse, welche durch die Teil¬
nahme an den Sitzungen keine Einbuße an ihrem Diensteinkommen erleiden,
sich nicht hat ermöglichen lassen.“
Hierzu ist zu sagen, daß es nach wie vor unbillig empfunden werden
muß, wenn die Vorsitzenden der gerichtsärztlichen Ausschüsse für ihre Mehr¬
arbeit keinerlei Entschädigung erhalten, während die Mitglieder, die doch zum
482
Tagesnachrichten
Teil gleichfalls yollbesoldete Beamte (Universitätsprofessoren) sind, für jede
Einzelleistang entschädigt werden.
Der Torsitzende des Preußischen Medizinalbeamtenrereins hatte Ge¬
legenheit, am 3. August dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt persönlich die
Wünsche im Sinne seiner Ausführungen in Nr. 15 dieser Zeitschrift vorzutragen
und ihn über die Stimmung unter den Medizinalbeamten zu unterrichten.
Wir dürfen zu unserm Vorsitzenden volles Vertrauen haben, daß er auch
hierbei in rechter Weise vorgegangen ist, und wollen hoffen, daß unsere be¬
rechtigten Wünsche in Erfüllung gehen.
Die neue Erhöhung der Beamtenbezüge in Preußen. Das Staats-
miuisterinm hat am 28. Juli d. J. in Uebereinstimmung mit dem Ständigen Aus¬
schuß des Landtags eine Erhöhung der Beamtenbezüge in der Weise vor-
genommen, daß der Ausgleichszuschlag für Grundgehalt, Ortszuscblag
und Kinderbeihilfen für den Monat Juli auf 160 v. H. und vom 1. August ab
bis auf weiteres auf 185 v. H. erhöbt wird. Der Sonderzuschlag für die ersten
10 000 M. im Betrage von 5500 M. bleibt, wie bisher bestehen. (Die Nachricht
in dieser Zeitschrift Nr. 13, S. 420, wonach der Sonderzuschlag für die ersten
10000 M. von 55 auf 95 v. H. erhöht wird, ist also.nicht richtig.)
Hiernach kann sich jeder auf Grund der in Nr. 12 mitgeteilten Zahlen¬
übersichten leicht berechnen, wie sich von jetzt an seine Einkommensverhält¬
nisse gestalten.
Daß mit dieser Aufbesserung auf längere Zeit geholfen sein wird, ist
leider bei dem in letzter Zeit unheimlich vor sich gehenden Sinken des Geld¬
wertes bei uns nicht zu erwarten.
In den Tageszeitungen liest man, daß im Beichsünanzministerium Ver¬
handlungen mit den Spitzenorganisationen der Beamtenschaft stattgefunden
haben, wobei es sich um Ergänzungen zu den bisherigen Besoldungsvorschriften
handeln soll. Hoffentlich führen diese Verhandlungen zu einem guten, die
Beamtenschaft einigermaßen befriedigenden Ende; denn auch die jetzt durch¬
geführten Aufbesserungen können leider nicht als ausreichende, der Mark¬
entwertung entsprechende Entlohnung angesehen werden.
Eine durch die rapide fortschreitende Geldentwertung notwendig ge¬
wordene Erhöhung der Gebühren — auch bei der R.V. A.f.A. — wird vom
Vorstand betrieben.
Todesfall. Am 16. Mai 1922 ist der Vorsitzende unseres Bezirksvereins,
Kreis Med.-Rat Dr. Katluhn in Insterburg, plötzlich durch den Tod aus unserer
Mitte gerissen worden. Ein Vorbild von Pflichttreue in seinem Beruf, von
Lauterkeit des Charakters und Freundestreue — so wird er unauslöschlich in
uns fortleben.
I. A. des Bez.-Vereins Gumbinnen Dr. Rehberg, Schriftführer.
Am 29. Juli und am 5. August fanden im Ministerium für Volks Wohlfahrt
Beratungen Uber die Ausflibrnngsbestlnunungen zum neuen Hebammen-
gesetz statt.
In der ersten Sitzung handelte es sich vor allem um die Gebühren¬
ordnung, die Bestimmungen über Einkommen und Ruhegehalt, die Ab¬
grenzung der Niederlassangsgebiete für freipraktizierende und der Bezirke
für Bezirks-Hebammen, die Alters-, Invaliditäts- und Krankenversicherung, die
Wahlen zur Kreis- und Provinzialhebammenstelie. Es wurde endlich über die
Versorgung der alten und schon jetzt nicht mehr berufsfäbigen Hebammen
und über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes verhandelt. Zugezogen
waren Vertreter der Stadt- und Landgemeinden, Aerzte, Hebammen und Ver¬
treter der Versicherungskörperschaften. Für den Preußischen Medizinalbeamten¬
verein nahm der Vorsitzende auf Einladung des Herrn Ministers teil.
Am 3. August kam die Aufnahme und Ausbildung der Hebammen¬
schülerinnen in die Hebammenlehranstalten, die Verlängerung und Gestaltung
des Unterrichts und die durch § IId des neuen Hebammengesetzes, welcher
i
TägesnacbrlchtOB. 48$
den Hebammen unter gewissen BödhigungÖn auch die „Mitwirkung bei der
Säoglingafärsorgo nach Maßgabe dör Milch en ßedftrlniase^ zur Pflicht macht,
nötig gewordene Ausbildung in der S'äuglingspllego und Säuglingafflrsorge zur
Verhandlung. Hier «rare» in erster Linie 4 Leitet von Hebammenlehraostaiten,
aber auch ein Kinderarzt und ein ProvinzialveFtrct^t die Mitberater, mit denen
•wiederum der Vorsitzende unseres Verein* Ä’agezogen war.
Die Beratungen waren durchaus geeignet, die Meduioalabteilung über
die Anschauungen der sachverständigen Kreise satäukiären, und f(Hirten last
durchweg zu eihtbjf üe^areinntiiunimig bber ih |iiizednejo Punkte. Sie werden
ihren NjedcrechJvtg in den zu erwArtemk» ÄnatuUrnngsbosümmungeu finden
Bei dem iJatlafig der zu trojßFendeti VerberoitungcB und vier Verschieden-
Leit dev Verhältnisse i» den einzelnen Landrsreileivwud das Gesetz trotz aller
liftstrÄoguagen der ve.antwort,ticben Behörden nacJt Ühereinatiiamender Änaicbt
der Mitberütoi nicht vor dem l.Aprii 1323 iu Kraft treieu können.
Geiegwitlicb der 43 Jahresversammlung »i«a. Deutschen' VgtidnÄ für
V-ffen.tli.cbe »resnsdheitaptfege zn Frankfurt h, M. fiudeiv die tersatnmlnog der
Vv-rvlulgiusg riet KommnuaWrzf»’ iu leitender fUeTl.ung statt. Näheres wird jkpiW
durch Anschlag Tuitgeteilt.
ftas abue preußische Hebajnmengvsetz wird spätestens am i. AprU 1923 .
in Kraft treten. Die Landratsimier sind bereits mit de» Vorarbeiten — Bin'
teilung der Bezirke bezw. Niedeflaasangsbezirka usw. — beauftragt. Ea t£f.»etbst~
verstand lieb, daß hierbei dte Kreisärzte witwrrken müsse», wenn sie auch dvw
. in Hettechi kommenden KnluÖ nicht Ar halten haben, Gegcbenenfaila iat Anfrage
beim Landrat Äögezeigt.
Dfu Ausfdhningsbeätihtmang^n wordcn orst hfe&rbtdiet. holfcntiicb in
öinetn Sinne, der den Uvrecbtigton W önschen der sachre fstäadigfen Kreisärzte
Rechnung trägt. Würde des kreiaa rxt in der KreishePanrotenrtfuI« etwa zum
„BtaatäähWüil“ geinioht, so wäre Mae schwere Schadlghdig de* ffebammeB-
wesens d3e : mjAsföbltdblidie Folge. ' ’
Seit dohresfdßi etwa erseiirunt hei dein großen medizinischen Verlage
von B p r i n g er« Berlin als ,2tachfolgersn der Vierteljahrsschriit für gericht¬
liche Modutln die „Deutsche Zeitschrift #ör die gesamte gerichtliche Medizin**.
Den Mitgliedern der Deutschen öseeiiscbstfi, für gcrtchtiicb*? und soziale Medizin
ist ein nicht unerheblicher Erlaß im Bezugspreise dieser mastergilt,igen zentral-
blattarllgen Monatsschrift tojn Verlage gewähfloifltet. Die große Mehrzahl
der Kreis- und Beairksärzte bat sich pflichtgemäß mit gerichtsarztücheu
Dingen zu befassen. Ich erlaube mir dafier al* Bchatzmeiater der Deutschen
Gesellschaft ffi rgert eh t liehe «hd; 6q*fk)<S: Medizin die Herren beamteten Kollegen
aufrniördetn, die MitgLedscb&ffc der Deutschen Dftselischsft für gerichtlich«;
und soziale Medizin and damit die Anwartschaft auf den Wesentlich verbilligten
Bezug der genannten Monatsschrift zu emerbeD. Actuei,düngen werden er¬
beten an den Schriftführer Prot. Kv.i Rester-Hsinborg. Hafeukrankenbaii«.
oder ain micli, Königsbctg i. P?., ObeHftak 10.
Prof. Kippe-Königsberg i Pr,
Stozlaihjgloniscbe Akademie Lharloltonburg* Der laufende Lehrgang
hat mit einer TeiloabmerzaM vor, 33 Yoltfcörern die Grenze der BelesziÖer
erreicht ; außerdem werden die ihm ungegliederten KreiaarztscMerknrsA, welche
den. Bedingungen der PröfiingsonlnÜDg unter S 4 Ziffe-r 5 geongen, von 26
Hörern besucht. Die starke PVeyuCnz beweist, daß sich die Erkennüiis der
Bedeutung des .soziaj-hjgr^lschöb und M>tiHUmedizitii$cbca DntemehlB in der
Aerzteschadft immer wetb* nosbveHet. Für die Kreisarztprufung ist die Teil-
nahino Ah einem soziALhygicMiacheh Lehrgang Vorbedlogang. Aber auch die
kömmurialen Behörden bevor* ag*o Auf Grund d,e3 ministeriellen Erlasses vom
28. - Bö»fc!t*hfc£ der beamteten Arztstellen solche Be¬
werber, die Uber die Öfgariiwätimo dbr Gesundheitsfürsorge eine beaenders sorg¬
fältige Ausbildung, wie sie die Akademie gewährleistet, nachweisen können. —
Dar 5. Lehrgang beginnt am 6. November 1932 und dauert bis zum 11. Februar
1923 mit Einschluß von 14 Tagen Weibnachtsferien. Der neue
484
Sprechsaal.
schien Ende Juli and ist gegen Voreioscndang von 6,60 iL oder gegen Nach¬
nahme durch das Sekretariat Charlottenburg, Krankenhaus Westend, Spandauer¬
berg 15/16 erhältlich. Anmeldungen und Anfragen sind ebendorthin an Prof.
Vers6 zu richten. Wohnungen werden auf Wunsch vermittelt.
Spreclisaal.
Zu der Anfrage und Antwort in Nr. 12 über ein Verfahren zur Vernich¬
tung von Kopfläusen macht Kreisarzt B. in E. darauf aufmerksam, daß in
Nr. 39, 1920 der Münchener med. Wochenschrift aus der Dermatologischen
Klinik in München über ein „neues Verfahren zur Bekämpfung der Kopfläuse
mit schwefliger San re“ berichtet ist; das Verfahren wird dort wegen seiner
Sicherheit und Billigkeit warm empfohlen.
Die 8. Zeit erteilte Antwort wurde erteilt auf Qrund einer Auskunft des
Breslauer Hygienischen Instituts, das auch nach erneuter Anfrage keine Er¬
fahrungen mit schwefliger Säure zu dem genannten Zweck gemacht hat.
Anfrage des Kreis • Med.. Kats Br. B. in Dr. : Ich werde telephonisch
zu einer gerichtlichen Leichenöffnung bestellt und aufgefordert, Instrumente pp.
mitzubringeD. Zum Zweck ev. näherer Untersuchung nehme ich Formalinlösung
mit, in der für ev. weitere Nachfrage Stücke von Lunge, Niere pp. aufbewahrt
worden sind. Zum Tragen von Instrumenten n. s. f. nehme ich einen Diener mit
An Ort und Stelle erfahre ich, daß es sich um die Leiche eines 4 Monate
alten Kindes handelt.
Das Gericht will 1. die Auslagen für Formalinlösung nicht erstatten;
2. es will ferner die Gebühr für Zu- und Abgang der Eisenb ahnfahr t, nicht
bezahlen, da „die Fahrt mit Wagen über Land teuerer als die gesetzlichen
Fahrkosten sind" (den Wagen batte ichQoicht bestellt und teilte ihn mit drei
Herren); 8. will es Reisekosten und Gebühr für den Gehilfen nicht bezahlen,
weil es sich um die Sektion eines 4 Monate alten Kindes handelte. Ist das
Gericht zu diesen Abzügen berechtigt? Brauche ich nicht für konservierende
Flüssigkeit zu sorgen? Muß ich die Auslagen tragen? Muß ich Instrumente u. s.f.
an Ort und Stelle schaffen und von und zur Bahn tragen mit allen Gläsern pp.,
die vorgeschrieben sind?
Antwort: 1. Die Auslagen für Formalinlösung sind, da diese gebraucht
wurde, vom Gericht zu erstatten;
2. Der für die Staatskasse billigste Reiseweg wird berechnet und da¬
nach bezahlt (bei Landweg vom Wohnort kein Ab- und Zugang, bei Eisen¬
bahnfahrt Ab- und Zngang);
3. Auslagen für Beförderung von Instrumenten und dergl. müssen be¬
zahlt werden (§ 27 der Ausf.-Beat. d. Reisekostengesetzes; Beschluß des Land¬
gerichts Neuwied vom 27. 2. 14, — diese Zeitschrift Beilage 1914 S. 81 —).
Die Aufwendungen für den Gehilfen sind zu erstatten unter der Voraussetzung,
daß am Ort keine geeignete oder keine billigere Hilfskraft zu haben war.
Anfrage des Kreis-Med.-Rats Dr. K.-B. in R.: Sind Zink-, Bor- und
Bleisalben in Blechdosen mit der Aufschrift „Ein Kosmetikum für den Haus¬
gebrauch" bezw. „Zink-Toiletten - Creme“ oder nur einfach „Zinksalbe“ in
Drogerien frei verkäuflich? Gleichzeitig bitte ich mir einige der neuesten
Gerichts-Entscheidungen darüber anzugeben.
M. E. unterliegen dieselben dem Apothekenzwang und sind nur als „zum
Gebrauch für Tiere“ freigegeben.
Antwort: Kosmetische Mittel sind auch als Heilmittel dem freien Ver¬
kehr überlassen (0. L. G. Düsseldorf v. 4. 4.1908 und Hamm v. 16. 6. 1908).
Auch Salben, z. B. Borsalbe, köonen zu kosmetischen Zwecken außerhalb der
Apotheken abgegeben werden (K. G. v. 9.1. 1909 u. 0. L. G. Köln vom 24.2.1911).
In dem Urteil vom 24. 2.1911 des O.L. G. Köln ist Zinksalbe als Kosmetikum
angesehen. In der Regel gelten jedoch Bleisalbe und Zinksalbe als Heilmittel
(K. G. vom 15. 6.1909 und 0. L. G. Köln (Str.- 8. vom 8.10.1909).
Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Kat In BresUn
Breslau V, Rehdlgerstrafie 34. — Druck von J. O. C. Brnos, Minden 1. W.
35 Jabrfl. Nr.i7
ZEITSCHRIFT
5, Sept 1022
FÜR
I.H88 mitbeqründel u»u von 1882 Ins 1922 tisrausgegeben voir Geb. Med.-Rai Prbktjf. RAPMUHDi
Zenfralblaf I
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des Staate
tictien und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und
öffentliche Gesundheitswesen, «InscjÖ* der firaktlschen usd soziale» Hygiene.
Hrraus^^flrctü von
51 t'ilUrit Pr. üiimlt -ffulh a. Ob6r*Rt*sr.-Ki»fc Dr, • Frivk-hiniriMv-Mfincben,
Pwjf* Pr. Iv^ui^Ailindton* <U L Me«!.- Rat. Prof .IV CrV .MoL
i ? rof. I)r. Straß fimmi - lU»f Hu, <>!>. -Dx. Wwiter-Dr^lea und Kreisarzt
l>ortjnatind^
Offizielles Organ des üeutschen. Preusslschen. Bayerischen Slehsischen.
WürtteiBtiörgisChen. Badiscöeo. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen
und Sraunsehwsioisclien Medlzinafbeaintenveretns. ,:y--
Eins Beilage; R8Ghtspnich«nq uod Mediziua^ßsetzpbuog.
$chrittleitun£: Verlag:
fipij. Mel*8ai Or Solörtg, Flsctiür's raeö. llucfihandliing H. Kornleld,
Reg.-«. Med.-Rat lo tirolai». Berlin W. 62» Heiitisrraßa *>.
Bezugspreis für das Jahr: tot» M.. durch die Pust bezogen: 103 M.
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Seirew »ngfarft, mn di« Wirkung dbr
«»ri4**liw»» K' ini'<i:.<'uten Ärt |h• *.<
KiUlgn. ryftilt nur m kumulier««,
ludikuriomm:
Ißtrippe. Tt« mentlieh» went» a»- mit
l r..r-> i-ii . •! •,i;U;:b.dCllCs<‘blat- tiireur
dt*» : IJjjjstwtirciK yertjq:»den %f.,
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hirarslhleil. •teiiw'gr.Pi; Und -yer-
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0/y’: u" '»iriiJndsr In'rb'ein.
ICn.sseii zqt \-Vrtixdt»i%«g' »»->«***#?; ^
% OoeilecfeeÜli Ciieio. Fabrik, Berlio N 4,«»Leipzig
34. Jab rer.
Zeitschrift für Medizinalbeamle,
Nr, 17.
INHALT.
Abhandlungen:
Zur neuen Ib'^infrkiionsordnuiis. Von Di .
Hallenborgor.. . . 4&5
Do tfwulfrhr Re^eiaiig der ,Xa«humer-
jmchawifen 4 beim Typhös- »bdontln&Jb.
Von r>r. Gerhard Wagner .... 490
UV&äf Vacoinola der Koiijunktit». Von T»r.
Meyer. \ m
Zur Frag** <b*r Noch prÜfiing der Protokolle
von L«deh<*tiofTiilinken und der Dufachf»'U
'in Enimundi»*ung«*ücben durch die gc-
rtrbr?>Ärzf.Üeben Aw^Bcfru^^. Vou Prof.
Nljijic ..49S
Luftcijihoiiv bei fcri mindlem Abort Von
dk Möller .......
Nci-vöfcc Erseht» p.fimcr- und Zurechnungiifiihig-
keit- Von Ur. W Horst manu . . . 504
Xur Besoldun<fkfragfe. Vom Schriftleiter 505
Au* Versammlungen irnd Vereinen,
Vors*xnm!itngr des Bc/Ji-k*vi n lns Potsdam
der j>rt;Ußi>oin';n Medifclniilbeainbni in
Berlin Balserla Frledrirbluiu* Dir fingt-
liehe Fortbiidubg am 13* JuÜ 1022 ,
Kl 3inere Mitteilungen und Referate aus
Zeitschriften.
Gewerbehygiene.
DK Schoenfeld: Zur Frühdiagnose dej-
Bleivor^iruing ......... 5i»7 P^rvcnälVo,
PHv.-Doä, Dr. Schwarz: Zur Blotonter
itH buogr 1» dicken Tropfen bei Bi*ikraok-
beiWverdacht , *. . . , . v
Dr Schoenfeid: l>*s drohende Bhiw. iü-
▼erböi und dte Methode der ßlutunf^j—
Wbuug 4 )$ Abwehrnjitrel ....
Dtp}.-lag. tieydrlch Tödlicher i Y nfal! *0
einer Sißdcidi’uikapaonun^^MriUg-e . r> 0 >
Dr. Krunsc: Vergiftung.-mit „Montaum’ .
l'rof. Dr. Holtzniauo: Utwerhliehe Ver«rif-
lungcii dtirr-h gasförmige Blaus*ui> beim
Vergolden und V» Bibern . . . , ßjg
Dr« Opitz ’ Urber LuugenenirßbduTnriiTi bei
Thomas-rbla^krnnieljlarbelterD . . =,<ig
Dr. Bvirkhardt: Handel* #*« sieh M den
M»‘werbekrttnkbeHen der Stein kohlen -
brlkeD-fulvriken am chromsebe Ar^ii-
vrrgiDüUg-* ........
Besprechungen . . , . .
Tagesnaohriehten . . . /
Spreohsaal.
Finlüdunge rt zu Versammlungen
Beilage
M»*di*iuölj;o>ot3{g«>bünj: . ,
Umschlag:
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vereins durch 3, C. C. BRUNS, Buchdrucker ti. MINDEN i. WESTE.
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HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstraße 28
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Anzeigen angenommen. Die durchgehende Petitzeile kostet M. 2,50.
H5. Jahre:.
Zeitschrift, fhr Medizioalbeamte.
Nr. 17.
Personalien.
Deutsches Reich und Preunn.
Ernannt: Dr. med. Mallwitz zom Beg.-Bat beim Ministerium für
Volkswohlfabrt; Kreisassistenz&rzi Dr. 8 c h u r i a n zom komm. Kreismedizinalrat
in Langensalza; Dr. Gundelach zom Kreisassistenzarzt in Cassel-Stadt.
Erledigte Stellen.
Prenssan.
Za besetzen: Die dnrch den Staatshaushalt neogeschaffenen Stellen eines
Strafanstaltsarztes für das Untersuchungsgefängnis Berlin • Moabit und
die Strafgef&ngnisse in Berlin-Tegel und Plötzensee. Der Arzt beim Unter-
suchungsg« fängni8 Berlin-Moabit wird der Besoldungsgruppe 11 und die beiden
übrigen der Besoldungsgruppe lu eiugereibt. Die Ausübung vor Privatpraxis oder
sonstiger ärztlicher Nebentätitjkeit wird nicht gestattet werden. Bewerbungen
sind unter Beifügung eines Lebenslaufes bis zum 15. September 1P22 nur an
den Herrn Generalstaatsanwalt des Kammergerichts in Berlin W. 57, Elßholz-
straße 82 schriftlich einznreichen.
Toramin
(Trichlorbutylmalonsaures Ammonium D. R. P.)
wirkt stark herabsetzend auf die Erregbarkeit
des Atmungs« und Verdauungsapparates,
ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
Praktisch be- ffiiclOVI fast jeder Art und Entstehung
währt gegen AA115* IC Am sowie gegen nervöse Störun«
f en der Magen« und Darmtfttigkelt wie Anfstoßen,
odbrennen, Magen- nnd Darmnenralgien, Uebelkeit, Erbrechen
(auch Hyperemesis gravidarum).
TnPUItlin ist frei von narkotischer u. drasti
A VA alftlAAl scher Nebenwirkung, daher auch bei
Schwächlichen, Kindern und älteren Leuten in wirksamer
Gabe gefahrlos anwendbar.
Zu verordnen in Tabletten (1 Originalröhrchen mit
25 Tabletten 4 0,1 g M. 4.80) oder als Mixturen mit
aromat. Wasser oder Sirup, vorteilhaft auch ver¬
bunden mit Expectorantien oder Guajacolpräparaten.
Ausf&hrliche Prospekte, Literatur, Bezeptformeln
sowie Proben kostenfrei durch
AtMedt i Redeker. Mute Fabrik. Mogei-hra.
Der Schweleivergaser „HYA“ ^
ist auf dem Gebiete der UngOziefervertllgung unerreicht durch seine
Billigkeit, Handlichkeit, einfachste Handhabung ohne Vorkenntnisse, stets absolut
sichere Wirkung, Betriebssicherheit, völlige Unschädlichkeit auf Wohnungs¬
einrichtungen, Stoffe, Metalle, Nahrungs- und Futtermittel, und sollte wegen
dieser Vorzüge in keiner Desinfektionsabteilung von Kreisen und Kommunen,
Krankenanstalten, Kliniken, Heil- und Kuranstalten fehlen. Die Sanierung
von Bäumen jeder Art bis zur völligen Wiederbewohnbarkeit nimmt 8—4 8tunden
in Anspruch, ln kurzer Zeit ist HTA bei kommunalen und staatlichen Be¬
hörden, bei der Eisenbahn und in Strafanstalten, in der Industrie und bei
Hausbesitzern hundertfach eingeführt.
Man verlange kostenlos Prospekte nnd Beferenzen.
Chemische Industrie« und Handelsgesellschaft m. b. H.
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postopw&tiveti akuten Dnrm1Uh«tmm*n« ■££ . ; , ■
||» I HPhPPlfifr -Swh vbrbeMer'
int yyVullui Iljtj * im Verfahren.
■ svpruft. Kar tons m. S, 6 , 13 Aiop. von
MjfetÖf*. Jt.
486
Dr. Hallenberger.
Der erste und grundlegende Mangel der neuen Vorschriften,
den wir Kreisärzte, an denen die Verhandlungen mit den
Gemeindebehörden doch letzten Endes hängen geblieben sind,
in den letzten Monaten recht zu fühlen bekommen haben, liegt
darin, daß mit dem Erlassen der neuen Desinfektionsordnung
nicht auch den Gemeindebehörden die Bereitstellung des zu
ihrer Durchführung nötigen Personals auf gesetzlichem Wege
zur Pflicht gemacht worden ist. Ein Anheimstellen oder
Empfehlen hat bei der durch die schlechte Finanzlage bedingten
Voreingenommenheit der Gemeindebehörden gegen jede mit
Mehrausgaben verknüpften Neuerung nicht den gewünschten
Erfolg. Daß die Personalkosten unter Umständen recht er¬
hebliche sein werden, ist zweifellos, wird in den neuen Vor¬
schriften auch zugegeben mit der Bemerkung, daß die vor¬
handenen Desinfektoren zur Durchführung der laufenden Des¬
infektion nicht ausreichen werden, wobei gleichzeitig die
Heranziehung der vorhandenen Kiankenpflegepersonen, in der
Hauptsache der Krankenschwestern, zur Verminderung der
Kosten empfohlen wird. Das ist leichter gesagt als getan.
Zunächst gibt es doch sicher noch recht viele Gemeinden ohne
Schwestern, andererseits ist es verfehlt, zu glauben, daß die
vorhandenen Schwestern ohne weiteres einem eventuellen An¬
suchen der Gemeindebehörden auf Uebernahme der laufenden
Desinfektion für die Allgemeinheit entsprechen werden. Die Ge¬
meindekrankenpflege wird meist durch konfessionelle Schwestern
der Kirchengemeinden ausgeübt, und deshalb haben die Schwestern
mit der politischen Gemeinde vielfach gar nichts zu tun. Wenn
sich solche Schwestern bereit finden, ist es freier, guter Wille,
und der ist, wie ich erfahren mußte, nicht immer vorhanden,
und ist er vorhanden, dann scheitert die Bereitschaft der
Schwestern gar nicht selten am Gegenwillen des Publikums.
Der Katholik will keine evangelische Schwester, der Evangelische
keine katholische Schwester, und der Religionslose, deren
Zahl gerade in den Bevölkerungskreisen, in denen eine scharfe
Ueberwachung der laufenden Desinfektion am nötigsten ist,
dauernd zunimmt, will keine konfessionelle Schwester bei sich
sehen.
In allen Fällen, wo eine Desinfektionsschwester nicht vor¬
handen ist oder nicht gewünscht wird, muß der dann hoffentlich
noch vorhandene Desinfektor die Ausführung und Kontrolle
der laufenden Desinfektion übernehmen, nota bene; wenn er .
kann. Dafür, daß er häufig nicht können wird, haben die neuen
Vorschriften gesorgt, dadurch, daß den Haushaltungsvorständen
das Recht gegeben wird, dem Desinfektor die Tür des Kranken¬
zimmers zu verschließen. Seine Tätigkeit wird darin bestehen,
daß er alle paar Tage hingeht, die Desinfektionslösungen her¬
richtet und belehrt; eine Kontrolle, ob die Belehrungen auch
befolgt werden, und was aus den Desinfektionsmitteln wird,
ist ihm unmöglich gemacht, wenn er das Krankenzimmer nicht
Zar neuen Desinfektionsordnung.
<87
betreten darf. Da genügt es auch, wenn der Gemeindevorsteher
die Desinfektionsmittel mit gedruokter Anweisung durch den
Gemeindediener hinschickt, ein Verfahren, das die neue Vor¬
schrift ja vorsorglicherweise für die Orte ohne jegliches Des¬
infektionspersonal vorgesehen hat.
Wenn Herr Geheimrat Lentz schreibt, daß naoh seinen
Erfahrungen die Bevölkerung im allgemeinen bestrebt sei, dem
Desinfektor seine Aufgabe nach Möglichkeit zu erleichtern, so
trifft das nur bedingt zu, aber er widerspricht sich auch solbst,
denn im Absatz vorher ist zu lesen, daß leider auoh heute
noch die Desinfektion sich keiner besonderen Beliebtheit bei
der Bevölkerung erfreue und daß diese Abneigung naturgemäß
auch diejenigen treffe, die von Amtswegen diese Desinfektion nus-
führen müssen. Das letztere ist richtig und trifft gerade wieder bei
den Bevölkerungsschichten zu, bei denen eine gründliche Des¬
infektion am allernötigsten wäre. Wenn in diesen Preisen erst die
Tatsache bekannt ist, und das wird sehr rasch der Fall sein, daß
dem Desinfektor der Zutritt zum Krankenzimmer verwehrt
werden darf, dann wird von diesem Recht sehr ausgiebig Ge¬
brauch gemacht werden. Es bleibt dann bei der Unmöglichkeit,
die laufende Desinfektion zu kontrollieren, gar nichts anderes
übrig, als auf die alte Schlußdesinfektion zurückzugreifen, von
der man dann nur hoffen kann, daß sie nicht mehr so oft wie
bisher zur Komödie wird, weil der Desinfektor den Zeitpunkt
der Genesung, des Todes oder der Ueberweisung in ein Kranken¬
haus etwas rechtzeitiger erfahren wird. Eine Gewißheit, daß
die Schlußdesinfektion rechtzeitig ausgeführt wird, ist bei der
Neigung vieler Leute, diese Desinfektion mit allen Mitteln zu
hintertreiben, aber auch dann noch nicht gegeben.
Mehr, wenn auch nicht vollen Erfolg, verspreche ich mir
von der m. E. mit Recht von Engelsraann geforderten Melde¬
pflicht der erfolgten Genesung seitens der behandelnden Aerzto.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß dieselbe Abneigung,
die gegen die Desinfektion bei weiten Bevölkerungskreisen in
Erscheinung tritt, bei der Aerzteschaft gegen das Meldewesen
wie gegen jeden obrigkeitlichen Zwang besteht. Ohne gesetz¬
liche Handhabe kommt man aber nicht aus, denn wenn man
beim Studium der, in Nr. 6 der Volks Wohlfahrt veröffentlichten
Nachweisungderl920sanitätspolizeilichgemeldetenErkrankungen
und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten festgestellt, daß,
um nur einige Beispiele herauszugreifen, 42°/ 0 Diphtherietodes¬
fälle, 26 °/ 0 Tuberkulosetodesfälle und 22 °/ 0 Typhustodesfälle
sanitätspolzeilich nicht gemeldet worden sind, obwohl hierfür
die Anzeigepflicht besteht, dann wird man einen Rückschluß
machen können, wieviel Genesungen bei nur persönlicher Ver¬
ständigung mit den praktischen Aerzten nicht zur Meldung
gelangen werden. Ich habe mir die erdenklichste Mühe ge¬
geben, auf dem Wege der Verständigung zu einer lückenlosen
Meldung der ansteckenden Krankheiten zu gelangen, erst auf
Dy. fftllf ber g cr .
m
dev letzten Versammlung des hiesigen Aerzteverems hab«? ich
wieder Ober das Thema gesprochen mit dem Erfolg, daß m ier
darauffolgenden Woche 2 Tuberkulosetodesfälle und 1 Si-harlacfe-
todesfall nicht gemeldet wurden. Den Optimismus des Ham
Lentz, der sich soviel von der verständnisvollen Mitarbeit der
praktischen Aerzte verspricht, kann ich nicht teilen; es müßte
denn die neue Desinlektionsordnung, die ja den behandelndes
Aerzten mehr Aufgaben zuweist als den staatlichen Medizinal¬
beamten, eine tiefgreifende Aenderung in dieser Hinsicht bei
vielen praktischen Aerzten hervorrufen.
Gewiß gibt es viele Aerzte, die uns treue Helfer sind und
weiter sein werden, andere aber sind uns nicht nur nicht Helfer,
sondern sie durchkreuzen unsere Anordnungen, nicht aus bösem
Willen, sondern, und das ist besonders in der jetzigen Zeit
menschlich verständlich, aus Rücksicht auf ihre Praxis. Ich
habe es gerade noch in den letzten Wochen erfahren müssen,
wie bei zwei Diphtheriefällen meine Anordnungen durch haus-
ärztliche Gefälligkeitsatteste unwirksam gemacht werden sollten,
und ein Arzt hat Scharlacherkrankungen, wie er selbst zu-
f egoben hat, nicht angezeigt, um den Leuten die Kosten und
'nannehmlichkeiten der Desinfektion zu ersparen. So handelnde
Aerzte werden uns keine verständnisvollen Mitarbeiter sein;
glücklicherweise stehen diese vereinzelt da, sie aber sind es,
für die ein gesetzlicher Zwang vorhanden sein muH.
Der Ansicht des Herrn Lentz, daß die neuen Vorschriften
bei den Desinfektoren keine Beunruhigung hervorrufen könnten,
da kein Desinfektor entlassen zu werden braucht, muß ich
widersprechen, denn in der Tat haben sie Beunruhigung hervor¬
gerufen und m. E. mit Recht, denn da, wo die neue Desinfektions¬
ordnung wirklich eingeführt wird, wird ein Teil der Desinfek¬
toren überflüssig sein. Die Beruhigungspille, die mit dem
Hinweis auf die Absicht, geeignete Desinfektoren durch eine
besondere Ausbildung zu fördern und, um ihnen den Aufstieg
in höhere Gehaltsstufen zu ermöglichen, ihre Anstellung als
Gesundheitsaufseher den Kreisen und Gemeinden zu empfehlen,
gegeben werden soll, verfehlt ihre Wirkung bei Leuten, die,
wie die Desinfektoren, dauernd mit Widerständen bei den Kreis-
und Gemeindebehörden zu kämpfen haben. Jedenfalls ist mein
eingehend begründeter Antrag, den Kreisdesinfektor als haupt¬
amtlichen Kreisgesundheitsaufseher anzustellen und mir als
Hilfskraft beizuordnen, vom Kreisausschuß damit sofort ab-
f jelehnt worden, daß das eine zu starke finanzielle Belastung
ür den Kreis sein würde, und von diesem Gesichtspunkt aus
werden auch die Gemeinden sich ihrer Desinfektoren zu ent¬
ledigen suchen, sobald sie Krankenschwestern für die laofende
Desinfektion zur Verfügung haben.
Viel wichtiger als die Frage der Entlassung oder Nicht¬
en tlassung einer Anzahl von Desinfektoren ist m. E. die Frage
Zur neuen Desinfektionsordnung.
489
nach der Entlohnung, die den verbleibenden nebenamtlichen
Desinfektoren für die Ausführung und Kontrolle der laufenden
Desinfektion gezahlt werden soll; das wird bei der Neigung der
Kreise und Gemeinden, den Desinfektoren nicht einmal den
Lohn eines Straßenkehrers zuzubilligen, noch harte Kämpfe
kosten. Deshalb wäre auch hier eine Regelung von staats-
wegen am Platze gewesen.
Und was bleibt uns zu tun übrig? Der Verfasser der
neuen Vorschriften meint zwar, daß den Kreisärzten durch die
Neuordnung des Desinfektionswesens eine größere Verantwortung
auf dem Gebiete der Bekämpfung der übertragbaren Krank¬
heiten erwächst, ich habe mir aber über das „Inwiefern“ in
Anbetracht der nicht weg zu disputierenden Tatsache, daß durch
die neuen Vorschriften die Anordnung und damit die Verant¬
wortung für die Desinfektionsmaßnahmen mehr und mehr auf
die behandelnden Aerzte übergeht, vergeblich den Kopf zer¬
brochen. Oder soll etwa diese größere Verantwortung dadurch
bedingt sein, daß wir uns in jedem Falle rechtzeitig ein Urteil
darüber zu bilden haben, ob die Vornahme einer Schlußdes¬
infektion durch einen Desinfektor nötig ist, daß wir eine ein¬
gehende Kontrolle der Desinfektionen durchführen und uns
dauernd über die Zuverlässigkeit der Desinfektoren und der
Desinfektionsschwestern unterrichten müssen? Das haben wir
doch bisher auch schon getan; wenn aber der Verfasser der
neuen Vorschriften gemeint hat, daß wir uns an Ort und Stelle
orientieren sollen, dann hätte er uns auch verraten müssen,
wo ein Kreisarzt, der sein eigener Sekretär, Schreiber und
Aktenhefter ist, dem dienstlich weder ein Fernsprecher noch
ein Fahrzeug zur Verfügung steht, die Zeit zur Ausführung
dieser Kontrollen hernehmen soll, die einen der empfohlenen,
aber leider noch in unbestimmten Fernen befindlichen Kreis¬
gesundheitsaufseher voll beschäftigen würden.
Wie ich schon eingangs erwähnte, ist mir der Grund¬
gedanke der neuen Desinfektionsordnung sympathisch, bei ihrer
jetzigen Fassung stehen aber ihrer Ein- und Durchführung
Schwierigkeiten entgegen, die nur der Medizinalbeamte draußen
zu erkennen vermag, und es wäre wohl richtig gewesen, wenn
erfahrene Kreisärzte aus Stadt- und Landkreisen zu der Be¬
arbeitung mit herangezogen worden Wären. Aber das kann ja
noch geschehen, da eine Neufassung der zudem vielfach recht
unklaren Vorschriften kommen muß und wird; die Anfänge
sehen wir ja schon im Erlaß I M III 2629 vom 7. 1. 22. Aber
auch dann wird die Ein- und Durchführung der neuen Des¬
infektionsordnung nur mit Hilfe einer straffen Organisation
möglich sein, und die kann heute mehr denn je nur auf dem
Wege des Gesetzes und nicht durch Vereinbaren und Empfehlen
erreicht werden.
490
Dr. Gerhard Wagner: Die gesetzliche Regelung
Die gesetzliche Regelung der »Nachuntersuchungen 4
beim Typhus abdominalis.
Von Dr. Gerhard Wagner, Direktor des Medizinaluntersnchungsamtes
der Freien Stadt Danzig.
Als ein wichtiges Mittel zur Verhütung der Weiter¬
verbreitung des Typhus abdominalis haben sich im Verlaufe
des letzten Jahrzentes die Nachuntersuchungen bewährt, d. h.
bakteriologische Untersuchungen des Stuhles und Harnes der
Erkrankten nach erfolgter klinischer Genesung. Sie fußen auf
der Beobachtung, daß auch nach Abklingen der Krankheits¬
erscheinungen noch Typhuskeime in den Ausscheidungen vor¬
handen sein können, ja daß zuweilen die Keime nach Beendigung
der Krankheit häufiger in den Ausscheidungen gefunden werden,
als es während der Krankheit der Fall war. Die Erkenntnis,
daß der Zeitpunkt der Genesung im klinischen und im bak¬
teriologischen Sinne nicht zusammenfällt, ist für die Seuchen¬
bekämpfung naturgemäß sehr wichtig, da die Gefahr der Ueber-
tragung erst nach Eintritt der letzteren als beseitigt angesehen
werden kann. Dementsprechend würde nach epidemiologischen
Gesichtspunkten die Absonderung des Kranken erst dann auf¬
zuheben sein, wenn die bakteriologische Genesung festgestellt
ist; von den ja glücklicherweise verhältnismäßig seltenen Fällen,
in denen die Ausscheidung der Keime infolge ihrer Dauer-
ansiedlung im Körper (zumeist und hauptsächlich in der Gallen¬
blase) lebenslänglich erfolgt und in denen aus humanitären
Gründen auf die Absonderung verzichtet werden muß, soll hier
nicht die Rede sein.
In der Tat hat sich in der Seuchenbekämpfung eine ent¬
sprechende Praxis eingebürgert; es werden nach erfolgter Ge¬
nesung, aber vor Aufhebung der Absonderung, mehrfach Stuhl-
und Harnproben der bakteriologischen Untersuchung zugeführt,
bis die Abwesenheit von Typhuskeimen durch mehrmaligen
negativen Ausfall sichergestellt scheint. Daß es sich hier nur
um eine scheinbare Sicherung handelt, liegt einmal in der
methodologischen Unmöglichkeit, aus einer Stuhlprobe mit
Sicherheit jeden einzelnen Typhuskeim aus der Riesenzahl der
normalerweise vorhandenen Darmkeime herauszuzüchten, und
anderseits daran, daß die Ausscheidung nicht gleichmäßig, son¬
dern schubweise erfolgt. Mit anderen Worten: je mehr Nach¬
untersuchungen vorgenommen werden, umso größer wird bei
negativem Ausfall die Wahrscheinlichkeit, daß die bakterio¬
logische Genesung tatsächlich erfolgt ist. Die Militär- und
Marinebehörde hatte daher während des Krieges angeordnet,
daß nach Beendigung der Krankheit noch 10 im Abstande von
je einer Woche erzielte negative bakteriologische Befunde vor¬
liegen mußten, ehe Entlassung aus dem Lazarett erfolgen durfte.
Ich habe es mehrfach erlebt, daß, nachdem bereits 8 oder 9
negative Ergebnisse Vorlagen, der Rekonvaleszent also seiner
baldigen Lazarettentlassung entgegensehen durfte, die zehnte
der „Nachuntersuchungen“ beim Typhus abdominalis.
491
Untersuchung durch positiven Ausfall diese Hoffnung zunichte
machte und nunmehr das Spiel wieder von vorne begann, da
ja 10 aufeinanderfolgende Ergebnisse verlangt wurden. Daraus
ergibt sich, daß die bakteriologische Rekonvaleszenz sich sehr
lange hinziehen kann — sie braucht deswegen durchaus noch
nicht zur lebenslänglichen Keimträgerschaft zu werden —, so-
daß selbst die zehnmalige, negative Untersuchung keine voll¬
kommene Sicherheit für Keimfreiheit bietet. Immerhin war
damit aber doch eine weitgehende Vorsichtsmaßnahme ge¬
schaffen; jedenfalls entsinne ich mich keines Palles, in dem
von einem so gründlich Nachuntersuchten weitere Infektionen
ausgingen. Leider ist dieses Verfahren nur unter militärischen
Verhältnissen durchführbar, denn eine mindestens zehnwöchige,
oft aber erheblich längere Ausdehnung der Absperrung über
den eigentlichen Genesungstag hinaus ist im bürgerlichen
Leben — schon wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen
Nachteile — nicht möglich.
In Preußen ist in dieser Hinsicht in § 18 der Ausführungs¬
anweisung zum Gesetz betreffend die übertragbaren Krank¬
heiten vom 28. 8. 1905 bekanntlich vorgeschrieben:
„Geht die Krankheit in Genesung über, so ist die Absonderung nicht
eher aulzuheben, als bis sich Ausleerungen des Kranken bei zwei, durch
den Zeitraum einer Woche von einander getrennten bakteriologischen Unter¬
suchungen als frei von Typhusbakterien erwiesen haben.“
Diese Vorschrift ist in mehrfacher Hinsicht zu bemängeln.
Zunächst ist nicht oder zum mindesten nicht mit ausreichender
Genauigkeit der Zeitpunkt festgesetzt, von dem ab die Unter¬
suchungen als Nachuntersuchungen zu gelten haben, d. h. von
dem ab der zweimalige, im Abstand einer Woche erfolgte
negative Ausfall den Anspruch auf Aufhebung der Absonderung
begründet. Die landläufige Auffassung, daß der Vordersatz:
„Geht die Krankheit in Genesung über“ eine zeitliche Be¬
deutung habe, also gleichbedeutend sei mit: „Nachdem die
Krankheit in Genesung übergegangen ist“ erscheint — zum
mindesten formalrechtlich — nicht als stichhaltig. Im Zu¬
sammenhang mit den vorangehenden Absätzen des § 18 be¬
trachtet, ist dieser Vordersatz vielmehr als rein konditionell
zu bewerten; sollte ihm eine zeitliche Bedeutung zukommen,
so müßte man erwarten: „Ist die Krankheit in Genesung
übergegangen, so ist usw.“, auch müßte dann im Nachsatz
nicht von Ausleerungen des „Kranken“, sondern des „Gene¬
senen“ gesprochen werden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes
ist der Untersuchungspflicht genügt, wenn zwei negative, durch
den Zeitraum von einer Woche von einander getrennten Unter¬
suchungsergebnisse vorliegen, gleichgültig, ob diese Unter¬
suchungen während oder erst nach Beendigung der Krankheit
veranlaßt wurden. In der Tat ist mir diese Auffassung während
meiner Tätigkeit in der „Planmäßigen Typhusbekämpfung in
Mitteldeutschland“ mehrfach, u. a. auch bei einem Medizinalbeamten
begegnet, der die bakteriologische Genesung als eingetreten
492
Dr. Gerhard Wagner: Die gesetzliche Regelung
ans&h, wenn überhaupt zwei aufeinander folgende Stuhl- bezw.
Harnuntersuchungen negativ ausgefallen waren einschließlich
der im Laufe der Krankheit — vielleicht sogar zur Sicherung
der Diagnose — veranlaßten. Dieses Verfahren ist epidemio¬
logisch sicher falsch, man kann ihm aber nicht entgegenhalten,
daß es im Widerspruch mit dem Wortlaut des Gesetzes stände —
höchstens könnte man einwenden, daß es sich dann eben nicht
mehr um „Nachuntersuchungen“ handeln könne; indessen
diesen Begriff kennt das Gesetz nicht. Vielmehr spricht der
Umstand, daß im folgenden Satz des gleichen Paragraphen der
Anfangstermin der zehnwöchigen Frist, nach der der Kranke
bei fortdauernden Bazillenfunden als Bazillenträger anzusehen
ist, ausdrücklich auf den Beginn der Krankheit verlegt wird,
eher dafür, daß dem Gesetzgeber mit dem Vordersatz: „Geht
die Krankheit als Genesung über usw.“ die Absicht, den Zeit¬
punkt der Genesung als Stichtermin für die Nachuntersuchungen
festzusetzen, tatsächlich ferngelegen hat; denn er würde dann
vermutlich für den Beginn der zehnwöchigen Frist nicht noch
ausdrücklich einen andern Stichtermin eingeführt haben. Jeden¬
falls erscheint der Wortlaut des § 18 Abs. 5 vom heutigen
Standpunkt als keineswegs eindeutig und als einer dem heutigen
Stande unserer Erfahrungen entsprechenden Interpretation drin¬
gend bedürftig. Will man mit mir annehmen, daß der Vorder¬
satz: „Geht die Krankheit in Genesung über usw.“ überhaupt
keine zeitliche Bedeutung hat, so könnte man vielleicht sagen,
daß im Gesetz zwar überhaupt nichts darüber steht, von
welchem Termin ab die Nachuntersuchungen als wirksam für
eine Aufhebung der Absonderung zu betrachten sind, daß aber
das Gesetz in dieser "Hinsicht nach dem jeweiligen Stande der
epidemiologischen Erfahrungen auszulegen ist — ist doch der
Interpretation eines jeden Gesetzes die Fiktion der höchstmög¬
lichen Vollkommenheit der betreffenden Vorschrift zu Grunde
zu legen.
Vorzuziehen wäre zweifellos bei einer Neuregelung des
Gesetzes vom 28. 8. 1905 eine schärfere Fassung dieser Vor¬
schrift, indem die zeitliche Bedingtheit der Nachuntersuchungen
von dem Eintritt der klinischen Genesung zweifelsfrei zum
Ausdruck gebracht würde, ja es würde sich meines Erachtens
empfehlen, auch diesen Termin objektiv festzulegen und viel¬
leicht die endgültige Entfieberung als Kriterium für den Beginn
der Rekonvaleszenz zu wählen.
Weiterhin ist in der jetzigen Vorschrift die geringe Zahl
der zur Aufhebung der Absonderung berechtigenden Nach¬
untersuchungen zu bemängeln. Zwei derartige Ergebnise, auch
wenn sie im Abstande von einer Woche aufeinander folgen,
und selbst wenn sie erst in der Rekonvaleszenz gewonnen
werden, geben so gut wie keine Sicherheit dafür, daß nicht
später noch weitere Ausscheidung erfolgt. So habe ich im
Bezirk Jena der Typhusbekämpfung in Mitteldeutschland im
Verlaufe eines Jahres nicht weniger als drei Y ontaktfälle erlebt,
der „Nachuntersuchungen“ beim Typhus abdominalis. 498
die von zweimal regelrecht nachuntersuchten Genesenen aus-
gingen. In richtiger Würdigung dieses Uebelstandes ist durch
Rundschreiben des Reichskanzlers (Reichsamt des Innern) vom
14. 5. 1900 eine dritte, ebenfalls im Abstande von einer Woche
vorzunehmende Nachuntersuchung für ratsam erklärt worden.
Aber auch das bedeutet nur einen weiteren Sicherheits¬
koeffizienten, abgesehen davon, daß eine gesetzliche Pflicht zur
dritten Nachuntersuchung damit nicht begründet wird.
Mithin sind die gesetzlichen Bestimmungen über die Nach¬
untersuchungen, auch wenn man sie auf den Tag der Genesung
bezieht, als unzureichend zu bezeichnen. Ja es liegt eine ge¬
wisse Gefahr in ihnen, insofern ihre Einhaltung eine Sicherheit
vortäuscht, die in Wirklichkeit nicht besteht.
Eine Abhilfe in dieser Hinsicht ist nur auf dem Wege
der gesetzlichen Neuregelung bezw. durch Abänderung der zur¬
zeit geltenden Ausführungsanweisungen möglich. Eine Aus¬
dehnung der Absonderung etwa in dem Maße, wie die Militär¬
behörde es mit der zehnmaligen Nachuntersuchung bezweckte,
erscheint, wie schon oben betont, undurchführbar. Die für die
Dauerausscheider getroffene Bestimmung, daß zehn s Wochen
nach Beginn der Krankheit auch bei positivem Befund die Ab¬
sonderung aufgehoben werden darf, zeigt, daß der Gesetzgeber
sich der praktisch durchführbaren Grenzen einer Absonderung
wohl bewußt ist; nimmt man an, daß die typhöse Erkrankung
im Durchschnitt 4 Wochen in Anspruch nimmt, die Rekon¬
valeszenz weitere 2—3 Wochen, so ergibt sich als die Ansicht
des Gesetzgebers, daß man einen klinisch Gesunden aus Rück¬
sichten auf seine Umgebung allerhöchstens 3 bis 4 Wochen von
der Oeffentlichkeit absperren darf. Die Vermehrung der Nach¬
untersuchungen, die an sich unumgänglich notwendig ist, kann
mithin nicht in der Weise vorgenommen werden, daß sie eine
Verlängerung der Absonderung mit sich bringt. Vielmehr wird
man auf die letztere verzichten und sich mit einer medizinal-
polizeilichen Aufsicht begnügen müssen, ebenso wie das Gesetz
das für die Dauerausscheider bereits getan hat. Es wäre also
zu fordern, daß jeder Typhusrekonvaleszent für längere Zeit,
etwa für 12 Wochen nach eingetretener entgültiger Entfieberung,
einer medizinalpolizeilichen Beobachtung zu unterstellen wäre,
die sich neben der Durchführung der notwendigsten Vorsichts¬
maßnahmen auf dem Gebiete der persönlichen Sauberkeit und
der laufenden Desinfektion, vor allem auf die Durchführung der
mindestens einmal in jeder Woche vorzunehmenden Nachunter¬
suchungen der Ausleerungen (Stuhl und Harn) zu erstreoken
hätte. Die Beobachtungszeit wäre entsprechend zu verlängern,
falls innerhalb der erwähnten 12 Wochen positive Befunde er¬
hoben werden. Ob daneben die Verlängerung der Absonderung
bis zum Vorliegen zweier negativer Befunde im bisherigen Sinn
noch aufrechtzuerhalten wäre, mag dahingestellt bleiben. Der
durch sie gewährleistete Schutz ist nach meiner Erfahrung
fragwürdig, um so mehr, als die Absonderung im Privathaushalt
494
Dr. Meyer.
stets nur eine mehr oder weniger lückenhafte ist. Als Nach¬
teil der hier angeregten Neuregelung kann es erscheinen, daß
die längerdauernde medizinalpolizeiliche Beobachtung von den
verantwortlichen Medizinalbeamten eine höhere Arbeitsleistung
fordert, als es bei der kurzfristigen Absonderung wenigstens
dann der Fall war, wenn sie im Krankenhaus vor sich ging.
Sollte sich indessen, wie zu erwarten, in Zukunft aus dem Des¬
infektor der Gesundheitsaufseher entwickeln, so wäre hier für
diesen ein passendes Arbeitsfeld gegeben. Aber auch durch
Heranziehung der Gemeindeschwestern kann sich der Kreisarzt
in dieser Hinsicht entlasten.
Ich möchte daher empfehlen, dem § 18 der Ausführungs-
anweisung etwa folgende Fasssung zu geben:
„Geht die Krankheit in Genesung über, so wird der Genesene vom Tage
der endgültigen Entfieberung noch für 12 Wochen der Beobachtung des zu¬
ständigen Kreisarztes unterstellt, ln dieser Zeit ist mindestens einmal
wöchentlich durch bakteriologische Untersuchung der Ausscheidungen (StoJü
und Harn) festzustellen, ob der Genesene bereits frei von Krankheitskeimen
ist. Ist das nicht der Fall, so wird die Beobachtungszeit entsprechend ver¬
längert.“
Den in einer derartigen Neuordnung liegenden Gewinn
sehe ich — meine obigen Ausführungen zusammenfassend —
darin, daß erstens dem bisher zum mindesten sehr auslegungs¬
bedürftigen § 18 ein eindeutiger Wortlaut gegeben wird. Weiter
aber würde dem genannten Paragraphen das für eine gesetz¬
liche Vorschrift besonders peinliche Odium eines Versuches der
Seuchenbekämpfung mit unzulänglichen Mitteln genommen
werden, durch den noch dazu in der Umgebung des Kranken
ein Gefühl der Sicherheit hervorgerufen wird, das sachlich nicht
begründet ist. _
Uefoer Vaccinola der Konjunktiva.
Von Geh. Med.-Bat Dr.‘Meyer, Kreisarzt in Göttingen. f
Im Band IX, Heft 7 der Veröffentlichungen aus dem Ge¬
biete der Medizinalverwaltung (1919) kommt Med.-Rat Prof. Dr.
Meder, der Vorsteher der Preuß. Impfanstalt in Köln, .zu dem
Schlüsse, daß die echten (originären) Kuhpocken, von denen die
Jennersehe Schutzpockenimpfung ihren Ausgang nahm, heute
bei uns als eine äußerst seltene Erkrankung angesehen werden
müssen. Er führt eine Reihe von Uebertragungen, namentlich
auf Stallpersonal an aus der Literatur, aus denen hervorgeht,
daß die Kuhpocken doch immer wieder bei uns Vorkommen,
namentlich wenn man bedenkt, daß eine Reihe leichter Er¬
krankungen gar nicht zur Kenntnis des Arztes kommt. Da¬
gegen hat er bis zum 21. November 1913, an welchem Tage
ihm durch einen Augenarzt in Köln ein derartiger Fall vor¬
gestellt wurde, keinen Fall von Uebertragung echter Kuhpocken
vom Tiere auf das menschliche Auge gesehen oder in der
Literatur beschrieben gefunden, während Infektionen des Auges
mit Schutzpockenlymphe dagegen eine ganze Anzahl ver-
üeber Yaccinola der Koojanktrva.
496
öffentlicht sind. Meder hebt hervor, daß die Vaccineinfektion
des Auges meist am Lidrande beobachtet wird, während Er¬
krankungen der Bindehaut und der Hornhaut nur seltener be¬
schrieben worden sind Im Handbuche der gesamten Augen¬
heilkunde von G r a e i e - Saemisch (1904: 84.—90. Lieferung)
wird darauf hingewiesen, daß die Vaccinola (Impfpustel), auf
deren Vorkommen zuerst Hirschberg hingewiesen hat, (Impf¬
bläschen an den Lidern: Archiv für Augenheilkunde VIII, S. 187,
vom Jahre 1879), fast ausschließlich am Lidrande oder in seiner
nächsten Umgebung sich findet, da der Lidrand die geeig¬
netste Stelle für die Haftung des Impfstoffes bildet, weil
die Epitheldecke hier zart und durchfeuchtet ist und leicht
defekt wird. Die Entwicklung der Impfpustel ist nun folgende:
auf einer leicht geröteten und geschwellten Stelle des Lidrandes
oder der Lidfläche bildet sich eine Papel mit durchscheinender
Stelle, die sich in der weiteren Form eines Bläschens ungefähr
bis zum Umfange einer kleinen Erbse vergrößert. Das Bläschen
ist perlmutterartig grau gefärbt mit einer dellenartigen zen¬
tralen Einziehung und entwickelt sich ungefähr am 8.—10. Tage,
unter Zunahme der entzündlichen Schwellung, zu einer eitrigen
Pustel, die aber nicht, wie an anderen Stellen, vertrocknet.
Der Grund hierfür muß darin gesucht werden, daß die Lid¬
ränder beständig mit Bindehautflüssigkeit benetzt und dadurch
eine Vertrocknung unmöglich gemacht wird. Zur Nedden
meint, daß infolge der schon früh eintretenden Lidschwellung
die Lidränder voneinander gedrückt, und dadurch die in der
Entwicklung begriffenen Bläschen zum Platzen gebracht würden.
Der Grund eines solchen Impfgeschwüres ist mit einem pseudo¬
diphtherischen Belage bedeckt, häufig besteht eine Neigung
zur Vergrößerung, teils durch Necrose der die erkrankte Stelle
umgebenden Haut, teils, weil in der nächsten Nähe des pri¬
mären Geschwürs sekundäre Infekte stattfinden. Gehen die
Geschwüre ineinander über, so kann die ganze laterale Hälfte
des Lidrandes in ein einziges Geschwür verwandelt werden,
oder es bestehen mehrere Infekte isoliert, und der Lidrand er¬
scheint mit einer größeren Zahl nebeneinander gereihter Impf¬
pusteln besetzt. Selten greift ein Geschwür des Lidrandes auf
die Tarsalbindehaut über, häufiger erfolgt auf dem Wege
des Kontaktes ein Infekt der Skleralbindehaut, und zwar an
der Stelle, die der erkrankten Stelle des Lidrandes gegenüber¬
liegt und bei der Lidbewegung auf der Oberfläche der Skleral¬
bindehaut scheuert. Der Heilungsverlauf erfordert 3—4 Wochen.
Von 38 bekannten Erkrankungen des Lidrandes wurde nur ein¬
mal die Hornhaut, dreimal die Bindehaut befallen. Bei der
Entwicklung von Impfpusteln auf der Bindehaut sind die Reiz¬
erscheinungen wie die Schwellung, die Infektion der Bindehaut,
die Chemosis noch ausgesprochener als bei den Erkrankungen
des Lidrandes, regelmäßig entwickelt sich auch bei dieser
Lokalisation eine typische Schwellung der Präaurikulardrüse
und nicht selten ein fieberhafter Zustand. Es bilden sich flache
496
Dr. Meyer.
Substanzverluste mit weißlich-grauem, leicht abziehbarem
Belage, die in kurzer Zeit ohne Närbenbildung verheilen.
Eine eigentliche Pustelbildung auf der Bindehaut wird nur selten
beobachtet. Die Prognose dieser Bindehauterkrankungen wird
dadurch getrübt, daß in ihrer Folge nicht selten eine sekun¬
däre Erkrankung der Hornhaut auftritt. — Differentialdiagnostisch
kommt in Betracht in erster Linie Diphtherie; dagegen spricht
die Erfahrung, daß Diphtherie am Lidrande nur ganz ausnahms¬
weise vorkommt, in der Regel sich damit eine Diphtherie der
Bindehaut verbindet. Ferner kommt noch der weiche und
harte Schanker in Betracht. Der weiche Schanker ist äußerst
selten an den Lidern anzutreffen, zeigt scharfe Ränder und
einen speckigen Belag und hat die Neigung, in der Länge und
in der Tiefe fortzuschreiten. Beim harten Schanker erscheint
der Grund speckig und graugelb, die Umgebung ist hart in¬
filtriert, der Belag läßt sich nicht abwischen. In zweifelhaften
Fällen muß man in erster Linie nach geimpften Kindern suchen,
bei hartem Schanker käme der Nachweis von Spirochaeten in
Betracht.
Ich habe geglaubt, diese kurze Schilderung der Vaccinola,
welche der Beschreibung in Graefe-Saemisch entnommen ist,
aufführen zu müssen, um den Impfärzten das Bild derselben
ins Gedächtnis zurückzurufen. Ich glaube nicht fehlzugehen
in der Annahme, daß den meisten Impfärzten die Vaccinola
ein unbekanntes Gebiet ist, daß viele dieselbe überhaupt noch
nicht gesehen haben. Ich impfe nunmehr bereits fast 40 Jahre,
seit einer Reihe von Jahren 2000 Kinder, und habe sie in
2—3 Fällen gesehen. Ich will mit Meder gern glauben, daß
viele Fälle von Impfpusteln dem Impfarzte überhaupt nicht zur
Kenntnis kommen.
Wie kommt nun die Uebertragung des Impfstoffes auf das
Auge zustande? Ohne Zweifel in manchen Fällen durch Selbst¬
infektion. Die Kinder kratzen sich an den geimpften Stellen
des Arms und reiben mit den infizierten Händen an den
Augen oder an anderen Körperstellen. Die Haftung des Impf¬
stoffes erfolgt leicht an solchen Stellen, wo die Haut mazeriert
oder eine ekzematöse Erkrankung vorhanden ist, was besonders
für den Lidrand zutrifft. Nach Pi hl waren unter 50 Fällen
von Lidvaccine 8 durch Selbstinfekt entstanden. Gewöhnlich
aber entwickelt sich die Erkrankung durch Uebertragung des
Impfstoffes von Geimpften auf andere durch mit Lymphe ver¬
unreinigte Finger, durch gemeinschaftlichen Gebrauch, von Hand¬
tüchern, Badewannen und ähnlichen Gegenständen; bei Kindern
erfolgt die Uebertragung oft schon durch Umgang mit geimpften
Geschwistern, bei Müttern und Pflegerinnen durch die Wartung
geimpfter Kinder, vielleicht auch durch mittelbare Berührung
z. B. beim Anlehnen mit der Gesichtsfläche. Infektion von
Aerzten beim Impfgeschäfte erfolgt unmittelbar oder durch
Uebertragung des Impfstoffes, wahrscheinlich durch die ver¬
unreinigten Hände. Eigenartig ist der Fall E 4 n g 1 e t o n, den
Ueber Vaccinol» der Konjunktiv».
497
auch Meder erwähnt, in dem einem Arzte beim Impfen ein
abgesprungenes Stück Tube mit etwas Kuhpockenlymphe in
das Auge geflogen war.
Wenn man die Literatur der Vaccinola betrachtet, so
werden von den einzelnen Autoren stets nur vereinzelt beob¬
achtete Fälle erwähnt. In der Denkschrift zur Beurteilung des
Impfgesetzes „Blattern und Schutzpockenimpfung vom Jahre
1896“ heißt es über die Uebertragung von Impfstoff auf das
Auge: „Fälle solcher Art sind selten und durch geeignete Auf¬
sicht der Kinder leicht zu vermeiden, wie denn auch die vom
Bundesrate herausgegebenen VerwaltungsVorschriften für die
Angehörigen der Impflinge verordnen, daß die Impfstellen mit
größter Sorgfalt vor dem Aufreiben und Zerkratzen zu bewahren
sind.“ Kirchner führt in seinem Hefte „Schutzpockenimpfung
und Impfgesetz“ vom Jahre 1911 die Uebertragung von Vaccine
auf die Lidränder, die Bindehaut und Hornhaut des Auges nur
kurz an, indem er hinzufügt, daß letzteres zuweilen zu einem
Hornhautfleck führen könne mit dauernder Herabsetzung des
Sehvermögens. Bei diesem seltenen Auftreten der Vaccinola
muß es aulfällig erscheinen, daß während der Impfperiode des
verflossenen Jahres 1921, und zwar in den Monaten Mai und
Juni, in der Universitäts-Augenklinik in Göttingen 6 Fälle von
Vaccinola beobachtet wurden:
1. Walter Fiacher-Göttingen, 6. J. Der Bruder dieses Knaben war
von mir am 18. Mai geimpft worden; beide Brüder haben in einem Bette ge¬
schlafen. Beginn der Liderkrankung am 1. Juni. Heilung ohne Komplikation.
2. Hans Romanowsky, 1‘/» J., aus Adelebsen. Kind, war bisher
nicht geimpft, war auch angeblich mit geimpften Kindern nicht in Berührung
gekommen, so daß der Zusammenhang unklar ist.
8. August Voßmer, 6 Jahre, Landwirtskind, Gottstreu (Kr.Hofgeismar)
14 Tage nach der Impfang eines 8 Monate alten Geschwisters Entzündung auf¬
getreten. Erkrankung doppelseitig, günstiger Verlauf ohne Hornhautkomplikation.
4. Helene Bartels, 27 J, Katzenstein. Das Kind der Patientin wurde
Ende AprU geimpft, Erkrankung der Mutter am 7. oder 8. Mai. Günstiger
Verlauf.
6. Frida Grote, Landwirtsfrau, Sehlem (Kr. Alfeld) hat ein geimpftes
Kind, bei dem die Impfstellen sehr stark angegangen waren, bei sich im Bette
gehabt. Verlauf ohne Komplikation.
6. Luise Hillebrand, 83 J., Landwirtsfrau, Dinkelhausen. 10 Tage
vor der Erkrankung war das Kind mit starkem Erfolge geimpft worden. Ver¬
lauf ohne Komplikation.
Wir sehen auch hier, daß bei allen Fällen der Verlauf ein
günstiger ohne Hornhautkomplikation war, daß in 5 Fällen ein
Zusammenhang mit einem geimpften Kinde nachzuweisen war.
Man muß annehmen, daß auch im Falle 2 ein solcher statt¬
gefunden hat.
Ich möchte zum Schlüsse nun die Frage aufwerfen, wie
kommt es, daß gerade im Jahre 1921 ein so häufiges Auftreten
der Vaccinola beobachtet wurde. Die Patienten stammen aus
den verschiedensten Kreisen des Reg.-Bez. Hildesheim, ein Fall
aus dem Reg.-Bez. Cassel. Die Impfung selbst kann natürlich
nicht in Frage kommen, ebensowenig die Lymphe, oder gerade
eine besondere Unvorsichtigkeit der Angehörigen der Impflinge.
498 Nippe: Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen
9
Meiner Ansicht nach kann nur ein Grund in Frage kommen,
nämlich die überaus starke Hitze, welche bereits ira April, Mai
und Juni 1921 überall herrschte. Nicht umsonst heißt es in den
Beschlüssen des Bundesrats zur Ausführung des Impfgesetzes vom
22.März 1917, A. § 1, Abs. 5: es empfiehlt sich, öffentliche Impf uogen
während der Zeit der größten Sommerhitze zu vermeiden; diese
Meinung ist sicher deshalb ausgesprochen, weil bei starker Hitze
die Impfstellen, wie jeder erfahrene Impfarzt weiß, eine stärkere
entzündliche Reaktion zeigen als bei kühler Witterung. Die
Entzündungsränder sind stärker ausgeprägt, meist ist das ganze
Impffeld eine stark gerötete Fläche, die Impfschnitte erscheinen
breiter und länger, die Bläschen sind größer und stärker ge-
gefüllt. Ich führe dies darauf zurück, daß infolge der Hitze
und des Schweißes eine Infektion der Impfstellen durch ver¬
unreinigten Schweiß stattfindet. Dementsprechend ist auch die
Sekretion aus den geöffneten Impfstellen eine stärkere und hier¬
durch eine leichtere Uebertragung auf die Hände der pflegenden
oder mit dem Impfling in Berührung kommenden Personen er¬
möglicht. Daß in dieser Beziehung in erster Linie die Mütter
gefährdet sind, zeigt, daß von den 6 Erkrankungen die Hälfte
Mütter von Impflingen betraf. In 2 Fällen betraf es ältere Ge¬
schwister, die nicht selten die Impfstellen der Geschwister be¬
rühren oder mit denselben, wie in einem Falle sicher nach¬
gewiesen, in einem Bette schlafen. Welche Schlüsse sollen
wir aus diesen Fällen ziehen? — Die Impfärzte müssen an¬
gewiesen werden, im Impftermine die Angehörigen besonders
streng darauf aufmerksam zu machen, daß
1. jede Berührung der Impfpusteln mit dem Finger streng
verboten ist;
2. daß bei jeder Berührung, z. B. Anlegen von Verbänden
bei starker Entzündung die Hände sofort zu reinigen sind;
3. daß während der ersten 14 Tage nach der Impfung ge¬
impfte Kinder mit anderen nicht in einem Bette schlafen dürfen,
überhaupt, wenn kein Verband getragen wird, mit diesen mög¬
lichst nicht in nähere Berührung kommen.
Es wäre für mich von Interesse, zu erfahren, ob auch in
anderen Bezirken im Jahre 1921 ein stärkeres Vorkommen von
Vaccinola beobachtet worden ist.
Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle
yon Leichenöffnungen und der Gutachten
in Entmündigungssachen durch die
gerichtsärztlichen Ausschüsse.
Von Prof. Nippe, Königsberg i. Pr.
Der Antrag von Rapmund jun. (Zeitschrift für Medizinal¬
beamte, 1922, S. 259) betr. Beseitigung der Ueberprüfung der
in der Ueberschrift genannten Protokolle und Gutachten gibt
mir als Gerichtsarzt Gelegenheit, auf einzelne Punkte dieser
u. der Qat&chten io Entmündigungssachen durch gerichtsärztl. Ausschüsse. 499
Fragen einzugehen. Ich gehörte dem gerichtsärztlichen Aus¬
schuß der Provinz Pommern seit seiner Gründung bis 1. April
1922 an und bin ebenfalls ständiges Mitglied als Gerichtsarzt
des gerichtsärztlichen Ausschusses der Provinz Ostpreußen seit
dem genannten Termine. Ich habe also, wenn auch noch nicht
sehr viel Erfahrungen, so doch immerhin schon einen Ueberblick
über die Aufgaben, welche dem Gerichtsarzt als ständigem
Mitglied des gerichtsärztlichen Ausschusses einer Provinz zu¬
fallen und ein Urteil darüber, ob diese Aufgaben zweckmäßig
gestellt und lösbar sind.
Was die Ueberprüfung der Gutachten in Entmündigungs¬
sachen anlangt, so habe ich wiederholt in solchen Fällen ein¬
gegriffen und habe auch stets das Einverständnis meines Herrn
Mitberichterstatters, in diesem Falle eines Fachpsychiaters,
Anstaltsdirektors oder Klinikleiters, erhalten, wenn es sich um
Entmündigungen handelte, wo ein ausführliches Gutachten nicht
Vorgelegen hatte. Ich halte Entmündigungen und Wieder¬
bemündigungen ohne das Vorliegen eines schriftlichen' ausführ¬
lichen Gutachtens für durchaus unrichtig. In der großen Mehr¬
zahl der Fälle liegen die Dinge nicht so einfach, daß in einem
mündlichen Terrain eine Bemündigung oder Entmündigung aus¬
gesprochen werden kann, und doch haben eine Reihe Amts¬
gerichte diese Gepflogenheit, wie ich aus eigener Erfahrung
weiß. Schon aus diesem Grunde also ist die Anwesenheit einer
überprüfenden Instanz, wie sie der gerichtsärztliche Ausschuß
darstellt, bei diesen Ent- und Bemündigungsgutachten bezw.
Terminen unbedingt notwendig.
Noch viel ernster liegen die Verhältnisse bei der Ueber¬
prüfung der Sektionsprotokolle. Es ist eine nicht von mir,
sondern Jahr um Jahr immer wieder vorgebrachte Klage, daß
diese Protokolle ungenügend sind. Ich sehe dabei von formalen
Fehlern vollkommen ab. Ich habe selbst persönlich aus formalen
Gründen noch nie ein Protokoll gerügt und werde das auch
nie tun. Aber es gibt doch auch rein formal betrachtet eine
Reihe Dinge, die imbedingt beachtet werden müssen. Es ist
z. B. nicht angängig, auch im Einverständnis aller Beteiligten,
also auch des Richters, von der Sektion der Kopfhöhle etwa
abzusehen. Die Kopfhöhle muß unter allen Umständen viel¬
mehr miteröffnet werden. Ferner ist es notwendig, die Ob¬
duzenten immer wieder darauf hinzuweisen, daß im vorläufigen
Gutachten unter allen Umständen zur Schuldfrage Stellung ge¬
nommen werden muß. Auch dagegen wird immer wieder ver¬
stoßen.
Es war meines Erachtens hohe Zeit, daß die alten Provinzial-
Medizinalkollegien durch eine Neuerung, wie das die Schaffung
der gerichtsärztlichen Ausschüsse der Provinzen darstellt, ab¬
gelöst wurden. Allerdings ist die Handhabung der Sektions-
protokoll-Ueberprüfung, wie sie jetzt anscheinend überall durch¬
geführt wird, noch nicht ideal und es ist an der Zeit, daß einige
Aenderungen darin vorgenommen werden. Solche Aenderung
600 Nippe: Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen
könnte ohne weiteres so geschehen, daß in die Dienstanweisung
für die Amtsärzte, die ja auch in Zukunft gleichermaßen für
die Kreis- und Qerichtsärzte gelten soll, folgende Bestimmung
aufgenommen wird: Der die Abschrift des Protokolles über¬
prüfende Amtsarzt hat dem Vermerk, daß die Abschrift mit
der Urschrift übereinstimmt und daß vorhandene Schreibfehler
verbessert wurden, noch einen kurzen Hinweis auf den Sach¬
verhalt hinzuzufügen. Solche Tatbestandsfeststellungen könnten
ganz kurz gemacht werden und würden den Amtsarzt gar nicht
belasten. Es würde vollkommen genügen, wenn es etwa heißt:
Es handelt sich um eine unbekannte Leiche, die dann und dann
aufgeschwemrat wurde; oder: Die Sektion wurde aus dem und
dem Grunde so lange verzögert; oder: Es war zu entscheiden,
ob die Schußverletzung von einer bestimmten Waffe her¬
rührte und dergl. mehr. Die gerichtlichen Sektionen unter¬
scheiden sich von den pathologisch-anatomischen nicht nur da¬
durch bekanntlich, daß sie auf die Schuld irgendeines Dritten
am Tode des Sezierten besonders eingehen sollen, sondern auch
daß sie, wie man mit Hecht gesagt hat, häufig eine Sektion ohne
Anamnese sind. DerUeberprüfer eines solchen Sektionsprotokolles
ist jetzt, wo er lediglich das Protokoll als solches mit den Namen
des Toten, der Obduzenten, des Richters und Gerichtsschreibers
übermittelt erhält, wieder in der imangenehmen Lage, die Be¬
urteilung einer Handlung vornehmen zu müssen, für die eine
Vorgeschichte fehlt und das diesmal ohne zwingenden Grund.
Es besteht nach meinen Erfahrungen aber gar kein Zweifel,
daß der oder die betreffenden Amtsärzte in der Mehrzahl der
Fälle in der Lage sind, dem gerichtsärztlichen Ausschuß und
damit in der Regel dem Gerichtsarzt als ständigem Mitglied
dieses Ausschusses, wenn sie die Zweitschrift des Leichen-
protokolles durchsehen, solche, nennen wir sie katamnestische
oder sonstigen Angaben über den Verlauf des Falles machen
zu können. Irgendeine Mehrbelastung — ich habe ja gezeigt,
daß ein ganz kurzer Satz diesem Zwecke genügen würde —
ist damit den obduzierenden Amtsärzten nicht auferlegt.
Sodann aber muß vor allem der Geschäftsgang weit weniger
schleppend gehandhabt werden, als es bisher geschieht, d. h.
die Abschriften der Protokolle müssen seitens der Gerichte
schneller in die Hand der Vorsitzenden der gerichtsärztlichen
Ausschüsse gelangen, damit diese sie schneller den Gerichts¬
ärzten etc. als Ueberprüfern zugehen lassen. Rein sachlich habe
ich wiederholt bei der Ueberprüfung eines Sektionsprotokolles
gefunden, daß die oder jene wichtige Untersuchung nicht vor-
§ enommen war, und wenn dann zwischen der Vornahme der
ektion und der Ueberprüfung ein monatelanger Zwischenraum
liegt, hat die nachträgliche Anordnung etwa einer Untersuchung
von Leichenteilen auf Gift z. B. gar keinen Zweck mehr in den
meisten Fällen. Weiter ist es notwendig, daß der Abschrift
des Sektionsprotokolles, die der Ueberprüfer bekommt, das
Aktenzeichen des betreffenden Falles beigefügt wird, damit,
n. der Gatachten in Entmttndigangasachen durch gerichtsärztl. Ausschüsse. 501
wenn es notwendig ist, umgehend die Akten angefordert werden
können.
Es liegt im Belang der Hebung .des Ansehens aller Medizinal¬
beamten, daß die Leichenöffnung möglichst häufig mit dem
gewünschten Erfolge, d. h. mit der Aufklärung der Todesursache
und der Schuld am Tode beendet werden. In vielen Fällen
verhindert das ohne Verschulden der betreffenden Obduzenten
die ja sattsam bekannte Tatsache, daß die Gerichte zufolge
eines überaus schleppenden Geschäftsganges, der mindestens
3 Instanzen durchlaufen muß, die Sektionen zu spät anordnen,
so daß infolge Leichenfäulnis subtilere Befunde einfach nicht
mehr zu erheben sind. Weiter liegt doch aber manchmal bei
dem ja gar nicht weiter besonders zu entschuldigenden Fehlen
der notwendigen Kenntnisse der gerichtsärztlichen und patho-
logisch-anatomisch.en Tatsachen seitens der Amtsärzte eine
mißverständliche Deutung von Befunden vor. Und auch da ist
der Ueberprüfer der Protokolle, der geübte Gerichtsarzt also,
durchaus in der Lage, wenn die oben formulierten Bedingungen
nur erfüllt werden, noch im Sinne der Rechtslage verbessernd
einzugreifen. Er kann z. B. durch den gerichtsärztlichen Aus¬
schuß auffordem lassen, die Organe, bei denen ein Befund un¬
klar bleibt, dem nächsten gerichtsärztlichen Institut zur weiteren
histologischen Untersuchung einzusenden, was in den bekannten
Sputumgefäßen mit Brennspiritus- oder Formalinfixierung mit
wenig Mühe geschehen kann, oder er kann, wenn er das Akten¬
zeichen weiß, sich die betreffenden Akten ausbitten, um einen
offenbar falsch gedeuteten Sachverhalt eben wieder durch den
gerichtsärztlichen Ausschuß zur Klärung zu bringen. Solche
Mißdeutungen seitens der Obduzenten kommen bei einer ganzen
Reihe von Fällen immer wieder vor. Erst kürzlich, um nur
ein Beispiel anzuführen, hatten die Obduzenten angenommen,
daß ein Schuß aus großer Nähe Vorgelegen habe, bei dem in¬
folge der Kraft der Pulvergase die Halsorgane und Wirbelsäule
völlig zertrümmert worden waren, während die übrige Be¬
schreibung des Protokolles Pulvereinsprengungen am Halse
und dem ganzen Gesicht feststellte, so daß es sich also bei der
starken Zerstörung ganz sicherlich nicht um einen Nahschuß
mit Wirkung der Pulvergase, sondern um einen Mantelreißer
aus einer Entfernung gehandelt hatte, für welche fremdes Ver¬
schulden schon durchaus in Frage kam. Besonders häufig werden
dann auch Befunde an den Lungen mißdeutet, die sich durch
eine mikroskopische Untersuchung im nächsten gerichtsärzt¬
lichen Institut ohne weiteres aufklären lassen würden.
Jeder beamtete Arzt kann überzeugt sein, daß der Ge¬
richtsarzt, der als ständiges Mitglied mit der Ueberprüfung
dieser Protokolle betraut ist, diese im kollegialen Sinne aus¬
führen wird; ist er doch selbst ein Mitgled des Standes, dem
anzugehören wir alle stolz sind. Bei den jetzt bestehenden
Mißständen, die offenbar zu dem eingangs des Artikels an¬
geführten Anträge geführt haben, wäre es grundfalsch, eine Ein-
502
Di. MOller.
richtung, die noch gar nicht lange besteht und die sich also
erst noch bewähren muß, einfach wieder abzuschaffen. Es wäre
vielmehr richtiger, diese Einrichtung, deren Notwendigkeit ich
mit diesen Zeilen wohl bewiesen habe, zu ergänzen.
Diese Ergänzungen fasse ich noch einmal in folgenden
Punkten zusammen:
1. Der Amtsarzt, der die Richtigkeit der Abschrift eines
Protokolls dadurch überprüft, daß er dieses durchlesen muß
und auf Schreibfehler verbessert, muß dienstlich angehalten
werden, eine kurze Tatbestandsschilderung des ganzen Falles
miteinzureichen.
2. Es muß dafür Sorge getragen werden — das ist im
wesentlichen Sache der Gerichte —, daß die Protokollabschriften
den obduzierenden Aerzten schneller zugehen und mit dem
Aktenzeichen des Falles versehen sind, damit der gerichtsärzt-
liehe Ausschuß auch scheller ih der Lage ist, die Ueberprüfung
vorzunehmen.
Die Notwendigkeit der Beibehaltung der Ueberprüfung so¬
wohl von Ent- und Beraündigungsprotokollen sowie von Sektions¬
protokollen halte ich für durchaus gegeben; selbstverständlich
müssen die Protokolle des Gerichtsarztes, der ständiges Mitglied
des gerichtsärztlichen Ausschusses ist, nicht auch von ihm selbst,
sondern andererseits geprüft werden.
Luftembolie bei kriminellem Abort.
Von Kreismedizinalrat Dr. Möller in Peine.
ln seiner gerichtsärztlichen Diagnostik bezeichnet Richter
den Tod durch Luftembolie beim kriminellen Abort als ein sehr
seltenes Ereignis, weil die Fruchtabtreibungen meist in den
ersten Schwangerschaftsmonaten vorgenomraen würden, in
welchen eine ausgiebige Aufnahme von Luft in die Gebärmutter
nicht stattfinden könne. Bei der großen Verbreitung, welche
gerade in den letzten Jahren die Fruchtabtreibungen genommen
haben, dürfte diese Annahme aber wohl kaum noch zutreffen.
Man liest doch nicht selten in den Tageszeitungen, daß eine
Schwangere in der Wohnung einer Abtreiberin plötzlich ver¬
storben ist. Viele von diesen Todesfällen dürften wohl auf
eine Luftembolie zurückzuführen sein. Neidfeardt beschreibt
aus seiner eigenen gerichtsärztlichen Tätigkeit 5 Fälle, von
denen 3 tödlich endeten und 2 zur Heilung kamen. Er sieht
es als wahrscheinlich an, daß die klinischen Erscheinungen
selten auf Luftembolie zurückgeführt werden. Die Mehrzahl
der Todesfälle dürfte seiner Meinung nach durch die Bezeich¬
nung der Todesursache mit „Krämpfen, Herzschlag etc.“ in die
Versenkung verschwinden.
Wie Ahlfeld in seinem geburtshilflichen Lehrbuche an¬
gibt, tritt der Tod durch Luftembolie in der Regel unter einem
Luftembolie bei kriminellem Abort
603
jähen Aufschrei oder auch ohne daß die Frau einen Laut von
sich gibt, sofort ein. Es sind aber genug Fälle beschrieben
worden, in denen der Tod erst nach mehreren Stunden oder
selbst Tagen eingetreten. Gerade diese atypisch verlaufenden
Fälle mögen öfters zu Fehldiagnosen Veranlassung geben.
Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, die Leichenöffnung bei einem
25 jährigen, im 7. Monat schwangeren Mädchen vorzunehmen, dessen Tod durch
Luftembolie bei einer Abtreibnng erfolgt war. Die Abtreibung war mit einer
Clyso-Spritze vorgenommen, als Spülflüssigkeit diente Seifenwasser. Der Gummi*
ball der Clyso-Spritze hatte einen Biß, der beim Einspritzen von der Abtreiberin
mit beiden Händen zugehalten wurde. Dadurch erklärt sich wohl das er¬
leichterte Eintreten von Luft in die Spülflüssigkeit.
Da die Abtreiberin geständig war, und die Schwangere auch noch lebend
ins Krankenhaus eingeliefert wurde, so war es in diesem Falle möglich, Näheres
über die Krankheitserscheinungen zu erfahren, die dem Tode voran gingen.
Nach den Angaben der Abtreiberin bot die Schwangere während der Ein¬
spritzung keine Krankheitserscheinungen. Sie setzte sich danach auf das Sofa.
Nach 10 Minuten sagte sie: „Es wird mir schlecht, geben Sie mir etwas
Wasser.“ Gleich nach dem Wassertrinken wurde sie bewußtlos und bekam
Krämpfe. Sie schlug mit Händen und Fußen, krampfte die Finger fest zu¬
sammen, den Daumen hatte sie so fest eingeschlagen, daß er nicht los zu
kriegen war. Die Abtreiberin vergleicht die Krämpfe mit epileptischen, sie
kenne das, weil ihre Schwester an epileptischen Krämpfen leide. Bald darauf
wurde sie in bewußtlosem Zustande ins Krankenhaus eingeliefert, sie schrie
durchs ganze Haus und hatte so starke Krämpfe, daß sie von 2 Personen
dauernd gehalten werden mußte. Am anderen Tage morgens um 7 Uhr ging
die Frucht ab, und um 2 Uhr nachmittags (28 Stunden nach der Einspritzung)
erfolgte der Tod.
Der behandelnde Arzt stellte die Diagnose auf Luftembolie nicht, glaubte
vielmehr an eine Vergiftung und nahm eine Magenspülung vor, fand den
Magen aber leer.
Durch die Obduktion wurde zweifelsfrei Luftembolie als Todesursache
festgestellt.
Bemerkenswert war, daß die Hauptmasse der Luft im
linken Ventrikel gefunden wurde, der durch die Luft prall
aufgetrieben war. Neidhardt erwähnt, er habe einmal zu
Unrecht zu einem Obduktionsprotokoll eine Erinnerung erhalten,
daß bei Nachweis von Luft im linken Herzen die Aufnahme
einer Bemerkung über das Offenbleiben des Foramen ovale
notwendig gewesen. Wie aber Neidthardt mit Recht hervor¬
hebt, und der vorliegende Fall auch bestätigt, muß die Durch¬
gängigkeit des kleinen Kreislaufes für Luftembolien unbedingt
bejaht werden. Das Eindringen von Luft in das linke Herz
wurde auf Grund von Tierexperimenten schon 1823 von Leroy
(zitiert nach H. Fischer) behauptet. Die Möglichkeit des
Eindringens von Luft in das linke Herz finde ich auch bei
König (Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie, 1905) angegeben.
Literatur.
H. Fischer: Ueber die Gefahren des Lofteintrittes in die Venen während einer
Operation. Velkmanns klinische Vorträge. Nr. 118; 1877.
Neidhardt: Ueber Lnftembolie bei Aborten. Zeitschrift für Medizinal¬
beamte; 1916.
504 Dr. W. Horstmann: Nervöse Erschöpfung und Zurechnungsfähigkeit-
Nervöse Erschöpfung and Zurechnungsfähigkeit.
Von Sanitätsrat Dr. W. Horstmann, Direktor der Provinzialheilanstalt Stralsund.
Der ärztliche Nachweis eines nervösen Zustandes wird so
leicht nicht die Zuerkennung des Schutzes des § 51 Str. G. B.
nach sich ziehen. Die in der nervösen Erschöpfung begründete
Neigung von Zerstreutheit und Unachtsamkeit kann jedoch
ausnahmsweise die Zurechnungsfähigkeit für den Moment der
Straftat in Frage stellen. Dies trifft namentlich auf Fahrlässig¬
keitsdelikte zu. Ich bringe im folgenden einen hierher ge¬
hörigen Fall:
14 jähriger Obertertianer, guter Schüler, braver, gewissenhafter Junge,
psyohisch in keiner Weise auffällig. In seinen Adern rollt ererbtes Jägerblut
Von klein auf Treiber bei Jagden und später selbsttätiger Jäger. In der
Handhabung von Schußwaffen immer äußerst vorsichtig. Geht eines Tages in
das Schreibzimmer des Vaters mit einer Doppelflinte. Der eine Lauf ist ab¬
geschossen, im andern steckt noch eine geladene Schrotpatrone. Er hält den
Lauf der Flinte über seinem Knie mit der linken Hand, während die rechte
den Schaft und zugleich einen Patronenzieher umspannt. Er sitzt dabei vor¬
wärts gebückt vor dem Schreibtisch des Vaters. Das 19 jährige Dienstmädchen
tritt von hinten an ihn heran, beugt sich über ihn, um von unten her an die
Schublade des Schreibtisches zu fassen. Dabei wird der Knabe wohl zu einer
Wendung des Körpers in der Weise gebracht, daß sich die Laufmündung aof
den Leib des Mädchens richtet und die rechte Hand, die in ihrer Aktions¬
fähigkeit durch den darin liegenden Patronenzieher behindert wird, muß dem
Hahn zunahe gekommen sein. Schoß in den Unterleib. Im Krankenhause
Bauchschnitt. Nach zwei Tagen tot. Das Mädchen bat inständigst darum,
daß der Knabe nicht bestraft werden sollte.
Der Knabe hatte acht Wochen vor^dem Unglücksfall
meinen Rat eingeholt. Es handelte sich damals um einen ner¬
vösen Erschöpfungszustand mit Neigung zu nervösem Stottern
und Schwindelgefühl. Ich brachte diesen Zustand in Zusammen¬
hang mit Blutarmut, starkem Wachstum und mit organischen
Vorgängen, wie sie die Pubertätsjahre physiologischerweise mit
sich bringen. Ich verordnete Arsen mit Eisen und gab Ver¬
haltungsmaßregeln mit der Wirkung, daß eine wesentliche
Besserung eintrat bis zu dem Tage des unglücklichen Ereig¬
nisses. Ich begutachtete schließlich dahin: Es liegt weder
Geisteskrankheit, noch geistige Minderwertigkeit und daher auch
keine Beschränkung der Zurechnungsfähigkeit im engeren Sinne
vor. Bei meiner Sachverständigenaussage in der Strafkammer¬
sitzung ging ich etwa von folgenden Ueberlegungen aus, bezw.
brachte ich sie zum Ausdruck: Eine Verkettung von unglück¬
lichen Umständen führte das Ereignis herbei. Zugleich mit dem
als Sachverständigen geladenen Oberförster erklärte ich den
betrübenden Unglücksfall als einen solchen, der jedem vorsich¬
tigen, erwachsenen Menschen ebenso gut hätte passieren können.
Das, was der Richter hier als Schuld bezeichnen könnte,
oder als Fahrlässigkeit oder als Mangel an der nötigen Sorgfalt,
fällt psychologisch zusammen mit einer Herabsetzung der Kon¬
zentrierung, mit einer Entspannung der Aufmerksamkeit. Körper¬
liche Indispositionen setzen nun aber gegen unseren Willen die
Konzentrierungsfähigkeit herab und entspannen die Aufmerk-
Pr. Solbrig: Zar Besotyungsfrage.
605
samkeit. Die nervöse Erschöpfung, namentlich diejenige
höheren Grades wie hier (kompliziert durch Blutarmut und
schnelles Wachsen, Stottern, Schwindel) erzeugt solche
körperliche Indispositionen. Ich könnte nicht mit Bestimmt¬
heit das Vorliegen einer solchen Indisposition ausschließen,
welche eine Entspannung der Aufmerksamkeit nach sich ge¬
zogen habe, die sich zwingend und gegen den Willen des
Knaben eingestellt habe. Es lägen in unserem Falle zwei Zu¬
stände vor, für die beide die mangelnde Konzentrierungsfähig¬
keit und das ungewollte Nachlassen der Aufmerksamkeit die
hervorstechendsten Kennzeichen bilden. Das sei einmal die
durch ihre Labilität ausgezeichnete Pubertät und des weiteren
die von mir festgestellte nervöse Erschöpfung.
Es erfolgte Freispruch, hauptsächlich auf meine Aussage hin.
Zar Besoldungsfrage.
Vom Schriftleiter.
Die Ausführungen über „Besoldungsfragen“ in Nr. 12 dieses
Jahrgangs der Zeitschrift bedürfen hinsichtlich der Besoldung
der Kreisassistenzärzte einer Richtigstellung, worauf ich
von befreundeter Seite aufmerksam gemacht wurde.
Es ist richtig, daß die Kreisassistenzärzte nach den Be¬
soldungsgesetzen als Stellenanwärter für die vollbesoldeten Kreis¬
arztstellen gelten. Es sind aber je nach dem Anwärterdienst¬
alter folgende Besoldungsstufen vorgesehen:
im 1.
2.
3.
4.
5. ,
Anwärterdienstjahr
70
80
85
90
1
95 j
v. H. der Besoldungsgruppe 10.
Daneben wird der volle Ortszuschlag gewährt, berechnet
nach dem Anfangsgehalt der Gruppe 10.
Dazu erhalten die Kreisassistenzärzte zur Grundvergütung
nebst Ausgleichszuschlägen einen Notzuschlag in der Höhe, daß
Grundvergütung, Ausgleichszuschläge und Notzuschlag betragen:
im 1.
2.
3.
1
5.
Anwärterdienstjahr
95
96
98
: i
100
100
v. H. des Anfangsgehalts nebst Aus¬
gleichszuschlägen der Gruppe 10.
Das Beispiel, Ortsklasse A, muß daher lauten, wenn es
sich um das 1. Anwärterdienstjahr handelt:
Grandvergtttung. 19 600 M.
Ausgleichszuschlag. 12740 „
Sonderzuschlag . 5 600 „
Notzuschlag. 11275 „
Ortszuschlag. 7 200 „
Ausgleichszuschlag zum Ortszusch lag .... 4680 ,
zusammen 60996 M.
506 Versammlung 3es Bez.-Vereins Potsdam der preuß. Medizinalbeamten.
Berechnung hierzu:
Ein planmäßiger Beamter der Gruppe 10 erhält:
Grundgehalt 28000 M.
Ausgleicbsznschlag 18 200 „
und Sonderzus chlag 5 500 „
zus. 5t 700 M.
96 v. H. hiervon = 49115 M.
Ein KrelsasBistenzarzt erhält:
19 600 M. Grundvergütung (70°/o von 28000)
jjjji;
zns. 87 840 M.
49116 — 87 840 M. = 11276 M.
Da mit dem 1. Juli bezw. 1. August die Ausgleichszuschläge
erhöht sind, wie in Nr. 16 unter „Tagesnachrichten“ mitgeteilt
wurde, würde sich die Gesamtvergütung des Kreisassistenz¬
arztes entsprechend erhöhen. ,
Hierzu ist nun zu bemerken, daß gegenüber den theore¬
tischen Berechnungen, wie sie/ vorstehend angegeben sind,
praktisch die Sache für die Kreisassistenzärzte so liegt, daß
sie fast sämtlich schon bei ihrem Dienstantritt das volle Gehalt
der Gruppe 10 erhalten, da bei Berechnung ihres Anwärter¬
dienstalters in Ansatz zu bringen sind: 5 Jahre Hochschul¬
studium, 1 praktisches Jahr, 1 Jahr für ärztliche und kreis¬
ärztliche Prüfung, 3 Jahre praktische Tätigkeit, zusammen
10 Jahre, wovon 6 Jahre auf das Anwärterdienstalter an¬
gerechnet werden (vgl. die Ausführungen in Nr. 10 dieses Jahr¬
gangs S. 269ff.). Wie in den maßgebenden Bestimmungen*)
ausgeführt ist, erhält der Kreisassistenzarzt, wenn er hiernach
ein Anwärterdienstalter von mehr als 5 Jahren erreicht hat,
vom Beginn des 6. Anwärterdienstjahres, nach Dienstalters¬
stufen mit zweijähriger Aufrückungsfrist steigend, eine Grund¬
vergütung in der Höne des Grundgehalts derjenigen Besoldungs¬
gruppe, in der er bei regelmäßigem Verlauf seiner Dienstzeit
zuerst planmäßig angestellt wird.
Danach beziehen die Kreisassistenzärzte in der Regel so¬
gleich das Gehalt mit Zuschlägen des vollbesoldeten Kreis¬
arztes der Gruppe 10 im Anfangsgehalt und können noch während
ihrer weiteren Dienstzeit in die folgenden Gehaltsstufen aufrücken.
Ans Versammlungen und Vereinen.
Versammlung des Bezirksvereins Potsdam der preußischen
Medizinal beamten in Berlin Kaiserin Fried richhaus
ttkr Ärztliche Fortbildung am 13. Juli 1922.
Anwesend: Reg.-and Med.-RatDr. Rathmann,Geh.R&tDr.Mejcn
Reg.- and Med.-Rat a. D. sowie die Kreisärzte Schatz, Aast, Geisseler
Schneider, Wilhelm, Heinze, Gattwein, Mantey and Tietz.
*) Siehe Beamten-Diensteinkommengesetz vom 17.12. 20. (§ 18, Abs. 2),
and Aasführangsbestimmnngen des Finanzministers dazu (§§ 20, 127, 137
Abs. 3 and 159, Finanzminist. Bl. 1921, Nr. 14).
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
607
Tagesordnung:
1. Kassenangelegenheiten. Es wird an die Abführung der aaf ins¬
gesamt 275 M. erhöhten Beiträge für 1922 erinnert.
Die Erhöhung ist die Folge der allgemeinen Teuerung, wobei die Zeit¬
schrift den Löwenanteil erfordert.
2. Bericht über die Magdeburger Hauptversammlung. An den Bericht
Manteys schließt sich eine lebhafte Aussprache über Dienstanweisung, Amts¬
bezeichnung, Besoldungs- und Gebührenfragen, sowie Dienstaufwandentschädigung
nebst Telefongebühren an. Mantey berichtet über den Stand der diesbezüg¬
lichen Verhandlungen, die bisher einen befriedigenden Verlauf genommen hätten.
Es wird folgender Beschluß gefaßt:
Die seinerzeit auf Anfordern der des Bundes höherer Verwaltungsbeamten
von Gatt wein verfaßte Begründung für die Forderung der Eingruppierung
eines Teiles der Kreismedizinalbeamten in die Gehaltsgruppe XII soll dem Vor¬
stand des Preußischen Medizinalbeamlenvereins mit der Bitte überwiesen werden,
nochmals mit allem Nachdruck bei der Zentralinstanz vorstellig zu werden.
3. Gehaltszahlungen. Die Tatsache, daß Gehaltszahlungen an die
Medizinalbeamten des Bezirks Potsdam bisher mit größter Verspätung erfolgten,
führte zu dem Beschluß, ein Gesuch um Aenderung an den Regierungspräsidenten
zu richten. Diese Aenderung sei bei den fortwährenden Gehaltserhöhungen
zur Vermeidung eines allgemeinen Chaos dringend erforderlich.
4. Verschiedenes. Es kommt u. a. zur Besprechung die Stellungnahme
der Kreisärzte und Impfärzte zu den sich in manchen Gegenden wieder stark
regenden Impfgegnern. Es wird vor allen Dingen davor gewarnt, die von
vielen Impfgegnern vor der Impfung geforderten Bescheinigungen^ daß der
Impfling zurzeit der Impfung gesund sei, auszastellen. Die Bestrafung der
Impfentziehung und die zwangsweise Vorführung der Impflinge sei lediglich
Polizeisache. Dr. Aust- Nauen.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
Gewerbehygiene.
Zur Frühdiagnose der Bleivergiftung. Von Dr. S c b o e n f e 1 d-Leipzig.
Zentraiblatt für Gewerbehygiene, 1921, Heft 1.
Durch die Blutuntersuchung ist das größte Stück in der Bekämpfung
der Bleigefahr zurückgelegt worden. Die Bleierkrankungsgefahr im Betriebe
wird noch weiter eingeschränkt werden, wenn es gelangen sein wird, das eigene
Verantwortungsgefühl des Arbeiters zu wecken und zu erhalten. Eine Gefahr
für die Volksgesundheit besteht nicht in der Bleiindustrie, wenn die allgemeinen
Leitsätze der Gewerbehygiene befolgt werden. Dr. Wolf-Cassel.
Zur Blutuntersuebung ln dicken Tropfen bei Blelkrankheitsverdacht.
Von Priv.-Doz. Dr. Schwarz-Hamburg. Zentralblatt für Gewerbehygiene,
1921, Nr. 9.
Bei einer Durchuntersuchung der bleigefährdeten Arbeiter eines größeren
Betriebes wurden mittels der dicken Tropfenmethode die Bleikranken bezw.
Bleiträger ermittelt. Es ist Erfahrungssache, die Befunde im dicken Tropfen
annähernd richtig einzuschätzen. Die zahlenmäßige Auswertung der verdächtigen
Präparate erfolgt nach der Ausstrichmethode. Dr. Wolf -Cassel.
Bas drohende Bleiweißverbot und die Methode der Blutnntersuchung
als Abwehrmittel. VonDr. Schoenfeld - Leipzig. Zentralblatt für Gewerbe-
bygiene, 1921, Heft 11.
Die Bleierkrankungen sind als Berufsunfallkrankheiten gesetzlich zu
werten, Schiedsrichter ist auch hier das Mikroskop. Schwere, komplizierende
Erkrankufa gsformen dürfen aber auf Grund der Ausführungen nicht mehr Vor¬
kommen. Denn die Blutnntersuchung hat sie zu verhüten und somit die
schweren Gefahren der Bleiindustrie vom gewerbetreibenden Volke fernzuhalten.
Das Bleiweiß, und schließlich das Blei überhaupt, wegen der Vergiftungsgefahr
aus der Industrie zu verbannen, ist somit unnötig und unberechtigt.
Dr. Wolf-Cassel.
508
Kleinere Mitteilangen and Referate ana Zeitschriften.
Tödlicher Unfall an einer Nlederdruckapannungsanlage. Von DipL-
Ing. Heydrich-Augsburg. Zentralblatt für Gewerbebygiene, 1920, Heft 12.
Der Unfall beweist von neuem, wie wenig berechtigt die heate noch so
häufig anzutreffende Meinung auch vieler „Fachleute“ ist, daß Niederspannung
ganz ungefährlich sei. Das Maßgebende ist eben nicht die Spannung des
Stromes, sondern die Stromstärke, die beim Stromdurchgang im menschlichen
Körper aufiritt, und diese ist nach dem Ohmschen Gesetz außer von der
Spannung auch noch abhängig vom Widerstand der betreffenden Person, der,
nnter normalen Verhältnissen ca. 12000 Ohm betragend, je nach Konstitution,
feuchtem Zastand der Haut und des Bodens, auf dem die Füße stehen usw.
unter Umständen soweit erniedrigt sein kann, daß die tödliche Stromstärke
erreicht wird, wie es auch bei dem geschilderten Unfall der Fall gewesen
sein dürfte. Dr. Wolf- Cassel.
Vergiftung mit „Montanin“. Von Kreisarzt Dr. Krause-Glogau.
Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1921, Nr. 7.
Ein 13jähriger Junge hatte etwa 50 ccm Montanin (Kieselflaßwasser¬
stoffsäure) aus Versehen getrunken und starb bald darauf. (HirnöJem und
starke Veränderungen der Magendarmschleimhaut im Sinne eines überaus
heftigen und frischen Katarrhs). Dr. W o 1 f • Cassel.
Gewerbliche Vergiftungen durch gasförmige Blausäure beim Vergolden
und Versilbern. Von Prof. Dr. Holtzmann-Karlsruhe. Zentralblatt für
Gewerbebygiene, 1921, Heft 2.
Einwirkungen von gasförmiger Blausäure beim galvanischen Versilbern
und Vergolden sind meist leichter Art Das Vergolden und Elektroplattierea
in heißen Bädern ist hinsichtlich der Blausäuregefahr gefährlicher als in kalten
Bädern. Die Gefährlichkeit steigt mit zunehmender Stromdichte und Spannung.
Bei anodischer Goldauflösung entsteht am meisten Blausäuregas; der Vorgang
läßt sich aber durch geeignete Einrichtungen völlig gefahrlos machen und ist
daher der Auflösung durch Säure vorzuziehen. Absaugung der an den Bädern
entstehenden Dämpfe, mindestens gute Durchlüftung der Arbeitsräume ist su
verlangen. _ Dr. Wolf-Cassel.
Ueber Lungenentzündungen bei Thomasschlackenmehlarbeitern. Von
Kreisarzt Dr. Opitz-Bonn. Zeitschrift für Gewerbebygiene, 1920, Nr. 12.
Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß die gefürchtete Lungenentzündung
der Thomasschlackenarbeiter keine spezifische Krankheit, sondern eine gewöhn¬
liche Lungenentzündung darstellt; sie ist verursacht durch die bekannten
Erreger, die auch bei den aus irgendeiner anderen Veranlassung Erkrankten
zu finden sind, vor allem durch Pneumokokken. Auf jeden Fall würde es
angezeigt sein, bei einer Häufung katarrhalischer Erkrankungen, sei es bei der
Bevölkerung überhaupt, sei es bei dem Kreise der gefährdeten Arbeiter, su
vorbeugender Optochinbehandlung zu schreiten. Dr. Wolf- Cassel.
Handelt es sich bei den Gewerbekrankheiten der Steinkohlenbrikett¬
fabriken um chronische Arsenvergiflung? Von Geh. Rat Dr. Burkhardt-
Berlin. Zeitschrift für Gewerbebygiene, 1920, Nr. 12.
Verfasser spricht sich dagegen aus, daß die Gewerbekrankheiten der
Steinkohlenbrikettarbeiter auf chronischer Arsen Vergiftung beruhen. Dagegen
wird es angesichts der Erfahrungen, die neuerdings mit der Entstehung der
Blasengeschwülste bei Anilinarbeitern gemacht worden sind, näher liegen, die
Bildung der Warzen bei Steinkohlenbrikettarbeitern mit ihrer auffälligen Neigung,
gleichfalls in Krebs überzugehen, auf diese Einwirkung gewisser bisher noch
völlig unbekannter im Steinkohlenpech enthaltener organischer chemischer Stoffe
in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Freilich wird beim Suchen nach
diesen Stoffen auf ganz andere chemische Verbindungen zu fahnden sein ala
diejenigen sind, die sich nach den neuesten Untersuchungen hierüber bei Anilin¬
arbeitern als Blasengeschwulst erzeugend erwiesen haben. Dr. Wolf-Cassel.
Besprechungen.
509
Besprechungen.
Dr. B. Llhmuis, Reg.» und Med.-Eat a. D. in Düsseldorf: Leitfaden snr
Einführung in das Gesundheitsturnen in Kinderheilstätten, Waldes*
heimen, Hospizen, Krankenanstalten, Familie und Hans. Mit 53 Ab¬
bildungen. Düsseldorf 1922. Verlag yon L. Schwann. 54 S. Preis:
brosch. 20 M.
Ein zeitgemäßes Büchlein, entstanden ans dem Bedürfnis, für Heilstätten
und dergl. eine Richtschnur zu schaffen, nach der bei den yon der Landes-
yersicherungsanBtalt Rheinprovinz nntergebrachten Kindern und Erwachsenen
Leibesübungen als Heilfaktor Verwendung finden sollen. Sämtliche Uebungen
hat Verfasser an sich selbst und an vielen anderen Personen durebgeprobt.
Es ist Wert darauf gelegt, nur einfache und nicht zuviel Uebungen zu bringen.
Den Kriechübungen nach Klapp ist ein besonderer kurzer Abschnitt gewidmet.
Es ist zu wünschen, daß der Leitfaden eine rechte Verbreitung in An¬
stalten, Schule und Haus findet. Solbrig.
Bandaller and Boepke: Lehrbuoh der spezifischen Diagnostik und
Therapie der Tuberkulose. 11.—13. Auflage. Leipzig(Kabitzsch) 1922.
681 8. 180 M.
Die erste Auflage des rühmilchst bekannten Buches ist 1907 erschienen.
Man sieht daraus, wie rasch die Verbreitung gewesen ist. Und sie ist ver¬
dient; denn das Buch verarbeitet nicht nur die Literatur bis in die neuste
Zeit in sorgfältigster Weise, so daß es als Wegweiser für die beachtlichen
Schriften über Tuberkulose dienen kann, sondern es nimmt auch einen kritischen
Standpunkt gegenüber allen Neuerscheinungen ein, der sich in der Regel auf
eigne Nachprüfung stützt. Das Kapitel über Immunität bei Tuberkulose ist
entsprechend den Kongreßvorträgen von Neufeld, Uhlenhuth modern um¬
gestaltet. In die Diagnostik und Therapie sind namentlich dje kutanen
Methoden aufgenommen; es ist in hohem Maße anzuerkennen, daß die Ver¬
fasser fast jede Methode selbst ausprobiert haben. Als zweckmäßigster Weg
der Einverleibung des Tuberkulins erscheint ihnen aber noch immer der sub¬
kutane. Sie wollen die praktischen Aerzte mehr als bisher für die praktische
Anwendung des Tuberkulins, namentlich zu Nachkuren nach Heilstätten¬
aufenthalt, gewinnen, die diätetischen Kuren sollen darum aber nicht beein¬
trächtigt werden. Dr. Gumprecht - Weimar.
Dr. Christian Brnhn, Lungenarzt in Hamburg-Reinbeck: Vom gesunden
and vom kranken Tuberkulösen. 2. Auflage. Hamburg 1922. Verlag
von Parus. 31 S. Preis brosch. 7,60 M.
In knapper, außerordentlich anschaulicher und eindringlicher Weise be¬
tont Verfasser die Heilbarkeit der Tuberkulose, wenn der Kranke von den
ersten Anzeichen an sich unter ärztliche Aufsicht stellt und jede eigenmächtige
Maßnahme unterläßt. Der Hauptwert wird auf körperliche Ruhe (Bettruhe)
und Schonung gelegt, weil nur im Ruhezustand der Körper imstande ist,
die Abwehrkräfte zu sammeln. Es werden 5 „Schonungsklassen“ unterschieden
vom fieberhaften bis zum wieder arbeitsfähigen Tuberkulösen. Verfasser wendet
sich vor allem an den Kranken selbst, zeigt ihm den Ernst der Krankheit,
aber auch die Aussicht auf Heilung, wobei er seine am eigenen Körper ge¬
sammelten Erfahrungen zum Besten der Kranken mitteilt. Solbrig.
J. Sohwalbe; Diagnostisch« and therapeutische Irrtttmer. Heft 1 und 8.
Leipzig (Thieme) 1922.
Brftggemann-Gießen : Krankheiten des äusseren und mittleren Ohres.
86 8., 33 M.
F.Krause-Bonn: Erkrankungen der Bewegungsorgane und Tronoxen.
79 8., 30 M.
Zwei neue Hefte der rühmlichst bekannten Sammlung, die wegen der
eingehend behandelten Differentialdiagnose nicht nur für die Praktiker, sondern
auch für die Gutachten der Medizinalbeamten sehr brauchbar sind.
Dr. Gumprecht-Weimar.
510 Tagesnachrichten.
C. Brnek- Altona: Rexepttasehenbuch für Dermatologen. Berlin (Springer)
1922. 156 8. 48 M.
Ein handliches Bach in Taschenformat, sehr vollständig, bis auf die
neueste Zeit ergänzt, für die Praxis aasgezeichnet geeignet, da es auch einen
großen Teil der Medikamente für die innere Medizin enthält.
_Dr. Gumprecht-Weimar.
Dr. Philalethen Kahn, ord. Professor and Direktor des Hygienischen In¬
stituts an der Technischen Hochschale Dresden: „Gedenke, dass Dn ein
deutscher Ahnherr bist.“ 2. Auflage. Verlag von Theod. Stein kopff,
Dresden und Leipzig 1921.
Aus einer Gegenüberstellung von Zunahme und Abnahme der Volks¬
seuchen in Deutschland während der letzten Jahre zeigt Verfasser, daß trotz
der Schädigungen durch die Unterernährung während der Hungerblockade
unser Volk durchaus nicht so krank sei, am die häßlichen, sittlichen Er¬
scheinungen darauf zurückzuführen. Aber doch zeigen diese, daß die Schar
der seelisch Angekränkelten, der Psychopathen, groß sei im Volke, und darum
die Gefahr des Bassenanterganges nicht leicht zu nehmen sei. Darum ist es
an der Zeit, Auslese zu treiben, um zur Erneuerung des Volkskörpers zu
kommen. Als wichtigste rassenbygienische Maßnahme bespricht Verfasser die
Frühehe, die vom Staat, von den Elteru, von der Jugend mit allen Mitteln
anzustreben sei. __ Solbrig.
Tagesnachrichten.
In einer Klage auf Versorgungsanspruch wegen Lähmung beider Beine
infolge einer Salvarsanbehandlnng stellte sich das Versorgungsgericht in
Danzig auf den Standpunkt des Gutachters Dr. Dreuw in Berlin, daß in
diesem Fall die Lähmung durch Salvarsan entstanden und der Staat ver¬
sorgungspflichtig sei. (Nach Pharmaz. Zeitung, 1922, Nr. 65.)
Skorbut. In jüngster Zeit sind, wie die Tageszeitungen melden, in
Berlin und anderen Orten Deutschlands mehrfach Erkrankungen an Skorbut
aufgetreten. Prof. Horstmann aus St. Blasien äußert sich hierzu im Berliner
Tageblatt (Nr. 861 vom 15. August), indem er die „ Avitaminosen“, zu denen
Beri-Beri, Skorbut, Barlowsche Krankheit, Pellagra zu rechnen sind, als
Krankheitszustände bezeichnet, die auf den Mangel an den Vitaminen, jenen
eigenartigen, lebenswichtigen Zusatzstoffen zur Ernährung, zurückzuführen sind,
und damit zugleich den Weg zeigt, der insofern zur Beseitigung solcher
Krankheitszustände führt: Vermeidung jeder längere Zeit fortgesetzten ein¬
seitigen Kost, namentlich für Kinder. Zu lange fortgesetzte Milchkost bei
Kindern ist ebenso ungeeignet, wie eine Kost ans Fleisch, Fetten, feinen
Mehlen auf die Dauer ungenügend ist, auch wenn die nach ihrem Eiweiß-, Fett-
und Kohlehydratgehalt garantierte Menge vorhanden ist, weil wichtige für den
Zellbestand nötige Zusatzstoffe fehlen. Oft sind es achtlos fortgeworfene oder
zu,minderen Zwecken benutzte Abfallstofte wie Kleie, Gemüsebrühe und dergL,
durch die man als Zusatz zur Ernährung schnell Heilung odei Besserung der
Avitaminosen erzielen kann.
Im Interesse der Volksgesundheit iBt ein bemerkenswertes Gesetz in
Preußen unter dem 29. Jali d. J. vom Landtag beschlossen, das vorschreibt,
daß Baumbestände, Grünflächen und Uferwege in der Nähe von Großstädten,
in der Nähe von Bade- und Kurorten oder in Industriegebieten aus Rücksicht
auf die Volksgesundheit oder als Erholungsstätten der Bevölkerung zu er¬
halten sind bezw. dem Fußgängerverkehr freigegeben werden. Nähere Be¬
stimmungen hat der Provinzialausschuß (in Berlin der Magistrat) nach An¬
hörung der amtlichen Vertretungen von Industrie und Landwirtschaft und der
Gemeinden zu treffen. (Preuß. Ges. Sammlg., 1922, Nr. 38.)
Die Teuerungsiu8ehlftge der Beamten. Der Ueberwachungs-
ausschuß des Reichstags stimmte kürzlich den Vereinbarungen
über die Teuerungszulagen für die Bereiten zu. Damit sollen
SprechsaaL
611
die Teuerungszuscbläge vom 1. August 1922 ab zu dem Grundgehalt, den
Diäten und dem Ortszuschlage, soweit diese Bezüge den Betrag von insgesamt
10000 Mark nicht übersteigen, dreihundertsechzig, im übrigen drei*
hondertfünf v. H. betragen. Die Teuerungszuschläge zu den Einderzuschlägen
sollen dreihundert fünf v. H. betragen.
Es ist mit Bestimmtheit zu erwarten, wenn es nicht schon angeordnet
ist, daß die preußischen Beamten in gleicher Weise in ihren Bezügen erhöht
werden und aisbald in den Besitz dieser neuen Teuerungszuscbläge gelangen.
Und doch ist bei der neuerlichen katastrophalen Markentwertung und ungeheuer¬
lichen allgemeinen Teuerungszunahine alles dies eine unzulängliche Entlohnung
der Beamten. Jedenfalls bedarf es für die Medizinalbeamten einer Erhöhung der
Gebührensätze, die hoffentlich recht bald kommen wird!
Sprechsaal.
Herr Kreisarzt Dr. S. in N. regt an, die Schriftleitung möge den aus¬
geschriebenen Stellen gleich hinzufügen, ob eine Wohnung für den künftigen
Stelleninhaber vorhanden ist oder in absehbarer Zeit frei wird, und meint, es
werde der Schriftleitung durch Umfrage bei den Bezirksvereinen möglich sein,
die betr. Angaben hierüber zu machen.
Hierauf die Antwort, daß dem Wunsch, so begreiflich er ist, von hier
aus nicht entsprochen werden kann. Die Mitteilungen über frei werdende und
zur Ausschreibung gelangende Stellen gehen der Geschäftsstelle in Minden
direkt zu und werden alsdann sogleich in der nächsten Nummer bekanntgegeben.
Es würde zuviel Zeit vergehen, wenn die gewünschte Auskunft über eine
Wohnung erst noch eingeholt würde. Jeder Bewerber wird sich selbst zu
unterrichten suchen müssen, wie es mit der Wohnung steht.
Anfrage des Kreis• Med.«Kats Dr. v. L. in G.: Gehört Uspulun
(Saatbeizmittel) als Chlor-Phenol-Quecksilberpräparat unter die Giftpolizei¬
verordnung oder nicht? Der Fabrikant, Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer
in Leverkusen, versendet Uspulun an die landwirtschaftlichen Ein- und Ver¬
kaufs-Genossenschaften, die das Mittel an ihre Mitglieder vertreiben. Einsender
ist der Ansicht, daß das Mittel als zur Abt. 1 der Gifte gehörend nur in Apo¬
theken und Drogerien mit Giftkonzession abgegeben werden darf und nur auf
Giftschein.
Antwort: Quecksilberpräparate gehören zu den unter Abt. I _ in der
Giftpolizeiverordnung aufgeführten Giften. Sie dürfen demnach nur in Apo¬
theken und Handlungen mit Giftkonzession und nur gegen Giftschein abgegeben
werden.
Anfrage des Kreis-Med.-Kats K. in B.: Ist es angängig, daß seitens
eines Amtsgerichts mehrere (4) zu Entmündigende in einer Verhandlung ver¬
nommen werden, so daß infolgedessen für den Sachverständigen nur eine
Terminsgebühr zuständig ist? Wenn nicht, auf Grund welcher Bestimmungen
nicht? Was muß dagegen geschehen?
Antwort: Eine Verhandlung gleichzeitig für vier Entmündigungsverfahren
dürfte nur unter besonderen Verhältnissen zulässig sein, (z. B. eine gemeinsame
Handlung, deretwegen Entmündigung erfolgen soll). Der Gerichtsarzt hätte
jn diesem Falle Anspruch nur auf einfache Terminsgebühr.
Zur Beurteilung sind ausführlichere Angaben notwendig. Gegebenenfalls
ist Beschwerde beim zuständigen Landgericht angezeigt.
Die Vereinigung Deutscher Schul- und Fürsorge-Aerzte ladet den
Deutschen Medizinalbeamtenverein zu ihrer diesjährigen
10. Versammlung in Frankfurt a. M.
am 10. September d. J.
ein nnd teilt folgende Tagesordnung mit:
Geschäftsführer: Med.-Bat Dr. Stephani-Mannheim.
Ortsausschuß: Leitung: Geh. San.-Bat König. Geh. San.-Bat
Seuffort, Vorsitzender des ärztlichen Vereins. Dr. Knoblauch,
512
Einladungen zu Versammlungen.
Schriftführer der Schulärzte. Stadienrat Dr. Sandmann, Vertreter
der Ortsgruppe des Preußischen Philologenvereins. Lehrer Oars,
Frankfurter Lehrerverein. Stadienrat Frl. Auguste Barth, Lehre¬
rinnenverein. Dr. Lade.
Ankunft: Samstag, den 9. September nachm.: Unterkunft durch
die Geschäftsstelle des Verkehrsvereins. Begrüßung 8 Uhr abends im
Thomasbräu.
Sonntag, den 10. September ab 9 Uhr: Sitzung in der Ge¬
schlechterstube. Im Vorraum Vereinsgeschäftsstelle, daselbst gedruckte Themen
gegen Entgelt.
9 —12 7 * Uhr: Wissenschaftliche Sitzung. „Die Aufgaben und
Grenzen der fürsorgeärztlichen und schulärztlichen Tätig¬
keit.“ 1. Berichterstatter: Städtischer Kinderarzt Dr. Th. H o f f a - Barmen.
2. Berichterstatter: Schularzt Prof. Dr. Alfred Lewandowski-Berlin. 3. Be¬
richterstatter : Stadt-Med.-Bat Dr. 0 x e n i u s - Frankfurt a. M.
Damen besichtigen die Stadt.
Ab 1 Uhr: Zwangloses Mittagessen.
A b 3 */» U h r: Mitgliederversammlung, geschäftliche Sitzung. 1. D e r-
zeitiger Stand der Honorarverhältnisse der neben-und haupt¬
amtlichen Schul-und Fürsorgeärzte. Stadtschularzt Dr. Bothfeid.
2. Tätigkeitsbericht des Geschäftsführers. 3. Kassenbericht des Schatz¬
meisters. 4. Satzungsänderungen. 5. Wahlen. 6. Verschiedenes.
Damen nachmittags im Palmengarten.
Abends 8 Uhr: Gesellschaftsabend im Börner zusammen mit dem
Verein für öffentliche Gesundheitspflege.
Montag, den 11. September: Führungen. Liebfrauenschule mit
Vorführung orthopädischen Turnens. Jugendsichtungsstelle.
Abends: Theater usw.
Ferner findet im Anschluß daran die
18. Jahresversammlung des Deutschen Vereins
für Schulgesundheitspflege
am 13. September 1922 statt
Vorstandsmitglied: Med.-Bat Dr. Stephani-Mannheim.
Ortsausschuß: wie bei Tagung 1.
Ankunft: Dienstag, den 12. September, nachmittags: Unter¬
kunft duroh den Verkehrsverein und Lehrerverein.
Abends 8 Uhr: Begrüßung im „Steinernen Haus“ mit lokal¬
gefärbten Darbietungen aus Lehrerkreisen.
Mittwoch, den 13. September, 8 1 /* Uhr: Mltgllederversamm*
lang in der Geschlechterstube. 1. Eröffnung durch den Vorsitzenden. 2. Tätig¬
keitsbericht des Geschäftsführers. 3. Kassenbericht des Schatzmeisters. 4. Wahlen.
5. Verschiedenes.
Im Vorraum Ausstellung: Berufsamt usw.
10 Uhr: Hauptversammlung. „Wie weit läßt sich die auf
kulturellem Gebiete erfordern che Sparsamkeit mit den Forde¬
rungen der Schulgesundheitspflege in Einklang bringen.“
1. Berichterstatter: Proi. Dr. Selter-Königsberg i. Pr. 2. Berichterstatter:
Geh. Baurat Dr. Hane-Berlin. 3. Berichterstatter: Lehrer Garz-Frank¬
furt a. M.
Damen besichtigen die Stadt.
Ab 1 */» Uhr zwangloses Mittagesssen.
Nachmittags: Besichtigungen. Seminarschule mit orthop. Turnen.
Hundswiese 8pielnachmittag.
Abends: Theater usw.
Donnerstag, den 14. September: Besichtigungen: Hilfs¬
schulen. Beformschulen. Jugendgericht; oder Besuch der Wegscheide.
Verantwortlich fllr die SchriftleUtmg: Geh. Xed.-Bat Dr. 8 o 1 b r I g, Beg.- u. Med.-Bat in Breslau
Breslau T, BehdlgerstraAe 84. Druck tob J. C. O. Braus, Minden l. W.
35. Jahro. Nr. 18 ZEITSCHRIFT 20. SePt. 1922
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegrOndet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.*Rat Prot. Or. RAPMU NO.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des Staat-
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie fOr das Medizinal- und
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene.
Herausgegeben von
Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München,
Prof. Dr. K&up-Miinchen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof.
Dr. Sleveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig - Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg,-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber- Dortmund.
Offizielles Organ des Deutschen. Preusslscben. Bayerischen. Sächsischen.'
Wfirttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen
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Zeitschrift für Medizinalbeamte.
Nr. 18
Personalien.
Deutsohes Reich und Prousaen.
Ernannt: Eeg.-ßat Dr.Beyer beim Ministerium für Volkswohlfahrt
zom Ober-Regiernngs-Rat.
Berufen: Dr. P. U h 1 e n b u t h, Direktor des Instituts für experimentelle
Therapie Behring in Marburg und Honorarprofessor in der medizinischen Fakul¬
tät daselbst, als Nachfolger von Prof. R. 0. Naumann zum Professor der
Hygiene und Bakteriologie an der Universität Bonn.
Bayern.
Gestorben: Obermedizinalrat Dr. E n t r e s, Landgerichtsarzt in Weiden.
Anhalt-
Ernannt: Beg.- u. Med.«Bat Dr. Schaeche zum Oberregierungs* und
Medizinalrat.
Sonstige Familiennaohrichtsn.
Ereismedizinalrat Dr. Ascher in Frankfurt a. M. zeigt die Vermählung
seiner Tochter Mathilde mit Herrn Dr. Walter Eliassow in Berlin an.
Kolloidales
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Krftftlgt den gesamten Organismus.
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ßassehygiene und Kreisarzt.*)
Von Kreismedizinalrat Dr. Kübnleln-Merseburg.
Am 22. Juli d. Js. wurden es hundert Jahre, daß ein Mann,
dessen Lehren lange in Vergessenheit geraten waren und erst
um die Wende des Jahrhunderts wieder aufgenommen wurden,
der Prälat Gregor Mendel, geboren wurde. Daß im Kreise
der verantwortlichen staatlichen Gesundheitsbeamten dieses
Tages gedacht werden muß, bedarf keines besonderen Hinweises.
Von jeher ist der Kreisarzt Sozialhygieniker gewesen. Als
solcher hat er die Pflicht, sich stets über alles unterrichtet zu
halten, was die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete
der Sozialhygiene an Leistungen hervorbringt. Einen Kreis¬
arzt, der die Vererbungsgesetze Mendels nicht kennt, gibt es
nicht. Ob diese Gesetze in ihrer ganzen Tragweite auch für
die Menschheit heute schon genügend gewertet werden, ist
allerdings fraglich.
Bekanntlich waren es Stadien zar expet imenteilen Botanik, welche in
dem klaren Kopfe Mendels die Erkenntnis strengster Gesetzmäßigkeit der
Vererbung reifen ließen. Er brachte das Ergebnis seiner Forschungen in zwei
Abhandlungen „Versuche über Pflanzenhybriden“ — 1865 und „Ueber einige
*) Nach einem Vortrag auf der Tagung der Medizinalbeamten der Provinz
Sachsen zu Naumburg am 9. Juli 1922.
J
614
Dr. Kühnlein.
ans künstlicher Befrachtung gewonnene Hieraciumbastarde“ — 1869 aa die
Oeffentlichkeit. Wenn auch zunächst den Mendelschen Stadien nicht die
gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde, so begannen sie doch sehr bald —
wie schon erwähnt, etwa um die Wende des Jahrhunderts — den Mittelpunkt
des Interesses nicht nur der Forschungen der Botaniker und Zoologen, sondern
auch der Mediziner zu bilden. Am meisten zurückhaltend waren die Mediziner.
Und das ist durchaus nicht verwunderlich. Was bei Pflanzen, bei Einzellen,
bei Tieren, nachdem die Darwinschen Lehren gewaltige Umwälzungen in der
Erkenntnis der Entwicklung der Lebewesen gebracht hatten, leicht zu verstehen
war, mußte in bezug auf die menschliche Entwicklung, die in der Hauptsache
seit sehr lange sozialer und kultureller Art ist, auf vielfache Widersprüche
und Schwierigkeiten stoßen. Was für die menschliche Entwicklung im all¬
gemeinen gilt, das trifft in erhöhtem Maße auf die Yererbung innerhalb des
Menschengeschlechts zu. Und wenn nun auch ein einzelnes Volk, z. B. das
deutsche, zweifellos als eine Blutsgemeinschaft aufzufassen ist, so handelt es
sich bei dem Begriff „Volk“ doch um einen anderen Begriff als den Begriff
„Rasse“. Volk ist wachstumgeeintes Blut. Eine Volksgemeinschaft können
wir nur unter gewissen gleichmäßigen geographischen, klimatischen, kultnrellea
nnd wirtschaftlichen Verhältnissen antreffen. Bezüglich der europäischen
Völker, besonders der mitteleuropäischen, zu denen das deutsche Volk gehört,
werden die Abstammungsverhältnisse besonders schwierig zu erkennen sein,
weil die engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Völker unter¬
einander, die Kriege, das Ab- und Zuströmen Fremder dem an sich wachstum¬
geeinten Blute immer wieder neues Blut beigemischt haben und auch weiterhin
beimischen werden. Schon die Indogermanen gaben den Ureinwohnern unseres
Landes neues andersgeartetes Blut. Die Völkerwanderung, die Kriege, der
Zuzug aus anderen Ländern bedingt und bedingen dauernd Aenderangen der
ßiutmi8chung. Die so entstandenen neuen Wesen wachsen aber unter im großen
und ganzen einheitlichen Lebensbedingungen mit den Stammeshaltern auf dem¬
selben Boden auf und passen sich dem pulsierenden Leben an. So kann niemand
bei wissenschaftlichem Denken vom deutschen Volke als von einer Basse reden, wie
überhaupt festgestellt ist, daß es reine Rassen nicht gibt. Deshalb kann auch
RaSsebygiene in dem Zusammenhänge, in dem wir sie heute behandeln wollen,
nicht die Lehre derjenigen Maßnahmen bedeuten, die geeignet wären, einen
reinrassigen germanischen Typ zu erhalten. Und znm andern zeigen schon
diese ganz allgemein gehaltenen Ausführungen, auf wieviel Schwierigkeiten
bei so hochgradigen Blutmischnngen die Lehre von der Vererbung stoßen muß.
Wir müssen den anthropologischen Begriff der Rasse völlig bei unsern Be¬
trachtungen ausschließen. Es kann sich, wenn wir auch nur einigermaßen klar
sehen wollen, für uns nur um Familiengemeinschaften und Erweiterung dieser,
das Volk, handeln. In diesem Zusammenhänge werden wir sehen, daß auch
für das Einzelindividuum die Mendelschen Vererbungsgesetze vielfach Gültig¬
keit haben, für den Bestand der Familie und des Volkes von hohem Wert
sind. Das Individuum ist im Bestände eines Volkes niemals als Einzelwert
zu betrachten. Es ist der Durchgangspunkt von Generationen als Sproß der Vor¬
fahren und Ursprung späterer Geschlechter, wie Gottstein es klar bezeichnet.
Diese Bedeutung des Einzelindividuums hat der Mediziner
als Forscher und als Helfer in Krankheit und in besonders inten¬
siver Weise der Gesundheitsbeamte ins Auge zu fassen. Dies
ist erforderlich zur Erhaltung des Rüstzeugs, das zur Bekämpfung
von Krankheiten im allgemeinen und zur Verhinderung einer
Entartung und des Volkstodes im besonderen benötigt wird.
Das Erfordernis erscheint heute als ganz besonders dringlich.
Wohl kannten wir alle die Rechnung, die uns der letzte Krieg
aufgemacht hat. Etwa 2 Millionen der Besten im tüchtigsten
Mannesalter, erstklassige Keimträger, ließen wir auf den Schlacht¬
feldern und dem stehen 4 Millionen an Geburtenausfall gegen¬
über. 800000 raffte die Hungerblockade unserer Feinde im
Innern dahin. Mit den Abtretungen von Land beträgt der
BevölkerungsVerlust über 12 Millionen. Was noch Unter-
Rassehygiene and Kreisarzt.
515
nehmergeist, Tatendrang und Kraft hat, strömt über die
Grenzen, will hinaus, um sich irgendwo in der Fremde eine
neue Heimat(zu bauen. Die weniger Leistungsfähigen, die
Krüppel, die Nervösen, die Kranken und Siechen bleiben zurück.
Nicht ohne Absicht war zu der vorjährigen Tagung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege als einziger Verhand¬
lungsgegenstand die „Deutsche Jugendnot“ gewählt. Wen gibt
es unter den Teilnehmern, der sich nicht noch lebendig der
Mitleid und Sorge erregenden Lichtbilder von elenden Schul¬
kindern, die v. ürigalski vorführte, erinnern würde. Wer
kann Polligkeits Ausführungen über die seelischen Schäden
vergessen haben? Und welche Hoffnungen erweckte Kühn
mit seinem Vortrage „Die Zukunft unserer Rasse!“ Tages¬
zeitungen, Wochenschriften, populäre naturwissenschaftliche
Schriften wie der Kosmos, medizinische Fachzeitungen, Ver¬
waltungsblätter, Bücher verschiedenster Art — sie alle bringen
immer wieder und wieder Aufsätze über die ernsten Zeichen
der Verelendung unseres Volkes und sind starke Mahnungen
für Politiker, Verwaltungsbeamte, Volkswirte, Mediziner, Ge-
sundheitsbearate und nicht zuletzt für das Volk selbst. Gerade¬
zu als aufsehenerregend ist der Aufsatz über hygienische Koloni¬
sation und Volkserneuerung von Prof. Dr. Paul Lazarus-Berlin
im II. Heft des 18. Bandes des Jahrbuchs der Bodenreform zu
bezeichnen. Uebersichtlich und für jedermann verständlich
zeigt Lazarus unter zahlenmäßiger Belegung die Schäden,
die schon vor dem Kriege unsere Erbwerte verschlechterten, und
den weiteren Abstieg nach dem Kriege. Er weist darauf hin,
daß heute Vs unseres Volkes geistig oder körperlich irgendwie
minderwertig ist. Ich könnte den Kreis derer, die in Wort
und Schrift vor Fachleuten und Laien den Begriff der Eugenik,
der Erhaltung und Verbesserung der gesunden Erbgruudlagen
unseres Volkes, seit geraumer Zeit erörtern, beliebig erweitern,
beschränke mich aber, indem ich nur noch auf Faßbenders
im Kriege erschienenes Buch: „Des deutschen Volkes Wille
zum Leben“ hinweise wegen seiner klaren und sittlich be¬
deutenden Darstellungsweise. Gewiß* wären die Zustände viel
schlimmer, wenn nicht durch die praktische Hygiene die Lebens¬
bedingungen seit Jahrzehnten verbessert wären: Durch die
Reinhaltung der Ortschaften, die Regelung der Wasserversorgung,
die Beschaffung von einwandfreiem Trinkwasser, die Kontrolle
der Lebensmittel, die Fürsorge für die Arzneimittelbeschaffung,
die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten und Bearbeitung
einer Reihe von in die Hygiene' gehörenden anderen Gebieten.
Es ist nicht abzusehen, wie es um uns stünde, wenn nicht die
soziale Hygiene mit ihren Fürsorgebestrebungen für Schwangere,
Wöchnerinnen, Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder, Tuberkulose,
Geschlechtskranke, Kriegsverletzte und Kriegerhinterbliebene,
das werktätige Volk und wie sie alle sonst noch heißen und im
Gange sind, gute Arbeit leistete. Eins muß aber hervorgehoben
werden: praktische Arbeit rassehygienischer, d. h. eugenischer
Art, ist bisher in nennenswerter Weise nicht geleistet worden.
516
Dr. Kühnlein.
Die Magdeburger Heiratsverraittlung, die inzwischen leider wieder
eingegangen ist, und die durch unsemKollegenWollenweber
in Gemeinschaft mit K öttgen und der Aerztesch&tin Dortmund
ins Leben gerufene Beratungsstelle für solche, die eine Ehe zu
schließen gedenken, spielen gegenüber den bestehenden Schäden
überhaupt keine Rolle. Um so bedeutender sind die theore¬
tischen Fortschritte, die seit Mendels botanischem Studium
die Erforschung der Vererbungsgesetze und der Mittel zur Er¬
haltung und Verbesserung des Erbbestandes eines Volkes er¬
fahren haben. Klarer und klarer treten die biologischen Ewig¬
keitsgesetze, an deren Auswirkung wir im positiven und nega¬
tiven Sinne interessiert sind, hervor. Zu diesen Gesetzen gehört
auch das, was wir über die Vererbung wissen.
Wenn wir den anthropologischen Begriff der Rasse, den Phänotypus,
das ist die Aehnlichkeit der äußeren Erscheinungsform, wie sie in Schädel-
bildung, Gliedmaßenbau, Farbe und Form der Haare, Farbe der Haut, Stellung
der Augen und Farbe ihrer Eegenbogenhant und anderen von unseren Be¬
trachtungen als kaum wesentlich ausschalteten, so müssen wir als um so be¬
deutungsvoller den Rassebegriff im biologischen Sinne,- das ist der Genotypus,
die innere Lebens- und Erbgrundlage, betrachten. Die sichtbaren Träger des
Genotypus sind die Fortpflanzungszellen, der Samen und das Ei. Alle Lebens-
gestaltung eines Volkes von seiner Geburt bis zu seinem Tode geht in ewigem
Kreislauf unter bestimmten Gesetzen von ihnen aus, wobei die Lebensbedingungen
nicht ohne Einfluß bleiben. In der Kopulation des Eikerns und des Samen¬
kopfes findet eine Ehe ihre folgenschwerste Auswirkung, was 0. Hertwig
wohl am klarsten zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: „Sie bestehen aus
Erbmasse, d. h. aus einer Substanz, welche eine so eigentümliche spezifische
Organisation besitzt, daß durch sie die Eigenart des aus dem befruchteten Ei
entstehenden Geschöpfes mit seinen spezifischen Merkmalen bestimmt wird. 8
Die von Hertwjg und Strasburger unabhängig voneinander aufgestellte
Kernidioplasmatheorie verdient die größte Beachtung. Das wird uns besonders
deutlich, wenn wir bedenken, daß ein Kind sehr wohl einmal nur Merkmale
des Vaters zeigen kann, obwohl es an sich von der Mutter viel mehr erhält
als vom Vater. Und doch ist es nicht gesagt, daß es auch nur ein einziges
erkennbares Merkmal der Mutter zu zeigen braucht.
Die mikroskopischen Studien haben diese Vorgänge geklärt. Nicht lange
steht der ins Ei eingedrungene Kopf des Samens dem Kernbläschen gegen¬
über. Beide Gebilde nähern sich einander. Ein eigentümlicher netzartiger
Bau wird erkennbar, der sich bald in eine bestimmte Anzahl hakenförmiger
Gebilde auflöst, die für jede Tierart eine spezifische ist. Man nennt diese Ge¬
bilde Chromosomen. Die Keimzellen der Säugetiere und des Menschen weisen
ihrer 24 auf, von denen 12 vom Kopf des Samens und 12 vom Eikern her¬
rühren. Sie haben eine große Gier, gewisse künstliche Farbstoffe, z. B. Eisen-
hämatoxylin, aufzunehmen, und sind aus aneinander gereihten Teilen (Chromo-
meren) aufgebaut. Die Chromosomen sind die wichtigsten Gebilde des Organismus.
Sie stellen in der befruchteten Eizelle die einzigen nachweisbaren stofflichen
Elemente dar, die zur Hälfte vom Vater und zur Hälfte von der Mutter im
Kinde und Kindeskinde, wie Muckermann sagt, den Stamm fortsetzen und
alle Nachkommen und Vorfahren miteinander verbinden. „Die Einzelwesen
sterben durch Krankheit. Verfall oder Alter ab. Sie aber sind die über¬
dauernden Träger von Leben und Erbanlagen in der Abfolge der Geschlechter.“
Zwei Bahnen der Entwicklung sehen wir in der befrachteten Eizelle entstehen,
die Keimzellen einer neuen Generation — Keimbahn und die Körperzellen des
neuen Wesens — Somabahn. Das Keimplasma wird in ununterbrochener Linie
von Generation auf Generation übertragen. Das Soma, das Einzelindividuum, ist
sterblich. Die 24 Chromosomen spalten sich bald in der Längsrichtung, so daß
wir 48 vor uns haben, von denen 24 nach dem einen, 24 nach dem anderen
Pol der Zelle wandern. Gleichzeitig beginnt diese sich im Aequator einzu¬
schnüren und zerfallt in zwei Tochterzellen, von denen jede wieder 24 Chromo-
Rossebygiene und Kreisarzt.
517
somen enthält. Die 1. Zellteilung des neaen Organismus, vorbildlich für alle
weiteren, ist vor sich gegangen. Gleichwertige Hälften der Chromosomen sind
den Tochterzellen, die sich nun weiter teilen, übermittelt. Sehr frühzeitig tritt
eine Trennung zwischen Fortpflanzungs- und Körperzellen ein, wie als erster
Boveri beim Pferdespulwurm nachwies. Bei der Bildung der ersteren nehmen
wir zunächst die Entstehung der Urgeschlechtszellen wahr, aus denen die Ge¬
schlechtsdrüsen entstehen, dann die Bildung der Urei- und Ursamenzellen ans
den Urgeschlechtszellen und schließlich geht in der Reifungsphase eine Re¬
duktion der Chromosomen auf 12 vor sich. Bei der Oogenese erfolgt die
Reduktion bei der Bildung der Polzellen, bei der Spermiogenese dadurch, daß die
Chromosomenzahl der Spermatogonien anstatt auf 2 gleich auf 4 Zellen, auf die
Spermatika, die sich zu Spermatozoen umgestalten, verteilt wird(0.Hertwig).
Würde diese Reduktion nicht erfolgen, se würden wir sehr bald zn unglaub¬
lichen Zeligebilden kommen.
Schon an dieser Stelle möchte ich zwei Bemerkungen
machen, die praktische Bedeutung für die Rassehygiene haben.
Zunächst: Wir werden bei der Besprechung des Mendelismus
noch näher sehen, daß die Chromosomen als Träger selbst¬
ständiger Erbfaktoren anzusehen sind. Deshalb müssen bei der
Reduktion jedesmal gewisse Erbfaktoren ausgeschaltet werden
und das muß bei den neuen Einzelwesen erkennbar werden.
Und das zweite ist: Man muß annehmen, daß die Längsspaltung
der Chromosomen mit einer gleichen oder imgleichen, gesetz¬
mäßig festgelegten Verteilung von Eigenschaftsanlagen ver¬
bunden ist. Für uns ist aus diesen Vorgängen zu entnehmen,
daß es für den Fortbestand eines Volkes von höchster Wichtig¬
keit ist, die Fortpflanzungszellen in ihrer Fülle nicht zu schwächen
und nicht krank zu machen. Daß der Einfluß der Außenwelt
nicht ohne Bedeutung für die Nachkommen ist, lehren Ver¬
suche von Hertwig, Guthrie u. a. Bisher nimmt man aber
an, daß erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Die
Vererbung hängt vielmehr lediglich* von der Keimbahn ab,
und zwar ist hier stets der Faktor ein spezifischer. Daß
es aber auch eine Möglichkeit der Vererbung durch äußere
Umstände erworbener Eigenschaft gibt, zeigen die Versuche
Towers an seinen Koloradokäfern, die uns eine Aufklärung
darüber geben, wie wichtig für den gesunden Fortbestand eines
Volkes die Erziehung ist. Der Haupt wert ist jedoch auf den
Genotypus legen. Wenn schon das bisher Besprochene die
Richtigkeit dieses letzten Satzes andeutet, so liegt der Haupt¬
beweis in den Mendelschen Regeln, die wieder hervorgeholt
zu haben, ein Hauptverdienst Correns ist.
Während Gal ton das Ahnenerbe anf die Formel gebracht hatte
2 ( l /* + (VO* + (V *) 3 + • • • .),-also dem Kinde die Hälfte der elterlicheu,
ein Viertel der großelterlichen usw. Eigenschaften zasprach, wobei es unklar
blieb, weshalb z. B. gesunde Eltern plötzlich Kinder auf wiesen mit vererbbaren
Krankheiten, bringen die 3 Regeln Mendels: 1. Die der Prävalenz (Kreuzungs¬
generation), 2. die der Spaltung (Spaltungsgeneration) und 3. die der Selbst¬
ständigkeit der Merkmale (Prüfungsgeneration) uns eine Klärung, die durch
ihre Selbstverständlichkeit verblüffend wirkt. Er unterscheidet zwischen
dominierenden und rezessiven Anlagen. Jede Geschlechtszelle — Gamet —
ist rein. Verbindet sich eine Geschlechtszelle mit dominierender Anlage mit
einer solchen mit rezessiver Anlage, so bildet sich ein befruchteter Keim
(Zygote), in dem die beiden Anlagen vereinigt sind. Das Wesen, das nun
aus diesem Keim zur Entstehung kommt, hat in allen seinen Zellen beide An-
518
Dr. Kühnlein.
lagen, nar tritt die rezessive Anlage nicht in die Erscheinung. Der neue
Organismus bildet 2 Arten von Gewebe — dominierender und rezessiver Art
Geht er eine Verbindung mit einem ebensolchen Organismus ein, so ergeben sich
für die Nachkommen dieser Ehe 4 Möglichkeiten, entweder sie bilden Keime
mit dominierenden Anlagen oder mit rezessiven oder mit dominierend rezessiven
oder rezessiv dominierenden, wobei die beiden letzteren praktisch dasselbe be¬
deuten. Die ersteren beiden nennen wir homozygot (rezessiv oder dominierend),
die letzteren heterozygot. Während die ersteren rein weiterzüchten, haben die
letzteren immer wieder 2 Arten Gameten und spalten sich weiter auf im Ver¬
hältnis 3 : 1. Für die intermediäre Form der Vererbung gilt im wesentlichen
dieselbe Regel. Was hat nun der Mendelismus praktisch für den Menschen
zu bedeuten? Verhältnismäßig einfache Schlüsse ergeben sich für die Erb¬
lichkeitsverhältnisse in Familien, in denen eine Krankheitsanlage dominant geht.
TrittT da ein Gesunder auf, so ist er auch mit Bezug auf das Leiden keim¬
gesund — Homozygot — rezessiv. Das Merkmal der Gesundheit ist selbst¬
ständig. Und so lange dieses Individuum sich mit Gesunden paart, wird es
auch nur gesunde Nachkommen haben. Aber niemals wird es gelingen, eine
Anomalie, welche dominiert, durch Kreuzung mit gesundem Blute auszuschalten.
Ist das Individaum homozygot-dominant, so wird es lauter kranke Nachkommen
haben, ist es heterozygot-dominant, so muß Spaltung cintreten im Verhältnis
von 1 : 1. Nur wenn in einer solchen Familie die Ausschaltung des Krank¬
heitsträgers von der Fortpflanzung erfolgt, kann Regeneration eintreten. Viel
schwieriger gestaltet sich die Frage für Abnormitäten rezessiven Charakters.
In solchen Familien sind die Homozygot-Rezessiven manifest krank, die Homo¬
zygot-Dominanten gesund und die Heterozygot-Rezessiven zwar manifest ge¬
sund, aber latent krank. Da kommt es denn vor, daß Generationen gesund
erscheinen und plötzlich das alte Familienerbübel wieder erscheint. Es wird
also darauf ankommen, die Heterozygoten bei rezessiv sich vererbenden Krank¬
heitsanlagen zu erkennen. Sie sind von der Fortpflanzung auszuschließen.
Nach Strohmayer erscheinen in diesem Zusammenhänge folgende Wahr-
scbeinlichkeitsschlüsse berechtigt:
„1. Auch gesunde Kinder aus der Ehe eines gesund und eines kranken
Elters sind zur Paarung riskant, da sie alle heterozygot sind und das latente
R. tragen.
2. Haben zwei gesunde Eltern manifest gesunde Kinder, so ist nur dann
einige Garantie geboten, daß diese auch keimgesund sind, wenn das Fehlen
von Fällen der rezessiven Anömalie in der kollateralen Verwandtschaft der
Eltern (Geschwister!) wahrscheinlich macht, daß beide Eltern DD-Individuen sind.
3. Haben zwei gesunde Eltern neben gesunden Kindern ein krankes, so
sind sie Heterozygotem und es ist gewagt, auch unter ihren gesunden Kindern
zu wählen, da die überwiegende Zahl davon Heterozygoten sind, die beim
Zusammentreffen mit heterozygoten Partnern wieder kranke Kinder liefern.“
Hieran knüpfen sich drei Schlußfolgerungen:
1. Es ist kaum zu erwarten, daß eine dominante Krankheitsanlage durch
Zuführung gesunden Blutes überwunden werden kann.
2. Dagegen wird das allmählich bei rezessiver Krankheitsanlage mög¬
lich sein.
3. Die geringste Aussicht auf Erfolg bietet daB Verfahren bei Paarung
mit Blutsverwandten, da es hier am leichtesten zum Zusammentreffen mit
ähnlich veranlagten DD-Individuen kommen kann.
Dies is das einzige gefährliche Moment der Inzucht. Sowohl dominant
als rezessiv gehende Krankheiten sind uns in großer Zahl bekannt. Zu den
ersteren rechnet man unter anderen die Huntington sehe Chorea, das here¬
ditäre Zittern, die hereditäre Ataxie, den progressiven Muskelschwund, den
grauen und Schichtstar, den Diabetes mellitus und insipidus, den Spaltfuß, die
multiplen Exostosen, zu den letzteren den Albinismus, die Retinitis pigmentosa,
die Taubstummheit, Psychosen und Psychoneurosen in der Mehrzahl, die Epilepsie.
Zu gedenken ist auch der Anomalien, die bei Männern dominant, bei Frauen
rezessiv gehen. Wir kennen den gynephoren Vererbungstyp, bei dem die
Frauen Ueberträger der Krankheit sind, ohne selbst zu erkranken, für die
Hämophilie, die Farbenblindheit, die pstudobypertrophische Muskelatropbie,
die erbliche Sehnervenatrophie, den Albinismus mit Nystagmus. Die geistvolle
Rassehygiene and Kreisarzt.
519
Faktorenhypothese P1 a t e s hierzu, die eine wichtige Ergänzung der M e n d e 1 sehen
lehren bildet, behauptet, daß der Faktor der Weiblichkeit Ober den Krank*
heitsfaktor dominiert und ein Samenfaden mit Krankheitsfaktor ein gesundes,
männlich veranlagtes Ei nicht zur Entwicklung bringen kann, wohl aber ein
weiblich veranlagtes, weil der Faktor der Weiblichkeit über den Krankheits¬
faktor domioiert.
So einfach, wie die Dinge sich nun anhören, liegen sie
beim Menschen natürlich nicht. Es besteht an sich keine Mög¬
lichkeit, die so gefährlichen Heterozygoten bei rezessiver Ver¬
erbung zu erkennen. Die Erkennung ist nur dann gegeben,
wenn mindestens ein Kind sich rezessiv zeigt oder die Eltern
aus der Ehe mit einem rezessiven Homozygoten hervorgegangen
sind. Strohmayer hebt hervor, daß in der Psychiatrie ein
R. R. Individuum selbst klinisoh und sozial gesund bleiben kann
und im Erbgange doch sein verhängnisvolles R. in die Wag¬
schale wirft. Nicht gar selten liegen überhaupt keine reinen
Erblichkeitswirkungen, sondern Keimschädigungen der Eltern
vor der Befruchtung— wie z. B. durch Syphilis, Alkohol, Blei —
oder intrauterine Schädlichkeiten vor. Das geistesschwache
Kind eines syphilitischen Vaters spielt selbstverständlich auf
der Familien erb tafel eine andere Rolle als ein ebensolches in
einer Familie, die in ihrer Ahnenreihe abnorme Charaktere,
Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder ähnliche Zustände immer
wieder in die Erscheinung treten ließ. Auch darf man nicht
vergessen, die willkürliche Beschränkung der Kinderzahl und
des Ausbleibens einer bestimmten Zahl von Kindern durch
irgendwelche andere Ursachen mit in Rechnung zu stellen.
Und schließlich erscheinen die Erbfaktoren in der Reihe der
Kinder nicht nach einer vorauszubestimmenden Reihenfolge.
Es kann das Kind R. R., das die rezessiven Krankheitsanlagen
beider Eltern trägt, also manifest krank ist, zuerst geboren
werden. Ebenso besteht aber auch die Möglichkeit, daß die
Dominanten zuerst das Licht der Welt erblicken und das vorher
genannte Individuum gar nicht geboren wird. Und schließlich
stirbt auch einmal ein Krankheitsträger früher als die Anlage
äußerlich erkennbar hervortrat.. Ganz besonders scheint die
Feststellung im Erbgange der Neurosen und Psychosen auf
Schwierigkeit zu stoßen. Wir wissen es alle, daß wir da nicht
selten neben dem normalen und intelligenten Taugenichts den
Hebephreniker, den Trinker, den Epileptiker usw. finden können.
Vielleicht ist da noch eine Klärung im Sinne Rüdins durch die
zweifellos bestehende Korrellation zu gewissen körperlichen
Merkmalen — wie Asymmetrie, Fingerabdruck — und ähnlichem
zu erwarten.
Wir Medizinalbeamten müssen uns mit den Vererbungs¬
gesetzen beschäftigen, um die so dringend erforderliche Familien¬
forschung fördern zu helfen und zu den Fragen des Eheverbots
und der Unfruchtbarmachung für bestimmte Individuen Stellung
zu nehmen. Wollen wir unsere Stellung als Sozialhygieniker
behaupten — und das scheint mir bei der heutigen Not unseres
Volkes, die die Anstellung von Kommunalärzten immer mehr
620
Dr. Ktthnlein.
erschwert, unerläßlich, vor allen Dingen aber auch unsere vor¬
nehmste Pflicht —, so müssen wir uns aktiv an der Lösung
der Aufgaben der Sozialhygiene beteiligen. Der Staat wird
nicht umhin können, sich selbst der Familienforschung anzu¬
nehmen. Jedenfalls bringen gerade die Aufstellungen von
Familienstammbäumen mit den beobachteten wiederkehrenden
Krankheiten in der Familie mancherlei Aufklärung im Sinne
meiner heutigen Ausführungen. Hierbei wird es darauf an¬
kommen, daß die Seitenverwandtschaften nicht vernachlässigt
werden, was Crzellitzer in seinen Sippschaftstafeln schon
bedacht hat. Auf Grund der Forschungsergebnisse wird mancher
gute Rat durch eigens dazu eingerichtete Stellen, deren Mit¬
helfer der Amtsarzt nach Möglichkeit wird sein müssen, erteilt
werden können. Ich denke mir das Wort „Rat“ in diesem
Zusammenhänge sowohl positiv als negativ. Auf Grund der
Familienforschung wird man, meine ich, unzweckmäßige Ehen
zu verhindern und Ehen zwischen hochwertigen Partnern zu
fördern versuchen können. Ein Gebot der Stunde scheint mir
die Unfruchtbarmachung von Geisteskranken, Geistesschwachen,
Gewohnheitsverbrechern und chronischen Alkoholikern, deren
Krankheit auf vererbter Grundlage beruht. Ich stimme .aber
gleichzeitig nach dieser Hinsicht Westenhöfer zu, der da
verlangt, daß zu dieser negativen Maßnahme auch positive
Leistungen kommen müssen. Als negative Maßnahme ist auch
das Eheverbot, von dem ich mir allerdings nicht sonderlich viel
verspreche, zu betrachten. Wir wissen, daß z. B. Schweden
1915 ein Eheverbot für Geisteskranke, Schwachsinnige, Epi¬
leptiker und Geisteskranke im akuten Stadium eingeführt hat.
Wenn unser Volk in seiner Gesamtheit in hygienischer Hinsicht
aufgeklärter wäre, dann bedürfte es eines solchen Verbotes nicht.
Andererseits kann ich aber auch bei der hochgradigen Unwissen¬
heit, der man in allen Kreisen unseres Volkes gerade auf
hygienischem Gebiete und besonders bei Fragen der Vererbung
begegnet, die Einführung des kurzen Ehezeugnisses nach Ab e 1
nicht als ausreichend betrachten. Zur Verhütung der Keim¬
vergiftung und Keimschädigung sind alle bestehenden Einrich¬
tungen der öffentlichen Hygiene und Sozialhygiene, vor allem
die Beratung und Kontrolle der Geschlechtskranken, die Für¬
sorgestellen für Schwangere, Wöchnerinnen, Mütter, für Tuber¬
kulöse, für Trinker, die Gewerbehygiene und ähnliche nicht
nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen. Rücksichtslos muß
unserm Volke klar gemacht werden, wie abschüssig die Bahn
ist, auf der wir uns zurzeit bewegen. Erst nach Jahren werden
die Keimschädigungen durch Typhus, Tuberkulose und Alkohol
sich voll auswirken. Eine weit umfassende Aufklärungsarbeit
über die Ursachen der Entartung und die Möglichkeit der Auf¬
artung hat einzusetzen. Hierzu ist natürlich in erster Linie
erforderlich, daß der Mediziner auf der Universität besonders
in der Lehre von der Vererbung und ihren Zusammenhängen
mit dem Bestände eines Volkes unterrichtet wird. Auch die
B&ssehygiene und Kreisarzt
521
Lehrerschaft ist mit diesem Gebiet eingehend vertraut zu machen.
Vielleicht naht dann auch einmal die Zeit, in der unsere Staats¬
männer und Verwaltungsbeamten, unsere Politiker und unser
Volk selbst nicht blos dem Augenblicke leben, sondern den
Blick in die Zukunft richten werden, in der mit Sicherheit die
volkseugenischen Bestrebungen unermeßliche Vorteile bringen
werden, von denen zu Beginn der Arbeit sich kaum etwas be¬
merkbar machen kann. Allerdings wird in Deutschland eine
Umstellung der geltenden Anschauungen im Sinne steter Rück¬
sichtnahme auf den Mitmenschen, größtem persönlichem Ver-
antwortlichkeits- und allgemeinem Gemeinschaftsgefühls erforder¬
lich sein, wenn wir wieder hochkommen wollen. Hierin dürfen
wir Medizinalbeamten von niemandem uns übertreffen lassen. Wir
müssen aber auch laut überall diese Umstelluug verlangen.
Wirtschaft, Verwaltung und Regierung, Familie und Einzel¬
wesen haben diese Umstellungsbestrebungen sich zu eigen zu
machen. Es kann doch nicht Sache der Wirtschaft sein, billig
herzustellen und teuer abzusetzen. Jeder Nutzen muß mit ge¬
nügst möglichem Arbeitsaufwand und geringst möglichen Opfern
erzielt werden. Die Pflege des Menschenlebens muß zum min¬
desten ebenso sorgfältig durchgeführt werden, wie die der Vieh¬
zucht. Hierher gehört in erster Linie die Schaffung menschen¬
würdiger Lebens- und Wohnbedingungen für kinderreiche
Familien. Gerade wir Kreisärzte müssen immer mit dem Finger
deutend hinweisen auf die Verfassung, die in den Artikeln 119
bis 122 (Gemeinschaftsleben — Ehe — Förderung der Familie —
Erziehung — uneheliches Kind), 151 (Wirtschaftsleben —
menschenwürdiges Dasein), 155 (Wohnung — Bodenreform),
163 (Betätigung der geistigen und körperlichen Kräfte) wesent¬
liche Hilfsmittel für eine Volkseugenik enthält. Wir müssen
aber auch betonen, daß der Weg, den wir beschritten haben
in der Schulpolitik, der Steuerpolitik nicht geeignet ist, den
Familiensinn zu fördern. Die Steuerpolitik hat sich im be¬
sonderen im Sinne Schloßmanns zu bewegen, d. h. jedes
Einkommen und jedes Vermögen ist bei jeder Steuerveranlagung
in so viel gleichen Teilen zu veranlagen als Personen davon
leben müssen. Da uns die Schäden der Großstadt in rassen-
hvgienischer Hinsicht bekannt sind, so ist es an uns, immer
wieder daran zu erinnern, daß eine Besiedlung des flachen
Landes mit Kleinwohnungen nebst Nährgärten stattfindet. Bei
Erhaltung der achtstündigen durchgehenden Arbeitszeit wird
der Arbeiter und Beamte Zeit und Uust gewinnen, sich einen
Teil seiner Ackernahrung selbst zu sdhaffen. Er wird so gleich¬
zeitig wieder natürlicher werden, im besonderen wächst dann
die Jugend in engerer Berührung mit der Natur auf und die
Schäden der Großstadt werden weniger Angriffspunkte finden.
Auch der Besuch von Fortbildungskursen wird dadurch ge¬
fördert. Die Durchführung des Siedlungsgesetzes muß von uns
betont werden zur Schaffung und Vermehrung des Kleinbauer¬
standes, der eine Quelle der Krafterneuerung für unser Volk
522
Dr. Ktthnlein: Bassehygiene and Kreisarzt..
ist. Einen Kreisarzt, der nicht Bodenreformer ist, der nicht
den seit Jahrzehnten üblichen Bodenwucher verurteilt, darf es
nicht geben. Kultur, Sitte, Gesundheit können in den durch
den Bodenwucher hervorgebrachten Massenkasemen der Städte
keinen Sitz haben. Wo die Industrie Acker, Wald und Wiesen
mit Beschlag belegt, um sie auszuwerten, ist sie zu verpflichten,
entsprechendes Oedland zu kultivieren, damit unsere Acker¬
nahrung nicht vermindert, unsere Wohnungsnot nicht vergrößert
wird. Bequeme und billige Verkehrsmittel müssen es dem
Beamten, Angestellten und Arbeiter ermöglichen, den Weg von
dem Amte, Büro, der Arbeitsstätte täglich nach dem Heim zu¬
rückzulegen. Allen Bestrebungen zur Beschränkung der Kinder¬
zahl ist entgegenzutreten. Nur in der kinderreichen Familie
können alle Erbwerte zur Auswirkung kommen, wie das Mi¬
nister a. D. 0 e s e r in seinem vorzüglichen kleinen Schriftchen
„Mehr Kinder, mehr Erbe!“ so ausgezeichnet dargetan hat.
Wenn das Familienbewußtsein steigt, so wird dadurch ein ge¬
nügend langes Intervall zwischen den einzelnen Geburten ge¬
währleistet. Dieses Intervall wird durch das Selbststillen der
Mütter begünstigt. Wo aber eine Mutter lange und ausreichend
stillt, da haben wir eine gute Konstitution vor uns, die als
Erbfaktor wesentlich ist. Zur Verhütung der Geschlechtskrank¬
heiten und das Familienleben untergrabender Sittenlosigkeit ist
die Frühehe zu propagieren. Ich verweise auf die Ausführungen
Westenhöfers über die Sexualordnung, die er empfiehlt,
da die Westenhöf ersehe Abhandlung # über „Die Aufgaben
der Rassenhygiene im neuen Deutschland“ 1920 in den Ver¬
öffentlichungen der Medizinalverwaltung erschienen ist, erspare
ich mir ein näheres Eingehen darauf in der Annahme, daß
jeder sie gelesen hat. Ich möchte dazu sagen, daß ich seine
Vorschläge zum mindesten für diskutabel erachte. Jedenfalls
ist es klar, daß die Begriffe der Ein- und Zweikinderehe, der
Mammons- und Standesehe uns immer weiter auf der Keim¬
bahn abwärts gleiten lassen. Bezüglich der Ein- und Zwei¬
kinderehe hat sich ja auch Grotjahn deutlich geäußert. Liebe
zum Kinde, Verantwortlichkeitsgefühl, Gemeinschaftssinn da¬
gegen werden uns hochbringen. Ein hervorragendes Beispiel von
Verantwortlichkeit und Gemeinschaftsgefühl zeigten die Frauen
der Bluterfamilien des Dorfes Tenna in Graubünden, indem sie
die Fortpflanzung ablehnten. Das Verantwortlichkeitsgefühl,
schon in der Jugend mit der erforderlichen Aufklärung gro߬
gezogen, bei der wir Kreisärzte an erster Stelle mitzuwirken
naben, wird sich bei der Gattenwahl, auf die ja v. Grub er
besonders hindeutet, günstig bemerkbar machen und in der
Zukunft für unser Volk sich zum Segen auswachsen. Lenz
hat Recht, wenn er sagt: „Eine wirklich durchgreifende Rasse¬
hygiene ist weder durch Kreuzung noch durch Eheverbot und
Sterilisierungen zu erreichen, sondern einzig und allein durch
positive Selektion der gesunden Idioplasmastämme, d. h. dadurch,
daß man durch sozialwirtschaftliche Gesetze den wirklich ge-
Prof. E. Ungar: Die Magendarmprobe usw. bei gerichtl. Untersuchung. 623
sunden Erbeinheiten zur Sammlung und Vermehrung hilft,
so daß sie im Laufe der Generationen an die Stelle der Kranken
treten.“
Die Magendarmprobe und die Vorschriften über das
Verfahren der Gerichtsärzte bei gerichtlicher Unter¬
suchung menschlicher Leichen vom 31. M&i 1922.
Von Prof. E.Ungar-Bonn.
ln den neuen Vorschriften heißt es im § 24 unter 2.:
„Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe soll die
Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden. In ihrer Ausführung ist bei
der Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre am unteren Ende einfach,
vor Herausnahme des Magens der Zwölffingerdarm im oberen Abschnitte doppelt
zu unlerbinden. Der herausgenommene Magen ist wie die Lungen auf Schwimm¬
fähigkeit zu prüfen und darauf unter Wasser zu eröffnen. Ebenso wird nachher
der gesamte Darm, nachdem er oberhalb des Mastdarms nochmals unterbunden
und dann in der üblichen Weise herausgenommen worden ist, auf Wasser
gelegt und festgestellt, ob und welche Teile schwimmfähig sind.“
Diese Fassung unterscheidet sich von der der alten Vor¬
schriften vom 4. Januar 1905 nur dadurch, daß es jetzt heißt,
bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe
soll die Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden,
während es in den alten Bestimmungen hieß, kann die Magen¬
darmprobe ergänzend herangezogen werden. Damit ist die
Magendarmprobe auch jetzt nicht in allen Fällen von Leichen¬
öffnung Neugeborener für obligatorisch erklärt. Auch die neuen
Vorschriften haben es demnach ganz unberücksichtigt gelassen,
daß die Bedeutung der Magendarmprobe nicht allein darauf
beruht, daß sie in Fällen, in welchen die Lungenprobe ein
negatives oder zweifelhaftes Resultat ergibt, das Gelebthaben
des Neugeborenen nachweisen kann, sie haben nicht berück¬
sichtigt, daß die Hauptbedeutung dieser Lebensprobe darin zu
suchen ist, daß sie — und nur sie allein — uns über die Dauer
des Lebens wertvolle Aufschlüsse zu geben vermag in den
Fällen, in welchen es sich nicht um eine Lebensdauer von
vielen Stunden oder gar von Tagen handelt. Wie ich in
meiner in dieser Zeitschrift veröffentlichten kleinen Abhand¬
lung „Nochmals die Magendarmprobe“*) besonders betont habe,
läßt uns die Lungenprobe hier völlig im Stich. Völlig auf-
§ eblähte Lungen beweisen nicht, daß das Kind länger als
ekunden gelebt hat; nur in geringem Grade aufgeblähte, ja
luftleere Lungen schließen ein längeres, ja stundenlanges
Leben nicht aus. Die anderen, allenfalls für die Bestimmung
der Lebensdauer verwertbaren Feststellungen, wie das Ver¬
halten der Nabelschnur und des Nabels, die Beschaffenheit der
fötalen Kreislaufwege, die Veränderungen an einer Kopf¬
geschwulst, das Verhalten des Knochenkems in der Epiphyse
des Oberschenkels, der Mekonsumgehalt des Dickdarmes können
*) Zeitschrift für Medizinalbeamte, 1920, H. 16.
524 Prof. Ungar: Die tfagendarmprobe usw. bei gerichtL Untersuchung.
nur in einer sehr beschränkten Anzahl von Fällen Aufschluß
geben und dann auch nur dort, wo es sich um eine längere
Lebensdauer handelt. So bleibt für die Bestimmung der Dauer
eines kürzeren Lebens, also für jene Fälle, in denen es auf die
Feststellung ankommt, ob der Tod unmittelbar nach der Geburt
eintrat, oder ob das Kind immerhin noch Minuten, ja selbst
stundenlang lebte, nur noch die Magendarmprobe übrig.
Wie wichtig der durch die Magendarmprobe erbrachte
Nachweis sein kann, daß ein Kind eine gewisse Zeit und zwar
bei freiem Luftzutritt zu den Atmungsöffnungen gelebt haben
müsse, liegt auf der Hand. In meinen früheren Abhandlungen
über die Magendarmprobe habe ich Fälle mitgeteilt, die dies
zur Genüge dartun. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß
das Fehlen eines Luftgehalts des Magens und des Darmes, oder
eine nur geringfügige Luftfüllung des Magens, wenn auch mit
Vorsicht für die Beurteilung der Lebensdauer verwertet werden
können.
Die obduzierenden Aerzte können aber bei der Vornahme
der Leichenöffnung eines Neugeborenen in der Regel nicht
wissen, ob nicht in dem betreffenden Falle die Feststellung der
Dauer des Gelebthabens für die Beurteilung des Falles von
größter Bedeutung ist. Aus diesem Grunde sollte die Magen-
darraprobe in keinem Falle unterbleiben.
Die Vorschriften sprechen nicht nur von einem negativen,
sondern auch von einem „zweifelhaften“ Resultat der
Lungenprobe. Zweifelhaft kann doch das Ergebnis der Lungen¬
probe für den richtig vorgebildeten und erfahrenen Gerichts¬
arzt nicht sein! Selbst bei vorgeschrittener Fäulnis wird der
sachkundige Gerichtsarzt, der die Kriterien der Lungenprobe
genügend berücksichtigt, kaum jemals über das Ergebnis der
Lungenprobe im Zweifel sein. Es gibt freilich Fälle, in denen
durch die Lungenprobe zwar ein Luftgehalt der Lungen nach¬
gewiesen wurde, immerhin aber Zweifel auftreten können, ob
der Luftgehalt auch auf Atmen des lebenden Kindes zurück¬
zuführen ist. Die Zweifel an der Beweiskraft der Lungenprobe
kommen dann aber meist erst nachher, sie kommen erst, wenn
später Tatsachen ermittelt werden, die den Gerichtsärzten bei
der Leichenöffnung nicht bekannt waren, während ihnen zur Zeit
der Obduktion das Ergebnis der Lungenprobe nicht zweifelhaft
erschien, wie z. B. in dem von mir in der oben erwähnten
Abhandlung mitgeteilten Falle, in welchem eine Hebamme
Wiederbelebungsversuche durch Schultz sehe Schwingungen
gemacht hatte, was erst später bekannt wurde. In diesem Falle
konnte nur der Nachweis des Gelebthabens später als erbracht
angesehen werden, weil auch der Dünndarm als lufthaltig be¬
funden worden war.
Das Gesagte genügt wohl, um zu zeigen, wie
bedauerlich es ist, daß die neuen Vorschriften un¬
bekümmert um anerkannte Lehren der gerichtlichen
Dr. Gasters: Vorläufiger Bericht über eine nicht aufgeklärte Erkrankung. 525
Medizin derMagendarmprobe wiederum die erforder¬
liche Berücksichtigung versagt haben. Dafür haben
sie in § 24 (sub. 9) die Bestimmung, daß die Durch-
E ängigkeit des Botanischen Ganges und des eiförmigen
loches geprüft werden muß, beibehalten, obschon, wie schon
Caspar ausgesprochen und namentlich Hab er da dargetan
hat, die Obliteration der fötalen Kreislaufwege zu spät nach
der Geburt erfolgt, als daß ihr Nachweis als Lebensprobe irgend¬
welchen Wert hätte, obschon ihre Bedeutung für den Nachweis
der Dauer des Lebens eine nur untergeordnete ist, um so mehr,
als ja doch der Ductus Botalli und das Foramen ovale das
ganze Leben hindurch offen bleiben können.
Den Herren Kollegen kann ich nur dringend anempfehlen,
die Magendarmprobe in allen Fällen von Leichenöffnungen Neu¬
geborener anzustellen. Dabei empfiehlt es sich aber, nicht nur,
wie die Vorschriften anordnen, die Speiseröhre am unteren
Ende einfach und den Zwölffingerdarm im oberen Abschnitt
doppelt zu unterbinden, sondern auch, wie ich vorgeschlagen
habe, schon bei Beginn der Obduktion der Bauchhöhle eine
Unterbindung namentlich dort vorzunehmen, wo sich die Grenze
der Aufblähung des Darmes erkennen läßt, damit nicht bei dem
Manipulieren mit dem Darm eine Verschiebung der Luftsäule
erfolgt.
Vorläufiger Bericht über eine nicht aufgeklärte
Erkrankung (26 Erkrankungs- = 12 Todesfälle)
im St. Josefshaus in Mülheim a. d. Ruhr.
Von Med.-Kat Dr. Gastera, Kreis- and Stadtarzt in Mülheim a. d. Kahr.
Ara 27./6. 22 meldete Dr. J., Facharzt für innere und
Nervenkrankheiten, leitender Arzt des Marienhospitals hier,
der nebenamtlich die ärztliche Oberleitung im St. Josefshaus
hat, daß unter den dort untergebrachten Mädchen eine eigen¬
artige Erkrankung aufgetreten sei, die in 3 Fällen bereits zum
Tode geführt habe, Diagnose und Erkrankungsursache habe
er noch nicht sicher feststellen können. Das St. Josefshaus —
das frühere Garnisonlazarett — besteht aus 4 vollständig, weit
(10—30 m) voneinander getrennten, in 10 Morgen großem park-
artigen Garten auf der Kahlenberghöhe gelegenen, massiven,
hygienisch einwandfreien Häusern. Der Kath. Frauen verein
betreibt seit Ostern 1922 darin ein Fürsorgeheim für Säuglinge,
für schwer erziehbare junge Mädchen, für Schwangere, für
jugendliche weibliche Geschlechtskranke und unterhält eine
Wäscherei, Bügelanstalt und ein Nähzimmer. Wirtschaft und
Pflege wird von Ordensschwestern besorgt. Das Haus war vor
der Eröffnung des Fürsorgeheims in allen seinen Teilen gründlich
gereinigt und neu gestrichen.
526 Dr. Gasters: Vorläufiger Bericht Ober eine nicht aufgeklärte Erkrankung
loh stellte am 27. 6. 22 vormittags fest:
das Haus war belegt mit 1 Hausgeistlichen,
14 Schwestern,
6 Schwangeren,
5 frisch entbundenen Mädchen,
27 Säuglingen,
8 Kinder von 1—3 Jahren,
31 Mädchen (schwer erziehbar),
_ 7 geschlechtskranken Mädchen,
also 100 Personen insgesamt.
Erkrankungen waren nur bei den gefährdeten Mädchen,
die im Hauptlazarettgebäude untergebracht waren und bei den
diese betreuenden Schwestern vorgekommen. Gestorben waren
in den letzten 24 Stunden 3 Mädchen, krank lagen 7 Mädchen
und 3 Schwestern. Dr. J. und sein Assistenzarzt Dr. St. schil¬
derten das Krankheitsbild mit folgenden nacheinander auf¬
tretenden Erscheinungen: a) subjektive Klagen: Kopf¬
schmerzen über den Augen, brandartiges schmerzhaftes Gefühl
im Halse, Schwindelgefühl, Druckgefühl unter dem Brustbein,
Doppelsehen, Unfähigkeit zum Schlucken, aufsteigende Be¬
klemmung in der Brust; b) objektiver Befund: Keine er¬
höhte Temperatur, keine Magendarmerscheinungen, erschwertes
Schlucken, vereinzelt Nystagmus und weite, träge oder fast
reaktionslose Pupillen, (Lichtstarre nur ante exitum) Puls gut
gespannt, voll, regelmäßig, bis 100 Schläge in der Minute,
keine erhebliche Störung des Sensoriums, Gaumensegellähmung,
verwaschene (bulbäre) Sprache, Doppelsehen, vereinzelt Babinski,
zunehmende Cyanose, Exitus. Das Blutbild zeigt bei allen Er¬
krankten eine mäßig starke Verschiebung nach links. Das
Dicktropfenpräparat zeigt bei allen Netzchenbildung mit baso¬
philer Punktierung der Erytrocyten. (Schädigung der Erytro-
cyten.)
Bei einer Sterbenden und den Erkrankten konnte ich den
geschilderten Befund bestätigen. Ich dachte zunächst an Botu¬
lismus. Fleisch war nur in Form von Blut- und Leberwurst
(aus eigner Schlachtung in Gläsern eingeweckt) zuletzt am Sonn¬
tagabend, also etwa 36—40 Stunden vor meinem Eintreffen, verab¬
folgt, Gemüekonserven waren gar nicht, Fisch und Fischgerichte
nur als Salzhering gegeben, die Wurst hatte keinen auffallenden
Geruch und Geschmack, sie sah sauber und appetitlich aus, sie
war auf Brot gestrichen an alle rund 70 Erwachsene und Kinder
ohne besondere Verteilung nach Stationen, Arten der Pfleg¬
linge usw. verteilt und hat allen gut geschmeckt. Niemand hat
über Magenschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen, Durchfall geklagt.
Trotz des negativen Ergebnisses der Untersuchung verbot ich
die weitere Ausgabe von W urst, Fleisch und Gemüsekonserven,
Fisch und Fischgerichten, ordnete aber, da ich auch an eine
übertragbare Krankheitsursache denken mußte, strenge Absonde¬
rung der Erkrankten, und der mit diesen in Gemeinschaft ge¬
wesenen Ansteckungsverdächtigen und des Pflegepersonals an
(26 Erkrankungs- = 12 Todesfälle) im St Josefsbaas in Mülheim &. d. Rohr. 527
und traf Desinfektionsmaßregeln wie bei Scharlach, Genick¬
starre, Typhus usw.
Am 26./6. verstarb ein Mädchen. Am 27-/6. verstürben
& Mädchen, am 28./6. 3, am 30./6. 1 Mädchen, am 2./7. eine
Ordensschwester und ein Mädchen, insgesamt vom 26./Ö—2-/7.
verstarben 11 Mädchen und 1 Schwester, im Alter von 14 bis
35 Jahren. Die Zahl der Erkrankten beträgt bis jetzt 26.
Nach und nach wurden nun folgende Einzelheiten fest¬
gestellt :
Ordensschwester M. bat schon am Mittwoch, den 21./6. über Kopf¬
schmerzen über beiden Augen, Müdigkeit, Halsschmerzen and Schwindel ge¬
klagt sich aber trotzdem aafrechterhalten and ist nicht bettlägerig geworden,
die Beschwerden verschwanden langsam nach einigen Tagen. Oie Oberin N.
und die Schwester P. hatten dieselben Erscheinungen seit etwa 22-/6-, worden
aber erst am 27-/6. bettlägerig. Die erstere Hegt noch mit völHger Ganmen-
segelläbmung and großer allgemeiner Schwäche za Bett and Schwester P. ist
am 2-/7. unter denselben Erscheinungen, wie die Mädchen, verstorben. Es
lassen sich folgende Erkrankungsreiben anfatellen:
vom 21./6.—25/6. erkrankten 3 Schwestern,
„ 26./6.—28-/6. „ 14 Mädchen,
„ 29./6.—30./6. „ 1 Schwester,
n 1./7.— 2./7. „ 4 Mädchen,
„ 2-/7-— 4-/7. „ 1 Arzt (Dr. J.) 8 Mädchen.
Mit größter Wahrscheinlichkeit hat auch der behandelnde A. A. Dr. St.
in den Tagen vom 27.—29./6. einen leichten Krankheitsfall überstanden.
Von der Regierung nahm an den Ermittlungen teil Med.-
Rat Dr. Schürmeyer-Düsseldorf, zur Beratung wurden zu¬
gezogen: Prof. Dr. R i n d f 1 e i s c h - Dortmund, Prof. Dr.Beitzke-
Düsseldorf (27./6.) 2 Obduktionen, Geh. Med.-Rat Paul Dr. Krause-
Bonn (2./7.), Prof. Dr. Dietrich-Cöln (5./7.) 1 Obduktion,
Prof. Dr. Eduard Müller-Marburg (12./7 und 26./7J, Geheimrat
Uhlenhuth-Marburg 24./7.).
Die Obduktionen ergaben keinen für Intoxikation und In¬
fektion verwertbaren makroskopischen Befund lind auch mikro¬
skopisch bis jetzt keine entzündliche Ursache beweisenden
reaktiven Veränderungen, so daß die gefundenen Kerndegene¬
rationen vielmehr dafür sprechen, „daß irgendein toxischer
Einfluß die Veränderungen der Zellen und somit auch die ge¬
samten Krankheitserscheinungen bedingt hat“. (Dietrich.)
Die Mehrzahl der beteiligten und befragten Aerzte glaubte
in Uebereinstimmung mit mir mit allergrößter Wahrscheinlich¬
keit Botulismus ablehnen und eine in das bisherige Lehrbuch¬
bild nicht ganz passende Abart der Heine-Med in sehen
Krankheit (?) annehmen zu können. Paul Krause und Eduard
Müller kamen zu einem fast gleichen Urteil, das letzterer so
fixierte: „Toxisch-infektiöse Bulbärlähmung durch ein hoch
virulentes, wahrscheinlich von Person zu Person übertragbares,
wohl im Nasenrachenraum sich aufhaltendes, möglicherweise
durch Tropfeninfektion weiter verbreitendes Virus von besonders
intensiver Toxinbildung und Affinität für Medulla oblongata.*)“
*) Die inzwischen fortgeführten pathologisch-anatomischen (Beitzke,
Dietrich) and bakteriologischen Untersuchungen haben eine Klärang noch
nicht gebracht.
528
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
Im Herbst 1909 konnte ich in Heit 17 der Zeitschrift für
Medizinalbeamte, wohl als Erster, auf das epidemische Auf¬
treten der Heine-Medinsehen Krankheit im rheinisch-west¬
fälischen Industriebezirk aufmerksam machen, ich will gerne
hoffen, daß es diesmal anders kommt und zu allem unserem
Elend nicht auch noch dieser böse, heimtückische Feind unserer
Volksgesundheit in verändertem Gewände verheerend durch
unseren schon so vielseitig bedrohten Bezirk zieht.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Fleckfieber.
Die Weil-Fellxsche Reaktion (mit Proteas-Stamm X 19) wird seit
Februar 1920 in einer praktisch vereinfachten Foim als diagnostisches Hilfs¬
mittel fttr Flecktyphus auf der Newyorker Quarantänestation an¬
gewendet. Positiver Aasfall selbst in klinisch sonst zweifelhaften Fällen gik
als sicheres Kennzeichen, negatives Ergebnis umgekehrt Das Verfahren bat
sich zur rascheren Abwicklung des Quarantänedienstes, der für Handel and
Verkehr lebenswichtig ist, bewährt. (Publ. Health Rep. 14./7.1922, Bd. 37.)
Dr. Sieveking-Hamburg.
2. Tuberkulose.
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika erfaßt die
Statistik zurzeit etwa 82,2 °/o der Gesamtbevölkerung, also rand 87,6 Millionen
der 107 Millionen Einwohner.
Die Pablic Heatb Reports vom 13. Janaar 1922 geben für diesen Teil
der Bevölkerung die Tuberkulose-Sterblichkeit (alle Formen) wie
folgt an:
Zahl der Todesfälle 1918: 122040 = 1,60 °/oo,
1919: 106986 = 1,26°/««,
1920': 99916 = 1,14 °/oo.
Im aUgemeinen ist überall ein stetiges Absinken der Sterblichkeitskurve
zu vermerken. Die höchste Sterblichkeit hatte 1920 der Staat Colorado mit
2,15°/oo, die niedrigste der Nachbarstaat Utah mit 0,4*/o«. Die Unterschiede in
der Sterblichkeit der weißen und schwarzen Bevölkerung sind sinnfällig. Im
Staat Kentucky war die höchste Ziffer für jene 1,30 °/«o, fttr diese 3,64 °/«o.
Die niedrigste Todeszahl der Weißen hatte der Staat Missisippi mit 0,54 •/#»,
die niedrigste der Farbigen der Staat Florida mit 1,95 */oo.
Dr. Sieveking-Hamburg.
Schweizerischer Gesetzentwurf betreffend Maßnahmen gegen die
Tuberkulose. Im Aufträge des Bandesrats hat eine von diesem eingesetzte
Sachverständigenkommission einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, durch den
eine Neuregelung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose erfolgen
soU. Dieser Entwurf liegt jetzt vor und dürfte die Leser der Zeitschrift
um so mehr interessieren, als bekanntlich auch im Deutschen Reiche eine solche
Neuregelung beabsichtigt ist. Nach Art. 2 soll die Tuberkulose anzeige-
pfli chtig sein, „insofern der Kranke eine Ansteckungsgefahr für die Mit¬
menschen bildet". Die zur Durchführung dieser Pflicht von den Kantonen
anzuwendenden Maßnahmen werden durch Verordnung des Bandesrats be¬
stimmt; die Amtsstellen, an die die Anzeigen zu richten Bind, haben darüber
Schweigepflicht zu beobachten. Den tuberkulösen und tuberkuloseverdächtigen
Personen soll.Gelegenheit zur Untersuchung und Behandlung geboten
werden. Dabei haben sie sich den zum Schutze der Allgemeinheit getroffenen
Maßnahmen zu fügen; tun sie dies nicht und gefährden sie die Personen ihrer
Umgebung, so sind sie in eine Anstalt zu verlegen oder die gefährdeten
Personen, namentlich Kinder anderweit unterzubringen (Art. 3). Weüj^p
sieht der Entwurf eine regelmäßige Ueberwachung von sol '
Besprechungen.
629
kulösen Personen vor, deren Beschäftigung die Weiteryerbreitang der Krank¬
heit begttnstigt; erforderlichenfalls Verbot der Ausübung des Berafes
mit Anspruch auf Entschädigung (Art. 4). Die zur Durchführung der in
Art. 3 und 4 vorgesehenen Maßnahmen bestimmt der Bundesrat im Ver-
ordnuDgswege (Art. & u. 6). Alle Kinder in Schulen, Erziehungs-
nsv. Anstalten sind nach Art. 7 einer regelmäßigen ärztlichen Aufsicht
zu unterwerfen, tuberkuloseverdächtige zu beobachten und tuberkulosekranke
zu behandeln und die Umgebung gefährdende Taberkulöse auszuschließen.
Die Kantone haben Einrichtungen zur bakteriologischen Unter¬
suchung des verdächtigen Auswurfs und zur Unschädlichmachung
aller tuberkuloseverdächtiger Ausscheidungen zu treffen; die Untersuchungen
und Desinfektionen sind auf Verlangen des Arztes unentgeltlich vorzunehmen
(Art. 8 u. 9). Das Spucken auf den Boden in Öffentlichen Lokalen,
Transportmitteln, Fabriken, Werkstätten usw. ist verboten. Für Kurorte
und Sommerfrischen können die Kantone in dieser Hinsicht (Art.9 u. 10)
weitergehende Maßnahmen anordnen (Art. 11). Sie haben außerdem für die
Errichtung und den Betrieb von Anstalten zur Verhütung der Tuber¬
kulose (Erholungsstellen, Ferienheime, FreilufthOfe usw.), von Fürsorge-
steilen zur Ermittelung, Beratung, Ueberwachung und Unterstützung von
Tuberkulosen sowie von Anstalten zur P fl ege, Behandlung und Wieder-
beschäftigung Tuberkulöser (Heilstätten, Tuberkulosespitäler, Arbeiter-
Genesungsheime usw.), für angemessene Belehrung über Wesen, Gefahren und
Verhütung der Tuberkulose zu sorgen und der Wohnungsbygiene alle Auf¬
merksamkeit zu widmen (Art. 12, 13 u. 14). Dem Bund liegt die Forderung
der wissenschaftlichen Erforschung der Tuberkulose ob (Art. 15). Zur Durch¬
führung der in Art. 2—4, 7—9 und 12—14 vorgesehenen Maßnahmen leistet
er den Kantonen und auf deren Vermittlung auch Gemeinden, Trägern der
Sozialversicherung und gemeinnützigen Vereinen einen Zuschuß von 25°/* der
Gesamtausgaben, der bis 50°/o erhöht werden kann, jedoch soll die Gesamt¬
ausgabe dafür 4 Millionen Fr. jährlich nicht übersteigen. Der Landesbeitrag
kann sogar rückwirkend bis 4. Mai 1913 zuerkannt werden (Art. 16). Endlich sieht
der Entwurf noch ein Verbot der Ankündigung und des Verkehrs von Geheim¬
mitteln zur Behandlung von Tuberkulose vor. Die Ueberwachung der
Vollziehung des Gesetzes liegt dem Bundesrat ob, der die dazu erforderlichen
Maßnahmen im Verordnungswege erläßt, während die Kantone für die Aus¬
führung zu sorgen und die dazu nötigen Bestimmungen zn treffen haben, die
aber der Genehmigung durch den Bundesrat bedürfen. Nichtbeachtung der
Vorschriften des Gesetzes oder der zugehörigen Verordnungen, Ausführungs¬
bestimmungen und sonstigen behördlichen Anordnungen solle mit Geldstrafe
bis auf 1000 Fr. bestraft werden.
Ob der Gesetzentwurf in der ausgearbeiteten Form die Zustimmung der
gesetzgebenden Körperschaften finden wird, ist allerdings noch zweifelhaft;
vielleicht geschieht dies aber in der Schweiz schneller als im Deutschen Reich,
wo bekanntlich Bchon seit Jahren ein solches Gesetz beabsichtigt ist, aber
vorläufig noch nicht einmal ein Entwurf an den Reichstag gelangt ist. Rpd.
3. Kleine Mitteilungen.
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika meldeten 1921 56 Städte
mit zusammen 26 661000 Einwohnern
17 203 Pockenfälle,
49 Milzbrandfälle, davon starben 10 Fälle,
462 Tierwutfälle,
12 Menschenwutfälle, die alle tödlich endigten.
Dr. Sieveking -Hamburg.
Besprechungen.
Dr. Dornblflth: Arzneimittel der heutigen Medizin mit therapeuti¬
schen Notizen. 13. Auflage; bearbeitet von Prof. Dr. Bachem in Bonn.
Leipzig 1922. Verlag von Curt Kabitzsch. 12°; 507 S. Preis: geb. 48 M.
Das zum Gebrauch für praktische Aerzte und Studierende der Medizin
zusammengestellte und in den beteiligten Kreisen mit Recht ungemein beliebte
680
Tageanachrichten.
Bach erscheint schon nach zwei Jahren in einer neuen Bearbeitung, die infolge¬
dessen auch verhältnismäßig wenig Aendernngen gegenüber der vornergenenden
Anflage aufweist. Wenn Verfasser auch diesmal die bekannteren Spezialitäten
berücksichtigt schon allein, nm dem Arzte die Möglichkeit zn geben, das
Publikum über ihren Wert und Unwert aufzuklären, so kann man ihm dafür
vom Standpunkte des Praktikers aus nur dankbar sein; dasselbe gilt betreffs
der mannigfachen Verbesserungen und Nachträge, die die „Therapeutischen
Notizen" erfahren haben und betreffs der erstmaligen Aufnahme eines für den
praktischen Gebrauch recht wertvollen Sachregisters. Die neue- Auflage wird
deshalb sicherlich ebenso wie die vorhergehenden die wohlverdiente große
Verbreitung finden, zumal der von der Verlagsbuchhandlung dafür festgesetzte
Preis unter den heutigen Verhältnissen als ein sehr mäßiger bezeichnet
werden muß. __ Bpd. sen.
Tagesnachrichten.
Den Beamten sind entsprechend der ungeheuren Teuerungszunahme
der letzten Zeit erneut erhöhte Teuernngszuschl&ge bewilligt worden, und
zwar betragen diese mit Wirkung vom 1. September: für die ersten 10000 M.:
492 v. H., für die folgenden (Grundgehalt nebst Ortszuscblag): 487 v. H. Dies
bedeutet eine Erhöhung der Gesamtbezüge von etwa 80 v. H. Mit der Aus¬
zahlung ist, nachdem die letzte Nachzahlung für AuguBt (s. diese Zeitschrift,
Nr. 17, S. 511) schnell vor sich gegangen ist, auch sofort begonnen.
Die Deutsche Arzneitaxe, die in früheren Jahren alljährlich einmal neu
herauskam, wobei die jeweiligen Arzneipreise berücksichtigt wurden, bedarf
schon Beit Jahren fortgesetzter Abänderungen im Laufe eines und desselben
Jahres, da die Einkaufspreise der Arzneimittel Schwankungen unterliegen, die
heutzutage oft täglich neue sind — mit der Neigung, fortgesetzt in die Höhe
zu gehen — und da auch die Bedarfsartikel der Apotheken, namentlich Gläser
und andere Gegenstände, täglich teurer werden, schließlich auch die allgemeine
Verteuerung der Lebenshaltung, Steigen der Gehälter und Löhne berücksichtigt
werden muß. Diese fortwährende Aenderung der Arzneitaxe — deren Preise
übrigens doch meist bei ihrem Bekanntgeben schon wieder von den Gro߬
handelspreisen überholt sind — ist an sich höchst unerfreulich; der Apotheker
mnß fortgesetzt bei der Austaxierung umlernen, der Arzt weiß auch nicht an¬
nähernd mehr ungefähr zu sagen, was diese oder jene Arznei kostet, der
Patient ist unwirsch, wenn er fortwährend erhöhte Preise zahlen muß. — All¬
monatlich erscheint eine neue Taxe, außerdem sind im Laufe dieses Jahres
bereits 9 Nachträge erschienen, der letzte am 7. September. Während es sich
bei den bisherigen Nachträgen darum handelte, für die einzelnen Arzneimittel
je nach der Aenderung der Einkaufspreise (fast stets Erhöhung) Preisände¬
rungen (meist Erhöhungen) eintreten zu lassen, für Gläser, Schachteln u. dgl.
erhöhte Sätze vorzusehen, schließlich auch die Arbeitspreise zur Herstellung
von Arzneien zu erhöhen, bringt der letzte Nachtrag generelle Zuschläge zu
den Preisen für Spiritus, spiritushaltige Arzneimittel, Zucker und Sirupe, die
durch die Preiserhöhung der beiden Grundstoffe bedingt sind. Teuerungs-
Zuschläge, wie sie eine Zeitlang allgemein für alle abgegebenen Arzneien vor¬
gesehen waren, sind seit der August-Taxe nicht mehr zulässig.
Um einige Beispiele von den jetzt gültigen Arzneipreisen zu geben,
seien die Preise folgender Berliner Magistralformen angegeben (für je */1 Dosis):
Liniment. Chloroform.
66,20
M.
4-
12
M. i
Mixt, solvens
18,20
7)
-j-
18
n
für die Flasche,
Pulv. stomachic.
104,30
rt
--
7
n
Schachtel
Ungt. Jodi
148,80
n
--
6
71
oder Kruke.
8ol. Morph, hydrochlor. 0,1: 10
89,60
n
8
n
(bezw. -j- 24 M.)
Es wird von mehreren Kollegen auf einen Erlaß des Reichsarheits*
minlsteriums vom 6. M a i d. J. aufmerksam gemacht, in dem der Herr Reichs-
arbeitsminister im Einvernehmen mit dem Herrn Reichs-Finanz-, Schatz- und
Postminister den Versorgungsärzten von Amtswegen veranlaßt« Unter-
Tagesnachrichten.
631
suchungen von Beamten oder Vertragsangestellten des Reichsarbeitsministeriums
and der nachgeordneten Behörden grundsätzlich übertragen werden and dem
Brsachen der Reichsfinanz-, Reichsschatz- and Beichspostverwaltang anf Untcr-
snchungen von Beamten and Angestellten durch Versorgungsärzte stattzageben ist.
Es wird außerdem die Verfügung einer Oberpostdirektion mitgeteilt, nach
der keine Bedenken dagegen bestehen, daß die bisher vom Postvertrauensarzt oder
Staatsmedizinalbeamten auszustellenden ärztlichen Zeugnisse über die körperliche
Tauglichkeit der Bewerber durch die Versorgnngsärzte aasgestellt werden.
An diese Mitteilungen wird dann die Befürchtung geknüpft, daß den
Staatsmedizinalbeamten mehr und mehr die Gutachtertätigkeit zu gunsten der
Versorgungsärzte entzogen wird, was ihrer Stelluug abträglich sei und zugleich
ihre Einnahmen schmälere. Es wird dabei darauf aufmerksam gemacht, daß
die Kreisärzte doch bisher allein zur Abgabe von Zeugnissen von behördlich¬
rechtlichem Charakter befugt waren und diese Aufgabe in jahrzehntelanger
unparteiischer Tätigkeit einwandsfrei erfüllt haben.
Was soll nun aber dagegen geschehen ? Von Eingaben und Entschließungen
ist nichts zu erwarten. Ein Recht für die Staatsmedizinalbeamten, auch für
die Reichsbehörden amtliche Atteste auszustellen, kann nicht in Anspruch ge¬
nommen werden. Soweit die fraglichen Gutachten von den Versorgungsärzten
kostenlos ausgestellt werden — und das soll nach dem Erlaß des Reichs¬
arbeitsministers die Regel sein — wird man sogar anerkennen müssen, daß das
Vorgehen aus fiskalischen Gründen begreiflich ist, da ja die Kreisärzte für
alle solche Tätigkeit, da sie als vertrauensärztlich gilt, zu liquidieren berechtigt
sind. Wenn es sich dagegen um Atteste handelt, für die die Untersuchten
selbst die Kosten zu tragen haben, dürfte es durchaus nicht unbillig sein,
wenn wenigstens die Staatamedizinalbeamten in gleicher Weise wie die Ver-
sorgungsärzte auch weiterhin ausdrücklich als Attestaussteller anerkannt würden.
Aber das ist wohl bisher auch noch der Fall und wird hoffentlich so bleiben!
Der Sozialpolitische Ausschuß de» Reichstags setzte die Höchstgrenze der
Krankenversicherung, der Angestelltenversicherung und der Unfallversicherung
auf 800 000 M. fest. Die Regierungsvorlage hatte nur 200 000 M. vorgesehen.
Gegen den Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses ist Zeitungs¬
nachrichten zufolge seitens der V ereinigung der leitenden Angestellten Protest
bei der Reichsregierung eingelegt.*)
In der „Voss. Ztg.“ wird dazu geschrieben, daß einer solchen Erweiterung
der Versicherungsgrenze sich wohl zu verstehende Widerstände entgegensetzen,
da schon heute viele Tausende von Mitgliedern der Krankenkassen den Privat¬
arzt vor den Kassenarzt vorziehen, weil bekannt sei, daß die Kassenärzte bei
unzureichender Bezahlung und bei der geforderten Rücksichtnahme auf die
Kasse (bei Verschreibung von Arzneien) sich nicht so der Kranken annehmen
können, wie es notwendig wäre.
Nach Zeitungsnachrichten wird geplant für das Reich ein Institut für
Gewerbehygiene zu schaffen. Dafür ist die Kaiser-Wilhelm-Akademie für
ärztlich-soziales Versorgungswesen in Aussicht genommen, in dem alle Vor¬
bedingungen für ein solches Institut hinsichtlich Räumlichkeiten, Unterrichts¬
mitteln und Sammlungen gegeben sind.
Man wird Dr. M am lock, der hierüber im Berliner Tageblatt (Nr. 385)
berichtet, beipfiiehten, wenn er die Gründung eines derartigen Reichsinstituts
begrüßt, da es sich um ein Gebiet handle, we tatsächlich Einheitlichkeit un¬
erläßlich sei, und wenn er meint, daß die bisher auf diesem Gebiet bereits
vorliegenden wissenschaftlichen und praktischen Ergebnisse in einem zweck¬
mäßig geleiteten Reichsinstitnt unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammen¬
gefaßt werden könnten, ohne die zum Teil befriedigend arbeitenden Sonder¬
einrichtungen zu gefährden.
Die preußischen Pläne, die nach dieser Nachricht darauf abzielen, ein
staatliches Institut für Arbeitswissenschaft und Gewerbehygiene zu schaffen,
würden dann hinfällig sein.
*) Nachträglich wird bekannt, daß auch der Reichsrat Einspruch erhoben
hat und daraufhin die Versicherungsgrenze auf 204000 M. Jahreseinkommen
festgesetzt worden ist _
532
Tagesnachrichten,
Landesanstalt für Lufthygiene. Mit der industriellen Entwicklung
eines Staates sind Schädlichkeiten auf dem Gebiete der Wasserversorgung und
Abwasserbeseitigung und Verunreinigung der Luft untrennbar verbunden.
Während für das Studium der Schädigungen, die der Wasserversorgung durch
die Industrie drohen, seit über 20 Jahren die LandesanBtalt für Wasserhygiene
besteht, die Prüfungen anstellt, um den Zentralbehörden Auskunft zu erteilen
und einschlägige Gutachten im öffentlichen Interesse zu erstatten hat, fehlt
es auf dem Gebiete der Lnfthygiene an einer solchen Zentralstelle. Und doch
ist diese ebenso notwendig, da die Verunreinigung der Luft durch Abgase und
Staub für Menschen, Tiere und Pflanzen überaus schädlich wirkt. Um so
erfreulicher ist es, dafl, wie Geh. Medizinalrat Dr. B e n i n d e, der Leiter der
Landesanstalt für Wasserhygiene, in der „Klinischen Wochenschrift“ mitteilt,
die preußische Staatsregierung die Landesanstalt für Wasserhygiene in den
Stand gesetzt hat, vorbereitende wissenschaftliche Arbeiten in Angriff zu
nehmen, um einen Ausbau der Anstalt in eine solche für Wasser- und Luft¬
hygiene zu ermöglichen. Mit den gleichen Fragen beschäftigt sich der Verein
für Wasser- und Gastwirtschaft in ausgedehntem Maße.
(Wasser und Gas, 1922, Nr. 89).
Die Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft hat anläßlich der
Ueberseewocüe in Hamburg zum ersten Male seit 1914 im Institut für
Schiffs- und Tropenkrankheiten ihre Tagung abgehalten. Es waren Vertreter
der Bcicbsregierung, Mitglieder .von Ministerien, befreundete Vertreter aus
Südamerika, Holland, Niederländisch-Indien und der Türkei anwesend.
Ueber die Kinderspeisung in Deutschland, die von dem Deutschen
Zentralausschuß für die Auslandshilfe in Fortsetzung der Quäkerspeisung fort¬
geführt wird, entnehmen wir aus dem Korrespondenzblatt des Zentralausschusses
folgendes:
Im ersten Halbjahr 1922 wurden 68,5 Millionen Mahlzeiten, durchschnittlich
täglich 490000 verabreicht. Von den an der 8peisung teilnehmenden Personen
waren: 93 v. H. Schulkinder, 4,3 Kleinkinder, 1 Mütter, 1,7 Jugendliche. Durch¬
schnittlich waren 1560 Ortschaften mit 2500 Küchen und 7600 Speisestellen
beteiligt. An Lebensmitteln wurden verbraucht 11882 Tonnen (etwa 50 v. H.
aus Amerika), deren Versicherungswert 334,6 Millionen Mark betrug.
Die Herstellung einer Mahlzeit kostete durchschnittlich fast 6 M.
Die Einrichtungen der Kinderspeisung wurden in den vergangenen
Monaten häufig von amerikanischen Freunden und Förderern des Hilfswerks
besichtigt. Prof. Dr. Schiedt, der die verschiedenen'Gebiete Deutschlands
bereist und sich eingehend über die Notstände unterrichtet hat, betonte in
einem an den Vorsitzenden des Zentralausschusses gerichteten Schreiben, daß
er sich davon überzeugt habe, daß die Speisungen für wenigstens 400 000 Kinder
noch für ein weiteres Jahr fortgesetzt werden müssen, und daß es durchaus irrig
sei, wenn Deutsch-Amerikaner in englischen Zeitungen erklären, daß die Not
in Deutschland nicht so groß sei, als daß die Kinderspeisung noch weiter not¬
wendig sei.
Es ist erfreulich, festzustellen, daß weiterhin aus dem Auslande Spenden,
teils von Nahrungsmitteln, teils in bar eingegangen sind, es wird aber auch
von dem Zentralausschuß darauf aufmerksam gemacht, daß es der Würde und
dem Ansehen Deutschlands im Auslande nicht entspricht, wenn deutsche
Propagandareisende und Sammler im Auslande eine „wilde Sammelei“ betreiben,
wodurch außerdem auch noch die Vereinheitlichung und Konzentration der
Hilfsaktion beeinträchtigt wird. _
Spinale Kinderlähmung. Wie die Tageszeitungen berichten, ist im
Kreise Marburg a. d. Lahn die spinale Kinderlähmung epidemisch aufgetreten,
so daß sämtliche Schulen in Marburg geschlossen wurden. Auch sind die
städtischen Spielplätze, Turnhallen usw. bis auf weiteres der öffentlichen Be¬
nutzung entzogen worden. Alle sonst erforderlichen Maßnahmen gegen die
Ausbreitung der Krankheit sind getroffen.
Verantwortlich für die 8chrlftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig, Reg.- u. Med.-Rat in Brealaa
Brealan V, Rehdigeretraße 84. Druck ton J. O. O. Bram, Minden i. W.
'/' I ’
35. Jahrg.Nr.l9.
ZEITSCHRIFT
5. Ott. 1922.
FÜR
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prol.dr.RAPM UND.
Zentralblatt
fBr das gesamte Gebiet der gerichtllehen Medizin and Psychiatrie, des Staat'
liehen and privaten Versicherungswesens, sowie fOr das Medizinal' and
öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene.
Herausgegeben von
Med.-Bat Dr. Bandt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München,
Prof. Dr. Raup-München, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.«
Bat Prof. Dr. Poppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Bat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rät Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof.
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Bat
Prot Dr. Straßmaiul-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollen weher-Dortmund.
Offizielles Organ des Deutschen. Preusslschen. Bayerischen. Slchslschen.
Wttrttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen
und Braunschweigischen Medlzlnalbeamtenverelns.
Eine Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung.
Schriftleitung: Verlag:
Jeh. Med.* Rat Dr. Solbrig, Fischer’s med. Bnchhandlnog H. Kornfeld,
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Nr. 19.
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Abhandlungen:
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<»«y°fl Dr. ßnudt . . 533
Die Kiofi’tbrun^ eines ia den
bayrischen rrtfatisiftlien. Von Dr.
Tb. Vi^PfjÄtciu . . . . - .538
Kleinere Mitteilungren und Referate aua
Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin.
F. Xeureitcr uud G. Strassmann: Deber
die Notwendigkeit <i*r KinfbhjMjrtg' von
YerwÄltuttg-Mibdukiloin n mit BvrücUsh h-
Htrung 1 dea lutorpSftDs (irr Ueehts>ptJj;g , e. .553
F. Straasmaiili. Veher dir Notwendigkeit
der Kixtfdbrü&g von Vt*t wolmn^i-ek-
Molltort 5 t; IV her die XotWendigkeit der
FinfitbeSidg von V erwultung-ssektfoni-n. 554
Dt. öttf . Viftle; Dildunc von Hilm Atta lü
den Lunten bei der akuten Asj/byxir
dmrli Dbofigren.554
Djt% Pl’OÄj». Mino: Ueb» r die Bextebuticco
zwUcfrtiAnüetMi« pernivio«.'! ondTrenruu. 554
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Preis : M. 21.
36» Jahrg.
Zeitschrift für Medizinalbeamte.
Nr. 19.
Personalien.
Deutsches Reich und Preossea.
Enuits zu Reg.- and Med.-Räten ia Köslin Dr. Licdke, bisher
ständiger Hillsarbeiter in Arnsberg, in Stade Dr. Mennicke, bisher Kr.-Med.-
Rat in Oppeln, in Anrich der Kreismedizinalrat Dr. Qeorg Lemke; — snm
komm. Reg.- and Med.-Rat in Oppeln Dr. Pasch, bisher ständiger Hilfsarbeiter
in Breslau; — zu Kreismedizinalräten Kreisassistenzarzt Dr. Schnrian in
Langensalza, Kreisassistenzarzt Dr. Jeske in Wolmirstedt; — zu Kreis¬
assistenzärzten in Breelan der Assistenzarzt Dr. Alexander Brntzer and in
Arnsberg unter Ueberweisang an die dortige Regierung der praktische Arzt
Dr. Barten.
Beauftragt mit der Verwaltung der Gerichtsarztstelle in Hannover der
Privatdozent Dr. Schonkwitz.
Versetzt: Die Kreismedizinalrite Dr.Speiser in Königsberg in die
Kreisarztstelle Königsberg Land, Dr. Wildenrath von Daun nach Soest,
Dr. Geißler von Herzberg nach Insterburg, sowie die Kreisassistenzärste
Dr.Plenske von Dortmund nach Hattingen und Dr.Steinebach von Köln
nach Daun.
In den Ruhestand getreten: Der Reg.- und Med.-Rat Dr. von Decker
in Köslin, sowie die Kreismedizinalräte Dr. Forstreuter in Königsberg,
Dr. Paffrath in Cleve, Dr. Meyer in Lennep und Dr. Kluge in Wolmir¬
stedt und der Gerichtsmedizinalrat Dr. Brandt in Hannover.
Bayern.
Gestorben: Bez.-Arzt Dr. Nothaas in Roding.
Württemberg.
Uebertragen: die Stelle des Oberamtsarztes — mit ärztlicher Praxis —
n Ravensburg dem praktischen Arzt Dr. Heribert Müller in Rottenburg a. N.
■eoklenburg - Sohwerln.
Ernannt: zum Kreisarzt in Waren Dr. Kötzow.
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des Atmung»- und Verdauungsapparates,
ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
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gen der Magen- und Darmtfttlgkelt wie Aufstoßen,
Sodbrennen, Magen- und Darmneuralgien, Uebelkeit, Erbrechen
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Darmadstringens Darmdesinfiziens
Gegen Enteritis etc.; evtl, unter Beigabe vor« Tricalcoi
584
Dr. Bundt.
pflege läßt von jeder Tagung eine Niederschrift in ausführlicher
Breite im Druck erscheinen. So wird es auch diesmal geschehen.
Ich will heute nur einzelne Eindrücke wiedergeben. Die
Schilderung des Standes der Wohnungsnot durch Professor
Morgenrot-München brachte uns nichts Neues. Die Fest¬
stellung, daß sie heute im Gegensatz zu früher noch in höherem
Grade durch das Fehlen von Wohnungsraum und die dadurch
bedingte Ueberfüllung der vorhandenen Wohnungen hervor¬
gebracht ist, als durch die üble Beschaffenheit der Wohnungen,
war uns als Aerzten bekannt. Das zusammengebrachte Zahlen¬
material war trotzdem erschreckend und überzeugend. Wir
Kreisärzte wissen alle, wie groß die Zahl der Wohnungs¬
suchenden in den Großstädten ist, wir wissen aber auch, wie
viele Menschen immer noch in hygienisch durchaus unzu¬
reichenden, feuchten, luft- und lichtlosen Wohnungen hausen,
ohne nahe Hoffnung auf Wechsel und Besserung. Wir wissen
ferner, daß dies nicht nur in Großstädten, sondern auch in
kleinen Orten und selbst auf dem platten Lande der Fall ist.
So waren uns auch die Tabellen und Bilder des Greifswalder
Hygienikers Prof. Friedberger, die er in der Aussprache
brachte, nicht übermäßig überraschend, wenn sie auch einen
besonders krassen Beleg dafür brachten, wie weit das Wohnungs¬
elend bei plötzlichem Anstieg der Bevölkerungsziffer — sie ist
in Greifswald meines Wissens durch Vergrößerung einer Eisen¬
bahnzentralwerkstätte in wenigen Jahren um über 50 °/ 0 ge¬
stiegen — und Erschwerung bezw. Verhinderung der Bau¬
tätigkeit durch den Krieg und den sogenannten Frieden
kommen kann.
Daß auch auf dem platten Lande Wohnungsnot besteht,
kann ich aus eigener Erfahrung in meinen Ferien in Pommern
berichten, wo zahlreiche durchaus nicht übermäßig große Guts¬
häuser mit Zwangseinquartierung belegt sind.
Wir wissen endlich aber auch, wieviele an und für sich
brauchbare Wohnungen durch die unhygienische Art der Be¬
wohnung, Absperrung von Luft und Licht, Schmutz und Un¬
geziefer unbrauchbar geworden sind und noch gemacht werden.
Hier ist noch ein weiter Raum für Belehrung in Vorträgen und
Kursen und pflichtmäßigem Unterricht in der Gesundheitslehre
in allen Schulen.
Wenn Prof. Krautwig zugeben mußte, daß es an einer
schlüssigen Statistik für den Einfluß enger und sohlechter Woh¬
nungen auf die Verbreitung von Infektionskrankheiten, vor allem
der Tuberkulose, ebenso wie auf die Entstehung von Kon¬
stitutionskrankheiten fehlt, und wenn Professor Abel dies für
feuchte Wohnungen bestätigte, so haben beide -diesen Einfluß
keineswegs geleugnet. Für jeden, der die Art der Uebertragung
ansteckender Krankheiten, in erster Linie wiederum der Tuber¬
kulose kennt, ist es von vornherein klar und selbstverständlich,
daß die Enge der Wohnungen mit dem dichten Aneinander¬
pferchen der Familienmitglieder oft noch mit fremden Unter-
Von der Tagung des Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege. 535
mietem, daß Mangel an Luft und Licht, daß Schmutz und
Ungeziefer die Ansteckungsgelegenheiten fördern, zumal in allen
diesen Schädlichkeiten konstitutionsmindernde, widerstand-
schwächende Kräfte liegen. So wird durch sie auch noch die
Wirkung der Infektion verderblicher, die Heilung der Infizierten
schwieriger und langwieriger, die Zahl und Giftigkeit der In¬
fektionserreger größer.
Und <nese Schädigungen finden keineswegs ihre Grenze
bei dem lebenden Geschlecht Sie wirken unter Umständen
auch über dieses hinaus, verderben das Keimplasma und können
so zu einer Entartung der Rasse mit beitragen. Solche Töne
und Mahnungen klangen auch durch die Ausführungen von
Professor Kaup-München und Professor Kuhn-Dresden.
Beide haben in kurzen Strichen auch die sittliche Not fast besser
gekennzeichnet, als Frau Dr. Marie Baum-Karlsruhe, die in
einem erschöpfenden Referat eine breite Kasuistik brachte.
Doch ich muß erst zu den Vorschlägen des Bürgermeisters
Sembritzki-Steglitz kommen. Seinen Standpunkt, daß Bauen
und immer nur Bauen das einzig wirksame Mittel zu einer
Bekämpfung der Wohnungsnot ist, teile ich in vollem Umfange.
Alle anderen Mittel, vor allem Zwangswirtschaft und Zwangs¬
einquartierung, sind nur wie ein Pflästerchen auf eine das
Leben bedrohende Wunde. Sie vermögen keine Heilung zu
bringen. Sie schaden nur, auch darin stimme ich dem Redner
bei, dadurch, daß sie den Blick ablenken von dem einzig rich¬
tigen Heilmittel der Beschaffung neuer Wohnungen um jeden
Preis, wie ein Kurpfuscher, der durch seine falschen Heilmittel
den vertrauenden Kranken abhält, sich rechtzeitig dem Arzt
und seiner wirksamen, wenn auch öfters radikalen Heilmethode
anzuvertrauen. Auch Sembritzkis Vorschlag ist radikal. Er
will eine Wohnungssteuer bis zu 1000 °/ 0 der Friedensmiete er¬
heben, um die nötigen Baugelder aufzubringen. Das ist freilich
hart. Hart für die Mieter, insonderheit die Rentner und die
Festbesoldeten, die nicht ohne weiteres die Möglichkeit haben,
ihre Einnahmen entsprechend dem neuen Zwängsaufwand für
das Wohnen zu steigern. Diese werden mit neuen berechtigten
Ansprüchen auf Erhöhung des Gehaltes und Lohnes kommen
und den Rentnern wird man Erleichterungen bezw. Befreiungen
gewähren müssen. Der Staat wird aufs neue in den Säckel
greifen und einen Teil der Mietssteuer wiederum für Erhöhung
der Gehälter drangeben müssen. Bedenken genug, aber es
geht wohl nicht anders, nachdem man es versäumt hat, von
vornherein großzügige Wohnungspolitik zu treiben. Die Mög¬
lichkeit der Zwangseinquartierung ist nach Angabe derer, die es
wissen müssen, ausgeschöpft und als beamteter Arzt hat man
sie mit allen ihren hygienischen und ethischen Nachteilen von
vornherein nur in ganz beschränktem Umfange als einen kümmer¬
lichen Notbehelf empfehlen können.
Wie wird es nun aber mit den kinderreichen Familien?
Will man sie, wie schon so oft, auch jetzt bei der hohen
536
Dr. Bundt.
Wohnungssteuer wiederum für ihre treue Pflichterfüllung gegen
Staat und Rasse bestrafen? Will man die Erzeugung und die
Aufzucht zahlreicher Kinder, die uns zur Erhaltung unserer
Volkskraft so dringend not tut, gering achten und nicht unter¬
stützen in einer Zeit, wo die soziale Fürsorge sich nicht nur
der körperlich und geistig wertvollen Glieder unseres Volkes,
sondern auch der Minderwertigen in unermüdlicher Arbeit an¬
nimmt? Die Kinderreichen brauchen notgedrungen die größeren
und teureren Wohnungen, sie zahlten und zahlen die höheren
Mieten und werden nun die höheren Steuern zahlen müssen,
wenn ihr Steuersoll nicht in einer mit der Kinderzahl steigenden
Höhe verringert wird. Das ist eine dringende hygienische
Forderung, die wir hiermit erheben.
Alle diese Bedenken hat auch wohl Professor Kaup ge¬
habt, wenn er eine die Wohnungsnot schnell und ausreichend
beseitigende Bautätigkeit nicht von vornherein für sicher hält.
Er will für die in engen Wohnungen Zusammengeschlossenen
die nötige Bewegung, Luft und Licht und den Zusammenhang
mit der Natur durch ausreichende Sport-, Spiel- und Erholungs¬
plätze gesichert wissen. Er weist dabei auf das Vorbild von
England hin, das, trotz seiner geringen Wohnungsdichte durch
das Vor wiegen des Einfamilienhauses in seinen Städten, das
5—10 fache an freien Plätzen hat wie Deutschland.
Aber ich meine, wir sind hier nicht so gut daran wie das
reiche England, das genügend Nahrungsmittel aus dem Aus¬
lande kaufen kann. Mit der Sorge für Sport und Spiel tritt
bei uns die Sorge für die Ernährung in Wettbewerb, die keine
ungemessene Entziehung von Kulturland duldet.
Auch die Besprechung der Nützlichkeit der Schreber¬
gärten, der städtischen, halbstädtischen und ländlichen Sied¬
lungen, des Flachbaues und Hochbaues fand hier ihre Stätte.
In der Schlußbesprechung trat ziemlich zuletzt noch ein
städtischer Baubeamter auf, den Namen verstand ich leider
nicht. Er ging von der Erwägung aus, daß ein verarmtes Volk
im Elend nicht weniger, sondern mehr, als früher im Wohl¬
stand, arbeiten müsse, um wieder hochzukommen. Es dürfe
seine Arbeitszeit daher nicht allgemein auf 8 Stunden festlegen.
Er empfahl zur Aufbringung der nötigen Baukosten bis zur
Abstellung des Wohnungselendes und bis zum Beginn des Auf¬
stieges überhaupt eine Verlängerung der gesetzlichen Arbeits¬
zeit auf 10 Stunden. Er berechnete, daß hierdurch die nötige
Summe aufgebracht werden könne, um j ährlich200000Wohnungen
zu bauen, für welche auch die Möglichkeit der Beschaffung der
nötigen Baustoffe bestände.
Einem lebhaften Beifall untermischte sich von einzelnen
Seiten ein lebhafter Widerspruch.
Die Frage des Achtstundentages ist ja von dem gesund¬
heitlichen Gebiet fast völlig auf das politische gerückt.
Aber ihr Geist ist die hygienische Bedeutung für uns
wenigstens, die wir politische Fragen aus aller Gesundheitspflege
Von der Tagung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. 537
ausgeschaltet wissen wollen, nicht genommen. Ohne Zweifel hat
sie gesundheitliche Wichtigkeit nicht nur für das zurzeit lebende,
sondern auch für das kommende Geschlecht, ist also auch eine
rassenhygienische Frage, wie einer der unsrigen, Kollege Kühn-
1 ein-Merseburg, in einer kollegialen Nachsitzung mit Recht be¬
tonte. Ein gesundheitsfördernder Einfluß der verkürzten Arbeits¬
zeit an und für sich ist unzweifelhaft. Aber so einfach ist die Frage¬
stellung für den Hygieniker, der allein hier zu Worte kommen
soll, in diesem Augenblicke und in diesem Zusammenhänge
nicht. Man muß hier doch in vorsichtiger Abwägung alles Für
und Wider die Frage so stellen:
Liegt der größere gesundheitliche Vorteil in einer ver¬
kürzten Arbeitszeit oder in der Beschaffung einwandfreier
Wohnungen und ausreichender Ernährung bei längerer Arbeits¬
zeit, wenn diese den Bezug von Nahrungsmitteln aus dem Aus¬
land und die Herstellung von genügendem Wohnraum ermög¬
licht? Oder anders herum, was schädigt mehr, eine vorüber¬
gehende nicht übermäßige Erhöhung der Arbeitszeit, oder ihangel-
hafte Ernährung und unhygienisches Wohnen?
Es würde zu weit führen, wenn ich jetzt versuchte, diese
Frage erschöpfend zu behandeln, aber ich muß doch sagen, daß
ich von einer vorübergehenden stärkeren Belastung mit körper¬
licher oder geistiger Arbeit, wenn es sich nicht gerade um
Giftwirkungen handelt, keine Verschlechterung der Volkskraft
im weitesten Sinne befürchte.
Die Verhandlungen haben uns keine fertigen Pläne ge¬
bracht, aber sie gaben mancherlei Anregungen und zeigten die
Bereitwilligkeit der verschiedensten Sachverständigen, dieKeichs-
und Landesregierungen bei ihrem Kampfe gegen Wohnungsnot
und Wohnungelend zu unterstützen. Möge ihr Rat und ihre
Arbeitswilligkeit bei diesen freudige Aufnahme zum Besten
unseres Volkes und Vaterlandes finden.
Neben der Arbeit für das Allgemeinwohl kamen auch
Standesbelange in den Frankfurter Tagen zu ihrem Rechte.
Die Kommunal-, Fürsorge- und Schulärzte haben sich zu
einem Verbände zusammenschlossen. Wir haben in Ausführung
von Beschlüssen der Hauptversammlungen in Nürnberg und
Magdeburg unsere Bereitwilligkeit erklärt, mit ihnen in eine
Interessengemeinschaft zu treten zu gemeinsamer Abwehr von
Angriffen auf die Stellung und die Arbeitsgebiete der angestellten
und beamteten Aerzte und zur Vermeidung und Schlichtung
von Streitigkeiten, natürlich unter Wahrung der vollen Selbst¬
ständigkeit beider Teile.
Die Versammlung, an der auch eine beträchtliche Anzahl
von staatlichen Medizinalbeamten teilnahm, gab uns eine hoch¬
willkommene Gelegenheit zur Aussprache über manche amt¬
lich^ wirtschaftliche und wissenschaftliche Fragen. Wir sind
außerhalb der Sitzungen mittags und abends fast stets zusammen
gewesen und haben das Band des Zusammenhaltes nicht nur
unter den Standesgenossen, sondern auch unter den Menschen
638
Dr. Tb. Viernstein.
enger geknüpft. Die Frankfurter Kollegen waren uns dabei
bereitwillige Führer. Dafür danken wir ihnen. Sie haben viel
dazu beigetragen, daß uns die Stunden in Frankfurt trotz der
Regenfluten, die in den Tagen der Versammlung fast dauernd
über die schöne, an prächtigen Bauten und geschichtlicher Er¬
innerung so reiche Stadt herunterströmten, in gutem Andenken
und in lieber Erinnerung bleiben werden.
Die Einführung eines Stnfensystems in den
bayrischen Strafanstalten.
Von Dr. Th. Viernstein^ b&yr. Medizinalrat, Leiter der Kranken- und Irren-
abteilang beim Zachtbaase Straubing.
Das bayrische Staatsministerium der Justiz verwirklicht
den schon länger erwogenen Gedanken, in den Strafanstalten
ein „StufenSystem“ derart einzuführen, daß die zur Straf¬
verbüßung Zugehenden zunächst der untersten, durch Strenge,
Mangel an Vergünstigung gekennzeichneten Stufe zugeteilt
werden, dann bei Anzeichen günstiger Strafeinwirkung in eine
durch Ge Währung, von Vergünstigungen erleichterte Mittelstufe
vorrücken, und bei weiterer Bewährung in die, eine Ueber-
leitung zur nahenden Freiheit darstellende oberste Stufe ein¬
gereiht werden können.
Die Durchführung im einzelnen kann vorerst unerörtert
bleiben gegenüber dem Prinzip, mit dem ein Novum ge¬
schaffen werden wird für Bayern.
Im Verfolge dieser Absicht waren von Seite des Staats¬
ministeriums zunächst Anregungen ergangen, zu welchen gut¬
achtlich die Oberbeamten der Strafanstalten gehört worden
waren.
Das angesaramelte Material von Stellungnahmen hat sich
nunmehr zu einer Entschließung des Justizministeriums vom
2. August 1922 verdichtet, laut welcher bis zum 1. Oktober —
„nach allgemeinen Richtlinien und ohne Einzel Vorschriften“ —
ein „sehr begrenzter Versuch“ zur praktischen Durchführung
gemacht werden solle, um „langsam, schrittweise, allmählich
eine tragfähige Grundlage für den Aufbau des Systems zu ge¬
winnen“.
Wir stehen damit vor einem Wendepunkt in der Ge¬
schichte des bayrischen Strafvollzuges.
Bei der Tragweite der beabsichtigten Maßnahme für die
ihr Unterworfenen bedarf es für den Strafanstaltsarzt keiner
Begründung, wenn er die Erfahrungen seiner Wissenschaft in
die Wagschale zu werfen sich verpflichtet fühlt in einer An¬
gelegenheit, welche sich mindestens in erheblichem Maße auf
Erwägungen gründet, die ins biologische und psychiatrische
Gebiet einschlagen.
Da ein Interesse an dieser Frage für die Amtsärzte vor¬
liegt, möchte ich die nachstehenden persönlichen An-
Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 589
Behauungen über bestimmte unerläßliche Voraussetzungen
und Grundlagen des Stufensystems dem Leserkreise der Zeit¬
schrift für Medizinalbeamte unterbreiten.
I.
Um die Definierung des Verbrechens und des Verbrechers,
der Entstehung und Verursachung kriminellen Geschehens inner¬
halb des Gemeinschaftslebens war von jeher ein nach dem
augenblicklichen Stand des objektiven Wissens und der zeit-
strömigen subjektiven, moralisch-ethischen, religiösen, juristischen
Einstellungen wechselvoller Streit im Gang.
Die neuere Zeit hat unter Abgang von veralteten Theorien
zwei Richtungen herauskristallisiert: die durch v. Liszt ver¬
tretene sozialökonomische Theorie einerseits, die biologisch¬
psychiatrische Theorie andererseits.
Erstere leitet das Verbrechen von sozialen Bedingungen ab, besonders
von der schweren ökonomischen Lage der Bevölkerung: Große soziale Um¬
wälzungen, revolutionäre Bewegungen führen zu einem Anstieg des Ver¬
brechens; zwischen Marktpreisen und Eigentumsdelikten besteht ein Paralle¬
lismus; endlich tritt beim Verbrechen die Beteiligung niedriger und armer
Volksschichten, der Einfluß des Alkoholismus, des Kumas und der meteoro¬
logischen Verhältnisse klar zu Tage.
Bei dieser Betrachtungsweise werden die Milieufaktoren, exogene Ein¬
flüsse, von der Umwelt stammend und auf das individuelle Ich wirkend, der
ausschließlichen Ursächlickkeit bezichtigt.
Die zweite, biologisch-psychiatrische Bichtung verschließt sich der Beweis¬
kraft der von der sozialökonomischen Schule vorgebraebten Tatsachen nicht,
hält sie aber für unzulänglich zur befriedigenden Klärung so verwickelt
liegender Zusammenhänge.
Mit Becht bemängelt von Bechterew 1 ), der Petersburger Gerichts¬
psychiater, daß Liszt und seine Schule innerhalb all dieser einwirkenden
äußeren Momente die Person des Verbrechers nicht berücksichtige, und daß
sie übersehe, daß der verbrecherische Mensch keineswegs als ein „willenloser
Automat im allgemein determinierten Erscheinungswechsel“ betrachtet werden
könne. Eine subjektive Betrachtungsweise, welche das Verbrechen auch als
einen Willensakt ansehe, sei nötig. Zu den äußeren Faktoren trete
das subjektive Ich des Verbrechers, und erst dadurch würde
er ein solcher.
Er führt weiter in seiner Kritik der Lisztschen Schule an:
Not und Alkoholismus führen trotz der Mitwirkung der sozialökonomischen
Faktoren nicht immer zum Verbrechen: es gibt Menschen, welche in der
äußersten Not lieber von Almosen leben oder Hungertod und Selbstmord
vorziehen.
Die genannten Faktoren erklären auch nicht das Vorkommen von Ver¬
brechen in wohlhabenden Kreisen, Verbrechen, welche durch „leichtsinnige und
geringschätzige Beziehung zum fremden Eigentum bedingt sind“. Auch werden
Affektverbrechen, die der Gewinnsucht ermangeln, nicht erklärt, noch auch
jene Verbrechen, welche als „Akte eines Kampfes mit einer offenbaren Un¬
gerechtigkeit oder eines Protestes gegen dieselbe“ aufznfassen sind. Weiter¬
hin finden durch sozialökonomische Faktoren keine Aufklärung die infolge
„Suggestion oder Nachahmung“ begangenen Verbrechen, schließlich kann uns
die Statistik nicht sagen, warum ein ökonomischer Notstand in einem Falle
einen Diebstahl, im andern einen Mord hervorruft. Die sozialökonomischen
Verhältnisse allein bestimmen also auch den Charakter des Verbrechens nicht.
*) v. Bechterew: Das Verbrechertum im Lichte der objektiven
Psychologie, Wiesbaden 1913.
540
Dr. Tb. Viernstein.
Die allgemeinen Faktoren sind daher, wie v. Bechterew
sich ausdrückt, nur disponierend, nicht bestimmend.
Bei dieser Anschauung gelangt er zur Forderung, außer
der Umgebung auch die individuellen Besonderheiten
der Verbrecherpersönlichkeit in streng objektiver Weise
zu untersuchen.
Er legt Gewicht auf Feststellung folgender Momente:
a) Mißverhältnis zwischen den Lebensbedingungen und
den notwendigsten Bedürfnissen.
b) Beseitigung der hemmenden Familien- und Gesell¬
schaftseinflüsse.
c) Einfluß von Verführung und einer günstigen Umgebung.
d) Störung des persönlichen Verhältnisses zur Umgebung.
e) Beeinflussung durch Tat und Wort, Beispiel, Nach¬
ahmung, Rat, Ueberredung, Suggestion, Verweilen im Gefängnis.
f) Akute Berauschtheit.
g) Einfluß der Gesetzgebung (Prävention): Angst vor
Strafe ist untauglich zur Herabsetzung des Verbrechertums,
weil der Täter bei überlegter Tat zuerst daran denkt, den Ma߬
nahmen der Justiz zu entgehen, während bei imüberlegter Tat
der Täter im Moment der Vollziehung an die Strafandrohung
gar nicht denken kann.
h) Die geistige Entwicklung des Verbrechers: unzweifel¬
hafte Häufigkeit deutlicher Abweichungen bei Verbrechern von
der mittleren menschlichen Norm im Sinne der Debilität und
irgendwelcher anderer Störungen der neuropsychischen Sphäre,
welche das Verbrechen begünstigen.
i) Mangel der sittlichen Erziehung: Erziehungseinflüsse
bedingen hervorragend auch die individuellen Besonderheiten.
k) Erbliche Degeneration: unter den Verbrechern gibt es
Degenerierte im wahren Sinne, welche mehr dem Gebiete der
Psychiatrie als der Justiz angehören, obwohl sie keine Geistes¬
kranke sind.
l) Pathologische Zustände der neuropsychischen Sphäre:
Epilepsie, Geisteskrankheiten.
m) Körperliche Gesundheitsschwäche: Aehnlich der geistigen
Debilität verursachen körperliche Schwäche, Krankheit, Greisen-
alter, Geburten etc. Arbeitsunfähigkeit und dadurch Pauperismus,
welch letzterer „als die soziale Form der körperlichen Degene¬
ration“ bezeichnet werden kann.
Diese Thesen decken sich mit dem Standpunkt der erb¬
biologischen Wissenschaft, welche, allgemein ausgedrückt, den
Phänotyp des Menschen als eine Verflechtung der genotypischen
Erbkonstitution mit konstellativen, erworbenen Eigenschaften
auffaßt und ihn zum Milieu in Beziehung setzt.
Kahn 1 ) sagt: „Der Organismus lebt in seiner erbkonstitutioaeU-kons teils*
tiven Gesamtverfassung (phänotypische Konstitution Siemens) dauernd unter
den Einfl&88en des Milieus, der Milieufaktoren.*
*) Zeitschr. f. d. gee. NeuroL u. Psjck, Bd. 74, S. 70: „Ueber die Bedeutung
der Erbkonstitution etc*.
Die Einführung eines Stutensystems in den bayrischen Strafanstalten. 541
Derselbe*) präzisiert den gleichen Gedanken an anderer Stelle folgender*
maßen: .Jeder Organismus hat einen durch Vererbung überkommenen Fundus
▼on „endogenen“, konstitutionellen (erbkonstitutionellen) Reaktionsmöglich¬
keiten, deren Summe wir mit Johannsen als genotypische Reak¬
tionshorm bezeichnen. Alle Eigenschaften oder weiter ge¬
faßt alle Lebensäußerungen des Organismus sind im Grunde
genommen irgendwie an seine genotypische Reaktionsnorm
geknüpft: sind Antworten, Reaktionen dieserNorm im weite¬
sten Sinne. Nach Johannsens Begriffsfassungen sind alle Erscheinungs¬
formen, alle Phänotypen, milieubedingte Realisationen der genotypischen Reak¬
tionsnorm“.
Da diese Wechselwirkung zwischen „Ich“ und „Außen¬
welt“ wie für jeden, so auch für den kriminellen Volksgenossen
gilt, werden wir dessen Persönlichkeit offenbar nur durch eine
subtile Untersuchung beider Faktorenreihen auf dem Wege der
Einzelanalyse zu klären versuchen können.
Mit anderen Worten: Das Verbrecherproblem ist
im eigentlichsten Sinne des Wortes eine biologische,
und zwar hauptsächlich erbbiologische Frage.
Darin liegt nach ärztlichem Ermessen die zentrale Stellung
begründet, welche dem naturwissenschaftlich orientierten Denken
bei der Betrachtung des Verbrechens zukommt.
Wir wissen weiterhin, daß die normale psychische Organisation des
Menschen „als unverkennbares Grundphänomen“, wie Birnbaum 4 ) sich aus-
drückt, die Tendenz zeigt, „daß sie mit ihren Verrichtungen neben individuellen,
der Icherhaltung und -Förderung dienenden Funktionen auch solche über¬
individueller Art: gemeinschaftserhaltende und -fördernde ausübt“. Zu diesen
die allgemeinen Beziehungen zur Gmgebungjim Sinne der Adaption kontrollierenden,
regulierenden und dirigierenden allgemeinen seelischen Verrichtungen treten
noch bestimmte psychische Spezialfunktionen hinzu, die man geradezu als
exquisit und spezifisch „sozialpsychische“ ansprechen darf, in¬
sofern ihnen direkt und unmittelbar soziale Aufgaben zukommen: „die sogenannten
höheren, ethischen, altruistischen, sozialen usw. Gefühlselemente mit ihren
charakteristischen, lediglich im Gemeinschaftsinteresse wirksamen psychischen
Tendenzen“.
„So deckt sich die natürlich aufgebaute, normal an-
f elegte Psyche in gewissem Sinne mit einer sozialadaptions-
ähigen seelischen Konstitution.“
Auf der anderen Seite steht fe s t, daß bei ganz großen und wichtigen
pathologischen Formkreisen dieser psychische Oberbau mit seinen sozial¬
psychischen Direktiven Not leidet entweder primär durch Stehenbleiben auf
sozialpsychisch minderwertiger Stufe oder sekundär, nachträglich, durch Ab¬
bau und Rückgang einer ursprünglich vollwertigen psychischen Organisation
auf ein tieferes sozialpsychisches Niveau.
Birnbaum sagt im Verfolge dieser Feststellung: „Allgemeine und
enge Beziehungen zwischen sozialer Unzulänglichkeit bezw.
sozialem Versagen und psychischen Anomalien sind grund¬
sätzlich anzunehmen.“
Wenn nun Jehring 5 ) sagt: „Verbrechen ist die von
Seite der .Gesetzgebung konstatierte, nur durch Strafe abzu¬
wehrende Gefährdung der Lebensbedingungen der Gesellschaft“
*) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych., Bd. 76, S. 2T6: „Zur Frage des
schizophr. Reaktionstypus“.
*) Krimin.-Psychopathol., 1921, Berlin, beiSpringer, S. 14/15.
B ) Zit. nach Kaufmann: Psychologie des Verbrechens,Berlin, 1912, S. 1.
542
Dr. Th. Viernsteiu.
oder wenn Joly 1 ) als Verbrecher einen Menschen anspricht,
„der sein Verhalten zu anderen Personen von seinen Leiden¬
schaften bestimmen läßt und dabei weder Mut noch Geduld
zum gesetzlichen und ehrlichen Kampf besitzt,“ so sind wir
durch diese Begriffsumschreibung von Juristen im Zusammen¬
halt mit dem dargelegten Phänomen der sozialpsychischen Voll-
bezw. Minderwertigkeit bereits mitten im ureigensten
Gebiete der Psychologie bez w. Psychiatrie 4 angelangt.
Nicht nur der Erbbiologe, das ist die logische Schlu߬
folgerung, sondern, noch enger, der Psychiater ist es, dem also
nach Definitionen rechtswissenschaftlicher Größen doch minde¬
stens ein erheblicher Anteil an der Bewertung kriminellen Ge¬
schehens zusteht.
In der Tat wächst die Wertschätzung psychiatrischer Mit¬
arbeit auf forensem Gebiete, wenn freilich die Furcht vor
„Pychiatrisierung“ insbesondere des Strafvollzuges nicht völlig
gebannt erscheint. Nicht Psychiatrisierung ist angestrebt,
sondern eine den kriminellen Menschen als biologisches und
biopathologisches Wesen tunlichst klärende Aufsuchung und
Zusammenfassung von Einzeltatsachen und Tatsachenkomplexen,
deren weitere formale, strafrechtliche bezw. strafvollzugliche
Verarbeitung nicht Sache des Arztes, sondern des Juristen ist!
Zusammenfassend ist zu sagen:
1. Das Verbrechen ist eine biopathologische Erscheinung;
es kommt zustaude durch Wechselwirkungen zwischen erb-
konstitutionell-konstellativ bestimmt gearteten Elementen und
deren Milieufaktoren.
2. Dem biologischen Denken gebührt ein maßgebender
Einfluß auf die Auffindung und Klärung der in jedem Einzel¬
falle gegebenen besonderen Verhältnisse.
II.
Die erbbiologisch und individualpsychologisch definierte
grundsätzliche Einschätzung der Rechtsbrecher hat nichts mit
den engeren Begriffen der Psychopathie bezw. Geisteskrankheit
im klinischen Sinne zu tun, für deren Gegebensein Zustands¬
bilder bereits erheblicher pathologischer Ausprägung zu fordern
sind. Der Einwurf, die Aerzte gefährdeten durch Zubilligung
nicht zurechnungsfähiger Geistesverfassungen die Rechtsgrund¬
lagen, ist schon aus pathognostischen Ueberlegungen ab-
wegig, abgesehen davon, daß Arzt wie Jurist in der Erkenntnis
der Notwendigkeit einer ahndenden Beeinflussung von Rechts¬
brechern aus psychologischen, erzieherischen und sichernden
Gründen einig gehen.
Aber selbst unbeschadet der Einsicht, daß ein — wohl
größerer — Bruchteil der Rechtsbrecher nicht zu den psyeho-
pathologischen Elementen im eigentlich klinischen Sprach¬
gebrauch zählt, erkennt der Sachverständige in allen Straf-
Bei v. Bechterew.
Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 543
anstalten eine Menge Persönlichkeiten auoh der zweiten Art:
Psychopathen aller Formen und Geisteskranke.
Das gleiche Bild ergibt die psychiatrische Untersuchung
einzelner Verbrecherkategorien für sich.
Unter Verzicht auf Wiedergabe von älteren Ziffern aus
den seit Jahrzehnten vorliegenden Massenstatistiken möchte
ich, zum Teil aus bayrischen Anstalten schöpfend, bloß folgendes
anführen:
E. r. Nemeth®) fand u. a., daß ein Fünftel der Verurteilten in der
Detention diszipliniert werden mußte, und hiervon die Mehrzahl degeneriert war.
Nach Morel®) waren von 496 Bückfälligen 174 Trinkerabkömmlinge, 125
zeigten 8puren angeborener oder vererbter Degeneration, nur 98 wiesen nichts
Abnormes auf. Die Mehrzahl der Büchfälligen bestand aus Entarteten bezw.
geistig Zurückgebliebenen.
Im Zuchthause Kaisheim zählte ich unter rückfälligen Eigentums¬
verbrechern 1910 13'/° Irr« and 12,5 */• Psychopathen ausgeprägter Typen,
ungerechnet die „leichteren“ Fälle.
In der gleichen Anstalt fanden sich 1911 7 ) unter 215 Zugängen 40,46 °/o
erblich Belastete, 82 Mann waren chronische Alkoholisten, 65 hatten körper¬
liche Degenerationszeichen.
Ebendort befanden sich 1914®) von 40 Mördern 12 im Zustand fort¬
schreitender Haftverödung, 9 waren geisteskrank, 12 ausgesprochen psycho¬
pathisch und nur 7 „normal“.
Unter 112 während des Krieges kriminell gewordenen ehemaligen Heeres¬
angehörigen im Zuchthause Straubing *) fanden sich 51 mit Nerven- und Geistes¬
krankheiten familiär Belastete, 35 Trinkerabkömmlinge, 85 mit familiärer
Kriminalität, 3 Kopftraumatiker (aus der Jugendzeit), 18 Neurastheniker, 8 Epi¬
leptiker, 2 geisteskrank Gewordene, 23 Debile bezw. Imbezille.
Bixen 10 ) sagt: „Die kriminelle Physiognomie der Gegenwart erhält
durch die zahlreichen psychopathischen Persönlichkeiten unter den Verbrechern
da wesentliches und charakteristisches Gepräge, und nach meinen Erfahrungen
hat unter dem Einflasse des Krieges und seiner Folgen die Zahl der psycho¬
pathischen Verbrecher noch ganz erheblich zugenommen, so daß dieselbe
mindestens 80°/o unter sämtlichen Gefangenen beträgt.“
Zusammenfassend ist festzustellen:
1. In allen Strafanstalten ist mit einem bedeutenden
Prozentsatz psychopathologischer Insassen aller Formen und
Grade zu rechnen.
2. Erkennung und Typisierung derselben ist die wichtigste
ärztliche Aufgabe im Strafanstaltsdienst.
III.
Die 8trafvollzugliche Behandlung verurteilter Rechtsbrecher
ist umschrieben durch die vom Strafgesetz beabsichtigten
„Strafzwecke“: Vergeltung, Unschädlichmachung, Abschreckung,
Besserung.
Die klassische Strafrechtsschule hält nun daran fest, für
®) Zit. nach Birnbaum: Die psychopath. Verbr., Berlin 1914, S. 20.
7 ) Viernstein: Aerztliche Untersuchungen an Kaish. Gefangenen,
Münch, med. Wochenschrift, 1911.
®) Viernstein: Eigenschaften und Schicksale usw., Zeitschrift für
Medizinalbeamte, 1914.
*) Viernstein: Ueber kriminell gewordene Heeresangehörige, Blätt.
für Gefängnis künde, 1920.
**) Bixen: Die gemeingefährlichen Geisteskranken, Berlin, 1921, bei
Springer, 8.120.
544
Dr. Th. Viernstein.
Strafmaß und Strafart lediglich die Eigenart der Straftat
in Betracht zu ziehen, so daß die Aufgabe des Gesetzes in der
Vergeltung bestehe.
Die jungdeutsche Kriminalistenschule fordert dagegen, daß
sich die Rechtssprechung der Eigenart der Verbrecher¬
gruppen anpasse :Abschreckung der Augenblicks Verbrecher,
Besserung der Besserungsfähigen, Unschädlichmachung
der unverbesserlichen Zustands Verbrecher.
Heute und künftighin beherrscht jedenfalls der Besse¬
rungs- und Sicherungsgedanke das Feld.
Ihm vermag sich auch das medizinische, psychologisch-
psychiatrische Denken anzupassen.
Wir Aerzte werden daher jede strafvollzugliche Neuerung
fördern, welche den Angriffspunkt in dem uns geläufigen bio¬
logischen Erkenntnisbereich hat, also von kriminalpsychologischen
bezw. kriminalpsychopathologischen Erwägungen ausgeht.
Und dies ist der Fall beim „Stufensystem“. Unsere aller¬
dings vorsichtig abzuwägenden Erwartungen werden nur er¬
füllt werden, wenn entsprechend der gegebenen und begrün¬
deten Darlegung das „Stufensystem“ auf die einzig richtige
und einzig mögliche, nämlich die naturwissenschaft¬
liche Basis gestellt und aus ihr herausgebaut wird.
IV.
Das „Stufensystem“ verkörpert psychologisch, indem es
durch selbsterziehliche Möglichkeiten den eigenen Resöziali-
sierungswillen des Rechtsbrechers in den Brennpunkt der straf¬
häuslichen Einwirkungen stellt, ausschließlich den Strafzweck
der Besserung.
Die Erkenntnis der bescheidenen Erfolge der bisherigen
Strafvollzugsmethoden hinsichtlich Dauerresozialisierung — die
Rückfallziffern in den Straflisten zerstören jeden Optimismus —
mag zum „Stufensystem“ mit hingedrängt haben.
Auch von ihm aber wird eine Aenderung des kriminellen
Bildes angesichts der kompliziert gelagerten inneren und äußeren
Verhältnisse in der Genese der Kriminalität nur mit Reserve
zu erwarten sein.
üeber das Pro und Kontra des Progressivsystems, das sich in England,
Amerika, von deutschen Staaten in Sachsen vornehmlich eingebürgert hat,
weiterhin über die Art der technischen Durchführung im einzelnen zu reden,
ist der Rahmen der vorwürfigen Arbeit zu knapp. Ich verweise auf die
kritischen Darlegungen Kriegsmanns n ), ferner auf den Aufsatz Gablers'*),
endlich auf jenenHartwigs '*), um nur einiges aus der einschlägigen Literatur
zu erwähnen.
u ) Kriegsmann: Einführung in die Gefängniskunde, b. Winter,
Heidelberg, 1912, S. 197 u. ff.
'*) Gabler: Begriff des progressiven Strafvollzugs, Blätter für Ge¬
fängniskunde, Bd. 64, S. 147.
M ) Hartwig: Eine neue Zuchthaus-Ordnung in Argentinien. Blätter
für Gefängniskunde, Bd. 49, S. 98 ff.
Oie Einführung eines Stofensjstems in den bayrischen Strafanstalten. 545
Y.
Für den bayrischen Strafvollzug, der die ersten Schritte
zum Stufensystem zu tun sich anschickt, ist augenblicklich d i e
Stellungnahme zu prinzipiellen Vorfragen das wich¬
tigste, nachher erst die praktische Durchführung.
Eine der Vorfragen, die Hauptfrage sozusagen, habe ich
vom Gesichtskreis des Arztes aus in obigen Darlegungen zu
erörtern versucht: die Notwendigkeit, die Neuerung biologisch¬
psychologisch zu orientieren.
Dem Arzt drängt sich als logische Voraussetzung fürs
Stufensystem noch eine zweite Vorfrage auf, jene nämlich, im
Strafvollzüge die durch das Progressivsystem Besserungs¬
fähigen von den Unverbesserlichen zu trennen. Auch
die ministerielle Anordnung verlangt diese Scheidung voran¬
gängig weiteren Schritten.
Schon Ovid kennzeichnet den Widerstreit des Ich mit der
Umgebung, oder, wie wir Mbdemen sagen, den Kampf der
individuellen, der Ichförderung dienenden Funktionen mit den
überindividuellen, „sozialpsychischen“, durch das Wort: Nitimur
in vetitum semper cupimusque negata, und deutet dabei die
schwache Position der letzteren Gruppe seelischer Grundeigen¬
schaften an.
Insofern der Rechtsbruch sich auf der einen Seite aus der
ewig unausschöpfbaren Quelle gesellschaftlicher und wirtschaft¬
licher Reibungen heraus speist — auch der Kommunismus
würde hieran nichts Grundsätzliches ändern —, und insofern
der Rechtsbruch die Uebertretung des Minimums der gesetz¬
lich festgelegten Gemeinwesensnormen auf Grund der indivi¬
duellen psychischen Verfassung darstellt, ist absolute Besserung
eine utopische Vorstellung.
Der Besserungsgedanke kann vielmehr nur den relativen
Wert eines moralisch-ethischen Idealpostulates haben, dessen
die nach Vervollkommnung strebende Kultur nicht zu entraten
vermag.
Die Antwort auf die Frage, wer ist im Strafvollzüge und
durch ihn „besserungsfähig“, wer „unverbesserlich“, birgt nach
meiner Ueberzeugung große Schwierigkeiten bei ob¬
jektiv wissenschaftlicher Behandlung unter Aus¬
schaltung rein gefühlsmäßiger Abschätzung.
Das juristische Kriterium der Vorstrafenliste und des ge¬
gebenen Rückfalles zunächst ist um so mehr nur mit Vorsicht
als beweisend für Unverbesserlichkeit anzusehen, als die bis¬
herigen strafhäuslichen Behandlungsmethoden in ihrer erzieh¬
lichen Wirkung relativ insuffizient sind.
Die sozialen Faktoren, das Milieu, erklären bloß einseitig
eine, nämlich die exogene Komponente im Zustandekommen
der rechtsbrecherischen Persönlichkeit. Was Anklageschrift,
Urteil, Heimat- und Polizeibericht, Briefwechsel usw. bieten, ist
wertvoll, aber nicht schlechthin ausschlaggebend.
A
546
Dr. Th. Viernstoin.
Nach ärztlicher Ueberlegung bleibt auch in der Frage
der Besserungsfähigkeit nur übrig, jeden Rechtsbrecher wiederum
als biologisches Wesen zu betrachten und durch Heranziehung
aller in Betracht kommenden Momente über die Wahrschein¬
lichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Besserung ein vor¬
sichtiges prognostisches Urteil zu gewinnen.
Ich bin mir bewußt, mit diesem Satze das Schwergewicht
aller Arbeit auf die ärztlichen Schultern zu legen; allein der
Arzt ist, wie ich darzutun bemüht sein werde, die gegebene
Persönlichkeit, dieser Frage exakt wissenschaftlich näher zu
treten, soweit sie überhaupt nach dem jetzigenStande
unserer Kenntnisse lösbar ist.
Der Strafvollzug, der sich berufsmäßig mit der Verbrecher-
persönlichkeit befaßt im Gegensatz zu den in der Haupt¬
sache das Verbrechen als solches wertenden Gerichten,
kommt durch das progressive System in einen erhöht einflu߬
reichen Konnex mit der gesamten Rechtspflege und dokumen¬
tiert eine gesteigerte kulturelle und soziologische Bedeutung.
Den Strafanstaltsärzten aber erblüht eine Betätigung,
durch die sie als gutachtliche Berater ihren Anstaltsleitern,
und, im ferneren Sinne, der Rechtspflege, grundlegende Dienste
zu leisten berufen sein werden.
VI.
Wenn, wie dem Arzte sich aufzwingt, das Stufensystem
und die strafvollzu^liche Würdigung des Rechtsbrechers über¬
haupt auf biologisches Fundament gestellt gehört, wenn
weiter die Teilfrage der Besserungsfähigkeit bezw. Unverbesser¬
lichkeit nach gleichen Gesichtspunkten betrachtet gehört, so
wird der Arzt zur Weisung aller Wege verpflichtet sein,
auf welchen er sein Ziel zu erreichen vermeint.
Unter Beachtung der dargelegten, wichtigsten einschlägigen
Ergebnisse der erbbiologischen, kriminalpsychologischen und
-psychiatrischen Forschung hat nach meinem Ermessen der
Strafanstaltsarzt künftig bei jedem Zugang ins Strafhaus
folgendermaßen vorzugehen:
1. Der Rahmen des bisherigen ärztlichen Zugangsberichtes
wird erweitert nach der anamnestischen Seite wie auch hin¬
sichtlich der am Gefangenen selbst somatisch und psychisch
festzustellenden Befunde.
2. Aus der Summe der Erhebungen und Befunde wird
eine Typisierung nach psychischer Normalität bezw. bestimmt
gerichteter Abnormalität vorgenommen.
3. Es wird aus allen Faktoren — Anamnese, Status,
psychischem Typ — die Frage der Besserungsfähigkeit ab¬
gewogen und in einem vorläufigen Gutachten fixiert.
Im einzelnen bemerke ich zu den vorstehenden Thesen:
ad 1: Die herkömmliche Anamnese ist bei ihrem höchstens
durchschnittlichen Aufwand an Befragung ungenügend für be¬
langreiche wissenschaftliche Schlüsse.
Die Einführung eines Sfcafensystems in den bayrischen Strafanstalten. 547
Aus dem Gefangenen zunächst ist vielmehr bei gesprächs¬
weiser Exploration restlos alles herauszupressen, was er
über seine Familie, id est Großeltern, Eltern, deren sämtliche
Geschwister, über seine sämtlichen Geschwister, seine Frau
und seine sämtlichen Kinder an Lebensdaten, Sterbedaten,
Todesursachen, Wohnorten, sozialer Lage (Pauperismus), sozialer
Führung (Kriminalität), erblichen Krankheiten, Geistes- und
Nervenstörungen, Trunksucht, endlich an charakterologischer
Veranlagung und Färbung (gemütliche Reaktionsform nach
Kretschmer) anzugeben weiß.
Auskunftpersonen sind zu bezeichnen.
Anschließend an das Bild des Stammes ist der eigene
Lebensgang des Gefangenen zu erheben: Jugendentwick¬
lung (Laufen, Sprechen, Enuresis, Pavor, Krämpfe, ansteckende
Kinderkrankheiten); Schulbesuch und -erfolg; Erziehung (Ver¬
wahrlosung, Bettel); Lehrzeit, Berufswahl und-Wechsel; familiäre
Bindung bezw. Entwurzelung; Wanderschaft; Militär (Anteil
am Krieg, Führung, Auszeichnung, Verwundung, Verschüttung,
Rente); Einsetzen und Wiederholung krimineller Entgleisung
nach Zeit, Delikt und Ursache; soziale Lage als selbständiger
Mann (Einkommen, Arbeitslosigkeit, ArbeitsWechsel); Verheiratung
(Jahr, Qualität der Frau in sozialer und somatisch-psychischer
Hinsicht); Kinder (nach Zahl, Alter, Geburtsdaten, Sterbedaten,
sozialer Lage und Führung, sowie psychischer Qualität und
affektiver Reaktionsweise im Sinne Kretschmers); über¬
standene Krankheiten, insbesondere Geschlechtskrankheiten und
Tuberkulose, Kriegsschädigungen, Trunksucht, Nerven- und
Geisteskrankheiten; Krämpfe und Anfälle (Kriegszittern); Aufent¬
halte in Heilanstalten (nach Zeit, Ort und Grund); Stellung des
Gefangenen zur jetzigen Straftat (Geständnis, Unschuldsbehaup¬
tung, Motivierung, Beschönigung).
Die Befragung ist damit zunächst beendet.
Das Gesamtergebnis der ganzen Reihe ist natürlich wech¬
selnd; es hängt insbesondere vom Grade bestehender familiärer
Fühlung ab; Versager, etwa bei Aiamiliären oder außerehelich
Geborenen sind möglich.
Fehlerquellen aus absichtlicher Falschangabe oder schuld¬
loser Erinnerungsverfälschung des Exploranden sind prinzipiell
zuzugeben. Sie sind indes sehr gering und jedenfalls nicht
ärger als bei Statistiken überhaupt.
Die Berechtigung der mir von juristischer Seite entgegen-
f gehaltenen Meinung, daß der Gefangene aus persönlichem
nteresse bei der Befragung „lüge oder färbe“, kann ich nicht
anerkennen. Die grundsätzliche Gleichstellung des Kriminellen
mit dem Lügner entbehrt der psychologischen Begründung.
Der Explorand wird ferner durch die ihm bisher fast stets
zum ersten Male im Leben begegnende Befragung, deren Ab¬
sichten und Ziele er nicht ermessen kann, überrascht; seine
Prozeßlage ist durch Rechtskraft des Urteils meist endgültig,
648
Or. Tb. Viernstein.
mindestens vorerst beendet, wodurch wiederum ein aktuelles
Interesse an Lüge und Färbung psychologisch fehlt.
Zu diesen auf Seiten des Untersuchten liegenden, für
durchschnittlich richtige Bekundungen sprechenden Voraus¬
setzungen und Motiven tritt die Kunst des explorierenden Arztes:
er hat vor allem suggestionsfreie Fragestellung — was wissen
Sie? — zd wählen, um beim referierenden Gefangenen einen
unvoreingenommenen Seelenzustand zu sichern; alternative
Fragesteltung — ist es so oder so? — ist wegen des darin
liegenden Urteils an die Intelligenz des Befragten geknüpft und
nur im kritischsten Zusammenhalt mit allen anderen Aussagen
rätlich; passive Suggestionsfragen, welche die Antwort in den
Mund legen, aber alternativ noch frei lassen — sind Sie Trinker?,
waren Sie geschlechtskrank?, in Irrenanstalt? — sind gewöhn¬
lich unverfänglich; aktive Suggestionsfragen, welche eine be¬
stimmte Antwort präsumieren, — Sie sind doch geisteskrank? —
empfehlen sich nicht.
Mehr kann über diese für den Erfolg sehr bedeutsame
Art des Vorgehens im vorliegenden Zusammenhang nicht gesagt
werden: ärztliche Erfahrung und Uebung, Beherrschung von
Stoff und Form, Individualisierung von Fall zu Fall wird das
Richtige treffen helfen.
Eine große Kette von Einzeltatsachen läßt sich so
schmieden: vererbungsbiologische, soziologische, kriminologische,
Bomatologische und psychiatrische Einzelheiten mannigfachster
Art treten vor uns auf, kurz, die biologische Struktur des Ge¬
fangenen und seines Stammes.
Ich möchte herausheben, was mir hievon, selbstverständ¬
lich im engsten organischen Zusammenhang mit dem Gesamt¬
bilde, das Wesentlichste dünkt:
Von den soziologischen Erfahrungsreihen zunächst die
wirtschaftliche und ethische Verfassung des Stammes. Aus ihr
geht der Milieueinfluß der Erziehung bezw. Verwahrlosung
hervor.
Hierüber bat Gregor“) ein an Fürsorgezöglingen gefördertes Werk
geschrieben, dessen Kenntnis dem Strafanstaltsarzt hauptsächlich für seine hier
nereinspielenden Aufgaben Behr wünschenswert ist
Aus dem eigenen Leben des Gefangenen interessiert, ab¬
gesehen von den anamnestisch schon immer herkömmlichen
Fragen die Tatsache des familiären Zusammenhanges bezw. der
von Anbeginn an gegebenen oder später aus bestimmten Ur¬
sachen eingetretenen familiären Zusammenhangstrennung.
Kraepelin 1 *) hat die psychiatrische Bedeutung der Entwurzelung in
einer seiner jüngsten Arbeiten gezeichnet. Ich möchte auch auf diese, gerade
für uns Strafanstaltsärzte so instruktive 8tudie hinweisen.
Aus der psychiatrisch-erbbiologischen Berichtsreihe ist von
fundamentalster Bedeutung der Nachweis der Vererbung und
des Besitzes bestimmter charakterologischer Qualitäten.
u ) Gregor: Die Verwahrlosung; Berlin, 1918 bei Karger.
“) Kraepelin: Deber Entwurzelung; Zeitschrift für die ges. Neur.
und Psych., Bd. 68.
Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 549
Kretschmer, 1 *) auf den ich mich stütze, hat bezüglich affektiver
Verarbeitungsweise des Inhaltes der Vorstellungen die zwei großen Reaktions¬
typen der cyklothymen and schizothymen seelischen Anlage anfgedeckt,
geklärt und beschrieben und diese charakterologischen Grundqualitäten mit
korrespondierenden Erscheinnngen am körperlichen Habitus der Individuen in
Beziehung gebracht.
Hoffmann 17 ) hat den cyklothymen Reaktionstyp noch gesondert
bearbeitet
Auf beide Publikationen hinzuweisen ist um so größeres
Bedürfnis, als die Kretschmer’schen Typen, am kriminellen
Material bei zwei bis drei Generationen (Großeltern — Eltern —
Gefangener oder Eltern — Gefangener — Kinder) Iieraus-
gearbeit, nach meiner Erfahrung und Ueberzeugung den wert¬
vollsten, zuverlässigsten Anhaltspunkt bieten zur
Beantwortung der Frage der Besserungsfähigkeit oder
Unverbesserlichkeit.
Denn bei dieser für unser Stufensystem grundlegend ent¬
scheidenden Frage ist mit bloßen klinischen Diagnosen und
Schlagworten, etwa Hysterie, Debilität, erregbare Psychopathie,
geistige Krankheit oder Normalität, nichts gesagt; der Re¬
aktionstypus, wie er vererbt am Individuum rein
oder in mannigfacher Legierung auftaucht, ist aus¬
schlaggebend gerade für die soziale Prognose des
Detenten.
Wie sich nämlich allgemein die individuellen Beziehungen
zur Umgebung nach der gemütlichen Einstellung und Abtönung,
dem „Reaktionstypus“ regeln, so gewinnt man im besonderen
bei Betrachtung großer Serien von Verbrechern den Eindruck, daß
gerade der Aufbau und Ablauf krimineller Lebensgestaltungen,
unbeschadet vieler anderer Verursachungen, wesentlich durch
die Gefühlssphäre bestimmt ist, die sich aus dem Erbgut ihres
Trägers herleitet. Für das Verständnis und die Prognose des
kriminellen Menschen, des normalen wie psychopathologischen,
ist daher eine auf die charakterologischen Qualitäten gerichtete
Untersuchung, die Bestimmung seiner affektiven Erbformel, von
größerem Werte als die rein klinische Diagnose irgendeiner
Anomalie ohne Bedachtnahme auf vorliegende Vererbungs¬
zusammenhänge.
Die körperliche Untersuchung des Gefangenen weiterhin
hat vor allem nach dem optischen Gesamteindruck und ohne
in Einzelmessungen sich zu ergehen, die ihrerseits Spezial¬
zwecken Vorbehalten sind, die Kretschmerschen Körpertypen
„asthenisch, athletisch, pyknisch“ und deren Mischungen fest¬
zustellen als-wichtiges Korrelat zu den affektiven Reaktionstypen.
In neurologischer Hinsicht sind ausnahmslos die Pupillen
und die Patellarreflexe als Mindestmaß zu prüfen. Wasser¬
mann sehe Reaktion ist in sämtlichen auch bloß verdächtigen
‘^Kretschmer: Körperbau u. Charakter; Berlin 1921, bei Springer
w) Hoffmann: Die Nachkommenschaft bei endog. Psychosen, Monogr.
aus dem Ges. Gebiet der Neur. und Psych., 1921.
650
Dr. Th. Viernsteln.
Fällen zu veranlassen. Im übrigen bleibt der gewohnte klini¬
sche Untersuchungsgang bestehen.
ad 2: In psychiatrischer Hinsicht wird au! Grund aller
bisher gemachten Einzelerfahrungen am Gefangenen dessen
genereller Typ „normal“ oder „psychopathisch“ festgelegt;
im letzteren Falle das Zustandsbild mit herkömmlicher Diagnose
bezeichnet (Hysterie, Epilepsie, Debilität, Demenz, Querulantis¬
mus, reizbare Psychopathie usw.).
Ich weiß, daß „Anhiebsdiagnosen“ in der Psychiatrie be¬
denklich sind; allein bei Beachtung einer so intensiven Ex¬
plorationsmethode wird kein Arzt vorschnellen oder fahrlässigen
Urteils geziehen werden dürfen; man muß sich einmal schlüssig
werden!
ad 3: Nur so kann die Basis gefunden werden, auf welcher
die Frage besserungsfähig oder unverbesserlich nach
exakt wissenschaftlichen Grundsätzen vorbereitet zu werden
vermag.
Der Arzt wird den Entscheid nicht ausschließlich sich bei¬
messen dürfen: juristische und theologische, auch schulpädago¬
gische Mitwirkung werden nach der bestehenden Organisation
des Strafvollzuges sich in die Verantwortung dieses Dictums
mit teilen.
Anklageschrift, Urteil, Heimat- und Polizeibericht, Brief¬
wechsel, Vorstrafenliste, frühere Führung in Strafanstalten, be¬
vorzugte Deliktskategorie in juristischer Hinsicht, moralisch¬
ethische Ansprechbarkeit und religiöser Wissensschatz vor dem
Theologen, Schulbildungshöhe vor dem Anstaltslehrer werden
mit in die Wagschale fallen.
Was zur Lösung der Frage in jedem einzelnen Falle der
Arzt beizutragen hat, ist nach meiner Ueberzeugung und nach
allen obigen Ausführungen aber das Wichtigste und schlechthin
Unerläßliche: Die Aufdeckung der genotypischen Verfassung,
die Klärung des Phänotypus und seiner im Charakter ver¬
ankerten gemütlichen Einstellung und Beziehungen zum Milieu.
Es ergibt sich dabei nach vorläufigem Eindruck, um nur
einiges herauszugreifen, etwa folgendes:
1. Der schizothyme Reaktionstyp ist unter normalen
wie psychopathischen Rechtsbrechern seltener der Resoziali¬
sierung zugänglich als der cyklothyme.
Ersterer ist bei habituellen Eigentumsverbrechern der
häufigere Typ.
2. Die ebenfalls häufig sehizothymen Mörder erweisen sich
im Laufe langer Haft teils durch Nachreife, teils durch Stumpf¬
werden oft als nicht mehr gefährlich und zählen erfahrungs¬
gemäß nicht selten zu den disziplinär guten und fleißigen Ele¬
menten der Anstalt. Manchen von ihneu sollte durch das
Stufensystera eine angebrachte Aufmunterung ihres hoffnungs¬
losen Daseins zuteil werden!
3. Der mehr cyklothyme Affektverbrecher mit teils noch
jugendlich ungereifter, teils entwicklungsgehemmter Intelligenz,
Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 551
bei dessen Handlungsweise der Erlebnisreiz nicht die ver¬
schlungenen Wege der Erfahrungen, Abwägungen u. Hemmungen
geht, sondern blitzartig in die psychomotorische Sphäre über¬
springt und impulsive Handlungen nach Art des Kindes oder
des primitiven Menschen sehen läßt, ist durchschnittlich er¬
ziehungsfähig.
4. Die Ausreifung der Persönlichkeit und damit ihre Besse¬
rungsfähigkeit im sozialen Sinn ist eine in Strafanstalten häufige,
m. E. nicht immer genügend beachtete Tatsache.
6. Sittlichkeitsverbrecher sind wegen ihrer zumeist ge¬
gebenen, von Jugend auf defekten Triebanlage oder durch Alter
bedingten psychopathischen Konstitution im allgemeinen als
unverbesserlich zu bezeichnen.
6. Die ärztliche Antwort auf die Frage der Besserungs¬
fähigkeit wird man zweckmäßig so formulieren, daß man sich
auf den Nachweis oder das Fehlen von sicheren biologischen
Kriterien, welche für Unverbesserlichkeit sprechen, beschränkt.
Alles andere muß ärztlich beim heutigen Stand unserer
Kenntnisse — wir sind erst in den Anfängen — als besserungs¬
fähig bezeichnet werden.
VH. Schlußbemerkungen.
Ich glaube nachgewiesen zu haben, einerseits, welche nicht
zu unterschätzende Schwierigkeiten im Problem des progressiven
Strafvollzuges begründet liegen, andererseits, daß nur die bio¬
logische Methode dieser Schwierigkeiten Herr zu werden vermag.
In Straubing werden seit Jahren — aus der Absicht einer
einstigen anderweitigen Verarbeitung des Materials heraus —
die Zugänge im Zuchthaus nach der geschilderten, immer mehr
ausgebauten Art untersucht. Das Material liegt im Rohzustand
vor; es, wie für jene anderen Zwecke nötig, systematisch durch
Rückfragen zu ergänzen und zu kontrollieren, fehlte bislang
die Möglichkeit.
Zur Exploration eines Zuganges benötigt man nach meiner
Erfahrung im Durchschnitt einen Zeitaufwand von 40 Minuten
bei Vertrautsein mit dem Untersuchungsschema.
In dem Augenblick, da das Stufensystem Aufgaben be¬
sonderer Verantwortlichkeit und Tragweite bringt, ist es mir
Gewissenspflicht, den Weg zu beschreiben, der in Zukunft in
allen Fällen vom Arzte begangen werden muß.
Ohne diese wesentliche und weitgreifende ärzt¬
liche Mitarbeit ist nach meiner Ueberzeugung das
Stufensystem nicht zu verwirklichen. Es steht und
fällt mit der Annahme, Anordnung und Ermöglichung dieses
ärztlichen Arbeitsprogrammes.
Wo für die zu fordernde erhöhte ärztliche Arbeitsleistung
eine einzige Kraft nicht ausreicht — es wird dies an großen
Strafanstalten oder solchen mit lebhafter Fluktuation der Haft¬
bevölkerung der Fall sein — müssen im Interesse der bedeut¬
samen Sache Hilfsärzte bestellt werden. Ich wüßte keine
662 Dr. Th. Viornstein: Die Binftthrung eines Stnfensystems usw.
empfehlenswertere, selbstverständlichere und rentierlichere Per¬
sonalmehrung in Strafanstalten dem Wohlwollen und dem über¬
schauenden Blick der höchsten Stelle anheimzustellen.
Mit der in der geschilderten Weise notwendigen und durch
gemeinsame Betätigung aller berufenen Faktoren erfolgten Ana-
lysierung der Persönlichkeit des ins Strafhaus eintretenden
Rechtsbrechers ist, darüber muß Klarheit herrschen, nur ein
vorerstiges Wahrscheinlichkeitsurteil, dagegen kein endgültig
abschließendes über Unverbesserlichkeit oder Besserungsfähig¬
keit erstattet.
Erst die weitere Beobachtung des Rechtsbrechers, der in
der Strafverbüßung das Stufensystem zu durchlaufen hat, wird
früher oder später einen Entscheid zulassen, ob der beim Zu¬
gang Explorierte, aber nur vorläufig Prognostizierte zu den
Strafrefraktären oder Strafindifferenten auf der einen Seite, oder
aber zu den Straf empfänglichen auf der anderen
Seite gehört, und in letzterem Falle der durch das
Stufensystem angestrebten sozialpsychischen Wand¬
lung zugänglich ist
Auf alle andere Elemente hat nach biologischem Ermessen
lediglich der Strafzweck der Sicherung des Gesellschaftslebens
Platz zu greifen, wobei Ausnutzung der Arbeitskraft unter Ge¬
währung des Existenzminimums bei dauernder Verwahrung die
gerade durch die heutige nationale Notlage diktierten Richt¬
linien sein müssen.
In Zusammenfassung meiner sämtlichen Aus¬
führungen stelle ich als meine persönliche An¬
schauung fest:
1. Das Verbrecherproblem kann nur mittels der durch die
biologische Wissenschaft an die Hand gegebenen Erfahrungen
in seinen Ursachen und Erscheinungen einer befriedigenden
Klärung entgegengeführt werden.
2. Die Verbrechensbekämpfung in dem dem Rechtsspruche
folgenden Strafvollzüge hat sich der gleichen biologischen Be-
trachtungs- und Untersuchungsraethoden als Grundlage für die
Beurteilung des Einzelfalles zu bedienen, und dies vor allem
beim Stufensystem.
3. Die Frage der Besserungsfähigkeit oder Unverbesser¬
lichkeit ist wesentlich an die Reaktionsweise des Individuums,
d. i. an seine auf vererbter Grundlage beruhende gemütliche
Gesaratabstimmung und Einstellung gebunden; diese ist daher
in jedem Einzelfalle durch tunlichst erschöpfende Analyse der
persönlichen und familiären Struktur des Rechtsbrechers im
Sinne der Kr et schmer sehen Leitsätze zu ermitteln;
4. Vor Ueberschätzung unseres Wissens und unserer bis¬
herigen Einblicke ist zu warnen.
5. Nur objektiv wissenschaftliche, exakte Erforschungs¬
methoden dürfen zur Lösung befugt erachtet werden; jede ge¬
fühlsmäßige Beurteilung ist als insbesondere den Wert des Stufen¬
systems gefährdend und laienhaft abzulehnen.
Kleinere Mitteilungen und Beferate auB Zeitschriften. 558
6. Dem Arzte kommt die grundlegende, und notwendig
vorauszuschickende Arbeit zu, auf welcher erst andere berufene
Faktoren weiter bauen können.
7. Den Aerzten des Strafvollzuges ist diese künftig be¬
deutendste ihrer Aufgaben nötigenfalls durch Personalmehrung
möglich zu machen.
Nur so wird ein moderner Strafvollzug erstehen mit Aus¬
sicht auf Verwirklichung des ihm lange vorschwebenden, aber
dank Unvollkommenheit der Methoden zum Erfolge nicht aus¬
gereiften Besserungsgedankens, und wird über dem Straf¬
hause mit Recht das Wort stehen:
„Perditis adolescentibus corrigendis instituendisque,
ut qui inertes oberant, instructi reipublicae serviant.“
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
Gorlohtliohe Medizin.
Ueber die Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungsobduktionen
mit Berücksichtigung des Interesses der Rechtspflege. Von F. .Neureiter
und G. Strassmann. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche
Medizin, I, 1, 1922.
In Oesterreich werden seit 1867 sanitätspolizeiliche Obduktionen vor-
genommen. Sie werden dort ohne Bezahlung (die Prosektoren erhalten nur
einen geringen Ehrensold) von den gerichtlich - medizinischen Instituten oder
yon den Amtsärzten bei allen plötzlichen Todesfällen anscheinend yorher ge¬
sunder Personen, die nicht als durch eine strafbare Handlang yerursacht ver¬
dächtig erscheinen und deshalb nicht zur gerichtlichen Sektion kommen, aus¬
geführt. Sie geschehen im Interesse der Institute, da sie reiches wissen¬
schaftliches Material bringen, und im Interesse der Justizbehörden, da häufig
erst durch sie strafbare Handlungen aufgedeckt werden, so in Wien in den
Jahren 1912—1921 bei 10385 Fällen sanitätspolizeilich Obduzierter in 268
Fällen, d. i. in 2,6%. Wenn in Oesterreich bei einer Sektion Anzeichen eines
gewaltsamen Todes bemerkbar werden, wird diese als sanitätspolizeiliche ab¬
gebrochen und die gerichtliche Leichenöffnung nach Anzeige an die Staats¬
anwaltschaft yorgenommen. Verfasser erachten die Einführung sanitätspolizei¬
licher Leichenöffnungen in Deutschland wegen ihrer kriminalistischen Wichtig¬
keit, ebenso wie wegen ihrer Bedeutung für die Zivilgerichte und für die Ver¬
sicherungsbehörden, ferner aber auch znr Bekämpfung einer event. drohenden
Seuchengefahr als unbedingt erforderlich. Zu betrauen sind mit ihrer Aus¬
führung die gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute, bezw. die Ge¬
richtsärzte. Dr. Herwart Fischer- Breslau.
Ueber die Notwendigkeit der Einführung von Terwaltungssektionen.
Von F. Strassmann. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche
Medizin I, 1, 1922.
F. Strassmann empfiehlt, daß die Regelung der zu erstrebenden Ver¬
waltungssektionen auf reichsgesetzlichem Weee und nicht auf dem der Landes¬
gesetzgebung geschieht. Die Polizeibehörden sollen entsprechend den zu treffenden
reichsministeriellen Bestimmungen Leichenöffnungen anzuordnen haben. Und zwar
sollen sie diese
1. in besonders festzulegenden Fällen unbeschadet der Hechte der Staats¬
anwaltschaft veranlassen können;
2. in wieder anderen, sehr eiligen Fällen ohne Rücksicht auf die sonst
gemäß der Strafprozeßordnung zutreffende Entscheidung des Staatsanwalts.
Bei den zu 2 zählenden Fällen sei in erster Linie an die Todesfälle zu
denken, bei denen in der Regel nur eine möglichst frische Leichenuntersuchung
554
Kleinere Mitteilnngen and Beferate aas Zeitschriften.
eine Klärung wichtiger Fragen bringen kann (z. B. beim Tod durch elektrischen
Unfall, beim Tod darch gewerbliche Vergiftung etc.). Unter den za 1 ge*
hörenden Fällen (nnbeschadet der Hechte der Staatsanwaltschaft) seien z. B.
die in Straf- and Untersuchungsgefängnissen verstorbenen Gefangenen za nennen.
Die Landesregierangen haben Aasftihrungsbestimmangen za den reichsmini¬
steriellen Anordnungen za erlassen. Dr. Herwart Fischer-Breslau.
Ueber die Notwendigkeit and Einführung von Verwaltungssektionen.
Von Molitoris. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin,
I, 1, 1922.
Die gegenwärtig bestehenden Bestimmungen über die Feststellung der
Todesarsache Verstorbener and das Leichenwesen bedürfen — soweit solche
überhaupt zurzeit vorhanden sind; das Deutsche Beich hat kein einheitlich ge¬
regeltes Leichenwesen; in einzelnen Teilen des Beiches ist die Leichenschau
obligatorisch, in anderen überhaupt nicht eingeftthrt — dringend einer Aenderang
and Ergänzung. Während früher für die Begelung der Leichenschau neben
den Forderungen der Bechtspflege (Klärung, ob natürlicher oder durch fremdes
Verschulden bedingter gewaltsamer Tod vorliegt), besonders sanitäre Gesicht»
punkte (Infektionsgefahr, Scheintod? etc.) maßgebend waren, sind wir heute
infolge des Ausbaues unserer sozialen Gesetzgebung betreffs Leichenschau and
Feststellung der Todesursache vor Fragen gestellt, zu deren sorgfältiger Be¬
antwortung die wissenschaftliche Erforschung der Todesursache unerläßlich
ist. Diese kann aber nur durch eine Leichenöffnung geschehen. Es ist des¬
halb die Einführung verwaltungsbehördlicher Leichenöffnungen zu fordern, ganz
abgesehen von den darch die Strafprozeßordnung bedingten gerichtlichen
Sektionen :
I. bei allen plötzlich oder ohne unmittelbar vorausgegange ärztliche Be¬
handlung Verstorbenen. Dazu in allen Fällen, bei welchen trotz ärzt¬
licher Behandlung das Krankheitsbild ungeklärt geblieben ist;
II. bei allen gewaltsam oder unter Vergiftungserscheinungen Gestorbenen
(einschL Selbstmord und Narkosentod);
III. bei Tod nach übertragbarer Krankheit;
IV. bei allen identifizierten oder nicht identifizierten aufgefondenen Leichen;
V. bei allen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten, doch wieder frei¬
gegebenen Leichen;
VI. bei allen — auch ärztlich behandelten — verstorbenen Schwangeren,
falls deren Erkrankung mit dem Genitaltrakt zusammenhing.
VII. bei allen in oder gleich nach einer Entbindung verstorbenen Franen;
VIII. bei allen Frühgeburten und allen in oder gleich nach der Geburt ge¬
storbenen Kindern, auch wenn ärztliche Hilfe zur Entbindung hinzu¬
gezogen war. Dr. Herwart Fischer -Breslau.
Bildung von Hämatin ln den Lungen bei der akuten Asphyxie durch
Phosgen. Von Dr. Gaet Viale-Turin. Archivio di Antropologia criminale,
Psyduatria e medicina legale, 1921, H. 6.
Phosgen gehört zu den starken Giften; Luft mit einem Gehalt von
0,2°/oo davon ist nicht mehr einzuatmen, bei stärkerer Konzentration tritt un¬
mittelbar der Tod ein. Aus Tierversuchen, die Verfasser ansteUte, ergab sich, daß
durch die Einwirkung des Wasserdampfs auf das Phosgen Acid. hydrochlor.
gebildet wird, wodurch akuteste Asphyxie entsteht. Die Lunge nimmt dabei
eine durch Umbildung des Oxyhämoglobin in Hämatin entstehende mahagoni-
braunrote Farbe an. Das Spektrum entspricht dem des Hämatin.
_ Solbrig.
Ueber die Beziehungen zwischen Anaemla perniciosa und Trauma.
Von Dr. Prosp. Mino-Turin. Archivio di Antropologia criminale, Paichiatria
e medicina legale, 1921, H. 5.
Die Literatur über die traumatische Entstehung der perniziösen Anämie
ist nicht groß. An der Hand der wenigen, bisher bekannt gewordenen Fälle
und gestützt auf die Theorie von dieser Krankheit kommt Verfasser za dem
Ergebnis, daß die Möglicheit des aetiologischen Zusammenhangs zwischen
Besprechungen.
656
Trauma und Anaemia perniciosa nicht von der Hand zu weisen ist. Es müssen
aber vorsichtig alle näheren Umstände geprüft werden, ehe man einen solchen
Zusammenhang annimmt, namentlich gilt es, den Grad und Sitz des Traumas,
die Kontinuität der Krankheitserscheinungen ins Auge zu fassen, die Frage
der Heredität zu prüfen u. dgl. m., ehe man mit einiger Wahrscheinlichkeit
annimmt, daß im Einzelfall die Anaemia perniciosa traumatischen Ursprungs
ist. ln anderen Fällen ist auch ein Zusammenhang im Sinne der Verschlimme¬
rung eines schon bestehenden Leidens möglich und anzunehmen. Solbrig.
Tagesnachrichten.
Die Teuerung schreitet mit Biesenschritten weiter. Beamtenorganisationen
haben im Beichsfinanzministerium entsprechende Schritte getan und verständ¬
nisvolles Entgegenkommen für die nur zu berechtigten Wünsche der Beamten
gefunden. Es ist für das Beich — und alsbald auch für Preußen — folgende
Regelung betreffs Aufbesserung der Beamtenbesoldung mit Wirkung vom
1. September angenommen:
Der allgemeine Teuerungszuschlag für die ersten 10000 M. wird auf •
777 v. H., für den Best und die Kinderzaschläge auf 677 v. H. erhöht.
Zu der bereits für September bewilligten und ausgezahlten Erhöhung,
über die in Nr. 18 berichtet wurde, tritt also ein neuer Zuschlag, mit dessen
Auszahlung zum Teil schon begonnen ist.
Wie ferner berichtet wird, sollen in allernächster Zeit Beratungen über
die Erhöhung der Grundgehälter und Ortszuschläge stattfinden, und zwar sollen
die neuen Grundgehälter und Ortszuschläge mit Wirkung vom 1. Oktober in
Kraft treten.
Diese durchaus nötige Erhöhung wird von den Beamten freudig begrüßt
werden. Dank gebührt aber vor allem auch den Organisationen, die unermüd¬
lich tätig sind, um den Beamten das zu verschaffen*, dessen sie dringend bedürfen.
Für die Medizinalbeamten kommt zugleich eine andere erfreuliche Mit¬
teilung, nämlich die Erhöhung der Gebühren um das 30 fache der ursprüng¬
lichen, also das 8 fache der zurzeit gültige Sätze, und zwar mit Wirkung vom
1 8eptember.
Wird es nun aber nicht auch Zeit, die Gebühren für die staatlichen
Prüfungen (pharmazeutische Vorprüfung, Prüfung von Krankenpflegerinnen,
Säuglingspflegerinnen) angemessen zu erhöhen ? Das 2 1 /»—3 fache des ursprüng¬
lichen Satzes, wie es jetzt noch gilt, ist doch wirklich nicht zeitgemäß! Auen
wirkt es doch geradezu komisch, daß für Apothekenbesichtigungen am Orte
dem Beg.- und Med.-Bat noch immer 6 M. gezahlt werden — eine einfache
Btraßenbahnfahrt in der Großstadt kostet 8—10 M.! Eine Erhöhung der Tage¬
gelder für amtliche Beisen ist auch unumgänglich nötig. Der Satz von 3 bezw.
o M. für Ab* und Zugang kann doch unmöglich beibehalten werden.
So bleiben doch noch mancherlei berechtigte Wünsche zu erfüllen, ob¬
wohl anzuerkennen ist, daß das wichtigste, die Aufbesserung der Besoldung,
ständig in Fluß ist. _
Neue Sätze für die Wochenhilfe. Der Haushaltsausschuß des Reichs¬
tages setzte kürzlich die einmalig zu gewährende Beihilfe zu den Kosten der
Entbindung auf 500 M. und das Wochengeld auf 15 M. täglich für 71 Tage
fest. Außerdem werden an Stillgeld 25 M. für den Tag auf die Dauer von
85 Tagen bezahlt. Diesen Beschlüssen trat alsdann auch noch der Reichstags¬
ausschuß für Soziale Angelegenheiten, der schleunigst von neuem zusammen¬
berufen wurde, bei _
ln der Zeit vom 2.—9. Oktober d. J. findet ein Lehrgang zur Ein*
führung ln den Unterricht über Gesundheitslehre für Lehrer und Lehre¬
rinnen in Berlin, im Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche Fortbildungs¬
wesen, statt, der vom Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung in
Preußen f. V. und dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht mit Unter-
656
Sprechsaal.
Stützung der Ministerien veranstaltet wird. Namhafte Vertreter der medi¬
zinischen Wissenschaft and praktische Schalmänner sind als Vortragende ge¬
wonnen; neben Vorträgen and Probelektionen sind Vorführungen von Licht¬
bildern and Lehrfilmen, aach Besichtigungen vorgesehen.
Näheres ist in der Geschäftsstelle des Landesaasschusses für Volks¬
belehrung Berlin N. W. 6, Luisenplatz 2—4 zu erfahren.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreisarztes L. ln L.: Wenn jetzt nach Aufhebung der
kreisärztlichen Erlaubnis zur Leichenüberführung das Landratsamt um Ver¬
haltungsvorschriften bei einer Leichenfiberführung eines an einer ansteckenden
Krankheit Gestorbenen bittet, kann hierfür nach B 6 liquidiert werden?
Kann liquidiert werden, wenn der Kreisarzt von sich aus Anordnungen
für nötig hält und entsprechend dem Landratsamt berichtet?
Antwort: Der Kreisarzt ist nach dem Gesetz vom 16. September 1899
der technische Berater des Landrats. Er wird für diese Tätigkeit besoldet.
Eine Beanspruchung von Gebühren für Beratung in gesundheitlichen Fragen,
erscheint demnach unzulässig.
Natürlich ist für jede Leichenüberführung das Vorliegen eines ärztlichen
Leichentransportscheines Vorbedingung.
Zu der im Sprechsaal in Nr. 17 S. 611 über Uspulun erteilten Antwort
teilt das Hessische Ministerium des Innern, Abteilung für Öffentliche Gesund¬
heitspflege freundlichst folgendes mit:
Im Sprechsaal der Zeitschrift für Medizinalbeamte Nr. 17 d. Js., S. 511,
wird angegeben, daß Uspulun, eine 20°/oige Mischung von Chlorphenol-Queck-
silber mit Aetzkali und Soda, das zum Beizen des Getreides gebraucht wird,
zur Abteilung I der Gifte gehört und nur gegen Giftschein abgegeben werden
darf. Uspulun ist jedoch kein Quecksilberpräparat, sondern eine queck¬
silberhaltige „Zubereitung“. Von solchen ist in der Glftordnung nicht die
Bede. Wir haben beim Reichsgesundheitsamt seine Aufnahme, (jedoch nicht
in Abteilung I), beantragt
Außerdem wird hierzu von den Farbenfabriken Friedr. Bayer & Co.
gleichfalls darauf hingewiesen, daß das Uspulun kein Quecksilber präparat,
sondern lediglich eine Quecksilber z u b e r e i t u n g darstellt und als solche nicht
der Giftverordnung unterliegt, wie auch kürzlich auf ein Gutachten des
Gerichtschemikers Dr. Jeserich vom Schöffengericht in Labes entschieden
worden sei. Von diesem Sachverständigen wird darauf hingewiesen, daß die
Giftpolizeiverordnung in der Abt. I des Verzeichnisses der Gifte genau angibt,
welche chemischen Präparate und Zubereitungen vom freien Verkehr auszu¬
schließen sind. Von Quecksilber seien nur die Präparate (und Farben), nicht
aber Zabereitungen aafgeführt. Als Präparat sieht Dr. Jeserich Verbin¬
dungen, als Zubereitungen die Mischungen an. Da Uspulun eine Zubereitung
mit Quecksilberverbindung darstelle (mit 20°io von einem Qaecksilberpraparat),
biete die Giftverordnuhg keine Handhabe, das Mittel dem freien Verkehr zu
entziehen.
Hiernach scheint allerdings zurzeit keine Handhabe gegeben zu sein, das
Mittel, obwohl es zweifellos giftig ist, dem freien Verkehr zu entziehen. Die
Tatsache, daß es sieb um eine „Zubereitung“, nicht um eine chemische Ver¬
bindung, ein „Präparat“, handelt, ist dem Wortlaut der Giftverordnung zufolge
ein Hindernis es zu beanstanden, wobei es dahin gestellt sein mag, ob der
Sinn der Verordnung nicht dahin geht, neben den Präparaten auch die Zu¬
bereitungen von Quecksilber als Giftstoffe dem freien Verkehr zu entziehen.
Es ist nach der Mitteilung des Hessischen Ministeriums ja eine Klärung der
Angelegenheit zu erwarten.
Die seinerzeit im Sprechsaal gegebene Antwort kann mithin nicht auf¬
rechterhalten werden.
Verantwortlich für die 8chrlfUeltnnf: Geh« Med.-Bet Dr. 8 o 1 b r J f, Heg.- u. Med. -Bet ln Bretlen
Breslau T, Bafcdlferttrefte 84. Druck tob J. O. 0. Bruns, Minden L W.
ZEITSCHRIFT
MEDIZINALBEAMTE
1888 fru.töBgfündet urtti »on !88E bis i822 herausgeguben von Gen. Med.-Rat Pitii. Dr. R APMUNQ.
Zenfralblatt
I8p das gesamte Gebiat der gerichtlichen Medizin nntf Psychiatrie, des staat¬
lichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und
öffentlich« ßasuodiselJsweseu. einschl. der praktischen und sozialen ivglsne.
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Prof. Mr, Kanp-Miioehen, (»oh. MtiL- R*t Prof t>>- Ph-iffefe-Jiitädtt* -ßf'Jiv
Bat Vt6l br. l%jVpT-Bresiau, Kn'iRarzt ßr. jß. Itajwunstiil Med.-twat
tfi Kns'«rv>\skf-ft«rftif<. Cfßb AI..■<!.-Hat Prof. i»r. ProjL
Dr Sievefe hv# - üumbnr«r, (>'eb M t-.i - !?;* t Dr.’.SöJbriiar-ttr'&slau, ötfe. 'Med - lütt
Jfftrf.-,t»r. StraßilinHH"Btrri 0 j 7 ucb. Beg.-ftat Dr. Weber-Dresden üod Kreisarzt
Dr, W •>Hfcntt’«sbK!'» Dortioitiyd.
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Eine Beilage: Hecbisprecfcung und Medizinalgesetzgebung.
Schriftlettung: Verlag:
fielt. Mei' lat Or, Solbrlg, Fischer s med, ßucbrmndiang % Kornfeld,
leg.- u. Med^ftaf Ui SresUu. Bsriio f. 62; HeithsiraBe 5-
Be? aflsprnisf&r das IV.Vierteijabr durch die Post bezogen:53M.
Reizloses, kolloidales IC*i!k-IEIweiß-PIi<>»piial
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DarmUisliclies AIurnimurri-!anni n a 1 b uni i nat
Darmadstringens Darmdesinfiziens
von Tricalcol
Gegen;Enteritis etc.: evtl, unter Beigabe
HÜI probe« und liiemur vom tecnwerK &mmi
B5. Jahrs:. Zeitschrift für Medizinalbeamte. Nr. 20
INHALT.
Abhandlungen:
Entgegnung auf den Artikel: „Mit Volldampf
voraus — gegen den Krei§ar/.t“ in
Nr 16/192*2 dieser Zeitschrift. Von Dr.
Jaukowski . .557
Selbstmord durch Trinken von Salpeter¬
säure. Von ln*. Fritz Strass manu . 659
Die Maximaldosen d«r Arzneimittel. Von
Apotheker Max Rehwald . . . .661
Ueber Kurpfuschertum u. seine Bekämpfung.
Von Dr. Haha .565
Ana Versammlungen und Vereinen.
Dritte Sitzung des Besirkaferelns derAfedi-
ziuttl-Bcamtcn des Regierungsbezirks
LJrgnltz am 16. September 1922 ln Sagau,
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Personalien.
Deutaohea Reich und Preusaen.
Ernannt: zum Kreismedizinalrat Kreisassistenzarzt Dr. Ohm in PlSn.
Württemberg.
Ernannt: zum Oberamtsarzt in Ravensberg Dr. M tt 11 e r ans Rottenburg.
laohien.
Ernannt: znm Bezirksamt für den nengebildeten Medizinalbezirk Werdau
Reg.-Med.-Rat Dr. L eh n e r t
Erledigte Stellen.
Preusaen.
Zu besetzen sind alsbald die Kreisassistenzarztstellen in Oppeln, Re¬
gierungsbezirk Oppeln und Dortmund, Regierungsbezirk Arnsberg. Bewerbungen
sind an das Ministerium für Volkswohlfahrt in Berlin W. 66, Leipzigerstr. 8
durch Vermittelung des für den Wohnort des Bewerbern zuständigen Herrn
Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn Polizeipräsidenten) einzureichen.
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Entgegnung auf den Artikel:
„Mit Volldampf voraus — gegen den Kreisarzt“
in Nr. 15/1922 dieser Zeitschrift.
Von Stadtmedizinalrat Dr. Janbowski-Königsberg i. Pr.
Der Artikel des Kreismedizinalrats Dr. Hahn ist zu sehr
geeignet, über die hiesigen Verhältnisse Fernerstehenden ein
ganz falsches Bild zu geben, weshalb ich, zuraal meine Person
mehrmals genannt ist, mich verpflichtet sehe, hierzu Stellung
zu nehmen.
Die zu Beginn des Jahres 1919 ausgeschriebene, neu ge¬
schaffene Stadtarztstelle in Königsberg wurde vom Magistrat
dem damaligen Stadtkreisarzt — Nord, der sich um die Stelle
gar nicht beworben hatte, übertragen. Der Kreisarzt bat seine
Vorgesetzte Dienstbehörde um die Genehmigung zur Annahme
dieser Stelle im Nebenamte, erhielt aber einen ablehnenden
Bescheid mit der Begründung: die kreisärztlichen Dienstgeschäfte
wären zu umfangreich, als daß daneben noch das Amt eines
Stadtarztes wahrgenommen werden könnte. Der Kreisarzt kün¬
digte hierauf dem Magistrat die Stadtarztstelle auf.
Im Oktober desselben Jahres erhielt der Kreisarzt vom
Magistrat die Anfrage, ob er, nachdem die Stadtverordneten-
658 Dr. J&nkowski: Entgegnung auf den Artikel: „Mit Volldampf voraus—usw.
Versammlung ihn zum besoldeten Magistratsmitgliede gewählt,
diese Wahl annehme. Jeder, der die Amtstätigkeit des Kreis¬
arztes einer Großstadt wirklich kennt, wird es verstehen, daß
der Stadtkreisarzt auf die praktische Bearbeitung der sozial¬
hygienischen Aufgaben seines Amtsbereiches gezwungener¬
maßen nicht verzichten, vielmehr lieber in der erfolgreichen Aus¬
wirkung der gesundheitsfürsorgerischen Maßnahmen als dem
bedeutsameren Teil der Amtsgeschäfte eines Gesundheitsbeamten
sich betätigen wollte — auch trotz pekuniärer Einbuße. Des¬
halb erbat er seine Entlassung aus dem Staatsdienste gleich¬
zeitig unter Bereiterklärung, die Dienstgeschäfte des Kreisarztes
weiter führen zu wollen; in kurzem erfolgte die nachgesuchte
Dienstentlassung, ohne daß die erstrebte Vereinigung der Kreis¬
arzt- mit der Stadtarztstelle auch nur erwähnt wurde.
Auf den leidigen Streit, ob besser eine Kreisarzt- mit der
Stadtarztstelle oder umgekehrt zu verbinden ist, will ich mit
keinem Worte eingehen, weil meines Erachtens die Lösung
dieser Frage niemals auf dem Papier ausgefochten werden
kann, und im Widerstreit der Meinungen, besonders wenn man
Ausdrücke wie „Illustration der Machtbestrebungen einer Gro߬
stadt“, „Expansionsdrang der Kommune“, „Machthunger“,
„Kampf um die Herrschaft“ und dergl. mehr gebraucht, ganz
unnötige Schärfen hineingetragen werden. Die Entwicklung
unaufhaltbarer Dinge geht unbeirrt ihren Weg weiter.
Jeder Sachkundige wird mir ohne weiteres darin bei¬
stimmen, daß es im Interesse der Sache gegeben ist, das ge¬
samte Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege in einem Bezirk,
solange es sich noch von einer Stelle überblicken läßt, von
einem streng zentralisierten Amte aus zu leiten, die Arbeit auf
diesem Gebiete aber weitgehendst zu dezentralisieren. Das ist
meine aus Jahrzehnte langer praktischer Erfahrung heraus ge¬
wonnene Ueberzeugung, der ich als Stadtkreisarzt, solange und
soweit ich es vermocht, Geltung zu verschaffen bemüht gewesen,
und für die ich als Stadtmedizinalrat naturgemäß einzutreten
verpflichtet bin.
Wie gestaltet sich nun — und das ist ja schließlich die
Hauptsache — die im öffentlichen Interesse notwendige, ein¬
heitliche Arbeit auf dem gesundheitlichen Gebiete bei uns in
Königsberg? Herr Kollege Hahn kommt zum Schluß seines
Artikels auf die vor kurzem überstandene Paratyphus-Epidemie
zu sprechen: „Gerade mit Bezug auf das öffentliche Gesund¬
heitswesen ist unbeeinflußtes Urteil, gelegentlich von jeder
Rücksichtnahme freie Entschließung — wie noch jüngst hier
eine wahrscheinlich mit der Zentralwasserleitung in ursäch¬
lichem Zusammenhang stehende Paratyphus-Epidemie erwiesen
hat — geboten.“ Kein staatlicher Medizinalbeamter Königs¬
bergs hat es im Interesse des Volksganzen weder zu Beginn
noch im Verlaufe der Epidemie für notwendig gehalten, sich
mit dem Gesundheitsamte der Stadt überhaupt in Verbindung
zu setzen. Trotz Richtigstellung in der lokalen Presse und
Dr. Fritz Strassmauh: Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. 659
trotz wissenschaftlicher Begründung in der Fachpresse (Deutsche
medizinische Wochenschrift Nr. 31/1922), wonach die Annahme:
„die Seuche sei durch das Trinkwasser verbreitet, als recht
unwahrscheinlich abzulehnen und auch durch den Gang der
Epidemie widerlegt ist“, hält Herr Kollege Hahn sich für be¬
rechtigt, an seiner gegenteiligen Ansicht festzuhalten und sie
öffentlich weiter zu verbreiten! Falls dieses die von ihm selbst
betonte „Erhaltung der uneingeschränkten Amtsbefugnisse des
Kreisarztes“ bedeuten sollte, dürfte er wohl allseitiger Zu¬
stimmung sich nicht erfreuen.
Sapienti sat! _
Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure.
Von Geb. Med.-Bat Prof. Dr. Fritz Strassmann - Berlin.
Todesfälle durch Trinken von Salpetersäure gelten mit
Recht allgemein als sehr selten. Mir ist nicht bekannt, daß
seit den entsprechenden Mitteilungen von A. Les8er und von
C. Ipsen, die nahezu 30 oder gar 40 Jahre zurückliegen, weitere
Veröffentlichungen erfolgt sind. Ich halte es daher für ange¬
bracht, den nachfolgenden kürzlich beobachteten Fall, der auch
manches Eigenartige bietet, ausführlich mitzuteilen:
„Der Kaufmann B. P., geboren am 22. Angast 1890, holte sieb nach
Angabe der Matter am 23. März 1922 aas der L.-Apotheke eine Flasche Salz¬
säure and trank diese in Gegenwart der Matter, die ihn nicht verhindern
konnte, mit den Worten aas: „Herunter von der Welt, so ein Mensch, der keine
Arbeit bekommt, ist za nichts nütze.“ Er legte sich dann anfs Sofa, die Matter
holte einen Arzt, der ihn sofort dem Krankenhanse am Urban fiberwies.
Nach der Krankengeschichte hat P. als Junge alle 3—4 Jahre Krampf¬
anfälle gehabt. Mit 16 Jahren traten epileptische Anfälle in Abständen von
zwei Tagen aaf, die bis zam Lebensende andauerten. Seit dem Alter von
16 Jahren war er infolgedessen stellungslos. Schon vor 10 Jahren versuchte
er sich in seiner Verzweiflung zu ertränken. Nach der Giftaufnahme soll er
alsbald gespien haben. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus klagte er über
starke Schmerzen im Mond and Bachen, war anch benommen. — Seine Mntter
gab noch an, ihr Sohn sei peinlich saaber, umständlich, schwerfällig im Be¬
greifen geworden. Er war stets gedrückter Stimmang, gelegentlich traten
religiöse Gedankengänge stärker bei ihm hervor.
P. zeigte blutigen Speichel vor dem Monde, die Schleimhaat der ganzen
Mundhöhle war mit einem weißen Schorf bedeckt, stellenweise blatig, vom
Zäpfchen die Spitze weggeätzt. Der Pals war klein, weich and beschleanigt.
Die Temperatur 37,2. Er erhielt ausgiebige Magenspülungen mit Natron-
Bicarbonatlösung und nachher reichlich Milch zu trinken. Eine Untersuchung
des Mageninhalts aaf Salzsäure ergab keine erhöhte Salzsäure, die Gesamt¬
azidität 29,5. Das Befinden besserte sich, doch redete der Kranke wirres
Zeug durcheinander. In der Mundhöhle waren starke Zerstörungen sichtbar.
Das blieb so bis zum 28. März, da trat eine plötzliche Verschlechterung im
Befinden mit Temperatarsteigerung bis 38,1 und unfühlbarem Puls auf. Trotz
Koffein blieb der Puls auch am nächsten Tage unregelmäßig, klein und sehr
frequent, der Patient war bewußtlos, zyanotisch, in diesem Zustande trat am
29. der Tod ein.
Am 8. April wurde die gerichtliche Leichenöffnung von mir und Prof.
Strauch ausgeführt. Sie ergab an wichtigen Punkten: an der vordersten
Spitze des rechten Stirnlappens eine orangefarbene Verfärbung und Erweichung
von etwa Haselnußgröße im Gehirngewebe unmittelbar unter der weichen Ge¬
hirnhaut. In den Gehirnkammern etwas vermehrte Flüssigkeit. Feste Ver¬
wachsungen der linken Lunge in ihrer unteren Hälfte mit der Brustwand.
560 Dr. Fritz Strassmann: Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure.
Reichliche Fettbewachsung des Herzens, das viel geronnenes dunkles Blut
enthält Herzgewicht 820 g.
Die Speiseröhre war in ihrem ganzen Umfange mißfarben und von eitrigen
Hassen belegt. Auch in Kehlkopf und Luftröhre fanden sich schleimig eitrige
Massen, die Schleimhaut daruntei sammetartig glänzend, graurot. Der linke Unter¬
lappen der Lunge ist fest, dunkelrot, brüchig mit eingesprengten kleinen Herden.
In den großen Luftwegen lag eitrige Flüssigkeit. Rechts waren sowohl Ober*
wie Unterlappen in ihren hinteren Abschnitten von zahlreichen grauroten derben
Herden durchsetzt Der lohalt der Luftröhre war auch hier eitrig, auf dem
Ueberzug der Lunge fanden sich einige hautartige Beschläge.
Der Magen war leer. Seine Schleimhaut zeigte eine durchgehende
gelbgrüne Färbung. Auch der unterste Abschnitt der Speiseröhre ist voll*
kommen hellgelb gefärbt. Das Epithel löst sich leicht ab. In der linken
Hälfte des Magens zeigt die Schleimhaut zum Teil höckrige schwarzgrüne
Erhebungen. Diese Veränderung reicht bis an den Pförtner. Die Schleimhaut
des Zwölffingerdarms ist nicht verdickt, zeigt aber gleichmäßige hellgelbe bis
gelbgrüne Verfärbung, die im oberen Dünndarm aufhört.
Die übrigen Organe boten nichts Bemerkenswertes.
Die mikroskopische Untersuchung der Lunge ergab eine ausgedehnte
zellige Infiltration. Am Magen fand sich das typische Bild der Vergiftung
durch Mineralsäure, die Schleimhaut war znm größten Teile weggeschmolzen,
nur vereinzelt zeigten sich noch die Stümpfe der Drüsen, die an ihrer Form
deutlich erkennbar waren, im übrigen aber ausschließlich aus bräunlich ver¬
färbter Biutmasse bestanden. Die oberen Schichten der Unterschleimhaut zeigten
znm großen Teil mangelhafte Kernfärbung. Die Gefäße waren strotzend ge¬
füllt, auch hier zeigte sich vielfach das Blut zu braunen scholligen Massen
umgewandelt. In den tieferen Schichten der Unterschleimhaut und in der
Muskelschicht war der Befund ein im wesentlichen normaler. Entzündliche
Zellanhäufung fand sich nur wenig. An den Partien, die den Erhebungen ent¬
sprachen, fanden sich in der Unterschleimhaut Austritte roter Blutkörperchen,
die in ihrer Form unverändert erschienen. Sie waren verhältnismäßig nicht sehr
umfangreich, der größere Teil der Schwellung war offenbar durch Oedem bedingt.
Die Untersuchung der Gehirngeschwulst ergab, daß es sich um ein Gliom
mit älteren und frischeren Blutungen und zum Teil verkalkten Nekrosen
handelte.
Obwohl die gelbe Färbung der Schorfe eine unzweifel¬
hafte Salpetersäurereaktion darstellte, haben wir noch nach¬
träglich an dem im ganzen konservierten Präparat diese chemisch
festzustellen gesucht. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen
mit anderen üblichen Proben (Diphenylaminprobe) gelang meinem
Assistenten Dr. Kipper dieser Nachweis auf folgende Art:
Ein kleines Stückchen des gelbgefärbten Gewebes wurde in ein Reagens¬
glas gebracht, 5 ccm reine Schwefelsäure hinzugefügt und gelinde erwärmt,
bis die Zerstörung der organischen Substanz begann. Dann wurde das Er¬
wärmen unterbrochen und gewartet, bis eine vollkommen klare hellbraune
Lösung entstand. Diese wurde noch heiß mit Ferrosnlfatlösung überschüttet.
Es bildete sich an der Grenzschicht ein schwarzer Ring, der sich deutlich ab¬
hob, d. h. eine Stickoxydferrosulfatverbindung, die für die Anwesenheit von
Nitraten beweisend ist.
Zur Kontrolle wurde ein Stück Haut mit Salpetersäure verätzt, ab¬
gespült, 3 Stunden mit destilliertem WaBser gewaschen und über Nacht
mazeriert. In der Mazerationsflüssigkeit ließ sich jetzt ebenso wie in der
Mazerationsflüssigkeit unseres Präparates keine Salpetersäure mehr nachweisen.
Das Hautstückchen gab aber deutlich positive Diphenylaminreaktion, indem
blaue Streifen von dem Objekt fortzogeo, das selber blau verfärbt wurde. Die
Schwefelsäareferrosulfatprobe war deutlich positiv. Es entstand ein intensiv
schwarzer Ring an der ßeriihrungsstelle beider Flüssigkeiten.
Die Befürchtung, daß das Gewebe an sich Stickstoff-(eiweiß) haltig für
sich ebenfalls ein positives Ergebnis bei der Probe liefern könne, hat sich bei
der gleichen Vereuchsanordnung mit nicht verfitzten Teilen nicht bestätigt
Max RehwaM: Die Maxlmaldosen der Arzneimittel.
561
Freilich zeigte sich dabei, daß die Probe eine graduelle ist, es ist notwendig,
von frischem einwandfreien Gewebe nnd dem verdächtigen, mit Salpetersäure
verätzten gleich große bezw. gleich schwere Stückchen za nehmen, Bie in der
gleichen Menge Schwefelsäure nnd zwar soviel zu lösen, daß die Lösung hell¬
braun wird, durch Erwärmen die Zerstörung nur einzuleiten, diese selber dann
aber abzuwarten und die noch heiße Lösung zu überschicbten. Bei ungefähr
12 Kontrollversnchen entstand auf diese Weise eine vielleicht etwas dunklere
breite Zone, die nach oben ins violett überging, aber nie ein scharf abgesetzter
tiefschwarzer Ring, wie ihn die verätzte Haut und der fragliche Magen gaben.
Es ist danach nicht zu bezweifeln, daß im vorliegenden
Falle eine Aetzung durch Salpetersäure Vorgelegen hat. Zweifel¬
haft kann sein, ob reine Salpetersäure vorlag oder eine Mischung
von Salpeter- und Salzsäure (Königswasser). Vielleicht würde
sich dadurch die Angabe des Getöteten erklären, daß er sich
mit Salzsäure vergiftet hat.
Bemerkenswert ist in diesem Falle das Fehlen der Gelb¬
färbung an den Schorfen im Mund und Rachen, deren weiße
Farbe im Krankenhaus festgestellt worden ist. Auch in der
Speiseröhre war im Gegensatz zum Magen und Darm bei der
Sektion die charakteristische Xanthoproteinreaktion nicht fest¬
zustellen. Das steht im Gegensatz zu den oben erwähnten
älteren Fällen, in denen die Reaktion von oben nach unten
an Stärke abnahm. Die Abweichung läßt sich erklären unter
Berücksichtigung des bereits von Kunkel hervorgehobenen
Umstandes, daß es einiger Zeit bedarf, bis die gelbe Farbe er¬
scheint. In jenen Fällen waren neutralisierende Gegenmittel
nicht gereicht worden bezw. nicht beizubringen gewesen. In
unserem Falle war das alsbald in ausgiebigem Maße geschehen.
Man kann sich wohl vorstellen, daß ihre Wirkung in den oberen
Abschnitten des Verdauungsapparates eine stärkere war und
daß daher hier die Reaktion ausblieb. Die sonstigen Ab¬
weichungen unserer Befunde erklären sich aus dem erheblich
längeren Leben dieses Vergifteten, bei dem dann die sekun¬
dären Folgeerscheinungen der Mineralsäurevergiftung sich ent¬
wickeln konnten.
Ein gewisses Interesse hat auch die vor Zeugen erfolgte
Ausführung des Selbstmordes mit ausdrücklicher Begründung.
Wir erleben solches ja nicht so häufig. Ueber einen in dieser
Beziehung ähnlichen Fall von Cyankalivergiftung wird mein
Assistent, Dr. v. Neureiter, demnächst in der deutschen Zeit¬
schrift für gerichtliche Medizin berichten, einen anderen, in
dem eine ausführliche schriftliche Begründung vorlag, hat
Lochte an derselben Stelle in diesem Jahre bereits ver¬
öffentlicht.
Die Maxlmaldosen der Arzneimittel.
Von Apotheker Max Rehwald-Berlin.
Die Maximaldosen sind in den letzten Jahren des öfteren
Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen. So führte Ober¬
apotheker Dr. Rapp in Nr. 4 der Münchener Medizinischen
662
Max Rehwald.
Wochenschrift 1922 u. a. aus, daß der Arzt nach der Deutschen
Gesetzgebung, insbesondere infolge der Haftpflicht, nicht nach¬
drücklich genug auf die Gefahr hinge wiese» werden kann, die
eine fehlerhafte Verschreib weise nicht nur für den Patienten,
sondern auch für den haftpflichtigen Arzt selbst zur Folge
haben kann. Es wird nach Rapp immer noch zu wenig be¬
achtet, daß die ärztlichen Verordnungen nach der Entscheidung
des Reichsgerichts vom 12. Oktober 1888 als Privaturkunden
gelten und bestimmt sind, als Belege rechtserheblicher Tat¬
sachen zu dienen. Der Arzt haftet nicht nur für den Schaden
bei ungenau gegebener Gebrauchsanweisung. Natürlich kann
diese Haftpflicht, von pekuniäreq. Opfern ganz abgesehen, dem
Arzt große Unannehmlichkeiten bereiten.
Bei der großen Wichtigkeit dieser Materie muß es nur in
Erstaunen setzen, daß in ärztlichen und pharmazeutischen
Kreisen über die Bedeutung der Maximaldosen recht verschiedene
Ansichten vertreten wurden. Ich will hier nur kurz auf die
Arbeiten von Dührsen (Deutsche Medizinische Wochenschrift,
1919, Nr. 10), von Joachimoglu (Deutsche Medizinische
Wochenschrift, 1919, Nr. 14) sowie auf die Ausführungen des
in Apothekerkreisen gelesensten Fachblattes, der Pharmazeu¬
tischen Zeitung, 1919, Nr. 47/48, hinweisen und dazu bemerken,
daß man nach H eff ters Veröffentlichung (Berichte der Deutschen
Pharmazeutischen Gesellschaft, 1919, Heft 6) wohl über eins klar
geworden ist. Die Maximaldosen sind auf Grund klinischer Er¬
fahrungen festgelegte Werte stark wirkender Arzneimittel, deren
alleiniger Zweck ist, zu verhindern, daß durch Schreibfehler oder
sonstige Zufälligkeitenvergiftungen entstehen. Der Natur derSache
nach können sie nicht als Index oder Einschränkung des ärzt¬
lichen Handelns dienen, da die Wirkung der Arzneimittel auf
den einzelnen Menschen großen Schwankungen unterliegt. Aus
demselben Grunde dürfen die Maximaldosen auch nicht als Grenz¬
werte aufgefaßt werden, jenseits deren Vergiftungserscheinungen
auftreten müssen. Will der Arzt die Maximaldosen überschreiten,
so hat er nur nötig, dies durch ein Ausrufungszeichen (1) zu
erkennen zu geben; ohne dieses ist es dem Apotheker nicht
gestattet, die Arznei zu verabfolgen.
Wenn aber im Deutschen Arzneibuch das Verzeichnis der
Maximaldosen überschrieben wird: „Tabelle A, enthaltend die
größten Gaben (Maximaldosen) einiger Arzneimittel für einen
erwachsenen Menschen,“ so kann man logischer weise folgern,
daß jenseits dieser Grenze die toxische Dosis beginnt. Da das
nach den unwidersprochenen Ausführungen Heffters nicht der
Fall ist, muß die Ausdrucksweise des Arzneibuches als irre¬
führend angesehen werden. Man sollte daher bei der bevor¬
stehenden Neuausgabe' die Bezeichnungen größte Gaben und
Maximaldosen fallen lassen und sie durch die Worte: Medizinale
Gaben oder Dosis medicinalis ersetzen, denn um diese handelt
JDie Maximaldosen der Arzneimittel.
663
es sich. Nach der erwähnten Ueberschrift folgt im Arzneibuch
der folgende Text: Ist eins der nachstehenden Mittel in einer
Arznei zum inneren Gebrauch (zum Einnehmen) in
solchen Mengen enthalten, daß bei dem vorgeschriebenen Ge¬
brauche die nachstehende größte Einzelgabe oder größte Tages¬
gabe, d. h. die sich auf 24 Stunden verteilende Menge, über¬
schritten wird, so darf der Apotheker die Arznei nur dann
abgeben, wenn der Arzt durch ein der Mengenabgabe des be¬
treffenden Mittels beigefügt'es Ausrufungszeichen (!) zu erkennen
gegeben hat, daß die Ueberschreitung der größten Gaben be¬
absichtigt ist. Dies gilt auch für die Verordnung der nach¬
stehenden Mittel in Form von Augen wässern, Einat¬
mungen, Einspritzungen unter dieHaut, Klistieren
und Suppositorien.
An dieser Fassung, die übrigens älteren Ausgaben des
Arzneibuches gegenüber schon wesentlich verbessert ist, bleibt
noch immer manches auszusetzen. Nehmen wir den folgenden
praktischen Fall: Ein gewohnheitsmäßiger Kokainschnupfer
kommt in die ärztliche Sprechstunde und die Lage der Dinge
erfordert es, daß der Patient 0,5 oder 1,0 Kokain mur. er¬
hält. Der Arzt verschreibt nach dieser Feststellung das
folgende Rezept: Kokain mur. 1,0 S. Schnupfpulver. Da nun
nach den obigen Ausführungen des Arzneibuches Schnupfpulver
als äußerliche Arzneimittel anzusehen sind, deren Neuanfertigung
nichts im Wege steht, ist der Apotheker nicht nur berechtigt,
Bondern sogar verpflichtet, das Rezept anzufertigen, so oft es
der Kranke wünscht. Diesem ganz unhaltbaren Zu¬
stande muß sobald wie möglich ein Ende gemacht
werden Verordnet dagegen der Arzt eine Zinksulfatlösung
und läßt ihr etwas Kokain zusetzen, so ist die erneute An¬
fertigung nur nach jedesmaliger mit Datum und Unterschrift
versehener Anweisung gestattet. Dieser Unsinn — ein milderer
Ausdruck ist hier wirklich nicht am Platze — ist nur möglich,
weil im Deutschen Arzneibuche die sehr wichtige Angabe fehlt,
daß die „Maximaldosen“ Geltung haben für die Anwendung der
Medikamente von allen Körperstellen aus, an denen ihr Eintritt
in die Säftemasse sich vollziehen kann. Diesen Worten könnte
eine kurze Erklärung folgen.
Wichtig wäre es auch, die Frage der Maximaldosen in
dem neuen Arzneibuch gründlicher zu behandeln und nicht,
wie es bisher geschah, für jede Art innerlicher Verordnung eine
Maximaldosis festzusetzen. Das widerspricht nach Morgenrot
den elementarsten dosiologischen Erwägungen. Eine wirklich
ernstgemeinte Maximaldosis kann nicht für intravenöse und
intramuskuläre Applikation einerseits, für subkutane und sto-
machale Darreichung andererseits die gleiche sein. Bei der
Lösung dieser Frage könnte man sich vielleicht die folgende
Erfahrung zu Nutze machen: Setzen wir bei interner An-
564 Max Behwald: Die Maximaldoeen der Arzneimittel.
Wendung die medizinale Dosis = 1, so ist diese bei direkter
Einführung ins Blut = Vs — Vs» hei epidennatischer Applikation
= 3—6, überall entsprechend der vermehrten oder verringerten
Aufsaugung. Bei der Subkutaninjektion gleicht die beschleunigte
Elimination wieder die beschleunigte Resorption aus, so daß in¬
terne und subkutane Dosen so ziemlich identisch sind.
Eine weitere Frage, die uns das Arzneibuch bisher schuldig
blieb, ist die folgende: Wie verhält sich der Apotheker, wenn
der Arzt die üblichen Dosen bei Arzneimitteln überschreitet,
für die das Arzneibuch eine „Maximaldosis“ nicht vorschreibt.
Wenn er Aconitin, Colchicin, Nitroglycerin in Mengen ver¬
ordnet, die nach der vorhandenen Literatur abnorm hoch sind?
Ein Recht des Apothekers, vom Arzt das! zu verlangen, be¬
steht hier nicht, obgleich gerade diese Fälle in der Praxis nicht
zu selten sind. Dazu kommt, daß beschäftigte Aerzte auf An¬
fragen, die ihrer Ansicht nach überflüssig sind, nicht immer in
liebenswürdigster Form erwidern und die Apotheker daher ge¬
neigt sein könnten, da, wo es sich irgendwie verantworten
läßt, Rückfragen zu unterlassen. Hier müßte, um Weiterungen
zu vermeiden, eine für Aerzte und Apotheker gültige Maximal¬
dosentabelle aller gebräuchlichen Mittel ausgearbeitet und be¬
ständig ergänzt werden. In Fällen, wo der Arzt die festgelegten
Dosen überschreitet, hätte er dann auch bei diesen Mitteln
seine Absicht durch ein! klarzulegen. Das wäre wohl die ein¬
fachste und beste Lösung.
Bereits vorhandene Tabellen könnten als Grundlage dienen,
müßten aber vorher von erfahrenen Pharmakologen nachgeprüft
werden, da sie zurzeit recht bedeutende Unterschiede aufweisen,
durch die sehr leicht Verwirrung in die Kreise der Aerzte und
Apotheker getragen wird. Zum Beispiel ist in einer von
Prof. L. Levin aufgestellten Maximaldosentabelle für das Nitro¬
glycerin als größte Einzelgabe 0,002 angegeben, während nach
Boerners Reichsmedizinalkalender bis 10 Tropfen, also un¬
gefähr die doppelte Menge gegeben werden kann.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Berech¬
nung der Einzeldosis durch den Apotheker zwar bei abgeteilten
Pulvern und Pillen keinerlei Schwierigkeiten macht, wohl aber
bei Pulvergemischen, von denen der Patient messerspitzenweise
einnimmt. Wieviel Gramm rechnet man auf eine Messerspitze?
Das ist eine offene Frage, die jeder Apotheker beantworten
kann wie er will. Bei den heute überall auftretenden Be¬
strebungen, Normen aufzustellen, könnten wir es nur mit Freuden
begrüßen, wenn das neue Arzneibuch auch hier bestimmte
Richtlinien angeben würde. Für flüssige Arzneien hat sich ja
bereits die allgemein anerkannte Regel eingebürgert, für einen
Teelöffel = 4,0, einen Kinderlöffel = 10,0, einen Eßlöffel = 15,0
anzunehmen.
Dr. Hahn: Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.
665
Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.*)
Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn«K5nigsberg i. Pr.
Es ist ein unerfreuliches und für den Medizinalbeamten
wenig dankbares Kapitel, worüber ich auf Anreguog von
Kollegen referieren werde. Die in unserem Sinne geringe Frucht¬
barkeit der Kurpfuschereibekämpfung ist Ihnen allen aus Ihrer
amtlichen Tätigkeit bekannt und ich bitte Sie, sich nicht zu
sehr in Ihren Erwartungen getäuscht zu fühlen, wenn ich
wesentlich Neues kaum Vorbringen werde. Aber ich hoffe,
auch allein mit der Zusammenstellung des uns zurzeit zur Ver¬
fügung stehenden Rüstzeuges im Kampfe gegen die Kurpfuscherei,
die immer dreister sich breit macht — des Interesses wegen
bemerke ich, daß wir hier in Königsberg Herrn G.
in sechsmaliger Auflage haben — manchem Kollegen einen Ge¬
fallen zu tun.
Das, was der Bevölkerung und uns Kreisärzten allein
helfen könnte, wäre ein straffes Kurpfuschereigesetz und eine
Verordnung, die in klaren Worten, welche nicht alle möglichen
Auslegungen zulassen und überall Hintertüren haben, den Arznei¬
mittelverkehr außerhalb der Apotheken regelt. Indes wird dieser
Wunsch, wie die Verhältnisse und Zeiten nun mal sind, wohl
lange noch unerfüllt bleiben.
Die Kurpfuscher haben es zwar nicht nötig, sich persönlich
beim Kreisarzt zu melden, aber ich lege darauf Wert, daß sie
es tun, und ich habe noch in jedem Falle den Vorzug gehabt,
die Herren Konkurrenten im Heilgewerbe in Person bei mir
zu sehen, wobei ich sie genau über Vorbildung und Anlaß des
Wechsels ihres bisherigen Berufs befragen konnte. Die Vor¬
bildung ist stets = 0. Die Heilkünstler haben das Kurieren
entweder aus sich, aus einem Buch, oder aus Büchern, im
Verein usw. gelernt. Als Veranlassung zu dem Entschluß der
Ausübung des Heilgewerbes ist mir in letzter Zeit einigemal
gesagt worden, daß man, „so“, das heißt, vom Gehalt, von
Zinsen, von dem Einkommen aus anderer Beschäftigung bei
der Teuerung nicht leben könne und sich nach Nebenverdienst
umsehen müsse. Nur die Herren Biochemiker, G.und
seine Jünger haben ungewöhnliche Gaben von der Natur mit¬
bekommen und fühlen sich zum Kurieren „berufen“. Sie lesen
die Krankheiten von den Augen ab. — Wir leben eben im
Zeitalter der Mystik. — Auch ein hiesiger Arzt soll nach mir
unlängst gewordener Mitteilung seitens eines Kollegen geäußert
haben, daß die Akten über den Wert der Augendiagnose noch
nicht geschlossen seien.
Ich möchte hier gleich bemerken, daß allein die An¬
kündigung der „Heihätigkeit auf Grund der Augen¬
diagnose“ uns keine Handhabe zum Strafantrag, etwa wegen
*) Nach einem Vortrag auf der Versammlung der Medizinal beamten des
Regierungsbezirks Königsberg am 24. Juni 1922.
666
Dr. Haha.
Betruges, bietet. Man müßte vielleicht aus schriftlichen Er¬
klärungen des Pfuschers beweisen können, daß dieser selbst
die Sache für Humbug hält. Wenn aber jemand, z. B. G., mit
dem ich mich einmal zwei Stunden unterhalten habe, aus so-
S mannter „innerster Ueberzeugung“ sich berufen fühlt, der
enschheit und natürlich auch seinem Portemonnaie zu helfen,
dann dürfte das Gericht auf Antrag des Kreisarztes ein be¬
jahendes Urteil bezügl. offenbaren Betruges voraussichtlich nicht
fällen.
Die lebende Maschine „Mensch 0 kann jeder ohne Vor¬
bildung auf seine Art reparieren. Jede sonstige Maschine aber
reparieren nur die, welche etwas davon verstehen, die vielleicht
sogar einen Befähigungsnachweis haben müssen.
Ich beginne sogleich mit dem, was uns Medizinalbeamten
als Paragraphendienern Fundament und Wegweiser auf dem
Gebiet der Kurpfuschereibekämpfung ist, wobei ich auch die
Bestimmungen einbeziehe, welche sich gegen die Handlungen
abwegiger Aerzte anwenden lassen.
Eines schicke ich kurz voraus. Wir Medizinalbeamte sind
vielleicht nicht alle in gleicher Situation, was unsere Energie¬
entfaltung gegenüber der Kurpfuscherei anbetrifft. Derjenige,
dem staatliche Polizei, wie in Königsberg, zur Seite steht, wird
eher etwas unternehmen wollen und können wie derjenige, der
sich auf kommunale Polizei stützen muß. Hier dürfte die
Polizei, wenn mal ein Mißerfolg eintritt, weniger Lust zum
Einschreiten zeigen und der Kreisarzt ist dadurch und wegen
der Unsicherheit der Rechtsprechung entschieden behinderter.
Die Reichs-Gewerbe-Ordnung bestimmt folgendes:
§ 1. Der Betrieb eines Gewerbes ist jedermann gestattet,
soweit nicht durch dies Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen
vorgeschrieben oder zugelassen werden.
§ 6 lautet: Das gegenwärtige Gesetz findet keine An¬
wendung auf .... das Unterrichtswesen, die advokatorische
und notarielle Praxis (also schreiben, lesen, rechnen = Lehren,
ist nicht jedermann ohne weiteres gestattet, die Gesundheit des
Menschen zu betreuen, aber einem jeden).
Auf die Ausübung der Heilkunde, den Verkauf von Arznei¬
mitteln, findet das Gesetz nur insoweit Anwendung, als das¬
selbe ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält.
§ 29: Eine Approbation bedürfen diejenigen Personen,
welche sich als Aerzte bezeichnen.
§§ 147 und 148 der R.G.O. sagt zu Ziffer 3: Be¬
straft wird, wer ohne hierzu approbiert zu sein, sich als Arzt
bezeichnet, oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den
der Glaube erweckt wird, der Inhaber sei eine geprüfte Medizinal¬
person. Verbotene Titelführungen sind z. B. — wir haben die
Bestrafung der unberechtigten Titelführungen „Homöopath 8 ,
„Gerichtlicher Sachverständiger 8 , beantragt und erreicht und
es schwebt jetzt ein Verfahren gegen jemand, der sioh „Spezialist
für Fußleiden 8 nennt — außer den genannten nach den bis-
Ueber Kurpfuschegrtum and seine Bekämpfung.
667
herigen gerichtlichen Entscheidungen, „praktische und geprüfte
Vertreter der arzneilosen Heil weise“, „Autorität 1. Ranges für
Wurmkrankheiten“, „Spezialist für Kopfleiden“, „praktischer
Naturheilkundiger“, „Naturarzt“, homöopathisches Institut“,
„praktische Magnethopathie“, „Natur-Spezialist für Lungen¬
tuberkulose“, „Naturärztliche Sprechstunden“.
Polizeiverordnung vom 31. 12. 1876. § 1:
Aerzte müssen sich vor Beginn ihrer Tätigkeit beim zu¬
ständigen Kreisarzt melden. Dazu die Strafbestimmungen.
Wii sind hier im verflossenen halben Jahr einige Male in
den Tageszeitungen durch die Ankündigung eines Dr. J.-
Berlin beglückt worden, welcher mit einem angeblichen Bruch¬
heilinstitut von Dr. L .. .-Berlin in Verbindung steht. Besagter
Dr. L ... machte zuvor in „Asthmaheilung in 6 Wochen“, hat
sich jetzt aber auf die vielleicht zu höherem Ruhme führende
Bruchheilufig ohne Operation gelegt.
>4 Din Arzt kann, wenn pr sich in einem Orte außerhalb
seiner Praxis zum Besuch aufhält, auch ohne Anmeldung beim
Kreisarzt Praxis treiben. Er kann auch, was den flicht appro¬
bierten Heilgewerbetreibenden nicht gestattet ist — denn § 60 a
Ziffer 1 der R. G. O. sagt: „Ausgeschlossen vom Gewerbebetrieb
im Umherziehen ist die Ausübung der Heilkunde, insofern
der Ausübende für dieselbe nicht approbiert ist — Praxis im
Umherziehen treiben.“ Aber wenn der in Berlin ansässige Arzt
in Königsberg Sprechstunde — die er öffentlich in der Lokal¬
zeitung ankündigt — abhalten will, d. h. nicht während eines
besuchsweisen Aufenthalts, um dann von hieraus in andere
Städte zu weiteren Sprechstunden zu fahren, so muß er sich
beim Kreisarzt anmelden. Das hatte Dr. J.nicht getan.
Wir konnten also der Polizei sagen: „wenn der Mann kommt,
so wird gefragt, ob er sich beim Kreisarzt angemeldet hat;
falls nicht, ist die Abhaltung der Sprechstunden zu verhindern.“
Als nun besagter Arzt einen angeblich früher in Rußland
approbierten Arzt sandte, war für diesen natürlich erst recht
nichts zu machen, denn er war in Deutschland nicht approbiert.
Im übrigen darf auch der Arzt Bruchbänder im Umherziehen
nicht feilbieten, da nach § 56 Ziff. 9 der R. G.O. vom Verkauf
^ oder Peilbieten im Umherziehen durch jedermann Gifte,
Arzneimittel, Geheimmittel, sowie Bruchbänder ausgeschlossen
sind. Etwaige Ausreden der Bruchheiler oder bruchheilenden
Aerzte, daß sie nur Bestellungen entgegennehmen, wobei sie
doch immerhin Maßproben für die Bänder nehmen müßten, sind
gegenstandslos, denn nach einer Entscheidung des Reichsgerichts
vom 10. 8. 1910 ist die „Entgegennahme von Bestellungen im
Umherziehen dem Handel im Umherziehen gleich zu achten.“
Als wir beim Besuch des Bruchheilers feststellen konnten, daß
er für seine Bruchbänder 300 bis 600 M. nimmt, während nach
der von uns bei den einschlägigen Fabrikationsstätten ein¬
geholten Auskunft für diese Artikel in Königsberg höchstens
150 M. gefordert werden, haben wir das Berliner Polizei-Präsidium
568
Dr. Hahn.
durch das hiesige für den Mann interessiert, da nach dein Votum
der Königsberger Preisprüfungsstelle darin Preiswucher zu er¬
blicken wäre. Dr. L . .. bezw. Dr. J.haben mittlerweile
wohl eingesehen, daß Königsberg kein geeigneter Platz für sie
ist. Sie annoncieren hier nicht mehr und wir haben vor einem
ärztlichen Außenseiter Ruhe. Angeblich erscheinen jetzt die
Annoncen in den Provinzialzeitungen mit dem Hinweis auf eine
„Sprechstunde* in Königsberg. Ein anderer Bruchheiler, meiner
Erinnerung nach von Mannheim her, heilt die Brüche mit
Bändern, die geradezu lächerlich waren, aber ihre geringe Güte
durch das in den Leinenbeuteln angeblich enthaltene Radium
ersetzen sollten. Wir sind dem Geschäftsvertreter ähnlich un¬
freundlich begegnet, wie der Firma Dr. L .... und Dr. J..
und scheinen auch vor ihm Ruhe zu haben. Das Nachspiel
für den tüchtigen Geschäftsmann findet wohl in Mannheim statt.
Strafverfolgung kann ferner in solchen Fällen wie den
letztgenannten auch wegen Betruges eintreten, auf Grund des
§ 263 des Str. G. B. d. h.: „Wenn jemand unter Ausbeutung der
Leichtgläubigkeit und Beschränktheit seiner Kunden bei Ver¬
abreichung der Mittel die ihm bekannte Wertlosigkeit der
letzteren verschweigt oder unangemessene Preise für wertlose
Mittel fordert (R.G.E. vom 10. 7. 06, 6. 6. 10, 3. 10. 10, 11. 5. 11,
23. 2. 11).* Der Medizinalbeamte wird in jedem Falle ver¬
suchen müssen, sich durch eingehende Feststellung davon zu
überzeugen, ob er den Pfuscher dessen überführen kann, was
dem Geist dieses Paragraphen entspricht. Es ist dringend not¬
wendig, vor allen Dingen die Tageszeitungen und die Kur¬
pfuscher-Annoncen zu „studieren“, dann kommt man schon
zu den Erwägungen, was in jedem Falle am zweckmäßigsten
zu unternehmen sein wird, ob § 3 der P.V.O. vom 3. 2.03:
„Oeffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen, welche
die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, sind verboten, sofern sie
über Vorbildung, Befähigung und Erfolge dieser Personen zu
täuschen geeignet sind oder prahlerische Versprechungen ent¬
halten“ — oder ob § 4 „die öffentliche Ankündigung von
Gegenständen, Verrichtungen, Methoden oder Mitteln, welche
zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Menschenkrank¬
heiten bestimmt sind, ist verboten, wenn den Gegenständen usw.
besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen
beigelegt werden, oder das Publikum durch die Art ihrer An¬
preisung irregeführt oder belästigt wird, oder wenn die Gegen¬
stände usw. geeignet sind, Gesundheitsschädigungen hervor¬
zurufen oder ob Ziffer 3 des Gesetzes über deu unlauteren
Wettbewerb vom 7. 6. 09“, wer in der Absicht, den Anschein
eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffent¬
lichen Bekanntmachungen usw. über die Beschaffenheit von
gewerblichen Leistungen usw. wissentlich unwahre oder zur
Irreführung geeignete Angaben macht, wird.bestraft“
zutrifft und Anwendung finden muß. Zurzeit haben wir hier
ein Verfahren gegen eine Heilperson beantragt, welche „sichere
s.
Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.
569
Heilung von Nervosität“ durch gewisse Methoden angekündigt
hatte. Dem Mann ist unsere unfreundliche Stellungnahme
nicht bequem. Er bat vor kurzem, den Strafantrag zurückzu-
aiehen; „er würde nichts Verbotenes mehr annoncieren, beab¬
sichtige sogar, von Königsberg fortzuziehen, denn so streng,
wie hier, sei es aa anderen Orten nicht“, wie auch eine die
Atem-Gymnastik treibende Heilkünstlerin erklärt hätte.
Dafi der beamtete Arzt von sich aus befugt ist, Straf¬
antrag zu stellen, wo er es für geboten hält, ist bekannt. Des
Interesses wegen erwähne ich hier noch, daß das 0. V.G. am
9. 11. 06 entschieden hat, daß „ein Beamter, der prahlerische
Anpreisungen eines Heilkundigen als — Schwindel — bezeichnet,
keine Beleidigung begeht (Retzlaffs Polizeihandbuch 1920
S. 250).“
Wie ich schon vorher anführte, ist vom Gewerbebetriebe
im Umherziehen die Ausübung der Heilkunde durch nicht
approbierte Personen ausgeschlossen. Es unterliegt natürlich
richterlicher Entscheidung, in welchem Geiste der Begriff
„Kurieren im Umherziehen“ aufgefaßt wird, ln Königsberg
existiert ein Beinheiler, der zweimal wöchentlich tagsüber in
zwei Städten der Provinz Sprechstunde abhält. Wir sehen der¬
artige Heiltätigkeit als „Kurieren im Umherziehen“ an und
wollen seine Bestrafung erreichen und ihm das Handwerk be¬
schneiden. Gelingt es, so dürften wir dem Mann inbezug auf
seine wirtschaftliche Existenz in erheblichem Maße abträglich
sein und er sieht sich vielleicht nach einem anderen Beruf oder
Ort für seine Tätigkeit um. Wenn allerdings ein Kurpfuscher
von Patienten über Land etc. gerufen wird, wird man „ein
Kurieren im Umherziehen“ nicht annehmen können, es sei
denn, der Pfuscher geht in den Dörfern usw., wohin er gerufen
ist, von Haus zu Haus.
Hierbei möchte ich, wenn’s auch nicht ganz in den Rahmen
des Referats hineinpaßt, bemerken, daß im Umherziehen auch
sogenannte zu unzüchtigem Gebrauch bestimmte Gegenstände
vertrieben werden. Dabei einzuschreiten gibt uns § 184 Abs. 1
Ziff. 3 Str.G.B. eine Handhabe: „Bestraft wird, wer Gegen¬
stände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten,
welche dem Publikum zugängig sind, ausstellt oder solche
Gegenstände dem Publikum ankündigt oder an preist.“ Wir
haben auf Grund dieser Strafbestimmung im letzten Halbjahr
eine Reihe von Verurteilungen erlebt. Als Kuriosum, welches
so recht die Unsicherheit in der Rechtssprechung kennzeichnet,
möchte ich dabei erwähnen, daß unlängst in derselben Materie
(Ausstellung im Schaufenster) durch das Schöffengericht hier
einige Urteile ergingen, die teils im positiven, teils im nega¬
tiven Sinne lauteten. Bezüglich der negativen sind wir in die
Berufungsinstanz gegangen.
Nach § 327 Str. G. B. wird bestraft, „wer die Absperungs-
oder Aufsichtsmaßregeln, welche zur Verhütung des Einführens
oder der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit angeordnet
570
Dr. Hahn.
sind, wissentlich verletzt. Ist infolge dieser Verletzung ein
Mensch von der ansteckenden Krankheit ergriffen worden, so
tritt Gefängnisstrafe usw. ein.“ Der Haken liegt hier bei dem
Wort „wissentlich“. Die Beurteilung, ob der Pfuscher etwas
von der Ansteckungsfähigkeit eines Leidens gewußt hat, unter¬
liegt letzten Endes der Entscheidung des Richters. Man wird
gegebenenfalls Zusehen müssen, von den Behandelten heraus
zu bekommen, welche Diagnose der Heilkünstler gestellt hatte
und ob man schriftlicher Mitteilungen des Pfuschers mit Bezug
auf das Leiden habhaft werden kann.
Die §§ 222 und folgende des Str. G. B. beziehen sich auf
die Körperverletzungen durch Fahrlässigkeit. Sie können in
der Kurpfuschereifrage eine große Rolle spielen.
In Absatz 2 § 222 (bezw. § 230) heißt es bezüglich Todes¬
erfolges durch Fahrlässigkeit: „Wenn der Täter zu der Auf¬
merksamkeit, welche er aus den Augen setzt,. vermöge seines
Amtes, Berufes oder Gewerbes, besonders verpflichtet war,
so kann die Strafe . . . erhöht werden.“ Dazu bemerkt Illings
Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte X. Auflage
3. Band — siehe auch 01 sh au sen-Kommentar zum Straf¬
gesetzbuch 1912 Seite 867: „Wer die Heilkunde gewerbsmäßig
betreibt, hat Fehler gegen die anerkannte Heilkunde ebenso
zu vertreten, wie eine geprüfte und approbierte Medizinal-
Person. Hat ein Kurpfuscher die besondere Aufmerksamkeit,
zu welcher er vermöge seines Gewerbes verpflichtet ist, nicht
beachtet, ist er nicht nur scharf zu bestrafen, sondern die
Strafverfolgung muß auch von Amts wegen ein treten und
ist nicht von einem Antrag des Verletzten abhängig, wie es
sonst (siehe § 232) bei allen durch Fahrlässigkeit verursachten
Körperverletzungen vorgeschrieben ist.“
Sehr wichtig ist (Illing 3. Band S. 78), daß Fahrlässigkeit
im einzelnen Falle schon darin erblickt werden kann, daß
jemand „trotz mangelnder Ausbildung die Behandlung einer
Krankheit übernimmt, ohne sorgfältig zu prüfen, wie weit er
nach seinen individuellen Fähigkeiten sachgemäße Hilfe leisten
kann“. (R.G.E. vom 10. 4. 06, 15. 10. 06, 16.6.08). Dieses
bezieht sich auch nach R. G. E. vom 30. 9. 10, 7. 2. und 20. 6.
1911 auf die Unterlassung der Zuziehung eines Arztes und
nach R.G.E. vom 29. 9. 05 auf Behandlung mit elektrischer
Lichtbestrahlung. Diese Entscheidungen sind sicherlich Fund¬
gruben mit Bezug auf die Beaufsichtigung und evtl. Bestrafung
oder Kaltstellung der Kurpfuscher, gesetzt, daß wir Medizinal¬
beamte etwas bezüglich derartiger Verfehlungen erfahren.
Hier in Königsberg glaube ich die Beobachtung machen zu
können, daß gerade diejenigen, deren wirtschaftliches Interesse
durch die Kurpfuscherei am empfindlichsten berührt wird, und
die auch tatsächlich das Anwachsen der Kurpfuscher peinlich
empfinden, die Aerzte, der Frage im großen ganzen verhältnis¬
mäßig müssig gegenüberstehen; und ohne Anzeige, ohne daß
dem Medizinalbeamten irgendwelche Tips an die Hand ge-
Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 671
geben werden, ist selbstverständlich noch weniger, als ohnehin,
zu maohen. Die Aerzte müssen versuchen, hinter die Praktiken
und evtl, schriftlichen und mündlichen Aeußerungen der Kur¬
pfuscher zu kommen, dann wäre der Kampf aussichtsreicher.
Die P. V.O. vom 6. 2. 03 betreffend die Regelung des Ver¬
kehrs mit Arzneimitteln außerhalb der Apotheke sagt in § 1:
„Wer den Verkauf von Arzneimitteln außerhalb der Apotheke
betreiben will, hat zugleich mit der vorgeschriebenen Anzeige
eine genaue Angabe der Betriebsräume einschließlich des Ge¬
schäftszimmers zu den Akten der Ortspolizeibehörde einzu¬
reichen. 0 Gemäß Ministerial-Erlaß betreffend Beaufsichtigung
des Verkehrs mit Arzneimitteln vom 22. 12. 02 sind Verkaufs¬
stellen, in denen Arzneimittel und Drogen feilgehalten werden,
nebst den zugehörigen Vorrats- und Arbeitsräumen, sowie dem
Geschäftszimmer des Inhabers der Handlung unvermuteten Be¬
sichtigungen zu unterziehen, und nach § 35 Abs. 4 der R. G. 0.
ist der Handel mit Drogen und chemischen Präparaten, welche
zu Heilzwecken dienen, zu untersagen, wenn die Handhabung
des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit des Menschen ge-
. fährdet“ und die Bekanntmachung über den Handel mit Arznei¬
mittel vom 22. 3. 17 sagt: „Der Handel mit Arzneimitteln ist
ab 16. 4. 1917 nur solchen Personen gestattet, denen eine be¬
sondere Erlaubnis zum Betreiben dieses Handels erteilt ist. 0
Letzteres wäre eine genügende Handhabe, um den Kurpfuschern
vollständig die Abgabe von Arzneimitteln, womit ihrer ganzen
Tätigkeit ein erheblicher Schlag versetzt werden würde, zu
unterbinden. Leider heißt es in derselben Bekanntmachung
weiter: „Diese Vorschrift findet keine Anwendung 1. auf Per¬
sonen, die vor dem 1. 8. 1914 Handel mit Arzneimitteln ge¬
trieben haben, 3. auf sonstige Kleinhandelsbetriebe, in denen
Arzneimittel nur unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden. 0
Hier ist wieder mal der Pferdefuß. Der Kurpfuscher kann also,
wenn er nur der polizeilichen Anzeigepflicht nachkommt,
Arzneimittel gegen Entgelt abgeben. Aber — darauf weise ich
nochmals hin —, er unterliegt auch bezüglich seiner Arznei¬
mittel der Aufsicht durch die Polizei und indirekt durch die
Medizinalbeamten. Ich habe hier die Nr. 6 der Dr. Schüßler¬
sehen Zeitschrift — „Mitteilungen über Biochemie 0 —, in welcher
ein Artikel vom biochemischen Verein „Groß-Berlin 0 unter der
Ueberschrift „Behördliche Uebergriffe 0 veröffentlicht wird. Es
wird dort über einen Berliner Kreisarzt unter Drohung hergezogen,
der mit einem Apotheker bei einem Biochemiker oder wie es dort
heißt, bei einem der „Vorratshalter von biochemischen Punktions¬
mitteln 0 erschienen ist und die Weiterabgabe der Mittel verbot,
weil deren Abgabe nur durch die Apotheken zulässig sei. Ich
bin der Ansicht, der Kreisarzt durfte dorthin nur mit einem
Vertreter der Polizeibehörde gehen, um Feststellungen vorzu¬
nehmen, dann wäre nichts dagegen zu sagen gewesen. Im
übrigen ist es zweckmäßiger, da die Biochemiker in einem Verein
zusammengeschlossen sind und sogenannte Funktionsmittel-
572
Dr. Hahn.
bewahrer die Mittel au! Anordnung abgeben, erst mal von der
Polizei feststellen zu lassen — wobei man der Polizei ziffern¬
mäßig aufgibt, was sie feststellen soll, damit exakte Antworten
erfolgen —, ob die Arzneimittel von den Funktionsmittelhaltern
feilgehalten und verkauft oder nur an Vereinsmitglieder ohne
Entgelt abgegeben werden, da das Entgelt gewissermaßen der
Vereinsbeitrag ist. Der biochemische Kurpfuscher, welcher
jedermann behandelt und ihn mit seinen Funktionsmitteln be¬
denkt, ist natürlich aufsichtsbedürftig und beaufsichtigungs¬
pflichtig.
Das Strafmaß für unerlaubten Arzneimittelhandel richtet
sich nach § 367 Str.G.B. bezw. nach dem Strafparagraphen in
der Bekanntmachung vom 22. März 1917.
Ueber den Verkauf von Opiaten sind besondere Bestim¬
mungen ergangen (siehe Verordnung vom 30. 12. 20).
Grundlegend für weiteres Einschreiten der Medizinalbeamten
ist, ob der Kurpfuscher etwaige vom Verkehr außerhalb
der Apotheken ausgeschlossene Heilmittel führt und
feilhält, und falls nein, ob er eventuell mit einer Apotheke in
Verbindung steht, die auf seine Verordnung hin die Arzneimittel
abgibt, die nur auf Rezept eines Arztes abgegeben werden
können. Die Kaiserl. Verordnung vom 22. 10. 01 sagt im § 1:
„Die in dem angeschlossenen Verzeichnis A. aufgeführten Zu¬
bereitungen dürfen ohne Unterschied, ob sie heilkräftige Stoffe
enthalten oder nicht, als Heilmittel ausserhalb der Apotheken
nicht feilgehalten oder verkauft werden.“ Hier ist es das Wort
„Heilmittel“, welches zum Stein des Anstoßes für den Medi¬
zinalbeamten werden kann. Aber wenn man ganz genau zu¬
sieht, kommt man doch vielleicht auf den richtigen Weg und
ich habe gegen eine Fabrik, in deren Dienst sich ein ehe¬
maliger Arzt, welcher im Kriege schwerhörig geworden war,
und der alsdann Heilmittelagenturen, bezw. den Verkauf von
Arzneimitteln übernommen hatte, obgesiegt. Das Mittel wurde
in der Zeitung als „Vorbeugungsmittel“ gegen Erkältungen
und zwar als „deren Produkte leicht lösend“ angepriesen. Das
Produkt einer Erkältung ist eben ein krankhafter Zustand und
wenn dieser gelöst, d. h. beseitigt werden soll, so ist das Unter¬
nehmen keine Vorbeugung mehr usw., kurz und gut, die Fabrik
zog den Kürzeren und die auf das Mittel bezüglichen Annoncen
unterblieben. Dem Arzt wurde polizeilich aufgegeben — er
hatte sich (auch ein Zeichen der Zeit) über die Zusammen¬
setzung des Mittels, welches 5 verschiedene Substanzen enthielt,
überhaupt nicht orientiert, deckte aber die ausgezeichneten
Heileigenschaften des Mittels dennoch mit seinem Namen —
bei Androhung der Bestrafung und der vorläufigen Beschlag¬
nahme durch die Polizei das Mittel an Drogerien nicht mehr
abzusetzen. Zu dem Verzeichnis A der Kaiserl. Verordnung noch
ein kurzes Wort. Sie kennen die Frage der Destillate aus ihren
Drogenbehandlungsbesichtigungen her. Man darf vor ihr nicht
zurücksohrecken, oft sind es Gemisohe, und, wenn sie gefärbt
Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.
673
sind, ziemlich sicher. Im übrigen hat das Reichsgesundheits¬
amt in einem Gutachten 1908 Nr. 92 entschieden, daü auch
„Destillate“ nicht unter allen Umständen frei gegeben sind.
Es heißt in diesem Gutachten: „Zubereitungen, bei denen nach
erfolgter Mischung oder Lösung eine Destillation erfolgt ist,
müssen, wenn mehr als ein Bestandteil der Mischung oder
Lösung flüchtig ist, als flüssiges Gemisch oder Lösung in phar¬
mazeutischem Sinne der Kaiserl. Verordnung vom 22. 10. 01
angesehen werden, da durch eine Destillation an dem Charak¬
ter der Flüssigkeit als Mischung oder Lösung nichts ge¬
ändert wird.
§2 der Kaiserlichen Verordnung lautet: „Die in dem an¬
geschlossenen Verzeichnis B aufgeführten Stoffe dürfen außer¬
halb der Apotheke nicht feilgehalten oder verkauft werden.
Allerdings werden von diesem Verbot nach einer Entscheidung
des Kammergerichts vom 6. 9. 07 nicht die Zubereitungen dieser
Mittel betroffen, soweit sie nicht unter Verzeichnis A fallen;
also der Kurpfuscher darf die Mittel des Verzeichnisses B über¬
haupt nicht feilhalten und abgeben, sofern es sich nicht etwa
um eine Zubereitung der Mittel handelt. Sind diese Zube¬
reitungen aber Gemische und Auszüge usw., so darf sie der
Kurpfuscher dennoch nicht abgeben. Mithin kann z. B. G ...,
und Genossen einfache Mittel, wenn überhaupt das Ge¬
werbe polizeilich angemeldet ist, wie die sogenannten 12 „bio¬
chemischen Funktionsmittel“, die angeblich Aufbausubstanzen
des Körpers sind, feilhalten, aber nicht deren Gemische, über¬
haupt nicht irgendwelche Zubereitungen aus ihnen. Kann ich
mithin nachweisen, daß der Pfuscher nicht nur einfache Mittel
abgibt, sondern deren „Zubereitungen“, so kann ich zugreifen.
Aber dieses bleibt immerhin festzustellen, durch Chemiker oder
Apotheker, welch’ letztere sich wohl dazu bereit finden dürften,
da die Pfuscher ihnen zum Teil auch ihr Wasser abgraben.
Kann man nun noch nachweisen, (ich beschäftige mich
zurzeit mit einem derartigen Fall, wo ich wenigstens eine
gewisse schriftliche Unterlage besitze, leider aber bereits er¬
fahren habe, daß die Polizei zunächst die Sache sehr wenig
intelligent angefaßt hat), daß das Mittel zu unangemessenem
Preise abgegeben ist, so wäre vielleicht was zu machen. Ab¬
warten ! Schließlich ist noch zu erforschen, ob etwa der Kur¬
pfuscher, wenn er schon selbst ein gewisses Mittel nicht abgibt,
dieses aus der Apotheke verordnet und ob das Mittel auf An¬
ordnung eines Nichtarztes überhaupt abgabefähig ist. Die Vor¬
schriften betreffend die Abgabe stark wirkender Arzneimittel
(Bundesratsbeschluß vom 13. 6.96 und22.3.98) lauten: „§ 1. Die
in dem beiliegenden Verzeichnis aufgeführten Drogen und Prä¬
parate, sowie die solche Drogen und Präparate enthaltenden
Zubereitungen, dürfen nur auf schriftlicher mit Datum und Unter¬
schrift versehener Anweisung eines Arztes als Heilmittel an das
Publikum abgegeben werden. § 2. Die Bestimmungen des § 1
574
Or. Hahn: Üeber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.
finden nicht Anwendung auf solche Zubereitungen, yrelche nach
den auf Grund des § 6 Abs. 2 der Gewerbeordnung erlassenen
Kaiserlichen Verordnung auch außerhalb der Apotheke feil¬
gehalten und verkauft werden dürfen.“ ■
Bei uns schwebt zurzeit folgender Fall: Es tut sich ein
Asthraaheilinstitut mit dem Toko-Marah-Präparat „Olpenapneu“
auf, das „im spagirischen Gärverfähren“ gewonnen sein sollte.
Für die Lizenz, dieses Präparat zu vertreiben und das Verfahren
in Königsberg anzuwenden, zahlten zwei Damen, von denen die
eine Arztwitwe ist, 60000 M. an die herstellende Firma. Pflicht¬
gemäß haben wir uns für die Sache interessiert und die Düssel¬
dorfer Firma sandte auf Ersuchen eine Probe des Mittels und
eine Reihe von Chemiker-Gutachten und Beweisführungen, daß
gegen den Vertrieb dieses Mittels nach den bestehenden Be¬
stimmungen nichts einzuwenden wäre. Ich bemerke, der Mund
wird stets voll genommen, aber wir dürfen uns nicht bange
machen lassen. Wir ließen in Königsberg gleichzeitig bei der
Lizenzinhaberin eine Probe „Olpenapneu“ beschlagnahmen und
die Untersuchung beider Proben übernahm in liebenswürdigster,
entgegenkommender Weise ein Apotheker und ein pharmazeuti¬
scher Chemiker der Universität. Die Untersuchung ergab, daß
erstens mal beide Proben sich erheblich voneinander unter¬
schieden, indem die hier beschlagnahmte 5mal so viel Mineral¬
bestandteile ergab, als die von Düsseldorf übersandte; ferner,
daß in dem Präparat Jod und Kalium enthalten war, über dessen
Vorhandensein in der Mineralsubstanz das Gutachten dahin
lautete, daß es bei dem Fehlen von Natrium nicht etwa im
Gärverfahren aus Algen gewonnen sein könnte, weil sonst
auch die Natriumsalze von Brom und Jod vorhanden ge¬
wesen sein müßten, sondern daß es zugesetzt wäre. Jod
gehört zu Verzeichnis B der Kaiserlichen Verordnung von 1901,
dürfte mithin außerhalb der Apotheke nicht feilgehalten werden.
Da hier indeß eine Zubereitung vorlag, konnte es feilgehalten
werden, sofern nicht die Zubereitung unter Verzeichnis A fiel.
Letzteres war aber der Fall, da entweder ein Gemisch oder
eine Auflösung vorgenommen sein mußte. Mithin konnte ge¬
sagt werden, daß die Heilinstitutsinhaberin das Mittel selbst
nicht feilhalten durfte. Sie übergab, um weiteren polizeilichen
Schritten zu entgehen, ihre Bestände einem hiesigen Apotheker.
Aber sie verordnete das Mittel schriftlich weiter. Hiergegen
schritten wir ein, da nach den Vorschriften, betreffend die Ab¬
gabe stark wirkender Arzneimittel, Jod nach dem anliegenden
Verzeichnis zu den Mitteln gehört, deren Zubereitung nur von
einem Arzt verordnet werden kann. Dieses wurde der Apotheke
raitgeteilt und gleichzeitig auch der Polizei, behufs Anordnung
an die Apotheke. Wenn sich jetzt nicht ein Arzt bereit findet,
der mit der Lizenzinhaberin gemeinsame Sache macht, würden
wir voraussichtlich auch in diesem Falle Ruhe haben, sofern
nicht die Lizenzinhabern! oder ihre Hinterleute, die Düsseldorfer
Firma, einen Prozeß gegen uns anstrengen. Diesen warten wir
Dritte Sitzung des Bezirksvereina der Med.-Beamten des Beg.-Bez. Liegnitz. 575
ab. Der Staat und die staatliche Polizei haben immerhin einen
langen Atem.
Als Anhang füge ich schließlich noch hinzu, daß die Kur¬
pfuscher, die sich dann „Psychologen“ oder „Phrenologen“
nennen, auch das Gebiet der Sugestion und Hypnose zur Be¬
tätigung küren. Dagegen ist nichts zu machen, wenn derartige
Heilverfahren nur zwischen Heilpersonen und Objekt zu Hause
sich abspielen und sofern nicht Gesundheitsschädigungen oder
Körperverletzungen entstehen. Aber wenn zu Reklaraezwecken
öffentliche Vorstellungen erfolgen, so kann sofort die Polizei
dagegen gemäß Ministerialerlaß vom 2. Juli 1903 einschreiten.
Wir haben in dieser Beziehung glänzende Erfolge gezeitigt,
nachdem zunächst im Falle „Bert-Astron“ mit der Polizei nicht
vorwärts zu kommen war und Oberpräsident, Regierungspräsident
und Polizeipräsident erst persönlich die Sache abnehmen wollten.
Später wurden wir noch von vier Herrschaften derselben Art
beehrt, die vom Polizeipräsidium stets erst an die Medizinal¬
beamten gewiesen wurden und die uns, wenn wir bezüglich
ihres Auftretens — hier unerbittlich blieben, als sphr rückständig
bezeichneten, aber doch den Staub Königsbergs von ihren Füßen
schüttelten und sich nicht wieder sehen ließen.
Ich bin am Schluß meines Referats. Es ist im großen
ganzen nur Kleinigkeitskram, der die Medizinalbeamten im
Kampf gegen die Kurpfuscherei beschäftigt und ziemlich intensiv
beschäftigt, weil die Materie soviel „wenn“ und „aber“ zuläßt.
Ich weise indes auf die Aufforderung des Herrn Regierungs- und
f Medizinalrats auf der Sitzung der Aerztekammer vom 19. 3 22
hin, „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das
Kurpfuschertum vorzugehen“. Es ist dringend notwendig, auch
Kleinigkeitskram nicht achtlos, etwa aus „Großzügigkeits¬
stimmung“ beiseite zu lassen. Hoffentlich haben wir doch mal
bessere und dauernde Erfolge, wenn wir alle gleichmäßig
intensiv dahinter sind. Ratsam ist selbstverständlich, nur vor¬
zugehen, wenn man einigermaßen dessen sicher ist, die Kur¬
pfuscher zu fassen, d. h. man soll bis ins eingehendste Beweise
zu beschaffen suchen und das Material unter Hinweis auf event.
ergangene Entscheidungen und unter ausführlichen Darlegungen
— denn der Polizei und den Richtern sind diese Dinge meiner
Erfahrung nach ziemlich fremd — aller Einzelheiten und Ver¬
stöße mit dem Antrag auf Bestrafung dem Gericht übergaben.
Denn hat man keinen Erfolg, so benutzt der Pfuscher die Frei¬
sprechung noch zur Reklame.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Dritte Sitzung des Bezirksvereias der Medizinal-Beamten
des Regierungsbezirks Li^gnltz am 16. September 1928
ln Sagau, BaüuhofWwirtschaft.
Anwesend: Regierangs- and Medizinalrat Dr. Willftihr and die Kreis¬
ärzte Ban i k-Sagan, Dietrich-Hoyerswerda, Fenkner-Sprottao,Kraase-
Glogau, Klimm - Freystadt, Lange-Lüben, Meyer-Grünberg, Meyer-
Mnsk&a, Winkelmann-J&aer.
576
Besprechungen.
Verlesen und genehmigt wird das Protokoll der vorigen Sitzung.
1. Regierangs* and Medizinalrat Will führ weist im Aufträge des
Regierungspräsidenten die Mitglieder des Vereins aaf die darch das Gesetz
zum Schutze der Republik veränderte politische Lage hin.
2. Telephongebuhr: Der Bezirksverein Liegnitz stellt bei dem Medizinal¬
beamten-Verein den Antrag, zu bewirken, daß der Fernsprecher der Kreisärzte
vom ßtaate übernommen wird.
Falls der Staat die Kosten restlos zu übernehmen sich bis 1. Januar
1923 nicht bereit erklärt, werden die Mitglieder des Bezirksvereins Liegnitz
ihre Fernsprecher zum 1. April 1923 kündigen, soweit die Kosten nicht bereits
von anderer Seite getragen werden.
Der Beschloß wird den sämtlichen anderen Bezirksvereinen mitgeteilt,
mit der Aufforderung, sich dem Vorgehen des Liegnitzer Bezirksvereins recht¬
zeitig anzuschließen.
3. Amtsunkostenentschädigung: Beim Preußischen Medizinalbeamten-
Verein ist der Antrag zu stellen: „auf Einführung einer gleitenden Amts-
nnkostenentschädigung, die mit den wechselnden Teuerungsverhältnissen jeweils
Schritt hält entsprechend dem Reichsteuerungsindex, ist eindringlich hinzu wirken.“
4. Reisekosten: Bezirksverein Liegnitz lehnt die vom Herrn Minister für
Dienstreisen festgesetzten Entschädigungen als völlig unzureichend ab und
beantragt, ohne Rücksicht auf das benutzte Beförderungsmittel die ortsüb¬
lichen Fahrpreise zu gewähren, die durch polizeiliche Bescheinigung zu be¬
legen sind.
5. Es erfolgt Aussprache über Vollbesoldungs- und Aufrückestelien.
6. Regierungs- und Medizinalrat Willführ legt ein Schreiben des
Geheimrats Schlüter, betreffend die Jubilänmsstiftnng, vor und stellt den An¬
trag: der Bezirksverein Liegnitz wolle der Jnbiläumsstiftung mit einem Jahres¬
beitrag von je 80 M. beitreten, wie es andere Bezirksvereine bereits getan haben.
Der Antrag wird angenommen.
7. Dietrich-Hoyerswerda beantragt, die Gebühren für Atteste usw.
zu erhöhen. Der Bezirksverein Liegnitz stellt, da dies ohne gesetzliche Tax-
änderung nicht möglich ist, beim Preußischen Medizinalbeamten-Verein den
Antrag dahin zu wirken, daß die Gebührenordnung alsbald zeitgemäß geändert«
und auch hierbei eine gleitende 8kala eingeführt werde.
8. Es wird beschlossen, den Sitzungsbericht jeder Sitzung an die Zeit¬
schrift für Medizinalbeamte und an den Preußischen Medizinalbeamten-Verein
zu senden.
Die nächste Sitzung soll im Dezember 1922 stattfinden.
Dr. W i 11 f ü h r - Liegnitz.
Besprechungen.
Veröffentlichungen au dem Gebiete der Medisinalverwaltung.
XIV. Bd., Heft 10 und XV. Bd., Heft 1 nnd 3 (Heft 148, 149 und 151 der
ganzen Sammlung). Berlin 1922. Verlagsbuchhandlung von Rieb. Schoetz.
Gr. 8®. '
Von den vorliegenden Heften bringt das 148. Heft (92 S., Preis 9 M.)
die Abhandlungen von Med.-Rat Dr. Sandbop - Stettin: „Die Bedeutung der
Hygiene für die Volks Wohlfahrt und die Stellung des Kreisarztes im
und zum Kr eis Wohlfahrtsamt" nnd von Kreisarzt Dr. Hillenberg in Halle a.8.:
„Die Organisation der Krelswohlfahrtsämter in der Provinz Sachsen
nebst Bemerkungen über den weiteren Ausbau der Wohlfahrtspflege.
Beide Abhandlungen behandeln die z. Z. noch immer brennende Frage der
Kreiswobifahrtsämter in sachgemäßer auf Grund eigener Erfahrungen bereuender
Weise und geben für die Errichtung dieser Aemter manchen beachtenswerten
Beitrag.
Heft 149 (118 S-, Preis 22,50 M.) enthält einen höchst interessanten Be¬
richt des Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich: „Das Bäderwessn im
besetzten Rheinland" auf Grund der vom Verfasser bei Gelegenheit der
24. Reise des Deutschen Zentralkomitees für ärztliche Studienreisen gemachten
Beobachtungen. Hoffentlich trägt sein Inhalt dazu bei, den Besuch der ge*
Tagesnachrichten. 677
schilderten, und durch die fremdländische Besatzung sehr geschädigten Bäder
wieder wesentlich zu heben.
Heft 161 (851 Seiten, Preis 60 M.). Wirkt. Geh. Ob.-Med.-Bat Prof.
Dr. Dietrich: „Baineologische Wissenschaft und Praxis." Das unter Mit¬
wirkung. yon zahlreichen, auf dem Gebiete der Balneologie besonders Sach¬
kundigen fertiggestellte Heft ist als Festschrift für den um das deutsche
Badewesen hochverdienten Geh. San.-Rat Dr. Röchling in Misdroy zur Feier
seines 70. Geburtstags (27. März d. J.) gedacht, ln einem vom Herausgeber
▼erfaßten Vorwort wird ein kurzer Lebenslauf des Jubilars gegeben und dabei
seiner hervorragenden Verdienste um die balneologische Wissenschaft und
Praxis in ehrender und anerkennender Weise gedacht. Es folgen dann 19 Ab¬
handlungen, in denen von autoritativer Hand die neuen Forschungsergebnisse
auf den verschiedenen Arbeitsgebieten dieser Wissenschaft geschildert werden.
Das Heft wird deshalb nicht blos Balneologen und Badeärzten, sondern allen
Aerzten höchst willkommen sein. Bpd. sen.
Tagesnachrichten.
Die Besoldungsvorlage. In der Kabinettssitzung vom 10. Oktober wurde
die vom Reichsfinanzministerium ausgearbeitete Besoldnngsvorlage beraten und
angenommen.
In der Vorlage sind die bisherigen Teuerungszulagen in die Grundgehälter
und Ortszuschläge eingebaut. Die Ortszuschläge sind mit Bücksicht auf
das inzwischen in Kraft getretene Beichsmietengesetz und als Ersatz für die
bisherigen widerruflichen Wirtschaftsbeihilfen entsprechend erhöht worden.
Dem wiederholten Wunsche des Reichstages nach vermehrter Berück¬
sichtigung der sozialen Besoldnngsbestandteile gemäß sind die Kind er Zu¬
schläge stärker erhöht als die Grundgehälter, und außerdem ist für die
verheirateten Beamten die Gewährung eines um 3 v. H. höheren TeuerungB-
zuschlags vom Grundgehalt und Ortszuschlag in Aussicht genommen. Die
Kinderznschläge bleiben nach wie vor für alle Beamtengruppen gleichmäßig
hoch, für die Pensionäre sind die entsprechenden Folgerungen gezogen
worden. Das gesetzliche Witwengeld soll von vier Zehntel des Buhegehaltes
des Mannes erhöht werden, dafür sollen die Witwen in Zukunft nur den all¬
gemeinen Teuerungszuschlag zu ihrem Witwengeld erhalten.
Die Vorlage soll dem Reichstag bei seinem Zusammentritt am 17. d. M.
bereits vorliegen. _ (Nach Voss. Zeitung.)
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft
hat eine Verordnung Aber Lebensmittel erlassen, der wir folgendes entnehmen:
Die Verwendung von inländischem Zucker zur gewerblichen Herstellung von
Schokolade, Süßigkeiten, Branntwein und branntweinhaltigen Getränken aller
Art, insbesondere Likör und Schaumwein, sowie die Lieferung und der Erwerb
von inländischem Zacker für diese Zwecke ist verboten. Der vor Inkrafttreten
dieser Verordnung gelieferte Zucker darf noch verwendet werden; neue Liefe¬
rungen dürfen auch auf Grund von vor diesem Zeitpunkt abge¬
schlossenen Verträgen nicht mehr erfolgen.
Die Herstellung von Starkbier ist ebenfalls verboten; soweit mit der
Herstellung schon begonnen worden ist, darf sie bis spätestens 1. November
noch zu Ende geführt werden. Es darf nur Einfachbier, Schankbier und Voll¬
bier hergestellt werden. Vollbier mit einem höheren Stammwürzgehalt als
10 v. H. dürfen die Brauereien nur bis zur Höchstmenge von 25 v. H. des von
ihnen in der Zeit vom 1. September 1922 bis 31. August 1923 im Inland ins¬
gesamt abgesetzten Bieres herstellen.
Die Herstellung von Branntwein aus Obst ist verboten. Die Landes¬
zentralbehörden können nur lür Obst, das zur menschlichen Ernährung nicht
geeignet ist oder in anderer Weise nicht verwertet werden kann, die Ver¬
arbeitung auf Branntwein znlassen.
Wer den obigen Vorschriften zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu
einem Jahr und mit Geldstrafe bis zu einhundertausend Mark oder mit einer
dieser Strafen bestraft. _ (Nach Voss. Ztg.)
578
Tagesnachrichten.
Tuberkulosegesetz. Der Landtag beriet am 28. September in erster
Lesung den Entwurf des Tuberkulosegesetzes, das die Meldepflicht für die Kranken
vorsieht. Von sozialdemokratischer und kommunistischer Seite wurde bemängelt,
daß diese polizeilichen Bestimmungen unzulänglich seien, der Tuberkulose
könne wirksam nur begegnet werden, wenn man den Lebensmittelwucher
unterbinde.
Woblfahrtsminister Hirtsiefer erkannte die Berechtigung solcher
Wünsche an, bezweifelt aber ihre Erfüllbarkeit. Die Meldepflicht könne für
die Bekämpfang der Krankheit sehr nützlich seia. Die Beseitigung der Krank¬
heitsursachen, die im Wohnungs- und Ernährungswesen liegen, sei notwendig,
aber schwer zu lösen, und deshalb müsse sofort wenigstens der Ausbreitung
der Kraukheit Einhalt getan werden.
Die Vertreter des Zentrums und der Deutschnationalen begrüßten die
Vorlage als einen Anfang. Der Entwarf ging an den Ausschuß für Bevölke¬
rungspolitik. _
Der preußische Landesgesundheitsrat, der kürzlich tagte, hat mit
erheblicher Mehrheit eine größere Anzahl von Thesen deB sozialdemokratischen
Reichstagsabgeordneten und Universitätsprofessors Dr. Grotian angenommen,
die sich in der Richtung öffentlicher Bewirtschaftung der Lebensmittel zur
Abwehr schwerer gesundheitlicher Schäden bewegen und insbesondere Bereit¬
schaft fordern für die Einrichtung und Ausdehnung der Massen- und
Schulspeisungen. _ (Nach Voss. Ztg.)
Von der Vereinigung deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorge-
ärzte geht uns folgende Mitteilung zu:
Die Vereinigung Deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte hat
auf ihrer diesjährigen Jahresversammlung in Frankfurt a. M. am 13. September
1922 bezüglich der Besoldung der haupt- und nebenamtlichen Aerzte im
Kommunalaienst folgende Beschlüsse gefaßt:
1. Die Besoldung der Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte ist einheit¬
lich für das ganze Reich zu regeln.
2. Einheitliche Regelung der Besoldung setzt'eine gewisse Einheitlich¬
keit in der Ausgestaltung des kommunal-, schul- und fürsorgeärztlichen Dienstes
voraus. Die Abgrenzung des Gescbäftsumfsnges bedarf besonders bei der
städl. Schalarzttätigkeit einer gewissen Einheitlichkeit. Dem hauptamtlichen
Schularzt sollen etwa 8 bis 10000, dem nebenamtlichen etwa 1000 bis 2000
Kinder unterstellt werden.
3. Nur Aerzte in assistierender unselbständiger Tätigkeit
sind nach Gruppe X zu besolden mit AufstiegmögÜcbkeit nach Gruppe XL
Versehen S<bul- oder Fürsorgeassistenzärzte im Hauptamt selbständig
und in vollem Umfange schul- oder fürsorgeärztlichen Dienst, so sind sie, wie
hauptamtliche Schul- oder Fürsorgeärzte nach Gruppe XI zu besolden.
Selbständig tätige Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte im Haupt¬
amts Bind mindestens nach Gehaltsgruppe XI zu besolden bei Aufstieg-
möglichkeit nach Guippe XII.
Leitende Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte in größeren Ge¬
meinden und örtliche Leiter von Gesundheitsämtern sind in Grnppe XII oder
XIII einzureihen. Sie sind jedenfalls den auf Grund einer besonderen fach¬
technischen Vorbildung oder Bewährung berufenen Dezernenten oder Vorständen
der technischen Aemter gleichzustellen.
4. Für den Beginn des Besoldungsdienstalters ist die Approbation
maßgebend.
5. Die Besoldung der nebenamtlichen Kommunal-, Schul- und
Fürsorgeärzte steigt
a) entsprechend den Dienstalterszulagen der hauptamtlichen Aerzte,
b) entsprechend den jeweiligen Teuerungszuschlagen für die Beamten.
Die Besoldung der nebenamtlichen Kommunal-, 8chul- und Fürsorgeänte
soll entsprechend der Tätigkeit der hauptamtlich angestellten Aerzte bewertet
werden.
Tagesnachrichten.
579
Die Besoldung findet anteilig in Anlehnung an das jeweilige Gesamt¬
einkommen der Gruppe XI der staatlichen Besoldungsordnung statt und zwar
in einer Höhe, die dem Verhältnis der tatsächlich im Jahre anfznwendenden
Arbeitszeit za der gesamten Arbeitszeit (bei gesetzlichem achtstündigen Arbeits¬
tag) entspricht. Hat also z. B. ein Schalarzt im Nebenamt '/* = 25% seiner
Gesamttätigkeit auf seinen schalärztlichen Dienst za verwenden, so erhält er
25% des jeweiligen Gesamteinkommens der Grappe XI beginnend mit, der
nntersten Stufe and steigend nach den staatlichen Bestimmungen.
Wird beim nebenamtlichen schulärztlichen Dienst eine Berechnung nach
Kopfzahl beliebt, so soll diese in ihrer Höhe der aas obiger Berechnung sich
ergebenden Zahl gleich sein.
6. Für genügend aasgebildete Schalzahn-Assistenzärzte and Schulzabn-
ärzte finden obige Grundsätze gleiche sinngemäße Anwendung.
Auf dem in Augsburg abgehaltenen Sozialdemokratischen Parteitag wurde
nach einem Bericht von Prof. Dr. Grotjahn eine Entschließung angenommen,
die für das sozialistische Gesundheitsprogramm folgende Forderungen
aufstellt:
„Uebernabme des gesamten Heil- und Gesundheitswesens in den Gemeinde¬
betrieb. Vereinheitlichung des sozialen Versicherungswesens und dessen Aus¬
dehnung auf alle Volksangehörigen. Planmäßige Verteilnng aller der Gesund¬
heitspflege dienenden Einrichtungen auf Stadt nnd Land. Ausbau der Kranken¬
anstalten und aller gesundheitlichen Heil- und Fürsorgeeinrichtungen. Eltern-
fceratungsstellen zwecks Heranbildung eines an Körper und Geist gesunden
Nachwuchses. Eingliederung der Aerzte, Hebammen und des übrigen Heil¬
and Krankenpflegepersonals in die Gesamtorganisation des Heil- und Gesund¬
heitswesens. Gemeinwirtschaftlicher Betrieb der Apotheken
und aller Stätten der Herstellung des Handels und des Ver¬
triebs von Heilmitteln und Sanitätswaren. Durchgreifende Ge¬
werbehygiene und Unfallverhütung unter Erweiterung der ärztlichen Mitarbeit.
Regelung der Irren- und Minderwertigenfürsorge. Sorgfältiger Gesundheits¬
dienst in Stadt und Land durch von den Selbstverwaltungskörpern gewählte
Amtsärzte. Gipfelung des gesamten Gesundheitswesens in eine Reichszentral¬
behörde für Volksgesundheit, soziale Versicherungs- und Bevölkerungspolitik."
(Nach Pharmaz. Zeitung, 1922, Nr. 78.)
Mit Grotjahn werden wir Medizinalbeamten dafür sein, daß das Ge¬
sundheitswesen in einer Reichszentralbehörde gipfeln soll, werden auch für eine
Erweiterung der ärztlichen Mitarbeit auf dem Gebiete der Gewerbebygiene
eintreten, eine Kommunalisierung des Gesundheitswesens und der staatlichen
Gesundheitsbeamten halten wir im InterBase des Volkswohls für einen Fehler.
Medizinisch - literarische Zentralstelle. Der bisherige Leiter, Herr
Oberstabsarzt a. D. Berger, hat aus Gesundheitsrücksichten die Leitung der
„Medizin.-literar. Zentralstelle“ niedergelegt. An seine Stelle ist deren lang-
järiger Mitarbeiter, Herr Dr. M. Schwab, Berlin, getreten, der auch die Ver¬
waltung der „Sonderdruckzentrale“ übernommen hat. — Alle Zuschriften nur
an: Dr. M. Schwab, Berlin W. 16, Pariserstraße 3.
Zar Apothekengewerbefrage. In jüngster Zeit haben die beiden großen
Vereinigungen der Apotheker, der Deuts cheApothekervere in (Besitzer)
auf der einen, der Verband Deutscher Apotheker (die Angestellten)
auf der anderen Seite, ihre Hauptversammlungen abgebalten, auf denen die
Gewerbefrage einen breiten Raum einnabm. Das Ergebnis war beim Apotheker¬
verein die einstimmige Annahme der Entschließung, daß für die endgültige
Regelung des Apothekenwesens nur die Einführung der beschränkten
Niederlassungsfreiheit in Frage kommen kann. Der V erband Deutscher
Apotheker kam bei seiner, gleichfalls einmütig gefaßten Entschließung nicht
dazu, ein System als das einzig erstrebenswerte hinzustellen, vielmehr wurde
grundsätzlich zwar die Personalkonzession als die geeignetste Grnndlage für
ein Reichsapothekengesetz erklärt, aber dann weiter betont, daß bei der
Schwierigkeit, heute die Errichtung und Cebernahme von Apotheken zu finanzieren,
580
Tagesnachrichten.
anch die Verpachtung znznlassen sei, daß im Übrigen als erstrebenswerteste
Reform vom Standpunkt des angestellten Apothekers die Verstaatlichung der
Apotheken, die auch der Volks Wohlfahrt am besten dienen, zu fordern sei.
Schließlich wird aber auch im Falle der Undurchführbarkeit des Konzessions-
Systems oder der Staatsapotheke der Niederlassungsfreiheit zugestimmt.
Es ist nicht bekannt, wie weit die Entschließungen der Staats* und Reichs*
behörden über die Apothekenreform gediehen sind. •
Lichtbilder über Gesundheitspflege. Immer größer wird erfreulicher¬
weise die Zahl der Aerzte, nicht zuletzt der beamteten Aerzte, die durch Vor¬
träge über die verschiedensten Fragen der Gesundheitspflege, über Körperbau
und Lebens Vorgänge, über Leibesübungen, Schulgesundheitspflege, Säuglings¬
pflege, Kleidung, Wohnung, über Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und
andere Infektionskrankheiten, über soziale und R&ssenbygiene zur Aufklärung
und Erziehung des Volkes beitragen. Bei der Kostspieligkeit der meisten An¬
schauungsmittel findet das Lichtbild (Diapositiv) immer häufiger Ver¬
wendung, zumal geeignete Vorführungsapparate heute in den meisten, auch in
den kleinen Orten vorhanden sind.
Da vielfach noch Unkenntnis darüber besteht, wo solche Lichtbilder zu
haben sind, werden die Herren Kollegen hierdurch auf die Lichtbild¬
zentrale des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden-N.ß, Großen-
heinerstr. 9 aufmerksam gemacht, die Bilder aus fast allen Gebieten der Hygiene
leihweise gegen mäßige Gebühr abgibt, und zwar sowohl einzeln, als auch in
zusammengestellten Reihen. Auf Anfrage, der Rückporto beigefügt werden
möchte, werden die Leihbedingungen, das Verzeichnis sämtlicher verfügbaren
Vortragsreihen, wie auch Einzelverzeichnisse dieser Reihen zugesandt. Obwohl
reichlich Lichtbilder vorrätig sind, empfiehlt sich doch in Anbetracht des großen
Bedarfs im Winterhalbjahr baldige Bestellung. Ueber sonstige Lehrmittel wird
ebenfalls gern Auskunft erteilt.
Mitteilang and Bitte an die Leser and Mitarbeiter.
Die Herstellungs- pp. Kosten unserer Zeitschrift steigen fortgesetzt Ba
soll aber daran festgehalten werden, sie wie bisher monatlich zweimal erscheinen
zu lassen. Um den Preis nicht gar zu hoch werden zu lassen, muß auf größte
Sparsamkeit Bedacht genommen werden. Für die Folge wird die einzelne
Nummer — einschließlich der Beilage Rechtsprechung und Medizinalgesetz¬
gebung — nicht stärker als 1 ’/* Bogen sein können. Die Herren Mitarbeiter
werden freundlichst gebeten, sich möglichster Kürze bei der Einreichung von
Beiträgen, sei es als Originalartikel, sei es als Besprechungen und Referate,
zu befleißigen. Die noch vorliegenden Beiträge werden vielleicht nicht sämtlich
zum Abdruck kommen können, zum wenigsten muß damit gerechnet werden,
daß bis zum Erscheinen noch einige Zeit vergeht. „Entgegnungen" und per¬
sönliche Bemerkungen würden nur in aller Kürze gebracht werden können.
Wenn dies freundUche Beachtung findet, werden wir in der Lage sein,
die Zeitschrift weiter im Sinne der Gründer und zum Besten unserer Be¬
strebungen fortzuführen. _
Es muß wiederholt gebeten werden, den Anfragen die Briefmarken
für die Antwort beizufügen. Die hohen Portogebühren machen dies erforderlich.
Andernfalls kann auf Antwort nicht gerechnet werden.
Die Schriftleitong.
Verantwortlich für die Schriftleitong: Geh. Med.-Rot Pr. 8olbrlg, Reg.« o. Med.-Rat ln BrtflUe
BreeUn T, Behdlgeretraße 84* Prack Ton J. 0. O. Braue, Mi nd en 1. W.
35. JahfQ.Nr.2i.
ZEITSCHRIFT
FÜR
5. NOV. 1922.
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rai Pro!. Or. RAPMUND.
Zentralblatt
tflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des Staat'
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal' und
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschi. der praktischen und sozialen Hygiene.
Heraasgegeben Ton
Med.-Bat Dr. Band t-Halle a. S., Ober-Heg.-Bat Dr. Frickhlnger-München,
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer - Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Qaerfurt, Med.-Rat
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof.
Dr. Sieyeking-Hamborg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
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Offizielles Organ des Deutschen. Preusslschen. Bayerischen. Sächsischen,
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Hygiene und soziale Mi^dl«in im Volka-
brt»»biQfighfilm. Von Pr. Curt Tbo*
malla ..589
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den» rieht i gen Wege? Von Pr Borge ">93
Aus Veraammlang-eu und Vereinen.
Bericht über dH* Tilgung de* Bezirkfeverrin*
Ariiibvrg am. 7. Oktober in Hage» , . 598
Kleinere Mitteilungen und Referate ans
Zeitaohriften,
Bakteriologie und Bekämpfung der
übertrag Haren Krank betten.
1. Ge»<‘h1iK!htakra»k beiten. Proatitiition.
Vr. Koracb ; lieber die Ko»inni»oli.MHirur»g
der IVoHt hu irrte nfürjiorj*e in Berlin . 697
2. Infektionskrankheiten
Prof. Pr. Roepkei Pie »eueren Präparat«*
and Methoden in der »pt'gittoeheti Tuber¬
kulös*behandlung ........ 597
Tageunaobrlohten . ,
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ln der Abwehr gegen dH- Ma-Uria . .
8. Typhus.
Dr. lckert: CVber den ‘Werl d«*r Typha*-
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Typhus-K *4 nnrfiger au Nordemenk« . . 598
4. Zootioueo.
Pr. J Caeftar: U«*ber die Verbreit«»# der
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der Tuberkeln das Alkalysol angewandt werden.
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Ernannt: Begierangsrat Dr. Zeller vom Reichsgeaundheitsamt zom
Oberregierungsrat, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter Chemiker Dr. Reif znm
Begierangsrat im Beichsgesnndheitsamt, Kreismedizinalrat Dr. Pnsch znm
Beg.- and Med.-Rat in Oppeln, Kreismedizinalrat Dr. Richter in Httnsterberg
znm ständigen med. Hilfsarbeiter bei der Begierang in Breslaa.
Baden.
Ernannt: Bez.-Assistenzarzt Dr. W en tz el znm Bezirksarzt in Villingen.
Sonstige Fandliennaohriohten.
'■ Kreismedizinalrat Dr. Wilhelm in Kyritz zeigt die Verlobung seiner
Tochter Hildegard mit Herrn Dr. phil. Karl 0. Müller in Berlin-Dahlem an.
Erledigte Stellen.
Preuasen.
Zn besetzen alsbald dio vollbesoldete Krelsarztstelle in Geilenkirchen,
Begierangsbezirk Aachen und die nicht vollbesoldete Kreisarztstelle in
Münsterberg) Begierangsbezirk Breslaa, sowie die KreiBasslstenzarztstelle
in Bochum, Begierangsbezirk Arnsberg. Bewerbungen sind an das Ministerium
für Volks Wohlfahrt in Berlin W. 66, Leipzigerstr. 3 durch Vermittelung des für
den Wohnort des Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin
des Herrn Polizeipräsidenten) einzureichen.
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die hohe Sterblichkeit fort, es sterben immer noch jährlich über
100000 Menschen an dieser Krankheit im Reiche, abgesehen
von der Sterblichkeit der Kinder im 1. Lebensjahre steht die
Tuberkulose in bezug au! Häufigkeit der Todesursachen immer
noch an erster Stelle.
Robert Koch entdeckte im Jahre 1SS2 den Tuberkel¬
bazillus und man glaubte nunmehr durch Ausschaltung der
Infektion die Krankheit bekämpfen zu können, heute wissen
wir jedoch, daß etwa mit dem 20. Lebensjahre jeder Mensch
eine Tuberkuloseinfektion in sich aufgenommen hat. diese aber
in den weitaus meisten Fällen vollkommen zur Ausheilung
kommt. Andererseits wissen wir aber auch, daß der Körper,
sobald seine Widerstandsfähigkeit geschwächt ist, der Infektion
allmählich erliegt. — Die Hungerblockade, Not und Sorge, ein
Uebermaß von Arbeit, verbunden mit Unterernährung, das
waren die Ursachen der Tuberkulosezunahme während der
Kriegszeit. Es wird niemand behaupten wollen, daß die Tuber¬
kulose während des Krieges deshalb häufiger zum Tode ge¬
führt habe, weil die Infektionen häufiger stattgefunden hätten.
Ein großer Teil der Bevölkerung war an der Front und im
besetzten Oebiete, die Infektionsmöglichkeiten waren bei der
geringeren Wohnungsdichtigkeit zweifellos sogar geringer. —
Die Schäden, die während des Krieges den ganzen
Volkskörper trafen, sie schädigen auch zu normalen
Zeiten infolge der sozialen Mißstände einen großen
Teil der Bevölkerung und tragen hier zu einer ver¬
mehrten Tuberkulosesterblichkeit bei.
Wenn wir die Tuberkulose als Volkskrankheit bekämpfen
wollen, so müssen wir die Schäden feststellen, die die Wider¬
standskraft des Körpers herabsetzen, der Einfluß der Wohnung,
der Beschäftigung und der Ernährung auf die Tuberkulose¬
verbreitung muß untersucht werden. — Wir müssen prophy¬
laktisch gegen das Manifestwerden der Tuberkulose wirken oder
mit andern Worten möglichst gesunde Lebensbedingungen für
sämtliche Schichten der Bevölkerung schaffen.
In der Absicht, die Zusammenhänge zwischen Tuberkulose¬
verbreitung und sozialer Lage statistisch zu erfassen, habe ich
zwei Bezirke in Baden statistisch miteinander verglichen. Es
schien mir wichtig, die Untersuchung an zwei begrenzten Be¬
völkerungsgruppen vorzunehmen, um mit Hilfe der Aufzeich¬
nungen des statistischen Landesamtes einen Vergleich nicht
nur zwischen den beiden Bezirken, sondern auch zwischen früher
und heute in demselben Bezirke vornehmen zu können, um
festzustellen, wie sich die Sterblichkeitsverhältnisse unter dem
Einfluß der veränderten Lebenshaltung geändert haben.
Der Bezirk I setzt sich aus 10 Landgemeinden der Kehler
und Bezirk II aus 10 der Schwetzinger Gegend zusammen. —
Im Bezirk I haben sich die Verhältnisse im Laufe der letzten
Jahrzehnte nicht wesentlich geändert, es handelt sioh um einen
Taberkaloseverbreitang and soziale Miflstände.
588
Iyanäwirtschaft treibenden Bezirk, während im Bezirk II die
Iodustriearbeit immer mehr zugenommen hat.
Trotzdem im Bezirk II die Industrie im Jahre 1895 schon
erheblich entwickelt (28,6 °/„), hat sich die Bevölkerung im
Laufe der nächsten Jahre bis 1907 noch zunehmend an der
Industriearbeit beteiligt (31,06 °/o), die Beteiligung an der Land¬
wirtschaft ist dagegen zurückgegangen (von 29,13 °/o auf 22,6 °/ 0 ).
Annähernd umgekehrt liegen die Verhältnisse im Bezirk 1.
Entsprechend der vermehrten Arbeitsgelegenheit hat die Be¬
völkerungszahl im Bezirk II erheblich zugenoramen. Besonders
bei einem Vergleich der Durchschnittswerte der Volkszählungen
für die Zeit 1852—1861 mit der Zeit 1902—1911 fällt der Unter¬
schied in beiden Bezirken auf. Im Bezirk I hat die Einwohner¬
zahl nur etwa um den 7. Teil zugenommen, im Bezirk II da¬
gegen hat sie sich mehr als verdoppelt. Die Wohnungsverhält-
nisse haben sich im Bezirk II insofern wesentlich verschlechtert,
als jetzt wesentlich mehr Bewohner auf eine Behausung ent¬
fallen im Vergleich zu früher, da die Bautätigkeit mit der Be¬
völkerungszunahme nicht Schritt gehalten hat. Vielfach wohnen
in einem Hause jetzt zwei und mehr Familien, wo früher nur
eine wohnte. — Als Beispiel für die durchaus ungünstigen
WohnungsVerhältnisse kann ich das Ergebnis der bei der orts-
analytiscnenUntersuchungderGemeindeL.gemachtenErhebungen
anführen. Ueber die Hälfte der Wohnungen in dieser Gemeinde
haben nur einen Wohnraum, der in vielen Fällen durch einen
Schrank oder Vorhang in zwei Teile geteilt ist. In diesem
Raume hält sich die ganze Familie Tag und Nacht auf. Ein
besonderer Schlafraum war nur in 37,9 °/ 0 der Wohnungen vor¬
handen, die Bettenzahl entsprach längst nicht der Anzahl der
Bewohner, besonders an Kinderbetten war großer Mangel, die
Kinder schliefen meist bei den Eltern, oder mehrere in einem
Bette zusammen. — Es ist ganz selbstverständlich, daß ein an
Tuberkulose Erkrankter nicht von der Familie abgesondert
werden kann, an dieser Tatsache kann auch keine Fürsorge¬
tätigkeit etwas ändern. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß in
einer derartig raumbeschränkten Wohnung die Kinder, wenn
sie heranwachsen, Unterkunft finden können. Kommen sie in
ein Alter, in dem ihre Arbeitskraft der Landwirtschaft nutzbar
gemacht werden könnte, dann werden sie durch die enge
Wohnung geradezu aus dem Hause getrieben, vor allem, weil
eine geeignete Schlafstelle fehlt. Die Erwachsenen suchen sich
anderwärts Arbeit, meist ziehen sie in die nahe Stadt in der
falschen Meinung, hier sich wirtschaftlich besser stellen zu
können. Für die Wohnung kann auch hier nicht viel von dem
Verdienst geopfert werden, das Wohnungselend in den Städten
wird dadurch nur vergrößert. — Verhängnisvoll für die Volks¬
gesundheit ist es aber, daß durch dieses Abwandern zu wenig
brauchbare Arbeitskräfte vorhanden sind, um die oft ausgedehnte
Landwirtschaft zu besorgen. Besteht aber einMißvernältnis
zwischen Arbeit, Ernährung und Ruhe, dann wird
684
Dr. K. Dörner.
der Körper geschädigt, er erkrankt leichter an
Tuberkulose.
Bei einem Vergleich der Sterblichkeitsverhältnisse in den
beiden untersuchten Bezirken finden wir in dem dicht be¬
völkerten, in der Nähe großer Industriezentren gelegenen Be¬
zirk II sowohl die Gesamtsterblichkeit als auch die Tuberkulose¬
sterblichkeit höher als in Bezirk I. In den 30 Jahren nach
1881 haben wir im Bezirk II einen noch höheren Durchschnitts¬
wert für die Tuberkulosesterblichkeit als in den Jahren vorher,
dabei ist der Durchschnittswert so hoch, daß er niemals vom
Landesdurchschnitt erreicht worden ist. Obgleich nun in
beiden Bezirken die Durchschnittswerte derZeiten
vor und nach 1881 nicht sehr wesentlich vonein¬
ander verschieden sind, erhalten wir doch ein ganz
verschiedenes Bild, wenn wir die Tuberkulosetodes¬
fälle nachAltersklassenundGeschlecht miteinander
vergleichen. (Siehe nebenstehende Kurven.)
Diese Kurveh stellen scheinbar etwas ganz Verschiedenes
dar und doch handelt es sich um dasselbe, nämlich einen Ver¬
gleich der Tuberkulosesterblichkeit in beiden Bezirken nach
Altersklassen und Geschlecht. Die ausgezogene Linie ent¬
spricht der Zeit 1882—1911, die abgesetzte der Zeit 1852 bis
1881 jedesmal 10000 Lebende in den einzelnen Altersklassen
berechnet. — Vor allem fällt die ganz bedeutende Zunahme
der Tuberkulosesterblichkeit der Frau im erwerbs¬
fähigen Alter im Bezirk II auf, die mehr als doppelt so groß
wie früher und etwa dreimal so groß wie im Bezirk I. Auch
im Bezirk I ist eine geringe Zunahme der Sterblichkeit bei der
Frau im erwerbsfähigen Alter feststellbar. Auch die Sterblich¬
keitsverhältnisse bei der männlichen Bevölkerung liegen etwas
ungünstiger im erwerbsfähigen Alter wie früher. — Allen
Kurven gemeinsam ist aber das Sinken unter die Werte
von früher für das vorgeschrittene Alter. — Der Gipfel
der Sterblichkeit ist also, im Gegensatz zu den früher, z. B.
von Cornet angegebenen Statistiken, in das erwerbsfähige
Alter gerückt. - Inzwischen ist diese Tatsache wiederholt, auch
an großen Statistiken, bestätigt worden, so von Dresel, Orth
und anderen. In dem industriereichen Sachsen starben z. B. im
Jahre 1910 in der Altersklasse 10—20 von 10000 Lebenden
3,85 männliche und 7,24 weibliche Personen an Tuberkulose.
Da sich der Gipfel der Tuberkulosesterblichkeit in das er¬
werbsfähige Alter verschoben und sich in beiden Bezirken sogar
eine Zunahme der Tuberkulosesterblicheit gegen früher im
erwerbsfähigen Alter nachweisen läßt, scheint mir die Frage
berechtigt, ob die Tuberkulose wirklich in dem Maße
zurückgegangen ist, als wir seither aus dem Er¬
gebnis des Landesdurchschnitts angenommen? —-
Wenn die Tuberkulose im vorgeschrittenen Alter abgenommen,
so ist das nur scheinbar und kommt daher, daß die Krankheits¬
fälle infolge des Fortschritts der klinischen Diagnostik und der
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686
Dr. E. Döraer.
Verbesserung der Untersuchungsmethoden besser erkannt werden.
Die Krebsfälle werden häufiger festgestellt, schon deshalb, weil
sie klinisch wegen der Behandlungsmöglichkeit mehr Bedeutung
bekommen haben, früher wurden sie als Auszehrung in die
Sterbscheine eingetragen und kamen für die Tuberkulose zur
Verrechnung. — Gerade in dem Alter, in dem uns die Tuber¬
kulose in Form der Phthise am deutlichsten vor Augen tritt,
ist eine Verwechselung mit anderen Krankheitsformen nicht
anzunehmen, auch in früheren Zeiten wurde die Krankheit hier
am sichersten erkannt, deshalb ist auch in diesen Altersklassen
ein Vergleich mit früher am ersten zulässig. — Wenn wir daher
auf Grund der Zahlen des Landesdurchschnitts von einem Rück¬
gang der Tuberkulosesterblichkeit sprechen und hiermit den
Erfolg unserer seitherigen Bekämpfungsmethoden rechtfertigen
wollen, so halte ich das für vollkommen irreführend
und unberechtigt. Die Werte des Landesdurchschnittes
wurden noch dadurch beeinflußt, daß wir bei dem Einträgen
der Sterbefälle seit dem Jahre 1905 das vom Reichsgesundheits¬
amte neue Verzeichnis zu Grunde legen, während vorher das
von Virchov aufgestellte benutzt wurde. Das neue Verzeichnis
enthält aber wesentlich mehr Krankheitsbezeichnungen, be¬
sonders auch für die Tuberkulose allein 14 Unterabteilungen,
von denen nur eine, die Z. 31, a zum Landesdurchschnitt ver¬
wendet wird. Dieser Einfluß geht mit Sicherheit schon daraus
hervor, daß mit Einführung des neuen Systems der Landes¬
durchschnitt in Baden zum ersten Male unter 2,0
sinkt und dann auch stets bis zum Beginn des Welt¬
krieges, d. h. lOJahre lang, darunter bleibt, während
in derZeit vorher, solange der Landesdurchschnitt
berechnet wird, das ist seit dem Jahre 1877, dies
niemals der Fall war.
Ganz besondere Bedeutung bekommt die hohe Sterblich¬
keit der Frau im erwerbsfähigen Alter noch dadurch, daß, wie
ich dies bei der mit Hilfe der genealogischen Untersuchungs¬
methoden vorgenommenen Familienuntersuchung der Gemeinde
L. feststellen konnte, der Einfluß der kranken Mutter auf das
Leben der Kinder im 1. und 2. Lebensjahre sehr ungünstig ist.
Bei Tuberkulose der Mutter betrug die Sterblichkeit der Kinder
im 1. und 2. Lebensjahre 40°/ 0 , ein ähnlicher Wert wird von
Weinberg angegeben.
Entsprechend sind die Werte der Kindersterblichkeit für
Bezirk II durchweg ungünstiger als die für Bezirk I. In der
Decade 1862/71 übertrifft die Kindersterblichkeit die des Be¬
zirkes I um 20°/o> 1882/91 sogar um 68,7°/ 0 und 1902/11 um
34,7 °/ 0 . In einzelnen Orten finden wir, gerade wie dies bei
der Tuberkulosesterblichkeit der Fall ist, eine ganz erhebliche
Zunahme der Kindersterblichkeit bei einem Vergleich mit der
Zeit, die 40 Jahre zurückliegt. Bezeichnend ist das Zusammen¬
fallen des ungünstigsten Wertes der Tuberkulosesterblichkeit
mit dem der Kindersterblichkeit. So betrug in der Gemeinde
TnberbaloseYerbreitoDg and soziale Mißstände.
687
N. in der Zeit 1882—1891 der Durchschnittswert für Tuberku¬
losesterblichkeit — 7,6 au! 1000 Lebende, in der gleichen Zeit
starben durchschnittlich 40 °/ 0 aller Lebendgeborenen im 1. Lebens¬
jahre, eine Zahl, die von keiner anderen Gemeinde jemals er¬
reicht worden ist. — Der Zusammenhang zwischen Tuberku¬
lose und Kindersterblichkeit ist teils ein direkter, teils ein in¬
direkter. Einmal sind die kleinen Kinder bei Tuberkulose der
Mutter einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt, andererseits
kommen für die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des Kindes
alle die Momente in Betracht, die die Gesundheit überhaupt
schädigen, so vor allem die durchaus ungenügenden
Wohnungsverhält nissemitMangel an Lüft undLicht.
Unter dem Einfluß der raumbeschränkten Wohnung ist jede
Empfindung für Reinlichkeit verloren gegangen, das Kind wie
der Erwachsene hat darunter zu leiden. Gute Ratschläge und
Belehrungen nutzen nichts, da die Leute von früh auf an die
Unsauberkeit gewöhnt sind.
Die auffallend hohe Sterblichkeit der Frau im
erwerbsfähigen Alter entspricht der durchaus un¬
günstigen sozialen Stellung, in die die Frau unter
dem Einfluß der wirtschaftlichen Entwicklung
immer mehr gekommen ist. — Die Arbeitskräfte, die früher
der Landwirtschaft oder dem häuslichen Betriebe zugute kamen,
werden mehr oder weniger durch die Industrie absorhiert, viel¬
fach geht der Mann in die Fabrik, die erwachsenen Kinder
ebenfalls oder sie sind unter dem Einfluß der ungünstigen
Wohnung in die Stadt abgewandert. Fremde Arbeitskräfte ein¬
zustellen ist zu teuer im Gegensatz zu früher. — Die Frau
muß nicht nur für die Kinder sorgen, sie soll womöglich ihr
Kind stillen, muß für die Landwirtschaft sorgen und sich noch
in der Hauswirtschaft betätigen. Dazu kommt, daß die Er¬
nährung vielfach sehr unzureichend ist. Ein großer
Teil der Lebensmittel, die früher auf dem Lande aufgebraucht
wurden, wandert heute nach der Stadt, so vor allem die Milch
und ihre Produkte. An Stelle von Nahrungsmitteln sind Ge¬
nußmittel getreten. Die Ernährung entspricht nicht der zu
leistenden Arbeit. Nachteilig für die Volksernährung ist ferner,
daß die Zahnpflege bei der Landbevölkerung durchaus mangel¬
haft ist.
Ich will keineswegs behaupten, daß die Industrie ohne
weiteres eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeute. Es
werden durch den erhöhten Verdienst auch Werte geschaffen,
die, richtig angewandt, sehr zum Vorteil der Bevölkerung ge¬
reichen können. Bei einem Vergleich der Tuberkulosesterblich¬
keit im Bezirk Karlsruhe Land konnte ich vielmehr feststellen,
daß die Tuberkulosesterblichkeit in Orten, die nahe an dem
Industriezentrum liegen, wo ein günstiger Ausgleich zwischen
Industriearbeit und landwirtschaftlicher Beschäftigung besteht,
vorausgesetzt, daß der Feldbau nicht zu groß und auch nicht
zu klein und unrentabel ist, die Tuberkulose zurückgegangen
588 Dr. K. Döruer: Tuberkuloseverbreitung and soziale Mißstände.
ist. Für die vom Industrieplatz entfernt liegenden Orte ist es
sicherlich von Nachteil, daß die Arbeiter die Arbeitsstätte täglich,
trotz der großen Entfernung, aufsuchen. — Sie müssen oft mit
dem Fahrrad bei Wind und Wetter zunächst zur Bahn fahren,
um zur Arbeitsstätte zu gelangen. Abends kommen sie erst
spät in die schlechte Wohnung zurück. Zeit, Geld und Ge¬
sundheit müssen diese Arbeiter im Vergleich zu denen opfern,
die nahe der Arbeitsstätte wohnen. — Sicherlich ist für die
große Masse der Arbeiterbevölkerung die Fürsorge
für Wohnungsverhältnisse vernachlässigt, es sind
nur wenige Unternehmer, die in dieser Hinsicht vorbildlich für
ihre Arbeiter gesorgt haben.
Wenn wir die Tuberkulose als Volkskrankheit bekämpfen
wollen, dann müssen wir uns vor allem gegen die Mißstände
wenden, die zur Verbreitung der Krankheit beitragen. Ich
bin der Ansicht, daß wir mit unseren seitherigen
Methoden, vor allem durch Fördern des Heilstätte¬
wesens,, auf dem falschen Wege sind. Schon zu Beginn
der Heilstättenbewegung wurde vor einer Ueberschätzung des
Erfolges gewarnt. Selbst RobertKoch hat darauf hingewiesen,
daß die Abnahme der Tuberkulosesterblichkeeit nicht, wie viel¬
fach behauptet wird, auf die deutsche Sozialversicherung und
hiermit die Heilstättenbehandlung zurückzuführen ist, da die
Verminderung der Sterblichkeit schon vorher eingesetzt hat
und sich über dies auch in anderen Staaten (England) bereits
zeigte, obwohl dort eine weit verbreitete Sozialversicherung
fehlte. — Abgesehen davon, daß die Heilstätte enorme Geld¬
mittel aufgebraucht hat — nach Angaben Dresels wurden
z. B. in den 38 den Landesversicherungsanstalten gehörigen
Heilstätten während der Jahre 1897—1910 rund nur 318000 Ver¬
sicherte mit einem Kostenaufwand von 117 Millionen behandelt —,
sie hat vor allem dadurch direkt großen Schaden
gestiftet, daß sie vom richtigen Wege abgelenkt
hat. — Wenn wir die gewaltigen Geldmittel, die wir für die
Heilstätte geopfert haben, zur Förderung des Baues von Wohnung
vernünftig angewandt hätten, dann hätten wir zur Bekämpfung
der Tuberkulose viel mehr geleistet. — Die Heilstättenbewegung
wurde vor allem durch Kliniker gefördert und hochgehalten.
Das scheint mir insofern ganz verständlich, als der Kliniker
sich mit dem einzelnen Fall beschäftigt und sich fragt, wie
bekomme ich diesen gesund. Das wäre natürlich in der Heil¬
stätte möglich, wenn dem Kranken die nötige Zeit zur Ver¬
fügung stünde und er vor allem nicht wieder in die ungesunden,
krankmachenden Verhältnisse, zurück müßte. Der Praktiker
dagegen, der täglich mit den am meisten betroffenen Kreisen
zu tun hat, sieht immer wieder die Mißstände, die krankmachend
wirken, er sagt sich mit Recht, in erster Linie müssen die
Mißstände beseitigt werderi, es hat gar keinen Zweck, auB
diesen Kreisen jemand in die Heilstätte zu schicken. Aus Er¬
fahrung weiß er auch ganz genau, daß es sich bei Kranken
Dr. Cart Thomalla: Hygiene and soziale Medizin im Volksbelebrangsfilm 689
die mit großer Gewichtszunahme aus der Heilstätte kommen,
doch nur um einen Scheinerfolg handelt. — Ich halte die Bereit¬
stellung öffentlicher Mittel für Heilstättenzwecke für durchaus
ungerechtfertigt, ganz besonders in der jetzigen Zeit, wo die
Heilstätten Unsummen für Kohlen, Löhne für Angestellte usw.
aufbrauchen, wo auf der anderen Seite die Not so groß ist.
Ich betrachte es als eine der wichtigsten Aufgaben für
die Tuberkulosebekämpfung, die Beschaffung gesünderer Woh¬
nungen für die arbeitende Bevölkerung, denn die Wohnung
ist dieGrundlage nicht nur für die gesundheitliche,
sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung
der Bewohner. Die Bauplatzfrage bedarf einer gesetzlichen
Regelung, besonders die kleinen Gemeinden müssen gezwungen
werden, Land für Bauzwecke zu enteignen und hiernach die
Ortsbaupläne einzurichten, es ist ein Fehler, den Gemeinde¬
verwaltungen die Initiative hierzu zu überlassen, es bleibt sonst
alles beim alten. — Ferner muß alles, was die Produktion an
Lebensmitteln steigern kann und zur Verbilligung der Volks¬
ernährung beiträgt, vom Staate gefördert werden. Bei dem
Mangel an Arbeitskräften in ländlichen Bezirken ist ein Ersatz
der menschlichen Arbeitskraft durch Elektrizität, erzeugt durch
die natürlichen Kraftquellen des Landes, anzustreben. — Es ist
gänzlich verfehlt, die kapitalistische Wirtschaftsordnung durch
einseitige Entwicklung von Industrie und Handel, besonders
jetzt, nachdem man uns unsere Kolonien genommen hat und
wir mehr denn je vom Auslande abhängig sind, zu forcieren.
Es kommt darauf an, soziale Hygiene zu treiben, die sich zur
Aufgabe macht, alle Bevölkerungsschichten aus Handel, Industrie
und Landwirtschaft, lebenskräftig zu erhalten.
Hygiene und soziale Medizin imYolksbelelmingsfilm.
Von Dr. Cnrt Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei der Kaltar-
abteilang der Universum-Füm A.G.
I. Entwicklung des medizinischen Lehrfllms von 1918—1922.
Der Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
25. Februar 1922 — I. M. I. 260. H Ang. — an die Herren Ober¬
präsidenten (siehe Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 20. Mai
1922, Rechtsprechung und Medizinal-Gesetzgebung S. 51) hat
die Aufmerksamkeit der Kreis-, Kommunal- und Wohlfahrts¬
ärzte in so hohem Maße auf die hygienischen Volksbelehrungs¬
filme gelenkt, daß ich den Anregungen verschiedener Stellen
gern folge und einen Ueberblick über Entwicklung und Stand
der medizinischen Lehrfilmfrage sowie Auszüge aus der in
obigem Erlaß erwähnten Denkschrift gebe. Für die freundliche
Genehmigung des Schriftleiters Herrn Geh. Med.-Rat Dr. So lbrig
erlaube ich mir verbindlichst zu danken, ebenso für das rege
praktische Interesse, das Herr Geheimrat So lbrig bereits lange
vor der „offiziellen“ Anerkennung den populären Volksbelehrungs¬
filmen des Medizinischen Filmarchivs stets entgegen brachte.
590
Dr. Cart Tbom&lla.
Als ich im Frühjahr 1918 der soeben gegründeten Ufa
ein Exposd einreichte (veröffentlicht: Berliner klinische Wochen¬
schrift 1918 Nr. 44 und Zeitschrift für die gesamte Neurologie
und Psychiatrie Band 45, Heft 12), das zur Gründung eines
wissenschaftlich-medizinischen Filmarchivs aufforderte, war die
erste Aufgabe, für den Unterricht an Universitäten, in Aerzte-
Vereinen usw. sachliches, wissenschaftliches Anschauungsmaterial
zu schaffen. Es wurden seltene, schnell vorübergehende, im Hör¬
saal schwer demonstrierbare Krankheitsfälle usw. aufgenommen.
Ein mit den vollkommensten Einrichtungen der modernen Mikro¬
technik ausgestattetes Laboratorium sorgte für lebendige Auf¬
nahmen aus der Welt der kleinsten Lebewesen, in Zusammen¬
arbeit mit wissenschaftlichen Instituten wurden die schwierigen
Röntgenkinematogramme hergestellt, die Bewegung der Stimm¬
bänder in direkter Aufnahme auf dem Filmband festgelegt, die
inneren Geburtsvorgänge in schematischen Querschnittszeich¬
nungen in Serien von Tausenden unter sich minimal verschie¬
dener Einzelbilder von jedem Bewegungsvorgang veranschaulicht
und in zusammenhängender, sonst unmöglicher Deutlichkeit auf¬
genommen. Döderlein, Kräpelin-München, Hiss, Kraus,
Bonnhöffer, Krückmann, Greef, Hefter u. v. a.-Berlin,
Panconcelli-Calzis-Hamburg, Walt har dt-Frankfurt a.M.
(jetzt Zürich) usw. waren die Namen von Weltruf aus der
deutschen Wissenschaft, die fördernd und mitarbeitend die Ent¬
stehung des Medizinischen Lehrfilms ermöglichten.
Für die wissenschaftlich einwandfreie Darstellung des sach¬
lichen Inhalts dieser Lehrfilme sorgte eine freiwillige Zensur,
der das medizinische Filmarchiv alle seine Erzeugnisse vor
Herausgabe unterbreitete. Unter Vorsitz des Herrn Geh. Ober-
Med.-Rats Prof. Dr. Dietrich begutachtete der medizinische
Ausschuß der amtlichen Bildstelle (Erlaß des Ministers für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 3. April 1919 U. IV
6643 U. I) jeden Film, derart, daß für jedes Spezialgebiet ein
besonderer Unterausschuß mit dem entsprechenden ordentlichen
Professor der Universität als Leiter tätig war. Die Internatio¬
nalität der Wissenschaft, verbunden mit der absoluten Inter¬
nationalität des Bildes ermöglichte, daß das so entstandene
medizinische Filmarchiv bald in kaum einem Kulturlande un¬
bekannt blieb und wissenschaftliche Institute der ganzen Welt
mit seinen hochwertigen Lehrfilmen versorgte.
In Deutschland freilich blieb der erwartete praktische
Erfolg trotz großenteils begeisterter theoretischer Zustimmung
der Hochschullehrer aus, zumal die von Monat zu Monat steigenden
Herstellungs- und Materialkosten Lehrfilme für deutsche Kliniken
und Institute immer unerschwinglicher machten.
Das Arbeitsgebiet war bald ein zu beschränktes und eine
Rentabilität des letzten Endes doch kaufmännischen Unter¬
nehmens erschien selbst in Zukunft ausgeschlossen, so daß bald
neben dem streng wissenschaftlichen klinischen Lehrfilm der
populär-wissenschaftliche Volksbelehrungsfilm in Erscheinung
Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrangsfllm.
691
trat. Tatkräftig gefördert von dem Wohlfahrtsministerium, dem
Reichs- und Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung,
insbesondere von Herrn Professor Dr. C. Adam, dem Direktor
des Kaiserin Friedrich-Hauses für das ärztliche Fortbildungs¬
wesen und Generalsekretär des Landesausschusses, entstanden
die medizinischen Großfilme, die mit begleitendem ärztlichen
Vortrag Wissen und Auflärung über alle hygienischen und
sozialmedizinischen Fragen in die breitesten Volkskreise, in die
letzte Hütte tragen können. In Zusammenarbeit mit den ersten
Kapazitäten jedes Spezialgebietes, gleichzeitig aber in enger An¬
lehnung an die berufenen amtlichen und halbamtlichen Organi¬
sationen (Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten, Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose, Organisationsamt für Säuglings- und Kleinkinder
schütz, Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge, Staatliche
Impfanstalt, Institut für Infektionskrankheiten „Robert
Koch“ usw.) wurde der Hauptwert neben der sachlich ein¬
wandfreien Wissenschaftlichkeit auf spielend leichte Verständ¬
lichkeit für jeden, selbst den Ungebildeten, gelegt. Selbst
großzügig angelegte und durchgeführte, in den Rahmen des
Ganzen gehörige gestellte Szenen, wie z. B. die historische Ein¬
führung in die Geschichte der Pockenimpfung von den indischen
Brahminen über die türkische Inokulation, Jenners Entdeckung
der Kuhpockenimpfung bis zur modernen Impftechnik, wurden
nicht gescheut, um das Laienpublikum nicht nur trocken sachlich
zu belehren, sondern auch zu fesseln und anzuregen. Ja, sogar
ein sehr dezenter und taktvoller Humor kommt in diesen Filmen,
da, wo es angebracht und möglich ist, vorsichtig zur Geltung.
Auch diese Volksbelehrungsfilme haben sich in einem großen
Siegeslauf die ganze Welt erobert und es ist ein ehrendes
Zeugnis für die Produktion des Medizinischen Filmarchivs, daß
amtliche und offizielle Körperschaften, Ministerien und Behörden
von etwa der Hälfte aller Staaten sämtlicher Erdteile diese
Volksbelehrungsfilme offiziell eingeführt haben. Es sei aus¬
drücklich erwähnt, daß nicht nur als geschlossene Vorführung
besonders von Krankenkassen, Gewerkschaften, Berufsorgani¬
sationen diese Filme ebenso wie in öffentlichen Vorführungen
weitgehendst ausgenützt werden, sondern daß auch die Päda¬
gogen in gemeinsamer Arbeit mit dem Mediziner, speziell dem
Schularzt, diese bequeme und wirkungsvolle Aufklärungsarbeit
in die offiziellen Unterrichtsstunden aufgenommen haben.
Wer einen derartigen medizinischen Volksbelehrungsfilm
fertig an seinem Auge vorübergleiten läßt, kann sich meist
keinen Begriff davon machen, welche Schwierigkeiten bei diesen
Aufnahmen zu überwinden sind. Denn im Gegensatz zu allen
anderen Gebieten, bei denen man nach festgelegtem Aufnahme-
plan und an geeigneten Oertlichkeiten arbeiten kann, ist der
Mediziner auf das stets wechselnde, schwer erreichbare, dauernd
sich verändernde Krankenmaterial der Kliniken und Kranken¬
häuser angewiesen, seine Aufnahmen müssen, oft fast ohne Vor-
592 Dr. Curt Thomalla: Hygiene and soziale Medizin im Volksbelebmngsfilia.
bereitung, in Operationssälen, in dunklen Laboratoriumsräumen,
in ungeeigneten Krankenzimmern hergestellt werden. Und am
schwierigsten ist die Verdeutlichung innerer Vorgänge und
Veränderungen, die Einwanderung von Krankheitserregern,
Schrumpfungen und Vergrößerungen von Organen, Entstehung
von Krankeitsherden usw. darzustellen. Für diese Veranschau¬
lichungen mußten ganz neue Methoden schematischer Zeichen¬
filme erprobt und ausgearbeitet werden, bis das sachlich Rich¬
tige mit selbstverständlicher Faßlichkeit in höchster Vervoll¬
kommnung sich vereinte.
Schließlich ist in der Jahresproduktion 1921/22 ein ganz
neuer Weg beschritten worden. Der wissenschaftliche Theater¬
publikumsfilm ohne Vortrag. Das gewaltige Problem der
Stein ach sehen Forschungen stellte so vielfältige und ver¬
schiedenartige Anforderungen, daß sie sämtlich in einem Film
nicht in Einklang gebracht werden konnten. Neben dem in
bisheriger Art hergestellten wissenschaftlichen Vortragsfilm ist
daher eine freie, populär-verständliche Bearbeitung dieses Themas
in einer zweiten Fassung erfolgt. Vielleicht weist dieser Ver¬
such der ganzen zukünftigen medizinischen Kinematographie
neue Wege, ohne daß die alten bewährten Gebiete des wissen¬
schaftlichen Lehrfilms und des populär-wissenschaftlichen Vor¬
tragsfilms darunter leiden.
V on verschiedenen Seiten, besonders von Dr. med. Schweis¬
heim er in München, war ja seit langem die Forderung auf¬
gestellt, man solle die Volksaufklärung nicht durch Lehrfilme,
sondern indirekt durch den alltäglichen Kino - Spielfilm in
Detektiv- und Liebesgeschichten unmerklioh eingeschaltet,
in die breiten Massen hineintragen. So weit sind wir freilich
noch nicht und dazu wird es kaum jemals kommen; denn die
urteillose Masse, die das Kino heutzutage großenteils allein
füllt, meidet alles, was auch nur eine Spur geistiger Arbeit
voraussetzt. Und der Gebildete hält ja den Kino-Besuch für
entwürdigend, so daß alle Versuche der Filmindustrie, Besseres
als kitschige Unterhaltungsware zu produzieren, an der Un¬
rentabilität jedes „guten“ Filmes scheitern. Der einzige Aus¬
weg ist der sreng-sachliche Lehrfilm ohne Spielhandlung, den
sich auch der Gebildete ansieht und der durch sein Thema
auch auf breitere Schichten anziehend wirkt. Gerade das
Thema der Steinachsehen Altersbekämpfung war zu diesem
Experiment sehr geeignet, wenn auch dieser demnächst er¬
scheinende Film weniger der Neugier des Laien Sensationen
bringen, als vielmehr die Operetten- und possenhaften An¬
schauungen weiter Kreise über diese Probleme klären und die
phantastischen Begriffe über „Verjüngung“ auf das richtige Maß
zurückschrauben soll. Immerhin mußte, da der Steinach-
Film in seiner populären Fassung im Abendprogramm der Kino-
theater ohne Vortrag laufen soll, dem Geschmack und den
Wünschen des Zuschauers insofern Rechnung getragen werden,
als ästhetisch schöne, interessante und sogar aufregende oder
Dr. Boege: Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem richtigen Wege i 593
erheiternde Bilder zwischen die rein sachlich belehrenden,
manchmal natürlich trocken wissenschaftlichen Erörterungen
eingeschaltet sind. Auf diese Weise sind gewissermaßen Ruhe¬
punkte gegeben, die ein williges und freudiges Folgen des Zu¬
schauers ermöglichen und ihn zum Erfassen und geistigen Ver¬
dauen des überreichen Lehrmaterials erst befähigen. Auch das
Wohlfahrtsministeriura hatte übrigens in einem ausführlichen
Bericht über die Erfahrungen mit den hygienischen Lehrfilmen
ein weitherziges Entgegenkommen den Instinkten der Kino-
Besucher gegenüber im Interesse des guten Endzieles spontan
dringend empfohlen. — Wenn dieser Versuch glückt, werden
wir im Laufe der nächsten Jahre vermutlich mehr und mehr
wissenschaftliche Lehrfilme in den Kinotheatern erleben, die
im Programm ohne ärztlichen Begleitvortrag abrollen. Es gibt
ja genug Themata, die weiteste Volkskreise in aller Welt
brennend interessieren und die, geschickt und mit bewußtem
Eingehen auf die Psyche der Massen filmmäßig verarbeitet,
zweifellos „ziehen“. Der Schwindel der Pseudo-Okkultisten,
die abergläubische Furcht des Laien vor dem Irrenhaus, der
Alkoholismus und viele andere Schäden können nicht wirk¬
samer bekämpft, gesunde Körperkultur, vernünftige Bevölkerungs¬
politik u. a. nicht einfacher propagiert werden, als durch den
Film im Kinotheater. Große Gebiete werden zu abendfüllenden
Programm-Filmen, kleinere zu den sogenannten Beiprogramm-
Filmen verarbeitet werden. Auf diese Weise wird an die breite,
träge Masse, die spielend und ohne Anstrengung lernen und
dabei ihr Schau-Bedürfnis befriedigen will, heranzukommen sein.
Für den richtigen Unterricht, und sei er noch so populär ge¬
halten, wird natürlich nach wie vor der Vortragsfilm, zu dem
der Arzt und zwar möglichst der in sozialer Arbeit stehende
Mediziner erläuternd und ergänzend spricht, erforderlich sein.
Um aber diese wichtigen Volksbelehrungsmittel rentabel zu
gestalten und damit ihre Herstellung für die Zukunft sicher zu
stellen, muß die richtige Ausnutzung und Verwertung der be¬
stehenden durch geeignete Organisation des Vortragswesens
endlich auch in Deutschland in die richtigen Bahnen gelenkt
werden.
Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem
richtigen Wege?
Von Kreismedizinalrat Dr. Boege* öeckennünde.
Unter dieser Ueberschrift zerpflückt Dr. Paetsch meinen
im Heft 13 des Jahrgangs 1921 dieser Zeitschrift erschienenen
Aufsatz über Tuberkulosefürsorge. Paetsch hält seinen Weg
für den richtigen und hat sicher auch durchaus recht, soweit
es sich um Tuberkulosefürge in großen Gemeinwesen handelt.
Er hat jedoch, behaupte ich und meinen mit mir sehr viele
Sozialhygieniker in ländlichen Bezirken, unrecht, wenn er Gro߬
stadteinrichtungen ohne weiteres auf Landkreise übertragen will.
694
Dr. Boege.
Ich hatte ausdrücklich betont, dafi ich von der Fürsorge
in einem ländlichen Bezirk sprechen wollte, und das scheint
Paetsch ganz übersehen zu haben. Darum brauchte Paetsch
mir auch gar nicht zu empfehlen, mir einmal die großstädische
Stettiner Fürsorgestelle anzusehen. Ich weiß, daß Bräuning
in Stettin Großes und Gutes leistet, und glaube auch ohne
weiteres, daß Paetsch in Bielefeld Großes und Gutes leistet.
Landkreise, die ganz nach dem Muster der Großstadt
zu arbeiten versucht haben, sind nicht recht vorwärts ge¬
kommen, so auch mein Kreis. Nachdem wir uns umgestellt
haben, sind wir zufrieden, wir glauben auf dem richtigen Wege
zu sein. Allerdings ist der Weg, den.wir gehen, ein anderer
als der, auf den uns Paetsch drängen will. Obgleich be¬
kanntlich statistische Zahlen sehr vorsichtig zu werten sind,
so kann ich mich doch nicht enthalten mitzuteilen, daß wir im
letzten Jahre nicht wie Paetsch 68,04 °/ 0 der offnen Tuberku¬
losen, sondern 95°/ 0 *) der offnen Tuberkulosen gekannt haben
(auf Grund der Totenscheine berechnet), d. h. die Fürsorge kannte
mehr Tuberkulöse als polizeilich und fast ebensoviel wie standes¬
amtlich gemeldet waren.
Aus der Beweisführung Paetsch will ich nur auf einen
Punkt, den wichtigsten, näher eingehen. Paetsch meint, das
beste Werbemittel für die Fürsorge müßte die diagnostische
Tüchtigkeit des Fürsorgearztes sein. Er müßte für die prak¬
tischen Aerzte gewissermaßen die diagnostische Autorität sein,
der sie ihre unklaren Fälle zuschickten. Für die Großstadt hat
P. sicher recht. Es wäre traurig, wenn hier der hauptamtlich
angestellte Fürsorgearzt, der sich nur mit Tuberkulose be¬
schäftigt, der täglich Sprechstunden abhält, der Röntgenapparat
und ähnliche Hilfsmittel zur Verfügung hat, nicht ein allseits
anerkanntes diagnostisches Uebergewicht hätte. Aber jetzt
empfehle ich Paetsch sich einmal den Betrieb in den Fürsorge¬
stellen eines Landkreises anzusehen, von denen und für die ich
sprach. Unsere 28 pommerschen Landkreise haben im all¬
gemeinen eine Bevölkerungszahl von 30—60000 Einwohnern.
Mein Kreis mit 56000 Einwohnern ist bereits der fünftgrößte.
Von einem Ort aus können diese 30—60000 Einwohner der
großen Entfernungen wegen selbstverständlich nicht befürsorgt
werden. Will man es jedem Kreisinsassen möglich machen,
die Fürsorgesprechstunden aufzusuchen, so muß man den Kreis
in mehrere Fürsorgebezirke teilen. Mein Kreis z. B. ist in
4 Bezirke eingeteilt und an 5 Orten werden Sprechstunden
abgehalten. Für die ärzliche Versorgung kommen 2 Möglich¬
keiten in Frage. Jeder der 3 oder 4 oder 5 Fürsorgebezirke
hat seinen eigenen Fürsorgearzt (so hatten wir es bis vor
l 1 /* Jahren). Einer der 4 oder 6 praktischen Aerzte des Be-
*) Bei Außerachtlassung der in der hiesigen Irrenanstalt verstorbenen
Tuberkulösen, auf die sich unsere Fürsorge natürlich nicht erstreckte, waren
es sogar 97 °/#.
Sind wir mit dor Tuberkulosefürsorge anf dem richtigen Wege? 696
zirks oder des Landstädtchens bekommt die Fürsorge. Er mag
als praktischer Arzt noch so tüchtig sein, noch so große Uebung
in Perkussion und Aukultation haben, als diagnostische Autorität
wird er weder vom Publikum noch von seinen Kollegen, deren
Konkurrent er ist, anerkannt. Einen Röntgenapparat hat er
als Fürsorgearzt auch nicht; wenn er privat einen besitzt, darf
er ihn für die Fürsorge selbstverständlich nicht benutzen. Wie
will er diagnostisch Tuberkulin impfen, wenn er den Geimpften
frühestens in 8 Tagen Wiedersehen kann? Er muß den Haus¬
arzt bitten, diese Impfungen vorzunehmen. — Die andere Mög¬
lichkeit ist, daß für alle Fürsorgebezirke des Kreises ein Für¬
sorgearzt bestellt wird. (Diesen zweiten Weg gehen wir jetzt.)
Den Luxus eines Tuberkulose-Facharztes können sich nun in
heutigen Zeiten die Landkreise nicht leisten; er müßte natürlich
voll besoldet werden und müßte zudem erhebliche Reisegelder
bekommen. Es bleibt also nur der Ausweg, einem Arzte des
Kreises die Fürsorge zu übertragen. Auch dieser eine Für¬
sorgearzt wird sich schwerlich bei seinen Kollegen als Autorität
durchsetzen. Die Hilfsmittel des Röntgenapparats und der
Tuberkulinimpfungen hat er noch weniger als der bodenständige
Arzt zur Verfügung. Er wird den Patienten nicht einmal
wöchentlich sehen, sondern noch seltener. Wollte er wöchentlich
an jedem der 5 Orte Sprechstunden abhalten, so wäre er voll
beschäftigt, nicht mehr nebenamtlich tätig.
Mit der Unmöglichkeit zum Tuberkulosefürsorgearzt in
kleinen Landkreisen eine diagnostische Autorität zu gewinnen, fällt
aber die ganze so schöne Beweisführung Paetschs zusammen.
Zur Diagnosestellung muß die ländliche Fürsorge in großem
Umfange die praktischen Aerzte heranziehen. Tut sie das, so
werden sie sich auch für die Fürsorge interessieren, viel eher,
als wenn in der Fürsorge ein Arzt tätig ist, der ihr Konkurrent
in der allgemeinen Praxis ist, der da vorgibt, mehr leisten zu
können als sie, aber tatsächlich, wenigstens auf diagnostischem
Gebiet, nicht mehr leisten kann. Die Vermittlerin zwischen
Fürsorgearzt und praktischem Arzt ist die Fürsorgeschwester,
die darum noch lange nicht den praktischen Aerzten unterstellt
zu sein braucht.
Selbstverständlich wird auch der Fürsorgearzt in solch
ländlicher Fürsorgestelle untersuchen, z. B. wenn er den Antrag
auf ein Heilverfahren stellen will, wenn er Kranke für ein Ge¬
nesungsheim, gefährdete Kinder für einen Erholungsaufenthalt
oder eine Tageskolonie aussuchen soll, aber seine Hauptaufgabe
liegt nicht auf diagnostischem Gebiet. Er soll viel mehr die
Fürsorge zentralisieren, die Aufklärung organisieren und soll
durch seine Tätigkeit weiteren Erkrankungen Vorbeugen, indem
seine Organe, die Schwestern, Hygiene lehren und zeigen.
Mit vollem Recht hatte ich behauptet, daß die Fürsorge
in kleinen ländlichen Kreisen der zweiten Forderung der vier
allseits als ihre Aufgaben anerkannten Forderungen, nämlich
Tuberkulose zu diagnostizieren, nicht gerecht geworden ist und
596
Bericht über die Tagung des Bezirksvereins Arnsberg.
vorläufig auch nicht gerecht werden kann. Wohl aber kann
sie die anderen drei Forderungen schon jetzt erfüllen, nämlich
alle Tuberkulösen zu erfassen, die unbemittelten Kranken wirt¬
schaftlich zu unterstützen und der weiteren Verbreitung der
Krankheit vorzubeugen.
Man soll sich aber auf das schon jetzt Erreichbare be¬
schränken, vielleicht ist später einmal das Geld dazu da, einen
Tuberkulosefacharzt anzustellen und damit das erstrebenswerte
Ziel zu erreichen, auch zu diagnostizieren und zu behandeln.
Zuletzt noch ein Wort der Abwehr und eine Bitte. Wir
ländlichen Sozialhygieniker erkennen die Leistungen und Erfolge
der Großstadtsozialhygieniker neidlos an, aber wir sträuben uns
dagegen, daß wir von ihnen alles übernehmen sollen, was sie
in den Städten für gut befunden haben. Sozialhygiene ist eine
schöne und notwendige Sache, aber ist sie schon in der Gro߬
stadt schwer und teuer, auf dem Lande ist sie noch sehr viel
schwerer und sehr viel teurer, ganz gleich, ob es sich um
Krüppelfürsorge oder Geschlechtskrankenfürsorge, Tuberkulose¬
oder Säuglingsfürsorge, um Zahnschulpflege, hygienische Volks¬
belehrung oder andere Dinge handelt.
Erst nach Abschluß dieser Zeilen lese ich in Heft 13/22
dieser Zeitschrift Hillenbergs Aufsatz, den ich wohl als
Zustimmung nehmen darf.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht Uber die Tagung des Bezirksvereins Arnsberg
an 7 . Oktober ln Hagen.
1. Bliesener gedenkt als Vorsitzender des verstorbenen Kollegen
Schaeffer - Altena.
2. Der Vereinsbeitrag wird für 1923 auf M. 60.—, für pensionierte, Kreis*
assistenzärzte and prakt. Aerzte auf M. 60.— festgesetzt.
3. Die Vereinsmitglieder treten ohne Zwang für den einzelnen der
Jabüäamsstiftang bei.
4. Wollenweber berichtet über Frankfurt.
Der Verein begrüßt die dort erfolgte Annäherung der Vereinigung der
Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte mit dem Pr. M. B. V. Seine Mitglieder
treten, soweit sie kommunalärztlich tätig sind, der Vereinigung bei.
Broeckerhoff wünscht Ausgestaltung der Vereinigung durch Bildung
von Bezirksvereinen nach dem Muster des Pr. M.B. V. Wollenweber wird
als Vorstandsmitglied der Vereinigung gebeten und übernimmt, diese Ausge¬
staltung anzuregen (ist geschehen!) und mit Köttgen und Wendenburg
(Bochum) für den Arnsberger Bezirk in die Wege zu leiten.
5. Die in Frankfurt aufgestellten Grundsätze für die Honorierung der
nebenamtlichen Schul- und Fürsorgeärzte sollen möglichst im Bezirk durcfc-
geführt werden.
6. Wollenweber wird beauftragt die unerledigten Wünsche bez. Dienst¬
bezeichnung, Buhegehälter der Pensionierten, DienstaufwandsentBchädigung,
Besoldungsdienstalter (bei Stadtärzten rechnet es z. T. ab 26. Lebensjahr!),
Erhöhung der Gebühren automatisch mit der Steigerung der Gehälter in ge¬
eigneter Weise zur Geltung zu bringen und die Interessen der Medizinal¬
beamten gegenüber der durch Pauschalierung der EeichBgebühren drohenden
Schädigung nachdrücklich zu vertreten. Jeder muß aber an seinem Teile
mithelfen.
7. Bruns - Gelsenkirchen berichtet über die Absicht des Instituts Gelsen¬
kirchen Einzelgebühren für bakteriologische Untersuchungen infolge Finanz-
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
597
Schwierigkeiten za erheben. Die Versammlung ist der Ueberzeugung, daß durch
ein derartiges Verfahren die Seuchenbekämpfung im Rohrkohlenbexirk auf’s
schwerste gefährdet werden würde.
Noch der Tagung fand zum ersten Mal eine gemütliche Versammlung
mit den Damen der Mitglieder statt. Dr. Wollenweber.
Kleinere Mitteilungen u. Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten.
1. Geschlechtskrankheiten, Prostitution.
(Jeher die Kommunalisieraog der ProsUtaiertenfBrsorge in Berlin.
Von Stadtarzt Dr. Korach-Berlin. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der
Medizinalverwaltung, XV. Bd., 6. Heft.
Die Stadtgemeinde Berlin hat einen Organisations- and Geschäftsplan
des Jugendamts bekannt gegeben, wonach ein Prostituiertenpflegeamt in das
Berliner Jugendamt eingegliedert werden soll. Verfasser wendet sich mit
durchaus überzeugenden Gründen gegen diese Angliederung. Er fordert aus
Gründen sozialbygienischer, sozialpsychologischer und soziologisch-ökonomischer
Art die Angliederung des Prostituiertenpflegeamts an das Hauptgesundheits¬
amt, wobei durchaus eine Mitarbeit des Jugendamts erwünscht ist. Aus ver¬
schiedenen Gründen, unter denen auch die Wünsche der Prostituierten eine
Rolle spielen, kommt als Leiter eines Prostituiertenpflegeamtes ein geeigneter
Arzt, unterstützt von Fürsorgerinnen, in Frage, ob männlich oder weiblich, ist
nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Ueber die Einzelheiten einer sach¬
gemäßen Fürsorge werden weitere Angaben gemacht, wobei der Standpunkt
vertreten wird, daß eine Loslö3ung von der Polizei geboten ist. Trotz mancherlei
Schwierigkeiten ist es dringend not, in Berlin eine großzügige Prostituierten¬
fürsorge ins Leben zu rufen. Solbrig.
2. Infektionskrankheiten.
Die neueren Präparate und Methoden in der spezifischen Tuberku-
losebehandlung. Von Prof. Dr. Roepke-Melsungen. Zeitschrift für Bahn¬
ärzte, 1921, Nr 10.
Die heutigen spezifischen Tuberkulosemittel haben keine Bedeutung für
die Prophylaxe der Tuberkulose, üben aber bei bereits bestehender Tuberkulose
ausgesprochen heilungsfördernde Wirkungen aus.
1. Dem Friedmannschen Mittel kommt bei der Lungentuberkulose
keine Heilkraft za; auch die Dey cke-Muck sehe Partialantigentherapie be¬
deutet keinen Fortschritt in der spezifischen Therapie.
2. Die perkutane Tuberkolinmethode kann wohl als prophylaktisches
Verfahren angewandt werden, aber der Beweis für die therapeutische Leistungs¬
fähigkeit ist noch nicht erbracht; auch das Tonndorf sehe Verfahren ist kein
Verfahren für alle Tuberkuloseformen und kann nur in geeigneten Fällen an¬
gewandt werden. < _ Dr. Wolf-Cassel.
Die Krankenordnung der R.V.O. und die Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten. Von San.-Rat Dr.Hanauer, Priv.-Doz. für soziale
Medizin an der Universität Frankfurt a. M. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung,
1921, Nr. 21.
Verfasser beanstandet den Beschluß des R.V.A. in rechtlicher Hinsicht,
Indem nämlich der Krankenordnung einer Krankenkasse die Bestimmung an¬
gefügt worden ist, daß geschlechtskranke Mitglieder ihre Krankheit und die
ihrer Angehörigen der Kasse zu melden haben und verpflichtet sind, auf Vor¬
ladung die Beratungsstelle für Geschlechtskranke aufzusuchen. Außerdem aber
hält Verfasser einen solchen Beschloß für undurchführbar und erfolglos. Einzig
und allein sei die ganze Sache aof reichsgesetzliche Art zu regeln.
_ Solbrig.
598 Klesnere Mitteilungen und Beiente aas Zeüsehriften.
Dk Malaria ia Triaitapoll aad die Bedentung der Hamstiere ia der
Abwehr gegen die Malaria. V ob Dr. Dom. Falleroai, Obersanititsuispektor
ia Rom. L’igieoe modern*, 1921. Kr. 7—9, Sonderabdruck.
Besehreibang einer Malariaepidemie ia der südittlienisehen Stadt Triaitapoli
mit etwas über 13000 Einwohner, die wiederholt tob dieser Sen che befallen
wurde, aber ia dea Jahres 1915 oad 1916 stärker als je darunter litt; die Zahl
der Todesopfer im Jahre 1916 betrag 178. Als wichtigste Maßnahmen im
Kampfe gegen die Malaria werden bezeichnet: Sanierung der Sumpfgegenden,
Urbarmachung des Bodens, Kolonisation, besonders aber das Halten Ton Haus¬
tieren, weil letztere die Mücken anziehen und danach auffressen. Solbrig.
3. Typhus.
lieber des Wert der Typhusschntzimpfnmg, erneuern an dem Tjphns
ia dea Regierungsbezirken Stettin und Köslin. Von Kreismedizinalrat Dr.
I c k e r t - Mansfeld. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwal-
tung, XV. Bd., 4. Heft
An einem großen Untersuchungsmaterial aus zwei Regierungsbezirken
wird der Wert der Typhusscbutzimpfung ermessen. Als Ergebnis ist die
Schutzimpfung trotz aller Einwände als recht bedeutend für die Typhus*
bekämpfang anzusehen. Die Typhusschntzimpfung mnß in das Rüstzeug des
praktischen Arztes neben allen bisherigen Maßnahmen zur Typhusbekämpfnng
übergeben. Mit Marx hält Verfasser es nicht für übertrieben, daß es mittels
der Schutzimpfung gelingen könne, den Typhus rollig zu beseitigen — eine
Ansicht, die Referent kürzlich auch in einem französischen Artikel aus¬
gesprochen fand. _ Solbrig.
8treoger als bei uns scheint man in den Vereinigten Staaten Nordamerikas
den Keimträgern aufzupassen. Eine Chicagoerin, die nie krank gewesen war,
unterhielt dort ein Boardinghouse. Verschiedene ihrer Einlogierer erkrankten
an Abdominaltyphus, daraufhin wurde ihr Stuhlgang untersucht und dabei
fanden sich zahlreiche Typhusbazillen. Nun wurde ihr verboten, ihr Haus zu
verlassen, außer für ihren Ehemann Speisen für irgend jemanden zuzubereiten
und Einlogierer aufznnehmen, es sei denn daß diese vorher gegen Typhus
schatzgeimpft wären. In dem von ihr angestrengten gerichtlichen Verfahren
wurde die Berechtigung der behördlichen Auflage bestätigt. Solche Bazillen¬
ausscheider gefährdeten die öffentliche Gesundheit, die Gesnndheitsbehörden
dürften nicht warten, bis sie tatsächlich andere angesteckt hätten. Die Be¬
rufung wurde verworfen (PnbL Health Rep. 26. V. 1922, Bd. 37, Nr. 21).
_ Dr. Sieveking-Hambnrg.
4. Zoonosen.
lieber die Terbreltnng der Trichinose in Deutschland während der
Jahre 1910—1919, getrennt nach Stadt und Land, mit besonderer Berück«
sicbtigung der durch den Krieg bedingten Veränderungen der Fleisch«
Versorgung. Von Dr. J. Caesar-Dortmund. Veröffentlichungen aus dem
Gebiete der Medizinalverwaltnng, XV. Bd., 4. Heft.
Im ganzen sind während der Berichtszeit 550 Erkrankungen an Trichinose
mit einer Mortalität von 7,6 °/o in Deutschland bekannt geworden. Während
des Krieges Btieg die Erkranknngsziffer auf das Doppelte der Friedensz&hlen.
Epidemien waren in den Kriegsjahren 36 gegenüber 8 vor dem Kriege. Die
größte Epidemie war in Dresden 1919 mit fast 50 Erkrankungen. Die Ver¬
breitung der Trichinose, nach Stadt und Land getrennt, zeigt während des
Krieges fast das umgekehrte Bild wie in Friedenszeiten: 80°/o aller Fälle
während des Krieges in den Städten, auf die in den 5 Jahren vor 1914 nur
5 Erkrankungen entfielen; Rückgang der Erkrankungen auf dem Lande gegen
die Vorkriegszeit auf weniger als die Hälfte. Die meisten Erkrankungennatte
der Regierungsbezirk Posen mit 110 Fällen. Solbrig.
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
599
O. C. Lake empfiehlt in Pabl. Health Reports Nr. 19 am 12. 5. 1922
Tetrachlorkohlenstoff gegen Anchylostomiasls nach Versuchen an Händen,
Affen and an sich selbst in der Dosis von 3,0 bis 10,0 za nehmen nach vor*
herigem Fasten, früh morgens in Gelatinekapseln, die aaf alle Fälle glatt za
schlacken sind. Abführmittel wie Rizinusöl oder andere erübrigen sich, da das
Mittel an sich leicht abführt. Die Gaben können mehrmals innerhalb von 8 Tagen
wiederholt werden, doch mit entsprechenden Zwischenräumen (48 Std.). Hell
hat Händen bis za 300 g Einzeldosis ohne Schaden gegeben. Im Lancet
25. 2. 1922 S. 391 ist über einen mit Tetrachlorkohlenstoff erzielten Heileffekt
von 98 °/ 0 bei Kalis, die mit Anchylostomiasis behaftet waren, berichtet.
_ Dr. Sieveking-Hamburg.
|5. Lepra.
Ein gefährlicher Lepraherd ist in Parä (Brasilien) aufgedeckt, wo im
März 1922 in der Stadt Parä 1135 Leprafälle, im Innern des gleichnamigen
Staatsgebiets weitere 104 Fälle gezählt worden. Die Feststellungen sind erst
nach Einrichtung einer Beobachtungsstation im Leprahospital zu Tocundaba,
einer Vorstadt Par äs, durch das neuerrichtete Gesundheitsamt möglich ge¬
worden. Die amtliche Meldepflicht mit folgender Ueberwachung ist für jeden
Leprafall nunmehr eingeführt. Im genannten Hospital sind 255 Fälle streng
isoliert, in ihren Wohnungen 66, die übrigen bewegen sich frei. Die Behänd-
lang mit Chaulmogra-Oel wird in jedem Falle durchgeführt. Die Erbauung
eines größeren Hospitals zur Isolierung aller Fälle ist in Vorbereitung. (Pabl.
Health Rep., 2. VI. 1922, Bd. 37, Nr. 22.) Sieveking-Hamburg.
Tagesnachrichten.
Am 24. Oktober feierte die Berliner Gesellschaft für öffentliche
Gesundheitspflege ihr 60jähriges Bestehen durch eine Festsitzung. Als Ver¬
treter staatlicher Behörden waren erschienen der Minister für Volkswohlfahrt
Hirtsiefer, der Generalstabsarzt Dr. Schalzen, der Präsident des Reichs-
versicherungsamts, Geh. Reg.-Rat Dr. Hamei Tom Reichsministerium des
Innern. Der Vorsitzende der Gesellschaft Ministerialrat Prof. Dr. Lentz be¬
tonte in seiner Begrüßungsansprache die Gefahr, daß die Errungenschaften
der Gesundheitspflege der letzten 50 Jahre wieder verloren gehen könnten.
Prof. Dr. Hahn, der neue Ordinarius der Hygiene, stellte fest, daß die öffent¬
liche Reinlichkeit in Berlin nachgelassen habe and hinter anderen deutschen
Großstädten zurückgeblieben sei. Der Schriftführer Prof. Dr. Seligmann
gab einen Rückblick auf das vergangene Halbjahrhundert der Gesellschaft and
Ministerialdirektor Prof. Dr. Gottstein warf einen Aasblick in die Zukunfts-
aafgaben, nnter denen die Fortführung des Kampfes gegen die Volksseuchen
weiterhin nötig sei and ferner die Eingliederang der sozialen Hygiene in die
öffentliche Gesundheitspflege and eine Vertiefung des Begriffs der Vorbeugung
durch biologische Methodik notwendig seien.
Die ärztliche Gebührenordnung hat mit Wirkung vom 1. Oktober ab
eine weitere Erhöhung erfahren, indem der Teuerungszuschlag, der am 1. Juli
45 v. H. betrug, nunmehr auf 350 v. H. festgesetzt ist. Ferner soll eine Rege¬
lung des Zuschlags von jetzt ab nicht mehr vierteljährlich, sondern monatlich
erfolgen. (Nach Deutsche med. Wochenschr. Nr. 43).
Nach den Nachrichten in den Tageszeitungen ist mit Wirkung vom
1. Oktober im Reiche und in Preußen eine neue Beamtenbesoldnng eingeführt
worden, bei der die Grundgehälter, Ortszulagen und Frauenbeihilfen eine
wesentliche Erhöhung erfahren haben und die dazu kommenden Teuerungs-
Zuschläge eine untergeordnete Bedeutung haben. Im ganzen bedeutet die
Neuordnung eine nicht unwesentliche Erhöhung der Bezüge. Näheres wird,
sobald die amtliche Bestätigung vorliegt, in der Zeitschrift mitgeteilt werden.
Inzwischen soll bereits eine neue Aktion von Beamtenverbänden im
Gange sein, wonach weitere Erhöhungen der Gehälter gefordert werden.
600
Sprechsaal.
Der sozialpolitische Ausschuß des Reichstages genehmigte kftrzlich eine
Verordnung der Regierung, nach der die Versicherungsgrenze für die An-
gestelltenverslcherung erstmalig auf 840 000 M. festgesetzt wird.
Nach der Pharmaz. Ztg. wird zurzeit eine Neuregelung des ärztlichen
Dispensierrechtes in Preußen erwogen. Die Frage gelangte in der Sitzung
des Landtages vom 25. Oktober zur ersten Beratung. Nach dem Gesetzentwurf
soll der Minister für Volkswohlfahrt ermächtigt werden, über das Dispensier¬
recht homöopathischer Aerzte und das Halten ärztlicher Hausapotheken neue
Bestimmungen zu erlassen. Der Abgeordnete Dr. Weil (Soz.) äußerte Be¬
denken gegen den Entwurf, er Bprach sich für die Schaffung eines Reichs¬
apothekengesetzes aus. Seinem Antrag entsprechend gelangte der Entwurf an
den Ausschuß für Bevölkerungspolitik.
Auf Anregung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wurden
vom 18.—21. Oktober dieses Jahres wiederum wie alljährlich in München
Fortbildungskurse auf dem Gebiet der Gerichtlichen Medizin für Bayerische
Amtsärzte abgehalten. Sie waren von 45 Herren besucht (Landgerichtsärzte,
Bezirksärzte und praktische Aerzte, die landgerichtsärztliche Stellen anstreben)
und umfaßten die Gebiete der Gerichtlichen Medizin (Universitätsprofessor
Obermedizinalrat Merkel), der Gerichtlichen Psychiatrie (Universitätsprofessor
RUdin), der Gerichtlichen Chemie (Dr. Sedlmeyer) und der forensischen
Begutachtung von Hirnverletzten (Universitätsprofessor Iserlin); diese Ein¬
richtung, die dem Bedürfnis der praktischen Gerichtsärzte nach technischer und
wissenschaftlicher Fortbildung Rechnung trägt, hat sich sehr bewährt.
Die Pharmazeutische Zeitung berichtet, daß in der Sitzung des Reichs¬
rates vom 12. Oktober eine Erhöhung der Gebühren für die pharmazeutische
Vorprüfung von 75 auf 200 M. beschlossen wurde.
Hiermit würde gegenüber den Sätzen der Vorkriegszeit eine Erhöhung
um etwas mehr als das 8 fache eintreten — gewiß noch keine Anpassung an
die heutige Entwertung des Geldes, aber gegenüber den noch ganz rück¬
ständigen Gebühren für andere Prüfungen, wie Desinfektoren-, Krankenpflege-,
Säuglingspflegeprüfungen u. a. ein Fortschritt. Es wird dringend Zeit, auch
die übrigen Prüfungsgebühren angemessen zu erhöhen, wie es ja kürzlich mit
den amtlichen Gebührensätzen geschehen ist!
Sprechsaal.
Anfrage des Kr.-Med.-Rats Dr. T. ln L. : Für ein großes Gutachten
beim Landgericht habe ich 60 M. für 8 Seiten Schreibgebühr liquidiert und
zwar nach den mir selbst durch die Abschrift entstandenen Kosten (Barauslage).
Der Untersuchungsrichter setzte 44 M. von meiner Rechnung ab. Ist das
gerechtfertigt P
Antwort: Die Höbe der gerichtlichen Schreibgebühren beträgt 2 M. für
die Seite (Gerichtskostengesetz vom 1. August 1921, R. G. Bl. S. 797). Gemäß
Geb.-Tarif A IV 18 haben Sie auch nur diesen Satz zu beanspruchen. Es ist
aber zu empfehlen, einen Antrag beim Landgericht zu stellen, die baren Aus¬
lagen zu ersetzen, und dabei Anheim zu geben, die Aeußerung des Regierungs¬
präsidenten einzuholen. So ist kürzlich in einem Fall im Reg.-Bezirk Breslau
verfahren worden.
Auf die Anfrage des Med.-Rats Dr. K. ln M., ob die Gebühren für ein
amtsärztliches Zeugnis für die Zulassung zu einem Desinfektorenkursus ab¬
geführt werden müssen, falls es sich um Personen handelt, die die Prüfung
machen, sich aber nicht an9tellen lassen wollen, ist zu erwidern, daß zweifel¬
los eine Abführungspflicht besteht, da es sich um amtliche und nicht
um vertrauensärztliche Verrichtungen handelt.
Verantwortlich fSr die Sehrt Wellung: Och. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- n. Med.-Bet 1 b BmUi
Breiten V, Rehdlgerrtreße 84. — Druck tob J. 0. C. Bruna, Minden L W.
ZEITSCHRIFT
U 588 milbtfqfündet und von 1 SS 2 bis 592 ? iiorgitsgegoeen von Geh. Mefl.-Rat Piöf.Of.RAPWÜhö.
Zentralblatl
für das cesamte ßehlei der ßerichttiehe» Medizin and Psychiatrie, des Staat«
liehen »nd prSvateo Verskheraapweseiis, sowie für das Medizinal- and
ftffentHche Gesundheitswesen, elnsehi. der praktischen död sozialen firstene.
Mf rau 1 iivgvl‘»*H vot»
Mi:d.-Uat t>r.. Bafldt-Katta a. S.„ Obar - Re;'.-Kat Br.. Fn^-klvjjJger-Äliinche'H,
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(bis zur Abtretung des Kreises an Dänemark), in Flensburg, wo er nachher
als Sohalarzt tätig war.
Bayern.
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Mecklenburg - Schwerin.
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Ministerium für Medizinalangelegenheiten mit der Amtsbezeichnung Be-
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Vereins durch 3. C. C. BRÜNS, Buchdruckerti, MINDEN i. WESTF
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Zentralblatt
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staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. flffentliohe Gesundheitswesen, einschl. der prakL u. sozialen Hygiene
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Bat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Qucrfurt, Med.-Bat
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Güttingen, Prot
Dr. Siereking-Hamburg, Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat
Prot Dr. Strohmann-Berlin, Geh. Reg.-Bat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber- Dortmund. \
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Wflrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins
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Geh. MeiL-Rat Dr. Solbrig, flscber’s med. Bocbbandlong B. Kornfeld,
»eg.- 1. lad.- lat li Bmlau. Barth V. 6t KellhstraBa 5.
Bezugspreis fflr das IV. Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 Mark.
Nr. 22.
Erscheint am 5. und 20. jeden Monate
20. Nov.
Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt.
Von Oberregierungsmedizinalrat Dr. Oppelt, Dresden.
Der Ausdruck „Wohlfahrt“ in der Richtung der Ausübung
einer „Wohlfahrtspflege“ wird in zunehmender Häufigkeit in
dem Sinne der „gesundheitlichen“ Wohlfahrt benutzt, obgleich
zu dieser engeren Auslegung im Worte und seiner allgemeinen
Bedeutung selbst kein genügender Anlaß vorhanden ist. Neben
einer Wohlfart im gesundheitlichen Sinne kann man ebensogut
von einer solchen im wirtschaftlichen, im pädagogischen, im
rechtlichen, im finanziellen Sinne u. a. mehr sprechen. Klar
ist die Bezeichnung: Reichsjugend wohlfahrtsgesetz. Dagegen
haben sich nach meiner Ueberzeugung die Ausdrücke Wohl¬
fahrt und Wohlfahrtspflege in einem geradezu irreführenden
Sinne und Umfange auf dem Gebiet der Gesundheit und der
Gesundheitspflege eingebürgert, und es ist höchste Zeit, daß
wir Aerzte, vor allem aber wir beamteten Aerzte, uns hierüber
klar und einig werden und Urteil und Handlungsweise danach
richten.
Es würde zu weit führen, das ganze Gebiet der Gesund¬
heitspflege daraufhin zu bearbeiten. Beispielsweise sei aber zu-
602
Dr. Oppelt.
nächst angeführt, daß ein Buch, welches sich „Handbuch der
Arbeiterwohlfahrt“ betitelt, diesen Titel nicht verdient, wenn
es nur die hygienische Seite dieser Frage enthält. Dieser
Denkfehler bezw. Gedankensprung, diese Unterschlagung, wenn
auch ohne Absicht, wiederholt sich aber auf" vielen anderen
Gebieten. Am auffälligsten und zugleich am bedenklichsten
tritt er zu Tage in der praktischen Betätigung der gesundheit¬
lichen Wohlfahrtspflege in Form von Aemtem der Bezirke und
der Länder.
Wenn das preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt, wie
ich höre, sich in die Abteilungen I (Medizinalwesen), H (die
Wohnungs- und Siedelungsfragen) und III (die allgemeinen
Wohlfahrtsangelegenheiten) gliedert, und wenn es nach dem
Beschluß der preußischen Staatsregierung vom 7. November
1919 (VolksWohlfahrt Nr. 1 vom 1. April 1920, S. 3) die dort
aufgeführten Arbeitsgebiete zugewiesen erhalten hat, so be¬
kommt es damit ebenso viele gesundheitliche Fragen (ob alle,
lasse ich als Fernstehender offen) zur praktischen Betätigung
zugewiesen, daß es sich mit demselben Recht als Gesundheits¬
ministerium bezeichnen könnte, indem es der Volkswohlfahrt
weit überwiegend in der gesundheitlichen Richtung Rechnung
trägt. Der allgemeinen wird es niemals entsprechen können,
Volkswohlfahrt im allgemeinen zu treiben, ist eben Pflicht eines
jeden Ministeriums, welchen Namen es auch führen mag.
Sodann ist im Freistaat Sachsen auf Grund des Gesetzes
über die Wohlfahrtspflege vom 30. Mai 1918 (G. u. V.B1. 1918,
S. 145), dessen § 1 lautet: „Als Wohlfahrtspflege im Sinne
dieses Gesetzes gelten die Säuglings- und Kleinkinderpflege
einschließlich des Mutterschutzes, die Wohnungspflege, die
Krüppelhilfe und die Bekämpfung der Tuberkulose“, ein Landes¬
wohlfahrtsamt errichtet worden, dem wieder die Fachausschüsse
für Säuglings- und Kleinkinderpflege, zur Bekämpfung der
Tuberkulose, für Krüppelfürsorge und zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten angegliedert worden sind. Die Bekämpfung
der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten betrifft fast
rein ärztliche Gebiete, die Krüppelhilfe zum größten Teil und
die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge mit dem Mutterschutz,
sowie die Wohnungspflege mindestens zur Hälfte. Der Name
Landeswohlfahrtsamt schießt also ebenfalls über das im Namen
liegende Ziel hinaus, indem es sich jetzt zum größten Teil nur
um eine gesundheitliche Wohlfahrtspflege handelt, nicht um eine
allgemeine. Daß im sächsischen Landeswohlfahrtsamt neben
den gesundheitlichen auch sehr wichtige wirtschaftliche und
auch andere Fragen noch mitspielen, soll nicht bestritten werden.
Sie stehen aber den gesundheitlichen gegenwärtig noch weit nach.
Liegt aber die Entscheidung für Einrichtungen zentraler
Art in den Landesregierungen mehr bei Instanzen und Personen,
welche der Mehrzahl der beamteten Aerzte sehr fernstehen,
eine Sache, die ich nicht für entscheidend halte, nur hier nicht
weiter erörtern kann, so gibt es ein anderes Beispiel, an dessen
Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt.
603
Ausgestaltung wir Aerzte fast alle und fast täglich raitarbeiten.
Das sind die Wohlfahrts- bezw. die Gesundheitsämter in den
Städten und Kreisen, sei es staatlicher, sei es kommunaler Art.
Durchblättert man die Literatur der letzten Jahre, so stößt
man wohl auf sehr viele fleißige Arbeiten über die Organisation
der Wohlfahrtsämter und der Gesundheitsämter; es ist in ihnen
auch oft sehr ausführlich die Rede davon, welche Stellung der
beamtete Arzt des Kreises ihnen gegenüber bei Leistung der
praktischen Arbeit eingenommen oder einzunehmen habe. Aber
es ist m. E. nicht klar und bestimmt genug bisher zum Aus¬
druck gebracht worden, welche Stellung wir beamteten Aerzte
den Wohlfahrtsämtern gegenüber im allgemeinen einnehmen
sollen. Bezüglich der Gesundheitsämter erübrigt sich diese
Frage in dem Sinne, wie ich sie hier meine.
In den Abhandlungen wird immer von den Wohlfahrtsämtern
fast durchweg als von einer Einrichtung gesprochen, gegen die
wir Aerzte als solche gar nichts einzuwenden hätten. Aber
müssen denn wir Aerzte, beamtet oder nicht, ihre Einrichtung
gutheißen, sie nach Möglichkeit fördern ? Entscheidend kann hier¬
bei nicht etwa das Standesinteresse von uns beamteten Aerzten
sein, auch nicht des ärztlichen Berufes im allgemeinen, sondern
nur dasjenige der Allgemeinheit. Ist es richtig und zweckmäßig,
der Allgemeinheit eine Einrichtung zur Benutzung anzubieten,
sie zu fördern, von welcher wir Aerzte sagen müssen: das
wirklich ausgeübte Geschäft deckt sich nicht mit der von ihm
geführten Firma? Kann sich niemals mit ihr decken? Müssen
gerade wir beamteten Aerzte nicht auf diese Lücke in der Be¬
zeichnung immer wieder und wieder hinweisen? Machen wir
uns nicht zu Mitschuldigen, wenn wir schweigen, ja, wenn wir
die Wohlfahrtsämter unter diesem allgemeinen Namen und in
ihrer jetzigen Gestalt als etwas Selbstverständliches behandeln
und sie damit von unserem Standpunkte anerkennen?
Man mißverstehe mich nicht. Ich wünsche nicht den
Wert der Wohlfahrtspflege in gesundheitlicher Beziehung gering
einzuschätzen. Die Not der Zeit hat endlich auch der Be¬
völkerung in breitem Umfange die Augen über den Wert der
Gesundheit geöffnet. Auch kann alle gesundheitliche Wohl¬
fahrtspflege nicht vom Arzt allein ausgeübt werden. Sie muß
aber, soweit sie eben eine Wohlfahrt der Gesundheit ist, nach
ärztlichen Gesichtspunkten geübt und geleitet werden.
Ist letzteres aber unter den jetzigen landläufigen Ein¬
richtungen eines Wohlfahrtsamtes möglich? Wer arbeitet denn
in einem solchen Wohlfahrtsamt? Es ist nicht ganz aus-
gesschlossen, daß in ihm auch ein Arzt tätig ist, sei es ein
sog. Fürsorgearzt, sei es der zuständige beamtete Arzt. Beide
aber nehmen immer noch sehr oft eine nebensächliche Stelle
ein; an der entscheidenden Stelle haben andere es verstanden,
sich einen Platz zu schaffen. Für jeden mit der Wirklichkeit
Vertrauten genügt dieser allgemeine Hinweis. Ein in der Haupt-
804
Dr. Oppelt.
sache von Nichtärzten bedientes Wohlfahrtsamt „gesundheit¬
licher Wohlfahrtspflege“ kann aber niemals seinen Zweck richtig
erfüllen, es kann keine Einrichtung von Dauer sein, es wird
eines Tages von anderen, richtigen Maßnahmen abgelöst werden,
mögen wir und andere es wollen oder nicht.
Wie ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn statt
eines Wohlfahrtsamtes ein Gesundheitsamt errichtet wird.
Welche Belange zur öffentlichen Gesundheitspflege gehören,
ist nie unklar gewesen; streitig nur, ob und inwieweit sie ärzt¬
licher Entscheidung wirklich überlassen worden sind. Ich sollte
aber meinen, daß Mäßigung und Klugheit von beiden Seiten
auch hier zu einer befriedigenden Lösung führen müßten und
wenn es für streitige Gebiete nur ein Zusammenarbeiten wäre.
Nur ein Gesundheitsamt kann verantwortlich gemacht werden
für den Zustand der allgemeinen Volksgesundheit und für alle
Einrichtungen einer gesundheitlichen Wohlfahrtspflege. Ein in
der Hand von Nichtärzten befindliches Wohlfahrtsamt muß
dilettantische Arbeit leisten. Die gesundheitliche Wohlfahrts¬
pflege muß bezüglich ihrer Richtlinien und entscheidenden
Handlungen in einem Gesundheitsamt bearbeitet werden. Bleibt
daneben ein so großer Kreis wirtschaftlicher Fragen zu er¬
ledigen oder sprechen noch andere Zweckmäßigkeitsgründe
dafür, daß von diesem Standpunkte aus ein besonderes Wohl¬
fahrtsamt zu unterhalten ist, so ist letzteres nur zu begrüßen.
In der Ausübung der Wohlfahrtspflege in dem Sinne, wie sie
jetzt allgemein und kurz bezeichnet wird, muß das Gesund¬
heitsamt die entscheidende Arbeit leisten; das Wohlfahrtsamt
darf nicht das Gesundheitsamt verdrängen, es nicht unter sich
nehmen wollen. Dabei gehe ich absichtlich auf die Gestalt des
Gesundheitsamtes selbst nicht näher ein. Ich setze nur voraus,
daß es unter ärztlicher Leitung steht.
Diesen klaren Standpunkt für den Medizinalbeamten und
eigentlich den Arzt im allgemeinen den Wohlfahrtsämtern
gegenüber vermißt man fast stets in der Literatur und daher
wohl zumeist in der Praxis. Gerade wir beamteten Aerzte
haben nicht nur alle Ursache, sondern geradezu die Pflicht, mit
aller Energie und allen Gründen darauf hinzuwirken, daß für
die Ausübung der gesundheitlichen Wohlfahrtspflege nicht
Wohlfahrtsämter, sondern Gesundheitsämter befugt und nur
imstande sind. Zu dieser Erkenntnis drängen vor allem die
Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft selbst, neben ihnen
aber auch wichtige Wirtschaftsfragen, u. a. die Gründe einer
Ersparnis von unnötiger Doppelarbeit. Die in den Wohlfahrts¬
ämtern der jetzigen Form geleistete Arbeit entspricht vielfach
nicht dem nach den Kosten zu erwartenden Nutzen.
Ich wünsche hier aber weniger für die Richtigkeit dieser
eben von mir geäußerten Auffassung einzutreten, da sie längst
allgemein anerkannt ist. Es kommt mir mehr darauf an, das
Gewissen eines jeden einzelnen von uns zu schärfen, ihn an
seine Pflicht der Oeffentlichkeit gegenüber zu erinnern, die
\
s
Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt.
605
Säumigen und Lassen aufzurütteln, die Schwankenden zu stützen,
diejenigen, welche sich mit der Präge wenig beschäftigt haben,
zum Nachdenken anzuregen. Wir Aerzte und besonders wir
beamteten Aerzte müssen immer wieder betonen: die sog. Wohl¬
fahrtsämter sind zumeist in Wirklichkeit Gesundheitsämter!
Daher ist es richtiger, sie werden von vornherein so benannt,
so eingerichtet, so geleitet 1
Bei der großen Zahl von Wohlfahrtsämtern, die bereits
vorhanden sind, entsteht von selbst die Frage, ob es für den
Arzt und besonders für den beamteten Arzt noch Zeit sei, hier
im Sinne des oben Ausgeführten zu handeln Im größten
Bundesstaat, in Preußen, bestehen bisher weder offizielle Wohl-
fahrts-, noch Kreisgesundheitsämter. Wohl aber ist es dort
ministerieller Anregungen zufolge vielfach zur Bildung von Kreis-
und Stadtwohlfahrtsämtern gekommen. Soweit sie einem Arzt
unterstellt worden sind, ist zunächst nichts einzuwenden. Nur
darf man dabei nicht vergessen, daß die Errichtung eines Kreis-
§ esundheitsamtes in irgendeiner Form hierdurch nicht über-
üssig wird und nicht gehindert werden darf.
Die Verwirklichung wird am leichtesten gelegentlich einer
allgemeinen Verwaltungsreform sich ermöglichen lassen. Hier
ist sie unbedingt anzustreben. Aber auch ohne eine solche
ist sie möglich. Nur ist erforderlich, daß wir beamteten Aerzte
das Ziel stes im Auge behalten, alle unsere Maßnahmen hier¬
für einstellen, die Gelegenheiten nützen. Die Verhältnisse lassen
sich noch so gestalten, wie es eben vom Zweckmäßigkeits¬
standpunkte aus erforderlich sein wird, und an uns beamteten
Aerzten liegt es, die öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen von
vornherein den richtigen Weg gehen zu lassen. Dieser Weg
führt aber nicht durch das Bezirkswohlfahrtsamt, sondern durch
das Bezirksgesundheitsamt!
Die Not der Zeit gestattet es nicht länger, daß zur
Leistung „einer“ Arbeit stets zwei Beamte, hier ein nicht¬
ärztlicher und ein ärztlicher Verwaltungsbeamter, zur Ver¬
fügung stehen. Ohne den Arzt können die gesundheitlichen
Belange in der öffentlichen Wohlfahrtspflege nicht erledigt
werden, also wird sie der ärztliche Verwaltungsbeamte nach
Möglichkeit allein erledigen müssen. Gerade hierzu aber fehlt
es ihm sehr vielfach noch an der erforderlichen Selbständigkeit
und zwar in allen Instanzen. Sorgen wir beamteten Aerzte
dafür, daß der Arzt überall bei den Fragen der Gesundheit zum
Wohle der Allgemeinheit die ihm als Fachmann gebührende
Stelle erhält! Bei richtiger Begründung kann sie ihm nicht
versagt werden. Denn seine weitgehendste Mitarbeit ist un¬
erläßlich bei dem Recht auf Gesundheit, welches der einzelne
der Allgemeinheit gegenüber hat, und der Pflicht der Allgemein¬
heit dem einzelnen gegenüber, sie ihm zu erhalten.
I
i
606
Dr. Cart Tbom&lla.
Hygiene undsozialeMedizinimYolksbelehrungsfllm.
Von Dr. Cart Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei der Koltnr-
abteilnng der Universum-Film A.G.
II. Die populären Vortragsfllme.
Wenn in Kreisen von Gebildeten, vor allem auch von
Aerzten und Pädagogen, über populäre medizinische Filme ge¬
sprochen wird, stellt sich meist heraus, daß die Mehrzahl keine
Ahnung von dem Vorhandensein eines derartigen Volksbelehrungs-
mittels hat. Und wenn dann obendrein herauskommt, daß diese
Filme vielfach in Kinotheatern vorgeführt werden, ist die
Skepsis oder gar höhnische Ablehnung meist groß. — Mit allem,
was vom Film kommt oder sich auch nur der technischen Er¬
fordernisse der heutigen Kinematographie bedient, wird in
weitesten Kreisen der Gebildeten ein rücksichtsloses Vorurteil
verbunden, das unbesehen und ungeprüft verdammt. Mit dem¬
selben Recht könnte man die gesamte Buchdruckerei und Presse
in Acht und Bann tun, denn auch da gibt es Schmutzliteratur
und Revolverjournalismus.
Diese prinzipielle Ablehnung weiter Volkskreise gegen
Film und Kino, verbunden mit der Tatsache, daß die Lehr¬
film-Industrie noch sehr jung, in der Entwicklung begriffen und
daher in ihren Leistungen noch nicht immer auf der Höhe war,
haben bewirkt, daß gerade in den Kreisen, die einer Kino¬
reform an sich sympathisch gegenüberstehen müßten, die großen
Vortragsfilme über Hygiene und soziale Medizin so gut wie
unbekannt geblieben sind. Hinzu kommt, daß die Tageszeitungen
über diese Lehrfilme stets in der Rubrik „Kino und Varietd“
berichten, die von den in Betracht kommenden Kreisen natürlich
nicht gelesen wird. Ein Berliner Kreisarzt erzählte mir z. B.
kürzlich, daß er bei den Schulbesichtigungen in sämtlichen
Gymnasien und höheren Knaben- und Mädchenschulen seines
Bezirks festgestellt habe, daß weder die Direktoren noch die
Lehrer bisher vom Vorhandensein derartiger bequemer Lehr¬
mittel etwas wußten. Im Gegensatz dazu wird von den Volks¬
schulen eifrig und reichlich nach medizinischer Belehrung der
Schüler durch den Film, besonders vor Schulentlassungen ver¬
langt. — Diesen Erfahrungen entspricht es, daß in typischen
Industrie-Städten mehr Erfolge mit den medizinischen Volks¬
belehrungsfilmen erzielt wurden, als in anderen Großstädten,
daß andererseits in Arbeitervierteln derartige Vorführungen
mehr Zulauf hatten, als in guten „Wohngegenden“. Gewerk¬
schaften und Krankenkassen sind bis jetzt die besten und ver¬
ständnisvollsten Abnehmer der hygienischen Lehrfilme,
Diese Tatsachen sind einerseits erfreulich, denn sie zeigen,
daß die große Masse des Volkes derartige Darbietungen dank¬
bar begrüßt, andererseits rechtfertigen sie eine intensive Propa¬
gierung dieser für Volkswohlfahrt und -Gesundheit so wichtigen
Lehrmittel in den Kreisen, von denen derartige Veranstaltungen
auszugehen pflegen. Es sei daher gestattet, daß im folgenden
Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrungsfilm.
607
eine kurze Aufzählung und Charakterisierung der einzelnen
Filme, die bisher zur Verfügung stehen, erfolgt:
Der Film „Die Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen" dürfte von
allen hygienischen Volksbelehrungsfilmen des medizinischen Filmarchivs am
bekanntesten geworden sein. Sind doch von ihm über vierzig Kopien allein
in Deutschland verbreitet and nachdem die Zensor der Filmprüfstelle anch
die Vorführong vor Jugendlichen genehmigt hat, ist hoffentlich mit noch
steigender Aosnotzong dieses Aofklärnngsmittels zu rechnen. Der unstreitige
Erfolg dieses Films ermöglichte seinerzeit überhaupt nur die Weiterführung
der auf diesem Gebiet liegenden Arbeiten. Der Film ist aufgenommen ge¬
meinsam mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten, der verstorbene Geheimrat Blaschko hatte regen Anteil an
dieser Arbeit. Die Vorführungsdauer ist ein und eine Viertelstunde bei 1200 m
Filmlänge in vier Teilen. Je nach der Ausdehnung des Begleitvortrages kann
also die Vorführung in der angegebenen Zeit oder beliebig bis zu zwei Stunden
Dauer ausgedehnt werden. Der mit dem Film gedruckt mitgelief rte Vortrag
enthält die einführenden Worte, die Herr Professor Adam als Vertreter des
Landesausschosses für hygienische Volksbelehrung und Dr. Böschmann für
die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten fei der
ersten Vorführung des Films sprachen. Der Film schildert die Krankheits¬
erscheinungen bei Gonorrhoe und Syphilis, teils an Patienten, teils an patho¬
logischen Präparaten, teils auch an belebten schematischen Zeichnungen. Die
Erreger werden im mikroskopischen Bilde gezeigt, ferner die Wege, die sie
bei der Ansteckung vom Kranken zum Gesunden und im Körper des Ver¬
seuchten nehmen. Die zur Heilung und Verhütung wissenswerten Tatsachen
werden in faßlicher und für Laien angemessener Form gezeigt. Der Vortrag
betont, bei aller Abschreckung, die Heilungsmöglichkeiten nnd die Notwendig¬
keit rechtzeitiger Inanspruchnahme des Arztes. — Trotz der oben erwähnten
reichlichen Benutzung dieses Filmes kann wohl gesagt werden, daß seine
systematische Auswertung erst teilweise begonnen hat. Denn die gelegentliche
Vorführung hier einmal vor Hunderten, dort vielleicht gar vor Tausenden er¬
faßt immer nur ganz kleine Bruchteile der Bevölkerung und zwar meist
gerade die, die es nicht so dringend nötig haben. Erst wenn auf allen
Schulen vor jeder Schulentlassung diese Belehrung Selbstverständlichkeit ge¬
worden ist, können Erfolge erzielt werden. Und niemand wird leugnen, daß
in Großstädten eine Aufklärung über dieses Thema kurze Zeit nach der Schul¬
entlassung meist schon erheblich zu spät kommt. — Bemerkt sei, daß dieser
Film die Erstlingsarbeit des medizinischen Filmarchivs ist und somit natürlich
noch eine überholte Technik der Aufnahmen und Anordnung des Stoffes aufweist.
Gleichfalls ein Film älteren Datnms ist der „Säuglingspflege“-Film.
Dieser wurde in einer Länge von mehr als 2000 m, also über zwei Stunden
Vorführungsdauer im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus zur Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit hergestellt. Er sollte ursprünglich sowohl für die Aus¬
bildung von Säuglingspflegerinnen, als auch für populäre Zwecke dienen. Die
einzelnen Teile zeigen die Vorbereitungen vor der Geburt, die Pflege des Neu¬
geborenen, des gesunden Säuglings, des Kleinkindes, die Ernährung, die
Milchküche, die Pflege der Frühgeburt, des erkrankten Säuglings und Klein¬
kindes, Umschläge und Bandagen, allgemeine Ratschläge und schließlich ärzt¬
liche Eingriffe. Der sechste Teil (Milcbküche) und der letzte waren von vorn¬
herein nur für Säuglingspflegerinnen bestimmt. Allmählich stellte sich jedoch
die Notwendigkeit einer besonderen und kürzeren Fassung für Laien, z. B.
Mütterkarse, Schalvorführungen asw. heräus, so daß der Film jetzt haupt¬
sächlich in einer achtteiligen gekürzten Fassung benutzt wird. Der gedruckt
vorliegende Vortrag muß den jedesmaligen Bedürfnissen unbedingt angepaßt
werden, je nach dem ob in der Stadt oder auf dem Lande, vor Back Aschen
oder reifen Frauen, vor Krankenschwestern oder Fabrikarbeiterinnen gesprochen
wird. — Wenn auch die Vorführung des ganzen Films auf einmal vielfach mit
großem Erfolg durchgeführt wurde, ist es doch ratsam, die Fülle des Materials
auf mehrere Kursständen zu verteilen und jedesmal nur zwei oder höchstens
drei Teile vorzuführen, so daß zu Frage und Antwort, sowie zu Wieder¬
holungen Zeit genug bleibt. Auch dieser Film soüte vor jeder Schulentlassung
606
Dr. Curt Thomalla.
in Mädchenschulen and Lyceen regelmäßig gezeigt werden, was bisher leider
nur an einer kleinen Anzahl Berliner Scholen geschieht.
Hanptsächlich eignet sich dieser Film zu Wiederbolungskoreen für Säug¬
lingspflegerinnen, Hebammen osw. sowie zur Unterweisung tob Schwestern,
die nur in allgemeiner Krankenpflege ausgebildet sind. Diese bequeme Art, un¬
abhängig von allem lebenden und toten Demonstrationsmaterial auch abseits
der großen Zentren, selbst in der kleinsten Stadt, derartige Unterrichtsstunden
abzuhalten, wird noch viel zu wenig ausgentttzt. Das Gleiche gilt für ähn¬
liche Ausbildungsfilme, z. B. „Vorbereitungen zur Operation“, „Die Wasser¬
mann sehe Beaktion“, die physiologischen Filme über Herztätigkeit, Blut¬
umlauf, Darmperistaltik usw., die pharmakologischen und viele andere, sowie
besonders auch für die natürlichen und schematischen geburtshilflichen Filme
Geheimrat DÖderleins, die für Wiederholungskurse für Hebammen sicher
bessere Lehrmittel darstellen, als die üblichen Phantome. Derartige Folgen
rein sachlicher BelehTungsfilme können dann einen freundlichen Abschluß finden
durch Filme, die neben oberflächlicher Belehrung auch Interessantes und Erfreu¬
liches zeigen, z. B. „Werden und Wirken des Boten Kreuzes“, botanische oder
zoologische Lehrfilme usw.
üeberhaupt lassen sich aus dem reichhaltigen Material des medizinischen
Filmarchivs, auch abgesehen von den großen Vortragsfilmen, leicht Beihen
kleinerer Filme zusammenstellen, die zum gleichen Thema gehören. So be¬
steht beispielsweise ein Lehrfilm über die Hypnose, der im ersten Teil Moti-
litäts- nnd Sensibilitätsverso che, im zweiten Ueberempfindlicbkeit des Gesichts¬
und Tastsinnes und suggerierte Affekte, im dritten schließlich posthypnotische
Suggestion demonstriert. Dieser Film in Verbindung mit einem zoologischen
Lehrfilm „Tierhypnose“ und mit einer vorsichtigen Answahl psychiatrischer
Filme wurde vielfach angefordert, wo eine wissenschaftlich-ernste Gegenaktion
gegen spiritistischen und pseudo-okkultistischen Schwindel erwünscht war. Diese
Finne sind auch mit einem umrahmenden Begleitvortrag bearbeitet.
Ferner sei auf einen Film „Die Wirkungen der Hungerblockade auf die
Volksgesundheit“ verwiesen. Wenn er auch hauptsächlich für Auslands¬
propaganda auf wissenschaftlicher Basis hergestellt war, so sind doch leider
zurzeit die gleichen Erscheinungen wieder akut. Und die Unwissenheit weiter
Kreise über richtige Ernährung und die verheerenden Folgen falscher oder
einseitiger Nahrung sind fast unbekannt. Daher dürfte der Film auch in
Deutschland auch zu anderen Zwecken als nur Wohltätigkeits Vorführungen
erwünscht sein. Der erste Teil zeigt die Uebelstände der Unterernährung für
den einzelnen und die Gesamtheit auch in Form bewegter Statistiken, der zweite
typische Unterernährungs-Krankheiten, wie Oedem, Knochenerweichung usw.
sowie die Zunahme von Bachitis, Tuberkulose usw. und besonderer Wert ist
im dritten Teil auf die Schilderung des Kinderelends gelegt.
Bei Inkrafttreten des Krüppelfürsorgegesetzes wurde ferner gemeinsam
mit dem Oskar-Helen-Heim mit Herrn Professor Biesalskiein Film „Krüppeloot
und Krüppelhilfe“ hergestellt. Er soll nicht nur den zahlreichen Laien, die
auf Grund der neuen Gesetzgebung in Fürsorgeämtern, auf Magistraten und
in Landgemeinden sich mit der Krüppelfürsorge beruflich oder ehrenamtlich
befassen, die notwendigen Einblicke in die Möglichkeiten und Aussichten der
Krüppelfürsorge geben, sondern auch weite Kreise der Allgemeinheit für diese
dringenden Fragen interessieren. So sind denn neben den rein belehrenden,
dabei aber durch die überraschenden Fähigkeiten und Fertigkeiten der Krüppel
anregenden Teilen, die sich mit der Entstehung des Krüppeltums, mit medi¬
zinischen und sozialen Fragen, mty orthopädischer und Uebungsbehandlung be¬
fassen, in den letzten drei Teilen des Films der Schulbetrieb im Krüppelheim,
die Handwerksschule und allerhand freundlich-lustige Bilder aus dem alltäg¬
lichen Leben im Krüppelheim festgelegt. Der Film umfaßt bei rund 1000 m
Länge mit Vortrag eine Vorführungsdauer von ca. 1 Stunde.
Vom Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung, Herrn Professor
Dr. Adam, ging die Anregung aus, zur Bekämpfung der Impfgegner einen
Film „Die Pocken, ihre Gefahren und deren Bekämpfung“ herzustellen. Mit
der Staatlichen Impfanstalt, Herrn Dr. Gins, wurde diese Aufgabe so gelöst,
daß auch hier ein Film entstand, der nicht nur belehrend, sondern auch
interessierend wirkt. Der erste Teil zeigt die historische Entwicklung der
Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrnngsfilm.
609
Pockenimpfang in gestellten Bildern, die gen&a nach überlieferten Veröffent¬
lichungen and Bildern festgehalten worden. Von den Gebräuchen der indischen
Br&hminen an, über die türkische Inokulation and die mittelalterliche Sitte
des „Pockenkanfens“, weiter über die Jenner sehe Entdeckung der Kubpocken-
Uebertragbarkeit, die direkte Ueberimpfang vom Kranken aaf den Gesanden,
vom Kalb aaf den Menschen gelangen wir bis zar modernen Impftechnik. Der
zweite Teil zeigt nur Statistisches. In bewegter, belebter, zum Teil sogar
humoristischer Form. Der dritte Teil zeigt in aller Ausführlichkeit die moderne
Lymphgewinnnng, Zubereitung and Prüfung der Lymphe, am dem Laien Ge¬
legenheit and Möglichkeit za genauester eigener Kontrolle zu geben. Und
schließlich wird die Impftechnik bei Einzelimpfung and bei Massen-Impfterminen
in ihren verschiedenen Spielarten demonstriert. — Die beste Empfehlung für
diesen Film dürfte wohl sein, daß bei einer Vorführung vor Bänderten von
Vertrauensleuten der Berliner Lehrerschaft, die vor der ersten Schülervorführang
dieses Films stattfand, ein als fanatischer Impfgegner bekannter Bektor sich
erhob and in der Diskassion seine völlige Bekehrung vom impfgegnerischen
Standpunkte öffentlich bekannte. Eine großzügige Organisation, die während
der Impftermine den Film allen Wiederimpflingen and ihren Eltern in Sonder¬
vorführungen zugänglich machen sollte, ist in Groß-Berlin bei den letzten
Impfterminen nar deswegen noch nicht zur Ausführung gelangt, weil die Um¬
legung der Bezirke, Polizeiämter usw. die rechtzeitige Benachrichtigung aller
8c|ralen usw. unmöglich machte. Vom nächsten Jahre an wird dieser Plan in
Zusammenarbeit des Landesaasschusses für hygienische Volksbelehrang, mit der
staatlichen Impfanstalt, dem Gesundheitsamt der Stadt Berlin and dem Polizei¬
präsidium alljährlich zur Durchführung gelangen.
Schließlich wurde als letzter and wohl technisch and inhaltlich voll¬
kommenster großer Vortragsfilm des medizinischen Filmarchivs der Tuber-
kalose-Film „Die weiße Seuche" fertiggestellt. In enger Zusammenarbeit mit
dem Zentralkomitee zar Bekämpfung der Tuberkulose, mit Spezialisten der
Taberkulose-Fürsorge and -Bekämpfung aus dem Beichsgesundheitsamt, der
Landesversichcrungsanstalt usw. wurde in mehr als einem Jahr dauernder Arbeit
dieser umfassende and bei dem aogehearen Material dennoch aaf das Not¬
wendigste zusammengedrängte Film hergestellt. In seinen 6 Teilen von rand
1300 m Länge, also gnt eineinviertel Standen Vorfübrangsdauer zeigt er zu¬
nächst wieder darch die sogenannte Trickfilm-Methode die Verbreitung der
Taberkulose in der Welt and in einzelnen Ländern, der zweite Teil macht
mit dem Erreger and seiner Eigenart bekannt and zeigt die Wege, die er be¬
netzt, am in den menschlichen Organismus einzudringen, der dritte Teil er¬
örtert die klinischen Erscheinungen der verschiedenen Tu berkaloseformen,
soweit es für Laien angängig ist, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß er
gerade aaf die leichten, harmlos erscheinenden Krankheitsbilder rechtzeitig
achten lernt, der vierte Teil erläutert die Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnose¬
stellung and schildert die wichtigsten diagnostischen Methoden, anter be¬
sonderem Hinweis auf Fürsorgestellen and sonstige Erleichterungen für Er¬
langung rechtzeitiger Behandlung. Im fünften Teil werden die Behandlungs¬
methoden geschildert and hierbei ist auch ästhetisch schön wirkenden Bildern
schön gelegener Kurorte und Heilanstalten in Gebirge and Ebene breiterer
Spielraum gelassen. Der sechste Teil beschäftigt sich als der wichtigste, ein¬
gehend mit der Prophylaxe. An instruktiven Beispielen aus dem täglichen
Leben werden die Verbreitungsmöglichkeiten der Taberkulose erläutert und
die hieraus sich ergebenden hygienischen Forderungen abgeleitet. Als Anhang
kann schließlich noch ein besonderer Teil, „Die Tuberkulose and ansere
Sünder", angefügt werden.
Zu diesem Taberkalose-Film verweise ich nar aaf die verschiedenen Ver¬
öffentlichungen des Herrn Dr. Bornstein, Generalsekretärs des Landesaas-
schasses für hygienische Volksbelehrang, der selbst eine Bundreise in etwa
50 8tädte unternahm und die zam Teil geradezu begeisterten Urteile der
Aerzte-Vereine, Tagespresse usw. in seinen Veröffentlichungen zasammenfaßte.
(Siehe z. B. Aerztliches Vereinsblatt Nr. 12&7 vom 9. Mai 1922.)
Schließlich sei noch aaf die mit Herrn Dr. Tagend reich, dem Sozial¬
hygieniker der Stadt Berlin, hergestellten Filme „Hygiene des häuslichen
Lebens" and „Hygiene der Feierstunden" hingewiesen, die vernünftige Lebens-
610
Dr. Klaholt.
weise im Berufs« und häuslichen Leben, sowie vor allem eine vernünftige sport¬
liche Betätigung propagieren. Sie eignen sich allerdings weniger zu Vor¬
tragszwecken als abgeschlossenes Programm, vielmehr besser zur Ergänzung
und Abrundung sonstiger sachlicher Vorführungen, zumal sie einen kräftigen
humoristischen Einschlag enthalten.
Abschließend sei bemerkt, <jaß zu jedem der oben genannten
Filme ein Vortrag besteht, der Entleihern mitgeliefert wird.
Wer unter genauer oder loser Anlehnung an diese gedruckten
Vortragstexte die Begleitworte zu einem dieser Filme halten
will, muß sich dessen bewußt sein, daß dies eine nicht zu
unterschätzende Aufgabe ist. Es bedarf mindestens ein- bis
zweimaliger vorheriger Durchsicht des Filmes an Hand des
Vortragstextes. Natürlich wird wohl nie ein Vortragender den
Vortrag wörtlich mit der Vorlage gleichlautend halten, der ge¬
lieferte Text soll ja nur Anregung und Handhabe zu eigener
Gestaltung sein. Denn vor pommerschen Landarbeitern wird
man doch anders sprechen müssen, als in einer westfälischen
Industriestadt, vor Krankenschwestern anders als im Haus¬
frauenverein. Jeder Redner hat das Gelingen einer solchen
Filmvorführung und damit den Erfolg der beabsichtigten Auf¬
klärungsarbeit in der Hand. Bei einem geschickt und in leben¬
diger Fühlung mit den Hörern gehaltenen Vortrag wird der
Film nur wie eine angenehme Illustrierung und Belebung des
gesprochenen Wortes wirken, steht aber der Film im Vorder¬
grund und ist der Vortrag nur umrahmendes Beiwerk, so geht
ein großer Teil der erwünschten Wirksamkeit verloren.
Selbstverständlich wird der mit amtlicher Berufsarbeit
überlastete Medizinalbeamte in den seltensten Fällen selbst Zeit
und Lust haben, sich, derart in diese neue Aufklärungsarbeit
einzuleben. Wenn trotzdem an dieser Stelle eine so ausführ¬
liche Aufzählung der vorhandenen Lehr- und Aufklärungsmittel
gegeben wurde, so geschah dies hauptsächlich darum, weil der
Medizinalbeamte die Persönlichkeit ist, die in Stadt und Land
in engster Fühlung und regstem Gedankenaustausch mit den¬
jenigen Stellen steht, die für solche Veranstaltungen in Frage
kommen. An ihn wenden sich ratsuchend Behörden und Organi¬
sationen, er revidiert Schulen, Fabriken usw., er verhandelt
mit Krankenkassen, Gewerkschaften, sitzt in Ausschüssen,
Komitees, ist Vorsitzender oder Vorstandsmitglied vonDutzenden
von Vereinen. Ueberall kann er Vorschläge machen, Anregungen
geben, Ratschläge erteilen. Wenn die obige Aufstellung als ge¬
legentliches Nachschlage Verzeichnis auf dem Schreibtisch liegen
bleibt, hat es schon seinen Zweck erfüllt.
lieber Prostitution und Dirnentum in Crefeld.
Von Kreismedizinalrat Dr. Klaholt in Crefeld.
Die in den letzten Jahren ganz besonders heftig gewor¬
denen Angriffe der Abolitionisten gegen die Reglementierung,
sowie die Bestrebungen, ein wirksames Gesetz zur Verhütung
und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten zu schaffen, haben
Ueber Prostitution und Dirnentum in Crefeld.
611
die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die öffentliche und ge¬
heime Prostitution, sowie auf den ungezügelten, sogenannten
wilden Geschlechtsverkehr gelenkt. Um auch in der hiesigen
Stadt alle einflußreichen Kreise, besonders die karitativen Ver¬
eine zur Mitarbeit an der sittlichen und gesundheitlichen Für¬
sorge zu gewinnen, habe ich vor einem geladenen Publikum
einen längeren Vortrag über die Prostitution und ihre Vor¬
stufen gehalten.
Vielleicht werden Kollegen sich für den Teil meines Vor¬
trages interessieren, der Zahlenangaben über die hiesigen Ver¬
hältnisse bringt, die ich als Polizeiarzt und als Leiter der Be¬
ratungsstelle Crefeld gewonnen habe. Meines Erachtens wird
es gut sein, wenn die Medizinalbeamten auch auf dem Gebiete
des Prostitutionswesens und der Bekämpfung der schweren sitt¬
lichen und gesundheitlichen Folgen, die der ungezügelte Ge¬
schlechtsverkehr mit sich bringt, tatkräftig mitarbeiten.
Wir haben in Crefeld das System der Kasernierung. Frei
wohnende öffentliche Dirnen werden nicht zugelassen. In einer
kleinen Verbindungstraße, nicht weit von einer im Zentrum
gelegen Hauptgeschäftsstraße sind eine Anzahl Häuser für
Prostituierte vorhanden. Vom Standpunkt der Dirnen mag
die Straße gut gewählt sein, ira öffentlichen Interesse liegt es
aber sicher nicht, daß diese der Venus geweihte Straße so
mitten in verkehrsreicher Stadtgegend liegt. Einige Häuser
gehören noch zu einem Fuhrgeschäft, in welchem ziemlich viel
Betrieb ist, und an beiden Enden der Straße sieht man nicht
selten Kinder und halbwüchsige Burschen neugierig in die
Straße hineinsehen. In jedem Hause wohnen 2—3 Dirnen, die
je ein Wohn- und Schlafzimmer und Küche haben. Dafür be¬
zahlen sie jetzt täglich 80 M. — ohne die Nebenausgaben für
Heizung usw. Eine jede Dirne darf sich eine Putzfrau halten,
die abends das Haus verlassen muß. Diese Frau soll unbescholten
sein. Es kommt aber auch vor, daß sie nicht viel besser ist,
als ihre Herrin.
Wie vielfach in den Kasernierungen gehört auch hier die
Mehrzahl der Dirnen den älteren Semestern an. Von den
62 Prostituierten waren alt:
20—25, 25—30, 30—35, 35—40, 40-45, 45—50, über 50 J.
4 10 22 20 4 1 1
Dem Alter entsprechend ist auch die Zeit, in der sie unter
Kontrolle standen:
bis 1 J., 1-5, 5—10, 10—15, 15-20, 20—25 Jahre.
1 26 3 16 14 2
Von Bedeutung ist auch die Länge der Zeit, die die Dirnen
bereits in der hiesigen Kasernierung zugebracht haben. Im
gesundheitlichen Interesse ist es natürlich besser, daß die Dirnen
älter und seßhafter sind, da bei diesen die Ueberwachung auf
Geschlechtskrankheiten leichter ist, als wenn ein ständiger
Wechsel stattfindet. Daß ältere Dirnen in bezug auf Ansteckung
612
Dr. Klabolt.
mit Syphilis viel ungefährlicher sind, als die Anfängerinnen,
ist ja allbekannt. Die Zahl der nur kurze Zeit in der hiesigen
Bordellstraße verbleibenden und dann weiterziehenden Dirnen
ist in den letzten 10 Jahren immer mehr zurückgegangen.
Wir haben jetzt eine verhältnismäßig seßhafte Gesellschaft. Die
Dauer des Aufenthaltes in der hiesigen Straße beträgt:
bis 1 J., 1-6, 6-10, 10-16, 16—18 Jahre.
7 32 14 6 3
33 standen schon vor dem Kriege unter Kontrolle, 23
waren erst nach dem Kriege unter Kontrolle gekommen. Was
die Familienverhältnisse anbelangt, so ist folgendes bemerkens¬
wert: die Eltern* waren tot in 26 Fällen, der Vater tot in 18,
die Mutter tot in 6. Katholischer Konfession sind 43, evangelischer
Konfession 18, 1 jüdischer.
Aus Arbeiterfamilien stammen 31 Prostituierte, aus Hand¬
werkerfamilien 22, aus Beamtenfamilien 6, aus Händlerfamilien 3
und aus landwirtschaftlichen Familien 1. Es bestätigt das
also wieder, daß die Bauernkreise am wenigsten der Prostitution
anheimfallen. Die überwiegende Mehrzahl stammt aus der
arbeitenden Bevölkerung, und hier sind es nicht die gehobenen
Kreise, die Familien der ständigen und gelernten Arbeiter,
sondern die der ungelernten Arbeiter, die vielfach infolge körper¬
licher und geistiger Minderwertigkeit zur Hefe des Volkes ge¬
hören. Von den Prostituierten sind verheiratet 14, geschieden 17,
verwitwet 2. Von denVerheirateten und Geschiedenen gaben als
Stand ihres Mannes an: 4 Unterbeamter, 2Kaufmann, 2Händler,
die übrigen Arbeiter. Nach ihren früheren Berufen geordnet
waren 16 Dienstmädchen gewesen, 10 Verkäuferinnen, resp.
Modistinnen, 9 Näherinnen, 16 Arbeiterinnen, 1 Artistin, 1 Büg¬
lerin, 2 Kellnerinnen, 8 bezeichneten sich als berufslos.
Gibt es auch raffinierte, geistig durchaus vollwertige Per¬
sonen, die die Prostitutiertenlaufbahn nur als ein Mittel zu
einem materiellen Aufstieg benutzen wollen, so ist die über¬
wiegende Mehrzahl doch intellektuell tiefstehend. (Es wird
auf die Zahlenangabe in der Literatur verwiesen.) Auch mit
unseren hiesigen Prostituierten ist es nicht anders. Es hat mir
an Zeit gemangelt, bei den einzelnen Personen Intelligenz¬
prüfungen vorzunehmen, soviel kann ich aber doch nach zum
Teil mehrjähriger Kenntnis der Charaktere sagen, daß es sich
vielfach um geistig recht minderwertige Personen handelt. Das
hat mir auch der Gefängnisarzt — ein Psychiater — erklärt,
der die Dirnen recht häufig zu sehen bekommt und sich für
diese Frage besonders interessiert.
Das Leben der Dirnen in den Kasernierungen spielt sich
ab, wie wohl überall in diesen Häusern. Nur wenige wissen
sich etwas mit Handarbeiten zu beschäftigen. Die Mehrzahl
geht einer Arbeit aus dem Wege. Leider steht auch hier der
Alkoholismus in Blüte. Sinnlose Trunkenheit ist bei manchen
gar nicht so selten. Bei den Trinkgelagen helfen gute Freunde
Uebtr Prostitution and Dirnantam in Crefeld.
613
fleißig palt, das leicht verdiente Geld zu verprassen. Auch hier
spielt, wie überall, die schmachvolle Zunft der Zuhälter eine
große Holle.
Natürlich leben die Dirnen sämtlich mit den Polizei¬
vorschriften auf gespanntem Fuße. Die Folgen sind häufige
Anzeigen, die immer zu gerichtlichen Strafen führen. Es gibt
keine einzige Dirne, die einige Zeit in der Mühlenstraße wohnt,
welche nicht eine Anzahl Haftstrafen wegen Uebertretung der
Vorschriften aufzuweisen hat. Mit den Jahren nimmt die Zahl
dieser Strafen ganz erheblich zu. 13 sind über 50 mal bestraft,
und von 2 Veteraninnen hat es eine auf 113, die andere sogar
auf 126 Strafen gebracht.
Von den 62 Dirnen sind nicht weniger als 24 gerichtlich
vorbestraft wegen Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei,
18 mehr als lmal, einige sogar 5—8 mal. Diese Zahlen be¬
leuchten so recht den Charakter der Prostituierten, die Gier
nach Geld. Und diese Sucht läßt sie auch die Männer, die
ihnen ins Netz gehen, vielfach in raffinierter Weise ausbeuten.
Namentlich für Zechgelage werden den Opfern horrende Preise
abgefordert. So sind die Einnahmen einer Prostituierten im
allgemeinen recht hoch, sie wechseln, wie alles heute, je nach
dem Stande der Valuta. Die besten Zeiten hatten die Dirnen,
als das Schiebertum auf der Höhe seiner Macht war, da müssen
sie geradezu fabelhafte Einnahmen gehabt haben. Aber auch
jetzt noch finden sich alltäglich oder besser allnächtlich bei
den meisten Dirnen durchschnittlich 3—4 Besucher ein, nicht
wenige von diesen sind verheiratet. Perversitäten sollen nicht
selten gefordert und gewährt werden, einige Dirnen scheinen
sich hierzu als „Spezialistinnen“ ausgebildet zu haben.
Durch den regelmäßigen Verkehr mit einer Anzahl von
Männern sind die Prostituierten in hohem Maße der Gefahr der
Geschlechtskrankheiten ausgesetzt. Andererseits kann die kranke
Dirne die Quelle der Verseuchung für eine große Anzahl von
Männern sein. Es gibt Laien und Aerzte, unter letzteren be¬
deutende Autoritäten, die den Wert einer ärztlichen Kontrolle
der Prostituierten bestreiten und bezweifeln. Ich kann mich
ihnen nicht anschließen und bin der Meinung, daß eine wirksam
betriebene Kontrolle doch ein nicht zu unterschätzendes Maß
von Schutz gegen die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten
bietet. Meine Behauptung gründet sich nicht nur auf meine
Erfahrung als Polizeiarzt und leitender Arzt der Beratungs¬
stelle für Geschlechtskrankheiten, sondern auch auf die An¬
gaben der praktizierenden Kollegen. Nur ein Spezialarzt hat
mir gegenüber die Behauptung aufgestellt, daß 76 °/ 0 seiner
Kranken sich bei Prostituierten infiziert habe. Er hat mir aber
in den 4 Wochen, die nach seiner Aeußerung vergangen sind,
noch von keinem derartigen Fall Mitteilung gemacht. Selbst¬
verständlich schützt auch eine gewissenhaft ausgeführte Kon¬
trolle nicht vor Infektion, und ich hätte nichts dagegen, wenn
auf einer Tafel vor jedem Bordell-Haus auf diese Tatsachen
614
Dr. Klabolt.
hingewiesen würde, um allzu vertrauensselige Männer abzu¬
schrecken.
Am schwierigsten ist es, eine Infektion mit Tripper zu
vermeiden. Im vorigen Jahre wurden 16 Dirnen wegen Tripper,
resp. Tripperverdachtes zur Beobachtung dem Krankenhause
überwiesen. Es handelte sich in allen Fällen um chronischen
Tripper, nur bei einem Teil derselben waren Ansteckungen ge¬
meldet. Das Auffinden der Gonokokken ist oft mit Schwierig¬
keiten verbunden, am meisten Glück hat man noch nach den
Menses. Kürzlich wurde mir von einem Kollegen gemeldet,
daß einer seiner Patienten von einer Dirne mit Tripper an¬
gesteckt sei. Ich untersuchte an zwei aufeinanderfolgenden
Tagen Zervix- und Urethralsekret, ohne Gonokokken zu finden.
Da die Angabe des Erkrankten mit aller Bestimmtheit auf die
betreffende Dirne hinwies, hielt ich es trotz des negativen Aus¬
falles der bakteriologischen Untersuchung doch für meine Pflicht,
das Mädchen dem Krankenhause zu überweisen. Auch hier
fand man an den ersten 2 Tagen nichts, erst nach mehrfachen
provokatorischen Eingriffen wurden Gonokokken festgestellt.
Solche Infektionsquellen werden wir wohl nie ganz ausschalten
können. Die Gefahr braucht nun meines Erachtens auch nicht
überschätzt zu werden; denn wenn man überhaupt erst nach
mehrtägigen provokatorischen Maßnahmen Gonokokken findet,
wird die Ansteckungsfähigkeit wohl nicht allzu groß sein. Dies
wird ja auch bestätigt durch die praktische Erfahrung, daß von
einer Mehrzahl von Männern, die an einem Tage mit einer
Prostituierten verkehrt haben, nicht selten nur einer erkrankt.
Peinlichste Sauberkeit wird manches zur Verhütung des Trippers
beitragen können; daß gerade die regelmäßig und scharf kon¬
trollierten Prostituierten in dieser Hinsicht mustergültig sind,
werden alle Polizeiärzte bestätigen.
Wegen Syphilis wurde im vorigen Jahre eine Dirne dem
Krankenhaus überwiesen. Sie hatte ein kleines Ulkus in den
Falten der Scheide. Im Jahre vorher mußten noch 7 Dirnen
wegen luetischer Erscheinungen abgesondert werden. Ich führe
das günstige Ergebnis auf die regelmäßigen prophylaktischen
Kuren zurück, die ich seit einem Jahre eingeführt habe. Alle
Dirnen werden von Zeit zu Zeit (wechselnd je nach dem Alter)
auf Wasser mann-Reaktion untersucht, und müssen bei posi¬
tivem Ausfall sich einer Kur unterziehen. Abstand davon
nehme ich nur bei älteren Dirnen, von denen ich weiß, daß sie
eine ganze Reihe von Kuren gemacht haben. Zur Kontrolle der
Kuren werden besondere Zettel ausgegeben, auf denen die
Aerzte jede Spritze verzeichnen müssen.
Mehr als die öffentlichen Prostituierten sind m. E. die ge¬
legentlich von der Polizei aufgegriffenen Mädchen schuld an
der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten. Schon deshalb
müssen wir sie hier kurz besprechen, aber auch aus dem Grunde,
weil dieser sogenannte wilde Geschlechtsverkehr einen geradezu
erschreckenden Umfang angenommen hat.
(Jeber Prostitution und Dirnentum in Crefeld.
615
Ein Teil dieser aufgegriffenen Mädchen und Frauen unter¬
scheidet sich in nichts von den Prostituierten. Sie lassen sich
wie diese für ihre Gunst bezahlen, wissen aber ihr Treiben
einigermaßen vor der Polizei zu verbergen, indem sie noch
irgendeine Beschäftigung treiben. Zeitweise hat die belgische
Behörde verlangt, daß auch diese Personen regelmäßig unter¬
sucht würden, und es kamen von ihnen im ganzen 30, durch¬
schnittlich 18 wöchentlich einmal zur Kontrolle. Diese Unter¬
suchungen sind jetzt aufgehoben, weil wir nach den preußischen
Gesetzen nicht dazu berechtigt sind.
Ich bin überzeugt, daß weit mehr als diese 30 der ge¬
heimen Prostitution zuzurechnen sind, aber es ist natürlich
schwer, hierfür Beweise zu erbringen. So muß die Polizei sie
laufen lassen, und kann sie nur gelegentlich zur ärztlichen
Untersuchung vorführen, wenn sie zufällig nachts aufgegriffen
werden oder wenn Anzeige wegen Ansteckung erfolgt.
Es ist die besondere Aufgabe der Sittenpolizei, gegen den
ungezügelten unsittlichen Verkehr vorzugehen, nicht nur im
Interesse der guten Sitten, sondern auch zur energischen Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten. Der Sittenpolizei stehen
zu diesem Zweck eine Reihe von Beamten zur Verfügung, die
besonders in den Abendstunden Kontrollgänge machen und
liederliche Weibspersonen zur Festnahme bringen. Stellen, die
mit Vorliebe von diesen Personen auf gesucht werden, sind vor
allem die Plätze und Anlagen in der Peripherie der Stadt, wo
sie nicht selten „in flagranti“ ertappt werden, dann auch der
Hauptbahnhof und gewisse übel beleumundete Wirtschaften.
Man kann unseren Beamten wohl das Zeugnis ausstellen, daß
sie nicht wahllos alles aufgreifen, was ihnen unter die Finger
kommt, sondern daß sie durchaus mit der nötigen Vorsicht Vor¬
gehen. Davon kann man sich überzeugen, wenn man sich die
Akten ansieht, die über jeden Fall angelegt werden. Vielfach
sind die Aufgegriffenen alte Bekannte der Polizei, über die
schon eine Menge Vorstücke bei den Akten vorhanden sind,
andere wieder sind obdachlos sich umhertreibende Mädchen,
die sich dem ersten besten preisgeben. Dann hat die Sitten¬
polizei aber auch die Verpflichtung, sich diejenigen Mädchen
anzusehen, gegen die eine begründete Anzeige wegen Ver¬
breitung von Geschlechtskrankheiten vorliegt oder diejenigen,
deren Untersuchung die belgische Behörde verlangt.
Bedauerlicherweise hat die Zahl dieser mit der Sittenpolizei
in Berührung gekommenen Mädchen in hohem Maße zugenommen.
Im Jahre 1913 wurden 90 Personen aufgegriffen, im Jahre
1916 waren es berits 169, 1916: 167, 1917: 189, 1918: 169,
1919 : 483, 1920 : 649, 1921: 638. Leider war immer eine große
Anzahl dieser Mädchen noch sehr jung. Im Jahre 1913 waren
36 Minderjährige darunter, 1920: 216, 1921: 171.
Von den 638 im vergangenen Jahre aufgegriffenen Per¬
sonen stammten 487 aus Arbeiterkreisen, 196 aus Handwerker¬
kreisen, 24 aus Händler-, 21 aus Beamten-, 10 aus landwirt-
616
Dr. KLüsolt
schaftlichen Kreisen. In 203 Fällen waren beide Eltern tot,
in 156 Fällen der Vater, in 165 Fällen die Mutter tot; katho¬
lischer Konfession waren 434, evangelischer Konfession 203,
israelitischer 1. Dem Stande nach waren 129 Arbeiterinnen,
130 Dienstmädchen, andere Berufe waren nur gering beteiligt,
aber 284 gaben sich als berufslos aus. Gerade die letzteren
gaben zu Bedenken Anlaß. Es sind nicht nur solche, denen durch
die Arbeit ihrer Eltern und Brüder ein arbeitsloses und leicht¬
sinniges Leben ermöglicht wird, sondern auch solche, die den
unsittlichen Verkehr als eine Einnahmequelle betrachten, die mit
anderen Worten nichts anderes als heimliche Prostituierte sind.
Es ist klar, daß diese Mädchen, die sich, wenn auch nicht
gewerbsmäßig, so doch gewohnheitsmäßig, einem unzüchtigen
Verkehr hingeben, verseucht sein müssen. Die Gefahr wird
noch vergrößert dadurch, daß diese Personen schon an und für
sich sehr unsauber sind und leichtsinnig die ausgebrochene
Krankheit vernachlässigen, ohne sich in die Behandlung eines
Arztes zu begeben.
Von den schon erwähnten auf Verfügung der belgischen
Behörde untersuchten 30 sogenannten clandestinen Prosti¬
tuierten litten 7 an Syphilis, 17 an Tripper, 2 an Schanker.
Unter den 638 aufgegriffenen Personen des Jahres 1921 be¬
fanden sich 131 mit Krankheitszeichen, davon eine mit Schanker,
58 mit Tripper, und 72 mit zum Teil sehr schwerer Syphilis.
Im Jahre 1920 wurden 649 Personen untersucht, davon waren
krank: 41 an Syphilis, 113 an Tripper, 16 an Schanker. Aus
anderen Städten werden höhere Prozentzahlenangaben von Er¬
krankten gemeldet. Es liegt das wohl daran, daß hier auf
Betreiben der belgischen Behörden eine Anzahl Mädchen unter¬
sucht wurde, die sonst vielleicht nicht zur polizeilichen Unter¬
suchung gekommen wären. (So bei einer Razzia 105 auf einmal.)
Wie verheerend der sog. wilde Geschlechtsverkehr ist, auch
wenn er sich nicht in einer Form bewegt, die die Polizei mobil
macht, wie bei den bisher beschriebenen Fällen, das habe ich
als leitender Arzt der Beratungsstelle der Landesversicherungs¬
anstalt gesehen. Die hiesige Beratungsstelle umfaßt den Bezirk
der Kreise Crefeld, Kempen, Cleve, Mörs, Gladbach, Rheydt,
zum Teil auch Erkelenz und ein großer Teil der versicherten
Geschlechtskranken geht durch meine Hand. Im Vorjahre
kamen erstmalig zur Beratung: 1448 Geschlecktskranke, außer¬
dem noch 2020 Kranke, die bereits früher unsere Hilfe aufgesucht
hatten. Es ist interessant, einmal näher auf diese Zahlen ein¬
zugehen. Von den die Beratungsstelle aufsuchenden Männern
war die Mehrzahl in dem Alter zwischen 20—30 Jahren, immer¬
hin kamen aber auch eine Anzahl jüngerer Leute in Betracht,
die das 20. Jahr noch nicht erreicht hatten, ebenso solche, die
schon das 50. Jahr überschritten hatten, 2 waren sogar 60 Jahre
alt. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Männer gehörte
dem Arbeiterstande an. Ich bitte daraus keine Folgerungen
zu ziehen, da ja die Beratungsstellen in erster Linie von Ver-
Ueber Prostitution and Dirnen tarn in Crefeld.
617
sicherten, also in der Mehrzahl von Arbeitern besucht werden.
Immerhin ist meine Ueberzeugung, daß der Arbeiterstand, der
vor dem Kriege in bezug auf Geschlechtskrankheiten verhältnis¬
mäßig günstig dastand, heute prozentual viel stärker an den
Geschlechtskrankheiten beteiligt ist.
Als Arzt war es besondere wichtig für mich, zu erfahren,
wo sich die Männer angesteckt haben. In der weitaus größten
Zahl war es einmaliger Verkehr, wie ich im 2. Halbjahr 1921
zusammengestellt habe, in 442 Fällen 312 mal,*) der das Un¬
glück verschuldet hat. Man sieht daraus, mit welchem un¬
glaublichen Leichtsinn, um nicht zu sagen, mit welcher Frivo¬
lität heute manche Männer sich der Gefahr, eine Geschlechts¬
krankheit zu erwerben, aussetzen. In den meisten Fällen ist
das Mädchen dem Manne bis dahin ganz unbekannt gewesen,
woher es kam und was es war, kümmerte ihn nicht, die zu¬
fällige Bekanntschaft auf der Straße, in der Wirtschaft oder im
Kino genügte, um sich geschlechtlich mit dem Mädchen ein¬
zulassen (und zwar 50°/ 8 im Freien). Eine gefährliche Rolle
spielt der Alkohol. In einem erheblichen Prozentsatz erklärten
diie Männer, angetrunken gewesen zu sein. (Im ersten Halb¬
jahr 1922 von 264 Fällen 137). Etwa 26 °/ 0 der Geschlechts¬
kranken gaben an, sich die Krankheit durch Verkehr mit einer
Prostituierten geholt zu haben, (wieviel auf öffentliche und wie¬
viel auf geheime Prostituierte kommt, ist nicht sicher festzu¬
stellen), davon fällt nur ein,geringer Teil auf Crefelder Prosti¬
tuierte, die überwiegende Mehrzahl auf auswärtige. Es ist
aber dabei zu beachten, daß die den Vereicherungskreisen an¬
gehörenden Personen nur verhältnismäßig wenig Verkehr in
Bordellen oder Kasernierungen pflegen. Vielmehr handelt es sich
in der Mehrzahl der Fälle um Arbeiterinnen, dann kommen
Dienstmädchen.
Unter den 1448 Geschlechtskranken waren 696 Frauen.
Es ist nun interessant, daß die weiblichen Personen, die die
Beratungsstelle aufsuchten, doch bedeutend vorsichtiger gewesen
- sind, als die Männer. Nur in etwa einem Drittel der Fälle Tim
ersten Halbjahr 1922, nur in etwa 1 j i ) haben sie sich durch den
einmaligen Verkehr mit einem bekannten oder unbekannten
Manne angesteckt, in der Mehrzahl der Fälle handelte es sioh
um Infektion durch den Ehemann oder durch kürzer oder
länger dauernde Verhältnisse. Länger dauernd ist cum grano
salis zu verstehen, ich habe dahin gerechnet Verhältnisse, die über
3 Monate dauern, es gibt allerdings auch einige, die an 2 Jahre
anhielten, aber dann war es meistens aus.
Leider ist auch die Zahl der Frauen groß, die durch den
Ehemann infiziert worden sind. Im ersten Halbjahr 1922 waren
es von 189 verheirateten Frauen 114. Ein trauriges Zeichen
*) Im ersten Halbjahr 1922 von 399 Fällen 264 mal, davon 215 Frauens¬
personen, die bis dahin dem betr. Hanne ganz unbekannt waren.
618
Or. Klaholt.
der Zeit! Von 110 verheirateten Männern wurden dagegen
nur 30 durch ihre Frauen angesteckt!
Zum Schluß möchte ich kurz au! die Maßnahmen zur
Bekämpfung der Prostitution eingehen. Bekannt ist die scharfe
Stellungnahme der Abolitionisten gegen das heutige Dirnen¬
wesen, mannigfach sind die Gründe, die sie gegen die Reglemen¬
tierung der Prostitution anführen: es sei imsittlich, wenn der
Staat das Laster konzessioniere; die Reglementierung sei eine
sittenpolizeiliche Ausnahmemaßregel gegen das weibliche Ge¬
schlecht und deshalb ungerecht; die Reglementierung reize
die Männer geradezu zum Prostituiertenverkehr, da sie den
jungen Leuten eine Sicherung gegen Ansteckungsgefahren vor¬
spiegele, die nicht bestehe.
Die deutsche Vereinigung der Abolitionisten will die Prosti¬
tution durch ethische und soziale Reformen überwinden. Das
verdient gewiß unseren Beifall. Aber können wir wirklich die
Maßnahmen der ärztlichen Kontrolluntersuchungen entbehren?
Gewiß ist es ein Eingriff in die persönliche Freiheit, wenn wir
verlangen, daß diese Personen sich zweimal wöchentlich dem
Arzt vorstellen; aber haben sie sich nicht selbst in einen Aus¬
nahmezustand versetzt, indem sie ihren Körper gleichsam als
eine Ware einem jeden anbieten, der sie bezahlt? Sollen wir
denn lieber diese Frauen krank herumlaufen lassen und Zu¬
sehen, wie ihre Opfer verseucht werden? Keiner, der die Ver¬
hältnisse kennt, wird glauben, daß die Prostituierte auf ihren
Erwerb verzichtet, um die sie begehrenden Männer vor Krank¬
heiten zu bewahren. Mögen wir diejenigen verurteilen, die
sich dem lasterhaften Verkehr mit den Prostituierten ergeben,
wir haben aber kein Recht, gleichgültig zu bleiben gegen die
Gefahr der Verseuchung so vieler Männer, die nun ihrerseits
wieder das Gift auf andere, vielleicht auf ihre Ehefrauen über¬
tragen. So erkläre ich mich denn als ein Anhänger der ärzt¬
lichen Kontrolle der Prostitution. Das soll nicht heißen, daß
nicht manches in unserem ganzen Prostitutionswesen reform¬
bedürftig wäre. Da ist zuerst die Frage der Bordelle. Ich
möchte wünschen, daß sie sobald als möglich von der Bildfläche
verschwänden. In ihnen findet ja eine schamlose Ausbeutung
der Mädchen statt, da ein großer Teil, wenn nicht der größte,
ihres Sündengeldes einem habgierigen Wirte abgeliefert werden
muß. Damit bekämpfen wir auch am besten den Mädchen¬
handel, diesen Schandfleck unserer Zivilisation. Etwas anderes
ist es mit der sogenannten Kasernierung der Prostituierten,
wie wir sie z. B. in Crefeld haben. Gewiß ist auch hier die
Gelegenheit zur Ausbeutung der Prostituierten gegeben. Im
allgemeinen aber ist jedoch ein jedes Mädchen selbständig in
seiner Wohnung, und es hängt von ihm ab, welche Ausgaben
es machen will. Man mag ein wenden, es heiße den Weg zum
Laster den Männern sehr bequem machen, wenn man die Prosti¬
tuierten in eine nur allzubekannte Straße zwänge, es mag zu¬
gegeben werden, daß in diesen verrufenen Häusern der Trunk-
Ueber Prostitution and Dirnentam in Crefeld.
619
sucht und allerhand perversen Lastern gefrönt wird, aber glaubt
man, die Verführung wäre weniger groß und weniger bequem,
wenn die Prostituierten sich auf allen Straßen breit machen
und die jungen Leute abfangen, die angeheitert und klaren
Denkens beraubt in später Abendstunde aus den Wirtschaften
kommen? Man stelle sich einmal vor, die 60 Prostituierten,
die zurzeit in der Mühlenstraße kaserniert sind, würden dort
vertrieben, und müßten sich irgendwo in der Stadt ansiedeln.
Es ist ja Vorschrift, daß sie nicht in Häusern mit Kindern
wohnen dürfen, aber läßt sich das überhaupt durchführen?
Würde die Gefahr der Verführung für die Kinder und für
manches leichtsinnige jugendliche Mädchen nicht viel größer
sein? Und würde es nicht einen recht unangenehmen Ein¬
druck machen, wenn diese 60 Mädchen nun Abend für Abend
durch einige mehr oder weniger belebte Straßen strichen oder
die Cafds bevölkerten? Ob die sogenannten Absteigequartiere,
die es jetzt namentlich in Wien und Budapest geben soll, dazu
berufen sind, die Bordelle zu ersetzen, erscheint mir auch noch
sehr fraglich. Sie haben ja allerdings den Vorteil, daß die
Wohnung der Prostituierten frei bleibt von dem unsittlichen
Treiben. Ob die Uebervorteilung der Dirnen, (und erst recht
der mit ihnen verkehrenden Männer) geringer ist, als in den
Bordellen, kann ich nicht entscheiden. Vielfach sollen die Be¬
sitzer dieser Absteigequartiere feste Abmachungen mit einer
Anzahl von Dirnen getroffen haben, damit sie ihnen möglichst
viele „Hotelgäste“ zuführen. Der Terminus technicus dafür
soll lauten: „X. läßt so und so viele Rennpferde laufen“.
Nun hat man gesagt, daß auch die kasernierte Prostitution
die Straßen nicht säubere, da immer noch die geheime Prosti¬
tution die Straßen unsicher mache; die trüge ihren Namen mit
Unrecht, da sie keinem, selbst der Polizei nicht geheim blieben.
Ich glaube aber, daß diese geheime Prostitution in den mittleren
Städten wie Crefeld, doch in verhältnismäßig engem Rahmen
bleibt; jedenfalls ist es hier möglich, wenigstens einigermaßen
die Straßen zu überwachen. Für größere Städte gebe ich zu,
wird man die Straßenprostitution schwerlich durch Kasernierung
beseitigen können. Aber diese frei wohnenden Dirnen zu fassen
und auf ihren Gesundheitszustand genau zu überwachen, ist
eine Aufgabe, der wir im Interesse der Gesundheit unseres
Volkes gar nicht entraten können. Bis jetzt war die Polizei
damit betraut. Schon seit langem ist man dagegen Sturm ge¬
laufen und hat der Polizei vorgeworfen, daß sie so ungeeignet
wie möglich für diese Aufgabe sei. Ich will zugeben, daß man
nicht selten von groben Mißgriffen liest, die sich Beamte haben
zu Schulden kommen lassen. Zu verwerfen ist der bürokra¬
tische Geist, mit dem vielfach gegen die Prostituierten vor¬
gegangen wird. Aber man soll nicht ungerecht sein, man soll
auch anerkennen, was so manche Beamte der Sittenpolizei auf
diesem Gebiete geleistet haben. Es ist ganz gewiß keine leichte
Aufgabe, die großes Verantwortungsgefühl erfordert.
620 IV. Jahresvers. des Bezirksvereins Münster der prenß. Med.-Beamten.
Auch ich bin der Ansicht, daß es sich empfiehlt, alle die
Aufgaben, die jetzt der Sittenpolizei zufallen, von der Polizei los¬
zulösen, und ein eigenes Pflege- oder Gesundheits-, Sittenamt
oder wie man es sonst nennen will, zu schaffen. Ob an der
Spitze dieses Amtes ein aus der Polizeikarriere hervorgegan¬
gener Beamter steht, oder ein Arzt oder eine Frau, das ist
schließlich alles einerlei, wenn nur diese leitende Persönlichkeit
das nötige Interesse und das Herz auf dem rechten Fleck hat.
Allerdings wird man ohne die Hilfe der Polizei nie auskommen,
man kann auch gar nicht ihre in langen Jahren gesammelten
Erfahrungen entbehren, aber man möge mehr Wert legen auf
Sitten — Gesundheits- und wirtschaftliche Fürsorge und sich
von überstrengen Maßnahmen fernhalten. Diesem Pflegeamt
würde nicht nur die Prostitutions-Abteilung unterstehen, bei
der man* wohl männliche Beamte gar nicht entbehren kann,
sondern es würde sich gerade der aufgegriffenen und gefähr¬
deten Mädchen annehmen müssen. Dieses Amt soll auftreten
nicht als Rächerin der verletzten Sittlichkeit, sondern, bei aller
Energie gegen die sittlich verwahrlosten Mädchen, als eine
gütige Fürsorgerin für die leichtsinnig Gefallenen, die kranken
Mädchen wieder zur Gesundheit verhilft, die den Obdachlosen
ein Heim, den Arbeitslosen Arbeit verschafft und die alle wohl¬
tätigen Vereine vor ihren Wagen spannt, um die unglücklichen
Geschöpfe aus dem Sumpfe zu ziehen. Und dieses Pflegeamt
soll auch den Vorwurf beseitigen, den die Abolitionisten unserer
jetzigen Sittenpolizei machen, nämlich, daß sie die geschlechts-
kranken Männer ruhig laufen läßt, während die Frauen fest¬
gehalten werden. Hier sollen sich auch die Männer verant¬
worten, gegen die begründete Anzeige vorliegt, daß sie ein
weibliches Wesen mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt
haben, und wenn sich herausstellt, daß diese Leute trotz
Kenntnis von ihrer Krankheit in frivoler Weise Leben und
Gesundheit einer Frauensperson aufs Spiel gesetzt haben, dann
soll sie auch die ganze Schwere des Gesetzes treffen.
Ein solches Amt wird freilich Geld kosten, aber ich glaube,
wenig Geld wird so gut angelegt sein, wie dieses. Jedenfalls
müssen alle Stände und alle Parteien unseres Vaterlandes das
größte Interesse an der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
und an der sittlichen Hebung unseres Volkes haben.
IV. Jahresversammlung des Beslrksverelns Münster der
Preussischen Hedlsl mal beamten im Zivllklub au Münster
• am 7. Oktober 1928.
Anwesend: Heg.- and Med.-Rat Dr. Engels, die Kreisärzte Isfort,
Jacobi, Gtith, Althoff, Bahrs, Herne, Wolters, Wengel,
Schlaatmann, der Leiter des Medizinalnntersachangsamtes Prof. Or.
Besserer and dessen Assistent Med.-Rat Dr. Kersten.
Tagesordnung:
1. Besprechung des Entwurfs zn einem Tuberknlosegesetz. Der Vor¬
sitzende trägt den Inhalt des Entwurfs vor, woran sich eine sehr lebhafte and
eingehende Aassprache anschließt. Insbesondere die Frage, wann die Br-
Besprechungen.
621
krankung als ansteckend anzusehen, daher anzeigepflichtig ist, wurde aus¬
giebig besprochen und in vielen Fällen recht schwierig zu entscheiden be¬
funden. Auch die §§ 6 und 8 betreffend die vorgesehenen Maßnahmen gaben
zu längeren Erörterungen Anlaß, stellen sie doch für unsern tuberkulosereichen
Bezirk wesentliche und wohl recht schwierige VerA ehrung der amtlichen
Tätigkeit in Aussicht.
2. Besprechung Aber Familien« oder Sonderfflrsorgerlnnen mit be¬
sonderer Rücksicht auf die Tuberkulosefürsorge. Nach gründlicher Aus¬
sprache einigte man sich auf folgendes Ergebnis:
a) Die Tuberkulosefürsorge ist der wichtigste Teil der Gesamtfürsorge¬
tätigkeit des Kreisarztes.
b) Nach Möglichkeit soll die Tuberkulosefürsorge von der Familienfürsorge
getrennt werden, jedoch regelt sich das Verfahren im Einzelfalle nach
der Notwendigkeit in Stadt und Land.
8. Besprechung des neuen Hebammengesetzes und der neuen Ge«
blhrenordnnng für Hebammen. Es wurde namentlich auf die eigenartigen
Verhältnisse unseres Bezirkes hingewiesen, die weite Entfernung und die zer¬
streute Lage der Wohnungen lassen in vielen Fällen die freie Hebammenwahl
nicht zu.
4. Schreiben des Bezirksvereins der Medizinalbeamten des Regierungs¬
bezirks Liegnitz betr. Uebernahme der Kosten des Fernsprechers auf die
Staatskasse. Es wird beschlossen: Bezirksverein Münster bittet den Vorstand
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins schleunigst und nachdrücklichst er¬
neut den Antrag zn stellen an den Herrn Minister auf umgehende, den Teuerungs¬
verhältnissen entsprechende und rückwirkende Erhöhung der Amtsnnkosten-
enschädigung sowie auf Uebernahme der Kosten des Fernsprechers auf die
Staatskasse, soweit sie dem Dienstbetrieb znr Last fallen.
5. Schreiben des Kassenführers der Jnbiläumsstiftung des Preußischen
Medizinalbeamtenvereins betr. Beitragszahlung. Es wird beschlossen: Jedes
noch im Dienst befindliche Mitglied tritt der Stiftung als Mitglied bei mit
einem Jahresbeitrag von 50 M., die der Kassenführer des Bezirksvereins im
Januar einzieht und an die Stiftung abführt Wie üblich fand die Versamm¬
lung ihren Abschluß in einem einfachen Mittagessen und längerem, gemüt¬
lichem Zusammensein im Zivilklub. Dr. Schlau t mann-Münster.
Besprechungen.
Dm Gorundboltawesen dos Preusslsohen Staates in den Jahren
1910/20. Im Aufträge des Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt bearbeitet
in der Abteilung für Volksgesundheit des Ministeriums. Berlin 1922. Verlag
von Rieh. Schoetz. Gr. 8°, 177 Seiten.
Der soeben erschienene Bericht umfaßt die Jahre 1919 und 1920. Spar¬
samkeitsrücksichten waren es, die wie beim vorherigen Bericht über die Jahre
1914—1918 (s. die Besprechung in dieser Zeitschrift, 1921, S. 229) eine Ein¬
schränkung des Inhalts nötig machten und leider auch wieder die früheren, so
wertvollen Tabellen vermissen ließen. Hoffentlich werden künftig die Berichte
wieder alljährlich und im alten Umfange erscheinen können.
Der Bericht enthält vieles, was Zeugnis ablegt von der guten Hand¬
habung unserer Medizinalgesetzgebung auch unter den Schwierigkeiten der
Jetztzeit. Wir wollen nur kurz folgendes hervorbeben. Die Sterblichkeits¬
ziffer (auf 1000 Einwohner berechnet) betrag 15,8 im Jahre 1919, 15,4 i. J.
1920 und ist damit dem bisher niedrigsten Stand deB Jahres 1913 mit 14,9
wieder nahe gerückt.« Die Säuglingssterblicbkeit zeigte im Jahre 1919 mit
13,4 Todesfällen im ersten Lebensjahr auf 100 Lebendgeborene den günstigsten,
je in Preußen erreichten Stand; sie stieg im Jahre 1920 auf 14,4. Unter¬
schiede zwischen Stadt und Land waren kaum festzustellen. Die Geburten¬
ziffer erfahr in den beiden Jabren der Berichtszeit ein erhebliches Ansteigen
nach dem außerordentlichen Geburtenrückgang der Kriegsjahre; es kamen
1919 auf 1000 Einwohner 20,9 und 1920 etwa 26 Geburten, womit aber der
günstige Stand der Jahre 1913 und 1914 mit 29 bezw. 28,5 Geburten noch
nicht wieder erreicht ist
Besprechungen.
Die Seuchenbekämpfung bewegt sich in den altbewähren Bahnen mit
bestem Erfolge. Trotz der schwierigen Verhältnisse im ganzen Lande konnten
die Seuchen eingedämmt werden, und fanden namentlich Fleckfieber und Pocken
allen Befürchtungen zum Trotz keine stärkere Ausbreitung.
Im besetzten Qebiet wurde auf Anordnung der Besatzungsbehörden die
Anzeigepflicht auch auf bei uns nicht meldepflichtige Krankheiten (Masern,
Mumps, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose) ausgedehnt; auch wurden aus«
gedehnte Zwangsimpfungen gegen Typhus durchgesetzt. Cholera kam gar
nicht vor. Fleckfieberfälle wurden 2989 (376 -J-) bezw. 470 (58-4-) bekannt,
das sind immerhin verhältnismäßig viel Fälle gegenüber der Vorkriegszeit und
auch gegenüber den letzten Kriegsjahren. Pockenfälle kamen 2805 bezw. 2083
zur Anmeldung, die Sterblichkeit war etwa 15%; auch diese Ziffer erhebt sich
Aber den Durchschnitt der letzten Jahre. Die Pocken waren im Bezirk Oppeln
aus leicht erklärlichen Gründen besonders verbreitet; im Jahre 1920 kamen
hier allein 1260 Fälle vor. Von den einheimischen Seuchen erfuhr Diphtherie
eine merkliche Abnahme gegenüber den Kriegsjabren (78643 bezw. 53112
gegenüber weit über 10 )000 in den Jahren 1915—1918), ebenso Buhr, obwohl
diese noch erheblich häufiger war als in den Vorkriegsjahren (1919: 17201,
1920: 19846 Fälle, dagegen 1917 : 57503 Fälle). Der Typbus nahm wenigstens
im Jahre 1920 merklich ab. Scharlach war häufiger als im Jahre 1918, hat
aber doch im Vergleich zu den Jahren 1914—16 erheblich abgenommen. Die
Tuberkulosesterblichkeit erfuhr während der Berichtszeit einen nicht unbe¬
trächtlichen Rückgang (1919: 85996 Todesfälle = 21,9 auf 10000 Einwohner,
1920 : 59788 Todesfälle = 16,3 auf 10000 Einwohner.
Sehr im argen liegt das Wohnungswesen. Die Bautätigkeit bat zwar
zugenommen, aber der Wohnungsmangel ist beträchtlich und hat vielfach be¬
denkliche Formen angenommen.
Die Nahrungsmittelknappheit nebst dem hohen PreiB dafür hat die Zahl
der Verfälschungen erneblich steigen lassen. Erkrankungen infolge Genusses
verdorbener Nahrungsmittel kamen nicht selten, verschiedentlich epidemieartig
vor. Der Alkoholmißbrauch ist leider wieder in der Zunahme begriffen.
Die Jugend im schulpflichtigen Alter leidet noch immer stark unter der
ungenügenden Ernährung, wenn auch — dank der Quäkerspeisungen — eine
gewisse Besserung eingetreten ist.
Die Kurpfuscher stehen „in bisher nie dagewesener Blüte“.
So sind es teils erfreuliche, teils aber auch betrübende Bilder, die hier
vor Augen geführt werden. S o 1 b r i g.
Prot Dr. Q. Grober in Jena: Das deutsche Krankenhaus. Unter Mit¬
wirkung von Prof. Dr. E. Dietrich, Wirkl. Geh. Med.-Rat nnd Ministerial¬
rat in Berlin und zahlreichen Mitarbeitern herausgegeben. Zweite Auflage.
Mit 380 teilweise farbigen Abbildungen im Text, einer lithographischen Tadel
und einer Beilage. Jena 1922. Gr. 8°, 932 Seiten. Preis: 300M., geb. 360M.
Die zweite Auflage des schon Beit Jabren vergriffenen Werkes soll neben
seiner bisherigen Aufgabe einer Darstellung des deutschen Krankenhauswesens
und seiner Entwicklung dem Ausland den Beweis erbringen, daß sich unser
Vaterland trotz der traurigen augenblicklichen Verhältnisse bemüht hat, sich
auch weiterhin den Vorrang auf diesem Gebiete zu sichern. Gegenüber der
ersten Auflage hat deshalb das Werk mancherlei Verbesserungen und Umände¬
rungen erfahren, ohne daß sich sein Umfang selbst vergrößert hat. Insbesondere
ist der zweite Abschnitt über die Bauausführung der Krankenhäuser, der jetzt
von dem Stadtbaurat Winterstein in Charlottcnburg bearbeitet ist, voll¬
ständig umgearbeitet; an Stelle des fortgefalienen Abschnittes über militärische
Krankenanstalten ist ein neuer Abschnitt über Krankenhäuser für Leicht- und
Chronischkranke getreten, der von Ministerialdirektor Prof. Dr. A. Gottstein-
Charlottenburg verfaßt ist. Vollständig neubearbeitet ist endlich der Abschnitt:
„Behördliche Bestimmungen über Anlage, Bau, Einrichtung und Betrieb von
Krankenanstalten“ (Geh. Ob.-Mcd.-Rat Dr. K r o h n e - Berlin). Alle übrigen Ab¬
schnitte haben von den bisherigen Verfassern zeitgemäße Umänderungen erfahren;
einige der Verfasser haben sich dabei noch in anerkennenswerter Weise bemüht,
alle Fremdwörter zu vermeiden. Dem Werke würde es bei einer künftigen Neu*
Tagesnachrichten.
auflage zum Vorteil gereichen, wenn dies in «llen Abschnitten geschehen
wGrde; desgleichen sollten der größeren Einheitlichkeit wegen bei allen Ab*
schnitten and nicht blos bei einigen Literaturverzeichnisse beigelügt and diese
einheitlich alphabetisch geordnet werden. In einem Werke, das mit Recht den
Titel „Das deutsche Krankenhaus" führt, berührt es übrigens eigentümlich,
wenn unter den Beispielen von Bauplänen auch ausländische, nicht einmal
besonders hervorragende Krankenanstalten in Abbildung mitgeteilt werden; sie
können unseres Erachtens recht gut entbehrt und durch einheimische Muster¬
beispiele ersetzt werden. Das im übrigen vortreffliche und auch von dem
Verlag gut ausgestattete Werk wird dann noch in erhöhtem Maße den Wunsch
des Verfassers erfüllen, daß es „bei uns Nutzen stiften und draußen für Deutsch¬
land werben möge“. _ Rpd. sen.
Kedinlnalrat Dr. Blume: Der Samariter. I. Leitfaden für die erste Hilfe
bei Unglücksfällen. II. Abbildungen dazu. 6. Auflage. Karlsruhe 1922.
Verlag von G. Braun. Kl. 8. 5S S. Preis: 18 M.
Der kleine Leitfaden, dessen 3. Auflage in dieser Zeitschrift 1914 S. 486
besprochen wurde, hat seitdem verschiedene weitere Auflagen erlebt, ohne daß
wesentliche Aenderungen daran vorgenommen sind. Der Text ist so eingeteilt,
daß der Arzt danach in 5 Doppelstunden den Unterricht in der ersten Hilfe
erteilen kann. Die Abbildungen ergänzen den Text. Dem Notheifer soll zu-
{ gleich damit ein Ratgeber in die Hand gegeben werden. Die mehrfachen Anl¬
agen sprechen von selbst für die Zweckmäßigkeit des Dargebotenen.
_ Solbrig.
Tagesnachrichten.
In einer Denkschrift, die bereits im Sommer dem Landtag überreicht
wurde, hat das Preußische Woblfahrtsministerium den gesetzlichen Austausch
von Gesnndheitszengnissen vor der Ehe warm befürwortet.
Jetzt hat der bevölkerungspolitische Ausschuß des Landtages folgende
Anträge angenommen:
1. Das Staatsministerium wird ersucht, dem Landtag möglichst bald
eine Gesetzesvorlage zugehen zu lassen, durch die vor Eingehung einer Ehe
der Austausch von Gesundheitszeugnissen vorgeschrieben wird mit der Maßgabe,
daß daraus nicht die Folgerung eines Eheverbots gezogen wird;
2. an allen Universitäten öffentliche Vorlesungen über Vererbungslehre
vornehmlich für die angehenden Aerzte halten zu lassen;
8. in den Schulen und Fortbildungsschulen in einer dem Verständnis
der Jugend angepaßten Form Belehrung über die gesundheitlichen Grundlagen
der Ehe erteilen zu lassen. (Deutsche med. Wochenschrift, 1922, Nr. 46.)
Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten hat in ihrer letzten Ausschußsitzung den durch den Tod ihres lang¬
jährigen Vorsitzenden Bla sch ko frei gewordenen Posten des Vorsitzenden
dem Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Jadassohn in Breslau übertragen.
In den Ausschuß ist neu berufen der Reg.- und Geh. Med.- Rat
Dr. Solbrig in Breslau. _
Ein Fortbildnngslehrgang für Kreisärzte ln Preußen findet in Berlin
in der Zeit vom 13. November bis 2. Dezember statt. 24 Teilnehmer waren aus
den verschiedenen Regierungsbezirken dazu einberufen, außerdem 3 nicht¬
preußische Medizinalbeamte (aus Arolsen, Danzig und Zerbst).
Nach der vorliegenden Zeiteinteilung sind Vorträge und Uebungen im
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“, im Institut für Staatsarznei-
künde, im hygienischen Institut der Universität, im Oskar-Helenenheim in
Dahlem, im Institut für angewandte Psychologie, in der Staatlichen Nahrungs-
mitteluntersuchungsanstalt, ferner Vorträge in der Landesanstalt für Wasser¬
hygiene, im Pathologischen Institut des Krankenhauses Westend, in der Landes¬
versicherungsanstalt Berlin, im Kaiserin Auguste Viktoriahaus und im
Ministerium (über Seuchenvorschriften, Medizinalstatistik und Leibesübungen)
vorgesehen. — Wie man sieht ein reiches, abwechslungsvolles Programm, das
634 Tagesn&chrichten. <
gewiß nicht verfehlt haben' wird, die Teilnehmer in hohem Maße za fesseln
and za fördern!
Aas Bayern wird über neuerdings dort wieder eingeführte Titel*
Verleihungen folgendes geschrieben (Münch, med. Wochenschrift):
„Die seit längerer Zeit angekündigte Ernennung einer größeren Zahl
bayerischer Aerzte zu Sanitätsräten and Geheimen Sanitätsräten ist jetzt er¬
folgt. Man kann es bedauern, daß die durch die neue deutsche Verfassung
ausgesprochene Abschaffung der Titel auf dem Papier stehen geblieben ist;
nachdem aber einmal mit der Verleihung aller möglichen anderen Titel, ins¬
besondere des Jastizrattitels an Bechtsanwälte und Notare, der Verfassungs-
paragraph durchlöchert war, war es begreiflich, daß auch die Aerzte die
Wiedereinführung des beliebten Titels forderten. Die Regierung konnte sich
der Berechtigung dieser Forderung nicht entziehen. Für die Abschaffung der
Titel scheint das deutsche Volk noch nicht reif zu sein. Das haben unsere
Begierungen selbst bewiesen, die mit Hilfe einer weiten Auslegung des Be-
? >riffe8 ,Dienstbezeichnung 1 eine Flat neuer Titel geschaffen und dadurch auch
n nichtbeamten Kreisen den Wunsch nach den alten eingebürgerten Titeln
wieder erweckt haben.“
Man wird kaum in der Annahme fehlgehen, daß auch in anderen Ländern
die Wiedereinführung der Verleihung des „8anitätsrats“ oder „Geheimen
Sanitäterats“ in Aerztekreisen nicht ungern gesehen werden würde!
Gerichtliche LelchenSffnongen Unter Zuziehung eines Pathologen in
Sachsen.
Das Sächsische Landesgesundheitsamt hat angesichts der für die Zwecke
der Rechtspflege nicht allenthalben befriedigenden Sektionsberichte angeregt,
daß künfiig zu jeder gerichtlichen Leichenöffnung neben dem Gerichtsarzt in
der Regel ein Facharzt für pathologische Anatomie zugezogen werde (§ 87
8LP.OA
Das Justizministerium stimmt mit dem Ministerium des Innern darin
überein, daß der Zuziehung eines pathologischen Anatomen in jedem einzelnen
Falle zurzeit im Hinblick auf die hierdurch zu erwartenden Mehrkosten über¬
wiegende Bedenken entgegenstehen. Von der Zuziehung eines solchen Arztes
wird insbesondere dann abgesehen werden können, wenn der Fall eine dadarch
bedingte Verzögerung nicht verträgt oder wenn aus besonderen Gründen, deren
Beurteilung im einzelnen Falle dem pflichtgemäßen richterlichen Ermessen über¬
lassen bleiben muß, der entstehende Mehraufwand nicht gerechtfertigt erscheint
Diesen Erlaß hat das Sächsische Ministerium der Justiz kürzlich heraus¬
gegeben und dazu bemerkt, daß der Generalstaatsanwalt die Staatsanwalt¬
schaften veranlassen wolle, diesen Gesichtspunkten vorkommendenfalls Rech¬
nung za tragen. Das Ministerium des Innern veröffentlicht diesen Erlaß unter
dem 15. September 1922.
Dieses Vorgehen bedeutet ein Novum in der Obduktionspraxis. Es will
ans scheinen, daß zum mindesten da, wo besondere Geriehtsärzte tätig sind,
die Zuziehung eines pathologischen Anatomen entbehrlich sein dürfte!
Mitteilung der Schriftleitung.
Die Herausgabe dieser Nummer hat sich leider verzögert. Sebald daran
war, daß eine Sendang an die Druckerei nicht angekommen ist, wovon der
Schriftleiter erst im letzten Augenblick Kenntnis erhielt. Einige Manuskripte
und Mitteilungen sind auf diese Weise verloren gegangen. Unter anderen
soUte diese Nummer Mitteilungen des Vorstandes und Näheres
über die neueBesoldang bringen. Dies wird alsbald nachgeholt werden.
Die betr. Autoren, deren Beiträge leider abhanden gekommen sind, werden be*
sonders benachrichtigt werden.
Verantwortlich für die Behrlftieitung: Geh. Med.-Rat Dr. Bolbrlf, Heg.- n. Med.-Rat ln Breelaa
Breslau V, RehdlgerstraAe 84. — Druck tob J. 0. O. Bruns, Minden L W.
3. Dez. 1922.
35. Jahrii.Nr.33.
ZEITSCHRIFT
FÜR
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1882 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prol. Dr. RAPMUND.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin nnd Psychiatrie, des sfoat-
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene.
Her&nsgegeben von
Med.-Rat Dr. Bnndt- Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München,
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schultze- Göttingen, Prot
Dr. Sleveklng-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straflmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ des Deutschen. Preusslscben. Bayerischen. Sächsischen,
Wfirttemberglscben. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischem. Thüringischen
und Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins.
Eine Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung.
Schriftleitung: Verlag:
Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Flscber’s med. Mhandluug H. Hornleid,
leg.- h. Med.- Rat in Breslau. Berlin W. 62 . KeittistraBe 5 .
Bezugspreis für das IV.Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 M.
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Kräftigt den gesamten Organismus.
Proben und Literatur vom Le ein werk Hannover.
Zeitschrift für MedizinalbeaiiiLe,
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Zeltsohriften.
Dr. Ascher: ZwauKsimplun« und Blattern-
*CflUt/.. 644
Dr. J. R Spinner: A**r/te al* Uiffm^ehcr. 6i5
Besprechungen > . . - > . . 645
Tagesnaohrtohten..646
Ofhubreo und Dito»Uufw&ud.04?
Berifhtl^ubijen ......... b4?
Bekanntmachung d»*i Vor*(«nde* drsPrfäö.
Mr ; *4UiiiiftU»eHa)tefiTcroi£i!i .... *«4S
Beilage:
HechtJfprcfhunp.. . lOl
ModizUial^p^etz^nbao^ » . i . . t<tt
Umschlag-: FVrson*Jien.
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Dio nt-tieo Bo *o)d u n g > rorÄrh ri/t «• n , Votn
Schriftleiter ....... 6!
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1888 mitbegrQndet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.- Rai Prot. Dr. RAPMUNO.
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Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
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Schriftleitung: Verlag:
Geh. Med.-Rat Dr, Solbrlg, Flscber’s raed. Buchbandlang fl. Kornfeld,
Big.- 1 . lad.-Bat In Breslaa. Berlin V. 62, KeltbstraBa 5.
Bezugspreis für das IV. Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 Mark.
Nr. 23.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monats
5.
Dez.
Ein Schlusswort.
Von Eireismedizinalrat Dr. Hahn - Königsberg i. Pr.
Die „Entgegnung des Stadtmedizinalrats Dr. Jankowski“
in Nr. 20 dieser Zeitschrift geht um den Kern meines Artikels
„Gegen den Kreisarzt“ herum.
Ob Dr. J. im übrigen die Aufgabe der „Zentralisation
des Gesundheitswesens in einem Bezirk mit folgender weitest¬
gehender Dezentralisation“ in der Weise gelöst sehen will, daß
der historisch ältere — und im speziellen Fall auch bezüglich
Lebens- und Dienstalter ältere — „Kreisarzt“ Zentralstelle
werden soll?
Dr. J. spricht von „unnötiger Schärfe“! Nun — wenn
die „Arbeitsgemeinschafts-Bestrebungen“ der Kommune und
ihres ärztlichen Beraters schließlich darin gipfeln, daß das Amt
des Staatsmedizinalbeamten zu einem Torso verstümmelt werden
soll — nämlich wenn diesem gütigst noch „die Ueberwachung
des Meldewesens der Medizinalpersonen, des Heilgewerbes und
der Prostitution gestattet wird“, ist’s da zu verwundern, daß
der Kreisarzt sich mit aller Schärfe zur Wehr setzt, zumal es
626
Dr. Aust.
sicherlich nicht dem Gesundheitswesen zum Heil gereichen
wird, wenn das kreisärztlichg Amt — auch nur teilweise — in
kommunale Hände übergeht.
Vielleicht und — hoffentlich — setzt kommunalerseits
ein freundlicherer und befriedigenderer Geschäftsverkehr ein,
sobald die Zentralbehörde endgiltig ihren Standpunkt dahin be¬
kannt gibt, daß die bisherigen Befugnisse des Kreisarztes voll
bei dem Staatsbeamten bleiben.
Was die Ausführungen zu der Paratyphusepidemie an¬
betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß das Wasserwerk zu den
„Städtischen Werken G. m. b. H.“ gehört und daß die Kreis¬
ärzte korrekt mit dieser „Firma“ und dem Hygienischen Institut
gearbeitet haben. Bezüglich der „Richtigstellung in der Presse“
muß ich auf Detaillierung verzichten; sie käme auf eine
Polemik hinaus. Ich kann es mir aber nicht versagen, zu be¬
merken, daß der Herr Minister auf Grund der von seinen
Fachreferenten getroffenen Feststellungen den bei der Be¬
kämpfung der Paratyphus-Wasserleitungsepidemie beteiligten
Beamten seine volle Anerkennung ausgesprochen hat, und daß
das Vorgehen des Herrn Polizeipräsidenten (dessen technischer
Berater ja der Kreisarzt ist) als „korrekt und, wie auch der
Erfolg gelehrt habe, als durchaus zweckmäßig“ anerkannt
worden ist.
Sapienti sat — schließe auch ich.
Die Amtsun kosten
der preussischen Medizinalbeamten.
Von Med.-Rat Dr. Aust in N&aen.
Die preußische Regierung hat bereits in der Vorkriegszeit
wiederholt anerkannt, daß die Teilbesoldung der Kreisärzte nicht
mehr den an sie gestellten Dienstanforderungen entspricht. Im
Verfolg der in dieser Richtung seit langen Jahren gepflogenen
Verhandlungen ist die Absicht des zuständigen Ministeriums
und der Staatsregierung, die Durchführung der allgemeinen
Vollbesoldung der Kreisärzte zu beschleunigen, nachdrücklich
betont worden. Als Erfolg der diesbezüglichen Bestrebungen
des Wohlfahrtsministeriums ist zu buchen, daß gegenwärtig
43 °/ 0 aller Kreisärzte vollbesoldet sind.
Daß die Kreismedizinalbeamten in ihrer überwiegenden
Mehrzahl vollbeschäftigt sind, bedarf in diesen Blättern und an
den maßgebenden Stellen des zuständigen Ministeriums keiner
Begründung mehr, und wenn noch viele Kreisärzte bei völliger
Unmöglichkeit der Ausübung von Privatpraxis seit Jahren
der Vollbesoldung harren, so kann der Grund nur in der
Richtung der staatlichen Sparsamkeitsbestrebungen zu suchen
sein, da andere Gründe nicht ersichtlich sind. Wiewohl sich
gegen diese Art Sparsamkeitsbetätigung zu Lasten einer be-
Die Amtsankosten der preußischen Medizinalbeamten.
627
stimmten Beamtengruppe sehr viel einwenden läßt, haben sich
die in Frage kommenden Kreisärzte doch mit der Versicherung
einer schnelleren Durchführung der allgemeinen Vollbesoldung
zunächst abgefunden. Ob aber ein solcher Zustand von halber
Hoffnung und halber Entsagung noch lange anhalten wird,
erscheint bei der unheimlich steigenden Teuerung und der Un¬
möglichkeit vieler Med.-Beamten, nennenswerte Nebeneinnahmen
zu erzielen und sich dadurch wirtschaftlich über Wasser zu
halten, mehr als fraglich. Das um so mehr, als die meisten
voll- und halbbesoldeten Kreisärzte infolge der gänzlich un¬
zureichenden Amtsunkostenentschädigung gezwun¬
gen sind, den größten Teil der Nebeneinnahraen auf die tat¬
sächlichen Aratsunkosten zu verwenden. Bei den vielbeschäf¬
tigten vollbesoldeten Kreisärzten verschlingen die Amts¬
unkosten schon jetzt fast alle Nebeneinnahmen. Der
Betrag der 1921 festgesetzten und seitdem trotz der Teuerung
imveränderten Aratsuükostenentschädigung von 3600 bezw.
2400 Mk. ist ein so winzig niedriger, daß er heute nicht einmal
mehr zur Beschaffung der allernotwendigsten Copialien aus¬
reicht. So mußte z. B. ein Kreisarzt kürzlich berichten, daß
er nicht mehr in der Lage sei, ein Tagebuch zu führen,
da der Neuanschaffungspreis eines solchen die Summe seiner
gesamten Amtsunkostenentschädigung übersteige. Wenn man
bedenkt, daß die tatsächlichen Amtsunkosten genau in dem
Maße gestiegen sind, wie die Preise für Papier, Formulare,
Tinte, Feuerung, Beleuchtung, Wohnungsmiete, Handwerker¬
preise, Bedienung, Gehalt für Schreibhilfe usw. — nämlich um
das 800 bis 1000 fache —, so ist aus der Bemessung einer Amts-
unkostenentschädigung von 3600 Mk. für den vollbesoldeten
und von 2400 Mk. für den nicht vollbesoldeten Kreisarzt, also
auf das Drei- bis Vierfache, zu schließen, daß die Staatsregierung
von den Kreisärzten verlangt, sie sollen die an den tatsächlichen
Unkosten fehlenden großen Summen aus eignen Mitteln be¬
streiten. ln der Tat ist ihnen auch bisher nichts anderes übrig
geblieben, und da die nur auf den 30 fachen Friedenswert fest¬
gesetzten Gebühren gegenüber den mit der bisher 800 bis
1000 fachen Markentwertung stetig steigenden Amtsunkosten
trotz aller Weisheit der Finanzmänner immer geringer werden
müssen und für die Deckung der Amtsunkosten bald nicht
mehr ausreichen können, so ist mit mathematischer Sicherheit
damit zu rechnen, daß die meisten Kreisärzte nunmehr ge¬
zwungen sein werden, die Unkosten für den Staat auch noch
von der Substanz ihres Gehalts zu ergänzen.
In der Vorkriegszeit wurde den vollbesoldeten Kreisärzten
eine Amtsunkostenentschädigung von 1200 Mk., den nicht voll¬
besoldeten von 450—600 Mk. gewährt.
Daß mit dieser Entschädigung die meisten Kreisärzte sich
zufrieden gaben, obwohl sie auch damals für die Bürobedürf¬
nisse nicht ausreichte, lag daran, daß Frau oder Tochter im
Büro halfen, die Instandhaltung der Büroräume, ihre Heizung
628
Dr. Aast.
und Beleuchtung usw. au! allgemeine Haushaltungskosten mit
übernommen wurden und die Kreisärzte noch meist in der
Lage waren, einen großen Teil ihrer schriftlichen Büroarbeiten
selbst zu erledigen. Das ist heute, nachdem die Arbeitslast
vielfach auf das Doppelte gestiegen ist und die Kraft der Haus¬
frau oder Tochter bei den Riesenlöhnen der Dienstboten und
deren „Mentalität“ mehr als voll im Haushalt ausgenützt werden
muß, einfach unmöglich. Es muß unbedingt bestritten werden,
daß ein vollbeschäftigter Kreisarzt heute noch physisch in der
Lage ist, neben seiner hochwertigen geistigen Amtsarbeit 2 bis
3 Stunden täglich sich mit Journaleintragungen, Registratur¬
arbeiten und Abschriften oder Maschinenschreiben zu beschäf¬
tigen, ohne in kurzer Zeit unter solcher Last zusammenzubrechen.
Diese Frage muß heute als ganz indiskutabel ausscheiden.
Der Med.-Beamte ist, wie jeder vollbesoldete Staatsbeamte,
berechtigt, vom Staate zu verlangen, daß die für die Durchführung
seiner amtlichen Tätigkeit nötigen Geldmittel vom ersteren
voll zur Verfügung gestellt werden. Die Flut der Erlasse und
Verfügungen, die die Forderungen an rein büromäßige Arbeit
der Kreisärzte in steigendem Maße erhöht hat, setzt, so not¬
wendig sie sein mag, mit logischer Folge die Zuwendung
der für die technische Durchführung aller dieser Forderungen
notwendigen Einrichtungen und Anschaffungen voraus. Bisher
haben die Kreisärzte sich nicht nur mit der winzigen Amts¬
unkostenentschädigung begnügt, sondern sogar noch die ledig¬
lich für die Amtstätigkeit nötigen Büroeinrichtungen auf
eigene Kosten angeschafft und unterhalten und dadurch dem
Staate große Summen erspart. Sie waren sozusagen halb im Ehren¬
amt tätig. Die gegenwärtigen Verhältnisse mit ihren hohen
Ansprüchen an die Med.-Beamten fordern nunmehr aber gebie¬
terisch eine Lösung auch dieser Frage in dem einen oder andern
Sinne. Entweder stelle der Staat jedem Medizinalbeamten ein
voll ausgerüstetes Büro mit allen Gebrauchsmitteln nebst den
tatsächlichen Unterhaltungskosten zur Verfügung, wie jedem
anderen Beamten von gleichem Dienstbetriebe, oder er gewähre
ihm eine Dienstaufwandentschädigung, die dem tatsächlichen
Aufwande entspricht. Eine Berechnung der notwendigen Summen
ist durch Vergleich mit anderen Beamtenkategorien z. B. den
Gewerbeaufsichtsbeamten, den Oberförstern, den Bauräten u. a. m.,
denen ihre Amtsunkosten restlos wiedererstattet werden, durch¬
aus einfach. Sie werden jedenfalls eine ganz andere Höhe
erreichen, als die von uns bisher vergeblich geforderte Amts¬
unkostenentschädigung und dem Staate vor Augen führen,
welche gewaltigen Summen ihm die Med.-Beamten durch die
bisherige Methode zum Schaden der ihnen zustehenden Ein¬
künfte und ihrer Gesundheit gespart haben. Der Zustand, daß
der Staat noch länger sozusagen Kostgänger bei einer durch
Art, Gefahr und Umfang ihrer Tätigkeit und durch geringe
Aufstiegsmöglichkeit ohnehin besonders benachteiligten Beamten¬
gruppe sein könne, ist unhaltbar.
Die Amtsankosten der preußischen Medizinalbeamten.
629
Die Einwendungen gegen eine volle Aratsunkostenent-
schädigung sind ebenso bekannt wie unbegründet. Die beiden
Hauptbedenken, nämlich die Höhe der kreisärztlichen Neben¬
einnahmen und die Mitbenutzung der Büroräume und -einrich-
tungen zu privaten Zwecken sind leicht zu widerlegen. Man
mahnt nicht selten in den Kreisen der Med.-Beamten selbst,
mit den Forderungen zurückzuhalten, da die Nebeneinnahmen
doch nun einmal tatsächlich vorhanden seien und eine Ent¬
ziehung derselben durch den Ersatz der vollen Amtsunkosten
nicht ausgeglichen werden könnte. Ich bin ganz entgegenge¬
setzter Ansicht. Wir brauchen mit unseren Nebenein künlten
durchaus nicht hinter dem Berg zu halten und können uns mit
vollem Recht au! andere Beamtengruppen berufen.
Ich kenne heute nur wenige höhere und mittlere Beamte,
die nicht eine Nebenbeschäftigung mit Nebeneinkünften hätten,
ohne daß die Vorgesetzte Behörde bisher auf den Gedanken
verfallen wäre, ihnen diese etwa zu verbieten oder auf ihr
Gehalt anzurechnen. Hat man den staatlichen Studienräten je
Privatunterricht oder fortlaufende literarische Tätigkeit verboten
und die aus dieser Tätigkeit gewonnenen Einkünfte ihnen nach¬
gerechnet oder gar von ihrem Gehalt abgezogen? Erhalten
nicht die staatlichen Richter für ihre Tätigkeit an den Versor-
f ungsgerichten und an den Mieteinigungsämtern entsprechende
Intschädigungen, ohne daß ihnen diese auf das Gehalt ange¬
rechnet werden, obwohl sie während dieser Nebentätigkeit
dem Staatsdienst entzogen werden? Oder will man etwa
behaupten, daß die Landräte, die Bauräte, Regierungs- und
Med.-Räte und selbst die höheren Verwaltungsbeamten der
Ministerien ausnahmslos trotz ihrer meist weit höheren Gehäl¬
ter ohne Nebenämter und Nebeneinkünfte seien? Die meisten
Beamten der Gruppen VII—XII sind, da trotz aller Aufbesserungen
das hundertfache Gehalt gegenüber einer 800 bis 1000 fachen
Teuerung mit mathematischer Bestimmtheit durchaus unzu¬
reichend ist, einfach zu Nebenverdiensten gezwungen, um nicht
zu hungern. Weshalb hält man ausgerechnet den Med.-Beamten
ständig ihre Nebeneinkünfte vor und verlangt nur von ihnen
allein, diese zur Deckung der staatlichen Dienstunkosten zu
verwenden? Die Versorgungsärzte sind vollbesoldet, rangieren,
obwohl sie keine besondere staatsärztliche Prüfung zu absol¬
vieren brauchen, in den Gehaltsgruppen X— XII, besitzen ihre
staatlichen Büros und reichliche Bürohilfe, ohne auch nur einen
Pfennig dafür aufwenden zu brauchen und sind durch keine
Bestimmung an der Ausübung von Privatpraxis gehindert, die
den nur in Gruppe X— XI rangierenden Kreisärzten untersagt
ist und zu deren Ausübung sie infolge ihrer dienstlichen Inan¬
spruchnahme auch gar keine Zeit hätten.
Es scheint nicht überflüssig zu sein, darauf hinzuweisen,
daß die Kreisärzte, wie keine andere Beamtengruppe, einer
besonders langen und kostspieligen Vorbildung bedürfen, daß
sie die nur für sie besonders vorgeschriebene staatsärztlichc
680
Dr. Aast.
Prüfung in einem Alter ablegen müssen, in dem andere Beamte
längst in Amt und Würden sind, daß sie die staatliche An¬
stellung durchschnittlich erst im 35. Lebensjahre erhalten und
daß ihr Beruf sie, wie z. B. bei der Seuchenbekämpfung und
bei Leichenöffnungen, mehr als jeden anderen Beamten in
Gefahr bringt. Sie glauben, in der gleichen Gefahrenklasse,
wie beispielsweise die Beamten der Schutzpolizei und des Eisen¬
bahnfahrdienstes zu sein und das gleiche ihnen bisher hartnäckig
verweigerte Anrecht auf „besondere Stellung“ mit entsprechend
höherer Gehaltsgruppierung, wie jene, zu besitzen.*) Es scheint
nach allen bisherigen Erfahrungen sich nicht zu erübrigen,
darauf hinzuweisen, welche Opfer in dieser Hinsicht die Med.-
Beamten der Allgemeinheit bereits gebracht haben, wie die
22°/o Verluste an Seuchen allein in Polen beweisen, nicht zum
Zweck der Selbstbeweihräucherung, sondern um uns selbst die
schier unverständliche und meist missverstandene Bescheiden¬
heit endlich einmal abzugewöhnen. Wir haben nicht nötig, mit
unseren Leistungen gegenüber anderen Beamten zurückzuhalten,
mit Entsagung die winzige Amtsunkostenentschädigung als etwas
Gottgewolltes hinzunehmen und unsere Nebeneinkünfte etwa
als außergewöhnliche vom Staate mit stillschweigendem Wohl¬
wollen genehmigte Zuwendungen schamhaft zu verschweigen
und froh zu sein, wenn wir mit ihnen die staatlichen Amts¬
unkosten decken können.
Tatsächlich liegen die Verhältnisse heute doch so, daß
die Nebeneinnahmen meist unter ausnehmend niedriger Fest¬
setzung der Entschädigung in außerdienstlicher Überstunden¬
arbeit verdient werden müssen und die Nebenämter nur in
ganz geringem Maße die Mitbenutzung der selbstangeschafften
Büroeinrichtungen erfordern. Und wenn die Kreisärzte auf den
Erlaß des Min. f. Volks Wohlfahrt vom 13. März d. J. auf Ehre
und Gewissen ihre tatsächlichen Amtsunkosten berechnen
mußten und von diesen etwa ein Drittel als für private Zwecke
verwendet abzogen, was weit über die wirklichen Summen hinaus¬
geht, so haben sie ein Anrecht darauf, daß solche Berichte in der
Richtung Verwendung finden, in der sie gefordert wurden,
nämlich zu der endlichen Festsetzung und Nachzahlung einer
den Zeitverhältnissen entsprechenden Amtsunkostenentschädi¬
gung. Das soll nicht als Almosen aus Mitleid für ihre Lage
betrachtet werden, sondern eine Rückerstattung der
Summen sein, die sie seit Jahr und Tag für den
Staat verauslagt haben.
In anderen Bundesstaaten hat man besondere Gerichts¬
ärzte. In Preußen versehen trotz des unleugbar gleichen Be¬
dürfnisses die vollbesoldeten und meist ohnehm schwer arbeits-
*) Nach der Statistik der Gothaer Bank über einen 78 jährigen Zeitraum
betrag die Sterblichkeitsziffer a) für Gymnasiallehrer 83, b) für Geistlicüe 86,
c) für Forstbeamte 88, d) für Aerzte 110. Die hohe Sterblichkeit der Aerate
wird mit Becht auf die berufliche Ansteckungsgefahr zurückgeführt, was für
die Medizinalbeamten natürlich erst recht zutrifft.
Hygiene und soziale Medizin im Volksbelehrongsfilm.
631
belastenden Kreisärzte die wahrlich nicht leichte und angenehme
gerichtsärztliche Tätigkeit vorwiegend in außerdienstlicher Zeit,
wodurch sie dem Staate Millionen von Gehältern für die beson¬
deren Gerichtsärzte sparen. Daß sie die gerichtsärztlichen
Gebühren für diese Mehrarbeit obendrein noch der Staatskasse
zuführen müssen, ist eine unbillige Ausnahmebestimmung, deren
Beseitigung ebenfalls seit Jahr und Tag vergeblich angestrebt wird.
Mit dem Ablieferungszwang für die gesamten sogenann¬
ten amtsärztlichen Gebühren befinden sich die vollbesoldeten
Kreisärzte bereits in einer nachteiligen Ausnahmestellung, eine
solche ist ihnen weiter mit der Beschränkung auf die Gehalts¬
gruppen X—XI und mit der ihnen auf gezwungenen Amtsbe¬
zeichnung zugewiesen, man verlange nicht noch von ihnen,
daß sie dem Staate durch Überstundenarbeit die Kosten für
die Amtsführung verdienen oder gar aus dem Gehalte ergänzen.
Man befreie sie endlich von der dauernden wirtschaftlichen
Bevormundung, deren sie ebensowenig bedürfen, wie andere
Beamtengruppen, stelle sie diesen gleich und nehme die dies¬
bezüglichen Vorschläge des Ministeriums für Volks Wohlfahrt,
dem ihre Lage wohl bekannt ist, endlich an, sonst müßten sie
schließlich zu dem niederdrückenden Glauben gelangen, ihre
berechtigten Forderungen fänden nur deshalb kein Gehör, weil
hinter ihnen nicht die große Masse steht.
Nicht nur die historische Sparsamkeit hat Preußen hoch
gebracht, sondern auch das nicht minder bedeutungsvolle „suum
cuique“. _
Hygiene undsozialeMedizinimYolksbelehrnngsfllm.
Von Dr. Curt Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei derKultur-
abteilnng der Universum-Film A.G.
(Schluß.)
III. Die gegenwärtige Lage der Lehrfilm-Industrie.
Die Kämpfe und Nöte der Film-Firmen, die das gewaltige
Risiko der Lehrfilm-Produktion als nobile officium übernommen
hatten, wird am besten illustriert, wenn die dem Volkswohl-
fahrtsministerium, dem medizinischen Ausschuß an der Bildstelle
des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht, der Reichs¬
filmstelle im Ministerium des Innern usw. eingereichte Denk¬
schrift auszugsweise im Wortlaut wiedergegeben wird:
Die Eulturabteilung der Universum-Film-Aktiengesellschaft war auf Be¬
treiben verschiedener Behörden ins Leben gerufen worden, die in der Produktion
hochwertiger, wissenschaftlich-einwandfreier Lehrfilme das beste Gegenmittel
gegen Auswüchse des Kinowesens zu sehen glaubten. Leider ist nach der
Gründung der Kulturabteilung nnd nach Einsetzen einer äußerst umfangreichen'
und sehr kostspieligen, mit zahllosen vergeblichen Experimenten und Versuchen
verbundenen Produktion das praktische Interesse bei den gleichen Behörden,
die am dringendsten eine Lehr- oder Kulturfilm-Produktion forderten, nicht
erhalten geblieben. Während im Auslande, vor allem in Amerika, die Lehrfilm¬
industrie derartige unrentable und schwer auszuwertende Belehrungsfilme nie
auf eigenes Risiko herstellt, sondern sie vom Staat oder großen halbamtlichen
Wohlfahrtsorganisationen in Auftrag erhält, war dies in Deutschland nicht zu
erreichen; vielmehr bat die Universum-Film A.G. das Risiko für ihr Lehr-
632
Or. Curt Thomalla.
filmunternehmen selbst tragen müssen and bat es als ihre Ehrenpflicht ange¬
sehen, trotz zahlloser Enttäuschungen bisher auf dem beschrittenen Wege
fortzugehen. Aber wenn auch von einer „Kulturabteilung“ keine Ueberschüsse
erwartet werden, so ist es doch selbst dem kapitalkräftigsten Unternehmen
unmöglich, eine gemeinnützigen Bestrebungen dienende Abteilung aufrecht zu
erhalten, die Jahr um Jahr Zuschüsse fordert, von denen ein selbständiges
Unternehmen leben könnte. Wir glauben mit voller Berechtigung die dem
Lehrfilmgedanken allgemein dienenden Bestrebungen unserer Kulturabteilang
und speziell die populär-wissenschaftlichen Arbeiten unseres medizinischen
Filmarchivs als gemeinnützige und dem Allgemeinwohl dienende bezeichnen
zu können.
Sowohl bei der Herstellung dieser hygienischen und sozial-medizinischen
Lehrfilme, wie vor allem beim Vertrieb und der Auswertung des so entstan¬
denen Beiebrungsmatcrials sind der Kulturabteilung jedoch dauernd wachsende
Schwierigkeiten und Hindernisse entstanden, die eine gesunde geschäftliche
Basis des ganzen Unternehmens nicht aufkommen ließen und die auf gänzlich
irrigen Voraussetzungen der beteiligten Kreise, vor allem auf einer gewaltigen
Unterschätzung der für derartige Lehrfilme notwendigen Zeit-, Arbeits- und
Geldauf Wendungen beruhte. Die Vertriebsabteilung der Kulturabteilung der
Ufa wurde geradezu als ein Wohlfabrtsuntemehmen angesehen, das mehr oder
weniger verpflichtet sei, ohne jeden Nutzen zu arbeiten. Aus allgemeinen
Propagandagründen wurde diesem Verlangen von der Leitung der Kultur-
abteilung in so hohem Maße Rechnung getragen, daß geradezu mit nachweis¬
barem Verlast die Filmkopien leihweise abgegeben wurden, derart, daß selbst
die Kosten der Vervielfältigungen unserer Filme durch die Verleihungen nicht
einmal eingebracht worden, ganz zu schweigen von den Herstellungskosten
des Negativs, den allgemeinen Unkosten für Gehälter, Löhne, Mieten, Versiche¬
rungen, Lichtverbrauch, Transporte usw. usw. Das Entgegenkommen der Kultur-
abteilung ging sogar so weit, daß z. B. einer gemeinnützigen Organisation ein
hoher Prozentsatz aus den Einnahmen an einem bestimmten Film zugebilligt
wurde, obwohl feststeht, daß diese Einnahmen nicht einmal die eigenen Un¬
kosten deckten.
Auf der geschilderten Grundlage weiter zu arbeiten, ist ausgeschlossen.
Die weitere Entwicklung muß unbedingt in Kürze denBeweis
erbringen, daß bei geschäftlich richtiger Kalkulation und
Auswertung des Lehrfilmmaterials ein solches Unternehmen
lebensfähig zu gestalten ist, andernfalls maß die Lebrfilmproduktion
eingestellt werden. Die zuständigen Behörden und Organisationen, bei denen
im Hinblick auf die bereits geleistete und noch zu erwartende hygienische
Volksaufklärung wohl ein erhebliches Interesse am weiteren Bestehen eines
derartigen Lehrfilmunternehmens vorausgesetzt werden kann, würden durch
eine nachdrückliche Bekundung und Anerkennung der den Zeitumständen
augepaßten Notwendigkeit rein kaufmännisch-geschäftsmäßiger Auswertung
auch dem Gedanken des Lehrfilms und damit ihren eigenen Zielen bedeutende
Förderung angedeihen lassen.
Die Veranstaltungen unserer Kulturabteilung sollen und können alao
nicht mehr, wie bisher oft, als billige oder kostenlose Wohlfahrtsveranstaltungen
vorgenommen werden, vielmehr muß die Allgemeinheit und das breite Publikum,
denen ja auch letzten Endes der Erfolg dieser Aufklärungsarbeit allein zugute
kommt, zu den Kosten der Herstellung und Verbreitung dieser Filme durch
Eintrittsgelder beitragen, die den gegebenen Notwendigkeiten entsprechen.
Hierbei hat die Kulturabteilung von ganz bestimmten Stellen heftige Wider¬
stände zu erwarten und es wäre daher mit Freuden zu begrüßen, wenn die
interessierten Stellen die Berechtigung dieser Notwendigkeit anerkennen und
den für sie zuständigen, hierfür in Betracht kommenden Behörden, Organi¬
sationen und Einzelpersonen gegenüber vertreten und befürworten würden.
Die an hygienischer Volksaufklärung interessierten Stellen könnten dem
Verständnis für die hier angeschnittenen Fragen in den in Betracht kommenden
Kreisen außerordentlich dienen, wenn folgender Vorschlag, den wir uns ganz
ergebenst zu machen erlauben, durchgeführt wird: Ein Abdruck dieser Denkschrift,
bezw. ihrer wichtigsten Stellen, müßte an sämtliche Regierungen, Kreisärzte,
Kommunen, Wohlfahrtsämter und dergl. verteilt werden und an alle diese
Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrnngsfilm.
688
8teilen von autorisierter 8telle ans die Anregung ergehen, die za erwartenden
Veranstaltungen hygienischer and sozial-medizinischer Volksbelehrangs-Filme
nach Kräften zu unterstützen, möglichst aus eigener Initiative heraus der¬
artige Volksbelehrungsabcnde hygienischer und sozial-medizinischer Art herbei-
Zufuhren, und hierbei auf die gesunde geschäftliche Qrundlage derartiger
Unternehmungen besonderes Augenmerk zu richten. Ein Hinweis darauf, daß
an verschiedenen Stellen des Reiches bereits praktische Erfahrungen dafür vor¬
liegen, daß ein solches Unternehmen auch auf rein kaufmännischer Basis
dnrch&us im Charakter ernsthaftester, dem Allgemeinwohl dienender Veran¬
staltungen denkbar ist, würde den Eifer und den Unternehmungsgeist wohl
auch in bisher tatenlos beiseite stehenden Kreisen wecken. Als derartige
Körperschaften, die sicher gern auch über ihre geschäftlichen Erfahrungen
Auskunft erteilen, wären beispielsweise der Ausschuß für Kinematographie
der Oberschulbebörde Hamburg, die Urania in Wien, der Provinzialausscbnß
für hygienische Volksbelehrung in Hannover and der „Verein für Sän^lings-
fürsorge und Wohlfahrtspflege“ im Regierungsbezirk Düsseldorf (Geh. Rat
Prof. Dr. Schlossmann) anzuführen.
Als Antwort au! diese Eingabe erfolgte der bekannte
Runderlaß des Ministers für Volks Wohlfahrt vom 25. Februar
1922 — I. M. I. 260 II ang. — an die Herren Oberpräsidenten,
der der Ausführlichkeit halber hier nochmals angeführt sei:
Die Kulturabteilung der Universum-Film-Aktiengesellschaft Berlin,
Köthenerstraße 48, hat eine Denkschrift über die Lage der Lehrfilm-Industrie
vorgelegt, aus der hervorgeht, daß die Fortführung der Lehrfilmproduktion
finanziell nur dann weiter möglich ist, wenn ihr eine nachhaltigere Unter¬
stützung als bisher seitens der Behörden und Organisationen zuteil wird, die
an der gesundheitlichen und sozialbygienischen Volksbelebrung und Aufklärung
arbeiten. Ich ersuche ergebenst alle beteiligten Stellen, insbesondere die
Provinzial-, Kreis- und Ortsausschüsse für hygieuische Volksbelehrung sowie die
Kreismedizinalräte nochmals auf die Wichtigkeit der Lehrfilmvorführungen für
ihre Bestrebungen hinzuweisen. Bei den Verhandlungen mit den Lehrfilm-
firmen — sei es, daß Filme zur Vorführung benötigt werden, sei es, daß die
betreffende Firma für die von ihr in Aussicht genommenen Veranstaltungen
Verbindung mit den örtlichen Organisationen sucht — darf nicht unberück¬
sichtigt bleiben, daß diese Firmen genötigt sind, die Selbstkosten, die bei den
heutigen Verhältnissen nicht gering sind, wieder einzubringen. Es würde für
die Aufklärungsarbeit einen bedauerlichen Rückschritt bedeuten, wenn die
Produktion von Lehr- und Aufklärungsfilmen einen Rückgang erleiden würde.
In der Tages- und Fachpresse erregte dieser Erlaß einige
Aufmerksamkeit und seien zwei Stellungnahmen hier wieder¬
gegeben :
„Diese Denkschrift ist im Dezember vorigen Jahres eingereicht, also zu
einer Zeit, in der die Teuerungswelle, deren Höhe wir sicher noch nicht er¬
reicht haben, eben erst begann. Inzwischen ist die Lage für den Lehrfilm-
Verleih in Deutschland geradezu katastrophal geworden und hat zur fast
völligen Lahmlegung jeder Produktion an Schulfilmen — also eines ganz neuen
und sehr aussichtsreichen Zweiges der Lehrfilm-Industrie geführt. Die großen
Kultur- und Lehrfilmfirmen gehen mehr und mehr zum Theatcr-Beiprogramm-
Film und zum abendfüllenden, mehr oberflächlich-belehrenden Publikumsfilm
über. Angesichts der Tatsachen, die man aus obiger Denkschrift ersieht, kann
es ihnen freilich nicht verdacht werden, wenn sie als Geschäftsunternehmen
der Rolle von selbstlosen Wohlfahrtseinrichtungcn satt sind.“
„Der mitgeteilte Erlaß des Volkswohlfahrtsministeriums ist nun — neben
dem Entgegenkommen der Filmprüfstelle bei Berechnung der Zensurgebühren —
der erste amtliche Schritt, der den Wert des Lehrfilms anerkennt und sich mit
bemerkenswerter Freundlichkeit auch der geschäftlichen Seite der Sache an-
nimmt. Vielleicht bedeutet dies endlich einen Schritt vorwärts, nachdem die¬
selben Behörden uod die Kreise der Lehrerschaft und sonstigen Kinogegner,
die einst mit großem Geschrei den Lehrfilm forderten, ihn schmählich im Stich
ließen, als er da war.“
634
Dr. Cart Thom&lla.
Zum Schluß seien noch einige Zahlen mitgeteilt, die ganz
grob die Lage charakterisieren: Ein Meter Rohfilmmaterial
kostete noch vor drei Jahren etwa 50 Pfennig, bei größeren Ab¬
schlüssen war er noch billiger. Jetzt kommt ein Meter Film¬
aufnahme auf 68 Mark. (Anmerkung bei der Korrektur: In¬
zwischen 260 Mark, bei 14 tägigem automatischem Steigen
der Preise.) Die Kosten für gute Aufnahme - Operateure,
die damals 50 bis 100 Mark pro Tag erhielten, sind auf
5000 bis 10000 Mark gestiegen. Die Miete eines Filmateliers
kostet 24000 bis 30000 Mark pro Tag und entsprechend son¬
stige Nebenunkosten wie Transporte, Licht, Personal, Lagerung,
Versicherung usw. Als ein Meter Rohfilm 50 Pfennig kostete,
betrug die Leihmiete 5 Pfennig pro Meter, entsprechend müßte
heute die Entleihung eines 1000 Meter-Films ca. 7000 Mark
pro Tag einbringen. Tatsächlich sind die Leihmieten natürlich
nur Bruchteile dieser Summe. Und auch alle hier angegebenen
Preise sind wahrscheinlich, wenn diese Zeilen gedruckt er¬
scheinen, längst überholt.
Eine andere Rechnung: Die Lebensdauer einer Filmkopie
beträgt ca. 300 Vorführungen, vorausgesetzt, daß sie in tadel¬
losen Vorführungsapparaten sachverständig behandelt wird. Da
die Filrakopien aber nicht für einzelne Vorführungen, sondern
für ganze Tage vermietet werden, erfolgt mit den notwendigen
Vorbesichtigungen oft vier- bis fünfmalige Vorführung des
Films bei jeder Verleihung. Dazu kommt die Beschädigung
des Films durch die zahlreichen Transporte. Vor allem die
übermäßige Beanspruchung durch veraltete und schlecht instand
gehaltene Vorführungsapparate, wie sie leider meist noch in
Vortragssälen, Kliniken usw. vorhanden sind. So ist es schon vor-
gekomraen, daß eine Filmkopie von 2000 Metern Länge nach
20 Verleihungen unbrauchbar weggeworfen werden mußte, ob¬
wohl sie noch nicht den zehnten Teil ihres eigenen Herstellungs¬
wertes, geschweige denn einen bescheidenen Prozentsatz der
zu amortisierenden Herstellungskosten des Negativs eingebracht
hatte.
Aus diesen Beispielen erhellt wohl zur Genüge, daß die
Lehrfilm-Verleihung kein gutes Geschäft an sich ist. Sie wird,
nachdem sie einmal begonnen war und gewaltige Kapitalien in
diesen Filmen investiert sind, notgedrungen fortgesetzt. Natürlich
bringen Geschäftsunternehmungen, zu denen ja auch die Lehr¬
film-Firmen gehören, auf die Dauer nicht so viel Idealismus
auf, um eine an sich aussichtslose Angelegenheit nur aus All-
gemeininteresse zu verfolgen. Es liegt vielmehr eine sehr gro߬
zügige und wohl sicher richtige Berechnung zu Grunde, wenn
die populären Vortragsfilrae nicht verschwinden, wenn vielmehr
für sie in den beteiligten Kreisen mit äußerstem Nachdruck
geworben wird. Man hofft für die Zukunft auf erhöhten Absatz
dieser Produkte deutscher Geistesarbeit und deutscher Technik
im Ausland. Ein großzügiger Auslandsabsatz ist jedoch nur
möglich, wenn die populär-medizinischen Vortragsfilrae in ihrer
Hygiene nnd soziale Medizin im Volkabelehrungsfllm.
685
Heimat so selbstverständlich eingeführt sind, daß sie als fester
Bestandteil des Lehrplanes unserer Schulen, Volkshochschulen,
Volksbildungsvereine usw. selbstverständlich und überall be¬
kannt sind. Um zu diesem Ziel zu gelangen, bedarf es der
intensiven Mitarbeit aller beteiligten Kreise. Und in dieser
Zwischenzeit muß der deutsche Markt zum mindesten die
direkten Unkosten einbringen, wenn auch Ueberschüsse nicht
erwartet werden.
Wenn die Behörden, die amtlichen und halbamtlichen
Organisationen usw. dieser jungen, aufstrebenden Industrie
Förderung angedeihen lassen,*) so handeln sie nicht nur im
Interesse der beteiligten Firmen, nicht nur im Interesse der
Volks Wohlfahrt, der hygienischen und sozial-medizinischen Volks-
aufkläruog, sondern auch im volkswirtschaftlichen Interesse der
Gesamtheit des Volkes. Denn der Film ist ein Landesprodukt
im wahrsten Sinne des Wortes, das aus deutschem Rohmaterial,
mit deutschen Maschinen, mit deutscher Hand- und Geistes¬
arbeit hergestellt wird und einen hochwertigen Exportartikel
darstellt. Die Spielfilmindustrie steht heute schon an dritter
oder vierter Stelle unter sämtlichen deutschen Industrien, so¬
wohl nach der Höhe des investierten Kapitals, als auch nach
der Menge der in ihr beschäftigten Menschen. Wenn die Lehr-
fümindustrie über die Krise der nächsten Jahre hinwegkommt,
wird sie die Spielfilmindustrie zum mindesten an Ausdehnung
erreichen, wenn nicht überflügeln. Denn deutsche Lehrmittel
jeder Art sind bisher stets in die ganze Welt gegangen, haben
überall jede Konkurrenz geschlagen und Millionen-, ja Milliarden¬
werte der deutschen Heimat zugeführt.
Das Wort vom „Wiederaufbau“ ist fast schon zur Phrase
geworden. Hier zeigt sich aber ein Weg zur praktischen Mit¬
arbeit, der letzten Endes vielleicht nicht unwesentlichen Anteil
an dem ersehnten Wiederaufbau haben kann. Und jeder kann
an seiner Stelle dazu helfen. — Der preußische Schulmeister
hat, so sagt man, früher Kriege gewonnen. Möge der deutsche
Schulmeister im aller weitesten Sinne des Wortes auch den
„Frieden“ von Versailles doch überwinden helfen 1
*) Anmerkung bei der Korrektor: Soeben geht mir ein Schreiben des
Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt an den Landesausschuß für hygienische
Volksbelehrung zur Kenntnisnahme za, in dem unter Bezugnahme auf ein
Schreiben des Reichsgesundheitsamtes auf die notwendige Förderung der Vor¬
führung speziell des „PockenfUmea“ hingewiesen wird. Herr Prof. Adam
vom Landesausschuß erteilte mir die Erlaubnis, hieraus einige Teile wieder¬
zugeben:
Das Schreiben des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes (Gosch.
Nr. 2508/22 vom 18. 8. 22) enthält folgende Sätze:
„Das Impfgesetz kann auf die Dauer nur dann wirksam sein, wenn es
getragen ist von dem aufgeklärten Bewußtsein einer in gesundheitlichen Fragen
wohlunterrichteten Bevölkerung. Daher ist es notwendig^, der planmäßigen
Agitation der Impfgegner immer wieder in der Oeffentlichkeit mit allen Mitteln
der eindringlichen Belehrung entgegenzutreten.“ .„Eines regen Be¬
suches erfreute sich bis vor kurzem die Vorführung eines von der „Ufa“
636
Tom Schriftleiter.
Die neuen BesoldnngsTorschriften.
Vom Schriftleiter.
Die Beamtenbesoldung ist mit Wirkung vom 1. Oktober
1922 sowohl im Reich wie in Preußen (für letzteres durch
Runderlaß des Finanzministers namens des Ministerpräsidenten
und sämtlicher Staatsminister vom 25. Oktober 1922, abgedruckt
in Nr. 20 des Finanz-Ministerial-Blattes 1922) einer Aenderung
unterzogen. Entsprechend der zunehmenden Teuerung ist eine
nicht imbeträchtliche Aufbesserung vorgenommen. Das grund¬
sätzlich Neue in diesem Gesetz ist, daß die Grundgehälter,
Ortszuschläge, Kinderbeihilfen und Frauenbeihilfen in Monats¬
beträgen festgesetzt sind. Dadurch ist aber an den Be¬
stimmungen über die vierteljährliche bezw. monatliche Zahlung
des Diensteinkommens nichts geändert; Vierteljahrsempfänger,
wie die Beamten regelmäßig sind, erhalten also auch künftig
ihre Dienstbezüge vierteljährlich. Alle diese Bezüge sind
wesentlich erhöht. Im Laufe der Zeit waren ja die besonderen
Ausgleichszuschläge so hoch geworden, daß sie die Grund¬
gehälter um das mehrfache übertrafen (zuletzt war bekanntlich
ein Teuerungszuschlag von 777 v. H. für die ersten 10000 M.
und von 677 v. H. für den Rest und die Kinderzuschläge ge¬
währt worden). Dies ist nun insofern geändert, als der bisher
gewährte Sonderzuschlag auf die ersten 10000 M. des Dienst¬
einkommens in vollem Umfang fortfällt und ein gleichmäßiger,
aber gegen früher erheblich verringerter Ausgleichszuschlag
für Grundgehalt -f- Ortszuschlag gewährt wird. Die Grund¬
sätze, nach denen die Frauenbeihilfe und die Kinderbeihilfe
bisher gewährt wurden, bleiben im allgemeinen unverändert.
Die Frauenbeihilfe beträgt gleichmäßig für alle Beamte monatlich
1000 M., sie soll Zeitungsnachrichten zufolge von Mitte No¬
vember ab auf 2000 M. monatlich erhöht sein.*) Für die Frauen¬
beihilfe kommen Ausgleichszuschläge nicht in Betracht. Der
Satz für das anrechnungsfreie Einkommen der Kinder ist von
4000 M. jährlich auf 2000 M. monatlich erhöht. Die Wirtschafts¬
beihilfen, die in Orten mit besonders schwierigen wirtschaft¬
lichen Verhältnissen gewährt wurden, kommen in Fortfall. Da-
(Universum- Film -Aktiengesellschaft, Berlin W. 9) hergestellten Pockenfilmes.
Dieser Lichtbildstreifen ist unter Mitwirkung hervorragender Sachverständiger
ausgearbeitet, kommt durch die Art seiner belehrenden Unterhaltung dem Ue-
schmack des Publikums sehr entgegen und hat sich als ein gutes Mittel zur
volksgesundheitlichen Aufklärung erwiesen.“ .„Daher sollte der
Vertrieb des Lichtbildstreifens durch behördliche Unterstützung gefördert
werden. Bei der erwähnten großen Bedeutung, die einer sachliohen Aufklärung
weiter Volksschichten über das Wesen und die Bedeutung der Pockenschutz¬
impfung beizumessen ist, halte ich die Anregung der Kulturabteilung für be¬
rechtigt. gez. Bumm.“
Die im Schlußsatz erwähnte Anregung der Kulturabteilung lautete: „Es
ist im allerhöchsten Maße bedauerlich, und unserer Ansicht nach ein gar nicht
zu verstehender Fehler der Behörde, daß sie die Initiative der Ufa, solche
Filme herzustellen, dadurch zur Nutzlosigkeit verdammt, daß sie den Vertrieb
dieser Filme nicht behördlicherseits regelt.“
*) Anm. Inzwischen amtlich bestätigt!
Die neuen Besoldungsvorschriften.
687
gegen bleiben die Bestimmungen über die Wirtschaftsbeihilfe
in den besetzten Gebieten (Besatzungszulage) durch die neuen
Gesetze unberührt; die widerrufliche laufende Beihilfe in den
von Bntentetruppen besetzten Gebieten fällt dagegen ebenfalls
mit Wirkung vom 1. Oktober 1922 fort.
Der Ausgleichszuschlag ist nun für die erste Hälfte
des Oktober auf 3 v. H., für die zweite Hälfte des Oktober auf
11 v. H., d. h. also für den Oktober zusammen auf 7 v. H. be¬
messen. Für November ist bereits durch Beschluß des Staats¬
rats dieser Zuschlag auf 49 v. H. erhöht worden. Wie man
hört, haben Verhandlungen über weitere Erhöhung entsprechend
der zunehmenden Teuerung stattgefunden mit dem Ergebnis,
daß dieser Zuschlag vom 16. November ab auf 120 v. H. be¬
messen ist.*)
Die Kinderbeihilfe ist in folgender Höhe festgesetzt
worden:
Kinderbeihilfe j
' Ansgleichsznschl&g
zur Kinderbeihife
Kinderbeihilfe samt
Aasgleichszaschlag
für ein Kind im Alter
von .... Jahren
monatlich
für Okt.
1922
(7 v. H.)
vom 1.
Nov. 1922
monatlich
(49 v. H.)
für Okt.
1922
vom 1.
Nov. 1922
monatlich
bis za 6
2000
140
980
2140
2980
mehr als 6 bis za 14
2500
175
1225
2675
3725
mehr als 14 bis za 21
3000
210
1470
3210
4470
Diese Kinderbeihilfe würde nach den neuesten Bestim¬
mungen vom 16. November ab weiter, auf 120 v. H. erhöht
werden.
Uebrigens ist nach einem Erlaß des Finanzministers vom
24. August 1922 (abgedruckt in Nr. 17 der des Finanz-Ministerial-
Blatts 1922) die Gewährung von Kinderzulagen auch an über
21 Jahre alte Kinder unter Umständen möglich, indem nämlich
im Falle der Bedürfnisse auf Antrag eine widerrufliche Kinder¬
zulage für Kinder im Alter von mehr als 21 bis 24 Jahren be¬
willigt werden kann, wenn sie
a) sich noch in der Schulausbildung oder in der Ausbildung
für einen künftig gegen Entgelt auszuübenden Lebens¬
beruf befinden und
b) kein eigenes Einkommen von mehr als 4000 M. jährlich
(nach dem neuen Erlaß vom 25. Oktober von mehr als
2000 M. monatlich) haben; übersteigt das eigene Ein¬
kommen des Kindes diesen Betrag um weniger als den
Betrag der bewilligten Kinderbeihilfe, so kann diese ge¬
währt werden, jedoch mindestens gekürzt um den Betrag,
um den das eigene Einkommen des Kindes den Betrag
von 2000 M. monatlich übersteigt.
*) Anm. Inzwischen amtlich bestätigt!
638
Vom Schriftleiter.
Dabei gilt als Höchstbetrag der zu gewährenden Kinder¬
zulage die für Kinder bis zum vollendeten 21. Lebensjahre je¬
weils gesetzlich zustehende Kinderbeihilfe einschließlich des
jeweiligen Ausgleichszuschlags. Ein Rechtsanspruch auf die
Kinderzulage besteht indes nicht.
Zur Vermeidung von Härten kann außerdem in Fällen, in
denen nach den früheren Grundsätzen eine Kinderzulage ge¬
währt worden ist an über 21 Jahre alte, wegen Gebrechen
erwerbsunfähige Kinder oder an über 24 Jahre alte, in der
Schul- oder Berufsausbildung befindliche Kinder, nach den
neuen Grundsätzen aber eine Kinderbeihilfe oder Kinderzulage
nicht mehr gewährt werden darf, ein Betrag von monatlich
50 M. vorläufig weitergewährt werden.
Hiernach beziffert sich der Monatsbetrag des Grund¬
gehalts nebst Ortszuschlag und Ausgleichszuschlag in den Gehalts¬
gruppen 10—13 (ohne Frauenbeihilfe und Kinderbeihilfen) fol¬
gendermaßen :
I. Besoldungsgruppe 10.
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
nach
4
Jahren
nach
6
Jahren
A
Grundgehalt
Ortszaschlag
24400
6400
25S00
6400
27200
5400
28600
5400
130000
6400
31400
5400
32700
5400
34000
6000
Zus.
29800
I
| 31200 | 32600 I
)azu der Ausg
| 340001 354001
leich8zuschlag.
36800
38100 j 40000
B
Grundgehalt
Ortszuschlag
24400
4100
25800
4100
27200
4100
28600
4100
30000
4100
31400
4100
32700
4100
34000
4500
Zus.
28500|
I
29900
)azu de
313001 32700 j 34100 |
r Ausgleichszuschlag.
86600
36800
38500
C
Grundgehalt
Ortszuschlag
24400
8400
26800
3400
27200
3400
28600
3400
30000
3400
31400
3400
82700
3400
34000
3800
Zus.
27800 |
1
29200 | 30600 j 32000 | 33400
dazu der Ausgleichszuschlag
34800
| 36100
|37800
D
Grundgehalt
Ortszuschlag
24400
2700
26800
2700
27200
2700
28600
27l'0
30000
2700
31400
2700
82700
2700
34000
3000
Zus.
27100
I
| 286001 299001 31300 | 32700
dazu der Ausgleichszuscblag
34100
|35400
! 37000
£
Grundgehalt
Ortszuschlag
24400
2000
26800
2000
27200
2000
28600
2000
30000
2000
31400
2000
32700
2000
84000
2300
Zus.
26400
1
| 27800 | 29200 j 30600
dazu der Ausgleiches
82000
uscblag
33400
134700
36300
Die neuen Besoldungsvorschriften. 6B9
II. Besoldungsgruppe 11.
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
l
1H
nach
6
Jahren
nach
8
Jahren
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
nach
14
Jahren
A
Grundgehalt
Ortszuschlag
Zus.
27600
5400
29300
5400
31100
5400
32800
5400
34500
6000
36200
6000
37900
6000
39600
6000
32900
I
34700
)azu de
36500 | 38200 |
r Ausgleichszn
[40500
ischlag.
142200 | 43900 [
46600
B
Grundgehalt
Ortszuschlag
27500
4100
29300
4100
81100
4100
32800
4100
34500
4500
36200
4500
37900
4500
39600
4600
Zus.
31600
I
33400
)azu de
|35200
sr Ausg
36900
;leichszi
39000
aschlag
40700
42400
44100
C
Grundgehalt
Ortszuschlag
27500
3400
29300
8400
31100
3400
32800
3400
34600
3800
36200
3800
37900
3800
39600
3800
Zus.
30900|
I
| 32700 |
)azu de
34500|
ir Ausg
| 362001 38300
leichszuschlag
40000
41700
43400
D
Grundgehalt
Ortszuschlag
27600
270J
29300
2700
31100
2700
32800
2700
34500
3000
36200
3000
37900
3000
39600
3000
Zus.
30200,
1
| 32000 | 33800
Dazu der Ausj
| 35500 | 37500
;leichszuschlag
39200
40900
| 42600
£
Grundgehalt
Ortszuschlag
27500
2000
29800
2000
31100
2000
32800
2000
34500
2300
36200
2300
37900
2300
39600
2300
Zus.
29600
I
31300
)azu de
83100
:r Ausg
34800
'leichszi
| 36800 | 38500
aschlag.
40200
141900
111. Besoldungsgruppe 12.
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
nach
4
Jahren
nach
6
Jahren
nach
8
Jahren
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
A
Grundgehalt
Ortszuschlag
32500
5400
35000
6000
37500
6000
40000
6000
42600
6000
45000
6000
47500
6000
Zus.
1
37900
[)azn d;
41000
ir Ausg
43500
;leichszi
46000
aschlag
48500
51000
63500
B
Grundgehalt
Ortszuschlag
32500
4100
35000
4500
37500
4600
40000
4500
42500
4500
45000
4600
47600
4500
Zus.
1
136600 | 395001 420001
)azu der Ausgleiokszi
44500
aschlag
47000
49500
52000
640
Vom Schriftleiter.
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
nach
4
Jahren
i
nach
6
Jahren
nach
8
Jahren
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
C
Grundgehalt
Ortsznschlag
32500
3400
135000
| 3800
37500
3800
40000
38001
!
42500
3800
1
45000
3800
47500
3800
Zns.
135900 j 38300 | 41300 | 43800 i 46300 j
Dazu der Ausgleichszuschlag.
! 48800 | 51300
D
Grundgehalt
Ortszuschlag
32500
2700
35000
3000
37500
3000
40000
3000
42500
3000
45000
3000
47500
3000
Zus.
135200 ! 38000 ! 40500 | 43000 ! 45500 j 48000 |
Dazu der Ausgleichsznscblag.
50500
E
Grundgehalt
Ortszuschlag
32500
2000
1 35000
2300
37500
2300
40000
2300
42500
2300
45000
2300
47500
2300
Zus.
134500 | 37300 | 39800 j 42300 |
Dazu der Ausgleichszaschlag
44800
| 47300
149800
IT. Besoldungsgruppe 18.
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
nach
4
Jahren
nach
6
Jahren
nach
8
Jahren
A
Grundgehalt
Ortszuschlag
42000
6000
47000
6000
52000
6000
57000
6000
62000
6000
Zus.
48000
Dazu der
| 53000 | 58000
Ausgleichszuschlag.
63000
68000
B
Grundgehalt
Ortszuschlag
42000
4500
47000
4500
52000
4500
67000
4500
62000
4500
Zus.
46500 | 51500
Dazu der Ausgleich
56500
iszuschlag.
61600
66500
C
Grundgehalt
Ortszuschlag
42000
3800
47000
3800
52000
3800
67000
3800
62000
3800
Zus.
45800 | 50800 | 55800
Dazu der Ausgleichszuschlag.
60800 |
65800
D
Grundgehalt
Ortszuschlag
42000
8000
47000
3000
52000
8000
67000
8000
62000
3000
Zus.
45000
Dazu der
50000
Ausgleich
65000
iszuschlag.
| 60000
| 65000
E
Grundgehalt
Ortsznschlag
42000
2300
47000
2300
52000
2300
67000
2800
62000
2800
Zus.
44300 | 49800 | 54300
Dazu der Ausgleichszuschlag.
59300
64800
Di« neuen Besoldungsrorschriften.
641
T. Besoldung für die nicht Tollbesoldeten Kreisärzte
(Besoldungsgruppe 10 mit 25°/o Abzug).
Orts¬
klasse
in den
ersten
2
Jahren
nach
2
Jahren
nach
6
Jahren
w
nach
10
Jahren
nach
12
Jahren
nach
14
Jahren
A
Grundgehalt
Ortszuschlag
18800
4800
22500
4800
23660
6400
24525
6400
25500
6400
Zus.
23100
1
24160
)azu de
25200
r Ausg
26250
leichszi
27300
ischlag
28960
29925
80900
B
Grundgehalt
Ortszuschlag
18300
8600
19360
3600
20400
3600
21460
3600
22500
3600
23660
4100
24525
4100
25500
4100
Zus.
21900
I
22960
)azu de
24000
r Ausg
25060
Leichszi
26100
ischlag.
27650
28625
29600
C
Grundgehalt
Ortszuschlag
18300
3000
19360
3000
20400
3000
21460
3000
22500
3000
28560
3400
24525
3400
25600
3400
Zus.
21300
I
22360
)azu de
23400
r Ausg
24450
leichszi
25500
ischlag.
26960
27926
28900
D
Grundgehalt
Ortszuschlag
18300
2400
19360
2400
20400
2400
21460
2400
22600
2400
23560
2700
24525
2700
25500
2700
Zus.
20700
1
21750
)azu de
22800
>r Ausg
j23850
leichszi
|24900
aschlag
26250
27225
28200
E
Grundgehalt
OrtszuBchlag
18300
1800
19350
1800
20400
1800
21450
1800
22600
1800
23560
2000
24625
2000
25500
2000
Zus.
20100|
I
21160|
)azu de
22200
ir Ausg
23250|
leichszi
24300|
ischlag.
26560]
26625
27500
Für die Kreisassistenzärzte (die als nicht planmäßige
Beamte angesehen werden) gelten die aufgestellten Grundsätze,
wie sie früher hier mitgeteilt wurden, weiter. Der Ausgleichs¬
zuschlag wird für sie in derselben Weise berechnet wie bei
den planmäßigen Beamten.
Alle Beamten, auch die Kreisassistenzärzte, erhalten zu
den oben mitgeteilten Besoldungssätzen gegebenenfalls in gleicher
Weise die Frauenbeihilfe in Höhe von monatlich 1000 M. (bezw.
2000 M.) und die Kinderbeihilfen in der angegebenen Höhe.
Versorgung der Beamten im Ruhestände
nnd der Hinterbliebenen.
Die Ruhegehälter, Witwengelder und Weisengelder werden
nunmehr ebenso wie die Gehälter auf Monatsbeträge fest-
f esetzt. Die Umrechnungen erfolgen bei den Regierungen.
18 findet stets eine Abrundung auf volle Mark nach oben statt.
Der Ortszuschlag wird von jetzt ab nach dem Satze der
Ortsklasse B angereohnet — nicht, wie bisher, nach einem ge-
642
Aas Veraaunlnngcn ad Veraa.
setzlich festgestellten Durchschnittssatz. Das Witwengeld
hat erfreulicher Weise eine wesentliche Erhöhung dadurch er¬
fahren, daß es nun an Stelle von 40 v. H. mit 60 v. H. des
Ruhegehalts berechnet wird. Der Mindestbetrag des Witwen¬
geldes ist jetzt auf monatlich 3000, der Höchstbetrag monatlich
25000 M. festgesetzt. Danach beträgt der Mindestsatz bei
einer Vollwaise monatlich 1000, der Höchstsatz monatlich
8334 M., bei einer Halbwaise der Mindestsatz monatlich 600,
der Höchstsatz monatlich 5000 M.
Die Bestimmungen über den Versorgungszuschlag
der Ruhegehaltsempfänger, Wartegeldempfänger und Witwen
sind grundlegend geändert worden. Es wird von jetzt ab der
Versorgungszuschlag mit dem gleichen Prozentsatz, wie der
Ausgleichszuschlag der im Dienst befindlichen Beamten von
deren Grundgehalt und Ortszuschlag berechnet wird, bei sämt¬
lichen Ruhegehaltsempfängern, Wartegeldempfängem und
Witwen von deren Ruhegehalt, Wartegeld oder Witwengeld
berechnet. Dabei können zum Ausgleich von Härten — bei
Ruhegehaltsempfängern von wenig Dienstjahren und bei Witwen,
bei denen sich Minderbeträge ergeben — Zuschlüsse zum Ver¬
sorgungszuschlag gewährt werden. Die Versorgungszuschl&ge
werden gleichfalls monatlich auf volle Mark abgerundet.
Die Frauen- und Kinderbeihilfen werden wie bei den im
Dienst befindlichen Beamten gewährt.
Dies sind die wichtigsten Bestimmungen der neuen Be¬
soldungsvorschriften. Jeder Kollege wird nun leicht berechnen
können, wie hoch sich seine Gebührnisse stellen und in welcher
Weise für ihn im Falle der Pensionierung und im Falle seines
Todes für seine Hinterbliebenen gesorgt werden wird.
Die Umrechnungen erfordern naturgemäß mancherlei Arbeit
Es wird aber in dem angezogenen Erlaß des Finanzministers
besonders auf eine Beschleunigung der Umrechnungs- und
Zahlungsarbeiten hingewiesen und den betr. Behördenleitern
zur besonderen Pflicht gemacht, die Maßnahmen zu treffen,
damit künftig die Erhöhungen ihrer Bezüge den Versorgungs¬
berechtigten innerhalb weniger Tage gezahlt werden. Somit
ist zu hoffen, daß künftig die bisher noch so häufigen Klagen
über verzögerte Auszahlung verstummen werden und jeder
rechtzeitig in den Besitz der ihm zukommenden Bezüge ge¬
langen wird.
Ans Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die 8. Versammlung des 91 ed tat nal beamten-
Vereins ihr den Begiernngsbestrh Stade am 7. Oktober 1988
ln Stade, lnselbans.
Anwesend waren: Der Vorsitzende: Med.-Rat Pr dies, Reg.- and Med.-
Rat Mennicke, Qeh. Med.-Rat Reck, Med.-Rat Onttm&nn, Med.-Rat
Menke, Qeb. Med.-Rat Elten, Med.-Rat Tinscbert
1. Za der Medizinal Verfügung vom 28. 8. 22 Nr. 1805 Qber Unterlagen
zur Festsetzung einer Paoschvergötong für die Reisekosten der Kreisärzte gibt
Aas Versammlungen and Vereinen.
643
Reg.- a. Med.-Bat Mennicke Erklärungen ab. Danach wird empfohlen, alle sach¬
lichen Unkosten, die aal den künftigen Dienstreisen erwachsen, genau aufzuführen,
insonderheit aach die Unkosten für Benutzung von Fahrrad und die tätsich-
liehen Ausgaben für Wegzehrung etc. Er gibt aach die Erklärung ab, daß
wirklich entstandene and notwendige Unkosten für Fahrwerk and Automobil,
wenn diese liquidiert werden, ersetzt werden.
2. Ein schriftlicher Antrag des Med.-Bats Müller-Geestemünde, wird
angenommen. Der Antrag lautet:
„Beim Preußischen Medizinalbeamten-Verein solle angeregt werden, das
Ministerium für Volkswohlfahrt za ersuchen, in jetziger Zeit von einer
Paaschalisierang der Reisekosten abzusehen, weil die unsicheren Geldverhält¬
nisse jetzt za möglichster Einschränkung der Dienstreisen nötigen and weil
die jetzt gegebenen Geldwerte durchaus unsichere sind.“
3. Die statistischen Unterlagen, die zar Erstattung der Jahresberichte
nötig werden, können, wie aas der Aassprache hervorgeht, am besten von den
Lanaratsämtern oder Amtsgerichten gegeben werden, aa sie in dem Besitz des
statistischen Materials der Standesämter sind.
4. Es wird beschlossen, zar Jabiläamsstiftang des Preußischen Medizinal¬
beamten-Vereins geschlossen beizutreten, wie dieses aach schon in anderen Medi-
zinalbeamten-Vereinen beschlossen ist.
Der Jahresbeitrag von M. 30.— ist vom Vorsitzenden einzaziehen and
abzaführen.
6. Ueber die Uebernahme der Telefonkosten durch die Regierungskasse
schweben Verhandlungen. Ueber diese referiert der Vorsitzende.
6. Der Beschloß der Aerztekammer über Ausschluß vollbesoldeter Kreis¬
ärzte von der Meldung za Kassen-, Schal- and Impfärztestellangen wird be¬
sprochen. Kas8enarztstellaogen sind den vollbesoldeten Kreisärzten überhaupt
untersagt. Von anderen Stellungen der sozialen Fürsorge können sie keines¬
falls ausgeschlossen werden, sondern müssen in erster Linie Berücksichtigung
finden.
7. Aus einer Besprechung der Dienstaufwandsentschädigung geht hervor,
daß es sich nicht empfiehlt, deren volle Vergrößerung zu erstreben, weil dann
andere Nebeneinnahmen der Kreisärzte in Wegfall kommen würden.
8. Als Ort der nächsten Versammlung wird Bremervörde bestimmt
Außerdem soll, einem Wunsche des Regierungspräsidenten entsprechend, eine
Zusammenkunft stattfinden, auf welcher derselbe Gelegenheit findet, die Medizinal¬
beamten kennen zu lernen, und zwar wahrscheinlich in Stade. Es soll dann
eine Besprechung der künftigen Hebammenstellung stattfinden. Referenten:
Tinschert und Prölss. Med.-Rat Prölss.
Ans dem Preussisehen Hedlzinalbeamten verein.
Auf die Bitte des Preußischen Medizinalbeamtenvereins an den Herrn
Minister für Volkswohlfahrt, ihm noch einmal eine Unterredung zum Vortrag
seiner Wünsche zu gewähren, warde dem Vorsitzenden durch Erlaß vom
23. Oktober mitgeteilt, daß der Herr Minister bereit sei, den Vorstand des
Vereins am Donnerstag, den 26. Oktober vormittags 11 Uhr im Ministerium zu
empfangen. Um Kosten zu ersparen berief der Vorsitzende im Anschluß an
diese Unterredung auf denselben Tag telegrafisch eine Vorstandssitzung, an
der außer ihm der stellvertretende Vorsitzende Medizinalrat Dr. Wollen-
weber-Dortmund und Medizinalrat Dr. Franz-Loetzen teilnahmen. Das
fünfte Vorstandsmitglied, Herr Regierangs- und Geheimer Medizinalrat Dr.Sol-
brig-Breslau war leider amtlich verhindert.
Ueber die Vorstandssitzung wird der Schriftführer in der Zeitung aus¬
führlicher in einer Verbandlungsniederschrift berichten.
Aus der Besprechung mit dem Herrn Minister will ich an dieser Stelle
nur-kurz mitteilen, daß wir ihm unsere Wünsche für die Amtsbezeichnung,
Dienstaufwand, Gebühren und für die Berechnung des Besoldungs- und Ruhe¬
gehaltsdienstalters vorgetragen haben. Wir haben uns zuletzt noch einmal
mit allen verfügbaren Gründen gegen die Kommunalisierung der Kreisärzte
gewandt und haben den Eindruck mit uns genommen, bei dem Herrn Minister
und den anwesenden Mitgliedern seines Ministeriums ein volles Verständnis
644
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
für unsere Beweisführung und die Absicht nachhaltigster Unterstützung unserer
Wünsche gefunden zu haben.
Dann kam am Nachmittage die Vorstandssitzung, auf deren Vorhand*
lungen ich hier nur insoweit eingebe, um auf die nachstehende Bekanntmachung
des Vorstandes betreffend die Boitragsfestsetzung hin weisen zu können. Wir
haben in dieser Sitzung über den Beitrag beschließen müssen, obwohl dies
nach § 6 der neuen Satzungen Sache des Vertretertages ist. Die zunehmende
Teurung und Geldentwertung haben unsere Kasse vorzeitig geleert und zwangen
zur Eile. Die leere Kasse verbot die Berufung einer Vertreterversammlung
noch in diesem Jahre. Wir hoffen auf unsere Entlastung durch Umfrage bei
den Vertretern oder in einer Vertreter-Tagung vor der nächstjährigen Haupt¬
versammlung. Wir müssen noch 1922 eine höhere Bezugsgebühr für die
Medizinalbeamtenzeitung und einen höheren Beitrag zum Berufsverein höherer
Verwaltungsbeamten aufbringen, als wir sie in unsere Berechnung anf der
Magdeburger Hauptversammlung eingesetzt haben. So kommen wir zu einer
Nachforderung von 100 Mark noch für 1922.
Diese Nachforderung, von der 60.— M. auf den Berufsverein höherer
Verwaltungsbeamten und 40.— M. auf die Zeitung bezw. auf den Beitrag zum
Deutschen Medizinalbeamten-Verein kommen, ermäßigt sich bei Kreisassistenz-
Aerzten auf 70.— M. und bei im Ruhestand befindlichen und nicht beamteten
Mitgliedern auf 40.— M.
Von dem Jahresbeitrag für 1923, den wir auf 650.— M. festsetzen
mußten, kommen 250.— M. auf den Beitrag zum Berufsrerein höherer Ver¬
waltungsbeamten, 200.— M. auf die Zeitung bezw. den Deutschen Mcdizinal-
beamtenverein und 200 M. für die Bestreitung der Geschäftsunkosten des Vereins.
Da Kreisassistenz-Aerzte nur die Hälfte des Beitrages an den Berufsverein
höherer Verwaltungsbeamter zahlen, so erniedrigt sich bei ihnen der Bsitrag
auf 525.— M., bei den keinen Beitrag zum Berufsverein höherer Beamter
zahlenden Pensionären und nicht beamteten Mitgliedern auf 400.— M. und, wenn
diese auf den Bezug der Zeitung verzichten, auf 200.— M.
Wie schon gesagt, wir werden uns nachträglich die Genehmigung unserer
Vertreter für unser notwendiges und unaufschiebbares Handeln einholen müssen.
Wir bitten aber auch heute schon alle unsere Mitglieder sich in den Sitzungen
der Bezirksvereine mit diesen unseren Beschlüssen einverstanden zu erklären,
und durch freudige Mitarbeit und Opferwilligkcit die Arbeiten des Vorstandes
stützen und förderh zu helfen.
Die Beiträge sind hoch gemessen an der wirtschaftlichen Not eines
Teiles unserer Mitglieder, sie sind gering gemessen an der Höhe der Geld¬
entwertung und Teurung und im Verhältnis zum Friedensbetrage. Sie sollen
dazu beitragen, uns und unseren Stand aus der Not emporzuheben und unsern
Anschauungen für den Ausbau und die Neugestaltung des Gesundheitswesens
zum Besten unseres Standes und 8taates Förderung und Fortgang zu geben.
Das sind große Ziele, und große Ziele erfordern große Mittel.
-Dr. Bundt, Vorsitzender.
Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften.
Zwangsimpfung und Blatternschutz. Von Kreismedizinalrat Dr. Ascher
in Frankfurt a. M.
Ende März v. J. (1921) wurde von Basel aus gemeldet, daß durch einen
hiesigen Bahnpostsekretär dort einige Ansteckungen von Pocken erfolgt seien.
Sofort angestellte Ermittlungen ergaben, daß dieser Beamte einige Wochen
vorher an einem fieberhaften Ausschlag gelitten, dem der Arzt keine Bedeutung
beigelegt hatte, so daß der Beamte gleich nach seiner Genesung wieder
nach Basel gefahren war; dort hatte er erfahren, daß die Familie, bei der er
zu nächtigen pflegte, an einer unbekannten Krankheit leide. — Nebenbei sei
bemerkt, daß erst eine von dieser Familie ausgehende Erkrankung richtig als
Pocken erkannt wurde. — Inzwischen waren hier in Frankfurt in seiner FamiUie
die Ehefrau, ein 17 jähriger Sohn und eine 27jährige Tochter erkrankt, von
denen die letztere nach einer Woche Btarb; der Fall wurde als Scharlach
gemeldet.
Die nunmehr einsetzende Bekämpfung hatte zur Folge, daß hier in
Frankfurt keine Neuansteckungen auftraten, und daß außer den erwähnten
Besprechungen.
646
Füllen nur noch 7 zur Meldung kamen, die sämtlich schon vorher sich bei dem
betreffenden Postbeamten angesteckt haben mußten. Nach einigen Wochen
war die Seuche erloschen und ist es bis jetzt, 1 '/* Jahre später, geblieben.
Qanz anders das Bild in der Schweiz. Obgleich nach dem Bekannt*
werden der Diagnose und den Warnungen der Amtsärzte die Bevölkerung zu
Tausenden zu den Aerzten strömte, hat in diesem Lande, dessen einzelne
Kantone die Impfung sehr verschieden regeln, die Seuche noch heute nicht auf¬
gehört. Es kamen in einzelnen Wochen über 50 Erkrankungen zur Anzeige,
und noch in der Woche vom 27. August bis 9. Sept. 1922 betrug diese Zahl 45.
Zusammenfassend kann man sagen, daß hier der Zufall ein ganz merk¬
würdiges Experiment im großen mit dem gleichen Ansteckungsstoff gemacht hat.
Bei uns eine unterernährte, aber durch Zwangsimpfung geschützte
Großstadtbevölkerung, bei der die Seuche auf die Ausgangsstelle be¬
schränkt blieb; in der Schweiz bei sicherlich gleich tüchtigen Hygienikern
und, wie wir wissen, sehr energischen Abwehrmaßnahmen eine noch heute mit
unverminderter Stärke fortbestehende Seuche, trotz inzwischen erfolgter Massen¬
impfungen.
Der Vorsprung, der durch die Zwangsimpfung gleichmäßig und früh¬
zeitig geschützten Bevölkerung war eben nicht mehr einzuholen.
Aerzte als Giftmischer. Von Dr. J. E. Spinner in Zürich. H. 1 der
Schriften aus dem kriminalistischen Spezialinstitut. KL 8 °, 24 Seiten. Iris
Verlag in Zürich; 1921.
Verfasser will in zwangslos erscheinenden Heften Fragen aus dem Ge¬
biete der Kriminalistik, der gerichtlichen Medizin, der gerichtlichen Chemie,
der Toxikologie, der angewandten Strafrechtswissenschaften sowie des prakti¬
schen Polizeidienstes behandeln, die der speziellen Aufklärung und Orientierung
der mit den einschlägigen Fragen beschäftigten Kreise (Richter, Aerzte usw.)
dienen sollen. Das erste dieser Hefte behandelt die „Aerzte als Giftmörder“
und bringt in geschichtlicher Reihenfolge zunächst eine gedrängte kurze Ueber-
sicht über die ärztlichen Giftmörder bis zum 19. Jahrhundert, der sich eine
ausführliche Kasuistik der ärztlichen Giftmorde des 19. und 20. Jahrhunderts
anschließt. Trotzdem diese Giftmörder auf Grand ihrer Facbkenntnisse, zunächst
mit wenig bekannten, neu entdeckten Giften arbeiteten, lehren die mitgeteilten,
auch in gerichtsärztlicher Hinsicht sehr interessanten Fälle, daß selbst der
verbrecherische Arzt sogenannte Verbrecherdummheiten begeht, die zur Ent¬
larvung seines raffiniertesten Tons führten. Daneben sind unzweifelhaft eine
Reihe derartiger ärztlicher Delikte unentdeckt geblieben und werden auch
künftig tun so eher unentdeckt bleiben, je vorsichtiger der ärztliche Giftmörder
auf Grund seines Studiums und Wissens sowie seiner Bewegungsfreiheit zu
Werke geht und Verbrecherdummheiten vermeidet. Rpd. sen.
Besprechungen.
Graf 0. v. Klinkowstroem- München: Die Wünschelrute als wissen¬
schaftliches Problem. Mit Anhang: Geophysikalische Aufschlußmethoden.
Stuttgart 1922. 40 S.
Anschließend an die Notiz zur „Wünschelrutenfrage“ (in dieser Zeit¬
schrift S. 442) sei hiermit die Aufmerksamkeit auch ärztlicher Kreise auf das
kürzlich erschienene, streng kritisch urteilende Büchlein des besten Kenners
des Problems gelenkt. Zuverlässige, erfolgreiche Rutengänger (nicht zu ver¬
wechseln mit den Charlatanen und Phantasten, die sich auf diesem wie ja auch
auf anderen Gebieten breit machen) sollten m. E. fachärztlich auch auf ihre
sonstigen Fähigkeiten wie psychischen und somatischen Eigenschaften hin ge¬
prüft werden. Vielleicht gelänge es, auf diesem Wege tiefer in das Geheimnis
der sog. „Rutengabe“ einzudringen. F. Kanngiesser.
Dr. phiL K. Greimer, Leiter der Landes-Desinfektionsschule für Sachsen.
Handbuch des praktischen Desinfektors. Mit 8 Tafeln und 20 Ab¬
bildungen im Texte. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Verlag von
646 Tagesnachrichten.
Theod. Steinkopf(. Dresden and Leipzig 1922. 197 8. Preis: kart.
50 Hark.
Das Handbach, aaf das in dieser Zeitschrift bei seinem ersten Erscheinen
lobend hingewiesen wurde (s. Jahrg. 1919, S. 374, liegt nnn in zweiter Auflage
vor. Bei der Neabearbeitong warde namentlich die neae preußische Des*
infektionsordnang, die auch in Sachsen zam Vorbild genommen ist, berück¬
sichtigt. In dem Bach wird in großgedruckten Abschnitten in Frage und
Antwort das, was beim Unterricht der Desinfektoren gelehrt wird, ausführlich
und allgemeinverständlich dargestellt; dazu treten im Kleindruck Bemerkungen
über Gegenstände, die im Unterricht nur flüchtiger berührt werden konnten
oder die für die Belehrung und Weiterbildung des Desinfektors dienlich sind.
Als Nachschlagebuch und für die Weiterbildung der Desinfektoren auch
über die Grenzen Sachsens hinaus wird das Bach gute Dienste leisten.
_ Solbrig.
A. Sopp-Frankfurt a. H.: Suggestion und Hypnose. Leipzig (K a b i t z s c h)
1922. 3. Aufl. 75 S. 21 Mk.
Schon die Tatsache der dritten Auflage seit 1913 spricht für das Buch.
In der Tat gibt es eine, aaf ausgedehnter persönlicher Erfahrung und ver¬
ständiger Beurteilung basierende umfassende Darstellung des Themas. Neben
der dem Verfasser am Herzen liegenden therapeutischen Bedeutung der Hypnose
ist aach deren für den Gerichtsarzt wichtige strafrechtliche Bedeutung voll
gewürdigt. Das Buch kann, wie es beabsichtigt, ohne Bedenken dem Laien
zur Ergänzung der Sprechstunde in die Hand gegeben werden.
Gu mp recht- Weimar.
Tagesnachrichten.
Todesfall* Prof. H. Gutzmann, der bekannte verdienstvolle Forscher
auf dem Gebiete der Sprachheilkunde, ist kürzlich im Alter von 57 Jahren in
in Berlin gestorben. _
Zur Unterstützung gemeinnütziger Anstalten wurde im Haushaltungs¬
ausschuß des Reichstages auf Antrag des sozialpolitischen Reichstagsaus-
Schusses ein Betrag von 1 Milliarde Mark zur Verfügung gestellt.
Die „Umschau“, Wochenschrift über die Fortschritte in Wissenschaft
und Technik (Herausgeber Prof. Dr. B e c h h o 1 d in Frankfurt a. M.) erläßt ein
Preisausschreiben über das Thema: „Die Wahl des Gatten“. Forscher
nnd Wissenschaftler werden zur Mitarbeit aufgefordert. Zar Verteilung ge¬
langen namhafte Preise, die bis jetzt einen Gesamtbetrag von 40000 M. er¬
reicht haben.
Verlangt wird ein Aufsatz von 8—4 Druckseiten Umfang. Die näheren
Bedingungen werden mitgeteilt vom Verlag der „Umschau“, Frankfurt a. M.,
Niddastr. 81.
Zu den Sätzen der Gebührenordnung für approbierte Aerzte und
Zahnärzte vom 15. März 1922 ist gemäß Bekanntmachung deB preußischen
Ministers für Volkswohlfahrt vom i. Oktober 1922 ein Teuerungszaschlag von
860 v. H., vom 1. November d. J. ein solcher von 900 v. H. getreten. Diese Zu¬
schläge beziehen sich auf die Abschnitte II A und B (Gebühren für Aerzte)
und Öl (Gebühren für Zahnärzte).
Die Reform der ärztlichen Prüfungsordnung. Die Beratungen über
die Neuregelung der ärztlichen Prüfungsordnung beginnen am 80. November
im Beichsministerium des Innern. Für die Beratungen ist außer der Neu¬
regelung der Prüfungsordnung, die seit Jahren in der Schwebe ist, auch eine
grundsätzliche Aussprache über alle hier in Betracht kommenden Ausländer¬
fragen in Aussicht genommen, namentlich zur Herbeiführung von Gegenseitig¬
keitsabkommen mit fremden Staaten zur Anerkennung der Approbation.
Tagesnachrichten.
647
Zar Bekämpfung des Branntwelngennsses. Das Ueberhandnehmen
des Genusses von Spirituosen, namentlich in Form des Schnapses, erfüllt alle
wahren Volksfreunde und die Hiiter der Gesundheit mit banger Sorge. Wie
Pilse aus der Erde schießen, tun sich in den Großstädten Likörstuben aller¬
hand Art, oft unter hochtrabenden Bezeichnungen und mit reklamehafter
Kenntlichmachung der Häuser massenhaft auf und an Besuchern dieser Stätten
fehlt es durchaus nicht, mag der Spiritus auch noch so hoch im Preise steigen.
Die Folgen für das Volkswohl machen sich deutlich bemerkbar. Die Zahl der
Betrunkenen, die auf der Straße anzutreffen sind, wächst, die Irrenanstalten
füllen sich von neuem mit Alkoholpsychosen usw. Vielen Volksgenossen
scheint der Ernst unserer Lage noch nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein.
Aufklärung und Belehrung nützen offenbar wenig. Da gut es mit polizei¬
lichen Maßnahmen streng vorzugehen. In der Provinz Niederschlesien hat der
Oberpräsident einen wahrhaft erfreuenden Vorstoß gegen den Schnapsteufel
unternommen, indem er unter dem 18. Oktober eine Polizeiverordnung erlassen
hat, wonach der Ausschank von Branntwein oder Spiritus in allen Cafds,
Gast-, Speise- und Schankwirtschaften in der Zeit von 9 Uhr abends bis 8 Uhr
morgens verboten ist Die Gastwirte toben und drohen mit Schließung ihrer
Lokale.
Hoffentlich findet das Vorgehen in unserer Provinz Nachahmung in den
übrigen Provinzen I _
Abänderung der Relchsgebührenordnnng für Zeugen und Sach¬
verständige. Die Beichsgebührenordnung ist durch Beichsgesetz vom 24. Ok¬
tober 1922 der Geldentwertung entsprechend abgeändert worden. Die Ent¬
schädigung der Zeugen für Zeitversäumnis ist von 1 bis 15 auf 5 bis 180 M.
für jede angefangene Stunde erhöht worden (§ 2). Die Stundengebühr für
Sachverständige, bisher bis 20 M., ist erhöht worden auf bis 180 M, bei be¬
sonders schwierigen Leistungen bis 240 M. (§ 3). Die Aufwandsentschädigung
darf 860 M., für besonders teure Orte 480 M. betragen. Die Kosten für Nacht¬
quartier sollen angemessen entschädigt werden; ein bestimmter 8atz ist nicht
genannt.
Der nicht beamtete Arzt ist, wie bekannt, befugt, nach diesem Gesetz
oder nach dem Gesetz über die Gebühren der Medizinalbeamten zu liquidieren.
Für Leistungen, die nach Stunden berechnet werden (besonders bei auswärtigen
Terminen) sind die Gebühren nach dem Beichsgesetz erheblich höher als nach
dem preußischen Gesetz, wie dies in der Aerztuchen Sachverständigen-Zeitung
(Nr. 22, 1922) näher ausgeführt wird.
Gebühren nnd Dienstanfwand.
Der Vorstand hat mündlich bei den Beratungen am 26. Oktober bei dem
Herrn Minister erneut schriftlich beantragt:
1. Die Gebühren werden entsprechend und gleichzeitig mit der ärztlichen
Gebührenordnung, oder aber unter Zugrundelegung des fünfzigfachen Be¬
trages der Vorkriegszeit für den 1. Oktober 1922 gleichzeitig und prozentual
entsprechend der Steigerung der Beamtengehälter aus Gruppe X erhöht.
2. Die Dienstaufwandsentschädigung beträgt ab 1. April 1922 10000 bis
20000 M., ab 1. Oktober 20000—40000 M. und Bteigt ab 1. Oktober gleich¬
zeitig und prozentual entsprechend der Steigerung der Beamtengehälter.
Auf das Unerträgliche des derzeitigen Zustandes und die engen Wechsel¬
beziehungen zwischen Gebühren und Dienstaufwandsentschädigung ist ein¬
gehend Mngewiesen. Dr. Wollenweber.
Berichtigungen.
Bereits auf S. 101 der Zeitschriften für Medizinalbeamte vom 20. Februar
1922 mußte ich berichtigen, daß es bei der Wiedergabe des Entwurfes zu
einem Gesundheitsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im
ersten Satze „in den Gern ein betrieb 0 , nicht Gemein de betrieb, wie auf 8.675
648
Tagesnachrichten.
der Nnmmer vom 20. November 1921 zn lesen war, heißen maß, daß selbst¬
verständlich die Sozialdemokratische Partei nicht daran denkt, Beich, Staat
und Versicherungstrager von der Gesundheitspflege auszuschließen.
Diese Berichtigung mnß ich wiederholen, da auf S. 679 der Nummer
vom 20. Oktober 1922 bei der Mitteilung des Wortlautes der endgiltig dem
Görlitzer Programm einverleibten Sätze — anscheinend im Nachdruck einer
anderen Zeitschrift, die schon den Druckfehler enthielt, wiederum Gemeinde¬
betrieb steht, wo es Gern ein betrieb heißen muß.
Prof. Dr. med. A. Grotjahn, M. d. R.
Kreismedizinalrat Dr. Hahn •Königsberg teilt berichtigend mit:
Auf S. 567, Nr. 20 dieses Jahrgangs achte Zeile von unten muß es
heißen: Entscheidung des Kammergerichts (nicht Reichgerichts).
Prenssischer Medizinalbeamtenyerein.
Bekanntmachung des Vorstandes.
Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins hat in seiner
Sitzung am Donnerstag, den 26. Oktober zu Berlin den Jahresbeitrag für
1923 auf
650 Mark für aktive Medizinalbeamte,
525 Mark für Kreisassistenzärzte,
400 Mark für ini Ruhestand befindliche Medizinalbeamte und nicht be¬
amtete Mitglieder mit Bezug der Zeitung,
200 Mark für letztere ohne Bezug der Zeitung festgesetzt.
Er hat ferner zur Deckung der noch in diesem Jahre aufzubringenden
Kosten für Erhöhung des Zeitungsbezugsgeldes und des Beitrages zum Berufs¬
verein höherer Verwaltungsbeamter beschließen müssen, für 1922 noch einen
Nachbeitrag von 100 Mark zu erheben, der sich bei Kreisassistenzärzten auf
70 Mark, bei im Ruhestand befindlichen und nicht beamteten Mitgliedern auf
40 Mark ermäßigt.
Die Herren Geschäftsführer der Bezirksvereine werden gebeten, diesen
Nachbeitrag für 1922 bis zum 20. Dezember dg. Js. und den Jahresbeitrag
für 1923 bis spätestens zum 1. April 1923 einzureichen und an das Bankhaus
H. F. Lehmann, Postscheckkonto Leipzig Nr. 1095 auf das Konto des
Preußischen Medizinalbeamtenvereins einzusenden.
Dr. Bundt, Vorsitzender.
TmitvtitUth für dli SchrlftleUung: Geb. Med.- Bel Dr. Solbrig, Beg.- n. Med.-Bel ln Breslen
Breiten V, BehdlfentreSe M. — Druck von J. O. C. Brun*, Minden L W.
35. Jahrg. Nr. 24. ZEITSCHRIFT 20. Dez. 1922.
MEDIZINALBEAMTE
1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prot. Dr. RAPMUND.
Zentralblatt
für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des staat¬
lichen and privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- and
Öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der praktischen and sozialen Hygiene.
Herausgegeben von
Iled.-Rat Dr. Bundt-Halle a. 8., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München,
Prof. Dr. Kaup-Miinchen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund -Querfurt, Med.-Rat
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Göttingen, Prof.
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt
Dr. Wollenweber- Dortmund.
Offizielles Organ des Deutschen. Prensslschen. Bayerischen. Sächsischen.
Wfirttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen
and Braansshwefglschen Medizinalbeamtenvereins.
Eine Beilage: Recbtsprecbong und Medizinalgesetzgebung.
Schriftleitung: Verlag:
Geb. Med.» Rat Dr. Solbrig, flscher’s med. Buchhandlung H. Kornfeld,
Reg.* e. Hed.-Rat la Breslau. Berlin W. 62, KeithsiraBe 5-
Bezugspreis für das IV. Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 M
Kolloidales
Klselsäure-Eiweiss
pro Tabl. 0,1 g Si 0 2 ; 3 X tägl. 1 Tabl
Gegen Ekzeme, Lungenkrankheiten etc.,
besonders gegen beginnende und fibröse Tuberkulose.
Pasacol
Kolloidale Mineral-Eiweissnahrung.
Fördert die Knochenbildung.
Kräftigt den gesamten Organismus.
Proben und Literatur vom Lecinwerk Hannover.
AbbajHUt*ä£*fi ?
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Ta^e jo acht lebten . . t
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Beilage; '. ^ A’iy-,’
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Personal ifcü-
Deutsche* Reich und Freuaaen,
Mitgliedern ti‘< (jinie^e^UiHib^itpratä Frof. l>r. Huhu»
iosEitots der ruivebUSl ftarTui, l>r. Put-b.
[Direktor dos Hygioiiisrlivn
lieg - und McC-Rat in Wjppt
('hnrnklerislerDfig:: I)r. ^pancken, Kreisarzt &. 0, Geiu HetK-Itöt
Meschtädt», H)mibthbBftTzt d. L. a. !».. 1 bamkteK J- Gefieralober&tgt,
Bayern.
>d.K*h :• •.Bezirk$a.rzt Hb.-Mrd.-lUt Fr. < * bc* rwe i 1 cr.
Geschäftsstelle und Versand für die Mitglieder des Medizinaibeamieci
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Jaürg.
iSeitscürUt für Medizinalbeamfce.
— Zeitschrift —
für
MEDIZINALBEAMTE
•88 mitbegrOote «ad von 1882 bis 1822 herausgegeben von Geh. Med.-Rai Prot. Dr. RAPMUNO.
Zentralblatt
fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal-
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene
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Med.-Bat Dr. Bundt - Halle a. S M Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München,
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Rat Prof. Dr. Pappe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat
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Dr. Wollenweber-Dortmund.
Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen,
Württembergisohen, Badischen, Hessisohen, Mecklenburgischen,
Thüringischen u.Braunsohweigisohen Medizinalbeamtenvereins
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Bezugspreis für das IT. Vierteljahr durch die Post bezogen: 33 Mark
Nr. 24.
Erscheint am 5. and 20. jeden Monate
20. Dez.
Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes
betr. die öffentliche Krüppelfürsorge
vom 6. Mai 1920.
Nach einem Vortrag, gehalten aaf der 84. Konferenz der Medizinalbeamten
des Regierangsbezirks Düsseldorf am 27. Mai 1922.)
Von Dr. Kriege, Kreisarzt and Stadtarzt and Dr. Pfabei, Stadtassistenzarzt
in Barmen.
Nachdem das Krüppelfürsorgegesetz am 1. April l 1 /» Jahre
in Wirksamkeit war, lohnt es sich für den Medizinalbeamten
wohl, einmal zu sehen, was bisher auf diesem Gebiete in seinem
Kreise geleistet worden ist. Vielleicht werden die Erfahrungen,
die wir bei der Durchführung des Gesetzes in Barmen gemacht
haben, auch für solche Kreise, in denen die Verhältnisse anders
liegen, nicht ganz ohne Wert sein.
Dem Kreisarzt in Barmen wurde gleich zu Beginn seiner
amtlichen Tätigkeit im Jahre 1901 das Nebenamt emes Stadt¬
arztes übertragen. Als solchem stehen ihm zweckmäßige, mit
den notwendigen diagnostischen Hilfsmitteln ausgestattete Büro¬
räume, 2 Stadtassistenzärzte, von denen mindestens einer kreis¬
ärztlich geprüft ist, und 2 weibliche Hilfskräfte für die Er¬
ledigung der Büroarbeiten zur Verfügung. Die Stadtassistenz-
650
Dr. Kriege und Dr. PfabeL
ärzte sind als Schulärzte und daneben auch in anderen Zweiten
der sozialen Fürsorge beschäftigt. Außerdem ist ein städtischer
Kinderarzt angestellt, dem die Fürsorge für die Säuglinge und
Kleinkinder obliegt. Er ist leitender Arzt des Säuglingsheims
und der Kinderabteilung des städtischen Krankenhauses, ihm
sind jetzt ein Sekundärarzt, 3 Assistenzärzte und mehrere
Volontärärzte unterstellt. Bisher betrieben 7 Wohlfahrtspflege¬
gerinnen in den ihnen zugewiesenen Stadtbezirken die gesund¬
heitliche Familienfürsorge nach Anweisung der genannten Aerzte,
ihre Zahl ist jetzt auf 12 gebracht worden, (da zu ihren Auf¬
gaben die Tuberkulosenfürsorge, für die noch ein besonderer
Arzt angestellt werden soll, hinzukommt).
Bei dieser Organisation lag es nahe, den Kreis- und Stadt¬
arzt gemäß einer Ausführungsbestimmung zum Krüppelfürsorge¬
gesetz (VI. E. 5.) mit der Leitung der Krüppelfürsorgestelle zu
betrauen, zumal da die meisten Krüppel, für die gesorgt werden
muß, im schulpflichtigen Alter stehen. Für die Begutachtung
der verkrüppelten Säuglinge und Kleinkinder wurde die Mit¬
wirkung des städtischen Kinderarztes Herrn Dr. Hoffa und
seiner Assistenten gewonnen, die in den von ihnen abgehaltenen
Mutterberatungsstunden die beste Gelegenheit dazu hatten.
Außerdem war von vornherein ins Auge gefaßt, zur Feststellung
der Diagnose und des Heilplanes einen geeigneten Facharzt
hinzuzuziehen, und wir betrachteten es als ein großes Glück,
daß sich der in der Orthopädie besonders erfahrene Oberarzt
der chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses,
Herr Professor Röpke, dazu bereit erklärte.*) Im übrigen
wurde die Fürsorgestelle zuerst dem Kinderfürsorgeamt an¬
gegliedert. Seit kurzem werden die Anträge auf Uebemahme
oder Unterstützung des Heilverfahrens von der Zentralstelle
des Wohlfahrtsamts bearbeitet.
Bevor wir in die Arbeit eintraten, übernahm es der Stadt¬
arzt als ärztlicher Leiter der Krüppelfürsorgestelle, die prak¬
tischen Aerzte in einer Sitzung des Aerztevereins mit den
wichtigsten Bestimmungen des Krüppelfürsorgegesetzes bekannt
zu machen und um ihre Mitarbeit zu bitten. Der vorgetragene
Plan wurde ohne erheblichen Widerspruch gutgeheißen, die
Unterstützung zugesagt. Meldekarten zur Anzeige der Fälle
wurden den Aerzten übersandt, ebenso den Hebammen, denen
vom Kreisarzt die neuen Pflichten, insbesondere die Anzeige¬
pflicht, an der Hand ihres Lehrbuches eingeschärft wurden.
Die Fürsorgeschwestern und Lehrpersonen wurden entsprechend
belehrt und angewiesen, in ihrem Bereiche alles zu tun, um
die Krüppel und die von der Verkrüppelung bedrohten Kinder
*) Seinem Wunsche, nach und nach s&mtliche Krüppel gemeinsam mit
uns anzusehen, sind wir tunlichst nachgekommen. Nur in 72 von 881 Fällen
wurde von dieser Vorstellung abgesehen, weil sie überflüssig erschien (51 Fälle),
weil sie von den Eltern der Kinder nicht gewünscht wurde (18 Fälle) oder
weil sich die betreffenden Patienten in der Behandlung anderer Fachärzte be¬
fanden (8 Fälle).
Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes betr. Krüppelfürsorge. 651
und Jugendlichen unter 18 Jahren möglichst vollzählig zu er¬
mitteln und zur Anzeige zu bringen.
Der Erfolg dieser Maßregeln ist recht befriedigend gewesen.
Aus der nach § 103 a der Dienstanweisung für die Kreisärzte
geführten Krüppelliste, die im wesentlichen auf den Meldungen
der Schulärzte beruhte, wurden 113 Personen in die Fürsorge
übernommen.
Auf Grand des «Krüppelfürsorgegesetzes wurden dann bis zum 1. Mai
dieses Jahres gemeldet:
von Schulärzten.
„ Lehrpersonen.
„ Eltern der Schulkinder.
„ praktischen Aerzten.
„ Kinderärzten und Wohlfahrtspflegerinnen .
„ Hebammen.
„ Wohlfahrtsamt.
dazu alte Krüppelliste.. . . .
140 Kinder und Jugendliche,
9 l
80 „
66 „
l :
113 n
Insgesamt: 381 Krüppel.
Nicht berücksichtigt sind bei dieser Aufstellung alle diejenigen Meldungen,
die sich bei näherer Prüfung als irrtümlich erwiesen, weil sie Fälle betrafen,
die nicht unter das Krüppelfürsorgegesetz fielen. So schickte eine Volksschule
eine große Liste von Kindern, die alle verkrüppelt sein sollten. Wir hätten
damit einen guten Teil des kreisärztlichen Tagebuches anfüllen können, wenn
wir sie nach Vorschrift alle eingetragen hätten. Bei der Untersuchung der Kinder
zeigte es sich, daß eB sich fast nur um habituelle Skoliosen handelte, die von den
Schulärzten als nebensächliche Befunde in den Gesundheitsbogen vermerkt waren.
In der Äusführungsanweisung zum Gesetz wird angenommen,
dafi „die Gesamtzahl aller Krüppel etwa nur eins pro Tausend
der Bevölkerung beträgt“. Es hat sich gezeigt, daß diese
Schätzung für eine große Industriestadt wie Barmen viel zu
niedrig ist, denn wir hätten danach nur mit 160 Krüppeln zu
rechnen brauchen. Andererseits läßt sie den Schluß zu, daß
wir die hier vorhandenen verkrüppelten Kinder und Jugend¬
lichen nahezu vollständig ermittelt haben.
Wir verfuhren nun in der Weise, daß wir die gemeldeten,
schulpflichtigen Kinder und die Jugendlichen in Begleitung
ihrer Mütter in kleinen Gruppen vorluden und in unseren Büro¬
räumen — gewöhnlich im Anschluß an die Schulsprechstunde —
untersuchten. Personalien, Anamnese und Befund wurden in
einen einfachen Fragebogen eingetragen, der auch genügenden
Raum für die Bemerkungen des Facharztes enthielt. Die als
Krüppel gemeldeten Säuglinge und Kleinkinder untersuchte der
städtische Kinderarzt mit seinen Assistenten in derselben Weise.
Außerdem wurde von dem Facharzt, Herrn Professor Röpke,
im städtischen Krankenhause jede Woche eine Krüppelsprech¬
stunde abgehalten, zu der je 10 bis 12 der voruntersuchten Kinder,
möglichst aus dem Amtsbezirk einer bestimmten Fürsorge¬
schwester, bestellt wurden. Die letztere und der Schularzt, der die
betreffenden Kinder untersucht hatte, waren dabei stets zugegen.
Der im Fragebogen niedergeschriebene Befund wurde nach
den Angaben des Facharztes nötigenfalls ergänzt. Auch wurden
sogleich im Anschluß an die Sprechstunde, soweit erforderlich,
Röntgenaufnahmen gemacht. — Nachdem das ganze Material
652
Dr. Kriege und I>r, PFabel.
in dieser Weise untersucht war, sind wir seit Oktober 1921
alle 3 Wochen mit einer Sprechstunde im städtischen Kranken*
haus ausgekommen.
Diejenigen schulentlassenen Krüppel, die noch keinen be*
stimmten Beruf ergriffen hatten, wurden der für die Kriegs¬
beschädigten eingerichteten Berufsberatungsstelle überwiesen.
Die bis «um 1, Mai ds. Js. untersuchten und in Fürsorge
genommenen 381 Fälle lassen sich — nach dem Vorgänge von
Rehberg*)) der ähnlich einteilt — zwanglos in die”folgenden'
14 Orappen bringen :
Grs.ppe 1, RachitischeWacbatumsstörungea derExiremHiten:76Fälle.
-Öf ttppe :M<: Schwere Skoliosen * 63 Fälle. (56 durch Rachitis, 4 durch
SpätrackUis,. 1 durch Empjötnu 1 durch. spinale Kinderlähmung, 1 durch Unfall)
Gruppe XU. übrooische Eatxüodungeu der Knochen und Gelenke
(außer Tuberkulose): 10 Falle. (8 Osteomyelitis, l chro», Oeleekrheuiniittamas.
1 Oelenkeiterang aas unbekannter Ursache.)
G tttnph IV* Tüb&fMiose der Knochen and Geleafce(ander der Wirbel*
aäuld) ; 24 Fälle. , v ‘ ’ ' . . • . •• •
' Grappe V. TaberkinlöSd der Wirbels&nlerV Fille.
Gruppe VI, Schlaffe Läbwtt«geia; 7S-.Fälle, (68 nach spinaler Klader*
lähmung» 8 «ach Unfall, 1 nach Dipbtbem, 1 nach ÖawckstHrra,)
Gruppe Vfi. Spaatrischei XiäliTflooge«7 Fälle (9 nach Littleadbcr
Krankheit» 3 nach zerebraler Kinderlähmung, l nach Oebartstraumad
Grupp* VULV Äbgebotene Hdftgcieufesrerrenkäng-: 46 Fälle (26 ein¬
seitig. 22 doppelseitig). .*
Grupp« XX; ■ Ganzes oder teüweises FeWeu der oberen Extremitäten:
6 .Fälle
Gf d pp« X. Gaazes ä)d«r teiiweisea Feblea der uateren Extremitäten:
10 fftüs (6 infolge Unfall, S infolge Blfttverglftdng).
Sirnppß KI. Verkräppelebgeo • ff«r oberen Extremitäten; 17 Fälle
{9 »ogftbaireo, 8 öÄcb Unfällen). n.Hh :
V4ro|>pt> XII. Verkrüppelungen de? aotaren Extremitäten: 27 Ffills
(18 KluajpfQöe, Ö andere angeborene Ätißbtldüngen, 3 nach tlnfkU).
Geoppe XIII. Angeborene Mißbildungen des Kopfes and Rumple»:
7 Fälle (4 Gaumenspalten, 2 Meningocuieu, 3 Athyreoidiansns).
Gruppe XIV. Schiefhals: 3 Fähe(l angeboren, 1 erworben),
Ueber d*s Lebensalter, in dem das betreffende Krüppel¬
leid« o entstand, gibt die folgende Tabelle (I) Auskunft.
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*) Zum Ausbau der Krüppelfßrsorge. Diese Zeitschrift, 1921, 8,80 ff.
Brt&bnuigen hei dej lOgrcl^fcjrfrag des CpBeizes betr. &fßpj>elil}r$«rge. 653
Daraus Versteht maa» daß das Leidet* io 95 Fällen aogeboren war (darunter
48 Fälle! van Httftgeienk9TenraaJka.ng und IS Fä^le yon KlainpfulJ), während
es in 252 Fällen in» KiejafctadaaaUor (davon die überwiegende Mehrzahl durch
Rachitis oder spluale Kindarlühiävangt und uar in 34 Fällen iru scbulphichtigcn
oder daraut folgendest Jiigendalter (darunter 9 Fälle von Tuberkulose und
13 Fälle durch t'ofnngliiekang} entstand,
*2^Ätr©JJio 11*
Zahl äsr Fäll# und lah&nsaH&r. in dem die Krüpsslförnorgö elostme.
Es standen beim Eintritt in die Eriippelfftrsorge
ja Orappe
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7 Fällen
Tabelle IX zeigt, daß die Krüppelfürsorge nur in 8
im Säuglings- bezw. Eieinkindesalter einsetzte, während 204 Fälle
erst ira schulpflichtigen Alter oder noch später in die Fürsorge
übernommen werden konnten. Diese« Verhältnis wird sich hei
längerem Bestehen der Fürsorgesteile allmählich günstiger ge¬
stalten, zumal da m mit Hilfe der 12 AVohllahrtspßegerinnen,
über die wir in Barmen bald Verfügen werden, immer besser
gelingen wird, die Kleinkinder in die Mutterberätüöjgsstelleo
au bringen und damit unter die Beobachtung des Städtischen
Kinderarztes zu stehen. Praktisch wichtig ist dies besonders
für die ängeborenen HftftgelenksverrenkiJtigeri, die beim K1^3 b*
kinde eo schwer zu erkennen sind, und für die Kinderlähmungen,
doch auch für viele FälleVon rachitischen Verkrümmungen
der Extremitäten und der Wirbelsäule, sowie von Tuberkulose
der Knochen und Gelenke.
Eine Uebersinht über das, was bisher io der Krüppel-
fürsorgestölle angeordnet und erreicht worden Ist, geben wir
in der .folgenden Tabelle PfJ. Auch die Schwere des KrüppeP
leidens ist in der 8- Spalte „Grad der »u örwartenden Erwerbs-
beschränkung“ für '%e.' '^i^ei^adeaäii Gruppen zum Ausdruck
gebracht.
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Dr. Kriege und X)r. PisAel
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7,. Moria Beobachtung-
^atntüe
Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes betr. Krüppelfürsorge. 655
Zunächst ergibt sich, daß nur in wenig mehr als der Hälfte der Fälle
eine Behandlung als notwendig oder Erfolg versprechend angesehen wurde:
186 von 381 Fällen sind in der 6. Spalte als „nur in Beobachtung“ aufgeführt.
Darunter überwiegen die rachitischen Verkrümmungen der Wirbelsäule, die
schlaffen Lähmungen und die angeborenen Hüftgelenksverrenkungen, die
sämtlich zu spät (nach dem 6. Lebensjahre) in die Fürsorge kamen, ln
31 weiteren Fällen wurde die vorgeschlagene blutige, bezw. unblutige Operation
verweigert oder aus anderen Gründen nicht ausgeführt (Spalte 1 und 2 der
Tabelle). Besonders blutige Operationen, z. B. die Osteotomie bei rachitischen
Verkrümmungen der unteren Extremitäten, werden von den Angehörigen oft
nicht zugelassen, während unblutige Geradericbtung, wie sie Röpke*) für
manche Fälle zuerst empfohlen hat, meist ohne Schwierigkeiten zu erreichen
ist. Im übrigen sind sämtliche, aus der Tabelle (Spalte 1, 2 und 8) ersicht¬
lichen Operationen im städtischen Krankenhause ausgefübrt, auch die rein
orthopädische Behandlung (Spalte 3) fand im städtischen Krankenhause oder
doch unter Aufsicht des Facharztes statt. — Der Erfolg war in den meisten
Fällen recht befriedigend. 82 Kinder wurden von ihrem Leiden befreit, so daß
eine Erwerbsbeschränkung bei ihnen nicht zu erwarten ist (Spalte 9), aber
auch in vielen anderen Fällen ist eine erhebliche Besserung erzielt worden,
z. B. bei einem 17 jährigen völlig erwerbsunfähigen Jüngling mit einer fistelnden
Spondylitis, der durch die Operation etwa zur Hälfte wieder erwerbsfähig ge¬
worden ist, ferner in 4 Fällen von schlaffer Lähmung, in denen gleichfalls
durch Operationen geholfen werden konnte.
Wieweit das Krüppelleiden durch die Allgemeinbehandlung in der Mütter¬
beratungsstelle, im Kinderkrankenhaus oder in auswärtigen Kurorten (Spalte 4
der Tabelle) günstig beeinflnßt wurde, wird die weitere Beobachtung ergeben.
ln 146 Fällen war das Leiden so schwer, daß die zu erwartende Erwerbs¬
beschränkung auf über 50 °/o geschätzt werden mußte. (Spalte 9 der Tabelle).
Der Zahl nach überwiegen hier die rachitischen Verkrümmungen der Wirbel¬
säule und die schlaffen Lähmungen, doch stellt auch die Tuberkulose der
Knochen und Gelenke ein erhebliches Kontingent dazu.
In 4 Fällen wurde die Aufnahme in ein Krüppelheim veranlaßt (Spalte 5
der Tabelle).**) In dem ersten Fall handelte es sich um ein 14 jähriges Kind
das wegen Lähmung des rechten Beins mit hochgradiger Kypho-Skoliose die
Schule nicht besuchen konnte. Zwei weitere Fälle betrafen schulentlassene
Kinder mit schlaffen Lähmungen der unteren Extremitäten, die ohne Anstalts¬
behandlung keinem geeigneten Beruf zugeführt werden konnten. Der vierte
Fall betraf einen jetzt 15jährigen Knaben, der durch eine Verunglückung
beide Unterschenkel verloren hatte und auch an beiden Händen schwer be¬
schädigt war. An Schulbesuch war nicht zu denken, er wurde eine Zeitlang
zu Hause von einer Lehrerin unterrichtet, doch stellte sich heraus, daß er
ohne Ausbildung in einem Krüppelbeim zu einem bestimmten Beruf nicht vor¬
zubereiten war. — Außerdem sind 6 Kinder schon vor dem Erlaß des Krüppel¬
fürsorgegesetzes in Krüppelheimen (die meisten in Volmarstein) untergebracht
worden, so daß wir sie nicht untersucht haben. Im übrigen haben wir uns
mit Anträgen auf Ueberweisung in solche Vollheime möglichste Beschränkung
auferlegt, einmal wegen des Platzmangels, zweitens wegen der Kosten und
drittens, weil wir nicht ohne zwingenden Grund ein verkrüppeltes Kind für
längere Zeit — vielleicht für Jahre — aus seiner Familie entfernen wollten.***)
Konnten wir doch darüber beruhigt sein, daß die chirurgisch-orthopädische
Behandlung in unserem schönen Krankenhause — das auch vom Landarmen-
*) „Die Behandlung rachitischer Verkrümmungen der Unterschenkel.“
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie,
8. Kongreß 1909.
**) 2 Fälle, in denen diese Maßregel wegen des Widerstands der Eltern
noch nicht durchgesetzt werden konnte, sind in der Tabelle nicht berück¬
sichtigt. Die beiden, nicht schulbesuchsfähigen Kinder werden vorläufig zu
Hause unterrichtet.
***) Dieser Gesichtspunkt scheint uns in der Ausführungsanweisung zum
Krttppelfürsorgegesetz zu wenig berücksichtigt worden zu sein.
666
Dr. Sorge.
verband als Anstalt im Sinne des § 1 des Gesetzes anerkannt worden ist —
in vollkommener Weise geleistet werden würde.
Endlich wurden 2 hochgradig schwachsinnige Kinder, deren Krüppel¬
leiden (X-Beine bezw. angeborene Knochenverkrümmnngen der Unterarme)
nebensächlich erschien, einer Idiotenanstalt überwiesen (Spalte 6 der Tabelle).
Die Kosten, die der Stadt und dem Landarmenverband
aus der Durchführung des Gesetzes erwachsen sind, hatten wir
uns weit höher vorgestellt. Sie betrugen bis zum 1. April d. Js.
insgesamt 31188 M., wovon der Landarmenverband nur 2982 M.
übernommen hat. Dazu kommt noch 1 Pall mit einem Kosten-
aufwande von 8162 M., in dem ein Ortsarmenverband neben
dem Landarmenverband zahlungspflichtig ist. — Die Kosten
für die Unterbringung der Krüppel in den eigentlichen Krüppel¬
heimen sind hier aber nicht mitgerechnet: 6 Fälle wurden
schon vor dem Erlaß des Krüppelfürsorgegesetzes in Anstalten
behandelt, und die von uns beantragten 4 Fälle konnten bisher
noch keine Aufnahme finden. — Unterstützt wurden je 16 Fälle
in der geschlossenen und offenen Krüppelfürsorge, wozu be¬
merkt sei, daß von dem System der sog. gemischten Behand¬
lung möglichst ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, indem kein
operiertes Kind länger im Krankenhause verweilte, als unbedingt
nötig war. Die Kosten sind dadurch wesentlich verringert
worden. — Die Errichtung der Krüppelfürsorgestelle hat keine
nennenswerten Kosten verursacht, weil die daran beteiligten
Aerzte keine besondere Vergütung beanspruchten.
Nach unseren Erfahrungen ist die Krüppelfürsorge ein be¬
sonders lohnendes und dankbares Gebiet, auf dem sich der
Kreisarzt nach Möglichkeit selbst betätigen sollte.
Was der Landarmen verband seit dem Inkrafttreten des
Krüppelfürsorgegesetzes auf diesem Gebiete getan und geleistet
hat, ist uns nicht bekannt. Ein enges Hand in Handarbeiten
zwischen der Krüppelfürsorgestelle und dem Landarmenverband,
wie es die Ausführungsanweisung (unter VI B 4) vorsieht, würde
uns sehr zweckmäßig erscheinen.
Znr Hebammenfrage.
Von Kreisarzt Dr. Sorge - Gelle.
Die Wichtigkeit der Frage der Auswahl der Hebammen
gerade jetzt wieder, kurz vor Inkrafttreten des neuen Hebammen¬
gesetzes, wird es rechtfertigen, wenn diese Frage noch weiter
erörtert wird.
Meines Erachtens kann derjenige, der die körperliche und
geistige Tauglichkeit zum Hebammenberuf bei einer Person ent¬
scheiden soll, dieses in vielen Fällen nicht auf Grund einer ein¬
maligen Untersuchung und Prüfung während einiger Minuten oder
einer halben Stunde für eine Bezahlung von 3 oder jetzt 30 M.*) tun.
Die Art, wie eine Hebamme zu ihrem Beruf kommt, muß
geändert werden 1 Man bedenke, welches Material sich oft
meldet, welche Schwierigkeiten es oft macht, eine auch nur
*) Anm. Inzwischen aal 800 tf. erhöht! D. Schriftl.
Zar Hebammenfrage.
667
einigermaßen geeignete Person dazu zu bestimmen, sich zur
Hebamme ausbilden zu lassen, welche Momente in einer Ge¬
meinde mitsprechen, wenn die Frauen zur Hebammenwahl
schreiten. Eine Besserung wird in dieser Hinsicht möglich
sein, wenn ein Kommunalarzt angestellt ist, der die Hebammen¬
sache beim Kreisausschuß mit bearbeitet und es wird am besten
gehen, wenn der Kreiskommunalarzt zugleich der Kreisarzt ist,
der Einfluß in den Gemeinden besitzt und der in einer Ver¬
sammlung dann die von ihm ausgesuchten Personen zur Wahl
vorschlägt. Besteht keine Personalunion zwischen Kreis- und
Kommunalarzt, dann müssen beide Hand in Hand arbeiten.
Wer häufiger Hebammen vorprüf ungen vorgenommen hat,
weiß, daß die beigebrachten Leumundszeugnisse durchaus nicht
immer der Wirklichkeit entsprechen, daß die zur Hebamme vor¬
geschlagenen Personen aus allen möglichen, nur nicht aus ob¬
jektiven Gründen gewählt wurden. Die Schulzeugnisse brauchen
nicht beigebracht zu werden. Der selbstgeschriebene Lebens¬
lauf verschweigt nur zu häufig das wichtigste! Bei der Unter¬
suchung ist die Betreffende befangen, andererseits imponiert eine
gewisse Ungeniertheit auch mal als Gewecktheit; über Zuver¬
lässigkeit und Wahrheitsliebe erfährt man nichts. Ueber alle
diese Dinge kann meines Erachtens der Kreisarzt in seinem
begrenzten Kreise viel eher etwas erfahren, wie der Hebammen¬
lehrer in seinem viel größeren Bezirk, aus dem ihm die Schüle¬
rinnen zugehen. Eine Einwirkung des Hebammenlehrers vor
der Auswahl einer Anwärterin ist überhaupt unmöglich. Hat
der Kreisarzt diese Vorarbeit geleistet, dann soll er auch das
Zeugnis über die Befähigung ausstellen. — Ob die Bewerberin
höchstens 30 oder 35 Jahre alt sein darf, ist wohl weniger
wichtig, doch erscheint es wenigstens zweckmäßig, wenn die
Altersgrenze einheitlich im Staat festgesetzt wird und nicht
wie jetzt, von dem Kreisarzt nach seiner Dienstanweisung
30 Jahre angenommen werden müssen, während die Provinzial¬
verwaltung die Bewerberinnen bis zu 36 Jahren zuläßt.
Trete ich dafür ein, dem staatlichen Medizinalbeamten die
Hebammenvorprüfung zu belassen, weil er am ersten etwas über
die Vorgeschichte der Bewerberinnen erfahren und die Prüfung
nötigenfalls mit geringem Kostenaufwand auf mehrere Unter¬
suchungen verteilen kann, so empfehle ich andererseits, daß
der Kreisarzt sein Gutachten über das Ergebnis seiner Unter¬
suchungen ausführlicher wie bisher üblich begründet und kritisch
würdigt. Sein Gutachten sollte dann der Kreisarzt der Heb¬
ammenlehranstalt zuschicken, die sich darüber schlüssig werden
muß, ob sie die Bewerberin zum Kursus zulassen will, sie gibt
die begründete Entscheidung dem Kreisarzt bekannt, der dann
das Weitere veranlaßt unter Benachrichtigung des Magistrats
oder Landrats. Auf diese Weise, glaube ich, würden sich die
Wünsche sowohl der Hebammenlehranstalt nach besserer Aus¬
wahl als auch des Kreisarztes nach besseren Unterlagen und
geeigneteren Kandidatinnen erfüllen lassen.
658
Dr. Sorge: Zar Hebammenfrage.
Wir dürfen uns doch auch darüber nicht täuschen, daß
auch die sorgfältigste Auswahl der Schülerinnen Fehlschüsse
nicht verhüten kann. Ich erinnere mich jedenfalls, daß sowohl
Hebammen, die mit recht guten Prüfungszeugnissen von der
Anstalt entlassen waren, im praktischen Beruf völlig versagt
haben, als auch, daß Bewerberinnen, denen ich mit Bedenken
das Fähigkeitszeugnis ausgestellt hatte, im späteren Leben sich
sehr gut bewährt haben, so daß also auch das gute Bestehen
der Prüfung und der gute Eindruck während des Kursus durch¬
aus keine sichere Gewähr bietet. Ich muß gestehen, daß ich
diejenigen Hebammen am meisten bewährt gefunden habe, die
vorsichtig und gewissenhaft in ihrem Berufe waren, und es
waren durchaus nicht immer die geistig am höchsten stehenden.
Sie hatten die theoretische Grundlage ihres Berufes ge¬
lernt, hatten einen richtigen Begriff von ihrer Verantwortlich¬
keit und vor allem, sie konnten sich im praktischen Leben
infolge ihrer natürlichen Begabung zum Beruf auch in schwie¬
rigeren Lagen gut zurechtfiuden, sie hatten einen gesunden
Menschenverstand. Das jetzige vielfache Streben nach mög¬
lichst gebildeten Hebammen — so will man den Stand heben! —
paßt meines Erachtens gar nicht für das Land und auch nicht
für die Mehrzahl in der Stadt. Immer wieder habe ich Frauen
und Mädchen aus dem Mittel-, vor allem dem Handwerkerstand,
am meisten zum Beruf geeignet gefunden, wenn sie nur die
durchschnittliche Volksschulbildung und dazu Lust und Liebe
zum Beruf hatten und die Verhältnisse ihrer Umgebung mit
offenen Augen ansahen und wußten, wie und wo sie zu helfen
hatten und was ihres Amtes war. — In diesem Zusammenhang
möchte ich auch den Punkt berühren, der jetzt viel diskutiert
wird, die Dauer der Ausbildung. Ich bin nicht so sehr für eine
Verlängerung der Ausbildungszeit, sondern für häufige Wieder¬
holungskurse. Wenn die Hebamme erst einmal 1 oder 2 Jahre
eigene Erfahrungen draußen in der Praxis gesammelt hat, wird
sie sich selbst nach Aufklärung in manchen Punkten sehnen,
denen sie während der Ausbildung nicht die Aufmerksamkeit
geschenkt hat und sie wird mit größerem Nutzen an dem
4 wöchigen Wiederholungskursus teilnehmen, als ihr noch ein
Jahr Ausbildung gebracht hätte. Dazu kommt die Kostenfrage
und die lange Abwesenheit vom Haus. Alle 3 Jahre können
aber alle Hebammen einmal 4 Wochen zu einem Wiederholungs¬
kursus abkommen und sie werden so immer auf dem Laufenden
erhalten bleiben können. Wenn dann noch zwischen die 3 Jahre
eine Nachprüfung durch den Kreisarzt eingeschoben wird, dann
geschieht meines Erachtens genug, zumal, wenn der Kreisarzt
sich ein reges Vereinsleben mit Vorträgen pp. angelegen sein läßt.
Wir brauchen praktisch tüchtige Hebammen, nicht nur
theoretisch vorgebildete Alleswisserinnen. Die Hebamme muß
die Wirklichkeit kennen und muß sich in der Wirklichkeit zu¬
rechtfinden, sie muß auch den Mut haben, im Notfall gegen
die theoretischen Regeln der Kunst einmal zu verstoßen, muß
Dr. Schräder: Zar Bekämpfung des Kurpfuschertums. 669
es aber auch eingestehen und ihr Verhalten begründen können.
Sie mufi wahrhaftig sein und nicht in das Tagebuch Ein¬
tragungen machen, für die keine tatsächlichen Unterlagen vor¬
liegen. Wie in allen praktischen Berufen, erfordert auch der
Hebammenberuf einen gefestigten inneren Menschen, der sich
im praktischen Leben bewährt.
Zur Bekämpfung des Kurpfuschertums.
Von Kreismedizinalrat Dr. Schräder -Gerdauen.
Oie Ankündigungen über Mittel gegen Regelstörungen, Blut¬
stockungen usw. häufen sich in den Zeitungen. Namentlich die
kleinen Provinzblätter werden mit ihnen reichlich bedacht, weil
der Kurpfuscher mit Recht anniramt, daß die Leser dieser Zeitungen
ganz besonders prompt auf solchen Schwindel hereinfallen.
Hat man das „corpus delicti“ wie z. B. den berüchtigten
„Obstavit“-Apparat in der Hand, dann ist es leicht die Anzeige
bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu begründen. Ebenso,
wenn die Annonce von einem Kurpfuscher ausgeht, mit dem
man sich schon so manches Mal vor den Schranken des Ge¬
richtes traf.
Anders jedoch, wenn man nicht weiß, woraus das ange¬
priesene Heilmittel besteht. Man muß es kennen, um der Staats¬
anwaltschaft alle Gesetzesparagraphen aufführen zu können,
gegen die das Mittel verstößt. Und es verstößt gegen eine
ganze Anzahl von gesetzlichen Bestimmungen und Paragraphen,
auch wenn das Mittel an sich harm — und wertlos, dann aber
meist um so teurer ist.
Das einfachste ist, man läßt sich das Mittel unter einer
Deckadresse kommen und schickt es dann dem Oberstaats¬
anwalt ein. Nur muß dann die Nachnahme zunächst eingelöst
werden. Die Dienstaufwandsentschädigung verträgt dies Ver¬
fahren nicht oft, denn sie ist klein und die Mittel sind teuer.
Man kann sich nun aber auch das Mittel auf andere
Weise verschaffen. Ich ging einmal folgendermaßen vor: Auf
die Annonce hin bestellt unter ihrem Namen eine Verwandte
das Mittel und bittet Zusendung per Nachnahme. Meist kommt
erst ein Schreiben des Kurpfuschers, in dem er die baldige
Ankunft der Bestellung ankündigt, bei Verweigerung der An¬
nahme der Nachnahme um Rücksendung bittet und eine Anzahl
von Empfehlungsschreiben beilegt, die die Güte des Mittels
loben. Diese Empfehlungsschreiben lassen deutlich erkennen,
wofür das Mittel gut sein soll. Stets fast für Abtreibungs¬
zwecke, mögen diese auch noch so vorsichtig angedeutet sein.
Auf Grund der Empfehlungsschreiben ist es dann eine Leichtig¬
keit, die Anzeige bei dem Oberstaatsanwalt zu begründen. Mit
der Anzeige beantragt man auf Grund des § 99 der Strafproze߬
ordnung die Beschlagnahme. Nach einigen Tagen kommt das
Mittel an. Man verweigert zunächst die Annahme, bittet aber
das Paket 7 Tage lagern zu lassen. Nach dieser Zeit werde
660
Dr. Rogowski: Zur Zahlung des Vereinsbeitrags.
man sich endgültig entschließen, ob man die Nachnahme ein¬
lösen werde. Das Postamt muß diesem Ersuchen stattgeben.
Noch vor Ablauf der 7 Tage fällt auf Antrag der Staatsanwalt¬
schaft das Amtsgericht den Beschlagnahmebeschluß. Hiermit
hat man seinen Zweck erreicht, ohne auch nur einen Pfennig
Ausgaben gehabt zu haben. Zur Nachahmung empfohlen.
Zur Zahluug unserer Vereinsbeiträge.
Von Dr. Rogowski-Berlin.
Wie aus der Mitteilung des Herrn Vorsitzenden unseres
Vereins im letzten Heft unserer Zeitschrift bekannt geworden
ist, hat der Vorstand im Oktober d. Js. beschlossen, für das
laufende Jahr eine Nachtragsumlage zum Vereinsbeitrag zu
erheben, und den Grundbeitrag für das Jahr 1923 auf 650 Mark
festgesetzt. Nach der Entwicklung, die die allgemeinen wirt¬
schaftlichen Verhältnisse seither genommen haben, kann schon
{ ‘etzt gesagt werden, daß wir mit diesem für 1923 vorgesehenen
leitrag nicht durchkommen werden. Die Kosten für die Zeit¬
schrift wachsen mit jedem Heft, die Aufwendungen für Porti,
Schreibwaren, Reisen im Interesse unserer Mitglieder u. a. nehmen
mit jeder Monatshälfte zu, und es ist unmöglich, am Anfang
eines Jahres vorauszusehen, welche Aufwendungen das kommende
Jahr unserem Verein bringen wird. Es ist deshalb eine Selbst¬
täuschung, wenn der Vorstand beschließt, der Jahresbeitrag
für das folgende Jahr soll 650 M.*) betragen. Die Einziehung
von nachträglichen Umlagen hat immer etwas Mißliches und
erschwert außerdem die Kassenführung bei den Bezirksvereinen
und beim Hauptverein. Es wird deshalb ein anderer W eg der
Beitragszahlung, der automatisch dem wechselnden Geldwert
parallel geht, gesucht werden müssen. Man könnte daran
denken, den Beitrag in Goldmark oder deren Aequivalent zu
erheben. Dieser Weg ist aber ungangbar, weil in Wirklichkeit
in Gold nicht gezahlt werden kann und der Papierwert der
Goldmark beständig wechselt, der tatsächlich in Papiermark
B ezahlte Beitrag demnach bei jedem Mitglied je nach dem
'ag der Zahlung verschieden wäre. Eine solche Einrichtung
ist bei einem Verein wie dem unseren nicht durchführbar. Es
bleibt deshalb nur eine zweite Art der Beitragsberechnung
übrig, die selbsttätig dem wechselnden Geldwert folgt, das ist
die Beitragszahlung mit einem bestimmten, für alle beamteten
Aerzte gleichen Teil des Grundgehaltes und der Ortszulage
sowie der Teuerungszulagen zu diesen beiden Einkommens¬
teilen. Die Beiträge würden danach vierteljährlich mit der
Gehaltszahlung für jeden beamteten Arzt feststehen, und wenn
mit zunehmender allgemeiner Teuerung die Aufwendungen, die
der Verein zu machen hat, wachsen, so würden, da gleichzeitig
die Teuerungszulagen steigen, auch die Mitgliedsbeiträge und
damit die Einkünfte unserer Vereinskasse steigen. Bis zum
*j Siehe 8. 664! D. Schriftl.
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 661
Beginn der zunehmenden Teuerung haben wir etwa 3 vom
Tausend des Gehaltes plus Wohnungsgeldzuschuß als Bei¬
trag für unseren Verein erhoben, und dieser Anteil an Grund¬
gehalt, Ortszuschlag und der an jedem Vierteljanrsersten hier¬
zu gezahlten Teuerungszuschläge (ohne Frauen- und Kinder¬
zulage) würde voraussichtlich auch dauernd zur Bestreitung
aller Ausgaben des Vereins ausreichen, einschließlich der Bei¬
träge an den Berufs verein höherer Verwaltungsbeamten, der
gleichfalls damit umgeht, seine Beiträge nach einem Tausendsatz
von Gehalt, Ortszulage und Teuerungszulage zu beiden zu erheben.
Mit dieser Aenderung der Beitragshöhe müßte gleich¬
zeitig eine andere Art der Beitragseinziehung in Kraft treten.
Es geht nicht an, daß einzelne Bezirksvereine oder einzelne
Mitglieder auch jetzt, Ende November, ihren Jahresbeitrag
noch nicht geleistet haben. Der Verein hat laufende Ausgaben,
aber keine Rücklagen und keinen Kredit, und müßte deshalb
notwendigerweise stets einen beträchtlichen Kassenbestand
haben. Jedes Heft unserer Zeitschrift soll bei Erscheinen bar
bezahlt werden und erfordert jetzt schon fünfstellige Zahlen.
Daneben alle anderen, unaufschieblichen, beständig wachsenden
Ausgaben des Vereins! Ohne Geld in der Kasse ist aber kein
Betrieb möglich. Der Finanzminister hat nun allgemein die
ihm unterstehenden Kassen ermächtigt, auf Antrag von Beamten¬
organisationen für diese bei der vierteljährlichen Gehaltszahlung
einen bestimmten Satz der gezahlten Besoldung einzubehalten
und an die Organisation abzuführen. Es bedarf dazu eines
Antrages des Beamtenverbandes — in unserem Falle des
Bezirksvereins an die Regierungshauptkasse — und einer Ein¬
verständniserklärung jedes einzelnen Beamten. Auf diesem
Wege würden wir erreichen, daß unserem Verein die laufenden *
Betriebsmittel dauernd zur Verfügung stehen.
Den im Ruhestand befindlichen ehemaligen Medizinal¬
beamten, soweit sie nicht freiwillig den vorgeschlagenen Ver¬
hältnisbeitrag zahlen wollen, sowie den nicht staatlich be¬
amteten Aerzten wird man einen festen mäßigen Jahresbeitrag
wie bisher zubilligen können.
Es ist erwünscht, daß die Bezirks vereine zu diesem Vor¬
schlag Stellung nehmen und dem Vorsitzenden unseres Ver¬
eins — wenn möglich, bis Ende des Jahres — von ihrer Ent¬
schließung Kenntnis geben, da die Zeit drängt. Den Bezirks¬
vereinen würde es freistehen, für ihre eigenen Zwecke noch
ein halbes oder ganzes pro Mille gleichzeitig zu erheben.
Kleinere Mitteilungen u. Beferate ans Zeitschriften.
Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen.
1. Wohnnngshygiene.
Zar Hygiene der künstlichen Beleuchtung. Von Kreismedizinalrat
Dr. Grimm-Berlin. Wasser and Gas, 1922, Nr. 24.
Die verschiedenen künstlichen Beleuchtungsarten werden kurs nach
ihrem Wert, besonders vom hygienischen Standpunkt, skizziert. Bei uns wird
662
Besprechungen.
mehr als je auf die Wirtschaftlichkeit der Beleuchtungsanlagen der größte Wert
zu legen sein, doch soll dabei die Hygiene nicht Not leiden. Deshalb soll mehr
als bipber bei allen Lichtanlagen im Hause, auf der Straße und bei Industrie¬
anlagen der Lichttechniker zu Bäte gezogen werden. Nach dem Vorbild von
Amerika wird die Ausbildung und Anwendung einfacher und leichttransportabler
Beleuchtungsmesser nötig sein. Von allen Beleuchtungsarten erfüllt das „Moore¬
licht“, eine mit Hochspannung betriebene Glasröhre mit Kohlensäurefüllung die
Bedingung, dem Tageslicht an Farbe gleich zu kommen, am ehesten, doch ist es
zu teuer; es hat neuerdings den gasgefüllten Metalldrahtlampen Platz gemacht.
_ Solbrig.
2. Kurorte, Badewesen.
Ansgewählte Kur* und Badeorte Oesterreichs und Bayerns. Bericht
über die 25. Studienreise des Deutschen Zentralkomitees für ärztliche Studien¬
reisen. Von Prof. Dr. Dietrich, Wirhl. Geh. Ob.-Med.-Bat und Prof. Dr.
Lennhoff, Ob.-Beg.-Med.-Bat. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der
Medizinalverwaltung, XV. Bd., 5. Heft.
Die ärztlicüen Studienreisen in Kur- und Badeorte haben sich von jeher
großer Beliebtheit erfreut und sich, wie man sagen kann, zu einem Bedürfnis
entwickelt. Der Andrang zu dieser 25. Studienreise war besonders groß, so
daß weit über 100 Kollegen zurückgewiesen werden mußten. Die letzte Beise
ging nach Bayern und Oesterreich. Es wurden hauptsächlich die folgenden
Kur- und Badeorte besucht: Ischl, Hall, Gmündeu, Reichenhall, Gastein. Aus
dem interessanten Bericht geht hervor, daß viel Schönes gezeigt und besichtigt
wurde, die Teilnehmer mit den für die einzelnen Kurorte spezifischen Heil¬
anzeigen und Eigentümlichkeiten bekannt gemacht wurden und dabei Gelegen¬
heit hatten, in Naturgenüssen zu schwelgen und geselligen Verkehr zu pflegen.
Solbrig.
3. Soziale Hygiene.
Ueber geschäftsmäßige und amtliche Ehevermittelung. Von Dr
Fe ts eher -Dresden. Oeffentliche Gesundheitspflege, 1922, H. 6.
Bei einer Beihe von konzessionierten Heiratsvermittlern wurden Um¬
fragen veranstaltet; sie waren ziemlich kostspielig; die Antworten betonten
häufig die Vermögeusseite der Frage, nirgends war von Gesundheit die Bede.
8°/o aller Heiratsanzeigen in politischen Zeitungen wird von der Vermittelung
* aus eigener Beklame bestritten. Besser sind die Heiratszeitungen, die in der
Begel alle 14 Tage erscheinen und eine Briefliste bringen, auf die man
abonniert; die Interessenten treten dann miteinander durch Vermittelung des
Unternehmers in Brief Verbindung. Die auf diese WeiBe vom Verfasser ein-
gezogenen Heiratsangebote waren wesentlich feiner als die der Vermittler und
betonten mehr die Gemüts- als die geschäftlichen Seiten. Die 5 Heirats¬
zeitungen in Deutschland bringen jährlich etwa 6000 Angebote; nach Schätzung
der Bedaktion ist bei 90°/o auf Erfolg zu rechnen. — Auf Grund aller dieser
Erfahrungen wird eine behördliche Heiratsvermittelung gefordert, die sich zu¬
nächst einer der bestehenden Heiratszeitungen zu bedienen hätte und auf den
Austausch amtlicher Gesundheitsatteste vor der Ehe hinwirken müßte.
Dr. Gumprecht-Weimar.
Besprechungen.
Kaup: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. (Konstitutions-
Dienstpflicht). Verlag von J. F. Lehmann. München 1922. Preis geh. 44M.
Verfasser hat mit viel Sorgfalt zusammengetragenes Material mit vor¬
bildlicher Gründlichkeit bearbeitet. Die eingehenden Erörterungen über die
Methodik werden besonders willkommen sein, wenn auch zu bedauern ist, daß
sich in den mathematischen Darstellungen einige Druckfehler eingeschlichen
haben. Nach Kaup findet eine körperliche Auslese bei der Berufswahl nur
in sehr geringem Umfange statt. Der Begründung wird im allgemeinen zu¬
zustimmen sein, doch scheint die Angabe, daß 16—62 °/o den Beruf des Vaters
ergreifen, nicht ohne weiteres in diesem 8inne zu sprechen, da eine familiäre
Auswahl nach körperlicher Eignung durchaus möglich erscheint. Die Frage
Tagesnachrichten.
«68
bedurfte noch der genaueren Bearbeitung. Der Beruf hat auf die körperliche
Entwicklung deutlichen Einfluß. Verfasser gibt eine Zahl wertvoller Mittel¬
werte, die Unterschiede nach der rassenmäßigen Zusammensetzung der Be¬
völkerung erkennen lassen. Durch planmäßige Körperübungen ist eine Besse¬
rung der Körperverfassung zu erreichen. Es wird daher eine „Konstitutions¬
dienstpflicht" gefordert, deren Organisation dargestellt wird. Es wäre xu
wünschen, daß die exakt begründeten Forderungen recht bald in die Tat ein¬
gesetzt würden. Sicher wird die schöne Arbeit dazu beitragen, daß das Ver¬
ständnis für vorbeugende Gesundheitspflege in weite Kreise getragen wird.
Fetscher-Dresden.
Handbuch der Hygiene. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute heraus¬
gegeben von Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Bubner-Berlin, Ober-Med.-Bat
Prof. Dr. ▼. Gruber-Mttnchen und Geh. Med.-Rat Dr. Ficker-Berlin.
V. Band : Nahrungsmittel. Mit 44 Abbildungen und einer Tafel. Leipzig 1922.
Verlag von S. Hirzel. Gr. 4. 320 S. Preis geh. 200 M.
Nach einer längeren Pause ist von diesem hervorragenden Werk dieser
Band herausgegeben. Er reibt sich in jeder Hinsicht würdig an die voran¬
gehenden an, sowohl dem Inhalt nach als was die Ausstattung anbelangt.
Es werden darin abgehandelt: Fleischhygiene von E. Kallert und R. Stand-
fnss, Milch und Milchprodukte von W. Ernst, Hygiene der pflanzlichen
Nahrungs- und Genußmittel von der Gewinnung bis zum Verbrauch von
H. Serger, Märkte und Markthallen von M. Schindowski, Kühlanlagen
von H. Schindowski, Gesetzliche Regelung des Lebensmittelverkehrs von
F. Auerbach.
Es darf genügen, auf die Fortsetzung des Handbuchs mit dem vor¬
liegenden Bande hinzuweisen, woran sich die Erwartung knüpft, daß die
Vollendung des Werks nicht mehr allzulange auf sich warten lassen wird.
- Solbrig.
Dr. H. O. Stein-Wien: Geschlechtskrankheiten. Mit 52 Farbdrucktafeln
nach 74 Moulagen und 15 Textabbildungen. München 1922. Verlag von
J. F. Lehmann. Gr. 8°; 191 Seiten. Preis: 90 Mark, geb. 110 Mark.
Das vorliegende Werk bildet den LU. Band von Lehmanns medizini¬
schen Lehrbüchern und gibt eine kurz gefaßte, aber vortrefflich ausgeführte
Darstellung der Geschlechtskrankheiten in Wort und Bild, Und zwar nicht nur
der Geschlechtskrankheiten im engeren Sinne (Ulcus molle, Syphilis und Go¬
norrhoe), sondern auch derjenigen im weiteren Sinne (Balanitis und Phimosis
Paraphimosis, Phthirii pubis und Maculae coeruleae, Condyloma acuminatum,
Herpes genitalis, Molluscum contagiosum und Ulcus acutum vulvae). Bei jeder
einzelnen Erkrankung sind ihre Aetiologie, Diagnose, Klinik und Therapie ein¬
gehend berücksichtigt, besonders ist dies bei den Hauptabschnitten über Ulcus
molle, Syphilis und Gonorrhoe der Fall. Ganz hervorragend ist die Aus¬
stattung des Werkes, namentlich gilt dies in bezug auf die ihm beigegebenen,
von Künstlern nach Moulagen angefertigten Farbdrucktafeln. Das Lehrbuch
kann deshalb den beteiligten Kreisen nur aufs wärmste empfohlen werden.
_ Bpd. sen.
Tagesnachrichten.
Im Preußischen Landtag wurde in der Sitzung vom 1. Dezember von
sozialdemokratischer Seite (Abg. Dr. Weyl) erneut die Sozialisierung des
Gesundheitswesens gefordert und ein Antrag eingebracht und von Dr. Weyl
begründet, wonach die Gemeinden und Krankenkassen berechtigt sein sollen,
Apotheken zu errichten. Der Bevölkerungsausschuß hatte den Antrag ab-
gelehnt. In der Aussprache sprachen sich Abgeordnete der Deutschen Volks¬
partei, des Zentrums und der Demokratischen Partei gegen eine Sozialisierung
der Apotheken aus; man habe mit sozialistischen Betrieben schlechte Er¬
fahrungen gemacht. Die Anträge der Sozialdemokraten wurden dem Aus-
schuß&ntrage entsprechend abgelehnt.
Auf eine Aufforderung der Hygiene-Sektion des Yölkerbaades wird
Geh. Bat Prof. Dr. Abel aus Jena bei Gelegenheit von Fortbildungskursen für
664
Bekanntmachung des Vorstandes.
Seuchenbekämpfung, die für osteuropäische Aerzte in Warschau, Charkow nnd
Moskau abgehalten werden, eine Reihe von Vorträgen übernehmen.
Es sind neuerdings folgende Aenderungen der Gebühren eingetreten:
1. Die Sätze des Gebührentarifs sind auf das 100 fache der Vorkriegszeit er¬
höht (mit Wirkung vom 1. Dezember). 2. Die Gebühren für die staatliche
Krankenpfiegeprüfung sind auf 800 M. festgesetzt.
Preussischer Medizinalbeamtenverein.
Mitteilungen des Vorstandes.
Vom 1. Januar 1923 ab geben wir unsere Zeitschrift zusammen mit dem
Verein der Krankenhausärzte heraus. Aussehen und Inhalt werden für uns
dabei keine wesentliche Veränderung erfahren. In die Schriftleitung tritt Herr
Professor L o en in g- Halle mit ein, als Mitherausgeber werden vom Verein der
Kassenärzte zeichnen Prof. B r aue r- Hamburg, Prof. Dreesmann-Cöln,
dazu kommen Geheimrat Dr. Pütt er-Berlin nnd Stadtbaurat J o st-Halle a. 8.
Wir freuen uns, daß es uns auf diese Weise gelungen ist, unsere Zeit¬
schrift, die uns durch jahrzehntelangen Umgang lieb geworden ist, zu er¬
halten. Sie wird uns auch in Zukunft eine kräftige Hilfe bei allen unseres
Bestrebungen für das Gesundheitswesen und unseren Stand sein.
Ich will in dieser Stunde nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, mit
welcher aufopfernder Mühe und Sorgfalt die Bachdruckerei des Hern
J. C. C. Brun8 in Minden d6n Druck und den Versand zu unser aller Zu¬
friedenheit besorgt hat. Ihr gebührt hierfür unsere volle Anerkennung und
unser bester Dank.
Möge nnsere Zeitung auch in ihrer neuen Form unsere Fortbildung und
unsere amtlichen Belange fördern und damit der allgemeinen Volksgesandheit
dienen. Das sei unser Geleitwort. Wir aber wollen ihr die Treue bewahren.
Im Aufträge des Vorstandes des Preußischen Medizinalbeamtenvereins.
Dr. Hundt, Vorsitzender.
Zn unserer Bekanntmachung in voriger Nummer und io Abänderung
dieser müssen wir noch mitteilen, daß die Nachzahlung für 1921 auf 200 M.
erhöht werden mußte, weil der Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten and
anch unser Zeitungsverlag noch für dieses Jahr eine erhöhte Nachzahlung fordere.
Wir bitten diesen Betrag bis znm 20. Dezember einzuziehen.
Für 1928 konnten wir in Rücksicht auf die zunehmende Unsicherheit
der wirtschaftlichen Verhältnisse den Gesamtjahresbeitrag nicht schon jetzt
festsetzen. Wir sind daher dabin übereingekommen, vorerst eine Jahresrate in
Höhe von 675 Mark für aktive Medizinalbeamte zu erheben, die sich bei Kreis¬
assistenzärzten dnreh Abzug des halben Beitrages an den B. H. V. auf
550 Mark, bei Pensionären durch Abzug des ganzen Beitrages auf 425 Mark
mit Bezug der Zeitung, ohne diesen auf 125 M. ermäßigt.
Diese Beträge bitten wir von den Mitgliedern der Bezirksvereine be¬
stimmt im Monat Januar 1923 einzuziehen und an das Bankhans H. F. Lehmann
zu Halle a. 8. Postscheckkonto Leipzig 1905 für den Preußischen Medizinal¬
beamtenverein abzoführen.
Wir hatten schon berichtet , darch welche Umstände die wesentliche Er¬
höhung der Beiträge, die ja durch unsere heutigen Ausführungen schon wieder
überholt werden, bedingt ist. Wir bitten auch heute unsere Herrn Kollegen
noch einmal, uns bei unseren Bestrebungen für das Wohl unseres Standes ihre
freudige und schnelle Hilfe nicht zu versagen. Es ist nnr möglich, für uu
etwas zu leisten, wenn wir auf die Unterstützung aller unserer Mitglieder
rechnen können. Wir branchen die Spitzenorganisation, den Berufsverein
höherer Verwaltungsbeamten, wir brauchen unsere Zeitung. Ein Abbau unseres
Zusammenschlusses wäre unser eigener Schade. Dr. Bundt.
Verantwortlich ffir die Schrlftleifong: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Bef.- u. Med.-Bat In Bredas
Breslau V, Behdlfentrafie 84 Druck von J. O. 0. Bruns, Minden L W.
ZEITSCHRIFT
FÜR
MEDIZINALBEAMTE
Zentralblalt
für das gesamte ßeblet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des Staat'
liehen and privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und
Öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der prakt. u. sozialen Hyglone.
Herausgegeben
von
Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg,
Re;, und Med.-Rat in Breslau.
Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen,
Sächsischen, Württembergisohen, Badischen, Hessischen,
Mecklenburgischen, Thüringischen und Braunschweigischen
Medizinalbeamtenvereins.
XXXV* Jahrgang. 1022.
Beilage:
«ERLAB VOR FISCHER S HIEDIZIH. BUCHHAHBLUHR H. HORHFELD,
Um*|l. Bayer. Hof« nd K. n. K. Kammtr • Bachhlfldl.r.
Berlin W. 62, KelthstraBe 5.
Inhalt
I. Rechtsprechung.
l. Entscheidungen des Reichsgerichts. *>!«
1921. — Zuckerkrankheit, schwere Krankheit in versicherungsrecht¬
lichem Sinne. 57
„ 3. Juni Haftung des Arztes.21
„ 30. Sept. Warenumsatz.21
„ 25. Okt. Kündigung für Kassenärzte.22
„ 4. Nov. Röntgenverbrennung.23
2. Entscheidungen von Oberlandes' und Landgerichten.
1920. 9. März Verursachung von Lärm eines Gewerbebetriebes als Tat¬
bestand des § 360, Nr. 11, R.-Str.-G.-B. (Bayr. Oberstes
Landgericht. 66
1921. 14. Jan. Handel mit Arzneimitteln (Kammergericht).62
„ 21. Juni Rad-Jo, ein berüchtigtes Geheimmittel (Landger. Hamburg) 33
„ 8. Juli Bezeichnung „Approbierter Dentist“ erweckt den falschen
Schein einer geprüften Medizinalperson.61
„ 8. Nov. üebertretung der Verordnung über den Handel mit Arznei¬
mitteln [Salvarsan] (Kammergericht).29
1922. 19. Jan. ' Rad-Jo ^Landgericht Chemnitz).62
„ 31. März Beschäftigung von Helferinnen und Drogisten in Apotheken
(Kammergericht).101
„ 14. Juli Tod durch Einspritzung von Cocain statt Novocain in
einem Krankenhause (Landgericht Frankfurt a. M.) . . 101
3. Entscheidungen von Verwaltungsgerichten.
1915. 11. Jan. Untersagte Aufbewahrung und Lagerung von rohen
Schweinehaaren wegen gesundheitsschädlicher Gerüche
(0. V. G.).29
1919. 28. März Abtreibungsversuch einer Hebamme mit untauglichen
Mitteln. Unzuverlässigkeitsgrund (0. V. G.).65
1920. 10. Juni Entziehung des Prüfungszeugnisses einer Hebamme wegen
Unzuverlässigkeit (0. V. G.).62
„ 10. Juni Polizeiliches Einschreiten gegen den Betrieb eines Musik¬
automaten wegen Gesundheitsstörung (0. V. G.) ... 66
1921. 24. Febr. Versagung der Konzession für eine Privatkrankenanstalt
wegen Unzuverlässigkeit (0. V. G.).65
II. Medizinalgesetzgebung.
A. Deutsches Reich.
1921. 10. Dez. Aenderung der Bezeichnung „Lehrling“ und „Gehilfe“ in
der Prüfungsordn ung für Apotheker. 9
„ 28. Dez. Wochenhilfe und Wochenfürsorge.24
— Maßnahmen zum Schutze der in Krankenanstalten beschäf¬
tigten Krankenpflegepersonen gegen Tuberkulose ... 41
1922. 2. Febr. Beförderung von Personen, die an Genickstarre und Rotz
leiden, auf der Eisenbahn.38
„ 4. März Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum Gebrauche
des Roten Kreuzes.58
Inhalt.
III
Seite
1922. 20. April Wochenhille and Wochenfürsorge.58
„ 20. April Aerztliche Versorgung bei den Krankenkassen .... 69
„ 20. April Beschäftigung von Arbeiterinnen und Jugendlichen in Glas¬
hütten usw.69
— Abgabe von Quellstiften in Apotheken in verschiedenen
Ländern.73
„ 2. Juni Beschäftigung von Arbeiterinnen und Jugendlichen inWalz-
und Hammerwerken . . ..73
„ 16. Juni Zum Begriff „Geheimmittel“.77
„ 17. Juni Aeußere Kennzeichnung der mit Dienstmarken freige-
gemachten Sendungen.89
„ 17. Juli Arbeitszeit im Bergbau unter Tage.89
„ 6. Sept. Aufhebung der zur Abwehr gemeingefährlicher Krank¬
heiten erlassenen Einfuhrverbote.97
B. Preußen.
1921. 26. Aug. Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an
medizinischen Instituten. 9
„ 9. Sept. Anstellang und Tätigkeit der Gewerbeäfzte.17
„ 5. Okt. Außerkrafttreten der Abänderung des § 12 der Giftpolizei¬
verordnung .69
„ 31. Okt. Medizinische Volksbelehrungsfflme. 6
„ 31. Okt. Zahnärztliche Versorgun g i n Krankenanstalten .... 6
8. Nov. Beratung innerhalb der Wohnungsämter auf dem Gebiete
der Schulzahnpflege. 5
„ 17. Nov. Telegrammgebühren in gerichtlichen Angelegenheiten für
Kreismedizinalräte. 4
„ 18. Nov. Anzeige der spinalen Kinderlähmung. 5
„ 19. Nov. Tagegelder für mehrtägige Dienstreisen der Staatsbeamten 4
„ 21. Nov. Befugnis der Kreismedizinalräte zur Besichtigung der Ver¬
sorgungslazarette . 1
„ 23. Nov. Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an
medizinischen Instituten. 4
„ 23. Nov. Amtsärztliche Bescheinigung für Feuerbestattung ... 5
„ 28. Nov. Benachrichtigung der Kreismedizinalräte durch die Standes¬
ämter über Bevölkerungsbewegung u. Gesundheitsstatistik 15
„ 30. Nov. Vergütungen für Dienstreisen nach nahe gelegenen Orten 29
„ 3. Dez. Jahresgesundheitsberichte der Kreismedizinalräte ... 31
„ 9. Dez. Gegenseitige Anerkennung der Ansbildung bezw. Prüfung
der Aerzte, Apotheker usw. zwischen Preußen u. Memel-
■ gebiet.34
„ 13. Dez. Dienstreisen nach nahegelegenen Orten. 2
„ 14. Dez. Sozialhygienische Akademien in Charlottenburg, Breslau
und Düsseldorf. 6
„ 14. Dez. Ausbildung von Kommunal- und Fürsorgeärzten ... 36
„ 17. Dez. Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten für Dienstreisen . . 3
„ 27. Dez. Anstellung von Gewerbemedizinalräten.25
„ 29. Dez. Tuberkulose-Statistik.27
_ 31. Dez. Prüfungsgebühren für Desinfektoren.25
22. 3. Jan. Aerztliche Bescheinigungen über die Todesursache für die
Ausstellung von Leichenpässen.17
„ 7. Jan. Neue Desinfektionsordnung.26
„ 12. Jan. Erhöhung der Gebühren für Ausstellung eines wiederholten
Impfscheins.34
„ 17. Jan. Tätigkeit der Desinfektoren nach der neuen Desinfektions¬
ordnung .32
„ 18. Jan. Abgabe von Quellstiften in Apotheken.40
„ 20. Jan. Bericht über Grippeausbreitung.39
„ 26. Jan. Herstellung und Vertrieb von Kunstmilch und Kunstsahne 37
„ 28. Jan. Erysipel als Impfschädigung.39
„ 30. Jan. Eisenbahnfahrkosten bei Dienstreisen.31
„ 4. Febr. Gebühren f. Feuerbestattungszeugnisse abführungspflichtig 34
IV
Inhalt.
1922. 8. Febr.
„ 10. Febr.
„ 11. Febr.
„ 22. Febr.
23. Febr.
„ 25. Febr.
„ 3. Harz
.. 3. März
„ 6. März
„ 7. März
„ 9. März
„ 9. März
15. März
„ 15. März
„ 15. März
„ 16. März
„ 20. März
r 25. März
„ 30. März
, 12. April
„ 14. April
„ 18. April
„ 19. April
,, 19. April
27. April
„ 27. April
„ 6. Mai
„ 11. Mai
„ 12. Mai
„ 18. Mai
„ 15. Mai
„ 16. Mai
„ 16. Mai
„ 16. Mai
16. Mai
„ 19. Mai
„ 27. Mai
„ 80. Mai
* 31. Mai
, 31. Mai
, 7. Juni
, 10. Juni
„ 13. Juni
„ 14. Juni
„ 16. Juni
„ 26. Juni
„ 28. Juni
„ 29. Juni
„ 30. Juni
,. 1. Juli
Uebereinkommen wegen gegenseitiger Anerkennung der
Wohlfahrtspflegerinnen nut Braunschweig.
Borsäurezusatz zur Butter.
Alte, unbrauchbare Schulbänke.
Versetzungen von Beamten.
Nichtpharmazeutisches Hilfspersonal in Apotheken . . .
Lehrfilme.
Gebühren der Medizinalbeamten.
Gebühren für Teilnahme an Desinfektionslehrgängen . .
Atlas über die Hygiene des Säuglings und Kleinkindes .
Dienstanweisung für die Stadtärzte ..
Pockengefahr durch zureisende Personen aus Rußland usw.
Speiseeigelb.
Teuerungszuschlag zur ärztlichen Gebührenordnung . .
Beihilfen zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen ....
Margarinegesetz.
Anwärter- u. Besoldungsdienstalter der Medizinalbeamten
Kosten für die von den Kreismedizinalräten zu führenden
Krüppelstammlisten und Nachweisungen.
Mitteilung negativer bakteriologischer Untersuchungsergeb¬
nisse der Med. Untersuchungs-Anstalten.
Anwendung von Salvarsan.
Befreiung von Anstaltsbehandlung der Krüppel ....
Ueberwachung der Abgabe von Heilmitteln seitens der
Dentaldepots.
Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte ....
Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an
medizinischen Instituten.
Erhöhung der Gebühren für die staatliche Prüfung von
Wohlfahrtspflegerinnen.
Staatliche Anerkennung von Wohlfahrtspflegerinnen . .
Kanalisationsprojekte.
Schreibgebühren (von Privaten zu erstattende) ....
Benutzung von Lysol durch die Hebammen.
Erlaubnis zum Gebrauch des Roten Kreuzes.
Tagegelder für Dienstreisen, Erweiterung der Liste be¬
sonders teurer Orte.
Vergütung für Massenimpfungen.
Prüfung von Impfstoffen und Sera.
Hitzemerkblatt und andere Aufklärungsblätter betr. Säug¬
lingssterblichkeit . •. . . .
Prüfungsgebühren für Nahrungsmittelchemiker . . . .
Staatliche Anerkennung als Technische Assistentin . . .
Aufbewahrung amtsärztlicher Bescheinigungen für Feuer¬
bestattung .
Ventox- und Cyklon-Entwesungsverfahren.
Neue Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei
den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leidien .
Schulwissenschaftliche Vorbildung d.Wohlfahrtspflegerinnen
Gebühr für die Ausführung der Wa. R..
Verwendung von Talk und schwefliger Säure bei Müllerei¬
erzeugnissen .
Reisekosten der Kreismedizinalräte in gerichtlichen An¬
gelegenheiten .
Berufsschulung bei der Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen
Richtlinien für Errichtung von Provinzialausschüssen für
hygienische Volksbelehrung.
Aerztliche Vergütung für Wahrnehmung von Impfterminen
Verwendung von Dienstmarken.
Seuchenbekämpfung bei der kasernierten Schutzpolizei
Abwässerbeseitigung von Siedlungen.
Gebühren für staatliehe Prüfung der Zahntechniker . .
Seite
34
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103
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105
104
90
85
98
Inhalt V
Seite
1922. 13. Juli Leitsätze über die Stellung der leitenden Krankenhaus«
ärzte.105
21. Juli Rad-Jo und die Hebammen.104
. 26. Juli Vergütung an auswärtige Mitglieder der Gerichtsärztlichen
Ausschüsse.90
„ 28. Juli Uebereinkommen mit Baden, Hamburg, Mecklenburg-
Schwerin bez. Wohlfahrtspflegerinnen.98
„ 4. Aug. Schreibgebühren, von Privaten zu erstattende .... 88
„ 7. Aug. Tagegelder und Dienstreisen der Staatsbeamten ... 98
7. Aug. Unterstützung von Wohlfahrtsschulen.107
„ 7. Aug. Bestrebungen der Bünde zur Vertretung der Interessen
kinderreicher Familien. 107
, 9. Aug. Verbreitung der tropischen Malaria 107
„ 10. Aug. Auftreten von Skorbut..108
„ 11. Aug. Tuberkulosebekämpfung.90
„ 25. Aug. Honorar für Massenimpfungen.98
28. Aug. Fahrkosten der Kreismedizinalräte.100
„ 16. u. 23. Sept. Reisekosten und Tagegelder der Staatsbeamten . . 99
4. Okt. Erhöhung der Fahrkosten für Dienstreisen.100
. 29. Nov. Gefäße zur Versendung bakteriologischen Untersuchungs¬
materials .105
C. Bauern.
1922. 7. Jan. Gebühren für die ärztlichen Dienstleistungen bei Behörden 17
„ 30. März Leichenschaugebühren.43
D. Sachsen.
1921. 13. Juni Amtliche Nahrungsmittelüberwachung.53
„ 12. Okt. Aenderung der Vorschriften über Wahlen zum Landes¬
gesundheitsamt . 7
1922. 22. Febr. Entschädigung für Impfungen.43
„ 8. April Impfgebühren.64
,. 19. Juni Geschäftsordnung für das Landesgesundheitsamt ... 88
10. Aug. Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte.96
B. Württemberg.
1921. 30. Nov. Beförderung von Leichen . . *.18
„ 28. Dez. Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 40
1922. 20. Jan. Bekämpfung der Tuberkulose.75
„ 28. Jan. Aufhebung der Verfügung betr. Bekämpfung des Kur¬
pfuschertums .40
„ 15. Febr. Staatliche Prüfung von Dentisten.59
, 15. Febr. Aenderung der Vollzugsverfügung zum Oberamtsgesetz
hinsichtlich der Zahntechniker.59
, 15. Febr. Zahntechniker.60
28. März Gebühren der Aerzte, Zahnärzte, Hebammen .... 79, 80
„ 1. April Aerztliche Gebührenordnung.96
15. April Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 76
P. Thüringen.
1921. 31. Aug. Desinfektionsanweisung. 8
„ 4. Nov. Impfarztgebühren.19
„ 10. Nov. Prüfung von Zahntechnikern.18
1922. 15. Mai Verbot öffentlicher hypnotischer Vorführungen .... 80
G. Baden.
1921. 3. Nov. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.19
1922. 6. Juni Wagen und Gewichte in Apotheken. 88
22. Sept. Gebühren der Gesundheitsbeamten.100
VI Sachregister.
Seite
H. Mecklenburg«SchwerIn.
1921. 27. Sept. Gebührenordnung für die staatlichen Untersuchungs¬
anstalten .20
„ 15. Dez. Hebammenwesen.44
„ 15. Dez. Hebammenwesen.80
1922 12. April Pharmazeutische Vorprüfung.60
J. Anhalt.
1922. 1. Mai Gebühren der Medizinalbeamten.60
K. Lippe.
1921. 30. Dez. Bekämpfung der Grippe.36
1922. 22. Febr. Aufhebung der Verordnung betr. Bekämpfung der Grippe 48
L. Braunschwelg.
1922. 12. Jan. Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 48
M. Hamburg.
1921. 28. Dez. Staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen.48
1922. 5. April Prüfung von Zahntechnikern. 76
„ 31. Juli Gebühren der Medizinalpersonen. 76
N. Bremen.
1921. 15. Nov. Alters- nnd Invalidenunterstützung der Hebammen . . 56
*
Sachregister.
AbwKsserbeseitigung bei Siedelungen 85
Apotheken, Wagen und Gewichte (Baden) 88, Helferinnen (Bspr.) 101, nicht
pharmazeutisches Hilfspersonal 52.
Apotheker, dienstliche Bezeichnung 9, Vorprüfung (Mecklenburg-Schwerin) 60.
Arbeiterschutz, Glashütten 69, Walz- und Hammerwerke 73.
Aerzte, Haftung (Bspr.) 21, Kündigung von Kassenärzten (Hspr.) 22, Aner¬
kennung über Prüfung (Memelgebiet) 34, ärztliche Versorgung bei Kranken¬
kassen 69, Gebührenordnung 74, (Sachsen) 96, (Württemberg) 96.
Arzneimittel, Handel (Bspr.) 29, 62.
Assistentinnen, technische 74, 81
Bakteriologisches Untersuchungsmaterial, Gefäße 105.
Beamte, Versetzung 63.
Bergbau, Arbeitszeit 89.
Borsäure, Butter 35.
Cocain, Tod durch (Bspr.) 101.
Dentaldepots 68.
Dentist (Bspr.) 61.
Desinfektoren, Prüfung 25, Tätigkeit 32, Desinfektionsordnung 26, Desinfek¬
tionsanweisung (Thüringen) 8, Gebühren 43.
Dienstmarken 90, 104.
Dienstreisen 2, 3, 4, 29, 31, 72, 98, 99, 100.
Eisenbahn, Beförderung Infektionskranker 33, Fahrkosten bei Dienstreisen 3, 31.
Entwesungsverfahren (Ventox und Cyklon) 81.
Erysipel als Impfschädigung. 39.
Sachregister. VII
Fahrkos teil der Kreismedizinal rate 100.
Feuerbestattung 5, 84, 81.
Film, Lehr- 61.
Gebühren, ärztliche (Bayern) 17, (Hamburg) 76, der Medizinalbeamten (Preußen)
37, (Anhalt) 60, für die staatlichen Untersuchungsanstalten (Mecklenburg-
Schwerin) 20.
Geheimmittel (Rspr.) 77
Gerichlsärztliche Ausschüsse 90.
Gerichtsärztliche Votschriften für Untersuchung menschlicher Leichen 82.
Gifte, Handel 69.
Grippe (Preußen) 39, (Lippe) 36, 48.
Hebammen, Entziehung des Prüfnngazeugnisses (Rspr.) 62, 66, Hebammen¬
wesen (Mecklenburg-Schwerin) 44, 80, (Bremen) 66.
Hitzemerkblatt 78.
Hygienische Volksbelehrung, Provinzialausschüsse 82.
Hypnotische Vorführung (Thüringen) 80.
Jahresgesundheitsberichte (Preußen) 31.
Impfung, Gebühren (Preußen) 73, 98, 106, (Thüringen) 19, (Sachsen) 43, 64,
Impfscheine 34, Impfschaden 89,
Impfstoffo und Sera, Prüfung 78.
Irrenpflegepersonen, Prüfung (Hamburg) 48.
Kanalisationsprojekte (Preußen) 102.
Kinderlähmung, Anzeige 6.
Kinderreiche Familien, Bünde 107.
Kommunal- und Fürsorgeärzte 36.
Krankenhausärzte, Stellung 106.
Krankenpfleger, Schutz vor Tuberkulose (Deutsches Reich) 41, staatliche
Prüfung (Württemberg) 40, 76, (Braunschweig) 48.
Krankheiten, übertragbare (Baden) 19, gemeingefährliche 97.
Kreismedizinalräte, Benachrichtigt] ng durch die Standesämter 16, Jahresgesund¬
heitsberichte 31, Fahrkosten 100, Reisekosten in gerichtlichen Angelegen¬
heiten 98.
Krüppelfürsorge 61, 69.
Kunstmilch, Kunstsahne 37.
Kurpfuscher (Württemberg) 40.
Landesgesnndheltsamt (Sachsen) 7, 88.
Lärm (Rspr.) 66.
Leichenpässe 17, Leichenbeförderung (Württemberg) 18, Leichenschangebühr
(Bayern) 43, 64.
Lysol für Hebammen (Preußen) 70.
Malaria, tropische 107.
Margarinegesetz 60.
Medlzinalbeamte, Dienstalter (Preußen) 43, Fahrkosten 100, Medizinalpersonen,
Gebühren (Württemberg) 79, 80, (Baden) 100.
Medizinaluntersuchungsämter, Mitteilung negativer Ergebnisse 60.
Müllereierzeugnisse, Talk und schweflige Säure bei ihrer Herstellung 103.
Musikautomat, Einschreiten wegen Gesundheitsstörung (Rspr.) 66.
Nahruagsmlttelüberwachnng (Sachsen) 63, Nahrungsmittelchemiker, Prüfungs¬
gebühr (Preußen) 78.
Pockengefahr 42.
Privatkrankenanstalt, Konzession (Rspr.) 66.
Qnellstifte in Apotheken 40, 74.
Rad-Jo (Rspr.) 88, 62, und Hebammen 104.
Reisekosten und Tagegelder 98, 99, in gerichtlichen Angelegenheiten 103.
vin
Sachregister.
Röntgenverbrennung (Rspr.) 23.
Rotes Kreuz, Gebrauch 58, 70.
Salvarsan 77.
Säugling, Atlas über die Hygiene 50.
Schreibgebühren 70, 88.
Schulbänke 39.
Schulzahnpflege 5.
Schutzpolizei, Seuchenbekämpfung 90.
Schweinehaare, Lagerung (Rspr.) 29.
Skorbut 108.
Sozialhygienische Akademien 6.
Speiseeigelb 49.
Stadtärzte, Dienstanweisung 68.
Standesämter, Benachrichtigung über Bevölkerungsbewegung 15.
Tagegelder (Preußen) 4, 72, 98, 99.
Technische Assistentinnen an medizinischen Instituten, Prüfung 4. 9.
Telegrammgebühren in gerichtlichtlichen Angelegenheiten 4.
Tuberkulose, Statistik 27, Maßnahmen zum Schutz der Krankenpflegepersonen 41.
Beihilfe zur Bekämpfung (Preußen) 41, Bekämpfung (Württemberg) 75.
(Preußen) 90.
Versorgangalazarette, Besichtigung durch die Kreismedizinalräte 1.
Volksbelehrungsfilm 6.
Warenumsatz (Rspr.) 21.
Wassermann-Reaktion, Gebühren 97.
Wochenhilfe 24, 58.
Wohlfahrtspflegerinnen, Uebereinkommen zwischen Preußen und anderen Län¬
dern 34, 98, Prüfung (Preußen) 51, Gebühren 73, Anerkennung 74, Schul¬
wissenschaftliche Vorbildung 74, Fachliche Berufsschulung 103, Fnteretützung
von Wohlfahrtsschulen 107.
Zahnärztliche Versorgung in Krankenanstalten 6.
Zahntechniker, Prüfung (Thüringen) 18, (Württemberg) 59, 60, (Hamburg) 76,
Prüfungsgebühren (Preußen) 98.
Zuckerkrankheit, schwere Krankheit (Rspr.) 57.
J. C. c'. Bruns, Buchdruckerei. Minden i. Westf
2
Medizinal gesetzge b oug.
Entsprechendes gilt bezüglich eines Versorgungskrankenhauses, von dem
der Kreismedizüj&lrat erfährt, daß darin besonders schwere gesundheitspolizei-
liche Mängel aafgetreten seien.
In beiden vorgenannten Fällen muß eine vorherige Benachrichtigung des
Hauptversorgungsamts nach Ziffer lb erfolgen. Die Benachrichtigung” darf
nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn eine besondere Dringlichkeit vorliegt.
Der Kreismedizinalrat muß alsdann Ton seiner Besuchsabsicbt den Chefarzt des
Versorgungskrankenhauses oder dessen Vertreter seinerseits benachrichtigen
und dem Hanptversorgungsamt nachträglich den erfolgten Besuch und die
Gründe, aus denen die vorherige Benachrichtigung dieser Behörde unterblieben
ist, unmittelbar mitteilen. Die Gründe, aus deneo die vorherige Benach¬
richtigung des Hauptversorgungsamts unterlassen wurde, sind außerdem in
dem nach Ziffer 6 zu erstattenden Bericht anzugeben.
3. Bei seinem Besuch hat der Kreismedizinalrat sein Augenmerk nur
auf den gesundheitspolizeilichen Zustand des Versorgungskranken¬
hauses zu richten, nicht also auf Einrichtungen, die lediglich mit der Ver¬
waltung des Krankenhauses Zusammenhängen.
Er hat Anspruch darauf, daß ihm während seines Besuchs alle Kranken¬
räume und sonstigen mit der Behandlung der Kranken im Zasammenb&ng
stehenden Einrichtungen des Krankenhauses (Räume für ansteckende Kranke,
DesinfvktK- ^meinrichtungen, Kanalisations- und Wassmersorgungsanlagen usw.)
gezeigt werden.
4. Der Kreisiaedizinalrat ist nicht berechtigt, unmittelbare Anordnungen
für das Versorgungskrankenhaus zu geben oder dessen Aerzten wegen etwa
vorhandener Mängel Vorhaltungen zu machen.
5. Am Schloß des Besuchs besprechen der Kreismedizinalrat, der Ver¬
treter des Hauptversorgungsamts und der Chefarzt des Versorgungskrankeo-
bauses die einzelnen auf gesundheitlichem Gebiet etwa festgestellten Mängel
und die Frage, wie diesen Mängeln am einfachsten abgeholfen werden kann.
6. Geber die Veranlassung und den Verlauf des Besuchs, insbesondere
über die bei dem Besuch gemachten Wahrnehmungen sowie über das Ergebnis
der Scklußbesprecbung hat der Kreismediziaalrat seiner vorgesetzton Behörde
einen Bericht za erstatten. Eine Abschrift dieses Berichts ist von ihm gleich¬
zeitig dem Hauptversorgungsamt zu übersenden.
jg Dienstreise» nach nahegelegeneu Orten. Ru n de rl aß d es Ministers
Cur Volks Wohlfahrt vom 13. Dezember 1921 — A.3. Nr. 468. W. M. —
für das Siaatsministerium, an die naebgeordneten Behörden.
Auf Grund des § 9 des Gesetzes, betr, die Reisekosten der Staats¬
beamten, vom 26. Jali 1910 (Ges.-Sammlung S. 150) wird unter Aufhebung der
Allgemeinen Verfügung des SUatsministeriums vom 13. Oktober 1911 (G.-S.
S. 213) sowie der Aendernngen vom 2. November 1918 (G.-8. 8.177) und
16. Dezember 1919 (G.-S. 1920 S. 3/4) folgendes bestimmt:
§ 1. Für Dienstreisen nach nahegelegenen Orten und zurück, die mit
der Eisenbahn, der Kleinbahn oder dem Schiffe ausgefübrt werden und an
demselben Tage angetreten und beendet werden können, werden an Stelle der
in dem Reisekostengesetz vom 26. Juli 1910 uud den Ausführungsbestimmungen
vom 24. September 1910 vorgesehenen Reisekosten die im § 2 festgesetzten
Vergütungen gewährt.
Als nahegelegen im Sinne dieser Verfügung gilt, eiu Ort, wenn die bei
einer Berechnung der Fabrkosten maßgebende Entfernung zwischen ihm and
dem Wohnorte (Reisen, die am Urlaubsorte angetreten und beendet werden,
zwischen ihm und dem Urlanbsortc) nicht mehr als 30 km beträgt und wenn
zwischen beiden Orten ein Vorort-, Stadt-, Ring- oder Straßenbahnverkehr be¬
steht oder in sonstiger Weise mit den im Absatz i genanuten Verkehrsmitteln
täglich von 6 Uhr morgens ab in jeder der beiden Reise rieh taugen eine
mindestens achtmalige fahrplanmäßige Verbindnng vorhanden ist. Werden
auf einer Reise mehrere Geschäftsorte berührt, so gelten sie als o&liegelegen,
wenn jeder einzelne Geschäftsort von dem Wohnorte (Urlaubsort) wenigstens
in einer Reiserichtnng nicht mehr als 30 km entfernt liegt, and wenn zwischen
Medizinalgesetzgebung.
3
den einzelnen Orten in beiden Reiserichtungen die im vorstehenden Satze an¬
gegebenen günstigen Verkehrsbedingungen bestehen.
Die Vergütung nach § 2 wird auch gewährt, wenn die Dienstgeschäfte
an einem nahegelegenen Orte nicht an einem Tage beendet werden uud der
täglichen Rückkehr des Beamten nichts entgegensteht.
§ 2. Als Vergütung für allgemeine Kosten erhalten die Beamten
in Stufe I 10 M. in 8tufe III 15 M. in Stufe V 20 M.
» » n 13 „ „ , IV 18 „
Es gehören von den in der Besoldungsordnung zum Beamtendienstein¬
kommengesetz vom 17. Dezember 1920 (Q.-S. 1921 S. 135) aufgeführten Beamten:
zur Stufe
ff 71 .
n n
n ji
* n
Die Beamten mit
festen Grundgehalts-
Sätzen in Gruppe
I 1 bis 5
II 6 „ 8
III 9 „ 12
IV 13
V -
Mindestgrundgehalts¬
sätzen in Gruppe
1 u. 2
n
5
3 , 4
Einzelgehältern
in Gruppe
1 bis 3
4 u. 5
Neben der Vergütung sind dem Beamten die wirklich erwachsenen Fahrt¬
auslagen für die benutzte und ihm nach § 3 des Reisekostengesetzes zuge¬
billigte Wagen- oder SchifFsklasse zu erstatten
Eine besondere Vergütung für Zu- und Abgang wird nicht gewährt.
Debersteigen die hiernach festgesetzten Vergütungen einschließlich Fahrt¬
auslagen diejenigen Beträge, welche den Beamten nach den sonst anzuwendenden
Vorschriften zustehen würden, so erhalten sie nur die geringeren Beträge.
§ 3. Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten,
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäfts bedarf, sowie
Schnellzugszuschläge werden gesondert erstattet.
Hat der Beamte auf der Dienstreise höhere Beträge aufwenden müssen,
als die Vergütung, welche nach den sonst anzuwendenden Vorschriften zu ge¬
währen wäre, so werden dieselben erstattet. Der Beamte hat zu diesem
Zwecke seine Auslagen nach den einzelnen Arten summarisch geordnet anzu¬
geben, eine Belegung ist nicht erforderlich.
§ 4. Diese Vergütung gilt nicht für Reisen, für welche an Ställe der
in dem Reisekostengesetz und den Ausführungsbestimmungen vom 24. Sep¬
tember 1910 vorgesehenen Vergütungen gemäß § 17 oder § 8 Abs. a. Satz 1
oder § 9 des Reisekostengesetzes anderweite Beträge in anderer als der in
dieser Verfügung vorgesehenen Weise festgesetzt sind oder festgesetzt werden.
§ 5. Diese Vergütung gilt nicht für Reisen, die zum Zwecke der Er¬
ledigung von Dienstgeschäften im Auslande ganz oder teilweise außerhalb
des Reichsgebiets ausgeführt werden.
§ 6. Diese Verfügung tritt mit Wirkung vom 1. Dezember 1921 ab
in Kraft.
/ t Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten für Dienstreisen. Runderlaß
es Ministers für Volkswohlfahrt vom 17. Dezember 1921
- A. 8 477 — an die nachgeordneten Behörden.
Im Anschluß an die Rundverfügung vom 8. Juni 1921 — A. 3. Nr. 244.
Durch die Verordnung über Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten bei
Dienstreisen der Staatsbeamten vom 30. November 1921 — G. S. S. 550 — ist
der Fahrkosten - Kilometersatz des Reisekostengesetzes vom 26 Juli 1910
— G. S. S. 150 — in der Fassung der Verordnung vom 31. Mai 1921 — G. S.
S. 377 — für Wegestrecken, die nach dem 30. November 1921 auf Eisenbahnen
oder Schiffen zurückgelegt werden können, neu festgesetzt, und zwar erhalten:
a) Die im § 1 des Reisekostengesetzes unter I—IV genannten Beamten 81 Pf.,
wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse gezahlt ist, sonst 47 Pf.,
b) die unter V—VI genannten Beamten.47 Pf.,
wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste
Schiffsklasse gezahlt ist, sonst.30 Pf.,
c) die unter VII genannten Beamten.. . 30 Pf.,
d) die unter I bis II genannten Beamten im Falle des § 3 Absatz 4 30 Pf..
4
Medizin algetzgebung.
Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Dezember 1921 angetreten, aber nicht
beendigt werden, gilt das gleiche für die Eisenbahn- oder Schiffsfahrten, die
an diesem Tage and später zarückgelcgt werden.
Die neben den obigen Sätzen zar Erstattung gelangenden Schnellzugs-
zuschläge betragen vom 1. Dezember 1921 ab:
I./II. Klasse
Entfernungen bis 75 km.10 M.
über 75
150
bis 150 km
20
30
111. Klasse
8 M.
10 „
15 „
Tagegelder für mehrtägige Dienstreisen der Staatsbeamten. E u n d -
erlaß des Finanzministers und Ministers des Innern vom
19. November 1921 — IC 2, 8423, UI 2.596. M.d.I. Ia 11415 — an die
nacbgeordneten Behörden.
In Aenderung des Runderlasses vom 6. April 1921 — Fin.-Min. Bl. S. 216 —
genehmigen wir auf Grund des § 8 Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli
1910 für den Bereich der allgemeinen Kreiskassen-, Kataster- und Hochbau-
verwaltung sowie der inneren Verwaltung einschließlich der staatlichen Polizei¬
verwaltungen, der Landjägerei und der Schutzpolizei, daß mit Wirkung vom
1. November 1921 ab den Staatsbeamten bei mehl tägigen Dienstreisen
anstelle der bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu den gesetz¬
mäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die mit den Tagegeldern zusammen
folgende Beträge nicht überschreiten dürfen.
a) für teure Städte b) im übrigen
Stufe I 70,00 Mark Stufe I 45,(X) Mark
„ II 82,00 „ „ n 54,00 „
„ III 94,00 „ „ in 68,00 „
„ IV 106,00 „ „ IV 72,00 „
* V 120,00 „ „ V 85,00 „
lm übrigen bleiben die bisherigen Vorschriften für die Abfindung der
Beamten bei Dienstreisen in Geltung.
Telegrammgebühren in gerichtlichen Angelegenheiten für die Kreis*
yluedizinalräle. Runderlaß des Ministers für Volks Wohlfahrt
vom 17. November 1921 — IMI 2392 — an sämtliche Herren Regierungs¬
präsidenten.
Die den Kreismedizinalräten in gerichtlichen Angelegenheiten erwachsen¬
den Telegrammgebühren können bei den Mitteln der Verwaltung für Volks¬
wohlfahrt nicht verrechnet werden; ihre Erstatattung ist vielmehr auf Grund
des § 12 a der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (Reichs-
Gesetzbl. 1914 S. 214) bei den Gerichten zu beantragen.
Ich ersuche ergebenst, hiernach das Weitere zu veranlassen. Der Herr
Justizminister wird die mit der Festsetzung der Zeugen- und Sachverständigen¬
gebühren betrauten Beamten mit einem entsprechenden Hinweise versehen.
Staatliche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen
Instituten. Runderlaß deB Ministers für Volks Wohlfahrt vom
23. November 1921 — IM. IV. 2301 — an sämtliche Herren Regierungs¬
präsidenten.
Im Einvernehmen mit den Herren Ministern für Handel und Gewerbe
und für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bestimme ich in Ergänzung
des Erlasses vom 26. August d, J. — I M IV 1579 II —, betreffend Durch¬
führung der Vorschriften für die staatliche Prüfung von technischen Assisten¬
tinnen an medizinischen Instituten, daß der Regierungspräsident auch die Auf¬
sicht über die der Ausbildung technischer Assistentinnen für medizinische In¬
stitute dienenden Fachschulen auszuüben hat, Für die Zulassung und Beauf¬
sichtigung dieser Schulen finden die Bestimmungen des Erlasses des Herrn
Ministers für Handel und Gewerbe vom 1. Mai 1917 — IV 2657 — (Ministerial¬
blatt der Handels* und Gcwerbeverwaltung 1917 8.159 ff.), soweit nicht in
meinem Erlaß vom 26. August d. J. ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist,
sinngemäße Anwendung mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Schulaufsichts¬
behörde der Regierungspräsident tritt.
Medizinalgesetzgebung.
5
Anzeige der spinalen Kinderl&hmung (Poliomyelitis). Bunderlaß
des Ministers fttr Volkswohlfahrt vom 18. November 1921
— I M. III 2898 — an sämtliche Herren Begiernngspräsidenten.
Die spinale Kinderlähmung — Poliomyelitis — gewinnt neuerdings wieder
an Ausdehnung, sodaß möglicherweise die Einführung der Anzeigepflicht' für
diese Krankheit notwendig werden kann. Bevor ich jedoch hierzu Stellung
nehme, ist es mir erwünscht, Uber den Umfang der Erkrankungen und Todes¬
fälle noch nähere Mitteilungen zu erhalten. Ich ersuche daher ergebenst, die
Kreisärzte zu veranlassen, in geeigneter Weise auf die praktischen Aerzte ein¬
zuwirken, daß sie ihnen die erforderlichen Mitteilungen regelmäßig zukommen
lassen. Die eingehenden Meldungen bitte ich in die Wochennachweisungen mit
aufzunehmen. lieber das Wesen der Krankheit und ihre Bekämpfung enthalten
die im Beichsgesundheitsamte bearbeiteten und im Ministerialblatt für Medizinal¬
angelegenheiten von 1918 auf S. 335 ff. abgedruckten Batschlägo an Aerzte
das Wissenswerte. Besonderes Augenmerk ist hiernach auch den Haushalts¬
angehörigen oder den sonstigen Personen der Umgebung der Erkrankten zu
widmen, da bei diesen häufig katarrhalische Erkrankungen der Luftwege sowie des
Magens und des Darmes auftreten. Diese Katarrhe bleiben zumeist der einzige
Ausdruck der erfolgten Infektion, während die eigentliche Poliomyelitiserkrankung
nur in einer verhältnismäßig kleinen Zahl der Fälle auftritt. Es empfiehlt sich
deshalb, die im letzten Absätze der oben erwähnten Batschläge empfohlene
Desinfektion nicht auf den Kranken zu beschränken, sondern auch in der Um¬
gebung von an Kinderlähmung erkrankten Personen die Ausscheidungen aller
an Katarrhen der Luft- und Verdauungswege Erkrankten regelmäßig zu des¬
infizieren, um zu verhüten, daß durch diese die Poliomyelitis weiter ver¬
breitet wird.
Gefälligem, durch den Herrn Oberpräsidenten einzureichenden Berichte
darüber, ob für den dortigen Bezirk die vorübergehende Anordnung der Anzeige¬
pflicht bei spinaler Kinderlähmung notwendig ist, oder über sonstige in dieser
Beziehung gemachte beachtenswerte Wahrnehmungen sehe ich bestimmt zum
15. Januar 1922 entgegen.
Beratung innerhalb der Wohlfahrtsämter auf dem Gebiete der Schul¬
zahnpflege. Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
8 . November 1921 — IM. IV. 1113 — an die Herren Oberpräsidenten und
Begiernngspräsidenten.
Aus den Geschäftsberichten der Landesversicberungsanstaltcn ersehe ich,
daß die vorbeugende Schulzahnpflege trotz des in weiten Kreisen gestiegenen
Interesses im allgemeinen noch sehr wenig ausgeübt wird. Leider muß darauf
hingewiesen werden, daß die Masse der Schulkinder schwer an Zahnkaries
(Zahnfäule) leidet. Kranke Zähne bilden oft eiue Ursache von allgemeinen
Leiden, sie können unter Umständen auch die Heilung bestehender Krankheiten
erschweren.
Bechtzeitige Zahnbehandlung der Schulkinder würde einen erheblichen
Einfluß auf die Volksgesundheit ausüben. Es erscheint mir dabei von Wichtig¬
keit, daß innerhalb der Wohlfahrtsämter Gelegenheit geboten wird, sich von
Fachleuten auf dem Gebiete der Schulzahnpflege beraten zu lassen. Deshalb
sind Zahnärzte zur planmäßigen Mitarbeit in den Wohlfahrtsämtern hinzu-
zuzieben.
Im Einvernehmen mit dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volks¬
bildung ersuche ich, hiernach das Weitere zu veranlassen. Auf eine Zusammen¬
arbeit mit den Ausschüssen für hygienische Volksbelehrung, mit dem Deutschen
Zentralkomitee für Zahnpflege in den Schulen, mit den Vertretern der Landes¬
versicherungsanstalten und den Prorinzialschulkollegien ist hinzuwirken.
In drei Monaten sehe ich einem Bericht über die Durchführung dieses
Erlasses entgegen.
r Amtsärztliche Bescheinigung zum Zwecke der Feuerbestattung.
Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 23. Novem¬
ber 1921 — IM. IV. 2472 — an sämtliche Herren Begiernngspräsidenten.
Um die Beibringung der amtsärztlichen Bescheinigung zum Zwecke der
Feuerbestattung (§§ 7 und 8 des Gesetzes vom 14. September 1911) zu er-
6
Medizinalgesetzgebung.
leichtern, wird auter Aufhebung meines Erlasses vom 9. September 1920
— IMIV 1698 — bestimmt, daß die Anweisung vom 29. September 1911
bezw. 5. Juni 1919 zur Ausführung des Gesetzes vom 14. September 1911
bezüglich des Absatz 1 io I 2 der Anlage 2 dahin ausznlegen ist, daß in
Bezirken, für die ein besonderer Gcrichtsmedizinalrat bestellt, ist, neben diesem
der zuständige Kreismedizinalrat bezw. die übrigen dort erwähnten Aerzte zur
Ausstellung der Bescheinigungen berechtigt sind.
Medizinische Volksbelehrungsflime. Bunderlaß des Ministers
für Volkswohlfahrt vom 31, Oktober 1921 — I M. IV. 2058 — an
sämtliche Berreu Regierungspräsidenten.
Die Univiersum-Film-Aktiengesellschaft Berlin, Kötbener Straße 1-4 (Ufa),
hat unter Benutzung amtlicheu Materials eine Reihe weiterer medizinischer
Volksbelehrungsfllme herausgegeben. Es sind erschienen bezw. stehen vor der
Vollendung die Filme: Säuglingspflege; Krüppelnot und Krüppelbilfe; die
Pocken, ihre Gefahren und deren Bekämpfung; die Wirkung der Hunger¬
blockade auf die Volksgesundheit; ein Tuberkulosefilm; Hygiene des häuslichen
Lebens. Andere Filme gleicher Art sind in Vorbereitung.
Ich cr&nchc ergebenst, die Vorführung auch dieser Volksbelehrungsfilme
nach Möglichkeit zu fördern, insbesondere auch die Kreismedizinalräte auf die
Filme aufmerksam zu machen und ihnen ihre Verwertung für Vortragszwecke
zu empfehlen.
Zahnärztliche Vevsorgung in Krankenanstalten« Runder!aß des
Ministers für Volkswohlfahrt vom 31. Oktober 1921 — I M.
II. 2215 — an sämtliche Herren Regierungspräsidenten.
Es bat sieb als ein Mangel herausgcstellt, daß Patienten, die sich in
Krankenanstalten befinden, zahnärztlich nicht immer genügend und rechtzeitig
versorgt werden. Ist es schon eine Lücke in der Versorgung der Kranken,
wenn eine selbständig auftretende erhebliche Zahnerkraoknng nicht behandelt
werden kann, so wird die Lage noch erschwert, falls der Erfolg der Allgemein-
behandung von einer nebenhergehenden zahnärztlichen Behandlung abhängig
ist, ganz besonders aber dann, wenn C3 sich dabei uid bettlägerige Patienten —
wie es recht häufig der Fall ist — handelt;, die das Gebiet der Anstalt nicht
verlassen können. Ich lege daher großen Wert darauf, daß die zahnärztliche
Versorgung der Krankenbaasinsassen innerhalb der Räume des Krankenhauses
ermöglicht wird. Die Errichtung einer selbständigen zahnärztlichen Station
ist nur in den größeren allgemeinen Krankenhäusern möglich. Soweit diese
Einrichtung nicht getroffen werden kann, sollte bei jedem Krankenhaus
wenigstens dafür Sorge getragen werden, daß den Patienten bei Zahn- und
Kiefererkrankungen fachmännische zahnärztliche Hilfe zur Verfügung steht.
In einigen großen Städten, wie z. B. Hamburg und Essen, haben sich die
bei den dortigen Krankenhäusern eingerichteten zahnärztlichen Stationen bereits
seit Jahren gut bewährt und werden dort als eine unumgängliche Notwendig¬
keit bezeichnet.
Ich ersuche ergebenst, hiernach die erforderlichen Verhandlungen ge¬
fälligst alsbald einzulciten.
Abdrucke für die Landräte, die Kreisärzte, die KreiBassistenz&rzte und
die Magistrate der kreisfreien Städte liegen bei. Die Herren Oberpräsidenten
sind von mir gebeten worden, mit den Provinzialverwaltungen wegen der
diesen unterstellten Krankenanstalten zu verhandeln.
Nach sechs Monaten sehe ich gefälligem Bericht Über die Durchführung
dieses Erlasses ergebenst entgegen.
Sozialhygienische Akademien in Cbariottenburg, Breslau nnd Düssel¬
dorf. Runderlaß desMinisters fürVolk sw obifahrt vom 14. De¬
zember 1921 — I M. L 3491 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Unter Bezugnahme anf den Runderlaß vom 31. März d. Js. — I M. I.
Nr 737 — mache ich nochmals auf die bei den sozialbygienischen Anstalten
in Berlin-Charlottenburg, Brcslaa und Düsseldorf Btattfindenden Lehrgänge zur
Ausbildung von Kommuualärzten aufmerksam. Bei den bedeutenden Vorteilen,
die eiue gute sozialbygienische Ausbildung der Kommunal- und Fürsorgeärzte
Medizinalgese tzgeb ung.
7
der Allgemeinheit, insbesondere den betreffenden Kommunolverbänden bietet,
und angesichts der wirtschaftlichen Nachteile, die bei einer schlecht geleiteten
ärztlichen Fürsorge eintreten, halte ich es für außerordentlich wünschenswert,
daß nur solche Aerzte als Kommunal- und Fürsorgeärzte. angestellt werden,
die durch einen viermonatigen Lehrgang an einer der drei sozialbjgienischen
Anstalten über die Zusammenhänge zwischen Gesundheitspflege und Wirt¬
schaftsleben genügend aufgeklärt sind.
Ich ersuche daher ergebenst, in diesem Sinne bei allen sich bietenden
geeigneten Gelegenheiten auf die nacbgeordneten Stellen einzuwirken, damit
die Anstellung Ton Kommunal- und Fürsorgeärzten, die für ihre Aufgaben
durchaus ungenügend vorbereitet sind, nicht mehr in dem bisherigen Umfange
erfolgt. _
B. Sachsen.
Aenderung der Vorschriften über Wahlen znm Landesgesundheits¬
amt. Bekanntmachung des Ministers des Innern vom ^.Ok¬
tober 1921.
I.
Die Verordnung über die Wahlen zum Landesgesundheitsamt vom
21. Mai 1912 wird abgeändert wie folgt:
1 . § 1 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut:
§ 1. Die Zahnärzte wählen in die I. Abteilung ein ao. Mitglied und
einen Stellvertreter, die Tierärzte in die II. Abteilung fünf ao. Mitglieder
und ebensoviele Stellvertreter und die nicht selbständigen als Apotheker Appro¬
bierten (A p o t b e k e r g e h i 1 f e n) in die III. Abteilung des Landesgesnndbeits-
amtes fünf ao. Mitglieder und ebensoviele Stellvertreter.
Von don fünf ao. tierärztlichen Mitgliedern und ihren Stellvertretern
und den fünf ao. Mitgliedern der nicht selbständigen als Apotheker Appro¬
bierten (Apotbekergehilfen) und ihren Stellvertretern wird in jeder Kreis¬
hauptmannschaft ein ao. Mitglied und ein Stellvertreter gewählt.
2. § 2, Absatz 3 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut:
Die Tierärzte und die nicht selbständigen als Apotheker Approbierten
(Apothekergehilfen) sind nur in der Kreishauptmannschaft, in deren Bezirke
sie wohnen, wahlberechtigt und wählbar.
3. § 6, Absatz 2 der Ziffer II ist zu streichen.
4. § 9, Absatz 1 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut:
§ 9. Zum Zwecke der Wahl erläßt die betreffende Abteilung oder der
veterinärmedizinische Oberrat bei der Kreishauptmannschaft eine die Wahl¬
berechtigten zur Beteiligung an der Wahl auffordernde Bekanntmachung in
der Sächsischen Staatszeitung.
II.
Die Wahl der fünf ao. Mitglieder der nicht selbständigen als Apotheker
Approbierten (Apothekergehilfen) und ihrer Stellvertreter ist erstmalig bis
31. Dezember 1921 vorzunehmen. Zum gleichen Zeitpunkte erledigt sich die
Wahlzeit des bisherigen ao. Mitglieds und seiner zwei Stellvertreter.
Von den gewählten ao. Mitgliedern der nicht selbständigen als Apotheker
Approbierten (Apothekergehilfen) scheidet Ende 1922 und an jedem künftigen
Jahresschluß ein Mitglied mit seinem Stellvertreter aus. Die Reihenfolge dieses
Ausscheidens wird in den ersten fünf Jahren durch das Los bestimmt, das der
Vorsitzende der LU. Abteilung oder sein Stellvertreter zieht.
IV.
§ 8, Absatz 2 und 3 der Verordnung, die pharmazeutischen Kreisvereine
und die Wahl von ao. pharmazeutischen Mitgliedern des Landesmedizinal¬
kollegiums betr., vom 15. August 1904 erhalten folgenden Wortlaut:
„Zu diesem Zweck erläßt der nach § 7 zur Leitung des Wahlgeschäfts
Berufene eine die Kreisvereinsmitglieder zur Beteiligung an der Wahl auf¬
fordernde Bekanntmachung in der Sächsischen Staatszeitung. In der Bekannt¬
machung ist der für die Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahl¬
ergebnisses bestimmte Tag genau und mit dem Bemerken zu bezeichnen, daß
alle erst nach Ablauf dieses Zeitpunktes eingehenden Stimmzettel unberück¬
sichtigt bleiben und vernichtet werden.*
Medizinalgesetzgebung,
8
C. Thüringen.
Deslnfektlonsanweismig. Bekanntmachung des Wirtschafts¬
ministeriums vom 31. August 1921. (Gesetz?, f. Thüringen S. 240.)
In Ausführung des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900, betreffend die Be¬
kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten (Eeicbsgesetzblatt S. 306) wird für
das Land Thüringen folgende Desinfektionsanweisung bei Tuberkulose, Diph¬
therie, Scharlach' Genickstarre, Typhus, Ruhr und Körnerkrankheit erlassen:
1. Zur technischen Beratung über die Art und den Umfang der Desin-
fektionsmaßnahmen gegenüber Tuberkulose, Diphtherie, Scharlach, Genick¬
starre, Typhus, Ruhr und Körnerkrankheit sind die Preuß. amtlichen Desin¬
fektionsanweisungen (Erlaß des PreaO. Ministers für Volks wohl fahrt vom
8 . Februar 1921 Amtsblatt „Volkswohlfahrt“ S. 191; Veröffentlichungen des
Reichsgesundheitsamts 1921, S 414 ff.) von den Gemeindevorständen und Kreia-
(Bezirks-) Aerzten anzuwenden.
Die Desinfektionsanweisnngen sind erhältlich in der Druckerei des
Zellengefäiignisses Berlin-Moabit, NW. 40, Lchrterstr. 8. Erstmalig werden
die Desinfektionsanweisnngen darch das Thüringische Wirtschaftsministerinm
verteilt werden.
2. Der Hauptwert ist auf die laufende Desinfektion während der Krank¬
heit zu legen.
Die laufende Desinfektion ist durch eine entsprechend ausgebildete
Person zu überwachen. Diese Uebenvacbung hat zunächst darin zu bestehen,
daß bei regelmäßigen, wenn möglich in 2- bis 3 tägigen Abständen auszuführenden
Besuchen die zur Desinfektion notwendigen chemischen Lösungen hergerichtet
und die deu Kranken pflegenden Personen über die Verwendung der Lösungen
sowie die zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln eingehend belehrt werden.
Den Angehörigen ist das entsprechende Merkblatt des Reichsgesundheitsamts 1 )
Ausznhöudigen und die Beobachtung der notwendigen Maßnahmen zu empfehlen.
Bei Wiederholung der Besuche sind die Vorräte an Lösungen zu ergänzen und
durch Augenscheinnahme oder Befragen festzustellen, ob die Desinfektion vor¬
schriftsmäßig ausgeführt wird; auch sind die beim ersten Besuch erteilten
Belehrungen zu wiederholen. Wo es der behandelnde Arzt für notwendig hält,
hat auch die Schwester oder der Desinfektor die Desinfektion der Abgänge
der Kranken — nötigenfalls am Krankenbett selbst — auszufnhrcn, voraus¬
gesetzt das Einverständnis des II aushaltungs Vorstandes.
3. Die mit der Ausführung der Desinfektion betrauten Desinfektoren
nnd Schwestern unterstehen in bezug auf ihre Berufstätigkeit der Aufsicht des
Kreis-(Bezirks-) Arztes, doch sollen sie, soweit möglich, auch den Wünschen
des behandelnden Arztes Rechnung tragen.
4. Unter allen Umständen haben sich die Desinfektoren und Schwestern
bei ihren Besuchen in den Häusern der Kranken jeglicher Eingriffe in die Be¬
handlung und jeglicher Kritik der ärztlichen Anordnungen zu enthalten. Sie
sind insonderheit nicht befugt, ärztlich aDgeordoete Deainfektionsmaßnabmen
selbständig abzuändern.
5. Soweit eine Scblußdesinfektion sich noch als notig erweist, ist diese
tunlichst bald auszufübron. Ist in Abweichung hiervon die Schlußdesinfektion
einen Monat seit ihrer Fälligkeit unterblieben, so ist in der Regel daraaf zu
verzichten.
6 . Die Ausbildungsstellen für Desinfektoren, Krankenpflegerinnen haben
die oben erwähnten Desinfektionsanweisnngen dem Unterricht zu Grunde zu
legen und den Prüflingen Abdrücke auszuhandigen. Die Lehren der An¬
weisungen sind in der Abschlußprüfung zu berücksichtigen.
7. Diese Aaweisung tritt mit ihrer Veröffentlichung in Kraft.
*) Erhältlich im Verlag von Julius Springer, Berlin W. 9, Link-
straße 23/24.
Verantwortlich für die Scliriftleituo^ Prof. Pr. Uapuiuuti, Geh. Med.-Hat in
Druck, ton J, 0. I.'. ilruu**, Minden i. \Y.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 2. 20. Januar. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich
Aenderung der Bezeichnung „Lehrling“ und „Gehilfe“ ln der
Prüfungsordnung für Apotheker. Bekanntmachung des Reichs¬
ministers des Innern vom 10. Dezember 1921.
Auf Grund des § 29 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich wird
die Prüfungsordnung für Apotheker vom 18. Mai 1904 mit Zustimmung des
Reichsrats geändert wie folgt:
I. In den § 3 Abs. 5, § 4, § 6 Ziffer 2 und 3, § 7, § 9 Abs 1 und 2, § 10
Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 39, § 41 sowie in Muster 1 (zu § 6) werden die
Worte „Lehrling, Apothekerlehrling, Lehrlings, Lehrlinge, Lehrlingen bezw.
Lehrzeit, Lehrlingszeit“ durch die Bezeichnungen „Praktikant, Praktikan¬
ten bezw. Praktikantenzeit“ ersetzt
n. In den § 2 Abs. 1, § 6 Ziffer 3, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 17 Abs. 4
Ziffer 1, § 35 Abs. 1, 3 und 4, § 36 Abs. 1, § 39 sowie in den Mustern 4
(zu § 35) und 5 (zu § 86) werden die Worte „Gehilfe, Apothekergehilfe,
Gehilfen bezw. Gehilfenzeit, Gehilfenjahre“ durch die Bezeichnungen
„Assistent, Assistenten bezw. Assistentenzeit, Assistentenjahre“ ersetzt.
B. Preußen.
Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medizinischen
./ Instituten. Rnnderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
26. August 1921 — IM. IV. 1579 I — an sämtliche Herren Regierungs¬
präsidenten.
Im Einvernehmen mit den Herren Ministern für Handel und Gewerbe
und für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung erlasse ich die beiliegenden
Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medi¬
zinischen Instituten, denen ein Plan für die Ausbildung dieser Assistentinnen
und zwei Vorlagen für die ihnen zu erteilenden Ausweise beigefügt wird.
Ich ersuche ergebenst, den im dortigen Bezirk vorhandenen Lehranstalten
für Technische Assistentinnen Kenntnis von diesem Erlaß und den Vorschriften
zu geben, dabei aber ausdrücklich zu betonen, daß diese Mitteilung weder die
Anerkennung der betreffenden Anstalt als Lehranstalt für Technische Assistentinnen
an medizinischen Instituten in sich schließt, noch ohne weiteres die Anwart¬
schaft hierauf gewährleistet; um die Anerkennung zu erhalten, bedarf es viel¬
mehr eines Antrages dieser Lehranstalten an Euer Hochwohlgeboren und einer
eingehenden Prüfung dieser Anträge durch Euer Hochwohlgeboren.
Ich ersuche ferner, soweit Bedarf vorhanden ist, die Bildung von
Prüfungsausschüssen so rechtzeitig zu veranlassen, daß gegebenenfalls zu
Ostern 1922 eine Prüfung nach den neuen Vorschriften aS^ehalten werden
kann, einen Ausschuß aber sogleich zu bilden, der bei der Prüfung von An¬
trägen nach § 19 der Vorschriften mitwirken kann.
Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen
an medizinischen Instituten.
§ 1. Die Prüfung findet statt behufs Erteilung der staatlichen An¬
erkennung als Technische Assistentin an medizinischen Instituten.
Die folgenden Vorschriften bilden im Verein mit dem anliegenden Ans¬
bildungsplan die Grundlage für diese Prüfung.
§ 2. Die Prüfung wird in einem staatlichen Institut oder in einer
10
Medizinalgesetzgebung.
staatlich anerkanntes Lehranstalt für Technische Assistentinnen an wissen¬
schaftlichen Instituten abgehalten.
§ 3. Die Prüfung findet vor einem Prüfungsausschuß statt, welchem
als Mitglieder angehören:
1. der zuständige Regierungs- und Medizinalrat oder sein Stellvertreter als
Vorsitzender,
2 . der Leiter derjenigen Anstalt, in welcher die Prüfung stattfindet, oder sein
Stellvertreter sowie
3. für jedes einzelne Prüfungsfach ein für dieses von der Leitung der An¬
stalt, in welcher die Prüfung stattfindet, besonders benannter Sachverstän¬
diger. Als solche können auch die Lehrer der Lehranstalt, in welcher die
Prüfung stattfindet, benannt werden, soweit sie eine staatliche Approbation
auf Grund eines Studiums an einer Universität oder technischen Hoch¬
schule besitzen.
Die zu 2 und 3 genannten Mitglieder des Prüfungsausschusses sind am
Beginn jedes Jahres vom Vorsitzenden des Ausschusses anzuzeigen und vom
Regierungspräsidenten zu bestätigen. Ebenso ist während des Schuljahres bei
einem Wechsel in der Person eines der Ausschußmitglieder zu verfahren.
Zu den Prüfungen ist auch der zuständige Regierungs- und Gewerbe-
schnlrat einzuladen.
§ 4. Prüfungen finden nach Bedarf im Frühjahr (Ostern) und Herbst
(Michaeli) statt, wenn wenigstens 5 Meldungen vorliegen.
§ 5. Die Zulassungsgesuche sind dem zuständigen Regierungs- und
Medizinalrat als dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses unter Beifügung der
erforderlichen Nachweise (§6) bis zum 1. Februar bezw. 1. August einzureichen.
Bewerberinnen, deren Znlassungsgesuche später eingehen, haben keinen
Anspruch auf Berücksichtigung in dem laufenden Prüfungsabschnitt.
In dem Zulassungsgesuch ist auch anzugeben, in welchen Wahlfächern
(s. Anlage 1 Abschnitt C) die Prüfung abgelegt werden soll.
§ 6. Dem Zulassungsgesuch sind beizufügen:
1. der Nachweis der Vollendung des 20. Lebensjahres,
2. ein behördliches Leumundszeugnis,
3. der Nachweis einer erfolgreich zum Abschluß gebrachten Ausbildung an
einem staatlich anerkannten Lyzeum oder einer gleichwertigen Bildung,
4. ein selbstverfaßter und eigenhändig geschriebener Lebenslauf,
&. der Nachweis, daß die Bewerberin wenigstens 2 Jahre lang an den Lehr¬
gängen in staatlichen oder staatlich anerkannten Lehranstalten und dabei
an dem Unterricht in allen Hauptfächern (s. Anlage 1 C) ordnungsmäßig
(s. Anlage 1A) und erfolgreich teilgenommen hat.
Der Nachweis der ordnungsmäßigen und erfolgreichen Teilnahme an dem
Unterricht wird durch die Zeugnisse der Leiter derjenigen Lehranstalten er¬
bracht, an welchen die Ausbildung erfolgt ist. 1 )
Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses entscheidet über die Zulassung.
g 7. Bewerberinnen, welche die im § 6 Nr. 5 vorgeschriebene Ausbildung
nicht erhalten haben, können ausnahmsweise zur Prüfung zugelassen werden,
wenn sie den Nachweis einer wenigstens gleichwertigen Ausbildung beibringen.
§ 8. Die Gebühren für die Prüfung in den Hauptunterrichtsfächern
(s. Anlage 1 C) betragen, einschließlich einer Schreibgebühr von 12 M., 84 M.,
für jedes Wahlfach 12 M. mehr.
Die Gebühren für die Wiederholung einer Prüfung betragen 12 M.
Schreibgebühr und für jedes Fach, für welches die Wiederholung der Prüfung
notwendig ist, weitere 12 M.
Die Prüfungsgebühren sind nach dem Empfang der Zulassung zur Prüfung
alsbald, jedenfalls vor Beginn der Prüfung, an das Büro des Regierungs- und
Medizinalrats zu entrichten.
Wer von der Prüfung spätestens 2 Tage vor ihrem Beginn zurücktritt,
erhält die bereits entrichteten Prüfungsgebühren abzüglich der Schreibgebflhr
von 12 M. zurückerstattet.
‘) Um zu verhüten, daß ungeeignete Elemente sich zur Prüfung melden,
steht den Leitern der Lehranstalten das Recht zu, solche gar nicht erst die
Lehrgänge durchmachen zu lassen, sondern schon möglichst frühzeitig aus¬
zumerzen.
Medizin algesetzgebnng.
11
§ 9. Der Vorsitzende des Prüfungsauschusses setzt Zeit and Ort der
Prüfung fest, verfügt die L&dnng der Prüflinge, and zwar so rechtzeitig, daß
sie etwa 14 Tage vor der Prüfung erfolgt, and gibt spätestens 8 Tage vorher
aach den Mitgliedern des Prüfangsaasschasses davon Kenntnis, damit der Leiter
der Lehranstalt, in welcher die Prüfung stattfindet, die nötigen Prüfongsräume
und sächlichen Hilfsmittel bereitstellen kann.
§ 10. Der Vorsitzende leitet die Prüfung, bestellt bei Behinderung eines
Mitgliedes des Prüfungsausschusses einen Vertreter und verteilt die Prüfungs¬
gegenstände unter die Prüfenden.
§ 11. Die Prüfung ist eine mündliche und eine praktische und erstreckt
sich auf die in Anlage 1 unter A aufgeführten Unterrichtsgegenstände.
§ 12 Jeder Prüfling hat sich der Prüfung in sämtlichen Hauptfächern
zu unterziehen. Unbenommen ist ihm dabei die Wahl der Wahlfächer.
§ 18. Die Gegenstände und das Ergebnis der Prüfung werden für jeden
Prüfling in einer Niederschrift vermerkt, welche von dem Vorsitzenden und dem
Leiter der Anstalt, in der die Prüfung stattflndet, bezw. seinem Stellvertreter
zu unterzeichnen ist.
§ 14. Für jedes Prüfungsfach geben der Vorsitzende, der Leiter der
Anstalt bezw. sein Stellvertreter und der Sachverständige fhr das betreffende
Fach ihr Urteil über die Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings gesondert
ab unter ausschließlicher Verwendung der Wertungen „sehr gut“ (1), „gut“ (2),
„genügend“ (3), „ungenügend“ (4). Sie tragen diesen Vermerk unter Beifügung
ihrer Unterschriften der betreffenden Stelle der Niederschrift ein.
§ 15. Hat der Prüfling in einem Prüfungsfache von zwei Mitgliedern
der Prüfungskommission die Wertung „ungenügend“ (4) erhalten, so gilt die
Prüfung in diesem Fache als nicht bestanden und ist zu wiederholen.
Von dem Urteil des Prüfungsausschusses hängt es ab, ob die Wieder¬
holung einer nicht bestandenen Prüfung nach 6 oder 12 Monaten stattfinden soll.
Im übrigen hat der Vorsitzende am Schlüsse der Prüfung die Prüfungs¬
werte für jedes Prüfungsfach gesondert zusammenzureciinen und die Summe
behufs Ermittelung der Gesamtwertung durch 3 zu teilen; ergeben sich dabei
Drittel, so werden ein Drittel nicht, zwei Drittel als voll gerechnet.
In entsprechender Weise sind nach beendeter Prüfung die Gesamtwertungen
für alle Hauptfächer zusammenzurechnen und die Summe behufs Ermittelung
der Gesamtwertung durch 6 zu teilen. Teile unter 0,5 bleiben dabei unberück¬
sichtigt, Teile über 0,5 werden als voll gerechnet. Die Wertungen für die
Wahlfächer werden für die Ermittelung der GeBamtwertung für die ganze
Prüfung nicht berücksichtigt.
§ 16. Tritt ein Prüfling ohne eine nach dem Urteil der Prüfungs¬
kommission genügende Entschuldigung im Laufe der Prüfung zurück, so hat
er sie vollständig zu wiederholen. Die bereits gezahlten Prüfungsgebühren (§ 8)
werden in diesem Falle weder zurückgezahlt noch für eine , spätere Prüfung
verrechnet.
Liegt nach dem Urteil des Prüfungsausschusses eine genügende Ent
schuldigung für den Rücktritt vor, so unterliegt esjder Entscheidung des Aus¬
schusses, ob die Prüfung ganz oder teilweise als noch nicht begonnen zu be¬
trachten und dem Prüfling zu gestatten ist, die Prüfung durch eine spätere
Nachprüfung in demselben oder einem späteren Prüfungsabschnitt zu vollenden.
Eine Nachzahlung von Gebühren ist in diesem Falle nicht erforderlich.
§ 17. Die Wiederholung einer n^cht bestandenen oder ohne Entschuldi¬
gung nicht vollendeten Prüfung ist nicht öfter als zweimal, und zwar spätestens
bis zum Ablauf von 3 Jahren, zulässig; sie muß vor demjenigen Prüfungsaus¬
schuß stattfinden, vor welchem die frühere Prüfung stattgefunden hat.
Ueber Ausnahmen behalte ich mir die Entscheidung bis auf weiteres
selbst vor.
§ 18. Der Prüfling wird, falls er die Prüfung ganz oder teilweise nicht
bestanden hat, vom Vorsitzenden davon benachrichtigt und erhält auf seinen
Antrag die eingereichten Zeugnisse zurück, nachdem auf den Zeugnissen über
die Teilnahme an dem Unterricht in den nicht bestandenen Fächern (§ 6 Nr. 6)
ein Vermerk über den Ausfall der Prüfung gemacht worden ist.
Wenn die Prüfung bestanden ist, reicht der Vorsitzende die Prüfungs¬
verhandlungen unter Beifügung der Wertungen (§ 15) an den Regierungs-
12
Medizinal geaetzgcbung.
Präsidenten, im Ortspolizeibezirk Berlin an den Polizeipräsidenten in Berlin,
behnis staatlicher Anerkennung als Technische Assistentin ein.
Ueber die Anerkennung wird ein Ausweis nach anliegendem Muster A
(Anlage 2) erteilt. Die Gesamtwertungen für die einzelnen Fächer, auch die
der geprüften Wahlfächer sind ia diesen Ausweis einzutragen. Hat jedoch der
Prüfling in einem Wahlfach die Wertung „ungenügend“ erhalten, so ist diese
Wertung nicht in das Zeugnis aufzunehmen; er gilt dann als in diesem Fache
nicht ausgebildet.
§ 19. Personen, welche schon vor dein Erlaß dieser Prüfungsvorschriften
eine Ausbildung als Technische Assistentin für medizinische Institute erhalten
haben oder sich zurzeit in der Ausbildung befinden, kann während der nächsten
6 Jahre nach einer wenigstens 3 Jahre langen praktischen Tätigkeit die staat¬
liche Anerkennung ohne vorherige Prüfung erteilt werden.
Ein entsprechender Antrag auf staatliche Anerkennung muß spätestens bis
zum 31. Dez. 1927 beijdem für ihren Wohnsitz zuständigen Reg.-Präsidenten — im
OrtspoÜzeibezirk Berlin bei dem Polizeipräsidenten in Berlin — gestellt werden.
Dem Antrag ist beizufügen:
1. eine Bescheinigung über die erfolgte Ausbildung,
2. die Belege dafür, daß die Antragstellerin wenigstens 3 volle Jahre lang
als Technische Assistentin an medizinischen Instituten mit Erfolg tätig
gewesen ist,
3. ein behördliches Leumundszeugnis.
Der Regierungspräsident (Polizeipräsident in Berlin) entscheidet über die
Erteilung der Anerkennung nach Prüfung der Anträge durch einen ihm unter¬
stehenden Prüfungsausschuß. In Zweifelsfällen behalte ich mir die Entscheidung
im Benehmen mit je 2 Fachgelehrten vor.
Auf Befürwortung des Prüfungsausschusses kann auch, wenn besondere
Gründe vorliegen, ausnahmsweise der Nachweis der Teilnahme an einem be¬
sonderen Ausbildungslehrgang erlassen werden. Ueber die Erteilung der staat¬
lichen Anerkennung in diesen Fällen behalte ich mir die Entscheidung bis auf
weiteres selbst vor.
Nach dem 31. Dezember 1927 kann die staatliche Anerkennung ohne
vorherige Prüfung nur in besonderen Ansnahmefällen (Ausbildung und mehr¬
jährige praktische Betätigung in einer Anstalt von anerkanntem wissenschaft¬
lichen Ruf) erteilt werden. In allen diesen Fällen behalte ich mir die Ent¬
scheidung vor.
§ 20. In den Fällen des § 19 ist ein Ausweis nach beiliegendem
Muster B (Anlage 3) zu erteilen.
§ 21. Die in einem anderen Lande des Reiches auf Grund gleicher
Anforderungen erfolgte Anerkennung als Technische Assistentin an medizinischen
Instituten gilt auch für das preußische Staatsgebiet.
Ueber die Erteilung der staatlichen Anerkennung auf Grund des Zeug¬
nisses einer außerpreußischen Lehranstalt, auf welche die Voraussetzung des ersten
Absatzes nicht zutrifft, behalte ich mir die Entscheidung bis auf weiteres selbst vor.
§ 22. Die staatliche Anerkennung als Technische Assistentin an medi¬
zinischen Instituten kann von dem für den Wohnsitz zuständigen Regierungs¬
präsidenten, für den Ortspolizeibezirk Berlin von dem Polizeipräsidenten in
Berlin, zurückgenommen werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche den Mangel
derjenigen Eigenschaften dartun, die für die Ausübung des Berufs als Tech¬
nische Assistentin erforderlich sind, oder wenn die Technische Assistentin den
in Ausübung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zu¬
widerhandelt.
Einer in einem anderen Bundesstaat erfolgten Anerkennung kann unter
denselben Voraussetzungen von dem für den Wohn- und Aufenthaltsort zu¬
ständigen Regierungspräsidenten (Polizeipräsident in Berlin) die Wirksamkeit
für das preußische Staatsgebiet entzogen werden. Die Entziehung ist der
Behörde, welche die Anerkennung erteilt hat, zur Kenntnis zu bringen.
Anlage 1. Plan
fflr die Ausbildung von Technischen Assistentinnen
an medizinischen Instituten.
Die Ausbildung der Technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten
ist zum Teil eine theoretische, vorwiegend aber eine praktische. Als
Medizinalgesetzgebung.
13
A. Ausbildungsflcher
kommen folgende in Betracht:
I. Chemie und Physik.
1. Theoretisch: Grundzttge der anorganischen und organischen Chemie und
die für die Analyse wichtigen Reaktionen und Grundlagen der Physik:
4 Monate lang wöchentlich 8 = (insgesamt rund) 140 Stunden.
2. Praktisch: Technisches Rechnen, Erlernen der wichtigsten Methoden zur
qualitativen und quantitativen Analyse anorganischer und der wichtigsten
organischen Körper, insbesondere auch Herstellung und Prüfung der
Reagenzien und der Lösungen zur Maßanalyse:
4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden.
II. Anatomie, Physiologie und Biologie und mikroskopisch¬
anatomische Technik.
1. Theoretisch: Bau des menschlichen Skeletts und das Wichtigste aus
der Muskel-, Nerven-, Gefäß- und Eingeweidelehre:
4 Monate lang wöchentlich 19 = 170 Stunden.
2. Praktisch: Optik des Mikroskops, Methoden der Konservierung, Härtung
und Eiubettung von Organteilen. Schnittmethoden, die wichtigsten Färbe¬
methoden. Studien der Gewebe und des feineren Baues der Zellen, Gewebe
und Organe:
4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden.
III. Parasitologie und Serologie.
1. Theoretisch: Grundzüge der Verbreitung und Bekämpfung übertrag¬
barer Krankheiten, der Morphologie und Biologie der Kleinlebewesen, der
Infektionskrankheiten einschließlich ihrer Aetiologie:
4 Monate lang wöchentlich 4 = 70 Stunden.
2. Praktisch: Herstellung der einfachen und komplizierteren Nährböden für
Bakterienkulturen. Erlernung und Uebung der Verfahren zum mikroskopi¬
schen und kulturellen Nachweis der Mikroparasiten, Hebungen in der
serologischen Diagnostik:
4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden.
IV. Klinische Chemie und Mikroskopie.
Praktisch: Chemische und mikroskopische Untersuchung von Harn, Sputum,
Magensaft, Fäces, Zerebrospinalflüssigkeit und Blut:
4 Monate lang wöchentlich 6 = 110 Stunden.
V. Photographie.
a) Photographische Technik:
4 Monate lang wöchentlich 18 = 300 Stunden.
b) Makro-, Mikro- und Farbenphotographie.
4 Monate lang wöchentlich 54 = 920 Stunden.
c) Röntgenologie:
4 Monate lang wöchentlich 48 = 820 Stunden.
VI. Zeichnen.
Makro- und mikroskopisch, schwarz nnd farbig, Aquarellieren:
4 Monate lang wöchentlich 12 = 200 Stunden.
VH. Schreibmaschine und Stenographie.
4 Monate lang wöchentlich 6 = 100 Standen.
Es ist den Schulleitern unbenommen, die im vorhergehenden errechnetcn
Stundenzahlen, die als Mindestmaß der Ansbildungszeit in den einzelnen
Fächern anzusehen sind, zu erhöhen oder auch auf 2, 3, 6 oder 12 Monate zu
verteilen. Die Verteilung auf 4 Monate ist mit Rücksicht auf die Lage der
Oster- und Sommerferien erfolgt. Im allgemeinen werden die Osterferien auf 3,
die Pfingstferien auf 1, die Sommerferien auf 5 und die Weihnachtsferien auf
3 Wochen zu bemessen sein, so daß das Höchstmaß der jährlichen Ferien
12 Wochen beträgt.
Aufstellung des Stundenplanes.
Bei der Verteilung der Lehrfächer ist darauf Bedacht zu nehmen, daß
auch genügend Zeit für häusliches Lernen und Uebungsarbeiten verbleibt.
14
Medizinalgesetzgebung.
B. Wichtigkeit der Fächer.
Die Chemie and Physik (I) bilden die unentbehrliche Grundlage für
die Fächer II—Vc.
Gute Kenntnisse in der Anatomie (III), Physiologie und Biologie
sind {&r die mikroskopische Technik, die klinische Chemie und für die Rönt¬
genologie unerläßlich, auch als Grundlage für das Zeichnen wichtig.
Die mikroskopische Technik (II 2) nimmt als Sonderfach eine
selbständige Stellung ein, ist aber auch als Hilfsfach für die Bakteriologie
unentbehrlich; auch als Ergänzung der Röntgenologie ist sie wichtig, damit
Röntgenassistentinnen in einer Klinik auch die Anfertigung der histologischen
Präparate mitübernehmen können.
Die Parasitologie und Serologie (III) nehmen als Sonderfach
eine selbständige Stellung ein, sind aber auch als Ergänzung der klinischen
Chemie und Röntgenologie wichtig.
Die klinische Chemie und Mikroskopie (IV) nehmen als Sonder¬
fach eine selbständige Stellung ein, sind aber auch als Ergänzung der Rönt¬
genologie nicht zu entbehren.
Photographische Technik(Va) sowie die Makro-, Mikro-und
Farbenphotographie (Vb) sind als Ergänzung für histologisch und bak¬
teriologisch tätige Assistentinnen wichtig. Erstere bildet auch die Grundlage
für die Röntgenphotographie. Vb ist Wahlfach.
Die Röntgenologie (Vc) nimmt als Sonderfach eine selbständige
Stellung ein.
Zeichnen (VI) ist Wahlfach.
Gutes Zeichnen hat besondere künstlerische Veranlagung zur Voraus¬
setzung. Doch sollte jede Technische Assistentin imstande sein, wenigstens
eine Skizze des im Mikroskop gesehenen Bildes zu entwerfen. (Im Zeugnis
wird dies durch das Prädikat III („genügend“) ausgedrückt.)
Schreibmaschine und Stenographie (VII) ist als Wahlfach
stets zu empfehlen.
C. Die Prüfung muß demnach berücksichtigen:
Als Hauptfächer: I, II, m, IV, Va, Vc.
Als Wahlfächer: Vb, VI, VH.
Anlage 2. Ausweis Muster A.
für staatlich anerkannte Technische Assistentinnen
an medizinischen Instituten.
.aus.hat
vor der staatlichen Prüfungskommission in.die Prüfung in folgenden
Fächern und mit den danebengesetzten Wertungen bestanden:
Chemie und Physik:.
Anatomie, Physiologie und Biologie:.
Mikroskopisch-anatomische Technik:.
Parasitologie nnd Serologie:.
Klinische Chemie und Mikroskopie:.
Photographische Technik:.
Makro-, Mikro- und Farbenphotographie (Wahlfach):.
Röntgenologie:.
Zeichnen (Wahlfach):.
Stenographie und Schreibmaschine (Wahlfach):.
Ihr ist die Gesamtwertung.erteilt worden.
Sie erhält daher, da Rie auch die zur Ausübung des Berufs als Technische
Assistentin erforderlichen Eigenschaften besitzt, hiermit die Anerkennung als
staatlich geprüfte Technische Assistentin
an medizinischen Instituten.
Für den Fall, daß Tatsachen bekannt werden, welche den Mangel der¬
jenigen Eigenschaften dartun, die zur Ausübung des Berufs als Technische
Assistentin erforderlich sind, oder daß die Technische Assistentin den in Aus¬
übung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zuwider¬
handelt, bleibt die Zurücknahme der Anerkennung Vorbehalten.
.. den.19 . .
(Dienststempel.) Unterschrift:.
Medizinalgesetzgebung.
15
Ausweis
Muster B.
für staatlich anerkannte Technische Assistentinnen
an medizinischen Instituten.
.ans., welche
den Nachweis der Ausbildung als Technische Assistentin an medizinischen
Instituten erbracht und bereits . . . Jahre praktisch gearbeitet hat, auch
die für die Ausübung dieses Berufs erforderlichen Eigenschaften besitzt, erhält
hiermit die staatliche Anerkennung als
Technische Assistentin an medizinischen Instituten.
Für den Fall, daß Tatsachen bekannt werden, welche den Mangel der¬
jenigen Eigenschaften dartun, die zur Ausübung des Berufs als Technische
Assistentin erforderlich sind, oder daß die Technische Assistentin den in Aus¬
übung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zuwider¬
handelt, bleibt die Zurücknahme der Anerkennung Vorbehalten.
., den.19 . .
(Dienststempel.) Unterschrift: . ..
Xab
S Mi
Benachrichtigung der Kreisniediiinalrite durch die Standesimter
über Bevölkerungsbewegung und Gesundheitsstatistik. Bunderlaß des
Ministers für Volkswohlfahrt vom 28. November 1921 — IM.
IV. 2568 — an sämtliche Herren Oberpräsidenten.
Aus den letztjährigen Gesundheitsberichten der Begierungspräsidenlen
geht hervor, daß die Ereismedizinalräte großenteils über die Bevölkerungs¬
bewegung und die gesundheitsstatistischen Daten ihrer Kreise nicht genügend
unterrichtet sind und oft auch bei gutem Willen die notwendigen Unterlagen
nicht rechtzeitig erhalten können. In den einzelnen Provinzen, Regierungs¬
bezirken und Kreisen ist Art und Umfang des von den Standesbeamten den
Kreismedizinaliäten übermittelten statistischen Materials sehr verschieden, oft
findet überhaupt keinerlei Benachrichtigung statt Der Kreismedizinalrat muß
aber, um seinen Aufgaben als Gesundheitsbeamter des Kreises auf sanitäts¬
polizeilichem und sozialhygienischem Gebiet genügen zu können, an allererster
Stelle über die gesundheitsstatistischen Daten seines Kreises unterrichtet sein.
Es braucht dies nicht im einzelnen dargelegt zu werden, nur darauf sei hin-
S ewiesen, daß zur Durchführung und Kontrolle einer sachgemäßen Bekämpfung
er übertragbaren Krankheiten sowie zur planmäßigen Handhabung der Säug-
längs- und Tuberkulosefürsorge die Geburts- und Sterbefallzählkarten schnell
zu seiner Kenntnis kommen müssen. Aus diesen Karten wird der Kreis¬
medizinalrat einerseits den erforderlichen allgemeinen Ueberblick über Ge¬
burtenzahl, Sterblichkeit, Säuglings- und Tuberkulosesterblichkeit des Kreises
und der einzelnen Gemeinden gewinnen und anderseits auch die für die Für¬
sorgetätigkeit und Krankheitsbekämpfung erforderlichen Einzelheiten entnehmen
können. Er wird z. B. feststellen, in welchen Gemeinden und auf welchem
Gebiete fürsorgerische Maßnahmen besonders driogend erforderlich sind; er
wird die einzelnen Geburten und Tuberkulosetodesfälle den betreffenden Für¬
sorgestellen bekanntgeben und er wird hinsichtlich der Todesfälle an an¬
steckenden Krankheiten die Vollständigkeit der polizeilichen Meldungen prüfen,
sowie auch Kenntnis von gehäuften Todesfällen an nicht jpolizeilich melde¬
pflichtigen Krankheiten erhalten und das Erforderliche veranlassen.
Die Standesbeamten haben die Zählkarten — es kommen hier nur die
Karten A und C in Frage — in dreifacher Ausfertigung herzustellen. Eine
Ausfertigung senden sie vierteljährlich an das Statistische Landes amt in Berlin,
die zweite an die betreffende Kirchengemeinde und die dritte bleibt bei ihnen.
Es kann daher keine Schwierigkeit machen, den Kreismedizinalräten, ohne daß
eine weitere Ausfertigung hergestellt wird, die Karten etwa alle 14 Tage zur
Kenntnisnahme gegen Rückgabe zuzustellen. Ich ersuche daher ergebenst, in
diesem Sinne das Erforderliche zu veranlassen. Die näheren Einzelheiten der
Durchführung, insbesondere] in Großstädten mit eigenem, kommunalem statisti¬
schem Amt und in solchen mit mehreren Kreismedizinalrats bezirken, wie anoh
das Bestehenlassen der jetzt bisher üblichen Art der Zustellung des fraglichen
Materials an die Kreismedizinalräte, sofern sie nach den obigen Ausführungen
Mertlzinttlgesetzgebung,
den Zweck erfüllt hnd dte «bteo jrogeöT<inefe Weitermeldung dea Zahlen¬
materials möglich macht, steile ich anheim. Stet« wird darauf za achten 3«ia,
daß keine ttberftiissignu Boppdfseidangeti erfolgen; t. ß. werden etwaige Mel¬
dungen der Hebammen an BäagUflgsfjdrsdrgestd^ß fortUUen, wenn di? -Standes*
amtÖcben Gebartsineldnogen durch den Kreisrnediziflalrnt dort zur Kenntnis
kommen.
Bie KreisroedizitialrÄte ersuche ich aozawviVn, den EegieruogspräsidfeiHen
bis sum 5.5. j. Mts. eine Naehweisun^ in fügender Form Über den vorans-
gbgangenen Monat, erstmalig bia znro lö; Fehruacr 5922 fÄr Januar 1922 ein-
znreicben
itreia
Zahl
der im «raten
Lebensjahr
Verstorbenen
Zahl der Zahl der
Lebend- Tat-
geborenen geborenen
Zahl der
Tuberkulöse
todesf&Ue
Einwoh¬
nerzahl
Städte
Landge¬
meinden
Kreis Sa.'}' i I i 1 1
Diese Meldungen sind sodann von den Eegierun^präsideutcn viert«!
jährlich i» Form, nachstehender t'ebersicht bis zwio 2&, j^iieö ersten Qu&rtal'
moBötä, örsLmvlfg bis «uui 25. April 1922 an mich wdteczTigebea;
:L?'- u-L V'.v .•vvL'-'L ■i
Zahl der \
Geeanit-
Uidesffilk-
(Ohne Tote
gebnrteh)
V*r*ntw*rt1tefc <$t» i v «n», J>». RupmooC, Öjib. M«db-R»t ln Lippfprinj;»
: '■, Urartr-wi 3. C. 0 BrUn«, Mtmlfltt 4.. W
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*) Die von den KreismediaittÄjräteti angegebenen Finwbhnetzahleo sind
nachzuprufen und gfgebenenlaUB zu berichtigen.
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18
Medi xin algesetz gebu ng.
des Vertreters eines Amtsarztes oder .des Verwesers einer,Amtsstell« bemtftt
sich nach § 9 Abs 2 der Bekanntmachung Tom 23. L.1912 über den bezirks¬
ärztlichen Dienst und § 8 Abs. 8 der Bekanntmachung Tom 22. III. 1915 über
den landyeäclit!-är/.tlicben Dienst nach Maßgabe der für die Teuerung be¬
stimmten Erl öhnngen. Die entgegenstehenden Vorschriften des § 10 der Ver¬
ordnung vom 17. XI. 1902 sind aufgehoben.
2. Die Vergütungen nach der Gebührenordnung (Beilage nur Verordnung
▼om 17. XI. 1902) sind bei Ziffer 1. 4, 10 and 14 unter Zugrundelegung des
Sech-fachen, bei Ziffer 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 12 ui>d 13 unter Zugrundelegung des
Vierfachen, bei Ziffer 11 unter Zugrandelegung des Zweifachen zu berechnen.
Diese Verordnung tritt am 16. Januar 1922 in Kraft und die Verordnung
vom 14. August 1920 an demselben Tage außer Kraft.
C. Württemberg.
Beförderung von Leichen. Verfügung des Ministers des
Innern vom 30. November 1921.
Die Verfügung des Ministeriums des Innern betreffend die Beförderung
von Leichen, vom 7. August 1907 wird folgendermaßen abgeändert:
I. § 9 Abs. 3 erhält die Fassung:
„Tra übrigen verbleibt es bezüglich der Beförderung solcher Leichen bei
den Bestimmungen der Ministerialverfü.ung vom 4 Juni 1862 mit der Maßgabe^
daß bei der Bet'ö derung auf der Eisenbahn unter Begleitung der Laiche nach
Ausstellung eines Leichenpasses erforderlich ist, die absendende Behörde jedoch
in sochcin Fall die notwendigen Angaben über die Person des Verstorbenen
sowie über Tag und Ursache des Todes der anatomischen Austalt brieflich in
machen hat.“
II. Gegenwärtige Verfügung tritt mit dem Tag ihrer Verkündung
in Kraft.
D. Thüringen.
Vorschriften über die Prüfung von Zahntechnikern. Verordnung
des Wirtschaftsministeriums vom 10. November 1921.
Allgemeine Bestimmungen.
I. 1. Als Zahntechniker im Sinne des § 123 der Reicbsversichernngs-
ordnung sind solche Männer oder Frauen anzusehen, die das Gewerbe des Zahn¬
technikers im Hauptberufe ausüben, die vorgeschriebene Prüfung (Anlage A)
bestanden haben uud sich im Boaitz eines hierüber ausgestellten Ausweises
befinden. Für das Land Thüringen wi d ein Prüfungsausschuß in Gotha ge«
bildet. Für solche Zahntechniker, dio in einem anderen deutschen Laude die
Prüfung abgelegt haben und später ihren Wohnsitz nach Thüringen verlegen,
wird die Prüfung anerkan t.
2—6 decken sich im allgemeinen mit den Preußischen Bestimmungen
(vergl. diese Zeitschrift 1920, Beil. 8. 149 ff.).
II. Die Krankenkasse hat die Namen der Zahntechniker, die zur Be¬
handlung der Versiehe'ten zugclassen werden sollen, dem Versioherungsamt
unter Mitteilung des Prüfung-ausweises anzugeben. Erheben sich Bedenken
gegen die Zulassung, so entscheidet das Ober versicherungsamt und auf Be¬
schwerde der Krankenkassen das Thüringische Wirtschaftsmiuisterium über die
Zulassung.
III. Ohne Zustimmung der Versicherten können Zahntechniker fftr
Rechnung einer Krankenkasse selbständig Hilfe leisten, wenn
1 . nach der Enscheidung des Direktors des Oberveraieherungsamts die Veraua-
setznngen, die nach § 30 Ziffer 1 der R.V.O. vorgesehen sind, hinsichtlich
der Zahnärzte vorliegen, oder wenn
2. nach der Entscheidung des Versicherungsamtoe die zahnärztliche Ver¬
sorgung der Ver.-ic erten durch den Mangel an Zahnärzten so erschwert,
ist, daß die Beschränkung auf die Zahnärzte den berechtigten Ansprüchen
der Versicherten nicht genügen wurde.
Das Versicherungsamt hat vor seiner Entscheidung den Kreisarzt uni
in .der Regel die Landesvertretung der Zahnärzte und der Zahntechniker-
Vereinigung zu hören.
AejümgwJL
Thüringische Prüfungsordnung föx Zahntechniker jaf Grund des § 128
der B.V.O.
Die Bestimmungen stimmen in der Hauptsache, hiinsichtlieh der Bedin¬
gungen für Zulassung, den Anforderungen an die Prüfung (p taktischer und
mündlicher Teil) uud des Faches der Prüfung wörtlich mit den:für Preußen
ergangenen Bestimmungen überein.
Der Prüfungsausschuß besteht aus einem beamteten Arzt als Vorsitzenden,
einem Zahnarzt und einem Zahntechniker.
. Die Prüfungsgebühren betragen 200 M., wozu ein Betrag tob fiO Jf. für
Benutzung der Instrumente, Apparate usw. kommt.
Impfarzt gebühren. Verordnung de« Wir taohaitaminkiterifims
vom 4. November 1921.
In Ao'führang des Reichs - Impfgesesetzes vom 8. April 1874 ( Bwato »
gesetzblatt S. 31 > wird für das Land Thüringen bestimmt:
1. Die Gebühr des Impfarztes für das öffentliche Impfgeschäft wird
nach der Zuhl der Impfungen bemessen und betragt, soweit sie nicht in der
Besoldung des Impfarztes einbegriffen oder durch ein besonderes Abkommen
mit dem Impfarzt vereinbart ist, für jeden Geimpften
a) am Wohnorte des Impfarztes. . . 1,60 M.
b) a'iswälts.3,— „
Für auswärtige Impfungen werden
insgesamt mindestens.30,— M. gewährt.
I-t der Impfranm am Wohnorte des Impfarztee von dessen
Wohnung weiter als 6 km entfernt, so steht dem Impfacnt die
Gebühr für auswärtige Impfangen za.
Die Gebühr unter a and b wird ancb für dkjeugee Impflinge «awäkft,
die auf G und der Untersuchung des Impfarztes im Impftermine -von dar
Impfang befreit werden.
2. Tage- oder Nachtgelder werden nicht gewährt. D ageg en werden die
Auslagen für Eisenbahn, Straßenbahn, Geschirr oder sonstige Verirnhr—ifrtel'
beso ders vergütet. Die Benutzung von Kraftwagen sowie die etwaige
Panschaliernng der Fuhrkosten ist durch besondere Vereinbarung des Impf¬
arztes mit den nach G< bietsrecht zuständigen Stellen zu regeln.
Die Auslagen für die technischen Hilfsmittel der Impfling, die Ver-
gütung für die Nachschau, für die Listenführung (die Sehreibfciife ist tan das
Gemeinde za stellen), für die Ausfüllung der Impfscheine, für die Bericht¬
erstattung sowie für etwa geforderte allgemeine gesundheitliche Belehrung fan
Impftermin (Verteilung von Merkblättern and dergleichen) sind in den fljtoau
der Ziffer I einbegriffen.
3. Der erforderliche Impfstoff wird auf Staatskosten zur Verfügmag
gestellt.
4. Der dnreh die Impfung entstehende Kostenaufwand ist nach Ma߬
gabe des Gebietorecbts von den dort bestimmten Stellen zu tragen.
6. Diese Verordnung betritt nnr die auf Grund des Befails-ImpfgaMtzes
vom 8 . April 1874 vorgenommenen Impfangen. Wie weit für sonstige Impfungen
Vergütungen gewährt werden, richtet sieb naeh Gebiets recht.
6. Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1928 io Kraft,
stehende Bestimmungen weiden aufgehoben.
B. Baden.
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Verordnung des Mi¬
nisteriums des Innern vom 8. November 1921.
Auf Grund der g§ 86 nnd 87a des Polizeistrafgeeetzbuehs wird ungeordnet:
§ 1. Die Vorschriften des Abschnitts I i Anzeigepflicht» der Verordnung
vom 9. Mai 1911 ‘), die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten betreffend.
*) Abdruck in dieser Zeitschrift 1911, Beilage: Bechtapaechmg-ond Mair
Gesetzgebung, S. 90 ff.
20 Medizinalgesetzgebung.
finden auch bei Erkrankungs- and Todesfällen an Wechselfieber (Malaria)
Anwendung.
g 2. Die Anlage I zu der Verordnung rom 9. Mai 1911 in der durch
g 8 der Verordnung vom 80. August 1918 und durch § 8 der Verordnung Tom
5. August 1920 ergänzten Fassung erhält am Eingang folgenden Zusatz:
,25. Wechselfieber (Malaria**.
§ 8. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verktkndung in Kraft.
P. Mecklenburg «Schwerin.
Gebührenordnung für die staatlichen Untersuchungsanstalten (zur
Zeit fiandesgesundheitsaiut zu Schwerin und Uu tersuch nngsstelle beim
hygienischen Iustitut zu Rostock). Bekanntmachung des Ministeriums
für Medizinalangelegenheiten rom 27. September 1921.
Für die Erhebung ron Gebühren für Gutachten und Untersuchungen
seitens der staatlichen Untersuchungsanstalten gilt Tom 1. Oktober 1921 ab
die nachstehende Ordnung.
Abschnitt I. Allgemeine Bestimmungen.
1 . Für Gutachten und Untersuchungen werden Gebühren entweder nach
dem Zeityerbrauchc oder nach den io Abschnitt II aufgeführten Gebühren*
Sätzen erhoben. Ausnahmen siehe Ziffer 2 und 3. In die Gebührensätze sind
die regelmäßigen Aufwendungen für die Untersuchungen (Stoffverbrauch, Aus¬
fertigungen der Befundberichte) eingeschlossen. Die Postgebühren für die
Zustellung der Gutachten und Befundberichte werden dagegen wieder ein¬
gezogen. Ungewöhnliche Aufwendungen dürfen besonders berechnet werden.
Die Antragsteller sind von deren Notwendigkeit vorher zu verständigen.
Bei Berechnungen nach dem Zeitverbrauche (je Stunde 12 M.) mindestens
aber 15 M.), die einzutreten haben, wenn Gebührensätze nicht vorgesehen und
wenn Gutachten ohne Untersuchungen abzugeben sind, sowie wenn Besichti¬
gungen und Probeentnahmen der Angestellten am Orte nötig waren, sind die
Aufwendungen stets besonders zu berechnen.
Bei Untersuchungen mit Hilfe von Tierversuchen sind die Kosten des
Ankaufs der Tiere und ihres Unterhaltes während des Versuches in Rechnung
zu setzen.
Erfordert die Erledigung von Aufträgen Reisen der Angestellten zum
Zwecke örtlicher Besichtigungen oder zur Entnahme von Proben und zur Vor¬
bereitung von Untersuchungen an Ort und Stelle, so sind die jenen zustehenden
Reiseentschädigungen zu erstatten.
2. Gemeinden und Gemeindeverbände, Behörden, öffentliche Anstalten
und Träger der Reichsversicherungen können die Gebührenpflicht durch die
Zahlung jährlicher Bauschvergütnngen ablösen. Jedoch fallen bei rechts¬
kräftigen kostenpflichtigen Verurteilungen auf Grund von Untersuchungen von
Proben, die seitens der Behörden im Verfolge der Ueberwachung des Verkehrs
mit Lebensmitteln eingesandt wurden, die Vergünstigungen etwa bestehender
Verträge fort. Die Behörden haben in diesen Fällen von den Verurteilten die
vollen Gebühren einznziehen und an die Untersuchungsstelle abzuführen.
8 . Gebührenfrei sind alle Untersuchungen, die den Aerzten bezw. Tier¬
ärzten zur Erfüllung ihrer öffentlichrechtlichen Anzeigepflicht dienen, sowie in
der Regel die Untersuchungen, die von öffentlichen Dienststellen im unmittel¬
baren Gebote der öffentlichen Gesundheitspflege beantragt werden.
Die Gebühren können abgemindert und ganz erlassen werden bei nach-
gewiesener Mittellosigkeit der Antragsteller, ferner wenn die Untersuchung dem
Allgemeinwohl zugute kommt.
Abschnitt II
enthält die einzelnen Gebührensätze für die Untersuchungen zum Nachweise
von Krankheitserregern, für die Untersuchung von Wasser- nnd Abwasser-
proben usw.
Y«raatwo*tU«h Mr dl« SchrtlUettmn«: Prof. Dr. B»p*«»d, 0«h. M«d.-B«t ta Lippaprioc«.
Draek tw J- C. C. Bnu, Mlndan 1. W.
22
Rechtsprechung
Leiter eine Heil* und Pflegeanstalt für Nerven- and Gemütskranke. Ans diesem
Anla ß sind von ihm dnrcb das Landesfinanzamt zu Köln verschiedene Beträge
als Warenumsatzstempel erhoben worden. Mit der Klage erforderte er Rück¬
zahlung dieser Beträge in Höhe von 1152 Mark, da sein Unternehmen kein
«werblicher Betrieb im Sinne des Warenumsatzstempelgesetzes sei. Das
Landgericht Köln wies die Klage ganz ab, das Oberlandesgericht
daselbst gab ihr in der Hauptsache statt. Das Reichsgericht stellte
das landgerichtliche Urteil wieder her.
Eine aaf Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit, wie sie für die
Anwendung der Gewerbeordnung notwendig ist, ist nicht erforderlich. Vielmehr
entsteht die Steuerpflicht schon aus einer auf Erzielung von Einnahmen
aus Warenumsätzen gerichteten geschäftlichen Tätigkeit, auch wenn diese
Tätigkeit nicht auf Erzielung von Gewinn abgestellt ist. Der Kläger hat in
seiner Anstalt den Pfleglingen Beköstigung — nur hierfür hat der Beklagte
die Abgabe beansprucht — zur Erzielung von Einnahmen, wenn auch, wie er
behauptet, ohne die Absicht, aus diesem Umsatz einen Gewinn zu erlangen,
dauernd, also geschäftlich gewährt. Damit ist der Tatbestand des § 76 des
Warenumsatzstempelgesetzes gegeben. Es bleibt nur zu erörtern, ob die Steuer*
pfticht dadurch ausgeschlossen ist, daß der Kläger die Krankenanstalt, in deren
Betriebe die Beköstigung gewährt wird, in Ausübung seines ärztlichen Berufes
unterhält. Das ist zu verneinen. Zwar unterliegt die Tätigkeit des Arztes,
soweit sie unmittelbar in der Behandlung und Heilung kranker Personen besteht,
als solche der Abgabe des Warenumsatzstempelgesetzes schon deshalb nicht,
weil sie einen Umsatz von Waren nicht darstellt Soweit aber darüber hin¬
aus der Arzt an seine Kranken Waren gegen Entgelt geschäftlich absetzt,
fällt seine Tätigkeit unter den § 76 a. a. 0. Der Berufungsricbter hält dis
Umsatzsteuerpflicbt hier schon deshalb für ausgeschlossen, weil der ganze
Betrieb der Anstalt des Klägers ein einheitlich ärztlicher sei und deshalb nicht
in zwei selbständige Teile aufgelöst werden könne. Allein das Warenumsatz-
steuergesetz besteuert nicht den Gewerbebetrieb als solchen, d. h. nicht die als
Einheit zusammengefaßte gewerbliche Tätigkeit, macht zum Gegenstände der
Besteuerung vielmehr die einzelnen Leistungen, die als Ausfluß gewerblicher
Tätigkeit im 8inne des WUStG. erscheinen. Hilfstätigkeiten, die an sich die
Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des WUSiG. enthalten, bleiben
steuerpflichtig. Daß es sich hier etwa bei der Gewährung der Beköstigung um
eine unmittelbare Ausübung des ärztlichen Berufs handele, kann nicht aner¬
kannt werden. Zwar kann die Behandlung und Pflege Geisteskranker zweck¬
mäßig nur in geschlossenen Anstalten erfolgen und es ist auch zugegeben, daß
zur Erreichung des Pflege- und Heilzwecks auch die Art der Beköstigung der
Kranken in solchen Anstalten der Anordnung und ständigen Aufsicht des
leitenden Arztes unterstehen muß. Daraus folgt jedoch nicht, daß der Arzt
selbst auch die Herstellung und Lieferung der Beköstigungsmittel für eigene
Rechnung in die Hand nehmen muß. Ein solches Vorgehen mag wirtschaftlich
zweckmäßig sein, geht aber über den Begriff der ärztlichen Tätigkeit hinaus.
Der Pflege- und Heilungszweck kann in gleicher Weise erreicht werden, wenn
— wie es öfter vorkommt — der leitende Arzt die Beköstigung der Kranken
im ganzen an einen Dritten (Unternehmer) vergibt und die Art der Beköstigung
regelt und dauernd überwacht. (Aktenzeichen Vll. 45/21).
(Sächsische Korrespondenz. Nachdruck nicht gestattet).
Die Erhöhung der Etnkommensgrenze der Ortskrankenkassenmit¬
glieder berechtigter Kündignngsgrund für die Kassenärzte. Urteil des
Reichsgerichts vom 25. Oktober 1921.
Der Sanitätsrat Dr. C. in Göttingen und 8 Genossen waren Kassenärzte
der Allgemeinen Ortskrankenkasse daselbst. Sie hatten sich vertraglich ver-
8 flicht«t, deren Mitgliedern bis zum 81. Dezember 1920 gegen ein bestimmtes
intgelt ärztliche Dienste zu leisten. Nach Erlaß der Verordnungen vom
l./ßO. April 1920 erklärten die Beklagten am 23. April und 22. Mai 1920 den
Vertrag für aufgehoben und behandelten vom 26. Mai ab alle Kassenmitglieder
nur noch als Privatkranke. Die Kasse verlangte daher klagend in erster Reibe
Erfüllung des kassenärztlichen Vertrages und Schadenersatz wegen Nicht¬
erfüllung, hilfweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und
Rechtsprechung
28
des Fortbestehens des genannten Vertrages. Das Landgericht Göttingen
eskannte-nach dem Hauptantrag, das 0berlandesgerlcht Köln wies die
Klage ab. Das Reichsgericht wies die Revision der Kasse znrttck.
Die Verträge, welche die Aerzte mit den Krankenkassen schließen, sind
privatrechtliche Dienstverträge, welche den Kassen zwar die Durchführung
ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, minderbemittelten Angehörigen bestimmter
Berufe ausreichende ärztliche Hilfe zusichern, ermöglichen, zufHeich aber den
Aerzten im Rahmen dieses sozialen Zweckes ein angemessenes Entgelt für ihre
Tätigkeit gewährleisten sollen. In dem Nachtragsvertrage vom 26. Uärz 1920
war die Vergütung der Beklagten in der Weise geregelt worden, daß sie ohne
Rücksicht auf den Umfang ihrer Tätigkeit für jedes Kassenmitglied eine
Jahrespauschalsumme von 9 Mark, für den Fall der Einführung der Familien¬
versicherung eine solche von 13 Mark erhielten. Damals war, wenn man von
den Arbeitern und denen, die ihnen gleichstehen, absiebt, die Versicherungs¬
pflicht der in dem § 1 der Verordnung vom 22. November 1918 genannten
Personen auf diejenigen beschränkt, deren Jahresarbeitsverdienst 6000 Mark
nicht überstieg. Nunmehr werden aber die Grenzen der Versicherungspflicht
durch die Verordnung vom 1. April 1920 bis zu einem Jahresarbeitsverdienst
von 20000 Mark und durch die Verordnung vom 26. April 1920 immer noch
bis zu einem solchen von 16000 Mark erweitert. Damit hatten sich die wirt¬
schaftlichen Grundlagen, auf denen der Vertrag vom 26. März 1920 beruhte
und die Voraussetzungen, von denen die Parteien bei Festsetzung des Arzt¬
honorars notwendiger Weise hatten ausgehen müssen und ausgegangen waren,
völlig verschoben. Da die Klägerin gleichzeitig die Familienversicherung ein¬
führte und da schon nach der Verordnung vom 22. November 1918 diejenigen,
welche nach ihrem Ausscheiden aus einem versicherungspflichtigen Betriebe
von dem Rechte der Weiterversicherung Gebrauch machten, ihre KasBenmit-
gliedscbaft ohne Rücksicht auf die Höhe ihres späteren Einkommens dauernd
beihehalten durften, so mußte die Verordnung vom 1. nud 30. April 1920
naturgemäß auch den Kreis der versicherten Familienmitglieder und der zur
Weiterversicherung Berecntigten zu ungunsten der Beklagten beeinflussen.
Es war daher zur Zeit des Erlasses der beiden Verordnungen gar nicht abzu¬
sehen, in welchem Umfange die Leistungen der Beklagten, die sie im sozialen
Interesse gegen ein weil unter der ärztlichen Taxe bleibendes Entgelt über¬
nommen hatten, sich steigern und die Möglichkeit und Gelegenheit zur Aus¬
übung von Privatpraxis und zum Aufgleiche der zugunsten minderbemittelter
Volksteile gebrachten wirtschaftlichen Opfer sich mindern würden. Gerade
diese Ungewißheit und die naheliegende Gefahr einer erheblichen Schädigung
ihrer wirtschaftlichen Interessen haben den Beklagten nach der Auffassung
des Oberlandesgerichts das Recht gegeben, den Vertrag ohne Rücksicht auf
die Kürze der Zeit, die er noch zu laufen hatte, sofort aufzurufen. Diese
Entscheidung und ihre Begründung enthalten weder einen Recbtsirrtum, noch
nach Lage des Falles eine Unbilligkeit. Das Bestreben der Aerzte, aus der
Tätigkeit ihrer Berufsausbildung entsprechende wirtschaftliche Vorteile zu ziehen,
ist sozial berechtigt, nnd der Vorwurf unsozialen Verhaltens trifft sie hier
um so weniger, als die durch die Verordnung vom 30. April eingeführte Er¬
höhung des Grundlohnes in Verbindung mit der zu erwartenden Vermehrung
der Kassenmitglieder die Leistungsfähigkeit der Kassen voraussichtlich steigern
mußte. Zudem hatten die Unterzeichner des Kündigungsschreibens vom
23. April 1920 in der Erwartung, daß die Parteien zu einem der neuen Sach¬
lage entsprechenden Honorarabkommen gelangen würden, sich bereit erklärt,
die Behandlung der Kassenmitglieder zunächst in der bisherigen Weise fort¬
zusetzen. Erst als die Verhandlungen sich zerschlugen, sind die Beklagten nach
vorheriger Anzeige vom 22. Mai dazu übergegangen, vom 26. des genannten
Monats ab für die Kassenmitglieder dieselben Sätze wie für Privatkranke zu
berechnen. (Aktenzeichen III 106/21. — Wert des Streitgegenstandes in der
Revisionsinstanz: 62000 bis 64000 Mark).
(Sächsische Korrespondenz. Nachdruck nicht gestattet).
Röntgenverbrennung infolge ärztlichen Verschuldens. Urteil des
Reichsgerichts vom 4.November 1921.
Der Philograph M. in J. begab sich im Jahre 1911 wegen einer chronischen
Medimnalgenetngebun g.
84
Hautentzündung bei dem Dr. med. N. in A. in Röntgenbehandlung, die eine so
erhebliche Verbrennung seines rechten Fußes zur Folge hatte, daß dieser
schließlich abgenommen werden mußte. M. führte die Verbrennung auf fehler¬
hafte ärztliche Behandlung zurück und verlangte mit der im Dezember 1918
erhobenen Klage vom Beklagten Schadenersatz, insbesondere Zahlung von
4844 M. Heilungskosten, 7500 M. Erwerbsverlust, ferner 30000 H. Schmerzens¬
geld und eine vierteijährliche Rente von 1000 M. vom 1. Dezember 1913 an bis
zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit. Während die erste Instanz den
Anspruch nur zu einem Drittel für berechtigt anerkannte und zu zwei Dritteln
die Klage abwies, erklärte das Berufungsgericht den ziffermäßigen Anspruch
dem Grunde nach für völlig gerechtfertigt und stellte weiter fest, daß der Be¬
klagte verpflichtet sei, dem Kläger allen aus der Röntgenbehandlung entstandenen
und noch entgehenden Schaden zu ersetzen. Das Reichsgericht wies die
Revision des Beklagten zurück.
Das Berufungsgericht, das die eigenen Angaben des Beklagten über die
Art und Weise der technischen Anordnungen als richtig unterstellt, kommt auf
Grund der Sachverständigengutachten zu dem Ergebnisse, daß sich im Heil¬
verfahren des Beklagten nach drei Richtungen Mängel gezeigt hätten, die ihm
als schuldhafte Versehen anzurechnen seien: Ueberdosierung infolge zu großer
Annäherung der bestrahlten Glieder, Unterlassung einer neuen Ausdosierung
der Röhre beim Unterbrechungswechsel und fehlende Kontrolle bei vorüber¬
gehender Abwesenheit des Heilgehilfen, für dessen Verschulden der Beklagte
nach § 278 B. G. B. einzustehen habe. Gegenüber dieser positiven Feststellung
kommt es auf die Frage der Beweislast nicht an. Das Berufungsgericht stellt
auch fets, daß der ersterwähnte Kunstfehler unter allen Umständen eine schäd¬
liche Wirkung gehabt habe, während die beiden anderen wenigstens geeignet
gewesen seien, den Bestrahlungsprozeß ungünstig zu beeinflussen, da sie zu
einer übermäßigen Wirkung führen konnten. Unter diesen Umständen durfte
das Berufungsgericht bis zum Beweise des Gegenteils einen ursächlichen Zu¬
sammenhang auch zwischen den beiden anderen Fehlem und dem eingetretenen
8chaden annehmen. Man kann auch nicht, wie die Revision will, sagen, daß
das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Aerzte über¬
spanne. Es befindet sich durchaus in Uebereinstimmung mit dem Gutachten
der ärztlichen Sachverständigen. Das gilt auch für das Fehlen einer Kontrolle
bei Abwesenheit des Heilgehilfen. Wenn, wie die Revision hervorhebt, die Be¬
handlung eines anderen Kranken durch den Heilgehilfen unvorhergesehenerweise
längere Zeit in Anspruch nahm, dann mußte diese Behandlung eben solange
unterbrochen oder verschoben werden, bis für den Kläger gesorgt war. Darum,
daß jede Schädigung eines Kranken ohne weiteres dem Arzt als Fahrlässigkeit
angerechnet werde, handelte es sich im vorliegenden Falle keineswegs. Was
endlich die Verneinung eines mitwirkenden Verschuldens des Klägers betrifft,
so rechtfertigt sich dies durch die Feststellung des Berufungsgerichts, die dahin
gehen: es sei möglich und wahrscheinlich, daß eine Annäherung des rechten
Fußes an die Röntgenröhre für den Schaden des Klägers mit ursächlich ge¬
wesen sei, aber es sei nicht bewiesen, daß der Kläger diese Annäherung vor¬
sätzlich oder auch nnr fahrlässig bewirkt habe; es könne sich auch um unwill¬
kürliche Veränderung der Lage des Fußes gehandelt haben, die nicht auf eine
Schuld des Klägers, vielmehr auf die Schuld des Beklagten zurückzuführen
seien, insofern dieser den Kläger längere Zeit unbeaufsichtigt gelassen habe.
Die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist nicht nachznprüfen. Auch sonst ist
ein Rechtsirrtum nicht ersichtlich. (Aktenzeichen: 111 518/21. — Wert des
Streitgegenstandes in der Revisionsinstanz: 70000—72000 M.).
(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nicht gestattet.)
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich
Wochenhilfe und Wochenfürsorge. Gesetz vom 28.Dezember 1921.
* Artikel 1.
A. 1. § 195 a der Reichsversicherungsordnung Abs. 1 Ziffer 4 erhält nach¬
stehende Fassung:
Medlsinalgeeetsgebung.
26
.solange sie ihre Neugeborenen stillen, ein Stillgeld in Höhe des halben
Kr&skengeldes, jedoch mindestens viernndeinehalbe Mark täglich, bis zum
Ablauf der zwölften Woche nach der Niederkunft. ‘
2. § 206 a der Reichsversicberungsordnung Abs. 2 Satz 1 erhält folgende
Fassung:
» Als Wochenhilfe werden die im § 195 a bezeichneten Leistungen ge¬
währt; dabei beträgt das Wochengeld drei Mark und das Stillgeld vier-
undeinehalbe Mark täglich."
B. § 19 Satz 2 der Bekanntmachung über Wochenhilfe und Wochen-
fürsorge vom 22. Mai 1920 erhält folgende Fassung:
„Dabei beträgt das Wochengeld drei Mark und das Stillgeld vierund-
einehalbe Mark täglich."
C. Im Artikel IH Ziffer 2 Abs. 8 des Gesetzes vom 23. Juli 1921 werden
die Worte „zehntausend Mark" ersetzt durch die Worte „fünfzehntausend Mark".
Artikel 2.
Das Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.
B. Preußen.
/ Anstellung von Gewerbemedizinalräten. Bunderlaß des Mi¬
nisters für Volkswohlfahrt und des Ministers für Handel und
Gewerbe vom 27. Dezember 1921 — IM. IV, 2162, III. 13481 M. f.
H. u. G. — an sämtliche Herren Regierungspräsidenten.
Der Preußische Staat hat unter dem 9. September 1921 einen Beschluß
über die Anstellung von Gewerbeärzten zur Mitarbeit und zum Ausbau der
Hygiene in gewerblichen Betrieben erlassen. Der Beschluß wird in einer der
nächsten Nummern der Gesetzsammlung veröffentlicht werden. Die nach diesem
Beschlüsse anzustellenden Gewerbeärzte führen die Amtsbezeichnung „Gewerbe¬
medizinalrat".
Eine Aufstellung über die Einteilung der Aufsichtsbezirke der Gewerbe¬
medizinalräte in Preußen ist beigefügt. Die Dienstanweisung für die Gewerbe¬
medizinalräte wird Ihnen demnächst zugehen.
Einteilung der Aufsichtsbezirke der Gewerbemedizinalräte in Preußen.
1. Der Aufsichtsbezirk Düsseldorf umfaßt von der Bhein-
provinz die Begierungsbezirke Aachen, Köln und Düsseldorf und von der
Provinz Westfalen den Regierungsbezirk Münster.
2. Der Aufsichtsbezirk Arnsberg umfaßt von der Provinz West¬
falen die Regierungsbezirke Arnsberg und Minden und von der Provinz Hannover
die Begierungsbezirke Auricb, Stade, Lüneburg, Osnabrück und Hannover.
3. Der Aufsichtsbezirk Wiesbaden umfaßt die Provinz Hessen-
Nassau, die Hohenzollernschen Lande, von der Rheinprovinz die Begierungs¬
bezirke Coblenz und Trier, von der Provinz Hannover den Regierungsbezirk
Hildesheim, sowie die Provinz Schleswig-Holstein.
4. Der Aufsichtsbezirk Magdeburg umfaßt die Provinz Sachsen,
von der Provinz Brandenburg die Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt a. 0.,
sowie von der Provinz Pommern die Begierungsbezirke Stettin und Stralsund.
5. Der Aufsichtsbezirk Breslau umfaßt die Provinz Schlesien,
die Begierungsbezirke Schneidemühl und Marienwerder, die Provinz Ostpreußen
und von der Provinz Pommern den Regierungsbezirk Köslin.
6. Der Sonderbezirk Groß-Berlin umfaßt die Stadtgemeinde
Berlin.
Prüfungsgebühren für Ausbildung«- und Wiederholungslehrgänge
für die Desinfektoren und Schwestern. Bunderlaß des Ministers für
Volkswohlfahrt vom 31. Dezember 1921 — I M. IV. 2802 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
Um für die beteiligten Gemeinden und für die Desinfektoren die Kosten
für die Teilnahme an Wiederholunaskursen nach Möglichkeit einzuschränken,
genehmige ich hierdurch, verschiedenen hierher gerichteten Anträgen ent-
26
Medizinalgesetzgebung.
sprechend, daß für die Wiederholungskurse, soweit sie durch die neuen
Desinf ektionsanWeisungen (vergl. Banderlaß vom 8. Februar 1921 —
I. M. III. Nr 64 „Volswohlfahrt“ S. 191) bedingt werden, bis Ende Dezember
1922 von einer Gebührenerhebung abgesehen wird.
Dagegen bestimme ich, daß vom 1. Januar 1922 ab znr Vergütung des
Knrsleiters und des die praktische Ausbildung durchführenden Oberdesinfektors
sowie zur Beschaffung und Erneuerung der Lehrmittel für den Ausbildnngs-
lehrgang von Desinfektoren einschließlich der Prüfung von jedem männlichen
Teilnehmer eine Gebühr von 100 M. und von jeder Schwester eine solche von
60 M. und für den Wiederholungslehrgang eine Gebühr in halber Höhe der
vorstehenden Sätze erhoben wird.
Von dieser Gebühr sind bestimmt:
a) für die Ausbildung
von männlichen Kursteilnehmern:
für den Kursleiter 80 M., für den Oberdesinfektor 20 M.,
für die Lehrmittel 10 M., — zusammen.
von Schwestern:
für don Kursleiter 15 M., für den Oberdesinfektor 10 M.,
für die Lehrmittel 6 M., = zusammen.
b) für die Prüfung
von männlichen Kursteilnehmern:
für den Begierungs- und Medizinalrat 10 M., für den Kursleiter . .
für den Oberdesinfektor 10 M., für Lehrmittel 10 M. =» zusammen
von Schwestern:
für den Begierungs* und Medizinalrat 6 M., für den Kursleiter 5 M.,
für den Oberdesinfektor 6 M., für Lehrmittel 6 U. = zusammen . .
c) für den Wiederholungslehrgang
von männlichen Kursteilnehmern:
für den Kursleiter 20 M., für den Oberdesinfektor 20 M.,
für Lehrmittel 10 M. = zusammen.50 M.,
von Schwestern *
für den Kursleiter 10 M., für den Oberdesinfektor 10 M.,
für Lehrmittel 6 M. = zusammen .25 M.
Neue Desinfektionsordnung. Bunderlaß des Ministers für
Tolkswohlf ahrt vom 7. Januar 1922 — I. M. Ul. 2629/21 — an sämt¬
liche Herren Begierungspräsidenten.
Wie ich aus den Besprechungen der neuen Desinfektionsordnung vom
8. Februar 1921') — I. M. III. Nr. 64 — entnehme, ist bei manchen Stellen die
Auffassung entstanden, daß durch die neue Desinfektionsordnung eine Ein¬
schränkung oder gar Beseitigung der Schlußdesinfektion angestrebt wird. Diese
Auffassung ist offenbar durch den Schlußsatz des Absatzes 14 meines Erlasses
hervorgerufen worden, in welchem gesagt ist, daß die Bevölkerung darüber
aufzuklären sei, „daß die von ihr oft als unbedingter Gesundheitsschutz be¬
trachtete Schlußdesinfektion durch die rechtzeitige und zweckmäßige laufende
Desinfektion wirksam ersetzt wird.“ Durch diese Fassung sollte die in den
neuen Desinfektionsanweisungen angeordnete Vereinfachung der Schlußdesinfektion
begründet werden; sie muß sinnentsprechend dahin geändert werden, daß die
Bevölkerung darüber aufzuklären ist, „daß sowohl die laufende als auch die
Schlußdesinfektion je ihre besondere wertvolle Aufgabe hat, und daß die erstere,
wenn sie rechtzeitig und zweckmäßig durchgeführt wird, der letzteren wirksam
Vorarbeiten kann.“ In dem Schlußsätze des Abs. 11 a. a. 0. wird klar aus¬
gesprochen, daß in jedem Falle eine Schlußdesinfektion nach den in der Des¬
infektionsanweisung gegebenen Vorschriften durchzuführen ist.
Vielfach wird auch darauf hingewiesen, daß in der Desinfektions¬
anweisung für Tuberkulose die in den übrigen Desinfektionsnnweisungen vor*
10 M.,
40 M.,
20 M.,
60 M.,
30 M.,
*) s. diese Zeischrift; 1921, Beilage S. 49 ff.
Medizin algesetzgebung.
27
geschriebene Desinfektion für Krankentransportmittel fortgelassen worden ist.
Die Ansicht vertraten die meisten Mitglieder der zur Beratung der neuen An*
Weisungen einberufenen Kommission. Da aber auch in dieser Kommission bereits
einige Mitglieder eine Desinfektion der Krankentransportmittel auch bei Tuber*
kulose für notwendig erachteten und die Berechtigung einer solchen Forderung
zugegeben ist, bestimme ich, daß in der Desinfektionsanweisung für Tuberku¬
lose hinter Absatz A eingeschoben wird:
B. Desinfektion der Krankentransportmittel.
Krankenwagen und Krankentragen sind durch waschbare Tücher vor
der Verunreinigung mit Absonderungen des Kranken nach Möglichkeit zu
schützen. Ist eine Beschmutzung erfolgt, so sind die beschmutzten Stellen
mit Kresolwasser oder Kt rbolsäurelösung abzuwaschen. Decken, Kissen
und Polster, soweit sie nicht mit Leder überzogen sind, sind mit Wasser-
dampf zu desinfizieren. Nach jedem Transport eines Kranken sind die da¬
bei benutzten Tücher und Kissenbezüge durch Auskochen oder Dampf,
sowie Decken und Kissen, die nicht durch Tücher oder Bezüge vor einer
Verunreinigung geschützt waren, in Dampf zu desinfizieren. Ferner ist
der Fußboden des Wagens mit Lappen, die mit Kresolwasser oder Karbol¬
säurelösung getränkt sind, aufzuwischen. Droschken und andere
Personenfahrzeuge, soweit sie ausnahmsweise benutzt wurden, sind
in gleicher Weise zu behandeln.
Die Abschnitte B und C der Desinfektionsanweisung für Tuberkulose
erhalten die Bezeichnung C bezw. D.
Mehrfach ist auch darauf aufmerksam gemacht worden, daß die in den
Desinfektionsanweisungen vorgeschriebene 8ublimatlösung (1 bezw. 6°oo) von
manchen Desinfektoren schlecht vertragen wird, und es wird gefordert, die
Sublimatlösung durch andere Desinfektionsmittel zu ersetzen.
Demgegenüber mache ich darauf aufmerksam, daß bereits in meinem
Erlaß vom 8. Februar 1921 — I. M. III. 64 — in Abs. 3 ausdrücklich gesagt
ist, daß an Stelle der in den Desinfektionsanweisungen genannten Desinfektions¬
mittel auch andere in Bezug auf ihre desinfizierende Wirksamkeit und prak¬
tische Brauchbarkeit erprobte Mittel angewendet werden dürfen, jedoch müssen
ihre Miachungs- und Lösungsverhältnisse, sowie ihre Verwendungswei.se so ge¬
wählt werden, daß nach dem Gutachten des beamteten Arztes der Erfolg ihrer
Anwendung einer Desinfektion mit den in den Desinfektionsanweisungen be-
zeichneten Mitteln nicht nachsteht. Wenn hinzugefügt wurde, daß die Wirk¬
samkeit einer 5°/ooigen Sublimatlösung gegenüber den Tuberkelbazillen bisher
nur von einer 2°/oigen Phobrol-Lösung erreicht worden ist, so kann dieser
Zusatz auf Grund neuester Untersuchungen dahin erweitert worden, daß auch
eine 4°/oige Lösung von Alkalilysol und eine 3 bis 5°/oige Parmetollösung
die gleiche Wirkung hat.
Tuberkulose-Statistik. Bunderlaß des Ministers für Volks¬
wohlfahrt vom 29. Dezember 1921 — IM. in. 2779/21 — an sämt¬
liche Herren Begierungspräsidenten. "
Die auf den Erlaß vom 10. Mai d. Js. — I. M. HL 1062/21 — einge¬
reichten Berichte lassen erkennen, daß die Zahl der Erkrankungsfälle an Tuber¬
kulose bei abfallender Sterblichkeitsziffer auch von 1919 zu 1920 noch zu-
genommen hat.
Pie Ungleichmäßigkeit der Berichte nötigt mich, die Zahlenangaben
fortan auf Formbogen nach anliegendem Muster zu erbitten.
Da die Fortführung der Umfragen bei Krankenhäusern, Krankenkassen,
Schulärzten und Tuberknlosefürsorgestellen nach der Häufigkeit der Tuberku¬
loseerkrankungen für mich von Wichtigkeit ist, ersuche ich ergebenst, die an¬
liegenden Muster zwecks Ausfüllung den nachgeordneten Behörden zugeben
und deren Berichtsergebnisse auf entsprechendem nur einseitig zu beschreibenden
Formbogen zusammenstellen zu lassen. Diese sind mir alljäh rlich für das ab-
J elaufene zum 1. März, erstmalig für die Jahre 1919, 1920 und 1921 zum
. März 1922 pünktlich einzureichen.
23
Medizinalgesetzgebung.
Nachträge sind g. F. nachzureichen.
Die Krankenkassen dürften am besten dnrch Vermittlung der Ober¬
versicherungsämter befragt werden.
Muste r:
Kreis. .. den.1922
T uberhuloseerbrankungen.
1. Krankenhäuser.
Jahr
vorhandenen
Krankenhaus¬
betten
Betten der
berichtenden
Kranken¬
häuser
Zahl
aufge¬
nomme¬
nen
Kr
1 der
aufgenomme¬
nen tuberku¬
lösen
anken
in den Kran¬
kenhäusern
gestorbenen
Tuberkulösen
Bemer¬
kungen
1919
1920
1921
I
i
1
i
!
1
2. Krankenkassen.
Jahr
Mitglieder der berich¬
tenden Krankenkassen
;
Zahl der
an Tuberkulose 1 an Tuberkulose
erkrankten | verstorbenen
Mitglieder
1919
'
!
1920
1921
i
3. Schülern.
Jahr
vorhandenen
Zahl
untersuchten
Schul
der
tuberkulös
befundenen
c i n d e r
an Tuberkulose
gestorbenen
1919
1920
1921
4. Tuberkulosefürsorgestellen.
Jahr
Tuberkulose-
fürsorges teilen
Zahl
Untersuchten
der
tuberkulös
Befundenen
an Tuberkulose
verstorbenen
Pfleglinge der
Fürsorgestelle.
1919
1920
1921
YenatwoitUoh für die Sehrlftleltong: Prof. Dr. Ropmnnd, Geh. Mod»*Rai In Lippepriof*.
Drnok Ton J. 0. C. Bruno, Minden I. V.
80
Medizinalgesetzgebung.
26. Juli 1910 (Qes. Samml. 8.150) wird unter Aufhebung der Allgemeinen Ver¬
fügung des Staatsministeriums vom 13. Oktober 1911 (Äs. Samml. S. 218) sowie
der Aenderungen vom 2. November 1918 (Ges. Samml. S. 177) und 16. Dezember
1919 (Ges.Samml. 1920 S. 3/4) folgendes bestimmt:
§ 1. Für Dienstreisen nach nahegelegenen Orten und zurück, die mit
der Eisenbahn, der Kleinbahn oder dem Schiffe ausgeführt und an demselben
Tage angetreten und beendet werden können, werden an 8telle der in dem
Reisekostengesetz vom 26. Juli 1910 und den Ausführungsbestimmungen vom
24. September 1910 vorgesehenen Reisekosten die im § 2 festgesetzten Ver¬
gütungen gewährt.
Als nahegelegen im Sinne dieser Verfügung gilt ein Ort, wenn die bei
einer Berechnung der Fahrkosten maßgebende Entfernung zwischen ihm and
dem Wohnorte (bei Reisen, die am Urlaubsort angetreten und beendet werden,
zwischen ihm und dem Urlaubsorte) nicht mehr als bO km beträgt und wenn
zwischen beiden Orten ein Vorort-, Stadt-, Bing- oder Straßenbahnverkehr be¬
steht oder in sonstiger Weise mit dem im Abs. 1 genannten Verkehrsmitteln
täglich von 6 Uhr morgens ab in jeder der beiden Beiserichtungen eine min¬
destens achtmalige fahrplanmäßige Verbindung vorhanden ist. Werden anf
einer Beise mehrere Geschäftsorte berührt, so gelten sie als nahe gelegen,
wenn jeder einzelne Geschäftsort von dem Wohnorte (Urlaubsorte) wenigstens
in einer Beiserichtung nicht mehr als 30 km entfernt liegt, und wenn zwischen
den einzelnen Orten in beiden Beiserichtungen die im vorstehenden Satze an¬
gegebenen günsiigen Verkehrsverbindungen bestehen.
Die Vergütung nach § 2 wird auch gewährt, wenn die Dienstgeschäfte
an einem nabegelegenen Orte nicht an einem Tage beendet werden und der
täglichen Rückkehr des Beamten nichts entgegensteht.
§ 2. Als Vergütung für allgemeine Kosten erhalten die Beamten
in Stufe IV 18 M.
„ „ V 20 ,
and
in Stufe I 10 M.
„ „ II 13 „ . _
” ” , 15
Es gehören von in der Besoldungsordnung zum Beamtendienst¬
einkommensgesetz vom 17. Dezember 1920 (Ges. Samml. 1921 S. 135) auf-
gefübrten Beamten.
die Beamten mit
festen Grandgehalts¬
sätzen in Groppe
Minaesgrund-
gehaltssätzen
in Groppe
Einzelgehältern
in (irnppe
zur Stufe I
1 bis 5
.
B B II
6 „ 8 •
1 und 2
—
„ „ III
9 „ 12
3 „ 4
—
B B IV
13
5
I bis m
B B V
—
—
IV und V
( Neben der Vergütung sind den Beamten die wirklich erwachsenen
Fahrtauslagen für die benutzte und ihm nach § 3 des Reisekostengesetzes
zugebilligte Wagen- oder Schiffsklasse zu erstatten.
Eine besondere Vergütung für Zu- und Abgang wird nicht gewährt.
Uebersteigen die hiernach festgesetzten Vergütungen einschließlich Fahrt¬
auslagen diejenigen Beträge, welche den Beamten nach den sonst anzuwendenden
Vorschriften znstehen würden, so erhalten Bie nur die geringeren Beträge.
§ 3. Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten,
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäfts bedarf, sowie
Schnellzugszuschläge werden gesondert erstattet.
Hat der Beamte auf der Dienstreise höhere Beträge aufwenden müssen,
als die Vergütung beträgt, so werden ihm die Mehrauslagen bis zur Höhe der
Vergütung, welche nach den sonst anzuwendenden Vorschriften zu gewähren
wäre, erstattet. Der Beamte hat zu diesem Zwecke seine Auslagen nach den
Medizinalgeeetzgebung.
81
einzelnen Arten summarisch geordnet anzugeben, eine Belegung ist nicht er*
forderlich.
§ 4. Diese Verfügung gilt nicht für Reisen, für welche an Stelle der
in dem Reisekostengesetz nnd den Ansfttbrnngsbestimmangen vom 24. September
1910 vorgesehenen Vergütungen gemäß § 17 oder § 8 Abs. 2 Satz 1 oder § 9
des Reisekostengesetzes anderweite Beträge in anderer als der in dieser Ver¬
fügung vorgesehenen Weise festgesetzt sind oder festgesetzt werden.
§ 5. Diese Verfügung gilt nicht für Reisen, die zum Zwecke der Er¬
ledigung von Dienstgeschäften im Aaslande ganz oder teilweise außerhalb des
Reichsgebiets ausgeführt werden.
J : 6 . Diese Verfügung tritt mit Wirkung vom 1. Dezember 1921 ab
t.
Elsenbahnfahrkosten bei Dienstreisen der Staatsbeamten. Gesetz
om 80. Januar 1922.
An die Stelle des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 des Reisekostengesetzes
vom 26. Juli 1910 in der Fassung der Verordnung vom 80. November 1921
treten folgende Vorschriften:
§ 8. (1) Bei Dienstreisen erhalten an Fahrkosten für das Kilometer,
einschließlich der Kosten der Gepäckbeförderung,
1. für Reisestrecken, die auf Eisenbahnen oder Schiffen zurückgelegt werden
können,
a) die im § 1 unter 1 bis IV genannten Beamten.14<JbPf.
wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse bezahlt ist,
sonst.80 „
b) die unter V und VI genannten Beamten .80 ,
wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste
Schiffsklasse bezahlt ist, sonst.60 „
c) die unter VII genannten Beamten.50 ,
(4) Hat in den Fällen der Abs. 1 Nr. 1 einer der unter I und II ge¬
nannten Beamten einen Diener mitgenommen, so erhält er für diesen 50 Pf.
für das Kilometer.
Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Februar 1922 angetreten, aber an diesem
Tage oder später beendet worden sind, fallen diejenigen Eisenbahn- und Schiffs¬
fahrten, die an diesem Tage oder später zurttckgelegt werden, unter die vor¬
stehenden Bestimmungen.
Jabresgesundheltsberichte der Kreismedizinalräte. Runderlaß
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 8. Dezember 1921 —
I M. IV. 2707 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Ich habe das durch § 117 der Dienstanweisung für die Jahresgesund¬
heitsberichte der Kreismedizinalräte vorgesehene Master einer Umarbeitung
unterziehen lassen. Der Kostenersparnis halber wird ein Abdruck des neuen
Musters nicht beigefügt, es wird in einer Beilage der „Volkswohlfahrt“ ab¬
gedruckt werden')
Ich ersuche ergebenst, zu veranlassen, daß dem zum 1. März 1922 von
den Kreismedizinalräten zu erstattenden Jabresgesundheitsbericble das neue
Muster zugrunde gelegt wird. Soweit für die Berichte Unterlagen erforderlich
sind, die den Kreismedizinalräten nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen,
ist es ihre Pflicht, sie sich durch ständiges Zusammenarbeiten mit den frag¬
lichen Behörden und sonstigen Stellen zu verschaffen. Es ist nicht angängig,
daß aus einzelnen Kreisen immer wieder berichtet wird, daß Angaben nicht
vorliegen. Die Beschaffung und Bearbeitung solcher Unterlagen erfolgt nicht
in der Hauptsache zur Herstellung des Jahresberichtes, sondern es wird in
dem Berichte nur die Beibringung des Tatsachenmaterials verlangt, in dessen
Besitz der Gesundheitsbeamte des Kreises sein muß, wenn er seinen Dienst-
obliegenhenheiten gerecht werden will.
') 1922, Nr. 2, S. 40 f. abgedruckt.
88
Medizinalgesetzgebung.
Bei der Bearbeitung der Kreisberichte durch die BegierungB- and Medi¬
zinalräte wird za beachten sein, daß die einfache Aneinanderreihung des ans
den einzelnen Kreisen Berichteten die weitere Bearbeitung hier außerordentlich
erschwert. Das gesamte Material der Kreisberichte ist znsammenfassend za
Verwerten, Besonderheiten aas einzelnen Kreisen sind anzufugen. Dies gilt
insbesondere anch hinsichtlich des in den Kreisberichten enthaltenen Zahlen¬
materials ; z. B. werden die Geburts- and Sterblichkeitszahlen dem Master ent¬
sprechend für die Gesamtheit der Städte and die der Landgemeinden jedes
Kreises za bringen, besonders hohe oder niedrige Zahlen für einzelne Städte
oder Landgemeinden anzafttgen sein. Entsprechend ist bei den weiteren
tabellarischen Uebersichten za verfahren; es brauchen z. B. nicht alle Kranken¬
anstalten namentlich anfgeführt za werden, doch müssen die in dem für die
Kreis-Medizinalr&te vorgeschriebenen Master enthaltenen Zahlen gebracht
werden. Selbstverständlich maß erwartet werden, daß alle Zahlenübersichten
auch die Aufrechnung für den ganzen Bezirk enthalten.
Bei der Wichtigkeit einer möglichst schnellen zasammenfassenden Be¬
arbeitung des ganzen Materials kann eine Fristverlängerung für die Ein¬
reichung der Berichte unter keinen Umständen gewährt werden. Sowohl die
Kreis- wie anch die Bezirksberichte sind pünktlich zam 1. März beziehungs¬
weise 1. Juni einzuieichen, ausnahmsweise fehlende Einzelheiten sind als Nach¬
trag zu liefern. _
/ Tätigkeit der Desinfektoren nach der neuen Destnfektlonsordnung*
Bescheid des Ministers für Volkswohlfahrt vom 17. Januar
1 vs 2 — I. M. III. 2389 — an den Vorsitzenden des Desinfektorenbundes E. V.
Herrn Desinfektor Schildt in Berlin-Lichterfelde.
Auf die mir mit Schreiben vom 15. Oktober v. J. vorgelegte Entschließung
erwidere ich, daß die meisten Punkte der Entschließung von der falschen Vor¬
aussetzung aasgehen, daß durch die neue Desinfektionsordnung vom 8. Februar
1921 die Tätigkeit der Desinfektoren eingeschränkt werden soll. Das ist aber
nicht der Fall; es soll vielmehr nur die Schiaßdesinfektion, entsprechend dem
Stande der Wissenschaft, soweit angängig, vereinfacht werden. Die hierdurch
bedingte Verminderung der Tätigkeit der Desinfektoren wird aber mehr als
aufgewogen durch die Erweiterung ihrer Mitwirkung bei der laufenden Des¬
infektion. Die von den Desinfektoren ganz besonders gefürchtete Mitarbeit,
nicht Konkurrenz, der Schwestern ist durchaus notwendig, wenn überhaupt die
laufende Desinfektion in dem beabsichtigten Umfange einigermaßen zuverlässig
erledigt werden soll.
Ich verweise in diesem Zusammenhänge auf eine Abhandlung, die mein
Fachreferent in einer der nächsten Nummern der Zeitschrift für Medizinalbeamte
veröffentlichen wird.
Der Pankt 5 der Entschließung geht über die Zuständigkeit der Des¬
infektoren hinaus. Das hier berührte Meldewesen ist gesetzlich geregelt;
seine Aenderung gehört zur Zuständigkeit der gesetzgebenden Körperschuten.
Zu den übrigen Punkten bemerke ich folgendes:
Zu 1. Dieser Punkt geböFt zur Zuständigkeit der Gemeinden, denen in
der Desinfektionsordnung nur Richtlinien an die Hand gegeben worden sind.
Zu 2. Dieser Punkt ist in den allgemeinen einleitenden Bemerkungen
bereits erledigt worden.
Za 8. Die Schaffang von Lehrgängen für Gesundheitsaufseher wird er¬
folgen können, sobald die von mir beim Herrn Beichsminister des Innern an¬
geregte Schaffung einer Prüfungsordnung für Gesundheitsaufseher für das
ganze Beich erfolgt ist. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht ab¬
geschlossen.
Zu 4. Die Möglichkeit des Ersatzes von Sublimat durch andere Des¬
infektionsmittel behandelt mein Erlaß vom 7. Januar 1922, J. M. m. 2629, auf
den ich deshalb verweise. (Nach „Der praktische Desinfektor*, 1922, H. 1.)
Verantwortlich für die 8chrlfUeltnng: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat tn Breslau,
Breslau V, Rehdlgerstrafie 84» — Drnek von J. 0. G. Br ans, Minden 1. VT.
34
Medizin algesetzgeb ao g.
B. Preußen.
Gegenseitige Anerkennung der Ausbildung bezw. Prüfung der Aerste,
Apotheker, Krankenpflegerinnen zwischen Preußen und MemelgebleL
Bekanntmachung vom 9. Dezember 1921 — I M. V. gen. 5 M. f. V.
Zwischen dem Vertreter der alliierten Mächte im Memelgebiet, Ober¬
kommissar Petisne, und dem deutschen Reichs- und Staatskommissar, Grafen
von Lambsdorff, wird über die Anerkennung der Ausbildung bezw. Prüfung
der Aerzte, Apotheker und des Krankenpflegepersonals folgendes Abkommen
getroffen:
1. Preußen ist bereit, bis auf weiteres die im Städtischen Krankenhaus
zu Memel absolvierte Zeit als Medizinalpraktikant auf das praktische Jahr als
Mediziner anzureebnen, solange das Städtische Krankenhaus von einem in
Deutschland approbierten Arzt geleitet wird und die Annahme und Ausbildung
der Medizinalpraktikanten nach den in Preußen geltenden Grundsätzen und
Besstimmungen erfolgt.
2. Preußen ist bereit, die Lehr- und Gehilfenzeit des pharmazeutischen
Personals und die praktische Ausbildung nach dem pharmazeutischen Staats¬
examen in den Apotheken des Memelgebietes anzuerkennen, solange die An¬
nahme und Ansbildung nach den in Preußen geltenden Bestimmungen und
Grundsätzen erfolgt.
3. Preußen erkennt die von dem Landesdirektorium des Memelgebiets
ausgestellten Ausweise Uber die staatliche Prüfung für Krankenpflegerinnen
an, solange die Zulassung zu dieser Prüfung und die Prüfung selbst nach den
für Preußen geltenden Vorschriften über die staatliche Prüfung von Kranken¬
pflegerinnen erfolgt.
Ueberetnkommen mit dem Staatsministerium in Brannschwelg wegen
gegenseitiger Anerkennung der staatlich anerkannten Wohlfahrt spfiege-
rinnen. Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
8. Februar 1922 — III G. 119/1 M. — an die Herren Regierungspräsidenten
und Provinzialschulkollegien.
Mit dem Staatsininisterium in Braunschweig habe ich ein bis zum 31. Ok¬
tober 1923 geltendes Uebereinkommen abgeschlossen wegen gegenseitiger An¬
erkennung der staatlich anerkannten Wohlfabrtspflegerinnen auf Grund der
Preußischen Vorschriften vom 22. Oktober 1920 über die staatliche Prüfung
von Wohlfahrtspflegerinnen, die auch für den Freistaat Braunschweig ver¬
bindlich erklärt werden.
Die Prüfung der Nachweise der Wohlfahrtspflegerinnen in Braunschweig
erfolgt durch das Landesmedizinalkollegium in Braunschweig und durch den
Prüfungsausschuß einer von mir zu benennenden in Preußen gelegenen an¬
erkannten Wohlfahrtsschule.
ErhShnng der Gebühren für Ausstellung eines wiederholten Impf¬
scheines. Erlaß desMinisters für Volkswohlfahrt vom 12. Januar
1922 — I M. HL 2855 an den Herrn Regierungspräsidenten in Cassel.
Gegen die zeitgemäße Erhöhung der durch Bunderlaß vom 23. Juni
1875 — II. 4939 M. d. J. M. 3088 M. d. g. A. — auf 25 Pf. bemessenen Gebühr
für Ausstellung eines wiederholten Impfscheines auf 1 M. habe ich Bedenken
nicht geltend zu machen. __
> Gebühren für Fenerbestattungszeugnlsse der beamteten Aerste sind
an die Sinaiskasse abznführen. Verfügung desMinisters für Volks¬
wohlfahrt vom 4. Februar 1922 — I M. IV. 215. 22 — an den Herrn
Polizeipräsidenten in Berlin.
Ich trete Ihrer Auffassung bei, daß die Ausstellung der Feuer¬
bestattungszeugnisse als eine mit dem Amt des Kreis- oder Gerichtsmedizinal¬
rates verbundene dienstliche Obliegenheit anzuseben ist und daher die von
den beamteten Aerzten dafür vereinnahmten Gebühren an die Staatskasse
abzuführen sind.
Medizinalgesetzgebung.
85
Bezüglioh der Ausstellung von Leichentransportattesten muß die Ab*
führungspflicht für diejenigen Fälle bestehen bleiben, in denen ein amtsärzt*
liches Zeugnis weiter allgemein vorgeschrieben bleibt.
jv Borsänrezusatz mr Butter. Bunderlaß des Ministers für Land*
^Wirtschaft, Domänen und Forsten vom 10. Februar 1922 —
M. f. V. 1. M. II, 377, M. f. L. D. und F. I A. III e. 4206 — an sämtliche Herren
Regierungspräsidenten.
Unter Berücksichtigung der vom Beichsministerium für Ernährung und
Landwirtschaft nachdrUcklichst hervorgehobenen Ernährungsscbwierigkeiten hat
der Herr Reichminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsgesund¬
heitsamt die in dieser Sache liegenden gesundheitlichen Bedenken zurückgestellt
und zugelassen, daß bis zu einem genauer zu bestimmenden Zeitpunkt mit Bor¬
säure behandelte Butter eingeführt werden darf, sofern der Borsäurezusatz
die Höchst menge von 0,33 °/o nicht wesentlich übersteigt und die Butter genu߬
tauglich ist sowie auch zu sonstigen Beanstandungen keinen Anlaß bietet.
Die Butter gelangt in Kisten mit etwa 25 kg Inhalt und mit der äußeren
Kennzeichnung auf jeder Kiste „Borhaltige Auslandsbutter. Untersucht in
Hamburg“ als Backbuttcr oder Eßbutter in den Handel. Sie ist voraussichtlich
erheblich billiger als die borsäut ef reie ausländische sowie die inländische Butter,
steht aber als ältere Kühlbausware im Qenußwert der frischen Butter nach.
Jedoch soll ihre allgemeine Beschaffenheit einwandfrei sein.
Wir ersuchen ergebenst, den an Ueberwachung des Verkehrs an Lebens¬
mitteln beteiligten öffentlichen NahruDgsmittel-Untersuchungsanstalten unver¬
züglich hiervon Kenntnis zu geben und ihnen nahezulegen, aus den angegebenen
volkswirtschaftlichen Gründen von einer Beanstandung der mit Borsäure be¬
handelten ausländischen Butter, die über Hamburg zur Einfuhr gelangt, ab¬
zusehen, sofern der Borsäuregehalt 0,33 °/o nicht wesentlich übersteigt, und die
Butter im übrigen zu Beanstandungen keinen Anlaß gibt, auch für Genu߬
zwecke geeignet ist.
Für die Untersuchung der Butter auf ihren Gehalt an Borsäure empfiehlt
es sich, nach der anliegenden, vom Beichsgesundheitsamt ausgearbeiteten An¬
weisung zu verfahren.
Anweisung zur Untersuchung von Butter auf einen Gebalt von Borsinre.
Zur Prüfung, ob die Butter überhaupt Borsäure enthält, wird das Ver¬
fahren angewandt, das in den vom Beichsgesundheitsamt herausgegebenen
„Entwürfen zu Festsetzungen über Lebensmittel“ Heft 2: „Speisefette und
Speiseöle“ Seite 45 (Berlin, Verlag von Julius Springer 1912) an¬
gegeben ist. Die Flammenprobe braucht nicht vorgenommen zu werden. Nur
wenn die Kurkumareaktion zweifelsfrei positiv ausfällt, ist die quantitative Be¬
stimmung der Borsäure nach nachstehender Vorschrift auszuführen.
25 g Butter werden in einer Platin- oder Quarzschale von etwa 150 ccm
Inhalt nach Zusatz von 1 g wasserfreier Soda auf dem Wasserbade unter Um¬
rühren geschmolzen, sodann im Trockenschrank bei etwa 110° vom größten
Teil des Wassers befreit. Nach dem Erkalten werden etwa 50 ccm Aether
zugegeben, die Fettlösung durch ein aschenarmes Filter filtriert und der Rück¬
stand einmal mit Aether nachgewachsen. Filter samt Inhalt und der in der
Schale verbliebene Rückstand werden sodann verkohlt, die Kohle wiederholt
mit möglichst kleinen Mengen heißen Wassers ausgezogen, der Auszug durch
ein kleines, aschenarmes Filter filtriert und das Filter samt der Kohle in der
Schale verascht; die Asche wird mit etwa 2,5 ccm 25°/uiger Salzsäure und
einigen ccm Wasser aufgenommen und diese Lösung zu dem Filtrat gegeben.
Die saure, durch kurzes Aufkochen von Kohlendioxyd befreite, nicht
mehr als etwa 25 ccm betragende Aschenlösung wird mit 25 ccm 40°;o iger Tri-
natriumcitratlösung, 1 Tropfen 1 % iger Phenolphthaleinlösung und soviel nor¬
maler, zuletzt '/io normaler Alkalilause versetzt, bis die Lösung eben deutlich
gerötet ist. Hierauf gibt man etwa 6 g reinen Mannit zu und titriert die da¬
durch entfärbte Lösung mit l /io normaler Alkalilauge, bis die Flüssigkeit
2 Minuten lang deutlich gerötet bleibt, läßt 10 bis 20 Minuten stehen und
titriert die etwa wieder entfärbte Flüssigkeit nach Bei der Neutralisation
vor dem Mannitzusatz und bei den Titrationen soll die Lösung annähernd die
gleiche, 20* nicht übersteigende Temperatur haben.
36
Medizin algesetzgebang.
Die Alkalilauge ist auf Mineralsaure unter Anwendung von Phenolphthalein
als Indikator einzustellen. Die nach dem Mannitznsatz yerbrauchte Anzahl
von >/i« normaler Lauge mit 6,2 multipliziert (62 = Molekulargewicht von
B Os Ha) ergibt die Milligramme Borsäure, die in 25 g Butter enthalten sind.
Ausbildung von Kommunal« und Fflrsorgelrzten. Bunderlaß des
Ministers fttr Volkswohlfahrt vom 14. Dezember 1921 — IM.L
3491 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Unter Bezugnahme auf den Bunderlaß yom 81. März d. Js. — LAI,
787 —*) mache ich nochmals auf die bei den sozialhygienischen Anstalten in
Berlin-Charlottenburg, Breslau und Düsseldorf stattfindenden Lehrgänge zur
Ausbildung von Kommunalärzten aufmerksam. Bei den bedeutenden Vorteilen,
die eine gute sozialhygienische Ausbildung der Kommunal* und Fürsorgeärate
der Allgemeinheit, insbesondere den betreffenden Kommunalverbänden bietet,
und angesichts der wirtschaftlichen Nachteile, die bei einer schlecht geleiteten
ärztlichen Fürsorge eintreten, halte ich es für außerordentlich wünschenswert,
daß nur solche Aerzte als Kommunal- und Fürsorgeärzte angestellt werden,
die durch einen viermonatigen Lehrgang an einer der drei sozialhygienischen
Anstalten über die Zusammenhänge zwischen Gesundheitspflege und Wirt¬
schaftsleben genügend aufgeklärt sind.
Ich ersuche daher ergebenst, in diesem Sinne bei allen sich bietenden
geeigneten Gelegenheiten auf die nachgeordneten Stellen einzuwirken, damit
die Anstellung von Kommunal- und Furaorgeärzten, die für ihre Aufgaben
durchaus ungenügend vorbereitet sind, nicht mehr in dem bisherigen Umfange
erfolgt. _
C. Lippe.
Bekämpfung der Grippe. Verordnung des Landesamts für
Volkswohlfahrt und Volksgesundheit vom 80. Dezember 1921.
Auf Grund des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Beicbsgesetzes
über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900, sowie
die Bekämpfung anderer übertragbarer Krankheiten vom 12. April 1920, §§ 5
und 21 wird fügendes verordnet:
Die Bestimmungen des Gesetzes vom 12. April 1920 gelten auch für die
„Grippe* genannte Krankheit. Die Anmeldungen haben in Krankheitsfällen in
jedem Falle unverzüglich an das Landeswohlfahrtsamt zu erfolgen. Die bisher
beobachteten Fälle sind gesammelt zu melden. Die Herren Aerzte werden er¬
sucht, auf den Anmeldeformularen kurz anzugeben, wenn einzelne Organe be¬
sonders betroffen sind (Gehirn, Lungen, Herz, Darm).
Todesfälle sind zu melden, auch wenn die Krankheit bereits gemeldet war.
Die Kreisärzte haben am Montag jeder Woche über den Stand der Grippe
in ihrem Bezirke dem Landeswohlfahrtsamte zu berichten. Außergewöhnliche
Vorkommnisse sind sofort fernmündlich zu melden und schriftlich zu be¬
stätigen. (Fernsprecher Nr. 616.)
Bei gehäuftem Auftreten in einem Bezirke sind Schulschließungen im
Einvernehmen mit den betreffenden Schulleitern zu beantragen und zwar im
allgemeinen durch das Landeswohlfahrtsamt, in dringenden Fällen direkt bet
don unteren Verwaltungsbehörden. Das Landeswohlfanrtsamt ist von jeder er¬
folgten Schulschließung umgehend zu benachrichtigen.
Die Polizeibehörden werden auf § 8 des Gesetzes vom 12. April 1920
besonders aufmerksam gemacht.
Der Bevölkerung wird empfohlen, auch in anscheinend leichten Fällen
sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auf Grund des § 21 des Gesetzes vom 12. April 1920 wird die Behand¬
lung von Personen, die an Grippe erkrankt sind, durch andere Personen als
approbierte Aerzte verboten.
') s. diese Zeitschr.; Beil. 1921, Nr. 10, 8 . 65.
Yerantwortlieh fftr die Sehrlftleituif: Geh.Med.-Set Dr. 8olbrlf, Bef.- u. Med. -Bel In Breslau
Breslau V, Rehdiferstrafle 84* Druck tob J. C. 0. Brams, Mindern 1. W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 7. 5. April. 1922.
Medizinal - Gesetzgebung.
Z A. Preußen.
Gebühren der Medfifnalbeamten. Erlaß des Ministers für
:swohlfahrt vom 3. März 1922 — I. M. I. 400 — an die Herren
Begierungspräs denten.
Anf Grand des § 8 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Gebühren der
Medizinal beamten, vom 14. Jnli 1909 (Gesetzsamml. 8. 625) werden im Ein¬
vernehmen mit dem Herrn Finanzminister nnd dem Herrn Jnstizminister die in
den Anlagen I nnd II des Gesetzes angegebenen Sätze des Tarifs für die Ge¬
bühren der Kreisärzte sowie des Tarifs für die Gebühren der Chemiker für ge¬
richtliche nnd medizinalpolizeiliche Verrichtungen mit Wirkung vom 1. März 1922
ab durchweg am 900 vom Hnndert erhöht. Der Erlaß vom 20. Dezember 1920
(Geeetzsamml. 8. 542), betreffend Aendernng des Tarifs für die Gebühren der
Kreisärzte nnd des Tarifs für die Gebühren der Chemiker für gerichtliche nnd
medizin&lpolizeiliche Verrichtungen wird mit dem Ablauf des 28. Febraar 1922
aufgehoben. _
Herstellung nnd Vertrieb von Knnstmllch nnd Knnstsahne. Band¬
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt, des Ministers für
Landwirtschaft nnd des Ministers für Handel und Gewerbe
vom 26. Januar 1922 — M. f. V. I. M., IT, 3767, M f. L. D. und F. I. A.
UI e 4067, M. f. H. n. G. II b 414 — an die Herren Regierungspräsidenten.
In neuester Zeit scheint infolge des Mangels an Frischmilch seitens der
Lebensmittelindustrie nnd des Lebensmilteihandels der Herstellung und dem
Vertrieb von Kunstmilch nnd Knnstsahne erhöhte Beachtung beigemessen zu
werden, wobei offenbar mit der Möglichkeit erheblicher Gewinne gerechnet
wird. Damit Mißstände, deren Beseitigung später Schwierigkeiten verursachen
würde, tunlichst von Anfang an verhüt-1 werden, haben über die Frage einer
einheilich'-n Regelung des Verkehrs mit Kunstmilch nnd Knnstsahne vom Stand¬
punkte der Volk^ernährnng und der Ueberwachnng des Verkehrs mit Lebens¬
mitteln anf unsere Anregung hin im Beichsgesnndheitsamt unter Hinzuziehung
von Vertretern der beteiligten Ministerien sowie sonst in Betracht kommender
Stellen Beratungen stnttgefunden, wobei nachstehende Gruppen von Erzeug¬
nissen behandelt wurden:
1. Wässerige Auflösungen von Trorkenvollmilch oder von Trockenmagermilch
mit Zusatz von Milcbfett (sogenannte Emulsionsmilcb),
2. Magermilch oder wässerige Auflösungen von Trockenmagermilch mit Zusatz
von Fremdfetten (Kokosfett oder sonstigen in der Margarineindustrie ver¬
wendeten Fetten),
3. Milebäbnliche Flüssigkeiten aus pflanzlichen Stoffen, wie Sojamilch, Erd¬
nußmilch, Mandelmilch.
Von den u»ter 3 genannten Erzeugnissen soll bisher praktisch nur die
Sojamilch in Frage kommen. Gegen diese wurden Bedenken nicht geltend ge¬
macht; sie wurde als zum Fcilhalten in Erfrischungsräumen, Selterwasser¬
ausschankstellen usw. geeignetes Erfrischungsgetränk bezeichnet. Da sie als
Genußmittel für Erwachsene unschädlich und nach den bisher von Inter¬
essenten vorgelegten Proben zu wenig milcbähnlich ist, um zu Verwechselungen
mit Milch oder zu deren Verfälschung Anlaß zu geben, wurde es für unnötig
S chalten, sie etwa durch künstliche Färbung besonders kenntlich zu machen.
ie versammelten Sachverständigen waren jedoch der Ansicht, daß die Ver¬
wendung des Wortes „Milch* als Wortbestandteil in der Bezeichnung dieser
36
Mediziaalgeeetzgebung
Erzeugnis»e unerwünscht sei, und daß versucht werden solle, durch Einwiikaag
auf & Hersteller diese Bezeichnung auszuschalten, um besondere Verkehrs¬
beschränkungen unuOtig zu machen.
Die unter 2. bezeichneten Milchnachmachungen aus Magermilch und
Fremdfetten wurden von den Aerzten unbedingt abgelehnt. Es wurde eia
rolliges Verbot dieser Art von Kunst milch zum Schutze der Gesundheit, ins¬
besondere der Kinder, für nötig gehalten.
Auch gegen die unter 1. genannten Erzeugnisse, von denen hauptsächlich
die Emulsionsmilch aus Trockenmagermilch nnd ungesalzener Bntter in Frage
kommt, warden von den Aerzten erhebliche Bedenken geltend gemacht, uad es
wurde gefordert, einen etwaigen Milchmangel statt durch Verteflung von
Emulsionsmilch durch Ausgabe von Trockenvollmilch als solcher zu begegnen.
Die Beschaffung von hinreichenden Mengen guter deutscher Trockenvollmlleh
wurde jedoch seitens des Beichsernäbrungsministeriums als unmöglich bezeichnet,
aach liegen über deren Haltbarkeit zu wenig Erfahrungen ror. Da außerdem
gute ausländische Trockenrollmilch, selbst wenn sie in ansreichendem Made
beschafft werden könnte, jedenfalls zn teuer kommen würde, und ihre Ein¬
führung vermutlich bei einem größeren Teil;der Verbraucher, die an flne Ver¬
wendung nicht gewöhnt sind, einem gewissen Widerstand begegnen würde, so
wnrde schließlich eine bedingte Zulassung der Emulsionsnulch, vorüber¬
gehend, alsNotbebelf für die Zeit des Mangels an Frischmilch, als duldbar
angesehen, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sie nicht zur
Säuglingsernährung verwendet wird. Es wurde für unerläßlich ge¬
halten, daß zum Schutze der Gesundheit die Zulassung der Emulsionsmfldi aa
gewisse Bedingungen geknüpft wird, und eine einheitliche Regelung des Ver¬
kehrs mit Emmsionsmilch nach folgenden Richtlinien erfolg:
„1. Tritt am Verteilungsort Mangel an Frischmilch ein, so maß dafür Sorge
getragen werden, daß die jeweils dort angelieferte Frischmilch in erster
Reihe den Kindern, unter Rationierung nach Altersklassen, und anderen
friscbmilchbedürftigen Personen, über deren Auswahl im Benehmen mit
den Aerzten Entscheidung zu treffen ist, zugute kommt (vergl. Verord¬
nung über den Verkehr mit Milch vom 30. April 1921, Reichs-GesetzbL
9. 498).
2. Bei Milchm&upel erscheint die vorübergehende Verteilung von Emulsions¬
milch als geeigneter Notbehelf. Die Emulsionsmilch muß jedoch in ihrer
Zusammensetzung, inbesondere im Fettgehalt, der frischen Vollmilch ent¬
sprechen und aus einwandfreien Rohstoffen sauber hergestellt sein. Ein
Vermischen mit Frischmilch muß ausgeschlossen werden. Die Herstellung
von Emulsionsmilch darf nur den Stadtverwaltungen oder behördlich be¬
aufsichtigten Betrieben gestattet werden.
H. Als Fett darf nur Milcnfett oder Butter zugesetzt werden. Der Znsatz
von fremden Fetten muß ausgeschlossen sein.
4. Der Emulsionsmilch muß bei der Herstellung ein leicht nachweisbares
Erkennungsmittel zugesetzt werden.
ü. Gefäße, die Emulsionsmilch enthalten oder zu ihrer Aufnahme bestimmt
sind, müssen deutlich als solche gekennzeichnet sein.
6. Die Öffentlichkeit muß in geeigneter Weise darüber aufgeklärt werden,
daß Emulsionsmilch zwar wie Milch zum Trinken, Kochen usw. verwendet
werden kann, daß sie jedoch kein vollwertiger Ersatz für Milch und Ins¬
besondere für die Ernährung von Kleinkindern ungeeignet ist.*
Zn Nr. 4. der vorstehenden Richtlinien bemerken mir, daß die im Reichs-
gesundheitsamte angestellten Versuche zur Ermittelung eines geeig n e t e n Er¬
kennungsmittels für Emulsionsmilch noch nicht vollständig abgeschlossen sind.
Sobald dies der Fall ist, werden wir weitere Mitteilungen machen.
Hinsichtlich der Regelung des Verkehrs mit Kunstsahne schweben noch
Erörterungen, wir werden jedoch voraussichtlich schon in nächster Zeit in der
Lage sein, auch nach dieser Richtung bestimmte Grundsätze für eine einheü-
liche Verkehrsregelung aufzustellen und mitzuteilen.
Hiernach Kommt vorläufig in Betracht, da, wo es erforderlich ist, durch
Polizeiverordnungen den Verkehr mit Knnstmilch der ei n gan g s unter L und 2.
erwähnten Art — vorbehaltlich der Gewährung von Ausnahmen nach Maßgabe
der mitgeteilten Richtlini en für den Verkehr mit Emulahmaadlch — zn var-
bieten, o4 hinskhlic k de* Verkehrs mit milchäknlkkeu nfisrigbritau ms
■Anzbcfaeo Stoffen, wie mit sogenannter Sojamilch, dafür 9w|« su tu rnt,
daß «ie nicht unter solchen Bezeichnungen in den Verkehr gebracht weiden,
die dns Wort „Milch" enthalten.
Bericht über Qrlppeausbreituug. Banderlaß des Ministers für
Volkswohlfahrt vom 20. Januar 1922 — L M. Ql. 12&22 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
Dm ein Bild über den Gang and die Aasbreitung der erneut wieder¬
gekehrten Grippeepidemie zu erhalten, ersuche ich ergebenst, mir bie zum
1. April d. Js. eine Uebersicht über ihr Auftreten im dortigen Bezirk vorzulegeu.
Ss wird, soweit angängig, der Zeitpunkt des Ausbruches und des Erlöschens
in den verschiedenen Teilen des Bezirks sowie der Umfang der Erkrankungen
anzugeben und auch über Art und Schwere der Krankheit, über Sterblichkeit
und häufige Komplikationen zn berichten sein.
Ferner bitte ich schon jetzt, das Erforderliche zu veranlassen, um Ms
zum 1. Februar 1923 über die Jahre 1921 und 1922 möglichst vollständiges
Zahlenmaterial bringen zu können, soweit die Krankenkassen ia Frage kommen,
entsprechend dem Erlaß vom 28. Jnni 1921 — I. M. III. 1174 —. Dabei sind
auf dem im genannten Erlaß vorgeschriebenen Formbogen die Ergebnisse für
den Bezirk nach den Jahren 1921 and 1922 getrennt zusammenzufassen, soweit
diec bei vollständigen Berichten statistisch möglich ist. Die unvollständigen
Berichte sind nach Möglichkeit zu vervollständigen, sonst mir einzeln ein¬
zureichen.
Wegen der regelmäßig in die Wochennachweisungen Uber übertragbare
Krankheiten anfzunehmenden Mitteilungen verweise ich ergebenst auf die Bo¬
stimmungen des Erlasses vom 17. Januar 1921 — I. M. IQ. 119 — Min.-Bl.
„Volkswohlfahrt" 8. 66.
f Brjripol als Impfschädigung. Runderlaß des Ministers für
Volkswohlfahrt vom 28. Januar 1922 — I. M. QL 2716 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
Anf der im September 1921 in Schwerin abgehaltenen Versammlung der
Vorsteher der deutschen staatlichen Impfanstalten ist darauf hingewiesen, daß
in den Berichten der Impfärzte des öfteren über Erkrankungen an Erysipel bei
Impflingen gesprochen wird, während lediglich eine stärkere RandrOtc, die für
die Bildung einer Immunität von Bedeutung ist, vorliegt. Dieser Irrtum wird
dadurch hervorgerufen, daß in dem vom Reichsgesundheitsamt aufgestellten
„Fragebogen für die Erhebungen über besondere Vorkommnisse bei den öffent¬
lichen Impfangen* nach Erysipel (Früh- oder Späterysipel) gefragt wird, waa
von einigen Impfärzten mißverständlich anfgefaßt ist.
Ich ersuche daher ergebenst, die privaten Impfärzte durch die Kreis¬
medizinalbeamten in geeigneter Weise darauf aufmerksam zn machen, daß ab
Erysipel lediglich die durch Eitererreger hervorgernfene, flächenhaft rieh aus¬
breitende, stark fieberhafte Hautentzündung anzusehen ist
Alte, unbrauchbare Schulbänke. Runderlaß des Ministers für
Volkswohlfahrt und des Ministers für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung vom 11. Februar 1922 — I. M. IV. 2866 21 M. 1V.,
M. QI. E. 3225 M. f. W. K. u. V. — an die Herren Regierungspräsidenten.
Der „Verband Deutscher Schulmöbelfabrikanten* hat angeblich die Be¬
obachtung gemacht, daß die Gemeinde- und Stadtverwaltungen ans Ersparnis¬
gründen mehr and mehr dazu übergehen, alte, nicht mehr brauchbare Schul¬
bänke zur Ergänzung nnd Ausstattung der Schnlräome zu verwenden. Er weist
darauf hin, daß diese alten, in früheren Zeiten ausrangierten Schulbänke bst
ausschließlich deswegen außer Benutzung gestellt worden sind, weil ihre Bauart
schwere gesundheitliche Schädigungen für die Schuljugend bei weiterer Be¬
nutzung hervorrief. Der Verband erlaubt daber verpflichtet zn sein, die ma߬
gebenden Stellen auf die große Gefahr aufmerksam zu machen, die dieses Vor¬
gehen der Gemeinde- und Stadtverwal langen für die heranwachseode Jugend
in sich birgt
40
Medizin algesetzgebung.
Wir erauchen ergebenst, den Kreismedizinalräten hiervon Kenntnis zu
geben und sie anzuweisen, bei den periodischen Schulbesichtigungen ihr Augen¬
merk auf den behaupteten Mißstand zu richten and über ihre Beobachtaogen
zu berichten.
Ihrem gefälligen Berichte sehen wir innerhalb Jahresfrist ergebenst
entgegen. _
Abgabe von Onellstiften in Apolheken. Bekanntmachang des
Ministers für Volkswohlf ahrt vom 18. Januar 1922.
Unter Hinweis anf § 367 Ziffer 5 des Strafgesetzbaches für das Deutsche
Reich bestimme ich:
§ 1. Stifte, Sonden oder Meißel aus Laminaria, Tapeloholz oder anderen
quellfähigen Stoffen dürfen nur auf schriftliche, mit Datum und Unterschrift
versehene Anweisung (Rezept) eines Arztes oder Tierarztes — in letzterem Falle
jedoch nur zum Gebrauch in der Tierheilkunde — zu Heilzwecken abgegeben
werden.
§ 2. Ihre wiederholte Abgabe darf — außerhalb der Tierheilkande —
nur auf jedesmal ernente, schriftliche, mit Datum und Unterschrift versehene
Anweisung eines Arztes erfolgen.
§ 3. Zuwiderhandlungen werden nach § 367,|5 Strafgesetzbuchs bestraft.
§ 4. Diese Bestimmungen treten am 1. Februar 1922 in Kraft.
Bern. Dieselbe Verordnung ist unter dem 13. Februar 1922 für Württem¬
berg, unter dem 22. Februar 1922 für Hamburg, nnter dem 24. Februar 1922
für Bayern erlassen worden. _
B. Württemberg.
Aufhebung der Verfügung betr. Bekämpfung des Kurpfuschertums.
Durch Verfügung des Ministeriums des Innern vom 28. Januar 1922 wird
die Verfügung betr. das Kurpfuschertum vom 10. Mai 1919 l ) mit sofortiger
Wirkung aufgehoben. (Nach Pharmazeut. Zeitung; 1922, Nr. 13.)
Vorschriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen.
Bekanntmachung des Senats vom 28.Dezember 1921.
Von dem Abdruck wird abgesehen, da im allgemeinen die Vorschriften
den in Preußen erlassenen gleich oder ähnlich sind. Von wesentlicheren Ab¬
weichungen seien hervorgehoben:
§ 2. Die Prüfungkommission besteht ans 3 Aerzten sowie einerimprak¬
tischen Dienst besonders erfahrenen, staatlich anerkannten
Pflegeperson.
§ 5. 1. Es wird gefordert, daß das 20. Lebensjahr vollendet und das
35. Lebensjahr nicht überschritten ist,
6. der Nachweis einer einjährigen praktischen Tätigkeit in
der Krankenpflege vor Eintritt in den Lehrgang (von einjähriger
Dauer).
§ 7. Die PrUfung ist für Teilnehmer an den Ausbildungskarsen in den
hamburgischen staatlichen Krankenanstalten gebührenfrei.
Für das in den privaten Krankenanstalten ausgebildete Personal beträgt
die Prüfungsgebühr 24 M.
Für andere Personen, die anderweitig ausgebildet sind, wird eine Gebühr
von 100 M. erhoben.
g 13. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auch auf:
o) Grundsätze für die Pflege Geisteskranker.
§ 23 enthält einen besonderen Hinweis und Strafandrohung bei unerlaubter
Beilegung der Bezeichnung als staatlich anerkannte Eirankenpflegeperson.
*) VergL diese Zeitschrift; 1919, Beilage 8. 64.
Yerantwortlleh für die Sehrt ftleitanf: Geh.Med.-Bat Dr. Solbrlf, Bef.- u* Med.-Bel ln Breslau
Brealen V, Behdlferatrafie di.j yDruek ron J. 0. C. Brau*, Minden I. W.
Rechtsprechung u. Medizinal*
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 8/9. 5. Mai. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich.
Maßnahmen zum Schatze der ln Krankenanstalten beschäftigten
Krankenpflegepersonen gegen Tuberkulose.
Auf Grand des Rundschreibens des Reichsministers des Innern vom
10. November 1920') sind im Laufe des letzten Jahres entsprechende Anord¬
nungen außer in Preußen in nachbezeichneten Ländern getroffen worden: in
Bayern (25. Januar 1921), Baden (2. Dezember 1920), Sachsen (27. Juni 1921),
Württemberg (30. November 1920), Hessen, Thüringen, Mecklenburg-Schwerin
(22. November 1921), Mecklenburg-Strelitz, Braunschweig (20. Dezember 1920),
Oldenburg (1. Dezember 1920), Anhalt (20. Dezember 1920), Lippe, Hamburg
(31. Dezember 1920), Lübeck, Bremen, Waldeck, Schaumburg-Lippe.
B. Preußen.
Anträge auf Bewilligung von Beihilfen zur Bekämpfung der Tuber*
kulose. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
15. März 1922 — I M III 593/22 — an die Herren Regierungspräsidenten
(mit Bezug auf die Runderlasse vom 3. Juli 1918, 4. Juni*) und 12. September 1921).
Um die Bearbeitung der Anträge auf Bewilligung von Beihilfen aus dem
mir zur Verfügung stehenden Tuberkulosefonds zu erleichtern, habe ich an¬
liegenden Formbogen entwerfen lassen. Ich ersuche, in Zukunft zu solchen
Anträgen nur noch diese Formbogen verwenden und Begleitberichte nur aus
besonderer Veranlassung beifügen zu wollen.
Da ich auf die Beurteilung der Anträge durch die Herren Kreismedizinal¬
räte besonderen Wert lege, bitte ich ergebenst, zu veranlassen, daß die Anträge
von Vereinen und Gemeinden auch durch deren Hand an Sie eingereicht werden.
Zu I M III 593/22.
Antrag
de.
auf Bewilligung einer Beihilfe aus dem Tuberkulosefonds.
Der Kreismedizinalrat. .. den.192 .
Der Antrag wird.. befürwortet.
Ich halte einen Betrag von . . . . M. für angemessen.
(Vorstehende Spalten nur auszufüllen hei Anträgen von Vereinen und Gemeinden.)
Der Regierungspräsident. .den ..... 192 .
Der Antrag wird.befürwortet.
Ich halte einen Betrag von .... M. für angemessen.
An
den Herrn Minister für Volkswohlfahrt
in Berlin W 66.
*) S. diese Zeitschrift, 1921, Beilage 8. 41.
*) S. ebendaselbst Nr. 15/16. S. 79.
42
Medizinalgesetzgebung.
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Pockengefahr durch zureisende Personen aus Rußland, Polen nsw.
Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 9. März
1922 — I M. UI 396 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Unter den aus Rußland und seinen ehemaligen Teilgebieten wie Polen,
Litauen, Lettland suw. nach Deutschland schon zugereisten und weiterhin täg¬
lich noch ankommenden Personen befinden sich zahlreiche Kinder, darunter auch
solche schulpflichtigen Alters, die deutsche Schulen besuchen oder in solche
eintreten wollen. Bei der von jeher mangelhaften Handhabung der Schutz¬
pockenimpfung in Rußland ist anzunehmen, daß diese Kinder gegen die Pocken
nicht oder wegen fehlender Wiederimpfung nicht genügend geschützt sind. Sie
sind aber einer besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt, weil ihre Familien
dauernd Verkehrsbeziehungen, besonders verwandtschaftlicher Art, mit Rußland
bezw. mit ihren von dort neu zugereisten Landsleuten unterhalten, so daß der
Ansteckungsstoff der Pocken in diese Familie und so in die deutsche Bevölke¬
rung verschleppt werden kann. Es empfiehlt sich daher, dem Impfzustande
der aus Rußland zugezogenen Kinder eine besondere Aufmerksamkeit zuzu-
wenden und erforderlichenfalls eine unterbliebene Impfung nachzuholen. Aber
auch bei Erwachsenen ist eine Feststellung des Impfzustandes von Bedeutung.
Es ist deshalb ratsam, bei zureisenden Ankömmlingen der eingangs erwähnten
Art, die nicht glaubhaft nachzuweisen vermögen, daß sie die Pocken über¬
standen haben oder innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgreich geimpft sind,
auf die Vornahme bezw. Wiederholung der Impfung hinzuwirken.
Soweit es sich um Personen handelt, die als Flüchtlinge in einem Quaran¬
tänelager oder als Durchwanderer in Auswandererhallen Aufnahme gefunden
haben, sind die entsprechenden Maßnahmen bereits in die Wege geleitet.
Ich ersuche ergebenst, die Polizeiverwaltnngen und die Kreismedizinal¬
beamten gefälligst mit entsprechender Weisung zu versehen. Abdruck dieses
Erlasses erfolgt im Ministerialblatt „Volkswohlfahrt“.
Medizin algesetzgebung.
48
Anwürter* und Besoldungzdlenstalter der Medirinalbeamten. Band*
Erlaß des Ministers fttr Volkswohlfahrt yom 20. März 1922
— I M I Nr. 178 — an die Herren Regierungspräsidenten.'
Bei der Errechnaog des Anwärter* and Besoldungsdienstalters derjenigen
Medizinalbeamten, die die Kreisarztprttfang nach der Prüfangsordnang vom
80. März 1901 — Ministerialblatt fttr Medizinalangelegenheiten 1901 8. 71 ff. —
abgelegt haben, ist anstatt der dreijährigen nar dann eine zweijährige prak*
tische Beschäftigung in Ansatz za briogen, wenn die Beamten ihre Zulassung
zur Kreisarztpriifung tatsächlich bereits nach zweijähriger Beschäftigung be¬
antragt haben.
Gebühren für die Teilnehmer an Deslnfektlonslehrgüngen. Rund-
Erlaß des Ministers für Yolkswohlfahrt vom 8. März 1922
— I M IV 361 — an die Herren BegierungBpräsidenten.
Die in meinem Bunderlasse vom 31. Dezember v. J. — I M. IV 2802— *)
betreffend die Festsetzung der Gebühren fttr die Teilnehmer Ton Desinfektions-
lehrgängen, kurz gebrauchte Bezeichnung „männliche Teilnehmer“ im Gegen¬
satz zu „Schwestern“ hat in einem Falle zu einer mißverständlichen Auf¬
fassung geführt.
Ich weise daher ergänzend darauf hin, daß der Unterschied in der Höhe
der Gebühren fttr die Teilnahme an den Lehrgängen in der Desinfektion nicht
darin begründet ist, daß die Teilnehmer Männer oder Schwestern sind, sondern
vielmehr dadurch bedingt ist, daß es sich einmal um voll-, auch am Dampf¬
apparat und Formalinapparat ausgebildete Desinfektoren (die auch in Aus-
nabmefällen weiblichen Geschlechts sein können), zum andern aber um nur
in der laufenden und vereinfachten Schlußdesinfektion (ohne Apparatdesinfektion)
ausgebildete Pflegerinnen handelt.
C. Bayern.
Leichenschangebflbren. Verordnung des Staatsministeriums
des Innern vom 30.März 1922.
Mit Wirkung vom 1. April 1922 werden fttr die Leichenschau folgende
Gebühren festgesetzt:
1. für ärztliche Leichenschauer: 1
a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohn¬
ortes: 20 M.
b) Eutfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau vom
Wohnorte des Leichenschauers mehr als 2 Kilometer beträgt, fttr jeden
Kilometer des Hin- und Bückweges: 4 M.;
2. für nichtärztliche Leichenschauer:
a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohn¬
ortes: 13 M.;
b) Entfernungsgebühr (wie unter 1 b): 2,60 M.
Die Gebühren für eine außerhalb des Wohnorts vorgenommene Leichen¬
schau dürfen den Höchstbetrag von 60 M nicht überschreiten.
Diese Sätze treten an die Stelle der entsprechenden Sätze der Verordnung
vom 13. August 1920 über die Leichenschau, geändert durch die Verordnung
vom 27. August 1921.
D. Sachsen.
Entschädigung für Impfungen. Verordnung des Ministeriums
des Innern vom 22.Februar 1922.
§ 4, Absatz 2 der Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichs¬
impfgesetzes betreffend, vom 14. Dezember 1899 (G.V.B1. S. 623) erhält folgende
Fassung:
Die Entschädigung beträgt fttr die Impfung jeder einzelnen Person, ein¬
schließlich der Nachschau, der Einträge in die Liste und der erstmaligen Aus¬
stellung des Impfscheines
3 M. am Wohnort des Arztes,
5 M. außerhalb desselben.
*) Siehe diese Zeitschrift, Beilage, 1922, Nr. 4, S. 26.
44
Medizinalgesetzgebung.
In diesen Sätzen sind die Entschädigungen für die impfärztlichen Ans*
lagen für Watte, 70 prozentigen Alkohol oder andere gleichwertige Mittel zum
Abreiben der Impfstelle bei öffentlichen Impfungen (§ 6 der Beilage B zur Ver¬
ordnung, die anderweite Ausführung des Beichsimpfgesetzes betreffend, vom
28. September 1917, G.V.B1. S. 108) und für Fortkommen mit inbegriffen.
E. Mecklenburg «Schwerin.
Hebammenwesen. Gesetz vom 15. Dezember 1921. .
Der Landtag des Freistaates Mecklenburg-Schwerin hat folgendes Gesetz
beschlossen, das hiermit verkündet wird:
§ 1. Jede Stadt- und Landgemeinde ist verpflichtet, Hebammen, die die
Berechtigung zur Ausübung des Hebammenberufes im Freistaat Mecklenburg-
Schwerin besitzen, in genügender Zahl anzustellen und im Bedarfsfälle ge¬
eignete Personen in der Hebammenlehranstalt in Bostock ausbilden zu lassen.
Die Hebammen dürfen nicht weier als acht Kilometer von jedem Orte, für
welche sie angestellt sind, entfernt wohnen. Für je 4000 Bewohner ist wenigstens
eine Hebamme anzustellen. Mehrere Gemeinden können sich zur gemeinsamen
Anstellung einer Hebamme zusammenschließen.
Dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten bleibt es Vorbehalten, von
der genauen Durchführung der vorstehenden Vorschriften in solchen Fällen Be¬
freiung zu erteilen, in denen sie zu besonderen Härten oder Unzuträglichkeiten
führen würde.
§ 2. Den angestellten Hebammen (Bezirkshebammen) ist von den An¬
stellungsgemeinden ein Jahreseinkommen im Werte von wenigstens zwei Dritteln
des Anfangsgrundgehalts nebst Teuerungszuschlag eines Staatsbeamten der
Gruppe I der jeweils geltenden Besoldungsordnung zu gewähren. Im Streit¬
fälle erfolgt die Festsetzung des Wertes der etwa gewährten Sachbezüge in
selbständigen Stadtbezirken durch das Ministerium für Medizinalangelegen-
heiten, im übrigen durch den Amtsausscbuß. Gegen die Entscheidung des
Amtsausschusses führt die Beschwerde an das Ministerium für Medizinal¬
angelegenheiten, dessen Entscheidung endgültig ist. Eine Anrechnung der von
der Bezirkshebamme vereinnahmten Hebammengebühren auf das Mindest¬
einkommen ist nicht zulässig. Das Ministerium für Medizinalangelegenheiten
kann Entfreiung von den Vorschriften über die Höhe des Mindestjahreseinkommens
nach Anhörung der von ihm als Berufsvertretung anerkannten Hebammen¬
organisationen des Landes erteilen, wenn ein ausreichendes Einkommen der
Hebamme anderweitig gesichert ist.
Bezirkshebammen, welche
a) durch Alter, Krankheit oder andere Gebrechen zur Ausübung ihres Berufes
dauernd unfähig geworden sind oder
b) das 65. Lebensjahr vollendet haben und ihren Beruf aufzugeben wünschen,
sind aus dem Vertragsverhältnis zu entlassen. Ueber das Vorliegen dieser Vor¬
aussetzungen entscheidet im Streitfälle der für den Wohnort der Hebamme zu¬
ständige Kreisarzt Dieser ist auch berechtigt, beim Vorliegen der Voraus¬
setzungen die Entlassung der Hebamme aus dem Vertragsverhältnis von Amts
wegen von der Anstellungsgemeinde zu verlangen. Der Kreisarzt hat vor Ab¬
gabe der Entscheidung sowie bevor er die Entlassung verlangt, die vom Mini¬
sterium für Medizinalangelegenheiien als Berufsvertretung anerkannte Hebammen¬
organisation des Landes zu hören.
Jede der im Absatz 2 genannten Hebammen, die 10 Jahre als Bezirks¬
hebamme im Freistaat Mecklenburg-Schwerin angestellt gewesen ist, hat An¬
spruch auf ein jährliches Buhegeld. Der Mindestbetrag dieses Buhegeldes be¬
steht in einem Hundertsatz des der Hebamme nach Absatz 1 zustehenden
Mindestjahreseinkommens und steigt mit den von der Hebamme geleisteten
Dienstjahren. Die Höhe des Hundertsatzes sowie das Maß der Steigerung ent¬
spricht dem jeweils für die staatlichen Verwaltnngsbeamten geltenden Buhe¬
gehaltsgesetz. Für die Berechnung des Mindestruhegeldes wird dem Mindest¬
einkommen für jede B*-zirkshebamme als ruhegehaltsf ähig e Gebühreneinnahme
die Summe von 3000 M. hinzugerechnet. Ein angefangenes Dienstjabr wird für
voll gerechnet, wenn es sich um mehr als ein Vierteljahr bandelt, andernfalls
bleibt es außer Ansatz. Das Buhegeld ist von der letzten Aua teilungsgemeinde
zu gewähren. Falls die Berufsunfähigkeit die Folge einer Krankheit oder Be¬
schädigung ist, die sich die Bezirkshebamme bei Ausübung oder Veranlassung
Medizinalgesetzgebung.
46
der Ausübung ihres Bernfs ohne eigenes Verschulden zugezogen hat, so tritt
der Anspruch auf Buhegeld bereits vor Ablauf von 10 Jahren ein. Als Bube¬
geld ist in diesem Falle mindestens der gleiche Betrag zu gewähren, wie er der
Hebamme nach 10 Dienstjahren zugestanden hätte.
Hebammen, denen auf Grund der Vorschrift im § 68 der Gewerbeord¬
nung die Befugnis zur Ausübung des Gewerbetriebes entzogen ist, oder welche
zur Vermeidung dieses Verfahrens nach der Gewerbeordnung auf ihr Prüfung»-
Zeugnis verzichten, verlieren den Anspruch auf Buhegeld, wenn ein eigenes
Verschulden Anlaß zu dem Verfahren oder dem Verzicht gegeben hat.
Eine Kündigung des Dienstverhältnisses von seiten der Anstellungs-
gemeinde ist nach Ablauf von 2 Jahren nur beim Vorliegen eines wichtigen
Grundes zulässig. Als ein wichtiger Grund ist das Entstehen eines Buhegeld¬
anspruchs der Hebamme nicht anzusehen, ebensowenig der Umstand, daß die
Zahl der angestellten Hebammen größer ist, als durch § 1 dieses Gesetzes ge¬
fordert wird.
Durch den Anstellungsvertrag darf die Hebamme nicht zu Neben¬
leistungen verpflichtet werden, die geeignet sind, die Gebrauchsfähigkeit ihrer
Hände im Hebammenberuf zu beeinträchtigen oder durch Uebertragung an¬
steckender Stoffe eine Gefährdung der Gesundheit von Schwangeren, Gebärenden,
Wöchnerinnen und Neugeborenen herbeizuführen.
Eine Abschrift des Anstellungsvertrages ist dem für die Anstellungs¬
gemeinde zuständigen Kreisarzt und dem Amtsausschuß einzureichen.
§ 8. Der Hebammenberuf darf im Freistaate Mecklenburg-Schwerin nur
von solchen Personen ausgeübt werden, die die Hebammenprüfung vor der von
dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten einzusetzenden Prüfungsbehörde
bestanden haben oder von der Ablegung der Prüfung durch dieses Ministerium
auf Grund einer in einem anderen deutschen Laude bestandenen Prüfung be¬
freit sind.
Den in einem deutschen Lande wohnhaften und dort zur Ausübung des
Hebammenberufes berechtigten Hebammen soll es gestattet sein, ihre Berufs¬
tätigkeit auf das hiesige Land zu erstrecken. Sie sind in diesem Falle allen
für die Hebammen des Freistaates Mecklenburg-Schwerin geltenden Verord¬
nungen und Verwaltung»Vorschriften unterworfen. Von den Vorschriften dieser
Verordnung finden auf sie jedoch diejenigen in §§ 4, 6 keine Anwendung.
Verletzt eine der im Absatz 2 bezeichneten Hebammen die dort er¬
wähnten Verpflichtungen, so kann ihr von dem Ministerium für Medizinal¬
angelegenheiten die Befugnis zur ferneren Ausübung ihrer Berufstätigkeit im
hiesigen Lande entzogen werden.
§ 4. Die Hebammen sind verpflichtet, sich in zweijährigen Zwischen¬
räumen einer Nachprüfung durch den Kreisarzt zu unterziehen. Bei ungenügendem
Ausfall ist die Prüfung nach einer vom Kreisarzt zu bestimmenden Frist zu
wiederholen. Wenn die Hebamme auch in dieser wiederholten Prüfung keine
genügenden Kenntnisse nachweisen kann, so ist sie verpflichtet, auf Verfügung
des Kreisarztes an dem nächsten Fortbildnngslehrgang teilzunehmen, falls es
nicht geboten erscheint, das Verfahren aus § 15 dieser Verordnung cinzuleiten.
Hebammen, die zum Zwecke der Teilnahme an diesen regelmäßigen Nach¬
prüfungen eine B«-ise von mehr als 2 Kilometer von ihrem Wohnort zum Ort
der Prüfung zurücklegen müssen, werden die Kosten der Beise und ein Zehrungs¬
geld nach näherer Bestimmung des Ministeriums für Medizinalangelegenheiten
gezahlt (vergl. § 20).
§ 5. Die Hebammen sind ferner verpflichtet, mindestens alle zehn Jahre,
vom Tage der bestandenen Prüfung an gerechnet, an einem Fortbildungs¬
lehrgang in der Hebammenlehranstalt in Bostock teilzunehmen. Den außerhalb
der Stadt Bostock wohnenden Hebammen werden die Kosten der Beise und ein
Zehrungsgeld nach näherer Bestimmung des Ministeriums für Medizinalangelegen¬
heiten gezahlt (vergl. § 20). Die Teilnehmerinnen an dem regelmäßigen Fort¬
bildungslehrgang erhalten während der Dauer des Lehrganges freies Unter¬
kommen und freien Unterhalt in der Universitäts-Frauenklinik.
§ 6. Die Hebammen haben sich vor dem Beginn ihrer Berufstätigkeit
bei dem für ihren Wohnort zuständigen Kreisarzt zu melden und ihr Prüfungs¬
zeugnis, gegebenenfalls den Bescheid für die Befreiung von der Prüfung vor-
zulegen. Vor dem Kreisarzt haben sie nachstehenden Eid körperlich abzuleisten:
46
Medizinalgesetzgebung
„Ich, N. N. gelobe und schwöre, daß ich die Vorschriften, welche wegen
der Ausübung des Hebammenberufes erlassen sind oder künftig erlassen werden,
stets mit Treue, Pünktlichkeit und Eifer befolgen und überhaupt alles das¬
jenige beachten und leisten will, was einer gewissenhaften Hebamme zu tun
gebührt.“
Außerdem haben sie sich bei dem zuständigen Hebammenaufsichtsarzt
vor dem Beginn ihrer Berufstätigkeit persönlich zu melden. Dem Kreisarzt
und dem Hebammenaufsichtsarzt sind bei dieser Meldung vorzulegen:
a) das Prüfungszeugnis, gegebenenfalls der Bescheid über die Entfreiung der
Prüfung,
b) das vorgeschriebene Hebammenlehrbucb,
c) die vorgeschriebenen Instrumente, Geräte, Arzneien und Verbandsmittel,
d) von den Bezirkshebammen der Anstellungsvertrag.
Beim Wechsel des Wohnortes haben-die Hebammen dem Kreisarzt bezw.
dem für den neuen Wohnort zuständigen Aufsichtsarzt entsprechende Meldungen
zu erstatten, dem Hebammenaufsichtsarzt auch das von ihnen bisher geführte
Tagebuch vorzulegen.
Stellt eine Hebamme ihre Berufsausübung ein, so hat sie auch hiervon
dem Kreisarzt und dem Hebamm^naufsichtsarzt Meldung zu machen und vor
dem Wiederbeginn der Berufsausübung die im Absatz 1 und 2 vorgeschriebenen
Meldungen zu erstatten.
§ 7. Hatte eine Hebamme ihren Beruf länger als 2 Jahre eingestellt,
so muß sie sich vor der Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit einer Nach¬
prüfung durch den Kreisarzt unterziehen und bei ungenügendem Ausfall dieser
Nachprüfung an einem Fortbildungslehrgang in der Hebammenlehranstalt in
Bestock teilnehmen. Bei genügendem Ausfall der Nachprüfung oder nach er¬
folgter Teilnahme an diesem Fortbildungslehrgang hat der Kreisarzt ihr die
Wiederaufnahme der Berufsausübung zu gestatten.
§ 8. Die Bezirkshebammen sind verpflichtet, innerhalb des ihnen an¬
gewiesenen Dienstkreises allen, für welche ihr Beistand gefordert wird, bei
Tag und bei Nacht willig zu Diensten zu sein, sofern sie ohne eigene Gefahr
una ohne Verletzung ihrer Berufspflicht dazu in der Lage sind.
In der gleichen Weise sind die nicht angestellten Hebammen zur Hilfe¬
leistung im Umkreis von acht Kilometern um ihren Wohnsitz verpflichtet.
Die Bezirkshebammen sind verpflichtet, an Säuglingspflege und Mutter¬
schutz der Wohlfahrtsämter gegen eine von den Aemtern zu leistende Ver¬
gütung teilzunehmen.
Die Hebammen haben für ihre Hilfeleistung Anspruch auf Zahlung der
taxmäßigen Gebühren.
§ 9. Bei Ausübung ihres Berufes haben die Hebammen die Vorschriften
der für die von dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten zu erlassenden
Dienstanweisung zu beachten, insbesondere die Grenzen innezuhalten, welche
ihrer Tätigkeit durch die Dienstanweisung gesteckt sind,
§ 10. Hebammen dürfen eine Schwangere in ihrer Wohnung zur Ent¬
bindung nur aufnehmen, wenn der Kreisarzt ihnen dies gestattet hat, es sei
denn, daß sie im Besitze der gewerbepolizeilichen Genehmigung zum Betriebe
einer Privatentbindungsanstalt nach § 80 Absatz 1 der Gewerbeordnung —
Rbl. 1900, Seite 871 — sind.
§ 11. Die Hebammen unterliegen der Beaufsichtigung durch die Kreis¬
ärzte und die Hebammenaufsichtsärzte, auf deren Verlangen sie sich bei ihnen
einzuflnden und denen sie in Beziehung auf ihren Beruf Auskunft zu geben
haben. Auch haben sie sich diesen Aufsichtspersonen gegenüber über den Be¬
sitz der vorgeschriebenen Instrumente, Geräte, Arzneimittel und Verbandsstoffe
sowie des Hebammenlehrbuchs und der Hebammenordnung nebst Ausführungs-
anweisung und Dienstanweisung jederzeit auszuweisen.
§ 12. Die Hebammenaufsichtsärzte werden durch das Ministerium für
Medizinalangelegenheiten für je einen Hebammeu-Aufsichtsbezirk auf Widerruf
und mit Vorbehalt einer etwaigen Aenderung des Bezirks bestellt.
Die Aufsichtsbezirke werden durch das Ministerium für Medizinalangelegen¬
heiten gebildet.
§ 13. Die Aerzte, die im Freistaat Mecklenburg-Schwerin ihren Beruf
ausüben, sind verpflichtet, die zu ihrer Kenntnis kommenden Dienstverfehlungen
Medizinalgesetzgebung.
47
der Hebammen dem zuständigen Kreisarzt mitzuteilen und die nach der Dienst¬
anweisung erforderlichen Kontrolleintragungen in die Tagebücher der Hebammen
zu bewirken.
§ 14. Unter den Voraussetzungen des § 53 der Gewerbeordnung kann
den Hebammen durch die zuständige Bt-hörde die Befugnis zur Ausübung ihres
Berufes unter Zurücknahme des Prüfungszeugnisses entzogen werden. Falls
das Verfahren lediglich aus dem Grunde eingeleitet ist, weil die Hebamme nicht
mt*hr diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die für ihren Beruf un¬
entbehrlich sind, so kann die Behörde der Hebamme die Ansübung ihres Be¬
rufes bis auf weiteres untersagen und ihr frei lassen, nach Teilnahme an einem
erneuten Onterrichtskursus oder einem Fortbildungskursus in der Hebammen-
Lehranstalt in Bostock durch eine Prüfung vor der Prüfungsbehörde nachzu-
weisen, daß sie sich die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten wieder an¬
geeignet habe.
§ 15. Bezirkshebammen, denen die Befugnis zur Ausübung ihres Berufes
für immer oder auf Zeit entzogen ist, sind von den Anstellungsgemeinden so¬
fort zu entlassen.
§ 16. Hebammen, die den in den §§ 6, 8, 10 enthaltenen Bestimmungen
zuwiderhandeln, sich grober Verstöße gegen die Vorschriften der Dienstanweisung
schuldig machen oder es unterlassen, den auf Grund des § 12 von den Kreis¬
ärzten oder Aufsichtsärzten an sie gerichteten Aufforderungen zu entsprechen,
werden mit Geldstrafe bis zu 100 M. oder mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft.
Außerdem kann auf Einziehung der im Besitze der Hebamme befindlichen oder
ihr gehörenden, zur Begehung der strafbaren Handlung gebrauchten oder be¬
stimmten Gegenstände erkannt werden.
§ 17. Hebammen, die den ihnen obliegenden Berufspflichten dergestalt
zuwiderhandeln, daß hieraus Geiahr für Leben und Gesundheit von Wöchnerinnen
oder deren Kinder entstehen kann, werden, sofern nicht eine Strafbestimmung
des Strafgesetzbuches oder anderer Reichsgesetze verletzt ist, mit Geldstrafe
bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft.
§ 18. Die durch die beiden vorhergehenden Paragraphen angedrohten
Strafen können durch polizeiliche Strafverfügung festgesetzt werden.
§ 19. Zur Erfüllung der in dem § 12 festgestellten Pflichten sind die
Hebammen nötigenfalls in den selbständigen Stadtbezirken durch den Rat, im
übrigen durch den Amtshauptmann (§ 44 der Amtsordnung) anzuhaltön.
Zu diesem Zweck sind auf Antrag des zuständigen Kreisarztes bezw. Auf¬
sichtsarztes Geldstrafen anzudrohen und festzusetzen.
Die Androhung geschieht schriftlich und muß zugleich die Dauer der
Haft bestimmen, weiche für den Fall des Unvermögens an die Stelle der Geld¬
strafe treten soll. Die Geldstrafe darf 100 Mark nicht übersteigen. Der Höchst-
betrag der Haft ist 10 Tage.
§ 20. Aus der Hauptstaatskasse werden bestritten.
a) die Kosten, die durch den Druck und die Verteilung der Vordrucke zu
den von den Hebammen nach ihrer Dienstanweisung zu führenden Tage¬
büchern sowie des ihnen unentgeltlich zu verabfolgenden Hebammengesetzes
nebst Dienstanweisung entstehen,
b) die nach der Vorschrift in §§ 4 und 5 den Hebammen zu zahlenden Reise¬
kosten und Zehrungsgelder.
§ 21. Alle die Personen, die gegenwärtig zur Ausübung des Hebammen¬
berufes im Freistaat Mecklenburg-Schwerin berechtigt sind, bleiben auch ferner
dazu befugt, unterliegen im übrigen jedoch den Vorschriften dieses Gesetzes.
§ 22. An den Nachprüfungen und Fortbildungslehrgängen haben die
Hebammen, die die Hebammenprüfung vor mehr als 2 bezw. 10 Jahren be¬
standen haben, erstmalig nach Bestimmung der Kreisärzte teilzunehmen.
§ 23. Den Hebammen, die bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes nach
der Vorschrift in § 1 der Verordnung vom 9. April 1885 von einer Obrigkeit
oder Gemeinde angestellt oder vertraglich verpflichtet waren und nunmehr nach
§ 1 des gegenwärtigen Gesetzes von einer Gemeinde angestellt werden, ist die
bisherige Dienstzeit in Anrechnung zu bringen, insoweit es sich nm die Be¬
gründung ihres Anspruches auf Ruhegeld handelt.
g 24. Den auf Grund der Verordnung vom 9. April 1885 angeetellten
oder verpflichteten Hebammen, welche beim Inkrafttreten dieses Gesetzes be-
48
Kedizinalgseetxgebong.
reit» aas dieser Stellung ansgeschieden sind, kann unter den Voraussetzungen
und in dem Umfange der £§ 2 nnd 24 auf Antrag ein Ruhegeld gewährt
werden, wenn sie erwerbsunfähig sind und in dürftigen Verhältnissen leben.
Das Ruhegehalt wird von der Gemeinde gewährt, zu welcher der Bezirk gehört
hat, in dem die Hebamme angestellt oder verpflichtet war. In diesem Falle
soll das Ruhegeld nach dem in § 2 festgesetzten Mindesteinkommen zuzüglich
der 3000 Mark berechnet werden. Ueber den Antrag entscheidet die Gemeinde.
Im Falle der Ablehnung stehen den Hebammen die im § 2 genannten Rechts¬
mittel zu.
Steht hiernach einer Hebamme ein Rnhegeldansprnch gegen mehrere
Gemeinden zu, so ist jede dieser Gemeinden nur zur Gewährung eines Ruhe*
geldanteils verpflichtet. Dieser Anteil wird von dem für den letzten dienst¬
lichen Wohnort der Hebamme zuständigen Amtsausschuß endgültig festgesetzt
unter Zugrundelegung der nach der letzten allgemeinen Volkszählung er¬
mittelten Einwohnerzahl der Bezirke, für die die Hebamme verpflichtet oder
angestellt war.
§ 26. Das Ministerium für Medizinalangelegenheiten erläßt die zur Aus¬
führung dieses Gesetzes erforderlichen Anweisungen, in denen auch die An¬
hörung der von dem Ministerium für Medizinalaneelegenheiten anerkannten Be¬
rufsvertretung der Hebammen geregelt wird. Es bestimmt insbesondere die
Voraussetzungen für die Zulassung zur Hebammenprüfung und erläßt die
Prüfungsvorschriften.
f 27. Gegen die Entscheidungen nnd Verfügungen der Kreisärzte auf
Grand dieses Gesetzes ist die Beschwerde an das Ministerium für Medizinal¬
angelegenheiten zulässig.
§ 28. Die Verordnungen vom 9. April 1885, 3. Februar 1886, 30. Januar
1911, betreffend das Hebammenwesen — Rbl. 1886, Nr. 14, 1886, Nr. 6, 1911,
Nr. 4 —, werden aufgeboten. _
P. Lippe.
Aufhebung der Verordnung betr. Bekämpfung der Grippe. Verord¬
nung des Landesamts für Volkswohlfahrt vom 22.Febr 1922.
Nachdem die Grippe in Lippe nahezu erloschen ist, wird die Verordnung
vom 30. Dezember 1921, betreffend Bekämpfung der Grippe') aufgehoben.
C. Braunschwelg.
Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen. Bekanntmachung
des Staatsministeriums vom 12. Januar 1922.
Die Vorschriften sind wie in anderen Ländern auf Grand des Be¬
schlusses des Bundesrats vom 22. März 1906') erlassen und schließen
sich ebenso wie der „Plan für die Ausbildung in der Krankenpflege" und die
„Ausführnngsanweisung zu den Vorschriften über die staatliche Prüfung von
Krankenpflegepersonen“ eng an die für Preußen in der neuen Fassung berans-
gegebenen Vorschriften*) an; es wird wie auch in Preußen eine zweijährige
Ausbildungszeit verlangt. ______
H. Hamburg.
Staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen. Bekanntmachung
des Senats betr. Aenderung der Vorschriften vom 26. Angust
1921 über die staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen in
den hambnrgischcnStaatskrankenanstalten vom 28. Dez. 1921.
Dem § 20 der genannten Vorschriften wird als Abs. 2 binzugefügt:
„Personen, welche in Hambnrg die staatliche Anerkennung als Kranken¬
pfleger erhalten haben und in den Irrenpflegedienst übertreten wollen, können
aie staatliche Anerkennung nach Muster B erhalten, wenn sie eine halbjährige
praktische Tätigkeit in der Irrenpflege nach weisen.“
*) 8. diese Zeitschrift, Beilage 1922, Nr. 6, S. 36.
*) 8. ebendaselbst 1906, 8. 61 ff. *) 8. ebendaselbst 1921, 8.107 ff.
Y er antwortlich für die Bchrlftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihr lg, Reg.» o. Med. -Rat in BreaUn,
Bmlta Y, BehdigcrrtraAe 84* Druck von J. C. 0* Bruns, Minden L W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 10. 20. Mai. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Preußen.
Atlas Ober die Hygiene des Säuglings- nnd Kleinbinde». Rund-
Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 6. März 1922
— I M IV 414 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Unter Bezugnahme auf den Runderlaß vom 9. Februar 1917 — M. 3650 —
mache ich darauf aufmerksam, daß der im Verlage von Julius Springer in
Berlin erschienene Atlas über die Hygiene des Säuglings und Kleinkindes in
einer Neuauflage von 1500 Stücken herausgegeben worden ist. Mit der Her¬
stellung der 2. Auflage konnte noch vor Einsetzen der größten Teuerung be¬
gonnen werden, so daß die Herstellungskosten für das Stück auf 680 Mark
beschränkt werden konnten. Durch Beiträge von Spendern ist das 0 r g a n i -
sationsamtfür Säuglingsschutz desKaiserin Auguste Victoria-
Hauses in Berlin-Charlottenburg, Mollwitz-Privatstraße, weiter in
die Lage versetzt, 200 Exemplare für nur 450 M. abzugeben. Das Hans hält
sich allerdings nur bis zum 15. März d. J. an dieses Angebot gebunden. In
beschränktem Umfange können die über die Zahl von 200 angeforderten Stücke
noch zum Herstellungspreise von 680 M. von dem Hause abgegeben werden,
da mit dem Verlage die Abmachung getroffen worden ist, vor Uebergabc des
Werkes an den Buchhandel den Trägern der Säuglingsschutz-Organisationen
diesen Atlas zu dem Vorzugspreise von 680 M. zu überlassen. Der Buch¬
handelspreis beträgt für den Atlas 960 M. Eine Neuauflage ist wegen der
ungleich höheren Kosten voraussichtlich kaum zu erwarten.
Indem ich auf die Vorzüge des Werkes nochmals hinweise, gebe ich
anheim, etwaige Bestellungen unverzüglich an das Kaiserin Auguste Victoria-
Hans, Berlin-Charlottenburg 5, Mollwitz-Privatstraße, zu richten.
£ Speiseeigelb. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt
jnnd des Ministers für Handel und Gewerbe vom 9. März 1922
— IM. II. 620, II b 1514 M. f. H. u. G. — an die Herren Regierungspräsidenten.
Da in neuerer Zeit wieder flüssiges Eigelb (Speiseeigelb) zur Einfuhr
nnd in den Verkehr gelangt, das mit Borsäure haltbar gemacht ist, war die
Frage zu prüfen, ob und g. F. welche Maßnahmen hiergegen unter Berücksichti¬
gung der gegenwärtigen Verhältnisse zu ergreifen sind.
Es ist nicht zu verkennen, daß insbesondere im Hinblick auf die großeu
Ernährungsschwierigkeiten schon seit mehreren Jahren im Verkehr mit gewissen
borsäurehaltigen Lebensmitteln wiederholt Erleichterungen gewährt worden sind.
In Uebereinstimmung mit dem Reichsgesundheitsamt kann zurzeit vom gesund¬
heitlichen Standpunkt aus kein ernsthaftes Bedenken dagegen geltend gemacht
werden, daß borsäurehaltige Eikonserven (Eigelb nnd Vollei) weiterhin verkauft
und verwendet werden dürfen, wenn sie lediglich Feinbäckereien und Eierteig¬
warenbetrieben zugestellt werden, nicht in den allgemeinen Verkehr gelangen
und weder in Apotheken, noch bei der Herstellung diätetischer Präparate Ver¬
wendung Anden. Die Eikonserven dürfen allerdings nicht mehr als 1,5% Bor¬
säure enthalten, zumal eine derartige Konzentration sich bei den im Reichs¬
gesundheitsamt ausgeführten Versuchen als ausreichend erwiesen hat, Eigelb
sogar bei Temperaturen von 37® zu konservieren. Feiugebäcke und Eiornudeln
f ehören weder jetzt noch voraussichtlich für geraume Zeit zu den Lebensmitteln,
ie tätlich genossen werden. Der Preis der frischen Eier ist zurzeit so hoch,
daß die Notlage die Verwendung des borsäurehaltigen Eigelbs in dem angc-
50
Medizinalgesetzgebung.
gebenen Umfange bis auf weiteres gerechtfertigt erscheinen läßt. Weiter
glauben wir annehmen zu dürfen, daß der Handel mit borsäurehaltigen Ei¬
konserven von der ihm gewährten Erleichterung nur in der oben angegebenen
Weise hinsichtlich des Absatzes Gebrauch machen und dafür Sorge tragen wird,
daß eine genaue Buchführung über Bezug und Abgabe der borsäurehaltigen
Eikonserven Aufschluß gibt. Wir ersuchen ergebenst, den mit der üeber-
wachung des Verkehrs mit Lebensmitteln betrauten Behörden und Sachver¬
ständigen, insbesondere den öffentlichen Nahrungsmittel-Untersuchungsanstalten
hiervon Kenntnis zu geben und sie zu veranlassen, bis auf weiteres von Bean¬
standungen von Erzeugnissen der Feinbäckerei und der Eierteigwarenfabriken
abzusehen, sofern diese Erzeugnisse borsäurehaltiges Eigelb enthalten, zumal
in derartigen Fällen schon im Hinblick auf den Preis der Eikonserven der
Borsäuregehalt nicht erheblich sein wird.
Zum Margarinegesetz. Bunderlaß des Ministers für Volks¬
wohlfahrt, der Minister für Landwirtschaft pp. und fürHandel
und Gewerbe vom 16. März 1922 — I M. H, 581, I A. III. 1, 4392 M.
f. L. D. u. F., II b. 1800 M. f. H. u. G. — an die Herren Regierungspräsidenten.
Aus verschiedenen Anfragen geht hervor, daß vielfach Zweifel über die
Tragweite der Ziffer 9 der zu dem Margarinegesetz erlassenen Ausführungs¬
bestimmungen vom 4. Juli 1897 (Reichs-Gesetzblatt S. 591) und vom 23. Ok¬
tober 1912 (Beichs-Gesetzblatt S. 526) bestehen.
Hierzu ist folgendes zu bemerken:
Absatz 1 der Ziffer 9 bezieht sich ganz allgemein auf den Einzelverkauf
von Margarine, Margarinckäse und Kunstspeisefett, einerlei, ob die Ware in
Würfelform feilgehaltcn oder lose aus den Gebinden herausgestochen wird. Die
Durchführung dieser Vorschrift stieß beim Verkauf der kleinen Margarinewürfel
von 0,25 und 0,5 kg auf praktische Schwierigkeiten, denen der durch die Be¬
kanntmachung vom 23. Okt. 1912 (Beichsgesetzblatt S. 526) neu aufgenommene
Absatz 2 Rechnung tragen sollte, soweit die vor dem Kriege allgemein übliche
Verpackung in Faltschachteln aus Pappe oder in anderen Umhüllungen aus
festem Stoff in Betracht kommt.
Auch diese Begelung scheint den Bedürfnissen des Handels nicht mehr
zu genügen, seitdem die Margarinewürfel * allgemein nicht mehr in festen
Packungen verkauft, sondern in einer Papierhülle abgegeben werden.
Eine abermalige Aenderung der Ausführungsbestimmungen wird hiernach
wohl nicht zu umgehen, aber zweckmäßigerweise bis zu der in absehbarer Zeit
zu erwartenden Bevision des Margarinegesetzes zurückzustellen sein.
Vorbehaltlich dieser endgültigen Begelung scheint es uns unbedenklich,
schon jetzt die bestehenden Vorschriften mit einer den Bedürfnissen des prak¬
tischen Lebens angemessenen Nachsicht zu handhaben, indem die in Absatz 2
der Ziffer 9 für den Verkauf der Margarinewürfel in Packungen aus festem
Stoff gegebenen Sondervorschriften sinngemäß auch auf die Verwendung von
Umhüllungen aus Pergamentpapier oder dergleichen angewendet werden. Solche
Umhüllungen dürften auch dann nicht zu beanstanden sein, wenn sie die In¬
schrift „Margarine“ pp. nur auf einer beliebigen Seite tragen, sofern nur die
Verpackung im übrigen den nach Ziffer 9 Abs. 2 zu stellenden Anforderungen
genügt
Wir ersuchen ergebenst, die für die Ueberwachung des Lebensapittel-
verkehrs zuständigen Polizeibehörden und deren Sachverständige, insbesondere
die öffentlichen Nahrungsmittol-Untersuchungsanstalten und die Auslandsfleisch-
beschaustellen, anzuweisen, entsprechend zu verfahren.
Mitteilung negativer bakteriologischer Untersuchnngsergebnisse
seitens der Medizinaluntersuchungsanstalten an die Kreismedizinalräte.
Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 30. März
1922 — I M. III. 2039/21 an die Herren Begierungspräsidenten.
Die auf Grund meines Erlasses vom 15. Dezember 1919 — M. 13 767 —
erstatteten Berichte lassen erkennen, daß die Mitteilungen negativer bakterio¬
logischer Untersnchungsergebnisse seitens der Medizinaluntersuchungsanstalten
an die Kreismedizinalräte nur bei Typhus, Paratyphus und Ruhr praktischen
Wert haben, während sie bei Diphtherie und Tuberkulose eine übergroße Be-
Medizinalgesetzgebung.
51
lastung der Untennchangsämter mit Schreibarbeit ohne besonderen Wert be¬
deuten.
■ Ich ordne daher an, daß in Zukunft von sämtlichen Medizinalunter¬
suchungsämtern nur die negativen bakteriologischen Untersucbungsergebnisse
bei Typhus, Paratyphus und Ruhr den Kreismedizinalräten mitzuteilen sind.
Die in einzelnen Fallen etwa wünschenswerte weitere Mitteilung negativer
Untersuchungsergebnisse stelle ich dem freien Ermessen der Untersuchungs¬
amtleiter anheim.
Kosten für die von den Krelsmedizin&lräten zu führenden Krüppel-
Stimmlisten und Nachweisungen der Krüppel. Rund-ErlaßdesMinisters
fürVolkswohlfahrtvom25. März 1922 — III. E. Nr. 724/1M. — an die
Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten.
Es ist bei mir angefragt worden, wer die Kosten für die von den Kreis¬
medizinalräten nach Abschnitt VI E. 5 c. und e. der Ausführungsanweisungen
zum Krüppelfürsorgegesetz zu führenden „Krüppelstammliste“ und „Nach¬
weisung“ zu tragen habe. Ich bemerke hierzu, daß es sich bei Aufstellung der
Krüppelstammliste und der Nachweisnng nicht so sehr um Maßnahmen zur Er¬
fassung der Krüppel und damit zur Vorbereitung für das Einsetzen der kom¬
munalen Krüppelfürsorgetätigkeit, sondern vielmehr um staatliche Maßnahmen
handelt, die sowohl statistischen Zwecken wie der Ausübung staatlicher Auf¬
sicht dienen. Aus VI E. i. Abs. 2 der Ausführungsanweisung zum Krüppel¬
fürsorgegesetz geht auch einwandfrei hervor, daß die Führung der Krüppel¬
stammliste und der Nachweisnng eine staatsamtliche Tätigkeit des Kreis¬
medizinalrats ist. Er kann hierfür also weder Gebühren noch Erstattung
etwaiger Unkosten beanspruchen. Diese sind aus der Amtskostenentschädigung
zu bestreiten.
Lehrfilme. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt
vom 25. Februar 1922 — I. M. I. 260. II Ang. — an die Herren Ober¬
präsidenten.
Die Kulturabteilang der Universum-Film-Aktiengesellschaft Berlin,
Köthener Straße 43, hat eine Denkschrift über die Lage der Lehrfilm-Industrie
vorgelegt, aus der hervorgeht, daß die Fortführung der Lehrfilmproduktion
finanziell nur dann weiter möglich ist, wenn ihr eine nachhaltigere Unter¬
stützung als bisher seitens der Behörden und Organisationen zuteil wird, die
an der gesundheitlichen und sozialhygienischen Volksbelehrung und Aufklärung
arbeiten. Ich ersuche ergebenst, alle beteiligten Stellen, insbesondere die
Provinzial-, Kreis- und Ortsausschüsse für hygienische Volksbelehrung sowie
die Kreismedizinalräte nochmals auf die Wichtigkeit der Lehrfilm Vorführungen
für. ihre Bestrebungen hinzuweisen. Bei den Verhandlungen mit den Lehr¬
filmfirmen — sei es, daß Filme zu Vorführungen benötigt werden, die von den
örtlichen Stellen veranlaßt werden, sei es, daß die betreffende Firma für die
von ihr in Aassicht genommenen Veranstaltungen Verbindung mit den örtlichen
Organisationen sucht — darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß diese Firmen
genötigt sind, die Selbstkosten, die bei den heutigen Verhältnissen nicht gering
sind, wieder einzubringen. Es würde für die Aufklärungsarbeit einen bedauer¬
lichen Rückschritt bedeuten, wenn die Prodnktion von Lehr- und Aufklärungs¬
filmen einen Rückgang erleiden würde.
Ergänzungen zu den Vorschriften über die staatliche Prüfung von
Wohlfahrtspflegerlnnen. Rund-Erlaß des Ministers für Volks¬
wohlfahrt vom 15. März 1922 — III G. 458/22/1 — an die Herren Re¬
gierungspräsidenten.
In Ergänzung und Erläuterung der Vorschriften vom 22. Oktober 1920
über die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen bestimme ich hiermit
folgendes:
1. Schülerinnen von staatllich anerkannten Wohlfahrtsschalen, die eine fach¬
liche Berufsschuiung für das Hauptfach „Jugendwohlfahrtspflege“ oder
„Allgemeine und wirtschaftliche Wohlfahrtspflege“ beim Eintritt in die
Schule nachgewiesen haben, bei denen aber im ersten Jahre des vorschrifts¬
mäßigen Lehrganges durch die Schulleitung festgestellt worden ist, daß
Med izinalgesetzgebung.
f,2
sie fC*r die Gesundheitsfürsorge besonders geeignet sind, kann ms-
n & h rii a w e i s e g stauet werden, sich die für das Hauptfach „Gesundbeita-
f n .r-orge* notwendige pflegerische Vorbildung nach Ablauf des ersten
in besonders gearteten Einzelfällen und vor Eintritt in das
zw* jr.v;La!j&Lr anzueigcen. Entsprechende Anträge sind mir von dem
z-H-ändigea k-gieracgsprü^identen mit einer gutachtlichen Aeußerung des
betr- Henden Prüfungsau—chusses zur Entscheidung vorzulegen,
2. .Schülerinnen von staatlich anerkannten Woblfahrtsschulen, die eine fach¬
liche JPrruf-sckulung für das Hauptfach .Jugendwohlfahrtspflege* 1 beim
Eintritt in die Schule nach gewiesen haben, kann ausnahmsweise die Ab¬
legung d^r staatlichen Prüfung für das Hauptfach ^Allgemeine und wirt-
fliehe V/ohlfahrL-fipege 4 * und solchen Schülerinnen, die eine fachliche
B rruf-^.-bulung für da-; Hauptfach „Allgemeine wirtschaftliche Wohlfahrts¬
pflege* h* sitzen, die Ablegung der staatlichen Prüfung für das Haupt¬
lach „JugendWohlfahrtspflege* gestattet werden, falls von der Leitung der
Schule nachgewiesen wird, daß eich die Schülerinnen während des zwei*
j-ihrigen zusammenhängenden Lehrjahres in der praktischen Arbeit des
gewühlten Hauptfaches besonders bewährt haben und ihnen auch die be-
:;or> lere theoretische Schulung dieses Hauptfaches vermittelt wurde,
Hie staatliche Anerkennung als Wohlfahrtspflegerin kann diesen
Schülerinnen erst nach zweijähriger praktischer Bewährung in dem be¬
treuenden Hauptfache erteilt werden.
Aiisnahmefälle dieser Art sind mir von dem zuständigen Regierungs-
pra.-:iu**nien nach Anhörung des Prüfungsausschusses und des Provinzial-
schulkollegiums zur Entscheidung vorzulegen.
3. Als vierjährige erfolgreiche Berufstätigkeit im Sinne des § 4 Ziff. 5c. HI
<i<*r Vorschriften vom 22. Oktober 1920 über die staatliche Prüfung von
Wohlfahrtspflegerinnen wird auch die berufsmäßig ausgeübte Arbeit im
elterlichen Haushalt anerkannt, falls die betreffenden Schülerinnen vor
dem Eintritt in die Wohlfahrtsschule die praktische Prüfang &n einer an¬
erkannten Haushaltungsschule abgelegt haben.
Niclilpliarinnzeutisches Hilfspersonal in Apotheken« Bund-Erlaß
den Ministers für Volkswohlfahrt vom 23. Februar 1922
• I M II 410 — an den Herrn Regierungspräsidenten in Liegnitz.
Gegen die Heranziehung von nichtpharmazeutischem Hilfspersonal zu
gröberen, Fachkonntnisse nicht erfordernden Hilfsleistungen im Apotheken-
!m‘ 1 riebe bestehen keine Bedenken, wenn die Beschäftigung unter Aufsicht und
u l{einiger Verantwortung des pharmazeutischen Apothekenpersonals geschieht.
Ebensowenig habe ich Einwendungen gegen die Beschäftigung derartigen Per¬
sonals mit den durch den Apothekenbetrieb bedingten, die Arzneiabgabe nicht
berührende.» kaufmännischen Arbeiten zu erheben. Nach der Rechtsprechung
kann es zw-ißdhaft sein, ob derartiges Personal auch beim Handverkauf, so
weit sich dieser auf dem freien Verkehr überlassene Gegenstände erstreckt, in
den Apotheken Verwendung Anden darf. Im vorliegenden Fall handelt es sich
um eine Apotheke, in der neben dem Apothekenvorstande pharmazeutisches
Personal nicht beschäftigt wird. Es ist daher m. E. ausgeschlossen, daß der
I >rogisi, M., der Bruder der Frau des Apothekenbesitzers H., nach dem Um¬
fange des Apothokenbetricbes lediglich durch kaufmännische Arbeiten (Buch¬
führung, Aussclireibe» von Rechnungen und dcrgl.) sowie durch den Verkauf
fruig«‘gi.bener Gegenstände voll beschäftigt werden könnte; vielmehr muß nach
d»T ganzen Sachlage angenommen werden, daß er den Apothekenvorstand
darüber hinaus und zwar bei der Erledigung von solchen Arbeiten, die dem
pharmazeutische» Personal Vorbehalten sind, unterstützt sowie auch mehr oder
weniger vertritt, lrn öffentlichen Interesse bin ich daher nicht in der Lage,
di- Beschäftigung des M. zu dulden. Hinzu kommt, daß der Umsatz der
Apotheke* nicht nur die Einstellung eines Assistenten gestattet, vielmehr ein
derartiger ist, daß er ordnungsmäßig von nur einer pharmazeutischen Kraft,
jcdinfalls dauernd nicht bewältigt werden kann. Weiter ist der Zugang zum
Apoiln kt rbt rufe schon seit einigen Jahren ein so großer, daß geeignetes ph&r-
em/euusclms Personal zu beschaffen ist.
Medizinalgesetzgebung.
68
Hiernach ersnche ich ergebenst, das Erforderliche za veranlassen, indem
ich zugleich bemerke, daß in Aassicht genommen ist, demnächst zar Helfe¬
rinnenfrage erneat Stellung za nehmen and soweit als möglich für das Reichs¬
gebiet einheitliche Grundsätze aufzustellen.
B. Sachsen.
Amtliche NahrnngsmlttelfibeVwachung. Verordnung des Mini¬
steriums des Innern betr. die amtliche Nahrungsmittelüber¬
wachung vom 13. Juni 1921.
Eingehende Verhandlungen mit allen an der Nahrungsmittelüberwachung
beteiligten Stellen haben ergeben, daß die derzeitige Entlohnung derNahrungs-
mittelcbemiker und der die Untersuchung vorzunehmenden staatlichen Anstalten
auch nach den letzten durch die Verordnungen vom 26. April 1918 und vom
18. Februar 1920 bewilligten Erhöhungen in keiner Weise mehr der jetzigen
Teuerung entsprechen.
Die mit der Nahrungsmittelüberwachung verknüpften Unkosten, die Be¬
soldung der Hilfskräfte, Unterhaltung der Laboratorien und der Kanzleien,
Reiseaufwand, Portis usw. sind vielmehr seit 1920 wiederum derart gestiegen,
daß sich eine weitere Erhöhung der jetzigen Gebühren um 100°/o, d.n. von 10
auf 20 Pfg. pro Kopf der Bevölkerung notwendig macht
Das Ministerium des Innern erwartet, daß sich die Gemeinden der Berechtigung
einer solchen Erhöhung nicht verschließen werden im Hinblick darauf, daß die nun¬
mehr an die Nahrungsmittelchemiker und staatlichen Anstalten für die Nahrungs-
mittelüberwachung zu zahlende Entschädigung nur das Vierfache des Friedens¬
satzes beträgt während der den Untersuchungsstellen durch die Nahrungs¬
mitteluntersuchung entstehende Aufwand teilweise um das 10- und 20 fache
gestiegen ist.
Die mit den Nahrungsmittelchemikern und Untersuchungsanstalten ge¬
pflogenen Verhandlungen haben gleichzeitig ergeben, daß auch in anderen
Punkten eine Abänderung der Verordnung vom 3. Mai 1901 nötig ist. Es wird
deshalb die letzgenannte Verordnung aufgehoben und dgreh die aus der An¬
lage ersichtlichen Bestimmungen ersetzt.
Die Kreishauptmannschaften wollen veranlassen, daß die Nahrungs¬
mittelüberwachung in sämtlichen Gemeinden gemäß dieser Verordnung ge¬
regelt wird.
Sollte sich aber eine Gemeinde dessen weigern, so ist strenge Aufsicht
darüber zu führen, daß in ihr jährlich ebenfalls mindestens 15 Untersuchungen
verschiedener Art auf 1000 Köpfe der Bevölkerung von einem anderen geprüften
Nahrungsmittelchemiker ausgeführt werden.
Anlage.
1. Die Tätigkeit der mitwirkenden Nahrungsmittelchemiker hat sich auf
alle Gegenstände, die unter das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 und
die zugehörigen Nebengesetze fallen, zu erstrecken, mit Ausnahme von Wasser.
Bei der Untersuchung und Abgabe des Gutachtens ist im allgemeinen
daran festzuhalten, daß der Nahrungsmittclchemiker die Begutachtung nicht
nur auf Grund des Aussehens und Geschmacks, sonder auf Grund einer
chemischen Untersuchung der Probe vorzunehmen hat. Das abzugebende Gut¬
achten bat sich dabei im allgemeinen auf die chemische Zusammensetzung des
Gegenstandes und die Tatsache zu beschränken, ob er nachgemacht, verfälscht
oder verdorben ist oder nicht, die Frage der Gesundheitsschädlichkeit dagegen
unberücksichtigt zu lassen.
Die Untersuchungen sind soweit durchzuführen, daß für die Zwecke der
Polizeiverwaltung festgestellt wird, ob ein Grund zu vorläufigen Maßregeln
und zur Bestrafung vorliegt.
2. Die Nahrungsmittelchemiker sind verpflichtet, in denjenigen Gemeinden,
die ihnen die Ausübung der Nahrungsmittelüberwachung übertragen, jährlich
mindestens 15 Untersuchungen auf 1000 Köpfe der Bevölkerung auszuführen.
Den Nahrungsmittelchmemikern soll jedoch freigestellt sein, in einzelnen
Gemeinden im Einvernehmen mit den beteiligten Ortsbehörden die nach derBe-
völkerungszahl erforderliche Probenzahl mit Rücksicht auf die Zahl und Be-
54
Medizinalgesetzgebung.
deutung der vorhandenen Verkaufsstellen herabzusetzen and dafür in anderen
benachbarten Gemeinden entsprechend za erhöhen.
' 3. Die Prüfung aller Verkaufsstellen soll tunlichst jährlich mindestens
einmal erfolgen, doch soll nachgelassen sein, kleine unwichtigere Verkaufs*
stellen unter Umständen nur alle 2 Jahre aufzusuchen.
4. Bei der Entnahme der Proben soll besonders darauf geachtet werden,
daß vor allem auch wirklich verdächtige Proben entnommen werden.
Proben in Originalpackungen sind in erster Linie nar am Ursprungsorte
zu untersuchen.
Die Nahrungsmittelchemiker haben ihre Tätigkeit deshalb in enger
Fühlungnahme mit den Polizeibehörden auszuüben. Es ist dringend erwünscht,
daß die Polizeibehörden auch von sich aus die Nahrungsmittelchemiker auf
verdächtige Nahrungsmittel hinweisen und ihnen Proben davon unaufgefordert
einsenden.
Anträgen von Privaten auf Untersuchung verdächtiger Nahrungsmittel
haben die Nahrungsmittelchemiker zu ensprechen, wenn die Untersuchung im
öffentlichen Interesse liegt
5. Die Nahrungsmittelchemiker haben die Proben in der Regel an Ort
und Stelle und persönlich zu entnehmen.
Die Ortspolizeibehörden haben ihnen auf Wunsch einen Polizeibeamten
zur Unterstützung mitzugeben.
In geeigneten Fällen kann die Probeentnahme auch durch Vermittelung
vertrauenswürdiger dritter Personen, insbesondere auch durch Polizeibeamte
erfolgen, die in besonderen Lehrgängen hierzu eigens vorgebildet sind.
6. Bei der Prüfung der Verkaufsstellen durch die Nahrungsmittel¬
chemiker ist zwar die allgemeine hygienische Seite (Reinlichkeit, Ordnung,
geeignete Aufbewahrung der Lebensmittel usw.) nicht außer acht zu lassen;
doch besteht die Hauptaufgabe der Nahrungsmittelchemiker im Untersuchen der
entnommenen Proben.
Geben die Geschäftsräume in gesundheitlicher Beziehung Grund zur Be¬
anstandung, so haben die Nahrungsmittelchemiker dem Bezirksarzt entsprechende
Mitteilung zu machen.
7. Die Nahrungsmittelchemiker sind zur strengen Geheimhaltung aller
ihnen bei Ausübung der Nahrungsmittelüberwachung bekannt werdenden Um¬
stände verpflichtet.
8. Die Gemeinden zahlen für die Untersuchungen der Probe eine Pausch-
gebühr von 20 Pfg. auf den Kopf der Bevölkerung, ohne daß ihnen daneben —
außer den etwa für die Proben zu zahlenden Kaufpreis — andere Vergütungen,
insbesondere für Reiseaufwand der Nahrungsmittelchemiker angesonnen werden
dürfen.
9. Die Beauftragung der Nahrangmittelchemiker mit. der Ausübung der
Nahrungsmittelüberwachung vermittelt in den Landgemeinden und in Städten
mit Städteordnung für mittlere und kleine Städte die zuständige Amtshäupt-
mannschaft, ebenso die Bezahlung.
Letztere erfolgt am Schlüsse jeden Vierteljahres in der Weise, daß die
einzelnen Gemeinden, die den Nahrungsmittelchemikern zu zahlenden Beträge
rechtzeitig an die Amtshauptmannschaft einsenden, die die Gesamtsumme dem
Nahrnngsmittelchemiker auszahlt. Die durch Schriftwechsel und Probenversand
entstehenden Postgeldunkosten hat, wenn die Gemeinde die Absenderin ist,
diese zu tragen ist, anderenfalls der Nahrungsmittelchemiker.
Sind in einem Jahre bereits 15 Untersuchungen auf HXK) Einwohner für
eine Gemeinde vorgenommen worden und macht sich eine weitere Untersuchung
nötig, so ist sie unentgeltlich ausznführen, wenn die Probe dem Nahrangs¬
mittelchemiker von der Gemeinde zugeschickt wird. Wünscht die Gemeinde
dagegen die Probeentnahme an Ort und Stelle durch den Nahrungsmittel¬
chemiker selbst, so bat zwar die eigentliche Untersuchung ebenfalls unentgeltlich
zu erfolgen, der Reiseaufwand des Nahrangsmittelchemikers ist dagegen von
der Gemeinde besonders zu vergüten.
Die Städte mit revidierter Städteordnung bewirken die Beauftragung der
einzelnen Nahrungsmittelchemiker mit der Nahrungsmittelüberwachung inner¬
halb ihres Bezirkes selbständig.
Medizinalgesetzgebung
65
10. Vertreter des Nahrungsmittelchemikers darf nur ein geprüfter
Nahrungsmittelchemiker sein, der entweder selbst ein Laboratorium besitzt oder
bereits mindestens Vs Jahr im Bezirk des ersteren praktisch gearbeitet hat.
Der Vertreter ist der Amtshauptmannschaft oder dem Stadtrat recht«
zeitig namhaft zu machen.
Das Hilfspersonal braucht nicht aus geprüften Nahrungsmittelchemikern
zu bestehen, der Inhaber des Laboratoriums trägt aber die volle Verantwortung
für seine Hilfskräfte.
11. Die Vornahme von Nahrungsmitteluntersuchungen für Privatpersonen
aus dem einem Nahrungsmittelchemiker zugewiesenen Bezirke ist den Nahrungs*
mittelchemikern untersagt. Ausnahmen sind nur von Fall zu Fall mit Ge¬
nehmigung der Amtshauptmannschaft oder des Stadtrates zulässig.
Soweit hiernach solche Privatuntersuchungen gestattet sind, haben sich
die Nahrungsmittelchemiker dabei jeder Bezugnahme auf ihre Tätigkeit als
amtliche Sachverständige zu enthalten.
12. Die Nahrungsmittelchemiker haben folgende Bücher zu führen:
1. ein Eingangstagebuch, in das alle Eingänge unter fortlaufenden Nummern
einzutragen sind;
2. ein Arbeitstagebuch zur Aufnahme einer genauen Beschreibung der Unter¬
suchung ;
3. ein Tagebuch, in das die Gutachten einzutragen sind.
Außerdem kann die Anlegung von besonderen Auszügen für jeden ein¬
zelnen Händler unter entsprechender Geheimhaltung des Inhaltes erfolgen.
18. Die mitwirkenden Nahrungsmittelchemiker haben über ihre Tätigkeit
bis zum 31. März jeden Jahres Jahresberichte bei den Amtshauptmannschaften
einzureichen zur Weitergabe an das Ministerium des Innern. Diese Jahres¬
berichte haben sich auch auf die in den Städten mit revidierter Städteordnung
vorgenommenen Untersuchungen zu erstrecken.
14. Für die Untersuchung sollen die „Vereinbarungen zur einheitlichen
Untersuchung und Beurteilung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie von
Gebrauchsgegenständen für das Deutsche Eeich“ oder die sonstigen einschlägigen
amtlichen Prüfungs Vorschriften maßgebend sein.
15. Die an der amtlichen NahrungsmittelüberwacLung beteiligten privaten
Nahrungsmittelchemiker unterliegen einer fortlaufenden Ueberwachung durch
die Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden, Abteilung für
Nahrungsmittelchemie.
Machen sich infolge Beanstandungen Nachprüfungen erforderlich, so
fallen die hierdurch entstehenden Kosten dem betreffenden Nahrungsmittel¬
chemiker zur Last.
Etwaige auf Grund dieser Ueberwachung als erforderlich bezeichneten Er¬
weiterungen und Ergänzungen der Laboratorien sowie die Abstellung von Mi߬
ständen irgendwelcher Art sind vorzunehmen.
Neuanstellung von Nahrungsmittelchemikern, Neueinrichtung von Labora¬
torien oder sonstige wesentliche Veränderungen sind dem Ministerium des Innern
anzuzeigen.
16. Um eine bessere Fühlungnahme aller an der Nahrungsmittelüber¬
wachung beteiligten Stellen und einen Austausch der gegenseitigen Erfahrungen
zu ermöglichen, wird die Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu
Dresden, Abteilung für Nahrungsmittelchemie als Zentrale für alle die Nahrungs¬
mittelüberwachung betreffenden Fragen bestimmt. Ihr sind alle Untersuchungs¬
ergebnisse unverzüglich und unmittelbar mitzuteilen, soweit sie allgemeineres
Interesse für die an den Untersuchungen beteiligten Stellen bieten, insbesondere
auch alle Beanstandungen von Proben, die in Originalpackungen verkauft werden.
Die Zentrale wird in gleicher Weise auch von sich aus allen Unter-
suchungsstellen entsprechende Mitteilungen zugehen lassen, insbesondere auch
über Beanstandungen von Proben der letztgenannten Art, damit die Doppel-
untenpchungen vermieden werden.
17. Der Zentrale liegt auch die Fortbildung der an der amtlichen
Nahrungsmittelüberwachung beteiligten privaten Nahrungsmittelchemiker ob.
56
Medizinalgesetzgebung.
18. Das Auftragsverhältnis zwischen Gemeinden nnd Nahrungsmittel¬
chemikern soll beiderseits halbjährlich für den 1. Januar und 1. Juli gekündigt
werden können.
19. Die vorstehenden Bestimmungen gelten sinngemäß auch für die
Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden, Abteilung für
Nahrungsmittelchemie und die Staatliche Untersuchungsanstalt für Lebensmittel
beim Hygienischen Institut Leipzig.
20. Diese Verordnung tritt am 1. Juli 1921 in Kraft.
C. Bremen.
Alters- und Invalidennntergtütznng der Hebammen. DurchGeseti
vom 16. November 1921 ist das bisher gültige vom 29. April 1911 ab¬
geändert mit folgender Fassung:
Der Senat verkündet das nachstehende, von der Bürgerschaft beschlossene
Gesetz:
§ 1. Eine Hebamme, die mindestens fünf Jahre ununterbrochen im
bremischen Staatsgebiete ihren Beruf ausgeübt hat, hat Anspruch anf eine
fortlaufende Rente aus der Staatskasse, wenn sie nach vollendetem 65. Lebens¬
jahre auf die Ausübung ihres Berufs dauernd verzichtet oder ihre Konzession
gemäß § 37 Abs. 3 der Medizinalverordnung vom 2. Juni 1901 für erloschen
erklärt ist.
Der Hebamme steht ein Anspruch auf Rente nicht zu, wenn ihre Kon¬
zession zurückgenommen oder wenn sie wegen eines Verbrechens, wegen dessen
auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, rechtskräftig
zu einer Freiheitsstrafe verurteilt ist.
Der Anspruch wird auch dann verwirkt, wenn die Hebamme ihre Berufs¬
tätigkeit noch ausübt, während sie die Unterstützung aus der Staatskasse
bezieht. *
§ 2. Die Rente beträgt jährlich mindestens 2500 M. nnd steigt von Be¬
endigung des sechsten Dienstjahres an jährlich nm 60 M. bis zum Höchst¬
betrage von 4000 M. Sie wird vierteljährlich im voraus gezahlt.
§ 3. Jede zugelassene Hebamme hat für jede Entbindung, bei der sie
Beistand geleistet hat, 3,50 M. an die Staatskasse zu zahlen.
Die Beiträge sind wöchentlich bei Erstattung der nach § 38 der Medi¬
zinalordnung vom 2. Juni 1901 vorgeschriebenen schriftlichen Anzeige über die
Geburten bei dem für den Ort der Entbindung zuständigen Standesbeamten
abzuliefern.
Rückständige Beiträge können auf Ersuchen der Medizinalkommission
durch die zuständige Polizeibehörde durch Zwangsvollstreckung im Verwaltungs¬
wege beigetrieben und von der Rente (§ 1) abgezogen werden.
Die bei den Standesbeamten abgelieferten und die durch Zwangs¬
vollstreckung im Verwaltungswege beigetriebenen Beiträge werden der Depu¬
tation für das Gesundheitswesen überwiesen.
§ 4. Die Deputation für das Gesundheitswesen setzt die Höhe der zu
gewährenden Renten nach Maßgabe des § 2 fest und weist deren Zahlung an.
§ 5. Denjenigen Hebammen, die am 1. Mai 1911 im Besitze der Kon¬
zession waren, wird die bisherige Zeit der Ausübung ihres Berufs im bremischen
Staatsgebiete auf die im § 1 bestimmte fünfjährige Wartezeit angerechnet
Soweit die ihnen zustehende Rente für ihren eigenen Unterhalt nicht
genügt auch ausreichende sonstige Mittel nicht vorhanden sind, kann die
Deputation für das Gesundheitswesen die Rente bis auf 3500 M. erhöhen.
§ 6. Auf Hebammen, die ausschließlich in Kranken und Entbindungs¬
anstalten tätig sind, findet dieses Gesetz keine Anwendung; doch kann die
Deputation für das Gesundheilswesen auch solche Hebammen zulassen und die
näheren Bedingungen in jedem einzelnen Falle vereinbaren.
§ 7. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1921 in Kraft.
Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rot Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau,
Breslau V, Rehdlgcrstrafie 84. Druck von J. 0. 0. Bruns, Minden L W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 11/12. 20. Juni. 1922.
Rechtsprechung.
Die Zuckerkrankheit als schwere Krankheit ln verslcherungsrecht*
Hohem Sinne. Urteil des Reichsgerichts A. Z. VII. 504/21.
Der Geheime Sanitätsrat Prof. Dr. K. in H. war bei der Frankfurter All¬
gemeinen Versicherungs A.-G. unfallversichert, und zwar gegen die Folgen, die
„durch körperliche Beschädigung allein, ohne Mitwirkung anderer Umstände“,
insbesondere auch durch Blutvergiftung als Folge äußerer Verletzungen, so
bei Operationen und Sezierungen der Aerzte herbeigeführt werden würden.
Für den Todesfall sollten die Erben 20000 M. ausgezahlt erhalten. Ausgeschlossen
von der Versicherung sollten nach § 2 der allgemeinen Bedingungen u. a. mit
schweren Krankheiten Behaftete sein. Nach § 3 sollte die Versicherung
ohne weiteres ungültig werden, wenn eine Aenderung in dem körperlichen Zu-
' stand des Versicherten eintritt, welche die Versicherung ausgeschlossen haben
würde. Nach § 9 sollte die Gesellschaft in Todesfällen innerhalb 24 Stunden
telegraphisch benachrichtigt werden. Am 9. Mai 1916 verletzte sich Dr. K. bei
einer Operation durch einen Nadelstich am linken Daumen und starb am
20. Mai in einer Berliner Klinik. Am 25. oder 26. Mai 1916 teilte die Witwe
den Tod der Gesellschaft telegraphisch mit, worauf diese zurücktelegraphierte:
„Verlangen sofortige Sektion durch beamteten Arzt“. Am 1. Juni 1916 erhielt
sie die Nachricht, daß eine Sektion wegen der vorgenommenen Feuerbestattung
nicht mehr möglich sei, und verweigerte darauf die Zahlung der Versicherungs¬
summe. Sie berief sich auf die Verspätung der Todesnachricht,
machte aber auch geltend, daß der Verstorbene an Zuckerkrankheit gelitten
habe, die zu den schweren Krankheiten zu rechnen sei. Die Erben erhoben
Klage auf Zahlung der Versicherungssumme. Landgericht und Ober¬
landesgericht Frankfurt wiesen die Klage ab, das Beichsgericht
wies die Revision der Eiläger zurück.
Die Entscheidungsgründe der höchsten Instanz.
Das Landgericht hatte die Klage für hinfällig erachtet, weil die fest¬
gestellte Zuckerkrankheit nach dem Gutachten des Professors von N. bei der
Unfallversicherung stets als eine schwere Krankheit im Sinne des § 2 der allg.
Vers.-Bed. aufzufassen sei, die die Versicherung ausschließe, oder wenn sie
später sich zeige, ungültig mache. Denn sie schaffe im Falle einer Infektion
stets sofort eine sehr gefährliche Lage, da sie den Körper auch im Falle einer
leichten Erkrankung und eines geringen Prozentsatzes von Zucker für
Ansteckungen empfänglicher mache und die Widerstandsfähigkeit der Gewebe,
namentlich bei älteren Personen, herabsetze so daß sie zu den schwersten Folge¬
zuständen und selbst zum Tode führen könne. Das Oberlandesgcricht bat die
Ausführung des Landgerichts zwar gebilligt, in erster Reihe aber den Klage¬
anspruch gegen Versäumung rechtzeitiger Todesanzeige für verwirkt erachtet.
Eine Entschuldigung sei nach Art. 3 des Einf -Ges. zwar zulässig, aber mit den
allgemeinen, von den Klägern vorgebrachten Gründen, der Bestürzung und
Aufregung über den Todesfall, der darch die Einäscherung eingetretenen Ueber-
häufung mit Geschäften und der Unerfahrenbeit der Witwe, bei dem Bildungs¬
grade der Kläger und ihrer Kenntnis der Versicherung nicht anzuerkennen.
Eine grobe Fahrlässigkeit bleibe immerhin bestehen.
Die Angriffe, die die Revision hiergegen erhebt, können nicht als durch¬
greifend erachtet werden. Auf die subjektiven Beschwerden und das subjektive
Empfinden der Versicherten kommt es nicht an. Vielmehr ist für die Annahme
einer schweren Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen die
58
Medizinalgesetzgebung.
objektive Natur der Krankheit maßgebend. Im übrigen war dem Versicherten
die Stellungnahme der Beklagten inbetreff der Zuckerkrankheit bekannt. Er
hätte aber, nachdem er das Vorhandensein der Krankheit festgestellt, sich mit
dem Beklagten in Verbindung setzen müssen.
(Nach dem sächsischen Korrespondenzblatt.)
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich.
Abänderung der Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum
Gebrauche des Boten Krenzes. Bekanntmachung des Kommissars
der freiwilligen Krankenpflege vom 4. März 1922 an die Herren
Territorialdelegierten der freiwilligen Krankenpflege.
Der Herr Reichsminister des Innern hat im Einvernehmen sämtlicher
Landesregierungen angeordnet, daß Ziffer 1 der Bekanntmachung des Reichs¬
kanzlers vom 7. Mai 1903') — betreff, die Grundsätze für die Erteilung der
Erlaubnis zum Gebrauche des Roten Kreuzes — künftig in nachstehender
Fassung zur Anwendung gelangt:
1. Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich
der Ritterorden sowie der Geistlichen Orden und Kongregationen zu
erteilen, welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und
durch eine Bescheinigung des Reichsministeriums des Innern nachweisen,
daß sie zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen
Notständen und bei inneren Unruhen zugelassen sind.
Auf Grund dieser Anordnung hat der Herr Reichsminister des Innern
die nachfolgenden Grundsätze für die Entscheidung über die Zulassung von
Vereinigungen usw. zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffent¬
lichen Notständen und bei inneren Unruhen aufgestellt.
1. Die in Betracht kommende Vereinigung hat sich zu verpflichten, im
Bedarfsfälle zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes mindestens die
Hälfte ihres Personals zur Verfügung zu stellen und den Gesamtpersonal-
bestand zum 1. Januar d. Js. hierher zu melden.
2. Die Vereinigung muß mindestens 10 Mitglieder haben, satzungsmäßig
von einem Vorstand geleitet und nach dem Urteil der zuständigen Ortspolizei¬
behörde und des zuständigen beamteten Arztes in Bezug auf Verhalten und
Geschäftsgebahren einwandsfrei sein.
3. Die Satzung der Vereinigung muß gewährleisten, daß als Mitglieder
nur unbescholtene Persönlichkeiten aufgenommen werden.
4. Das Personal muß körperlich leistungsfähig sein und sich über die
erforderliche technische Vorbildung im Sanitätsdienst ausweisen können, und
zwar Pfleger und Pflegerinnen durch mindestens einjährige Pflegetätigkeit in
einem Krankenhaus sowie durch Ablegung einer besonderen Prüfung.
5. Die Vereinigung hat sich zn verpflichten, für die Erhaltung der
praktischen Kenntnisse des zur Verfügung gestellten Pflegepersonals durch
Abhaltung von Wiederholungskursen in höchstens dreijährigen Zwischenräumen
oder in anderer Weise Sorge zu tragen.
6. Die Vereinigung muß gewillt und imstande sein, für das zur Ver¬
fügung gestellte Personal für die freiwillige Krankenpflege vorgeschriebene
Dienstkleidung zu stellen.
Dea Herren Territorialdelegierten beehre ich mich vorstehendes ergebenst
mit dem Hinzufügen zu übersenden, daß der Herr Reichsminister des Innern
sich vorbehält, die erteilte Zulassuugsgenehmigung zusückzuziehen, wenn be¬
kannt wird, daß die vorstehenden Voraussetzungen nicht mehr als erfüllt
anzusehen sind.
Wochenhilfe und Wochenffirsorge. Bekanntmachung des
Reichspräsidenten vom 20. April 1922.
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung
des Reichsrats hiermit verkündet wird:
') S. diese Zeitschrift, Beilage 1903, S. 117.
Medizinalgoeetzgebung.
59
§ 1. Wöchnerinnen, die vor dem 6. Angast 1921 entbanden worden sind,
erhalten von diesem Tage ab für den Best der Bezugszeit das Wochen- and
Stillgeld in dem durch das Gesetz, betreibend Wochenhilfe und Wochenfürsorge,
vom 29. Juli 1921 (Reichsgesetzbl. 8.1189) erhöhten Betrage.
Wöchnerinnen, die erst nach der Vorschrift des im Abs. 1 genannten
Gesetzes als minderbemittelt zu gelten haben, erhalten vom 6. August 1921 ab
für den Best der Bezugszeit die Leistungen der Wochenfürsorge an Wochengeld
und Stillgeld.
§ 2. Wöchnerinnen, die vor dem 5. Januar 1922 entbunden worden sind,
erhalten von diesem Tage ab für den Best der Bezugszeit das Stillgeld in dem
durch das Gesetz, betreffend Wochenhilfe und Wochenfürsorge, vom 28. De¬
zember 1921 (Beichsgesetzbl. 1922 S. 7) erhöhten Betrage.
Wöchnerinnen, die erst nach der Vorschrift des im Abs. 1 genannten
Gesetzes als minderbemittelt zu gelten haben, erhalten vom 5. Januar 1922 ab
für den Best der Bezugszeit die Leistungen der Wochenfürsorge an Wochen¬
geld und Stillgeld.
§ 3. Ansprüche, über die das Feststellungsverfahren am Tage der Ver¬
kündung dieses Gesetzes schwebt, unterliegen dessen Vorschriften. Ihre Nicht¬
anwendung gilt, soweit Revision nach § 1695 der Beichsversicherungsordnnng
zulässig ist, auch dann als Revisionsgrund, wenn das Oberversicherungsamt
sie noch nicht anwenden konnte.
Sind Ansprüche, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes begründet
sind, bereits rechtskräftig abgewiesen worden, so hat die Krankenkasse auf
Antrag des Berechtigten einen neuen Bescheid zu erteilen.
§ 4. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.
B. Württemberg.
Staatliche Prüfung von Dentisten zwecks Zulassung zur Kranken¬
kassenbehandlung. Verfügung des Ministeriums des Innern und
des Amtsministeriums vom lö.Februar 1922.
Die Vorschriften decken sich in der Hauptsache mit den für Preußen
unter dem 14. Oktober 1920 erlassenen*) (vielfach wörtlich übereinstimmend).
Abweichungen sind nur folgende:
Württemberg wählt die Bezeichnung „Dentist“, (Preußen „Zahntechniker“).
Die Prüfungsgebühren betragen in Württemberg 200 M., wozu eine Vergütung
von 50 M. für Benutzung von Werkzeugen pp. kommt (in Preußen 150 -f- 30 M.).
Aenderung der Yollzugsverfüguug zum Oberamtssgesetz hinsichtlich
der Zahntechniker. Verf ügung des Ministeriums des Innern betr.
Aenderung der Vollzugsverfügung zum Oberamtsgesetz vom
15. Februar 1922.
I. § 21 der Vollzugsverfügung zum Oberamtsarztgesetz vom 17. März 1913
(Reg.-Bl. S. 82)**) erhält folgende Fassung:
§ 21. (1) Ausschließlich die Zahnheilkunde selbständig ausübende Zahn¬
techniker werden vom Buchführungszwang des Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes
befreit,
1. wenn sie das 25. Lebensjahr vollendet und die Prüfung zwecks Zu¬
lassung zur Krankenkassenbehandlung (Verfügung de3 Ministeriums des Innern
und des Arbeitsministeriums vom 15. Februar 1922, Reg.-Bl. S. 87) oder eine
gleichwertige Prüfung in einem andern deutschen Lande erstanden haben, so¬
lange ihnen der hierüber ausgestellte Ausweis nicht rechtskräftig entzogen ist;
2. wenn sie am 1. März 1922 Mitglieder der „Vereinigung Württem¬
bergs eher Dentisten e. V.“ waren, vorausgesetzt, daß diese Vereinigung zu
Aenderungen ihrer Satzung die Genehmigung des Ministeriums des Innern ein¬
holt. Diese Befreiung ist stets widerruflich.
(2) Wenn sonstige ausschließlich die Zahnheilkunde selbständig aus¬
übende Zahntechniker um Entbindung von der Verpflichtung zur Führung von
Geschäftsbüchern nachsuchen wollen, haben sie ihr Gesuch unter Anschluß von
*) Siehe diese Zeitschrift, 1920, Beil. 8.149 ff.
**) Siehe diese Zeitschrift, Beilage Rechtsprechung, 1913, S. 102 ff.
60
Medizinalgesetzgebung.
Belegen über ihre Ausbildung und ihre praktische Tätigkeit beim zuständigen
Oberaintsarzt oder Oberamt anzubringen; mit den Aeußerungen dieser beiden
Stellen ist es dem Ministerium des Innern vorzulegen.
(3) Das gleiche Verfahren (Abs. 2) ist einzuhalten, wenn eine im Aus¬
land zur Ausübung der Heilkunde öffentlich ermächtigte Person um Befreiung
vom Buchführungszwang nachsucht.
IL Gegenwärtige Verfügung tritt am 1. März 1922 in Kraft.
Zahntechniker. Verfügung des Ministeriums des Innern
und des Arbeitsministeriums zum Vollzug des § 123 der
Reichsversicherungsordnung vom lö.Februar 1922.
Auf Grund des § 123 Satz 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung vom
19. Juli 1911 (Reichs-Gesetzbl. S. 509) wird verfügt:
§ 1. Als Zahntechniker im Sinne der Reichsversichcrungsordnung ist
anznsehen, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat und
1. die Prüfung zwecks Zulassung zur Kassenkrankcnbehandlung (Verfügung
des Ministeriums des Innern und des Arbeitsministcriums vom 15. Februar 1922,
Reg.-Bl. S. 87) oder eine gleic hwertige Prüfung in einem anderen deutschen
Lande bestanden hat, im Besitz des hierüber ausgestellten Ausweises ist
und den Beruf als Dentist (Zahntechniker ohne Nebenberuf ausübt oder
2. am 1. März 1922 nach den bisherigen Bestimmungen (Abs. 1 der Verfügung
des Ministeriums des Innern vom 20. September 1913, Reg.-Bl. S. 239) als
Zahntechniker im Sinne der Reichsversicherungsordnung anzusehen war und
im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte ist.
§ 2. Bei Zahnkrankheiten mit Ausschluß von Mund- und Kieferkrank¬
heiten können Dentisten (Zahntechniker) auch ohne Zustimmung der Versicherten
selbständige Hilfe leisten, soweit nicht das Arbeitsministerium im Benehmen
mit dem Ministerium des Innern ein Bedürfnis hierfür in einzelnen Versicherungs¬
bezirken verneint hat. Das Bedürfnis kann für solche Bezirke verneint werden,
in denen eine genügende Zahl von Zahnärzten vorhanden ist, die zu angemessenen
Bedingungen die zahnärztliche Behandlung der Versicherten zu übernehmen
bereit sind. Die Entscheidung über die Verneinung des Bedürfnisses erfolgt
nach Anhörung des Oberversicherungsamtes und Versicherungsamtes (Beschlu߬
ausschuß) des Oberamtsarztes, d» s Vereins württembergischer Zahnärzte e. V.
und der Vereinigung württembergischer Dentisten e. V.; sie wird dem Vorstand
der Landesversicherungsanstalt Württemberg sowie dem Versicherungsamt mit¬
geteilt, daß sie im Bezirksamtsblatt bekannt zu machen und den beteiligten
Krankenkassen zu eröffnen hat.
§ 3. Gegenwärtige Verfügung tritt am 1. März 1922 in Kraft. Mit
demselben Tage tritt die Verfügung des Ministeriums des Innern zum Vollzug
des § 123 der Reichsversicherungsordnung vom 20. September 1913 (Reg.-BL
S. 239) vorbehaltlich der Bestimmungen in § 1 Ziff. 2 außer Wirksamkeit.
C. Mecklenburg«Schwerin.
Pharmazeutische Vorprüfung. Das Mecklenburg-Schwerinsche Ministerium
für Medizinalangelegenheiten gibt unter dem 12. April bekannt:
„Solange der Kreisarzt zu Rostock den Vorsitz in der Prüfungskommission
für die pharmazeutische Vorprüfung führt, übt er auch die Befugnisse der Auf¬
sichtsbehörde aus § 5 der Prüfungsordnung für Apotheker. Zulassungsgesuche
zur pharmazeutischen Vorprüfung sind deshalb, solange obige Voraussetzung
zutrifft, an ihn, nicht an das Ministerium zu richten."
D. Anhalt.
Gebühren der Medtzinalbearoten. Auch in Anhalt sind nunmehr die
in § 4 — Anlagen I und II — des Gesetzes betr. die Gebühren der Medizinal¬
beamten, vom 22. März 1912 festgesetzten Gebühren mit Wirkung vom 1. Mai
1922 ab um 900 p. c. erhöht worden.
Ye ran tw örtlich für die Schrlftlcitung: Geh. Med.-Bot Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Bat in Breslau
Breslau Y, Rebdlgerstraße 84. — Druck von J. G. C. Bruns, Minden i. W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 13. 5. Juli. 1922.
Rechtsprechung.
Die Bezeichnung als „Approbierter Dentist“ erweckt den falschen
Schein einer geprüften Medisinalpersou. Entscheidung des Ober¬
landesgerichts Hamburg (Strafsenats) vom 8. Juli 1921 — Bll
84/21 — (Leipziger Ztg., Jahrg. XV, Sp. 696).
Der Angeklagte, der Dentist ist und als solcher, in Straßburg i. E. eine
staatliche Prüfung bestanden hat, hat sich in einer Zeitungsanzeige als „Dentist
i.. E. approbiert“ bezeichnet; er hat diese Prüfung nur zum Zwecke der Zu¬
lassung als Zahntechniker im Sinne der Beichsyersicherungsordnung abgelegt
und diese Zulassung erhalten. Ohne Bechtsirrtum hat die Strafkammer daraus
gefolgert, daß sich der Angeklagte, ohne approbiert zu sein, einen zahnärzt¬
lichen Titel beigelegt habe, durch den der Glaube erweckt werde, dessen In¬
haber sei eine geprüfte Medizinalperson, und hat ihn nach § 147 Abs. 1 Ziff. 3
G. 0. verurteilt. Die Angriffe der Bevision sind unbegründet.
Gründe:
Daß der Angeklagte sich in Straßburg einer Prüfung unterzogen hatte,
gab ihm noch nicht das Rocht, sich als „approbiert“ zu bezeichnen. „Approbiert“
und „geprüft“ sind keineswegs gleichbedeutend. Die Approbation, die in der
Gesetzgebung und namentlich in der Gewerbeordnung (§§ 29, 147 Abs. 1 Ziff. 3)
lediglich als technischer Ausdruck gebraucht wird, ist ein staatlicher Akt und
wird den in § 29 G. 0. bezeichneten Personen erteilt, zu denen auch die Zahn¬
ärzte gehören, wenn der Bewerber einen Befähigungsnachweis erbracht hat, der
durch eine staatliche Prüfung nach besonderen vom Bundesrat erlassenen Vor¬
schriften darzutun ist. Ganz davon abgesehen, daß die Ablegung einer solchen
Prüfung allein noch keine Approbation bedeutet, die sie vielmehr noch durch
die zuständige Behörde besonders zu erteilen ist, hat der Angeklagte keine
solche Prüfung abgelegt. Entgegen der Annahme der Bevision werden die
Bezeichnungen „approbiert“ und „geprüft“ auch nicht als gleichbedeutend an¬
gesehen, vielmehr ist allgemein bekannt, daß nicht jede Prüfung zu einer
Approbation berechtigt, selbst wenn Unklarheit darüber herrschen sollte, daß
die Ablegung der Prüfung noch nicht Erteilung der Approbation bedeutet. Da
von den Personen, die sich mit Zahnheilkunde befassen, nur Aerzten eine
Approbation erteilt wird, ist die Bezeichnung „Dentist i. E. approbiert“ als arzt-
ähnlicher Titel anzusehen, durch den der Anschein erweckt wird, dessen Inhaber
sei eine geprüfte Medizinalperson. Das Publikum ist leicht geneigt, allein auf
„approbiert“ entscheidendes Gewicht zu legen, ohne zu beachten, daß Dentisten
keine Approbation erhalten. Ob im Auslande approbierte Zahntechniker, den
durch die ausländische Approbation erworbenen Titel im Inlande führen dürfen,
wenn auf den ausländischen Ursprung der Approbation ausdrücklich hingewiesen
wird, ist hier ohne Bedeutung, da die Führung einer solchen Bezeichnung
gegenüber § 147 Ziff. 3 G. 0. höchstens dadurch gerechtfertigt werden kann,
daß hierdurch nicht der Glaube erweckt werde, der Betreffende sei im Inlande
approbiert (Landmann, Anmerkung 5b zu § 147 G.0.), während hier die
Worte „i. E. approbiert“ auf eine inländische Approbation hinweisen. Wer die
Worte „i. E.“ überhaupt richtig als „im Elsaß“ deutet, nimmt zunächst an,
die Approbation sei im Elsaß zu einer Zeit erteilt, als dieses noch zum Inlande
gehörte.
62
Rechtsprechung
Handel mit Arzneimitteln. Entscheidung des preußischen
Kammergerichts (I. Strafs.) vom 14. Januar 1921 — S. 117/20 —
(Strafrechts-Ztg. Jahrg. 8, Sp. 247).
Nach § 1 der Bekanntmachung vom 22. März 1917 (R. G. BL 270) ist der
Bändel mit Arzneimitteln vom 16. April 1917 ab nur solchen Personen ge¬
stattet, denen eine besondere Erlaubnis zum Betriebe dieses Handels erteilt ist.
Die Fassung der Vorschrift ergibt, daß die Handelserlaubnis ein höchst persön¬
liches Recht des damit Bedachten bedeutet, also weder persönlich übertragbar,
noch mit dem sonstigen Geschäftsbetrieb des Berechtigten dergestalt verbunden
ist, daß mit einer Veräußerung oder Vererbung des Geschäfts auch dieHandels-
crlaubnis auf den Erwerber übergeht. Jeder, der ein solches Geschäft unter
Lebenden oder von Todes wegen erwirbt, bedarf daher, sofern er den Handel
mit Arzneimitteln fortsetzen will, einer erneuten besonderen Erlaubnis; die
seinem Rechtsvorgänger erteilte Erlaubnis übt keinerlei dingliche Wirkungen
aus. Diese Grundsätze gelten auch für Apotheker, wenn sie eine Apotheke
erwerben, mit deren Betriebe ein Großhandel mit Arzneimitteln verbunden ist
Rad-Jo. Urteil des Landgerichts Chemnitz (5.Strafkammer)
vom 19. Januar 1912.
Das Landgericht Chemnitz, 5. Strafkammer, hat in der Sitzung vom
19. Januar 1922 den Drogisten W. zu 100 M. Geldstrafe wegen Uebertretung
der Bekanntmachung des Kgl. Sächs. Minist, vom 14. 7. 03 verurteilt, weil er
folgende Reklame in der Zeitung veröffentlicht batte: „Rad-Jo für leichte
schnelle Entbindung ein Segen für werdende Mütter“, in der dem Rad-Jo über
seinen wahren Wert hinausgehende Wirkung zugelegt wird.
Entziehung des Prüfungszeugnisses einer Hebamme wegen der aus
Verstößen gegen ihre Berufspflichten (hier Fortsetzung der Tätigkeit trotz
Trippererkrankung, Nichtmeldung beim Kreisärzte), sowie aus dem Ver¬
luste ihres guten Rufes zu folgernden Unzuverlässigkeit. Entscheidung
des preußischen Oberverwaltungsgerichts (III. Senats) vom
10. Jnni 1920 — III. B. 8/20 — (Original).
Die von der Beklagten gegen* das Urteil des Bezirksausschusses zu M.
vom 26. Februar 1920 eingelegte Berufung kann keinen Erfolg haben.
Gründe.
Die Beklagte hat, wie sich aus den Verhandlungen, insbesondere aus
ihren eigenen Angaben ergibt, einer schweren Verletzung ihrer Berufspflichten
sich schon dadurch schuldig gemacht, daß sie ihre Tätigkeit, wenn auch nach
ihrer Behauptung nur in dringenden Fällen, fortgesetzt hat, nachdem sie an
Tripper erkrankt war, wodurch sie, wie sie wissen mußte (vergl. Hebammen¬
lehrbuch §§ 602, 503 und Dienstanweisung für Hebammen §§ 20, 21) und sich
auch wohl bewußt war, nicht nur die Wöchnerinnen, sondern auch die neu¬
geborenen Kinder schwerer Gesundheitsgefahr aussetzte. Schon diese Tatsache
würde ausreichen, ihr wegen Mangels der Eigenschaften, die bei Erteilung des
PrüfungszeugniBses vorausgesetzt werden mußten, nämlich der Zuverlässigkeit
für den Beruf, dieses Zeugnis zu entziehen. § 474 Abs. 3 des Hebammen¬
lehrbuchs schreibt für den Fall derartiger krankhafter Ausflüsse nicht nur die
Meldung beim Kreisärzte, sondern auch bis zu dessen Entscheidung Enthaltung
von jeder Untersuchung in der Schwangerschaft und unter der Geburt vor,
womit die Leitung und Vornahme einer Entbindung ohne weiteres ausgeschlossen
ist. Daß die Beklagte aber auch die rechtzeitige Meldung von ihrer Krankheit
bei dem Kreisarzt unterlassen hat, erhellt klar aus den Akten. Dem Kreisarzt
ist die Erkrankung erst nachträglich durch die Anzeige desjenigen bekannt
geworden, der sich bei der Beklagten angesteckt haben will. Die Beklagte hat
aber auch ihren guten Ruf verloren und insbesondere gegen die Vorschrift des
§ 6 der Dienstinstruktion verstoßen, nach welcher sie einen ehrbaren Lebens¬
wandel führen soll. Der Besitz unbescholtenen Rufes gehört, wie in ständiger
Rechtsprechung anerkannt ist, zu den Eigenschaften, die bei der Erteilung des
Hebammenzeugnisses vorausgesetzt werden müssen. Mit dem Vorderrichter ist
der Gerichtshof der Ueberzeugung, daß die Beklagte sich mit verschiedenen
Männern in außerehelichen Geschlechtsverkehr eingelassen hat und daß dies
Medizinalgesetzgebung.
63
auch nicht geheim geblieben ist. Mag der anstößige Lebenswandel anch in der
unmittelbaren Nachbarschaft und im Kreise der Torwiegenden Kundschaft der
Beklagten, wie sie in der Berufung darzulegen versucht, nicht näher bekannt
geworden sein oder kein besonderes Aergernis erregt haben, so hat doch jeden¬
falls der Kreisarzt von den Vorfällen Kenntnis erhalten, der auch amtlich be¬
zeugt hat, daß die Fehlschritte der Beklagten im Publikum bekannt geworden
sind und sie des unbescholtenen Rufes beraubt haben. Das genügt aber, um
die Zurücknahme des Prüfungszeugnisses zu rechtfertigen. Im Interesse des
Ansehens des Hebammenstandes wie im Interesse der Bevölkerung ist es unter
den obwaltenden Umständen geboten, die Beklagte aus ihrem bisherigen Berufe
zu entfernen.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Preußen.
Versetzungen von Beamten. Bunderlaß des Finanzministers
und Ministers des Innern vom 22. Februar 1022 — I C. 2/3063.
III 2. 626 M. d. I. Ia. I. 206 — an die nachgeordneten Behörden.
In Anbetracht der außerordentlich hohen Ausgaben an Umzugskosten,
die unter den zeitigen Verhältnissen bei Versetzungen von Beamten entstehen,
sind zur Entlastung der Staatsfinanzen für die Zukunft bei Vornahme von Ver¬
setzungen nachstehende Bichtlinien zu berücksichtigen.
Die Vorschriften für die Gewährung von Umzugskostenvergütungen bei
Versetzungen von Staatsbeamten sehen eine unterschiedliche Behandlung einer
auf Ansuchen gegenüber einer von Amts wegen erfolgenden Versetzung nicht
vor. Es versteht sich jedoch von selbst, daß der Staat keine Veranlassung hat,
die Kosten einer Versetzung, für die die persönlichen Wünsche eines Beamten
ausschlaggebend waren, zu übernehmen. Hierzu ist der Staat vielmehr
nur dann in der Lage, wenn das dienstliche Interesse an der Ver¬
setzung überwiegt. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muß daher, wenn
ein Beamter unter Geltendmachung persönlicher Gründe seine Versetzung erbittet,
stets geprüft werden. Ergibt sich hierbei, daß das dienstliche Interesse an der
Versetzung nicht überwiegt, daß vielmehr für die Versetzung dieEücksicht-
nahme auf die persönlichen Verhältnisse des Beamten bestimmend
sein soll, so hat der Beamte eine schriftliche Erklärung dahin abzugeben,
daß er bereit und imstande ist, die sämtlichen durch seinen Umzug ent¬
stehenden Kosten selbst zu tragen, und daß er für den Fall der Genehmigung
seines Versetzungsgesuches auf eine Kostenerstattung, wie auch auf eine Ge¬
währung von Wohnungsbeihilfe und Unterstützungen verzichtet. Andernfalls
wird dem Versetzungsgesuche nicht näher getreten werden können. Die
vorbezeichnete Erklärung des Beamten ist zu den Akten zu nehmen.
Hierzu wird bemerkt, daß nachträglichen Anträgen auf Gewährung
von Unterstützungen anläßlich des Umzuges aus grundsätzlichen Erwägungen
auch nicht ausnahmsweise wird entsprochen werden können.
Dienstanweisung für die StadtSrste. Bekanntmachung der
Deputation für das Gesundheitswesen der Stadtgemeinde
Berlin. Vom 7. März 1922.
§ 1. Der Stadtarzt ist hauptamtlich angestetellter Gemeindebeamter.
Privatpraxis ist ihm nicht gestattet.
§ 2. Er ist der Dienstvorgesetzte aller im Gesundheitsdienst des Ver¬
waltungsbezirkes tätigen Personen, soweit sie nicht unmittelbar dem Stadt¬
medizinalrat unterstehen.
§ 3. Der Stadtarzt bearbeitet alle Angelegenheiten des Gesundheitswesens
des Bezirks; hierher gehören auch die Anstalten, die nicht unmittelbar vom
Magistrat verwaltet werden. Er hat dem Stadtmedizinalrat auf Verlangen
jederzeit im Benehmen mit dem Dezernenten des Bezirksamtes schriftlich oder
mündlich Bericht zu erstatten. Ueber wichtige Vorkommnisse hat er unauf¬
gefordert Mitteilung zu machen.
§ 4. Er bearbeitet beim Bezirksamt nach den Bichtlinien des Magistrats
die Angelegenheiten der Sozial-Hygiene (§ 2 e und § 6 der Satzung der Depu¬
tation für aas Gesundheitswesen vom 3. Juni 1921). Ausgenommen sind in den
Bezirkes I—VI diejenigen Einrichtungen der Sozialhygiene, die in den Betrieb
der zentral verwalteten Krankenhäuser eingegliedert sind and das Ambulatorium
aal dem Exerzierplatz an der Ebers walder Straße.
§ 5. Zn seinem Tätigkeitsbereich gehört die Aufsicht über die Rettungs¬
stellen und die Ueberwachung der Ton der Zentrale angeordneten Maßnahmen
zur Seuchenbekämpfung. In dringenden Fällen hat er selbst die erforderlichen
Anordnungen zu treffen und sodann sofort dem Hauptgesundheitsamte Mitteilung
zu machen.
g 6. Er bearbeitet ferner alle Angelegenheiten gesundheitlicher Art, die
zn der Zuständigkeit anderer Deputationen gehören gemäß §§ 2e und 4 der
Satzung der Deputation für das Gesundheitswesen der Stadt Berlin vom
3. Juni 1922.
$ 7. Soweit seine Tätigkeit es znläßt, hat er sieh an der praktischen
Durchführung der gesundbeitsfürsorglichen Arbeiten (siehe § 4) ärztlich zu be¬
teiligen und rertrauens&rztliche Tätigkeit zu übernehmen.
B. Bagern.
LelcheaschangebBhren. Verordnung des Staatsministeriums
des Innern vom 30. März 1922.
Mit Wirkung ab 1. April 1922 werden für die Leichenschau folgende
Gebühren festgesetzt:
1. für ärztliche Leichenschauer
a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohnortes 20 M.,
b) Entfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau Tom
Wohnorte des Leichenschauers mehr als 2 Kilometer beträgt, für jeden
Kilometer des Hin- und Rückweges 4 M.,
2. für nichtärztliche Leichenschauer
a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohnortes 13 M.,
b) Entfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau vom
Wohnorte des Leichenschaners mehr als 2 Kilometer beträgt, für jeden
Kilometer des Hin- und Rückweges 2,50 M..
Die Gebühren für eine außerßalb des Wohnortes vorgenommene Leichen¬
schau dürfen den Höchstbetrag von 60 M. nicht übersteigen.
Diese Sätze treten an die Stelle der entsprechenden Sätze Sätze der
Verordnung vom 13. August 1920 über die Leichenschau, GVBL S. 140, StA.
Nr. 190, geändert durch die Verordnung vom 27. Augast 1921 gleichen Betreffs,
GVB1. 8. 407, StA. Nr. 200. _
C. Sachsen.
Impfgebühren. Verordnung des Ministeriums des Innern
über anderweitige Ausführung des Reichsimpfgesetzes vom
8. April 1922.
§ 4, Abs. 2 der Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichsimpf¬
gesetzes betreffend, vom 14. Dezember 1899 (GVB1.8.623) erhält folgende Fassung:
Die Entschädigung beträgt für die Impfung jeder einzelnen Person am
Wohnort des Arztes 4 M. Die Entschädigung für die Impfung außerhalb des
Wohnortes des Arztes beträgt für die ersten 20 Impflinge in jedem Impftermin
für jeden Impfling 8 M., für jeden weiteren Impfling 6 M.
Die gleichen Sätze werden bei Impfbefreiungen gewährt.
In diesen Sätzen sind die Entschädigungen für das Fortkommen, für die
impfärztlichen Auslagen für Watte, 70 prozentigen Alkohol oder andere gleich¬
wertige Mittel zum Abreiben der Impfstelle bei öffentlichen Impfungen (§ 6 der
Beilage B zur Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichsimpfgesetzes
betreffend, vom 28. September 1917, GVBl. S. 108), für die Nachschau, Einträge
in die Liste und erstmalige Ausstellung des Impf- oder lmpfbefreiungsscheins
mit einbegriffen.
Verantwortlich für die Sehr! Weitung: Geh. Xed.-Kat Dr. 80 Ihrig, Reg.- u. Med.-Rat la Breslau
Breslau V, Rehdlgerttrafie 84« — Druck tob J. O. 0. Bruna, Minden 1. W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 14./15. 5. August. 1922.
Rechtsprechung.
Abtrelbnngsversuch mit untauglichen Mitteln als Unzuverlässig-
keltsgrund. Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungs¬
gerichts (III. Senats) vom 28. März 1919 — Hl. B. 25/19 — (Straf-
rechtsz., Jahrg. 7, Sp. 251).
Eine Hebamme zeigt sich unzuverlässig, wenn sie überhaupt auf Bitten
um Gewährung von Abtreibungsmitteln eingeht, insbesondere wenn sie zwar
selbst nicht die Absicht hat, eine Abtreibung vorzunehmen, aber dazu an sich
ungeeignete Mittel verabreicht oder den die Abtreibung beabsichtigenden Per¬
sonen Handreichungen tut, die diese nach dem Verhalten der Hebamme als
wirksam ansehen können und sollen (vgl. auch Gew. Arch. 8 S. 285 und 12, 642).
Gleichzeitig liegt darin eine Täuschung der ihre Hilfe zum Zwecke der Ab¬
treibung in Anspruch nehmenden Personen und, wenn sie gegen Entgelt tätig
wird, eine betrügerische Ausbeutung. Eine Hebamme, die dies tut, ist un¬
zuverlässig in Beziehung auf ihren Beruf. Werden also von einer Hebamme
Abtreibungsmittel verlangt, so darf sie solche auch nicht zum Scheine oder um
die Leute loszuwerden, abgeben, sondern sie muß die Bittsteller ohne weiteres
abweisen und ihnen erklären, sich mit derartigen Dingen weder befassen zu
dürfen, noch zu wollen. _
Versagung der Konzession zur Einrichtung nnd zum Betriebe einer
Privatkrankenanstalt wegen Unzuverlässigkeit. Hierzu genügt nicht jede
allgemeine Unzuverlässigkeit des Charakters, sondern nur eine solche,
die einen Schluß anf die Art der Leitung oder Verwaltung der geplanten
Anstalt znläßt. Entscheidung des Preuß. Oberverwaltungs¬
gerichts (III. Senat) vom 24. Februar 1921 (HI C. 18/20).
Der Bezirksausschuß hatte dem Kläger, einem Arzt, die nachgesuchte
Konzession zur Errichtung und zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt in
seinem Landhause versagt, und zwar wegen Unzuverlässigkeit. Diese letztere
wurde darin gefunden, daß Kläger vor Stellung des Konzessionsantrages längere
Zeit, mindestens */« Jahre lang, den bei ihm Bat und Behandlung nachsuchenden
Kranken die Unterkunft in einem gegenüber liegenden Gasthause, wo regel¬
mäßig zwei Gasthauszimmer für Kranke bereit gehalten wurden, empfohlen und
die Kranken dort behandelt, sogar in Eilfällen operiert habe, obwohl die Zimmer
iu keiner Weise den Ansprüchen an Krankenräume genügten, besondere Ein¬
richtungen wie Bad und Aborte fehlten, die Zimmer auch zwischendurch an
Gesunde vermietet, also Ansteckungsgefahren nicht ansgeschlossen gewesen
seien. Ferner erblickte der Bezirksausschuß darin eine Unzuverlässigkeit des
Klägers, daß er es unterlassen habe, den Gasthausbesitzer zur Einholung der
Konzession zu bestimmen, obwohl es ihm hätte klar sein müssen, daß es sich
um den Betrieb einer konzessionspflichtigen, aber nicht konzessionierten Kranken¬
anstalt handle.
Das Oberverwaltungsgericht hielt die Sache nichtffür spruchreif und ver¬
wies die Sache an den Bezirksausschuß zurück. Nicht jede allgemeine Un¬
zuverlässigkeit des Charakters und nicht jede Verfehlung genügen,! um die
Konzession zu versagen, sie tun es vielmehr nur dann ,% wenn sie einen Schluß
auf die Art der Leitung oder Verwaltung der Anstalt),zulassen. Die Frage,
ob bei Vorhandensein einer Notlage, die den Arzt etwa zwang, die fraglichen
Bäume trotz angeblicher Ungeeigentheit und ohne eine Konzession zur Behand¬
lung seiner Patienten zu benutzen, noch eine Unzuverlässigkeit des Klägers in-
66
Medizinal geeetzgebung.
bezog auf die Leitung oder Verwaltung seiner geplanten Anstalt aus der ihn
zur Last gelegten Tatsache zu folgern sei, ist yom Bezirksausschuß nicht ge»
würdigt. Wenn Kläger dabei geblieben ist, daß hier keine Privatkranken¬
anstalt vorlag, so kann, insbesondere bei der beschränkten Beteiligung an dem
Unternehmen, wie sie von seiner Seite in Gestalt der bloßen Behandlung, in
Notfällen der Operation seiner Kranken in den fraglichen Bäumen unstreitig
nur stattgefunden hat, nach Lage der Sache kein besonderer Vorwurf aus der
Unterlassung der Anregung der Konzessionserteilung gemacht werden. Ans
allen diesen Gründen war die nicht spruchreife Sache an den Bezirksausschuß
zurückzuverweisen.
Polizeiliches Einschreiten gegen den Betrieb eines Musikautomaten
wegen Gesundheitsstörung. Entscheidung des Preuß. Oberverwal¬
tungsgerichts (III. Senat) vom 10. Juni 1920 (III A. 21/19).
Die Polizeidirektion von 0. hatte durch polizeilige Verfügung jegliches
Spielen des Musikautomaten während der Dienststunden des im gleichen Hause
untergebrachten städtischen Arbeitsnachweises von 8—1 und von 3—6 Uhr ver¬
boten, nachdem der Stadtarzt gutachtlich sich dahin geäußert hatte, daß durch
die fragliche Musik nicht nur eine Belästigung und Störung, sondern auch eine
Gesundheitsschädigung für die Angestellten des Arbeitsnachweises eintrete.
Der Begierungspräsident wies die Beschwerde als verspätet und überdies sachlich
unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage wegen Ver¬
säumnis der Frist ab.
Verursachung eines mit einem erlaubten Gewerbetrieb verbundenen
Lärmes kann den Tatbestand des § 360 Nr. 11 R.Str.G.B. erfüllen. Urteil
des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9.März 1920.
Ein über Fahrlässigkeitsverschulden hinausgellendes positives Bewußtsein
der Ungebührlichkeit der Lärmerregung ist für die Bestrafung aus § 361, Nr. 11
R.Str.G. B. nicht erforderlich.
Durch von einem Wasserrade und einer Hobelmaschine ausgehende starke
Geräusche waren die Bewohner der Nachbarhäuser fortgesetzt und jeweils in
längerer Dauer in ihrer nächtlichen Buhe erheblich gestört; der Lärm war auch
geeignet, die Allgemeinheit als solche zu belästigen. Die Strafkammer batte
angenommen, daß der Angeklagte nicht im Zweifel sein konnte über die
Wirkung seines Betriebes und daß er sich fortgesetzter Uebertretung des § 360,
Nr. 11 B Str. G. B. (Erregung ruhestörenden Lärms ungebührlicher Weise) schuldig
gemacht habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht trat der Strafkammer bei
und verwarf die Revision.
/
Medizinal-Gesetzgebung.
Preußen.
Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte. Zu dem Minicte-
sterialerlaß vom 27. Dezember 1921*) ist von den beteiligten
Ministern folgende Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte unter dem
19. April 1922 erlassen:
§ 1. Die Gewerbemcdizinalräte sind Gewerbeanfsichtsbeamte im Sinne
des § 139 b der Beichsgewerbeordnung und haben als solche sowohl das Recht
der jederzeitigen Besichtigung aller der staatlichen Gewerbeaufsicht unter¬
stellten Betriebe ihres Amtsbezirks als auch die Pflicht zur Geheimhaltung der
amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der
ihrer Aufsicht unterliegenden Anlagen.
Polizeiliche Anordnungs- und Strafbefugnisse besitzen die Gewerbe¬
medizinalräte nicht, doch haben sie bei Ausübung ihrer Amtstätigkeit in gleicher
Weise wie die übrigen Gewerbeaufsichtsbeamten Anspruch auf die Unterstützung
der Ort8polizeibebörden.
Die Amtsbezirke und die dienstlichen Wohnsitze der Gewerbemedizinal¬
räte werden von dem Minister für Volkswohlfahrt im Einvernehmen mit dem
Minister für Handel und Gewerbe und dem Finanzminister bestimmt.
*) s. diese Zeitschr. 1922, Beil. 4, 8. 26.
Medizinalgesetzgebung
67
§ 2. Die Gewerbemedizinalräte sind dem für ihren Amtssitz zuständigen
Regierungspräsidenten (in Berlin: Polizeipräsidenten) nnd in höchster Instanz
dem Minister für Volkswohlfahrt dienstlich unterstellt. Sie bearbeiten neben
ihrer selbständigen Tätigkeit als Gewerbeaufsichtsbeamte die Angelegenheiten
der Gewerbehygiene als Dezernenten in der für ihren Amtssitz zuständigen Re¬
gierung und zwar unter Mitwirkung der Regierungs- und Medizinalräte, sofern
die Kreismedizinalräte beteiligt sind. Die Beteiligung der Kreismedizinalräte
wird besonders geregelt. In ihrer selbständigen amtlichen Tätigkeit führen sie
das ihnen verliehene Dienstsiegel. Amtliche Schriftstücke werden gezeichnet:
„Der Gewerbemedizinalrat in.“ Die Gewerbemedizinalräte führen bei ihren
Betriebsbesichtigungen den Nachweis ihrer amtlichen Eigenschaft durch Vor¬
zeigung einer ihnen von den örtlich zuständigen Regierungs- (Polizei-) Präsi¬
denten und Oberbergämtern auszustellenden Ausweiskarte.
§ 3. Der Wirkungskreis der Gewerbemedizinalräte umfaßt:
a) die Beratung und Unterstützung der Beamten der allgemeinen Gewerbeauf¬
sicht und der Bergaufsicht in gewerbehygienischen Fragen,
b) die Vertiefung der Kenntnisse von krankhaften Veränderungen im Organismus
der Arbeiter, die durch die gewerbliche Berufsarbeit bedingt sind und deren
Vorbeugung und Beseitigung,
c) d4n Ausbau allgemeiner gewerbehygienischer Aufgaben und Arbeitsgebiete
Die Gewerbemedizinalräte haben die Beamten der allgemeinen Gewerbe-
anfsicht und die Bergaufsichtsbeamteu bei der Durchführung der Arbeiterschutz-
bestimmnngen, soweit gewerbehyaienische Fragen hierbei in Betracht kommen,
zu unterstützen und zu beraten. Sie sollen dabei ihre Aufmerksamkeit namentlich
der besonderen Fabrikhygiene (Umkleide-, Wasch- und Badceinricbtnngen,
Bedürfnisanstalten, Reinhaltung und Entlüftung der Arbeitsräame, Beseitigung
von Staub, Dämpfen und Gasen usw.) und der Fürsorge für erste Hilfe bei
Unfä'len zuwenden. Weiter liegt ihnen ob die Mitwirkung bei der Zulassung
und Ueberwacbung der zur Untersuchung der Arbeiter in gesundheitsschädlichen
Betrieben berufenen Aerzte nnd bei der Unterbringung von Schwerbeschädigten.
Sie können auch beteiligt werden bei Fragen der Wasser-, Luft- und Boden¬
verunreinigung und der Geräuschbelästigungen durch gewerbliche Betriebe.
Zu den Aufgaben der Gewerbemedizinalräte gehört weiterhin die Bestä¬
tigung auf dem Gebiete der beruflichen Krankbeits- und Sterblichkeitsstatistik,
sie werden im Einvernehmen mit den übrigen Gewerbeaufsichtsbeamten den
Fabrikationsprozessen nnd den gewerblichen Erkrankungen nnd Vergiftungen
in den Betrieben nacbgehen und in geeigneten Fällen die Arbeiterschaft ein¬
zelner Berufs- und Gewerbezweige systematisch, nötigenfalls unter Vornahme
experimenteller Laboratoriumsarbeiten, zur Untersuchung ihres Gesundheitszu¬
standes bringen müssen; sie sollen auch bei der Feststellung der individuellen
Eignung der Arbeiter und Angestellten sowie bei der Berufsberatung mitwirken.
Die Gewerbemedizinalräte haben mit den Krankenkassen und Fabrikärzten
Fühlung zu nehmen, mit den Orts- und Betriebskrankenkassen, mit den Standes¬
ämtern, Gemeindebehörden nnd mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereini¬
gungen in Verbindung zu treten sowie durch aufklärende Vorträge in den
beteiligten Kreisen das Verständnis für die gewerbehygienischen Aufgaben nach
Möglichkeit zu fördern.
§ 4. Die Gewerbemedizinalräte haben die zuständigen Regierungs- und Ge¬
werberäte über alle von ihnen beabsichtigten Betriebsbesichtigungen zu unter¬
richten, damit diese die Beteiligung der Gewerberäte veranlassen und wegen ihrer
eigenen Teilnahme Entschließung fassen können Von der beabsichtigten Be¬
sichtigung von Betrieben, die der Bergbehörde unterstehen, ist in gleicher Weise
das zuständige Oberbergamt in Kenntnis zu setzen. Ist ausnahmsweise eine
vorherige Benachrichtigung nicht möglich, so hat sie nachträglich zu geschehen.
Die Vornahme der Besichtigung ist durch die Teilnahme des Gewcrbeaufsicbts-
oder Bergaufsichtsbeamten nicht bedingt. Ueber besondere Erhebungen in den
Betrieben ist eine vorherige Verständigung mit den Regierungs- und Gewerbe¬
räten, Regierungs- und Medizinalräten oder dem Oberbergamt herbeizuführen.
§ 5. Finden die Gewerbemedizinalräte bei Besichtigungen, an denen der
Gewerberat (Bergrevierbeamto) nicht teilnimmt, Gesetzwidrigkeiten oder Uebel-
stände, so haben sie hiervon dem zuständigen Regierungs- und Gewerberat, dem
88
Medixinalgesetsgebug.
Oberbergamt oder, wenn dies in besonderen Fällen erforderlich erscheint, dem
Gewerbe rat oder Bergrevierbeamten unmittelbar Mitteilung zu machen. Selb¬
ständiger Anordnungen in den Betrieben haben sie sich zu enthalten, sofern es
sich nicht um dringliche ärztliche Anordnungen handelt, die an Ort und Stelle
Torznnehmen sind. In solchen Fällen ist der za ständige Gewerbeaufsichts- oder
Bergrevierbeamte möglichst schnell unmittelbar zu verständigen.
§ 6. Die Gewerbemedizinalräte haben über Ort, Zeit und Ergebnis sämt¬
licher Dienstreisen und Betriebsbesichtigungen ein Reise- und Revisionsnotizbuch
zu führen und alle dienstlichen Schriftstücke einer nach behördlichen Gepflogen¬
heiten einzurichtenden Registratur einzuverleiben-
§ 7. Werden die Gewerbemedizinalräte durch die Gerichte 1. als Sach¬
verständige, 2. al3 außerhalb des Wohnortes zu vernehmende Zeugen, 3. als Zeugen
über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht*
herangezo^en, so haben sie ihrer Vorgesetzten Dienstbehörde unter Angabe des
Gegenstandes der Vernehmung und unter Darlegung der Gründe, welche etwa
im Dienstinteresse die Vernehmung als unzulässig oder nachteilig erscheinen
lassen, sofort Anzeige zu machen, damit die vorgetzte Behörde rechtzeitig,
d. b. vor dem Termin, das ihr gesetzlich zustehende Einspruchsrecht wahren
kann. Diese Anordnung erstreckt sich auch auf die Fälle, in denen die Be¬
amten durch einen Angeklagten unmittelbar vorgeladen werden sollten.
§ 8. Die Ausübung von Privatpraxis und die Uebernahme von Neben¬
arbeiten gegen Vergütung irgendwelcher Art ist den Gewerbemedizinalräten
untersagt. Auf Gutachten vor Gericht und vor den Spruchbehörden der Unfall¬
versicherung sowie auf wissenschaftliche Veröffentlichungen findet diese Be-
stimmnng keine Anwendung.
§ 9. Alljährlich haben die Gewerbemedizinalräte nach Maßgabe der
darüber bestehenden besonderen Vorschriften einen das abgelaufene Kalender¬
jahr umfassenden Jahresbericht über ihre Tätigkeit zu erstatten, der bis zum
1. März durch Vermittlung des Vorgesetzen Regierung- (Polizei-) Präsidenten
in je einer Ausfertigung dem Minister für Volks Wohlfahrt und dem Minister
für Handel und Gewerbe vorzulegen ist.
§ 10. Der Erlaß weiterer und die Abänderung dieser, den Dienst der
Gewerbemedizinalräte regelnden Bestimmungen bleibt Vorbehalten.
/l
f Ueberwachnng der Agabe von Heilmitteln seitens der Dentaldepots
an Zahnärzte und Zahntechniker. Kunderlaß des Ministers für
Volkswoulfahrt vom 18. April 1922 — I M. II 217 — an sämtliche
Herren Regierungpräsidenten.
Verschiedene Beobachtungen berechtigen zu der Annahme, daß die Vor¬
schriften über den Verkehr mit Arzneimitteln und insbesondere auch über den
Verkehr mit den unter das Opiumgesetz vom 30. Dezeber 1920 fallenden Be¬
täubungsmitteln von den Dentaldepots nicht hinreichend beachtet werden. Die
Abgabe von Arzneimitteln an Zahnärzte und Zahntechniker ist als Abgabe an
Verbraucher anzusehen. Mithin kommen die im § 3 der Verordnung über den
Verkehr mit Arzneimitteln vom 22. Oktober 1901 (Reichsgesetzbl. S. 380) für
den Großhandel vorgesehenen Ausnahmebestimmungen bei den Dentaldepots
nicht zur Anwendung. Es dürfen also z. B. Lösungen von Heilmitteln seitens
der Dentaldepots an Zahnärzte und Zahntechniker nicht verkauft werden. Im
Hinblick auf die Vorschriften über die Abgabe von starkwirkenden Arzneien
dürfen weiter Zubereitungen, die z. B. Kokain enthalten, an Aerzte und Zahn¬
ärzte nur auf schriftliche Anweisung seitens der Apotheken abgegeben werden.
Da aus den angegebenen Gründen eine Ueberwachung des Arzneimittelverkehrs
in den Dentaldepots dringend geboten erscheint, ersuche ich ergebenst, anf die
f esetzlichen Bestimmungen über den Arzneimittelverkehr hinzuweisen und
eren Befolgung überwachen zu lassen.
Verantwortlich fftr die 6chriftle!tnng: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig, Reg.- a. Med.-Rat ln B ree lau,
Breslau V, RehdlgerstraSe 84• Druck ron J. O. O. Brams, Mi nden L W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 16. 20. August. 1922.
Medizinal - Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich
Sicherung der ärztlichen Versorgung bei den Krankenkassen. Gesetz
vom 20. April 1922.
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung
des Reichsrats hiermit verkündet wird:
§ 1. Der Reichsarbeitsminister kann im .Falle eines Bedürfnisses Be¬
stimmungen darüber treffen, wie über die Vorschriften der §§ 370, 371 der
Reichsversicherungsordnung und des § 10 des Reichsversorgungsgesetzes hinaus
die Krankenkassen ermächtigt werden, statt der Krankenpflege oder sonst er¬
forderlichen ärztlichen Behandlung eine bare Leistung zu gewähren. Diese
Bestimmungen sind dem Reichstag alsbald zur Kenntnis zu bringen und auf sein
Verlangen anfzuheben.
§ 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
^ Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern ln
^Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien.
Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 20. April 1922.
Auf Grund der §§ 120 e und 139 a der Gewerbeordnung und des Artikels 179
Abs. 2 der Reichsverfassung wird mit Zustimmung des Reichsrats folgendes
bestimmt:
In Abänderung der Bekanntmachungen und Verordnungen betr. die Be¬
schäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten. Glas¬
schleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien, vom 9. März 1913'), vom
22. August 1917, vom 5. November 1918, vom 23. Januar 1920 und vom
28. Januar 1921 wird die Gültigkeitsdauer der Bestimmungen bis zum 1. April
1923 verlängert. _
B. Preußen.
J Außerkrafttreten der Abänderung des § 12 der Pollzeiverordnung
'über den Handel mit Giften vom 22. Februar 1906. Polizeiverord¬
nung der Minister für Handel und Gewerbe und des Innern vom
5. Oktober 1921.
Auf Grund des § 136 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Landes¬
verwaltung vom 30. Juli 1883 (G. S. S. 195 ff.) wird verordnet:
Die Polizeiverordnung, betreffend Abänderung des § 12 der Polizeiverord¬
nung über den Handel mit Giften vom 22. Februar 1906, vom 10. August 1917*)
tritt mit dem Tage der Verkündung dieser Polizeiverordnnng außer Kraft.
Befreiung von Anstaltsbehandlung der Krüppel. Runderlaß des
Ministers für Volkswohlfahrt vom 14. April 1922 — m E. 1485 —
an die Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten.
Auf Grund des § 11 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die öffentliche
Krüppelfürsorge vom 6, Mai 1920*) Gesetzsammlung S. 280, verlängere ich
über den 31. März 1922 hinaus bis zum 31. März 1923 die den nach¬
stehend angeführten Landarmenverbänden bisher gewährten Befreiungen
*) Siehe diese Zeitschrift, 1913, Beil. Rechtspr. S. 84.
*) Siehe diese Zeitschift, 1917, Beil. S. 119.
*) Siehe diese Zeitschrift, 1920, Beil. S. 86.
70
Meriiainalgesetzgebiing.
von der Verpflichtung zur Anstaltsunterbringung der Krüppel mit der Ma߬
gabe, daß diejenigen Krüppel erforderlichenfalls in Anstaltbehandlung zu
nehmen sind, welche bis zum 31. März 1923 ihr 6. Lebensjahr vollendet oder
ihr 14. Lebensjahr nicht überschritten haben werden. Diejenigen Krüppel, denen
gegenüber nach den bisherigen Bestimmungen eine Behandlungspflicht bestand,
sind weiter zu behandeln, auch wenn sie das vierzehnte Lebensjahr inzwischen
überschritten haben. Die Befreiung wird folgenden Landarmenverbänden erteilt:
1. Westpreußen (hinsichtlich der preußischen Teile), 2. Pommern, 3. Brandenburg,
4. Schleswig-Holstein, 5. Sachsen, 6. Schlesien (für die Provinz Nieder- und
Oberschlesien), 7. Westfalen, 8. Hessen, 9. Nassau.
Ich erwarte, daß auch bei Krüppeln, denen gegenüber nach der vor¬
stehenden Befreiung eine Behandlungspflicht der Landarmenverbände nicht be¬
steht, namentlich in Fällen, wo das jugendliche Alter des Krüppels die Be¬
handlung besonders begünstigt, diese ausgeführt wird, wie dies z. B. von dem
Landarmenverband Schlesien in dankenswerter Weise schon geschieht.
Ob und in welchem Umfange staatliche Mittel im Rechnungsjahr 1922
verfügbar werden, wird sich aus den kommenden Beratungen über den Staats¬
haushalt, insbesondere den Haushalt meines Ministeriums ergeben.
>^rl
X 258
Hübe der von den Privaten zu erstattenden Schreibgebühren. Run d -
rlaß des Ministers fürVokBWohlfahrt vom 11. Mai 1922 — A. 3.
258 — an die nachgeordneten Dienststellen.
In Abänderung des Runderlasses vom 31. März d. Js. A. 3. Nr. 175 wird
bestimmt, daß für die auf Kosten von Privaten angefertigten Schreibarbeiten
an Stelle des bisherigen Satzes von jetzt ab fünf Mark für die Seite zu er¬
heben sind.
Al
S an
Benutzung von Lysol durch die Hebammen. Runderlaß des
Ministers für Volkswohlfahrt vom 12. Mai 1922 — I.M. 11.3130/21 —
an die Herren Regierungspräsidenten.
Von verschiedenen Seiten ist bei mir unter Hinweis auf die namentlich
während des Krieges öfters festgestellte minderwertige Beschaffenheit der
Kresolscifenpräparate angeregt worden, den Hebammen zu gestatten, bei Aus¬
übung ihres Berufes an Stelle der durch das Hebammenlehrbuch vorgeschriebenen
Kresolseife das nach Ansicht mancher Sachverständigen wirksamere Lysol zu
verwenden. Obwohl die besonders infolge Fettmangels bei der Herstellung der
Kresolseife eingetretenen Mißstände in der Hauptsache jetzt behoben sind, will
ich doch nach eingehender Prüfung der Sachlage jener Anregung stattgeben,
da das Lysol ebenfalls eine Kresolseife ist, die in ihrer Zusammensetzung und
Wirkung der Arzneibuchware im wesentlichen entspricht.
Ich erkläre mich deshalb ausdrücklich damit einverstanden, daß die
Hebammen künftig neben der ihnen durch die §§ 113 Ziffer 5, 116 und 194
Ziffer 10 des Hebammenlehrbuchcs sowie durch den § 20 der Hebammendienst¬
anweisung vorgeschriebenen Kresolseife auch Lysol benutzen dürfen. Für die
Zubereitung der unter Verwendung von Lysol herzustellenden Kresolseifen-
lösungen bleiben die bisherigen Vorschriften des Hebammenlehrbuches unver¬
ändert in Geltung.
Ich ersuche die Kreisärzte anzuweisen, die Hebammen hierüber ent¬
sprechend zu unterrichten.
Erlaubnis zum Gebrauch des Roten Kreuzes. Runderlaß des
Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Mai 1922 — III. G. 647 —
an die Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten.
Nach § 1 des Gesetzes zum Schutze des Genfer Neutralitätszeichens vom
22. März 1902 — Reichsgesetzbl. S. 125 — dürfen das in der Genfer Konvention
zum Ncutralitätszeichen erklärte Rote Kreuz auf weißem Grunde sowie die
Worte „Rotes Kreuz“ unbeschadet der Verwendung für Zwecke des militärischen
Sanitätsdienstes zu geschäftlichen Zwecken sowie zur Bezeichnung von Vereinen
oder Gesellschaften oder zur Kennzeichnung ihrer Tätigkeit nur auf Grund be¬
hördlicher Erlaubnis gebraucht werden. Für diese Erlaubnis, die mit Wirkung
für das Reichsgebiet nur von den Landeszentralbehörden erteilt werden kann,
waren bisher die in der Bekanntmachung des Reichskanzlers, betreffend die
Medizinalgesetzgebung
71
Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum Gebrauch des Roteti Kreuzes
vom 7. Mai 1903 — Reichsgesetzbl. S. 215 —, niedergelegten Grundsätze des
Bundesrats maßgebend. Die genannte Bekanntmachung bestimmt unter Ziffer 1
folgendes:
Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich
der Ritterorden sowie der geistlichen Orden und Kongregationen zu erteilen,
welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und durch eine
Bescheinigung des zuständigen Kriegsministeriums nachweisen, daß sie für den
Kriegsfall zur Unterstützung des militärischen Sanitätsdienstes zugelassen sind.
In Ergänzung hierzu wird in Ziffer 4 der Dienstvorschrift für die frei¬
willige Krankenpflege vom 12. März 1907 vorgeschrieben, daß die Zulassung
zur Unterstützung des Kriegssanitätsdienstes in der Regel durch den Kom¬
missar und Militär-Inspekteur der freiwilligen Krankenpflege nachzusuchen ist.
Diese Bestimmungen können gegenüber den Artikeln 177 und 178 des
Vertrages von Versailles, nach denen Vereine, Gesellschaften und dergleichen
in keinerlei Verbindung mit dem Kriegsministerium oder irdeiner anderen mili¬
tärischen Behörde stehen dürfen, und ferner als auf eine Mobilmachung ab-
ziclende Maßnahme untersagt sind, nicht länger aufrechterhalten werden.
Andererseits kann bei inneren Unruhen und bei öffentlichen Notständen auf die
Unterstützung de» Heeressanitätsdienstes durch die Vereinigung der freiwilligen
Krankenpflege nicht verzichtet werden. Auch muß Deutschland in der Lage
bleiben, bei internationalen Hilfsexpeditionen mit Hilfe der Roten Kreuzverbände
mit Personal oder Material helfend mitwirken zu können.
Unter Zustimmung sämtlicher Landesregierungen soll daher die Ziffer 1
der vorerwähnten Bekanntmachung des Reichskanzlers künftig folgende Fassung
erhalten:
Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich
der Ritterorden sowie der geistlichen Orden und Kongregationen zu er¬
teilen, welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und
durch eine Bescheinigung des Reichsministcriums des Innern nachweisen,
daß sie zur Unterstützung des amtllichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen
Notständen und bei inneren Unruhen zugelassen sind.
Die Ausstellung der entsprechenden Bescheinigung erfolgt daher auch
nicht mehr durch den Herrn Reichswehrminister, sondern durch den Herrn Reichs¬
minister des Innern. Desgleichen ist auch mit Wirkung vom 1. Oktober 1921
ab die Oberleitung der freiwilligen Krankenpflege (früherer Reichskommissar
und Militär-Inspekteur der freiwilligen Krankenpflege) dem Reichsministerium
des Innern angegliedert worden.
Ich ersuche daher, dafür zu sorgen, daß etwaige Gesuche um Erteilung
der fraglichen Bescheinigung nicht unmittelbar, sondern durch meine Vermitt¬
lung zur Vorlage gebracht werden.
Die Entscheidung darüber, ob ein Verein oder eine Gesellschaft zur
Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen Notständen und
bei inneren Unruhen zuzulassen ist, wird von der Erfüllung der nachstehenden
Bedingungen abhängig gemacht werden:
1. Die in Betracht kommende Vereinigung hat sich zu verpflichten, im Be¬
darfsfälle zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes mindestens die
Hälfte ihres Personals zur Verfügung zu stellen und den Gesamtpersonal¬
bestand zum 1. Januar jeden Jahres dem Herrn Reichsminister des Innern
zu melden;
2. die Vereinigung mnß mindestens zehn Mitglieder haben, satzungsgemäß
von einem Vorstand geleitet und nach dem Urteil der zuständigen Orts¬
polizeibehörde und des zuständigen beamteten Arztes in bezug auf Ver¬
halten und Geschäftsgebahren einwandfrei sein;
3. die Satzung der Vereinigung muß gewährleisten, daß als Mitglieder nur
unbescholtene Persönlichkeiten aufgenommen werden;
4. das Personal muß körperlich leistungsfähig sein und sich über die er¬
forderliche technische Vorbildung im Sanitätsdienst ausweisen können, und
zwar Pfleger und Pflegerinnen durch mindestens einjährige Pflegetätigkeit
in einem Krankenhaus sowie durch Ablegung einer besonderen Prüfung;
5 . die Vereinigung hat sich zu verpflichten, für die Erhaltung der prak¬
tischen Kenntnisse des zur Verfügung gestellten Pflegepersonals durch
72
Medizinalgeaetzgebung.
Abhaltung von Wiederbolnngskursen in höchstens dreijährigen Zwischen
räumen oder in anderer Weise Sorge zu tragen;
6. die Vereinigung muß gewillt und imstande sein, für das zur Verfügung
gestellte Personal die für die freiwillige Krankenpflege vorgeschriebene
Dienstkleidung zu stellen.
U Tagegelder für Dienstreisen der Staatsbeamten und Erweiterung
mer Liste der besonders teuren Orte im Sinne der Vorschriften Aber die
Bewährung von Dienstreisetagegeldern, Beschäftigungsgeldern and Woh¬
nungsbeihilfen. Runderlaß des Finanzministers vom 15.Mai 1922 —
an die nachgeordneten Behörden.
I. In Aenderung der Runderlasse vom 5 April 1921 ‘) — F. 31. Bl. Ö. 216 —
und vom 19. November 1921 — F. M. Bl. S. 539 — genehmigen wir auf Grund
des § 8 Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910 bezw. des § 8 Abs. 2
der Reisekostenverordnung für Angehörige der Landjägerei vom 9. August 1913
für den Bereich der allgemeinen Kreiskassen-, Kataster- und Hochbauverwaltung
sowie der inneren Verwaltung einschließlich der staatlichen Polizeiverwaltungen,
der Landjägerei und der Schutzpolizei, daß mit Wirkung vom 1. April 1922
ab den Staatsbeamten bei Dienstreisen an Stelle der bisherigen Entschädigungen
besondere Zuschläge zu den gesetzmäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die
mit den Tagegeldern zusammen folgende Beträge nicht überschreiten dürfen ;
Tagegeld¬
stufe
bei Dien
streisen
nach nicht teuren Orten
nach besonders teuren Orten
mehrtägig
UL
eintägig
UL
mehrtägig
UL
eintägig
UL
I
80
35
110
50
11
90
40
120
60
111
100
45
140
80
IV
120
55
160
100
V
140
65
180
i
120
Als besonders teure Orte im Sinne der bisherigen Vorschriften sind be¬
züglich der
a) Dienstreisetagstagegelder,
b) Beschäftigungsgelder (vergl. Ziffer 8 Abs. 1 der Rundverfügung vom
20. Juni 1921 — F. M. Bl. S. 278 — in der Fassung der Rundverfügung
vom 14. Februar 1922 — F.M.B1. S. 85),
c) Kommandozulagen für Landjägereibeamte (vergl. Rundverfügung des Mi¬
nisters des Innern vom 16. Februar 1922 — G. 1.144 —, M. Bl. f. d. i. V.
8. 184),
d) Wohnungsbeihilfen (vergl. Ziffer 18 der Rundverfügung vom 28. Februar
1922 — F. M. Bl. S. 93),
mit Wirkung vom 1. April 1922 ab anzusehen:
Aachen, Altona, Berlin, (vergl. Gesetz vom 27. April 1920 — Ges. S. S. 123)
Bremen. Breslau, Chemnitz, Coblenz, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Duisburg,
Essen, Flensburg, Frankfurt a. M., Fürth, Hamburg, Hannover, Kiel, Köln,
Königsberg i. Pr., Konstanz, Leipzig, Ludwigshafen, Magdeburg, Mainz,
Mannheim, München, Oppeln, Stettin, Trier und Wiesbaden, die zur Ortsklasse A
gehörigen Nordseeinscln, sowie ferner alle übrigen nach dem Ortsklassen¬
verzeichnis zur Ortsklasse A gehörigen Orte mit mehr als 100 000 Einwohnern.
Maßgebend für die Einwohnerzahl ist das Ergebnis der letzten amtlichen
Volkszählung.
II. Im übrigen tritt an den bisherigen Grundsätzen der Abfindung der
Beamten bei Dienstreisen keine Aenderung ein.
*) Siehe diese Zeitschrift, 1921, Beil. S. 61.
Verantwortlich für die Schriftleitnng: Oeh.Med.-Bat Or. So Ihrig, Reg.- n. Med.-Rat in BreaUo,
BreiUo V, Rehdlgentraße 34. Druck tob J. C. 0. Brun*, Minden i. W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 17. 5. September. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich
Abgabe von ({uellstiften In Apotheken. Weitere Bekanntmachungen
und Verordnungen im wesentlichen gleichen Inhalts wie in Preußen*) sind er¬
lassen in
Bayern unter dem 24. Februar 1922 (Verordnung des Ges.Ministeriums),
Sachsen durch Verordnung des Ministeriums des Innern vom 21 Jan. 1922,
Baden durch Verordnung des Ministeriums des Innern vom 21. Febr. 1922,
Hessen (Verordnung vom 19. Januar 1922),
Hamburg (22. Februar 1922), Mecklenburg-Schwerin (6. Juni
1922), Oldenburg, Landestoil Birkenfeld (9. Januar 1922), Bremen (24.Fe¬
bruar 1922), ferner: Anhalt, Lippe, Waldeck, Schaumburg-Lippe.
^ Beschäftigung von Arbeiterinnen and jugendlichen Arbeitern ln
Wale* und Hammerwerken. Verordnung des Reichsarbeitsministers
vom 2. Juni 1922.
Auf Grund des § 189 a der Gewerbeordnung und des Artikels 179 Abs. 2
der Reichsverfassung wird mit Zustimmung des Reichsrats folgendes verordnet:
Die Giltigkeitsdauer der Bestimmungen über die Beschäftigung von
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Walz- und Hammerwerken (Ziffer I
bis V der Bekanntmachung vom 20. Mai 1912 — Reichsgesetzbl. S. 311 —)
wird bis zum 1. Juni 1928 mit der Maßgabe verlängert, daß sich die Dauer
der Arbeitszeit und der Pausen nach den Vorschriften der Anordnung über
die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918
(Reichsgesetzbl. S. 1334)/17. Dezember 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1486) richtet.
B. Preußen.
Erhöhung der GebHhren für die staatliche Prfifnng von Wohlfahrts-
Pflegerinnen. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
27. April 1922 — m G. I M. 131 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Mit Rücksicht auf die fortschreitende Geldentwertung setze ich unter
entsprechender Abänderung der Bestimmung im § 6 der Vorschriften über die
staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom 22. Oktober 1920 den Betrag
der für die Prüfung zu entrichtenden Gebühren auf 100 Mark fest.
Die Erhöhung tritt mit dem Tage der Veröffentlichung dieses Erlasses
in der „VolksWohlfahrt“ in Kraft.
Die in Betracht kommenden Wohlfahrtsschulen sind durch die zuständigen
Herren Regierungspräsidenten zu benachrichtigen.
Vergütung für Massenimpfungon. Runderlaß des Ministers für
Volkswohlfahrt vom 16.Mail922 — IM. III Nr. 1073 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
In Abänderung meiner Verfügung vom 4. März 1921 — I. M. HL Nr. 61 —
Volkswohlfahrt, Seite 160 —, wird für Massenimpfungen im Sinne der Erlasse
vom 2. Juni 1917 und 8. Juni 1920 — M. 12132, I. M. HI. 1229/20 - Minist.-
Blatt für Medizinalangelegenheiten 1917, Seite 226, Volkswohlfahrt 1920,
Seite 124 —, im Hinblick auf die inzwischen weiter eingetretene Teuerung eine
*) Siehe diese Zeitschrift, 1922, Beil. 7, S. 40.
74
Medizinalgesetxgebung.
Erhöhung der bisherigen Vergütung yon 2H. anf 6 M. für jede geimpfte Per¬
son (mindestens jedoch insgesamt 125 M. für einen Termin) ab angemessen
erachtet. Für Fahrten über Land sind die Fnhrkosten besonders zu erstatten.
Teuerungszuschlag zu den Sätzen der Gebührenordnung für Aerzte
und Zahnärzte Tom 15. März 1922 and Abänderung einiger Bestimmungen
dieser Gebührenordnung. Bekanntmachung des Ministers für Volks¬
wohlfahrt vom 20. Juli 1922.
1. Vom 1. Juli 1922 tritt zu den Sätzen der Gebührenordnung (II A u. B
sowie III) ein Teuerungszuschlag von 45 v. H.
2. Abs. 2 des § 13 erhält folgende Fassung:
In jedem Vierteljahr wird durch einen Ausschuß geprüft, ob die Gebühren¬
sätze dem jeweiligen Teuerungsstand entsprechen. Der Ausschuß setzt sich
zusammen aus einem vom Minister zu bestimmenden Vorsitzenden, aus 4 von
den großen Hauptverbänden zu benennenden Vertretern der Reicbsversicherungs-
träger (darunter 2 Vertreter der Krankenkassen) und einem vom Minister zu
bestimmenden fünften Mitglied einerseits, ferner aus 5 von dem Aerztekammer-
ausschuß für Preußen zu benennenden Aerzten, soweit die Gebühren für Aerzte,
und 5 von der Preußischen Zahnärztekammer zu benennenden Zahnärzten, soweit
die Gebühren für Zahnärzte in Betracht kommen, andererseits.
3. Die übrigen Abänderungen beziehen sich lediglich auf Gebühren für
zahnärztliche Verrichtungen, von deren Abdruck hier abgesehen wird.
Staatliche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen
Instituten. Erlaß des Ministers fürVokswohlfahrt vom 19. Apri 1
1922 an die Herren Regierungspräsidenten.
Sofern ein Prüfungsausschuß gemäß § 3 der Vorschriften für die staat¬
liche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten vom
26. August 1921 *) nicht gebildet werden kann, ersuche ich die Prüfung von
Bewerberinnen von dem Regierungs- und Medizinalrat oder seinem Vertreter
und zwei Fachmännern vornehmen zu lassen, deren Wahl ihnen überlassen bleibt
und von denen einer der Direktor des zuständigen Medizinaluntersuchungsamts
sein kann.
ln gleicher Weise ist der fehlende Prüfungsausschuß bei der Prüfung
der Anträge auf Erteilung der staatlichen Anerkennung ohne vorherige Prüfung
(§ 19, Abs. 4 a. a. 0.) zu ersetzen_
r Staatliche Anerkennung von Wbhlfabrtspflegerlnnen In der Geber«
gangszeit. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 27. Ap ril
1922 an die Herren Regierungspräsidenten.
Diejenigen Herren Regierungspräsidenten, in deren Bezirken sich Staat«
lieh anerkannte Wohlfahrtsschulen und Wohlfahrtsschulen mit staatlich an¬
erkanntem Prüfungsausschuß befinden, ermächtige ich unter entsprechender
Abänderung der Bestimmung in § 19 Abs. 2 der Vorschriften über die staat¬
liche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom 22. Oktober 1920*), über Anträge
von Wohlfanrtspflegerinnen auf Erteilung der staatlichen Anerkennung gemäß
dem für die Uebergangszeit erlassenen Ausnabmevorschriften nach Anhörung
des betreffenden Prüfungsausschusses selbständig zu entscheiden, wenn die Aus¬
bildung der Bewerberinnen den im § 19 Abs. 1 der genannten Vorschriften ge¬
stellten Anforderungen in jeder Weise entspricht.
Bezüglich der zweifelhaften Fälle und der abzulehnenden Gesuche ver¬
bleibt es bei der bisherigen Uebung.
Schulwissenschaftliche Vorbildung der Wohlfahrtspllegerinnen. Rund¬
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt und desMinisters für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 31. Mai 1922 —
III. G. 509/22. I. M. ü. III. B. 10 773 M. f. W. K. u. V. — an die Herren Re¬
gierungspräsidenten und die Provinzialschulkollegien.
Die staatlich anerkannten Wohlfahrtsschulen haben künftig vor jeder
Aufnahme einer Schülerin dem zuständigen Provinzialschulkollegium durch Ver-
*) 8. diese Zeitschrift 1921, Beilage 8.18.
Medizinalgesetzgebung.
76
mittlung des Herrn Regierungspräsidenten unter Beifügung der in § 4, Ziffer 4
der Vorschriften über die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom
22. Oktober 1920 vorgeschriebenen Nachweise über die schulwissensch&ftliche
Vorbildung der Bewerberin Anzeige zu machen, damit das Provinzialschul¬
kollegium die schul wissenschaftliche Vorbildung der Schülerinnen
nachprüfen und feststellen kann.
Dieser Erlaß findet auch auf die zurzeit die staatlich anerkannten Wohl¬
fahrtsschulen schon besuchenden Bewerberinnen insoweit Anwendung, als eine
Nachprüfung ihrer schulwissenschaftlichen Vorbildung durch das Provinzial¬
schulkollegium bisher nicht stattgefunden hat.
Die Vorsitzenden der Prüfungsausschüsse ersuche ich, bei der Prüfung
der Zulassungsgesuche darauf zu achten, daß den Bestimmungen dieses Er¬
lasses Rechnung getragen worden ist.
C. Württemberg.
Bekämpfung der Tuberkulose. Erlaß des Ministeriums de*
Innern vom 20. Januar 1922.
Schon in dem Erlaß vom 19. November 1904 und insbesondere in dem
Erlaß vom 10. Juli 1909*) hat das Ministerium des Innern auf den unbefriedigenden
Stand der Maßnahmen zur Verhütung der Tuberkulose hingewiesen und zn
deren Bekämpfung aufgefordert. Die seither unternommenen Schritte haben
zu einem allmählichen Sinken der Tuberkulosesterblichkeit bis zum Jahre 1914
geführt. Während des Krieges ist diese jedoch erheblich in die Höhe gegangen,
nnd wenn sie jetzt auch wieder abzunehmen beginnt, so ist doch kein Zweifel
darüber, daß die Zahl der Erkrankungen an Tuberkulose erheblich zugenommen
hat. Bei dem chronischen Verlauf der Krankheit ist eine Steigerung der Sterb¬
lichkeit in den kommenden Jahren in ziemlich sichere Aussicht zu nehmen.
Nun hat im Laufe der vergangenen Jahre die wissenschaftliche Auf¬
fassung über das Zustandekommen der Lungentuberkulose sich dahin ge¬
ändert, daß nicht nur die Erwachsenen, wovon die früheren Erlasse ansgingen,
hauptsächlich gegen die Ansteckung zn schützen sind, sondern daß die An¬
steckung fast bei der Mehrzahl der Fälle schon in früher Jugend erfolgt. Die
Untersuchungen nach der Pirquetschen Methode — Hautimpfung mit Tuber¬
kulin — haben gezeigt, daß in Württemberg etwa ein Drittel aller Kinder
schon in den ersten zehn Lebensjahren mit Tuberkelbazillen behaftet und tuber¬
kulosekrank ist. Von diesem Drittel, meist an innerer oder äußerer Drüsen¬
oder an Knochentuberkulose Erkrankten, können aber wenigstens drei Viertel
geheilt und bei ihnen der spätere Ausbruch der Lungenschwindsucht verhütet
werden, wenn die Krankheit rechtzeitig erkannt und einer zweckmäßigen Be¬
handlung zugeführt wird. Diese wichtige Aufgabe bei der Bekämpfung der
Tuberkulose sollten neben der in dem Ministerialerlaß vom 10. Juli 1909 ge¬
forderten Fürsorge für frisch erkrankte Lungentuberkulose und für vorgeschrittene
offene Tuberkulöse die Fürsorgestellen, die dazu fast allein befähigt sind, mit
Nachdruck übernehmen.
Da jedoch in wenigen Bezirken Fürsorgestellen errichtet sind, ergeht an
die Oberämter nnd Oberamtsärzte hiermit die Weisung, eindringlichst darauf
hinzuwirken, daß in jedem Bezirk wenigstens eine Tuberkulosefürsorgestelle
errichtet wird, zu deren Einrichtung und Betrieb einen nennenswerter Staats¬
beitrag — durchschnittlich für den Bezirk etwa 10 000 M. in Aussicht gestellt
werden kann. Um den Tuberkulosefürsorgestellen einen gesicherten Rückhalt
zu geben, empfiehlt es sich, sie als eine Einrichtung der Amtskörperscnaft aus¬
zugestalten. Dabei kann jedoch dieser anheimgestellt bleiben, den Betrieb als
einen selbständigen Eigenbetrieb auszugestalten pder ihn einem anderen Eigen¬
betrieb der Amtskörperschaft anzuschfießen oder ihn einem Verein oder einer
städtischen Stelle zu überweisen, denn die Einrichtung der Tuberkulosefürsorge¬
stelle soll sich in den einzelnen Bezirken nach den bestehenden örtlichen Verhält¬
nissen richten. Im übrigen wird auf die nachfolgenden Richtlinien hingewiesen.
Die Gesuche um Beiträge sind mit einem Bericht über die Tätigkeit der
Tuberkulosefürsorgestellen des Bezirks alljährlich auf 1. Juli an das Ministerium
des Innern einzureichen.
*) Siehe diese Zeischrift, 1909, Beil. Rechtsprechung S. 180.
76
Medizin algesetzgebung.
Dem vorstehenden, an die Oberämter and die Oberamtsärzte gerichteten
Erlaß sind beigefügt: Richtlinien für die Einrichtung and den Betrieb von
Tuberkalosefürsorgestellen and Ratschläge für Aerzte zur Erkennung und Be¬
handlung der Tuberkulose. Letztere enthalten eine Anleitung zur Erkennung
und Behandlung der Bronchialdrüsen- und Lungentuberkulose bei Kindern
(Diagnostik, Differentialdiagnostik, Verhütung, Behandlung) und eine Anleitung
zur Erkennung und Behandlung der Lungentuberkulose bei Erwachsenen *
(Diagnostik, Differentialdiagnostik, Ausdehnung und Form der Lungentuberku¬
lose, Grundsätze für die Versorgung der Kranken, Behandlung).
Staatliche Prüfung von Kranken pffegepersonen. Bekanntmachung
des Ministeriums des Innern vom 15. April 1922.
Die Bekanntmachung des Ministeriums des Innern, betreffend die staat¬
liche Prüfung von Krankenpflegepersonen vom 23. Dezember 1908*) wird
folgendermaßen geändert:
I. § 7 Absatz 1 erhält die Fassung:
„Die Gebühren für die Prüfung ausschließlich der Kosten für Verpflegung
(§ 10 Abs. 2) betragen 60 M. und sind vor Beginn der Prüfung zu entrichten.“
II. § 16 erhält die Fassung:
„Jeder Prüfende faßt sein Urteil über die Fähigkeit, Kenntnisse und
Fertigkeiten der Geprüften zusammen unter ausschließlicher Verwendung der
Zeugnisse „sehr gut“ (1), „gut“ (2), „befriedigend“ (3), „ungenügend“ (4) und
„schlecht“ (5). Wer das Gesamtzeugnis ungenügend erhält, hat die Prüfung
nicht bestanden. Ueber das Gesamtzeugnis entscheidet der Prüfungsausschuß
mit Stimmenmehrheit.“
III. § 20 erhält die Fassung:
„Ausnahmsweise kann Personen, die an einem Krankenpflegelehrgang von
ausreichender Dauer teilgenommen haben und durch ein Zeugnis des zustän¬
digen beamteten Arztes oder Krankenhausarztes oder des Leiters einer vom
Staat anerkannten geistlicheu oder weltlichen Krankenpflegegenossenschaft nach-
weisen, daß sie mindestens 5 Jahre lang als Privatpfleger oder im Anstalts¬
oder Gemeindedienst Krankenpflege in befriedigender Weise ausgeüht und sich
während dieser Zeit gründlich fortgebildet haben, die staatliche Anerkennung
als Krankenpflegeperson ohne Prüfung erteilt werden, wenn sie bis spätestens
30. September 1922 einen dahin gehenden Antrag beim Ministerium des Innern
stellen und der gutachtlich gehörte Prüfungsausschuß sich dafür ausspricht.“
D. Hamburg.
Prüfung von Zahntechnikern. Verordnung der Gesundheits¬
behörde in Hamburg vom ö.April 1922.
Die Gesundheitsbehörde in Hamburg hat unter dem 5. April 1922 eine
Verordnung betr. Prüfung von Zahntechnikern auf Grund Ziffer 1, Abs. e der
hamburgischen Ausführungsbestimmungen vom 29. Dezember 1919, 20. März 1922
zu § 123 der Reichsversicherungsordnung zwecks Zulassung zur Behandlung
von Krankenkassenmitgliedern erlassen, die sich fast völlig, in den Hauptpunkten
wörtlich, mit den für Preußen erlassenen Vorschriften (s. diese Zeitschrift 1920,
Beilage S. 149 ff.) decken. Abweichend hiervon ist folgendes:
Der Prüfungsausschuß hat unter seinen Mitgliedern nur einen Zahn¬
techniker (in Preußen zwei)); die Prüfungsgebühr beträgt 300 M. (in Preußen
150 M.), wozu noch 50 M. (in Preußen 30 M.) für Benutzung von Instru¬
menten pp. kommen. _
Gebühren der Medlzinalpersoncn. Der Senat bestimmt unter dem
34. Juli 1922, daß zu den Gebührensätzen der Gebührenordnung für
Medizinalpersonen als Sachverständige bis auf weiteres ein Zuschlag von
50 vom Hundert tritt.
*) Siehe diese Zeitschrift, 1909, Beil. Rechtspr. S. 24.
Yfln&twortttoh fltr die Schriftlei tun#: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat in Breslau
Breslau V, Reh (Uferstraße — Druck von J. C. C. Bruns, Minden 1. W.
78
Medizmalgesetzgebong.
Prüfling Ton Impfstoffen nnd Sera. Randerlaß des Ministers
für Volkswohlfahrt vom 16. Mai 1922 — I.M. DI. 936 IV — an die
Herren Regierungspräsidenten.
Znr Begegnung etwa entgegengesetzter Auffassungen mache ich darauf
aufmerksam, daß die Bestimmungen und Vorschriften, nach denen bestimmte
Impfstoffe und Sera der staatlichen Aufsicht und Prüfung unterliegen, sowohl
für Präparate, die im Inland zu Ausfubrzwccken hergestellt werden, als auch
für die entsprechenden aus dem Ausland zur Einführung gelangenden Präparate
Gültigkeit haben, da sie ganz allgemein dahin gehen, daß die der staatlichen
Aufsicht und Prüfung unterworfenen Präparate nicht in den Handel und Ver¬
kehr gebracht und nicht feilgehalten und verkauft werden dürfen, bevor sie
nicht der staatlichen Prüfung unterworfen und für brauchbar befunden bezw.
zum Verkauf zagelassen sind.
8ollten also aus dem Ausland eingeführte ungeprüfte Impfstoffe und
Sera im Verkehr sein, für die im Inlande eine staatliche Prüfung vorgeschrieben
ist, so ersuche ich ergebenst, auf etwa derartige Vorkommnisse zu achten
und für deren Abstellung in geeigneter Weise event. nach Benehmen mit dem
Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. zu sorgen, gegebenen¬
falls hierher zu berichten.
Hitzemerkblatt und andere Aufklärungsblätter für die Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit. Runderlaß des Ministers für Volks¬
wohlfahrt vom 16. Mai 1922 — I.M. IV. 1070 — an die Herren Re¬
gierungspräsidenten.
Mit Rücksicht auf die beginnende wärmere Jahreszeit mache ich, wie im
vorigen Jahr auf das von der Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichsanstalt
zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit Berlin-Charlotten-
burg 5, Mollwitzstraße - Frankstraße, herausgegebene Hitzemerkblatt zur Ver¬
hütung der Sommersterblichkeit der Säuglinge aufmerksam.
Von dem genannten Hause sind außerdem folgende Blätter zur Auf¬
klärung der Bevölkerung herausgegeben:
a) Merkblatt für Schwangere und Wöchnerinnen,
b) Flugblatt zum Schutze der Säuglinge,
c) Merkblatt für die Ernährung und Pflege des Säuglings- und Kleinkindes,
d) Merkblatt zur Verhütung der Tuberkulose im Kindesalter.
Die Blätter erscheinen im Selbstverläge des Kaiserin Auguste Viktoria-
Hauses. Auf dorthin zu richtende Anträge werden einzelne Stücke, auf denen
auch die beim Bezüge größerer Mengen sehr mäßigen Preise angegeben sind,
zur Ansicht abgegeben. _
Prüfungsgebühren für Nahrungsmlttelchemiker. Erlaß des Mi¬
nisters für Volkswohlf ahrt vom lß.Mai 1922.
Auf Grund eines Beschlusses des Reicbsrats vom 4. Mai 1922 werden
die Vorschriften, betreffend die Prüfung der Nahrungsmittelchemiker, mit
Wirkung vom 15. Mai 1922 wie folgt geändert:
1. § 13 Absatz 1 und 2 erhält folgenden Wortlaut:
An Gebühren sind für die Vorprüfung vor Beginn derselben 100 M. zu
entrichten.
Für Prüflinge, welche das Befähigungszeugnis für das höhere Lehramt
besitzen, betragen in den in § 7 Abs. 5 vorgesehenen Fällen die Gebühren 70 M.
Dasselbe gilt für die Wiederholung der Prüfung in einzelnen Fächern (§ 9 Abs. 2).
2. § 30 Abs. 1 bis 3 erhält folgenden Wortlaut:
An Gebühren sind für die Hauptprüfung vor Beginn derselben 540 M.
zu entrichten. Davon entfallen:
I. auf den technischen Abschnitt: für jeden der ersten drei Teile 75 M.,
für den vierten Teil 45 M.,
ü. auf den wissenschaftlichen Abschnitt 90 M.
III. auf allgemeine Kosten 180 M.
Wer von der Prüfung zurücktritt oder zurückgestellt wird, erhält die
Gebühren für die noch nicht begonnenen Prüfungsteile ganz, die allgemeinen
Kosten zur Hälfte zurück, letztere jedoch nur dann, wenn der dritte Teil des
technischen Abschnitts noch nicht begonnen war.
Medizinalgesetzgebung.
79
Bei einer Wiederholung sind die Gebührensätze für diejenigen Prüfungs¬
teile, welche wiederholt werden, und außerdem je 46 M. für jeden zu wieder¬
holenden Prüfungsteil auf allgemeine Kosten zu entrichten. Für die Nachprüfung
in einem Fache des wissenschaftlichen Abschnitts sind 45 M. zu zahlen.
C. Württemberg.
Gebühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrich¬
tungen. Verordnung des Staatsministeriums vom 28. März 1922.
I. Die Anlage zu der Verordnung des Staatsministeriums, betreffend Ge¬
bühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrichtungen, vom
9. Juni 1920 (Reg. Bl. S. 390) wird wie folgt geändert:
1. In IA wird zwischen den Ziffern 3 und 4 eingeschaltet:
„8 a. In den Fällen Ziff. 1 b, c, 2 und 3 b darf der Höchstsatz ausnahmsweise
bis zum Dreifachen der Beträge überschritten werden, wenn die Be-
Besichtigung oder Oeffnung der Leiche oder die Untersuchung einzelner
Körperteile besonderer Umstände halber einen so außerordentlichen Auf¬
wand von Mühe und Zeit erfordert hat, daß sie auch dtirch den Höchst¬
satz nicht ausgeglichen wäre.“
2. In IA Ziffer 6 wird
a) dem Absatz 2 folgender Satz angefügt:
Erscheint auch diese Gebühr einschließlich etwaiger Teuerungszuschläge
im einzelnen Fall nicht als ausreichend, so kann das Justizministerium
eine höhere Gebühr festsetzen.“
b) nachstehender Absatz 3 beigefügt:
„Vollbeeoldete beamtete Aerzte erhalten« für den Aufwand auf die
Haltung und Anschaffung der erforderlichen wissenschaftlichen Zeit¬
schriften nnd Bücher neben der Gebühr für das Gutachten in jedem
einzelnen Fall eine einmalige Pauschentschädigung von 5 M.“
3. In IA Ziffer 10 wird als letzter Absatz beigefügt:
„Vollbesoldeten beamteten Aerzten steht an Stelle einer Versäumnis-
f ebühr (Abs. la) die einmalige Pauschentschädigung nach Ziff. 6
.bs. 3 zu.“
4. In I A Ziffer 11 Buchstabe b ß werden nach dem Wort
„Kilometer“ die Worte „eine Pauschentschädigung von“ eingeschaltet.
5. Die Ziffer 1 A 12 erhält folgende Fassung:
12. „Bei Verrichtungen außerhalb des Wohnorts erhalten außer den
etwaigen Gebühren für das Geschäft (Verrichtungsgebühr oder in den
Fällen der Ziffer 10 Gebühr für die Mühewaltung und zutreffendenfalls
Pauschenschädigung nach Ziff. 6 Abs. 3 und Ziff. 10 Abs. 5):
a) die vollbesoldeten beamteten Aerzte Reiseaufwandsentscbädigungen
nach den für sie als Staatsbeamte jeweils geltenden Bestimmungen;
b) die nicht vollbesoldeten beamteten Aerzte Versäumnisgebühr und
Reisekostenersatz nach Maßgabe der Bestimmungen in Ziff. 11.“
6. Die Ziffer 1 B 12 erhält folgende Fassung:
12. „Bei Verrichtungen außerhalb des Wohnorts erhalten außer der
Verrichtungsgebühr:
a) die vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten beamteten Aerzte sowie
die nichtbeamteten Stellvertreter der Oberamtsärzte, die für die
Stellvertretung einen Pauschbetrag oder eine Gesamtbelohnung be¬
ziehen, Reiseaufwandsentschädigungen nach den jeweils für die Ober¬
amtsärzte als Staatsbeamte geltenden Bestimmungen, die nichtvoll¬
beamteten Aerzte und die vorstehend genannten Stellvertreter der
Oberamtsärzte bei Verrichtungen außerhalb des Amtsbezirks außer¬
dem eine Entschädigung für Zeitversäumnis:
für einen vollen Tag (8 bis 24 Stunden).24 M.,
für einen halben Tag (weniger als 8 und mehr als 2 Stunden 15 M.,
b) die nichtbeamten Stellvertreter der Oberamtsärzte, die für die ein-«
einzelnen Geschäfte entlohnt werden, und sonstige im Einzelfall zu¬
gezogene Aerzte:
a) Reiseaufwandsentscbädigungen nach den jeweils für die Oberamts¬
ärzte als Staatsbeamte geltenden Bestimmungen (derzeit Verord-
80
Medizinalgesetzgebung.
nung, betreffend die Diäten und Reisekosten der Zivilstaatsdiener,
vom 23. Juni 1873, Reg. Bl. S. 269, in der Fassung der Verord
nun gen des Staatsministeriums vom 14. August 1920, Reg. Bl. S. 507,
vom 22. März und 12. Dezember 1921, Reg. Bl. S. 138 und 550),
ß) Entschädigung für Zeitversäumnis in der in Buchst a vorgesehenen
Weise ohne Unterschied, ob der Ort der Dienstverrichtung inner¬
halb oder außerhalb des Bezirks liegt, für den sie als Stellvertreter
aufgestellt oder im Einzelfall zugezogen sind."
II. In § 3 der Verordnung vom 9. Juni 1920 werden nach dem Wort
„Gebühren“ die Worte „und Pauschentschädigungen“ eingeschaltet.
III. Die Bestimmungen in Ziff. I 1 bis 5 und Ziff. II treten mit Wirkung
vom 1. Januar 1922 an, diejenigen in Ziff. I 6 am Tage der Verkündigung dieser
Verordnung ip Kraft _
Gebühren der Aerzte, Zahnärzte nnd Hebammen für amtliche Ver¬
richtungen. Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern
und der Finanzen vom 28. März 1922.
Auf Grund des § 3 der Verordnung des Staatsministeriums, betreffend
Gebühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrichtungen,
vom 9. Juni 1920 (Reg. Bl. 1920 8. 390) in der Fassung der Ziffer II der Ver¬
ordnung vom 28. März 1922 (Reg. Bl. S. 182) werden die Gebühren und Pausch-
entschädigungen, die in der durch Ziffer I der letzteren Verordnung geänderten
Anlage der Verordnung vom 9. Juni 1920 verzeichnet sind, mit Ausnahme der
in der neuen Fassung von I B Ziffer 12 a und b, ß aufgeführten Versäumnis¬
gebühr mit Wirkung vom -1. Januar 1922 ab bis auf weiteres
1. für die vollbesoldeten beamteten Aerzte verdoppelt,
2. für die übrigen Aerzte sowie für die Zahnärzte und die Hebammen
um 150 v. H. erhöht. Bruchteile einer Mark, die bei der Berechnung des er¬
höhten Beitrags einer Gebühr sich ergeben, dürfen auf volle Mark aufgerundet
werden.
Die Erhöhung Ziffer 2 findet auf Versäumnisgebühren, die nichtvollbesol¬
dete beamtete Aerzte, nichtbeamte Stellvertreter der Oberamtsärzte und im
Einzelfall nach § 3 Abs. 2 der Vollzugsverfügung zum Oberamtsarztgesetz bei¬
gezogene Aerzte in der Zeit vom 1. Januar 1922 bis zum Inkrafttreten der
Ziffer 16 der Verordnung vom 28. März 1922 noch gemäß IB Ziffer 12 und
A Ziffer 11a der Anlage der Verordnung vom 9. Juni 1920 bezogen haben,
keine Anwendung. * _
D. Thüringen.
Verbot äffentlicher hypnotischer Vorführungen. Erlaß des Wirt¬
schaftsministeriums vom 15. Mai 1922, der sich inhaltlich mit den
für die meisten übrigen Länder erlassenen diesbezüglichen Vorschriften deckt.
B. Mecklenburg «Schwerin.
Hebammenwesen. Anweisung der Ministerien für Unter¬
richt und Medizinalangelegenheiten und deslnnern vomlMai
1922 zur Ausführung des Gesetzes betr. das Hebammenwesen
vom 15. Dezember 1921.*)
Die Ausführungsbestimmungen erstrecken sich auf die Hebammenausbildung,
die Hebammenprüfung, die Nachprüfungen, die Fortbildungslehrgänge, die Be¬
aufsichtigung der Hebammen, den Verlust des Rechtes zur Ausübung des
Hebammenbernfes und auf allgemeine Bestimmungen betr. die Benachrichtigungen
zwischen Polizei, Gemeinde- und Kreisarzt zwecks Durchführung der vor¬
geschriebenen Beaufsichtigung.
*) Siehe diese Zeitschrift, 1922, Beil. 8/9. S. 44.
Verantwortlich für die 8 chiifUeitung: Geh. Med.-Rnt Dr. 80 Ihrig, Heg.- u. Med.-Rnt in BreiUa
Breslnu V, Rehdlgerttreße 84. — Druck Ton J. C. C. Brune, Minden 1 . W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 19. 5. Oktober. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Preußen.
fr Erteilung der staatlichen Anerkennung als technische Assistentin an
nichtpreufilsche Bewerberinnen und für preußische Staatsangehörige mit
Ansbildnng in uoßerprenßiBchen Instituten. Kunderlaß desMinisters
für Volkswohlfahrt vom 19. Mai 1922 — I. M. IV. 603/22 — an
die Herren Regierungspräsidenten.
Bedingung für die Erteilung der staatlichen Anerkennung als technische
Assistentin an medizinischen Instituten an Bewerberinnen, die die preußische
Staatsangehörigkeit nicht besitzen, ist, abgesehen von den im § 21 der Prüfungs¬
ordnung vom 26. August 1921 genannten Fällen, die Ablegung der Priifuug
und in Fällen des § 19 der angezogenen Prüfungsordnung die Ausbildung oler
eine wenigstens dreijährige praktische Tätigkeit an einem preußischen Institut.
Für preußische Staatsangehörige ist die Anerkennung nach § 19 der
Prüfungsordnung auch dann möglich, wenn ihre Ausbildung an außerpreußischen
wissenschaftlichen oder Lehr-Instituten erfolgte und wenigstens ein Jahr der
vorgeschriebenen praktischen Tätigkeit an preußischen Instituten zugebracht ist.
Aufbewahrung amtsärztlicher Bescheinigungen für Feuerbestattung.
Runderlaß des Ministers des Innern vom 27. Mai 1922 — II. F.
2016 — an die Herren Regierungspräsidenten.
In Abänderung meines Runderlasses vom 5. Mai 1919 — IID 2585*)
bestimme ich im Einvernehmen mit dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt,
daß die für die Feuerbestattung nnd den Leichentransport ausznstellcnde ge¬
meinschaftliche amtsärztliche Bescheinigung fortan nicht mehr bei den Akten
der den Leichenpaß ausfertigenden Polizeibehörde aufzubewahren, sondern den
Antragstellern anszuh&ndigen ist zwecks Vorlage bei der Polizeibehörde des
Verbrennungsortes gemäß § 7 des Feuerbestattungsgesetzes vom 14. September
1911 (Gr. S. S. 193). Die den Leichenpaß ausfertigende Polizeibehörde hat nur
einen Vermerk zn den Akten zu nehmen, daß der Leichenpaß anf Grand der
von dem beamteten Arzt (Name) in (Ort) unter (Datum) ausgestellten Be¬
scheinigung ausgefertigt ist. _
Ventox- nnd Cyklon-Entwesnngsverfahren. Erlaß des Ministers
für Volkswohlfahrt vom 30. Mai 1922 — I. M. IV. 1227 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
Von verschiedenen Betrieben werden jetzt Anträge gestellt anf Erteilung
der Genehmigung zur Ausführung des Ventox- nnd Cyklon-Entwesungäverfahrens.
Indem ich bemerke, daß das Ventoxverfahren nur für Mühlen zulässig ist, er¬
suche ich ergebenst, die Anträge zn prüfen und ungeeignete sogleich zurück¬
zuweisen. Im übrigen wollen Sie vor der befürworteten Weitergabe an mich
feststellen, wer in den einzelnen Fällen die Ausgasung aasführt und von wem
die betr. Personen in dem Aasgasungsverfahren ausgebildet worden sind.
Falls Sie zu dem Schlüsse kommen sollten, daß die betr. Personen zu¬
verlässig arbeiten, das Gesuch also befürwortet werden kann, wollen Sie die
Betreffenden auch weiterhin in ihrer Tätigkeit als Entweser durch den zu¬
ständigen Kreismedizinalrat fortlaufend beaufsichtigen lassen und falls Verstöße,
*) Siehe diese Zeitschrift, 1919, Beilage S. 42.
82
Medizinalgesetzgebung.
die zu einer Schädigung der menschlichen Gesundheit Anlaß geben können,
bemerkt werden, die weitere Vornahme der Ausgasungen unterbinden, bis die
Ausführung des Verfahrens durch gehörig ausgebildete und zuverlässige Personen
gewährleistet ist. Ueber solche Fälle ist sogleich hierher zu berichten.
X
/ ffl
f R<
Neue Vor Schriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. BunderlaßdesMinisters
fürVolkswohlfahrt vom 31. Mai 1922 — I. M. 1.1254 — an die Herren
Regierungspräsidenten.
Die Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 4. Januar 1905 entsprechen
nicht mehr in allen Bestimmungen dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft.
Ich habe daher diese Vorschriften einer Umarbeitung unterziehen lassen
und als deren Ergebnis „Die Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen" vom heutigen Tage
erlassen, die am 1. Juli 1922 in Kraft treten.
(Von einem Abdruck dieser Vorschriften muß hier abgesehen werden.
Diese finden sich abgedruckt in der „Volkswohlfahrt" vom 15. Juni 1922 —
Nr. 12 — als Beilage).
Richtlinien für die Errichtung von Provinzialansschüssen für
hygienische Volksbelehrnng. Erlaß des Ministers für Volkswohl¬
fahrt vom 16. Juni 1922 — IM IV 970 — an die Herren Oberpräsidenten.
Unter Bezugnahme auf meinen Bunderlaß vom 29. November 1920 —
I M IV 1799 — übersende ich ergebenst je einen Abdruck der vom Landes¬
ausschuß für hygienische Volksbelehrung abgeänderten Bichtlinien für die Er¬
richtung von Provinzialausschüssen sowie Orts- bezw. Kreisausschüssen für
hygienische Volksbelehrung, mit denen ich mich einverstanden erkläre, mit dem
ergebenen Ersuchen um Kenntnisnahme und um weitere Veranlassung.
Richtlinien für die Errichtung von Provlnxlalausschüssen für hygienische
Volkabelehrung (Provinzialgesundheitsausschuß).
Zweckmäßig dürfte die Anlehnung an die Provinzialwohlfahrtsämter
sein, wo solche bestehen. Wo sie nicht vorhanden sind, bedarf es der Initiative
aller an der Volksgesundheit interessierten Persönlichkeiten, um den Provinzial-
gesundheitsausschuß ins Leben zu rufen. Da bei der Gründung des Landes-
ausschusses davon ausgegangen ist, daß die Selbständigkeit der auf dem Ge¬
biete der Volksbelehrung bereits tätigen Organisationen nicht gestört werden
soll, ist es notwendig, diese Organisationen, soweit Bie eine provinzielle
Gliederung haben, bei der Bildung der Provinzialausschüsse heranzuziehen.
Aber über diese hinaus müssen alle diejenigen Kreise beteiligt werden, die
Interesse an der hygienischen Volksbelehrung haben, sofern sie damit ein¬
verstanden sind, daß die Belehrung auf Grund der anerkannten Lehren der
Wissenschaft erfolgt, unter ihnen vor allem Persönlichkeiten, die alB Vertreter
der Vortragenden, als Vertreter der Hörer oder Förderer anzusehen sind. Die
Zusammensetzung dürfte sich etwa folgendermaßen gestalten:
Provinzialbehörden, einschließlich der Unterrichtsbehörden.
Selbstverwaltung des Provinzial Verbandes.
Vertreter der Beichsversicherungsträger.
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen.
Aerztekammer, Zahnärztekammer.
Aerztevereine, Zahnärztevereine.
Lokalkomitee für ärztliches Fortbildungswesen.
Medizinische Fakultät, Akademie für praktische Medizin. Medizinalunter-
Buchungsamt, sonstige hierher gehörige Medizinalinstitute.
Berufskammern.
Die Provinzial verbände der großen Wohlfahrtsorganisationen, wie Deutsches
Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, Deutsche Gesellschaft zu
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten u. a.
Medizin algesetzgebung.
83
ProvinzialkrtippelauBSohuß.
Provinzialvereinigung für Säuglings- und Eieinkinderschutz.
Provinzialverein zur Bekämpfung des Alkoholismus.
Die Provinzialvereine für Eieinwohnungswesen.
Verein für Volks Wohlfahrt für die Provinz.
Der Leiter eines städtischen Wohnungsamtes.
Hausbesitzer- und Mietervereinigung, Bau- und Siedlungsgenossenschaft.
Die Frauen- und Sozialbeamtinnenvereine und die Fürsorgerinnenvereine.
Gesamtverband der Berufsarbeiter in der Wohlfahrtspflege.
Geistlichkeit.
Lehrervereine.
Jugendpfleger.
Die Provinzialvereine vom Boten Ereuz, besonders des Vaterländischen Frauen¬
vereins.
Aufgaben.
1. Schaffung einer geeigneten Organisation in der Provinz, insbesondere
Gründung und Förderung der Gründung von Ereis- oder Ortsausschüssen unter
Fühlungnahme mit allen in Betracht kommenden Organisationen und Behörden.
Gute Vorarbeit auf dem Gebiete der Gründung von Ereis- und Ortsausschüssen
für hygienische Volksbelehrung haben bereits die Organisationen der Deutschen
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, des Deutschen
Vereins für Volkshygiene usw. geleistet, die zweckmäßigerweise überall da
als Mittelpunkt in Frage kommen, wo sie mit Ortsgruppen vertreten sind.
2. Förderung der von den Zentralbehörden angeordneten Maßnahmen
zur Einführung des hygienischen Unterrichts in den Volks- und Fortbildungs¬
schulen, Mitwirkung bei den Ausbildungskursen für amtierende Lehrer. Ver¬
anstaltung von Ausbildungskursen für Aerzte, Fürsorgerinnen, Gemeinde¬
schwestern, Eranken- und Säuglingspflegerinnen, Wohlfahrtspflegerinnen usw.,
die sich der hygienischen Volksbelehrung widmen wollen, ferner für Betriebs¬
räte der Beamten und Angestellten der Beichsversichernngsträger, desgleichen
für Wohnnngsaufsichtsbeamte in hygienischen Fragen. Feststellung vonBicht-
linien für die Orts- oder Ereisausschüsse. Einwirkung auf die in Betracht
kommenden Anstalten des Gesundheits- und Heilwesens, wie Heil- und Pflege¬
anstalten, Lungenheilstätten, Erholungsheime, Hebammenlehranstalten, zum
Zwecke der hygienischen Belehrung der Pfleglinge.
3. Anlage einer Sammlung von Lehrmittteln, die an die örtlichen Aus¬
schüsse ausgeliehen werden können. Der Landesausschuß ist bereit, hierbei
mit Batschlägen und Geldmitteln zu helfen. Die Fühlungnahme mit der Land¬
lichtbildgesellschaft und dem Landlichtspielausschuß des Deutschen Vereins
für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege wird hier von Bedeutung sein.
Die Beschaffung von hygienischen Ausstellungen, ihre planmäßige Verteilung
und Begleitung durch sachkundige Personen in der Provinz, ferner die Er¬
richtung und Förderung von kleinen hygienischen Museen in Ereis und Stadt
gehören nicht weniger zu den Aufgaben der Provinzialausschüsse.
4. Förderung der hygienischen Volksbelehrung durch Beratung der
Eireis- oder Ortsausschüsse, Weitergabe von Anregungen an diese, Beseitigung
von Schwierigkeiten, mit denen diese Ausschüsse zu kämpfen haben, gegebenen¬
falls mit Hilfe der Provinzialbehörden. In der Zeitschrift des Landesaus¬
schusses „Blätter für Volkägesundheitspflege“ wird den Provinzialausschüssen
ein ausreichender Platz für ihre Mitteilungen zur Verfügung gehalten. Auch
die Weitergabe von Anregungen aus der Provinz an die Geschäftsleitung des
L&ndesausschusses gehört zu den Aufgaben der Provinzialausschüsse.
5. Beschaffung der Geldmittel. Es muß daran festgehalten werden, daß
die Provinzialausschüsse finanziell auf eigenen Füßen stehen. Nur ausgleichend
und unterstützend, besonders für die Zeit der ersten Einrichtung, kann der
Landesausschuß mit seinen Mitteln eintreten. Zur Beschaffung der Geldmittel
sind alle Stellen heranzuziehen, die Interesse an dieser Volksbelehrung haben
(Provinzialverwaltung, Beichsversicherungsträger, Lebensversicherungsgesell¬
schaften, ärztliche und zahnärztliche Organisationen, Berufskammern, große
industrielle Unternehmungen, die Provinzialvereinigungen der Wohlfahrts¬
verbände usw.).
84
Medizinalgesetzgebung.
Richtlinien für die Einrichtung von Orts* und Kreisausschflssen für
hygienische Volksbelehrung (Orts* oder Krelsgesundheltsausscbüsse).
Zusammensetzung.
Der gegebene Mittelpunkt für den Ortsausschuß ist das städtische Wohl*
fahrtsamt, für die Kreisausschüsse das Kreiswohlfahrtsamt (vergl. Randerlaß
3 G 291 des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 10. Juni 1920 —
Volkswohlfahrt S. 130 —). Wo solche nicht vorhanden sind, ist der Orts¬
verein eines der größten Wohlfahrtsverbände, wie das Zentralkomitee zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose, die Deatsche Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten, die Deutsche Vereinigung für Kleinkinder- und Säug-
lingsschutz, für Krüppelfürsorge, der Deutsche Verein für Volksbygiene oder
auch eine gut arbeitende Beratungs- oder Fürsorgestelle zum Ausgangspunkt
der Bestrebungen zu machen. Immer aber ist der staatliche bezw. städtische
Gesundheitsbeamte, Kreis- bezw. Stadtmedizinalrat zuvor um seine Mitwirkung
anzugehen.
Da bei der Gründung des Landesausschusses davon ausgegangen ist,
daß die Selbständigkeit der auf diesem Gebiete bereits tätigen Organisationen
nicht gestört werden soll, ist es notwendig, daß diese Organisationen, soweit
sie Ortsausschüsse besitzen, bei der Bildung unserer Orts- oder Kreisausschüsse
hinzugezogen werden.
Darüber hinaus sollen aber alle diejenigen Kreise daran beteiligt werden,
die Interesse an der hygienischen Volksbelehrung haben. Bei der Zusammen¬
setzung dürften je nach den lokalen Verhältnissen etwa folgende Persönlich¬
keiten bezw. Organisationen zu berücksichtigen sein:
Das örtliche Wohlfahrtsamt oder das Kreiswohlfahrtsamt mit dem Kreis-
medizinalrat und den Kommunalärzten, daneben auch die Jugendämter und
die mit dem Schulwesen, der Volksbildung, der Jugend- und Wohlfahrts¬
pflege sonst betrauten Dezernate.
Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung oder Kreistage.
Aerztliche und zahnärztliche Vereine.
Wo solche vorhanden, auch Vertreter der Lokalkomitees für das ärztliche
Fortbildungswesen.
Medizinaluntersuchungsamt und ähnliche Institute.
Krankenkassen.
Große Wohlfahrtsverbände.
Kreisk/üppelausschüsse. Leiter des Wohnungsamtes.
Hausbesitzer und Mietervereine.
Bau- und Siedlungsgenossenschaften.
Presse.
Gewerkschaften.
Bildungsausschüsse der politischen Parteien.
Lehrerschaft.
Geistlichkeit.
Volkshochschule.
Rotes Kreuz, insbesondere der Vaterländische Frauenverein.
Samariterverein.
Einzelpersonen.
Im übrigen begrüßt der Landesausschuß alle, die mit ihm an der
hygienischen Volksbelehrung mitarbeiten wollen, sofern sie damit einverstanden
sind, daß die Belehrung nach den allgemein anerkannten Lehren der Gesund¬
heitswissenschaft erfolgt. Es sei noch besonders betont, daß der Landes-
ausschuß sich nicht die Propagierung von Heilmethoden, sondern die Ver¬
breitung hygienischer, d. h. krankheitsverhütender Kenntnisse zur Aufgabe stellt
G r ü n d u n g vo n 0 r t s au s s ch ü s s en.
Die Gründung von Ortsausschüssen kann zweckmäßig im Anschluß an
Vorträge über Hygiene und Vorführung von belehrenden Filmen Torgenommen
werden oder im Anschluß an die von verschiedenen Stellen geschaffenen
hygienischen oder Fürsorgeausstellungen (Ausstellung für Säuglingsfürsorge,
für Krüppelfürsorge, zur Bekämpfung der Tuberkulose, der Geschlechtkrank-
beiten). Denn zur Durchführung dieser Bestrebungen ist an sich schon eine
Zusammenfassung der interessierten Kreise erforderlich.
Medizinalgeaetzgebung
86
Aufgaben.
Den 0rteau8schÜB8en fällt die eigentliche Aufgabe der hygienischen Be¬
lehrung zu, die sich nicht allein mit der Veranstaltung öffentlicher Vorträge
erschöpfen soll. Die öffentlichen Vorträge sind notwendig, um die Aufmerk¬
samkeit auf die Bestrebungen des Ortsausschusses zu lenken und ihm dadurch
Freunde zuzuführen. Ebenso wichtig aber sind auch die anderen Formen der
Belehrung. Dahin rechnen wir Förderung des hygienischen Unterrichts in den
Schulen und Fortbildungsschulen, Einflußnahme auf Elternabende, die Schul¬
gemeinde, Kirchengemeinde im Sinne der hygienischen Volksbildung, Vorträge
in Gesellschaften, Sportvereinen, Vorträge in Fabriken, speziell über Gewerbe¬
hygiene, Vorträge vor Mietvereinen, Bau- und Siedlungsgenossenschaften über
f eaundes Wohnen, besonders Unterweisungskurse für Geistliche, Lehrer,
irankenschwestern, Fürsorgerinnen, Mütter, Jugendpfleger, Jugendpflegerinnen,
für Beamte und Angestellte der Krankenkassen.
Bei Gelegenheit der öffentlichen Impfungen kann der Impfarzt, bei der
Einstellung von Schulrekruten kann der Schularzt auf die anwesenden Ver¬
wandten im Sinne der gesundheitlichen Volksbelehrung tätig sein. Sehr wirksam
sind auch die Vorführungen von Filmen, Ausstellungen, Anschläge in Straßen¬
bahnen. Besonders ist die Anschaffung eines Projektionsapparates für die
Unterstützung der mündlichen Vorträge von Bedeutung; Lichtbilder hierzu
können von den Provinzialausschüssen oder der Geschäftsleitung ausgeliehen
werden.
Beschaffung der Geldmittel.
Es muß im allgemeinen daran festgehalten werden, daß die Ortsaus¬
ausschüsse finanziell auf eigenen Füßen stehen. Nur ausgleichend und unter¬
stützend kann für die erste Zeit der Einrichtung der Landesausschuß zur
Gewährung mäßiger Beihilfe in Frage kommen. Für die Beschaffung der Geld¬
mittel sind alle Stellen heranzuziehen, die Interesse an der hygienischen Volks¬
belehrung haben, wie die Kommunen, Krankenkassen, Kirchengemeinden,
hygienische Verbände, die Bildungsausschüsse der politischen Parteien, Einzel¬
personen usw. Es ist auch bisher schon der Weg gewählt worden, daß bei
öffentlichen Vorträgen ein Teil der Unkosten durch Eintrittsgelder gedeckt
wird, oder daß bei den Vereins Vorträgen die Vereine die Kosten oder einen Teil
der Unkosten tragen.
jr Abwf
Volks
^ Nr. 617 —
denten der
Abwässerbeseitlgung von Siedlungen. Bunderlaß desMinisters
' * ":sWohlfahrt vom 30. Juni 1922 - I M IV Nr. 1178/22 D 11
an sämtliche Herren Begierungspräsidenten, den Herrn Oberpräsi-
Provinz Brandenburg in Charlottenburg und den Herrn Verbands¬
präsidenten des Siedlungsverbandes Buhrkohlenbezirk in Essen.
Es ist mehrfach beobachtet worden, daß bei der Anlage von Siedlungen
den Fragen der Be- nnd Entwässerung nicht rechtzeitig die erforderliche Be¬
achtung geschenkt worden ist. So ist es nicht nur vorgekommen, daß man an
diese Fragen erst nach Kauf des Geländes herangetreten ist, sondern sogar
nach Ausführung der Baulichkeiten. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß
unter gewissen Umständen sich für die Be- und Entwässerung ungünstige Ver¬
hältnisse herausstellten, deren Bezwingung auf die Wirtschaftlichkeit des Unter¬
nehmens nicht ohne ungünstigen Einfluß bleiben konnte.
Um den in Betracht kommenden Kreisen das Verständnis für diese Fragen,
namentlich für die Entwässerung, zu erleichtern und Anhaltspunkte für ein
zweckmäßiges Vorgehen zu geben, hat die Landesanstalt für Wasserhygiene in
Berlin-Dahlem, Ehrenbergstraße 38/42 „Bichtlinien für Abwässer¬
beseitigung von Siedlungen“ mit den erforderlichen „Erläute¬
rungen usw.“ ausgearbeitet. Die Frage der Wasserversorgung wurde dabei
in dem notwendigen Ausmaß berührt
Im übrigen verweise ich wegen der Anwendung größter Einfachheit und
Kostenersparnis in den Leitungsanlagen auf meinen Erlaß vom 1. April 1922 —
II. 11.193 — (siehe „Volkswohlfahrt“ S. 232).
Wo die fraglichen Verhältnisse nicht einfach zu beurteilen sind, empfiehlt
es sich, den Bat der Landesanstalt für Wasserhygiene einzuholen. Die hier¬
durch entstehenden Kosten werden nach einer ministeriell genehmigten Gebühren¬
ordnung, die von der genannten Anstalt jederzeit erhältlich ist, berechnet
86
Medizinalgesetzgebuug.
Richtlinien für die Abwüsserbeseitigung von Siedlungen.
1. Bei der Auswahl des Siedlungsgeländes ist von vornherein auf eine
einfache und wirtschaftliche Wasserversorgungs- und Entwässerungsmöglichkeit
(günstiges Geländegefälle, durchlässigen Boden, wasserreichen Vorfluter) zu
achten.
2. Für Siedlungen im Bereich der Städte sind, sofern vorhandene
Leitungen benutzt oder leicht erreicht werden können — also der Bau neuer
und weiter Hauptleiter nicht in Frage kommt, — zentrale Wasserversorgung
und Kanalisation bezw. Ableitung und Behandlung der Abwässer (einschließlich
Fäkalien), in hygienischer Hinsicht die vollkommensten Lösungen.
8. Die Anwendung der Einzelkläranlagen für jedes Grundstück
bedingt entweder, daß die geklärten Abflüsse auf kurzem Wege einem ge*
eigneten Vorfluter zugeführt oder im Untergrund der einzelnen Grundstücke
zur Versickerung gebracht werden können.
Für Einzelkläranlagen sind nur Verfahren oder Konstruktionen zu
wählen, die möglichst wenig Bedienung oder Sachkenntnis voraussetzen. Außer¬
dem ist eine zentrale Aufsicht einzurichten.
Zu beachten ist ferner, daß Einzelkläranlagen eine spätere zentrale Ent¬
wässerung erschweren und zwar wegen der den Bewohnern erwachsenden
doppelten Ausgaben.
Geruchsbelästigungen werden am besten durch unterirdische Verrieselung
der Abwässer bei entsprechend durchlässigem Untergrund (Untergrundberiese¬
lung) vermieden; sie setzt zur Erhaltung der Aufnahmefähigkeit des Bodens
eine möglichst weitgehende Entschlammung der Abwässer durch geeignete Vor¬
behandlung, z. B. durch mehr- (mindestens zwei-) kammrige Faulraumanlagen
voraus. Die erste größere Kammer dient der Zersetzung der Schmutzstoffe,
die zweite kleinere zur Sedimentation des Abwassers. Zur Einführung der
so vorbehandelten Abwässer in den Untergrund sind leicht kontrollierbare
Sickerrohrstränge, zugängliche Versickerungsflächen (z. B. nach Art der Mist¬
beete mit Glasabdeckung) oder dergleichen zweckmäßig, die einen reichlichen
Luftzutritt und eine gleichmäßige Verteilung der Abwässer ermöglichen; was
z. B. durch stoßweise Einführung der Abwässer (mittels Heber oder Kipprinnen)
begünstigt wird.
Mit einer periodischen Aufdeckung, Reinigung und Erneuerung der
Sickereinrichtung ist zu rechnen. Soll eine solche nur selten erforderlich werden,
so sind entsprechend ausgedehnte Sickerstränge bezw. -flächen vorzusehen. Bei
Versickerungsanlagen sollte immer eine zentrale Wasserversorgung vorhanden
sein, wenn nicht die Trinkwasserentnahme aus tieferen, gegen die versickerten
Abwässer geschützten Schichten oder in reichlicher Entfernung von den Ver-
sickerungsstellcn möglich ist (vergl. 4 Abs. 4).
4. Die Unterbringung der Fäkalien und Hausabwässer auf eigenem Ge¬
lände bedingt für jedes Anwesen genügend große Garten- oder Feldflächen.
Je schwerer der Boden, desto weitläufiger muß die Bebauung sein.
Bei rein ländlichen Siedlungen können die Fäkalien aus landwirtschaft¬
lichen Gründen auch auf weiter abliegende Felder abgefahren werden.
Wo die offene Ableitung von Küchen- und Waschwässern (mit oder
ohne Niederschlagsabwässer) sich nicht umgeben läßt, muß für solche Abwässer,
die auch ohne Fäkalien als hygienisch bedenklich anzusehen sind, ein rascher
Abfluß in befestigten Rinnen gesichert sein in der Weise, daß eine Berührung
der Bevölkerung mit diesen Abflüssen möglichst ausgeschaltet wird. Dies be¬
dingt von vornherein eine entsprechende Gestaltung der Siedlung. Am gün¬
stigsten sind möglichst langgestreckte Siedlungen senkrecht zum Gefälle des
Geländes (bezw. des Grundwassers) in der Weise, daß die Trinkwasserbrunnen
oberhalb und die Sammelstellen und Ableitungen der Schmutzstoffe und Ab¬
wässer unterhalb des Baustreifens liegen, Eine in der Gefällsrichtung des Ge¬
ländes sowie des Grundwassers mehrmalige abwechselnde Aufeinanderfolge von
Abortgruben und Trinkwasserbrunnen ist bei Neuanlagen grundsätzlich zu ver¬
meiden. Wo dies nicht zu umgehen ist, sollten Brunnen mindestens 10 m,
besser aber weiter, von der nächsten Schmutzstelle entfernt sein.
5. Bei jeder Siedlung ohne Kanalisation oder Einzelklär¬
anlage ist die allgemeine Einführung von Spülklosetts schwer durchführbar,
weil durch die mehrfach größere Menge der Fäkalabwässer ihre Unterbringung
Medizinalgesotzgebung.
87
oder Abfohr erschwert wird. In solchen Siedlungen empfiehlt sich eine Trennung
der Fäkalien Ton den übrigen Abwässern. An Stelle der Spülklosetts können
ohne gesundheitliche Nachteile auch Abortanlagen ohne Wasserspülung, Torf¬
streuklosetts und dergl. Anwendung finden. Sie sind nach hygienischen Gesichts-
8 unkten so anzulegen, daß Gerüche oder Gase (auch bei der Entleerung der
Gruben) in die- Wohnräume nicht gelangen können, und eine Verunreinigung
der umgebenden Bodenfläcoe sowie des Untergrundes ausgeschlossen ist.
Erlfiuterungen zu den Richtlinien für die Abwüsserbeseitigung
von Siedlungen.
Es ist notwendig, schon für die Auswahl eines Siedlungsgeländes einen
Fachmann für Be- und Entwässerungsfragen und den zuständigen Gesundheits¬
beamten (Kreisarzt) zuzuziehen. Auf diese Weise wird auch erreicht, daß jeder
einzelne Fall für sich beurteilt und ein nachteiliges Schematisieren vermieden wird.
Zu 1: Die erwähnten Gesichtspunkte für die Auswahl des Geländes
gelten für alle Fälle, gleichgültig, ob die Be- und Entwässerung zentral (durch
Wasserleitung und Kanalisation) oder durch Einzelanlagen (Einzelbrnnnen,
Grundstückskläranlagen, Gruben) erfolgen soll.
Zu 2: Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich, daß man eine Siedlung
mit den allereinfachsten Verhältnissen, also ohne Wasserleitung und Kanali¬
sation, nicht unmittelbar im Anschluß an städtische oder gar großstädtische
Bebauung anlegen soll, weil eben in solchen Fällen mit den städtischen Be¬
dürfnissen der Siedler zu rechnen ist. Eine Siedlung kann um so einfacher in
bezug auf Be- und Entwässerung gehalten werden, je weiter sie von städtischer
Bebauung entfernt bleibt. Kanalisationsanlagen nur für Hansabwässer, mit ge¬
trennter Sammlung und Beseitigung der Fäkalien, sind insofern unwirtschaftlich,
weil auch ohne die Fäkalien die übrigen Abwässer als hygienisch bedenklich
anzusehen sind und ebenso behandelt und gereinigt werden müssen wie Ab¬
wässer mit Fäkalien. Wo landwirtschaftliche Interessen es erfordern, empfiehlt
es sich, Einrichtungen vorzusehen, durch die Abwässer oder feste Stoffe der
Kanalisation oder der Kläranlage entnommen werden können.
Zu 8: Ein bestimmtes, bestes System für Einzelkläranlagen gibt es nicht,
vielmehr muß diese Frage von Fall zu Fall entschieden werden. Es ist not¬
wendig, daß die Einzelkläranlagen einer Siedlung im Projekt, in der Aus¬
führung und im Betrieb nach einheitlichen Gesichtspunkten geprüft, überwacht
und periodicch kontrolliert werden, womit eine entsprechend vorgebildete Kraft
zu beauftragen ist. Bei Einzelkläranlagen empfiehlt es sich, die Begenwässer
stets getrennt abzuleiten und zu behandeln. Sie können aber in gewissen Fällen
zweckmäßig zur Verdünnung der Kläranlageabflüsse Verwendung finden. Die
Abtrennung der Regenwässer ist besonders bei der Untergrundberieselung ge¬
boten, wobei überhaupt jedes schnelle Ablassen größerer Abwassermengen
(z. B. Abflüsse aus Waschküchen) zu vermeiden oder durch entsprechend groß
bemessene Faulkammern mit gewissem Aufspeicherungsvermögen bei ge¬
drosseltem Abfluß zu mildern ist. Faulräume sind ferner so zu gestalten, daß
sie möglichst zugänglich sind (zwecks Entfernung zu stark gewordener Schwimm-
decke oder zwecks Schlammentleerung) und so zu bemessen, daß der anfallende
Schlamm z. B. 1 Jahr oder länger lagern kann, ohne den Wasserraum so zu
verkleinern, daß der mechanische Effekt darunter leidet. Die einzelnen Kammern
sollen für sich einzeln aasgeschaltet werden können, ohne daß der Betrieb der
ganzen Anlage leidet oder unterbrochen wird. Für landwirtschaftliche Zwecke
empfiehlt es sich, die Faulgruben mit Pumpen zur Entnahme von Schlamm oder
Abwasser (zur Düngung) auszustatten. Dio Untergrundberieselung erfordert
möglichst durchlässigen Sand- oder Kiesboden (u. U. auch Löß). Die Ver¬
sickerungszone muß vorher trocken sein, also hoch genug über dem höchsten
Grundwasserspiegel liegen. Zwecks Belüftung und Vergrößerung der Eintritts¬
fläche in den gewachsenen Boden empfiehlt es sich, um den Versickerungskanal
herum eine genügend starke Packung aus groben Stücken anzuordnen. Davon
hängt auch die Belastungsmöglichkeit der Anlage ab, sowie der Zeitraum der
Aufnahme, Erneuerung oder Wahl einer neuen Versickerungszone. Richtig
angelegte, genügend groß bemessene und sachgemäß betriebene Versickerungs-
anlagen können 10 Jahre und mehr ohne Aufnahme oder Erneuerung ausreichen.
Aus diesen Gründen können bestimmte, allgemein gültige Belastungsziffern nicht
88
Medranalgesetzgebnng.
aufgestellt werden. Die Versickerungsstränge sollen mit gerader Rohrachse
verlegt und ihre Lage auf der Oberfläche bezeichnet werden, ihre frostfreie
Tieflage ist nach den klimatischen Verhältnissen des Einzelfalles zu bestimmen.
Versickerungen in klüftiges Gebirge usw. bedingen sachverständige, geologische
Voruntersuchungen über den Abflußweg, den die Abwässer nehmen können.
Zu 4 ist darauf hinzuweisen, daß man über den Charakter einer Sied¬
lung, ob städtisch oder ländlich, von vornherein im klaren sein muß. Wie
groß die Garten- oder Feldflächen für jedes Anwesen zur Unterbringung der
Fäkalien und Hausabwässer auf ihnen im Einzelfali sein müssen, läßt sich nur
nach den örtlichen Verhältnissen von sachverständiger Seite feststellen. Bevor
Ausnahmen von den baupolizeilichen Bestimmungen bezüglich der Lage von
Schmutzstoffansammlungen und Einzelbrunnen zugelassen werden, müssen die
Verhältnisse von dem zuständigen Gesundheitsbeamten (Kreisarzt) besonders
geprüft werden.
Zn 5: Bei schwerem Boden, mangelnder oberirdischer oder unterirdischer
Ableitungsmöglichkeit, nicht genügend weitläufiger Bebauung, bleibt (außer der
Kanalisation) schließlich kein anderer Weg übrig, als die Abfuhr, die bei den
heutigen Verhältnissen selbstverständlich nur auf die Fäkalstoffe zu beschränken
ist, weil die Abfuhr der mehrfach größeren Abwassermengen wirtschaftlich
nicht durchzuführen ist. An die Stelle von Spülklosetts treten in solchen Fällen
deshalb besser andere Einrichtungen bewährter Art.
Auf Bäder braucht auch unter den einfachsten ländlichen Verhältnissen
nicht verzichtet zu werden, nur ist es zweckmäßig, daß die Badegelegenheit
(Wannenbäder und Brausen) an einer Stelle zusaramengelegt werden, wo die
Entwässerung leicht durchführbar ist.
t Hohe der von Privaten zu erstattenden Schreibgebiihren. E r 1 aß des
Jfinisters für Volkswohlfahrt vom 4. August 1922 — A. 3. 416.
Für jede Seite der auf Kosten von Privaten angefertigten Schreibarbeiten
sind an Stelle des bisherigen Satzes von 5 M. von jetzt an 8,50 M. für die Seite
zu erheben.
B. Sachsen.
Aenderung der Geschäftsordnung für das Landesgesundbeitsamt.
Verordnung des Ministeriums des Innern vom 19. Juni 1922.
§ 11 Abs. 3 der mit Verordnung vom 24. Juni 1913 (GVB1. S. 171)*) be¬
kannt gegebenen Geschäftsordnung des Landesgesundbeitsamtes erhält folgende
Fassung:
Den außerordentlichen Mitgliedern werden für die Teilnahme an einer
Abteilungssitzung 75 M., auswärts wohnenden außerdem Tagegeld und Ver¬
gütung für Reisekosten vom Landesgesundheitsamt gewährt.
C. Baden.
Verordnung Ober die in den Apotheken zulässigen Wagen und Ge¬
wichte. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 6. Juni 1922.
§ 5 der Verordnung vom 6. September 1913 (Gesetz- u. Verordnungsblatt,
S. 421) wird aufgehoben.
§ 6 dieser Verordnung erhält folgende abgeänderte Fassung:
§ 6. Die Wagen und Gewichte der Apotheken unterliegen der Nacheichnng
innerhalb zweijähriger Fristen. Wagen und Gewichte, an welchen sich Mängel
zeigen, sind sofort entweder zur Reparatur und Neueichung zu bringen oder
außer Gebrauch zu setzen und aus den Geschäftsräumen zu entfernen.
*) S. diese Zeitschrift, 1913, Beil. Rechtsprechung; S. 220.
Verantwortlich für die Schrlftieltong: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat in Rreeiau,
Brealan V, Rehdiferetrafie 84. — Druck von J. C. C. Broaa, Minden ft. W.
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift ffir Medizinal-Beamte
Nr. 20. 20. Oktober. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
. A. Deutsches Reich.
AeuSere Kennzeichnung der mit Dienstmarken freigemachteu Sen*
Vnngen. Erlaß des Reichspostministers vom 17. Juni 1922 —
M. f. V. A 3. 383 vom 18. Jnli 1922 —.
Ziffer Vll,l der obengenannten Amtsblattverfügung schreibt vor, daß die
mit Dienstmarken freigemachten Postsendungen and Paketkarten mit der Be¬
zeichnung und dem Stempelabdruck der absendenden Dienststelle versehen sein
müssen. Diese doppelte Kennzeichnung soll auf Grund einer Vereinbarung mit
den Zentralbehörden nicht mehr in Anspruch genommen werden. Es genügt
künftig als Nachweis der Berechtigung zur Verwendung von Dienstmarken,
wenn die Sendungen auf der Vorderseite die Bezeichnung und den Amtsort der
absendenden Behörde darch Buchdruck oder Stmpelaofdruck tragen. Hand¬
schriftliche Ergänzungen oder Berichtigungen des Absendervermerks sind nicht
zn beanstanden; von der besonderen Angabe des Amtsorts kann bei Zentral¬
behörden, deren Amtssitz allgemein bekannt ist, abgesehen werden.
Die besondere Kennzeichnung mit dem amtlichen Siegel (Stempel, Siegel¬
marke) ist nur bei Briefumschlägen and Karten in Anspruch zu nehmen, die
von Behörden im voraus mit Dienstmarken freigemacht und, mit ihrer Anschrift
versehen, auskunftspüichtigen Personen zur Antworterteilung überlassen sind,
es sei denn, daß der Absender ein Reichs- oder Staatsbeamter oder eine aktive
Militärperson ist, sich nicht im Besitz eines amtlichen Siegels oder Stempels
befindet und die „Ermangelung eines Dienstsiegels“ mit Unterschrift des Namens
und Beisetzung der Amtsei>renschaft bescheinigt. Mit Dienstmarken freigemachte
Sendungen, die den vorstehenden Anforderungen nicht entsprechen, sind als
nicht freigemacht za behandeln. Wird nachträglich die rechtmäßige Verwen¬
dung von Dienstmarken nachgewiesen, so sind dem Empfänger die von ihm er¬
hobenen Gebühren za erstatten.
Unberührt bleibt die Bestimmung, daß „gebührenpflichtige Dienstpostkarten
and -briefe mit dem Abdrack des amtlichen Siegels (Stempel, Siegelmarke) zu
versehen sind.
^ Arbeitszeit im Bergban nnter Tage. Gesetz vom 17. Jnli 1922.
^ Der Reichstag hat bis zur endgültigen gesetzlichen Regelung das folgende
Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird:
§ 1. In Bergwerken ist die Schichtzeit für den einzelnen nnter Tage
beschäftigten Arbeiter vom Betreten des Förderkorbes oder Stollenmundlochs
bei der Einfahrt bis zom Verlassen des Förderkorbes oder Stollenmandlochs
bei der Ansfahrt zn berechnen.
§ 2. Als regelmäßige tägliche Arbeitszeit im Sinne der allgemeinen
Vorschriften gilt die Schichtzeit (§ 1), die sich ans den am 1. Oktober 1921
geltenden Tarifverträgen ergibt.
Für Betriebe, die am 1. Oktober 1921 noch nicht bestanden haben, gilt
diejenige regelmäßige tägliche Arbeitszeit, die in demselben Bergbanbezirke
für Betriebe der gleichen Bergbauart maßgebend ist. Sind Betriebe der gleichen
Bergbanart in dem Bergbaubezirke nicht vorhanden, oder liegt ein derartiger
Betrieb nicht in einem geschlossenen Bergbaubezirke, so gilt die für die Mehr¬
zahl der Betriebe der gleichen Bergbanart maßgebende regelmäßige tägliche
Arbeitszeit.
90
Medizinalgesetzgebung.
War für einen Betrieb am 1. Oktober 1921 die Arbeitszeit nicht tarif-
vertraglich geregelt, so gilt als regelmäßige tägliche Arbeitszeit die za diesem
Zeitpunkt in dem Betrieb in Uebung gewesene Schichtzeit.
§ 3. Durch allgemein verbindlichen Tarifvertrag können Ueberstnnden
über die Vorschriften des § 2 hinaus vereinbart werden. Igt ein Antrag auf
Erklärung der allgemeinen Verbindlichkeit eines solehen Tarifvertrags gestellt,
so kann die zur Entscheidung zuständige Stelle auf Antrag eines der am Tarif¬
verträge beteiligten Verbände bis zur Entscheidung über die allgemeine Ver¬
bindlichkeit die tariflich vereinbarte Arbeitszeit für den Geltungsbereich des
Tarifvertrages zulassen.
§ 4. Für Betriebspspnnkte mit einer Wärme über 28 Grad Celsius ist
in den Tarifverträgen eine Verkürzung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Kommt
eine derartige Vereinbarung nicht zustande, so ordnet die nach Landesrecht
zuständige Bergbehörde nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeberverbände
und Arbeitnehmerverbände die Verkürzungen an. Weitergehende bergpolizei¬
liche Bestimmungen bleiben unberührt.'
§ 5. 8oweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt, finden die all¬
gemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben An¬
wendung. _
B. Preußen.
S Seuchenbekämpfung bei der kasernierten Schutzpolizei. Erlaß des
ministers des Innern, zugleich mit dem Minister für Volks¬
wohlfahrt vom 29. Juni 1922 — II H. 3930 —.
Die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei kasernierten Schutz¬
polizeibeamten erfolgt in engster Zusammenarbeit des Polizeiarztes mit dem
Kreismedizinalrat als dem staatlichen’ Gesundheitsbeamten. Meldepfiicbtige
übertragbare Krankheiten sind der zuständigen Polizeibehörde umgehend an¬
zuzeigen. Die Seuchenbekämpfung gehört zu den Aufgaben des Kreismedizinal¬
rates. Er kann sich im Rahmen seiner allgemeinen Vorschriften auf gemein¬
same Ermittelungen mit dem Polizeiarzt beschränken, diesem aber die Aus¬
führung der Seuchenbekämpfung innerhalb der Kaserne nach Maßgabe einer
gemeinsamen Besprechung überlassen.
Diese Seuchenbekämpfung hat nach den Bestimmungen der Gesetze betr.
die Bekämpfung der gemeingefährlichen bezw. der übertragbaren Krankheiten
vom 30.6.1900 (R. G. Bl. S. 306) bezw. 28.8.1905 (G. S. 8. 373) sowie der Erlasse
des Minsters für Vo'kswohlfahrt vom 8. 2. 1921 — I M III 64 bezw. vom 7.1.
1922 — I M HI 2623 (Volkswohlfahrt 1921 S 191 bezw. 1922 S. 59) zu erfolgen.
Alle staatlichen Unterkünfte der Schutzpolizei sind im Sinne dieses Er¬
lasses als Kasernen anzusehen. Hierzu gehören mithin auch die Polizeischulen,
aber nicht die Polizeireviere.
Vergütung an auswärtige nlchtbeamiete Mitglieder der Gerichts¬
ärztlichen Ausschüsse. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohl¬
fahrt vom 26. Juli 1922 — I M I 2270 — an die Herren Oberpräsidenten.
In Ergänzung der Ziffer 9 Absatz 2 der Ausführungsanweisung vom
25. September 1921 zum Beschlüsse des Preußischen Staatsmiuisteriums über
die Bildung Gericbtsärztlicher Ausschüsse in den Provinzen vom 30. April
1921 (Beilage VI zur Volkswohlfahrt für 1921) genehmige ich im Einverständnis
mit dem Herrn Finanzminister, daß bis auf weiteres den auswärtigen Mit¬
gliedern der Gerichtsärztlichen Ausschüsse, soweit sie nicht Beamte sind, neben
den bt-stimmungsmäßigen Fahrkosten und Tagegeldern eine (Sachverständigen-)
Vergütung in Höhe des für die einheimischen Mitglieder zuständigen Anwesen¬
heitsgeldes von 50 M. für jeden Sitzungstag gewährt wird.
/’
Tuberkulosebekämpfung. Erlaß des Ministers für Volks wohl-
ahrt vom 11. August 1922 — I. M. HI. Nr. 2047/22 — an die Herren
Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten.
In der Anlage lasse ich Ihnen die vom Deutschen Zentralkomitee zur
Bekämpfung der Tuberkulose entworfenen „Richtlinien für die zurzeit
dringlichsten Aufgaben der Tuberkulosebekämpfung* nebst
Medizin algeeetzgebung.|
91
einer Denkschrift nur gefälligen Kenntnisnahme und mit dem Ersuchen er¬
gebenst um Bekanntgabe an alle in Betracht kommenden Stellen zugehen.
Richtlinien ffir die zurzeit dringlichsten Aufgaben
der Tuberkulosebekämpfung.
Nach wie vor sollen die bewährten Grundsätze und Richtlinien, die bisher
für die Tuberkulosebekämpfung in Deutschland maßgebend gewesen sind, ihre
Geltung behalten. Die ernsten und betrübenden Erscheinungen aber, welche
die Tuberkulose bald nach Au-bruch des Weltkrieges und bis in die neueste
Zeit gezeigt hat, machen es notwendig, bei der Abwehr dieser Krankheit ganz
besonders die nachstehenden Gesichtspunkte zu beachten
1. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind als tuberkulosegefährdet
alle Personen zu betrachten, die allgemein, insbesondere durch Unterernährung
geschwächt sind, auch wenn eine Erkrankung noch nicht nachweisbar ist; dies
f ilt namentlich für diejenigen Personen, in deren Umgebung sich ansteckende
überknlöse befinden.
2. Eine erhöhte Tuberkulosegefahr besteht für diejenigen Altersklassen,
deren Kindheit und Jugend in die Kriegszeit und die ersten Nachkriegsjahre
fällt. Aus diesem Grunde ist neben der Fürsorge für die Erwachsenen noch
mehr als bisher die Bekämpfung der Tuberkulose im kindlichen und jugend¬
lichen Alter vornehmlich durch vorbeugende Maßnahmen zu betreiben.
Als Träger aller Maßnahmen kommen in erster Linie die Selbstverwaltungs¬
körper der Gemeinden und der sozialen Versicherung in Betracht. Daneben
ist angesichts der jeden einzelnen bedrohenden Gefahr die freiwillige Mitarbeit
aller dazu berufenen Kreise im weitesten Sinne erforderlich. Nicht von dem
Eingreifen des Staates ist der Erfolg zu erwarten, sondern es bedarf der Mit¬
hilfe der gesamten Bevölkerung.
3. Behufs rechtzeitiger Vorbeugung sind möglichst weite Bevölkerungs¬
kreise, vornehmlich Kinder und Jugendliche, einer allgemeinen gesundheitlichen
Durchmusterung zu unterziehen. Alle hierbei als gefährdet ermittelten Personen
sollen einer gesundheitlichen Ueberwachung unterstellt werden, damit im Be¬
darfsfälle die Behandlung rechtzeitig eingeleitet werden kann. Dazu ist die
allgemeine Einführung der schulärztlichen Tätigkeit in Stadt uud Land und
ihre Ausdehnung auf alle Gemeinde- und höheren Schulen ebenso unentbehrlich
wie die periodische Untersuchung aller Versicherten in den Betrieben.
4. Im Vordergrund jeder Tuberkulosebebekämpfung muß die Sicher¬
stellung einer nach Menge und Zusammensetzung ausreichenden Ernährung
stehen. Daneben sind alle Maßnahmen, die zur Gesundheitspflege und Kräftigung
der Jugend dienen können, insbesondere Wohnungsfürsorge, Bereitstellung von
Kleingärten, Beschaffung von Kleidung und Heizung, ferner Abhärtung, An¬
leitung zu Spiel und Sport, Zahnpflege usw. zu berücksichtigen. Hierbei muß
auf die bisherigen Erfahrungen zurückgegriffen werden, z. B. auch auf die
Maßnahmen der Versicherungsträger und der Fürsorgestellen in der Ernährungs¬
fürsorge und auf die mit so großem Erfolge durchgeführten Schulspeisungen.
5. Für die Behandlung der tuberkulosekrank befundenen Erwachsenen
und Kinder sind neben den bewährten und auch für die Zukunft unentbehr¬
lichen, aber durch schärfere Auswahl der Pfleglinge zu entlastenden Heilstätten
auch sonstige wirksame Einrichtungen in verstärktem Maße heranzuziehen,
z. B. Walderholungsstättcn, Waldstätten, Waldschulen, Liegeplätze, ambulante
ärztliche Behandlung, geeignete Kurorte usw.
6. Die schon wiederholt geforderten Einrichtungen für eine gesonderte
Unterbringung und zweckmäßige Versorgung Tuberkulosekranker in den all¬
gemeinen Krankenhäusern sollten überall schleunigst geschaffen werden. Auf
die Absonderung derjenigen Schwertuberkulösen, welche ihre Umgebung be¬
sonders gefährden, ist nach wie vor ein entscheidendes Gewicht zu legen.
7. Die Belehrung und Aufklärung über die Tuberkulose soll bereits in
der Schule beginnen und auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt werden.
Hierbei ist von Wanderausstellungen, Lichtbilder- und Filmvorführungen in
Verbindung mit ärztlichen Vorträgen reichlich Gebrauch zu machen.
8. Bei der Ausbildung der Medizinstudierenden und der Fortbildung der
Aerzte sind neben den klinischen auch die sozialen Gesichtspunkte der Tuber¬
kulosebekämpfung, insbesondere auch durch praktische Hebungen, gebührend
V> Utim^älg^izgtbwbg.
m b • Auch daa- K?a^*fnp£egcper^or-ü bedarf einer gründlichen
Abbildung und dauernden FortfeMsng aqi dem Grbpete der Tuberkulose-
teka&pfiüig«
Denkschrift über die Toberkoloaebefelmpfung in Deutschland.
Pri*Mlim des Deutsche* Zectr Jkoraitees rar B^Wimpfsnsr der
Tuherkcb&* Iä? «ich — wie scb^n im i»tzerr.r.’tr 1/ ' ; im Jonasr :.«!& —
-eit dem fferbafc voriges Jahren mit der Frage be-ehiftjigt, und inwieweit
i,re A&n i-r.inz der bisher in der 1 •^v-rkalv^b < -kaapfacg r befolgter GmndüUze
irfo J ire der Nach w if kurzen der Krin^zcit g*b-vea vIrrt An-chlab an die
Ef^rterdng ein#! Vortrages. den der Mmktrrlidiirekt^r Prof. Dr.Gcm ? t vria
in der Sitzung de* PrisidiaizLS am 5. Dezember 192t äfer die Tojt^rktifo**-
politlk der nieteten Jahre gehalten h*t. wurden die in d-r Arlane b<Ü 2 efügt»*n
nkn äTH worffn. in rnehrft^.hen Koirimi-G’.-ns- and YolUitrargen des
Prä/m: ums durch beraten und eßdguki;: R-'u*'/./
EV wurde d.tbei von der Erwägung a<t*K*?$ng^nd daß trotz der in den
Jabren }.£r2fj und läßt wieder eintetreten^n Abnahme der Ttxbr-fäile an Tuber¬
kulöse dfrfcb .mit starken Zunahme, der TulerkuiorfcanAxeckaseen wahrend
der fetzten drei bis Tier Jahre zu rechnen Dt/ und daß diese zahlreichen An-
^U^kungen, die h&upt-achheb Kinder betreffen, en?t in eher Kerbe von Jahren,
beim oder n*ob dein Eintritt der BetrotfeüOß in das erwerbsfähige Alfer deutlich
m die fersebeihöftg treten werden, .wenn nicht re^htjzertig vrr/ t .i^x wird,
D.fese V^rfbeuguog für die Jugend m.ufi in der Taberkuio5vü>ekam|>fnng der
Jetztzeit den br^iresteo Baum einnchment *ie muß neben allen andern bewahrten
Maßnahmen der Tnberkalo^ebekämpfuo*: überall jnit besonderem Eifer und ttater
Aufwendung aller verfügbaren Mittel betrieben werden.
Selbstverständlich darf dabei niemals ver^e^ea werden, daß die Tuber¬
kulose durch Ansteckung übertragen wird und daß der kranke Mensch die
HaiipUn-terknng^nrfllc damellt. Dekali ijaü$Sfr& auch alle auf die Erfassung
und V n^chädlicbmachöng der Ansieckungsquellen gerichteten Maßnahmen, wie
sic bisher Üblich waren und sich bewahrt haben, nicht nur fort geführt, sondern
womöglich noch durch den Erlaß gesetzlicher Bestimmungen gefördert werden.
Die Anzeigepflidit für die ansteckenden Formen der Tuberkulose ist bereits
auf der Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees im Oktober 1920
und erneut auf dem Deutschen Tuberkulose-Kongreß in Bad Elster im Mai
* 1921 gefordert worden, Gleichzeitig bedarf es der Einführung gesetzlicher
Bestimmungen zur Verhütung der Weiter Verbreitung der tuberkulösen An¬
steckung und zur Einleitung einer sachgemäßen Fürsorge für den Tuberkulösen
und seine Familie.
( i her dif-se $pfc Jahren erhobenen Forderungen hinaus erscheinen jedoch
für die nächsten Jahre noch besondere Maßnahmen notwendig, die in den
8 Punkten der Richtlinien einzeln ausgeführt sind.
Zn I* Das Verhalten der Tuberkulose während des Krieges und in der
Nachkriegszeit; hat mit erschreckender Deutlichkeit die Abhängigkeit des Aus¬
bruchs und der Vorlaufsweise dieser Krankheit von der Unterernährung be¬
wiesen, üleicbzeitig war schon während des Krieges durch das Zusammen-
drängen mehrerer Familien in einer Wohnung, wie es teils ans Sparsamkeits-
rüokaiehten, teils wegen der enormen Ausdehnung der Kriegsindustrie notwendig
wurde, noch mehr aber in der Nachkriegszeit durch die sich immer mehr ver¬
schärfende< Wohnungsnot die Gefahr der Ansteckung mit Tuberkulose, besonders
für die Kinder, gewaltig gmiegen. Wo nun Schwächung des Körpers durch
Unterernährung 'und reichliche Gelegenheit zur Ansteckung mit Tuberkulose
zuwutmuenfullcn, da besteht zweifellos eine ernsto TuberkulösereTährdung.
Zu Von ganz besonderer Bedeutung ist diese Tuberkulosegefahr aber
für diejenigen Altersklassen, deren Kindheit mul Jugend in die Zeit der Hunger¬
blockade und der Teuerung der ersten Nachkriegsjahre fallt. Wenn auch die
idlenbaren Schaden der jahrelangen Unterernährung allmählich mehr und mehr
zu ruck treten, so bleibt doch bei vielen eine verminderte Leis tungsfähigkeit und
eine allgemeine Schwächung der Widerstaud.sfähigkeit des Körpers zurück, die
auf die veränderte chemische Zusammensetzung der Körpergewebe zurück-
geführt werden muß und zu deren Beseitigung nicht Wochen oder Monate,
sondern Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte notwendig sein werden. Es ist des-
Medizinalgesetzgebung
93
halb sehr an fürchten, daß diese jugendlichen Personen, auch wenn sie zurzeit
noch keine deutlichen Zeichen der Erkrankung darbieten, zu einem späteren
Zeitpunkt, nämlich dann, wenn ihre körperliche Entwicklung zum Abschluß
kommt und die Berufstätigkeit größere Anforderungen an ihre Leistungsfähig¬
keit zu stellen beginnt, der tuberkulösen Erkrankung verfallen. Dieser Gefahr
muß rechtzeitig vorgebeugt werden.
Die Durchführung der hierfür erforderlichen Maßnahmen gehört zweifel¬
los in erster Linie zu den Obliegenheiten der Selbstverwaltungskörper der Ge¬
meinden und der Träger der sozialen Versicherung, die sich zweckmäßig zu
Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen. Sie unterliegt der Aufsicht der
Gesundheitsbehördan des Reichs und der Länder. Es wäre aber durchaus ver¬
fehlt, zu glauben, daß das Reich oder die Länder oder die Kommunen und die
Versicherungsträger allein die erforderlichen Maßnahmen treffen und die dazu
nötigen Mittel aufbringen können, wenn nicht alle Teile des Volkes mithelfen.
Die Bekämpfung der Tuberkulose geht jeden einzelnen ans dem Volke an; es
f ibt wohl kaum eine Familie, die von dieser Krankheit verschont bleibt. Des-
alb muß auch jeder sie als seine Sache betrachten und bewußt in den Kampf
mit eingreifen, sei es durch Bereitstellung von Geldmitteln oder Arbeitsleistung,
sei es durch Ausübung von aufklärender oder fürsorgender Tätigkeit.
Eine sehr wirksame Unterstützung bei der Fürsorge für Kinder und
Jugendliche würde es auch bedeuten, we^n einerseits die Familienversicherung
so schnell als möglich zur Einführung käme und anderseits die Leistungen, die
von den Landesversicherungsanstalten schon seit Jahren in weitherziger Aus¬
legung des § 1274 R. V. 0. auf dem Gebiet der Kinderfürsorge freiwillig über¬
nommen worden sind, eine gesetzliche Stütze erhielten. Es ist hierfür vor¬
geschlagen worden, in dem § 1269 der Reichsversicherungsordnung ebenso wie
in den § 36 Abs. 1 des Versicherungsgesetzes für Angestellte die Worte: „wie
auch versicherungsfreier Familienmitglieder von Versicherten“ einzufügen.
Zu 3. Als sicherstes Vorbeugungsmittel wird bei der großen Zahl der
Unterernährten, die vermutlich mit Tuberkulose angesteckt sind, die gesund¬
heitliche Durchmusterung möglichst weiter Bevölkerungskreise angesehen. Die
Durchmusterung wird zweckmäßig durch eine laufende Ueberwachung der als
tuberkulosegefährdet Ermittelten ergänzt.
Für die Kinder und Jugendlichen kann diese Aufgabe ohne weiteres von
den Schulärzten übernommen werden. Es bedarf dazu allerdings einer all¬
gemeinen Regelung der Schularztfrage, womöglich auf dem Wege der Gesetz¬
gebung. Dabei ist zu fordern, daß für alle Gemeinde-, Mittel- und höheren
Schulen sowie für die Fortbildungs- und Fachschulen Schulärzte angestellt
werden. Bei den schulärztlichen Untersuchungen muß dann aber auch die
Tuberkulose eine ihrer Bedeutung als Volkskrankheit entsprechende Berück¬
sichtigung finden, ferner muß auf die Feststellung konstitutioneller Minder¬
wertigkeit, erwiesen durch Körpermessung, einfache Blutuntersuchungen, zu¬
verlässige Methoden zur Ermittlung des Ernährungszustandes und der Gewebs-
resistenz besonders Gewicht gelegt werden, wie es bereits bei der Auswahl der
Kinder für die Quäkerspeisungen gesehen ist.
Die bereits im Beruf Befindlichen werden am besten durch periodische
Untersuchungen in den Betrieben erfaßt. Eine derartige Maßnahme wird sich
freilich der hohen Kosten wegen erst ganz allmählich durchführen lassen.
Leichter zu verwirklichen wäre eine Ueberwachung solcher Personen, bei denen
wiederholte Erkrankungen an Bronchial- oder Kehlkopfkatarrhen, überstandene
Brustfellentzündungen und dergl. den Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung
erwecken. Hierzu wäre nur notwendig, daß die Krankenkassen besondere Listen
für die Mitglieder führen und regelmäßig Nachuntersuchungen veranlassen.
Auf alle Falle kommt es darauf an, durch die Durchmusterung und
Ueberwachung die Kranken rechtzeitig einer sachgemäßen Behandlung zuzu-
führen und Verschleppungen, wie sie gerade bei der Tuberkulose nur zu häufig
sind, vorzubeugen, da durch die Frühbehandlung die Heilungsaussichten sehr
erheblich verbessert und die Kosten des Heilverfahrens vermindert werden.
Zu 4. Eine gute und ausreichende Ernährung ist für die Tuberkulose¬
gefährdeten als wichtigstes Schatz- und Vorbeugungsmittel zuerst und mit
allem Nachdruck zu fordern. Senkung der Lcbensmittelpreise und Schutz vor
Ueberteuerung, Sorge für die Bereitstellung hinreichender Mengen von Milch,
94
Medisinalgesetsgebung.
Fleisch, Brot und Kartoffeln, sowie Abgabe von Lebensmitteln und Stärkungs¬
mitteln an Tuberkulöse nnd Tuberkulosegefährdete, wenn nicht unentgeltlich,
so dooh zu einem ermäßigten und für sie erschwinglichen Preise, das sind
Maßnahmen, die hierher gehören.
Außerdem muß alles gepflegt und gefördert werden, was dem gesund¬
heitlichen Wohle der Bevölkerung und zumal der Kräftigung der Jugend dienen
kann: Wohnnngsfürsorge, Kleingärten, Beschaffung von Kleidung und Heizung,
Abhärtung, Spiel und Sport, Zahnpflege usw.
Wertvolle Erfahrungen auf allen diesen Gebieten liegen bereits vor.
Insbesondere haben einzelne Landesversicherungsanstalten schon seit Jahren
vorbeugende Maßnahmen auf diesem Gebiete der allgemeinen Gesundheits¬
fürsorge betrieben. Auch eine große Zahl der Fürsorgestellen hat in den letzten
Jahren sich auf dem Gebiete der Ernährungsfürsorge nicht nur für die tuber¬
kulösen Kranken, sondern auch für ihre gefährdete Umgebung erfolgreich be¬
tätigt. Hierher gehören auch die großenteils mit Auslandsmitteln durch-
geführten Schulspeisungen und Verteilungen von Lebensmitteln an unterernährte
Mütter und Kinder. Sie in geeigneter Weise weiterzuführen, ist durenaus
notwendig.
Zn 5. Alle Erwachsenen und Kinder, bei denen im Laufe der Ueber-
wachung das Vorhandensein einer tuberkulösen Erkrankung festgestellt wird,
müssen, wie schon zu Ziffer 3 ausgeführt wurde, unverzüglich in geeignete
Behandlung genommen werden. Hierfür kommen zunächst die Heilstätten in
Betracht; sie sind nach mehr als 30jähriger Erfahrung die besten Einrichtungen
für die Behandlung der Tuberkulose und haben darüber hinaus noch einen
großen erzieherischen Wert. Wir möchten deshalb ihre segensreiche Tätigkeit
auch jetzt nicht entbehren, obwohl es bei der bestehenden Teuerang nicht
immer leicht ist, die Kosten für diese Art von Behandlung aufzubringen. Die
große Zahl der augenblicklich einer Heilstättenbehandlung Bedürftigen und die
nahezu vollkommene Unmöglichkeit der Errichtung neuer Heilstätten macht
allerdings eine sehr sorgfältige Auslese der Kranken notwendig; es kommt
darauf an, nur wirklich geeignete Kranke der Heilstätte zuzuführen und die
vorhandenen Betten richtig ausznnutzen und keine unnötigen Ausgaben zu ver¬
ursachen. Wenn keine behandlungsbedürftige Tuberkulose besteht, oder wenn
die Krankheit schon soweit fortschritten ist, daß ein nennenswerter E'folg nicht
mehr zu erwarten ist, darf eine Heilstättenkur keinesfalls durchgeführt werden.
Anweisungen dieser Art sind bereits in den „Richtlinien für die Behandlung
tuberkulöser Lungenkranker im Rahmen des Heilverfahrens der Invaliden- und
Hinterbliebenenversicherung“ (Runderlaß des Reichs Versicherungsamts vom
17. November 1919 II 6899 * **) ) nnd in dem Erlaß des Reichsarbeitsministers be¬
treffend Gesundheitsfürsorge für kriegsbeschädigte Tuberkulöse vom 18. März
1922 — IX 2282/22 D 3 ••) enthalten.
Neben der altbewährten Heilstättenbehandlung müssen aber für die zahl¬
reichen Tuberkulösen auch alle anderen Behandlungsmöglichkeiten in ver¬
stärktem Maße herangezogen werden. Hier sind besonders die Walderholungs-
stätten und Waldschulen zu nennen, die in größter Einfachheit hergestellt
werden können, bei deren Anlage aber stets auf bequeme Zogänglichkeit Be¬
dacht genommen werden sollte, da weite Entfernungen heute nur zu oft ein
unüberwindliches Hindernis darstellcn. Auch durch Herrichtung von noch ein¬
facheren Gelegenheiten zu Liegekuren, durch Bereitstellung von ambulanter
ärztlicher Behandlung, durch Benutzung geeigneter Kurorte kann und muß
dem Tuberkulösen geholfen werden.
Zu 6. Trotz oft wiederholter Anregungen nnd trotz des Erlasses ent¬
sprechender Verfügungen fehlen noch in den meisten allgemeinen Kranken¬
häusern geeignete Räume für die gesonderte Unterbringung und Versorgung
Tuberkulöser. Solche Vorkehrungen köunen aber nicht entbehrt werden; sie
sind vor allem für diejenigen Schwertuberkulösen nötig, die, sei es aus Un¬
achtsamkeit oder schlechtem Willen, sei es infolge großer körperlicher Schwäche
oder allzu beengter Wohnungsverhältnisse, ihre Umgebung besonders gefährden.
*) Abgedruckt im Geschäftsbericht des Deutschen Zentralkomitees, 1920,
Seite n, 4.
**) Desgl. 1922, 8eite II, 21.
Medizinalgesetzgebung.
96
Die Kranbenhausräume oder Abteilungen für die Tuberkulösen werden zweck¬
mäßig mit Einrichtungen zur Durchführung der hygienisch-diätetischen Be¬
handlung vcrcehen, wie sie sich sonst in Heilstätten finden; sie werden da¬
durch für Kranke aller Stadien verwendbar, auch für solche Kranke, die auf
die Zulassung znr Heilstätte warten, gleichzeitig wird vermieden, daß sie in
den schlechten Ruf von Sterbezimmern kommen. Vorkehrungen dieser Art sind
offene oder halbgeschlossene Balkons oder Liegehallen mit Liegestühlen, ferner
Apparate für künstliche Bestrahlung an sonnenlosen Tagen, Solbäder und
dergL mehr.
Nach den bisherigen Erfahrungen werden behördliche Maßnahmen zur
Schaffung von Tuberkuloseabteilungen oder -zimmern in den Krankenhäusern
kaum zu entbehren sein Bisher liegen nur vereinzelt Nachrichten vor, aus
denen hervorgeht, daß die Unterbringung von Tuberkulösen in Krankenhäusern
zum Zwecke der Absonderung mit einer gewissen Regelmäßigkeit und in
größerem Umfange durebgeführt wird, so z. B. aus dem Bereiche der Landes¬
versicherungsanstalt Rheinprovinz, wo es doch schon in einer nennenswerten
Zahl von Fällen gelingt, tuberkulöse Rentenempfänger aus der Familie heraus-
zunebmen und in Krankenhäusern, meist auf dem Lunde, unterzubringen. Hier¬
auf zielt auch der Runderlaß des Sächsischen Ministers des Innern betreffend
Unterbringung schwerkranker Tuberkulöser vom 23. März 1921 — Nr. 426IV M —
hin, der den Pflegebezirken und Kreishauptmannschaften entsprechende Ma߬
nahmen zur Pflicht macht.*) In gleichem Sinne hat sich neuerdings auch der
Bayerische Landesverband zur Bekämpfung der Tuberkulose bemüht, geeignete
Krankenhäuser zur Unterbringung der Tuberkulösen überall im Lande ausfiudig
zu machen. Diese Beispiele sollten in allen Ländern und Provinzen Nach¬
ahmung finden.
Zu 7. Nicht weniger wichtig als die bisher erwähnten Maßnahmen der
Fürsorge, Behandlung und Absonderung Tuberkulöser ist die Belehrung und
Aufklärung der gesamten Bevölkerung über die Entstehungsweise und die Art
der Tuberkulose. Um wirklich ganze Arbeit zu machen, ist es nötig, schon in
der Schule damit zu beginnen. Die in einigen größeren Städten (Dresden,
Hannover, Stettin) gemachten Versuche haben gezeigt, daß die Durchführung
möglich ist und daß die Kinder sehr wohl in der Lage sind, das Wichtige auf¬
zufassen und in sich aufzunehmen.
Die Aufklärung und Belehrung kann wesentlich gefördert werden durch
Wanderausstellungen, Vorführung von Licht bildern und Filmen und dergl. mehr.
Dieser Aufgabe widmen sich außer dem Deutschen Zentral-Komitee zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose und in Zusammenarbeit mit ihm das Deutsche Hygiene¬
museum in Dresden und der Reichsausschuß für hygienische Volksbelehrung
mit seinen Unterausschüssen in den einzelnen Ländern.
Zu 8. Um in der Tuberkulosebekämpfung greifbare Erfolge zu erzielen,
darf auch die Aus- und Fortbildung des dabei in erster Linie beteiligten ärzt¬
lichen und Krankenpflegepersonals nicht außer acht gelassen werden. Bei
' Medizinstudierenden und Aerzten muß noch weit mehr, als dies bisher der Fall
war, das Interesse für die Tuberkulose als Infektionskrankheit und als soziale
Krankheit erweckt werden. Eine viel gründlichere Durchbildung in der Diagnostik
und Prognose, wie auch in der Behandlung der tuberkulösen Erkrankungen ist
für die große Masse der Aerzte, die in der Privat- oder Kassenpraxis zuerst
mit den Tuberkulösen in Berührung kommen und sie bis zuletzt zu betreuen
haben, nötig. Auch über die praktische Fürsorgetätigkeit sind viele Aerzte
heute noch nicht genügend unterrichtet, daß der Hauptzweek der Fürsorge in
dem Schutz der Gesunden besteht, muß erst noch Allgemeingut ärztlichen
Wissens werden. Außer der Vervollkommnung der Ausbildung aller praktischen
Aerzte hinsichtlich der Ziele und Wege der Tuberkulosebekämpfung ist aber
auch eine vermehrte Bereitstellung von Ausbildungsangelegenheiten für Tuber¬
kulosefachärzte notwendig. Lehrgänge über Tuberkulose für praktische Aerzte
und solche für Fachärzte sollten regelmäßig in allen Universitäten und an den¬
jenigen Orten, an denen sich größere Krankenanstalten und geeignete Lehr-
*) Abgedruckt im Geschäftsbericht des Deutschen Zentralkomitees, 1922,
Seite n 63.
96
Medizinalgeset,zgebnng.
kräfte ftodcn, möglichst io Verbindung' mit gutarbeitenden Tuberkalosefürsorge-
8teilen and Lungenheilstätten abgehalten werden.
Auch das Krankeupflegepersonal und in der Fürsorge tätige Personen
bedürfen einer gründlichen theoretischen und praktischen Aasbildung im Hin¬
blick auf die Bekämpfung der Tuberkulose; dieser Unterricht maß den Fort¬
schritten der Wissenschaft und den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit ent¬
sprechend, in gewissen Zeitabständen wiederholt werden.
C. Sachsen,
Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. Das Ministerium
des Innern hat unter dem 10. August 1922 folgende Verfügung
erlassen :
Das unerwartet starke Sinken de 3 Geldwertes hat eine Nachprüfung der
in der Sächsischen Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte vom 25. März
1922 vorgesehenen Gebührensätze nach dem Vorgänge des Preußischen Mini¬
steriums für Volks Wohlfahrt schon vor dem in § 13 Abs. 2 der Gebührenord¬
nung festgesetzten Zeitpunkt notwendig gemacht. Auf Grand dieser Nach¬
prüfung wird bestimmt..
1. Mit rückwirkender Kraft vom 1. Juli 1922 au tritt zu den Sätzen der
Abschnitte 11 A, B sowie HI ein Touerungszuscblag von 45 v. BL
2—9. Die Aendernngen betreffen Leistungen der Zahnärzte, die gleich¬
falls eine entsprechende Erhöhung erfahren haben. (Vom Abdruck wird abgesehen.)
O. Württemberg.
Amtliche Gebührenordnung. Verordnung des Wiirtt. Staats¬
mini s t e r i u m s.
Der Verordnung des Wttrtt. Btaatsministerinras über die ärztlichen Ge¬
bühren für amtliche Verrichtungen vom 28.März 1922*) ist nunmehr eine weitere
Verordnung des Württ. Staatsministeriums tibor die Gebührenordnung der
wiirttembergischen Aerzte für die Privatpraxis gefolgt. Die neue Ge¬
bührenordnung fiir die Privatpraxis bat rückwirkende Kraft vom 1. April
1922. Wie die bisherigen nud dio übrigen deutschen Gebührenordnungen ent¬
hält sie für die einzelnen Verrichtungen Rahmensätze. Die Honorarsätze selbst
sind die gleichen wie die der neaen Preußischen Gebührenordnung vom 1. April
1922, so daß nunmehr eine einheitliche Regelung der ärztlichen Privatgebühren
im Deutschen Reiche ungebahnt ist.
Eine neue Fassung haben die einleitenden Paragraphen erhalten. Der
alte Stroit um dtn § 3 der Württ. Gebührenordnung ist nun in einer die Aerzte
und die Versicherungsträger voll befriedigenden und den Ansprüchen beider
Teile gerecht werdenden Weise ans der Welt geschafft. Auf der einen Seite
ist der verorduungsmäßige Zwang, daß die Aerzte für die Versicherungsträger
zn den Mindestsätzen behandeln müssen, soweit nicht andere Vereinbarungen
bestehen, beseitigt, auf der anderen Seite gibt die Gebührenordnung dem Württ.
Arbeitsmioisterium im Beuehuieri mit dem Ministerium des Innern das Recht,
eine Norm für die Bemessung von Barleistungen der Versicherungsträger auf-
zusteüen, falls zwischen Aerzten und Versicherüngsträgern ein vertragloser
Zustand einmal bestehen sollio.
Bel Abfassung der Gebührenordnung war vorgesehen, daß erstmals im
Herbst dieses Jabres durch einen paritätischen Ausschuß im Ministerium des
Innern über etwaige Teuerungszulagen verhandelt werden sollte. Die Zeit-
Verhältnisse haben diese Bestimmung überholt. Das Württ. Staatsministeriom
bat. wio wir hören, in Aogleicbung an die Verordnung in Preußen bereits zu¬
gleich mit der Veröffentlichung der ucuen Gebührenordnung eine Teuerung?- f
Zulage auf die neuen Sätze von 45 vom Hundert rückwirkend ab 1. Juli verfügt.
(Med. Korrespondenzbl. für Württemberg.)
*) Siehe diese Zeitschrift, Beilage, 20. Sept. 1922, Nr. 18, S. 78.
Verantwortlich flr die Sehrlftfeltang: Geh. Med.-Hat Dr. Sölhrig:, ü. Med.-Rat Lu fir*«Ua
Braalaa V, ttehdlgerttraßo $4. — Druck ?oo J. C. C. Braut, Hlüdcc L W.
Rechtsprechung u. Medizinal*
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte
Nr. 21. 5. November. 1922.
Medizinal-Gesetzgebung.
A. Deutsches Reich.
Aufhebung von zur Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten er¬
lassenen Einfuhrverboten. Verordnung des Eeichsministers des
Innern vom 6. September 1922.
Anf Grund des § 25 des Gesetzes betreffend die Bekämpfung gemein¬
gefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900 und der Bekanntmachung, betreffend
die Ein- und Dnrchfuhrbeschränknngen zur Abwehr von Cholera- und Pest-
gef&hr, vom 4. Juli 1900 (R. G. Bl. S. 555) wird folgendes bestimmt:
§ 1. 1. Die Verordnung, betreffend Einschränkungen der Einfnhr aus
Asien, vom 6. September 1897 (R. G. Bl. S. 725);
2. die Verordnung, betreffend Beschränkungen der Einfuhr aus Ägypten,
vom 13. Juli 1899 (ß.G. Bl. S. 369);
3. die Verordnung, betreffend Beschränkungen der Einfuhr wegen Pest¬
gefahr vom 18. Dezember 1899 (R. G. Bl. S. 703);
4. die Bekanntmachung, betreffend Beschränkungen der Ein- und Durch¬
fuhr aus der europäischen Türkei einschließlich aller türkischen Häfen des
Ägäischen und Schwarzen Meeres, vom 24. August 1901 (R. G. Bl. S. 281);
5. die Bekanntmachung, betreffend Beschränkungen der Ein- und Durch¬
fuhr aus China, vom 18. Februar 1911 (R. G. Bl. S. 57) werden aufgehoben.
§ 2. Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft.
B. Preußen.
Gebühr für die Ausführung der Wassermann sehen Reaktion. Rund¬
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 7. Juni 1922 —
I. M. IV. 1343 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Die Gebühr für die Ausführung der Wassermannschen Reaktion in
den Medizinaluntersuchungsanstalten wird hierdurch unter Aufhebung der bisher
geltenden Bestimmungen auf 35 M. festgesetzt. Eine ermäßigte Gebühr von
25 M. ist entsprechend dem Mindestsatz der Gebührenordnung für Aerzte pp.
für solche Wassermann-Untersuchungen zu erheben, die für Rechnung der
Reichskasse, der Staatskassen oder eines Armenverbandes ausgeführt werden.
Unter anderem kommen hierbei Untersuchungen auf Antrag der zuständigen
Dienststellen der Reichs-, Heeres- und Marineverwaltung, des Reichsversorgungs¬
wesens, der preußischen Schutzpolizeien, ferner Untersuchungen für Insassen
von Gefängnissen, Erziehungs-, Fürsorge-, Heil- und Pflegeanstalten pp. in Be¬
tracht. Die ermäßigte Gebühr ist auch Krankenkassen und gemeinnützigen
Beratungs- und Fürsorgestellen für Geschlechtskranke einzuräumen.
Die vorstehenden Sätze treten sogleich in Kraft, sie Anden auch auf die
seit dem 1. April d. Js. ausgeführten Wassermann-Untersuchungen An¬
wendung, für die den Auftraggebern Gebühren noch nicht in Rechnung gestellt
sind. Soweit seit dem 1. April bereits Gebühren in der bisher geltenden Höhe
erhoben sind, kann es dabei verbleiben.
Ich ersuche das dortige Medizinaluntersuchungsamt hiernach gefl. mit
Anweisung zu versehen.
Sie wollen ferner veranlassen, daß den privaten Laboratorien pp., die
die Genehmigung zur gewerbsmäßigen Ausführung der Wassermann sehen
Reaktion besitzen oder erhalten, entsprechend den mit Erlaß vom 4. Oktober
98
Medizinalgesetzgebung.
1920 (Ministerialblatt „VolksWohlfahrt“ 1920 S. 346) mitgeteilten Richtlinien
die Verpflichtung zur Innehaltung der neuen Gebührensätze als amtlich vor*
geschriebener Mmdestuntersuchungsgebühren auferlegt wird.
Reisekosten der KrelsmedizinalrSte in gerichtlichen Angelegen*
Veiten. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Juni
1922 — I. M. I 985 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Im Einverständnis mit dem Herrn Einanzminister genehmige ich auf
Grund des § 8, Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910, daß den
Kreismedizinalräton bei Reisen in gerichtlichen Angelegenheiten bis auf weiteres
Fahrkosten und Tagegelder nach den für Staatsdienstreisen geltenden Sätzen
gewährt werden. _______
Gebühren für die staatliche Prüfung der Zahntechniker. Erlaß
ües Ministers für Volkswohlfahrt vom 1. Juli 1922 — I. M. II.
2896 II — an die Herren Regierungspräsidenten.
Die Gebühren für die staatliche Prüfung der Zahntechniker (auf Grund
des § 1 Abs. e) der Ausführungsbestimmungen zu § 123 der R.V.O. vom
2. Dezember 1913 /14. Oktober 1920 — bedürfen mit Rücksicht auf die gegen*
wärtigen Verhältnisse einer wesentlichen Erhöhung. Unter Bezugnahme auf
den Erlaß vom 14. Oktober 1920 — I. M. IL Nr. 2343 —, dem die Vorschriften
über diese Prüfung als Anlage beigelegen haben, werden daher diese Vor¬
schriften dahin abgeändert, daß an Stelle der Gebühr von 150 M. im § 6 eine
solche von 4 5 0 M. und an Stelle der Gebühr von 30 M. im § 13 eine solche
von 75 M. tritt.
Diese Bestimmungen treten mit dem Tage ihres Erlasses in Kraft, soweit
die Prüfungsgebühren nicht schon eingezahlt sind.
Uebereinkommen mit den Ländern Baden, Hamburg nnd Mecklen¬
burg-Schwerin bezüglich der Woblfahrtspflegerinnen. Bekanntmachung
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 28. Juli 1922.
jT Das Preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt einerseits und das
^Badische Arbeitsministerium, die Senatskommission für die Reichs- und aus¬
wärtigen Angelegenheiten in Hamburg und das Mecklenburg-Schwerinsche Mini¬
sterium, Abteilung für Sozialpolitik, andererseits haben sich zur gegenseitigen
Anerkennung der Vorschriften über die staatliche Prüfung von Wohlfahrts¬
pflegerinnen verpflichtet. _
AerztUches Honorar bei Massenimpfungen. Erlaß des Ministers
für Volkswohlfahrt vom 25. AuguBt 1922 — I. M. ID. 2224 —.
An sich ist jeder Impftermin als besondere Massenimpfung aufzufassen.
Da jedoch zwischen Kreisausschüssen und Impfärzten besondere Vereinbarungen
über die Impftermine getroffen zu werden pflegen, haben hier beide Parteien
freien Spielraum, gegebenenfalls auch geringere Entschädigungen des Impf¬
arztes zu vereinbaren, als in meinem Runderlaß vom 26. Juni 1922 — I. ML
III. 1484 — (V.M.B1. S. 338) festgesetzt ist.
Jr. Tageg
jri uinisters
jr Innern — !
Tagegelder für Dienstreisen der Staatsbeamten. Erlaß desEinanz-
vom 7. August 1922, zugleich für den Minister des
I. C. 2. 3038 UL 2. 664 (Hochbauabtlg. — an das M. d. 1.1. a. 926.
I. In Aenderung des Runderlasses vom 15. Mai 1922 — F. M. Bl. S. 296 —
genehmigen wir auf Grund des § 8 Absatz 2 des Reisekostengesetzes vom
26. Juli 1910 bezw. des § 8 Absatz 2 der Reisekostenverordnung für Angehörige
der Landjägerei vom 9. August 1913 für den Bereich der allgemeinen Kreis¬
kassen-, Kataster- und Hochbauverwaltung sowie der inneren Verwaltung ein¬
schließlich der staatlichen Polizeiverwaltungen, der Landjägerei und der Schutz-
dolizei, daß mit Wirkung vom 1. August 1922 ab den Staatsbeamten bei
Dienstreisen an Stelle der bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu
den gesetzmäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die mit den Tagegeldern zu¬
sammen folgende Beträge nicht übersteigen dürfen:
Mcdizinalgesetzgebuog.
99
Tagegeld:
•Y ituk*
ink'ii mehr U>rtrim
- ' •' V'C^rnYYY '
fuelutitfi^ ‘‘ fetötäejg.
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At/ro i s ft n
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LL £m übrigen tritt/&& den 1
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3£v'*'tfr.
'
R«l«*lwsU» nnd Tagegelder der Staatsbeamten., Euadferlaß dci;
fäuunz’nnü'iffters und des JSt|'6liir.t4J'$f- / InsÄto #om 1$.
temb er 1933* do.n Mi o is t er $ f 0 f .. V -j I ks w6 ii 1 i a,br t v oin äo, Hey
teKober 1.922. .
I; In Aenderung des Runäerlusses vom 7. August 1922 — IC* 3068,
111 2. <564, M. d. I. I» 1 926 — . genehmigen wir aut Grund des § 8 Abs. 2
des Eewekoatougesetzes vom 26 Joli 1910 — GlesetzsacauL S. 150 — hezw.
des § 8 Abs. 2 de* Reisekostdoyerorduiiög für Ahgelidrige der .Landjägerei vom
9. Anglist '.1010— Gfeset 2 stumnl. S. 372 -XDir den Bereich pp., daß mit Wirkung
Tom T. September 1922 ab den Hfatusbeamten .bei Dienstreisen an Stelle d*r
bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu den gesetzmäßigen Tage-
-f sO», •;
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II. Mit Bikksicbt darauf, daß unter den heutigen VcrbäHuifiseH phöe,
weiteres angenommen werden kann, daß die im § 3 Abs. 2 des IteiseMvratfca-
gesetzes vwn 26. Juli 1910 and im |; S 'Abs?. 2 der Reisekestenveräiänang; für
die L&iidjEgerei vom 9. Aagnsa 1913 für die Zurücklegang eines Xändwee-
kilomtders vorgesehenen Vergütungen von 60, 40 «nd 30 Pf. die tatsächlichen
.4 n + .u»!. ■ __J.. ü d o a t. .. 4 j«. i.-/•
Sep temb t r 1922 ab ausgeiührteB
Dienstreisen .'.bewilligt wird. .. ■ :; YYYYv:YYYYYVYYYiYyyYYrYYYy ; ' ; !' ; YYYX-Yv
lil; Der Bünderläß vom ,20. Juni 1.922 — F. M, RL & 361, hptr. Sftsdsüsse
oder Paasebvergiitongea zu dös IdeBstreisetagngelderil an£ Grund des $ .8
Abs. 2 des Iteisekesfcenge$etZ;ej vom 26. Juli 1910 usw,, wird dabin ergänzt, ...
daß bezüglich der vnin 1, September 1922 ab nüsgeliiftrten Dienstreisen
iiiitfI
100
Medizinalgefietzgebang,
von der Anrechnung häuslicher Ersparnisse abgesehen werden kann, falls sich
die beantragtes Zuschüsse in angemessenen Grenzen halten und begründet er¬
scheinen.
IV. Im übrigen tritt an den bisherigen Grundsätzen der Abfindung der
Beamten bei Dienstreisen keine Aenderung ein.
Falirkosten der Krelsroedlziualräte. Erlaß des Ministers für
■wo 1 kswob 1 i ahr t voru 28. Angas t 1922 — I. M. I. 2518 —.
Im Anschluß en den Hunderlaß vom 11. August 1920 — I M I 2091 —
genehmige ich im Einverständnis mit dem Herrn Finanzministcr unter dem
Vorbehalte des Widerrufs, daß im Hin Mick auf die weitere Preissteigerung
für Gummi. Del, ßetmbsstoffe n>:W. den Kreismedizinalräten mit eigenem Kraft¬
wagen (Krafträderni au.-führen, un'er den Voraussetzungen des § 1 Absatz 1
der allgemeinen Verfügung des 81 antsmioisieriums vom 3. Oktober 1911 an
Stelle der bestimmungsmäßigen Fabrkosten statt des bisherigen Höchstsatzes
von vier Mark mit Wirkung vom 1. April 1922 ab Entschädigungen bis zur
Höhe von .»ochs Mark für ein Kilometer gewährt werden.
Glciehkeitig weise ich zur Beseitigung aufgetretener Zweifel darauf hin,
daß bei Benützung von Pferdefuhrwerk bei Wegstrecken, die nicht auf Eisen¬
bahnen, Kleinbahnen oder Schiffen zurüeketiegt werden können, die Erstattung
der Fahrkjosten nach Maßgabe des § 8 Absatz 1 des Reisekostengesetzes vom
26. Jali 1910 zu erfolgen hat. Wird auf derartigen Strecken eigenes Pferde¬
fuhrwerk benutzt, ho können dafür in gleicher Weise wie bei Mietfuhrwerk
die tatsächlichen Unkosten erstattet werden; jedoch dürfen die für eigenes
Fuhrwerk in Rechnung gestellten Beträge die für Mietfuhrwerk ortsüblichen
Sätze nicht überschreiten.
Erhöhung der Fabrkosfen für Dienstreisen. Erlaß des Ministers
für Volks Wohlfahrt, vom 4. Oktober 1922 — A. 3. Nr. 527 —.
Durch die Verordnung über Erhöhung der Eisenhahnfahrkosten bei Dienst¬
reisen der Staatsbeamten vom 21. September 1922 — G.S. S, 295 — ist der
pahrkosten-Kjh jjraetcf satz des Reisekostengesetzes vom 26. 7.1910 — G.S.
H. 160 — in der Fassung der Verordnung vom 30.11.1921 •— G.S. S. 550 —
lur Wegestrackeu, die nach dem 30. 9. 1922 auf Eisenbahnen oder Schiffen
znrückgelegt werden können, neu festgesetzt und zwar erhalten:
a j die in § 1 des Reisekostengesetzes unter I—IV genannten Beamten 210 Pf.«
wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse gezahlt ist, sonst 120 „
b) die unter V und VI genannten Beamten ...» .120 „
wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste
»Schiff- klas*e gezahlt ist, sonst.. 75 „
e) die unter VII genannten Beamten. 75 „
d) die unter I nud II genannten Beamten im Falle des § 3 Abs. 4 75 „
Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Oktober angetreten, aber an diesem.
Tage oder später beendet worden sind, fallen diejenigen Eisenbahn- und Schiffs¬
fahrten, die an diesem Tage oder später zurückgelegt werden, unter die vor¬
stehenden Bestimmungen.
Die neben den vorstehenden Sätzen zur Erstattung gelangenden Schnell-
zugszaschlage betragen vom 1. 10. 1922 ab:
I./ILK1. III. Kl.
75 km 30 M. 15 M.
Bei Entfernungen bis zu
über 75-150 „ 60 » 30 „
„ 150 km 90 „ 45 „
C. Baden
Durch Ministerialbekanntmachung vom 22. September 1922 werden die
Gel)Ulm*fi der üesuudheitabeaniten fiir amtliche Verrichtungen vom 1. August
ab um 300 p. c. erhöht. Die Apothekenvisitatoren erhalten für Visitation einer
Apotheke eine Geschaftsgebulir von 200 M.
Verantwortlich für dir Schri ftlritung: Och. Mcd.-iUt Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Bat to BrerUu
Breslau V, lUhdigerslraße 34. Druck tob J. C. 0. Brun«, Minden l. W.
102
Rechtsprechung
„Ich habe es nirgendwo anders gelernt und in keiner der hiesigen Kliniken
wird anders praktiziert, wie sollte ich als einfacher Arzt hier reformieren. Die
Schwestern müssen doch ganz andere Leistungen ansführen. Sublimatverdün-
nnngen nnd Karbolsänreverdönnnngen sollen die Schwestern machen dürfen.
Novocainlösungen und Cocainlösungen aber nicht?“
Die nach der Zeugenvernehmung erstatteten Berichte der Sachverstän-
digen hielten in der überwiegenden Mehrzahl es für sehr wahrscheinlich, d*ft
der Tod durch Cocainvergiftung eingetreten wäre, denn wenn auch in Tieren,
die man mit den bei der Operation verwendeten Lösungen vergiftet hätte, kein
Cocain nachzuweisen gewesen wäre, so spräche das absolut nicht dagegen, daß
hier eine Cocain Vergiftung Vorgelegen hätte. „Bei Tierversuchen trat bei lang¬
samer Injektion von Cocain der Tod nicht ein, als man aber das gleiche Quantum
schnell injizierte, trat sofortiger Tod ein. Aus der Literatur habe sich ergeben,
daß in zwei Fällen möglicherweise der Tod infolge einer Cocainpinselung eintrat.*
Interessant war das Gutachten des Gerichtsarztes Dr. R., der über die
Tätigkeit der Schwestern sich wie folgt äußerte:
„Cocain ist ein gefährlicher Stoff und gehört der Oeffentlichkeit entzogen.
Es liegt absolut kein Bedürfnis vor, daß Krankenhäuser dieses Mittel selbst
herstellen. Schwestern aber sind nicht dazu da, solche Lösungen herzustellen,
was allerdings zu einer allgemeinen Uebung geworden ist. Der Arzt bleibt
moralisch verantwortlich, wenn er das Mittel aus der Hand gibt. Cocain ge¬
hört in den Giftschrank des Krankenhauses.“
Der Sachverständige hielt es für unzulässig, daß der Arzt der Schwester
Pulver überließ, ohne zu wissen, wie viele solcher Pulver die Schwester hatte
und ohne daß das Papier, in dem das Pulver war, die Aufschrift des In¬
halts trug.
Ueber die Ausbildung der Krankenschwestern äußerte sich Geheimrat
Dr. V. ausführlich. Die Ausbildung lasse viel zu wünschen übrig. Im Lehr¬
buch sei vorgeschrieben, daß die Schwester im Zubereiten von Lösungen unter¬
richtet werde. Er stebe auf dem Standpunkt des Gerichtsarztes Dr. B.,
daß, wenn richtig verfahren worden wäre, die Schwester die Lösungen nicht
anfertigen durfte. Es gebe in Frankfurt nur im Marienkrankenhaus eine
Schwester, die auf Grund ihrer Vorbildung solche Lösungen anfertigen dürfe.
Wenn der Arzt durch eine Schwester eine Lösung bereiten lasse, so trage er
die Verantwortung. Es sei zu hoffen und zu wünschen, daß der Prozeß dazu
beitrage, das persönliche Verantwortungsgefühl sowohl des Arztes als auch
der Krankenschwestern zu stärken. Auf eine Anfrage erklärte der Sach¬
verständige, daß es den Krankenschwestern erlaubt sei, Morphiuminjektionen
zu machen. Nach seiner Ansicht habe Dr. M. seine Berufspflicht nicht ver¬
letzt Die Schwester war gut vorgebildet und er mußte sich sagen, daß er
sich auf sie verlassen könne.
Das Urteil lautete auf Freisprechung des Arztes Dr. M., da er sich nicht
strafbar gemacht hätte. Denn die Sachverständigen hätten es nicht als Pflicht¬
verletzung angesehen, wenn der Arzt die Lösung selbst zubereitet bezw. an die
Schwester diese Arbeit übertragen hätte. Das Verfahren gegen die Schwester
wurde wegen weiterer Vernehmung Sachverständiger vertagt.
(Pharmaz. Ztg. 1922, Nr. 55/56).
Medizinal - Gesetzgebung.
Preußen.
Kanallsatlonsprojekte. Erlaß des Ministers für Volkswohl¬
fahrt vom 6. Mai 1922 — I M IV 541/22 — zugleich imNamendes
Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und des
Ministers für Handel und Gewerbe.
In den Erlassen vom 13. Juli 1914 — M. d. I. II g 498, M. d. ö. A. IQ
1877 A C, M. f. H. u. G. IQ 6270, M.f. L., d. u. F. IB Hb 5808 — und vom
25. November 1916 — M. d. I. M. 11 896, M. f. H. u. G. HI 6907, M. d. ö. A. m
2608, M. f. L., D. u. F. I B II b 4301 — ist angeordnet, daß Kanalisations¬
projekte anfänglicher Art, für welche eine wasserpolizeiliche Genehmigung oder
die Verleihung des Rechts auf Einleitung der Abwässer in einen Wasserlauf
nachgesucht wird, der Landeszentralinfctanz — nunmehr unter der äußeren
Medizinalgesetzgebung
108
Adresse: Ministerium für Yolkswohlfahrt —'vorzulegen sind. Diese Erlasse
bleiben in vollem Umfange aufrechterhalten und gelten daher auch für solche
Kaaalisationprojekte, nach denen Abwässer unmittelbar einem Wasserlauf zu*
geführt werden sollen, dessen Verwaltung auf das Reich übergegangen ist.
i
Jr Verwendung von Talk nnd schwefliger Sänre bei Herstellung von
Müllerelerzengnissen. Runderlaß des Ministers für Volkswohl*
fahrt, der Minister für Landwirtschaft pp., für Handel und
Gewerbe und der Justiz vom 10. Juni 1922 — I. M. II 1801, M. f.
L. pp. 1. A. III. J. 4895, M. f. H. u. G. II. b. 4265, Just. Min. 1.4424 — an die
Herren Regierungspräsidenten.
In neuerer Zeit ist zur Sprache gebracht worden, ob und unter welchen
Voraussetzungen die Verwendung von Talk und von schwefliger Säure bei der
Herstellung von Müllereierzeugnissen, insbesondere von Graupen, Grütze, Reis
und Schälerbsen, als zulässig angesehen werden kann. Die hierüber im Reichs¬
gesundheitsamt unter Beteiligung von Vertretern der Industrie und der
Nahrungsmittelchemie abgehaltenen Beratungen haben ergeben, daß bei sach¬
gemäßer Handhabung beider Verfahren der berechtigte Anspruch der Bevölkerung
auf einwandfreie Lebensmittel in dem erforderlichen Maße gewahrt und zugleich
den berechtigten Wünschen der Mühlenindustrie entsprochen werden kann. Als
Voraussetzung für die Zulassung der beiden in Rede stehenden Verfahren für
die Verarbeitung von Gerste, Reis und Erbsen muß die genaue Befolgung nach¬
stehender Bedingungen verlangt werden:
1. Es dürfen nur einwandfreie Rohstoffe in Verarbeitung genommen
werden; bereits verdorbene Rohstoffe oder ebensolche Fertigerzeugnisse sind
von den Verfahren ausgeschlossen, weil ihnen durch die Behandlung mit Talk
oder mit schwefliger Säure der Schein einer einwandfreien Beschaffenheit ver¬
liehen werden kann.
2. Den verkaufsfertigen Erzeugnissen dürfen nicht solche Mengen von
Talk und von schwefliger Sänre anhaflen, daß durch den Genuß der zubereiteten
Speisen Gesundheitsschädigungen hervorgerufen werden können. Uebermäßig
große Talkmengen müssen weitet auch deswegen vermieden werden, weil sie alseine
für die Ernährung wertlose und deshalb unzulässige Belastung anzusehen sind.
3. Die Bedingungen unter Ziffer 2 sind als erfüllt anzusehen, wenn in
100 g der verkaufsfertigeu Ware nicht mehr als 20 Milligramm schweflige
Säure und 1 g Talk enthalten sind.
Unter diesen Voraussetzungen kann von einer Kennzeichnung des Gehalts
der Waren an Talk und an schwefliger Säure Abstand genommen werden.
Um eine im Interesse der Müblenindustrie gelegene gleichmäßige Be¬
urteilung ihrer Erzegnisse herbeizuführen, die zugleich auch eine für den Groß-
und Kleinhandel wertvolle Verkehrssicherheit schaffen würde, ersuchen wir er¬
gebenst, die mit der amtlichen Ueberwachung des Lebensmittelverkehrs be¬
trauten öffentlichen Nahrungsmittel-Untersuchungsanstalten anzuweisen, bis auf
weiteres eine Beanstandung von Graupen, Gerstengrütze, Reis und Schälerbsen —
deren sonstige einwandfreie Beschaffenheit vorausgesetzt — dann nicht eintreten
zu lassen, wenn ihr Gehalt an Talk und an schwefliger Säure innerhalb der
vorgenannten Grenzen gelegen ist.
/
# Reisekosten der Kreismedizinaliäte in gerichtlichen Angelegen¬
heiten. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
13. Juni 1922 — I. M.I. 985 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Im Einverständnis mit dem Herrn Finanzmmister genehmige ich auf
Grund des § 8 Absatz 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910, daß den
Kreismedizinalräten bei Reisen in gerichtlichen Angelegenheiten bis auf weiteres
Fahrkosten und Tagegelder nach den für Staatsdienstreisen geltenden Sätzen
gewährt werden. # _
f Fachliche Berufsschulung für das Hauptfach: „Gesundheitsfürsorge“
bei der staatlichen Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen. Runderlaß
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 14. Juni 1922 — DI. G.
910 I. M. — an die Herren Regierungspräsidenten.
Nachdem durch Erlaß vom 19. Juli 1921 — I. M. II. 2361 — die Vor¬
schriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen den Nachweis
Rechtsprechung u. Medizinal-
Gesetzgebung
Beilage zur Zeitschrift Ifir Medizinal-Beamte
Nr. 24. 20. Dezember. 1922.
Medizinal -Gesetzgebung.
Preußen.
Gefftfte nr Versendung bakteriologischen Untersnchnngsmaterials.
Erlaß des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom
29. November 1922 — I. M. III. 2856 — an die Herren Regierungspräsi¬
denten and den Herrn Polizeipräsidenten.
Im Interesse der Kostenersparnis fttr die Staatskasse ist es notwendig,
mit den Gefäßen znr Versendung bakteriologischen Untersuchongsmaterials, die
bis jetzt kostenfrei in den Apotheken znr Ansgabe gelangen, sparsamer als
bisher nmzngehen. Die Herstellungskosten dieser Gefäße betragen gegenüber
den Friedenspreisen ein Vielfaches, außerdem gehen bei der jetzigen Hand¬
habung des Ausgabeverfahrens zahlreiche Gefäße verloren. Nach Anhörung
des Ausschusses der Preußischen Aerztekammern und des Apothekerkammer-
Ausschusses bestimme ich daher, wie dies im Freistaat Baden bereits seit
längerem geschehen ist, daß vom 1. Januar 1923 ab die Apotheken die frag¬
lichen Versandgefäße nur noch auf schriftliche ärztliche Anweisung abgeben,
und daß sie von den zuständigen Untersuchungsämtern in der Regel —
Epidemiezeiten und Verluste durch Bruch sind angemessen zu berücksichtigen —
nur soviel Gefäße ersetzt erhalten, als durch die einzureichenden ärztlichen An¬
weisungen als verausgabt nachgewiesen werden.
Amtliche Vergütung für die Wahrnehmung von Impfterminen.
Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 26. Juni 1922 —
I M DI 1484 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Auf die gefl. Eingabe vom 3. Juni d. Js. erwidere ich ergebenst, daß bei
Impfterminen, in denen mehr als 25 Impfungen vorzunehmen sind, eine ent¬
sprechende Erhöhung der Impfvergütung um je 5 M. für jede in einem solchen
Termin geimpfte über die Zahl von 25 hinausgehende Person einzutreten hat.
Nachschautermine gehören mit zur Impfung. Für sie sind nur die etwaigen
Fahrkosten zu erstatten, sofern die Nachschau nicht gelegentlich anderer Ver¬
richtungen mit wahrgenommen wird.
Abschrift zur gefl. Kenntnisnahme mit Bezug auf die Rundverfügung
vom 15. Mai d. Js. - I M HI 1073 — *).
Leitsätze über die Stellung der leitenden Krankenhansfirste. Erlaß
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Juli 1922 — I M I
1765 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Der Ausschuß der Preußischen Aerztekammern hat in seiner Sitzung am
13. November 1921 nachstehende „Leitsätze über die Stellung der leitenden
Krankenhausärzte“ angenommen, die eine beachtenswerte Ergänzung der durch
die Erlasse vom 12. Oktober 1908 — M 8048 Gl, G II — und vom 2. Juni
1910 — M 5784 G I, G H — mitgeteilten Grundsätze darstellen. Sofern hier¬
gegen nicht etwa besondere Bedenken bestehen sollten, ersuche ich, diesen Leit¬
sätzen für ihren Geschäftsbereich gefälligst Geltung zu verschaffen. Gegebenen¬
falls erwarte ich Bericht
1. Der leitende Arzt wird durch schriftlichen Vertrag auf mindestens
fünf Jahre angestellt. Während dieser Anstellungszeit darf eine Auflösung
und nach Ablauf derselben eine Nichterneuerung des Vertragsverhältnisses nur
*) Siehe diese Zeitschrift 1922, Beilage Nr. 17, 8.73.
106
Medizin algesetzgeb ung.
aas wichtigen Gründen erfolgen. Ob solche Gründe vorliegen, entscheidet bei
Meinungsverschiedenheiten ein 'za vereinbarendes Schiedsgericht oder die ordent¬
lichen Gerichte.
2. Wo dem leitenden Arzte nicht auch die Oberleitung im wirtschaft¬
lichen Betriebe zusteht, ist er wenigstens für den ganzen Betrieb der Anstalt,
soweit es sich um die Krankenfürsorge handelt, insbesondere für den allgemeinen
Krankendienst und die gesundheitlichen Maßnahmen, verantwortlich. Ihm ist
die nötige Selbständigkeit zu gewähren.
S. Besteht für die Anstalt ein Vorstand (eine Verwaltung, Ausschuß), so
gebührt dem leitenden Arzte bezw. seinem Stellvertreter darin Sitz und Stimme.
4. Der leitende Arzt muß in allen baulichen und medizinischen wie
bygieniscbnn Fragen vor Erlaß etwaiger Anordnungen gehört werden. Auch
in wirtschaftlichen Angelegenheiten soll er der Anstaltsverwaltung zur Seite
stehen.
5. Er ist der Vorgesetzte des ärztlichen Hilfspersonals und Kranken¬
pflegepersonals sowie Wirtschafts- und Verwaltungspersonals in allen die
Krankenfürsorge betreffenden Angelegenheiten.
6. Alle vom Vorstande (von der Verwaltung, dem Ausschüsse) hinsichtlich
des Personals in bezug auf die Krankenfürsorge (einschließlich Beköstigung der
Kranken) zu erlassenden Anordnungen müssen durch seine Hand gehen und
unterstehen seiner Aufsicht.
Desgleichen sind ihm alle sonstigen die Hygiene des Krankenhauses oder
die Krankenfürsorge betreffenden Schreiben, Verfügungen und Berichte, welche
an den Vorstand (Verwaltung, Ausschuß) ergehen oder von diesem ausgehen,
zur Kenntnis und zur Mitzeichnung vorzulegen.
7. Der leitende Arzt hat auch Anspruch auf ausreichendes Hilfspersonal,
insbesondere, daß ihm zu ärztlichen Leistungen (Narkose, Assistenz, Vertretung,
fachärztliche Hilfeleistung usw.) die nötigen ärztlichen Hilfskräfte zur Ver¬
fügung gestellt werden.
Die Berufung und Austeilung der in dem Krankenhause tätigen Assistenz¬
ärzte erfolgt durch die Verwaltung bezw. den Vorstand des Krankenhauses auf
Vorschlag des leitenden Arztes des gesamten Krankenhauses oder des selbst¬
ständigen Oberarztes eiuer besonderen Abteilung, dem dieselben dann ärztlich
und dienstlich unterstehen.
8. Dem leitenden Arzte muß ferner der Wechsel und die Verteilung des
ärztlichen Hilfspersonals und des Krankenpflcgepersonals auf die einzelnen Ab¬
teilungen wie die Regelung der sonstigen Tätigkeit dieses Personals unterstehen.
Insoweit klösterliche Ordnung oder Stiftungssatzung die Verteilung des
Pflegepersonals oder seine Versetzung auf andere Abteilungen etwa der Oberin
zuweisen, muß Wert darauf gelegt werden, daß sich diese mit dem leitenden
Arzte vorher ins Einvernehmen setzt.
9. Von der Aufnahme eines Kranken ist dem leitenden Arzte, falls er
sie nicht selbst angeordnet hat, sofort Mitteilung zu machen. Er hat die Unter¬
bringung und Verteilung der Kranken auf die einzelnen Abteilungen und Zimmer
anznordnen und über ihre Entlassung zu entscheiden. Ohne Vorwissen des
leitenden Arztes darf kein Kranker entlassen werden, auch nicht aus diszipli¬
nären Gründen.
10. Der leitende Arzt erhält ein angemessenes festes Gehalt, das, wenn
es die Haupteinnahmequelle des Arztes ist, pensionsfähig sein und mit dem
Dienstalter steigen muß. Die übrigen Honorarforderungen unterliegen beson¬
deren vertraglichen Abmachungen.
Die Grundsätze gelten für die leitenden Krankenhausärzte, sinngemäß
sind sie aber auch für die leitenden Abteilungsärzte anzuwenden.
/ Ueberelnkommen mit den Ländern Baden, Hamburg und Mecklen¬
burg-Schwerin bezüglich der Woblfabrtspflegerlnnen. Bunderlaß des
Ministers fürVolkswohlfahrt vom 28. Juli 1922 — III. G. 1948II.
I. M. — an die Herren Regierungspräsidenten.
Das Preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt einerseits und das
Badische Arbeitsministerium, die Senatskommission für die Reichs- und aus¬
wärtigen Angelegenheiten in Hamburg und das Mecklenburg-8chwerinsche Mini-
Medizin algeeetzgebung.
107
■terinm, Abteilung für Sozialpolitik, andererseits haben sieh zur gegenseitigen
Anerkennung der Vorschriften über die staatliche Prüfnng von Wohlfahrts¬
pflegerinnen verpflichtet.
Unterstützung von Wohlfahrtsschnlen. RnnderlaBdesMinisters
für Volkswohlfahrt vom 7. August 1922 — III. G. Nr. 2397 I. M. —
an die Herren Regierungspräsidenten.
Zur Unterstützung staatlich anerkannter Wohlfabrtsschulen stehen mir
für das Rechnungsjahr 1922 in beschränktem Umfange Mittel zur Verfügung.
Um für eine zweckentsprechende und gerechte Verteilung dieser Mittel die er¬
forderlichen Unterlagen zu gewinnen, ersuche ich ergebenst, von den staatlich
anerkannten W ohlfahrtsschulen genau auf gestellte und ausführlich gehaltene
Rechnungabschlüssse und Haushaltsanschläge für das abgclaufene und das laufende
Geschäftsjahr einzufordern und mir spätestens bis zum 1. Oktober 1922 vorzulegen.
Diese Aufstellungen müssen in übersichtlicher Form und Gliederung a 11 e
Einnahmen und Ausgaben nachweisen und auch diejenigen sonstigen Angaben
enthalten, die erforderlich sind, um ein zutreffendes Bild von der Finanzlage
der Anstalten zu geben. Beispielweise sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
1. Zahl der Schülerinnen in jedem der vier Schulhalbjahre seit 1. Oktober
1920 und zwar getrennt nach Unterstufe und Oberstufe.
2. Schulgeld nach dem Gesamtaufkommen und dem Einheitssatz.
3. Bezeichnung des Trägers der Unterhaltungskosten und Angabe der Zu¬
schüsse Dritter (Vereine, Gemeinden, Kreise, Provinzen, Landesversicherungs¬
anstalten usw.).
4. Gehälter unter Angabe der Empfänger im einzelnen und der Besoldungs¬
gruppe bei etwaiger Anlehnung an die Beamtenbesoldungsordnung.
5. Dozentengebühren unter Angabe der Empfänger im einzelnen.
6. Sächliche Kosten nach Unterabschnitten, (Heizung, Beleuchtung, Reini¬
gung usw.).
7. Ausgaben anderer Art (Freistellen usw.).
8. Wenn mit der Schule ein Internat verbanden ist, ersuche ich, dies anzu¬
geben, die Kosten jedoch im Rechnungsabschluß und im Haushaltsanschlag
nicht zu berücksichtigen.
Bestrebungen der Bünde znr Vertretung der Interessen kinderreicher
Familien. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom
7. August 1922 — I. M. IV Nr. 1750 — an die Herren Regierungspräsidenten.
Der Ausschuß des Preußischen Landesgesundbeitsrates für das Be¬
völkerungswesen und die Rassenhygicne hat in einer kürzlich stattgefundenen
Sitzung einstimmig folgende Entschließung angenommen:
„Die Bestrebungen der Bünde zur Vertretung der Interessen kinder¬
reicher Familien sind entsprechend Artikel 109 der Reichsverfassung nach
Möglichkeit zu begünstigen. Es erscheint wünschenswert, daß die Staats¬
regierung die nachgeordneten Behörden auf diese Bestrebungen aüfmerksam
macht und sie zu nachdrücklichster Unterstützung derselben auffordert.“
Da ich dem Grundgedanken dieser, von dem Landesgesundheitsrat mir
mit der Bitte um weitere Veranlassang vorgelegten Entschließung zustimme,
ersuche ich mir zunächst darüber zu berichten, welche Vereinigungen zur Ver¬
tretung der Interessen kinderreicher Familien im dortigen Bezirk bestehen,
welche Bestrebungen sie verfolgen, und ob und in welcher Weise eine amtliche
Förderung oder eine Unterstützung ihrer Bestrebungen von dort empfohlen
werden könnte.
Nach Eingang der Berichte behalte ich mir eine grundsätzliche Stellung¬
nahme zu der angeregten Frage vor.
Verbreitung der tropischen Malaria. Runderlaß des Ministers
für Volkswohlfahrt vom 9. August 1922 — I. M. III. Nr. 2026 — an
die Herren Regierungspräsidenten.
In der Infektionsabteilung des Rudolf Virchow -Krankenhauses in Berlin
sind in den letzten 3 Monaten 15 Fälle von tropischer Malaria beobachtet werden.
Unter den Erkrankten fand sich eine größere Anzahl solcher Patienten,
die Berlin nie verlassen haben, sich also hier infiziert haben müssen. Fast stets
108
Medizinalgesetzgebnng.
(In 18 Fällen) wurde der Anfall durch eine Salvarsankur aasgelöst. Vereinzelt
war der durch die Malariainfektion verursachte positive Ausfall der Wubs er¬
mann sehen .Reaktion der Anlaß für die Salvarsanbehandlung; 2 hoffnungslos
eingelieferte Fälle endeten tödlich, auch sonst wurden Todesfälle beobachtet.
Es besteht die Befürchtung, daß die tropische Malaria bereits eine weitere
Verbreitung gefunden bat, ihr Vorhandensein aber den Aerzten vielfach un¬
bekannt geblieben ist. Von den hier beobachteten Fällen war vor der Ein-
Lieferung ins Krankenhaus keiner als Malaria erkannt worden.
Ich ersuche um Bericht bis zum 10. September d. Js., ob in Ihrem Bezirk,
insbesondere in den Krankenhäusern, ähnliche Beobachtungen gemacht worden
sind. Ich ersuche ferner in geeigneter Form dafür Sorge zu tragen, daß die
Aerzte auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, in ernsteren Fällen unklarer
Diagnose auf die Möglichkeit auch einer Infektion mit Malaria tropica zu denken.
Auftreten von Skorbut* Bunderlaß des Ministers für Volks¬
wohlfahrt vom 10. August 1922 — I. M. IV. Nr. 1704/22 an die Herren
Begierungspr&sidenten.
In der letzten Zeit sind ans verschiedenen Teilen Preußens Meldungen
über das Auftreten von Skorbut oder von skorbutähnlichen Erkrankungen er¬
stattet worden. Da diese Meldungen sich auf schwere Erkrankungen der ge¬
nannten Art bezogen und aus Krankenhäusern gemeldet wurden, so ist an-
zunehmen, daß zahlreiche leichtere Fälle nicht zur Kenntnis gekommen, viel¬
leicht auch von Aerzten und Zahnärzten — Skorbut zeigt sich oft zunächst
als Zahnfleischerkrankung — die Vorboten aber gelegentlich nur als Blutarmut,
die nicht richtig erkannt worden sind.
Das Auftreten von Skorbut, der selbst in den schwersten Hungerzeiten
der letzten Jahre nicht zur Beobachtung gekommen ist, bedeutet deshalb für
die Bevölkerung eine erhebliche Gefahr, die besonders deswegen nicht leicht
genommen werden darf, weil sie möglicherweise im kommenden Winter eine
ernstere Gestalt annehmen wird.
Die Ursache des Skorbuts ist der Mangel an gewissen Zusatznährstoffen,
den sogenannten Vitaminen in der menschlichen Nahrung. Bei genügender Auf¬
merksamkeit auf diesen Zusammenhang läßt sich verhältnismäßig leicht und
sicher mit einfachen Mitteln der Skorbut verhüten oder seine ersten Anfänge
beseitigen, nicht nur bei der Einzelernährung, sondern vor allem bei Massen¬
ernährungseinrichtungen, bei denen die Zubereitung frischer Gemüse an sich
Schwierigkeiten macht. Diese Stoffe finden sich besonders in grünen Gemüsen.
Salaten, insbesondere Tomaten, Obst und Fruchtsäften, Kartoffeln, gut ge¬
ronnener Milch und Eiern. Da die Vitamine erst in der letzten Zeit einer ein¬
gehenderen wissenschaftlichen Beachtung unterzogen worden und daher öfter
noch Unkenntnis über ihre Wirksamkeit und über die Schäden besteht, die ihr
Mangel hervorruft, ersuche ich die Verwaltungen der in ihrem Bezirk be¬
stehenden Anstalten und Einrichtungen, in denen ständig eine größere Anzahl
von Personen verpflegt werden, auf einen Aufsatz aufmerksam zu machen, der
in Nr. 16/17 der Volkswohlfahrt vom 1. September v. Js. unter dem Titel: „Ueber
die Bedeutung der Vitamine für die Volksgesundheit“ erscheinen wird. Ich
habe Sorge getragen, daß Sonderabdrucke dieses Aufsatzes hergestellt werden,
die voraussichtlich zu einem geringen Preise von Carl Heymanns Verlag,
Berlin, W. 8, Mauerstraße 43/44, auf Erfordern abgegeben werden.
Weitere Mitteilungen besonders über die die Vitamine nicht schädigenden
Zubereitungsverfahren der Nahrungsmittel behalte ich mir vor.
Als in Ihrem Amtsbereich liegende Anstalten und Einrichtungen dürften
besonders Kranken-, Siechen- und Waisenhäuser sowie Volksküchen und Ferien¬
heime wie Erholungsstätten für Kinder in Betracht kommen.
Auch ersuche ich, die Aerzte und Zahnärzte Ihres Bezirks auf das jetzt
häufigere Vorkommen des Skorbuts aufmerksam zu machen und die Kreis¬
medizinalräte zu veranlassen, etwaige in den Kreisen beobachtete Fälle von
Skorbut Ihnen zahlenmäßig zu melden.
Einen Bericht über das vonlhnen Veranlaßteund Ihre Beobachtungen über das
Vorkommen von Skorbut in Ihrem Bezirk erwarte ich bis zum 20. Oktober d. Ja.
Verantwortlich für die Schriftleltung: Geh. Med.-Kat T>r. S o 1 b r i g , Reg.- n. Med.-Rat in Broalati
Breslau V f Rehdigerstraße 34. Druck von J. C. C. Bronn, Minden 1. W.