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Full text of "Zeitschrift für Medizinal-beamte 35.1922"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

MEDIZINALBEAMTE 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des staat¬ 
lichen nnd privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und 
öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der prakt. u. sozialen Hygiene. 

H erausgegeben 

von 

Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg^ 

Reg. und Med.-Rat in Breslau. 


Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, 
Sächsischen, Württembergisohen, Badischen, Hessischen, 
Mecklenburgischen, Thüringischen und Braunschweigischen 
Medizinalbeamtenvereins. 


XXXV. Jahrgang. <922. 


IEILII III FIUIEI’S HEIIZML IBCHIIIDLUIB I. IIIIFEll, 

Herz ogl. Beyer. Hof- und K. n. K. Kam mer-Buch hfl edler. 

Berlin W. 62, KeithatraBe 5. 












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Inhalt 


I. Original-Mitteilungen. 

A. Gerichtliche Medizin, gerichtliche Psychiatrie and 
SachverstSndlgen-Tätigkelt. 

Giftwirkung der Kieselflußsäureverbindungen. Dr. Hillenbere 
Leicbenzerstörung durch Fliegenmaden. Dr. Meixner 8 

Fall yon Melancholie mit vermeintlicher Gravidität. Dr. Berneick 
Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte bei gericht- 
liehen Untersuchungen menschlicher Leichen. Dr. Puppe 
Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen und Entmündisungs- 
t -/“^hten durch die genchtsärztlichen Ausschüsse. Dr. Nippe 

Luftembolie bei kriminellem Abort. Dr. Möller .. . 

Nervöse Erschöpfung und Zurechnungsfähigkeit. Dr. Horstmann 
Magendarmprobe und Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte 
bei gerichtlicher Untersuchung menschlicher Leichen. Dr. Ungar 
Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. Dr 
vlernstein . 

Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. Dr. Straßmann! 

Die Maximaldosen der Arzneimittel, Rehwald .’ * 

B. Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen. Standesfragen. 

Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. Dr. Schmidt 
Zar neuen preußischen Desinfektionsordnung. Dr. Freymuth 
Haushaltsvoranschlag des preußischen Gesundheitswesens. Dr. Rap 
mund sen. v 


Entwurf eines preußischen Hcbammecgesetzes. Dr. Rap mund sen 
Zwangsernährung Strafgefangener. Dr. Marggraff 

Leichenpässe. Dr. Jorns . ' ' ' * ' 

Nicht Oberregierungsrat? Dr. Bomtraeger 

Unsere Zukunft. Dr. Trembur ... . 

Kurpfuscherei und Anderes. Dr. Grassl 


Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen' Dr Se’vf 
farth und Dr.Schrader. ^ 


Zu den Kritiken der neuen preußischen Desinfektionsordnung. Dr. Lentz 
Nachkriegsverhaltnisse und ihre Einwirkung auf Gewerbebygiene, Medi¬ 
os ^^gesetzgebung und Medizinalverwaltung. Dr. Wildenrath 
30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. Dr. I s r a e 1 
Fleckfieber und soziale Lage. Dr. Willführ . . ' * ' ’ 

Entgegnung auf: Mitwirkung des Amtsarztes bei der'Auswahl der 
Hebammen. Dr. Schwabe . 

Notwendigkeit und Organisation städtischer Gesundheitsämter. Dr 

Kreisärzte und Kommunalärzte. Dr. Krautwig 
Beitrag zur Frage der Kommunalisierung der Kreisärzte. Dr. Scholz 
Durchführung der neuen preußischen Desinfektionsordnung im Saalkreis 
Dr. Hillenberg . 

Kreisarzt und hygienische VolksbelehruDg. 'Di. Neu s'tä'tt'er’ 

Martener Typhusepidemie im Sommer 1921. Dr. P1 e n s k e. 

Frage der Bildung eines Reichsgesundheitsministeriums bei der Beratung 
des Haushalts des Reichsministeriums des Innern. Dr. Solbric 
ixeeetzliehe Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dr. Dreuw 


Seite 

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iw ^ ^ ,; ' r '*'^ -.aflftS'. • • • • WT': 

Komtttftmi&Tzfce> ?»n<] Krcisärztei .A$J 1 o »fcer«;- . • . • • . 4 

Sind TobctfeukwitsAfftraorgo aofdcifi richtigen Wege < 

Dt. Pa et sch . . . . 

Ziütunlomuf gaben amtsärztlicher Tätigkeit. Dr. Seh/sder • ; . ... . 

35dr Frag$ der Zwang&iBipfHHg. llf» ” 

Beaoidööf^&ft^e^^-f *l'brl^:-. - ; ^ 

Annahme tlot» Desfcisentvarfs Über dos Hebamfaenweaen im preußischen 
;,V ; ;'.' 0 n»fig. ,#.:|£,v • ■ •- • 

Tobe» b u! OBCbekänr pCöDp: anf dem Bande, Dr. Dille ob erg , . . . 

Briuüiflija «bstat Dr. H a.l l e a b e r g er v • . •• '■.4' ■ - • • 

Kreisarzt und Krctakommuiiftlarzt. Dr. Bo ege . . • • • • - • 

Ottr&tifiiiiraog der neuen DeßinfektionsOTdnang in Stadt- und Land» 

• ; .'.Dr, Erigelmanit . 

Anstvn.bf der Hebamme». Dr. Poieo . . 

>to?&Uchuug von Schulkindern. Dr. Malliai . . . 

r, .•vMnifcngcb&ffcgb^giene und Schule. Dr. Berger. . . . - 

2#b jpre^ws YersehJegon der „diskreten“ Bekämpfung der Geschlechte* 

t-' - • -i, * » * ■• •' •■■ ’ ■••'>'♦ 5 . <*<■ 

M>$ VüUdamj)£ 'rotA’öij 4- guge«, de» Kreißarzt. Dr. Hohn. , .^l 
Zar neuea Dfö»i»fcktim»a<>run«og, Dr. Helleuberger , •• - . . , , 

Die geaataUebe Regelung ,; 4t>i „Nachuntersuchungen“ bßifi» Typbue. 

• • • -. • • 

■YufccindW der Cot juUctiva, Dr. Meyer . , ... . .... >.-• . 

DesoddiJftgsfruge. Dr. 3p Ihrig. . . . ■ . .*. . 

• ne und Kreisarzt: Dr. K ü h d I e? 3 . :• 

Eine di<u)i aufgeklärte Erkrankung. Dr. GastÄfa 
Yagulög de» Vereine für üffeutiiebe GesundhCitifpflege. 

/^ä^guuög auf; „Mit Volldampf voraus gegen den 

Jatikoweki. . . . . ■ • . 

Kuifidsebertüffi und »eine Bekämpfung. Dr. H a h tt . . . - • • • 

•TubefkuiofOnv«.M-»*r«'!t.n»g und soziale Miöstiiwde.. Di*. Diiruer - . . 
Hygieuott.ettJeialeidediaiJ) im VplksbelebrnngBfilai. Dr. T h 0 m a 11 a 589, 606, 
SUa.wir mR der TaWrkalost filrsorge auf dem riebt »gen Wege?; Dr. Boege 

: .-•ncdi.-. i'. wu. f '— Wohlfahrtsamt Dr. Oppelt , . 

Prostitution and Dirnentum in Ctefeld. Dr. Klaholt & v - • v . • 

dnßvrort. Dr. Habu . - . 

Ämisunkosten der preußieebfeu Medizinalbeamteu. Dt A u s 1 v . 

Die neuen Besoiduogevurschrifteu. Dr. Soibrtg . , ...... 

Jirfäbruoge» bei der Durchführung de» Gesetzes befr. die ottenuici« 

{ KffippoMürsorge vom 6. Mai 1920. Dr. Kriege und Dr. JPfabel 
Zur Hebinimenfrage. Dr. Borge . . > . • • ' 4 ‘: r ±'^ 4*., 7 ' 

Bekämpfung des Karpfuaebertunw. Dr. ftehrad^r . 

Zur Zahlung Uccerer Vereiosbeiträge. Dr. Rogowski * 


Dr. Bandt 
Kreisarzt'^. Dr. 


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m 

660 


II. Aus VersammJungen und Vereinen. 

■x dut Sächsischen Medizinalbcamtcnvercins (liberg). 

Voretandaaitzuitg des Preußischo» Medizinaibeamtenvereins . . * 

Vcriamuiiang der Medizinaileaititeö des Tteg.-Bez. Kobleue (Luatlg) - 
Ysirhandlnngen im Ministerium für Volkswohlfabrt mit-dem Vorstand 
»Ifttf prfe pfl iRP.hftn MftdizinalbeamtenVereins tWo tlePWfeb^tffl^vBuud t) 
Hauptversammlung de-s Verein» der Säcbaischen Be 2 iHtsärÄte f.jP etzbold t) 
Versamuüüftg des Med ivinalbeaBi tenvereina des. ß«g, >Bea- Aachen 
Wi:S fSfttfileu) »'5 ■■■*■ v ^ 

Versammlung des Bezirksverem» Ar» 3 berg (W 0 11 0 nwebet) 

■ » Veiein»i der Medizinalbeamte» der Fft»vi»z 

^jK v i ■•/,. ' "' rxk": 

'Vfersaromlong des BezitköV^rehai Dassel iWol r) ;* ■ . - •. v < 

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. 286. 506 



Inhalt. V 

Seite 

Sitzungen des Vorstandes and der Bezirksvertreter des Preußischen 

Medizinalbeamtenvereins.256 

Versammlung des Thüringischen Medizinalbeamtenvereins (üßw&ld) . 271 

Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins .... 281 

Sitzung des Vorstandes des Deutschen Medizinalbeamtenvereins . . . 335 
Dienstliche Versammlung d. Medizinalbeamten d. Reg.-Bez. Köln (D ö 11 n e r) 386 
Deutscher Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung (Flaig) . . . . 414 

Versammlung des Bezirksvereins Hildesheim (Boos).435 

„ „ „ Liegnitz (Willführ).575 

„ „ „ Münster (Schlautmann) .... 620 

Aus dem Preußischen Medizinalbeamten verein.613 


DI. Kleine Mitteilungen und Referate aus 
Zeitschriften u. s. w. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Nachweis der Zeugnngsunfähigkeit. Prof. Dr. Straßmann (Sbg.) . . 184 

Beitrag zum Spermanachweis. Dr. Q. Straßmanu (Sbg.).184 

Vergiftungsgefahr bei Verwendung des Baryams. Dr. Äust und Dr. 

Krön (Sbg.).185 

Zum gerichtsärztlichen Studium des Todes durch Ueberfahrenwerden. 

Dr. Romanese (Sbg.).185 

Gerichtsärztliches Studium über den zufälligen Tod durch Ueberfahren¬ 
werden. Dr. Cazzaniga (Sbg.).185 

Hämorrhagische Diathese nach Kohlenoxyd Vergiftung. Dr. Müller- 

Hess (Sbg.).186 

Wann trübt sich die Cornea nach dem Tod ' Dr. Kanngießer. . . 186 

Sterbehilfe. Dr. Kaungießer .187 

Untersuchungen bei Schußverletzungen. Dr. Straßmann (Sbg.) . . 436 

Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungsobduktionen. Dr. Neu¬ 
reiter und Dr. Straßmann (Fischer).553 

Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungssektionen. Prof. Dr. 

Straßmann (Fischer).553 

Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungssektionen. Dr. Moli- 

toris (Fischer).554 

Hämatin in den Lungen bei der akuten Aspbyxie durch Phosgen. 

Dr. Viale (Sbg.).554 

Beziehungen zwischen Anaemia perniciosa und Trauma. Dr. Mino (Sbg.) 554 


B. Gerichtliche Psychiatrie. 

Notzucht an einem Hypnotisierten. Dr. Höpler (Sbg.).188 

Aetherismus und Kriminalität. Dr. Amaldi (Sbg.).188 

Körperverletzung durch Hypnose. Dr. Schröder (Sbg.).272 

Schädigungen durch hypnotische und spiritistische Sitzungen. Dr. J a - 

cobi (Sbg.).272 


Yersicherungssachen. 

Hernia diaphragmatica. Dr. Lehmann (Sbg.).188 

Schüttellähmung nach plötzlichem Schreck. Dr. Hebestreit (Sbg.) . . 188 

Elektrographie des Herzens und ihre Bedeutung lür die Versichcrungs- 

medizin. Dr. Sachs (Wolf).188 

Statistische Gesetzmäßigkeiten des elektrischen Unfalles. Dr. Jaeger 

(Wolf).189 

Tödliche Lungentuberkulose nach kompliziertem Unterschenkelbrach — 

keine Unfallfolge. Dr. Roepke (Wolf).272 

Leistenbrüche als Betriebsunfälle. Dr. Meyer (Wolf).272 

Gerichtsärztliche Beurteilung der hirnverletzten Aphasischen. Dr. Ja¬ 
cob i (Sbg.).273 

Arbeitsfähigkeit bei ärztlich naebgewiesener Invalidität. Dr. Leh¬ 
mann (Sbg.).273 






























VI Inhalt. Reu« 

Unfallpraktiker gegen pathologischen Anatom in einem Fall von Tuber¬ 
kulose. Dr. Orth (Sbg.).273 

Phlegmone und Unfall. Dr. Pickenbach (Sbg.).274 

Hirngeschwulst und Kopfverletzung. Dr. Lewerenz (Sbg.) .... 436 

Gasvergiftung und Herzschädigung. Dr. F r e h a o (Sbg.) ...... 436 

Neurosenfrage. Dr. H ii b n e r (Sbg.)..436 

Blutdruckmessung in der augenärztlichen Unfallbegutachtung. Dr. 

Reis (Sbg.) .. 437 

Reform des Reichshaftpflichtgesetzes für Eisenbahnen. Dr. Horn (Sbg.) 437 
Aneurysma der Arteria vertebralis dextra nach Trauma. Dr. Men¬ 
schei. (Sbg.). 437 


0. Kriegsbesctiädlgten-Fürsorge- 

Hysterie der Kriegsbeschädigten. Dr. Schulz (Sbg.).274 

Versorgungs-Heilbehandlung der Kriegsbeschädigten nach dem lieichs- 

versorgungsgesetz. Dr. Herhold (Sbg.).. 274 

E- Bakteriologie und Bekämpfung der Übertragbaren Krankheiten. 

1. Seuchenbekämpfung und Seucltenkunde im allgemeinen. 

Infektionskrankheiten in den Vereinigten Staaten. (Sieveking) . . , 529 

2. Pocken und Schutzpockenimpfung. 

Zwangsimpfung und Blattcrnscbutz. Dr. Ascher .644 

3. Aussatz. 

Lepraherd in Brasilien. (Sieveking) .. 599 

4. Fteckfieber. 

Fleckfieber-Aetiologie. Friedberger u. Schiff (Sbg.).154 

Weil-Felixsche Reaktion. (Sieveking) .528 

5. Typhus. 

Serologische Typhusdiagnose bei Schutzgeimpften. Dr. Schürer und 

Dr. Goldschmidt (Sbg.).154 

Wert der Typhusschutzimpfong. Dr. lckert (Sbg.).598 

Typhus-Keimträger in Nordamerika. (Sieveking) ........ 698 

6. Paratyphus. 

Ist die Annahme eines Paratyphus der Schlacbttiere in die Ausfütorungs- 
bestimmungen zum Fleischbeschaugesetz begründet? Prof. Dr. Gl ege. 
(SievekiDg) .. 154 

7. Scharlach. 

Ein seltener Fall von zweimaliger Scharlacherkranknng Dr. N am iot. (Sbg.) 155 
Uebertragbarkeit von Scharlach auf Diphtheriekracke. Geh. Med.-Kat 

Prof. Dr. Schlossmann (Sbg.).155 

8. Influenza. 

Epidemischer Singultua bei Influenza. Dr. Kann gieße r . . . . . 155 

9. Encephalitis epidemica. 

Zur Klinik der Encephalitis epidemica. Gerönne (Sbg.).156 

Anatomie der Encephalitis epidemica. Hoxbeimer (Sbg.) .... 156 

Bakteriologischer Befand bei der Leichenuntersuchung eines Falles von 

Encephalitis lethargica. M an teuf el (Sbg.) .156 

Differentialdiagnose der Encephalitis epidemica. San.-li. Dr. Herzog (Sbg.) 156 
Vorkommen von Encephalitis lethargica and Singultus epidemicas iu der 

Schweiz. Carriüre (Sieveking).. 157 





















Inhalt. YII 

8oite 

10. Tuberkulose. 

Kaltblütertuberkelbazillen und Friedmann’schesMittel. Dr. Möller (Sbg.) 157 

Grippe und Lungentuberkulose. Dr. Kieffer (Sbg.).157 

Nutzanwendungen auB den Kriegserfabrongen für die Anstaltspflege 

Taberkulöser. Dr. Z a d e k (Israel).158 

Sollen wir die „offene" von der „geschlossenen" Tuberkulose trennen? 

(Israel).168 

Tuberkulose in Nordamerika. (Sieveking).528 

Schweizerischer Gesetzentwurf betr. Maßnahmen gegen die Tuberkulose 

(Bapmund sen.).528 

11. Geschlechtskrankheiten, Prostitution. 
Kommunalisierung der Prostituiertenfürsorge. Dr. Kor ach (Sbg.) . . 597 

Krankenordnung der B. V. 0. und Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten. Dr. Hanauer (Sbg.).597 

12. Zoonosen. 

Trichinose. Prof. Strauß. (Sbg.). 159 

Verbreitung der Trichinose in Deutschland 1910—1919. Dr. Caesar (Sbg.) 598 
Tetrachlorkohlenstoff gegen Anchylostomiasis. (Sieveking).599 

13. Malaria. 

Malaria in Trinitapoli. Dr. Falleroni (Sbg.).598 

14. Desinfektion. 

Die neue preußische Desinfektionsordnung. Prof. Dr. Seligmann (Israel) 159 
Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs. Dr. Schuster (Bapmund sen.) 159 
Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs mit Aetzkalk. Prof. Dr. Hir¬ 
stein (Bapmund sen.).160 


F. Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen. 

1. Wohnungshygiene. 

Zur Hygiene der künstlichen Beleuchtung. Dr. Grimm (Sbg.) . . . 661 

2. Gewerbehygiene. 

Gewerbebygienische Aufgaben und Mitwirkung der Aerzte in der Gewerbe¬ 
aufsicht. Dr. Basch u. Prof. Dr. Holtzmann (Wolf) .... 387 

Beruf und Krankheit und ihre Erfassung durch die Statistik. Dr. Thiele 

(Wolf).887 

Die neuen Fortschritte der Gruppenbeieuchtung. H. Müller (Wolf) 388 

Einfluß der Nachtarbeit. H. Brückner (Wolf).388 

Erster Kurs der Fabrikärzte über Prophylaxe der Bleivergiftung. Dr. 

Grobe (Wolf).388 

Frühdiagnose der Bleivergiftung. Dr. Schoenfeld (Wolf) .... 507 

Blutuntersuchung bei Bleikrankheitsverdacht. Dr. Scnwarz (Wolf) . 507 

Bleiweißverbot und Blutuntersuchung. Dr. Schoenfeld (Wolf) . . 507 

Tödlicher Unfall an einer Niederdrucksspannungsanlage. Dipl.-Ing. Hey- 

drich (Wolf).508 

Vergiftung mit Montanin. Dr. Krause (Wolf).508 

Gewerbliche Vergiftungen durch Blausäure. Prof. Holtzmann (Wolf) 508 

Lungenentzündungen bei Thomasschlackenmehlarbeitern. Dr. Opitz 

(Wolf).508 

Gewerbekrankheiten der Steinkohlenbrikettfabriken. Dr. Burkhardt 

(Wolf).508 

3. Schulhygiene. 

Bechenschieber zur Feststellung des Normalindex. Studienrat Luckey 

(Sbg.).234 

Bohrer'scher Index und Ernährungszustand. Dr. Lisa Brunn (Sbg.) . 234 

Eignung des Bohrer’schen Index. Dr. Bedeker (Sbg.).234 

Indexmethode. Prot Dr. Schlesinger (Sbg.).234 























VIII 


Inhalt. 


Seit? 


Untersuchung von Schulkindern in Kristiania. Prof. Borgerstein (Sbg.) 236 
Vereinfachtes Verfahren zur Bestimmung der körperlichen Entwicklung. 

Dr. Drescher (Sbg.). 235 

Erfahrungen bei Quäkerspeisungen und ErholnDgskuren. Dr. Stephani 

(Sbg.). 235 

Erholungskuren für Schulkinder auf dem Lande. Schulinsp. Meyer (Sbg.) 236 

Neuköllner Gartenarbeitssehule. A. Heyn (Sbg.). 236 

Die Scbulpflegerin. Dr. Fischer-Defoy (Sbg.).236 

Schulärztliche Tätigkeit an Fortbildungsschulen. Dr. Ilse Szagunn 

(Sbg.).236 

Berufseignnngsforscbung. Dr. Stern (Sbg.).236 

Berufsberatung schwerhöriger Schulkinder. Dr. Brühl (Sbg.) . . . 236 
Berufsberatung bei Augenleiden. Prof. Dr. Levinsohn (Sbg.) . . . 237 


4. Jugendfürsorge. 

Jugendwohlfahrtegesetz und Gesundheitspflege. Ob.-Med.*Itat Dr. Tj a» 


den (Israel).237 

Filmzensur uud Jugendbewegung. G. üohde (Sbg.).237 


5. Irrenfürsorge. 

Offene Fürsorge für Geisteskranke. Dr. Wendenburg (Israel) . . 238 

6. Kurorte, Badewesen. 

Ausgewählte Kur- und Badeorte Oesterreichs und Bayerns. Dr. Diet¬ 
rich (Sbg.) . . ....662 

7. Soziale Hygiene. 

Unterricht in der sozialen Medizin. Dr. Rumpf (Sbg.) ...... 437 

Wohlfahrtspflege und Arzt. Dr. Gottsteiu (Israel).438 

Wohlfahrtspflege, Arzt uud Frau. Dr. Marie liaum (Israel) .... 438 

Was will die Rassenbygiene ( Dr. Siemens (Wolf).439 

Gesundheitlicher Rechtsschutz der Ehe. Dr. M am lock (Sbg.) . . . 439 

Ueber geschäftsmäßige und amtliche Eheveimitllung. Dr. Fetseber 

(Gumprecht)..662 

8. Aerzte. 

Aerzte als Giftmischer. Dr. Spinner (Bspmund sen.). 6i5 


IV. Besprechungen. 1 ) 

Bandelier und Uoepke: Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und 

Therapie der Tuberkulose. (Gumprecht) ..509 

Baumgärfcel, Dr.: Die staatlichen Bestimmungen über die Aus¬ 
führungen der Wa. R. (Käthe) . . . . . ..440 

B a u r, Prof. Dr.: Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassen- 

hygiene. (Sbg.). 274 

Birnbaum, Dr.: Kriminal-Psychopathologie, (ltapmund sen.) . . . 161 

Blume, Dr. Med.-Rat: Der Samariter. ((Sbg.).623 

Bornträger, Dr. Geh. Med.-Rat: Preußische Gebührenordnung für 

Aerzte und Zahnärzte. (Sbg.) .. 417 

Brauer, Prof. Dr.: Die Ruhr, ihr Wesen und ihre Behandlung. 

(Gumprecht). 441 

Breul, Dr.: Tuberkulose und Mittelstand. (Wolffberg) ..... 361 

Brezina, Prof. Dr.: Internationale Uebersicht Über Gewerbekrankheiten. 

(Sbg.).275 

Bruck: Rozepttaschenbuch für Dermatologen. (Gumprecht) .... 510 

Br ahn, Dr.: Vom gesunden und kranken Tuberkulösen. (Sbg.) . . 509 

Ohajes, Prof. Dr.: Kompendium der Sozialen Hygiene. (Itapmand sen.) 21 

1 ) Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt. 
























Inhalt. IX 

Seh« 

Dienemann, Dr.: Gesundheitliche Grundlagen für gewerbliche Arbeit. 

(Sbg.). 275 

Dietrich, Prof. Dr.: Die preuß. Gebührenordnung für Aerzte und Zahn¬ 
ärzte (Sbg.) .417 

D i 11 r i c h, Prof. Dr.: Lehrbach der gerichtlichen Medizin. (Rapmund sen.) 276 
Dornblüth, Dr.: Arzheimittel der heutigen Medizin. (Rapmund sen.) 529 

Dreuw, Dr.: Die Sexaalrevolution. (Kanngiesser).161 

Finkelnburg, Prof. Dr.: Lehrbuch der Unfallbegutachtung der inneren 

und Nervenkrankheiten. (Rapmund jun.). 84 

F r a n c k e, Dr. und B a c h f e l d, Dr.: Meldepflicht der Berufskrankheiten. 

(Sbg.).362 

Friedberger, Prof. Dr. und Pfeiffer, Prof. Dr.: Lehrbuch der 

Mikrobiologie. (Rapmund jan.).276 

Friedrichs: Psychologie der Hypnose und Suggestion. (Sbg.) . . 455 

Fürst, Dr.: Berufsberatung und Berufseignung. (Sbg.).362 

Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. (Sbg.).417 

Gesundheitswesen des Preuß. Staates 1919/20. (Sbg. ).621 

Goetze, Dr.: Untersuchungsmethoden und Diagnose der Erreger der 

Geschlechtskrankheiten. (Rapmund sen.). 83 

Gotschlich, Prof. Dr. und Schürmann, Prof. Dr.: Leitfaden der 

Mikroparasitologie und Serologie. (Rapmund jun.). 84 

Greimer, K., Dr. phil.: Handbuch des praktischen Desinfektors. (Sbg.) 645 
Grober. Prof. Dr : Das deutsche Krankenhaus. (Rapmund sen.) . . 622 

lioffmann, Prof.: Die Reichsversicherungsordnung für Juristen und 

Aerzte. (Richter).440 

Hübner, Prof. Dr.: Eherecht der Geisteskranken und Nervösen. 

(Rapmund sen.). 20 

9. Jahresbericht des Landesgesundheitsamtes über das Gesundheitswesen 

in Sachsen 1914/1918. (Sbg.).360 

Joachim, Dr. San.-Rat und Korn, Dr. Justizrat: Die preaßische Ge¬ 
bührenordnung für Aerzte. (Rapmund sen.). 82 

Joachim, Dr. San.-Rat und Joachim, Rechtsanwalt: Kommentar zum 

Umsatzsteuergesetz. (Rapmund sen.). 82 

Kaup: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. (Fetscher) , . . 662 

v. Klinkowstroem, C. Graf: Die Wünschelrute als wissenschaft¬ 
liches Problem. (Kanngiesser).645 

Krasemann, Dr.: Säuglings- und Kleinkinderpflege. (Sbg.) .... 276 

Kühnemann, Dr. San.-Rat: Differentialdiagnostik der inneren Krank¬ 
heiten (Rapmund sen.). 21 

Kuhn, Prof. Dr.: Gedenke, daß du ein deutscher Ahnherr bist. (Sbg.) 510 

Lehmann, Dr., Reg.- und Med.-Rat: Leitfaden zur Einführung in das 

Gesundheitsturnen. (Sbg.).509 

Mayer, Dr.: Fundamente zur Diagnostik der Verdauungskrankheiten. 

(Rapmund sen.).160 

Much, Partialantigengesetze und ihre Allgemeingültigkeit. (Käthe) . 439 

Mulzer: Die syphilitischen Erkrankungon in der Allgemeinpraxis. 

(Gumprecht).441 

Müller, Prof., Dr. und Koffka: Rezepttaschenbucb. (Sbg.) . . . 361 

Nauwerck, Prof. Dr.: Sektionstechnik für Studierende und Aerzte. 

(Rapmund sen.).161 

Nissle, Prof. Dr.: Richtlinien und Vorschläge für einen Neuaufbau der 

Kräfte und Leistungen unseres Volkes. (Fetscher).455 

Oberndorfer, Prof. Dr.: Pathologisch-anatomische Situsbilder der 

Bauchhöhle. (Sbg.) .361 

v. Ostertag, Prof. Dr.: Handbuch der Fleischbeschau. (Sbg.) . . . 275 

Prausnitz, Prof. Dr.: Grundzüge der Hygiene. (Rapmund sen.) . . 134 

Psychopathenfürsorge, Bericht über die zweite Tagung. (Sbg.) . . . 360 

Rohleder, Dr.: Die Masturbation. (Rapmund sen.). 20 

Rubner, Prof. Dr., Geh. Med.-Rat, v. Grub er, Prof. Dr., Ficker, 

Dr. Geh. Med.-Rat: Handbuch der Hygiene, V. Bd. (Sbg.) . . . 663 

Samson, Dr.: Prostitution und Tuberkulose. (Rapmund sen.) ... 83 

Schall, Dr.: Diagnostik und Ernährungsbehandlung der Zuckerkrank¬ 
heit. (Rapmund sen.).160 




























X Inhalt Saite 


feld: Diagnostisch-therapeutisches Vademecuro. (Rapmund bcu.) . 83 

Schwalbe: Diagnostische und therapeutische Irrtümer. (Gumprechl) 441 

Sobernheim, Prof. Dr.: Leitfaden für Desinfektoren. (Sbg.) . . . 277 

Sopp, A. : Suggestion und Hypnose. (Gumprecht) .64(5 

Stein, Dr.: Geschlechtskrankheiten. (Rapmund sea.) ...... 663 

Stefeel, Dr,: Der Wille zum Leben. Das liebe Ich. (Sieveking) . . 362 

Thomm, Prof. Dr.; Die Kaliwerke und ihre Abwässer, (Globig) . . 20 

Többben, Prof, Dr.: Jugend Verwahrlosung und ihre Bekämpfung. (Sbg.) 481 

Uhlmann, Dr., Priv.-Doz.: Lehrbuch der Pharmakologie - Therapie. 

(Rapmand sen.).. 160 

Veröffentlichungen a. d. Geb. d. Med.-Verwaltg. Xi V. Bd. 11. lOund XV. Bd. 

H. 1 und 3. (Rapmand sen.) . . .. . 576 

Walter, Prof. Dr.: Die Sozialhygione in ihrem Verhältnis zur Welt¬ 
anschauung und Ethik. (Sbg.) .. . 135 


V. Tagesnachrichten. 

Aus dem Reichstag, den Reichsbehörden usw.: 

Branntweinmonopolgelder. 22, 239 

Richtlinien für Anwendung von Salvarsan .. 22 

Apotheken weBen. 87 

Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten . 107, 278 

Iteichsministerium für Volksgesundheit. 189, 238 

Altersgrenzengesetz . *.190 

Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige. 239, 647 

Krankenversicherung, Angcstelltenversicherung. 388, 531, 600 

Pensionsgesetz . .. 388 

Gesetz über Ausübung von Kranken-, Säagüngs- und Wochenpflege . 420 

Reichsjugendwohlfahrtsgesetz.456 

Verordnung über Lebensmittel . ..677 

Aua den Landesversammlungen, den Staatsbehörden usw.: 

Preußen; 

Taberkulosegesetz. 22, 457, 578 

Ueb&mmengesetz . .. 22, 279, 482, 483 

Verhandlung des Ministeriums für Voikswohlfahrt mit dem Vorstand des 

Preußischen Medizinal beamten- V ereins. 54 

Besoldungsfragen. 84 

Jahresgesundheitsberichte der preußischen Kreisärzte. 84 

Leichentransport.. 85 

Bekämpfung der Kurpfuscherei. 107 

Apothekerkammer. 107 

Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs . .. 163 

Aerztliche Gebührenordnung. 191, 699, 646 

Seucbengefahr. . 238, 389 

Bezirksfttrsorgerinnen ..417 

Haushalt des Wohlfahrtsininisteriums. 417 

Gesetz vom 29. Juli 1922 zur Erhaltung von Grünflächen usw. ... 510 

Landesgesandheitsrat. 578 

Sozialisierung des Gesundheitswesens.• . 663 

Bayern. 

Dritter Landgerichtsarzt in München. 85 

Wasserversorgung der Gemeinden./ . . . 135 

Sachsen: 

Vorschriften für das Medizinalwesen. 85 

Württemberg: 

Gesetzentwurf über die berufliche Vertretung der Aerzte.135 




































Inhalt XI 

8eite 

Anhalt: 

Gebühren der Medizinal beamten.162 

Kongresse und Versammlungen: 

Gesellschaft deutscher Naturforscher and Aerzte. 23 

Balneologen-Kongreß. 87 

Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder“ .108 

Deutsche Gesellschaft für Volksbäder .136 

Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenchaft und Eugenetik .... 164 

Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberknlose .... 164 

Vereinigung zur Förderung des deutschen Hebammenwesens .... 2l2 

Deutscher Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung.240 

Vereinigung der Kommunalärzte . 279, 483 

Ausschuß der deutschen Jugendverbände .... .363 

Deutsche Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin.442 

Kommunale Vereinigung für Gesundheitsfürsorge in Rheinland-Westfalen 443 

Vereinigung deutscher Schul- und Fürsorgeärzte.443 

Deutscher Verein für Schulgesundheitspflege ..444 

Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft. B32 

Berliner Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege .599 


Personalien: 

Barnick 23; Hensgen 107; Hahn 363. 

Todesfälle: 

Leske 23, Francke 23, Sander 55, Bacine 162, Räuber 19t, 
Dun bar 191, Blaschko 214, Dybowski 420, Hasse 458, 
Katluhn 482, Gutzmann 646. 


Sonstiges: 

Verein der beamteten Tierärzte in Westfalen zur Besoldung pp. . . . 22 

Reichsmedizinalbeamtenbund. 22 

Prüfungsordnung für Apotheker. 23 

Gedenkblatt für preußische Hebammen. 24 

Zwangspensionierungsgesetz. 55, 441 

Grippeepidemie.* 55 

Fleckfieber in Polen. 56 

Lehrgang über Schulgesundheitspflege . 85 

Verträge über Anstellung von Kreisärzten als Kreiskommunalärzte . . 85 

Apothekenvermehrungen in Deutschland.108 

Nationalgesundheitsrat in den Vereinigten Staaten.135 

Gesundheitsministerium im Ausland.136 

Sozialhygienische Akademie Charlottenburg . 136, 483 

Bad-Jo.136 

Besoldungsfragen in Preußen. 162, 482, 510, 530, 555, 577, 599 

Wohnungsnot.163 

Zukunftsaufgaben der deutschen Städte.164 

Preußischer Medizinalbeamten-Verein . . . 209, 277, 278, 481, 482, 647, 664 

Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Lehrgänge für Aerzte.212 

Mitteldeutsche Ausstellung des Wiederaufbaues. 213 

Württembergischer Medizinalbeamten-Verein.213 

Zentralausschnß für Auslandshilfe.214 

Kurs für soziale Zahnheilkunde bei der Sozialen Akademie Breslau . . 214 

Anschauungstafeln für Unterricht in Säuglingspflege.214 

Fleckfieber in Deutschland.239 

Deutsche med. Wochenschrift.240 

Blätter für Gesundheitsfürsorge.240 

Deutscher Medizinalbeamten-Verein.277 

Westdeutsche Sozialhygienische Akademie.363 

Deutscher Desinfektorenbund.390 

Berufsverein höherer Verwaltungsbeamter.418 

Schädigung der deutschen Volkskraft durch die Blockade.419 

Städtisches Gesundheitsamt in München.442 













































XII 


Sachregister 


Wünschei rutenfrage ... . 442 

Fortbildungskurs für Leibesübungen.442 

Ostdeutsche Sozinlbygienische Akademie. 443 

Landesverband der höheren BeamtenPreußens . . ... . . . 457 

Aerztlicher Kurs für Frauen- und Herzkrankheiten in Franzonsbad . . 457 

Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin.483 

Salvarsan.510 

Skorbut . 510 

Arznei tax« . . ..530 

Versorgungsärzte . . . . . .530 

Institut für Gewerbebygienc für das Reich.531 

Landesanstalt für Lnftbygieoe.532 

Kinderspeisung in Deutschland. 532 

Spinale Kinderlähmung ..532 

Reiche-Wochenhilfe ..555 

Lehrgang zur Einführung in den Unterricht über Oesundheitslehre . . 555 

Vereinigung deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte .... 578 

Sozialistisches Gesundheitsprogramm. 579 

Medizinisch-literarische Zentralstelle. 679 

Apothekengewerbefrage.579 

Lichtbilder über Gesundheitspflege.580 

Aerztliches Dispensierrecht . 600 

Fortbildungskurse io gerichtlicher Medizin in München ...... 600 

Gebühren für die pharmazeutische Vorprüfung.. , . . 600 

Gesundheitszeugnisse vor der Ehe.623 

Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankhten. . . 623 

Fortbildungslehrgang für preußische Kreisärzte , . . ... . . . 623 

Titelverleihungen für Aerzte in Bayern. 624 

Gerichtliche Leichenöffnungen.624 

Unterstützung gemeinnütziger Anstalten. 646 

Preisausschreiben der „Umschau“. 646 

Reform der ärztlichen Prüfungsordnung.646 

Bekämpfung des Branntvveingenusscs in Schlesien.647 

Hygiene-Sektion des Völkerbundes.663 

Gebührenordnung. 664 

Berichtigungen... 556, 647, 648 

Sprechsaal. 210, 279, 280, 390, 391, 511, 556, 600 




Sach-Register. 


Abort, Luftembolie 502. 

Aerzte, preußische Gebührenordnung 
82,191,417, Berufsvertretung (.Würt¬ 
temberg) 135, als Giftmischer 645, 
Prüfungsordnung 646. 

Aetherismus 188. 

Alkohol, Bekämpfung 163, 239, 240, 
414, 617. 

Anaemia perniciosa und Trauma 554 

Aneurysma nach Trauma 437. 

AngesteUtenveraicbernng 600. 

Ankylostomiasis 599, 

Aphasie 273. 

Apotheken, gesetzliche Regelung, 87, 
579, Vermehrungen 108, Apotheker, 
Bezeichnungen 23, Kammer 107. 

Arsenvergiftung 508. 


Arzneimittel, der heutigen Medizin 529, 
Maximaldosen 561. 

Arzneitaxe 87, 530. 

A ngenärztlicheU nfallbegutaehtang437. 

Auslandshilfe für Kinderspeisung 214, 
235, 532. 

Bakteriologie, Mikroparasitologie und 
Serologie 84, Lcbrbach der Mikro¬ 
biologie 276. 

Balneologen-Kongreß 87. 

Baryum, Vergiftung 185. 

Beleuchtung 358, 661. 

Berufsberatung 236, 237, 362. 

Berufskrankheiten 362, 387. 

Berufsverein höherer Verwaltungs¬ 
beamten 4 IS. 





































Sachregister XIII 


Besoldung 162, 269, 378, 420, 442, 
482, 505, 510, 530, 577, 599. 

Bezirksfürsorgerinnen 417. 

BlauB&ure, Vergiftungen 503. 

Bleivergiftung 388, 507. 

Cornea, Trübung nach dem Tode 186. 

Dermatologen, Rezepttaschenbuch 510. 

Desinfektion, preußische Desinfektions- 
ordnang 11, 137, 217, 424, 485, Des¬ 
infektionsordnung u. Desinfektoren- 
stand 159, des tuberkulösen Aus¬ 
wurfs 159,160, Lehrbücher 277, 645, 
Desinfektorenbund 390. 

Diagnose, Vademecum 83, der Ver¬ 
dauungskrankheiten 160, Irrtümer 
609. 

Dienstanweisung für Kreis- und Ge¬ 
richtsärzte 293, 300, 324. 

Eherecbt der Geisteskranken u. Ner¬ 
vösen 20, Ehevermittlung 662. 

Elektrische Unfälle 189, 608. 

Elektrokardiographie 188. 

Encephalitis epidemica, Klinik 156, 
Anatomie 156, Bakteriologie 156, 
Differentialdiagnose 156, in der 
Schweiz 157. 

Erblicfakeitslehre 274. 

Film, Volksbelehrungs- 589, 606, 631, 
Zensur 237. 

Fleckfieber, in Polen 56, Aetiologie 154, 
und soziale Lage 174, in Deutsch¬ 
land 239, Weil-Felix-Reaktion 528. 

Fleischbeschau 275. 

Fliegenmaden, Leichenzerstörung 407. 

Fortbildungskurse für Amtsärzte 
(Preußen) 18, 623, (Bayern) 600. 

Gasvergiftung, und Herzschädigung 
436. 

Gebührenordnung, für Zeugen u. Sach¬ 
verständige 239, 647, für Kreis- u. 
Gerichtsärzte 336, 664, für Aerzte 
599, 646. 

Gefangene, Zwangsernährung 89. 

Geisteskranke 236. 

Gerichtliche Medizin 276. 

Gerichtsärzte, Dienstanweisung 293, 
Vorschriften bei gerichtlichen Ob¬ 
duktionen 467, 523. 

Gerichtsärztliche Ausschüsse 481, 498. 

Geschlechtskrankheiten, Erreger 83, 
Bekämpfung 107, 249, 278, 449, 597, 
deutsche Gesellschaft zur Bekämp¬ 
fung 623, Lehrbuch 663. 

Gesundheitsamt, städtisches 193, in 
München 442, staatliches 405, und 
Wohlfahrtsamt 601. 

Gesundheitsfürsorge, Blätter für 240, 
kommunale Vereinigung 443. 


Gesundheitslehre, Lehrgang 535. 

Gesundheitspflege, Verein 533, Ber¬ 
liner Gesellschaft 599. 

Gesundheitswesen, in Sachsen 360, des 
preußischen Staates 621. 

Gewerbebygiene, Taylorsystem 275, 
Gewerbekrankheiten 275, Gewerbe¬ 
aufsicht 387, Institut für Gewerbe¬ 
bygiene 531. 

Grippe, Verbreitung 55. 

Hämatin, in den Lungen 554. 

Hebammen, Gesetz 22, 57, 279, 393, 
482, 483, Gedenkblatt 24, Auswahl 
120, 181, 428, Vereinigung zur För¬ 
derung des Hebammenwesens 212, 
Hebammenfrage 656. 

Hernia di&phragmatica 188. 

Birngeschwulst und Kopfverletzung 
436. 

Hochschule für Leibesübungen 442. 

Hygiene, Soziale 21, Grundzüge 134, 
Sozialhygiene und Weltanschauung 
135, Volksbelehrung 223, Landes¬ 
anstalt f. Lufthygiene 532, Hygiene 
im Volksbelehrungsfilm 589, Bassen¬ 
hygiene 274, Handbuch 663, Hygiene- 
Sektion des Völkerbundes 663. 

Hypnose 188, 272, 455, 646. 

Hysterie Kriegsbeschädigter 274. 

Impfung 376, und Blatternschutz 644. 

Influenza, Singultus 155, und Lungen¬ 
tuberkulose 157. 

Invalidität 273. 

Jugend Verwahrlosung 481. 

Jugendwohlfahrt, Gesetz 237, 456, 
Jugendbewegung 237, Jugendver¬ 
bände 363. 

Kaliwerke und Abwässer 20. 

Kieselfiaßsäure, Giftwirkungen 179. 

Kinderheilkunde, diagnostische Irr¬ 
tümer 441. 

Kinderlähmung, spinale 532. 

Kohlenoxydvergiftung 186. 

Kommuualärzte 85. 202, 279, 365, 
421, 578. 

Konstitution und Umwelt im Lehr¬ 
lingsalter 662. 

Krankenhaus, das deutsche 622. 

Krankenpflegeprüfung, Gebühren 664. 

Krankenversicherung 531. 

Krankheiten, Differentialdiagnostik, 
innerer 21, Verdanungskrankheiten 
160, nicht aufgeklärte Krankheit 525. 

Kreisärzte, Jahresgesundheitsberichte 
84, Anstellung als Kreiskommunal¬ 
ärzte 85, und Kommunalärzte 202, 
365, 421, 465, 557, und Fürsorge 347, 
Fortbildungskursus 18, 623, Kom¬ 
munalisierung 208, und hygienische 
Volksbelehrung 223, Dienstanweisung 
293 , 300, 324. 



XIV 


Sachregister 


Kriegsbeschädigte 274. { 

KrüppclfÜreorge 649. 

Kor- und Badeorte 662. 

Karpfuscberei, Bekämpfung 107, 565, j 
659, and anderes 115. 

Laudesgesuiidheltsrat. (Preußen) 578. j 

Landesverband der höheren Beamten 
in Preußen 467. 

Lehriingsalter, Konstitution 662. 

Leichen, Transport 85, Paß 91, Zer- ; 
Storung durch Fliegenmaden 407. ! 
gerichtliche Leichenöffnungen 624. j 

Lepra 599. 

Mageudarmprobe 523. 

Malaria, in Trinitapolis 598. 

Masturbatioa 20. 

Medizinalbeamte, Amtsbezeichnung 93, i 
Zukunft 98, Zukunftsaufgaben 372, | 
Sorgen, Hoffnungen, Wunsche 459. 
Gebühren (Anhalt) 162, Tätigkeit 165. j 

Medizinalbeamteo verein, deutscher 385. 
preußischer 81, 191, 209, 215, 256, 
277, 278, 281, 463, 643, 660, 664, 
Bezirksvers&mmlungen 102,131,132, 
133, 153, 183, 233, 271, 386, 435, 
479, 506, 575, 696, 620, 642, säch¬ 
sischer 16, 129, 391, württembergi- 
seber 108, 213, bayrischer 364. 

Medizinalwesen, in Sachsen 85, Ein¬ 
wirkung der Nacbkriegsverbältnisse 
150, ßeichsgesundheitsministerium 
238, 241. 

Melancholie, mit vermeintlicher Gra¬ 
vidität 432. 

Mitteldeutsche Ausstellung d. Wieder¬ 
aufbaues 213. 

Montanin, Vergiftung 508. 

Naciikoruniengchaftshygicne, und 
Schule 445. 

Nachtarbeit 388. 

Neurose 436. 

Notzucht, an einem Hypnotisierten 188 

Paratypbus, der Scblachttiere 154. 

Partialantigengesetze 439. 

Pathologisch-anatomische Situsbilder 
der Bauchhöhle 361. 

Pensionierungsgesetz 65, 162, 190, 441. 

Perkutantherapie nach Petruschky 397. 

Pharmakologie 160. 

Phlegmone, und Unfall 274. 

Pocken, in der Schweiz 444. 

Prostitution, und Tuberkulose 83, Für¬ 
sorge 597, und Dirnentum 610. 

Psychopathologie, Kriminal- 161, Psy- 
chopatheufüraorgo 360. 

t^uiikerspeisung s. Auslandahilfe. 


Kad-Jo 136. 

Rassenhygiene 439, und Kreisarzt 513 

Rechtsschutz, gesundheitlicher der Ehe 
439. 

Reichsgesondheitsministerium 238, 241. 

Reichshaftpflichtgesetz für Eisen bahnen 
437. 

Reichstag 189, 388. 

Reichsversicherungsordnung 440. 

Rezepttaschenbuch 361. 

Rohrerscher Index 234. 

Ruhr 441. 

Salpetersäure, Selbstmord 559. 

Salvarsan, Anwendung 22, Lähmung 
durch 510. 

Samariter, der 623. 

Säuglingspflege 212, 214 , 276. 

Scharlach, zweimalig 155, Ueberlrag- 
barkeit auf Diphtheriekrankc 155, 

Schüttellähmung 188. 

Schulärzte, Vereinigung deutscher 443, 
511, an Fortbildungsschulen 236. 

Schulgesundheitspflege, Lehrgang 85, 
Verein für 444, Berufsberatung 236, 
237. 

Schulkinder, Erhol ungskuren 285, ü nter- 
8 uchung 235, Urinuntersuchung 431, 
Gartenarbeitsschule 236. 

Schalpflegerin 236. 

Schußverletzangen 436. 

Sektionstechnik 161. 

Seuchengefahr 238, 389. 

Sexaallehre, Sexualrevolution 161, Sit¬ 
zung der Gesellschaft für Sexual¬ 
wissenschaft 164. 

Skorbut 510. 

Sozialbygienische Akademien 136, 363, 
443, 483. 

Soziale Medizin 437. 

Soziale Zahnheilkunde 214, 363. 

Spermanacbweis 184. 

Sterbehilfe 187. 

Stufensystem in bayrischen Straf¬ 
anstalten 538. 

Saggestion, und Hypnose 646. 

Syphilis 441. 

Thoui&sscltlacke. &08. 

Titelverleihung an Aerzte (Bayern) 624. 

Trichinose 169, 698. 

: Tropenmedizinisehe Gesellschaft 632. 

Trunksucht, Bekämpfung 22, Gesetz 22, 

Tuberkulose, Bekämpfung 397, Fried- 
roannschcs Mittel 167, und Grippe 
157, Anstaltspflege 158, offne und 
geschlossene 158, Desinfektion des 
Auäwarfs 159, 160, und Unfall 
272, 273, and Mittelstand 361, 
Zentralkomitee 164, Fürsorge 369, 
593, Lehrbuch 309, in den Ver¬ 
einigten Staaten 528, Schweizer Ge¬ 
setzentwurf 528, Gesetz (Preußen) 






Namenverzeichnis. XV 


578, Verbreitung und soziale Miß- 
stiade 581, spezifische Behandlung 
597. 

Typhus, Tübinger Konvikt 1, in Marten 
227, Diagnose bei Geimpften 154, 
Nachuntersuchungen 490, Schutz¬ 
impfung 598, Keimträger 598. 

Ueberfähren werden" 185. 

Umsatzsteuergesetz 82. 

Unfall, Begutachtung innerer und 
Nervenkrankheiten 84. 

Faecinola der Conjunctiva 494. 

Vereinsbeiträge, Zahlung 660. 

Verwaltungsobduktionen 553, 554. 

Volksbäder, deutsche Gesellschaft 136. 

Volksbelehrungsfilm 589, 606, 631. 

Volkswohlfahrt, Hanshalt des Mini¬ 
steriums 25, 31, 417, Verhandlung 
des Ministeriums mit dem Preußischen 
Medisinalbeamten-Verein 54, 124. 


V orprüfung, pharmazeutische,Gebühren 
600. 


Wasser mannsche Reaktion 440. 
Wasserversorgung in Bayern 135. 
Wiederaufbau des Volkes 455. 
Wochenhilfe 555. 

Wohlfahrtspflege und Arzt 488, 439. 
Wohnungsnot 163. 

Wünschelrute 442, 645. 

Zeitschrift, für Medizinalbeamte, Er¬ 
höhung der Bezugsgebühr 891. 
Zentralstelle, medizinisch - literarische 
579. 

Zeugungsunfähigkeit, Nachweis 184. 
Zucker, Verwendung von 577. 
Zuckerkrankheit 160. 
Zurechnungsfähigkeit, und nervöse Er¬ 
schöpfung 504. 


N a men Verzeichnis. 


Amaldi 188. 

Ascher 644. 

Aust 185, 233, 506, 626. 

Bachfeld 362. 
Bandelier 509. 

Baum, Marie 438. 
Baumgärtel 440. 

Berger 445. 

Berneick 432. 

Birnbaum 161. 

Blume 623. 

Boege 421, 593. 
Borntraeger 93, 417. 
Brauer 441. 

Breul 361. 

Brezina 275. 

Bruck 510. 

Brückner 388. 

Brühl 236. 

Bruhn 509. 

Brunn, Lisa 234. 

Bundt 124, 281, 459, 
538, 664. 

Bürgers 193. 
Burgerstein 235. 
Burckhardt 508. 

Caesar 598. 

Carriöre 157. 

Cazzaniga 185. 

Chajes 21. 


Dienemann 275. 
Dietrich 417, 576, 577, 
662. 

Donat 83. 

DomblUth 529. 

Döllner 386. 

Dörner 581. 

Drescher 235. 

Dreuw 161. 

Ebstein 83. 
Engelsmann 424. 

Falleroni 598. 

Fetscher 662. 

Ficker 663. 

Finkelnburg 84. 

Fischer 274. 

Francke 362. 

Franz 324. 

Frehse 436. 

Freymuth 11. 
Friedberger 154, 276. 
Friedheim 83. 
Friedrichs 455. 

Fürst 362. 

Gasters 525. 

Göronne 156. 

Glege 154. 

Goetze 83. 

Gohde 237. 


! Goldschmidt 154. 

| Gotschlich 84. 

Gottstein 438. 

Graßl 115. 

Greimer 645. 

Grimm 611. 

Grobe 388. 

Grober 622. 

Grotjahn 100, 647. 
v. Gruber 663. 

Hahn 376,465,565,625. 
Hallenberger 405, 485. 
Hanauer 597. 
Hebestreit 188. 

Herhold 274. 

Herzog 156. 

Heydrich 508. 

Heyn 236. 

Hillenberg 179,217,347, 
365, 897, 576. 

Höpler 188. 

Hoffmann 440. 

Hohlfeld 83. 

Holtzmann 387, 508. 
Horn 437. 

Horstmann 504. 
Hoxheimer 156. 

Hübner 20, 486. 

Ickert 598. 

Israel 165. 



XVI 

Jacob! 272, 273. 

Jaeger 189. 

J&nkowski 657. 

Joachim 82. 

Jörns 91. 

Kanngiesser 155, 186, 
187 

Kieffer 157. 

Hirstein 160. 

Klataolt 610. 

V. Klinkowstroem 645. 
Koffka 361. 

Eorach 597. 

Korn 82. 

Körner 581. 

Kraemer 132. 
Krascmann 276. 

Krause 508. 

Krautwig 202. 

Kriege 649. 

Krön 185. 

Knhn 510. 

Kühnemann 21. 
Kühnlein 513. 

Lake 599. 

Lehmann 188, 273, 509. 
Lentz 137. 

Lenz 274. 

LeYinaohn 287. 
Lewerenz 436. 
Lorcntzen 449. 

Luckey 234. 

Mamlock 439. 
Mantenfel 156. 

Manthey 233. 

Marggraff 89. 

Matnar 431. 

Mayr 160. 

Meixner 407. 

Menscfcel 487. 

Meyer, Matth. 235. 
Meyer (Göttingen) 272, 
494. 

Mino *554. 

Molitoris 554. 

Möller 167, 602. 

Mach 439. 

Müller (Berlin) 361. 
Müller (Offenbach) 388. 


Namenverzeichnis. 

Müller-Hess 186. 

Mälzer 441. 

Namiot 155. 

Nauwerck 161. 
Neureiter 663. 
NeustBtter 223. 

Nippe 498. 

Nissle 455. 

Oberndorfer 361. 

Opitz 508. 

Oppelt 601. 

Orth 273. 

Osswald 271. 
v. Ostertag 275. 

Faetsch 369. 

Peren 184 
Pfabel 649. 

Pfeiffer 276. 

Pickenbach 274. 

Plenske 227. 

Poten 428. 

Prausnitz 134. 

Prölss 233. 

Puppe 286, 293, 467. 

Bapmnnd 25, 31, 57, 
101, 109. 

Kasch 387. 

Bedeker 234. 

Rehwald 561. 

Reis 437. 

Roepke 272, 509, 597. 
Rogowski 386, 463, 660. 
Rohleder 20. 

Romanese 185. 

Roos 435. 

Rubner 663. 

Rumpf 437. 

% 

Sachs 188. 

Samson 83. 

Sandhop 576. 

Schall 160. 

Schiff 154. 

Schlantmann 621. 
Schlesinger 234. 
Schlossmann 155. 
Sohmidt, H. 88. 
Schmidt, 0.1. 


Schoenfeld 507. 

Scholz 208. 

Schräder 120, 372, 659. 
Schröder 272. 

Schürer 154. 

Schulz 274. 

Schuster 159. 

Schwabe 181. 

Schwalbe 441, 509. 
Schwarz 507. 

St'ligmann 159. 

Seyffarth 120. 

Siemens 439. 

Sobernbeim 277. 

Solbrig 114, 241, 269, 
378, 393, 505, 636. 
Sopp 646. 

Sorge 666. 

Spinner 645. 

Stein 663. 

Stekel 362. 

Stephani 235. 

Stern 286. 

Strassmann 184, 436, 

553, 559. 

Strauss 159. 

Stühlen 131. 

Szagunn, Ilse 236. 

Thiele 387. 

Thomalla 589, 606, 631. 
Thumm 20. 

Tjaden 257. 

Többen 481. 

Trembur 98. 

Uhlmann 160. 

Ungar 523. 

Ylale 554. 

Viemstein 538. 

Wagner 490. 

Walter 135. 
Wendenburg 238. 
Wildenrath 160. 
Willführ 174, 576. 
Wolf 163. 

Wolfram 83. 
Wollenweber 124, 132, 
300, 696. 

Zadek 158. 




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35. Jalirg. 


Zeischrift für Medizinalbearate. 


INHALT. 


Nr. 1. 


Abhudlas|«B: 

Die Typhu«cj>ldrniie Im Tüblopt'r Konvlkf. 

Von Dr. Otto Schmidt.1 

Zur neuen preußischen Ücsinfcktionsonlnun^. 

Von Dr. A Freymath.11 

Aus VenuDinlQ&gen und Vereinen. 

Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen 


Mediiin»!bcomt<*n-Vcreins vom 18. Ok¬ 
tober 1921 1& 

Fortbildungskurs dir Kreisärzte .... 18 

Besprechungen.20 

Tegesnaohrlohten.22 

Beilage: 

H«’<jizinalgesot*gcbuüg ...... 1 


Geschäftsstelle and Versand für die Mitglieder des Medizlnalbeamteil- 
vereins durch 3 . C. C. BRUNS, Buchdruckerei, MINDEN i. WESTF. 


Alleinige Anzeigenannahme und verantwortlich für den Anzeigenteil: 
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstra&e 28. 


Personalien. 

Deutsohe* Reich und Preuaaen. 

Ernannt: Die Mitglieder des Reichstes und hei tsamtes Prof. Dr. Möllers, 
ProL Dr. Manteuffel und Dr. Hesse za Oberregierangsräten, der prak¬ 
tische Arzt Dr. Ulrich in Kassel zum Kreisassistenzarzt in Hagen i. Westf. 

Versetzt: Kreisassistenzarzt Dr. Lesko in Kattowitz nach Königshdlto 
i. Oberschi., Kreisassistenzarzt Dr. Diering in Bielefeld nach Halle i. Westf. 
Gestorben: Med.-Rat Dr. Leske, Kreisarzt in Liegnitz. 


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Ausführliche Literatur durch: 

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Fritz Freudenreioh 

Marienwerder, Westpr. 


















mmä 




Zeitschrift für MedizinaUieamte 


Bsyenj, 

V««etet}.- De. jBöHet, Bezirksamt m Seabuxg a. D. 

nach Traufstein. Ressuhsarzt Zf?. Fes t in Dingolhng nach öarmiseb. 

Bözir&sarzt in Marienberg nach 


\erg«U:t i Beg.-Mci -Rat JDr^B a e t e r 8. 

Zwicks», R«;g.'Me<h'Kst, i>r»8ia/>.i, Bezirks««! io Großenhain nach Äeäßen. 

Erledigt« Stellen. 

Franacen. 

Za besetzen: alsbald die Tbllbesoldete K re laarzts teile in Xiegnltz und 
«lll» 1. April 1922 die nicht ToHbesoldete KreisarztateUe io Küsliu. Be- 
w«Tbuageo sind bis zatn 1. Februar 1922 an das Miuisteriunt für Volkawohl- 
loJbiit in Berlin W. $6^ Leipziger Straße 3, durch die Hand des für den Wohnort 
doa Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn 


Ph-Uzeipmaidentea) einzureichen. 

.Bayarnu 

Bezlrksar*l8te!i< in Üeutmrsr a* Ji. Bewerbungen sind bei der für den 
Bewerber znstämdigen Begierung, Abteilung des Innern, einzureichen. 


Ä*n iö. IhiZeuiber tio.taciiüci ^ -. ; • • 

Herr Medizinal rat Dr. JLeske, 

Kreismedizinalrat in JLiegnitz. 

Vorbildlich für un» aUh als Beamter and Arzt förderte ©r, 
ei# fäat!yser Arbeiter, äoertopdikb unseren Stand, ihm diente 
auch 3 e»t>% letzte Heise, weuige Tage ehe ein jäher Tod ihn uns 
entriß. Seine Treue soll ihm unvergessen sein. 

Liegnitz, d«r 78 ®. Dezember T92t. - 



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währt gegen sowie gegen nervöse Störun¬ 

gen der Magen- und Darmtötlgkett wie Aufstoßer». 
SodbrenaesL. Mage». und Oarinnetimlgifla,' üehelkeit, Erbrechen 

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Schwächlichen 


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ist frei von narkhtbeber o. drasti¬ 
scher Nebenwirkung«, daher auch bei 
Kindern and älteren Beaten in. wirfeMnier 
Oabc gefahrlos anwendbar. 

Zn verordaeü ja Tabletten. (1 ÖxtgipalrobtrelmB mit 
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bnnden mit Espectorantion od»ir Onaja.H.ir.mpfcmeu. 

Au?f *1 bjpg i ch e V r*ap»: k 11 *, L i t.e tÜ i o r. B f- rjep tf ti r inein 

aowie P tu heu. kontra? durch : ,: yW.v ■ 






J>tr8 ~ 851 Zeitschrift —- 19aa - 

für 

MEDIZINALBEAMTE 

--WM-- 

Zentralblatt 

ffir das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
i öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene 

Heraasgegeben 

Ton 

Prof. Dr. Otto Rapmund 

Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe. 

Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 


Verlag von Fischer 9 » med.Buchhandlung H. Kornfeld 

iferzogl. Bayer. Hof- u. K. u. K. Kammer-Bnchhlndler 

Berlin W. 62, Keithstrasse 5 

Anzeigen werden durch die Anzeigenverwaltang Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 sowie 
Ton sämtlichen Anzeigen-Annahmestellen des In- und Auslandes angenommen. 

Die durchgehende Petitzeile kostet M. 2,60 


Nr. 1. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monats 


5. Jan. 


Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. 1 ) 

Von Oberamtsarzt Dr. Otto Schmidt in Tübingen. 

Die an und für sich kleine Typhusepidemie in dem katholi¬ 
schen Konvikt (Wilhelmsstift), dem Internat der Studierenden 
der katholischen Theologie an der Universität Tübingen, regte 
in Württemberg die Gemüter in auffälliger Weise auf und er¬ 
regte mit 8 Todesopfern im blühendsten Menschenalter die 
Anteilnahme weitester Kreise. Auch die Presse erging sich in 
allerlei Vermutungen und Vorschlägen, so daß ich dem Wunsche 
des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins nach einem 
Bericht über die Epidemie gerne nachgekommen bin. Von der 
Universität wurde die Epidemie in 8 Doktorarbeiten nach der 
klinischen und bakteriologischen Seite hin gewürdigt. Jede 
Typhusepidemie, auch eine kleine, ist ja immerhin einEreignis, 
nicht nur für die davon Betroffenen, auch für den beamteten 
Arzt. 


*) Nach einem Bericht anf der Jahresversammlung des Württembergischen 
Medizinalbeamtenvereins. 





2 


Dr. Schmidt. 


Tübingen ist an und für sich keine Typhusstadt und wenn 
wir von den in die Klinik von überallher eingelieferten Fällen 
absehen, kommt Typhus in Tübingen nur ganz vereinzelt und 
sporadisch vor. Den älteren Kollegen sind vielleicht noch zwei 
frühere Tübinger Typhusepideraien in Erinnerung, die beide 
das Militär betrafen; die eine herrschte in den 70er Jahren in 
einem Flügel der damals noch neuen Kaserne und erlosch nach 
Schließung eines Pumpbrunnens im Hofe des Flügels. 
Damals stritten noch die Wassertheoretiker mit den Luft¬ 
theoretikern ; es war ein beliebtes Thema des Tübinger Klinikers 
von Liebermeister, zu erzählen, wie der militärische ärzt¬ 
liche Sachverständige als Luftkontagionist die Infektionswege 
durch die Keller- und Wandöffnungen hindurch an Hand des 
Bauplanes bis ins einzelne nachgewiesen hatte, daß sich aber 
bei näherem Zusehen herausstellte, daß die im Bauplane ein¬ 
getragenen Luftwege gar nicht ausgeführt wareD. Die andere 
militärische Epidemie, in den 90 er Jahren, konnte ohne 
weiteres auf den Truppenübungsplatz Münsingen zurückgeführt 
werden, da die Truppen 2 Tage nach Rückkehr und nur solche 
Mannschaften erkrankten, die auf dem Truppenübungsplatz 
gewesen waren. Die Ermittelungen ergaben damals die eigent¬ 
liche Ursprungsquelle in einem dem Lager benachbarten Orte 
Laichingen, woher die Truppen ihre Milch bezogen und wo 
nachträglich mehrere Typhusfälle festgestellt werden konnten. 
In der Tübinger Zivilbevölkerung sind nie gehäufte Fälle von 
Typhus vorgekommen. 

Die erste Konviktsepidemie trat anscheinend völlig 
zusammenhangslos auf und zwar im Februar 1917. Damals 
war ein großer Teil des Konviktes als Lazarett benutzt, zwar 
nie als Seuchenlazarett, aber öfters als sog. Durchgangslazarett, 
so daß immerhin die Möglichkeit gegeben war, daß auch ein¬ 
mal ein Typhuskranker einige Tage unerkannt aufgenommen 
worden sein kann. Die Verwaltung des Konvikts dachte immer 
in erster Linie an diese Einschleppungsmöglichkeit. Dagegen 
sprach einigermaßen, daß alle 10 damals in der Zeit vom 19. 
bis 26. Februar erkrankten Personen nicht im Konvikts¬ 
gebäude, sondern in dem dazugehörigen alten Oberamtei¬ 
gebäude wohnten, — zuerst erkrankten der Direktor und seine 
Nichte mit eigener abgesonderter Küche —, und daß kein 
Soldat erkrankte. Die Ursache dieser Infektion wurde schließlich 
auf ein gemeinsames Festessen am 22. Januar 1917 zurück¬ 
geführt. Die bakteriologische Untersuchung des Küchenpersonals 
war ohne Ergebnis. Im Juli 1917 erkrankte dann wieder ein 
Dienstmädchen der Schwestern an Paratyphus B. Kurz vorher 
waren Typhusverdächtige aus Rumänien im Reservelazarett 
Wilhelmstift angekommen, von denen 3 in die militärische Typhus¬ 
station bei der alten Kaserne überwiesen wurden. Ein aus 
dem Reservelazarett Wilhelmstift beurlaubter Soldat erkrankte 
in der Heimat an Typhus, das Reservelazarett wurde eine Zeit¬ 
lang gesperrt und saniert. 



Die Typhasepidemie im Tübinger Konvikt. 


8 


Im August 1918 erkrankten dann wieder 2 Soldaten und 
1 Küchenmädchen. Die vierte Epidemie im Januar 1919 betraf 
1 Schwester und 5 Studierende. Zum fünften Male kamen im 
Oktober 1919 wieder einige Fälle vor; 4 Studierende erkrankten 
in der Zeit vom 27.—31. Oktober. Im ganzen erkrankten also 
in diesen 5 kleineren Hausepidemien im Februar 1917, Juli 
1917, August 1918, Januar 1919 und Oktober 1919 26 Per¬ 
sonen ohne Todesfall. Die bakteriologische Untersuchung auf 
Bazillenträger war jedesmal trotz sehr energischen Forschens 
ergebnislos. 

Da kam nach einem Abstand von reichlich 1 Jahr die 
diesmalige sechste Epidemie. In der Zeit vom 13. No¬ 
vember bis 7. Dezember 1920 erkrankten 46 Insassen des 
Wilhelmstifts, darunter 2 gerade auf Urlaub Abwesende. 

Die Frage der Absonderung der Erkrankten war 
sehr einfach zu lösen durch das wohlwollende Entgegenkommen 
des Herrn Vorstands der hiesigen medizinischen Klinik, Prof. Dr. 
Otfried Müller, der sich bereit erklärte, sämtliche Fälle auf¬ 
zunehmen und im Notfall die ganze Klinik zur Verfügung zu 
stellen, falls die Epidemie auf die Stadt sich ausbreiten sollte, 
was anfangs natürlich nicht ausgeschlossen war. So konnten 
alle Erkrankten immer sofort in die denkbar beste Behandlung 
gebracht werden, trotzdem starben von 44 in die Klinik auf¬ 
genommenen 8 = 18°/ 0 eine ziemlich hohe Sterblichkeit, 
ein Beweis für die massige und schwere Ansteckung dieser 
Epidemie gegenüber den früheren ziemlich harmlosen 26 Er¬ 
krankungen ohne Todesfall. Die Todesursache bildete 6mal 
schwere Lungenentzündung, 1 Herzlähmung, 1 Perforations¬ 
peritonitis und 1 Hämoglobinurie. 

Ganz kurz möchte ich hier die klinische Seite streifen, 
da sich verschiedene auch für den beamteten Arzt wichtige 
Gesichtspunkte dabei ergeben: 

Einmal die sehr wichtige Tatsache, daß eine typische lehrbachmäßige 
Typhnstemperatarkarve nar ein einziges Mal vorkam, typische Erbsenbreistühle 
nur 3 mal, dagegen Milzschwellang 40 mal, Boseoien 39 mal darunter 2 mal an 
den Extremitäten, Darmblatangen nar 2 mal. Ebenfalls sehr wichtig and 
richtunggebend war aach die Beobachtung, daß Typhusbakterien im 
Stuhl nndUrin in der ersten Woche nar bei 7 Erkrankten festgestellt 
werden konnten, während Bazillen im Blat in der ersten Woche bei 37 
nachgewiesen werden konnten. Bei einem Stadenten konnten zufällig im Blut 
Bazillen nachgewiesen werden; er fühlte sich noch volle 14 Tage lang gesund, 
um dann erst mit Kopfweh and Fieber leicht za erkranken. Der beamtete 
Arzt wird also bei der Krankenhauseinweisung verdächtiger Fälle immer gat 
tan, wenn er sich aaf den ärztlichen Blick in erster Linie verläßt and die 
Blatantersachang in keinem Falle unterläßt, da gerade sie sehr früh¬ 
zeitig die Diagnose sichert. 

Der Nutzen der gleich zu Beginn der Epidemie durch das 
hygienische Instsitut der Universität vorgenommenen Schutz¬ 
impfungen war deutlich erkennbar. Von 44 Typhuskranken 
waren (nach einer mir gütigst überlassenen Aufstellung der 
medizinischen Klinik) erkrankt: 



4 


Dr. Schmidt. 


1. leicht: 17 (38,6 °/o) 

2. mittelschwer: 11 (25,0 °/o) 

3. schwer: 16 (36,3°/#) 


davon 
geimpft, 
12 (70,5 o/o) 
7 (63,6 °/o) 
7 (43,7 °/o) 


mit mit 

Nachschüben Komplikationen 
6 (36,2 °/o) 6 (85,2 °/o) 

2 (18,1 °/o) 7 (63,0 o/o) 

2 (12,5 o/o) 16 (100 ®/o) 


Die günstige Wirkung der Schutzimpfung war also un¬ 
verkennbar, auch nach dem übereinstimmenden Urteil der be¬ 
handelnden Aerzte; nur für einzelne Fälle wurde der subjek¬ 
tive Eindruck angegeben, als ob die Impfung vielleicht doch 
eine kumulative verschlimmernde Wirkung gehabt haben könnte. 
Die Ansicht über die Zweckmäßigkeit der prophylaktischen 
Impfung ist ja noch nicht ganz allgemein übereinstimmend; 
nach obigen Ziffern wird man aber doch die Nützlichkeit als 
weit überwiegend ansehen dürfen. Einen weiteren Fingerzeig 
betreffs der günstigen Wirkungen vorausgegangener Impfungen 
ergab auch noch folgende Beobachtungen: Von den älteren 
Semestern, fast lauter langjährigen Kriegsteilnehmern, erkrankten 
nur ganz wenige, von den jüngsten Semestern auffallend viele, 

der älteste Kars mit 53 Teilnehmern hatte nar 4 = 7 °/o Erkrankungen, 

der Zweitälteste Kars mit 38 „ „ „ 8 — 21 % „ 

der drittälteste Kurs mit 33 „ „ „ 8 = 34,2°/o „ 

der jüngste noch nie ge- 

impfe Kars mit 33 „ „ „ 20 = 60 °/o „ 

Es ist also ein ganz auffallendes Verschontbleiben der 
ältesten oft geimpften und ein ebenso auffallend starkes Be¬ 
fallensein der jüngsten, noch nie geimpften Studierenden unver¬ 
kennbar. Auch die Schutzimpfungen selbst ertrugen die alten 
Semester ohne jede Gesundheitsstörungen, während die jüngsten 
sehr starke Reaktionen darboten, die sich teilweise von einem 
wirklichen Typhus anfangs kaum unterscheiden ließen und mit 
hohem Fieber und Apathie einhergingen und mehrtägige Bett¬ 
ruhe erforderten. 


Eine wichtige Frage erhob sich sofort, was sollte mit 
den im Konvikt wohnenden noch gesunden, aber 
vielleicht doch schon im Inkubationsstadium sich 
befindlichen Studierenden geschehen? Sofortige Ent¬ 
lassung in die Heimat wurde von den geängstigten Leuten sehr 
energisch gewünscht durch Abordnungen an alle möglichen 
Behörden, war aber selbstverständlich nicht zu verantworten. 
Eine gesetzliche Handhabe, die Studierenden zum dableiben 
zu zwingen, war nicht gegeben, gütlichem Zureden gelang es 
aber, sie solange zu beruhigen, bis ein Ausweg gefunden war. 
Es wurde ihnen erlaubt, auszugehen, doch wurde ihnen jeder 
Verkehr untersagt. In einer gemeinsamen Sitzung unter dem 
Vorsitze des Bischofs von Rottenburg in Anwesenheit des 
Medizinalreferenten Min.-Rat Dr. v. Scheuerlen, Prof. Wo 1 ff 
vom hygienischen Institut, Konviktorenrat usw. wurde auf 
Vorschlag von Herrn Prof. W olf f beschlossen, sämtliche klinisch 
noch gesunden Konviktoren nach verschiedenen gutgeleiteten 
Krankenhäusern des Landes in Quarantäne zu evakuieren und 
zu dislozieren. Durch das Entgegenkommen der Krankenhaus- 



Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. 


5 


Verwaltungen konnte dieser Plan in wenigen Tagen durchgeführt 
werden. Die Kosten waren natürlich nicht gering, trotzdem 
kann dieser Weg für ähnlich gelagerte Fälle als ideal bezeichnet 
werden. Von den ca. 100 in Quarantäne gelegten Studierenden 
erkrankten nur 2 in ganz leichtem Grade. 

Schwierigkeiten machte auch noch in der Kleinstadt ohne 
Kanalisation die Beseitigung der Ausscheidungen der 
Kranken einschließlich des Badewassers; es handelte sich 
dabei natürlich um ganz beträchtliche Mengen. Aus dem 
militärischen Typhuslazarett wurden während des Krieges diese 
Stoffe mit Fuhrwerk vor die Stadt hinaus in eine abgelegene 
Einöde verbracht; dieser Weg verbot sich zur Zeit schon wegen 
der unerschwinglichen Kosten und hätte auch unbedingt Wider¬ 
spruch der Anlieger hervorgerufen. Es wurde deshalb auf Vor¬ 
schlag von Prof. Dr. Müller im Gelände hinter dem Absonder¬ 
ungshaus eine große Grube ausgehoben, wohin alle Abschei¬ 
dungen mit reichlichen Desinfektionsschichten wechselnd ver¬ 
bracht wurden. Da in der Nähe ein kleiner Bach vorbeifließt, 
mußte sein Wasser dauernd bakteriologisch untersucht werden; 
es war immer keimfrei geblieben. 

Sofort mit Beginn der Epidemie wurde das gesamte 
Küchenpersonal ausgeschaltet und in Quarantäne gelegt, 
die Küche gründlich desinfiziert und das Suchen nach dem 
Bazillenträger wieder begonnen. Da aus der Stadt keinerlei 
Typhusmeldungen kamen, konnte man bald darüber im Klaren 
sein, daß es sich um keine Wasserleitungs- oder Brunnen¬ 
epidemie handeln konnte, sondern daß es sich wieder um eine 
Hausepidemie handelte, wahrscheinlich um einen offenbar 
periodischen Bazillenträger in der Küche. 

Das Personal war selbstverständlich bei allen früheren Epidemien in 
dieser Bichtang darchantersacht worden aber jedesmal ohne Erfolg. Aach 
diesmal war die erste Untersuchung ergebnislos. Eine vom Überamtsarzt auf- 
gestellte Liste mit sämtlichen Internatsinsassen und sämtlichen von außen 
irgendwie mit dem Hause in Berührung kommenden Leuten wurde zugrunde 
gelegt und nun auf Vorschlag des Herrn Ministerialrats Dr. v. Scheuerlen 
sowohl vom Württembergischen Landesuntersuchungsarat, als vom hygienischen 
Institut systematisch durchuntersucht. Sehr bald hatten wir — 3 Bazillenträger 
gefunden. Des Guten fast zuviel: ein Beamter, eine Küchenschwester und eine 
Italienerin, die das übrige Essen abholen durfte. Alle 3 wurden abgesondert und 
fernerhin überwacht. Der Beamte hatte 1917 einen Typhus durchgemacht, die 
Schwester eine „Lungenentzündung “vor einigen Jahren, agglntinierte aber jetzt 
auf Typhus, die Italienerin war angeblich nie krank. Die weitere Beobachtung 
ergab bei dem Beamten nie mehr Bazillen, bei der Schwester nach mehrmonat- 
lichem negativem Ergebnis noch einmal Bazillen, ebenso bei der Italienerin. 
Der größte Verdacht ruhte also zweifellos auf der Kiichcnschwester, nur 
fragte es sich dann wieder, woher hatte sie, die schon seit Jahrzehnten im 
Hause war, dann ihren Typhus bezogen; denn früher war das Haus sicher 
immer typhusfrei. 

Nicht unerwähnt möchte ich einen zufälligen Umstand 
lassen, der Verwirrung in den Köpfen der Insassen anrichtete: 
Von dem ältesten Kurse mit 63 Leuten wohnte genau die Hälfte 
in der Stadt; von diesen erkrankte nur einer oder zwei. Dies 
gab den Laien Veranlassung zu der immer wieder auftauchen- 



6 


Dr. Schmidt. 


den Behauptung, daß eben das alte Haus an dem Typhus 
schuld sei; dabei hatte die andere Hälfte des ältesten Kurses, 
die im Internate wohnte, auch nur zwei Kranke zu verzeichnen, 
sodaß es klar war, daß nicht die verschiedene Wohnung, sondern 
eben die wiederholte Durchimpfung dieser älteren Semester die 
Ursache des geringen Betroffenseins bildete. Die Küche war 
allen gemeinsam und so kam es, daß von den ca. 180 Gesamt¬ 
insassen 46, also 26°/o, erkrankten, ein ziemlich hoher Prozentsatz. 

Die Beurteilung des Ursprungsherdes wurde nun weiter¬ 
hin noch dadurch kompliziert, daß in unmittelbarer Nähe des 
Konvikts ein weiterer seit 14 Tagen Kranker, aber vom erst¬ 
behandelnden Arzte nicht gemeldeter Typhusfall vom zweit¬ 
behandelnden Arzte gemeldet und sofort als Typhus sicher¬ 
gestellt werden konnte. Er hatte mit dem Konvikt rein gar 
keinerlei Zusammenhang, zeitlich hätte er sehr wohl vom Konvikt 
herstammen können. Bestimmt gab er an, daß er vor 4 Wochen 
einen Abort in einer Milchhandlung ebenfalls in nächster Nähe 
des Konvikts geleert habe und dort sei die Frau vorher monate¬ 
lang schwer krank gewesen. Die Erhebungen ergaben, daß 
die Frau F. tatsächlich einen schweren Typhus mit Fieber 
und Delirium durchgemacht hatte und ebenfalls nicht gemeldet 
worden war; die nachträglich vorgenommene Blutuntersuchung 
ergab bei der Fr. F. eine Agglutination 1:400. Bei der unmittel¬ 
baren Nähe dieser 3 Herde war es sehr schwer, an eine gemein¬ 
same Quelle nicht zu denken. Daß der Weingärtner B. seinen 
Typhus von dem Abort der Fr. F. bezogen hatte, war ohne 
allen Zweifel, ob aber die Fr. F. aus dem Konvikt oder das 
Konvikt von der Fr. F. infiziert war, blieb eine offene Frage. 
Weitere Ermittlungen im F.schen Hause ergaben aber, daß auch 
die Frau L., die verheiratete Tochter der F., die gemeinsam 
mit F. das Milch- und Viktualiengeschäft betrieb, wiederholt 
Paratyphus B Bazillen im Stuhl hatte. Selbst war sie nie krank, 
doch stellte sich heraus, daß sie 1916 im Hilfsdienst ein Jahr 
lang als Pflegerin in unmittelbarer Nähe eines militärischen 
Typhuslazarettes diente, Typhuskranke mit Wissen nicht 
pflegte, aber gegen Typhus wiederholt geimpft worden war. 
Im Jahre 1917 trat sie wieder in das elterliche Geschäft zurück; 
im Februar 1917 trat die erste Epidemie im Konvikt auf, später 
erkrankte die jetzt als Bazillenträgerin im Konvikt erkannte 
Schwester und weiterhin folgten die Hausepidemien bis zum 
Jahre 1920, die Ansteckung der Mutter der L. und von da aus die 
der Brüssel sehen Eheleute. Ein gewisser Verkehr des Viktualien- 
geschäfts mit dem Konvikt war zweifellos vorhanden; der Haus¬ 
inspektor bezieht heute noch seine Milch aus diesem Geschäfte. 
So läßt sich also die ganze Reihe von Hausepidemien und Einzel¬ 
ansteckungen ungezwungen auf diese Frau L. zurückführen. 
Diese Erklärung hat nur die eine Schwierigkeit, daß bei Fr. L. 
nicht Typhusbazillen, sondern Paratyphus B festgestellt worden 
sind. Bei rein klinischer Betrachtung würde dieser Umstand 
keinerlei Bedenken erregen, da es Paratyphus sowohl mit den 



Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. 


7 


Erscheinungen der Cholera nostras, der akuten Enteritis, der 
Fleischvergiftung, als auch mit den klinischen Zeichen des 
klassischen Typhus gibt. Bakteriologisch ist die Frage aber 
nicht so einfach. Die Zugehörigkeit der menschlichen Para¬ 
typhusbakterien zu einer bestimmten großen Gruppe von 
Menschen- und tierpathogenen Stämmen läßt die Erreger des 
Paratyphus den eigentlichen Typhusbazillen gegenüber, bei 
denen ähnliche Verhältnisse nicht existieren, eine ganz besondere 
Stellung einnehmen. Dieser Unterschied tritt noch deutlicher 
hervor durch die Tatsache, daß Mikroorganismen mit den Eigen¬ 
schaften der Paratyphusbazillen auch im Organismus gesunder 
Menschen, gesunder Schlachttiere sowie in der Außenwelt ein 
saprophytisches Dasein führen können, daß sie demgemäß auch 
im Körperinnern und in Ausscheidungen gesunder Menschen 
und Tiere angetroffen werden können. Mit andern Worten 
die meisten Bakteriologen sehen in Paratyphus- und Typhus¬ 
bazillen zwei vollständig verschiedene, selbständige Eigenarten, 
die nicht in einander übergehen, also keine Mutationen bilden. 

Gegen die Annahme, im vorliegenden Falle alle Ansteck¬ 
ungen auf die Person der Fr. L. mit ihrem Paratyphus B zurück¬ 
zuführen, erheben sich also nicht leicht zu nehmende bakterio¬ 
logische Schwierigkeiten; auffallend wäre ja auch bei dieser 
Annahme, daß nicht auch noch andere Typhusfälle von dem 
Lebensmittelgeschäft aus verursacht worden sind. Daß solche 
in größerer Zahl vorgekommen und nicht gemeldet worden 
sind, ist kaum anzunehmen, da im allgemeinen von Aerzten 
und Kliniken ziemlich zuverlässig gemeldet wird. Einzelfälle 
könnten natürlich sehr wohl vorgekommen sein. Daß die 
Milchabgabe verhältnismäßig harmlos verlaufen kann, ist bei 
der Art der Abgabe aus der laufenden Kanne sehr wohl erklär¬ 
lich, da erst die zusammengeschütteten Reste in innigere Be¬ 
rührung mit der Bazillenträgerin kommen und gerade diese 
Reste dann meist in diskreter Weise auf Schleichwege kommen 
können, die nicht kontrollierbar sind. Auch der Umstand, daß 
die Bazillenträgerin nur in periodischen, oft monatelang aus¬ 
einander liegenden Zwischenräumen Bazillen ausschied, läßt 
ihre verhältnismäßige Ungefährlichkeit der Milchkundschaft 
gegenüber einigermaßen erklärlich erscheinen. 

Ob nun die letzte Quelle endgültig klargestellt werden 
kann oder nicht, das Wichtigste ist für den beamteten 
Arzt unter allen Umständen, erkannte Bazillen¬ 
träger unverzüglich auszuschalten. Das Feststellen 
der Bazillenträger ist aber nicht immer eine einfache Sache: 
Bei einigermaßen begründetem Verdacht kann man durch Art. 32 
des Polizeistrafgesetzbuches die Lieferung von Stuhl, Urin und 
Blut zur Untersuchung erzwingen, in der Regel wird man auf 
keinen ernsten Widerstand dabei stoßen; anders wird die Sache, 
sobald man einem Bazillenträger auf der Spur ist; diese Leute 
merken sehr bald, worauf es ankommt, sind durch die Zeitungen 
und auch sonst aufgeklärt und haben, wenn sie z. B. ein 



8 


Dr. Schmidt 


Nahrungsmittelgeschäft haben, gar kein Interesse daran, als 
Bazillenträger erkannt zu werden. Will man vor Unter¬ 
schiebungen bewahrt sein, so müssen diese Leute unter 
strengster Aufsicht ihr Untersuchungsmaterial absetzen. Auch 
hier trat die hiesige innere Klinik in liebenswürdiger Weise 
ein: Die Verdächtigen bekamen von mir die Auflage, sich in 
der Klinik in bestimmten Zeiträumen einzufinden, wo sie un¬ 
mittelbar unter Aufsicht einer zuverlässigen Schwester aseptische 
Gefäße für Stuhl und Urin zu benutzen hatten. 

Auch die Unschädlichmachung der gesunden 
Bazillenträger ist nicht ganz einfach. Man rechnet neuer¬ 
dings bei einer Typhusepidemie auf 2—5°/ 0 übrigbleibende 
Bazillenträger; es ist also eine sehr verantwortungsvolle Sache, 
daß man diese Träger findet und unschädlich macht. Die bis¬ 
herige Bestimmung, wonach ein Typhusrekonvaleszent nach 
dreimaligem negativem Befund in Stuhl und Urin als geheilt 
und unschädlich entlassen werden darf, sind nach unseren Er¬ 
fahrungen nicht mehr genügend. Alle 5 für den Ausbruch der 
Epidemie in Betracht kommenden Bazillenträger waren sogen, 
periodische Ausscheider, d. h. es kann Wochen- ja monatelang 
anstehen, bis wieder einmal Bazillen gefunden werden. Bei der 
Hauptverdächtigen, der Schwester T., gelang es bei sehr scharfer 
Beobachtung erst nach Monaten wieder Bazillen festzustellen; 
die Hausepidemien im Konvikt sind tatsächlich in halb-, ja 
ganzjährigem Abstande aufgetreten, was zu einer periodischen 
Ausscheiderin sehr wohl passen würde. Von der Epidemie 
selbst blieben 2 Dauerausscheider übrig, die beinahe täglich 
z. T. massenhaft Bazillen im Urin ausschieden; also nicht weniger 
wie 7 Bazillenträger wurden gelegentlich der diesjährigen Epi¬ 
demie festgestellt. Auch dafür, daß trotz energischen Suchens 
bei den vorhergehenden Hausepidemien ein Bazillenträger nicht 
gefunden worden ist, ist die Erklärung eben in der periodischen 
Ausscheidung zu suchen; man kann also bei solchen Verdachts¬ 
fällen nicht lange genug untersuchen, will man ein sicheres 
Ergebnis erzielen. 

Die Unschädlichmachung der gesunden Bazillenträger 
ist für kurze Zeit durch Absonderung zu erreichen, geht es 
aber längere Zeit fort, so muß man die Leute unter ent¬ 
sprechender Belehrung eben frei geben, da keinerlei gesetz¬ 
liche Bestimmungen oder Entschädigungsmöglichkeiten gegeben 
sind. Man wird selbstverständlich dafür sorgen, daß sie nicht 
mehr in eine Küche oder in ein Nahrungsmittelgeschäft zurück¬ 
kehren, einen gesetzlichen Zwang kann man aber bislang nicht 
ausüben; man würde dadurch z. B. in der einen Familie 6 Leute 
brotlos und unterstützungsbedürftig gemacht haben. In dem 
Falle des Bauern Br., dessen einzige Geldquelle sein Milch¬ 
verkauf ist, wurde dafür gesorgt, daß die gesamte Milch aus 
seinem Stalle dem städtischen Krankenhaus zur garantierten 
Entkeimung und Verbrauch zugeführt wurde. So wird man 
im Einzelfalle immer wieder einen Ausweg finden müssen. 



Die Typhusepidemie im Tübinger Konvikt. 


9 


Dringend notwendig ist natürlich eine eingehende Belehrung 
der Bazillenträger, wie sie sich dauernd zu verhalten haben 
den Mitmenschen gegenüber und in ihrem eigenen Hausstande; 
fortlaufende Desinfektion der Hände und der Ausscheidungen 
ist das wichtigste, dazu die fortlaufende bakteriologische Ueber- 
wachung. 

Zusammenfassend möchte ich noch einmal kurz den 
Gang der Bekämpfungsmaßregeln schildern: Sofort nach der 
ersten Meldung Besuch des Kranken bezw. des Krankheits¬ 
verdächtigen, Absonderung sämtlicher Kranker oder Krank¬ 
heitsverdächtiger, Verlegung ins Krankenhaus, sofortige Aus¬ 
schaltung des gesamten Küchenpersonals bei Verdacht auf 
Bazillenträger, Quarantäne dieses Personals mit eingehendster 
fortlaufender bakteriologischer Untersuchung, ebenso des ganzen 
ständigen sonstigen Personals, Desinfektion der ganzen Küche 
und sämtlicher Küchengerätschaften und Kochgeschirre mit 
lOproz. Sodalösung, fortlaufende Desinfektion der Aborte usw. 
Neueinstellung einwandfreien Personals; der Speisezettel darf 
bis auf weiteres nur gut gekochte Speisen enthalten, Impfung 
möglichst sämtlicher Insassen, Evakuierung und Dislozierung 
sämtlicher noch gesunder Zöglinge mit Quarantäne in geeig¬ 
neten Krankenhäusern. Nach Ablauf der Epidemie regelrechte 
Desinfektion der gesamten Räumlichkeiten mit Betten, Wäsche 
usw. Kontrolle des amtlichen Desinfektors durch den beamteten 
Arzt sehr begründet; gründliches systematisches Suchen nach 
übrigbleibenden Bazillenträgern aus der Epidemie mit voll¬ 
ständigem Ausscheiden derselben aus dem Internatleben. Vor 
der Neubelegung systematische Durchimpfung aller neu ein¬ 
tretenden Zöglinge und bakteriologische Untersuchung derselben 
und des neueintretenden Küchenpersonals. Damit hoffen wir 
nach menschlichem Ermessen den Typhus endgültig aus dem 
Konvikt vertrieben zu haben. 

Die Epidemie ergab für den beamteten Arzt in mehr¬ 
facher Hinsicht Anregungen. Einmal zeigte sich die Be¬ 
stimmung, wonach ein Typhusrekonvaleszent nach dreimaligem 
negativem Bazillenbefund in einer Woche als gesund und nicht 
mehr ansteckend entlassen werden kann, bei unseren Bazillen¬ 
trägern als durchaus ungenügend. Prof. Dr. Müller von der 
inneren Klinik ging auch von selbst auf mehr Untersuchungen 
hinauf, aber bei den sogen, periodischen Ausscheidern können 
wirklich nur sehr langfristige Daueruntersuchungen ein Ergebnis 
bringen bezw. vor Ueberraschungen bewahren. Nach Abschluß 
der Konviktsepidemie bekam ich z. B. vom hiesigen städtischen 
Krankenhausarzte folgende Meldung: 

In der Krankenhausküche wurde ein Mädchen eingestellt, von dem durch 
Zufall bekannt wurde, daß es auswärts in einer Großstadt vor einigen Monaten 
einen Typhus durchgemacht hatte; die Nachfrage beim dortigen Untersuchungs¬ 
amt ergab, daß das Mädchen nach dreimaligem negativem bakteriologischem 
Befund als gesund entlassen worden war. Der hiesige Krankenhausarzt wollte 
sicher gehen, ließ das Mädchen durch das hiesige hygienische Institut noch 



10 


Dr. Schmidt: Die Typhasepidemie im Tübinger Konvikt. 


e inmal bakteriologisch untersuchen; das Mädchen liegt seitdem als gefähr¬ 
licher Urindaneraasscheider in der hiesigen Klinik zur Beobachtung. 

Nun haben sich in den letzten Jahren die Fälle von 
Typhusepidemien in Kasernen, Krankenhäusern, Irrenanstalten, 
Internaten, größeren Gasthäusern usw. ausgehend von Bazillen¬ 
ausscheidern derart gehäuft, daß sich einem der Gedanke auf¬ 
drängt, ob nicht allen derartigen Instituten durch Gesetz oder 
Verordnung zur Pflicht gemacht werden sollte, daß das Küchen¬ 
personal vor seiner Einstellung gründlich bakteriologisch unter¬ 
sucht werden muß. Zweifellos ließe sich dadurch viel Unheil 
verhüten; ich rate allen größeren Wirtschaftswesen in diesem 
Sinne. Aber nicht nur die Feststellung der Bazillenträger und 
ihre Fernhaltung aus Küchenbetrieben erfordert eine gründliche 
gesetzliche Regelung, auch die Entschädigungsfrage der ab- 

f esonderten Bazillenträger sollte irgendwie geregelt werden. Bei 
er derzeitigen geringen Heilungsmöglichkeit kann man die 
Bazillenausscheider nicht allzu lange in den Krankenhäusern 
zurückhalten, im Erwerbsleben muß man dieselben aber doch 
mancherlei Beschränkungen unterwerfen und dadurch mehr 
oder weniger schädigen, materiell und ideell; auch ihre Aus¬ 
gaben für die fortlaufende Desinfektion sind heutzutage nicht 
gering. Man wird also, will man die Gewissenhaftigkeit dieser 
an und für sich ja schuldlosen Missetäter nicht einer zu großen 
Belastungsprobe unterwerfen, auch in dieser Richtung irgend 
etwas tun müssen. 

Ganz unhaltbar erweist sich immer wieder die Be¬ 
stimmung, wonach die Seuchenanzeigen zuerst an dieOrts- 
polizeibehörden gesandt werden müssen. Im Interesse 
eines raschen und wirksamen Einschreitens muß unbedingt 
immer zuerst der Oberamtsarzt, und zwar auf dem kürzesten 
Wege, benachrichtigt werden. Bei dem heutigen Geschäfts¬ 
gänge kann durch ungünstige Fügung (Sonntagsruhe, Sams¬ 
tagsschluß, Durcharbeitszeit, Ortsabwesenheit des beamteten 
Arztes usw.) leicht eine 3—5 tägige Verzögerung der Sanierungs¬ 
arbeit des Amtsarztes eintreten mit allen ungünstigen Folgen. 
Wenn man bedenkt, daß die Kontaktinfektion beim Abdominal¬ 
typhus eine sehr bedeutungsvolle Rolle spielt, daß Frühkontakte 
schon im Inkubationsstadium gesetzt werden, und in der ersten 
und zweiten Woche (Klinger z. B. hat von 812 Typhusfällen 
23°/ 0 auf Infektion am Kranken im Inkubationsstadium zurück¬ 
führen können, Fornet 12° 0 ), so muß jedermann begreifen, 
daß das amtsärztliche Einschreiten nicht früh und nicht rasch 
genug erfolgen kann. Diese Gründe sind so durchschlagend 
und selbstverständlich, daß es unbegreiflich erscheint, daß die 
veraltete Vorschrift immer noch nicht sachgemäß geändert ist. 1 ) 


') Einer Resolution, wonach das seitherige Meldewesen anhaltbar ist, 
wurde in der Versammlung des Württembergischen Med izialbeamten Vereins 
einstimmig zagestimmt. 



Dr. Freymnth: Zur neuen preußischen Desinlektionsordnung. 11 

Zur neuen prenssischen Desinfektionsordnung. 

Von Dr. A. Freymuth-Berlin. 

Wer Gelegenheit hatte, der Jahresversammlung des Bundes 
Deutscher Desinfektoren am 14. August d. J. als objektiver 
Zuhörer beizuwohnen, wird wohl gleich mir den Eindruck ge¬ 
wonnen haben, daß die Desinfektoren in der neuen Desinfektions¬ 
anweisung vom 8. Februar 1921 den wirtschaftlichen Ruin ihres 
Berufes erblicken. Der von Prof, von Yagedes im Laufe seines 
Vortrages über die neue Desinfektionsordnung leise angefächelte 
Windzug nahm mit jedem zu diesem Thema sprechenden Redner 
an Stärke zu und wuchs sich bei dem temperamentvollen Ver¬ 
treter der Kölner Desinfektorenschaft zu einem gigantischen 
Orkan der Entrüstung und Ablehnung aus. Daß die Resolution 
gefaßt wurde, bei dem Herrn Wohlfahrtsminister wegen Abänder¬ 
ung der die Gefühle der Desinfektoren verletzenden und ihre 
vitalsten Interessen verkennenden Neuordnung vorstellig zu 
werden, war die naheliegende, der allgemeinen Stimmung ent¬ 
sprechende Konsequenz. 

Aus der sehr lebhaft geführten Debatte sind mir folgende 
Punkte in Erinnerung geblieben, die ganz besondes als „Steine 
des Anstoßes“ von allen Rednern gebrandmarkt wurden. Die 
Be vorzugung der ledigen, festbesoldeten „Schwester“ 
vor den in der Ueberzahl verheirateten, nicht festangestellten 
staatlich geprüften Desinfektoren. Die Heranziehung der 
Gemeindeboten oder anderer Organe in ländlichen Bezirken 
zur Ueberbringung von Desinfektionsmitteln und Aushändigung 
von gemeinverständlichen Belehrungen an die Haushaltungs¬ 
vorstände. Während aber diese beiden Momente nur das sub¬ 
jektive Empfinden störten, betraf das nächste das zukünftige 
Wirtschaftsleben der Desinfektoren. Sie sehen in der „laufenden 
Desinfektion“ eine schwere Bedrohung ihrer ohnehin nicht 
genügend gesicherten Existenz und ziehen als Kronzeugen für 
die Berechtigung ihres Pessimismus Geheimrat Lentz, den 
geistigen Vater der Neuordnung, heran, der in einer Abhand¬ 
lung 1 ) über die Neugestaltung des Desinfektionswesens sagt: 
„Für einen Teil der z. Z. vorhandenen Desinfektoren wird die 
neue Anweisung vielleicht die Wirkung haben, daß sie in Zu¬ 
kunft weniger als bisher beschäftigt sein werden.“ Weiter wurde 
die Wiedereinführung des Sublimats als Hauptdesinfektions¬ 
mittel kritisiert unter Hinweis auf die bekannte Idiosynkrasie 
vieler Personen gegen diesen Giftstoff. 

Bisher hatte ich den neuen Ministerialerlaß nur hinsicht¬ 
lich seiner kulturellen Neubestrebungen und der in ihm ver¬ 
werteten wissenschaftlichen Fortschritte studiert; jetzt habe 
ich ihn, unter dem Einflüsse der Opposition, auch hinsichtlich 
seiner Wirtschaftlichkeit und technischen Durchführbarkeit auf¬ 
merksam gelesen. 


*) Desinfektion; 1921. Heft 4, S. 110. 



12 


Dr. Freymuth. 


Was die von den Desinfektoren als Zurücksetzung emp¬ 
fundenen Stellen betrifft, so kann man ihre Auffassung ver¬ 
stehen, wenn wiederholt die Reihenfolge „Schwester oder Des¬ 
infektor“ vorkommt, an einer Stelle liest man sogar: „Wo eine 
solche (Pflegeperson) nicht dauernd am Krankenbett tätig sein 
kann, muß die laufende Desinfektion von einer in einer staat¬ 
lichen Desinfektorenschule ausgebildeten Pflegerin (Desinfektions-, 
Seuchen-, Fürsorgeschwester) oder, wo auch dies nicht möglich 
ist, von einem staatlich geprüften Desinfektor dauernd und 
regelmäßig überwacht werden.“ Aus welchem Grunde der Des¬ 
infektor nicht gleich mit dieser Arbeit betraut werden soll und 
kann, ist nicht recht ersichtlich. 

Die Heranziehung der Gemeindeboten zur Ueberbringung 
der Desinfektionsmittel halte ich für ein sehr gewagtes Experiment, 
das leicht katastrophale Folgen zeitigen kann. Man denke 
dabei an eine 5°/ 00 -Sublimatlösung! Wer unterweist diese Per¬ 
sonen in dem Umgänge mit den Giften, und wer haftet für 
durch sie verursachte Schädigungen und Unglücksfälle? Sollten 
wirklich alle Gemeindevorsteher in der Lage sein, Gifte, wie 
Sublimat, zu bewirtschaften und anderen über ihren Gebrauch 
hinreichende Aufklärung zu geben? Das wage ich auf Grund 
meiner Kenntnis ländlicher Verhältnisse zu bezweifeln. Welche 
Fülle von Gefahrenquellen bei nicht sachgemäßer Aufbewahrung 
von Giften vorhanden ist, braucht wohl nicht weiter ausgeführt 
zu werden. Es sei hier nur der Fall angenommen, daß der 
Gemeindevorsteher eine Gastwirtschaft betreibt. Da steigen 
düstere Bilder aus der Versenkung heraus. Statt „Schnaps“ 
sind schon Ammoniakflüssigkeit, Putzwasser, also Schwefelsäure, 
Salzsäure und andere mehr oder weniger giftige Stoffe verabfolgt 
worden. Am besten wird der Sache gedient, wenn man nur 
„zünftige“ Personen zur Mitarbeit heranzieht. Wem es ernst ist mit 
dem Wiederaufbau unseres in die Brüche geratenen Wirtschafts¬ 
lebens, der darf zur Reparatur bezw. Wohnlichmachung unseres 
einst so stolzen Hygienebaues nur gelernte Handwerker heran¬ 
ziehen. Das sind in diesem Falle die staatlich geprüften Des¬ 
infektoren. Hier bietet sich gleich die beste Gelegenheit, einem 
um sein täglich Brot schwer kämpfenden freien Berufe die Wege 
zur Verbesserung seiner sozialen Lage zu ebnen. Und damit 
komme ich zu einem anderen Kapitel! Wie in der alten Des¬ 
infektionsordnung, spielt auch in der neuen die Ortspolizeibehörde 
eine dominierende Rolle. Ich glaube, man fördert alle kulturellen 
Bestrebungen am vorteilhaftesten und täte den kleinstädtischen 
und ländlichen Polizeiorganen obendrein noch den größten 
Gefallen, wenn man ihnen speziell auf den Gebieten der 
Hygiene die anordnende Rolle abnähme und sie lediglich zu 
ausführenden Organen eines Kreisgesundheitsamtes machte, 
dessen Leitung in den Händen des Kreisarztes bezw. 
Tierarztes zu liegen hätte. Dadurch, daß die Fäden im Kreise 
alle in eine Hand münden, würde manche unnütze Ausgabe, 
manche Doppelstellung, sowie das Nebeneinanderarbeiten ver- 



Zur neuen preußischen Desinfektionsordnung. 


13 


mieden und die Wirtschaftlichkeit auf hygienischen Gebieten 
wesentlich gefördert werden. Diesem Kreisgesundheitsamte 
böte sich ein weites Betätigungsfeld. Beispielsweise könnte 
ihm, wie das schon lange mein Wunsch ist, die praktische 
Handhabung des Giftgesetzes zugewiesen und dieser Dienst¬ 
zweig den Apothekern anvertraut werden, die später ohnehin 
eine größere Rolle im Gesundheitswesen spielen werden. Dadurch 
wird gewährleistet, daß die jetzt infolge völliger Sach- und 
Fachunkenntnis der Polizeibeamten zur Farce degradierten Gift¬ 
verordnung endlich im Sinne des Gesetzgebers zur Durchführung 
gelangt, und daß die Allgemeinheit für ihr Geld auch wirklich 
brauchbare und zweckentsprechende Mittel und sachgemäße 
Belehrung über Aufbewahrung und Anwendung erhält. 

Wir kommen jetzt zu den in der Anweisung vom 8. Februar 
1921 namentlich hervorgehobenen Desinfektionsmitteln, von 
denen uns ganz besonders das Sublimat interessiert, und 
zwar deshalb, weil über den Wert oder Unwert dieses an und 
für sich erstklassigen Desinfiziens zur Abtötung von Tuberkel¬ 
bazillen im Auswurf noch eine große Diskrepanz unter den 
Fachgelehrten besteht. Sicher wird der Herr Minister sich auf 
die über jeden Zweifel erhabenen Prüfungsergebnisse des 
Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten Robert Koch 
gestützt haben. Aber soll und darf man seine Ohren gegen 
das auf dem diesjährigen Tuberkulosekongreß von Uh len huth 
gefällte Urteil verschließen: „. . . und Sublimat mit und ohne 
vorherige Erweichung des Sputums durch Antiformin oder Soda 
versagen für diese Zwecke vollständig?“ Müssen unter diesen 
Umständen nicht berechtigte Bedenken gegen die Verwendung 
des infolge seiner starken Giftigkeit und Aetzwirkung ohnehin 
wenig beliebten Sublimats aufsteigen? Dürfen wir angesichts 
dieser Sachlage den Kommunen die Beschaffung des gegen¬ 
wärtig sehr teuren Mittels befehlen? Als ein Retter aus der 
Not erscheint da Schuster *), der uns in seiner äußerst beachtens¬ 
werten Arbeit „Ueber die Desinfektion des tuberkulösen Aus¬ 
wurfs“ mit Kalk einen anscheinend sicheren, harmlosen und 
billigen Weg zeigt. Er wäre zu schön und einfach, um 
wahr zu sein können. Denn je weniger Gift wir anwenden 
lassen, um so mehr entlasten wir uns und die ausführenden 
Organe, um so mehr schränken wir die Gefahrenquellen auf ein 
Minimum von Möglichkeiten ein. Leider stößt die Aus- und 
Durchführung meines an anderer Stelle 8 ) gemachten Vorschlages, 
allen zu technischen Zwecken bestimmten Giftstoffen und ihren 
Lösungen, soweit angängig, einen ungewöhnlichen, auffallenden 
Farbstoff zuzusetzen, gerade in der Desinfektion auf große 
Schwierigkeiten. Demselben Gedanken gibt Schnutz 8 ) Aus¬ 
druck, indem er für die Sublimatpastillen statt der roten eine 

*) Ztschr. f. Hyg.; Bd. 92, Heft 3. 

*) D. Ungez.- u. SchädL>Bekämpfer; 1921. Heft 4: Todesfälle durch 
Schädlingsbekämpfungsmittel. 

*) Desinfektion; 1921. Heft 9, S. 165. 



14 Dr. Freymuth: Zar neaea preußischen Desinfektionsordnung. 

Blaufärbung vorschlägt. Denn man kann nicht gut Wäsche, 
Kleider, ungestrichene Fußböden usw. mit rot, blau oder grün 
gefärbten Lösungen behandeln. Schon die Desinfektion von 
kurz vor der Erkrankung getragenen Kleidern und von Büchern 
mit Sublimat dürfte in praxi auf erhebliche Widerstände stoßen, 
ganz abgesehen davon, daß diese Arbeit, wenn sie nicht gründ¬ 
lich ausgeführt wird, in den meisten Fällen nur einer symbol¬ 
ischen Handlung gleichkommen dürfte. 

Aber wo starker Schatten ist, ist auch viel Licht 1 Und 
dieses viele Licht bringt uns die Desinfektionsordnung mit dem 
Ausbau der laufenden Desinfektion, allerdings auf Kosten der 
Schlußdesinfektion. Fraglos werden wir dem Altmeister der 
Hygiene Flügge 1 ), beipflichten müssen, wenn er, aus dem 
tiefen Born reichster Erfahrung schöpfend, die Behauptung auf¬ 
stellt, daß a priori beide Methoden, die laufende sowie die Schlu߬ 
desinfektion, gleiche Existenzberechtigung haben und auch durch¬ 
geführt werden sollten. Wie verhält sich aber die Allgemeinheit 
zu dieser Forderung? Uns allen ist bekannt, daß in einem 
Krankheitsfalle seitens der Angehörigen während der Krankheits¬ 
dauer alles aufgeboten wird, um den Gesundungsprozeß zu fördern 
und die Ausbreitung nach Möglichkeit zu verhüten. Ist aber 
die Krankheit glücklich überstanden, so sind alle guten Vorsätze 
vergeben und vergessen. Während die laufende Desinfektion 
mit wahrer Hingebung und peinlichster Sorgfalt betrieben wurde, 
leistet man jetzt, da nach Laienansicht jede Gefahr vorüber 
war, einer etwa beabsichtigten Schlußdesinfektion den größten 
Widerstand. Der Desinfektor ist kein freudig begrüßter Gast! 
Mag die Abneigung gegen die Schlußdesinfektion bei einem 
Teile der Bevölkerung auf allzu große Bequemlichkeit oder 
Indolenz zurückzuführen gewesen sein, bei dem weitaus größeren 
richtete sich die Obstruktion mehr gegen die Anwendung der 
unangenehm und nachhaltig duftenden Kresolpräparate. Beiden 
Teilen wird die neue Desinfektionsordnung gerecht. Sie schränkt 
die Schlußdesinfektion nach Möglichkeit ein und ordnet die Ver¬ 
wendung des geruchlosen Sublimats an. Aber alle diese Kon¬ 
zessionen wären nicht möglich gewesen, wenn uns die Forschungs¬ 
ergebnisse der letzten Jahre nicht gelehrt hätten, daß entgegen 
unserer früheren Anschauung die meisten Infektionskeime in der 
Außenwelt schnell zugrunde gehen. Mit dieser Feststellung 
verlor die Schlußdesinfektion die ihr früher zugeschriebene 
fundamentale Bedeutung. An ihre Stelle trat die laufende Des¬ 
infektion, der die Aufgabe zufällt, die von einem Kranken aus¬ 
geschiedenen Keime möglichst sofort nach Verlassen des Körpers 
unschädlich zu machen. Wir kennen also nach der neuen An¬ 
weisung die erweiterte laufende und die eingeschränkte Schlu߬ 
desinfektion. Außerdem besagt die neue Dienstanweisung aus¬ 
drücklich, daß die Schlußdesinfektion überall da auszuführen ist, 
wo der Kreisarzt sie für notwendig hält und anordnet. Auch 


*) Ztschr. f. Med.-Beamte; 1921, Nr. 18. 



Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen Medizinal beamten-Vereins. 16 


die Bestimmung, daß der Kreisarzt statt der in der neuen Ver¬ 
ordnung angegebenen Desinfektionsmittel und Verfahren gleich¬ 
wertige andere anwenden lassen darf, bleibt unverändert weiter 
bestehen. 

Unter Wiederholung meiner auf dem Desinfektorentag ge¬ 
sprochenen Worte bin ich der Meinung, daß den Desinfektoren 
unter der Herrschaft der neuen Desinfektionsanweisung vom 
8. Februar 1921 durch Außführung der laufenden Desinfektion 
neben der praktisch doch mehr oder weniger beibehaltenen 
Schlußdesinfektion nicht nur kein pekuniärer Ausfall droht, 
sondern vielmehr eine größere Einnahmequelle erschlossen wird. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 3. Sitzung des Sächsischen Medizinal- 
beamten-Vereins vom 18. Oktober 1931. 

Die Sitzung fand im Hörsaal des Pathologischen Instituts des Kranken¬ 
hauses zu Dresden-Friedrichstadt unter dem Vorsitz des Geh. Med.-Rats 
Dr. S c h m o r 1 statt. Anwesend: 41 Mitglieder. 

I. Prof. Dr. Knhn: Die hauptsächlichsten Forderungen der Rassen- 
hjglene in Deutschland. Die rassenbygienischen Bestrebungen beginnen in 
Deutsehland mit dem Jahre 1891, in dem Schallmayer seine erste rassen- 
hjgienische Schrift veröffentlichte. Alfred Ploetz ist der Hanptträger der 
rassenbygienischen Bewegung in Deutschland geworden, aber bisher ist sie anf 
einen engen Kreis von Fachgesossen beschränkt. Es ist unbedingt notwendig, 
daß sie in die ärztlichen Kreise tief hineindringt. Die Studenten 
der Medizin müssen in den fachwissenscbaftlicben Vorlesungen über die Er¬ 
gebnisse der Vererbungswissenschaft unterrichtet werden und Bassenbygiene 
hören. Bisher wissen die Aerzte sehr wenig von den Vererbungsgesetzen. 
Prof. Dr. Baur schreibt mit Recht: „Es ist in höchstem Grade bedauerlich, 
daß unsere Aerzte noch sehr wenig von den Vererbungsgesetzen wissen 
und daß vor allem die junge Generation von Medizinern bente davon auf 
den Universitäten noch fast nichts lernt. Vor allem für die Diagnose¬ 
stellungen, besonders von Stoffwechselkrankheiten und Psychosen, aber aach 
sehr oft für die Therapie, wäre eine genauere Kenntnis der Vererbungs¬ 
gesetze im allgemeinen nnd der speziellen Vererbungsweise der einzelnen 
Krankheiten von der größten Wichtigkeit. Was auch in den besten unserer 
medizinischen Studentenlehrbücher über „hereditäre Krankheiten“ und unter 
ähnlichen Rubriken gesagt wird, mntet meist geradezu kläglich an.“ Man 
darf Banr das harte Urteil nicht verdenken; denn er ist nicht nur Botaniker, 
sonuern auch Arzt. 

Die Aerzte sind weiter in Fortbildungskursen mit der Rassen¬ 
hygiene vertraut zu machen, damit Bie in der Lage sind, dem heutigen Stand 
der Wissenschaft entsprechend Stammbaumaufnahmen vorznnehmen. 

Weiter mnß ein besonderer ärztlicher Berufszweig, die Eheberatung, 
ausgebildet werden. An den Universitäten und den Hochschulen sind all- 

f eineine Vorlesungen über Rassenhygiene za halten, nm zunächst 
ie Gebildeten über die Bedeutung des wichtigsten Zweiges der Hygiene anf- 
zuklären. Der Ein wand, daß die Lehren der Bassenbygiene und die Ver- 
erbungswissensebaft auch noch zu unsicher seien, ist zurückznweisen. Er 
wird nur von solchen Aerzten erhoben, die bisher noch keine Zeit gehabt 
haben, Bich mit diesen Dingen eingehend zu befassen. Es geht mit den Lehren 
der Rassenhygiene ebenso wie mit den Forderungen der übrigen Zweige der Hygiene, 
sie unterliegen dem dauemden Wechsel unserer Erkenntnis nnd Anschauungen. 

Der Redner erläutert sodann die wichtigsten Vererbungsfragen, 
insbesondere die Mendel sehen Gesetze. Wichtige Krankheiten mit rezessivem 
und dominantem Erbgang werden an der Hand von Stammbäumen erläutert. 
Er empfiehlt auf das wärmste das kürzlich erschienene Werk von Baur, 
Fischer, Lenz: „Menschliche Erblichkeitslehre“, das zur Einführung der 



16 


Bericht über die 3. Sitzung 


Aerzte in die Erblichkeitsfragen wie kein anderes geeignet ist. Folgende prak¬ 
tische Maßnahmen sind anznstreben: 

Die Bevölkerungspolitik im Reich, in den Einzelländern uud Ge¬ 
meinden muß nach rassenhygienischen Grundsätzen geführt werden; 
die Güte der Bevölkerung muß gegenüber der Masse betont werden. Alle 
Steuer- und Gehaltsfragen sind so zu lösen, daß sie rassenbygienisch 
gut wirken und die Frühehe ermöglichen. Die kinderreiche Ehe ist im Einklang 
mit der Verfassung zu bevorzugen. Steuergesetze wie das Gesetz über das 
Rcichsnotopfer und die Reichseinkommenstener sind zu bekämpfen, da sie 
Konkubinats- und Junggesellenprivilegien enthalten und verfassungswidrig 
sind. Die Schloßmannsche Forderung, daß jedes Einkommen und 
jedes Vermögen in jeder Steuerveranlagung in so vielen 
gleichen Teilen veranlagt wird, als Personen davon leben 
müssen, ist nach wie vor die Grundlage jeder gesunden und gerechten 
Steuerpolitik. 

Es muß dahin gestrebt werden, daß ärztliche Gesundheitszeugnisse 
beim Standesamt eingereicbt werden, ebenso ist die Einführung von 
Gesundheitsbogen (Gesundheitspässen) anzustreben, die bei der 
Geburt des Kindes angelegt werden und den Inhaber durch die Schule und 
das fernere Leben begleiten. 

Verbrecher und Geisteskranke sind soviel wie möglich zu 
sterilisieren und zu kastrieren, erstere mit dem eigenen, letztere mit 
dem Einverständnis der Vormünder und Verwandten. Die Durchführung dieser 
Maßnahmen wird den Sinn des Volkes auf eine zielbewußte Gattenwahl 
lenken. 

Amtliche Eleiratsvermittlung nach dem Magdeburger System, 
über das der Redner in der Zeitschrift „Oeffentliche Gesundheitspflege“ 1919 
eingehend berichtet hat, ist überall unter Wahrung rassenhygienischer Grund¬ 
sätze anzustreben. 

Die Freigabe der Abtreibung ist scharf zu bekämpfen. 

(Selbstbericht.) 

In der Aussprache, an der sich die Herren Hitsche, Heyn, Thiele 
und Stahl beteiligten, wird zum Ausdruck gebracht, wie notwendig es auch 
hinsichtlich der Eheb eratung sei, den Hausarzt wieder in seine Rechte ein¬ 
zusetzen, und daß noch vieles geklärt werden muß, bevor die theoretisch 
zweifellos richtiger Weise zu verhindernde Fortpflanzung krankhafter Eigen¬ 
schaften praktisch durchgeführt werden kann. Schon jetzt freilich müssen 
Mittel und Wege gefunden werden, das Schlimmste auBznschalten. 

In einem Schlußwort begrüßt Prof. Kuhn die Anregung, eine Ab¬ 
teilung der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene in Dresden zu be¬ 
gründen; er ist gern bereit, die Gründung zu geeigneter Zeit in die Hand zu 
nehmen. Er wendet sich gegen den Einwand, der immer wieder gegen die 
Rassenhygjene gemacht wird, als ob sie das Entstehen von bedeutenden 
Persönlichkeiten verhindern würde. Eine Eheberatungsstelle hätte die Geburt 
von Beethoven nicht verhindert, wohl aber sowohl den Eltern, als besonders 
dem Großvater wertvolle Aufklärung über die Folgen des Alkoholismus für 
die Nachkommenschaft gegeben. 

II. Regierungsmedizinalrat Dr. Kötscher: Psychopathen und Neurotiker 
im Strafvollzug. Der Vortragende erläuterte und umgrenzte zuerst den Be¬ 
griff der Psychopathie, der heute den naturwissenschaftlich anfechtbaren 
Begriff der sogen, geistigen Minderwertigkeit fast verdrängt hat. Wird man 
auch mit Ziehen von einer durch allerhand Lebensschicksale, besonders durch 
körperliche und psychische Traumen erworbenen Psychopathie sprechen können, 
so spielt aber doch bei ihr die erblich degenerative Konstitution, — auch wenn 
besondere Faktoren (z. B. die Pabertätsumwandlung) sie erst hervorgerufen 
zu haben scheinen —, die allergrößte Rolle. In der jüngsten Vergangenheit 
war es der Weltkrieg, der eine Anzahl psychopathischer und neurotischer 
Reaktionen hervortreten ließ. Während von Hause aus gesunde Persönlich¬ 
keiten doch einmal diese Folgen zu überwinden vermochten, steht eine große 
Anzahl brüchiger Individuen immer noch unter dem Eindruck längst ver¬ 
gangener Erlebnisse und vermag nicht oder nur unvollständig sich den nach- 



des Sächsischen Medizinalbeamten-Vereins. 


17 


kriegszeitlicben Zuständen genügend anznpassen and sich aalzaraffen, erwartet 
alles, Ton der Gesellschaft, begehrt Mitleid, Renten and sonstige Unter¬ 
stützung; ja nicht wenige von ihnen glauben zur Selbsthilfe schreiten za 
nässen, da sie sich von der Gesellschaft verlassen fühlen, and greifen za Ver¬ 
brechen oder propagieren den Umstarz. Unsere Gefängnisse sind überfüllt 
ron solchen Leaten; die Haft aber ist für sie ein neaes gewaltiges psychisches 
Traama, das von neaem zahlreiche psychopathische Reaktionen auszalösen 
pflegt. Von den echten angeborenen Psychopathen nar sehr schwer, oft aach 
gar nicht abzutrennen sind die erworbenen krankhaften Zustände, die man 
unter dem Namen der Neurosen znsammenzufassen pflegt. Auch bei ihnen 
ist gewöhnlich das normale Gleichgewicht zwischen Fühlen, Denken und 
Wollen ernstlich gestört oder dauernd labil, and so rechnet anser großer 
Meister Kräpelin selbst die Nervösen and Hysterischen, ja sogar die Zyklo¬ 
thymen and Paranoiker in gewissem Sinne mit unter die Psychopathen; er be¬ 
trachtet die Psychopathie geradezu als Vorstafe für derartige Erkrankungen. 1 ) 
Neurotiker, besonders Kriegshysteriker, füllen unsere Strafanstalten heute 
auch in zahlreichen Exemplaren; sie lassen sieb, als von Hanse aus erblich 
belastet, oft von den Psychopathen, wie gesagt, kaum trennen. Bei allen 
diesen Leuten spielt die Flacht in die Krankheit, wie sie die 
Freadsche Neurosenlehre schildert, die allergrößte Rolle; diese Flucht tritt 
bei ihnen ganz allgemeinen Unlastgefühlen gegenüber ein, wie sie gefährliche 
oder stark unangenehme Situationen auszulösen pflegen and gar nicht besonders, 
wie Freud eiuseitig meinte, etwa in der Hauptsache sexuellen Traumen 
gegenüber. Während des Krieges waren die Lazarette voll von solchen sich 
in die Neurose Flüchtenden. Insufflzienzgefühl and Begehrungsvorstellungen 
nach Hilfe und eventuell gar Rente lassen viele heute noch nicht den Weg 
zur Gesundheit oder Ordnung zurückfinden. Landeten sie im Gefängnis, so 
flüchteten sich diese psychopathisch Angegangenen natürlich alsbald erst recht 
in die mitleidigen Arme der Krankheit, una eine Flut von Klagen und Be¬ 
schwerden, von Bitten um Haftunterbrechung wegen angeblich schwerster Ge- 
sundheitaschädigung, um Befürwortung einer Begnadigung usw. brach über den 
einzigen Arzt so mancher überfüllten Riesenanstalt herein. Mit Ausbrüchen 
krankhafter Querulationen, psychopathischer Affekte bis zu Wut- und Tob» 
Suchtsanfällen, mit Disziplinlosigkeit bis zu gefährlichen Angriffen bekam der 
Arzt und bekamen die Beamten in nie geahntem Maße zu tun; für alle Unlust- 
zustände wurde aber die Hilfe gerade des Arztes kategorisch gefordert und 
an seine Arbeits- und Nervenkraft die allerhöchsten Ansprüche gestellt. Der 
psychiatrisch geschulte Arzt hat ja auch allein die Vorbildung, diese Zu¬ 
stände richtig einzusebätzen und zu bewerten, er allein kann ihre zweck¬ 
entsprechende Behandlung leiten; er allein kann feststellen, wann die patho¬ 
logischen Reaktionen die für die Psychopathen so nahe Grenze nach der 
Psychose hin überschreiten. 

Der Vortragende schildert hierauf das Benehmen der Psychopathen und 
Neurotiker in der Haft im einzelnen, hält dabei aber daran fest, daß ihre 
rechtliche und sittliche Verantwortlichkeit für gewöhnlich sicher größer ist 
als die bei ausgesprochene Geisteskranken, für die unser Gesetz mit Recht 
völlige Unzurechnungsfähigkeit annimmt. Immerhin ist bei den Neuropathen 
die Widerstandskraft gegen verbrecherische Anreize durch innere seelische 
Momente meist mehr oder weniger herabgesetzt. Für sie ist also der Begriff 
der „verminderten Zurechnungsfähigkeit" völlig berechtigt. Um so gefäbr- 
licher pflegen aber solche Menschen zu sein und „mildernde Umstände" werden 
ihrer Persönlichkeit ganz und gar nicht gerecht. Sie gehören in Sonder¬ 
anstalten mit einer ihrer Eigenart angepaßten speziellen Behandlung, die 
nur ein erfahrener Psychiater zu leiten vermag, und wo sie so lange bleiben 
müssen, als sie antisozial erscheinen. Unser heutiger Strafvollzug aber macht 
diese Leute nur-überreizter, kränker und asozialer; er läßt sie mit fast sicherer 
Aussicht auf neue Gesellschaftsschädigungen ganz schematisch wieder in die 
Freiheit. 

Vortragender zählt dann die verschiedenen Typen der Psycho¬ 
pathen auf, beschreibt ihre Erkennung, die nur einem Psychiater möglich ist, 


') Lehrbuch der Psychiatrie; 8. Auflage, IV. Band, 8.1976. 



18 


Fortbildungskurs für Kreisärzte. 


schildert die aktiven Rohlinge und die passiven Uebererregbaren, nennt dio 
einzelnen Symptome und würdigt die Wirkung des speziellen Qefängnismilieus 
auf diese Leute und ihre Krankheitserscheinungen. Besonders wird der Ernährung 
und dann der Arbeitszuteilung gedacht, die in ihrem heutigen mechanischen Zwang 
fern von ermüdender körperlicher Ausarbeitung an frischer Luft geradezu Gift 
für Psychopathen und Neurotiker zu sein pflegt. Aber auch auf die Schwierig¬ 
keiten der Disziplin und auf die Unzweckmäßigkeit, ja Gefährlichkeit ernsterer 
Disziplinarstrafen, wie einsame Einsperrung in Dunkelarrest mit hartem Lager 
und Kostbeschränkung u. dergl. m., wird hingewiesen. Das Für und Wider der 
Einzel- und der Gemeinschaftshaft bei Neurotikern wird abgewogen, das aus 
dem an sich meist tüchtigen Unteroffizie^stande hervorgegangene Personal 
lobend erwähnt, aber doch nicht verkannt, daß seine psychologische Vorbildung 
Psychopathen gegenüber ganz ungeeignet ist und ein richtiges Verständnis für 
krankhafte Aeußerungen ihm erst oft mühevoll mit mehr oder weniger Erfolg 
anerzogen werden muß. 

Die häufigsten Geistesstörungen der Psychopathen werden 
kurz gestreift, der „Gefängnisknall“ und seine Behandlung beschrieben, ferner 
die wahnhaften Einbildungen, die Anstaltshypochondrie und die Selbstmord¬ 
gefahr. Mit ihren zahlreichen Störungen werden alle diese schweren Psycho¬ 
pathen und Neurotiker, die immer an der Grenze der Psychose herumpendeln, 
zum Schrecken der Anstaltsbeamten; sie werfen jede Disziplin über den Haufen. 
Sie gehören eben nicht unter die Disziplinargewalt von medizinischen Laien, 
sie gehören aber auch nicht in die Irrenanstalt, die ja auf möglichst freie 
Behandlung unbescholtener Personen eingestellt sein muß. Sie gehören vielmehr 
in besondere Anstalten, die sich am besten in der Nähe der großen Strafanstalten 
befinden. Eine richtige Arbeitstherapie — auch unter gewissem Zwang — 
ist dort vor allem wichtig. Von der Sonderanstalt aus können auch Urlaubs- 
versuche gemacht werden; denn selbst der geborene Psychopath muß ja nicht 
Sein ganzes Leben hindurch gleichermaßen erregt, ja nicht einmal immer ein 
antisozialer Mensch bleiben. Es gibt auch für sie eine gewisse Seelenortho¬ 
pädie. Vor allem aber ist von vornherein nie eine gewisse seelische Spät- ' 
reifung ausgeschlossen. Freiluftarbeit muß auch in diesön Adnexen bei Gefäng¬ 
nissen unbedingt möglich gemacht werden. 

Eine künftige Gesetzgebung wird den Psychopathen und Neuro¬ 
tikern ganz anders gerecht werden müssen, als es heute der Fall ist. Arzt 
und Richter müssen in dieser Hinsicht Zusammenarbeiten. „Wie eine Kultur 
mit ihren Antisozialen fertig wird und wie sie die Gesellschaft zu schützen 
vermag, auch daran zeigt sich ihre Höhe und ihre Reife. Möchte Deutschland 
zeigen, daß es trotz aller Schicksalsschl&ge immer noch in der Kultur voran¬ 
geht!“ (Selbstbericht.) 

(Der Wortlaut des Vortrages wird in einer Fachzeitschrift veröffentlicht 
werden.) 

III. Geh. Med.-Rat Dr. Schmorl: Pathologisch-anatomische Demon¬ 
strationen. Schmor 1 zeigte Präparate von Erhängten, von Schuß in die 
Aorta und ins Herz sowie Stich ins Herz, beide mit langsamem Tode, Ver¬ 
änderungen des Magens bei Vergiftung mit Lysol, Salzsäure und Cyankali, 
kleine Blutungen in den Papillarmuskeln des Herzens nach C 0 Vergiftung 
sowie Organe der jetzt häufigen akuten gelben Leberatrophie nach Salvarsan- 
behandlung eines Syphilitischen, verbunden mit Milztumor, Nephritis und 
Blutungen an der Hinterfläche des Herzens. Er demonstrierte dann mit dem 
Projektionsapparat Präparate von Kriegsnephritis, rheumatischer Myocarditis, 
einem Erweichungsherd im Linsenkern, von Typhusgeschwüren der Gallenblase 
und Entzündung der Gallenblase bei Gallensteinen. G. Ilberg. 


Fortbildungskurs für Kreisärzte. 

In der Zeit vom 21. November bis 10. Dezember 1921 hat in Berlin ein 
Fortbildungskurs für Kreisärzte stattgefunden, zu dem 32 Kreis¬ 
ärzte einberufen waren. 

Die Vorträge fanden in der Hauptsache im Institut für Infektionskrank¬ 
heiten, im Institut für Staats-Arztneikunde, im hygienischen Universitäts-Institut 
und in der Landesanstalt für Wasserbygiene statt. 



Fortbildungskurs für Kreisärzte. 


19 


Die Vorträge im Institut „Bobert Koch" (Neufeld, Koch, 
Morgenroth, Otto, Friedemann, Schilling und Gins) behandelten 
•»gewählte, für den Medisinalbeamten besonders wichtige Kapitel, von denen 
die Ausführungen über Fleckfieber, Encephalitis lethargica, Malaria, Lyssa und 
die neuesten Forschungen über die Syphilis Spirochäte besonderes Interesse 
beanspruchten. An die Vorträge im gerichtsärztlichen Institut 
(Strassmann) schloß sich eine Demonstration der neuzeitlichen, demnächst 
zur Einführung gelangenden Obduktionstechnik an; besonders noch zu erwähnen, 
ist die Technik der Eröffnung der Herzhöhlen bei Verdacht auf Luftembolie 
In den h ygienischen Vorträgen (Heymann und Korf-Petersen) 
wurden aasgewählte Kapitel, besonders der Wohnungs-, Nahrungsmittel- und 
Schulhygiene behandelt. Im Institut für Wasserhygiene (Beninde, 
Thomm, Klut und andere) gelangte in großen Zügen das ganze Gebiet der 
Wasser- and Abwasserfrage zur Besprechung. 

Weiter fanden anregende Vorträge und Vorführungen auf dem Gebiet 
der Tuberknlosefürsorge (Kayserling) in der Fürsorgestelle der 
Landesversicherungsanstalt Berlin und auf dem der Säuglingsfürsorge 
(Langstein) im Kaiserin Augusta Viktoria-Haus statt'; besonderes Interesse 
beanspruchten auch die außerordentlich belehrenden Vorgänge über Krüppel¬ 
fürsorge (Biesalski) im Oskar-Helene-Heim in Dahlem. 

Es sind weiter zu erwähnen die anregenden Vorträge über Medizinal- 
Statistik (Gottstein), über Bevölkerungspolitik und Kranken- 
hauswesen (Krohne), über Seuchenbekämpfung (Lentz), über 
Tuberkulosefürsorge (König), über das Versorgungswesen 
(Martinek), über Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
(Boeschmann), über Nahrungsmittelhygiene (Juckenack), über 
Leibesübungen (Mallwitz) und über psychotechnische Berufs¬ 
beratung (Moede). 

Ueber soziale Hygiene trug an Hand eines großen statistischen 
Anschauungsmaterials in mehreren Vorlesungen Grotjahn vor. Die hier ge¬ 
gebenen Ausführungen boten, gerade weil sie oft im Gegensatz zu den bisher 
geltenden Ausführungen über die Probleme der sozialen Hygiene standen, 
allerlei Anregendes; leider schloß sich gerade an diese Vorträge eine allge¬ 
meine Diskussion nicht an. 

Besondere Aufmerksamkeit beanspruchten die Ausführungen Martineks, 
die den begründeten Eindruck hinterlassen mußten, daß die Ziele des Beichs- 
arbeitsministerinms im Interesse eines Ausbaues des Einflusses der Versorgungs¬ 
ämter und ihrer Aerzte auf die Dauer mit den berechtigten Interessen der 
Medizinalbeamten kollidieren müssen. 

In dem Kurs ist über gerichtliche Psychiatrie leider nur eine 
klinische Vorlesung in der Gharitö gehalten worden. 

Besonders hervorzuheben sind weiter die von Geheimrat Dr. Dietrich 
veranlaßten und geleiteten Besprechungen im Wohlfahrtsministerium über 
eine große Beibe für den Medizinalbeamten wichtiger Fragen. Die in unge¬ 
zwungener Weise geführte Aussprache bot allen Beteiligten mancherlei An¬ 
regungen; eingehend wurden auch die neuen Besoldungs- usw. Verhältnisse 
der Kreisärzte zur Aussprache gebracht. 

An freien Nachmittagen fanden noch mehrfach Besichtigungen von 
Wohlfahrtseinrichtungen statt. 

Die Kursteilnehmer fanden sich des öfteren mit ihren Dozenten abends 
zu einem Glase Bier zusammen; am Schluß des Kurses fand ein kleines gemein¬ 
schaftliches Abschiedsessen statt. Es wurde bei dieser Gelegenheit durch den 
von uns gewählten Obmann (Brieger-Landeshut) das Verdienst des Geheimrat 
Dr. Dietrich für das Zustandekommen und aie Durchführung des Kurses 
hervorgehoben. Die Teilnehmer an dem dreiwöchigen Fortbildungskurs haben 
Veranlassung, trotz mancher Schwierigkeiten, wie sie jetzt ein längerer Auf¬ 
enthalt in Berlin mit sich bringt, mit Befriedigung auf diese Zeit zurftck- 
zublicken. Kracmer-Calbe/Saale. 



20 


Besprechungen. 


Besprechungen. 

Prof. Dr. A. H&bner, Oberarzt der Klinik für Psychisch- und Nervenkranke 
in Bonn: Das Eherecht der Geisteskranken und Nervösen. Bonn 1921. 
A. Marens & E. Webers Verlag. Preis einschl. Tenernngsznschlag 
14,30 M. 

Unter besonderer Berücksichtigung der Bechtsprechnng der. obersten 
Gerichte gibt Verfasser eine knappe zosammenfassende Darstellung seiner 
praktischen Erfahrungen, die er auf dem Gebiete des Eberechts der Geistes¬ 
kranken und Nervösen seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches gemacht 
hat, um dadurch die richtige Beurteilung des Ejnzelfalls dem ärztlichen Sach¬ 
verständigen und dem Juristen zu erleichtern. Gleichzeitig macht er auf ge¬ 
wisse Unstimmigkeiten zwischen Theorie und praktischem Leben aufmerksam, 
die bei einer künftigen Abänderung des Eherechts Beachtung verdienen. 
Psychologie und Psychopathologie müssen nach Hübners Ansicht in enger 
Gemeinschaft mit der Bechtswissenschaft bestrebt sein, naturwissenschaftliche 
Grundlagen für die Gesetzgebung der Zukunft vorzubereiten und zugleich die 
verständnisvolle Anwendung des gültigen Hechts zu erleichtern. Dazu wird 
seine sehr lesenswerte Abhandlung jedenfalls sehr geeignet sein; sie wird aber 
auch dem gerichtsärztlichen Sachverständigen sehr wertvolle Anhaltspunkte für 
die Begutachtung derartiger, oft nicht leicht zu beurteilender Fälle geben. Bpd. 


Dr. H. Rolileder, Spezialarzt für Sexualleiden in Leipzig: Die Masturbation. 
Eine Monographie für Aerzte, Pädagogen und gebildete Eltern. Vierte, 
verbesserte und vermehrte Auflage. Berlin; 192f. Fischers med. Buch¬ 
handlung (H. Kornfeld). Gr. 8°; 384 Seiten. Preis: 50 M., geb. 50 M. 

Mit Recht sagt der Geh. Oberschulrat Prof. Dr. Schüller-Gießen in 
einem dem vorliegenden Buche beigegebenen Vorwort, daß die Masturbation 
ein unerfreuliches und düsteres Kapitel des Jugendalters bildet, ihre Be¬ 
kämpfung und Beseitigung äußerst schwierig ist, und sich nur durch 
zielbewußte und gemeinsame Tätigkeit der dabei in Betracht kommenden 
Faktoren, Eltern, Aerzte und Lehrer erreichen läßt. Dazu gehört aber vor allem 
eine genaue Kenntnis aller hierbei in Betracht kommenden Fragen. Dieser Un¬ 
kenntnis bezw. mangelhaften Kenntnis Abhilfe zu schaffen, ist das Ro hie der sehe 
Buch in vorzüglicher Weise geeignet. Die Anordnung und Einteilung des 
Stoffes ist die gleiche wie bei den früheren Auflagen geblieben; überall merkt 
man aber die verbessernde Hand des Verfassers, um den Inhalt seiner Schrift 
mit den Ergebnissen und Fortschritten der Sexualwissenschaft in Einklang zu 
bringen und gleichzeitig seine reichen praktischen Erfahrungen zu verwerten. 
So kann man nur von neuem wünschen, daß auch die neue Auflage eine recht 
große Verbreitung in den beteiligten Kreisen finden möge ! Rpd. 


Prof. Dr. Karl Thomm, Abteilungsdirektor der Landesaustalt für Wasser- 
bygiene zu Berlin-Dahlem: Die Kaliwerke und ihre Abwässer. Nach 
einem im Wasserwirtschaftlichen Ausschuß des vorläufigen Reicbswirtschafts- 
rats am 23. März 1921 in Staßfurt gehaltenen, auf Giund besonderer Wünsche 
ausführlicher bearbeiteten Vortrag. Mit 5 Tabellen und 3 Abbildungen im 
Text Verlag von Julius Springer. Berlin 1921. 8 # ; 60 8. Preis: 
geh. 16 M. 

Kali ist einer der wenigen Rohstoffe, die Deutschland besitzt, und seine 
Gewinnung müßte deshalb gerade jetzt mit allen Mitteln gepflegt und ge¬ 
fördert werden. Leider setzt dem die Notwendigkeit der Beseitigung großer 
Mengen von Abwässern (Schachtwässer, Endlaugen, Haldenwässer) eine scharfe 
Grenze. Diese Abwässer können nämlich bis jetzt nur in sehr geringem Um¬ 
fang nutzbar gemacht werden, und an den Bau eines besonderen Kanals zu 
ihrer Ableitung aus dem Gebiet der Weser und Elbe in die Nordsee kann nicht 
mehr wie vor dem Kriege gedacht werden. Es bleibt daher nur ihre Ein¬ 
leitung in die öffentlichen Flüsse übrig. In diesen erhöhen sie, selbst fäulnis¬ 
unfähig und nicht abbaubar, den Chlorgehalt und die bleibende Härte und 
machen diesen Einfluß über den ganzen Stromverlauf bis zur Mündung 
geltend. Dadurch werden wichtige Störungen bedingt für Städte und Ort¬ 
schaften, die genötigt sind, ihr Trinkwasser aus den betreffenden Flüssen zu 



Besprechungen. 


21 


entnehmen, für Landwirtschaft, Fischerei and manche Gewerbe, namentlich 
wegen des Kesselspeisewassers. Den Kaliwerken sind hieraus viele and scharfe 
Gegner entstanden, and die Entscheidung der hierdurch bedingten Streitfragen 
hat viele Gerichte and Verwaltungsbehörden im Reich und in den Ländern 
and viele Sachverständige and Gutachter beschäftigt. Es ist daraus eine große 
Literatur erwachsen. 

Als Wegweiser in diesen schwierigen und verwickelten Fragen ist die 
Schrift des Verfassers gans besonders geeignet, weil er durch vieljährige Be¬ 
schäftigung damit einer der besten Kenner dieses Gebiets und mit allen hier 
im ganzen und im einzelnen in Betracht kommenden Verhältnissen genau ver¬ 
traut ist, und weil er den Stoff musterhaft klar und übersichtlich geordnet 
und bei aller Kürze erschöpfend dargestellt hat. 

Als Angelpunkt bezeichnet er selbst, die Abwassermenge des einzelnen 
Kaliwerks so za bestimmen, daß durch die Zuwachs- und Höchstversalzung 
dem Bedürfnis der Kaliindustrie Rechnung getragen, aber trotzdem das 
Interesse der anderen Beteiligten, der Städte, Landwirtschaft, Fischerei und 
Gewerbebetriebe gewahrt wird. Er stellt für die Beseitigung der Abwässer 
4 Leitsätze und für die Verleihung des Rechts zur Abwassereinleitung in die 
Vorfluter 10 Richtlinien auf, die er näher begründet und erläutert. 

Entstanden ist die Schrift dadurch, daß nach dem Vortrag in Staßfurt 
vor dem wasserwirtschaftlichen Ausschuß des Reichswirtschaftsrats der all¬ 
gemeine Wunsch entstand, das Gehörte festgehalten und durch Angaben über 
die Kalirobsalze, ihre Verbreitung, Gewinnung und Verarbeitung vervollständigt 
za sehen. 

Nicht bloß der Fernerstehende kann daraus Aufklärung and Verständnis 

f ewinnen, auch den Beteiligten wird die Möglichkeit gegeben, die Beziehungen 
er Kaliwässer nach den verschiedenen Seiten hin im großen und kleinen klar 
zu übersehen und unter Benutzung der Hinweise auf die Literatur sich über 
Unterfragen eingehender zu unterrichten. Für den Medizinalbeamten gibt es 
keinen besseren Weg, sich schneU and gründlich über den jetzigen Stand der 
hier in Betracht kommenden Fragen Aufschluß zu verschaffen. 

Dr. G1 o b i g - Berlin. 

Profi Dr. B. Ohojos- Berlin-Schöneberg, Arzt und Dozent an der Technischen 
Hochschule in Charlottenburg: Kompendium der Sozialen Hygiene. 

Mit 3 Kurven und 53 Tabellen. Berlin; 1921. Fischers medizinische 
Buchhandlung (H. Kor nfeld). Gr. 8°; 168 S. Preis: geb.: 36 Mark. 

In 10 Kapiteln behandelt Verfasser das nach seiner Ansicht der sozialen 
Hygiene zufallende Arbeitsgebiet: Medizinalstatistik, soziale Hygiene der Woh¬ 
nung und der Ernährung, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Alkoholismus, 
soziale Hygiene des Kindesalters und der Arbeit (Berufshygiene), Schutz der 
Berufstätigen und Fortpflanzungshygiene. Er beschränkt sich dabei auf die 
grundlegenden Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der sozialen Hygiene, die 
diese jedoch fast ausschUeßcnd der wissenschaftlichen und praktischen Hygiene 
zu verdanken hat. Seine durchaus sachkundigen Ausführungen sind nicht nur 
für Aerzte bestimmt, sondern wenden sich an alle, die sich mit der sozialen 
Hygiene zu beschäftigen haben. Das Kompendium gibt einen recht guten, 
kurzgefaßten und klaren Ueberblick über die Aufgaben auf den in betracht 
kommenden Gebieten; es kann deshalb den beteiligten Kreisen nur empfohlen 
werden. Rpd. 

Br. Georg KüJmem&nn, San.-Rat in Berlin - Zehlendorf: Differential- 
Diagnostik der inneren Krankheiten. 6. und 7. Auflage. Durchschossen. 
Leipzig 1921. Verlag von Joh. Andr. Barth. Gr. 8°; 242 Seiten. Preis: 
geb. 25 Mark. 

Die neue Doppelauflage ist zwar einer gründlichen Durchsicht unter¬ 
worfen, hat aber im übrigen keine größeren Umarbeitungen und Veränderungen 
erfahren. Sie entspricht gleichwohl auch dem jetzigen Stande der Wissenschaft 
und gewährt dem praktischen Arzte in zweifelhaften und schwierigen Fällen 
eine zuverlässige Orientierung, die durch zahlreiche im Text angefügte 
differential-diagnostische Tabellen wesentlich erleichtert wird. Rpd. 



22 


Tagesnachrichten. 


Tagesnachrichten. 

Der Reichstagsausschuß fttr die Branntweinmonopol¬ 
vorlage hat bestimmt, daß ans den Monopoleinnahmen jährlich 15 Millionen 
Mark zar Bekämpfung der Trunksucht und 5 Millionen zur Bekämpfung 
der Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten zu verwenden sind. 


Nachrichten der Tageszeitungen zufolge hat der preußische Gesund¬ 
heitsrat seine Beratungen über den Entwurf eines preußischen Tnberkulose- 
gesetzes abgescblbssen. Das Wohlfahrtsministerium wird nunmehr den Gesetz¬ 
entwurf fertigstellen und ihn baldmöglichst dem Staatsministerium zur Beschlu߬ 
fassung vorlegcn. 

So sehr Not ein Tuberkulosegesetz tut, hätten wir doch gewünscht, 
daß es ein Reichs-Gesetz wurde! 


Der neue Entwurf eines Hebammengesetzes ist jetzt dem preußischen 
Landtage vorgelegt._ 


Vom Reichsgesundheitsrat sind Richtlinien für die Anwendung 
des Salvaraanpräparats ausgearbeitet und veröffentlicht, die jeder Packung 
eines Salvarsanpräparates in Abdruck beigefügt werden, so daß sich eine Ver¬ 
öffentlichung in dieser Zeitschrift erübrigt. 


Der Verein der beamteten Tierärzte der Provinz Westfalen hat in 
seiner kürzlich in Dortmund abgehaltenen Versammlung beschlossen, dahin 
zu streben, daß die nicht rollbesoldeten Kreistierärzte nach einem be¬ 
stimmten Dienstalter auch in die XI. Besoldungsgruppe aufrücken, d. b. 75% 
des Gehaltes dieser Gruppe erhalten und sämtlichere g.-undVeterinär- 
räte der Gruppe XII zugeteilt würden. Als Amtsbezeichnung wird die 
Bezeichnung „Regierangsrat“ fttr die Kreistierärzte und „Oberregierungsrat“ 
oder „Oberregierungs- und Veterinäirat“ für die Regierungs- und Veterinär¬ 
räte gefordert; also Forderungen, die sich vollständig mit denen decken, die 
von den Preußischen Medizinalbeamten auf der Hauptversammlung in Nürnberg 
und auf dem Vertretertage gestellt sind, abgesehen von der dort abgelehnten 
Amtsbezeichnung „Reg.- und Medizinalrat“ fttr die Kreisärzte. Zur Erreichung 
ihrer Wünsche beabsichtigen die Kreistierärzte in gleicher Weise wie die Medi¬ 
zinalbeamten vorzugehen; es wird deshalb auch der Wansch einer gegen¬ 
seitigen Fühlung wenigstens in allen denjenigen Fragen gehegt, bei denen sich 
die beiderseitigen wirtschaftlichen und Standesinteressen decken. 


'Der „Reichsmedizinalbeamtenbund (R. M. B.), unter dessen 
Namen sich die dem Reicbsarbeitsministerium unterstellten Versorgungsärzte 
zu einem Verein zuBammengeschlossen haben, fühlt als jüngster Verein be¬ 
amteter Aerzte das Bedürfnis, einen Zusammenschluß aller bestehenden Ver¬ 
eine, Verbände usw. beamteter Aerzte herbeizuführen, um in den Reichsband 
höherer Beamten nnd in seinem Neuaufbau als „tragende Säule des Ganzen“ 
die Berufsgrnppe „Medizin“ unbedingt zar Anerkennung zu bringen and 
durchzusetzen. Er hat deshalb eine Aufforderung dazu in verschiedenen Zeit¬ 
schriften erlassen und bittet die beteiligten Kreise sich alsbald mit seiner 
Leitung, Reg.-Med.-Rat Dr. Heinemann-Grad er in Berlin in Verbindung 
zu setzen. Bei den preußischen and sonstigen deutschen Medizinalbeamten 
wird er hierbei wenig oder gar keine Gegenliebe finden. Wie aus einem 
uns zugegangenen Schreiben des Bernfsvereins höherer Kommunal beamten 
Deutschlands, unterschrieben von Prof. Dr. S a 11 a n, dem ärztlichen Mitglieds 
des Beamtenbandes, hervorgeht, steht dieser aber auch auf völlig ablehnendem 
Standpunkte. Nach seiner Ansicht würde eine solche „Berufsäule“ nur zu innerem 
Streit und Eifersüchteleien, aber nicht zu einer geschlossenen Gesamtwirkung 
führen. Prof. Dr. Sa 1 tan warnt deshalb alle städtischen Aerzte sowie die 
Aerzte der Provinzialverwaltungen dringend, derartigen Bestrebungen ihre 
Unterstützung zu gewähren. 



Tagesmachrichten. 


23 


SOj&hrigei Doktoijubilänni. Am 21. Dezember v. J. hat Herr Geh. 
Med.-Rat Dr. Banlick in Frankfurt a. 0. sein fünfzigjähriges Doktorjnbilänm 
gefeiert. Er ist einer von den wenigen noch lebenden Medizinalbeamten, die 
den Preußischen Medizinalbeamtenverein mitbegrflndet und seinen Bestrebungen 
stets das größte Interesse entgegengebracht haben. Mehrmals hat er auch 
dem Vorstande als Mitglied angehört (1896—98 und 1899—1900), also gerade 
su der Zeit, als die Beratungen über die Medizinalreform, insbesondere über 
das Kreisarztgesetz stattfanden. Bar nick hat damals die Ziele des Vereins 
ia der tatkräftigsten Weise unterstützt, wofür ihm dieser noch jetzt zum 
größten Danke verpflichtet ist In allen seinen amtlichen Stellungen (zuerst 
aktiver Stabsarzt, dann Kreisphysikus in Flensburg, seit 1692 Reg.- und 
Med -Rat zuerst in Marienwerder und später in Frankfurt a. 0.; langjähriges 
Mitglied des Reichsgesundheitsrats) hat er sich infolge seiner außerordentlichen 
wissenschaftlichen wie praktischen Tüchtigkeit, seiner großen Pflichttreue und 
zielbewußten Tätigkeit des größten Ansehens bei allen Behörden und Beamten 
erfreut Namentlich gilt dieses von den Medizinalbeamten, nicht nur seines 
amtlichen Wirkungskreises, sondern auch darüber hinaus; bei allen genießt er 
wegen seiner Gerechtigkeit persönlichen Liebenswürdigkeit und menschenfreund¬ 
lichen Gesinnung uneingeschränkte Achtung und Verehrung. Das hat sich 
auch recht deutlich am Tage seines Jubiläums gezeigt, wo ihm von allen 
8eiten die herzlichsten Glückwünsche entgegengebracht sind. Mögen alle diese 
Glückwünsche in Erfüllung gehen und dem Jubilar noch viele Jahre in der 
gleichen körperlichen und geistigen Frische wie bisher vergönnt sein, zur 
großen Freude seiner Familie und seiner zahlreichen Freunde, insbesondere 
auch des Herausgebers dieser Zeitschrift dem der Jubilar viele, viele Jahre 
hindurch ein lieber und treuer Freund gewesen ist und hoffentlich auch noch 
manches Jahr bleiben wird! 


Nachruf. Am 21. Dezember v. J. ist H. Med.-Rat Dr. Leske, Kreisarzt 
in Liegnitz, nach kurzer Krankheit im Alter von 68 Jahren verstorben. 8ein 
% Tod wird alle diejenigen Kollegen besonders schmerzlich berühren, die ihn 

auf dem kurz vorher abgehaltenen Vertretertage in Berlin in voller geistiger 
und körperlicher Frische kennen und schätzen gelernt haben. Er war einer 
unserer tüchtigsten Medizinalbeamten, der in seinem Amtsbezirk sehr segens¬ 
reich gewirkt hat und dessen Andenken deshalb in weiten Kreisen, vor allem 
aber bei seinen Amtskollegen allezeit hoch in Ehren gehalten werden wird! 


TedesfalL Der langjährige Herausgeber der „Sozialen Praxis“, Prof. 
Dr. Ernst Francke, Mitglied des Reichswirtscbaftsrats, ist im 70. Lebensjahr 
in Berlin nach längerem Leiden gestorben. Sein Tod bedeutet einen großen 
Verlust, galt der Verstorbene doch als der Altmeister der deutschen Sozial¬ 
reform, ein geistvoller Redner und warmherziger Förderer aller auf Arbeiter- 
schütz, Arbeiterversicherung und Jugendfürsorge gerichteten Bestrebungen. 


Die diesjährige Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher 
und Aerzte wird die Hundertjahrfeier der Gesellschaft darstellen und 
deshalb vom 17.—23. September d. J. in Leipzig stattfinden, wo die 
Gesellschaft vor 100 Jahren gegründet ist und die erste ihrer Wanderversamm- 
lnngen abgehalten hat. Mit der diesjährigen Tagung wird eine große Aus- 
£ Stellung verbunden sein. Die Geschäftsstelle befindet sich in Leipzig, 

Nürnbergerstraße Nr. 48/L Auskunft erteilt auch die Akademische Auskunfts¬ 
stelle in Leipzig, Schillerstraße Nr. 7 und in Ausstellungsangelegenheiten 
H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 8udhoff, Talstr. 88. 


Der Reichsrat bat jetzt die Prüfungsordnung für Apotheker dahin 
abgeändert, daß nunmehr der Lehrling durch den Praktikanten, der 
Gehilfe durch den Assistenten ersetzt wird. Damit dürfte oft geäußerten 
Wünschen aus Apotheker kreisen genügt werden, wenn die neuen Bezeichnungen 
allerdings, wenigstens was die Bezeichnung „Praktikant“ anbetrifft, nicht den 



24 


Tagesnachrichten. 


bisherigen entsprechen; denn unter einem „Praktikanten" versteht man doch 
Jemanden, der schon etwas gelernt hat and seine erworbenen Kenntnisse 
praktisch betätigen will, aber nicht Jemanden, der erst etwas lernen will. 


Gedenkblatt für die preußischen Hebammen. Nach einem Erlaß des 
Preußischen Ministers des Innern vom 22. Mai 1919 wurde den Hebammen 
nach Fortfall der Broschen, wie sie ihnen früher nach 40jähriger Dienstzeit 
verliehen worden waren, ein von dem betr. Oberpräsidenten ansznfertigendes 
Anerkennungsschreiben für einwandfreie 40jährige Dienstzeit übergeben. 
Diese Anerkennungsschreiben konnten sich keiner besonderen Beliebtheit erfreuen, 
um so weniger, als deren Form gar zu einfach gehalten war. Erfreulicher¬ 
weise hat der gegenwärtige Minister für Volkswoblfahrt, von verschiedenen 
Seiten dazu angeregt, in einem Erlaß vom 10. Dezember 1921 an die Ober¬ 
präsidenten kundgetan, daß nunmehr ein Gedenkblatt in künstlerischer Aus¬ 
führung mit einem in gefälliger Schrift bergestellten Wortlaut, von ihm selbst 
eigenhändig unterschrieben, den Hebammen, die auf eine 40jährige Dienstzeit 
zurückblickcn, übergeben werden soll, und zwar in feierlicher Form vom Landrat 
bezw. Bürgermeister im Beisein des Kreismedizinalrats oder von letzterem selbst. 
Es ist anznnebmen, daß die Hebammen, die die Broschen früherer Zeiten in 
hohen Ehren gehalten haben, den Herrn Minister für diese, treue Dienstleistung 
anerkennende Kundgebung dankbar sein werden. 


Mitteilung. 

Das Personalverzeichnis der MedizinalbehÖrden 
und Medizinalbeamten in Preussen (einschliesslich 
derjenigen des Deutschen Reiches) sowie das Verzeichnis der 
Vorstände des Preussischen Landes-Medizinalbeamtenvereins 
und der Bezirks - Medizinalbeamtenvereine wird voraus¬ 
sichtlich Ende der nächsten Woche zur Versendung gelangen. 
Eine Zahlkarte über 7,50 Mark (6 Mark für das Ver¬ 
zeichnis und 1,50 Mark für Porto und Versendungskosten) 
wird dem Verzeichnis beigefügt 



Mit Rücksicht auf die außerordentliche Erhöhung der 
Portokosten werden künftighin Rückfragen nur beantwortet, 
wenn die für die Antwort erforderlichen Briefmarken oder ein 
freigemachter Umschlag beigefügt sind. 


Verantwortlich für die SehrifUeltniif: Prof. Dr. Btpmond, Geh. Med.-Rat in Llppepringe. 
Druck ton J. C. C. Bruns, Minden i. W. 

















35. Jahrg. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte, 


Nr. 2. 


INHALT. 


lfehuUoB|«a: 

Der neue Haushaltsvorscblag dei preußischen 
Ministeriums für Volkswohlfahrt, ins¬ 
besondere der Abteilung für Volksgesund¬ 
heit, für das Jshr 1922/23. Vom Heraus- 

(Ober.•'. 

Die Beratung 1 des Preußischen Landtages 
über den diesjährigen Haushalt des 


Mlniiteriums für Volkswohfahrt von 
29.(80. November und 6. Dezember v. «1. 
Vom Herausgeber.31 

Tagesnjiolirlohten.54 

Beilage s 

MedUlnalgesetsgebung.9 


OeccbSftMtelle und Versand für die Mitglieder des Medliinalbeamten- 
vereine durch 3 . C. C. BRÜNS, Buchdruckerei, MINDEN i. WE8TF. 


Alleinige Anzeigeo-Annahme und verantwortlich für den Anzeigenteil 
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, WilhelmstraBe 28. 


Personalien. 

Deutaohee Reich und Prenasen. 

Ernannt: Die praktischen Aerzte Dr. Walter Pieper znm Kreis¬ 
assistenzarzt des Kreises Lyk mit dem Amtssitz in Prostken, Dr. Ernst 
Boehnke znm Kreisassistenzarzt and kommissarischen Kreisarzt des Kreises 


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25 Tabletten ä 0,1 g M. 4.80) oder als Mixturen mit 
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Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


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SeWeiaiiz mit dem Amtssitz in Ketzberg a Elster, Br. BScbard Weber zum 
Xreis&aais tonzarzt beim Polizeipräsidenten in Berlin, Dr. S c hl ap p, Assistent am 
hygienischen Inst'itot in Breslau zum Assistenten beim MedmnalnnteiraaehuBßs- 
sa§ m Koblenz, Dr. Schnabsl, erster Assistent am Hygienischen Institut der 
Universität Basel, «tun Abteilungsleiter bei dem Institut Ittr Infektioaskrank* 
heilen ^Robert; X»cb“ in BerÜu. -gfe 

Versetzt s Di© Knsismcdizinairate Dr. Öe iÖler in Herzberg a. Elster 
als ständiger HBIfsacbeiter an die ' Regierung in Arnsberg, Dr. M tibi cs iu 
Ilfeld als Hilfsarbeiter an. die Begierimg in Kuli:. ; 

Öestorbeo: Geh- Med .-Rat ßr, Ellars, Kreisarzt a D. in öchieusingen, 
Geh. Möd--Bat Dr. W. Sand er ln Berlin, trüber XHrekfcor dar städtischen .Heil¬ 
and Pfli'jreanstalfc in Baldorf bei Berlin, Frrjrftt:dö 2 «nt der Hygiene Dr.Öarttier 
hi Xiel, Sohn dea bekannten Hygienikers.Geh. Kat.Pref.' Df. ilärt&er iß Jen» 
(infolge voa Flecfctyphas ftof der HittsbstpediDon des DeRtsbiea lleten &eiizes 
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26 Dr. Rnpmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Ministeriams 


medizinalräte, 60 •/« der Direktoren der Medizinalunter¬ 
suchungsämter und von den 223 vollbesoldeten Kreis¬ 
medizinalräten nicht weniger als 174 = 78% ebenfalls 
der Gruppe XI zugeteilt sind. Das ist ein außerordent¬ 
licher und den Wünschen der Medizinalbeamten weit ent¬ 
gegenkommender Fortschritt, der von diesen jedenfalls 
dankbar anerkannt werden wird. Dazu kommt, daß wiederum 
35 nicht vollbesoldßte Kreisarztstellen in vollbesoldete um¬ 
gewandelt sind, so daß sich das Verhältnis dieser beiden 
Stellen wie 225 : 232 stellt, also fast die Hälfte aller Kreisärzte 
vollbesoldet sind. Ein weiterer sehr erheblicher Fortschritt ist 
es, daß den nicht vollbesoldeten Kreisärzten künftig¬ 
hin bei der Pensionierung 5000 M. statt 2250 M. für 
sonstige Dienstbezüge angerechnet werden sollen. Auch hier ist 
somit einem Anträge des Preußischen Medizinalbeamtenvereins in 
dankenswerter Weise Rechnung getragen, wenn auch noch 
nicht im vollen Umfang, da das Ruhegehalt der nicht vollbesol¬ 
deten Kreisärzte, namentlich bei den älteren, auch trotzdem 
noch erheblich gegenüber demjenigen der vollbesoldeten zurück¬ 
bleibt, zumal ein anderer berechtigter Wunsch der Kreisärzte 
leider unerfüllt geblieben ist, nämlich der, daß auch die nicht 
vollbesoldeten Kreisärzte in eine höhere Gehaltsgruppe auf- 
rücken, also 75% des Gehaltes der Gruppe XI bekommen. 
In Baden hat man in dieser Hinsicht einen sehr nachahmens¬ 
werten Ausweg gefunden, indem die Gehälter für die nicht 
vollbesoldeten und vollbesoldeten Bezirksärzte an sich in 
gleicher Höhe in den Haushalt eingestellt und von denen der 
nicht vollbesoldeten alsdann 25 % wieder unter Einnahme ver¬ 
rechnet werden. Bei Festsetzung des Ruhegehalts kommt da¬ 
gegen bei beiden Gruppen dasselbe Gehalt ohne Abzug zur 
Anrechnung. Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamten¬ 
vereins sollte sich deshalb bemühen, dieses zweckmäßige Ver¬ 
fahren auch für die preußischen, nicht vollbesoldeten Kreis¬ 
ärzte zu erreichen; dann würden deren Wünsche bezüglich Fest¬ 
setzung ihres Ruhegehaltes erfüllt sein, vorausgesetzt, daß für 
sie auch eine Aufrückung in Gehaltsgruppe XI vorgesehen 
wird. Leider ist ein Wunsch der Kreisärzte unerfüllt geblieben: 
eine weitere, den Ausgaben entsprechende Erhöhung der 
Dienstaufwandsentschädigung 1 ); ihre Notwendigkeit 
muß deshalb der Staatsregierung gegenüber immer wieder von 
neuem auf Grund erneuter Feststellungen der tatsächlichen 
Ausgaben betont und um Abhilfe gebeten werden. Im übrigen 
bringt der neue Haushalt gegenüber dem vorjährigen wenig 
Veränderungen, abgesehen von verschiedenen Mehrausgaben, 
die sich bei den einzelnen Posten infolge der Preissteigerung 
auf allen Gebieten als notwendig herausgestellt haben. Eine 
für die Medizinalbeamten besonders erfreuliche Mehrausgabe in 


>) Es sind hier nar 600880 U. mehr ihr Fernsprech*, Porto- asw. Ge¬ 
bühren nea eingestellt, die aber schon bisher den Kreisärzten ans der Stadt¬ 
kasse ersetzt sind. 



für Volkswohlfahrt, insbesondere der Abteilang für Volksgesnndheit. 27 


dieser Hinsicht ist die zu Unterstützungen, die eine 
Steigerung von fast 100 °/o (von 89 876 auf 166 600 M.) er¬ 
fahren hat. Erfreulich ist auch, daß mit Rücksicht auf das 
neue Hebammengesetz die Beihilfe zur Unterstützung des 
Bezirkshebammenwesens von 120000 auf 10000000 M. 
erhöht ist; dagegen bleibt zu bedauern, daß die Beihilfen 
zur Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und vor allem 
zur Bekämpfung der Tuberkulose nicht eine wesentliche 
Erhöhung erfahren haben; es würde dies zweifellos auch den 
Wünschen des Landtages entsprochen haben. 

Von den Ausgaben der beiden anderen Abtei¬ 
lungen des Ministeriums für Volkswohlfahrt interessieren hier 
nur folgende: 400000 M. für Unterstützung von Vereinigungen, 
gemeinnützigen Unternehmungen sowie von wissenschaftlichen 
Arbeiten zur Förderung des Kleingartens-, Wohnungs¬ 
und Siedlungswesens, 20 Millionen Mark zur Unter¬ 
stützung des Wohnungs- und Siedlungswesens (einmalig), 
10 Millionen M. zur Förderung der Pflege der schul¬ 
entlassenen Jugend sowie zur Ausbildung und Anleitung 
für die Jugendpflege geeigneter Personen, 60000 M. zur 
Förderung von Erhebungen und wissenschaftlichen 
Arbeiten auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege, 1 236618 M. 
zur Förderung der Bekämpfung der Trunksucht und 
ihrer Ursachen sowie zur Milderung der durch die Trunk¬ 
sucht herbeigeführten Schäden, 160000 Mark (einmalig) zur 
Förderung von Einrichtungen der ländlichen Wohl¬ 
fahrtspflege, 300000 M. (einmalig) zur Unterstützung 
der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege 
insbesondere in leistungsschwachen Kommunalverbänden. 

Wir lassen nun die einzelnen Positionen des Haus¬ 
halts für Volksgesundheit folgen: 

A. Dauernde Ausgaben. 

1. Besoldungen. 

1. a. 18 Regierangs* und Medizinalräte in Sonder¬ 

stellungen (Gruppe XII). 

b) 17 Re£ - u. Med.-Räte, 7 vollbesoldete Kreis- 
medizinalräte als ständige Hilfsarbeiter bei 
den Regierungen'), 5 desgl. als Gewerbe¬ 
medizinalräte*) (Gruppe XI) . 

Grundgehalt: 602 900 M. 

Ortszuschlag: 151170 „ 

Kinderbeihüfen: 56 400 , 810 470 M.») 

2. a. 174 vollbesoldete Kreisärzte in Aufrückungs- 

stellen (Gruppe XI). ) 

b) 149 vollbesoldete Kreisärzte 1 b ) 

c) 280 nicht vollbesoldete Kreisärzte / Gr. X J 

(darunter 19 Gerichtsärzte). 


*) Die Hilfsarbeiter bei den Regierungen verteilen sich auf die Re¬ 
gierungen in Königsberg, Breslau, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf (je 1) und 
auf das Polizeipräsidium in Berlin (2). 

*) Die Gewerbemedizinalräte haben ihren Wohnsitz in Breslau, Halle, 
Arnsberg, Düsseldorf und Frankfurt a. M. 

*) Mehr: 8800 Mark. 







28 Dr. Rapmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Ministeriums 

d) 3 vollbesoldete und 2 nicht vollbesoldete 
Kreismedizinalräte im Saargebiet (Gruppe X) 
einschl. Ausgleichs- und NotzuschläKe. 

Grundgehalt: 4 431150 M. 

Ortszuschlag: 1 231800 „ 

543 600 , 6 206 550 M. 4 ) 

Vermerk: Bel der Bemessung des Ruhe¬ 
gehaltes der nicht Tollbesoldeten Kreis¬ 
ärzte werden dem Gehalt für sonstige DlenstbesÜge 
6000 M. zugerechnet mit der Maßgabe, daß das hiernach 
dem Ruhegehalt zugrunde zu legende Diensteinkommen 
nicht das ruhegehaltsfähige Diensteinkommen eines 
Tollbesoldeten Kreisarztes mit demselben Dienstalter 
übersteigen darf. 

c) Vertragsmäßige Zuschüsse an ehemalige 
Physiker und an 7 Aerzte der französischen 


Kolonie . . . .. 5571 „ 

3. Ausgleichs- und Notzuschläge. 6 376126 „ 5 * * 8 * ) 


2, Andere persönliche Ausgaben. 


4. Vergütung an 37 Kreisassistenzärzte •) sowie 

Beihilfe (4750 M.) für die Wahrnehmung 
von Obliegenheiten der Kreisärzte durch 
Gemeindeärzte . ,. 858 770 M. J ) 

5 . Zuschüsse für nicht vollbcsoldete Kreismedi¬ 
zinalärzte einschl. der Gerichtsmedizinal räte 111000 „ *) 


5 . a. Entschädigung an die vor dem 1 April 1908 

ange8tellten voll besoldeten Kreisärzte für 
den Wegfall der Fahrkostenentschädigung 
ans § 1 des Gesetzes vom 9. März 1872 una 
der übrigen ihnen bisher zugeflossenen 
Gebühren für Dienstgeschäfte (künftig weg¬ 
fallend . 5 000 „ 

6. Unterstützungen f. Medizinalbeamte (62 500 
M., bisher 37 875 M.), ausgeschiedene Medi¬ 
zinalbeamte und für Witwen und Waisen 
von Medizinalbeamten (80000 M., bisher 
40000 M.) sowie für die auf Grund des § 15 
des Kreisarztgesetzes vom 16. Sept. 1899 in 
den Bubestand versetzten Medizinalbeamten 
und ihre Hinterbliebenen (24000 M., bisher 

12000 M.) (künftig wegfallend) .... 166 500 ,») 1141 270 „ 10 ) 

3. Sächliche Ausgaben. 

7. Dienstauf wandsentschäd igungen 
für zwei Reg.- u. Med.-Bäte in Berlin 
je 1200 M., für Vertretung von Reg. und 

4 ) Mehr: 524135 M. durch Umwandlung der nicht vollbesoldeten Kreis¬ 
arztstellen in den Kreismedizinalbezirken Heilsberg, Löbau, Inster¬ 
burg, Tilsit, Niederung, Neidenburg, Lyck, Johannisburg, 
Sensburg, Angermünde, Kroßen, U sedom -Wollin, Ohlau, 
Habelschwerdt, Neumarkt, Lauban, Rothenburg, Wolmir- 
stedt, Wanzleben, Liebenwerda, Mansfelder Gebirgskreis, 
Torgau, Schiensingen, Gifhorn-Isernhagen, Tecklenburg, 
Coesfeld, Borken, Soest, Hattingen, Dillkreis, Mayen, Kreuz¬ 
nach, Grevenbroich, Bergheim, Waldbroel. 

*) Mehr: 2012464 M. 

*) Weniger: Ein Kreisassistenzarzt infolge Gebietsabtretung. 

’) Mehr: 217226 M. 

8 ) Weniger: 16650 M. infolge der Umwandlung von 35 nicht voll¬ 

besoldeten Stellen in vollbesoldete. 

•) Mehr: 75625 M. »«) Mehr: 277201 M. 







für Volks Wohlfahrt, insbesondere der Abteilang für Volksgesundheit. 29 


Med.-Räten and als ständige Hilfsarbeiter 
bei Reirierungen beschäftigten Tollbesoldeten 
Kreisärzten (3000 M.i, Vergütung für die 
Prüfung der Rezepte und Rechnungen 
über die für Staatsanstalten gelieferten 
Arzneien (18000 M., bisher 12000 M.), 
Dienstaufwandsentschädigungen 
für die voll besoldeten Kreisärzte (durch¬ 
schnittlich 3600 M.), für die nicht vollbe¬ 
soldeten Kreisärzte u. Gerichtsärzte (durch¬ 
schnittlich 1800 M.), (zusammen 1266800 M.), 
Postporto -und Gebührenbeträge, 
einschließlich Fernsprech- und Tele¬ 
gramm gebühren sowie Frachtgebühren für 
dienstliche Sendungen der Kreisärzte 
(500380 M.), Reisekosten und Ent¬ 
schädigungen für die Erstattung 
schriftlicher Gutachten und Berichte an die 
irrenärztlichen Mitglieder der Be- 
suchaausschüsse für die Beaufsichtigung der 
Privat-Irren- usw. Anstalten sowie an die 
irrenärztlichen Sachverständigen für die 
Besichtigung der Provinzial-lrrenanstalten 


(12970 M.) . .. 1 753 550 M.“) 

8. Beihilfen zum Studium medizinal-technisch 

wichtiger Einrichtungen und Vorgänge . . 3 000 „ 

9. Reisekosten der Medizinalbeamten und Ge¬ 


bühren der Kreismedizinalbeamten für die 
dienstlich vorzunehmende Untersuchung und 
Begutachtung des Gesundheitszustandes von 
Beamten ausschließlich derjenigen der staat¬ 
lichen Polizeiverwaltungen aber einschl. der 


Bauverwaltung. 1257 500 „ '*) 

10. a, b u. 11. Vergütungen an die Mitglieder und 
Beamten der Kommissionen für ärztliche 

usw. Prüfungen. 263 000 „ 13 ) 

4. Institute und Medizinaluntersuchungsämter. 

12. Institut für Infektionskrankheiten „Robert 

Koch“ in Berlin. 2 958 764 „ “) 

13. Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin- 

Dahlem . 1475 504 „ ,s ) 

14. Hygienisches Institut in Landsberg ... 555 797 „ '*) 

15. Hygienisches Institut in Beuthen (Oberschi.) 661143 „ i; ) 

16. 10 Medizinal-Untersuchungsämter in Gum¬ 
binnen. Stettin, Breslau. Magdeburg, Han¬ 
nover, Stade, Münster, Koblenz, Düsseldorf 

und Trier: 5 1 »irektoren (Gruppe XI u. X) 2 845 387 „ "*) 

17. Staatliche Nahrungsmittel - Untersuchungs- 

anst&lt in Berlin. 757 426 „ *•) 

5. Sonstige Ausgaben. 

18. Bad Bertrich. 194 070 „ *°) 

19. Impfwesen. 700 3s3 „ * l ) 


“) Mehr: 554600 M. >*) Weniger: 317500 M. 

**) Mehr: 60000 M. für die beabsichtigte Einführung einer Prüfung der 
zur Behandlung von Versicherten zugelassenen Zahntechniker. Die Prüfungen 
sollen am Sitze des Oberversicherungsamtes stattfinden. 

*«) Mehr: 857246 M. “) Mehr: 285544 M. >•) Mehr: 160202 M 
”) Mehr: 207678 M. “) Mehr: 802202 M. ») Mehr: 142221 M. 

*°) Mehr: 9000 M. **) Mehr: 183153 M. 











80 Dr. Rapmund: Der neue Haushaltsvorschlag des preuß. Minist, f. Volksw. 


20 . 


21 . 


22 . 


23. 


24. 


25. 

26. 

27. 

28. 


20 . 

30. 

31. 


Geschäftsbedürfnisse (Gehälter, Reisever¬ 
gütungen, Anwesenheitsgelder nsw.): 

für den Landesgesundheitsrat .... 200 000 M. 

für die gerichtsärztlichen Ausschüsse 

in den Provinzen. 150 000 „ 22 ) 350 000 M. 


Kosten der amtlichen Apothekenbesichtigun¬ 
gen durch arzneikundige Bevollmächtigte . 51 750 „ 

Almosen an körperlich Gebrechliche zur Rück¬ 
kehr in die Heimat sowie für arme Kranke 810 „ 

Für medizinalpolizeiliche Zwecke einschl. 

8000 M. zur Bestreitung der Kosten der sani¬ 
tätspolizeilichen Ueberwachung zur Abwehr 
der Gholeragefahr und 25 700 M. zur Unter¬ 
bringung von Leprakranken. 653 700 „ 28 ) 


Für Zwecke der Hafen und Schiffsüber¬ 
wachung einschl. 21880 M. (bish. 12 530 M.) 
zur Unterhaltung der Quarantäneanstalten 
in Swinemünde, Voßbrook bei Kiel, Emden 
und Bremerhaven sowie 5540 M. zur Unter¬ 
haltung der im Stettiner Hafen befindlichen 
Vorrichtung zur Vernichtung von Ratten auf 


Seeschiffen. 63120 „ -* 4 ) 

Ausführung des Gesetzes, betr. die Bekämp¬ 
fung übertragbarer Krankheiten .... 90000 „ 

Unterstützung des Bezirkshebammenwesens 10 000 000 „ 2i ) 

Beihilfen zur Säuglings- und Kleinkinder¬ 
fürsorge . 1 000000 „ 

Rente für aufgehobene Berechtigungen an 
die Irren-, Heil- und Pflegeanstalt in Eich¬ 
berg, Reg.-Bez. Wiesbaden, (1674 M.) und 
Zuschuß an die Krankenanstalt der Tochter 

vom Heiligen Kreuz in Düsseldorf (3936 M.) 5 610 „ 

Verschiedene Zuschüsse (künftig wegfallend) 

(darunter 80000 M. für die Zwecke der 
Forbildung von Aerzten, Zahnärzten und 

Apothekern). 98 782 „ *•) 

Umzugskosten. 24 300 „ 

Verschiedene Ausgaben. 7 000 „ 2T ) 

Zusammen: 40 310 583 M. 

Im Vorjahre: 24 449 767 „ 

Also mehr: 15 861116 M. 


B. Einmalige außerordentliche Ausgraben. 

1. Abhaltung von Fortbildungskursen für Medi¬ 

zinalbeamte . 

2. Für die sozialhygienische Ausbildung und Fort¬ 

bildung der Aerzte und Zahnärzte, sowie für die 
hygienische Volksbelehrung . 

3. Unterhaltung eines Laboratoriums der Land es - 

anstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem 
für die Zwecke der Mainwasseruntersuchung in Wies¬ 
baden . 

4. Zuschuß für Geschäftsbedürfnisse bei dem Institut für 

Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin ins¬ 
besondere für Untersuchungen über dcnSchutz- 


100000 M. 
150 000 „ 

96200 n 28 ) 


«) Mehr: 50000 M. 

**) Mehr: 250000 M.; insbesondere für Beiträge zu den Kosten der 
gesundheitspolizeilichen Untersuchungen bei den hygienischen 
Universitäts-Instituten. 

M ) Mehr: 14500 M. ») Mehr: 9880000 M. *•) Weniger: 6400 M. 
**) Mehr: 7000 M. **) Mehr: 14000 M. 












Dr. Bapmnnd: Die Beratung des Preußischen Landtages usw. 


31 


pockenimpfstoff und über die Bedeutung 
des Ungeziefers als Ueberträger von Krankheiten 


auf Menschen.. . . 75 000 M.**) 

5. Einmalige Verstärkung des Fonds für medizinal¬ 
polizeiliche Zwecke zur Bekämpfung der Malaria 140 000 „ *°) 
6- Beihilfen zur Veranstaltung von Forschungen über Ursachen 

und Verbreitung der Krebskrankheit . 3000 „ 


7. Beihilfe zur Bekämpfung der Tuberkulose . . . 1000000 „ 


8. Zur planmäßigen Bekämpfung des Typhus . . . 300 000 „ 3I ) 

9. Beihilfen zur Anstellung von hauptberuflichen Sachver¬ 

ständigen behufs Durchführung des Wein¬ 
gesetzes vom 7. April 1909 . 30000 „ 

10. Teilnahme der Medizinalbeamten an der Ausbildung 

der Desinfektoren . 5 000 „ 

11. Zur Verstärkung des Fonds für Zwecke der Hafen- und 

Schiffsüberwachung.. 50000 , 33 ) 


Zusammen: 2 009 200 M. 33 ) 


Die Beratung des Preussischen Landtages über den 
diesjährigen Hanshalt des Ministeriums für Yolks- 
wohlfahrt yom 29./30. November u. 6. Dezember v. J. 

Tom Herausgeber. 

Die stenographischen Berichte über die Verhandlungen 
des preußischen Landtages erscheinen jetzt wesentlich später 
als früher; infolge dessen hat sich auch die Herstellung eines 
ausführlichen Berichtes über die Beratung des diesjährigen 
Haushalts des Volksgesundheitsamtes sehr verspätet, da das 
amtliche Stenogramm darüber erst vor wenigen Tagen in die 
Hände des Herausgebers dieser Zeitschrift gelangt ist. Der 
Mittel- und Höhepunkt dieser Beratungen bildete auch diesmal 
wieder eine Minister - Programm - Rede und zwar des neuen 
Ministers Hirtsiefer, in der er in ausführlicher Weise nicht nur 
die Aufgaben seines Ministeriums besprach, sondern auch die 
Mittel und Wege kund gab, mit deren Hilfe er diese Aufgaben 
erfolgreich zu lösen gedachte. Diese Ausführungen des Herrn 
Ministers sind nur zum kleineren Teil bereits in Nr. 24 dieser Zeit¬ 
schrift (s. S. 916) mitgeteilt; wir lassen sie deshalb in dem 
nachstehenden Bericht mit Rücksicht auf ihre Bedeutung noch¬ 
mals vollständig im Wortlaute folgen. Der von ihm ver¬ 
tretene Standpunkt deckt sich im großen und ganzen mit dem 
seines Amtsvorgängers; er hat auch im Landtage allgemeine Zu¬ 
stimmung gefunden, allerdings mit der namentlich von der 
linken Seite des Hauses betonten Einschränkung, daß man 
nicht blos schöne Versprechungen hören, sondern endlich auch 
Taten sehen wollte. Es wurde von dieser Seite überhaupt 
bemängelt, daß für das öffentliche Gesundheitswesen viel 
zu wenigMittel bereit gestellt würden, obwohl größere Aus¬ 
gaben auf diesem Gebiete dringend nötig seien und schließlich die 


*•) Mehr: 15000 M. ») Mehr: 80000 M. 3 ‘) Mehr: 100000 M. 
M ) Mehr: 50000 M- * 3 ) Weniger: 856280 M. 








32 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


beste Kapitalanlage bildeten. Trotz unserer schlechten Finanz¬ 
lage dürfte gerade hier nicht gespart werden; ein Standpunkt, 
der durchaus berechtigt ist und dem künftighin hoffentlich mehr 
Rechnung getragen wird als bisher und zwar nicht nur von 
der Regierung, sondern auch von den anderen politischen 
Parteien. Zu weitgehende, uferlose Pläne müssen selbst¬ 
verständlich auch bei dem notwendigen Wiederaufbau unserer 
Volksgesundheit vermieden werden; aber wenn man mit wirk¬ 
lichem Erfolg Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Kinder¬ 
sterblichkeit usw. bekämpfen will, dann gehören dazu ganz 
andere Mittel, als die bisher in den Haushalt dafür eingestellten. 
Vor allem gehört dazu aber auch, daß ihre Verteilung in gro߬ 
zügiger Weise und nicht nach bürokratischen Grundsätzen 
erfolgt, ein Vorgehen, das von uns bereits früher wiederholt 
an dieser Stelle bemängelt und auch diesmal im Landtage 
verurteilt ist. Die Schuld daran trägt allerdings weniger das 
Ministerium für Volks Wohlfahrt, als das Finanzministerium, das 
bei der Festsetzung der Richtlinien für die Verteilung von 
solchen Beihilfen nach der alten Schablone viel zu engherzig 
verfährt. Diesen engherzigen Anschauungen könnte jedoch von 
Seite des Ministeriums für Volkswohlfahrt energischer entgegen¬ 
getreten werden, dann würde schließlich der Erfolg nicht aus- 
bleiben. Im übrigen sind bei den diesjährigen Verhandlungen 
des Landtages über den Haushalt des Ministeriums für Volks¬ 
wohlfahrt erfreulicher Weise wiederum die sonst besonders von 
der linken Seite gemachten Vorwürfe über mangelhafte Tätigkeit 
der Kreisärzte, namentlich auf sozialhygienische Gebiete, von 
keiner Seite erhoben; im Gegenteil ihre Tätigkeit hat insbesondere 
von seiten des Herrn Ministers, wie dies bereits in Nr. 24 dieser 
Zeitschrift (1921) hervorgehoben ist, außerordentliche An¬ 
erkennung gefunden. Nicht minder erfreulich ist die Erklärung 
des Ministers, daß er entschlossen sei, die berechtigten 
Forderungen der Kreisärzte, die sie zur Wahrung ihres un¬ 
behinderten Wirkens in der Erfüllung der ihnen durch die 
Dienstanweisung übertragenen Aufgaben aufstellen, mit Nach¬ 
druck zu unterstützen. Die bei der Beratung gegen die 
Medizinalverwaltung von der linken Seite erhobenen Vorwürfe 
richteten sich diesmal ausschließlich gegen das Ministerium 
selbst, namentlich gegen den früheren Minister Stegerwald, 
dessen Leistungen seinen Versprechungen nicht entsprochen 
hätten, und gegen die Abteilung für Volksgesundheit, ins¬ 
besondere gegen ihren Leiter, H. Min.-DirektorDr.Gottstein. 
Bei dem gegen ihn von der linken Seite erhobenen Vorwürfen 
hat man aber zweifellos den Eindruck, als ob man ihn nicht 
aus sachlichen, sondern lediglich aus politischen Gründen be¬ 
seitigen und vielleicht durch einen sozialistischen Parteimann 
ersetzen möchte. Es entspricht dies auch dem sozialistischen 
Parteiprogramm, das bekanntlich die planmäßige Beseitigung 
aller bisher tätigen Beamten wie sonstigen Personen und den 
Ersatz durch Parteigenossen fordert unter sorgfältigster 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 83 


Berücksichtigung ihrer GesinnuDgstüchtigkeit (s. Jahrg. 
1921 dieser Zeitschrift, S. 575). Wenn aber auf einem Qebiete 
alle Parteiinteressen außer Betracht bleiben müssen, so ist es 
jedenfalls auf dem des öffentlichen Gesundheitswesens; denn 
hier ist doch die beste Gelegenheit zu einer gemeinschaft¬ 
lichen Arbeit aller Parteien gegeben, eine Anschauung, die 
wiederholt im Landtage, auch von der linken Seiten betont ist. 
Gerade das Ministerium für Volkswohlfahrt ist am wenigsten 
geeignet, politischen Parteizwecken zu dienen; es kann höch¬ 
stens ertragen, daß man den Posten des Ministers mit einem 
Politiker besetzt. Außerordentlich bedenklich würde es aber 
sein, wenn man auch die Stellen der Ministerialdirektoren und 
Vortragenden Räte nach politischen Grundsätzen besetzen 
wollte. In diese Stellen gehören wirkliche Fachleute, die 
in ihrem Amte groß geworden sind und durch ihre 
Erfahrung und Sachkenntnis eine dem Allgemeinwohl 
nützende Amtsführung gewährleisten. Von allen Verwaltungs¬ 
zweigen verträgt das öffentliche Gesundheitswesen eine Ver¬ 
waltung nach parteipolitischen Grundsätzen am allerwenigsten; 
Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge müssen vielmehr 
über jeder parteipolitischen Beeinflussung stehen, wenn sie der 
Allgemeinheit in richtiger Weise dienen und nützen sollen. Es 
ist deshalb auch erfreulich, daß im Landtage alle von der 
linken Seite gestellten Anträge auf Umgestaltung des 
Gesundheitswesens im sozialistischen Sinne bei der 
Mehrheit des Hauses keine Gegenliebe gefunden haben. 

Die diesjährige Beratung spielte sich sonst in ruhigeren 
Bahnen als sonst ab, obwohl jede Partei sich mit zwei Rednern 
und nur das Zentrum mit einer Rednerin an der Debatte 
beteiligte. Fast alle wichtigeren Fragen des öffentlichen Ge¬ 
sundheitswesens wurden erörtert, ohne daß jedoch neue und 
besonders beachtenswerte Gesichtspunkte von irgendwelcher 
Seite vorgebracht wurden. Von den überaus zahlreich ge¬ 
stellten Anträgen (s. Nr. 22 dieser Zeitschrift, S. 570/572) 
fanden bei der in der Sitzung vom 6. Dezember v. Js. vor¬ 
genommen Abstimmung diejenigen des Hauptausschusses 
unter Ablehnung sämtlicher von den Kommunisten und der 
unabhängigen Sozialdemokratie gestellten Anträge ebenso wie 
die von ihnen beantragten Entschließungen fast durchweg un¬ 
verändert Annahme. Betreffs der Einzelheiten verweisen wir 
auf den nachstehenden Bericht: 

Abg. Dr. Faßbender (Zentrum), Berichterstatter, beschränkt sich 
auf eine kurze Mitteilung über die in den 5 tägigen Beratungen des Haupt- 
au8schu8ses erörterten Gegenstände und von diesem angenommene Anträge. 
In diesen Beratungen ist insbesondere die Bedeutung der Frauenreferate 
uud die Notwendigkeit ihrer weiteren Ausdehnung im Wohlfalirtsministerium 
anerkannt, desgleichen die Fürsorge für die Jugend und die Förderung 
der Säuglings- und Kinderpflege. Auch das Beichsjugendwohlfahrts- 
gesetz und die darin vorgesehenen Jugendämter haben eine eingehende 
Besprechung im Ausschuß gefunden, bei der namentlich die beabsichtigte Auf- 



84 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


bringung der Kosten durch die Kommuna}verbände bemängelt ist. Aui dem Gebiete 
des Gesundheitswesens hat der allgemeine Gesundheitszustand nach dem 
Kriege eine eingehende Erörterung gefunden, bei der besonders die Wichtigkeit des 
Kampfes gegen die Tuberkulose hervorgeboben nnd der Wunsch aus¬ 
gesprochen ist, daß künftig dafür in den ordentlichen Etat dauernde Ansgaben 
eingesetzt werden möchten. Auch ist die Einführung der Anmeldepflicht für 
Tuberkulöse befürwortet und gebeten, der Fürsorge für jugendliche Tuberkulöse 
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die yon einer Seite geforderte An¬ 
zeigepflicht für Geschlechtskrankheiten ist von anderer Seite bekämpft 
Erörtert ist auch die Schutzpockenimpfung und die Frage der Ein¬ 
führung der sogenannten Gewissensklausel nach den Erfahrungen anderer Länder. 
Zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauches ist auf die Notwendigkeit einer 
Erhöhung der aus dem Spiritusmonopol kommenden Mittel hingewiesen. Ver¬ 
handelt ist ferner im Ausschuß über folgende Fragen: Anstellung nur voll¬ 
besoldeter Kreisärzte im Hauptamt, Aufhebung der Reglementierung 
der Prostitution, Beseitigung der weiblichen Polizeibeamten und deren Ersatz 
durch Gesundheitspflegerinnen, Landesausschuß für gesundheitliche 
Volksaufklärung, Gesundheitsnachweise vor Eingehung einer 
Ehe, Neuorganisation des Grenzschutzes gegen Einschleppung yon Seuchen, 
Kampf gegen die Flußverunreinigung und die Aufgaben der Landes¬ 
anstalt für Wasserhygiene, Sozialisierung des Aerzte- 
standes usw. Eingehend ist endlich die Wohnungsfrage nach allen Rich¬ 
tungen hin besprochen und die Notwendigkeit guter und gesunder Wohnungen 
für die körperliche und sittliche Hebung der ganzen Bevölkerung betont. 

Hirtsiefer, Minister für Volkswohlfahrt, gedenkt zunächst mit Worten 
der Anerkennung und des Dankes der Tätigkeit seines Amtsvorgängers und 
betont dann, daß die Hauptaufgabe der Wohlfahrtspflege eine zielbewußte und 
planmäßige Vorbengungsarbeit sein müsse (sehr richtig): denn Vorbeugen 
und verhüten sei hoffnungsvoller, wertvoller und ersprießlicher, auch wirtschaft¬ 
licher und klüger als die Beseitigung und Heilung der ausgebrochenen und 
um sich wuchernden sozialen und gesundheitlichen Schäden. Der Wohlfahrts¬ 
gedanke mnß sich aber auch paaren mit dem Geiste sozialer Gesinnung. 
As die Stelle rücksichtsloser Ellenbogenfreiheit im täglichen Leben muß gegen¬ 
seitiger Verständniswille treten (Sehr richtig). Nacn ihrer Vergangenheit und 
ihren bisherigen glänzenden Leistungen sind deshalb die in der privaten 
Wohlfahrtspflege schlummernden Triebkräfte besonders zur Mitarbeit berufen. 
Der Herr Minister bespricht dann eingehend die Jugendfürsorge nnd betont die 
Notwendigkeit ihrer Förderung, die hoffentlich dnreh die Annahme und Aus¬ 
führ nng des Reichsjugend Wohlfahrtsgesetzes in wirksamer Weise erfolgen wird. 
Jugendämter und Gesundheitsämter müssen aber Hand in Hand gehen, was am 
besten durch Zusammenlegung der Wohlfahrtsaufgaben unter einheitlicher 
Leitung geschieht Hier liegt auch ein Hauptarbeitsgebiet für die Mitarbeit 
der Frau. Nachdem sich dann der Minister für eine möglichste Einschränkung 
der körperlichen Züchtigung bei den Zöglingen der Fürsorge¬ 
anstalten ausgesprochen und alle Auswüchse bei der Veranstaltung von 
sogenannten Wohlfahrtsfesten verurteilt hat, betont er die Notwendigkeit 
einer wirksamen Krüppelfürsorge sowie eine ausreichende Fürsorge für 
die Kleinrentner, Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen 
und Erwerbslosen; die Fürsorge für die letzteren werde am besten durch 

I roduktive Arbeiten, insbesondere Meliorationen, gefördert. Eng zusammen 
ängt damit die Förderung des Baues von Landarbeiterwohnungen 
und die Errichtung von Siedlungen. Vor allem müsse die Bautätig¬ 
keit durch Zuschüsse gefördert, und der Mieterschutz weiter ausgebaut 
werden. Der Herr Minister geht dann anf die Fragen des öffentlichen Ge¬ 
sundheitswesens näher ein. „Die Bekämpfung der hauptsächlichsten Volks¬ 
krankheiten ist eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben, die um so schwerer 
ist, als nach dem Ergebnis der namentlich in den letzten Jahren erweiterten und 
ausgebauten Berichterstattung der allgemeine Gesundheitszustand der Be¬ 
völkerung nicht als günstig angesehen werden kann. Manche Besserung ist 
zwar in den letzten beiden Jahren auf diesem Gebiet erzielt, der Ernährungs¬ 
zustand der Jugend hat sich etwas gehoben, einzelne vorher weit verbreitete 
Krankheiten zeigen einen kleinen Rückgang, aber noch immer sind überall 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 35 


tief wirkende Schäden der gesundheitlichen Konstitution unseres Volkskörpers 
wahrnehmbar, deren Folgen, wenn nicht zur rechten Zeit eingegriffen wird, 
allerdings erst in der Zukunft zur vollen Geltung kommen müssen. Auch die 
während des Krieges eingetretene starke Abnahme der alkoholischen Er¬ 
krankungen ist leider nicht mehr bemerkbar. Der Kampf gegen die Trunk¬ 
sucht und ihre weit reichenden Felgen muß deshalb mit aller Energie 
wieder aufgenommen werden. (Sehr richtig 1 im Zentrum.) Weiterhin verlangt 
die Bedrohung unseres Landes durch eingeschleppte, sonst artfremde 
Seuchen eine besondere Berücksichtigung. „Mit Ausnahme der verhältnis¬ 
mäßig kleinen P o c k e n epidemie des Winters 1917 und einer Steigerung der 
Erkrankungsfälle an Fleckfieber in der ersten Hälfte des Jahres 1919, die 
sich aber fast gänzlich auf rückströmende Heeresangehörige beschränkten, sind 
wir von den gefährlichen, jenseits unserer östlichen Grenzen stark verbreiteten 
Seuchen fast vollständig verschont geblieben. Das könnte zu falschen Deu¬ 
tungen führen, als ob die Gefahr überhaupt nicht so groß sei. Aber unsere 
Aufmerksamkeit darf gerade hier nicht erlahmen; denn kaum etwas ist ver¬ 
hängnisvoller als eine verbreitete, lebensgefährlich - akute Seuche. Wir wollen 
nicht übersehen, daß der mit dem Kriege allerdings nicht zusammenhängende 
Seuchenzug der Influenza 1918 in drei Monaten fast doppelt so viel Menschen 
dahinraffte, wie in drei Jahren die mit Recht so stark beachtete Uebersterb- 
lichkeit an Lungentuberkulose betrug. Und ein Typhusausbrucb von 
nur einigen hundert Erkrankungsfällen führt nicht nur zu einem beklagens¬ 
werten und vermeidbaren Verlust von Menschenleben: der durch diesen Krank¬ 
heitsausbruch herbeigeführte Kostenaufwand kann den Haushalt der betreffen¬ 
den Gemeinde auf Jahre ruinieren. (Sehr richtig!) Wenn es gelungen ist, 
unsere für diese Aufgabe so ungünstig gewordenen Grenzen zu schützen und 
die weit ins Land hineingestreuten Funken vor dem Brande zum Erlöschen 
zu bringen, so mag eine glückliche Konjunktur einen gewissen Anteil haben; 
einen größeren Teil darf man sicher der gemeinsamen Arbeit der 
gesundheitlichen Behörden von Reich und Land zubilligen, 
die an Stelle der früheren Einrichtungen an allen gefährdeten Stellen den 
Grenzschutz wieder aufrichteten und die Gesundheit der Rückwanderer über¬ 
wachten. Das Hauptverdienst jedoch gebührt den staatlichen Gesund¬ 
heitsbeamten, den Kreisärzten, deren sachliche Schulung, deren stete Auf¬ 
merksamkeit, deren mühevolle Arbeit nie versagte im Kampf gegen die ersten 
kleinen Herde. (Sehr richtig! im Zentrum. — Widerspruch bei den Unab¬ 
hängigen Sozialdemokraten und Kommunisten). Sie haben in Erfüllung 
dieser Berufspflicht ihr Leben eingesetzt und mancher von 
ihnen es dieser Pflicht geopfert.“ Leider droht durch die Genfer 
Entscheidung über Oberschlesieu wieder eine erneute Gefahr der Einschleppung 
von Pocken, Typhus und Ruhr aus Polen und macht eine besondere Aufmerk¬ 
samkeit zu ihrer Verhütung erforderlich. 

Von den ständig im Lande herrschenden Seuchen hat zwar die Tuber¬ 
kulosesterblichkeit seit Mitte 1919 wieder eine Abnahme erfahren, durch 
diese Abnahme darf man sich aber nicht beruhigt fühlen, sondern muß trotz¬ 
dem noch immer alles aufbieten, um namentlich die heranwachsende Jugend 
gegen diese mörderische Volksseuche zu schützen. Staat, Gemeinden, Landes¬ 
versicherungsanstalten, Krankenkassen, Wohlfahrtsvereinigungen nsw. müssen 
in diesem Kampfe Hand in Hand gehen, 'wobei dem Staat die Leitung des 
Kampfes und die Organisation der Abwehr zufallen muß. Dasselbe gilt von 
der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die leider nicht bloß in den 
Großstädten, sondern auch in den kleineren Städten und unter der Landbevölke¬ 
rung größere Verbreitung gefunden haben. Hoffentlich werde das vom Reiche 
beabsichtigte Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bald ver¬ 
abschiedet werden. 

An der Verbesserung der Volksgesundheit und der Eindämmung der 
einheimischen ansteckenden Krankheiten haben bisher die öffentlichen und 
privaten Krankenanstalten einen großen Anteil gehabt. Leider hat sich ihre 
wirtschaftliche Lage jetzt so außerordentlich verschlechtert, daß dadurch ihr 
Betrieb wie ihr Weiterbau in höherem Grade geschädigt ist. Außerdem sind die 
Unterhaltungskosten so gestiegen, daß für viele Kranke die Aufnahme in ein 
Krankenhaus unmöglich wird. Wenn es auch schwierig ist, hier wirksame Ab- 



36 


Dr. Bapmnnd: Die Btntaag des Praaßbebea Landtages 


kille za schaffen, so maß doch versucht werden, die bestehenden Schwierig¬ 
keiten za verringern and einen unheilvollen Zusammenbruch za verhüten. Aach 
die vorhandenen Heilquellen and Bäder müssen der weniger bemittelten Be¬ 
völkerung zogängig gemacht werden. 

Die Ausfüllung lang erkannter Löcken der CSesundheitsgesetzgebang 
int z. T. Sache des Seiches and von diesem auch bereits in die Hand ge¬ 
nommen; ein Tuberkalosegesetz sowie ein Gesetz zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten ist bereits ausgearbeitet, der Entwarf 
eines Beichsirrengesetzes, eines Gesetzes zur einheitlichen Begelang 
des Apothekcnwesens. and eine neue ärztliche Prüfangsordnang 
sind in Vorbereitung. Landesgesetzlich ist die erneute Vorlage eines Gesetz¬ 
entwurfes zur Begelung des Hebammenwesens beabsichtigt, die un¬ 
mittelbar bevcrstebt Hoffentlich wird dieser Entwarf die lange gehegten Er¬ 
wartungen eines für die Volksgesandheit wertvollen Berufs erfüllen and zu¬ 
gleich die Gesundheit von Matter und Kind fördern. 

Eine weitere Aufgabe des Ministers für Volkswohlfahrt ist die Aus¬ 
bildung and Fortbildang des gesamten Heilpersonals. Eine Hauptstütze 
der Arbeiten des Ministeriums sind die Kreisärzte. „Wenn ich ihrer her¬ 
vorragenden Verdienste nm die erfolgreiche Bekämpfung der Volksseachen 

S dacht habe, so ist damit ihrWirknngskreis keineswegs erschöpft. 

re Mitarbeit in allen Zweigen der Gesundheitsfürsorge, der soge¬ 
nannten sozialen Hygiene, hat sich, namentlich anf dem Lande and in 
den kleinen Städten, schon seitlangembewährt; zahlreiche Neoschöpfnngen 
verdanken ihnen ihre Entstehnng und werden von ihnen geleitet; eine FüUe 
praktischer tatkräftiger Arbeit ist hier geleistet, und die Neigung und Befähi¬ 
gung der Kreisärzte, dem Fortschritte auf diesem Gebiete zu folgen, ist aner¬ 
kennenswert. Ihre führende Mitarbeit an der sozialen Hygiene 
ist in den meisten Orten anf dem Lande and in der Kleinstadt überhaupt 
kaum za ersetzen. Vereinzelte Ausnahmen machen die Großstädte und größere, 
anch ländliche Industriemittelpunkte besonders des Westens, die sich für diese 
Aufgaben besondere Kräfte gesichert haben. Wenn hier zeitweise gewisse Gegen¬ 
sätzlichkeiten bestanden haben, so ersehe ich aus den Verhandlungen der Ver¬ 
sammlungen von Medizinalbeamten und anderer Vereinigungen, daß auch hier 
sich zwischen den staatlichen nnd kommunalen Gesundheits¬ 
beamten eine Verständigung über die Abgrenzung ihrer Wirkungs¬ 
bereiche and über ihre Zusammenarbeit anznbahnen beginnt. Ich 
beabsichtige daher, um so mehr in diesem Punkte die Entwicklung abzawarten, 
als ich entschlossen bin, die berechtigten Forderungen der Kreis¬ 
ärzte, die sie zar Wahrung ihres unbehinderten Wirkens in der Erfüllung 
der ihnen durch ihre Dienstanweisung übertragenen Aufgaben aufstellen, mit 
Nachdruck zu nnterstützen. Ich weiß mich im übrigen in Ueberein- 
stimmung mit den Ansichten des hohen HauBes, wenn ich die in verstärktem 
Maße eingeleitete Umwandlung der nicht vollbesoldeten 
Kreisarztstollen in vollbesoldete weite r fortsetze. Ich trete 
auch in dem weiteren Paukte den hier erhobenen Forderungen bei, daß schon 
die Ausbildung der Kreisärzte ihre Mitarbeit in der Gesundheitsfürsorge 
za berücksichtigen bat. Die ergangene neue Prüfungsordnung verlangt für die 
Meldung zur Prüfung den Besuch einer der neugegründeten sozialbygienischen 
Akademien und bestimmt die soziale Hygiene als Prüfungsfach. Aach die 
Fortbildungskurse für Kreisärzte ziehen in größerem Umfange als bisher 
den praktischen Unterricht in der sozialen Hygiene ein." 


„8eit der letzen Hansbaltsbcratnng ist eine neue Gruppe von beamteten 
Aerzten eingetreten, die fünf Landesgewerbeärzte, für deren Anstellang in 
dankenswerter Weise bereits im Notetat die Mittel bewilligt sind. Im Ein¬ 
vernehmen mit dem Herrn Handelsminister wird eine genaue Dienstanweisung 
verordnet werden. Nach den Erfahrungen anderer Länder verspreche ich mir 
von den Beobachtungen dieser neuen Beamtengruppe Erfolge für die Vor¬ 
beugung gewerblicher Erkrankungen und darüber hinaus für nie gesundheitliche 
Normierung der Berufsarbeit. Ich werde mich an die Abmachung halten, die 
Zahl dieser Stellen nicht za vermehren, aber ich werde anderseits ihre Be¬ 
obachtungen sorgfältig verfolgen, and sobald sie za praktischen Folgerangen 
führen, (Oese Ergebnisse doxa aasnützen, am für die Ausführung die 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 87 


Kreisärzte namentlich in industriellen Bezirken mehr als es bisher möglich 
gewesen ist, zum beruflichen Gesundheitsdienst heranzuziehen." 

Ebenso wichtig wie die Ausbildung und Fortbildung der Kreisärzte 
erscheint mir die Sicherstellung einer ausreichenden Ausbildung der 
praktischen Aerxte. In ihren Händen liegt mehr als je zuvor das gesund¬ 
heitliche Schicksal der arbeitenden Bevölkerung, die Versorgung der Arbeits- 
invaliden und der Schutz des Nachwuchses. Neben der Heilung von Erkrank¬ 
ungen, der bisher ausschließlichen Aufgabe des Arztes, erwächst die neue 
Pflicht der Vorbeugung bei den Berufstätigen und der Gesunderhaltung des 
Nachwuchses. Ich freue mich, ausdrücklich feststellen zu können, daß sowohl 
bei den Führern des Standes selbst wie bei ihren Lehrern ein weitgehendes 
Verständnis für die Einstellung des Arztes auf diese Aufgabenerweiterung 
besteht. Die neue Prüfungsordnung wird dem Rechnung tragen müssen; 
ich werde mit besonderem Nachdruck die Aufgaben des heutigen Arztes, der nicht 
rar Heiler der Erkrankungen, sondern Hüter der bedrohten Gesundheit sein soll, 
in den Vordergrund des Fortbildungsunterrichtes stellen. Nur so 
werden die Aerzte befähigt sein, die Bevölkerung anfzuklären und der hygieni¬ 
schen Volksbelehrung zu dienen. Diese aber ist heute dringender und nötiger als je. 

Bei der Erfüllung dieser Aufgaben der Volksgesundheit bedarf der 
Arzt eines geschulten Hilfspersonals. Erst jüngst sind nach langen Vor¬ 
beratungen neue Verordnungen über die Ausbildung und Prüfung des Kranken- 
pflegeper sonals sowie der technischen Assistentinnen ergangen; 
eine neue Verordnung für Ausbildung und Prüfung von Säuglingspflege¬ 
rinnen steht vor dem Abschluß; die neue, den modernen Erfahrungen Rechnung 
tragende lreiero Desinfektionsordnung weist auch den Desinfektoren 
geänderte Aufgaben zu. Ich verspreche mir von diesen neuen Einrichtungen 
vor allem eine Ausdehnung der zweckmäßigen Fürsorge auch auf die bisher hier 
schlechter versorgte Landbevölkerung. 

Ein Gegenstand besonderer Sorge ist für mich die Tatsache, daß unter 
den Wirkungen des Krieges und seiner Folgen nicht nur die körperliche, 
sondern auch die seelische Gesundheit ernstlich gelitten hat. Jedenfalls haben 
wir mit der Tatsache zu rechnen, daß eine krankhaft gesteigerte Reizbarkeit 
mit ihren Folgen weit verbreitet ist, und daß sie mindestens bei der Jagend 
auch in ernsteren Fällen einer Heilung oder Besserung fähig ist. Was früher 
vereinzelt auftrat, wird jetzt als Massenerscheinung kenntlich und verlangt 
darum besondere Maßnahmen der Jugendlichen Psjchopathenfürsorge. Ich 
halte diese Fürsorge für sehr bedeutungsvoll und beabsichtige, sie durch 
Mitarbeit soweit nur irgend möglich zu fördern.“ 

So oft ich genötigt war, auf einen besonders ungünstigen Punkt in 
unserer Volksgesundheit hinzuweisen, ergab sich aus der Fülle nachteiliger 
Einwirkungen als besonders bedeutungsvoll unsere ungünstige Ernährung. 
In anderer Form bedrückt sie uns wieder. Fehlten uns vor einigen Jahren 
die lebenswichtigsten Nährstoffe, so sind sie heute, soviel sie aus dem Ausland 
stammen, nicht käuflich, und soviel sie das Inland liefert, außerordentlich 
verteuert. An sich ist die Sicberuog der Volksernährung Sache des Reiches. 
Aber auch hier ist ein reiches Betätigungsfeld durch die Hinweisung auf 
zweckmäßige Ausnutzung der vorhandenen freien Produkte gegeben. Nachdem 
der Herr Minister dann die Notwendigkeit einer strengen Ueberwachung des 
Verkehrs mit Nahrungsmitteln und die Bekämpfung aller minder¬ 
wertigen oder gar gesundheitsscbädichen Ersatzstoffe betont hat, erwähnt 
er die inzwischen erfolgte Einrichtung des Landesgesundheitsrats, in den nicht 
nur Mediziner, sondern in annähernd gleicher Zahl sachverständige Vertreter 
aller Kreise der Bevölkerung aufgenommen sind. Dieser Gesundbeitsrat soll 
unter Heranziehung von Sachverständigen in allen irgend wichtigen Fragen 
mitarbeiten, und nicht nur bei Gesetzen und Verordnungen des Preußischen 
8taates, sondern auch, soweit irgend möglich, bei denjenigen Reichsgesetzen, 
bei deren Vorberatung meine beauftragten Berater mitzuwirken haben. 

Am Schluß betonte dann der Minister, daß er jeder Bürokratisie¬ 
rung abhold sei (Bravo I) und verlange, daß Unterstützungsgesuche, die an 
staatliche oder kommunale Behörden gerichtet werden, schnell ihre Erledi¬ 
gung finden müssen und schließt dann mit den Worten: „Wir alle, die wir 
m der Wohlfahrtspflege tätig sind, müssen uns mit Freude und Optimismus 



38 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


unserer Arbeit hingeben. Dabei verkenne ich keinen Augenblick die gewaltigen, 
finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und Hemmnisse, 
mit denen wir jetzt und in den kommenden Jahren erbittert zu kämpfen haben 
werden. Ich glaube aber fest und unerschütterlich an den Wiederaufbau und 
an die Zukunft unseres Volkes. (Bravo!) Ich halte aber auch diesen (Hauben 
für eine nationale und vaterländische Pflicht! Darum mochte ich von dieser 
Stelle aus möglichst weiten Schichten unseres Volkes und in erster Linie den 
in der Wohlfabrtsarbeit stehenden Volksgenossen zurufen: Qlaubet mit mir 
an eine bessere Zukunft und bemüht Euch alle, durch hingebende Arbeit für das 
Wohl unseres Volkes diese kommende Zukunft zu bereiten!“ (Lebhafter Beifall!) 

Abg. Meyer • Solingen (Soz ): Mit dem vom Wohlfahrtsminister gestern 
entwickelten Programm sind wir einverstanden; hoffentlich läßt er auch die 
erforderlichen Taten folgen. Volksgesundheit und Volkskraft bilden die Grund¬ 
lagen für den Wiederaufbau unseres schwer geschädigten Vaterlandes; es muß 
jedenfalls alles geschehen, um dieses erstrebenswerte Ziel herbeizufübren. Es 
ist deshalb auch eine falsche Sparsamkeitspolitik, wenn die dazu 
erforderlichen Mittel nicht bewilligt und die dieserhalb von der Partei des 
Bedners gestellten Anträge im Hauptausschuß abgelebnt sind; denn alles, was 
nach dieser Richtung hin jetzt vernachlässigt wird, wird sich später einmal 
schwer räohen. Die Wohlfahrtspflege und soziale Fürsorge darf nicht wie 
bisher von der Gutmütigkeit oder dem guten Willen irgend einer Behörde 
oder von der Privatwohltätigkeit abhängen, sondern sie bildet einen wichtigen 
Teil der staatlichen Pflichterfüllung. Die Aufgaben, die sich nach dieser 
Bichtung bin der Herr Minister gestellt hat, dürfen deshalb auch nicht auf 
dem Umwege über seine Gebeimräte eine uns nicht zusagende Herabminderung 
erfahren; denn im Wohlfahrtsministerium sind noch verschiedene Herren vor¬ 
handen, die ihrer politischen und sonstigen Einstellung nach noch vollständig 
im alten System wurzeln. Bedner erinnert an den im Hauptausschuß vor¬ 
gekommenen Vorfall, bei dem der Herr Ministerialdirektor Dr. Gottstein 
gegenüber seinem Parteifreunde, dem Abg. Dr. Beyer, der eine Beihe von 
Maßnahmen der Regierung kritisiert habe, die Meinung vertreten habe, daß 
sich eine solche Kritik des Abgeordneten mit seiner Stellung als Beamter im 
Ministerium nicht vereinbaren lasse. Ein solcher Angriff gegenüber der 
Abgeordnetenfreiheit müsse ebenso wie im Hauptausschuß auch hier 
im Plenum energisch zurückgewiesen werden. Bedner klagt dann weiter darüber, 
daß die großen Ortskrankenkassenveibände sich im VolksWohlfahrts¬ 
ministerium nicht der ihnen zukommenden Achtung und Wertschätzung erfreuen, 
obwohl sie auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge doch unendlich viel geleistet 
haben. Verschiedentlich werden Aenderungen in Veiwaltungsmaßregeln gegen¬ 
über den Krankenkassen getroffen, ohne vorher mit diesen Fühlung genommen 
zu haben, z. B. über die Besoldung der Krankenkassenangestellten, über die 
Erhöhung der ärztlichen Gebühren und der Arzneitaxe in den besetzten Ge¬ 
bieten. Das ganze Heilwesen muß, soweit es sich auf Krankenanstalten, 
Aerzte, Apotheken, Bäder usw. erstreckt, von dem materiellen Beigeschmack 
losgelöst werden, d. h. sozialisiert werden, damit die Aerzte nicht mehr 
kranke Menschen heilen, um Geld zu verdienen, sondern um sie zu heilen und 
gesund zu machen. (Sehr richtig bei den Sozialdemokraten.) 

Bedner kritisiert dann in eingehender Weise die bisher vom Ministerium 
auf dem Gebiete des Wohnungswesens getroffenen Maßnahmen; fordert eine 
Erhöhung der Baukostenzuschüsse, verlangt aber ein einheitliches Verfahren 
bei ihrer Verteilung gegenüber der jetzigen Zersplitterung. 

Die Zuschüsse sollten möglichst nicht an private Unternehmer, sondern 
an gemeinnützige Korporationen gegeben werden. Die Höchstmietenverordnung 
hat sich nach seiner Meinung durchaus bewährt; auf diesem Wege muß 
fortgefahren werden. Ebenso ist an der bewährten Mieterschutzgesetzgebung 
festzuhalten (Bravo bei der S. P.). 

Abg. Frau Dr. Lauer (Zentr.): Das Ministerium für Wohlfahrt soll ins¬ 
besondere für unsere Jugend wirken; wir zweifeln nicht an seinem guten 
Willen, wenngleich manche der Positionen des Etats nur ein Tröpflein auf 
einem heißen Stein bedeuten. Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten hat das 
Wohlfahrtsministerium seit seiner Gründung das von vornherein gesteckte 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt 89 

Arbeitsprogramm innegehalten. In kurzer Zeit ist es gelangen, es za einer 
Organisation ansznbanen, die unter Hinzuziehung der verschiedenen Bevölke- 
raags8chichten Gutes geschaffen hat. Diese Bntwicklang geht natürlich nur 
schrittweise vorwärts, aber die bisherigen Erfolge zeigen deutlich den besten 
Willen. Hinderlich waren die bisher nicht abgeschlossenen Grenzen zwischen 
der Zuständigkeit der Reichs* und Landesbehörden. Im sozialpolitischen Aus¬ 
schuß haben wir zur Genüge erfahren, wie hemmend diese Kompetenzschwierig¬ 
keiten für unsere Arbeit waren. Meine Freunde haben eine ganze Reihe von 
Wünschen für die künftige Entwicklung des Ministeriums. Wenn wir an den 
Wiederaufbau des Volkes gehen, so wissen wir, daß die gegenwärtige Gene¬ 
ration die Wiederherstellung nicht erleben wird, sie hat aber die Pflicht, diese 
Wiederherstellung für eine kommende Generation einzuleiten. Hinderlich dabei 
sind aber die leidenschaftlichen politischen und wirtschaftlichen Kämpfe, die 
Fruchtlosigkeit unserer Parlamente und unsere innere Zerrissenheit Mit der 
Jugendpflege soll dem furchtbaren Elend, das wir heute auf allen Gebieten 
sehen, entgegengearbeitet werden. Hierin liegt eine Hauptaufgabe aller Träger 
der Kultur. — Es mnß für Spiel und Sport und demzufolge auch für ge- 
aügende Spiel- und Sportplätze, Wanderherbergen, Lehrgänge und 
Kursen gesorgt werden. Wir verlangen, daß die für Spiel und Sport not¬ 
wendigen Geräte nicht künstlich durch Steuern verteuert werden. (Sehr 
richtig I) Das hieße die Kraft der Jugend versteuern. Genau wie die Be¬ 
kämpfung der Wohnungsnot, stellt die Jugendpflege eine prinzipielle Aufgabe 
les Landes dar. Die Mißstände im Fürsorgewesen sind wesentlich auf 
die zu geringe Finanzierung zurückzuführen. Der Staat hat sich zu wenig 
darum gekümmert und alles den Vereinen überlassen. Wir hoffen, daß im 
nächsten Etat mehr Mittel für diesen Zweck eingestellt werden. Eine Ver¬ 
einheitlichung und Zusammenfassung der Jugendwohlf ahrts- 
pflege ist dringend notwendig. Im engsten Zusammenhänge mit der Für¬ 
sorgeerziehung steht auch die Fürsorge der Psychopathen. Das Studium 
dieser noch keineswegs vollständig geklärten Frage ist so wichtig, daß es 
unbedingt gefordert werden muß; deshalb ist auch vom Hauptausschuß ein 
besonderer Betrag dafür in den Haushalt eingestellt. Rednerin weist dann auf 
die in privaten und kirchlichen Kranken- und Wohltätlgkeitsanstalten noch 
immer finanzielle Not hin, die durch die angeblich beabsichtigte Errichtung 
einiger Krankenanstalten seitens der Knappschaftsvereine und Krankenkassen 
noch gesteigert werden würde. Man sollte die vorhandenen Krankenanstalten 
lieber unterstützen, als ihre Existenzmöglichkeit zu gefährden; dies sei auch für 
die Krankenkassen finanziell viel günstiger. — Je mehr die soziale Fürsorge 
öffentliche Angelegenheit geworden ist, desto notwendiger hat sich die Mit¬ 
arbeit der Frau auf diesem Gebiete ergeben, aber nicht nur in ausübender 
Tätigkeit als Fürsorgerin, sondern auch in leitender Stellung als Re- 
formatorin bei den Bezirksregierungen. Selbstverständlich muß sie die 
erforderliche Ausbildung genossen haben. Auch die weitere Ausbildung der 
Kreisärzte in sozialhygienischer Hinsicht, die durch die Errichtung der Bozial- 
hygienischen Akademie gefördert ist, kann nur mit Freuden begrüßt werden; 
,denn nur mit Hilfe sozial arbeitender und sozial denkenker Kreisärzte ist es 
und wird es möglich sein, die Fürsorgemaßnahmen auf hygienischem Gebiete 
sozial durchzuführen (Sehr richtig 1 links und rechts). 41 Es ist deshalb nur zu 
bedauern, „daß man diese für unser Fürsorgewesen so wert¬ 
vollen Kräfte, an die die größten Anforderungen gestellt 
werden und die mit der größten Verantwortlichkeit für unser 
Fürsorgewesen belastet sind, bei der Besoldungsordnung 
verhältnismäßig niedrig eingestellt hat (Sehr wahr! bei der 
D. nat V. P.).* Um so unverständlicher ist es, daß man im 
jetzigen Augenblick, ehe eine andere Einstufung erfolgen 
kann, die Nebeneinnahmen unmöglich machen will, wie es 
einer der vorliegenden Anträge wünscht — Bei der beabsichtigten 
Umgestaltung des ärztlichen Ausbildungswesens ist besonders 
darauf zu achten, daß genügend Gelegenheit zur praktischen Ausbildung in 
Krankenhäusern gegeben und den Praktikanten und Volontärärzten in diesen 
lür die geleistete Arbeit nicht nur freie Wohnung und Verpflegung, sondern 
auch die Hälfte des Assistentengehaltes gewährt wird. Mit der Abschaffung 



40 


Dr. Bapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


der Entliehen Ehrengerichte ist die Partei der Bednerin ebensowenig ein¬ 
verstanden wie mit der beantragten Sozialisierung des Heilwesens. Für eine 
großzügige Familienfürsorge in Krankheitsfällen läßt sich auch in Ver¬ 
bindung mit behördlichen und privaten Organisationen, Krankenkassen nnd 
Landesversicherungsanstalten sorgen, wie dies in Köln geschehen ist. 

Schließlich befürwortet Bednerin ebenso wie der Vorredner die Gewährung 
besonderer Beihilfen an die Krüppelanstalt Oskar-Helenenheim in Dahlem, 
sowie für die Friedrichstadtklinik in Berlin; sie fordert ferner die 
Unterstellung der staatlichen B&der unter das Wolilfahrtsmintsterlum, 
den Erlaß eines Tuberkulosegesetzes, in dem die Anzeigepflicht bei offener 
Tnberkalose vorgesehen ist und ein Beichsgesetz zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Der beantragten Forderung eines Gesundheits¬ 
attestes für die Eheschließenden steht Bednerin an sich sympathisch gegen¬ 
über, hält sie aber für so schwierig und einschneidend, daß sie zunächst noch 
einer eingehenden Prüfung bedarf, die am besten durch den bevölkerungs¬ 
politischen Ausschuß vorgenommen wird. Inzwischen sollte aber das Mini¬ 
sterium durch weitgehende Aufklärung im Sinne dieses Antrages dafür Sorge 
tragen, daß die Eitern schon jetzt für ihre eheschließenden Kinder Gesundheits¬ 
atteste fordern. Mit der Bitte, daß die vom Ausschuß angestellten höheren 
Beträge die Zustimmung des Hauses und des Finanzministeriums finden werden, 
schließt Bednerin ihre Ausführungen, indem sie sich noch besonders mit dem 
Standpunkt des Herrn Ministers einverstanden erklärt, daß sich das Wohl¬ 
fahrtsministerium immer mehr und mehr zu einer großartigen Organisation 
der Vorbeugung sozialer Schäden entwickeln möchte. (Bravo im Zentrum.) 

Abg. Stuhrmann (D. Nat): Den neuen Herrn im Volkswohlfahrts- 
ministerium werden wir nach seinen Taten beurteilen. Wir begrüßen seine 
Erklärung, in den Spuren seines Vorgängers, dessen Tätigkeit Bedner dankend 
anerkennt, wandeln zu wollen. 

Das Wohlfahrtsministerium kann man wohl als ein offizielles Die&sttum 
für Volksnot und Staatshilfe bezeichnen. Bei keinem anderen Etat tritt 
diese große schwere Volksnot uns als fnrehtbare Realität so entgegen wie gerade 
hier. Wir alle hier sind gewiß trotz aller sonstigen Gegensätze in dem Wunsch 
und Willen einig, dieser furchtbaren Volksnot wenigstens auf dem Wege der 
Staatshilfe nach Möglichkeit zu steuern, damit das Ziel erreicht wird, einen 
innerlich nnd äußerlich gesunden neuen Volkskörper herauszuarbeiten. Dieser 
Biesenaufgabe gegenüber erscheinen die Etatsmittel geradezu zwergenhaft. 
Das findet aber seine ganz natürliche Erklärung durch die Tatsache des Vor¬ 
handenseins einer anderen schweren Volksnot, nämlich der Geldnot. Es ist ja 
sehr bequem, einfach neue Summen in den Haushalt einzustellen, und die 
Linke stellt ja mehr Mittel neu in den Etat, als er schon enthält. Aber in 
Wirklichkeit darf man sich doch im November 1921 nicht einbilden, daß man 
heute oder morgen, wenn man nur die Macht in die Hände bekommt, eine 
neue Welt schaffen kann. Wir leben eben in der brutalen Gegenwart and 
nicht in Wölkenkuckucksheim. Aber die Finanznot ist noch nicht das 
schlimmste. Unter den Volksproblemen, deren Lösung sich uns immer stärker 
aufdringt, tritt die Wohnungsnot hervor. Sie ist nicht nur eine Mieter not, 
sondern auch eine Hausbesitzernot, das muß man zugeben, ohne deswegen 
als Vertreter einseitiger Hausbesitzerinteressen angesehen zu werden. Da 
möchten wir ganz entschieden davor warnen, daß das Volkswohlfahrtsministerium 
auf dem Wege seiner bisherigen Wohnungspolitik fortschreitet; denn diese muß 
über kurz oder lang zur völligen Verelendung des Hausbesitzertums führen, 
eines Standes, der für den Volkswiederaufbau unentbehrlich ist. Wir können 
uns des Eindrucks nicht erwehren, als ob man auf diesem Wege vieUeicbt zur 
zwangsweisen Sozialisierung des Wohnungswesens kommen möchte. Tritt 
man diesem Gedanken realpolitisch näher, so findet man, daß die Voraus¬ 
setzungen, die dafür vorhanden sein müssen, heute nicht vorhanden sind. Die 
heutige Zeit entbehrt jeder Voraussetzung für das Unternehmen von Experi¬ 
menten mit diesem Allheilmittel der Sozialisierung; es fehlt die Vollreife der 
wirtschaftlichen Umstände; es fehlt auch die sittliche und soziale Betrachtungs¬ 
weise der Bevölkerung. 

Als ein Problem der kultursozialen Volksnot steUen sich Alkoholismus, 
Prostitution, Geschlechtskrankheiten, Fürsorgeerziehung usw. dar. Hier 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 41 


handelt es sich nicht um bloß hygienische, nicht bloß um leibliche körperliche 
Probleme, sondern um innerliche, seelische, othische, moralische Aufgaben. 
Eigentümlich muß es berühren, wenn wir einerseits zur Bekämpfang des Alko- 
holismus Staatsmittel in den Etat einsetzen und andrerseits wahrnehmen 
müssen, daß in den D-Zügen Plakate hängen, welche Weinbrand, Liköre usw. 
in die Augen fallend anpreisen. Auch das ist ein Schlag ins Gesicht aller 
noch anständig denkenden Menschen. Im letzten Grunde handelt es sich hier 
überall um Noterscheinungen, die als Früchte einer langjährigen Entwicklung 
erscheinen, an der schließlich die Revolution nicht geringen Anteil gehabt hat. 
Diese riesengroße ethische Unter bilanz unseres Volkslebens ist nicht die 
Schuld des einzelnen, sondern eine Allgemeinverschuldung, an der wir alle 
tragen. Gelangen wir nicht zu dieser Erkenntnis, so werden wir auch nicht 
zu einer Gesundung des Volkes von innen heraus kommen. Vor hundert 
Jahren, als damals alles zusammenbracb, wurde erst das Wort von Sc hen¬ 
ken dorff Allgemeingut „Wir haben alle schwer gesündigt“, dann erst konnte 
ein Stein mit seinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen ein¬ 
setzen. Wir müssen neue sittliche Lebenswerte produzieren. Das kann nicht 
der Staat, der nur schematisiert und reglementiert. Wir müssen alle weit- und 
warmherzig solche neuen sittlichen Lebenswerte erzeugen helfen. Wir müssen 
die neuen Sittlichkeitswerte prägen aus dem Kraftwerk der Religion. Ein 
erfreuliches Zeichen ist, daß diese Erkenntnis auch schon in den Reihen der 
Linken sich Bahn bricht. Der Wiederaufbau unseres Volkes ist nur auf der 
Basis des Christentums möglich. Hier wird sich zeigen, daß Stegerwald 
mit seiner Zukunftspolitik Recht gehabt hat, wenn er sagte, daß nach Lösung 
der wirtschaftlichen Notlage unser Volk sich vor die Frage gestellt sehen 
wird, wem es folgen solle: entweder der christlichen Weltanschauung oder 
der rein marterialistischen. Das Herausarbeiten eines Sozialismus, der anders 
ist als der rote Marxismus, nämlich ein christlicher Sozialismus, ist 
der Weg, der uns aufwärts führt. Und nur in dem Maße, wie es uns gelingen 
wird, einen solchen christlichen Sozialismus aus der Muttererde eines wirklichen 
sozialen Christentums zu produzieren, werden wir die große Frage des Neu¬ 
aufbau unseres Volkes lösen können. (Lebb. Beifall bei der D.-nat. V. P.) 

Abg. Engberdlng (D. Vp.): Wir sind bereit, an den Arbeiten des 
Wohlfahrtsministeriums mitzuarbeiten. Wir haben zu dem Minister und zu 
dessen Mitarbeitern das Vertrauen, daß sie das Beste leisten, wenn auch nicht 
alle Ziele erreicht werden können. Das liegt daran, daß die erforderlichen 
Mittel nicht vorhanden sind. Was bisher zur Lösung der Wohnungs- und 
Siedlungsfrage geleistet ist, wird uns dieser so wichtigen wirtschaftlichen und 
sozialen Frage nicht näher bringen. Der Wohnungsbau muß ganz anders 
gefördert werden. Man darf nicht vergessen, daß eine Rationie¬ 
rung der Wohnungen vorgenommen worden ist, daß man aus einer Wohnung 
zwei oder drei gemacht hat, und dazu waren 1914 in vielen Städten viele 
Wohnungen unbewohnt. Die große Zahl der Eheschließungen, die z. B. in 
Münster, trotz seiner industrielosen stabilen Entwicklung um 110 Prozent 
zugenommen hat, trägt zur Wohnungsnot erheblich bei. Es sind wenigstens 
100 Milliarden Papiermark notwendig, um den städtischen Wohnungsbau in 
erforderlichem Maße zn fördern, in Wirklichkeit stehen nur 1,1 Milliarden zur 
Verfügung. Daß ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch der Etagenbau 
muß gefördert werden; er ist erheblich billiger als der Flachbau; der Sied¬ 
lungsidee wird dadurch aber in keiner Weise Abbruch getan. Auch hierin muß 
man Großzügigkeit zeigen und auch Privaten Zuschüsse geben. Dem Haus¬ 
besitzer muß nach Abzug aller Unkosten, der Versicherungsgebühren, Repa¬ 
ratur- und Verwaltungskosten eine Verzinsung des investierten soliden Kapitals 
gesichert werden, die mindestens der Verzinsung der Kriegsanleihen entspricht. 
Gegen die Höchstmietenverordnung protestieren wir nicht, wohl aber 

E gen ihre Handhabung. Wir können dem Minister darin nicht folgen, eine 
etssteuer einzuführen, um Mittel für Neubauten zu gewinnen; derartige all¬ 
gemeine Lasten müssen von der Allgemeinheit getragen werden. (Bravo; rechts.) 

Abg. König-Weißenfels (Komm.): Meine Partei wird dem Herrn Mi¬ 
nister bei Ausführung seines Programms gern unterstützen; bisher ist es aber 
nur bei Versprechungen geblieben und wenig davon ausgeführt, weil die Mittel 



42 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtage« 


fehlen. Insbesonders gilt dies betreffs der Bekämpfung der Wohnungsnot. 
Eine erschreckende Folge des Wohnungselends ist die Zunahme derjenigen 
Kinderkrankheiten, die man als Wohnungskrankheiten bezeichnen 
kann. In Berlin ist nach dem Bericht eines Schularztes jedes füofte 
Kind einer Gemeindeschule als krank anzusehen (hört, hört!); daran ist 
aber nicht die Hungerblockade der Feinde, sondern die der Groß- nnd 
Kleinagrarier schuld (Widerspruch rechts). Wir wollen das Wobnungs- 
elend grundsätzlich beseitigen und fordern deshalb eine genaue Woh¬ 
nungsstatistik, einen strengen Wohnnngsnachweis und Exekutiv¬ 
gewalt für die Wohnungsämter. Unser Antrag verlangt ferner eine 
durchgängige Wohnungsbeschlagnahme unter Zuweisung der größeren Woh¬ 
nungen an kinderreiche Familien, völlige Enteignung des Haus- und Grund¬ 
besitzes und Ueberfiihrung der Eigentums- und Besitzrechte auf Reich, Staat 
und Gemeinde, unter MitbestimmungBrecht der Mieterorganisationen. Die all¬ 
gemeinen Mittel für Wohnungsbau sollen aus der Wegsteuerung der großen 
Einkommen und Konfiskation der großen Vermögen genommen werden. Alle 
besonderen Wobnnngssteuern siud abzulehnen. Redner befürwortet weiter 
einen Antrag, 100 Millionen Mark für die Kriegsbeschädigten in Prenßen 
bereitzustellen und spricht dann über die Schäden des Alkoholkonsums. Eine 
ungeheure Menge von Nährstoffen werde zu Alkohol verarbeitet, die besser zur 
Volkscrnährung verwendet würden. Deshalb fordere seine Partei, daß Alkohol 
nur noch für technische und medizinische Zwecke hergestellt und neue Schank¬ 
konzessionen nicht mehr erteilt werden dürfen. Im Gegensatz zu den ameri¬ 
kanischen, englischen, schwedischen usw. Aerzten nehmen die deutschen 
Aerzte nur im geringen Maße aktive Stellung zur Alkoholfrage, sonst würde 
auch bei uns die Bekämpfung des Alkoholinißbrauches mehr Erfolg erzielt 
haben. Im Jahre 1920 seien 15 Milliarden für alkoholische Getränke aus¬ 
gegeben, dagegen für Zucker, der viermal besseres Nährmittel darstellc, nur 
5 Milliarden. Fast 5 Millionen Zentner Gersienmalz wurde zu Bier ver¬ 
arbeitet; davon könnten je 1 Million Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere 
und Kranke wöchentlich 2 Pfund Gerstenmehl, Flocken, Zwieback usw. erhalten. 
Auch die Zahl der in die Krankenanstalten eingebrachten Alkoholiker ist in 
den beiden letzten Jahren wieder erheblich gestiegen. Zum Schluß begründet 
Redner noch den von seiner Partei gestellten Antrag auf Aufhebung der ärzt¬ 
lichen Ehrengerichte. Bei ihrer Gründung haben nicht ideelle, sondern haupt¬ 
sächlich materielle Interessen im Vordergründe gestanden, und wenn man in 
die Praxis der Ehrengerichte hiueinschaut, so findet man, wie Redner durch 
einzelne Beispiele nachzuweisen sucht, Vorgänge, die geradezu an das Mittel- 
alter erinnern. Jedenfalls gehören in eine sozialistische Republik keine 
Sondergerichte über den Begriff der Ehre. Die ärztlichen Ehrengerichte sind ein 
Hemmnis der ärztlichen Wissenschaft und des Fortschritts; sie knebeln die 
persönliche Freiheit, steigern die Erbitterung des Volkes und vergrößern noch 
das Menschheitselend. (Bravo bei den Kommunisten.). 

Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Das Volks Wohlfahrtsministerium ist wohl das 
umfangreichste Ressort, das wir haben; dafür spricht schon die Länge des 
Programms des neuen Ministers. Von ihm gilt, was von seinem Amtsvorgän¬ 
ger galt: Die Herren vom Zentrum, die durch die München-Gladbacher Schule 
gegangen sind, verfügen über einen gewissen sozialen Einschlag, vor dem wir 
Respekt haben. Solange Vertreter solcher bürgerlichen Parteien die Minister¬ 
bank zieren, sind sie immerhin die Männer, die Verständnis für soziale Nöte 
haben und manche dieser Nöte lindern können, wenn sie entschlossen und 
rührig herangehen. Der Minister Hirtsiefer verfügt, soweit uns sein Pro¬ 
gramm erkennen läßt, über die nötige Portion Fortschritt und Entschlossenheit; 
aber Herr Minister, wenn Sie an die Durchführung dieses Programms gehen, 
ist es das Wichtigste: Sie müssen sich eiuen großen eisernen Besen 
mitnehmen, um in Ihrem Ministerium zunächst einmal Auskehr zu halten, 
(sehr richtig! bei den U. S. P.) Selbst wenn der Herr Minister jetzt täglich 24 
Arbeitsstunden zur Verfügung haben sollte, wird er nicht imstande sein, ohne 
sich schließlich auf seine Ressortspezialisten zu stützen, die Moderluft zu 
dnrehdringen, die gerade in den Geheimratsstuben seines Ministeriums herrscht. 
Zutreffend nennt man das Ministerium auch das Aufbauministerium, aber von 
allen seinen langen Programmen ist bis jetzt kaum etwas in die Tat umgesetzt 


i 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 43 

worden. Das gilt auch von dem Programm nnd der 2‘/* jährigen Amtstätigkeit 
des Herrn Stegerwald. Nnr Kleinigkeiten hat man zastandegebracht. Ein 
schweres Hemmnis ist zwar die Finanzfrage, denn die Durchführung der Volks* 
Wohlfahrt kostet Geld: aber diese Gelder haben werbende Kraft und 
bringen hundert und tausendfältige Zinsen. Die Mitarbeiter 
des Ministers, die wir im Ausschuß für Bevölkerungspolitik kennengelernt 
haben, sind nicht nur in politischer, sondern auch in wissenschaftlicher und 
sozialer Hinsicht aus einem antediluvianischem Holze geschnitten; sie 
haben für das, was man moderne Ansichten nennt, kein Verständnis und werden 
deswegen auch nur schwer für die neuen Gedanken im Programm des Ministers 
Propaganda machen. Gehört doch zu diesen Mitarbeitern jener polizeiliche 
Sittlichkeitswächter, dem gestern auch Minister Severing mit aner¬ 
kennungswertem Freimut den blauen Brief überreicht hat, soweit Herr Professor 
Brunner von der Polizei ressortiert. — Der Minister hat gestern die Einbe¬ 
rufung des Landesgesundheitsrats erwähnt, der zur Hälfte aus Laien und 
sogenannten Sachverständigen, im ganzen aus 117 Personen besteht. Seine 
Zusammensetzung ist merkwürdig und alles andere eher als unparteiisch; ihm 
gehören nicht weniger als 12 Mitglieder des Ministeriums an, die darin höchstens 
als Kommissare etwas zu suchen haben; es fehlen aber Vertreter der Unab¬ 
hängigen Sozialdemokratie und der Kommunisten, während sonst alle Parteien 
darin yertreten sind. Das ist parteiisch und dafür machen wir den zuständigen 
Ministerialdirektor verantwortlich. Auch die Naturheilbewegung 
ist darin durch einen Laien nicht yertreten, ebensowenig die Homöopathie; der 
eigentliche Zweck, Vertreter aller Richtungen dort zu vereinigen, ist somit 
nicht erreicht; die Folge davon wird sein, daß der Landesgesundheitsrat 
nicht das erforderliche Vertrauen besitzen wird. — Bei Bekämpfung der Volks¬ 
krankheiten hat der Minister u. a. behauptet, die Tuberkulose sei im Aussterben 
begriffen, da die Zahl der Todesfälle abnehme. Das grenzt sehr an Schön¬ 
färberei. Die Zahl der tuberkulösen Kinder, der skropnulosen und blutarmen 
Kinder, die den Nährboden für die Tuberkulose bilden, hat gewaltig zuge¬ 
nommen. Hier müssen vor allem vorbeugende Maßregeln getroffen werden. 
Auf unseren Antrag hat der Ausschuß einmütig beschlossen, die Anzeige¬ 
pflicht für alle Erkrankungen an offener Tuberkulose zu fordern, damit 
wertvolles statistisches Material beschafft wird. Im Ministerium hätte, da 
dieser Beschluß schon 4 Monate alt ist, längst etwas zur Ausführung geschehen 
können; denn dies kostet ja gar kein Geld, sondern nur guten Willen und 
Verständnis für die sozialen Nöte der Bevölkerung. In der Frage der Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose wird im Ministerium unglaublich bureau- 
k r a t i s c h gearbeitet. Ein dort kürzlich erst hineingeschneiter Geheimrat hat 
den dafür im Etat stehenden Ausgabeposten von einer Million zu verwalten. 
Er hat uns mitgeteilt, daß diese Million im April noch garnicht ausgegeben 
war, und dies damit begründet, daß alle Anträge auf Heilstättenbehandlung 
erst dem zuständigen Regierungspräsidenten zugeschickt werden, um die Wür¬ 
digkeit und Bedürftigkeit des Kranken festzustellen. Darüber vergehen Wochen; 
kommen dann die Anträge an das Ministerium, so wird nochmals ein Mitglied 
desselben für' die nochmalige gleiche Feststellung aufgeboten. Darüber ver¬ 
gehen Monate, und schließlich sterben die Tuberkulösen darüber weg. Er hat 
bei seinem Chef den Antrag auf Wegfall der zweiten Feststellung gestellt. 
Dieses eine Beispiel spricht Bände, in welcher Weise das Ministerium die 
Tuberkulose praktisch bekämpft und die Einweisung in die Heilstätten fördert. 
Möge der Minister diesem Wunsch entgegenkommen nnd überhaupt auch den 
jugendlichen Kräften in seinem Ministerium bei ihren Bestrebungen, dort im 
modernen Geiste zu wirken, nicht ihre Fänge beschneiden. Auch sein Ressort muß 
demokratisert, insbesondere verjüngt werden müssen. — Seit 2 V* Jahren sollen 
wir ein Hebammengesetz bekommen. Es ist das eine sehr schwere Entbindung. 
Im vorigen Jahr waren wir schon so weit, aber der Entwurf gefiel den Geheim¬ 
räten im Ministerium nicht, und durch ihre Beziehungen zur Rechten setzten 
sie es auch durch, daß er im letzten Augenblick unter den Tisch fiel. Hoffent¬ 
lich wird der neue Entwurf, der in den nächsten Tagen an uns kommt, so 
beschaffen sein, daß die Mütter und Hebammen daran ihre Freude haben. 
Bedenklich ist allerdings, daß der jetzige Entwurf den Geheimräten gefällt, 
die Mütter und Hebammen aber von ihm nichts wissen wollen. Da muß also 



44 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


eine starke Hand eingreifen and hier Abhilfe schaffen. Betreffs der Kreisärzte 
habe ich schon im vorigen Jahr daraaf hingewiesen, dsß die Zahl der voll¬ 
besoldeten Kreisärzte za gering sei; sie hat allmählich zugenommen, 
das genügt aber nicht. In aiet-er Hinsicht weiß ich mich mit dem verehrten 
Herrn Dezernenten im Woblfahrtsministenam einig, der auch nichts sehnlicher 
wünscht, als daß die Zahl der nebenamtlich beschäftigten Kreisärzte überhaupt 
nächstens verschwinden soll, denn bei der umfangreichen Tätigkeit, die den 
Kreisärzten jetzt zugemutet wird, ist eine nebenamtliche Betätigung dieser 
Herren überhaupt ein Unding. Aber die Herren auf der Rechten sehen diese 
vollbesoldeten Kreisärzte nicht gern, denn wenn solch ein Herr sich in vollem 
Umfang der hygienischen Betreuung seines Kreises widmet, sieht er da manche 
Mißstände, die beseitigt werden müssen. Das kostet aber (Jeld und deshalb 
sind sie Gegner der vollbesoldeten Kreisärzte. (Widerspruch rechts.) Die Agra¬ 
rier sind Gegner aller hygienischen Verbesserungen, weil sie Geld kosten. (Sehr 
wahr, links.) Abgesehen von der nebenamtlichen Beschäftigung hat der Kreisarst 
natürlich für die mannigfachen Aufgaben, die ihm auferlegt sind, nicht die nötige 
Zeit nnd das nötige Interesse. Die Aufgaben eines modernen Kreis¬ 
arztes, besonders jetzt, wo er auch mit der Sozialhygiene vertraut sein soll, erfor¬ 
dern den ganzen Mann; er darf nichtauf Nebenbeschäftigung angestellt werden. 
Es liegt in der Natur der Sache, daß ja nach den angenehmen oder unangenehmen 
Beziehungen, die solch ein Kreisarzt zu den Kreisgewaltigen, vom Landrat 
angefangen, hat, auch die Hygiene, die Gesundheit des Kreises erheblich 
Schaden leiden kann. — Die Irrengesetzgebung und Apotliekengesetzgebung 
sind angeblich im Werden begriffen; das hören wir aber jedes Jahr; dabei 
kommen sie nicht vom Fleck. Auch die Familienkrankenveraicberung muß 
endlich durebgeführt werden; schon zweimal hat der Landtag beschlossen, 
daß sie obligatorisch werden soll. Der Minister als Treuhänder der Bevölke¬ 
rung muß unter Umständen den Zwang einführen und Zwaog auf die ärztlichen 
Verbände ausüben, daß sie ihren eigensüchtigen Widerstand aufgeben. Ein 
Antrag von uns verlangt die Sozialisierung des Heilwesens. Das Elend im 
Aerztestand ist außerordentlich groß; die Aerzte müssen, wenn sie nicht 
untergehen sollen, hohe Preise nehmen. Gerade weil ich den Aerztestand hoch 
schätze, möchte ich es vermieden sehen, daß ein Arzt gezwungen ist, Geld zu 
nehmen. Der Arzt sollte von jeder Betätigung für Geld fern gehalten werden; 
er sollte ein Beamter im Dienste der Allgemeinheit sein, d. h. das Heil wesen 
sozialisiert werden. Die Befürchtungen, ein beamteter Arzt würde der 
Initiative entbehren, sind grundlos, wie Beispiele bereits beamteter Aerzte, 
Richter usw. zeigen. Weiter verlangen wir die Abschaffung der ärztlichen 
Ehrengerichte. Nachdem die Ehrengerichte für Offiziere beseitigt worden 
sind, dürfte es überhaupt besondere Ehrengerichte für einzelne Stände nicht 
mehr geben. Die ärztlichen Ehrengerichte haben gar keinen Sinn und gar 
keinen Zweck. Wenn man aus dem Urteil der Ehrengerichte ersieht, mit welchen 
Lappalien diese Gerichte sich beschäftigen, so muß man sie lächerlich finden. 
Die von den Aerzten gegen unser Verlangen vorgebrachten Gründe sprechen 
für unseren Antrag. Zum Schluß warnt Redner den Minister davor, das bißchen 
Mieterschutz, das wir haben, zu durchlöchern. Auf dem Gebiete der 
'Wohnungsfürsorge muß der Minister rücksichtslos gegen die Wohnungsspe¬ 
kulanten Vorgehen. Es darf nicht Vorkommen, daß, wenn ein Wohnungsamt 
nach langem Zögern endlich einmal eine Beschlagnahme vornimmt, diese 
Beschlagnahme auf Einspruch des Oberpräsidenten wieder aufgehoben wird. 
Unbedingt notwendig ist es auch, daß endlich einmal das Ministerium die 
unwürdigen Zustände in den Adlershofer Baracken, wo gegenwäitig 
1600 vertriebene Oberscblesier bansen müssen, beseitigt. Wir sind der Ansicht, 
daß schon unter den hentigen Zuständen mannigfache Nöte der Bevölkerung 
gemildert werden können, wenn nur der Wille dazu vorhanden ist. Wir sind 
bereit, den Wohlfabrtsminister in dem Bestreben anf Milderung dieser Nöte 
tatkräftig zu unterstützen, verlangen aber, daß der Minister sich endlich nach 
jnnen und außen hart erweist. (Lebhafter Beifall bei der U. 8. P. D). 

Abg. Dr. Höpker-Ascboff (D. Dem.): Im Gegensatz zu den Anschau¬ 
ungen der Kommunisten werden wir immer wieder auf das schwere Unrecht 
hinweisen, das uns durch die Hungerblockade unserer Feinde zugefügt 
worden ist. Die preußische Regierung bitte ich mit allem Nachdruck darauf 



aber den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 45 


hinznwirken, daß das Reichsgesetz über dieMieteinignngsämter möglichst 
bald herauskommt, dessen Grundsätzen man im allgemeinen zustimmen kann. 
Redner geht dann weiter auf die Mietzinsregelung, Zwangswirtschaft der 
gewerblichen Räume ein und betont die Notwendigkeit einer Förderung des 
Wohnungsbaues. Er wendet sich gegen eine Sozialisierung des Woh¬ 
nungswesens und wünscht ein Reichsheimstättengesetz. Der Bau 
neuer Mietskasernen ist tunlichst zu vermeiden, dagegen sind Siedlungen mit 
Flachbau zu fördern. (Beifall bei den D. Demokr.) 

Abg. Dr. Quaet «Faslern (D.-nat. V.-P.): Der Haushalt des Ministeriums 
für Volkswoblfahrt stellt eine Plattform dar, auf der eigentlich in der Hebung 
unserer Volkskraft und Volksgesnndbeit sämtliche Parteien sich finden sollten. 
Unser deutsches Haus siebt sehr öde und ungewöhnlich aus; unter seinen 
Bewohnern ist schwere Krankheit eingezogen und herrscht noch heute. Unser 
Volk ist krank. Das sind die ungeheuren Nachwirkungen des Krieges, 
körperlich und seelisch, die Nachwirkungen der Revolution und der Nach¬ 
kriegszeit. Vor allen Dingen sind auch in weitem Muße die Gehirne erkrankt. 
Ungeheuer schwer iBt nun die Aufgabe der Gesundung, weil die gewaltige 
Finanznot unseres Volkes hier die schwersten Hemmnisse in den Weg legt. 
Wir müssen an der sittlichen Wiedergesundung unseres Volkes arbeiten und 
von der natürlichen Volksgesnndbeit retten, was überhaupt noch zu retten ist. 
In allererster Linie ist auf die Vorbeugungsmaßregeln Gewicht zu 
legen. Die Hebung unserer Volksgesunlieit muß erreicht werden durch 
Schaffung möglichst gesunder Lebensbedingungen, durch Erziehung und Er¬ 
tüchtigung unserer Jagend, durch die Förderung und Hebung der Ausbildung 
der für die Volksgesnndbeit in erster Linie verantwortlichen Aerzte, Kranken¬ 
pfleger, Hebammen, Jngendfürsorger usw. und durch eine Ausgestaltung der 
Fürsorge für die mit oder ohne ihre Schuld Verwahrlosten, Gebrechlichen 
und gesundheitlich Benachteiligten. Wir müssen anerkennen, daß Minister. 
Stegerwald das Beste gewollt und auch das Mögliche geleistet hat; wir 
können daher nur wünschen, daß sein Nachfolger in denselben Bahnen zu wandeln 
vermag. Was die Sittenpolizei anbetnfft, so sind wir auch der Ueberzeugnng, 
daß eine Vermehrung der weiblichen Beamten in der Sittenpolizei 
wünschenswert erseht int. — Die Zusammensetzung des Landesgesnudlieitsamts 
sollte nach den Austübrungen des Herrn Ministerialdirektors Gottstein im 
Ausschuß zur einen Hälfte aus Laien, zur anderen Hälfte aus Fachleuten be¬ 
stehen, wovon die eine Hälfte Nicht-Berliner sein sollten. Ganz stimmt dies 
aber nicht; wir würden es lieber gesehen haben, wenn die Zusammensetzung 
mehr zugunsten des Landes anstatt der Zentrale Berlin ausgefallen wäre. 
Außerdem bedauern wir, daß im Landesgesundheitsamt nicht Persönlichkeiten 
sind, die mit der Volksgesundheit in enger Beziehung stehen und auch Be¬ 
deutendes auf diesem Gebiete geleistet haben, nämlich Bürgermeister großer 
8tädte, die wir vollkommen vermissen, dann auch Vertreter der Tierarznei¬ 
kunde und der Landwirtschaft. Wir sehen das als eine starke Benachteiligung 
der Landwirtschaft an. 

Was die Sozialisierung des Aerztestandes, der Heilberufe und der 
damit zusammenhängenden Anstalten, der Apotheken usw. betrifft, so steht 
meine Partei auf dem Standpunkt, daß wir uns gegen diese Sozialisierungs¬ 
anträge aassprechen müssen. Wir betrachten sie wie jede Art der Verstaat¬ 
lichung als eine Beschränkung der persönlichen Initiative. Außerdem verbietet 
schon unsere Finanznot die Sozialisierung des Aerztestandes. Wir erkennen 
die Notlage der Aerzte an, die durch die Erhöhung der Versicherungsbeiträge 
entstanden ist und durch die Ausdehnung auf die Familienversichernng noch 
größer werden wird. Der Aerztestand wird aber dann nur noch Großzügiges 
und Vorbildliches wie bisher leisten können, wenn er ein freier Erwerbsstand 
bleibt. Wir Aerzte machen uns übrigens keine großen Gedanken über die 
Sozialisierungsversnche, weil wir wissen, daß gerade das Publikum es sein 
wird, das sich diese Sozialisierung verbitten wird. Die Aerzte sträuben sich 
aber in ihrer größten Mehrzahl gegen die Verleihung der Beamtenschaft, weil 
sie in dieser Verleihung eine weitere Proletarisierung erblicken. 

Ich möchte ein Wort für die Kreisärzte einlegen. Ihre Bedeutung ist 
hier schon verschiedentlich hervorgehoben worden. Die Regierung hat seiner¬ 
zeit eine ganze Anzahl junger Militärärzte in die Versorgungsämter eingesteUt. 



46 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


und zwar mit dem Titel „Regierungsmedizinalrat“, und hat sie in die Gruppe 11 
gebracht. Die Kreisärzte befinden sich zum größten Teil, zu etwa zwei 
Dritteln, immer noch in Gruppe 10. Seit langem ist es der Wunsch der Kreis¬ 
ärzte, in Gruppe 11 zu kommen und die Amtsbezeichnung „Regierungs¬ 
medizinalrat“ zu erhalten, nicht aber „Kreis-“ oder „Gewerbe-“ oder „Gerichts¬ 
medizinalrat“ zu heißen. In der letzteren Bezeichnung sehen sie mit Recht 
eine Zurücksetzung. Es wäre sehr erwünscht, wenn die Regierung dazu 
zurückkehren könnte, den Kreisärzten, wie es der einstimmigen Meinung der 
Berufsorganisation entspricht, die ihnen zukommende Bezeichnung zu geben. 
Ebenso wäre es erwünscht, wenn auch eiue Amtsbezeichnung, etwa als Re¬ 
gierungsrat, für die wissenschaftlichen Mitglieder der Landesanstalt für Wasser¬ 
hygiene und der staatlichen Nahrungsmitteluntersuchungsämter gefunden würde. 

Nachdem Redner dann die Schaffung von mehr etatsmäßigen Stellen für 
Volontärärzte, sowie die Gewährung von Beihilfen an die Friedrich¬ 
stadt-Klinik und das Oskar-Helenen-Heim in Dahlem befürwortet 
hat, betont er die Notwendigkeit einer privaten Fürsorge, die Beispielloses 
geleistet habe. Dahin gehört auch die Unterstützung der Lungenheil¬ 
stätte in Davos und Erhaltung der Diakonissenhäuser, die eben¬ 
falls in schwerer Not sind. Die Privatfürsorge ist auf vielen Gebieten bahn¬ 
brechend gewesen, so z. B. auf dem Gebiete der Krüppelfürsorge; die erste 
Anstalt für Krüppelfürsorge Bischofswerder ist z. B. 1896 der privaten Für¬ 
sorge entsprungen. Die Diakonissen tun ihren Dienst nach altem preußischen 
Muster, um der Sache willen; sie betrachten ihn als eine Art Gottesdienst, 
nnd das sollen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unter¬ 
stützen. (Sehr richtig! rechts.) Sie fragen auch nicht danach, ob ihre Arbeits¬ 
zeit 12, 14, 16 oder 18 Stunden dauert, sondern leisten ihren Dienst, obwohl 
die Angestellten mit achtstündiger Arbeitszeit weit besser bezahlt werden als 
sie, die ihre ganze Arbeit aus PÜichtbewoßtsein leisten. (Lebhafter Beifall.) — 
Auch die Volksheilstätten befinden sich in einer großen Not; ihr Ein¬ 
gehen würde jedenfalls eine schwere Gefahr für unsere Volksgesundheit bedeuten. 

Die Aufhebung der ärztlichen Ehrengerichtsbarkeit bedeutet eine 
nicht zu verantwortende Schädigung des Gemeinwohls und des Aerztestandes. 
Durch das Ehrengericht sollen die Pflichten des Arztes, die ihm nicht das 
B. Gesetzbuch vorschreibt, sondern die ihm nur durch das Standesbewußtsein 
auferlegt werden, geschützt werden. Dazu gehört zum Beispiel bedingungslose 
Hilfeleistung in Notfällen. Es gehört dazu das Vorgehen gegen unsittliches 
Verhalten gegen weibliche Kranke, was das Bürgerliche Gesetzbuch nicht erfaßt, 
gewissenloses Ausstellen von Attesten, die Erstattung mehrfach erforderter 
Gutachten und die marktschreierische Anpreisung und Reklame der Arzt¬ 
tätigkeit. Meine Partei ist deshalb auch energisch gegen jede Abmilderung 
dieser Abtreibungsparagraphen. (Bravo! rechts.) 

Mit jeder Vermehrung der Fraueureferute sind wir einverstanden, 
nicht aber mit einer Vereinigung der staatlichen Bäder unter das Wohl- 
fuhrtsmlnisterium; die wirtschaftliche Gestaltung dieser Bäder wird zweifel¬ 
los bei der jetzigeu Anordnung besser herausgearbeitet und dem Volkswobl 
mehr nutzbar gemacht. 

Die Gefahr der Verbreitung der Tuberkulose und ihre Zunahme muß 
anerkannt werden. Sie ist eine einfache Folge der englischen Krankheit oder 
Hungerblockade. Die Steigerung der Seuchengefahr ist eine Folge des durch¬ 
aus im vollsten Umfange anzuerkennenden Wohnungselendes, durch das 
natürlich die Ansteckungsgefahr in erheblichem Maße vergrößert wird. Wir 
stehen durchaus auf dem Standpunkt, daß für die Bekämpfung der Tuberku¬ 
lose erheblich größere Mittel eingesetzt werden, als es beabsichtigt ist, nnd 
wir stimmen mit dem Anträge der Frau Abgeordneten Christmann überein, 
daß 5 Millionen in den Haushalt eingesetzt werden. Aber gerade auch hier¬ 
bei möchte ich betonen, daß wir die private Wohltätigkeit unter allen Um¬ 
ständen unterstützt zu wissen wünschen. Ein Antrag sieht die Meldepflicht 
bei offener Tuberkulose vor. Das können wir begrüßen, wenn ich auch als 
Arzt erklären muß, daß die Meldepflicht nicht eine Maßnahme darstellt, die 
Sicherheit gewähren kann. Es ist aber ein kleiner Schritt auf dem Wege zur 
Bekämpfung der Tuberkulose, der zu begrüßen ist. 



Aber den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 47 


Wir treten entschieden ein f&r Unterstützung des Reichsansschnsses 
für Leibesübungen, wenden uns aber gegen jede Art der Sportbesteuerung, 
wie dies schon ein Antrag Ritter hervorgehoben hat, und wie sie als Umsatz¬ 
steuer der Gemeinden mit vorgesehen ist. Wir stimmen durchaus und freudig 
dem Antrag der Frau Abgeordneten Dönhoff zu: Ermäßigung der 
Fahrpreise für kleinere Gesellschaften und für größere Entfernungen. 
Desgleichen treten wir für die Schaffung eines Spielplatzgesetzes ein und 
möchten, daß das gute Verhältnis, das bisher mit dem Verbände der Arbeiter¬ 
turn- und Sportvereine im Reichsbeirat für körperliche Erziehung besteht, 
auch für die Zukunft bestehen bleibt. 

Die Zunahme der Geschlechtskrankheiten ist ohne weiteres begründet. 
Leider herrscht gegenüber den Geschlechtskrankheiten und ihrer Zunahme in 
unserem Volke eine laxe Auffassung, die wir durch gründliche Aufklärung 
bekämpfen müssen. Von der Meldepflicht und einem Attest, das bei der Ehe¬ 
schließung einzureichen ist, verspricht sich Redner als Arzt wenig oder gar 
nichts. Eine Besserung ist hier nur dureh sittliche Erziehung des Volkes zu 
erreichen. (Sehr richtig! rechts.) Die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs 
ist ebenfalls hauptsächlich Sache der Erziehung. Wir sind entschieden für 
genaue Prüfung der Konzessionen; wir stimmen anch dem zu, daß hier, wie 
auf allen den anderen Gebieten, vor allen Dingen Aufklärungsarbeit geleistet 
werden muß, und glauben deswegen, daß auch für Aerzte Kurse durchaus 
angebracht sind, wie sie übrigens schon in weitgehendem Maße abgehalten 
werden. Die Aerzte sind auf diesem Gebiete keineswegs unerfahren, sondern 
stehen in dem Kampf gegen den Alkoholmißbrauch mit in erster Front; 
(Und die Studierenden i) — auch die Studierenden. Die Korporationsstudenten 
sind vom Alkobolgenuß abgekommen und arbeiten genau so ernst und pflicht¬ 
eifrig wie jeder andere im deutschen Volke an dem Wiederaufbau Deutsch¬ 
lands und wir haben ihnen viel zu verdanken! (Sehr richtig! und Bravo! 
rechts.) 

Was die Psychopathenfürsorge anlangt, so ist es ganz selbstverständlich, 
daß die Psychopathen sich vermehrt haben; denn in allen revolutionären 
Zeiten tanchen die Psychopathen auf und spielen eine Rolle! Das kommt ein¬ 
fach daher, weil sie gleichsam in einem Sumpf wie Sumpfblasen emporsteigen, 
wenn der Morast aufgewühlt wird. (Sehr gut! und Heiterkeit rechts.) So 
sehen wir auch jetzt die Psychopathen namentlich auf der linken Seite dieses 
Hauses etwas stark und etwas hemmungslos zur Geltung kommen. (Große 
Heiterkeit und Zurufe links und rechts.) Bei den Psychopathen ist eins be¬ 
sonders charakteristisch, nämlich ihre absolute Hemmungslosigkeit, und von 
dieser Hemmungslosigkeit machen Sie ja (zur äußersten Linken) rücksichtslos 
Gebrauch. Dadurch können wir uns auch die Erscheinungen kurz vor und 
nach der Revolution und auch heute sehr wohl erklären. (Heiterkeit und Zu¬ 
rufe.) Wir sind daher sehr dafür, daß die Psychopathen der ärztlichen Unter¬ 
suchung und der ärztlichen Fürsorge unterstellt werden, damit sie in den für 
sie nötigen Schranken gehalten werden können. Dazu gehören auch die Bil¬ 
dung und Unterstützung der Jfrreiihilfsvereine und die bedingte Schaffung 
eines Irrengesetzes, das die Aufnahme der Kranken in die Anstalt, ihr Zurück- 
behalten in ihr und ihre Entlassung aus ihr regelt, in erster Linie als 
8chutz für die Kranken, in zweiter Linie aber auch als Schutz für die Aerzte 
und das Pflegepersonal in den Anstalten, die in ihrer großen Mehrzahl den 
dringenden Wunsch haben, daß ein solches Gesetz erlassen werden möge. 

Das Vorhandensein einer Wohnungsnot muß anerkannt werden. Sie hat 
ihren Grund zum Teil darin, daß nach dem Kriege außerordentlich viel ge¬ 
heiratet ist. Bei Behandlung der Wohnungsfrage handelt es sich aber 
nicht nur um einen Schutz der Mieter, sondern auch um einen solchen 
der Hausbesitzer. Schließlich legt Redner noch ein warmes Wort ein 
für die Unterstützung der Friedensblinden, für die Unterstüizung und Er¬ 
haltung der Wohlfahrtsschulen und die Unterstützung der Kleinrentner und 
Pensionäre, "deren Not zn lindern, keinenfalls einen Aufschub erleidet. Wir 
müssen alle das Bestreben haben, zur Hebung unserer Volksgesundheit mit¬ 
zuhelfen, insbesondere die Aerzte, denen die Volksgesundheit in erster Linie 
am Herzen liegt. Jetzt heißt es: alle Hände vereinigen, alle Mann an Bord, 
keine Parteiungen, wo es gilt, das Volkswohl, die Volksgesundheit, unser 



48 


Dr. Bapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


wichtigstes Gut aufzurichten, (sehr gut! rechts) sondern Einmütigkeit in 
diesem Punkte. Diese wichtige Aufgabe sollte über den Parteien stehen, und 
dabei sollte für uns nur ein Gesichtspunkt maßgebend sein, nämlich, daß wir 
alle Deutsche sind. (Bravo bei der D.-nat. V.-P.) 

Abg. Frau Ege (Soz.-Dem.): Die letzten Ausführungen des Vorredners: 
alle Mann an Bord — unterstütze ich; die rechte Seite hat aber früher nicht 
danach gehandelt. Um so erfreulicher ist es, daß sie jetzt mithelfen will. 
Der Herr Minister hat ganz recht, wenn er sagt, daß Wohlfahrtsaofgaben nur 
unter einer einheitlichen Leitung gelöst werden können; eine solche einheit¬ 
liche Leitung haben wir aber im Wohlfahrtsministerium vermißt; wir haben 
auch unter seinem Vorgänger nur schöne Worte gehört, aber keine Taten ge¬ 
sehen. Wir wünschen einen ganz neuen Aufbau des Haushalts, der 
der gesamten öffentlichen, kommunalen und privaten Wohlfahrtspflege als Vor¬ 
bild dienen kann und dessen Schwerpunkt auf der vorbeugenden Fürsorge 
beruht. Dafür müssen aber ganz andere Mittel als jetzt im Haushalt bereit- 

S estellt werden. Wohlfahrtspflege und Woblfahrtsfürsorge ist Frauenarbeit; 

ie Mitwirkung der Frau steht aber heute noch bei uns auf dem Papier. Nur 
vereinzelt sitzen Frauen in den einzelnen Ministerien als Beferentinnen 
Ebenso schweben sie in bezug auf Gebalt und Einreihung in den Beamten¬ 
apparat in der Luft, ln einem Ministerium sitzen unter einem Beamtenapparat 
von fast 100 Männern ganze zwei Frauen; statt der einen dritten Frau, die 
schon vor zwei Jahren bewilligt ist, sind vier Begierungs- und Oberregierungs¬ 
räte eingestellt, (hört, hört! links). Man sagt, wir Frauen arbeiten zu sehr 
mit dem Herzen; Beduerin kann nur wünschen, daß die Beamten des Mini¬ 
sterium mehr mit dem Herzen bei ihrer Arbeit wären. (Sehr gut! bei den 
Soz.-Dem ), dann würden wir auch in Preußen mehr Geld für einen gesunden 
Mutterschutz und ein Hebanunengesetz haben. Für die Erhaltung der 
Pferdezucht im Gestütetat sind neulich 33 1 /* Millionen eingesetzt; die Durch¬ 
führung des Hebammengesetzes würde nur 23 1 /* Millionen vom Staate bean¬ 
spruchen. Sollte denn wirklich der Wert des Tieres heute schon so weit 
über dem des Menschen stehen? Das kann natürlich auch nur Vorkommen, 
wenn nur Männer in einem Ministerium sitzen. (Große Heiterkeit.) Jedenfalls 
ist es nötig, daß jetzt endlich an einen Mutter- und Säuglingsschutz gedacht 
wird; die Fälle von Wochenbettfieber und die Kindersterblichkeit sind wieder 
gestiegen; knappe Milchversorgung und hoher Milcbpreis tragen die Haupt¬ 
schuld an dieser großen Säuglingssterblichkeit. Dazu kommt die furchtbare 
Wohnungsnot) die die Krankheiten fördert; insbesondere die Tuberkulose. 
Wir sind der Meinung, daß 5 Millionen — und der Meinung waren alle Par¬ 
teien — nicht ausreichen können, um die ungeheure Krankheit zu lindern, 
aber wir hoffen, daß die 5 Millionen gut und sicher angewandt werden. 
Ebenso wichtig sind unsere Anträge, die die Erhaltung unserer Bäder als 
Heilquellen für unsere Kranken haben wollen, während sie heute besonders 
den wenigen Belchen, Schiebern und Wucherern znr Verfügung stehen. Wir 
fordern auch, die Bäder unter ein Ministerium zu stellen; denn die gesamte 
Gesundheitspflege gehört unter das Ministerium für Volkswohlfahrt. 

Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten soll 
im Beichsrat angenommen, aber derartig abgeändert sein, daß ihn die Väter 
des Entwurfs nicht wiedererkennen. Die Schuld daran sollen besonders die 
preußischen Mitglieder des Beichsrats tragen; wie Preußen überhaupt gegen¬ 
über den kommunalen Bestrebungen, durch Einrichtung von Pflegeämtern und 
sozialen Maßnahmen den unerträglichen Prostitutionssumpf zu sanieren, voll¬ 
ständig versagt hat. — Die Forderung nach dem Reichsjugendwohlfahrts- 
gesetz muß nach wie vor unsere erste Pflicht sein. Längst wäre dieses Gesetz 
angenommen, wenn nicht immer wieder der Kompetenzstreit zwischen behörd¬ 
licher und privater Wohlfahrtspflege auch hier bei diesem Gesetz die Haupt¬ 
sache gewesen wäre. Wir können zwar nicht jegliche private Wohlfahrts¬ 
pflege beseitigen, wir müssen beute alle helfen, wir brauchen jede Pflege; 
aber die private Wohlfahrtspflege muß sich unbedingt der behördlichen unter¬ 
ordnen. Alle Fürsorge und Wohlfahrtspflege bezweckt letzten Endes die Her¬ 
stellung der gleichstrebenden, kulturell hochstehenden und brüderlichen Volks¬ 
gemeinschaft. Möge der neue Aufbau im neuen Wohlfahrtsministerium die 
Pflege des Gemeinschaftsgedankens und der Gemeinschaftsarbeit fester ver- 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volks Wohlfahrt. 49 


askern nnd aus ihm ein wirkliches Volkshaus schaffen. (Lebhafter Beifall bei 
den 8oz.-Dem.) 

Abg. Frau Poehlmann, (D. V.-P.): dankt zunächst dem ausgeschiedenen 
Minister Stegerwald für alles das, was er aus dem im Anfangsstadium 
befindlichen Ministerium gemacht hat, und dehnt diesen Dank auf die Bäte des 
Ministeriums aus; denn im Gegensatz zu anderen Seiten dieses 
Hauses haben meine Freunde gefunden, daß die Bäte dieses 
Ministeriums nicht die Petrefakten und die antediluvia- 
nischen Erscheinungen sind, als die sie hier bezeichnet sind, 
sondern daß in diesem Ministerium mit Einsicht und Wohl* 
wollen die Aufgaben verfolgt worden sind, die gestellt waren. 
Wir würden glücklich sein, wenn das vom jetzigen Herrn Wohlfahrtsminister 
entworfene Programm durchgeföhrt wird; bei der jammervollen Finanzlage 
unseres Staates wird es aber kaum möglich sein. In den Ausschußberatungen 
ist ganz besonders von der äußersten Linken gegen die freie Liebestätigkeit 
der Vorwurf gemacht, sie habe gar kein anderes Ziel gehabt, als die Massen 
niederzuhalten, die Massen zu verdummen und ihre eigenen Zwecke zu verfolgen. 
Dem muß an dieser Stelle ganz energisch widersprochen werden. Die Opfer- 
wiiligkeit der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien mag in 
mancher Hinsicht größer als die anderer Parteien sein, aber diese außerordent¬ 
lich großen Opfer dienen ausschließlich Parteizwecken und nicht der Allgemein¬ 
heit. (Widerspruch links). Wir haben also eine andere Auffassung 
von dieser privaten Liebestätigkeit, deren unzählige Einrichtungen und 
Veranstaltungen geschützt und unterstüzt werden müssen. Die Mittel für ihre 
Tätigkeit müssen durch staatliche und kommunale Zuschüsse, sowie durch 
Sammlungen, aber nicht durch Wohlfahrtsfeste usw. aufgebracht werden. 
Die freie Gestaltung ihrer Tätigkeit muß aber erhalten und nicht unter staat¬ 
liche Kontrolle gestellt werden. Zu den Aufgaben des Wohlfahrtsministeri- 
ums gehört auch die Hebung der Sittlichkeit unseres Volkes und die 
Bekämpfung der Schäden, die ihr drohen; denn wenn wir die sittlichen Kräfte 
im Menschen nicht zu Hilfe nehmen, wird mit den rein sanitären Maßnahmen 
sehr wenig genutzt werden. (Zustimmung rechts). Unsere Jugend hat glück¬ 
licherweise vielfach schon selbst die Beinigung der schwülen, das Sexualleben 
zu sehr betonenden Atmosphäre in die Hand genommen. Ihre Bestrebungen, ein 
reineres, sittlicheres Leben, eine reinere Auffassung vom Sexualleben sich zu 
erringen, werden hoffentlich wirksam sein: denn nichts kann die Verbreitung 
der Geschlechtskrankheiten mehr fördern als die Schaffang einer solchen 
Atmosphäre, die zu dem verantwortungslosen und wahllosen Geschlechtsverkehr 
aufreizt und geneigt macht. Um der Bekämpfung der überhandnehmenden 
Geschlechtskrankheiten, die sich auch auf die ländliche Bevölkerung und in 
erschreckendem Maße auf die Frauen erstrecken, sollten alle mitarbeiten, ohne 
Unterschied der Partei. Ob dazu mit der Anzeigepflicht für alle 
Geschlechtskranken .bezw. der Ausstellung eines Ebezeugnisses 
bedarf, sind zwei noch umstrittene, schwer zu entscheidende Fragen, nament¬ 
lich wird die Beschaffung eines Ehezeugnisses bei weiblichen Personen auf 
große Schwierigkeiten stoßen Vor allem ist zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten eine Stärkung des moralischen Verantwortungsgefühls erforderlich. 
Dasselbe gilt betreffs der Ueberhandnahme des Alkoholgenusses. Totale 
Abstinenz für unser ganzes Volk zu fordern, geht zu weit; aber weite Kreise 
werden für Unterstützung der Mäßigkeitsbestrebungen sein. Man soll nicht 
damit zufrieden sein, aus dem Alkoholmißbrauch ungeheure Steuern herauszu¬ 
holen, sondern es müssen auch andere Wege gefunden werden, um den Alko¬ 
holmißbrauch zu bekämpfen. Vor allem ist eine recht strenge Prüfung der 
Bedürfnisfrage bei Genehmigungen von neuen Kneipen, Bars, Likörstuben usw. 
nötig. Wir billigen auch, daß zur Bekämpfung der Tuberkulose alle Ma߬ 
nahmen getroffen werden, um ihr entgegeuzuarbeiten, namentlich sollten reich¬ 
liche Mittel dazu gegeben werden. Eng verbunden damit ist auch die Ver¬ 
pflichtung zur Förderung der Mütter- und Säuglingsfürsorge. Diese Fürsorge 
muß auf jede Weise gründlich betrieben und ständig erweitert werden. Den 
Anträgen, die dahin zielen, werden wir zustimmeu. — Zur Stellung und Amts¬ 
bezeichnung der Medizinalbeamten, ihrer Einstufung in die Gehaltsklassen 
und den damit zusammenhängenden Fragen will ich nicht näher eingehen, da 



50 


Dr. Rapmund: Die Beratung dea Preußischen Landtages 


in den nächsten Tagen die Abordnung der Medizinalbeamten im Ministerium 
empfangen und die beste Gelegenheit haben wird, selbst ihre Wünsche vorzu¬ 
tragen. Ich möchte nur das eine hervorheben, daß die Beamten den Titel 
„Kreismedizinalrat" nicht zu führen wünschen, weil sonst keine andere 
Beamtengruppe das Wort „Kreis" in ihrer Amtsbezeichnung hat. Das trifft aller¬ 
dings in einem Falle nicht zu; denn auch die Kreisschulräte haben nach wie vor 
die Bezeichnung „Kreis" vor ihrer Amtsbezeichnung. Es ist za hoffen, daß in den 
Verbandlnngen, die im Wohlfabrtsmiuisterium in den nächsten Tagen stattfindeu 
sollen, den Wünschen der Medizinalbeamten Rechnung getragen wird. 

Die Aufhebung der ärztlichen Ehrengerichte lehnen meine politischen 
Freunde ab, ebenso die Sozialisierung aller Bäder und ihre Unterstellung 
unter das Woblfahrtsministerium. Für die Gesundang unseres Volkes ist die 
richtige Beeinflussung unserer Jugend ein allererstes und allerwichtigstes 
Erfordernis. Deshalb wünschen wir, daß die gesamte Jugendpflege dem 
Ministerium für Volkswohlfahrt unterstellt werde. Wir wünschen auch, daß 
ein Dienstjabr für die gesamte weibliche und männliche Jugend eingeführt 
werde. Die Mitarbeit der Frau in der Wohlfahrtspflege hallen auch wir für 
unbedingt erforderlich und die Einstellung einer dritten Refe rentin im 
Ministerium für nötig. Auch in den Bezirken sollen die Fürsorgerinnen ver¬ 
mehrt werden, aber wir sehen wohl ein, daß vorläufig unmöglich einem Antrag 
von der linken Seite gemäß alle Stellen von Bezirksfürsorgerinnen in 
Dezernentenstellen umgewandelt werden können, weil die dazu erforderliche 
Vorbildung nicht überall bei den jetzigen Fürsorgerinnen vorhanden ist. 
Wünschenswert ist, daß viele Jugendfürsorgerinnen aus dem Ar¬ 
beiterstande hervorgehen, da die Bekanntschaft und das Verwachsensein 
mit den Verhältnissen der Kreise unseres Volkes, denen die Jugendfürsorge 
und -pflege am meisten zugute kommt, sehr wichtig ist. Nachdem Rednerin 
noch auf die Not der Kleinrentner aller Schichten eiDgegangen und dabei 
die Schaffung von Kleinrentnerheimen empfohlen bat, weist sie auf die 
Notwendigkeit einer ausgedehnten Fürsorge für die Friedensblinden und der 
Kriegsbeschädigten aller Art hin. Sie schließt dann mit den Wünschen, daß 
dem Landtag recht bald ein brauchbares Hebammengesetz vorgelegt werde, 
bei dem die Hebammentätigkeit als freie Berufstätigkeit neben der beamteten 
Tätigkeit bestehen bleibt, und spricht die Bitte aus, daß der Etat des 
Ministeriums für Volkswoblfahrt übersichtlicher auf gestellt 
werden möge als bisher. Das Wohlfahrtsministerium muß in immer stärkerem 
Maße ein Ministerium werden, das wirklich für die Wohlfahrt des Volkes, 
für die Schwachen und die wirtschaftlich Unterliegenden Sorge trägt; 
denn wenn es so aasgestaltet und ausgestattet wird mit finanziellen 
Mitteln, wie es notwendig ist, dann kann es zweifellos mit dazu helfen, unserem 
Volke einen Aufstieg zu weisen aus der Schwere der jetzigen Zeit. (Sehr gut! 
und Bravo! rechts). 

Abg. Frau Arendsee (Komm.): Volkswohlfahrt und Kapitalismus 
sind zwei Dinge, die sich gegenseitig völlig ausscbließen. Die kapitalistische 
Gesellschaft kennt nicht das gesamte Volksinteresse, das Volkswobl, sondern 
es kennt nur die Erfüllung ihrer Profitinteressen (Widerspruch). Wenn der 
Herr Minister den Ursachen der Krankheiten naebgehen und die Quellen ver¬ 
stopfen will, so wird er mit uns überhaupt für die Beseitigung der kapi¬ 
talistischen Gesellschaft kämpfen; denn darin liegen die Ursachen. Die in dem 
Haushalt eingestellten Summen für Volksgesundbeit sind viel zu gering; außer¬ 
dem wird ein sehr erheblicher Teil der Mittel für private Woblfabriseinrich- 
tungeo, besonders aber zur Unterstützung von kirchlichen Wohliätigkeitsein- 
richtungen verwandt. Wir wenden uns grundsätzlich gegen diese Art der 
Wohltätigkeit; wir verlangen von der Gesellschaft, daß sie die Schäden, die 
sie verursacht, auch heilt. Sie ist dazu verpflichtet. Die Opfer der heutigen 
Gesellschaft haben einen Anspruch auf Hilfe und Schutz des Staates und müssen 
auf Wohltätigkeit verzichten. Was bisher getan worden ist, ist nur mit 
Rücksicht auf das Drängen der revolutionären Arbeiterpartei geschehen. 
Immer mußten erst furchtbare Erscheinungen zutage treten, ehe gesetzmäßig 
etaigegriffen worden ist. Han braucht ja nur auf die Kinderarbeit hinzuweisen. 
Erst, als nicht mehr die genügende Anzahl Soldaten gestellt werden konnte, 
hat man gesetzliche Maßnahmen getroffen, um die Kinder vor furchtbarer 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums Ihr Volkswohlfahrt. 51 


Ausbeutung zu schützen. Der vorliegende Haushalt ist so außerordentlich 
dürftig, daß er auf jeden Freund der Volkswohlfahrt einen niederschmetternden 
Eindruck macht. Herr Ministerialdirektor Dr. Gottstein hat selbst im 
Ausschuß erklärt, wenn nicht rechtzeitig Maßnahmen getroffen werden, werde 
man in 15 bis 20 Jahren eine starke Welle dei Tuberknlosesterblichkeit 
erleben. Unsere Fraktion hat eine ganze Beihe Anträge gestellt, die gewiß 
große Summen erfordern; wir halten aber diese Summen für notwendig ange¬ 
sichts des großen Elends. Vor allen Dingen haben wir einen grundsätzlichen 
Antrag eingebracht, der eine völlige Neugestaltung des Gesundheitswesens 
auf reichsgesetzlicher Grundlage vorsieht. Die Hauptaufgabe auf dem Gebiet 
der Gesundheitsfürsorge liegt in den Händen der sozialen Versicherung, 
die aber ebenso zersplittert ist, wie das Erankenkassenwesen. Eine 
Vereinheitlichung ist hier dringendes Bedürfnis. Unser Antrag fordert 
deshalb, daß das ganze Gesundheitswesen und alle dazu gehörigen Einrichtun- 
ges in Selbstverwaltungskörper zusammengefaßt werden: die private Wohl¬ 
tätigkeit, die soziale Gesetzgebung und die Einrichtungen der Gemeinden. 
Nur durch Schaffung dieser Verwaltungskörper wird die Mitarbeit, der Kreise 
gesichert, die ein Interesse an diesen Einrichtungen haben. Wir fordern auch 
die Ausdehnung auf alle Volksangehörigen. Nur auf diesem Wege 
wird es möglich sein, den Gesundheitszustand des Volkes ständig zu über¬ 
wachen und durch vorbeugende Maßnahmen gleichzeitig eine Vereinfachung 
der Seuchenbekämpfung herbeizuführen. Weiter wird auch die ärzt¬ 
liche Behandlung keine gewinnbringende Beschäftigung mehr darstellen, 
wenn die Aerzte, Hebammen und Apotheker Angestellte sein werden. 
Ebenso fordern wir die Uebernahme der Heilanstalten, Pflege- und 
Erholungsstätten auf die Selbstverwaltungskörper, die Her¬ 
stellung von Heil- und Pflegemitteln in eigener Begie usw. Alles, 
was zum Gesundheitswesen gehört, muß zusammengefaßt werden. Wir fordern 
diese Begelung natürlich aui reichsgesetzlicher Grundlage; können aber nicht 
warten, bis eine derartige Begelung durchgeführt ist, sondern verlangen, daß 
schon jetzt der Preußische Staat in diesem Sinne vorbant und auch entsprechende 
Einrichtungen schafft. Vom Mutterleibe an muß die Fürsorge für den Menschen 
eingreifen. Die Abtreibungsparagraphen haben nicht dazu geführt, daß die 
Abtreibungen cingedämmt worden sind, sondern daß große Scharen von Frauen 
in die Hände von Kurpfuschern getrieben worden sind und sich dadurch 
gesundheitlich ruiniert haben. Gerade die Verantwortung führt die Mütter 
dazu, Abtreibungen vorzunehmen, nicht der Hang zum Leichtsinn, sondern die 
Notwendigkeit des Lebens. Wenn wir also die Aufhebung der §§ 218 und 219 
fordern, so wollen wir nicht damit dem Kurpfuschertum freie Bahn geben, 
sondern gerade das Gegenteil. Wir verlangen, daß solche Operationen kostenlos 
nur in Anstalten oder durch besonders beauftragte Aerzte vorgenommen 
werden. Wir fordern weiterhin die Schwangeren- und Wöchnerinnen Unter¬ 
stützung 8 Wochen vor und nach der Entbindung, damit die Frau sich schonen 
kann, und wir fordern Errichtung und Unterhaitug von Schwan¬ 
geren- und Wöchnerinnenheimen, weil der jetzige Zustand nicht mehr 
zn ertragen ist, daß die Frauen in den 76 Entbindungsanstalten, die in ganz 
Preußen bestehen, auf Stühlen kampieren müssen. Wenn wir weiter die obli¬ 
gatorische SäugiingsfÜrsorge, die Errichtung von Stillkrippen fordern, und 
damit die Summe im Haushalt auf 30 Millionen Mark erhöht wissen wollen, 
so ist gerade in der jetzigen Zeit der Milchknappheit und -teuerung diese 
Forderung am Platze. Die Gemeinden müssen Mittel erhalten, um derartige 
Einrichtungen zu treffen. Stillende Mütter müssen für die Dauer der Still¬ 
fähigkeit einen Zuschuß in halber Höbe des Tagelobns erhalten, denn von 
100 Brustkindern starben in Berlin nur 7,36 %, von 100 Flaschenkindern dagegen 
21,98°/o. — Zar Bekämpfang der Tuberkulose muß der Staat mehr Mittel zur 
Verfügung stellen, damit alle bestehenden Einrichtungen unterhalten und aus¬ 
gebaut werden können. Dasselbe gilt betreffs der Bekämpfnug der Geschlechts¬ 
krankheiten, damit alle geschlechtskranken Personen in Zwaugsbehandlung ge¬ 
nommen werden können, also nicht nur Frauen. 

Nachdem Bednerin noch gegenüber der jetzigen Fürsorgeerziehung 
allerband Beschwerden und Vorwürfe erhoben hat, fordert sie die Arbeiter auf, 
den;Kampf zur Lösung der gewaltigen Aufgaben des Aufbaues aufzunehmen. 



52 


Dr. Rapmund: Die Beratung des Preußischen Landtages 


Nur so werde es möglich sein, das Proletariat vor dem Untergang zu retten. 
(Bravo! bei den Komm.) 

Minister für Volkswohlfahrt Hirtsiefer dankt den Vertretern der ver¬ 
schiedenen Parteien für die große Anzahl von Anregungen, die insbesondere 
gerade dem Volkswohlfahrtsministerinm für sein späteres Wirken gegeben 
worden sind. Wir werden diese Anregungen selbstredend sehr eingehend 
prüfen und versuchen, davon zu berücksichtigen, was irgendwie möglich ist. 
Es ist naturgemäß, daß die Beurteilung des Wirkens des Wohlfahrtsministeriums 
verschieden ist je nach der Parteistellung derjenigen, die die Beurteilung Vor¬ 
bringen. Was der eine lobte, tadelte der andere und umgekehrt, und es wird 
vorläufig noch so bleiben; daran werden wir nicht viel ändern können. Es 
wird auch hier gelten: 

Recht zu machen jedermann, 

Ist eine Kunst, die niemand kann! 

Nachdem Bedner dann auf einige hier nicht interessierende und vorher 
erörterte Personalfragen seines Ministeriums geantwortet bat, bemerkt er zu 
dem von verschiedenen Seiten berührten Hebammengesetz, daß bereits 
Anfang Februar dieses Jahres im Wohlfahrtsminislerium eine Beratung über 
die Grundzüge des neuen Entwurfs stattgefunden hat, an der außer Vertretern 
der Aerzte, der Krankenkassen und der beteiligten Kommunalverbände auch 
Vertreterinnen der Hebammenschaft teilgenommen haben. Noch im letzten 
Ministerium ist beschlossen worden, den Einwendungen, die vom Staatsrat er¬ 
hoben worden sind, nicht stattzugeben. Die Vorlage wird deshalb, sowie sie 
ausgearbeitet worden ist, dem Landtage sobald als möglich zugehen. 

Die Ausschüttung des Fonds von 1 Million zur Bekämpfung der 
Tuberkulose hat sich verzögert, einmal wegen der außerordentlich späten 
Bewilligung des Haushalts für 1920 und dann wegen der Ausarbeitung von 
Bichtlinien für die Verteilung des Fonds zwischen dem Wohlfabrtsministerium 
und Finanzministerium. Die gesamte vorhandene Summe wird aber voraus¬ 
sichtlich am Ende des Etatsjahres verausgabt sein. Verhandlungen zur Ab¬ 
änderung der Richtlinien, der Vereinfachung und Beschleunigung des Be¬ 
willigungsverfahrens sind eingeleitet und werden bald abgeschlossen sein. 

Gegenüber dem Herrn Abg. Dr. Weyl möcbte ich doch bitten, nicht die 
einzelnen Referenten hier im Plenum anzugreifen. Nicht meine Mitarbeiter 
sind hier zur Verantwortung beranzuziehen, sondern der Minister selbst. In 
allen wichtigen Fragen ist die Stellung des Ministers entscheidend. Deswegen 
hat er auch hier die Verantwortung zu tragen. (Zuruf von den Unabhängigen 
und Kommunisten.) — Ich kann auch nicht zugeben, daß das Programm, das 
der Minister Stegerwald bei seinem Amtsantritt entwickelt hat, nicht durch¬ 
geführt worden ist und nur Kleinigkeiten gemacht worden seien. Minister 
Stegerwald hat im Gegenteil von seinem Programm außerordentlich viel 
durebgeführt; die Verhältnisse sind aber oft stärker als die Menschen. Ich 
hoffe, daß bei der Beratung und auch bei der Arbeit auf dem Gebiete der 
Volkswoblfabrtspflege, soweit es überhaupt möglich ist, die ganze Arbeit dem 
Parteigetriebe möglichst entzogen wird, daß wir möglichst gemeinsam arbeiten 
gerade auf diesem so außerordentlich wichtigen Gebiete für den Wiederaufbau 
unseres Volkes, damit wir alle unser Teil zu dem Wiederaufbau desselben 
beitragen. (Bravo!) 

Abg. Frau Cbristmann (U. S. D.) wendet sich gegen die Anwendung der 
Prügelstrafen in den Erziehungsanstalten unter Mitteilung verschiedener 
derartiger Fälle und verlangt, schleunige Beseitigung derartiger Mißstände 
sowie Schaffung von Fürsorgeämtern, damit die einmal gefallenen oder sittlich 
gefährdeten Mäidchen nicht der Sittenpolizei ausgeliefert, sondern den Pflege¬ 
ämtern, in denen sie der Fürsorge einer liebevollen, verstehenden Frau unter¬ 
stellt werden. Sie befürwortet weiterhin den Antrag auf Einstellung von 
100000 M. behufs Lieferung von Prothesen an verkrüppelte Kinder, die 
sonst keine Unterstützungsberechtigung haben, sowie einen Antrag, wonach 
in allen weiblichen Fortbildungsschulen Unterricht ln Haushaltskunde, Säug¬ 
lings- und Klelukinderpflege erteilt werden soll. In diesem Unterricht müßten 
auch die Hausangestellten einbegriffen sein. Nachdem sie dann betont hat, 
daß sich die Frauen aus dem Arbeiterstande sehr gut zu Fürsorge¬ 
rinnen eigneten, da sie das Herz auf dem richtigen Fleck haben, spricht sie 



über den diesjährigen Haushalt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. 68 


sich schließlich für die Aufhebung des § 218 ans, der eine ungeheure soziale 
Ungerechtigkeit sei. (Lebhaftes Bravo, links). 

Abg. Frau Dönhoff (D. Dem.): Die von der Vorrednerin mitgeteilten 
Fälle von körperlichen Züchtigungen in den Fürsorgeanstalten 
sind sehr bedauerlich und bedürfen der Untersuchung; man darf aber aus ihnen 
keine allgemein gültigen Rückschlüsse auf die Zustände in den Anstalten 
machen. Den starken Bedrohungen der Volkswohlfahrt gerade in der Jetztzeit, 
die als Folgen des Krieges uns so hart bedrängen, können wir nur begegnen, 
wenn jeder einzelne sich an seine Aufgabe und Pflicht erinnert und diese soziale 
GesioDung auch betätigt. Wir müssen deshalb unser Volk zu einem energischen 
Selbstschutz und letzten Endes zu einer Betätigung des elementarsten Instinktes 
aufrnfen, der in jedem einzelnen leben sollte: des Instinktes der Selbsterhaltung, 
der zur Erhaltung der Gesamtheit wach gehalten werden muß. Hier darf aber 
die freie Betätigung nicht unterbunden werden. Wir erklären uns ausdrück¬ 
lich gegen eine Verstaatlichung und gegen eine zu weitgehende Bürokrati¬ 
sierung der Wohlfahrtspflege. (Sehr richtig! bei den D. Demokraten.) 
Rednerin betont weiter die Notwendigkeit der Mitarbeit der Frauen auf dem 
Gebiete der Wohlfahrtspflege und fordert deshalb eine allmähliche Vermehrung 
der Frauenreferate bei den Bezirksregierungen, damit vollwertige Bewerbe¬ 
rinnen für diese Posten heranwachsen können. Sie verlangt ferner die Be¬ 
schleunigung der Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten, das für die Frauen um so wichtiger ist, als es sich 
hierbei nicht nur um ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
handelt, sondern nm ein Gesetz zur Bekämpfung der sexuellen Verantwortungs¬ 
losigkeit. unter der unser Volk, unter der die Gesundheit und die Sittlichkeit 
unseres Volkes so ungeheuer großen Schaden leiden. Sie weist weiterhin auf 
die Schäden des Alkoholismns hin und bedauert, daß der Energie der Be¬ 
hörden bei der Bekämpfung dieser Schäden enge Grenzen gezogen sind durch 
die Einnahmen, die ihnen aus dem Alkoholkapital zufließen. Wir müssen 
deshalb um so mehr darauf bedacht sein, das Gewissen des Volkes zu wecken 
und alle für die Volk*woblfahrt und die Volkssittlichkeit sich wirklich verant¬ 
wortlich Fühlenden anzuregen, an dieser schweren Aufgabe der Bekämpfung 
der Alkoholschäden mitzuarbeiten. Eine erfreuliche Kampftrnppe gegen den 
Alkoholismus haben wir in der Gestalt der modernen Jugendbewegung, die Ernst 
macht mit der Verneinung, mit dem Sicb-Abwenden von dem, was als trügerische 
Verschönerung des Lebens von ihr anerkannt ist, und die mit ganzem Ernst 
sucht und strebt nach den wahren Quellen zur Bereicherung des inneren 
Lebens. (Sehr gut!) Deshalb ist die Errichtung von Jugendherbergen 
nur mit allen Mitteln zu unterstützen. 

Nachdem Rednerin dann auch die Anträge auf Bewilligung höherer Beihilfen 
zur Unterstützung der Friedensblinden- und Krüppel-Fürsorge sowie die Er¬ 
richtung von Heimen für Kleinrentner warm befürwortet hat, Wendet sie 
sich gegen den Antrag, der ein obligatorisches Gesundheitszeugnis für die Ehe- 
Schließung fordert. Nach ihrer Ansicht muß zunächst einmal Material ge¬ 
sammelt werden, um auf der Grundlage einer eingebenden Information darüber 
schlüssig werden zu können. Wenn die jetzige Handhabung des Abtreibungs¬ 
paragraphen des Str. G. B. vielleicht auch soziale Ungerechtigkeiten mit sich 
bringt; so sei zweifelhaft, ob diese durch eine Aufhebung des § 218 beseitigt 
werden und anderseits nicht ein Schutz der Frau preisgegeben und einer Ver¬ 
antwortungslosigkeit Vorschub geleistet wird, die eine sittliche Gefahr be¬ 
deutet. Rednerin schließt mit dem Wunsch, daß das starke Gefühl von 
Arbeitsfreudigkeit und Hilfsbereitschaft, das in der Etatberatung laut wurde, 
gegenüber den sozialen Nöten unserer Zeit sich umsetzen möge in lebendige 
Taten und Handlungen. 

Es folgen noch die Reden des Ministerialdirektors Dr. Conze, des 
Abg. Ladendorf (Wirtsch. P.) und des Staatssekretärs Scheidt, die aber 
ausschließlich Wohnungsfragen ohne gesundheitliches Interesse berühren und 
deshalb hier unberücksichtigt bleiben können. 

Die Abstimmung über die zahlreich gestellten Anträge (79; s. Nr. 22, 
Jahrg. 1921 dieser Zeitschrift, S. 371) erfolgte in der 8itzung vom 6. De¬ 
zember v. J. Hierbei wurden die zum Haushalt selbst gestellten Anträge 
des Hauptausschu8ses unter Ablehnung sämtlicher von den Kommunisten und 



64 


Tagesn aebricbten. 


Unabhängigen Sozialdemokraten weitergehenden Anträge angenommen. Danach 
werden die danernden Ansgaben für die Forderung der Pflege schul¬ 
entlassener Jagend von 6 auf 10 Millionen, die Beihilfen für Klein¬ 
kinderschutz, Kinderhorte und Kinderheime Ton 3000 auf 100000 
Mark, die Ausgaben für Frauen re ferate Ton 325000 auf 500000 M., die 
einmaligen Ausgaben zur Bekämpfung der Tuberkulose ron 1 auf 
5 Millionen Mark, für Förderung der Jugend Wohlfahrt von 600000 M. und für 
Ansbildungszwecke von Fürsorgerinnen yon .200000 auf 500000 M. erhöht. 
Außerdem werden gemäß einem sozialdemokratischen Anträge 600 000 M. zur 
Unterstützung und Errichtung von Pflegeämtern und Fürsorgestellen 
für sittlich und sozial gefährdete Personen, insbesondere in leistungsschwachen 
Kommunalverbänden eingestellt. Auch die weiteren vom Hauptausschusse ge¬ 
stellten Anträge und beantragten Entschließungen gelangten durchweg un¬ 
verändert zur Annahme. Yon dem Aasschußantrage, „dahin zu wirken, daf 
bei der Sittenpolizei sowohl in bezug auf ihre Organisation, wie ihr 
Tätigkeit den sozialpflegerischen Grandsätzen mehr Rechnung getragen wild,* 
wurde dagegen der Satz: „Dies bedingt vor allem eine Vermehrung der weib¬ 
lichen Polizeibeamtinnen innerhalb der Sittenpolizei, die schleunigst in die 
Wege geleistet ist," gestrichen. Zu dem Ausschußantrage, „bei der Reichs¬ 
regierung dahin vorstellig zu werden, daß im Interesse der Ertüchtigung 
der Jagend volkstümliches turnen und Sportgerät nicht mit Luxassteuer 
belegt wird", wurde anf Vorschlag des Abg. Dr. Quaet-Faslem (D. Nat.) 
der Zasatz angenommen: „Das Staatsministerium möge auf dieReichsregieruug 
in dem Sinne einwirken, daß alles Erforderliche geschehe, um die körperliche 
Kräftigung und Ertüchtigung unserer Jagend beiderlei Geschlechts zur Hebung 
der gesunkenen Volksgesundheit za erreichen." Zur Annahme gelangte auch 
die vom Anschuß vorgeschlagene Entschließung, in eine genaue Prüfung 
der Forderung eines Gesundheitsattestes vor der Eheschließung ein¬ 
zutreten, nachdem vorher der Antrag Braun (Soz.), die Beibringung einen 
ärztlichen Gesundheitsattestes zur Eingehung der Ehe den Nupturienten vor¬ 
zuschreiben, abgelehnt war. 

Die Anträge der äußersten Linken und der Unabhängigen Sozialisten 
auf 8ozialisierung der ärztlichen Heiltätigkeit und auf Be¬ 
seitigung der ärztlichen Ehrengerichte wurden abgelehnt, da¬ 
gegen der Antrag Braun (Soz.), „das Staatsministerium zu ersuchen, daß 
die staatlichen Bäder als die wertvollsten natürlichen dem Volke ge¬ 
hörenden Heilschätze einheitlich nach vorwiegend der Gesundheit der 
erkrankten Volksgenossen dienenden Gesichtspunkten verwaltet und dem Volks¬ 
wohlfahrtsministerium unterstellt werden", angenommen; desgleichen ein Antrag 
der Deutschen Volkspartei, der die Regierung um Maßnahmen zur Minderung 
der Not der nicht versicherten Kleinrentner ersucht. Dem Bevölke¬ 
rungsausschuß wurden zur weiteren Beratung die von der linken Seite ge¬ 
stellten Anträge über Tnberkerkulosebekämpfung, Errichtung 
von Schwangeren-, Wöchnerinnen-undMütterheimen überwiesen. 


Tagesnachrichten. 

Verhandlung des Ministeriums für Volkswirtschaft mit dem Vorstand 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. Auf den Antrag des Vorstandes 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins vom 18. Dezember 1921, betreffend 
Anerkennung des auf der Vertreter Versammlung gewählten Ausschusses 
als Vertretung des Vereins im Sinne der Bestimmungen über Bildung und Auf¬ 
gaben der Beamtenausschüsse vom 24. März 1919, hat der Herr Minister unter 
dem 12. Januar folgenden Bescheid gegeben: 

„Als Beamtenausschuß im Sinne der Bestimmungen über die Bildung 
und Aufgaben der Beamtenausschüsse vom 24. März 1919 — Reichs- und Staats- 
anzeiger, 1919, Nr. 71 — vermag ich den vom Preußischen Medizinalbeamten¬ 
verein gewählten Ausschuß nicht anzuerkennen, erkläre mich aber bereit, mit 
dem Vorstand des Vereins über wichtige Fragen der Medizinal Verwaltung in 
Verhandlungen einzutreten. 

Die erste Verhandlung mit meinen Beauftragten, Ministerialdirektor 
Prot Dr. Gottstein und Ministerialrat Wirkt. Geh. Ob.-Medizinalrat Prof. 



Tagesnachrichten. 


56 


Dr. Dietrich habe ich aaf Sonnabend, den 21. Januar 1922, yor- 
mittags 10 Uhr, im Zimmer 90 meines Ministeriums, Leipzigerstraße 3 (ehe¬ 
maliges Herrenhaus) mit nachstehender Tagesordnung angesetzt: 

1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Regierungs- 
nnd Medizinalräte sowie der Kreismedizinalräte); 

2. Gesetz, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten; Ablieferungspflicht; 

3. Gebührenordnung für Aerzte and Zahnärzte; 

4. Dienstenweisnng für die Kreisärzte. 

Ich ersuche ergebenst, die Mitglieder des Vorstandes za dieser Be¬ 
sprechung in meinem Namen einznladen. Gleichzeitig stelle ich anheim, auch 
die dem Vorstande nicht angehörenden Mitglieder des Ansschusses, Kreis- 
Medizinalräte Dr. Manthey und Med.-Bat Dr. Saudhop, zu dieser Be¬ 
sprechung hinzuznziehen. Den Teilnehmern an dieser Verhandlung stelle ich 
Reisekosten und Tagegelder in Aussicht und bitte, mir die Namen der Teil¬ 
nehmer demnächst mitzuteilen." 

Wenn auch der Herr Minister vorläufig den vom Vertretertag gewählten 
Ausschuß nicht als solchen anerkannt hat, so ist es doch sehr erfreulich, daß 
er dem Antrag des Vereins entgegengekommen ist und einen Ausweg gefunden 
bat, auf dem schließlich dasselbe Ziel erreicht wird. 


Ungültigkeit des Zwangspensionierungsgesetzes. Nach dem das 
Berliner Landgericht und Kammergericht das Zwangspensionierungsgesetz als 
nicht anwendbar gegenüber den Richtern erklärt haben, haben inzwischen noch 
das Landgericht in Potsdam (durch Urteil vom 12. 7. 1921) zugunsten 
einiger Oberverwaltungsgerichtsräte, das Landgericht zu Elberfeld 
(durch Urteil vom 24. 10. 1921) zugunsten der städtischen Zwangspensionäre 
im Wuppertale und vor kurzem auch das Landgericht I in Berlin zu¬ 
gunsten zwangspensionierter Lehrer entschieden. Hoffentlich läßt die Ent¬ 
scheidung des Beich8gericbts, das jetzt als letzte Instanz in dieser An¬ 
gelegenheit zu entscheiden hat, nicht mehr lange auf sich warten and fällt 
ebenfalls zugunsten der Zwangspensionierten aus. 


Nachruf. Am 9. Januar d. J. ist der Geh. Med.-Rat Dr. Wilhelm Sander 
in Berlin in dem hohen Alter von 84 Jahren gestorben. Der Preußische 
Medizinalbeamten-Verein verliert in ihm einen seiner Mitbegründer, der 
seinen Bestrebungen stets das größte Interesse entgegengebracht hat und vor 
allem im Jahre 1888 die Zeitchrift für Medizinalbeamte mit be¬ 
gründet und bis zum Jahre 1898 mit herausgegeben hat. Noch größere Ver¬ 
dienste hat sich der Verstorbene aber in seiner langjährigen Eigenschaft als 
Direktor der städtischen Irrenanstalt in Düsseldorf und als Organisator der 
städtischen Irrenpflege in Berlin erworben. 45 Jahre ist er an jener Anstalt 
tätig gewesen, zuerst als Oberarzt und dann von 1887—1914 als Direktor. 
Die von ihm während dieser Zeit auf dem Gebiete der Irrenpflege namentlich 
in bezug auf die Unterbringung von leichteren Kranken in Familienpflege, sowie 
in bezug auf die Behandlung geisteskranker Verbrecher eingeschlagenen Wege 
Bind bahnbrechend gewesen; auch die Bekämpfung des Alkoholismus und die 
Errichtung von Trinkerheilstätten hatte er sich zur Lebensaufgabe gemacht. 
Nicht bloß in der städtischen Verwaltung, sondern weit darüber hinaus; vor 
allem unter den Aerzten, Medizinalbeamten und Psychiatern hat der Ver¬ 
storbene den Ruf eines außerordentlich tüchtigen und erfahrenen Irrenarztes 
genossen; nicht minder groß und uneingeschränkt war sein Ansehen bei den 
Richtern als psychiatrischer Sachverständiger; über 80 Jahre hat er auch dem 
Medizinalkollegium für die Provinz Brandenbarg als ordentliches Mitglied an¬ 
gehört. Sein Andenken wird deshalb allzeit in hohen Ehren erhalten bleiben! 


Die Grippe hat wiederum eine große Ausdehnung in Deutschland er¬ 
fahren, und zwar setzte kurz vor Weihnachten eine plötzlich, wie es scheint 
allerorten zu bemerkende Ausbreitung ein. Nach den bisherigen Nachrichten 
scheint der Verlauf im allgemeinen ein milder zu sein, immerhin hört man aber 
auch von Komplikationen in Form von Pneumonien und Pleuritiden, ja in der 
letzten Zeit mehren sich die Nachrichten über schwere und tödlich endende 
Fälle. Vielfach mußte wegen der starken Verbreitung der Seuche unter Lehr- 



66 


Sprechsaal. 


personen und Schülern zum Schulschluß geschritten werden, so in Cöln, Düssel¬ 
dorf, Frankfurt a. M., Breslau, wo alle Schulen über die Weihnachtsferien hinaus 
geschlossen blieben. Aus Sachsen und Thüringen erfährt man, daß der Höhe¬ 
punkt Anfang Januar überschritten zu sein schien und der Verlauf in den 
meisten Fällen ein gutartiger war. Dagegen ist in Karlsruhe und Stuttgart 
dio Sterblichkeit an Grippe beträchtlich angestiegen (in Stuttgart letzthin 100 
Todesfälle an Grippe in der Woche gegenüber 30 im Dezember). 


Das Fleckfleber greift in Polen immer mehr um sich. Eine ärztliche 
Kommission, darunter Prof. Guna vom BockefeUer Institut, ist in Warschau 
eingetroffen, um weitere Ermittlungen anzustellen. Die östlichen Teile der 
polnischen Kreise Grodno, Bolkowysk, Bielsk und Bialowycz werden als gänz¬ 
lich verseucht bezeichnet. 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kreisarztes Dr. L. in D.: „Hach welchem Modus soll der 
Kreisarzt, wenn er nicht Schularzt ist, bei Massennntersuchnngen von Schul* 
kindern (über 1000) außerhalb des Amtsstitzes liquidieren? Die Mindestsätze 
der Geb.-Ordn. für Aerzte sind m. E. zu hoch und die Tagegelder zu niedrig, 
da es sich um nahegelegene Orte handelt.“ 

Antwort: Da hier in erster Linie eine ärztliche Tätgkeit in Frage kommt, 
finden die Mindestsätze der ärztlichen Gebührenordnung Anwendung. Ergibt 
sich danach ein zu hoher Betrag, so steht nichts entgegen, ihn durch Verein¬ 
barung entsprechend zu ermäßigen oder den erforderlichen Zeitaufwand bei der 
Berechnung zugrunde zu legen. Auch die durch Min-Erl. vom 4. März 1921 
für Massenimpfungen festgesetzte Gebühr (2 Mark für jede Impfung) dürfte 
für derartige Massenuntersuchungen Anwendung finden können; in manchen 
Orten bezw. Bezirken ist die Gebühr dafür auf 8—4 M. festgesetzt. 


Mitteilung. 

Das Personalverzeichnis der Medizinal* 
behörden und Medizinalbeamten in Preußen 

(einschließlich derjenigen des Deutschen Reiches und des Ver¬ 
zeichnisses der Vorstände des Preußischen Landes - Medizinal¬ 
beamtenvereins und der Bezirks-Medizinalbeamtenvereine) ist 
jetzt zur Ausgabe gelangt und allen denjenigen Vereinsmit¬ 
gliedern, die es seiner Zeit bestellt haben, unter Beifügung einer 
Zahlkarte über 7,50 Mark (6 Mark für das Verzeichnis und 
1,60 Mark für Porto und Versendungskosten) zugestellt. Der 
Betrag ist umgehend an die Unterzeichnete Verlagsbuchhand¬ 
lung einzusenden (Postscheckamt Berlin Nr. 2296); diese nimmt 
auch neue Bestellungen gegen Einsendung des nunmehr er¬ 
höhten Preises von 10,50 (9 Mark für das Verzeichnis und 
1,60 Mark für Porto und Versendung) entgegen. 

Fischers nrnd. Buchhandlang (H. Kornfeld) Dr. Rapmund. 

Berlin W 62 Keitstraße 6. 


Mit Rücksicht auf die außerordentliche Erhöhung der 
Portokosten werden künftighin Rückfragen nur beantwortet, 
wenn die für die Antwort erforderlichen Briefmarken oder ein 
freigemachter Umschlag beigefügt sind. 


Verantwortlich für die Schriftlcitung: Prof. Dr. Rapmund, Geh. Med.-Rat ln LIppapringe. 
Druck von J. C. C. Brom, Minden 1. W. 



















































Zeitschrift fflr Medizi»&ib*ftmfce. 


!n K*«Bm>'äiain*Ifttpnza Krel$a-<stslen2Ärzt!*n die Aerxte Dr. Walter io 
FroslAeo (Krrfs_ Dr. fi. Roehnckc in Hersberg ü. Elster (Kreis 


Sch»»diütz) nnil Dr- Ws b er in Berlin (Pultxeiprfoidinzn). 

In d»n R«tee*t»n«l Di« Kmsxeedizinftlräte Dr. Joesten i* 

Jülich and MtxL-U*t Dr. t on Petrifcowsjti m Ört-Labnrg. 

ßnslerb"a: Geh. Mrd.-Rat D?. Saadidaat T Kteisarzt a. D. in Schleswig, 
Kreisarzt Dr. fl erlaub $fr Quaohrtiek. 

Bayer*. 

Ernannt : Zn et»tsm&6iucn Oberra^dizinälraten unter Einreilmng 
m Gruppe XU; die lAodzerio.it t^axzie Dr. A. Her manu und Prot Df, Merkel 
ja Manche», Br. Kreß? und Dr. Knehr in Nürnberg und Dr. Fr a ntz in 


Fraahcndsal ’’ . ■ 

Ter*etarlj Berirksarzt Dr. Glauoiog in ScbSofdd nach Traanetein 
enter Zurüek&ahfr.e der Versetzung des Ober-Med.-Eut» Dr, B Aller in Neu- 
hnrg su D. nach Traawteiu. 

Baden. 

I« den ItahesUnd getreten: Bezirksarzt Med.-Kat Dr. Lefluilz is 

M iMiejaÄi x>^(£jö , 

Erledigte Stellen, 

Pmistn. 

Alsbald xn besetzen, die teil besoldete Mrelaantaetle h» hitaroU« 
and xnni 1. April <L J. die nicht rollV-aldet« Krel*«rz'*f**lle in Kö«lin. 
Bewerbung* n siud umgebend za das 'EitiwCerjom lür Vulkswoblfa'irt in 
Berlin ^. 68, leipziger Straße Nr. 3 durch Vermittelung des für den Wohnort 
des Bewerb»» *a ständigen Herrn Beglerat^irdsidontga (in Berlin des Herrn 
Polizeipräsidenten; dnz-ureicbeo . ■ • -vv;; {;•'?: ■ 


NeutraleJLöaung von BiSeö-SJiweiß-Phospbat. 

Appetitanregend Blutbildend 


Lecintabletten 

Arsen-Leclntabl. 


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Frfifceo »4 Literil&r nun Lßci&ieri Saowfer 




J * hrg - 85 - Zeitschrift — 

für 

MEDIZINALBEAMTE 


Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt u. sozialen Hygiene 

Heraasgegeben 

TOB 

Prot. Dr. Otto Rapmund 

Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thflringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 


Verlag von Fischer’« med. Buchhandlung H. Kornfeld 

Uorzogl. Bayer, fiof- n. K. b. K. Kammer-Buchhlndler 

Berlin W. 63, Keithstrasse 5 


Anselfea werden durch die Anscfffcnterwaltnng Hans Pnteb, Berlin 8W. 48, Wilhetmstr« 28 eowi* 
tob simtliehea Anneigen-Annahmestellen des In- and A aalendes angenommen. 

Die durchgehende Petitseile kostet M. 2^0 


Nr. 3. 


Erscheint am 5. and 20. Jeden Monate 


5. Febr. 


Der dem Preussischen Landtage rorgelegte neue 
Entwarf eines Gesetzes über das Hebammenwesen. 

Tom Herausgeber. 

Der schon seit längerer Zeit angekündigte neue Entwurf 
eines preußischen Hebammengesetzes ist nunmehr dem Land¬ 
tage vorgelegt und von diesem bereits in den Sitzungen am 
19. und 20. Januar der ersten Beratung unterzogen. Der Ent¬ 
wurf hat felgenden Wortlaut: 1 ) 

tiebammenhilfe. 

$ 1. Jeder Frau in Preußen steht Hebammenhilfe zu. Diese erstreckt 
sich anf Beratung in der Schwangerschaft, Hilfe bei Störungen in der Schwanger¬ 
schaft, Hilfe bei der Geburt, Versorgung der Wöchnerinnen im Wochenbett und 
der Neugeborenen sowie auf Beratung Ober die Pflege und das Stillen der 
Kinder. 1 ) 


*) Die Begründung der einzelnen Paragraphen ist, soweit dies zur 
Erläuterung des Entwurfes notwendig erscheint, an zutreffender Stelle beigefttgt. 
Dasselbe gilt betreffs der Abänderungsvorschläge, die der Staatsrat 
in seinem Schreiben vom 14. Oktober v. J. gemacht hat. 

*) Der g 1 entspricht der Fassung des dem früheren Entwürfe vom 
BevOlkerungsaussehusse des Landtages zugefügten § 1. Der preußische 









58 


Dr. Bapmnnd: Der neae Entwarf 


Ausübung der Geburtshilfe. 

§ 2. He b nm m e n im Sinne dieses Gesetzes sind Frauen, die ein Prüfungs- 
zeagnis gemäß § 30 Abs. 3 der Reichsgewerbeordnung besitzen.’) 

§ 3. (1) Frauen, die weder eine ärztliche Approbation noch das im § 2 
angeführte Prüfungszengnis besitzen, ist die Ausübung der Geburtshilfe auch 
dann untersagt, wenn sie nicht gewerbsmäßig betrieben wird. 4 ) 

(2) Notfälle sind von diesem Verbot ausgenommen. Ein Notfall liegt 
vor, wenn es nicht möglich ist, rechtzeitig eine Hebamme oder einen Arzt zu* 
zuziehen. 

§ 4. (1) Hebammen ist die Ausübung der Geburtshilfe nur gestattet, 
wenn sie ihr Prüfungszeugnis von einer zuständigen preußischen Behörde 
erhalten haben oder auf Grnnd einer außerhalb Preußens erfolgten gleichwertigen 
Ausbildung vom Minister für Volks Wohlfahrt zur Ausübung der Geburtshilfe 
in Preußen zugelassen sind und wenn ihnen eine Niederlassungsge¬ 
nehmigung erteilt ist. 8 ) 

. (2) Der Niederlassungsgenehmigung steht die Anstellung als Bezirks¬ 
hebamme (§ 22) gleich. • 

(3) Unberührt bleiben die durch Staatsverträge oder anderweit geregelten 
Verhältnisse in den Grenzgebieten. 

§5. (1) Die Niederlassungsgenehmigung wird für einen ört¬ 
lichen Bezirk erteilt (Niederlassungsgebiet).*) 

(2) Das Niederlassungsgebiet ist nach Maßgabe der Bevölkerungsdichtig¬ 
keit und der Entfernungsverhältnisse in der Weise abzugrenzen, daß den Be- 


Staatsrat hat zu diesem Paragraphen vorgeschlagen, im ersten Satz die 
Worte „nach Maßgabe dieses Gesetzes“ (Unter dem Worte „steht“) einzu¬ 
schieben und im zweiten Satze zu sagen: Beratung und Hilfe in der 
Schwangerschaft, Hilfe bei der Geburt usw. 

8 ) Zu § 2: An einer gesetzlichen Bestimmung des Begriffs „Hebamme“ 
fehlt es bisher. Ebensowenig wie eine Frau, die ein Prüfungszengnis gemäß 
§ 30 Abs. 3 der Beicbsgewerbeordnung besitzt und die Geburtshilfe gewerbs¬ 
mäßig ausübt, verpflichtet ist, sich Hebamme zu nennen, ist es einer Frau, 
die ohne ein solches Zeugnis Geburtshilfe leistet, verboten, die Bezeichnung 
Hebamme zu führen. Denn die Beiehsgewerbeordnung schützt diese Bezeich¬ 
nung nicht wie den Titel „Arzt“ oder „Geburtshelfer“ <§§ 29, 147 Nr. 3 a. a. 0.). 
Daher erläutert hier der Entwurf den Gesetzentwurf, welche Frauen er als 
Hebammen ansieht. 

4 ) § 3 richtet sich gegen die in manchen Landesteilen noch immer be¬ 
triebene Hebammenpfuscherei. Nach § 147 Nr. 1 der Reichsgewerbe¬ 
ordnung ist nur diejenige ärztlich approbierte Frau strafbar, welche die Ge¬ 
burtshilfe ohne das in § 30 Abs. 3 a. a. 0. vorgeschriebene Prüfungszeugnis 
gewerbsmäßig ausübt. Es fehlt daher zurzeit eine gesetzliche Handhabe 
zur Bekämpfung der nicht gewerbsmäßigen Hubammenpfuscherei, soweit sie 
nicht durch besondere Polizeiverordnung verboten ist. Bei einer gesetzlichen 
Neuregelung des Hebammenwesens erscheint es deshalb zweckmäßig, ein 
solches Verbot in das Gesetz selbst anfzunebmen. Mit dem Reichsrecht steht 
das im § 42 durch eine Strafandrohung verstärkte Verbot schon deswegen 
nicht in Widerspruch, weil sich die Reichsgewerbeordnung nur auf eine ge¬ 
werbsmäßige Tätigkeit bezieht, während hier gerade eine nicht gewerbs¬ 
mäßige in Frage steht; 

*) Zu § 4: Statt der in dem früheren Entwurf vorgesehenen Vorbe¬ 
dingungen für Ausübung des Hebammenberufs: „Anstellung als Bezirks¬ 
hebamme“ wird jetzt eine Niederlassungsgenehmigung (für die frei¬ 
praktizierenden Hebammen) oder Anstellung als Bezirkshebamme 
verlangt. 

*) Zu § 6: Um eine angemessene Verteilung der Hebammen über das 
Staatsgebiet zu erreichen, insbesondere um einer unerwünschten Anhäufung in 
einzelnen Ortschaften und Gegenden vorzubeugen, ist die Nieder lassungs- 
genehmigung nicht für ganz Preußen, sondern nur für einen be¬ 
stimmten Bezirk zu erteilen. Den Bezirk kann eine Ortschaft oder in 



eines Geeetxes Aber das Hebammen wesen. 


59 


wohnerinea des Gebiets eine ansreichende Versorgung mit Hebammenhilfe 
(§ 1) gesichert ist. 

(3) In der Genehmigungsurkunde ist das Xiederlassnngsgebiet zn bezeichnen. 

§ 6. (1) Die Hebamme maß in dem Niederlassungsgebiet wohnen. 
In der Genehmignngsnrknnde kann ihr das Wohnen in einem begrenzten Teile 
des Niederlassungsgebiets anfgegeben werden. 

(2) Bei der Ansöbnng ihres Berufs ist die Hebamme nicht anf das 
Niederlassungsgebiet beschränkt 7 ) 

§ 7. Die Niederlassnng8genehmigung ist nnr dann zn ver¬ 
sagen, wenn das Bedürfnis nach Hebammenhilfe (§ 1) in dem betreffenden 
Bezirk bereits ansreichend gedeckt ist oder wenn eine derjenigen Tatsachen 
Torliegt die znr Zurücknahme der Genehmigung berechtigen (§ 9). s ) 

§ 8. Die Niederlassungsgenehmigung verliert ihre Gültigkeit: 

a) wenn die Hebamme sich nicht binnen 3 Monaten vom Tage der Genehmigung 
ab in dem Niederlassungsgebiet niederläßt Diese Frist kann von der 
Genehmigungsbehörde (§ 10) höchstens auf 6 Monate verlängert werden;*) 

b) wenn die Hebamme den Wohnsitz innerhalb des Niederlassungsgebiets 
aufgibt; 

c) wenn der Hebamme das Prüfangszeugnis gemäß § 53 der Reichsgewerbe¬ 
ordnung entzogen wird, oder wenn die nach § 4 Abs. 1 erteilte Genehmi¬ 
gung des Ministers für Volkswohlfahrt zurückgenommeu wird. 

§ 9. 10 ) Die Niederlassungsgenehmigung kann zurückge¬ 
nommen werden: 


größeren Städten ein bestimmter, örtlich abgegrenzter Stadtteil bilden. Der 
Bezirk kann aber auch über den Bereich einer Ortschaft hinausgehen und 
mehrere Gemeinwesen umfassen. Es ist auch nicht aasgeschlossen, daß die 
zum Niederlassungsgebiet der Hebamme gehörenden Ortschaften verschiedenen 
Kreisen angehören, falls zwischen den Verwaltungen eine Einigung über die 
entsprechende Abgrenzung des Bezirks zustande kommt. Die Abgrenzung 
der Hebammenbezirke soll nicht schematisch erfolgen, vielmehr maß 
dabei auf die örtlichen Verhältnisse, insbesondere also auf die Bevölkerungs¬ 
dichtigkeit, auf weite Entfernungen oder schwierige Verkehrsverhältnisse weit¬ 
gehend Rücksicht genommen werden. 

7 ) Zu § 6 Abs. 2; Die Erteilung der Niederlassungsgcnehmigung soll 
lediglicn erfolgen, nm die angemessene Verteilung der Hebammen zu sichern. 
Dagegen hat diese nicht den Zweck, die Hebamme bei der Ausübung des Be¬ 
rufs auf das Niederlassungsgebiet zu beschränken. Die freie Hebammen¬ 
wahl bleibt also bestehen. 

*) | ! bildet den Schutz gegen eine zu reichliche Nieder¬ 
lassung von Hebammen und bietet außerdem die Möglichkeit der Nieder¬ 
lassung ungeeigneter Elemente zu begegnen. 

*) Zu § 8 Abs. a: Diese dem § 49 der R. Gew. Ord. entsprechende Vor¬ 
schrift ist getroffen, um zu verhindern, daß die Versorgung mit Geburtshilfe 
in einem Niederlassungsgebiet dadurch leidet, daß eine Hebammo von einer 
ihr erteilten Niederlassungsgenehmigong gar nicht oder während längerer Zeit 
keinen Gebrauch macht. 

>0 ) Zu g 9: Die Bestimmungen unter a, b, c, d, e, g, h und i sollen 
dazu dienen, Hebammen, die sich als unzuverlässig bei der Ausübung ihres 
Berufes erweisen, oder die wegen Mangels an Uebnng, wegen körperlicher oder 
geistiger Gebrechen oder infolge vorgerückten Alters für ihren Beruf ungeeignet 
sind und daher bei dessen Ausübung die Wöchnerinnen gefährden würden, von 
der Hebammentätigkeit aaszuschließen. (Sie entsprechen übrigens den bisher 
für die Entziehung des Hebammen-Prüfungszeugnisses maßgebenden Grund¬ 
sätzen.) . . . Absatz f soll der Möglichkeit Vorbeugen, daß der Erfolg des 
Genehmigangserfordernisses von Hebammen dadurch vereitelt wird, daß sie die 
Niederlassungsgenehmigung für einen Ort nachsuchen, wo Hebammenmangel 
herrscht, dort auch zum Schein eine Wohnung nehmen, tatsächlich aber auf 
Grund des $ 6 Abs. 2 einen anderen Ott zum Mittelpunkt ihrer Lebensführung 
machen. Die Vorschrift will dabei die Möglichkeit, daß Schwangere solche 



Dr. Rapmund: Der neue Entwurf 


W 


a) wenn die Hebamme eine yorgeschriebene Nachprüfung zweimal hinter¬ 
einander nicht besteht, 

b) wenn sie einen angeordneten Fortbildungslehrgang ohne genügenden 
Grand versäumt, 

c) wenn sie Bncher oder Uebersichten, die nach n&herer Anordnung des 
Ministers für Volkxwohlfahrt enr regelmäßigen Kontrolle ihrer Berufs¬ 
tätigkeit oder als N«ch weise für Zahlungsansprüche an den Kreis dienen, 
unrichtig oder unvollständig führt, 

d) wenn sie wegen Mangels an Pflichteifer, wegen Nachlässigkeit im Beruf, 
oder wegen ungleichmäßiger Berücksichtigung und Behandlung der Hilfe¬ 
suchenden innerhalb der letzten lt Jahre dreimal durch die Kreishebammen- 
stelle (§ 30) verwarnt worden ist, 

e) wenn sie eigenmächtig den ihr angewiesenen Wohnsitz wechselt, 

f) wenn sie ohne Erlaubnis der in der Genebmigungaurkunde zu bestimmen¬ 
den Stelle länger als 3 Monate innerhalb eines Kalenderj ,bres oder länger 
als 6 Wochen hintereinander von dem Niederla-sungsgebiete abwesend ist, 

g) wenn sie länger als 1 Jahr ihren Beruf nicht aasübt, 

h) wenn sie infolge eines körperlichen Gebrechens oder infolge Schwäche 
ihrer geistigen und körperlichen Kräfte zur Erfüllung ihrer Berufs¬ 
pflichten dauernd unfähig ist, 

i) wenn sie das 66. Lebensjahr vollendet bat 

§10. (1) Zuständig für die Erteilung und die Zurücknahme 
der Genehmiguung ist in Landkreisen der Kreisausschuß, in Stadtkreisen 
der Magistrat (Bürgermeister). Vor der Erteilung und der Zurücknahme der 
Genehmigung ist die Kreishebammenstelle zu hören. 

(2) Der Hebamme steht gegen die Versagung oder Zurücknahme der 
Genehmigung innerhalb 2 Wochen seit der Zustellung die Beschwerde an den 
Bezirksausschuß zu, der nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle (§ 86) 
endgültig entscheidet. 

Pflichten der Hebammen. 

§ 11. Die Hebamme ist verpflichtet, alle in ihre Berufsgescb&fte 
fallenden Aufgaben nach Maßgabe der Dringlichkeit und unter Befolgung der 
hierzn vom Minister für Volkswohlfahrt erlassenen Vorschriften gewissenhaft aua- 
zuführen. Sie hat insbesondere folgende Berufspflicbten zu eifnllen: u ) 

a) Beratung von Schwangeren und Au: Übung der Gebartshilfe, 

b) Versorgung der Wöchnerinnen and neugeborenen Kinder, 

c) Förderung der natürlichen Ernährung der Säuglinge, **) 

d) Mitwirkung bei der Säuglingsfürsorge nach Maßgabe des örtlichen Be¬ 
dürfnisses. u ) 


auswärtigen Hebammen, zu denen sie besonderes Vertrauen haben, in Erwar¬ 
tung ihrer Entbindung für längere Zeit bei sich entnehmen, nicht anaschließeu. 
Der StaAtsrat schlägt vor, die hier vorgesehenen Fristen von 8 Monaten 
bezw. 6 Wochen auf „2 Monate“ und »3 Wochen“ abzukürzen. 

**) Zu § 11: Es bedeutet einen Fortschritt, wenn die Verpflich¬ 
tung der Hebammen, die Vorschriften der von dem Minister für Medi¬ 
zinalangelegenheiten erlassenen Dienstanweisung zu befolgen, gesetzlich fest¬ 
gelegt wird. Hebammen, die diese Vorschriften übertreten, machen sich nach 
§ 42 strafbar. 

i( > Die unter c geforderte „Förderung der natürlichen Er¬ 
nährung der 8äuglinge“ ist neu hinzugefügt. 

u ) ln der Begründung beißt es hierzu: „Die unter d genannte Mit¬ 
wirkung bei der Säuglingsfürsorge bedeutet im gewissen Sinne eine 
Erweiterung der Berufstätigkeit der Hebammen. Schon jetzt werden aber die 
Hebammen in den Lehranstalten auch in der Säuglingspflege ausgebildet. 
Ferner sind die Hebammen nach ihrer Dienstanweisung bereits jetzt ver¬ 
pflichtet, in den ersten 10 Tagen nach der Geburt eines Kindes bei den vor- 
gescoriebenen Wochenbesuchen sich um die ordnungsmäßige Pflege des Neu¬ 
geborenen zu kümmern. Es liegt also durchaus nahe, die dazu besonders ge¬ 
eigneten Hebammen künftig in erhöhtem Maße auch für die öffentliche Säng- 
lingsfürsorge heranzuziehen, ohne ihnen einen Bechtsanspruch auf die Ueber- 
tragung dieser Fürsorge zu geben.“ 



eines Gesetzes über das Hebammenwesen. 


61 


§ 12. Die Hebamme hat sich nach Maßgabe der hierzu ergehenden Vor¬ 
schriften des Ministers für Volks Wohlfahrt Nachprüfungen za unter¬ 
ziehen and an Fortbildnngslehrgängen teilzunehmen. 1 *) 

§ 18. “) (1) Za einer Erwerbstätigkeit außer der im § 11 an¬ 
geführten bedarf die Hebamme der Genehmigung. Bestehen gegen 
diese Erwerbstätigkeit Bedenken, so muß die Genehmigung versagt und eine 
erteilte Genehmigung zurückgenommen werden. 

(2) Zuständig für die Erteilung oder Zurücknahme der Genehmigung 
ist in Landkreisen der Kreisausschuß, in Stadtkreisen der Magistrat (Bürger¬ 
meister). Er entscheidet nach Anhören der Kreishebammenstelle. 

(3) Gegen die Versagung oder Zurücknahme der Genehmigung steht der 
Hebamme innerhalb 2 Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß zu, der 
nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle endgültig entscheidet. 

§ 14. Die Berufstätigkeit der Hebamme unterliegt der Auf¬ 
sicht des Kreisarztes. 1 *). 

Gebühren der Hebammen. 

§ 1B. 1T ) (1) Die Bezahlung der nach § 11a bis c geleisteten Dienste 
einer Hebamme erfolgt mangels anderweitiger Vereinbarung auf Grund einer 
Gebührenordnung, die von dem Regierungspräsidenten — im Ortspolizei¬ 
bezirk Berlin von dem Polizeipräsidenten in Berlin — zu erlassen iBt. 

(2) Es werden drei Teuerungsklassen gebildet. Die Gebühren¬ 
sätze sind für diese Klassen verschieden hoch zu bemessen und die Kreise 
oder Ortschaften nach Maßgabe ihrer Teuerungsverhäitnisse in die Klassen 

u ) Zu § 12: Die Forderung im § 12 entspricht den bisherigen Vor¬ 
schriften, insbesondere die Bestimmungen der Dienstanweisung vom 15. Sep¬ 
tember 1920. Schwierigkeiten, die sich in letzter Zeit bei ihrer Durchführung 
vereinzelt gezeigt haben, machen es aber erwünscht, diese Pflicht der Hebammen 
im Gesetz ausdrücklich auszusprechen und Strafen für die Nichterfüllung (§ 42) 
anzudrohen. Wird eine Nachprüfung zweimal hintereinander nicht bestanden, 
so kann der Hebamme nach § 9 die Niederlassungsgenebmigung entzogen 
werden, ln der Ausführungsauweisung zu dem neuen Gesetz soll einer 
Hebamme, die eine Nachprüfung wiederholen muß, auf Antrag gestattet 
werden, die zweite Nachprüfung vor einer anderen 8telle abzulegen. 

u f Zu 0 18: ln der Begründung heißt es hierzu: „Schon vom Stand¬ 
punkt der öffentlichen Gesundheitspflege aus ist es erwünscht, daß sich die 
Hebammen lediglich ihren Berufsaufgaben und nicht nebenher noch einer 
anderen Erwerbstätigkeit widmen. Wo es die örtlichen Verhältnisse 
bedingen, daß eine Hebamme durch die Erfüllung ihrer anderen im § 11a bis 
c angegebenen Berufspflichten nicht voll beschäftigt ist, wird sie in ver¬ 
stärktem Maße zur Säuglingsfürsorge (§ 11 d) heranzuziehen sein, sofern sie 
hierzu geeignet ist. Anderseits wird aber einer Hebamme in gewissen, wenn 
auch nur seltenen Fällen die Ansübung einer anderen Erwerbstäiigkeit nicht 
verwehrt werden können Der Gesetzentwurf sieht daher vor, daß ihr eine 
solche gestattet werden kann. Die Genehmigung hierzu darf aber nur dann 
gegeben werden, wenn ihrer Erteilung keine Bedenken entgegenstehen, und sie 
muß zurückgezogen werden, falls sich nachträglich herausstellt, daß gegen 
die Fortsetzung der genehmigten Erwerbstätigkeit Bedenken vorliegen. 

Es erscheint zweckmäßig, die Entscheidung über die Erteilung und 
Zurücknahme der Genehmigung denselben Behörden zu übertragen, die über 
die Gewährung und Entziehung der Niederlassungsgenehmigung zu befinden 
haben. Auch hier soll vor der Entscheidung die Hebammeustelie gehört 
werden. Das im Abs. 2 gegebene Beschwerdeverfahren ist entsprechend den 
Vorschriften aer § 10 Abs. 2 geregelt. 

w ) Zu | 14: In dem früheren Entwurf hatte diese Bestimmung den 
Wortlaut: „Die Hebamme untersteht der Aufsicht des Kreisarztes. 0 

1T ) Die Gebührenordnungen für Hebammen sollen auch künftig¬ 
hin dem Gesetze vom 10. Mai 1908 gemäß von dem Regierungspräsidenten er¬ 
lassen und darin Teuerungsklassen (s. § <7) mit verschiedenen hohen 
Mindest- und Höchstgebührens&tzen vorgesehen werden. 



62 


Dr. Eapmnnd: Der neue Entwarf 


einzugruppieren. Für jede Klasse sind in der Gebührenordnung nnter Berück¬ 
sichtigung der Leistungsfähigkeit der Gebührenpflichtigen Mindest- und Höchst¬ 
gebühren festzusetzen. Ferner hat die Gebührenordnung die Erstattung 
der Ausgaben für Desinfektionsmittel, die von der Hebamme bei 
ihrer Hilfeleistung verwendet worden sind, zu regeln sowie über den Anspruch 
der Hebammen auf Ersatz der Auslagen für die Benutzung von Verkehrs¬ 
mitteln oder auf die Zahlung eines angemessenen Wegegeldes Bestimmung 
zu treffen. Die näheren Vorschriften erläßt der Minister für Volkswohlfahrt. 

(3) Bei der Anwendung der Gebührenordnung hat die Hebamme die 
Gebührensätze derjenigen Teuerungsklasse in Rechnung zu stellen, zu der ihr 
Wohnort gehört. 18 ) 

(4) Die Provinzialhebammenstelle, die Kreisausschüsse und die Gemeinde¬ 
vorstände der Stadtkreise sind vor dem Erlaß der Gebührenordnung zu hören. ,0 ) 

§16. (1) Ergeben sich Streitigkeiten über die Höhe einer Gebühr, 
die von einer Bezirkshebamme (§ 22) gefordert wird *°) oder wird die Gebühr an 
eine Bezirkshebamme innerhalb einer angemessenen Frist nicht entrichtet, so 
setzt der Landrat nach Anhörung der Kreishebammenstelle und des Zahlungs¬ 
pflichtigen die Gebühr nach Maßgabe der Gebührenordnung fest. Gegen diese 
Festsetzung ist binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß zulässig, 
der nach Anhörung der Provinzialhebammenstelle endgültig entscheidet. 

(2) Die rechtskräftig festgesetzte Gebühr unterliegt der Beitreibung im 
Verwaltungszwangsverfahren durch den Kreisausschuß. Hierbei gilt, unbeschadet 
des Rechts der Bezirkshebamme auf die Gebühren, der Kreis als derjenige, auf 
dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung im Sinne der Vorschriften über das 
Verwaltungszwaugsverfahren erfolgt. 

Besondere Bestimmungen für Hebammen, die eine Niederlassungs¬ 
genehmigung erhalten haben. 

§ 17. ai ) (1) Die Hebamme kann von dem Kreise, in dessen Gebiet sie 
wohnt, einen Zuschuß beanspruchen, wenn in einem Jahr ihr Einkommen 


iS) Diese Bestimmung ist getroffen, weil sich die Kosten des Lebens¬ 
unterhaltes in der Berufsausübung für die Hebamme nach ihrem Wohnorte 
bemessen. 

l# ) Durch zuvorige Anhörung der Provinzialhobammenstelle 
soll vor allem eine möglichste Einheitlichkeit der Gebührenordnungen inner¬ 
halb der Provinz erreicht werden. 

*•) Zu § 16. Die Gebührenordnungen kommen nur in Ermange¬ 
lung einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten zur Anwendung. Eine Aus¬ 
nahme nehmen in dieser Hinsicht aber die Gebühren der Bezirks¬ 
hebammen ein, für deren Höhe und Festsetzung daB Gesetz vom 10. Mai 1908 
maßgebend ist, dem die Vorschrift im § 19 entspricht. Neu ist in dieser Hin¬ 
sicht nur, daß vor Festsetzung der Gebühr durch den Landrat bezw. den Be¬ 
zirksausschuß erst die Kreis- bezw. Provinzialhebammenstelle gehört 
werden muß. 

*') Zu § 17. In der Begründung zu § 17 heißt es: Von denjenigen 
Frauen, denen reichsrechtliche WochenhUfe, Familienhilfe oder Wochenfürsorge 
zusteht, soll für Gewährung von Hebammenhilfe wie bisher nur die Mindest¬ 
gebühr gefordert werden. Die Zahl dieser Frauen beträgt in den Städten und 
lndustriegegenden etwa 80%, in anderen Gegenden 70 °/ 0 ; für den Rest von 
20 bezw. 30°/, kann dagegen die Höcbstgebühr eingesetzt werden. Es werden 
danach, wenn für eine Hebamme in den beiden ersten Teuerungsklassen je 65, in 
der dritten Teuerungsklasso je 45 Entbindungen im Jahre angenommen werden, 
die Gebühreneinnahmen der Hebammen in der ersten TeuerungskJasse 15 X 800 
+ 50 X 150 = 4500 7öU0 = 12000 M., in der zweiten Teuerungsklasse 
15 X 250 -j- 50 X 180 = 3750 -|- 6500 = 10250 M. in der dritten Teuerungs¬ 
klasse, 15 X 200 + 30 X HO = 3000 + 3300 = 6300 M. betragen. Durch die 
Zuschußpfltcht des Kreises sollen auch die freipraktizierenden Hebammen in 
den Jahren, in denen ihre Berufseinnahmen die im § 17 Abs. 3 festgesetzten 
Mindesteinnahmen nicht erreichen, vor Not geschützt werden. Diese Mindest¬ 
beträge gelten aber nur für Zeiten mit normalen Teuerungsverhältnissen; so¬ 
lange solche nicht bestehen und die Staatsbeamten Ausgleichszuschläge 



eines Gesetzes über dns Hebammenwesen. 


63 


ans der im § lta bis e angegebenen Berufstätigkeit ohne ihr Verschulden 
nicht einen Mindestbetrag erreicht. Als Zuschuß ist der Betrag zu zahlen, 
um den das Einkommen hinter dem Mindestbetrage zurückbleibt. Her Kreis 
kann die Zahlung ganz oder teilweise verweigern, wenn die Voraussetzungen 
des § 9 c vorliegen. 

(2) Das Einkommen der Hebamme ist nach der Zahl der Ent¬ 
bindungen zu berechnen, bei denen sie in dem betreffenden Jahre Hilfe geleistet 
hat. Die näheren Vorschriften über die Berechnung der Gebtinren erläßt der 
Minister für Volkswohlfahrt. 

(8) Der Mindestbetrag bestimmt sich nach der Teuerungsklasse, 
zu der der Wohnort der Hebamme gehört. Er beträgt für Orte 

in der 1. Teuerungsklasse. 6000 M. 

n » 2. - . 4500 „ 


8 . 


3000 


(4) Für die Zeit, in der die unmittelbaren Staatsbeamten Ausgleichs¬ 
zuschläge in der beim Inkrafttreten dieses Gesetzes festgesetzten Höhe 
gezahlt erhalten, werden die Mindestbeträge durch Zuschläge erhöht. Sie be¬ 
tragen für die ersten beiden Teuerungsklassen ein Drittel, für die dritte 
Teuerungsklasse ein Viertel des Mindestbetrages. Die Zuschläge erhöhen oder 
mindern sich ohne weiteres in demselben Verhältnis, in dem die Ausgleichs¬ 
zuschläge der unmittelbaren Staatsbeamten erhöbt oder herabgesetzt werden. 

(5) Wenn eine Hebamme neben ihrer Berufstätigkeit eine andere 
Erwerbstätigkeit ausübt (§ 13), kann der Mindestbetrag um 10 v. H. 
ermäßigt werden. 

§ 18. Versichert sich eine Hebamme gegen Alter, dauernde Berufs¬ 
unfähigkeit oder Invalidität, so hat ihr der Kreis (§ 17 Abs. 1) drei Viertel 
der Versicherungsbeiträge, jedoch in einem Jahre nicht mehr als insgesamt 
150 M., zu erstatten. 93 ) 


erhalten, erhöhen sich die Mindestsätze und die beiden ersten Teuerungskiassen 
um 30%, in der dritten Teuerungeklasse um 25%, also auf 9000, 6000 und 
3750 M. Der Zuschuß wird jedoch nur gewährt, wenn der Einnahmeausfall nicht 
durch Verschulden der Hebamme selbst verursacht ist, z. B. durch Verbüßung 
einer Freiheitsstrafe oder durch Nachlässigkeit und mangelnden Pflichteifer. 
Ebenso kann die Zuschußzahlung vom Kreise bei Unvollständigkeit oder Un¬ 
richtigkeit der über das Jahreseinkommen vorzulegenden Belege verweigert 
werden. 

Der 8taat8rat empfiehlt die Gewährung eines Zuschußanspruches 
zur Erzielung eines Mindesteinkommens zu beseitigen, dagegen aber 
für eine ausreichende Versicherung der Hebammen gegen Alter, dauernde 
Bernfsunfäbigkeit und Invalidität, sowie nötigenfalls mittels Beihilfen für 
eine gleichartige Sicherung zu sorgen, soweit Hebammen bei der Neuordnung 
keine Niederlassungsgenehmigung erhalten, und ausreichende etatsmäßige Mittel 
zu notwendigen Beihilfen für die zur Niederlassung zugelassenen Hebammen 
bereitzustellen. 

") Zu § 18. Ein großer Teil der Hebammen ist schon jetzt gegen 
Krankheit, Alter oder Invalidität versichert. Es besteht hierfür 
u. a. die Allgemeine deutsche Kranken-, Unterstützungs- und Sterbekasse der 
Vereinigung deutscher Hebammen und die Allgemeine deutsche Alterszuschu߬ 
kasse derselben Vereinigung. Letztere Kasse umfaßt auch eineInvaliditäts- 
versicherung. Gegen stärkere Einnahmeausfälle bei Krankheit wird die 
freipraktizierende Hebamme durch den § 17 geschützt. Um ihr aber die Ver¬ 
sicherung gegen Alter, dauernde Erwerbsunfähigkeit oder Invalidität wesent¬ 
lich zu erleichtern, bestimmt § 18, daß ihr der Kreis drei Viertel der Versiche¬ 
rungsbeiträge zu erstatten hat. Die freipraktizierenden Hebammen werden 
daher in der Lage sein, sich mit starker Unterstützung aus öffentlichen Mitteln 
auch für den Fall vor einer Notlage zu bewahren, in dem sie wegen Alters, 
dauernder Berufsuufähigkeit oder Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) aus ihrem 
Hebammenberuf kein Einkommen mehr beziehen können. Die Festsetzung eines 
Höchstbetrages, über den hinaus der Kreis nicht in Anspruch genommen werden 
kann, erscheint notwendig, um der finanziellen Belastung des Kreises eine 
Grenze zu ziehen, 






64 


Dr. Bapmnnd j Der neue Entwurf 


§ 19. Fttr die Teilnahme an einer Nachprüfung und an einem Fort¬ 
bildungslehrgang ist der Hebamme von dem Kreise (§ 17 Abs. 1) eine Eeise- 
kostenentschädignng nnd ein angemessenes Tagegeld zu gewähren. 

§ 20. Wenn eine Hebamme ihren Beruf ausschließlich oder weit über- 
wiegend in dem Bezirk einer Gemeinde ausübt, kann der Kreis die yon ihm 
nach den §§ 18 und 19 gezahlten Beträge von der Gemeinde zurückerstattet 
verlangen. 

S 21. Fttr eine nach § 11 d geleistete Berufstätigkeit hat die Hebamme 
eine besondere Vergütung zu beanspruchen, die freier Vereinbarung unterliegt. 1 *) 

Bezirkshebammen. 

§ 22. M ) (1) Soweit es das Bedürfnis nach einwandfreier Versorgung 
mit Hebammenhilfe (§ 1) erheischt, sind die Landkreise verpflichtet, 
fttr einen räumlich abgegrenzten Bezirk (Hebammenbezirk) Hebammen (Be- 
zirkshebammen) auf Grund statuarischerBegelung durch Dienst- 
vertrag anzunehmen. Auf die Abgrenzung eines Hebammenbezirks findet §6 
Abs. 2 entsprechende Anwendung. 

(2) Im Bedarfsfälle müssen die Landkreise geeignete Frauen in einer 
Hebammenlehranstalt anf ihre Kosten ausbilden lassen. 

g 28. Die Bezirkshebamme muß in ihrem Bezirk wohnen. Der Kreis 
hat sich in dem Dienstvertrsge das Becht vorzubehalten, der Bezirkshebamme 
das Wohnen in einem begrenzten Toile des Bezirks aufzugeben. 

§ 24. Die Bezirkshebamme darf außerhalb ihres Bezirks ihre 
Berufstätigkeit nur austtben, soweit ihr dies im Dienstvertrage ausdrücklich 
gestattet oder aufgegeben ist, oder wenn keine zuständige Bezirkshebamme 
rechtzeitig hinzugezogen werden kaon. Sie ist dann verpflichtet, außerhalb 
ihres Bezirks Hilfe zu leisten, sofern sie nicht durch dringendere Berufsgeschäfte 
im eigenen Bezirk zurückgehalten wird. 1 *) 


**) Zn § 21: Für die Mitarbeit auf dem Gebiet der 8äuglings- 
fürsorge (§ 11 d) sollen die Hebammen in jedem Falle eine besondere Ver¬ 
gütung beanspruchen können, da die im § 16 erwähnte Gebührenordnung die 
Bezahlung solcher Dienste nicht betrifft. Die Höhe der Vergütung im Gesetz 
oder anf dem Verwaltungswege zu regeln, erscheint nicht notwendig und auch 
nicht zweckmäßig, da sie nach den örtlichen Verhältnissen und nach dem Um¬ 
fang der Inanspruchnahme der Hebammen durch die Säuglingsfürsorge größeren 
Verschiedenheiten unterliegen wird. — Der Staats rat schlägt vor im § 21 
hinter die Worte: „hat die Hebamme* einzuschalten: „von dem Träger der 
Säuglingsf tt rsorge“. 

* 4 ) Zn | 22: Durch diese Bestimmung soll ein Hebammenmangel 
verhütet bezw. beseitigt werden; da ein polcher in Stadtkreisen nicht zu be¬ 
fürchten steht, beschränkt § 22 seinen Wirkungskreis auf Landkreise. Ihre 
Verpflichtung zur geburtshilflichen Versorgung soll nicht nur dann Platz 
greifen, wenn die Zahl der vorhandenen Hebammen nicht ausreicht, sondern 
auch dann, wenn zwar eine genügende Zahl von Hebammen vorhanden ist, 
aber einzelne unter ihnen den an sie zu stellenden beruflichen Anforderungen 
nicht genügen. — Kommunalbeamte werden die Bezirkshebammen durch ihre 
Annahme nicht, da diese durch einen privatrechtlichen Akt erfolgen soll. Unter 
„Bezirkshebamme* versteht der Gesetzentwurf eine solche Hebamme, 
die zur Befriedigung des Bedürfnisses der Bewohnerinnen eines Bezirks nach 
geburtshilflicher Versorgung vom Kreise bestellt werden. Hebammen, die 
von Armenverbänden zur Geburtshilfe bei Armen veipflichtet oder von Ge¬ 
meinden, Zweckverbänden, Aemtero, Bürgermeistereien und kreisangehörigen 
Städten zur Befriedigung eines in ihrem bezirke hervorgetretenen Bedürfnisses 
nach geburtshilflicher Versorgung bestellt und vieliach als Bezirkshebammen 
bezeichnet werden, sind nicht Bezirkshebammen im Sinne des Gesetzentwurfs. 

**) Zu § 24: Der Sicherstellung des Unterhalts, die der Hebamme durch 
die Annahme als Bezirkshebamme zuteil wird, entspricht auf d* r anderen Seite 
ihre Verpflichtung zurHilfeleistung gegenüber den bezirksein gesosse- 
nen Frauen, die nach Lage der Verhältnisse fast stets nur auf den Beistand 
dieser Hebammen angewiesen sein werden. Damit ihnen jener Beistand auch 
tatsächlich gesichert bleibt, kann der Bezirkshebamme die Berufstätigkeit 
außerhalb ihres Bezirks nur in besonderen Ausnahmefällen gestattet werden. 



eines Gesetzes Gber das Hebammenwesen. 


66 


§ 36. Die Bezirksheb&mme ist zunächst probeweise auf 2 Jahre 
aazuneiunen. **) 

§ 26.**) (1) In dem Dienstvertrage ist zu bestimmen, daß das 
Verhältnis der Bezirkshebamme in den dem § 8 b and c entsprechenden Fällen 
erlischt. 

(2) Im übrigen hat sich der Kreis in dem Dienstvertrage ein Kündi¬ 
gen n gerecht vorzubehalten. Bei endgültiger Annahme der Bezirksheb&mme 
darf das Kündigongsrecht jedoch nur auf die Fälle des § 9 a bis e und g bis i, 
auf das Vorliegen eines wichtigen Grandes im Sinne des § 626 des Bürger¬ 
lichen Gesetzbuches and ferner aal den E&U beschrankt werden, daß eine 
Bezirkshebamme länger als 2 Tage hintereinander ohne Erlaubnis der im Ver¬ 
trage za bestimmenden Stelle von ihrem Bezirk abwesend ist. 

(3) Ueber die Kündigung beschließt das Kollegium des Kreisauschasses 
nach Anbören des Kreisarztes und der Kreishebammenstelle. 

§ 27. In dem Annahmevertrage ist der Bezirkshebamme znzusichern: 

a) eine Vergütung für jede Entbindung, bei der sie Hilfe geleistet 
hat, und zwar in Hübe von 20 M. bis zur 70. Gebart and in Hohe von 
10 M. für die 71. and jede weitere Geburt; 1 *) 

b) die Gewährleistung eines Jahreseinkommens aus der im § 11a bis c 
angegebenen Berufstätigkeit. Das gewährleistete Jahreseinkommen maß 
ohne Einrechnung der nach Abs. a zu zahlenden Vergütung mindestens 
3800 M. betragen. Der letzte Absatz des § 17 findet entsprechende 
Anwendung. 18 ) 

Zu diesem Betrage ist ein Zuschlag von mindestens 25 v. H. zu ge¬ 
währleisten, bo lange die unmittelbaren Staatsbeamten einen Ausgleichs- 
zuscblng in der beim Inkrafttreten dieses Getetzes festgesetzten Hohe 

**) Zn 9 26: Der Kreis soll die Möglichkeit erhalten, in der Probe¬ 
zeit zu prüfen, ob die Bezirkshebamme für die vielleicht besonders gearteten 
Verhältnisse ihres Bezirks geeignet ist nnd verneinendenfalls innerhalb dieser 
Zeit ohne Einschränkung durch dieses Gesetz der Bezirkshebamme kündigen 
können. Der Staatsrat schlägt vor, die Probezeit von 2 Jahren auf 1 Jahr 
abzukürzen. 

IT ) Zu § 26: Der Dienstvertrag soll ohue weiteres erloschen, wenn 
der Bezirkshebamme durch eine Entziehung des Piüfangszeugnisses die weitere 
Ausübung des Hebammenbernfs unmöglich gemacht ist, oder wenn sie ihren 
Bezirk durch Aufgabe des Wohnsitzes eigenmächtig verläßt und sich dadurch 
selbst außerstande setzt, den ihr zngewiesenen Bezirk einwandsfrei mit Ge¬ 
burtshilfe zu versorgen. Ist die Bezirkshebamme vom Kreise entgttltig an¬ 
genommen, so soll ihr nur in ganz bestimmten, im § 26 angegebenen Fallen 
gekündigt werden dürfen, während die Bezirkshebamme selbst das un¬ 
beschränkte Kündigungsrecht behalten soll. Eine Kündigung durch 
den Kreis kann daher nur zugelassen werden, wenn sie sachlich gerechtfertigt 
erscheint. Diese Regelung, die zugunsten der Bezirkshebamme getroffen ist, 
macht es erwünscht, zunächst eine probeweise Annahme der Bezirkshebamme 
auf 2 Jahre vorzuseben (§ 26). 

**) Zu § 27 a n. b: Die Sicherstellung des Einkommens einer Bezirks* 
hebamme muß deswegen in stärkerem Maße erfolgen, weil die Bezirkshebamme 
aus den Einnahmen ihrer Berufstätigkeit regelmäßig nicht den nötigen Lebens¬ 
unterhalt haben wird. Die Gründe dafür sind schon oben auseinandergesetzt 
worden. Der § 27 enthält daher Bestimmungen, durch die der Bezirks¬ 
heb&mme für jeden Fall eine angemessene Mindesteinnahme gewährleistet wird. 
Zunächst ist auch sie auf die Erhebung von Gebühren nach Maßgabe des § 16 
angewiesen. Die Beitreibung der Gebühren wird ihr durch die Vorschrift des 
§ 16 erleichtert. Ferner soll sie eine feste Vergütung für jede Entbindung 
erhalten. Daneben soll ihr aber in dem Dienstvertrage ein festes Jahres¬ 
einkommen gewährleistet werden, das zusammen mit jener Vergütung ein 
Gesamtjahreseinkommen ergibt, von dem sie einen angemessenen Lebensunter¬ 
halt bestreiten kann. Es handelt sich also hier nicht wie bei den freiprakti¬ 
zierenden Hebammen am die Leistung eines Zuschusses, der nur in Ausnahme- 



66 


Dr. Bapmund: Der neue Entwarf 


gezahlt erhalten. In dem Vertrage kann Vorbehalten werden, daß sich 
dieser Zaschlag ohne weiteres in demselben Verhältnis erhöht oder er¬ 
mäßigt, in dem der Ausgleichszuschlag der anmittelbaren Staatsbeamten 
erhöht oder herabgesetzt wird. 18 ) 

Das Jahreseinkommen ist nach der Zahl der Entbindungen za berechnen, 
bei denen die Bezirkshebamme in dem betreffenden Jahre Hilfe geleistet 
hat. Die näheren Vorschriften über die Berechnung erläßt der Minister 
für Volkswohlfahrt. 

Der Kreis kann sich in dem DienBlvertrage das Hecht Vorbehalten, 
eine ihm danach obliegende Zahlung ganz oder teilweise za verweigern, 
wenn die Voraassetzangen des § 9c vorliegen; 

c) eine angemessene Entschädigung für eine gemäß § 11 d geleistete 
Berufstätigkeit. *•) 

Entfallen in einem Hebammenbezirk aof eine Bezirkshebamme durch¬ 
schnittlich nicht mehr als 20 Entbindungen, so muß die Bezirkshebamme 
auf Verlangen des Kreises ohne besondere Entschädigung auf dem Gebiete 
der Säuglingsfürsorge mitarbeiten; 

d) die unen tgeltliche Lieferung der zur Berufstätigkeit der Hebamme 
erforderlichen Geräte, Bücher und Drucksachen sowie der¬ 
jenigen Desinfektionsmittel, die für die von der Hebamme selbst 
oder an Minderbemittelten vorzunehmende Desinfektion erforderlich sind; 80 ) 

e) eine Beisekostenentschädigung und ein angemessenes Tagegeld 
für die Teilnahme an einer Nachprüfung oder einem Fortbildungs- 
lehrgang; 81 ) 


fällen zu entrichten ist und nach seiner Höhe den Charakter einer Unter¬ 
stützung trägt. Das zu gewährleistende feste Jahreseinkommen soll in nor¬ 
malen Wirtschaftszeiten 3800 M. betragen, wird sich aber jetzt infolge des 
Teuerungszaschlages von 26 v. H. auf 4760 M. belaufen. 

Bei 86 Entbindungen im Jahre nimmt die Bezirkshebamme aus den Ge¬ 
bühren (nach der Gebührenordnung zu berechnenden Gebühren s. vorher Anm. 21 
zu § 17) so viel ein, daß der Kreis keinen Zuschuß an sie zu zahlen haben 
wird. Bei 30 Entbindungen wird dagegen die Znschußpflicht des Kreises im 
allgemeinen eintreten. Die Bezirkshebamme würde dann ein Jahreseinkommen 
von 4760 + 20 . 30 = 6360 M. haben. Bei 20 Entbindungen würde sich ihr 
Jahreseinkommen auf 4760 4- 20 . 20 = 6160 M. belaufen. Das zu gewähr¬ 
leistende Jahreseinkommen ist im Abs. b niedriger gesetzt und die gesonderte 
Zahlung der festen Vergütung für eine Entbindung angeordnet worden, damit 
die Bezirkshebamme ein Interesse daran hat, in ihrem Beruf möglichst eifrig 
zu sein. Der Staatsrat schlägt vor, unter b Abs. 2 zu sagen: „Zu diesem 
Behuie ist ein Zaschlag in der Höhe zu gewährleisten, wie er den unmittel¬ 
baren Staatsbeamten bezahlt wird“ und der zweite Satz zu streichen. 

**) Zu § 27c: Für die Tätigkeit in der Säuglingsfürsorge 
8oU aucb der Bezirkshebamme eine besondere Entschädigung gegeben werden. 
Letztere erscheint aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die Bezirkshebamme 
durch ihre engeren Berufspflichten (§ 11 a bis c) nur in ganz geringem Um¬ 
fange beansprucht wird. Dies wird der Fall sein, wenn sie nach dem Jahres¬ 
durchschnitt nicht mehr als 20 Entbindungen hat. Der Kreis soll dann ver¬ 
langen können, daß die Hebamme die Mitarbeit in der Säuglingsfürsorge ohne 
Entschädigung übernimmt. 

**) Zu § 27d: Die für ihren Beruf erforderlichen Geräte, Bücher 
und Drucksachen sind den Bezirkshebammen schon jetzt allgemein 
unentgeltlich geliefert, ebenso wie die Desinfektionsmittel für den 
eigenen Gebrauch und für die Verwendung bei Minderbemittelten. Dagegen besteht 
kein Anlaß, die Kosten der Desinfektionsmittel auch dann dem Kreise auf¬ 
zuerlegen, wenn diese Mittel gelegentlich der Hebammenbilfe von vermögenden 
Frauen für sich gebraucht werden. Soweit solche Frauen die Mittel nicht selbst 
beschaffen, sollen sie ihnen von der Bezirkshebamme besonders in Bechnung 
gestellt werden. 

8I ) Zu § 27 e: Ersatz der Beisekosten und Zahlung eines angemessenen 
Tagegeldes für die Teilnahme an Nachprüfungen und Fortblldungs- 
lehrgängen ist schon jetzt überall erfolgt 



eines Gesetzes über das Hebammen wesen. 


67 


f) ein Ruhegeld für den Fall der dauernden Berufsunfähigkeit (§ 9h) 
oder der Vollendung des 65. Lebensjahres. **) 

Auch der probeweise angenommenen Bezirkshebamme ist ein Anspruch 
auf Buhegeld für den Fall zu gewähren, daß sie infolge einer Krankheit, 
Verletzung oder sonstigen Beschädigung, die sie sich bei Ausübung ihres 
Berufs oder aus dessen Veranlassung ohne eigenes Verschulden zugezogen 
hat, danernd berufsunfähig geworden ist. 

Das Buhegeld ist nach dem Jahreseinkommen zu bemessen, das 
der Bezirkshebamme nach dem ersten Absatz des Absatzes b gewährleistet 
war. Ln übrigen ist die Höhe des Buhegeldes nach den für das Buhe* 
gehalt von Kommunalbeamten geltenden Vorschriften zu berechnen. 

Ist eine Bezirkshebamme gegen Alter, dauernde Berufsunfähigkeit 
oder Invalidität versichert, so kann der Kreis auf das Buhegeld eine von. 
der Bezirkshebamme auf Grund der Versicherung bezogene Rente in dem¬ 
selben Verhältnis zur Anrechnung bringen, in dem er die Versicherungs¬ 
beträge gezahlt hat. 33 ) 

In dem Dienstvertrage ist die Zahlung des Buhegeldes davon abhängig 
zu machen, daß die Besirkshebamme unter Verzicht auf die im § 11 a und b 
angegebene Tätigkeit ihr Prufungszeugnis dem Kreise ausbändigt.* 4 ) 

§ 28.*) In dem Diensvertrage ist auszubedingen, daß die Bezirkshebamme 
den Anspruch auf Buhegeld verliert: 

a) wenn der Dienstvertrag erlischt (§ 26 Abs. 1), 

b) wenn der Dienstvertrag vom Kreise gekündigt wird (§ 26 Abs. 2) und die 
Kündigung nicht aus einem der im § 9 h und i angegebenen Gründe erfolgt, 


**) Zu § 27 f: Da die Bezirkshebamme ihren Beruf im Dienste des 
Kreises ansübt, ist es gerechtfertigt, ihr für den Fall der dauernden Beruf s- 
unfähigk eit oder der Vollendung des 65. Lebensjahres gegenüber 
dem Kreise einen Anspruch auf Buhegeld zu geben. Der Billigkeit ent¬ 
spricht es ferner, wenn das Buhegeld auch einer erst probeweise angenom¬ 
menen Bezirkshebamme gewährt wird, sofern sie aus den im § 27 Abs. f an¬ 
gegebenen Uründen ohne ibr Verschulden dauernd berufsunfähig wird. Die 
Bestimmung, daß der Anspruch auf Buhegeld in jedem Falle der dauernden 
Berufsunfähigkeit entsteht, liegt auch im allgemeinen gesundheitlichen Interese; 
denn eine Bezirkshebamme, die sich z. B. bei der Ausübung ihres Berufs mit 
Syphilis angesteckt hat und daher alle Frauen gefährden würde, denen sie 
später Hilfe leistet, würde ohne diesen Anspruch leicht versucht sein, ihre 
Erkrankung zu verheimlichen und ihren Beruf fortzusetzen, um nicht mittel¬ 
los zu werden. 

**) Zu § 27, Abs. 4: Viele Bezirkshebammen sind schon jetzt von den 
Landkreisen, die dabei die Zahlung der Versicherungsbeiträge übernommen 
haben, gegen Alter und Invalidität versichert worden. Es soll den Land¬ 
kreisen nicht verwehrt werden, auch weiterhin selbst Versicherungsverträge 
zugunsten der Bezirkshebammen zu schließen. Dann muß ihnen aber ge¬ 
stattet werden, eine von der Bezirkshebamme bezogene Vetaicherungsrente in 
demselben Verhältnis auf das Buhegeld anzurechnen, in dem sie die Ver¬ 
sicherungsbeiträge gezahlt haben. 

M ) Zu § 27, Abs. 5: Durch diese Bestimmung soll verhütet werden, 
daß eine Bezirkshebamme, die wegen Alters oder Berufsunfähigkeit nicht mehr 
für die Ausübung der Hebammenhilfe tauglich ist und daher Buhegeld be¬ 
zieht, ihr Prüfangszeugnis behält und damit etwa Mißbrauch treibt. 

») Zu § 28 a u. b: Der Anspruch auf Buhegeld kann der Bezirks¬ 
hebamme nicht ohne Bücksicht auf ihr Verhalten in jedem Falle zugebiUigt 
werden. Ist ihr das Prüfungszeugnis entzogen worden oder hat sie durch 
eigenmächtiges Verlassen ihres Bezirks und Aufgeben ihres Wohnsitzes zu er¬ 
kennen gegeben, daß sie ihrerseits auf den Fortbestand des Vertragsverhält- 
nisses mit dem Kreise keinen Wert mehr legt, so kann letzterem nicht die 
Pflicht auferlegt werden, trotzdem der Bezirkshebamme ein Buhegeld zu zahlen. 
Aus denselben Erwägungen soll der Anspruch auf Buhegqld auch in den im 
Absatz b angegebenen Fällen verwirkt sein. 



68 


Dr. Bapmand: Oer neue Entwurf 


c) wenn sie wegen eines vor ihrer Versetzung in den Ruhestand in Aus¬ 
übung oder anläßlich der Ausübong ihres Berufs begangenen Verbrechens 
oder solchen Vergehens, wegen dessen aof Verlast der bürgerlichen 
Ehrenrechte erkannt werden kann, rechtskräftig verurteilt worden ist. 
Der Anspruch auf Ruhegeld erlischt in diesem Ealle mit der Rechts¬ 
kraft des Urteils, 88 ) 

d) wenn sie, abgesehen von Notfällen (§ 2 Abs. 2), nach Versetzung in den 
Ruhestand gegen Entgelt oder gewohnheitsmäßig eine der im § 11a 
und b angegebenen Tätigkeiten aasübt, 87 ) 

e) wenn sie das Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit bezieht, und 
die Berufsfähigkeit nachträglich wiedererlangt. 

§ 29. Unterläßt es ein Kreis, den Vorschriften der §§ 22 und 25 bis 28 
binnen der ihm von der Aufsichtsbehörde gesetzten Frist nachzukommen, so 
‘ faßt auf Antrag des Regierungspräsidenten der Bezirksausschuß die zur Er¬ 
füllung der Pflichten des Kreises erforderlichen Beschlüsse. 88 ) 

fiebammenstellen. 

§ 30. (1) Für jeden Stadt- und Landkreis ist mindestens eine Kr eis - 
hebamraenstelle einzurichten. M ) 

*) Za § 28 c: Der Absatz c betrifft den Fall, daß eine Hebamme Ruhe¬ 
geld bezieht und nach ihrer Versetzung in den Ruhestand ein Urteil ergeht, 
worin sie wegen eines Verbrechens oder schwereren Vergehens, das sie 
vor ihrem Uebertritt in den Ruhestand begangen hat, strafrechtlich 
verurteilt wird. Nur solche Straftaten sollen in Betracht kommen, deren sich 
die Hebamme in der Ausübung oder anläßlich der Ausübung ihres Berufes 
schuldig gemacht hat. Es wäre ungerechtfertigt, wenn der Hebamme in einem 
solchen Falle das Ruhegeld weiter zustehen sollte, während sie es nicht zu¬ 
gebilligt ernalten hätte, wenn ihre Straftat rechtzeitig, d. h. schon vor der Ver¬ 
setzung in den Ruhestand, bekannt geworden wäre und zu einer Verurteilung 
geführt hätte. 

87 ) Zn § 28 d: Wenn die Bezirkshebamme in den Ruhestand getreten 
ist und ihr Prüfungszeugnis dem Kreise ausgehändigt hat, darf sie nicht mehr 
Qebnrtshilfe leinten. Sie würde sich sonst strafbar machen <§ 42i. Um dieses 
Verbot noch wirksamer zu gestalten, bestimmt der Absatz d, daß sie den An¬ 
spruch auf Ruhegeld verliert, wenn sie, abgesehen von Notfällen, gegen Ent¬ 
gelt oder ohne solches gewohnheitsmäßig auch noch im Ruhestände geburts¬ 
hilflich tätig ist. 

") Zu § 29: Die Kontrolle darüber, daß die Kreise gesetzmäßig ver¬ 
fahren, wird zunächst der Aufsichtsbehörde zu überlassen sein. Vor zu weit¬ 
gehenden Anforderungen dieser Behörde will der Gesetzentwurf die Kreise da¬ 
durch schützen, daß er im Streit falle die Entscheidung dem Bezirksausschüsse 
überträgt, der an Stelle der Kreisorgane alle Beschlüsse zu fassen hat, die 
nach Lage des Einzelfalles zur Erfüllung der den Kreisen nach den §§ 22 und 
25 bis 2t* obliegenden Pflichten notwendig sind. Gegen den Beschluß des Be¬ 
zirksausschusses ist nach §121 des Landesverwaltungsgesetzes die Beschwerde 
an den Provinzialrat, für die Stadtgemeinde Berlin nach § 43 desselben Ge¬ 
setzes die Beschwerde an den zuständigen Minister gegeben. 

w ) Zu §§ 30, Abs. 1 und 81 uud 32: Die Einrichtung und Zusammen¬ 
setzung der Hebammenstellen entspricht sowohl dem Interesse der Heb¬ 
ammen, als auch dem der Frauen, die auf Hebammenhilfe angewiesen sind. 
Es soll beiden di«) Möglichkeit gegeben werden, bei Regelung von Angelegen¬ 
heiten des Hebaumenwesens mitzuwirken und ihre berechtigten Wünsche zur 
Geltung zu bringen. Die genaue Kenntnis, die die Mitglieder der Hebammen¬ 
stellen von den oVtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen haben werden, sowie 
das Vertrauen, das sie sich sowohl bei der Bevölkerung, als auch bei den 
Hebammen zu erwerben wissen werdeo, gewährleistet ihnen einen erheblichen 
Einfluß auf die Entscheidungen und Beschlüsse der Kreise. Daß sie auf dem 
Gebiete des Hebämm nwesens auch mit Anträgen und Anregungen an die 
Kreise herantreten können, bedarf keiner besonderen Hervorhebung, da die 
H-^bammenstelle dem Interesse der Mütter und der Hebamme dienen soll, ist 
vorgesehen, daß ihr dieselbe Zahl Hebammen und Mütter angebören muß. Durch 
das Reichsgesetz über die Gewährung von Woehenhüfe sind die Träger der 



eines Gesetzes über das Hebammenwesen. 


69 


(2) Die Kosten der Kreishebammenstelle trägt der Kreis. M ) 

§ 31. (1) Der Kreishebammenstelle müssen außer Hebammen und 
Müttern ein Vertreter des Kreisansschusses, in Stadtkreisen 
des Gemeindevorstandes, der zuständige Kreisarzt nud ein Vertreter 
der Träger der öffentlichen Krankenversicherung angehören. 
Die Berufang weiterer Mitglieder ist zulässig. Die Hebammen und die Mütter 
müssen in der Kreishebammenstelle in gleicher Anzahl vertreten sein. 

(2) Die Mitgliedschaft in der Kreishebammenstelle ist ein Ehrenamt 
Nur die Erstattung von Beisekosten und die Gewährung von Tagegeldern ist 
xulässig. 40 ) 

| 82. (1) Die Wahl der Hebammen für die Kreishebammenstelle 
erfolgt durch schriftliche Abstimmung aller im Bezirk der Hebammenstelle 
wohnenden Hebammen, die Wahl der Mütter durch den Kreistag und in Stadt' 
kreisen durch die Stadtverordnetenversammlung, in Berlin durch die Bezirks- 
versammlnngen. Der Vertreter der Träger der öffentlichen Krankenversicherung 
wird, wenn keine Einigung unter den beteiligten Kassen zustande kommt, nach 
den Vorschriften gewählt, die für die Wahl der Beisitzer beim Versicherungs¬ 
amt gelten (§§ -2, 43 und 46 der Beichsversicherungsordnung), mit der Ab¬ 
änderung, daß auch Frauen wahlbar sind. Die übrigen nach § 31 etwa noch 
in die Kreishebammenstelle anfzonebmenden Personen werden durch den Kreis¬ 
tag, in Stadtkreisen durch die Stadtverordnetenversammlung, in Berlin durch 
die Bezirksversammlungen berufen. 

■ (2) Für jedes gewählte Mitglied ist in gleicher Weise ein Stellver¬ 

treter zu wählen. 

(3) Die Mitglieder nnd Stellvertreter werden jeweils auf 4 Jahre gewählt. 

(4) Im übrigen wird die Zusammensetzung der Kreishebammenstelle 
und das Verfahren bei der Wahl ihrer Mitglieder durch Kreissatzung, in 
Stadtkreisen durch Ortssatzung geregelt. Die Geschäftsordnung für die 
Kreishebammenstelle erläßt der Kreisaasschuß, in Stadtkreisen der Magistrat 
(Bürgermeister). 

§ 33. 41 ) Die Kreishebammenstelle muß gehört werden: 

a) vor der Abgrenzung und Abänderung von Niederlassungsgebieten und 
Hebammenbezirken, 

b) vor der Erteilung oder Zurücknahme einer Niederlassungsgenebmigung 
(§§ 7 und 9), 

c) vor der Erteilung oder Zurücknahme der Genehmigung zu einer anderen 
Erwerbstätigkeit (§ 13), 

d) vor der probeweisen oder endgültigen Annahme einer Bezirkshebamme, 

e) vor dem Ausspruch einer Kündigung in den Fällen des § 26 Abs. 2, 

f) vor der Festsetzung einer Gebühr nach § 16, 

g) vor der Einleitung eines Strafverfahrens nach § 42, 

t») vor der Erhebung einer Klage auf Zurücknahme des Hebammenprüfungs¬ 
zeugnisses (§ 63 der Beichsg-werheordnung) oder vor der Zurücknahme 
einer nach § 4 Abs. 1 erteilten Genehmigung des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt, 

i) vor allen übrigen wichtigen, das Hebammenwesen des Kreises betreffenden 
Angelegenheiten. 

§ 84. Die Kreishebammenstelle kann im Falle des § 9 d die Ver¬ 
warnung einer Hebamme beschließen. Der Hebamme steht das Becht zu, 
innerhalb 2 Wochen von der Zustellung ab gegen die Erteilung einer Ver¬ 


öffentlichen Krankenversicherung an der geburtshilflichen Versorgung der 
jungen Frauen, denen jenes Gesetz zagute kommt, wesentlich interessiert. 
Daher sollen sie berechtigt sein, in die Kreishebammenstelle einen Vertreter 
zu entsenden. 

* 0 ) Zu § 81 Abs. 2 und § 82 Abs. 2: Die Vorschrift des § 80 Abs. 2 
ergibt sich daraus, daß die Hebammenstelle eine kommunale Einrichtung ist. 
Der Umfang der Kosten wird nur gering sein, da die Mitgliedschaft ein 
Ehrenamt ist und nur die Erstattung von Beisekosten und die Gewährung von 
Tagegeldern zulässig ist. 

“) Zu § 88: Es sind hier alle Fälle aufgeführt, in denen die Kreis¬ 
hebammenstelle gehört werden muß. 



70 


Dr. Bapmund: Der neue Entwarf 


Warnung die Entscheidang der Provinzialhebammenstelle anzarnfen. Wenn die 
Provinzialhebammenstelle den Einspruch der Hebamme gegen die Verwarnung 
für unbegrttndet erklärt, kann sie der Hebamme ganz oder teilweise die durch 
die Anrufung der Provinzialhebammenstelle entstandenen Kosten auferlegen. 4 *) 

§ 35. (1) Für jede Provinz, mit Ausnahme der Provinz Hessen-Nassau, 
ist eine Provinzialhebammenstelle zu bilden. In der Provinz Hessen- 
Nassau treten an die Stelle der Provinzialhebammenstelle die nach § 39 einzu- 
richtendon Hebammenstellen der Bezirksverbände Cassel und Wiesbaden. 

(2) Die Kosten der Provinzialhebammenstelle trägt der Provinzialverband. 

§ 86. (1) Der Provinzialhebammenstelle müssen ein Vertreter 
des Provinzialausschusses, ein Begierungs- und Medizinalrat, ein Direktor einer 
Hebammenlehranstalt, oder wenn in dem Gebiete der Provinzialhebammenstelle 
keine solche Anstalt ist, ein Frauenarzt sowie 3 Hebammen, 3 Mütter und 
1 Vertreter der Träger der öffentlichen Krankenversicherung angeboren. 

(2) Die Miegliedschaft der Provinzialhebammenstelle ist ein E h r e n a m t. 
Nur die Erstattung von Beisekosten und Tagegeldern ist zulässig. 

§ 37. (1) Hebammen werden in die Provinzialhebammenstelle durch 
eine schriftliche Abstimmung aller den Kreishebammenstellen der Provinz 
angehörenden Hebammen gewählt. Der Vertreter der träger der öffent¬ 
lichen Krankenversicherung wird durch den Ausschuß der zuständigen Ver¬ 
sicherungsanstalt, die übrigen Mitglieder werden durch den Provinzialausschnß 
gewählt. 

(2) Für jedes gewählte Mitglied ist in gleicher Weise ein Stellver¬ 
treter zu wählen. 

(3) Die Mitglieder und Stellvertreter werden jeweils auf 4 Jahre gewählt. 

(4) Im übrigen wird die Zusammensetzung der Provinzialhebammenstelle 
und das Verfahren bei der Wahl ihrer Mitglieder durch den Provinzialaus- 
schnß geregelt. 

Dieser erläßt auch die Geschäftsordnung für die Provinzial- 
hebammenstelle. 

§ 88. 4S ) (1) Die Provinzialhebammenstelle ist zu hören: 

a) vor der Entscheidung des Bezirksausschusses in den Fällen der §§ 10 
13 und 16. 

b) vor dem Erlaß einer Gebührenordnung (§ 15), 

c) vor der Entscheidang über eine Ausnahme bei der Zulassung zur Aus¬ 
bildung an einer Hebammenlehranstalt und zur Hebammenprüfung, 

d) vor der Entscheidung, die auf eine Beschwerde über die Hebammenlebr- 
anstalt von der Aufsichtsbehörde in erster Instanz ergeht, 

e) in allen übrigen, das Hebammenwesen der Provinz betreffenden Fragen. 

4t ) Zu § 84: Die Kreishebammenstelle soll durch das Becbt, einer Heb¬ 
amme eine Verwarnung zu erteilen, eine gewisse disziplinarische 
Befugnis eingeräumt erhalten. Die Verwarnung kommt nur in solchen 
leichteren Fällen der Pflichtwidrigkeit einer Hebamme in Frage, bei denen 
schärfere Maßnahmen, insbesondere die Entziehung des Prüfungszeugnisses, 
nicht am Platze sind. Infolge ihrer Zusammensetzung erscheint die Hebammen¬ 
stelle als besonders geeignet, derartige Pflichtverletzungen einer Hebamme 
unter Abwägung aller Umstände zu beurteilen. Eine dreimalige Verwarnung 
innerhalb 10 Jahren soll die Wirkung haben, daß der Hebamme die Nieder¬ 
lassungsgenehmigung entzogen und einer Bezirkshebamme gekündigt werden 
kann. Die Hebammen werden daher durch die Vorschrift des § 34 noch be¬ 
sonders zu voller Pflichterfüllung angehalten werden. Um ihnen ein Bechts- 
mittel gegen eine ausgesprochene Verwarnung zu geben ist bestimmt, daß sie 
binnen 2 Wochen die Entscheidung der Provinzhebammenstelle anrufen können. 

**) Zu § 88: Die Provinzialhebammenstellen sollen bei allen 
Fragen beratend mitwirken, die das Hebammenwesen der ganzen Provinz an- 
gehen, und darüber wachen, daß auf diesem Gebiete in der Provinz möglichst 
einheitlich verfahren wird. Sie sollen der Organisation der Provinzialverbände 
angegliedert werden, die daher auch die Kosten jener Steilen tragen sollen. 

Der Staatsrat empfiehlt, von der Errichtung der Provinzialhebammen¬ 
stellen abzusehen und deren Befugnisse auf eine der bestehenden Staatsstellen 
zu übertragen. 




eines Gesetzes Qber das Hebammenwesen. 


71 


0 Die Provinzialbebammenstelle entscheidet endgültig über Einsprüche 
gegen Verwarnungen (§ 34). Sie ist verpflichtet, sich auf Ersuchen einer Ver¬ 
waltungsbehörde oder eines Gerichts gutachtlich in Hebammenangelegenheiten 
zu äußern. 

§ 89. (1) Die Stadt Berlin, die Bezirksverbände Cassel und Wies¬ 
baden sowie der Landeskommunalverband der Hohenzollernschen Lande 
gelten als Provinz im Sinne der §§ 36 flg. 

(2) Landesteile, die nach den bevorstehenden Bestimmungen keiner 
Provinzialhebammenstelle angehören würden, sind durch Verordnung des Mi¬ 
nisters für Volks Wohlfahrt und des Ministers des Innern einer solchen Stelle 
anzugliedern. 

Staatsbeihilfe. 

§ 40. (1) Zur Gewährung von Beihilfen zur Aufbringung der durch 
dieses Gesetz entstehenden Kosten für das Bezirkshebammen wesen wird durch 
den Staatshaushaltsplan ein jährlicher Betrag in Höhe von 10 Millionen Mark 
bereitgestellt. **) 

(2) Die näheren Bestimmungen über die Verteilung dieses Betrages erläßt 
der Minister für Volkswohlfahrt im Einvernehmen mit dem Finanzminister. 

Uebergangs-, Straf- und Schlußbestimmungen. 

§ 41. (1) Hebammen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ein 
Prüfungszeugnis erworben haben, sind bei der Erteilung einer Niederlassungs¬ 
genehmigung und der Annahme als Bezirkshebamme in erster Linie zu berück¬ 
sichtigen. 46 ) 


44 ) Zu § 40: Der Begründung ist eine Uebersicht über die Kosten der 
Neuregelung des Hebammenwesens beigefügt. Danach wird eine Ges amt¬ 
nab 1 von 16600 Hebammen angenommen; von diesen werden etwa 7000 Be¬ 
zirkshebammen und 8600 freitätige Hebammen sein. Die Zahl der¬ 
jenigen Bezirksbebammen, die noch einen Nebenerwerb ausüben, wird im 
Verhältnis zur Gesamtzahl zur Zeit auf 1:6, künftighin auf 1:9 geschätzt. 
Die Gesamtzahl der jährlichen Geburten 800000, von denen 10% durch Aerzte 
und Entbindungsanstalten besorgt werden, sodaß 7200( 0 auf Hebammen ent¬ 
fallen werden, davon 210000 auf Bezirkshebammen (für jede 80 Geburten). 
Die Kosten für die freitätigen Hebammen werden auf rund 2700000 M. 
(Zuschuß des Kreises 8500X100 = 860000 M., Versicherungskosten 8600X130 
= 1106000 M. und Kosten für Nachprüfungen und Fortbildungskurse 8500X80 
— 680000 M.), die Kosten für die Bezirkshebammen auf rund 
16300000 M. geschäzt (1. feste Vergütung für 210000 Entbindungen zu 
20 M. =4200000 M.; 2. Zuschuß des Kreises: bei 6175 Bezirkshebammen 
ohne Nebenerwerb [650 M.] = 3920000 M. und 875 Bezirkshebammen mit Neben¬ 
erwerb [165 M.] = 144976 M, zusammen rund 4100000 M. Werden jedoch 
nicht 110 bezw. 200 M. sondern 90 bezw. 170 M. als Gebühren für eine Ent¬ 
bindung angenommen, so erhöht sich dieser Zuschuß auf 6600000 M.; 3. Kosten 
für Desinfektionsmittel, Geräte usw. [420X70*0] rund 80000(0 M.; 4. Kosten 
für Nachprüfungen und Fortbildungskurse 80X7000 = 660000 M.; 5. Buhegeld: 
780 Hebammen, davon 682 ohne und 98 mit Nebenerwerb und einem Ruhe- 

f eld von je 2850 und 2665 = 1943700 bezw. 251470 M., zusammen rund 
200000 M.). Es ergibt sich also eine Gesamtausgabe von rund 19 Millionen 
Mark; davon sollen vom Staate 10 Millionen Mark durch Gewährung von 
Beihilfen an leistungsschwache Gemeinden getragen werden. 

Der Staatsrat schlägt vor, dem § 40 Abs. 1 folgende Fassung zu 
geben: „Von den durch die Durchführung des Hebammenwesens im Rahmen 
dieses Gesetzes den Kreisen erwachsenen Kosten ist die Hälfte alljährlich vom 
8taate zu erstatten. Zu diesem Zwecke wird durch den Staatshaushaltsplan 
ein jährlicher Betrag in Höhe von zunächst 10 Millionen Mark bereitgestellt." 

tt) Zu § 41: Die im ersten Absatz angeordnete, vorzugsweise Berück¬ 
sichtigung der schon berufstätigen Hebammen und solcher Frauen, 
die sich beim Inkrafttreten des Gesetzes in der Hebammenausbildung befinden, 
entspricht der Billigkeit. Die Gründe, aus denen eine solche Berücksichtigung 
in gewissen Fällen unterbleiben soll, sind im wesentlichen dieselben, die zur 


72 


Dr. Bapmund: Der neae Entwurf 


(2) Dies gilt nicht in folgenden Fallen: 

a) wenn die Hebamme das 65. Lebensjahr überschritten bat, 

b) wenn sie infolge eines körperlichen Gebrechens infolge Schwäche ihrer 
geistigen oder körperlichen Kräfte zur Erfüllung ihrer Berufspflichten 
dauernd unfähig ist, 

c) wenn sie die letzte Nachprüfung zweimal hintereinander nicht bestanden bat, 

d) wenn sie in dem letzten Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei 
weniger als 10 Gebarten Hilfe geleistet hat nnd nicht besondere Gründe 
für diese geringe Berufstätigkeit dargetan bat, 

e) wenn sie sich wiederholt eines Mangels an Pflichteifer, einer Nachlässig¬ 
keit im Bernf oder einer ungleichmäßigen Berücksichtigung oder Behand¬ 
lung der Hilfesuchenden schuldig gemacht hat. 

(3) Die Annahme als Bezirkshebamme kann ferner abgelehnt werden, 
wenn sonst ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 des Bürgerlichen Gesetz¬ 
buchs vorliegt. 

(4) Bevor die Niederlassungsgenehmigung oder die Annahme als Bezirks¬ 
hebamme aus den im AbB. 2 b bis e nnd im Abs. 3 angegebenen Gründen abge¬ 
lehnt wird, ist die Kreishebammenstelle zu hören. 

(5) Im übrigen bedürfen Hebammen, die beim Inkrafttreten dieses Ge¬ 
setzes das Prüfungszeugnis erworben haben, einer Niederlassungsgenehmigung 
oder einer Annahme als Bezirkshebamme erst nach Ablauf von 5 Jahren 
seit diesem Zeitpunkt. Vorher bedürfen sie einer solchen Genehmigung oder 
Annahme nur, wenn sie nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ihren Wohnort 
wechseln oder länger als ein Jahr hintereinander ihren Bernf nicht ausüben. 
Bis zum Erwerb der Niederlassungsgenehmigung oder zur Annahme als Bezirks¬ 
hebamme fioden auf sie die §§ 2, 4, 11, 12, 15, 19, 20, 21, 33, 34, 38 und 42 
entsprechende Anwendung. 

(6) Die Vorschrift des § 13 gilt für Hebammen, die beim Inkrafttreten 
dieses Gesetzes neben ihrer Berufstätigkeit eine andere Erwerbstätigkeit aus¬ 
üben, mit der Maßgabe, daß die Genehmigung zu der anderen Er¬ 
werbstätigkeit binnen einer von dem Minister für Volkswohlfahrt feat- 
zusetzenden Frist nachträglich einzuholen ist. 

§ 42.**) Mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft wird, sofern 
nicht nach den bestehenden Bestimmungen eine höhere Strafe verwirkt ist, bestraft: 


Zurücknahme einer Niederlassungsgenehmigung (§ 9) oder zur Kündigung einer 
Bezirkshebamme (§ 26 Abs. 2) berechtigen. 

Schätzungsweise sind jetzt in Preußen etwa 1500 Hebammen über den 
künftigen Bedarf hinaus tätig. 8ie sollen bis zum Ablauf von 5 Jahren nach 
dem Inkrafttreten des Gesetzes ihren B*ruf noch ohne Niederlassungsgenehmi- 
gung oder Annahme als Bezirkshebamme weiter ausüben dürfen, sofern sie 
nicht ihren Wohnort wechseln oder den Beruf länger als 1 Jahr ruhen lassen. 
Da gegenwärtig etwa 1400 berufstätige Hebammen über 65 Jahre alt sind, 
erscheint die Frist von 5 Jahren als ausreichend. Die wichtigsten Bestimmungen 
des Gesetzes sollen inzwischen auch auf diese Hebammen Anwendung finden. 

M ) Zu § 42: Es wird hier zunächst die nicht gewerbsmäßige Heb¬ 
ammenpfuscherei (§8) unter Strafe gestellt. Für die gewerbsmäßige 
Pfuscherei droht der § 147 der Beichsgewerbeordnung eine Geldstrafe bis zu 
800 M. oder Haft an. 

Im übrigen richten sich die Strafvorschriften des § 42 gegen die Heb¬ 
ammen. Bisher verfallen diese wegen Verletzung ihrer Berufs- 
pflichten im allgemeinen nur dann einer gesetzlichen Strafe, wenn die Ver¬ 
nachlässigung der Berufspflichten zu einer Körperverletzung oder zu einem 
Todesfall geführt hat. Es hat sich aber das Bedürfnis nach Ahndung von 
geringeren Pflichtverletzungen, beispielsweise der die Gefahr einer Kindbett- 
nebererkrankung bedingenden Außerachtlassung der Desinfektions Vorschriften 
oder der Nichthinzuziehnng eines Arztes in schwierigen Eotbindungsfällen, auch 
dann heransstellt, wenn sie keine so schweren Folgen nach sich gezogen haben. 
Vielfach sind entsprechende Strafnormen durch Polizeiverordnungen geschaffen 
worden. Es ist aber angezeigt, sie jetzt durch eine einheitliche gesetzliche 
Strafandrohung zu ersetzen. Außerdem bedarf es einer strafrechtlichen Sicherung 
der einzelnen für Hebammen ausgesprochenen Verbote der Berufsausübung. 



eines Geeetses über das Hebammenwesen. 


78 


a) eise in den §§ 3, 4, 24 Satz 1 und im vorletzten Absatz des § 41 ver¬ 
botene Ansübong der Gebartshilfe, 

b) eine Verletzung der den Hebammen nach dem § 6 Abs. 1, § 11 Abs. 1, 
§§ 12, 18, 28 and 24 Satz 2 obliegenden Berafspflichten. 

§43. Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten nicht für Hebammen, 
He an Entbindungsanstalten oder Krankenhäusern angestellt 
lind and ihren Bend ausschließlich in deren Dienst aosflben. Der Minister 
für Volkswohlfahrt kann jedoch fttr die Aasttbang der Berufstätigkeit dieser 
Hebammen besondere Vorschriften erlassen. 47 ) 

§ 44. (1) Der Minister ftti Volkswohlfahrt erläßt die zur A u s f tt h r u n g 
dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen. 

(2) Insbesondere erläßt er, unbeschadet der Hechte der Kommunalver¬ 
bände, die Zulassung zu den Hebammenlehr&nstalten durch Satzung oder Ver¬ 
ordnung zu regeln, die Vorschriften ttber die Voraussetzungen der Zulassung 
nnd die Ausbildung der Hebammenschttlerinnen, über die Zusammensetzung des 
Prüfungsausschusses, die Prüfung, Erteilung und Wiederverleihung des Prüfungs¬ 
zeugnisses, ttber die Berufspflichten, die Nachprüfungen und Fortbildungslehr¬ 
gänge sowie über die vom Kreisarzt auszuttbende Aufsicht. 

§ 46. Alle mit diesem Gesetz im Widersprach stehenden gesetzlichen 
oder polizeilichen Vorschriften über das Hebammenwesen treten außer Kraft. 

§ 46. (1) Dieses Gesetz tritt am in Kraft. 

(2) Für die Hohenzollemschen Lande wird das Inkrafttreten 
des Gesetzes durch den Minister fttr Volkswoblfahrt angeordnet. 48 ) Die Anord¬ 
nung muß erfolgen, wenn in den Hohenzollemschen Landen nicht bis zum 
für ein genügendes Mindesteinkommen und eine ausreichende 
Altersversorgung der Gememdehebammen Sorge getragen ist. 

Eine durchgreifende Reform des preußischen Hebammen¬ 
wesens ist schon seit vielen Jahren nicht nur von den 
Hebammen, Aerzten und Medizinalbeamten, sondern auch von 
der Oeffentlichkeit und den gesetzgebenden Körperschaften ge¬ 
fordert. Zur Vorlage eines das ganze Hebammen wesen neu 
regelnden Gesetzentwurfes ist es trotzdem erst im Jahre 1918 

4T ) Zu § 48: Es erscheint nicht angängig, die als Angestellte bei 
Entbindungsanstalten oder Krankenhäusern ausschließlich tätigen 
Hebammen durch Unterstellung unter das neue Hebammengesetz gegenttber 
dem übrigen Pflegepersonal jener Anstalten einer besonderen gesetzlichen 
Regelung zu unterwerfen. Die Verhältnisse, unter denen diese Hebammen 
ihren Beruf ausüben, sind auch ganz anders als bei den freipraktizierenden 
Heb amm en oder den Bezirkshebammen. Soweit es noch nötig ist, wird über¬ 
dies die nach dem Gesetzentwurf geplante finanzielle Besserstellung der letzt¬ 
genannten Hebammen von selbst eine entsprechende Besserstellung der Anstalts¬ 
hebammen nach sich ziehen. Denn den Anstalten würden sich sonst künftig 
keine geeigneten Hebammen zur Verfügung stellen. Wenn demnach das Gesetz 
auf jene Hebammen keine Anwendung finden soll, so ist es doch nötig, dem 
Minister für Volkswohlfahrt das Hecht vorzubehalten, die Ausübung der Berufs¬ 
tätigkeit auch für die Anstaltshebamme durch besondere Vorschriften zu regeln. 

*•) Zu § 46: In den Hohenzollemschen Landen sind die Ver¬ 
hältnisse insofern besonders geartet, als dort nur von Gemeinden fttr deren 
Bezirk an gestellte Hebammen, und zwar meist nebenberuflich, tätig sind. Weder 
das Erfordernis einer Niederlassungsgenehmigung noch die Einführung des 
Bezirkshebammenwesens würde zur Zeit den dortigen Verhältnissen genügend 
Bechnung tragen. Das Gesetz soll daher dort grundsätzlich noch nicht sogleich 
durchgeführt werden. Nur wenn die Gemeinden der Hohenzollemschen Lande 
ihre teilweise mit recht geringen Einnahmen ausgestatteten Hebammen nicht 
bis zu einem bestimmten Zeitpunkt finanziell ausreichend versorgen, soll das 
Gesetz auch dort durch eine Anordnung des Ministers für Volkswohlfhhrt dem¬ 
nächst in Kraft gesetzt werden können. 



74 


Dr. Bapnmnd: Der neue Entwarf 


gekommen, dieser Entwurf aber ebensowenig verabschiedet, 
wie der zwei Jahre später (im November 1920) der Verfassung^- 
gebenden Landesversammlung vorgelegte Entwurf, der trotz 
einer sehr ausgiebigen Umgestaltung durch den vorberatenden 
Bevölkerungsausschuß in der zweiten Lesung auf erheblichen 
Widerstand stieß und schließlich nicht mehr zur dritten Lesung 
gelangte, weil die Landesversammlung kurz darauf ihr Ende 
erreichte. Vergleicht man die beiden früheren Gesetzentwürfe 
mit dem jetzt vorliegenden, so ergiebt sich, daß dieser auf den 
gleichen Grundsätzen beruht, wie der Entwurf im Jahre 1918 
und nur verschiedene Bestimmungen erhalten hat, die dem 
ursprünglichen bezw. durch den Bevölkerungsausschuß ab¬ 
geänderten Entwurf von 1920 entnommen sind. Ebenso wie 
die beiden früheren Entwürfe bezweckt auch der jetzige eine 
gründliche Abstellung der auf dem Gebiete des Hebammen¬ 
wesens bestehenden Mißstände, die er in erster Linie durch 
Besserung der wirtschaftlichen Lage und Hebung des ganzen 
Hebamraenstandes sowie durch eine angemessenere Verteilung 
der Hebammen über das ganze Land zu erreichen hofft. Während 
aber der Entwurf vom Jahre 1920 dieses Ziel durch Ein¬ 
führung des Bezirkshebammensystems über das ganze 
Staatsgebiet unter allmähliger Beseitigung der soge¬ 
nannten freipraktizierenden Hebammen erstrebte und 
an diesem Grundsätze auch in dem vom Bevölkerungsausschuß 
abgeänderten Entwurf festgehalten war, ist in dem nunmehr 
dem Landtag vorgelegten neuen Gesetzentwurf der Beseitigung 
der freitäligen Hebammen und damit eine Einschränkung der 
freien Hebammenwahl fallen gelassen, da sie nicht nur den 
Verhandlungen der Landesversammlung vom 11. und 12. Januar 
v. J., sondern auch bei den Hebammen selbst, bei den Aerzten 
und Medizinalbeamten sowie vor allem in weiten Kreisen der 
Bevölkerung starken Widerspruch erfahren hatte. Demzufolge 
kommt der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf dem durchaus be¬ 
rechtigten Wunsche der Frauen, sich diejenige Hebamme 
wählen zu können, zu der sie volles Vertrauen hat, nach Mög¬ 
lichkeit dadurch entgegen, daß er, wie der Entwurf vom Jahre 
1918, die gewerbliche Ausübung des Hebammenberufes von 
einer Niederlassungsgenehmigung abhängig macht, die 
allerdings nur im Falle des Bedürfnisses erteilt wird. Auf 
diesem Wege hofft man auch eine gleichmäßige und an¬ 
gemessenere Verteilung der Hebammen über das ganze Land 
und deren wirtschaftliche Sicherstellung um so mehr zu er¬ 
reichen, als gleichzeitig die Anstellung von Bezirks¬ 
hebammen in Landkreisen vorgesehen ist, in denen wegen 
geringerer Dichtigkeit und größerer Bedürftigkeit der Bevölke¬ 
rung eine freie Niederlassung von Hebammen entweder über¬ 
haupt nicht oder nicht in ausreichendem Maße statlfindet. 
Gleichzeitig enthält der Gö^etzentwurf Bestimmungen, um 
allen Hebammen, auch den freiiätigen, ein den Kosten ihres 
Lebensunterhalts entsprechendes Mindesteinkommen und aus- 



eines Gesetzes Aber das Hebammen wesen. 


75 


reichende Versorgung im Falle von Krankheit und Be¬ 
rufsunfähigkeit zu sichern. Im großen und ganzen kann 
man sich deshalb mit den Grundsätzen, au! denen der Gesetz¬ 
entwurf aufgebaut ist, nur einverstanden erklären; er bedeutet 
jedenfalls gegenüber dem Entwurf im Jahre 1920, sowohl in 
seiner ursprünglichen, als in der durch den Bevölkerungs¬ 
ausschuß abgeänderten Form, eine wesentliche Verbesserung, 
die allerdings nach verschiedenen Richtungen hin noch nicht 
genügt, um allen in Bezug auf das Hebammenwesen vom 
gesundheitlichen Standpunkte aus zu stellenden Anforderungen 
gerecht zu werden. Außerdem enthält er einzelne Bestimmungen, 
durch die seine Durchführung erschwert wird, und die deshalb 
am besten beseitigt oder wenigstens abgeändert werden sollten. 
Der Staatsrat, dem verfassungsgemäß derartige Gesetzentwürfe 
zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden müssen, 
hat bereits verschiedene, unseres Erachtens ganz zweckmäßige 
Abänderungsvorschläge dazu gemacht, so daß man sich eigent¬ 
lich wundern muß, daß sie von dem Ministerium für Volks¬ 
wohlfahrt nicht berücksichtigt sind. 

§ I des jetzigen Entwurfs entspricht seinem Wortlaut nach 
dem vom Bevölkerungsausschuß neu hinzugefügten § 1 des 
Entwurfs vom Jahre 1920; der Staatsrat schlägt hierzu eine 
geringe Abänderung vor, die berücksichtigt zu werden ver¬ 
dient, wenn sie auch hauptsächlich stilistischer Natur ist. 
Die §§ 2— 4 entsprechen den §§ 1—3 des obengenannten 
Entwurfs, nur daß hier im § 4 Abs. 1 zur Ausübung des Heb- 
ammenberufes eine Niederlassungsgenehraigung vor¬ 
geschrieben wird, der die Anstellung als Bezirkshebamme gleich 
steht. Den in den ftft 5-10 des Entwurfs getroffenen Be¬ 
stimmungen über die Erteilung der Niederlassungs¬ 
genehmigung, Verlust ihrer Gültigkeit sowie über 
ihre Versagung und Zurücknahme, die im großen und 
ganzen den Bestimmungen der §§ 2—5 des Entwurfes vom 
Jahre 1918 entsprechen, kann man sich im allgemeinen ein¬ 
verstanden erklären. Dies gilt auch betreffs des Abänderungs¬ 
vorschlages des Staatsrats zu § 9 f, der eine Herabsetzung der 
für unerlaubte Abwesenheit der Hebammen vorgesehenen 
Fristen von 3 Monaten und 6 Wochen auf 2 Monate und 
4 Wochen empfiehlt, denn wenn durch diese Bestimmung nach 
der dazu zugelassenen Begründung mit Recht der Möglichkeit 
vorgebeugt werden soll, daß Hebammen sich die Niederlassungs¬ 
genehmigung für einen Ort erteilen lassen, wo Hebammen¬ 
mangel herrscht, ihren Beruf aber auf Grund des § 6 Abs. 2 
hauptsächlich an einem anderen Orte ausüben, dann wird dies 
jedenfalls durch die vorgeschlagene Abkürzung der betreffenden 
Fristen mit größerer Sicherheit erreicht werden. Ebenso halten 
wir es in Uebereinstiraraung mit dem Vorschläge des Staats¬ 
rates und aus später auch auszuführenden Gründen für zweck¬ 
mäßig, daß die Provinzial-Hebammenstelle überhaupt aus 
dem Gesetz fortgelassen wird und damit auch ihre im § 2 Abs. 10 



76 


Dr. Bapmud: Der neue htmuf 


angeordnete Anhörung vor der Entscheidung des Bezirks¬ 
ausschusses über Beschwerden der Hebammen gegen 
Versagung oder Zurücknahme der Genehmigung 
fortfällt. 

Zu den Berufspflichten der Hebammen ist im §11 unter 
c. neu hinzugefügt: „Forderung der natürlichen Er¬ 
nährung der Säuglinge 0 und damit zum Ausdruck ge¬ 
bracht, daß die Hebamme auch ohne besondere Anstellung als 
Säuglingsfürsorgerin sich um die ordnungsmäßige Pflege der 
Neugeborenen bekümmern soll. Unseres Erachtens dürfte 
es dagegen richtiger sein, die unter c. und d. aufgeführten 
Pflichten der Hebammen dem von der „Vereinigung zur Förde¬ 
rung des Deutschen Hebammenwesens 0 auf ihrer Versammlung 
im Jahre 1918 gemachten Vorschläge gemäß zusammenzufassen 
und einfach zu sagen: c. „Säuglingsfürsorge 0 unter Wegfall 
des „nach Maßgabe des örtlichen Bedürfnisses 0 . Wie wir bereits 
früher bei Besprechung diese Entwurfs betont haben, kommen die 
Hebammen in erster Linie als Säuglingsfürsorgerin in Betracht, 
besonders wenn sie dafür ausgebildet sind, was künftighin der 
Fall sein wird. Es ist deshalb eine Einschränkung „nach Ma߬ 
gabe des örtlichen Bedürfnisses 0 nicht nur überflüssig, sondern 
auch nachteilig für die Förderung und den weiteren Ausbau 
der Säuglingspflege. Namentlich auf dem Lande ist die Hebamme 
die geeignetste Persönlichkeit, neben der Sorge für die Mütter 
auch die ständige Ueberwachung der Säuglinge im ersten 
Lebensjahre zu übernehmen. Was wir damals zur Begründung 
dieser Forderung ausgeführt haben, gilt auch jetzt noch in 
vollem Umfange: 

„Die Hebamme ist die berate ne Säaglingsfüraorgerin, die das Ver¬ 
trauen der Mütter, denen sie in ihrer schweren 8iande beigestanden hat, be¬ 
sitzt, den Gesundheitszustand der Mütter nnd der 8äaglinge in den ersten 
14 Tagen ständig überwacht, allzeit am Orte vorhanden ist nnd auch fast 
überall genügend Zeit übrig hat, nm diese mit ihrem eigentlichen Berufe eng 
▼erbnndene Tätigkeit zn übernehmen. Dazu kommt, daß sich dadurch nicht nnr 
die Bestellung besonderer 8änglingspflegerinoen auf dem Lande erübrigt and 
alle sonst unausbleiblichen Mißhelligkeiten zwischen diesen und den Hebammen 
vermieden werden, sondern aoch die soziale und wirtschaftliche Lage 
der Hebammen durch diese Tätigkeit und die damit verbundene Vergütung 
gehoben und es ihr ermöglicht wird, auf jede Hebentätigkeit zu ver¬ 
zichten, was wiederum im allgemeinen gesundheitlichen Interesse sehr er¬ 
wünscht ist.“ 

Nur in größeren Städten und Gemeinden wird es voraus¬ 
sichtlich notwendig sein, besondere Säuglingspflegerinnen an¬ 
zustellen, da dort die Hebammen vielfach durch ihre geburts¬ 
hilfliche Tätigkeit vollständig in Anspruch genommen sind. 

Daß die Teilnahme aller Hebammen an Nach¬ 
prüfungen und Fortbildungskursen im Gesetzentwürfe 
gesetzlioh festgelegt ist (§ 12), entspricht einem Bedürfnis. 
Die Durchführung dieser Anordnung ist dadurch wesentlich 
erleichtert, daß den Hebammen für diese Teilnahme nach 
»« 19 und 27e eine Reisegeldentschädigung und ein an¬ 
gemessenes Tagegeld gewährt werden soll. Es fehlt hier 



eines Gesetzes Aber das Hebanunenwesen. 


77 


aber eine Zusatzbestiramung, wonach die Hebammen keinen 
Anspruch auf Tagegelder und Entschädigung haben, wenn die 
Unterziehung einer Nachprüfung oder die Teilnahme an einem 
Fortbildungskursus durch eigenes Verschulden verursacht 
ist Zweckmäßig ist ferner die Bestimmung im § 13, wonach die 
Hebamme zu einer anderen Erwerbstätigkeit einer zu¬ 
vorigen Genehmigung des Kreis- bezw. Stadtausschusses bedarf, 
die wieder zurückgenommen werden kann. Ebenso wie bei § 10 
Abs. 2 kann aber auch hier die im Abs. 3 geforderte zuvorige 
Anhörung der Provinzialhebammenstelle bei Beschwerden gegen 
die Versagung der Zurücknahme dieser Genehmigung fortfallen. 

Die Fassung im § 11a stimmt übrigens nicht mit den im 
§ 1 gegebenen allgemeinen Bestimmungen über die Hebammen¬ 
hilfe überein; danach muß es nicht: „Beratung von Schwangeren 
und Ausübung der Geburtshilfe“, sondern „Beratung und 
Hilfe von Schwangeren usw.“ heißen. 

Nach § 14 soll die Berufstätigkeit ebenso wie bisher der 
Aufsicht des Kreisarztes unterstehen; eine solche Beauf¬ 
sichtigung ist aber ohne Mitwirkung des Kreisarztes in allen 
das Hebammen wesen betreffenden Angelegenheiten mehr oder 
weniger illusorisch, deshalb muß diese durch den von uns schon 
bei dem Entwurf von 1918 gemachten Vorschlag im § 14 ge- # 
setzlich festgelegt werden. Ein derartiger Zusatz erübrigt sich 
nicht etwa dadurch, daß der Kreisarzt nach § 31 des Entwurfs 
Mitglied der Kreishebammenstelle ist, und deshalb in deu im 
§ 33 angeführten Fällen gehört wird; denn alle die hier ge¬ 
nannten Angelegenheiten bedürfen doch meist Vorberatungen 
und Vorverhandlungen, bei denen die Mitwirkung des Kreis¬ 
arztes unbedingt notwendig ist und nicht etwa, wie jetzt, von 
dem Gutdünken der zuständigen Behörden abhängig sein darf. 
Manche Mißstände auf dem Gebiete des Hebammenwesens 
würden sicher schon früher beseitigt sein, wenn der Kreisarzt 
bisher mehr Einfluß auf dessen Regelung in seinem Kreise 
gehabt hätte; aber ebenso wie auf verschiedenen anderen Ge¬ 
bieten hat auch hier die Neigung der betreffenden Behörden 
bestanden, seine Mitwirkung selbst in solchen Fällen zu um¬ 
gehen, in denen sie durch besondere allgemeine Verfügung 
vorgeschrieben war. Es empfiehlt sich daher, dem § 14 folgenden 
Zusatz zu geben: „der bei der Durchführung dieses Gesetzes, 
insbesondere bei dem im § 33 unter a bis i genannten Angelegen¬ 
heiten mitzuwirken hat.“ Dann erübrigt sich auch Abs. 3 des 
§ 26, der das An hören des Kreisarztes vor dem Ausspruch der 
Kündigung einer Bezirkshebamme ausdrücklich vorschreibt, und 
der sonst zu der irrtümlichen Auffassung führen konnte, daß 
seine Mitwirkung in anderen Fällen nicht erforderlich ist. 
Unseres Erachtens sollte man überhaupt noch einen Schritt 
weiter gehen und im § 31 bestimmen, daß der zuständige Kreis¬ 
arzt nicht bloß Mitglied, sondern gleichzeitig Vorsitzender 
der Kreishebammenstelle sein soll und ihre Geschäfte zu leiten 
hat; erst dann darf man erwarten, daß bei Durchführung dieses 



78 


Dr. Bapmond: Der neue Entwurf 


Gesetzes auch in erster Linie die in Betracht kommenden ge¬ 
sundheitlichen Anforderungen in vollem Umfange berücksichtigt 
werden. Demzufolge müßten sich auch die zu § 44 vom Mi¬ 
nister zu erlassenen Ausführungsbestimmungen über die 
vom Kreisarzt auszuübende Aufsicht auch auf dessen sonstige 
Mitwirkung erstrecken. 

Die für die Tätigkeit der Hebammen geltenden Gebühren¬ 
ordnungen (§§15 u. 16) sollen wie bisher durch die zu¬ 
ständigen Regierungspräsidenten entsprechend dem Gesetze vom 
10. Mai 1908 festgesetzt und dabei nicht nur Mindest- und 
Höchstsätze vorgesehen, sondern deren Höhe auch nach drei 
verschiedenen Teuerungsklassen bemessen werden. Vor Erlaß 
sollen die Kreisausschüsse, Gemeindevorstände der Stadtkreise 
und die Provinzialhebammenstelle gehört werden; ein viel zu 
umständliches und insofern auch unpraktisches Verfahren, als 
die Provinzialhebammenstelle nicht genügend unterrichtet und 
sachverständig in bezug auf die in den einzelnen Regierungs¬ 
bezirken bestehenden Verhältnisse angesehen werden können. 
Weit zweckmäßiger und einfacher würde es jedenfalls sein, 
wenn man statt dessen im § 15 Abs. 3 nur die zuvorige An¬ 
hörung der Kreishebammenstelle vorschreibt, in der 
ja alle bei dieser Präge hauptsächlich beteiligten Kreise ver¬ 
treten sind. 

Die Vorteile, die der Gesetzentwurf den freiprakti¬ 
zierenden Hebammen in den §§ 17—21 namentlich in 
finanzieller Hinsicht gewährt, sind recht erheblich, besonders 
wenn man bedenkt, daß der einzige Nachteil für sie — Ein¬ 
führung der Niederlassungsgenehmigung — gleichtzeitig eine 
Einschränkung der Konkurrenz und damit auch eine größere 
Sicherheit für ein ausreichendes Berufseinkommen bietet. Außer¬ 
dem hat sie auch Anspruch auf einen vom Kreise zu leistenden 
Zuschuß, falls ihr Einkommen ohne ihr Verschulden hinter 
einem Mindestbetrage zurückbleibt, der für die drei vorgesehenen 
Teuerungsklassen auf je 3000, 4500 und 6000 M. festgesetzt ist 
und sich entsprechend der Ausgleichszuschläge der unmittelbaren 
Staatsbeamten um 33'/3°/o in den beiden ersten Teuerungsklassen, 
um 25°/ 0 in der dritten erhöht. Endlich sollen sie noch eine 
Unterstützung bei Abschluß einer Versicherung gegen Alter 
und dauernde Berufsunfähigkeit sowie Tagegelder und Reise¬ 
kostenentschädigungen für die Teilnahme an einer Nachprüfung 
oder Fortbildungskursus erhalten. Unseres Erachtens können 
die freitätigen Hebammen damit ganz zufrieden sein. Nicht so 
günstig liegen dagegen die Verhältnisse in bezug auf die Be¬ 
zirkshebammen (§§ 22 —29), da sie durch ihre Anstellung 
nicht bloß das Recht der Niederlassungsfreiheit, sondern vor 
allem auch das Recht der freien Ausübung ihres Berufes ver¬ 
lieren und in dieser Hinsicht auf einen räumlich abgegrenzten 
Bezirk beschränkt sind. Vergleicht man nun die Tätigkeit und 
die Aufgaben der Bezirkshebammen mit denjenigen der Fürsorge¬ 
rinnen, die jetzt meist überall als Kommunalbeamte angestellt 



eines Gesetsea Ober das Hebammenwesen. 


79 


sind, so wird man zugeben müssen, daß die ersteren in bezug 
auf ihre Ausbildung, Berufstätigkeit und Verantwortlichkeit den 
letzteren völlig gleichzustellen sind. Es ist daher nur recht und 
billig, daß auch die Bezirkshebaramen als Geraeindebeamte mit 
allen deren Rechten und Pflichten angestellt und einer ihrer 
Stellung entsprechenden Ortsgruppe (IV mit Aufrückung in V) 
eingereiht werden oder ihnen wenigstens durch Dienstvertrag eine 
solche Stellung gegeben wird. Damit ist zweifellos den Hebammen 
und dem öffentlichen Gesundheitswohl am besten gedient. Von 
mancher Seite wird diesem Vorschläge gegenüber voraussicht¬ 
lich der Einwand erhoben werden, daß viele Bezirkshebammen 
nicht vollbeschäftigt seien; dieser Ein wand wird aber hinfällig, 
wenn die Hehammenbezirke nicht zu klein gemacht werden und 
den Bezirkshebamroen die Säuglingsfürsorge übertragen wird, 
wodurch auch eine zu große finanzielle Belastung der Kreise 
vermieden wird. Außerdem könnte man den etwaigen nicht 
vollbeschäftigten Bezirkshebammen einen bestimmten Prozent¬ 
satz ihres Gehalts zurück behalten, besonders in denjenigen 
Fällen, wo sie noch eine Nebenbeschäftigung haben, ähnlich 
wie dies z. B. in Baden gegenüber den nicht voll besoldeten 
Bezirksärzten geschieht. Es darf auch nicht vergessen werden, 
daß für die Tätigkeit der Bezirkshebaramen doch von der zahlungs¬ 
fähigen Bevölkerung Gebühren erhoben werden, die dann in die 
Kreiskasse fließen würden, während die Hebammen selbst keinen 
Anspruch darauf haben. Nimmt man mit der Begründung des 
Entwurfs an, daß von den heutigen 7000 Bezirkshebammen im 
ganzen 210000 Entbindungen besorgt werden und von diesen 
mindestens 150000 bei zahlungsfähigen Personen, so wird sich 
bei durchschnittlich 130 M. für jede Entbindung eine Einnahme 
von fast 2 Millionen Mark ergeben, um die sich die Kosten für 
die Bezirkshebaramen verringern würden. Das jetzt der Be- 
zirkshebamme zugesicherte Gehalt ist unseres Erachtens nicht 
ausreichend; vor allem gilt dies betreffs der Teuerungs¬ 
zulagen, die mit 2ö°/ 0 viel zu niedrig bemessen. Sollte des¬ 
halb unser Vorschlag nicht verwirklicht werden können, dann 
ist mindestens dem Vorschläge des Staatsrats stattzugeben, wo¬ 
nach den Bezirkshebammen ein Teuerungszuschlag 
in der Höhe zu gewährleisten ist, wie er den un¬ 
mittelbaren Staatsbeamten gezahlt wird. Ebenso zweck¬ 
mäßig ist auch der andere Vorschlag des Staatsrats, die im 
§ 25 vorgesehene Probezeit der Bezirkshebammen von 2 Jahren 
auf 1 Jahr abzukürzen. 

Mit der Errichtung von Kreishebammenstellen (§§ 30 
bis 34) kann man sich aus den in der Begründung dafür an¬ 
gegebenen Gründen einverstanden erklären, vorausgesetzt, daß 
dem Kreisarzt der Vorsitz und die Leitung der Geschäfts¬ 
führung übertragen wird. Es dürfte sich sogar empfehlen, die 
im § 33 genannten Fälle, in denen die Kreishebammenstelle 
gehört werden muß, auch dahin zu vermehren, daß dies auch 



80 Dr. Rapmund: Der neue Entwurf eines Gesetzes üb. d. Hebammenwesen. 


bei Erlaß einer Gebührenordnung (§ 15) und bei Entziehung 
des Ruhegehalts gemäß § 28 d zu geschehen hat. 

Entsprechend dem Vorschläge des Staatsrats ist der § 34 zu 
streichen, da es nicht zweckmäßig ist, einer derartig zusammen¬ 
gesetzten Stelle, wie die Kreishebammenstelle ein Disziplinarrecht 
zu übertragen; das wird am besten in der bisherigen Weise aus¬ 
geübt. Ebenso können dem Vorschläge des Staatsrats gemäß 
die §§ 35—39 über die Errichtung vonP r ovinzialheb am men¬ 
stellen fortfallen. Derartige Stellen sind durchaus über¬ 
flüssig, da die ihnen übertragenen Aufgaben teils in aus¬ 
reichender und den Verhältnissen mehr entsprechender Weise 
von den Kreishebammenstellen, teils wie bisher von vorhan¬ 
denen Staatsstellen wahrgenommen werden können. Durch 
Schaffung sovielerlei Instanzen wird die Durchführung des 
Gesetzes nur außerordentlich erschwert; denn schließlich wissen 
die beteiligten Kreise nicht einmal selbst, wer in den einzelnen 
Fragen Koch und Kellner ist. Außerdem erwachsen dadurch 
den Provinzen nicht unerhebliche Kosten; denn wenn die Mit¬ 
gliedschaft auch als Ehrenamt gedacht ist, so müssen doch 
Reisekosten und Tagegelder, erstattet werden, die sich unter 
den jetzigen Verhältnissen bekanntlich sehr hoch stellen. 

Recht erfreulich sind die Bestimmungen des Gesetz¬ 
entwurfes über die Gewährung von Staatsbeihilfen (§ 40 ); 
in dön Staatshaushaltsplan für 1922/23 sind bereits 10 Millionen 
Mark zu diesem Zwecke bereitgestellt; ob sie ausreichen werden, 
wird die Zukunft lehren. Die Hauptsache ist, daß bei Fest¬ 
legung der näheren Bestimmungen über die Verteilung dieses 
Betrages vom Finanzminister nicht zu engherzigeGrenzen 
gezogen werden, namentlich gilt dies betreffs des Begriffs 
„leistungsschwache Landkreise“, für die nach der Begründung 
zu § 40 die Beihilfen bestimmt sind. Der Staatsrat scheint 
schon gewisse, nach den bisher in dieser Hinsicht gemachten 
Erfahrungen nicht unberechtigte Bedenken gehabt zu haben 
und hat deshalb empfohlen, dem § 40 Abs. 1 die Fassung zu 
geben: Von den durch die Durchführung des Hebaromenwesens 
im Rahmen dieses Gesetzes den Kreisen erwachsenen Kosten, 
ist die Hälfte den Kreisen alljährlich vom Staate zu erstatten; 
zweckmäßig dürfte es sein, noch das Wörtchen „mindestens“ 
vor die Worte „die Hälfte“ einzuschieben, um zum Ausdruck 
zu bringen, daß jeder Kreis Anspruch auf diese Beihilfe hat, 
aber nichts entgegensteht, wenn den leistungsschwachen Ge¬ 
meinden ein größerer Zuschuß gewährt wird. 

Die im § 42 vorgesehene Geldstrafe (bis zu 150Mark), 
ist bei dem jetzigen geringen Geldwert der Mark etwas zu 
niedrig bemessen und deshalb entsprechend zu erhöhen, sonst 
wird sie wirkungslos bleiben. 

Mit Recht sind auch in dem jetzigen Gesetzentwurf 
(§ 44) die Festlegung der Grundsätze für die Zulassung zum 
Hebammengewerbe, Ausbildung, Prüfung, Fort¬ 
bildung und Beaufsichtigung der Hebammen, Rege- 



Koner Ber. üb. d. Vorstandssitzung desPreoß. Medizinal-Beamtenrereins. 81 

lung ihrer Berufspflichten usw. dem Minister für Volks¬ 
wohlfahrt überlassen; zweckmäßig würde es aber sein, wenn dies 
auch in Bezug auf die Zusammensetzung und Geschäfts¬ 
führung der Kreishebammenstelle geschieht, damit 
auch in dieser Hinsicht eine einheitliche Durchführung des 
Gesetzes gesichert ist. 

Da nach der Begründung des Gesetzes zu § 46 in den 
Ho henz oller n sehen Landen das Hebammen wesen in den 
dortigen Gemeinden besonders mangelhaft und besserungs¬ 
bedürftig ist, erscheint gerade hier die sofortige Ein- und 
Durchführung des Gesetzes dringend nötig und die im § 46 vor¬ 
gesehene Ausnahmebestimmung überflüssig. Etwaige Schwierig¬ 
keiten für eine solche Durchführung werden sich durch Ge¬ 
währung einer größeren Staatsbeihilfe unschwer überwinden 
lassen. 

Der Entwurf ist im Landtage bereits am 11. und 
12. Januar in erster Lesung beraten und nach kurzer Erörte¬ 
rung, über die bisher ein stenographischer Bericht leider noch nicht 
zu erhalten war, an den Bevölkerungsauschuß zur weiteren Be¬ 
ratung überwiesen. Hoffentlich führt diese Beratung zu einem 
befriedigenden Ergebnis und zu einer Fassung des Entwurfs, 
in der auch die hier ausgesprochenen Wünsche möglichste Be¬ 
rücksichtigung Anden. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Koner Bericht aber die am SO. Januar d. Ja. in Berlin 
abgehaltene Torstandasttznnff des Preußischen 
Medizinal - Beamten - Vereins. 

Bei der Vorstandssitzung am 20. 1. 22 zar Vorberatung der am 21. 1. 

im Ministerium zu verhandelnden Tagesordnung wurden vom Vorstand folgende 

Beschlüsse gefaßt; 

1. Entsprechend dem Ergebnis der Abstimmungen sollen beantragt werden als 
Dleastbezeichnnug 

a) für die Reg.- u. Med.-Räte — Oberregierungsrat; 

b) für die Kreisärzte — Med.-Rat bezw. Obermed.-Rat. Dabei soll die 
Bezeichnung als Behörde „Der Kreisarzt des Kreises“ bestehen bleiben 
und die Ratsbezeichnung „Med.-Rat bezw. Obermed.-Ral N eine dienst¬ 
liche Ratsbezeichnung darstellen, wie sie in gleicher Weise auch bei 
den Gewerbeaufsichtsbeamten vorhanden ist; 

c) für die Gerichtsärzte entsprechende Bezeichnungen; 

d) für die Kreisassistenzärzte — Medizinalassessor; 

e) für die Direktoren der Medizinaluntersuchungsämter 
„Med.-Rat“, entsprechend der überwiegenden Zahl dahingehender Wünsche. 

Weiterhin wird für die Reg.- u Med.-Räte anßer der Dienst- 
bezeichnnng „Oberregierungsrat“ entsprechende Stellung nnd Gebalt 
gefordert. 

2. Das Gesetz betreffend die Gebühren der Mediziaalbeamten bedarf vor 
der Umändernng eingebender Beratnng durch die Bezirksvereine. Vorerst 
wird beim Minister beantragt eine Erhöhung des Tarifs auf das Zehnfache 
der Vorkriegszeit. Entsprechend dem Nürnberger Beschluß ist die Beseiti¬ 
gung der Ablieferungspflicht für die gerichtsärztlichen Gebühren zu fordern. 

3. Bei den Gebührenordnungen für die Aerzte ist eine besondere Ver¬ 
gütung za fordern „für eingehende Untersuchung der Organe der Brost- 



12 Besprechungen. 

öfter Bauchhöhle“, im Übrigen eine angemessene Erhöhung der Gebühr für 
Beratung and Besacb. 

4. Die Dienatanwelsnag ist in verschiedenen Paukten grundlegend za ändern 

and za modernisieren and zwar ' 

a) Ausgestaltung and größere Selbständigkeit der Behörde „Der Kreisamt“ 
im Rahmen der Verwaltnngsreform, bis dabin größere Selbständigkeit 
in der Seuchenpolizei, Einrichtung der Meldekarten unmittelbar an den 
Kreisarzt. 

b) Verhältnis za den Organen der Selbstverwaltung. Eine engere Ver¬ 
bindung mit ihnen ist dringlich notwendig; Reeht an den in Frage 
kommenden Siizangen teilzanenmen, Aufsicht über das gesamte Fürsorge- 
wesen und fachliche Aufsicht über die in ihm tätigen Personen. 

5. Zar Besoldungsfrage wird noch verlangt: Möglichkeit der Einreihung 
auch der nicht vollbesoldeten Kreisärzte in Gruppe XI Hierzu wird vor¬ 
geschlagen entsprechend Anregung von Geh.-Rat Dr. R a p m u n d, Beseitigung 
der Bezeichnung „vollbesoldete und nicht voll besoldete Kreisärzte“ im Etat 
(wie in Baden), Ansetzung eines gleichen Gehalts mit dem Zusatz, soweit 
einzelne Kreisärzte nicht vollbeschäftigt sind, werden 25 "o des Gehalts 
eiDbehalten Außerdem soll ein Antrag gestellt werden, wonach die bereits 
im Ruhestande befindlichen Mediziualbeamten rückwirkend Rnbe- 

« ebalt erhalten entsprechend der derzeitigen brzw. am 1. 4. 22 erfolgenden 
lingrnppierong (XI für Kreisärzte and XU für Rcg.-Med-ßät*), 

6. Lelchenpaßatteste sind nicht mehr abiührpflichtig, da sie jetzt von jedem 
Arst ansgestellt werden können. 

7. Der Jahresbeitrag beträgt entsprechend Nürnberger Beschluß bisher 
noch 75 M. Er wird aber für das lanfende Jahr nicht ansreicben, da sich 
der Bezugspreis für die Zeitschrift auf 40 M. erhöbt. Der Hauptversamm¬ 
lung wird deshalb ein Jahresbeitrag von 100 M. vorznscblagen sein Dazu 
kommt mindestens 50 M. Beitrag znr Berafsvereinignng höherer Verwaltnngs- 
beamter, dem der Verein nach Beschluß des Vertretertages beitreten solL 
Med.-Rat Dr. Rogowski soll über diesen Beitritt weiter verhandeln; der 
Beitritt erscheint gerade jetzt notwendig, andernfalls Nachteile für die 
Medizinalbeamten zu erwarten sind. Falls R. erreicht, daß die Medizinal- 
beamten eine besondere Grnppe bilden, einen 8itz im Vorstand erhalten 
and die im Ruhestand befin>ilicben Mitglieder nicht beizatreien brauchen, 
wird er ermächtigt abzascülKß>*n. 

8. Der Vorstand soll allen Mitgliedern nahelegen, das in seinem Aufträge von 
Geb.-Rat Prof. Dr. Rapmnnd herausgegebene und soeben erschienene 
Verzeichnis der Medizinal beamten zu beziehen. Für die Vereinsmitglieder 
beträgt der Preis noch 7,50 Mark mit Porto and Verpackung, weun die 
Bestellung bis zam 1. März d. Ja. direkt an die Verlagi-buchhandlang 
(Fischers med. Buchhandlang; H. Kornfeld-Berlin W 62, Keithstraße 5) 
gerichtet wird. 


Besprechungen. 

X. Dr. Heiarieb Joaohlm, Sanitätsrat und Dr. Alfred Korn, Jnstizrat, 
beide in Berlin: Die preussische Gebührenordnung für approbierte 
Aente and Zabn&rzte vom 1. September 1920. Für die ßedttifuisse 
der ärztlichen uud zahnärztlichen Praxis erläutert. Berlin 1021. Verlag von 
G. Coblenz. Gr. 8°; 803 8. Preis: 80 M., geh.: 00 M. 

Das Buch stellt die vierte Auflage des Joachim-Kornsehen Kom¬ 
mentars der froheren ärztlichen Gebührenordnung dar nnd ist ebeni-o wie diese 
onter sorgfältiger Berücksichtigung der Rechtsprechung bis znr Gegenwart, 
soweit sie noch anwendbar ist, ausgearbeitet. Es teilt alle Vorzüge der 
früheren Auflagen nnd stellt jedenfalls den zuverlässigsten and aaslüi<rlicLstea 
Kommentar der Gebührenordnung dar. Rpd. 


9. Dr. Holarlob Joaohlm, Sanität «rat nnd Waltor Joaohlm, Rechtsanwalt, 
beide in Berlin: Kommentar sum Umsatzstenergeaetz vom 24. Dezember 
1919. Für Aerzte, Zahnärzte nnd Besitzer von BeilanBtaiten. Berlin 1921. 
Verlag von G. Coblenz. Gr. 8"; 94 8elten. Preis: geh. 80 M. 



Besprechungen. 


.*8 


Bin Ihr den praktischen Amt unentbehrliches Hilfsbuch, das ihm einen 
»verlässigen Anhalt für die Auslegnng und Anwendung der für Ihn ganz 
neuen gesetzlichen Bestimmungen gibt. Jeder einzelne Gesetzparagrsph ist 
unter besonderer Berücksichtigung des ärztlichen Standpunktes und den dazu 
erfolgten amtlichen Ausführungsbestimmungen, gerichtlichen Entscheidungen 
in ebenso erschöpfender als sachkundiger Weise erläutert; namentlich ist dies 
bei allen strittigen und zweifelhaften Fragen geschehen. Kurz und gut, ein 
Ratgeber, der auf keines Arztes Arbeitstisch fehlen sollte. 

H. Schmidt, E. Ebstein, L. Friedhelm, K. Wolfram, J. Doset «ad 
H Hohlfeld: Diagnostisch-therapeutisches Vademecum. 20. ver¬ 
mehrte und umgearbeitete Auflage. Leipzig 1921. Verlag von J. A. Barth. 
Kl. 8°; 498 S. Preis: geh. 30 M. 

Fast alljährlich, selbst in den Kriegsjahren ist eine neue Auflage von 
diesem vorzüglichen, sowohl bei den Studierenden der Medizin, als bei den 
praktischen Aerzten sehr beliebten Vademecum erschienen. Man sollte eigentl ch 
gar nicht glauben, daß sich in der kurzen Zeit seit der letzten Auflage (1920) 
größere Umarbeitungen und Ergänzungen als nötig erwiesen hätten; die Ver¬ 
fasser haben aber gleichwohl solche für erforderlich erachtet, um dem Taschen¬ 
buche den Charakter als neuzeitliches Hilfs- und Auskunftsmittel. zu 
wahren. Insbesondere hat es durch zwei wertvolle Neuarbeiten: Ernährung 
und Ernährungsfragen im Säuglingsaiter (Privatdozent Dr. M.Hohlfeld) und 
„Angeokrankheiter (Prof Dr M. Wolfram) eine wertvolle Erweiterung er¬ 
fahren. Seinen Gesamtcharakter als Vademecum hat es dadurch nicht geändert, 
sondern nur an Brauchbarkeit und Einheitlichkeit gowonnen. Bpd. 


Dr. J. W. Samson, Arzt der Tuberkulosestation der Landesuntersuchungs¬ 
anstalt Berlin und Facharzt für Lungen-, Hals- und Nasenkrankheifc-n: 
Prostitution und Tuberkulose. Klinische und sozialmedizinische Unter¬ 
suchungen. Leipzig 1921. V erlag von QeorgThieme. Gr. 8 '; 120 Seiten. 
Preis: geh. 18 Mark. 

Auffindung und Unschädlichmachung aller Infektionsquellen ist die oberste 
Forderung bei der Bekämpfung von Volksseuchen, insbesondere der Tuberkulose. 
Verfasser bat sich nun bemüht, den bedeutungsvollen Zusammenhang zwischen 
Tuberkulose und Prostitution zu untersuchen und zwar nach der Bichtung hin, 
inwieweit die Wohnungs- und Einkommensverhältnisse, Berufskrankheiten und 
Berufsschädlichkeiten, insbesondere die Lues, der Alkoliolismus, Tabaksmißbrauch 
und der hefiuge Aufenthalt der Prostituierten in Strafanstalten auf die Ent¬ 
stehung und Fortentwicklung der Tuberkulose bei ihnen von Einfluß ist, eine 
sehr interessante und fleiß'ge Arbeit, die sich auf die Untersuchungsergebnisse 
des sehr reichhaltigen Materials der Untersuchungsstellen der Berliner Sitten¬ 
polizei stützt und um so dankbarer zu begrüßen ist, als sie eine bisher noch 
nicht in so erschöpfender Weise behandelte und für die Bekfimpfang der Tuber¬ 
kulose jedenfalls wichtige Frage betrifft. Rpd. 


Dr. F. W. Goetxs in Leipzig: Untersuchungsmethoden und Diagnose 
der Erreger der Geschlechtskrankheiten. Mit 58 Abbildungen im 
Text und 4 Tafeln. München 1921. J. F. Lehmanns Verlag. 8 # ; 187 S. 
Preis: 24 M., grb. 30 M. 

Ein den Bedürfnissen der jetzigen Zeit entsprechendes Buch; denn zur 
Bekämpfung der übermäßig ausgebreiteten Geschlechtskrankheiten ist vor 
allem ihre frühzeitige und rasche Erkennung erforderlich, da sie allen eine recht¬ 
zeitige Behandlung ermöglicht. Dazu gehört aber vor allem auch die bakteriologische 
und mikroskopische Feststellung der Krankheitserreger. Verfasser will den 
Aerzten durch sein Buch die zu dieser Feststellung erforderliche Anleitung 
geben, in der zunächst die Untersncbungsinstrumente und dann die Unter- 
8uchung8methoden bei der Syphilis wie bei der Gonorrhoe sowie bei auderen 
Geschlechtskrankheiten (Ulcus molle und Ulcus gangränosum et genitale) ein¬ 
gehend und sachgemäß geschildert werden. Bpd. 



84 


Tagesnachrichten. 


Prof. Dr. B. Finkelnburg- Bonn: Lehrbuch der Unfallbegutachtung der 
Inneren und Nervenkrankheiten. Für Studierende und Aerzte. Bonn 
1920. Verlag von A. Marcus & E. Weber. Gr. 8°; 544 8. Preis: geh.70 M., 
geb. 82 M. 

Verfasser hat in vorliegendem Werk die praktischen Erfahrungen einer 
20jähhrigen Gutachtertätigkeit niedergelegt. Er bespricht zunächst in einem 
allgemeinen T* il die bei der Unfallbegutachtnng zn berücksichtigenden Momente 
wie die Begriffsbestimmung des Unfalles, die Unfallarsachen, die Abfassung 
des Gutachtens, die Bentenabschätzung, die Simulation und Uobertreibung unter 
Berücksichtigung der sozialen Versicherung, und der Uufallbegutachtung bei 
Haftpflichtschäden und der Privatveraicherung. ln dem speziellen T*-il geht 
er dann auf die einzelnen inneren Krankheiten ein und erläutert, wie weit ein 
Unfall als Bntstehungsursache in Betracht kommen kann. Dabei werden auch 
die Infektionskrankheiten, die Vergiftungen, elektrische Unfälle, Sonnenstich 
und Hitzschlag, Geistes- und Nervenkrankheiten berücksichtigt. Die klaren 
Ausführungen beschränken sich auf das für die Beantwortung der Frage 
„Unfall oder nicht" Wichtige und Notwendige, wobei das Verständnis durch 
zahlreiche eingeschaltete Beispiele sehr erleichtert wird. Das Werk stellt 
eine sehr instruktive Uebersicht über das ganze Gebiet dar und kann nicht nur 
angehenden Gutachtern zur Anschaffung empfohlen werden, sondern wird auch 
erfahrenen Sachverständigen eine wertvolle 0 nterstützung sein können. Bpd. jun. 


Troß Dr. Gotsohltoh, Direktor des hygienischen Instituts in Gießen und 
Frlvatdosent Prot Dr. 8okftrmanu- Halle: Leitfaden der Mikro- 
Parasitologie und Serologie mit besonderer Berücksichtigung der in den 
bakteriologischen Kursen gelehrten Untersuchungsmethoden. Ein Hilfsbuch 
für Studierende, praktische und beamtete Aerzte. Hit 218 meist farb gen 
Abbildungen. Berlin 1920. Verlag von J. Springer. 8°; 3618. Preis: 
geb. 2> M., geb. 28,60 U. 

Kein Lehrbuch, sondern ein Hilfsbuch soll das vorliegende Werk sein, 
einerseits für den Studenten zur Unterstützung bei den bakteriologischen 
Kursen, anderseits für den Praktiker und Medizinalbeamten zur schnellen 
Orientierung und Auffrischung seiner Kenntnisse. Dieser Aufgabe wird das 
Buch voll und ganz gerecht; es bringt in klaren, kurzen Schilderungen alles 
Wichtige des Gebietes und ist übersichtlich angeordnet. Seine Ausführungen 
werden durch zahlreiche, gute Abbildungen wirkungsvoll unterstützt. Ein 
ausführliches Sachregister am Schluß erleichtert das Zurechtfinden. Auch für 
die Arbeit zum Kreisarztexamen dürfte es sich eignen. Bpd. jun. 


Tftgesnachrichten. 

Berechnung des Besoldnngsdienstulters der preußischen Kreistier* 
ftrzte. Nach einem Erlaß des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft 
wird den Kreistierärzten bei Feststellung ihres Besoldungsdienstalters 6 Monate 
für die tierärztliche Prüfung (wie bei den Kreisärzten) und 9 Monate für 
die kreistierärztliche Prüfung angerechnct, also 3 Monate mehr als den 
Kreisärzten, obwohl die Anforderungen für die kreiBärztliche Prüfung 
wesentlich höher sind und deshalb erheblich mehr Zeit zur Vorbereitung ver¬ 
langen. Der Vorstand des preußischen Medizinalbeamtenvereins wird jedenfalls 
darauf hinwirken müssen, daß für die kreisärztliche Prüfung auch mindestens 
9 Monate angerechnet werden. _ 

Durch Ministererlaß vom 8. Dezember 1921 ist ein neues Muster für 
die Jahresgesundheitsberichte der preußischen Kreisärzte eingeführt, das 
im großen und ganzen dem Formular nacbgebildet ist, das bisher von der 
Buchdruckerei von J C. C. Bruns 1 ) nach Angabe von Herrn Geh. Med.-Bat 
Dr. Solbrig-Breslau und dem Herausgeber dieser Zeitschrift hergestellt war 
und das zuletzt auch verschiedene Aenderungen auf Veranlassung von Herrn 
Beg.- und Med.-Bat Dr Bitter erfahren hatte. Neu ist in ihm nur Abschnitt I 
über „Bewegung der Bevölkerung", wozu die Kreisärzte das Material sehr 

*) Das neue Formular kann ebenfalls von der Buchdruckerei J. C. C. 
Bruns in Miuden L W. zum Preise von 17,6 M. für Beinschrift und 12,60M. für 
Entwurf bezogen werden. 



Tagesnachrichten. 


86 


schwer und kaum rechtzeitig erhalten werden, and ein besonderer Abschnitt II 
Uber soziale Hygiene nnd Fürsorge, der aber abgesehen von einem besonderen 
Unterabschnitt (Allgemeines Über Aufbau nnd Gliederung der Fttroorge- 
organisatioa) nicht wesentlich neues bringt, sondern in dem jetzt nnr rer* 
schiedeoe Gegenstände wie Säuglingsfürsorge, Kleinkinderfürsorge, Schulhygiene, 
Fürsorge fiir Jugendliche, Fürsorge für Kranke und Gebrechliche, Seuchen* 
fürsorge, Tuberkulosenfürsorge, Krüppel- — Kriegsbeschädigten- — Fürsorge, 
Trinkerfürsorge, Fürsorge für Geisteskranke usw, angebracht sind, für die 
bisher besondere Abschnitte vorgesehen waren. Es wäre ja sonst zu wenig 
für diesen an zweite Stelle gerückten Abschnitt „Soziale Hygiene“ übrig 
geblieben. Man kann auch an dieser Neueinteilung des Musters für den Jahres¬ 
bericht ersehen, welche große Bedeutung der sogenannten „sozialen Hygiene" 
an maßgebender Stelle beigemessen wird; die Bekämpfung der Volkskrank¬ 
heiten ist daher — ein charakteristisches Kennzeichen der Zeit — von der 
ersten an die sechste Stelle gerückt. Der Bericht soll schon in diesem Jahre 
nach dem neuen MuBter erstattet, von den Kreisärzten bis zum 1. März, den 
Regierungspräsidenten und den Beg.- und Med.-Räten bis zum 1. Juni dem 
Ministerium eingereicbt, und eine Fristverlängerung unter keinen Umständen 

S ewährt werden. Unter diesen Umständen darf man dann jedenfalls erwarten, 
aß der Gesamtbericht für den ganzen Staat spätestens bis zum 1. Oktober d. Js. 
erscheinen wird. 


Durch Runderlaß des Ministeriums des Innern vom 8. Januar d. Js. 
sind von jetzt an alle praktischen Aerzte ermächtigt, die zum Transport 
ron Leichen im Iulande erforderlichen gesnndheitspolizeilichen Bescheinigungen 
aoszustellen, während bisher ausschließlich die Kreisärzte dazu befugt waren. 
Diese Anordnung mag für die Bevölkemng sehr bequem sein, liegt aber, 
namentlich mit Rücksicht auf die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten, 
nicht im gesundheitspolizeilichen Interesse. Den vollbesoldeten Kreisärzten 
bringt sie den Vorteil, daß sie küoftighin die Gebühren für diese Bescheini¬ 
gung nicht mehr an die Staatskasse abzuführen brauchen, da ihre Ausstellung 
von jetzt ab als eine vertrauensärztliche anzusehen ist. 


Aus Bayern. Der bayerische Landtag hat jetzt die 8telle eines dritten 
Landgerichtsarztes in München bewilligt, dem auch die Leitung der 
neuen im Gefängnis Stadelheim im Bau begriffenen psychiatrischen Beobachtungs- 
Station übertragen ist. _ 


Seit dem 1. Oktober 1921 werden „Vorschriften für das Medizinalwesen 
Ina Freistaat Sachsen u herausgegeben, die in zwangloser Folge nach Bedarf 
erscheinen und dazu dienen sollen, die das Medizinalwesen betreffenden Gesetze, 
Verordnungen und Verfügungen, die an den verschiedensten Stellen zerstreut 
sind, fortlaufend in möglichst bequemer Weise den Staats- und Gemeinde¬ 
behörden, Aerzten und allen an der Gesundheitsbehörde beteiligten zugänglich 
su machen. Als Herausgeber ist der Präsident des Landesgesundheitsamtes 
in Dresden, Geh Reg.-Rat Dr. Weber, benannt. Die Zeitschrift erscheint 
im Verlage von C. Heinrich in Dresden. 


Ein Lehrgang für Aerzte über Schnlgesundheltspflege wird in Chemnitz 
vom 6. bis 11. März 1- 22 abgehalten. Der Lehrgang ist Tn erster Linie für 
diejenigen Aerzte Sachsens bestimmt, die als Schulärzte angestellt sind 
oder später als solche praktisch tätig werden wollen, ferner für Bezirksärzte. 
Die Teilntbmerzahl ist auf 40 beschränkt. Den auswärtigen Teilnehmern wird 
vom Ministerium des Innern eine Entschädigung von je 260 Mark bewilligt, 
soweit sie eine solche nicht von anderer Seite erhalten. 

Anmeldungen sind an den Stadtbezirksarzt von Chemnitz zu richten, 
der einen ausführlichen Stundenplan enthält. 


In jüngster Zeit ist bei der 8 c h r i f 11 ei tu n g wiederholt wegen etwaiger 
Vertrüge über Anstellung von Kreisärzten als Krelskommunalirzte ange¬ 
fragt. Wir bringen deshalb nachstehend einen solchen uns zur Verfügung 
gestellten Vertrag zum Abdruck: 



Tagesaachriolliten. 


Mi 


■ Zwischen dem Versitzenden des Kreisausschusses des Kreises A. und den 
Kreisarzt Dr. B. wird heute nachstehender Vertrag geschlossen: 

1. Der Kreis A. bestellt den Kreisarzt Dr. B. znm Kreiskommunalarst 
und Leiter des Gesundheitsamts für die Däner seiner staatlichen Beamten- 
Stellung als Kreisarzt des Kreises A. und zwar mit dieser Maßgabe auf die 
Dauer von 12 Jahren. Kreisarzt B. übernimmt diese Stellung. Er ist dabei 
abhängig von der Genehmigung seiner Vorgesetzten Behörden. 

2. Dr. B. erhält und übernimmt die selbständige Aufgabe, das gesamte 
kommunale Gesundheitswesen des Kreises, insbesondere die Gesundheitsfürsorge 
im Babmen der Aufgaben des Gesundheitsamtes (Anlage) zu verwalten und 
zu fördern. 

8. Dr. B. erhält ein jährliches, vierteljährlich im Voraus zu zahlendes 

Gehalt von M.. dasselbe steigt entsprechend einer Steigerung der 

Gebälter der höheren Beamten des KreiseB. Im Falle des Todes gelten die 
staatlichen Bestimmungen über das Gnadenquartal. Außerdem erhält Dr. B. 

eine Dienstaufwandsentschädigung von M.jährlich, in vierteljährlichen 

nachträglich zu zahlenden Beträgen. 

4. Der Kreis A. übernimmt die gesamten Kosten des Kreisarztbüros für 
die Dauer des Vertragsverhältnisses. Dafür tritt Dr. B. die ihm für Büro- 
Unterhaltung gewährte staatliche Dienstaufwandsentschädignng an den Kreis ab. 
Soweit diese Kosten den im jährlichen Etat veranschlagten Betrag übersteigen, 
bedarf es einer besonderen Genehmigung des Kreisausschusses. 

5. Während der Dauer der Bearlaubungen als Staatsbeamter ist Dr. B. 
ohne weiteres auch als Kreiskommunalarzt beurlaubt und wird in fachlicher 
Hinsicht durch seinen staatlichen Vertreter, in der Begel den Kreisassistenzarst 
vertreten, ohne daß hierdurch dem Kreise besondere Kosten erwachsen. Die 
Einreichung eines Urlaubsgesuchs, den Antritt seines Urlaubs und die Bückkehr 
teilt Dr. B. dem Vorsitzenden des Kreisausschusses rechtzeitig mit. 

6. Dem Kreisausschuß steht der Kreiskommunalarzt als Berater zur 
Verfügung. Er hat nach vorherigem Benehmen mit dem Vorsitzenden dee 
Kreisausschusses das Recht des Vortrages und des Antrages im Kreisausschuß. 

Anlage. 

1. Das Gesundheitsamt bildet eine selbständige Abteilung des Kreis¬ 
wohlfahrtsamtes und führt die Bezeichnung „Kreiswohlfahrtsamt den 
Kreises A., Abteilung Gesundheitsamt." 

Seine Aufgabe erstreckt sich anf die Pflege des gesamten kommunalen 
Gesundheitswesens des Kreises. Dabei arbeitet es im ständigen Einvernehmen 
mit dem Kreiswohlfahrtsamt. 

2. Das Gesundheitsamt führt selbständigen Verkehr mit vor* und nach- 
geordneten Behörden, Vereinigungen und Privatpersonen. Schreiben besonders 
wichtiger Art, insbesondere sämtliche Kundscbreiben an die OrtsbehOrden, 
werden dem Vorsitzenden des Kreisausschusses vorgelegt zur Unterschrift. 

8. Entscheidungen des Gesundheitsamtes von finanzieller Bedeutung, 
soweit sie die Durchführung von lüoorgerischen Maßnahmen für Einzelper¬ 
sonen betreffen und soweit sie den inneren Betrieb des Gesundheitsamtes selbst 
angehen, erfolgen selbständig mit Bechtsverbindlichkeit für den Kreis. Der 
Leiter des Gesundheitsamtes erteilt selbständig Einnahme- und Ausgabe-An¬ 
weisungen im Bahmen dieser Zuständigkeit und im Bahmen der im Etat vor¬ 
gesehenen Mittel an die Kreiskommunalkasse. Die Anweisungen laufen bei dem 
Vorsitzenden des Kreiswoblfabrtsamtes durch. Bei Beträgen von über 800 M., 
welche für den inneren Betrieb des Gesundheitsamtes verwendet werden sollen, 
ist Mitzeichnung des Vorsitzenden des Kreiswohlfahrtsamtes erforderlich. Die 
gesamten dem Kreise für die Verpflegung des Gesundheitswesens zur Verfügung 
stehenden Mittel gelangen dementsprechend nur durch Vermittlung des Gesund¬ 
heitsamtes zur Verwendung. Der Etat des Gesundheitsamtes wird als Ganzes 
mit dem des Kreiswohlfahrtsamtes aufgestellt. 

4. Der Leiter des Gesundheitsamtes ist der Kreiskommunalarzt. Als 
solcher wird der Kreisarzt mit Genehmigung des Ministers für Volkswohlfahrt 
auf Grund besonderen Vertrages bestellt. Die Beamten und Angestellten des 
Kreises, welche dem Gesundheitsamt zugeieilt sind, sind ihm untenteilt, in 
fachlicher Hinsicht auch die Kreisfürsorgerin. 





Tageon ach richten. 


8® 

ft. Das OesnndheitsAmt erhält einen besonderen Beirat, der vom Leitet 
des Gesundheitsamtes mindestens einmal jährlich, sonst nach Bedarf einbentfe* 
wird and dessen Verhandlangsleiter er ist. 

Der Vorsitzende des Kreisaamcbttsses. 


Betebsgesetzltche Besrelnng des Apothekenwesens. Nach der pharm a- 
neu tischen Presse hat der Reichsminister des Innern sich kürzlich an sämtiche 
Landesregierungen gewandt mit der Mitteilang, daß seitens des deutschen 
Apothekervereins in Gemeinschaft mit dem Verband dentscber Apotheker Vor¬ 
schläge lür eine reichsgesetzliche Regelang des Apothekenwesens überreicht 
sind, and mit dem Ersuchen: za den grundsätzlichen Fragen in diesen Vor¬ 
schlägen Stellung za nehmen, nämlich: 

1. Wird eine reicbsgesetzliche Reform des Apothekenwesens befürwortet 
and für dringlich angesehen? 

2. Nach welchem System ist die Frage des Besitzrechtea za lösen? 

8. Falls das dem Gesetzentwurf von 1907 zugrunde gelegte ond jetzt 
noch vom Deutschen Apotheker-Verein vorgeschlagene System der Personal¬ 
konzession befürwortet wird, nach welchen Grundsätzen soll dann die Kon- 
aesnioo verlieben werden? 

4. Soll das bisherige Recht der Witwen und der Waisen, die Apotheke 
weiterzoführen, bestehen bleiben? 

5. Wird es für notwendig erachtet, 

a) die Privilegien, 

b) die vererblichen und veräußerlichen Realkonzessionen, 

e) die bisherigen Personalkonzessionen in solche des neuen Rechts um- 
zuwandeln i 

6. Wie sind die in einzelnen Lindern bestehenden Gemeindeapothekeu 
sa behandeln ? Empfiehlt es sich, solche durch Reichsgesetz allgemein 
zuzalassen t 

7. Wie läßt sich die Ablösung der bestehenden Rechte durchführen, 

und wie sind die hierfür erforderlichen Mittel aofzubringen t 

8. Nach welchen Grundsätzen soll der Wert des Betrieberechtes ( Ideal- 
wert) festeres teilt werden? 

9. Empfiehlt es sieb, behuf« möglichst baldiger Beschaffung der für die 
AblAsungsfrage erforderlichen Unterlagen die Landesregierungen zu ersuchen, 
an Band eines einheitlichen Fragebogens für die Beurteilung des Wertes der 
Betnetnrecbte erforderlichen Feststellungen alsbald zu veranlassen? — 

Zur Besprechung dieser Fragen ist eine 3itzung bereits für Anfang d. i. 
in Aussicht genommen. Man wird begierig sein, Näheres über den Fortgang 
za hören. 


Die mit dem 1. Januar 1922 in Kraft getretene neue Arzneitaxe sieht 
weiterhin Teuerunuszus< hläge vor, die von den Apothekern erhoben werden 
dürfen, und zwar für jede anf ärztliche Verordnung vum Apotheker zur Abgabe 
helgerichtete Arznei 1,20 M., für Arzneimittel oder Arzneien in abgabefertiger 
Packung je 0,60 M. — ausgenommen solche Arzneimittel, die auch auß -rhalb- 
d**r Apotheken verkäuflich sind, und genau bestimmte Arzneimittel, die für 
Blassen abgegeben werden —. Ferner sind die Abschläge für Kranke» kassen 
new geregelt, indem bei einem vierteljährlichen Rechnungsbetrag bis zu 109 M. 
kein Abschlag,.bei höheren Beträgen für die weiteren 400 M. 5 Proz., darüber 
hinaus 10 Proz. Nachlaß zu gewähren ist. 


Der 88. Balneologen-Kongrefl findet vom 15. bis 18. Mira d. J. in 
Berlin (Kaiser-Friedrich-Beim; Luisenplats Nr. 2—4) statt. Anf der Tages¬ 
ordnung steht: Die Beeil flussnng des Stoffwechsels ond der Stoffwechsel¬ 
krankheiten durch die balneologiscben Heilfaktoren. Berichterstatter sind Geh. 
Med.-Hat Ür Strauß, Prof. Dr. Bickel, Prof. Dr. Frans Müller, Prof. 
Dr. E. Müller. Außerdem werden Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkowski 
über Diabetes, Geh. Med.-Rat Prot Dr. Bis über Gicht, Prof. Dr. P. E. Richter 



88 


Sprechsaal. 


über Fettsucht, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Franz, Prot Dr. Schager and 
Prof. Dr. Mansfeld über innere Sekretion sprechen. Auskunft erteilt der 
Generalsekretär der Baineologischen Gesellschaft Dr. Hirsch, Charlottenburg. 
Frankfurts rstraße 16. 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kreisarztes Dr. v. F. ln B. 1. Auf Grund welcher Be¬ 
stimmung können Personen, die an Lues leiden, vom Nahrungsmittelverkehr 
entfernt werden P Hier ist ein an Lues Erkrankter in einem Milchhof tätig, 
der sich aber der ärztlichen Behandlung entzogen hat. 

2. Auf Grund welcher Bestimmung müssen sich die Hedlzlnalpraktl- 
kanten beim Kreisarzt melden? Der Kreisarzt soll kontrollieren, ob diese als 
Assistenten beschäftigt werden; er muß also wissen, ob und wo in seinem 
Kreise ein Medizinalpraktikant vorhanden ist. 

Antwort: Zu 1. Nach der noch geltenden Verordnung des Beicbsamts 
für wirtschaftliche Demobilmachung vom 11. Dezember 1918 kann ein Ge* 
schlechtskranker in einem solchen Falle zwangsweise einem Heilver¬ 
fahren in einem Krankenhause unterworfen werden. Durch Anwendung 
dieser Maßregel ist die Gefahr einer Weiterverbreitung der Krankheit durch 
ihn am sichersten beseitigt. Die Ortspolizeibehörde hat dafür zu sorgen, daß 
er sich dieser zwangsweisen Behandlung in einem Krankenbause unterzieht. 

Zu 2. Wenn die Bezirkspolizeiverordnungen über die Meldepflicht der 
Aerzte usw. eine solche für die Medizinal praktikanten nicht vorschreiben, oder 
den Krankenhausvorständen eine solche nicht durch eine Verfügung des Regie¬ 
rungspräsidenten allgemein anferlegt ist, so kann der Kreisarzt das Vorhanden¬ 
sein von Medizinalpraktikanten nur durch Rückfrage oder mit Hilfe der Ortspolizei 
feststellen, bei der bekanntlich jeder Zuziehende angemeldet werden muß. 


Anfrage Ober Kreisdesinfektoren. 

Ich bitte um Mitteilung der Kreise, die Kreisdesinfektoren 
haben und um Angabe der Art und Höhe ihrer Besoldung. 


Dortmund, den 28. Januar 1822. 

Südwall Nr. 361 ^ ,, 

Dr. Wollenweber, 

Schriftführer des Pr. M. B. V. 


Das Verzeichnis der Medizlnalbeamten in 
Preußen kann noch für den Preis von 7,50 M. (einschließlich 
Porto und Verpackung) von den Vereinsmitgliedern be. 
zogen werden, falls die Bestellung bis zum 1. März d Js. un¬ 
mittelbar an die Verlagsbuchhandlung (Fischers mediz. Back, 
handlang, H. Kornfeld, Berlin W 62, Keithstraße Nr. 5) erfolgt. 


Druckfehler <* Berichtigung. In Nr. 21 der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte, Jahrg. 1921, ist auf »eite 609 irrtümlich „Dr. Sonnefeld“ als 
Herausgeber von „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“ angegeben, während 
diese nach wie vor von Hofrat Dr. Löwenfeld in München herausgegeben 
werden. Weiterhin heißt der Verfasser von „Suggestion, Hypnose und Tele¬ 
pathie“ „Kindborg“, nicht „Kindberg“ und der Verfasser von „Krank¬ 
heiten des Herzens und der Gefäße“ (Seite 611) nicht „B a r winkel“, sondern 
„Bur Winkel“. 


Verantwortlich fllr die 8chMfÜeIttu»f: Prof. Dr. B.pmund, Q«h. Xed.-Bnt In Llppeprlnfe. 
Druck tob J. C. C. Brnos, Minden I. W. 












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85. Jahrs:. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


Nr. 4. 


Hans Seele rt in Berlin, Dr. Leonhard Wareow in Leipzig, Dr. T. Math&r 
{■ Rheydt, Dr. Erich Westhofen in Hohegeiß, Dr. Ed. Steinebacb in 
Gelsenkirchen, Dr. H. Kempa in Tapian, Dr. W. Klein in Frankfurt a. M., 
Dr. P. Jacobi in Münster i. W., Dr. A. Weinberg in Bocbnm, Dr. 
JEL8churian in Botenbnrg (Fulda), Dr. G. Brückner in Lüdenscheid, Dr. 
G. Beckert in Essen (Bahr), Dr. H. Wex in München-Gladbach, Dr. Fritz 
Noack in Gotha, Dr. Karl Hofins in Duisburg-Meiderich, Dr. W. Haneken 
in 8tade, Dr. Ew.Eerslen in Münster i. Westf., Dr. A. Schliebs in Kagel, 
Dr. H. Rautenberg in Erfurt, Dr. H. Schmitt in Düsseldorf, Dr. fl. Bohl¬ 
fing in Darmstadt, Dr. J. Caesar in Dortmund, Dr. W. Pieper in Samot- 
schin, Dr. Cart Bejach in Now&wes, Dr. H. Lotze iu Bremen, Dr. 0.Klage 
n Hannover-Linden, Dr. B. Ulrich in DniBbnrg, Dr. E Boehnke in Alt- 
Scherbitz, Dr. Hans Kroemer in Danzig-L&ngfuhr, Dr. Hans Beasch in 
Königsberg' i. Pr., Dr. E. Strahlmann in Delmenhorst (Oldenburg), Dr. 
Walter Lae nge in Aschersleben, Dr. Joseph Jacobs in Charlottenburg, Dr. 
Max Schwellnus in Königsberg i. Pr. 

Einberufen: Polizeiarzt Dr. V. Jüttn er beim Polizeipräsidium in Berlin 
als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern. 

Gestorben: Geh. Med.-Bat La Boche, Kreisarzt a. D. in Schweidnitz, 
Geh. Reg.-Bat Dr. Peters in Weimar, früher Mitglied des B.-G.-A. in Berlin. 

Bayern. 

Ernannt: Ob.-Med.-Bat Dr. K i h n, Bezirksarzt in Würzburg, zum Ober¬ 
regierangsrat bei der Begierung für Mittelfranken in AnBbach; der praktische 
Arzt Dr. Werner in Eichstett zum Bezirksarzt in Dingolfiog. 

Gestorben: Bezirksarzt Dr. Betz in Miesbach. 

Erledigte Stellen. 

Bayern. 

Die Bezirksarztstellen in Seheinfeld und Miesbach. Bewerbungen 
sind bei der für den Bewerber zuständigen Begierung, Abteilung des Innern, 

oinznreichen. (Fortsetzung auf der letzten Seite des Umschlags.) 


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n. öffentliche Gesundheitswesen, einsohl, der prakt u. sozialen Hygiene 

Herausgegeben 

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Prof. Dr. Otto Rapmund 

Geh. Med.-Rat in Bad Lippspringe. 

Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 


Verlag von Fischer’s med. Buchhandlung H. Kornfeld 

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Nr. 4. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monate 


20. Febr. 


Die Zwangsernährung Strafgefangener. 

Von Dr. Marggraff- Amorbacb, Bayern. 

Da sich in letzer Zeit die Inszenierung von Hungerstreiks 
in Gefängnissen und Strafanstalten Deutschlands immer mehr 
einzubürgem scheint, so ist es notwendig, daß die Gefängnis¬ 
ärzte sich vollkommen darüber Klarheit verschaffen, wie sie in 
solchen Fällen vorzugehen haben, ohne sich eines möglicher¬ 
weise folgenschweren Fehlgriffs schuldig zu machen. 

Ist der Hungerstreik erst geplant oder frisch ausgebrochen, 
so werden wir natürlich zunächst versuchen, ihn, nach Ergrün¬ 
dung der Ursache, durch Einsetzen unserer Autorität und durch 
Suggestionsmittel zu verhindern resp. zu beenden. Bei unserem 
Vorgehen haben wir dabei uns einerseits vor schwächlicher 
Nachgiebigkeit, anderseits vor allzu schroffer Strenge zu hüten; 
denn die Streikenden sind fast stets schwer zu behandelnde, 
boshafte, unerzogene Menschen, recht häufig hysterisch psycho¬ 
pathisch veranlagte Persönlichkeiten, bei denen der Affekt bei 
jeder Gelegenheit zum Durchbruch gelangt, wodurch dem Arzt 
und den Beamten der Anstalt sohwere Ungelegenheiten bereitet 
werden können. 











90 


Dr. Marggraö. Die Zwangsernahrnng Strafgefangener. 


Sehr wichtig ist es, unzufriedene hetzende Elemente, sowie 
Personen, die bereits in Streik getreten sind, abzusondern, wo¬ 
durch am besten weiteres Konspirieren und Komplottschmieden 
ausgeschaltet wird. Auch ist ein Isolierter besser zu überwachen, 
insbesondere in der Richtung, ob ihm heimlich von irgend einer 
Seite Nahrung zugesteckt wird. Der Streikende wird jeden Tag 
genau beobachtet, gewogen und erhält sein Essen hingestellt, 
gleichviel, ob er es anrührt oder nicht. Bleibt er hartnäckig, 
geht das Körpergewicht zurück und hat er 3—4 Tage über¬ 
haupt nichts zu sich genommen, so wird zur Zwangsernährung 
geschritten. 

Der zu Fütternde liegt am besten zu Bett in halbsitzen¬ 
der Stellung. Leistet er Widerstand, wird er gehalten, insbe¬ 
sondere ist dabei nötig, daß der Kopf gut fixiert wird. Eine 
gut geölte, weiche, nicht zu dicke Magensonde (ca. 11 mm 
Durchmesser) wird durch ein Nasenloch in den Magen einge¬ 
führt, die Sonde mittels Qlasröhrchen an einen zweiten Schlauch, 
der mit einem Trichter verbunden ist, angeschlossen und die 
flüssige Nahrung eingegossen. Die Nahrung muß gut temperiert 
sein und kann aus Schleimsuppe, Kakao oder Milch, der zwei 
Eier und Zucker zugesetzt sind, bestehen. Diese Eingießung 
erfolgt zweimal täglich. Die Einführung des Schlauches durch 
die Nase ist meist nicht schwierig und der Fütterung durch 
den Mund vorzuziehen, da resistente Menschen entweder den 
Mund gar nicht öffnen oder den teilweise eingeführten Schlauch 
mit den Zähnen zusammenbeißen. Gleichzeitig wird die um¬ 
ständliche Anwendung des Mundsperrers, mit dem man über¬ 
dies leicht Verletzungen machen kann, überflüssig. 

Besteht in dem einen Nasengang eine Verbiegung der 
Scheidewand oder sonst ein Hindernis (Polyp), so wird die 
Sonde durch das andere Nasenloch eingeführt. Bei doppel¬ 
seitiger Stenose bleibt natürlich nur noch die Fütterung durch 
den Mund übrig. 

Ist alle Flüssigkeit in den Magen eingeflossen, so wird 
der eingeführte Magenschlauch mit den Fingern gut zugeklemmt 
und rasch herausgezogen. 

Meist werden die Streikenden nach Anwendung der ge¬ 
schilderten Zwangsernährung durch die Nase es bald vorziehen, 
wieder selbst zu essen. Bleibt einer aber trotzdem hartnäckig 
und setzt den Hungerstreik wochenlang fort, so gehen wir zur 
Einverleibung fester, aber fein zerkleinerter Nahrung mittels 
Stempelspritzen aus Metall über. Kartoffelbrei, feinst verteiltes 
Gemüse, knochenloses, drei- bis viermal durch die Fleisch¬ 
maschine getriebenes Fleisch, verdünnt durch Fleischbrühe, 
bildet die Ernährungssubstanz in solch hartnäckigen Fällen. 
Statt des Trichters wird die mit einem Ansatz und Hahn ver¬ 
sehene Stempelspritze aus Metall an den Schlauch angeschlossen. 
Der Stempel wird herausgezogen, der Ablaufhahn geschlossen, 
darauf die Fütterungssubstanz eingegossen bis die Spritze etwa 



Dr. Jörns: Leichenpäss«. 


91 


dreiyiertel davon angefüllt ist. Nun wird der Stempel dei 
Spritze eingesetzt, der Ablaufhahn geöffnet und durch Druck 
auf den Stempel der Speisebrei durch den Schlauch in den 
Magen entleert. Füllen und Entleeren der Spritze geschieht 
so oft, bis die ganze Mahlzeit aufgebraucht ist, 

Weicher Kartoffelbrei, feinst verteiltes Gemüse kann auch 
ohne Anwendung der Spritze nach Eingießen in den Trichter 
dadurch in den Magen befördert werden, daß man mit den 
Fingern den Schlauch in der Richtung nach dem Mund aus¬ 
streicht und knetet. 

Alle etwa bestehenden Erkrankungen, die die Anwendung 
der Magensonde ausschließen, verbieten natürlich auch die Aus- 
führung der Zwangsernährung. 

Nach dem Gesagten komme ich zu dem Schluß, daß das 
angegebene Verfahren sowohl geeignet ist, den Trotz der Streiken¬ 
den zu brechen, als es auch anderseits, selbst bei längerer 
Renitenz, eine körperliche Schädigung vermeidet. 


Leichenpässe. 

Von Kreisarzt Dr. Jonu-Nordhanzen. 

Durch Erlaß des preuß. Ministers des Innern vom 3. Januar 
1922 ist bestimmt worden, daß für die Ausstellung von Leichen¬ 
pässen im Inlande zukünftig amtsärztliche Bescheinigungen nicht 
mehr zu fordern sind, sondern daß allgemein einfache ärztliche 
Zeugnisse genügen, sofern nicht gemeingefährliche Krankheiten 
den Tod herbeigeführt haben. Dieser Erlaß scheint mir nicht 
frei von schweren Bedenken zu sein. 

Es ist zugegeben, daß die Beschaffung von amtsärztlichen 
Bescheinigungen für Leichenpässe, namentlich in ländlichen Ort¬ 
schaften, umständlich sein kann, besonders dann, wenn etwa 
ein Landratsamt den Bürokratismus auf die Spitze treibt. Diese 
Umständlichkeit wird durch Einholung der kreisärztlichen Be¬ 
scheinigung aber kaum vermehrt; denn selbst auf dem Lande 
sind Verzögerungen nach meiner Erfahrung dann mit Leichtig¬ 
keit zu vermeiden, wenn der Fernsprecher benutzt und nach 
telephonischer Zustimmung des Kreisarztes der Leichenpaß von 
der Ortspolizeibehörde sofort ausgestellt wird. Die schriftlichen 
Unterlagen für die nachträgliche Ausstellung des amtsärztlichen 
Leichenscheines werden nachgeliefert. Ich habe dies seit Jahren 
so gehandhabt und niemals Klagen seitens der Ortspolizei- 
b4hörden gehört. Aber selbst zugegeben, daß unter Umständen 
4ich hierbei eine Leichenüberführung einmal um einen Tag ver¬ 
zögert, so sind diese Schattenseiten nicht so groß wie andere 
Bedenken, die dem eingangs erwähnten Ministerimerlaß entgegen¬ 
stehen. Ich darf dies an einigen Beispielen, die mir beim Durch¬ 
lesen des Erlasses in den Sinn kamen, erläutern: 

Vor einigen Wochen wurde mir seitens der PolizeiYerwaltnng der Stadt B. 
mitgeteüt, daß nach dem ärztlichen Lelcheaschanscheine ein junges Mädchen 



92 


Dr. Jörns: Leichenpässe. 


an Sepsis gestorben sei nnd in seinen Heimatsort überführt werden solle. Anf 
die am Fernsprecher aufgeworfene Frage nach der Ursache der Sepsis erhielt 
ich nach einigem Zögern vom Krankenhanse die Ansknnft, daß eine Fehlgeburt 
vorangegangen sei. Ich habe daraufhin gerichtliche Ermittlungen veranlaßt, 
die zur Leichenöffnung führten; die Leichenöffnung ergab eine verbrecherische 
Fruchtabtreibung; der Täter sitzt jetzt in Untersuchungshaft 

Ein anderes Beispiel: 

In einer hiesigen Frauenklinik war ein junges Mädchen an Wundstarr¬ 
krampf gestorben. Vor Ausstellung des Leichenüberführungsscheines erkundigte 
ich mich nach der Ursache des Wundstarrkrampfes. Angaben über eine Ver¬ 
letzung konnten mir nicht gemacht werden, nur wurde erklärt, daß eine Fehl¬ 
geburt vorangegangen sei. Ich veranlaßte die Leichenöffnung. Es fanden sich 
Nachgeburtsreste, in denen vom hygienischen Institut in Halle Tetanusbazillen 
nachgewiesen wurden. Also wieder eine verbrecherische Frnchtabtreibnng, die 
durch schmutzige Werkzeuge bewirkt war. In diesem Falle gelang die Er¬ 
mittlung des Täters nicht. 

Eia drittes Beispiel: 

Von einem Dorfe sollte die Leiche eines jungen Seminaristen nach dem 
katholischen Friedhofe hiesiger Stadt überführt werden. Der behandelnde Arzt 
bescheinigte als Todesursache Zahngeschwür mit Blutvergiftung. Sofort ein¬ 
geleitete Ermittlungen ergaben, daß ein hiesiger Zahntechniker einen hohlen 
Zahn mit Amalgam gefüllt hatte. Die Leichenöffnung ließ feststellen, daß 
von einem Wnrzelabszeß des Zahnes eine fortschreitende eitrige Entzündung 
mit Gebirnabszeß entstanden, daß also der Tod auf die unsinnige Behandlung 
des Zahntechnikers zurückzuführen war. Im Verlaufe der Untersuchung stellte 
sich heraus, daß der Zahntechniker an beginnender Hirnerweichung litt. Er 
starb vor seiner Aburteilung. 

In allen drei Fällen wäre, wenn es bei dem ärztlichen 
Zeugnis allein geblieben wäre, nichts erfolgt. Der Straf¬ 
rechtspflege dient also der Erlaß des Herrn Ministers nicht. 

Aber auch hinsichtlich der Seuchenbekämpfung ist er 
nicht frei von Bedenken. Nach dem Erlaß genügen auch für 
Typhus, Diphtherie, Scharlach usw. ärztliche Leichenüberfüh¬ 
rungsscheine. Wer von den beamteten Aerzten ist wohl davon 
überzeugt, daß jeder praktische Arzt in solchen Fällen die 
nötigen Vorsichtsmaßregeln der Ortspolizeibehörde bekannt 

f eben wird? In die Hand der praktischen Aerzte wird hierbei 
och aber gleichsam die Anordnung der Schutzmaßnahmen 
gegen die Verbreitung der Seuchen gelegt. Man wende nicht 
ein, daß die Ortspolizeibehörde ihrerseits für die Anordnung 
solcher Maßregeln verantwortlich ist. Dies stimmt auf dem 
Papier; wer aber ländliche Verhältnisse und ländliche Amts¬ 
vorsteher kennt, wird selten genug die amtsärztlichen Rat¬ 
schläge für überflüssig erklären dürfen. Nun ist freilich vor¬ 
geschrieben, daß bei ansteckenden Krankheiten der Todesfall 
zu melden ist, auch wenn der Erkrankungsfall bereits angezeigt 
wurde. Wie oft die praktiscken Aerzte diese Anzeige unter¬ 
lassen, darüber will ich nicht reden. Aber auch bei pünktlicher 
Erstattung der Anzeige gelangt die Meldung über die Orts¬ 
polizeibehörde doch wohl, namentlich wenn es sich um länd¬ 
liche Ortschaften handelt, in den seltensten Fällen so recht¬ 
zeitig in die Hände des Kreisarztes, daß er noch in die Lage 
kommt, der Ortspolizei Anweisungen über die Maßnahmen beim 
Begräbnis zu geben. Wir beamteten Aerzte werden gar bald 



Dr. Borntraeger: OberregiernngsratP 


95 


in der Lage sein, in solchen Fällen darüber zu berichten, wie 
der Sarg, wenn die Leiche vom Krankenhause im elterlichen 
Hause auf dem Dorfe angelangt ist, wieder geöffnet und wie 
Leichenschmäuse abgehalten werden. Bisher konnten wir dies 
wenigstens in allen denjenigen Fällen verhüten, in denen der 
Tod eines Kranken im Krankenhause erfolgt war. Kurz, auch 
schwerwiegende gesundheitspolizeiliche Bedenken lassen sich 
gegen den Erlaß Vorbringen. 

Auf die finanzielle Seite des Erlasses habe ich keinen 
Anlass einzugehen, ich bemerke nur, daß von vollbesoldeten 
Kreisärzten, und das werden doch wohl bald alle Kreisärzte 
sein, mit den amtsärztlichen Leichenüberführungsscheinen dem 
Staate bisher eine Geldsumme zugeflossen ist, die nach meiner 
begründeten Schätzung ausreichen würde, mindestens zwei 
Dutzend nicht vollbesoldete Kreisarztstellen in vollbesoldete 
umzuwandeln. 


Nicht Oberregierungsrat? 

Von Geh. Med.-Rat Dr. Borntraeger-Düsseldorf. 

Laut Bericht über die letzte Vorstandssitzung des Preußischen 
Medizinalbeamtenvereins in Nr. 24 unserer „Zeitschrift für Medi¬ 
zinalbeamte“ S. 613 ist seitens der anwesenden Vertretung des 
Wohlfahrtsministeriums erklärt worden: Die Verleihung des 
Amtsgrades „Oberregierungsrat“ sei bei dem Staatsministerium 
auf „unüberwindlichen Widerstand“ gestoßen, weil dieses die 
Ansicht, daß die Regierungs- upd Medizinalräte Vorsteher einer 
besonderen Abteilung seien, nicht teile. Beim Lesen dieser 
Feststellung faßt sich der alte Regierungs- und Medizinalrat 
an den Kopf — sofern man von einem solchen heute wenig 
bewerteten Körperteile bei einem zur Strafe für widerrechtliches 
Hinausschieben des fälligen manifesten Altersblödsinns, also ge¬ 
wissermaßen wegen „Dementia praecox“ gewaltsam pazifizierten 
Beamten überhaupt reden darf — also er sucht seine Kopf¬ 
stelle und ersucht sie vergebens um „Aufklärung“ über diese 
tatsachenfremde Anschauungsweise und deren „Unüberwind- 
licbkeit“. 

Wie liegen in Wirklichkeit die Verhältnisse? 

Ich will einmal von der mir am besten bekannten Düssel¬ 
dorfer Bezirksregierung ausgehen. Hier sind seit April 1921 
bisher 6 neue technische Oberregierungsräte ernannt worden: 
Der älteste Gewerberat, der älteste Schulrat, die 2 Tiefbauer 
und 2 der Hochbauer; ohne Oberrat ist geblieben das Medizinal¬ 
wesen, das Veterinärwesen und das Gewerbeschulwesen. Dabei 
besteht ein irgendwie durchgreifender Unterschied zwischen 
dem Maße der Amtsbefugnisse und der Selbständigkeit der 
Vertreter dieser beiden Gruppen von Beamten nicht; sie alle 
sind „Sachbearbeiter“, also Dezernenten oder Referenten bezw. 
Korreferenten für den Regierungs-Präsidenten und in gewissem 
Umfange für seine Vertreter, d. h. die Dirigenten der gesetzlich 



94 


Br. Borntr&ger. 


geschaffenen 2—3 Abteilungen; weitere „Abteilungen“ gibt 
es weder drüben noch hüben, sondern eben nur „Dezernate“ 
= sachliche Bearbeitungsstellen. 

Unter diesen hat seit jeher allenfalls der älteste Gewerberat 
etwas Besonderes in seiner Stellung insofern, als er für ein» 
zelne Arbeitsgebiete als „der Regierungs- und Gewerberat“ zu 
zeichnen hat, auch etwaigen anderen Gewerbeaufsichtsbeamten 
bei der Regierung gegenüber eine gewisse unmittelbare Vor- 
geordneteneigenschaft besitzt; doch tritt dies alles gegen seine 
Stellung als Referent in der Präsidial-Abteilung weit zurück. 
Jedenfalls unterscheiden sich die übrigen genannten technischen 
Beamten in nichts in bezug auf Selbständigkeit von den Re¬ 
gierungs- und Medizinalräten, ja, den zu Oberräten beförderten 
technischen Räten ist, soweit meine Kenntnis reicht, bisher 
auch gar keine erweiterte Einflußsphäre oder Vorzugsstellung 
eirigeräumt worden. Es ist dies eigentlich auch kaum möglich: 
Der Hochbauer behält nach wie vor sein materiell oder lokal 
abgegrenztes Arbeitsgebiet ohne Eingriffsmöglichkeit in den 
Tätigkeitsbereich seiner Fachgenossen; der Tiefbauer bleibt 
Korreferent im Eisenbahn-, Wasserbau- und Kanalisationswesen, 
und für den ältesten Schulrat ist ebenfalls kein Raum, 
neben den wirklichen Dirigenten der Schulabteilung be¬ 
sondere technische Oberratsbefugnisse auszuüben oder gar 
Vorgesetztenrechte geltend zu machen; er bleibt lediglich 
Dezlrnent für sein örtlich abgegrenztes Schulgebiet wie 
jeder andere Schulrat auch. Alle diese 6 zu Oberräten 
beförderten technischen Räte sind also in keiner Weise 
mehr als Vorsteher einer besonderen „Abteilung“ anzusehen 
als der Regierungs- und Medizinalrat, ja, zum Teil eher 
weniger, und hätten, wenn dieser Gesichtspunkt allein 
durchschlagend sein soll, die Oberratsklasse nicht erhalten 
dürfen. Will man aber entscheiden lassen, daß der eine Per¬ 
sonalien zu bearbeiten, der andere gewisse Aufsicht über andere 
Personen auszuüben habe, so sind das alles Amtsobliegenheiten, 
die der Regierungs- und Medizinalrat in ebensolchem Maße, ja, 
in erhöhtem Grade wahrzunehmen hat. 

Zunächst bearbeitet der Regierungs- und Medizinalrat die 
Personalien und Generalien der gesamten medizinischen 
Berufs- und Heil- wie Pflegestände, also der Kreis- und 
Gerichtsärzte, der Aerzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, 
Drogisten, Dentisten, Krankenschwestern, Kurpfuscher usw. 
seines Bezirkes, zumal in größeren Bezirken ein ungemein 
umfangreiches, einflußreiches und verantwortungsvolles, sehr 
selbständiges Arbeitsgebiet, wie es in gleicher Weise nach 
Zahl und Mannigfaltigkeit der Personen wohl kaum einem 
anderen Regierungsbeamten überwiesen sein dürfte. Den 
Kreisärzten und Gerichtsärzten wie Kreisassistenzärzten gegen¬ 
über ist er dabei, wenn auch nicht Vorgesetzter, so doch un¬ 
bestritten übergeordneter und die Geschäftsführung beaufsichtigen¬ 
der Beamter, für den etwaigen medizinischen Hilfsarbeiter an 



Nicht Oberregierangsrat ? 


95 


der Regierung Primus inter pares, für den in Zukunft im Vor¬ 
bereitungsdienst an den Regierungen beschäftigten medizinal- 
beamtlicnen Nachwuchs doch wohl Vorgesetzter, für die freien 
Aerzte Achtungsperson, um so mehr, als er auch zu ihnen bei der 
Besichtigung von Impfterminen, Krankenhäusern usw. bei der 
Durchführung der Schulhygiene, bei der Begutachtung von Be¬ 
amten als höherer Kontrollierender oder Obergutachter auftritt. 

Bei der Beaufsichtigung der Apotheken, Drogenhand¬ 
lungen, Krankenhäuser, Säuglingsanstalten, Medizinalunter¬ 
suchungsämter, Nahrungsmitteluntersuchungsanstalten, Wasser¬ 
werke usw. ist er selbständig auftretender und oft entscheidender 
Kommissar, im Ausschüsse für die Besichtigungen der Apo¬ 
theken und Drogenhandlungen dabei der Geschäftsführende 
und Leitende; er tritt zu dem Personal der hier erwähnten 
Anstalten dauernd in die Stellung einer Art technischen Aufsichts¬ 
führers. Vorsitzender ist er in den Prüfungsausschüssen für 
Apothekergehilfen, Krankenpfleger, Säuglingspflegerinnen, Wohl¬ 
fahrtspflegerinnen, Hebammen, Wochenpflegerinnen, Dentisten, 
Desinfektoren, Laborantinnen. In allen diesen Stellungen des 
Prüfungs- und Aufsichtswesens zeichnet er mit eigner Firma 
als „der Regierungs- und Medizinalrat“ und ist hier gewiß 
ebenso selbständig und einflußreich wie der Regierungs- und 
Gewerberat. 

Für die so überaus wichtige Bekämpfung der übertrag¬ 
baren Krankheiten, die nach meiner Auffassung der ältere Be¬ 
zirksmedizinalbeamte niemals ganz aus der Hand geben sollte, 
und für ihre fortgesetzte Vorbereitung wie für die Ausgestaltung 
der sozialen Hygiene ist der Regierungs- und Medizinalrat 
offiziel wie inoffiziell persönlich verantwortlich und zuständig 
und hat daher alle in Betracht kommenden nachgeordneten 
Organe zur Mitwirkung anzuhalten. 

Demgemäß hat das Medizinaldezernat der Präsidialabteilung 
sein eigenes Personal, zu dem zumal der Regierungs- und Medi¬ 
zinalrat im Vorgeordnetenverhältnisse steht, abgegrenzter, als 
mancher andere technische Oberrat. 

Dabei greift das Medizinal-Dezemat wie kein anderes — 
abgesehen allenfalls vom Justitiar — fortgesetzt mit wirkend in alle 
anderen Abteilungen und Dezernate der Regierung ein, so in 
der Schulhygiene, im Krankenhausbau, im Wasserversorgungs-, 
Abfuhr-, Wohnungs-, Ernährungs- und Reinhaltungswesen der 
Ortschaften, bei allen die Gesundheit des Menschen berührenden 
Fragen, so daß diese „Medizinalverwaltung“ in der Tat wie 
nur irgendein Fachgebiet als ein in sich abgeschlossenes Ganzes, 
mit dem Regierungs- und Medizinalrat als Spitze, erscheint und 
tatsächlich auch so von der ganzen Verwaltung selbst wie von 
der Bevölkerung gewertet wird. 

Ganz allgemein wird der Regierungs- und Medizinalrat 
als „der oberste Medizinalbeamte des Bezirks“ betrachtet; zu 
ihm geht, falls dieser nur halbwegs auf dem Posten ist, jeder, der 
irgend ein Anliegen von weiterreichender gesundheitlicher Be- 



96 


Dr. Borntraeger. 


deutung hat, so daß es gelegentlich zu Eifersüchteleien an 
anderen Regierungsstellen kommt; und wenn es in der Oeffent- 
lichkeit heißt „die Medizinal Verwaltung der Regierung ist der 
Ansicht“ oder „hat angeordnet“ oder „entschieden“, so weiß, 
sofern es sich nicht um große, verschiedene Verwaltungs¬ 
zweige gleichmäßig berührende Fragen handelt, jeder einiger¬ 
maßen Unterrichtete, welche Person dahinter steckt, und macht 
ihn, im Guten oder Bösen, verantwortlich, nicht den Regierungs¬ 
präsidenten oder Abteilungsdirigenten. 

Und ausgesucht diesem, so vielseitig in Anspruch ge¬ 
nommenen, mit so eigener Verantwortlichkeit wirkenden medi¬ 
zinischen Mitgliede der Bezirksregierung wird die gleiche An¬ 
erkennung der Selbständigkeit eines eigenen Fachgebietes ver¬ 
sagt, welche Bau-, Schul-, Gewerbeaufsichtsbeamten zugebilligt. 
wird! Und das in einer Zeit, in der urbi et orbi die Förde¬ 
rung gerade der Gesund hei tspf lege als gewissermaßen die 
Grundlage für die Wiedererstarkung des deutschen Volkes ver¬ 
kündet wird — da wird ebeD der offizielle Vertreter dieser 
Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung schlechter be¬ 
handelt als seine Kollegen auf anderen Fachgebieten! Und 
die Neigung zu dieser Schlechtbehandlung ist an den maßgeb¬ 
lichen Ministerialstellen so stark, daß sie von den Kräften in 
der preußischen Medizinal-Ministerialverwaltung nicht nieder¬ 
gerungen werden kann? Arme „Kräfte“, die selbst leider nie 
wahre Regierungs- und Medizinalräte waren! 

Wenn hier nicht ein Mißverhältnis allerschlimmsten Grades 
zwischen Wirklichkeit und Ansicht besteht, so weiß ich nicht, 
wo ein größeres eigentlich vorhanden sein könnte; jedenfalls 
ist es unerläßlich, daß ein energischer Kampf um die Stellung 
des Regierungs- und Medizinalrates vom Vorstande des Medi¬ 
zinalbeamtenvereins geführt und nicht aufgegeben wird, bis er 
gewonnen ist. 

Es kommt hier nicht in Betracht zu untersuchen, ob die 
neuerdings eingeführte Auflösung des einheitlichen Charakters 
der Bezirksregierung in viele einzelne mehr oder minder selbst¬ 
ständige fachliche Regierungszweige für das Ganze etwas 
Gutes ist. Ich persönlich bin mir, da ich mich bemühe, die 
Wohlfahrt der Gesamtheit derjenigen des Standes überzuordnen, 
völlig klar darüber, daß dieses Vorgehen dem Volksganzen 
schädlich ist. Wird aber trotzdem der Grundsatz der Auflösung 
und Verselbständigung der einzelnen Fachzweige in der Re¬ 
gierung eingeführt, so ist es völlig belanglos für das Ganze, 
ob man bei einem einzelnen Gebiete Halt macht oder nicht; 
es bleibt dann im ersten Falle nur die Zurücksetzung eines 
bestimmten Standes übrig. Und hiergegen hat der Stand die 
Pflicht, sich zur Wehr zu setzen. 

Warum auch hier wieder die Medizinalverwaltung gegen 
andere Verwaltungsberufe zurückgeblieben ist, und ob das 
durchaus nötig war, ist nicht klar. Ich kann mich von der 
Annahme nioht befreien, daß hier allgemeine innerpolitische 



Nicht OberregienugsratP 


97 


ebensowohl wie persönliche Verhältnisse eine Rolle wichtiger 
Art spielen. Auch hier wird der Vorstand des Medizinalbeamten¬ 
vereins Arbeit nach verschiedenen Richtungen zu leisten 
versuchen müssen. Eines aber geht unseren ganzen Stand ganz 
besonders an, und das ist das, was ich bereits in meinem Auf¬ 
sätze in Nr. 15 unserer Zeitschrift von 1921 S. 294 berührt habe, 
nämlich: Wir müssen immer mehr loskommen von der ärzt¬ 
lichen Behandlungstätigkeit, von der Verarztung von Präsidenten, 
Dezernenten und sonstigen Patienten, von der ganzen „Doktorei“, 
wir müssen einen geschlossenen Sanitätsbeamtenstand 
berausarbeiten. Auch in der „Fortbildung“ und „Wissen¬ 
schaft“ kann zu weit gegangen werden. Ein Kreisarzt, ein 
Regierung- und Medizinalrat, der immerfort Kurse hören muß 
und dabei von den jüngsten Leuten mit Vorträgen versehen wird, 
erweckt nach außen den Eindruck des Unfertigen, noch zu 
Belehrenden und kommt nicht leicht zur inneren Sicherheit. 
Wer mag ihn zum entscheidungskräftigen „Oberregierungsrat“ 
machen? Dazu noch ein Beispiel: 

Nach Seite 615 in Nr. 24 der Medizinalbeamten - Zeit¬ 
schrift konnte sich der Vorstand des Medizinalbeamten Vereins 
anscheinend nicht einigen, ob wir uns zu den „höheren Verwal¬ 
tungsbeamten“ oder zu den „wissenschaftlichen Staatsbeamten“ 
zu rechnen haben. Natürlich gehören wir zur ersten Gruppe, 
und der Vertretertag ist glücklicherweise auch dieser Meinung 
gewesen. „Wissenschaft“, sagte zu mir einmal der frühere be¬ 
deutende Kultusminister und spätere verdienstvolle Oberpräsident 
von Westpreußen v. Goßler, als ich die Wissenschaftlichkeit 
eines besonders geschätzten Regierungs- und Medizinalrats lobend 
hervorhob, „Wissenschaft kann ich reichlich an anderen Stellen 
haben; er ist ein praktischer, taktvoller und tatkräftiger Sanitäts¬ 
beamter, und das ist es, was ich an ihm besonders schätze“. 
Und dieses Urteil ist richtig. 

Natürlich brauchen wir als Medizinalbeamte eine ge¬ 
wisse ärztliche Erfahrung, medizinisches Urteil und einen 
Grundstock wissenschaftlicher Kenntnisse und müssen uns 
auf der Höhe des wirklichen Fortschritts halten; aber die 
Eigenart unseres Standes ist nicht ärztliche Behandlungs¬ 
und spezielle Diagnostizierungskunst und nicht das Betreiben 
eigentlicher „Wissenschaft“, sondern praktische technische Ver¬ 
waltungsfähigkeit, und dazu gehört praktischer Blick, Pflicht¬ 
gefühl, Tatkraft, Klarheit, Takt, Fähigkeit, die Ergebnisse der 
Wissenschaft und Erfahrung in die Tat umzusetzen, Zuverlässig¬ 
keit, Wille und Vermögen, sich durchzusetzen und zu überzeugen, 
und nicht zuletzt Standesbewußtsein. Gelingt es uns und 
unserm Verein, diese Eigenschaften in uns entwickeln zu helfen, 
dann werden wir auch nicht überall zurückgesetzt UDd oft nur 
als Objekte, sondern als den anderen gleichgeltende Subjekte der 
Verwaltung behandelt werden. Wir wollen und müssen mit 
den übrigen Verwaltungsberufen gleichen Schritt halten 1 



Dr. Trembnr. 


Unsere Zukunft. 

Von Kreisarzt Dr. H. Trembnr-Berlin-Wilmersdorf. 

In Berlin werden 15 Stadtärzte hauptsächlich in den Be¬ 
zirksämtern angestellt, die noch keinen mit der Leitung des 
Gesundheitswesens beauftragten Arzt als besoldetes Mitglied 
haben. Das läßt zunächst noch keinen anderen Gedanken auf- 
kommen, als daß in Berlin wie in so manchen anderen Städten 
die Kreisärzte ihre gesetzmäßige Tätigkeit fortsetzen werden, 
neben ihnen die Stadtärzte die Aufsicht über die besonderen 
kommunalen Einrichtungen gesundheitlicher Art und die be¬ 
ratende Tätigkeit der Bezirksverwaltung ausüben, und beide 
in einträchtiger Gemeinschaftsarbeit das Volks wohl zu fördern 
bestrebt sein sollen. 

Diese Annahme ist aber falsch. Ich empfehle die Beach¬ 
tung folgenden Abschnittes aus einem Aufsatz von Professor 
W.Hoffmannin der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“ 
über „Die Neuorganisation des Gesundheitswesens in der Stadt¬ 
gemeinde Berlin“. Da der Verfasser Direktor in dem Medi¬ 
zinalamt des Magistrates Berlin ist, kann das Mitgeteilte als 
der Ausdruck der Bestrebungen der Stadtverwaltung angesehen 
werden, zumal die Unterrichtung der deutschen Aerztesohaft 
sein Zweck ist. Ich gebe den entsprechenden Abschnitt wörtlich 
wieder: 

..Früher hatte man auch erwogen, die Gesundheitspolizei vom 

Polizeipräsidium auf die Stadt za übernehmen, doch hat man von diesem Ver¬ 
lach Abstand genommen, da er zurzeit als aassichtlos erkannt war. Ob man 
in einer nicht mehr allza fernen Zakanft diesen Qedanken wieder aofnehmen 
wird, läßt sich heute nicht mit Sicherheit bejahen. Es hängt diese Möglichkeit 
von dem weiteren Bestehen der kreisärztlichen Funktionen and a. a. auch davon 
ab, ob and wie sich die Kommanalärzte besonders nach ihrer Vor- and Aus¬ 
bildung in den sozialhygienischen Akademien ihren großen Aufgaben gegen¬ 
über gewachsen zeigen werden. Nicht jeder Arzt, and wenn er noch so viele 
Kenntnisse and Ideen hat, eignet sich zam Verwaltungsbeamten, nicht jeder 
vermag der in einem geordneten Geschäftsbetrieb einmal nicht za entbehrenden 
Verwsdtangstechnik das erforderliche Interesse entgegenzabringen. Dieser 
Mangel wird and maß ihm seine Tätigkeit and seine Stellung besonders an¬ 
deren mit größerer Gewandtheit auf diesem Gebiet gegenüber erschweren. 
Eine solche in jeder Hinsicht zuverlässige Dienststelle maß aber in jeder 
Kommane vorhanden sein, wenn der Staat die Ausführung der gesandheits- 
polizeilichen Bestimmungen (Seachengesetze usw.) kommanalen Beamten in die 
Hand geben soll. Jetzt, wo die Nachfrage nach geeigneten Kommanalärzten 
besonders groß ist, wo immer mehr Städte and Gemeinden ihren Stadt- oder 
Gemeindearzt verlangen, maß man bei der Auswahl eine gewisse Vorsicht 
walten lassen; haben die 8 sozialhygienischen Akademien in Berlin-Charlotten- 
barg, Düsseldorf and Breslaa erst für geeigneten Nacbwachs gesorgt, ist 
ferner in den Kommunen den Stadtärzten die selbständige Leitung des gesund¬ 
heitlichen Aufgabenkreises mit voller Verantwortung gesichert, dann wird man 
sich im Staat aach hinsichtlich der Debertragang der Gesandheitspolizei auf 
die Kommane nicht mehr so ablehnend verhalten können. . . .“ 

Es kommt also mit nackten Worten auf die Verdrängung 
der Kreisärzte heraus. Der erste Versuch dazu ist seitens der 
Stadt gemacht. Die staatliche Aufsichtsbehörde hat sich, wie 
angenommen werden kann, diesem Versuch widersetzt. Es 
wäre für uns Kreisärzte wichtig, au erfahren, womit der ab- 




Unser« Zukunft. 


99 


sohlägige Bescheid an die Stadtverwaltung begründet worden 
ist; sie hat Kenntnis davon erhalten, wir, deren Daseinsberechti¬ 
gung von der Stadt angegriffen worden ist, nicht. Die Stadt 
Berlin hat sich von der Stichhaltigkeit der Gründe nicht 
überzeugen lassen, da sie ja in nicht zu ferner Zeit den Ge¬ 
danken unter Umständen wieder aufzunehmen gedenkt. Zu 
diesen Umständen gehört aber die Möglichkeit der Abschaffung 
der kreisärztlichen Funktionen. Da auf die kreisärztlichen 
Funktionen in einem Staat von 40 Millionen Einwohnern nicht 
verzichtet werden kann, gehen wir nicht fehl mit der Annahme, 
dafl es sich nicht um die Abschaffung der Funktionen, sondern 
um die Abschaffung der Kreisärzte handelt, und zwar nach 
dem Sinne des obigen Artikels nicht um die Kreisärzte in 
Berlin, sondern um die Kreisärzte im Staat. 

Deshalb hat die Gesamtheit der Kreisärzte ein großes 
Interesse die Gründe zu erfahren, die die Stadtverwaltung Ber¬ 
lins zur Beseitigung der Kreisärzte vorgebracht hat, und der 
Gegengründe, durch die seitens des Ministeriums der Antrag 
abgelennt ist. Für die Beurteilung des beiderseitigen Stand¬ 
punktes wäre wissenswert, ob nicht auch die Wahrnehmung der 
Geschäfte eines ärztlichen Beraters im Bezirksamt durch die 
Kreisärzte erörtert, oder warum sie event. abgelehnt worden 
ist. Bei der Geldnot der Städte und des Staates sollte man 
annehmen, daß auch eine sachliche Erörterung des letzten 
Punktes nicht unterblieben ist. 15 Bezirksärzte erfordern allein 
für Berlin einen jährlichen Mehraufwand von über einer halben 
Million. Dazu würden die Wartegelder für die außer Tätigkeit 
gestellten oder zu versetzenden Kreisärzte kommen. Von 
diesen würde ein Teil sicher dazu beitragen, daß der Prozent¬ 
satz der Berliner Kassenärzte mit einem das Existenzminimum 
überschreitenden kassenärztlichen Einkommen noch kleiner als 
3,6 wird, als wie es für dieses Jahr berechnet ist. Die Summe, 
welche die vollbesoldeten Kreisärzte allmonatlich von ihren 
Einnahmen an die Staatskasse abführen, kommen ebenfalls in 
Fortfall. Die Ausgaben der Stadt werden also gewaltig erhöht, 
die Einnahmen des Staates verringert. Circulus vitiosus! 

Beachtungswert ist die Unsicherheit der Medizinalver¬ 
waltung Berlins, ob die zukünftigen Kommunalärzte nach ihrer 
Vor- und Ausbildung in den sozialhygienischen Akademien 
ihren großen Aufgaben gegenüber sich gewachsen zeigen werden. 
Wir Kreisärzte stellen unseren jungen Kollegen, die uns nach 
der Absicht Berlins ersetzen sollen, eine freundliche Prognose 
und wünschen, daß sie in der schwierigen und verantwortungs- 
reichen Tätigkeit die Befriedigung und den Erfolg finden mögen, 
auf die wohl die meisten von uns dereinst zurückblicken werden. 
Es wird ihnen das um so eher glücken, je mehr sie sich Vor¬ 
halten, daß nicht die Erlernung der Verwaltungstechnik und 
der Gesetze, sondern Erfahrung in der praktischen Hygiene, 
Kenntnisse der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verwaltungs¬ 
bezirkes, Menschenkenntnis, tiefes Empfinden für die Bedürf- 



100 


Dr. A. Grotjahn: Berichtigung. 


nisse der Volksgenossen und Rückgrat gegen Einflüsterungen 
Voraussetzung für ein gedeihliches Wirken sind. Hoffentlich 
werden sie nicht zu sehr enttäuscht sein, wenn sie die Schatten¬ 
seiten der kreisärztlichen Tätigkeit erkennen. 

Der Stadtverwaltung Berlins haben geeignete Persönlich¬ 
keiten, die die erforderliche Verwaltungstechnik und Zuver¬ 
lässigkeit z. B. zur Ausführung der gesundheitspolizeilichen Be¬ 
stimmungen (Seuchengesetze usw.) besitzen, scheinbar noch 
nicht zur Verfügung gestanden; den Versuch zur Abschaffung 
der Kreisärzte hat sie aber gemacht und will ihn wiederholen, 
bis er zu dem erstrebten Ziel führt. Videant consules! 


Berichtigung. 

Auf Seite 32 der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 
20. Januar 1922 ist in einem vom Herausgeber gezeichneten 
Aufsatze vom sozialdemokratischen Parteiprogramm 
gesagt worden, daß es „bekanntlich die planmäßige Beseitigung 
aller bisher tätigen Beamten wie sonstiger Personen und den 
Ersatz durch Parteigenossen fordert unter sorgfältiger Berück¬ 
sichtigung ihrer Gesinnungstüchtigkeit.“ 

Diese irrtümlichen Angaben sind dahin zu berichtigen, 
daß das im Jahre 1921 auf dem Parteitag in Görlitz beschlossene 
Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 
ausdrücklich und wörtlich fordert: „Sicherung und Ausbau 
der staatsbürgerlichen und wirtschaftlichen Rechte 
der Beamten.“ 

Im gleichen Aufsatze ist auf Seite 675 der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte vom 20. November 1921 zurückverwiesen, wo 
die Richtlinien mitgeteilt worden sind, die von einem 
Programmunterausschuß zwecks Vorbereitung eines Gesundheits¬ 
programmes der S. P. D. aufgestellt wurden. Diese Richtlinien, 
die infolge Zurückstellung des Gesundheitsprogrammes übrigens 
noch keine parteioffizielle Annahme erfahren haben, enthalten 
ebenfalls nichts von einer „planmäßigen Beseitigung aller bis¬ 
herigen Beamten unter sorgfältigster Berücksichtigung ihrer 
Gesinnungstüchtigkeit. a Dessen zum Beweise mögen sie hier 
noch einmal wiederholt werden: 

„Uebernahme des gesamten Heil- and Gesundheitswesens in den Ge¬ 
meinbetrieb unter Beseitigung jeglicher privatkapitalistischen Wirtschafts¬ 
form. Vereinheitlichung des sozialen Versicherungswesens und seine Ausdehnung 
auf alle Volksangehörigen. Uebernahme und Ausbau der Krankenanstalten, 
Ambulatorien, Polikliniken und gesundheitlichen Fttrsorgeeinrichtungen sowie 
aller sonstigen, der öffentlichen Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen in 
Stadt und Land. Eingliederung der Aerzte, Hebammen und des übrigen Heil¬ 
and Krankenpflegepersonals in die Gesamtorganisation des Heil- und Gesund¬ 
heitswesens unter planmäßiger Verteilung auf Stadt und Land bei sorgfältigster 
Berücksichtigung der Arbeitsteilung und Arbeitsersparnis sowie Zuhilfenahme 
aller technischen Hilfsmittel. Sozialisierung der Apotheken und aller Stätten 
der Herstellung, des Handels und des Vertriebs von Heilmitteln und Sanitäts¬ 
waren. Unentgeltliche, würdige und gleichartige Totenbeslattung in der Form 
4er Beerdigung oder Einäscherung nach erfolgter ärztlicher Totenschau.* 



Dr. Bapnmnd: Erwiderung. 


101 

Es sei ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß im 
ersten Satze steht „in den Gern ein betrieb“, nicht Gemeinde¬ 
betrieb, wie auf Seite 575 der Nummer vom 20. November 1921 
gedruckt zu lesen ist. Nur kritiklose Gegnerschaft könnte ver¬ 
kennen, daß es sich hier um einen Druckfehler handelt, da 
selbstverständlich noch niemand in der Sozialdemokratischen 
Partei daran gedacht hat, Reich, Staat und Versicherungsträger 
von der Gesundheitspflege auszuschließen. Dieser Druckfehler 
kommt auf das Konto der Zeitschrift für Medizinalbeamte, denn 
in der angeführten Quelle, der Nr. 21 des Jahrg. 1921 der Zeit¬ 
schrift für ärztliche Fortbildung, ist er nicht zu finden. 

Prof. Dr. A. Grotjahn, M. d. R. 

Erwiderung. 

Erst durch die vorstehende Berichtigung bin ich darauf 
aufmerksam geworden, daß sich in dem s. Z. in Nr. 22 dieser 
Zeitschrift, 1921, mitgeteilten Richtlinien für das Parteiprogramm 
der Mehrheitssozialisten auf dem Gebiete der Gesundheitspflege 
ein offenkundiger Druckfehler eingeschlichen hat und statt 
„Gern ein dienst“ irrtümlich „Gemeindedienst“ gedruckt ist. 
Es hätte deshalb eine einfache Berichtigung genügt und sich 
eine weitere Ausführuug dazu als höchst überflüssig erübrigt. 
Etwas anderes ist es mit dem anderen, viel wichtigeren Teil 
der Berichtigung: Hier wird z. T. etwas berichtigt, was ich 
gar nicht behauptet habe; denn in Nr. 22, Jahrg. 1921, S. 535, 
nabe ich keineswegs die Ansicht vertreten, daß in den Richt¬ 
linien etwas „von einer planmäßigen Beseitigung aller bis¬ 
herigen Beamten unter sorgfältiger Berücksichtigung ihrer Ge¬ 
sinnungstüchtigkeit enthalten sei“, sondern ich habe nur ebenso 
wie in Nr. 2 dieser Zeitschrift vom 20. Januar d. J., S.32 ausdrück¬ 
lich von einem sozialdemokratischen Parteiprogramm 
in bezug auf die Beamten gesprochen. Nach Mitteilung von 
Prof. Dr. Grotjahn soll dies allerdings in Wirklichkeit nur „die 
Sicherung und Ausbau der staatsbürgerlichen und wirtschaft¬ 
lichen Rechte der Beamten fordern“. Diese Forderung steht aber 
in schroffem Widerspruch mit dem tatsächlichen Vorgehen 
der Mehrheitssozialisten auf diesem Gebiete; dafür geben alle 
die deutschen Länder mit sozialistischen Mehrheiten wie Sachsen, 
Thüringen, Braunschweig und Anhalt sowie die sozialistischen 
Regierungen im Reiche, Preußen usw. gleich nach der Revolution 
den schlagendsten Beweis. Nicht nach Worten und schön aus¬ 
gearbeitetem, oft nur auf Stimmenfang ausgehendem Partei¬ 
programm, sondern nach ihren Werken und ihrem tat¬ 
sächlichen Vorgehen soll man den Charakter, die Ziele, 
und damit das tatsächliche Programm einer Partei beur¬ 
teilen. Dem gegenüber wird aber selbst der Sozialdemokrat 
Herr Prof. Dr. Grotjahn nicht leugnen können, daß seine 
Partei mit allen Mitteln bestrebt gewesen ist, ihnen nicht ge¬ 
nehme Beamten und sonstige Personen trotz ihrer Tüchtigkeit 



102 


Bericht Ober die amtliche Versammlung 


zu beseitigen und durch Parteigenossen unter sorgfältiger Be¬ 
rücksichtigung ihrer Gesinnungstüchtigkeit zu ersetzen. Wenn 
er dies in Abrede stellt, dann hat er entweder seit November 
1918 geschlafen oder ist überhaupt kein zielbewuflter Sozial¬ 
demokrat. 

Die vorstehende Berichtigung ist somit lediglich als Druck¬ 
fehlerberichtigung anzuerkennen; in sachlicher Hinsicht mufi sie 
aber als Berichtigung unbedingt abgelehnt und ihr gegenüber 
die Richtigkeit unserer Ansicht nochmals ausdrücklich betont 
werden, _ Rpd. 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Aber die amtliche Teraammlanf der HedlBlmal- 
beamten des Begiernngsbesirks Koblenz am 7. November 
Im Sitzungssaal der Beglernng. 

Anwesend: Der Regierungspräsident und sämtliche Medizinalbeamten 
des Bezirkes mit Ausnahme des Kreismedizinalrates von Simmern, sowie 
der stellvertretende Direktor des Uedizinaluntersuchungsamtes und als Gäste: 
Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Grisar und Geh. Med.-Rat Dr. Roeder, 
Dr. Dahm, Beigeordneter der Stadt Koblenz und San.-Rat Dr. Heubach, 
Stadtarzt in Wetzlar. 

Zum Schriftführer wurde Dr. Lustig in Koblenz bestimmt 

Herr Reg.-Präsident v. Gr Önin g eröffnet« die Sitzung, begrüßte in 
herzlichster Weise die erschienenen Medizinalbeamten nnd gab seiner besonderen 
Frende darüber Ansdruck, daß auch der langjährige, verdiente frühere Reg.- und 
Geb. Med.-Rat Dr. Grisar sowie Geh. Med.-Rat Dr. Roeder-St Goar 
als Ehrengäste an der Versammlung teilnebmen. Die den Medizinalbeamten 
obliegenden Aufgaben seien ihm aus seiner früheren amtlichen Tätigkeit nicht 
fremd. Der Weltkrieg habe trotz seines unglücklichen Ansganges der Medizinal¬ 
verwaltung nicht nur große Erfolge und berechtigte Anerkennung eingetragen, 
sondern auch die vielseitige Anregung zur Erhaltung und Hebung der Volka- 
gesundheit gebracht namentlich in bezug auf die genaue Erforschung von 
übertragbaren Krankheiten sowie auf sozialbjgienischem Gebiete. Neue Auf¬ 
gaben seien hier den Medizinalbeamten erwachsen, die eine große Entwicklungs¬ 
möglichkeit in sich tragen. UeberaU sehen wir pulsierendes Berufsleben. 
Auch die heutige Versammlung solle diesen Aufgaben dienen; möge über ihrem 
Verlauf und ihrem Ergebnis ein guter Stern stehen I 

I. Die Desinfektion bei übertragbaren Krankheiten nach dem 
Minlsterialerlaß vom 8. Februar 1921. Berichterstatter: Kr.-Med.-Rat Dr. 
Lemke in Koblenz: 

Absonderung und Desinfektion sind im wesentlichen die Mittel zur Be¬ 
kämpfung von Infektionskrankheiten. Die Absonderung ist das wirksamste 
Mittel und boII am ersten gebraucht werden. 

Die Abänderungen der nenen Desinfektionsvorschriften, die nur die über¬ 
tragbaren und nicht die gemeingefährlichen Krankheiten betreffen, erstrecken sich 

1. auf die Zahl der durch Einzelvorschriften behandelten Krankheiten, 

2. auf die Zeit und Art der Desinfektion, 

8. auf die Mittel der Desinfektion, 

4. auf die Ueberw&chung der Desinfektion und 

6. auf die Kosten der Desinfektion. 

1. Für Kindbettfieber werden die Desinfektionsvorschriften stark 
gemildert, eine Schlußdesinfektion fällt ganz fort; für Milzbrand und Rots 
tollen jedem Falle angepaßte EinzelvorBchriften im Rahmen der Vorschriften 
für Diphtherie und Scharlach gegeben werden. 

2. Die neuen Vorschriften bevorzugen die laufende Desinfektion 
am Krankenbette, die bei Typhus, Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Rotz und Milz¬ 
brand erfolgen und von der Pflegerin des Kranken aasgeführt oder von einer 



der Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Koblenz. 


106 


Desinfektionsperson bei Besuchen in 2—8 tägigen Zwischenräumen überwacht 
«erden soll. An die Stelle der alten Schlußdesinfektion tritt in der Regel die 
logenannte vereinfachte Schlußdesinfektion, die von derselben 
Fareon selbsttätig ohne Auftrag sofort nach Tod, Genesung oder UeberfQhrung 
in Krankenhaus vorgenommen werden soll. Andernfalls wird sie sofort von 
der Ortspolizeibehörde angeordnet. Die erweiterte Schlußdesinfektion kann, 
sonn die Verhältnisse besonders ungünstig liegen (in Pensionaten, Lebens¬ 
mittelgeschäften), angeordnet werden. Durch diese Maßnahmen tritt vor allem 
uch eine Beschleunigung der Schlußdesinfektion ein. 

Die ganze Desinfektion ist jetzt trotz der Vereinfachung der Schlu߬ 
desinfektion viel intensiver und wirksamer. Die Sache ist aber eine Personal- 
frage. In größeren Städten, in Kreisen, die mit einem Netz von Schwestern 
tberzogen sind, ist das Personal vorhanden und braucht nur ausgebildet zu 
«erden. In den meisten Kreisen muß dagegen das Personal erst beschafft werden. 

Jeder Kreisarzt muß sich über die Zahl der anzustellenden Schwestern 
lud Desinfektoren schlüssig werden. Ob die Zahl der Hebammen oder der 
fiazelärzte eines Kreises zu Grunde zu legen ist, muß die Erfahrung lehren. 
Das Desinfektorenpersonal muß über den ganzen Kreis zerstreut werden und 
Tor allem am Sitze des Einzelarztes je eine Desinfektionsperson wohnen. 

8. In den Vordergrund treten die chemischen flüssigen Desinfektions¬ 
mittel infolge der Betonung der laufenden Desinfektion; Formalinlösung fällt 
jedoch fort. Alle anderen Mittel bleiben, neue kommen nicht hinzu. 

Die Einzelvorschriften unterscheiden: a) Desinfektion der Transport¬ 
mittel, b) laufende Desinfektion, c) vereinfachte 8chlußdesinfektion, d) erweiterte 
Schlußdesinfektion. 

Die laufende und vereinfachte Schlußdesinfektion erfordert in der Haupt- 
Sache chemische Mittel. Bevorzugt wird die 0,1 # / 00 Sublimatlösung, 
hei einigen Gegenständen soll sie nur allein angewendet werden. Bei anderen 
Bteht die Wahl zwischen Sublimat und Kresolwasser frei. Verbrennen 
▼on Gegenständen, Auskochen kann bei geeigneten Gegenständen angewendet 
werden. Dampf Sterilisation ist nicht vorgeschrieben. Kalkmilch 
■oll zur Desinfektion von Stuhlgang, Urin, Abortkübeln angewendet werden. 
Chlorkalk zur Desinfektion von Badewasser. 

Transportmittel enden im Krankenhaus mit Dampfsterilisations- 
■pparat. Bei ihnen nimmt die Desinfektion im strömenden Wasserdampf die 
wite Stelle ein (Decken, Kissen, Ueberzüge usw.) Nur der Fußboden, Wände usw. 
lind mit Sublimatlösung bezw. Kresolwasser zu desinfizieren. 

Eine Sonderstellung nimmt die Tuberkulose ein, da der Taberkel- 
hacillus widerstandsfähiger als 'andere Keime ist. Als chemisches flüssiges 
ttttel soll nur Sublimat in verstärkter Lösung 0,6°/«o gebraucht werden. 
Die Schlußdesinfektion beim Wechsel der Wohnung, also der leeren Räume, 
i<t hier eine vereinfachte. Sie besteht im Scheuern von Fußböden und in der 
Anwendung von verstärkter Sublimatlösung; 6 Stunden lang auf Fußböden 
und beschmutzte Wandstellen. 

Vorschriften für Desinfektion von Transportmitteln fehlen. 

4. Die Ueberwachung der Desinfektoren hat wie bisher der 
Kreisarzt, daneben sind dem behandelnden Arzte gewisse Rechte ein- 
gerinmt; er kann z. B. auch selbständige Anordnungen treffen. (Bestellung 
von Desinfektionsschwestern, Anordnung der Desinfektion von Abgängen in 
der Wohnung durch Desinfektionspersonal usw.). Die Ortspolizeibehörde soll 
Jftr die vereinfachte Schlußdesinfektion selbständig sorgen; die Gemeindebehörden 
lind bei allen Desinfektionsfragen zu beteiligen. 

6. Die Kosten werden im wesentlichen den Kommunen und Kommunal- 
verbänden übertragen; teilweise können sie von den Haushaltungen eingezogen 
werden. Hoffentlich wird von letzterer Möglichkeit möglichst wenig Gebrauch 
gemacht. 

Die neuen Vorschriften bedeuten nach Ansicht des Berichterstatters eine 
entschiedene Verbesserung; sie holen aus dieser Bekämpfungsmögliohkeit von 
Seuchen alles heraus, was herauszuholen ist. Bei ungünstigen, übervölkerten 
Wohnungen wird allerdings der Desinfektion auch bei Anwendung der neuen 
Vorschriften der Erfolg versagt. Hier kann nur die Absonderung im 
Krankenhaus helfen; für diese sind ebenfalls neue Vorschriften nötig, die nicht 



104 


Bericht über die amtliche Versammlung 


bloß bestimmen, wann sie anznordnen, sondern auch, in welcher Weise sie aus- 
zu führen ist. Vor allem sind aber die Kosten der Absonderung der Allgemeinheit 
aufzubürden. 

Aussprache. 

Beg.- u. Med-Bat Dr. Hatthes: Die neuen Desinfektionsvorschriften 
haben auch ron beachtenswerter Seite mancherlei Kritik erfahren, indes bleibt 
abzuwarten, wie sie sich in der Praxis bewähren werden. Es ist zweifellos, 
daß die Schlußdesinfektion in der alten Form in vielen Fällen illusorisch 
war, weil sie nicht in der richtigen Zeit und in der richtigen Weise ausgeführt 
wurde. In vielen Fällen wird sie auch überflüssig durch bessere Ausführung 
der laufenden Desinfektion. Ob dies aber in der geplanten Weise 
durchführbar ist, muß erst durch praktische Erfahrungen erstarkt werden. 
Hier wird dies in absehbarer Zeit schon aus Mangel an ausgebildetem Personal 
nicht möglich sein, weil es dem Vertreter des bis zum Eintritt in den Buhe¬ 
stand dauernd beurlaubten Direktors des Medizinaluntersuchungsamtes, bei 
Nichtbesetzung der Assistentenstelle neben seinen sonstigen Aerzten kaum ge¬ 
lingen dürfte, Zeit für die Ausbildung der vorhandenen und der neu auszu- 
bildenden Desinfektoren, Krankenpfleger und Schwestern zu finden. 

Beigeordneter Dr. Dahm: Die erfolgreiche Durchführung der neuen 
Desinfektionsvorschriften wird in den Stadt- und Landkreisen voraussichtlich 
auf große Schwierigkeiten stoßen. Das Personal für die Desinfektion muß 
eine große Vermehrung erfahren. Da die Schlnßdesinfektion nicht ganz auf¬ 
gehoben ist, müssen die Desinfektionsanstalten mit den hauptamtlichen Des¬ 
infektoren besteben bleiben. Daneben muß eine größere Anzahl männlicher 
und weiblicher Desinfektoren ausgebildet werden, die meist nur in nebenamt¬ 
licher Stellung tätig sein können. Auch der Zutritt zum Krankenbette wird 
nicht immer gestattet werden. Die neue Desinfektionsordnung bedeutet ferner 
für die Stadt- und Landkreise, die bisher schon die Kosten der Desinfektion 
übernommen hatten, eine ganz wesentliche finanzielle Belastung. Ein prak¬ 
tischer Erfolg ist nur zu erwarten, wenn es gelingt, die praktischen Aerzte 
zur tatkräftigen Mitarbeit heranznzieben und wenn ihnen die Ueberwachnng 
der laufenden Desinfektionen am Krankenbette überlassen wird. 

Kr.-Med.-Bat Dr. Tilling-Neuwied: Es fehlt im Landkreise durchaus 
an Aufsichtspersonal. Die weitgehende Berücksichtigung der Wünsche des 
behandelnden Arztes hemmt die Tätigkeit des Medizinalbeamten und darf 
nicht zu weit gehen, wie Bedner durch Beispiele nachweist. Sublimat als 
Desinfektionsmittel bei Tuberkulose ist nach facbärztlichem Urteil ungeeignet. 
Die Schlußdesinfektion muß vorerst beibebalten bleiben. Weitgehende 
Krankenhausüberweisungen sind dringend geboten. 

Geh. Med.-Rat Dr. Grisar-Koblenz verwirft ebenfalls die Anwendung 
von starker Sublimatlösung bei Tuberkulose. Als hervorragendes Desinfektions¬ 
mittel empfiehlt er 70°/o Alkohol. 

II. Die Beaufsichtigung der Hebammen nach Einführung eines 
Hebammeugesetzes. Berichterstatter: Med.-Bat Dr. Klrcbgässer-Koblens: 
Da der Kreisarzt Mitglied der künftigen Kreisbebammenstelle ist, so ist wohl 
kaum zu befürchten, daß die eigentliche kreisärztliche Bebammenaufsicht durch 
Einschaltung dieser beratenden Körperschaft zwischen Landrat und Kreisarzt 
erheblich beeinflußt werden wird. Auch sonst enthält der vorliegende Entwurf 
keine Vorschriften, die das bisherige dienstliche Verhältnis zwischen Kreisarzt 
und Hebamme in wesentlichen Punkten berühren. In Hebammenkreisen scheint 
allerdings der Wunsch nach Abänderung zu bestehen. Wenn auf dem Hebammea- 
tag von „Verbören* bei den Nachprüfungen gesprochen wird, so liegt darin 
zwischen den Zeilen ein abfälliges Urteil über die Nachprüfungen, wenigstens 
in ihrer jetzigen Form. Auch sonst herrscht in gewissen führenden Kreisen 
der Hebammen, wie man aus Versammlungsberichten gelegentlich entnehmen 
kann, die Ansicht, daß der Hebammenstand unter besonders strengen Auf¬ 
sichtsbestimmungen zu leiden habe. Solche Ansichten sind, wenn man sich 
auf den Hebammenstandpunkt stellt, nicht ganz unberechtigt. Die geprüften 
Kranken- und Säuglingsschwestern unterstehen, insofern sie freie Praxis aus* 
üben, keinerlei staatlicher Aufsicht; es besteht nicht einmal die Meldepflicht 
beim Kreisarzt; Fürsorgeschwestern haben bei den Kreiaverwaltungen eine 
mehr oder weniger selbständige Stellung, zu der die vollkommene Abhängigkeit 



der Medizfnalbeamten des Regierungsbezirks Koblenz. 10B 

der Hebammen vom Kreisarzt in einem krassen Gegensatz steht, der darch 
nichts gerechtfertigt scheint. 

Ein zutreffendes Orteil Aber das Wissen einer Hebamme bei einer 
Nachprüfung zu gewinnen, ist unmöglich. Man lernt seine Hebammen bei 
Besprechungen unter vier Angen anläßlich der Erstattung Ton Meldungen viel 
besser kennen. Die unvermuteten Revisionen sind ebenfalls nichtsehr 
hoch zu bewerten. 

Allzu große Strenge der Aufsicht verleitet zu Unaufrichtigkeit. Polizei¬ 
strafen auf Grund der bestehenden Reg.-PoL-Verordnung hat Berichterstatter 
■ur in den seltensten Fällen beantragt, er glaubt mehr Erfolg gehabt zu 
haben durch Besprechung seiner Feststellungen — ohne Nennung des Namens — 
im Hebammenverein. Vorträge im Kreisbebammenverein hält er für geeigneter 
zur Fortbildung der Hebammen, wie die Nachprüfungen. Auch die unvermuteten 
Revisionen will er einsohränken, ebenso die Meldepflicht, die nicht so sehr der 
Beaufsichtigung, als der Entlastung der Hebammen dienen soll. Dnrch die 
Berichterstattung und Erteilung von Anweisungen übernimmt der Kreisarzt 
die Verantwortung für den weiteren Verlauf des Falles. An Stelle der Nach¬ 
prüfungen sollen ferner häufigere, aber kürzere Fortbildungslehrgänge in der 
Anstalt dienen. Seine Vorschläge lauten: 

1. Die kreisärztlichen Nachprüfungen können durch regelmäßige 
Vorträge in den Hebammenvereinssitzungen ersetzt werden. 

2. Jede Hebamme ist verpflichtet, dem Kreishebammen verein bei¬ 
zutreten. Hebammen, die nicht mindestens an einer Vereinssitzung im Ver¬ 
laufe eines Jahres teilgenommen haben, müssen an einer kreisärztlichen Nach- 
piQfung teilnehmen. 

3. An Stelle der regelmäßigen kreisärztlichen Nachprüfungen treten 
kurze Wiederholungslehrgänge in der Hebammenlehranstalt, an denen 
jede Hebamme alle 3—4 Jahre teilnehmen muß. Die Hebammen erhalten für 
die Teilnahme an den Vereinssitzungen und Wiederholungslehrgängen Tage¬ 
gelder und Reisekosten von den Hebammebenbezirken bezw. von den Kreisen. 

4. Die regelmäßigen unvermuteten Revisionen fallen fort, ge¬ 
legentliche unvermutete Revisionen sind zulässig. 

5. Es empfiehlt sich, die Meldepflicht einzuschränken. 

Zum Schluß macht Berichterstatter auf ein von ihm vor Jahren ent¬ 
worfenes statistisches Formular (Nr. 171 Dickmann, Altenkirchen) auf¬ 
merksam, das die Hebamme alljährlich mit dem Tagebuch einzureichen bat. 
Br benutzt es seit Jahren und glaubt die Einführung empfehlen zu können. 

Aussprache. 

Reg.- u. Med.-Rat Dr. Matth es bittet zu den Leitsätzen des Her^n 
Referenten Stellung zu nehmen, da die Ausarbeitung neuer Vorschriften über 
die Beaufsichtigung der Hebammen in Aussicht stehe und die Erfahrungen der 
besonders in der Praxis stehenden Medizinalbeamten dafür wichtige Unterlagen 
abgeben können. 

Kr.-Med.-Rat Dr. Klein-St. Goar: Die Nachprüfungen sind bei¬ 
zubehalten, nicht aber in der bisherigen Form durch Fragen, sondern mehr in 
Form belehrender Besprechungen Aber besondere Fälle aus den Tagebüchern 
und über Fragen, die aus der Mitte der Hebammen gestellt werden. Ferner 
müßte das Formular fortfallen, besonders die Zensierung. Ein derartiges Ver¬ 
fahren ist bei keinem anderen Berufe üblich; auch ist es der Hebammen un- 
würdig, sich alle zwei Jahre zensieren zu lassen. 

Med.-Rat Dr. Vollmer-Kreuznach: Der Schwerpunkt der Hebammen- 
Beaufsichtigung ist in die Vereinssitzungen der Hebammen zu legen; in 
diesen muß aber der Kreisarzt den Vorsitz führen. Hier muß er auch zu 
großen Ansprüchen der Hebammen in Taxen die Spitze abbrechen. — Die 
Nachprüfungen sind beizubehalten, aber in einer Form vorzunehmen, durch 
die die Hebammen nicht verletzt werden. 

Kr -Med.-Rat Dr. Kloninger -Adenau: Besonders in Landkreisen bieten 
die Nachprüfungen dem Kreisarzt eine gute Gelegenheit, die Hebammen 
»eines Bezirkes kennen zu lernen; sie sind Bchon aus diesem Grund beizu¬ 
behalten. Das den Hebammen unangenehm klingende Wort: „Nachprüfung" 
ist durch „Hebammenversammlung" zu ersetzen. Hier soll kein schulmäßiges 



106 Bericht über die amtliche Versammlung der Med.-B. des Rgbz. Koblenz. 

Fragen vorgenommen, sondern dnrch zwanglose Besprechungen und Erörterungen 
das theoretische Wissen der Hebammen vertieft werden. 

Med-Bat Dr. Braun-Wetzlar: Die Nachprfifungen in etwas ver¬ 
änderter Form sind nötig, jedoch ihre Zahl nach Alter und Menge der Teil¬ 
nehmer zu beschränken. 

Reg.- u. Med.-Rat Dr. Matthes: Die Nacbprüfungen können nicht 
ganz entbehrt und durch wissenschaftliche Vorträge ersetzt werden, die in den 
Sitzungen der Hebammenvereine abgehalten werden sollen, weil dadurch nicht 
das Wissen der Hebammen festgestellt werden kann. Die Nachprüfungen 
könnten aber seltener — alle ö Jahre — stattfinden. Wenn dann regelmäßig 
der Hebammenlehrer teilnebmen könnte, würden diese eine Form erhalten, 
die für die Hebammen und die Medizinalbeamten zweckmäßiger wäre. Will 
man aber die Nachprüfungen durch wissenschaftliche Vorträge in den Ver¬ 
einen ersetzen, dann müßten die Satzungen der Vereine darauf zugeschnitten 
werden, da sie in ihrer jetzigen Gestalt nicht für diesen Zweck ausreichen. 

Med.-Rat Dr. Vollmer -Kreuznach: Die Abkürzung der Dauer der 
Wiederholungslehrgänge ist anzustreben, immerhin muß ein Kursus 
für 8—14 Tage eingerichtet bleiben. Dieser ist notwendig zur Wiedereinführung 
in den Geist der Desinfektion und zur Rekapitulation des früher Gelernten. 

Kr.-Med.-Rat Dr. K lein -St* Goar: Die Abkürzung der Fortbildungs¬ 
kurse auf 14 event. 8 Tage ist erwünscht. Nötig ist die Regelung der 
Kostenfrage, ln meinem Kreis lehnen die Gemeinden resp. die Hebammen* 
verbände die Uebernabme der Kosten, die jetzt für eine 4wöchige Dauer recht 
hoch sind, ab, und damit wird die Ueberweisung meiner Hebammen in die 
Wiederholuugs- resp. Fortbildungskurse uomöglich. 

Med.-Rat Dr. Braun-Wetzlar: Die Wiederbolungskurse sind 
nicht zu entbehren. Die Hebammenlehrer sollten die Dauer der Kurse fest¬ 
setzen. Ein 8—4 tägiger Kursus sei jedenfalls zu kurz. Die Hebammen sollen 
in der Anstalt die Asepsis und die Antisepsis gründlich kennen lernen. 

Kr.-Med.-Rat Dr. Lemke-Koblenz: Es ist nicht zweckmäßig, die An¬ 
zeigepflicht der Hebammen einzuschränken. Nicht alle Hebammen lernen 
in dem neunmonatigen Kursus, daß ein sogenannter schlimmer Finger durch 
dieselben Bakterien verursacht wird, wie das Kindbettfieber; nicht alle lernen 
unterscheiden, wann beim Vorhandensein eines Panaritiums sie ihre Tätigkeit 
wieder aufnehmen können. Ich selbst habe die merkwürdigsten Erfahrungen 
gemacht. 

Med.-Rat Dr. Kir chgässer-Koblenz: Das Ergebnis der Diskussion 
darf ich wohl dahin zusammenfassen, daß die Herren im allgemeinen darin 
übereinstimmen, daß die bisherigen Bestimmungen über die kreisärztlichen 
Nachprüfungen und die Wiederholungslehrgänge sowie über die 
unvermuteten Revisionen abänderungsbedürftig sind. Die Frage der An¬ 
erkennung der Hebammen vereine als amtliche Organe für die Fortbildung 
der Hebammen bedarf sicher noch weiterer Ueberlegungen. Die Mehrheit ist 
sicherlich für amtliche Hebammenversammlungen an Stelle der Hebammen- 
nachprüfungen. 

Bezüglich der FortbildungBlehrgänge bestehen Meinungsver¬ 
schiedenheiten, nur betreffs ihres Umfangs insofern Uebereinstimmung, als eine 
Einschränkung zu erstreben ist. 

Hinsichtlich der Anzeigepflicht scheint mein Vorschlag weniger 
Anklang gefunden zu haben. Es handelt sich aber doch wohl um Meinungs¬ 
verschiedenheiten formeller Art. Das Fortbestehen aller Vorschriften, soweit 
sie die Verhütung des Kindbetlfiebers beireffen, ist selbstredend notwendig. 

III. Neuere serologische Untersuchnngsmethoden. Berichterstatter: 
Dr. Blumenthal, Assistent am Iustitat für Infektionskrankheiten, beauftragt 
mit der Leitung des Medizinal-Untersnchungsamtes in Koblenz. 

Der Vortrag wird an anderer Stelle veröffentlicht. 

Nach Schluß der amtlichen Sitzung fand eine Versammlung des 
Bezirks-Vereins der Medizinalbeamten statt, nnd im Anschluß 
daran ein gemeinsames Essen im Kasino. Dr. Lustig-Koblenz. 



Tagesnaehriehten. 


107 


Tagesnachrichten. 

Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist 
jetzt vom Reichsrat angenommen. Der Entwurf enthält den ärztlichen Be¬ 
handlungszwang unter Ausschluß der Behandlung durch nicht approbierte 
Personen, ein Verbot der Anpreisung von Heilmitteln in Zeitungen, den Melde¬ 
zwang und unter Umständen den Krankenhauszwang. Er stellt auch deh 
Beischlaf unter Strafe, wenn Ansteckungsgefahr wissentlich vorhanden ist. Die 
pflegerischen Gesichtspunkte werden im Gegensatz zu den polizeilichen überall 
in den Vordergrund gestellt. In dem endgültigen Entwurf ist nicht mehr die 
Rede von Geschlechtskranken als solchen, sondern nur von einem mit An¬ 
steckungsgefahr verbundenen Stadium. Die bewußte Uebertragung soll auch 
dann bestraft werden, wenn eine Ehe unter solchen Umständen geschlossen 
wird. Das Plenum des Reichsrats stimmte dem Entwurf zu gegen die Stimme 
Bayerns. Der bayerische Gesandte v. Preger erklärte, daß der Entwurf nach 
seiner Anschauung dem sittlichen und religiösen Empfinden der Mehrheit der 
bayerischen Bevölkerung widerspreche. * 


Bekämpfung der Kurpfuscherei. Der preußische Minister für 
Volkswohlfahrt hat der Kommission zur Bekämpfung derKur- 
pfuscherei durch Bescheid vom 21. November 1921 mitgeteilt, daß er 
u Uebereinstimmung mit dem Reiuhsminister des Innern den gegenwärtigen 
Zeitpunkt als wenig geeignet für ein reichsgesetzliches Vorgehen gegen die 
Kurpfuscherei und kurpfuscherische Anzeigen halte. Auch von einem landes¬ 
gesetzlichen Vorgehen gegen die Zeitungsreklame der Kurpfuscher glaubt er 
unter den obwaltenden Umständen einstweilen Abstand nehmen zu müssen. 
Jedoch habe er es den Regierungspräsidenten und den Polizeipräsidenten in 
Berlin zur Pflicht gemacht, auf das Kurpfuschereiwesen und insbesondere auf 
die von den Kurpfuschern betriebene öffentliche Reklame ihr besonderes Augen¬ 
merk zu richten und dafür zu sorgen, daß Verstöße gegen die in dieser Hin¬ 
sicht erlassenen Polizeiverordnungen in jedem einzelnen Falle nachdrücklichst 
verfolgt werden. _ 


Am 16. Februar feierte Herr Geheimer Med.-Rat Dr. Hensgen in Siegen 
sein 60jähriges Doktorj ubiläum Nach langjähriger Tätigkeit als prak¬ 
tischer Arzt im bergischen Lande ist Herr Geheimrat Hensgen von 18& ab 
Kreisarzt in Siegen gewesen und infolge der neuzeitlichen Verhältnisse in den 
Ruhestand getreten. Seine große Arbeitskraft und Organisationsgabe bat sich 
besonders bei der Leitung der Sanitätskolonnen Preußens vor und für den 
Krieg bewährt. Möge dem Jubilar ein schöner Lebensabend in der von ihm 
selbst gewählten Form neuer Arbeit beschieden seinl 


Nach der pharmazeutischen Presse ist ein in den Apothekerkreisen schon 
längst — und mit vollem Recht, wie wir meinen — gehegter Wunsch, nämlich 
der nach einer Umgestaltung der Preußischen Apothekerkammern, der Ver¬ 
wirklichung näher gerückt. Im Wohlfabrtsministerium ist ein Gesetzentwurf 
ausgearbeitet, der jetzt dem Apothekerkammerausschuß und von diesem den 
Apothekerkammern zur DurcLberatUDg zngegangen ist. Neben Aenderangen 
des Wahlverfabrenn und Anträgen der Zusammensetzung des Kammerausschusses 
(Beteiligung der Nichtbesitzer) bringt der Entwurf vor allem die Einfüürung 
des Umlagerecbtes, das bisher vorenthalten war. Die Pharmazeutische Zeitung 
begrüßt den Entwurf als einen „Wendepunkt in der Entwicklung der amtlichen 
Btandesvertretung der preußischen Apotheker". 

Voraussetznng zur Einbringung des Gesetzentwurfs ist nach einem 
Schreiben des Herrn Ministers an den Apothekerkammerausschuß, daß nicht 
etwa vom Landtag ein Antrag auf Beseitigung des Umlagerechtes der Aerste- 
kammern angenommen wird. Es ist zu hoffen, daß das letztere nicht geschieht I 



108 


Tagesnachrichten. 


Apothckenrermehrungen im Deutschen Reich. Das Jahr 1921 brachte 
eine erhebliche Steigerung der ausgeschriebenen Apothekenhonzessionen (179), 
womit das Jahr 1920 mit der bis dahin höchsten Ziffer (168) noch Qbertroffen 
wird. Diese Ausschreibungen verteilen sich auf 1 ly Neuanlagen, 17 Umwand¬ 
lungen von Zweig- in Vollapotbeken und 48 heimgefallene Konzessionen. Von 
der Gesamtzahl entfallen auf Preußen: 98, Bayern: 20, Sachsen: 10, 
Württemberg: 6, Baden: 18, Oldenburg, Bremen, Danzig je 1, 
Braunschweig: 8, Hamburg: 21 Konzessionen. Dagegen ist die Zahl 
der Apotheken verkaufe gegenüber den Vorjahren erheblich zurück¬ 
gegangen; im Jahre 1921 sind nur 72 derartige Fälle bekannt geworden, 
während in früheren Jahren (mit Ausnahme der Kriegsjahre) durchschnittlich 
etwa 800 Verkäufe vorkameu. 


Der Verein „Landaufenthalt für Stadtkinder“ hat am 28. Januar 
1922 unter Leitung seines Vorsitzenden, des Beichswirtschaftsministers a. D. 
Dr. Scholz, seine jährliche Ausschußsitzuog abgehalten. Aus dem Bericht 
über das verflossene Jahr ging hervor, daß das Gesamtergebnis der Unter¬ 
bringung im Inland recht günstig war und gegen das Vorjahr einen erheb¬ 
lichen Zuwachs erfahren hatte. Dagegen wies die Unterbringung im Ausland 
ldder einen erheblichen Rückgang auf. In der Aussprache wurde einmütig 
zum Ausdruck gebracht, daß trotz aller gegenwärtigen Erschwernisse der 
Landaufenthalt als das wirksamste Mittel für die Erholungsfürsorge unserer 
Kinder mit allen Kräften auch in diesem Jahre zu fördern sei. 


W 


WÜrttembergischer Medizinalbeamtenverein. 

Die siebzehnte Jahresversammlung wird am 

Samstag und Sonntag, den 4. und 5. Mürz 1922 

in Stuttgart (Vortragssaal des früheren Medizinalkollegiums, Azenberg- 
straße 14 a) abgehalten werden. 

Tagesordnung: 

1. Samstag Nachmittag 8 Uhr: a) Geschäftsbericht des Vorstandsvor¬ 
sitzenden Obermedizinalrat Dr. Köstlin. — b) Kassenbericht — c) Stellung¬ 
nahme der württembergischen Medizinalbeamten zu der vom württemb. 

' Aerzteverband geplanten ärztlichen Versorgungskasse. Berichterstattter: 
Oberamtsarzt Dr. Zöppritz, Stuttgart-Cannstadt. 

2. Sonntag Vormittag 9 Uhr: a) Neuwahlen für den Vorstand (Vor¬ 
standsvorsitzender, dessen Stellvertreter und Schriftführer), den Ausschuß, 
den Landesgesundheitsrat, den Beamtenbeirat und den Verband höherer 
Staatsbeamter. — b) Die Fürsorgetatigkeit der Oberamtsärzte. Bericht* 
erstatten Obermedizinalrat Dr. Gnant-Stuttgart und Oberamtsarzt Dr. 
V'i 11 i n g e r - Besigheim. 

Am Samstag Abend von ‘/*8 Uhr an zwanglose Zusammenkunft* 
der Kollegen im Restaurant Koppenhöfer, Kronprinzenstraße 28. 

Diejenigen Kollegen, die zu Ziffer la der Tagesordnung Anträge zu 
stellen wünschen, werden gebeten, diese schon einige Tage vor der Versamm¬ 
lung schriftlich, in bestimmter Formulierung und kurzer Begründung beim 
Vereins Vorstand einzureichen. 

: Bei der. Wichtigkeit der diesmaligen Verhandlungen ist möglichst voll¬ 
zähliges Erscheinen der Vereinsmitglieder notwendig. 

Der Vorstandsvorsitzende: Dr. KSstlin. 


Verantwortlich fflr dl« SchrlfUeltun*: Prof. Dr. Kapmand, Geh. Ked.-Rat la Uppepringe. 
Drsok tob J. 0 . 0 . Brtma, Uladen 1 . W. 

























Zeitschrift für MediziBalbeam tfc. 


Xrnunft Dr„ Vogler, Oberarzt an der Seil- und Pflegeanstalt- iu 
Oaggendarf, zum Laudgeriebtsarzi bei dem Landgericht 1 io Mönchen. 

Baden. 

Ernannt: Zorn Bezitkimrzt l>r. Beck in Müliheiai. 

Erledigte Stellen. 

Prensaen. 

Zu besetzen zum 1. April 1922: die nicht voHhesoldeten Kreisarzt« 
•teilen in Mesferttz, Schwerin a W, und Scbneldemttbl, Begv-Bea, Bchneide* 
mtthl, NieMU, Begv'Be*. Schleswig, Maye% Beg.-Bez. C'ohlssz'; die Im Staats¬ 
haushalt fdr 192? auf Umwandlung »u Vojlbesol<i r «£e Etetle» vorgesehenen 
KrelsarztstcUeH {d Höflingen und Soest* Reg -Bez. Aniäherg, sowie die voll^ 
besoldet« ICreisartistteHe in Slats, Res,-.Be»* Breslau ^.lernet zuro }. Mal 1922 i 
die nicht rollheseldete Kreisarzt stell» in Te«W*nHörg', Begieruagshczirk 
Münster. 0i& Umwandlung: dieser Stelle in eine '»eilbeneidete Krrisarzt.- 
btoBe Ist ebenfttlla im Entwurf zum Staatshaushalt /Ui 1922 vergesehen. 
(Bewerbungen Ws «am #ö, MStz); anlieräen* alsbald d»eKr*ina8»isi»asarcl*t«Ü«- 
in Celzen* Re^ltez, L&ueburgj UOd zntn 1, Juni 1922 die nicht feUhesoWeto 
Kreisarzt*!«!!« in t'ainge», Reg^Bez Wiesbaden., Bewetbuogen sind bis aaun 
immmm T2 •»» ^os- lürVolkawobÜain't in Berlin W. Ü6 { 

LeipzigsrstftiOc 3, durch Veruiittlong des f&t den Wohnort de« Bewerbers pp 
ständigdi« Bctra HegwrungHprRsidenU'a (in Berlin des llerm Polizeipiäabieuten) 


einzureicheo. _ • ' ( \ \- t V S 1 

Bauern. 

Die llczirksa rztatedf <?n in Sonthofen and W&rzbiirg. Bewerbungen sind hei 
der für den Bewerber zuständigen Begier nag, Abteilung des Innern, eiazaröfche». 

Berichtigung: Dr. Spann iu Greiz ißt nicht Stadtarzt daselbst, 
sondern ,thür)nRisdier Kreisarzt*. 


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^ J W s Kieselsäure-EiweiBB 

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Gegen Ekzeme, Evmgenkxankheitcn etc., 
besonders gegen beginnende und flbrtfse Tuberkulose. 


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110 


Dr. Rapmund. 


allein geführt, um sie nunmehr mit Rücksicht auf mein hohes 
Alter und das dadurch bedingte Ruhebedürfnis anderen jüngeren, 
leistungfähigeren Händen anzuvertrauen. Schon seit längerer 
Zeit war dieser Schritt von mir beabsichtigt; besondere Um¬ 
stände haben mich aber bisher davon abgehalten; insbesondere 
war es der mir gegenüber vielfach geäußerte Wunsch, die 
Schriftleitung so lange beizubehalten, bis die beabsichtigte Neu¬ 
organisation des Preußischen Medizinalbeamtenvereins durch¬ 
geführt sei und sich mein Nachfolger für die ihm künftig ob¬ 
liegenden Aufgaben genügend eingearbeitet habe. Dieser Zeit¬ 
punkt ist jetzt gekommen. Nun heißt es: Abschied nehmen 
von einem Werke, das ich mitbegründet, eine lange Reihe von 
Jahren geleitet und während dieser Zeit Dach Möglichkeit zu 
fördern und weiter auszubauen versucht habe. Ob mir dies 
gelungen ist, muß ich dem Urteil der vielen Leser und Freunde 
der Zeitschrift überlassen. Jedenfalls habe ich ihr den größten 
Teil meiner Arbeitskraft gewidmet; sie ist mir so recht ans 
Herz gewachsen, und wenn es heißt, daß die Kinder, die ihren 
Eltern die meiste Sorge und Arbeit machen, ihnen immer die 
liebsten seien, dann kann ich dies auch von der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte in vollem Umfange sagen. Neben vieler Arbeit, 
mancherlei Sorgen, Verdruß undAerger, die bekanntlich keinem 
Schriftleiter erspart bleiben, hat sie mir aber auch recht viel 
Freude und Anerkennung gebracht, so daß erstere bald wieder 
vergessen wurden, wenn sie auch manchmal Ueberhand zu 
nehmen drohten und es fast so schien, als ob sich eine gewisse 
Mißstimmung gegen den Herausgeber einschleichen wollte, weil 
er nicht immer sofort bereit war, die große Weisheit und Klar¬ 
heit, besonders jüngerer Leute, als solche anzuerkennen. Ich 
bin derartigen Anwandlungen gegenüber meist recht ruhig ge¬ 
blieben, obwohl ich ganz gern einmal einen ehrlichen Kampf 
ausfechte, aber man soll seine Kampfkraft nicht um Kleinig¬ 
keiten vergeuden, sondern sie für die Fälle aufbewahren, wo 
es sich nicht um persönliche, sondern wichtige, die Allgemein¬ 
heit wie den ganzen Stand betreffende Fragen handelt. Ein 
Schriftleiter darf es an Anregung, zielbewußtem und gro߬ 
zügigem Vorgehen nicht fehlen lassen; in manchen Fällen ist 
auch ein gewisses Draufgängertum und eine gewisse Rück¬ 
sichtslosigkeit angebracht. Namentlich muß er sich aber vor 
allen möglichen Bedenken und Rücksichten hüten und eine 
tüchtige Portion von Idealismus und Optimismus besitzen, wie 
ich sie mir bis in mein hohes Alter trotz mancherlei Nacken¬ 
schläge bewahrt habe. Er darf auch niemals den Zweck, die 
Aufgaben und Ziele außer acht lassen, denen die Zeitschrift 
dienen soll und die zu ihrer Gründung geführt haben. In dem 
damaligen Prospekt (s. Nr. 1, Jahrg. 1888) heißt es: 

„Gegenstand ihres Inh&ltB werden die gerichtliche Medizin and 
gerichtliche Psychiatrie, die Hygiene and die Sanitätspolizei 
sowie Standesangelegenheiten bilden, and sollen dieselben in Original¬ 
arbeiten, Referaten and Kritiken behandelt werden. Es wird daher nnser Be¬ 
streben sein, sämtliche Abhandlangen in gedrängter Kürze za geben, so daß 



Zum Abschied. 


111 


die einzelnen Artikel sich für gewöhnlich über eine Nummer nicht ansdehnen 
werden. 

. . . Wir hoffen and wünschen, daß ans aas der Beihe unserer Leser recht 
sthlreiche Mitarbeiter erstehen werden. Denn nar darch allseitige 
frische Teilnahme an unserer Arbeit and darch stete gegenseitige Ermunterung 
wird es ans gelingen, das Interesse für unsere Spezial-Wissenschaften rege za 
machen and za erhalten, and hauptsächlich darch dieses Interesse das Wachsen 
und Gedeihen unserer Zeitschrift möglichst za fördern and za sichern. Die¬ 
selbe soll auch Gelegenheit bieten, die Erfahrungen der Einzelnen an 
die Oeffentlichkeit za fördern and die Beobachtung and Ansicht des 
Praktikers darch schnelle Veröffentlichung zum Gemeingut Aller za machen. 

Wir wollen es uns endlich angelegen sein lassen, sämtliche amtlichen 
Verfügungen, die Personal-Veränderungen der Medizinalbeamten sowie alles 
Wissenswerte in Standesangelegenheiten zur rechtzeitigen Kenntnis unserer 
Leser zu bringen and werden etwaigen bezüglichen Besprechungen unsere Zeit¬ 
schrift gern zur Verfügung stellen.“ 

Die Zeitschrift sollte somit entsprechend den Bestrebungen 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins hauptsächlich zwei 
Zwecken dienen: der Wissenschaft auf allen Gebieten der Staats¬ 
arzneikunde und der Wahrnehmung aller sonstigen beruflichen 
und wirtschaftlichen Interessen der Medizinalbeamten. 

In ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Fach¬ 
zeitschrift erwuchs ihr die Aufgabe, die Medizinalbeamten 
mit den Fortschritten ihrer Spezialwissenschaften vertraut zu 
machen, sie zur Mitteilung ihrer persönlichen Erfahrungen auf 
dem gesamten Gebiete der Staatsarzneikunde anzuregen und 
durch Meinungsaustausch eine Verständigung über derartige 
wichtige Fragen herbeizuführen. Die Zeitschrift sollte also nicht 
nur für, sondern auch hauptsächlich von den Medizinalbeamten 
geschrieben sein. Wenn sie dieser Aufgabe gerecht geworden 
ist und sich allmählich aus dem kleinen, anfangs monatlich nur 
in einer Stärke von zwei Bogen erscheinendem Blatte eine 
zweimal im Monat erscheinende, bis 80 Bogen umfassende Fach¬ 
schrift mit stets zunehmender Leserzahl entwickelt hat, so ver¬ 
dankt sie dies in erster Linie den überaus zahlreichen Mit¬ 
arbeitern, die sie besonders aus den Kreisen der Medizinal¬ 
beamten gefunden hat. Gerade nach der fachwissenschaftlichen 
Seite hin nat es mir nie an Mitarbeitern und wertvollem Material 


S »fehlt, mancher von ihnen hat sich in der Zeitschrift für 
edizinalbeamte erst seine Sporen verdient und sich dann zu 
einem überaus tüchtigen, der Zeitschrift auch späterhin treu 
gebliebenen Mitarbeiter entwickelt. Ich habe deshalb auch 
ruhig etwaige Vorwürfe wegen Aufnahme einzelner nicht allen 
Ansprüchen des Leserkreises entsprechenden Abhandlungen über 
mich ergehen lassen und es mir zu einem besonderen Verdienst 
angerechnet, daß ich durch deren Ablehnung die Verfasser 
nicht für alle Zeiten abgeschreckt habe, sich wissenschaftlich 
und literarisch zu betätigen. Es wird eben niemand gleich als 
Meister geboren! 

Auf den Umfang und Inhalt des fachwissenschaftlichen 
Teiles der Zeitschrift habe ich von jeher das größte Gewicht 
gelegt und ihn für demjenigen gehalten, auf dem das Ansehen, 
die Aohtung und Stellung einer Zeitschrift sowohl in ihrem 



112 


Dr. R&pmand. 


speziellen Leserkreise, als auch darüber hinaus beruht; deshalb 
ist es mir auch besonders schmerzlich gewesen, daß dieser Teil 
seit dem Kriege und infolge der dadurch eingetretenen außer¬ 
ordentlichen Steigerungen der Herstellungskosten eine sehr er¬ 
hebliche Einschränkung hat erfahren müssen. Unter den Medi¬ 
zinalbeamten soll es allerdings auch solche geben, die aus der 
Zeitschrift ein reines Interessenorgan machen möchten. Wenn 
diese Stimmen vorläufig auch nur vereinzelt sind, so würde ich 
es doch im Interesse der Medizinalbeamten selbst auf das 
schmerzlichste bedauern, falls sie jemals die Oberhand be¬ 
kommen würden; das würde m. E. nicht nur eine schwere 
Schädigung der Zeitschrift, sondern auch des ganzen Standes 
der Medizinalbeamten bedeuten, dem sie bisher nach besten 
Kräften als Vereinsorgan gedient hat. 

Damit komme ich auf die zweite Hauptaufgabe, die sich 
die Qründer der Zeitschrift bei deren Herausgabe seinerzeit ge¬ 
stellt haben: Wahrnehmung der sonstigen beruflichen 
und wirtschaftlichen Interessen der Medizinal¬ 
beamten. Hier habe ich alle berechtigten Bestrebungen, 
Wünsche und Forderungen der Medizinalbeamten, insbesondere 
der Medizinalbeamtenvereine mit allen Mitteln unterstützt und 
bin dabei stets bestrebt gewesen, mit den Vorständen der be¬ 
treffenden Vereine Hand in Hand zu gehen. Machten sich 
Sonderbestrebungen innerhalb des Vereins bemerkbar, die als 
schädlich und nachteilig für dessen Ziele angesehen werden 
mußten, so habe ich diese rücksichtslos bekämpft, aber ebenso 
rücksichtslos die Interessen der Medizinalbeamten gegenüber 
den Behörden und sonstigen Körperschaften oder Personen 
wahrgenommen. Ebenso wie bei der Gründung des Preußischen 
und später des Deutschen Medizinalbeamtenvereins habe ich 
vor allem das Hauptziel im Auge gehabt: Ausgestaltung 
der Stellung der Medizinalbeamten in einer allen 
Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege 
und ihrem Standesansehen entsprechenden Form. 
Die Erreichung dieses Zieles war nicht leicht, da viele irrige 
Anschauungen, selbst im eigenen Lager, bekämpft werden 
mußten; und wenn dies Ziel z. B. in Preußen auch jetzt noch 
nicht völlig erreicht ist, so sind diejenigen Medizinalbeamten 
mitschuldig, die im Jahre 1898 durch ihre Sonderbestrebungen 
die ursprünglich von der Staatsregierung beabsichtigte Voll¬ 
beschäftigung und Vollbesoldung aller Kreisärzte mit zu Falle 
gebracht haben. Mit vieler Mühe ist es damals dem Vorstande 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins gelungen, den »voll¬ 
besoldeten Kreisarzt“ gleichsam durch eine kleine Seitentür in das 
Kreisarztgesetz hineinzubringen und ihm dadurch überhaupt eine 
Existenzbereohtigung zu verschaffen. Jetzt wird erfreulicher¬ 
weise diese Existenzberechtigung von keiner Seite mehr be¬ 
stritten, auch nicht von den damaligen Gegnern; dies Beispiel 
lehrt aber am schlagendsten, daß Vereine nur dann auf Erfolg 
ihrer Bestrebungen rechnen können, wenn ihre Einheitlichkeit 



Zum Abschied. 


113 


nach jeder Richtung hin gewahrt und dadurch ihre Stoßkraft 
gesichert ist. Ihre berechtigten Wünsche werden ferner be¬ 
sonders dann auf Erfüllung rechnen, wenn sich diese auch mit 
denen der Allgemeinheit decken. Gerade in dieser Hinsicht 
befinden sich die Medizinalbeamten in einer besonders günstigen 
Lage; denn die von ihnen im eigenen Interesse zu stellenden 
Forderungen sind fast überall identisch mit denen, die das 
öffentliche Wohl und Interesse fordert;* es ist deshalb viel rich¬ 
tiger und politisch klüger, dieses stes in den Vordergrund zu 
stellen, das Weitere ergiebt sich dann von selbst. So lange ich 
die Ehre gehabt habe, Vorsitzender des Deutschen und Preußi¬ 
schen Medizinalbeamtenvereins sowie Schriftleiter dieser Zeit¬ 
schrift zu sein, habe ich an diesem Standpunkt festgehalten 
und außerdem stets die Erörterung nebensächlicher Fragen, 
vor allem sog. Groschenfragen in breiter Oeffentlichkeit zu ver¬ 
meiden gesucht; dazu bieten jetzt die Bezirksvereine genügend 
Gelegenheit. Ich kann meinem Nachfolger nur empfehlen, auf 
demselben Wege fortzuschreiten; er wird sich viel Aerger und 
Verdruß ersparen, insbesondere aber dem Stande am meisten 
nützen. Außerdem wünsche ich ihm, daß er bei der Wahrnehmung 
der sonstigen beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der 
Medizinalbeamten etwas mehr Mitarbeiter findet, als ich sie in 
dieser Beziehung gehabt habe. Abgesehen von den Jahren, 
in denen es sich um die Umgestaltung des Preußischen Medizinal¬ 
wesens, Erlaß und Einführung des Kreisarztgesetzes handelte, 
hat die Mitarbeit der Medizinalbeamten auf diesem Gebiete ziem¬ 
lich viel zu wünschen übrig gelassen und sieh erst in allerletzter 
Zeit etwas gebessert. Nach meinen langjährigen Erfahrungen 
gibt es unter ihnen leider recht viele Leute, die wohl bei jeder 
Gelegenheit über alle möglichen Mängel, Unbilligkeiten und 
Mißstände, deren Vorhandensein leider auch nicht bestritten 
werden kann, klagen und zu deren Abstellung nach ihrer An¬ 
sicht leicht durchführbare Vorschläge machen, aber nicht die 
geringste Lust haben, ihre großartigen Ideen schriftlich nieder¬ 
zulegen, zu veröffentlichen und dabei ihre Haut zu Markte zu 
tragen. Das wird lieber anderen Leuten überlassen, am liebsten 
dem Schriftleiter der Zeitschrift selbst, der es ihres Erachtens 
angeblich »viel besser versteht“. Wenn dieser aber von dem 
»Besserverstehen“ nichts wissen will, dann sind sie verschnupft. 
Ueber Mangel an Material für den fachwissenschaftlichen Teil 
der Zeitschrift habe ich niemals zu klagen gehabt, sondern oft 
bedauert, daß ich wegen Ueberfluß an Material häufiger ab¬ 
lehnen und die angenommenen zeitweise 6—8 Monate auf ihre 
Veröffentlichung warten mußten; einen derartigen Ueberfluß 
habe ich dagegen in Bezug auf den anderen Teil der Zeitschrift 
auch nicht annähernd zu verzeichnen gehabt, obwohl nur ganz 
ausnahmsweise die Ablehnung einer solchen erfolgt ist. Hoffentlich 
bleibt die in jüngster Zeit nach dieser Richtung hin erfolgte 
Besserung von Bestand und verschwindet nicht ebenso schnell 
wie ein leuchtendes Meteor am Himmel. 



114 Dr. Solbrig: Geleitwort des neaen Schriftleiters. 

Und nun gilt es zum Schluß noch eine überaus große 
Dankesschuld abzutragen, in erster Linie gegenüber den 
beiden Mitbegründern der Zeitschrift, Med.-Rat Dr. Mitten- 
zweig und Geh. Med.-Rat Dr. Sander, sowie dem Inhaber 
von Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld, die leider 
alle drei bereits verstorben sind. Ihre Mitwirkung wird mir 
stets in dankbarer Erinnerung bleiben! Dasselbe gilt betreffs 
der Buchdruckerei von J. C. C. Bruns in Minden, die meinen 
Wünschen bei der Drucklegung und Versand der Zeitschrift 
in jeder Weise entgegengekommen ist. Vor allem aber herz¬ 
lichsten Dank den überaus zahlreichen sonstigen Mitarbeitern, 
von denen leider auch schon viele aus dem Leben geschieden, 
sowie für die vielen wertvollen Anregungen, die ich aus 
dem Kreise der Leser der Zeitschrift erhalten habe. Ich ver¬ 
knüpfe diesen Dank mit der herzlichen Bitte, meine langjährige 
Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift nicht ganz zu ver¬ 
gessen und vor allem meinem Nachfolger mindestens die gleiche 
Unterstützung wie mir zuteil werden zu lassen. Möge die 
Zeitschrift für Medizinalbeamte auch fernerhin gedeihen und 
eine recht erfolg- und segensreiche Tätigkeit sowohl im Interesse 
der Medizinalbeamten, als auch im Interesse unseres armen, schwer 
darniederliegenden Vaterlandes entfalten, dabei aber jederzeit 
gedenk sein: „Salus publica suprema lex!“ 

Das walte Gott! 

Bad Lippspringe, den 1. März 1922. Dr. Rapmund. 


Geleitwort des neuen Schriftleiters. 

Mit dem heutigen Tage übernehme ich im Einverständnis 
mit dem Vorstand des Deutschen und Preußischen Medizinal- 
beamten-Vereins die Schriftleitung der Zeitschrift, nachdem der 
langjährige Herausgeber, unser hochverehrter Ehrenvorsitzender 
beider Vereine, Herr Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. R a p m u n d, 
sich entschlossen hat, auch von diesem Amt zurückzutreten. 

Bei Uebernahme dieser Tätigkeit möchte ich betonen, daß 
ich es mir angelegen sein lassen werde, die Zeitschrift in dem 
Sinne zu leiten, wie es Herr Geheimrat Rapmund in den 
langen Jahren seiner erfolgreichen Tätigkeit zum Besten der 
Medizinalbeamten getan hat. Dabei ist es mir von großem 
Wert, daß ich auf seinen bewährten Rat für die Zukunft rechnen 
darf und daß von nun an eine Anzahl erfahrener Medizinal¬ 
beamter als Herausgeber der Zeitschrift mir zur Seite stehen 
werden. Darüber hinaus bedarf ich, um meinen Aufgaben ge¬ 
recht werden zu können, weitgehender Unterstützung 
durch die Kollegen im ganzen Reich. Die Bitte um diese Mithilfe 
liegt mir bei Beginn meiner Tätigkeit ebenso am Herzen wie 
der wärmste Dank an den bisherigen alleinigen Herausgeber; 
ich bin gewiß, diesen Dank hier zugleich im Namen aller 
Medizinalbeamten und aller Leser dieser Zeitschrift ausspreohen 
zu dürfen. 



Dr. Gr&ßl: Kurpfuscherei und Anderes. 


116 


Die Steigerung der Kosten für Druck, Papier usw. zwingt 
leider dazu, den Umfang der Zeitschrift auoh weiterhin knapper 
zu halten, als es an eich erwünscht ist. Um so mehr muß das 
Bestreben dahin gehen, Abhandlungen, Berichte, Besprechungen 
und Nachrichten zu bringen, die besonderes Interesse für die 
Medizinalbeamten haben. Die Beilage wird auch weiterhin die 
wichtigeren Gesetze, Verordnungen und dergl., ebenso wichtige 
Entscheidungen höherer Gerichte enthalten. Da das Material 
hierfür oft nicht leicht rechtzeitig zu beschaffen ist, bitte ich 
um freundliche Unterstützung namentlich nach der Richtung, 
daß mir wichtige gerichtliche Entscheidungen in höherer 
Instanz und solche von Verwaltungsgerichten, ferner allgemeine 
Verfügungen und Verordnungen auf dem Gebiete des 
Medizinalwesens — besonders aus den nichtpreußischen Län¬ 
dern — übermittelt werden. 

Schließlich ist es, um die Personalien und neu zu be> 
setzende Stellen rechtzeitig bringen zu können, erwünscht, daß 
ich auch hiervon freundlichst in Kenntnis gesetzt werde. 

Breslau, den 1. März 1922. Dr. Solbrig. 

Kurpfuscherei und Anderes. 

Von Obermedizinalrat Dr. Graßl-Kempten. 

Durch Krieg und Revolution wurde ein großer Teil der 
Bevölkerung aus dem gewohnten Geleise der Arbeit und der 
Pflichten herausgeworfen. Die Mehrzahl des deutschen Volkes 
hat sich überraschend rasch wieder auf seine Friedensbeschäfti¬ 
gung eingestellt. Arbeiter, Bürger und Beamte sind zu ihrer 
gewohnten Tätigkeit zurückgekehrt. ' Aber ein noch immer 
erheblicher Prozentsatz des Volkes findet noch nicht heim. 
Hauptsächlich sind dies die Asozialen und die Antisozialen, 
jene, denen die ethischen Grundlagen zur sittlichen Arbeit 
fehlen. Diese mußten bereits in der Vorkriegszeit durch künst¬ 
liche Hemmungen, durch Gesetze und Vorschriften in Schranken 
gehalten werden. Gerade diese Schranken sind aber vielfach 
gelockert worden. So erklärt sich die Zunahme der Schieber, 
Wucherer, der Tagediebe aller Art. Dazu kommt die Un¬ 
sicherheit des Erwerbslebens, die bei schwachen Charakteren 
geradezu deletär auf den Arbeitswillen wirkt. Und diese Ver¬ 
hältnisse wirken sich besonders auch in der Gesundheitspflege 
aus. Aehnlich wie die alte Staatskunst die Fehler der Unter¬ 
tanen zur Grundlage der Beherrschung machte, so vertrauen 
die modernen Heilkünstler auf die Unerfahrenheit und Un¬ 
wissenheit der Hilfesuchenden. Diese Voraussetzung zu ihrem 
Erwerb hat nur zu oft Erfolg. Ideologen werden also zur 
Aufrichtung neuer Schranken auffordern. Dem Realpolitiker 
in der Gesundheitsverwaltung ist mit diesem Wunsche nicht 
gedient. Er weiß, daß leidergottes bereits vor dem Kriege die 
Parteiinteressen auch in die Gesundheitsverwaltung herein¬ 
reichten. Die so notwendigen Gesetze zur Eiuengung der Kur- 



116 


Dr. Grafil. 


pfuscherei sind aus parteipolitischen Gründen gefallen. Und 
wer wissen will, welche Parteien mit dem Kurpfuscherwesen 
am engsten verbunden sind, der lese die diesbezüglichen Ver¬ 
handlungen durch und vergleiche weiter die Höhe des Wider¬ 
standes und die Topographie der Kurpfuscherei mit der Partei¬ 
richtung der Reichstagsabgeordneten. Als man darangehen 
wollte, die Trunksucht zu bekämpfen, scheiterte die Regierung 
an dem Widerstand der gleichen Parteien, die erklärten, 
sie befürchteten, daß zur Zeit politischen Hochwellenganges 
die Staatsbehörden die stimmkräftigsten und daher einflu߬ 
reichsten Agitatoren mundtot machen könnten. Die auf 
der letzten deutschen MedizinalbearatenVersammlung vorge¬ 
brachten Forderungen nach Bekämpfung der Trunksucht stellen 
sich praktisch als akademische Reden dar ohne jede Aussicht 
auf Verwirklichung; denn die Parteileidenschaft ist nicht ge¬ 
ringer geworden, sondern in das Unendliche gesteigert. Kein 
Medizinalbeamter wird in der Bekämpfung der Kurpfuscherei 
unter anderem auf den Erlaß von Strafgesetzen warten dürfen. 
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Hilfe der be¬ 
stehenden Gesetze die Sache soweit zu fördern, als dies mög¬ 
lich ist. 

Eine Handhabe zur Bekämpfung der Kurpfusche¬ 
rei bietet die Einführung der Gewerbeordnung für das Deut¬ 
sche Reich vom 21. Juni 1869. Hier ist besonders der 
§ 56a geeignet, erneute Erscheinungen einzudämmen: »Aus¬ 
geschlossen vom Gewerbebetriebe im Umherziehen sind 
ferner 1. die Ausübung der Heilkunde, insoweit der Aus¬ 
übende für dieselbe nicht approbiert ist.“ Die praktische An¬ 
wendung des anscheinend so klaren Paragraphen hat bei den 
Richtern aber eine merkwürdige Differenz der Entscheidungen 
hervorgerufen. A. gründet in einer Groß- oder Mittelstadt ein 
„Heilinstitut“ und in den benachbarten Städten und Orten eine 
Filiale. Er besorgt die Filiale entweder selbst oder läßt sie 
durch einen Beauftragten führen. Da A. nicht für die Heil¬ 
kunde approbiert ist, erfolgt die Prüfung der Frage, ob dies ein 
Herumziehen ist oder nicht. Soviel Richter, soviel Abweichungen. 
Der Medizinalbeamte riskiert mit der Anzeige einen Freispruch 
des Angeklagten und damit eine Schädigung des Ansehens des 
Beamten. Also läßt man die Sache beruhen. Urinbeschauer, 
Bandagenhändler usw. beuten das Volk wirtschaftlich aus und 
schädigen die Gesundheit. So ein berühmtes Urinschauinstitut 
fiel unlängst herein. Man hatte ihm Bier als Urin vorgestellt 
und prompt war die Krankheitsdiagnose und die Heilmittel¬ 
abgabe erschienen. Irreponierbare Brüche werden durch Ban¬ 
dagen künstlich eingeklemmt und anderes. 

Hier gibt es meines Erachtens nur eine Möglichkeit: Die 
Zentral-Medizinalbehörde wirkt auf die Gerichte ein, daß min¬ 
destens innerhalb eines Oberlandesgerichtsbezirks die Recht¬ 
sprechung sich gleich bleibt. Der Außenbeamte ist dazu 
außer stand. 



Kurpfuscherei and Anderes. 


117 


Nach § 66 Ziff. 9 d. G.O. dürfen im Umherziehen nicht 
feügeboten werden: „Gifte und giftige Waren, Arznei- und 
Geheimmittel.“ Wer die Waren unserer Hausierer besonders 
auf dem Lande öfters unter dem Vorwände der Kauflust durch¬ 
gemustert hat, weiß, daß diese Bestimmung geradezu obsolet 
geworden ist. Noch mehr aber der § 57 1 : „Der Wander¬ 
gewerbeschein ist zu versagen 1. wenn der Nachsuchende mit 
einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet 
oder in abschreckender Weise entstellt ist.“ Zu Anfang meiner 
Amtstätigkeit war dieser Paragraph noch im Bewußtsein der 
Behörden. Seit 16 Jahren bin ich bei Ausstellung eines Hausier¬ 
scheins nicht mehr befragt worden und doch weiß jeder medi¬ 
zinische Anfänger, daß die Verbreitung der Geschlechtskrank¬ 
heiten durch manche Hausierer und Hausiererinnen gefördert 
wird. Das Abtreibungsgeschäft wird durch Hausierer populär 
gemacht und nach meiner Erfahrung oft direkt unterstützt. 
Auch hier kann nur die Anweisung der Medizinalverwaltung 
an die juristischen Behörden dem Uebel abhelfen oder es 
doch eindämmen. 

Noch mehr Differenzen treten zutage bei der Bewertung 
der Kaiserlichen Verordnung betreffend den Verkehr mit 
Arzneimitteln außerhalb der Apotheken. Hier 
gehen aber auch die ärztlichen Gutachten auseinander, was 
uns ja bekanntlich die Juristen immer Vorhalten, obwohl 
jeder Arzt bloß eine Ansicht hat, der Jurist aber nicht selten 
zwei. Hier spukt selbst in den Köpfen der Verwaltungs¬ 
ärzte immer noch der Glaube, daß das Heilmittel ein „medi¬ 
zinisches“ sein müsse. Die erste Kaiserliche Verordnung ent¬ 
hielt ja den Beisatz „medicinalis“ bei Mixtura u. s. f. Aber ich 
habe schon vor Jahrzehnten in Friedreichs Blättern für ge¬ 
richtliche Medizin die Unmöglichkeit der Erklärung dieses Bei¬ 
satzes nachgewiesen, worauf das Wörtchen „medicinalis“ fiel. 
Trotzdem habe ich wiederholt Gutachten gelesen, die einen Unter¬ 
schied zwischen der Schulmedizin und Volksmedizin machen 
wollen und die Richter geradezu irre führen. Gerade aber der 
Verkehr mit Arzneimitteln ist sehr häufig die Unterlage der 
Kurpfuschereien. Ich glaube, daß sich hier bereits die Trennung 
der Gerichts- und Verwaltungsmedizin bemerklich macht, weil 
nicht der Verwaltungs-, sondern der Gerichtsarzt gehört wird. 
Praktisch ist der Verkehr mit Geheimmitteln (Bundesrats¬ 
beschluß vom 23. Mai 1903) und Ergänzungen weniger häufig; 
denn diese Bestimmung trifft nahezu ausnahmslos die großen 
Firmen, die nur durch Mittelspersonen an die Kranken heran¬ 
treten können. Ihre Ergänzung ist immerhin erwünscht und 
möglich, da hierzu der Reichstag nicht nötig ist. 

Eine durch ganz Deutschland hindurch gehende, obrigkeit¬ 
lich geduldete, ja gewissermaßen staatlich organisierte Kur¬ 
pfuscherei ist die von den Apothekern betriebene Heil¬ 
behandlung. Da zwei meiner Kinder selbst dem Apotheker¬ 
beruf angehören, so kann ich wohl den öfter gehörten Vorwurf 



118 


Dr. Graßl. 


der Animosität gegen die Pharmazie für meine Person zurück¬ 
weisen. Ich meine nicht die kleine Gelegenheitspfuscherei, die 
jeder Apotheker zur Erhaltung seiner Kundschaft üben muß, 
die symptomatische Behandlung der kleineren Gebrechen, für 
die das Volk den Pharmazeuten als besonders geeignet hält, 
ich meine die durch die Presse, durch Ankündigung in den 
Kalendern und anderen Orten getriebene Anpreisung von Heil¬ 
mitteln, die selbstverständlich den direkten Bezug dieser Mittel 
unter Umgehung des Arztes zum Zwecke haben. Diese An¬ 
preisungen erstrecken sich nicht selten in Gegenden, die weit 
ab von dem Versorgungsgebiet der annoncierenden Apotheken 
liegen und daher dem ursprünglichen Zweck des Schutzes der 
Apotheken zuwiderhandeln. Besonders einige mitteldeutsche 
Apotheken liest man in Kempten allwöchentlich in der Tages¬ 
presse. Die angekündigten Heilmittel sind oft keineswegs 
gleichgiltig. Ich erinnere nur an die Mittel, die die Heilung 
des Kropfes bewirken. Es kann dem Apothekerstande der 
Vorwurf nicht erspart werden, daß er hier aus kaufmännischen 
Erwägungen heraus der Gewinnsucht seiner Mitglieder nicht 
Einhalt getan hat. 

Der Einwurf des Mangels einer gesetzlichen Handhabe 
für den Apothekerstand ist zurückzuweisen. Auch die Aerzte 
stehen der gleichen Schwierigkeit gegenüber und doch haben 
sie es vermocht, das Annoncieren eds standesunwürdig auf die 
asozialen Elemente ihres Berufes zu beschränken. Versagt aber 
der Stand, so muß die Behörde eingreifen. Ein allgemeines, 
durch ganz Deutschland gehendes Verbot der Ankündigung 
von Heilmitteln durch die Apotheken ist notwendig. § 6 der 
G. 0. könnte die nötige gesetzliche Unterlage geben, namentlich 
im Zusammenhalt mit § 367 Ziff. 3 und 5 des Str. G. B. Eine 
vorsichtige Behandlung des Gegenstandes durch die Glieder¬ 
staaten dürfte eine Wiederholung der Verschlechterung der 
Vorschriften durch die zentralistische Ordnung vermeiden. So 
hatten wir in Bayern das Verbot an die Apotheken, die Rezepte 
bekannter Kurpfuscher zu fertigen, der Einheit opfern müssen. 
Als Entschädigung könnte den Apotheken die Zuweisung der 
Verabreichung der Tierheilmittel gewährt werden. Es hat meines 
Erachtens keine Berechtigung mehr, daß die Tierärzte am 
Sitze der Apotheken oder in nächster Nähe derselben Hand¬ 
apotheken führen. Der zu erwartende Einwurf der Apotheken, 
daß die Annoncierung durch die Drogenhandlungen und durch 
andere Geschäfte erfolgen werde, ist nicht durchschlagend. 
Die Apotheken genießen staatlichen Schutz zum Zwecke der 
Gesundheitspflege der Allgemeinheit und das „socios habere 
malorum“ ist weder Rechts- noch Sittlichkeitsgrund für eine 
verbotene Handlung. 

Schwieriger ist, das kurpfuschereimäßige, oft an Betrügerei 
grenzende Ankünden der großen Fabrik- und Handels¬ 
firmen zu bekämpfen. Ihr Lieblingssitz ist die Wasserkante und 
ein ehemaliges Königreich, das durch die Klugheit seiner Be- 



Kurpfuscherei und Anderes. 


119 


wohner sprichwörtlich geworden ist. Die Kriegsvorschriften über 
die einschlägige Materie waren vorbildend; zu ihrer Aufrecht¬ 
erhaltung wird wohl die gesetzliche Unterlage fehlen. Der 
Appell an die Zeitungen ist von vornherein aussichtslos. Aber 
die staatlichen Prefierzeugnrisse könnten sich davon frei halten. 
Zur Herabminderung des Umsatzes schwindelhaftler Heil¬ 
mittel könnte auch der ärztliche Stand wesentlich beitragen. 
Immer mehr gewöhnen sich die Aerzte daran, auf Empfehlung 
einer Geschäftsfirrna, auf die bloße Benennung eines Heilmittels 
hin systematisch zu ordinieren ohne jede tiefere Einsicht in 
das Wesen und die Heilwirkung ihrer verordneten Mittel. Der 
Aerztestand läuft Gefahr, in den allbezwingenden Kreis der 
Großfirmen gezogen zu werden, wie es bei den Apotheken 
vielfach schon der Fall ist. Die Ordination eines dem Arzt 
unbekannten Heilmittels unterscheidet sich in nichts von Kur¬ 
pfuscherei. Hier kann uns nur eine gründlichere Durchbildung 
der Aerzte auf den Hochschulen helfen nicht bloß in specie 
der Heilmittellehre, sondern auch generaliter in der Selbst¬ 
beherrschung und ihrer Auswirkung auf die cupido rerum 
nevarum. Die deduktive Erziehung der Aerzte bedarf einer 
Verschärfung. 

Einer Besprechung ist ferner bedürftig die Kurpfuscherei 
des niederen Aerztepersonals. Wer seine Hebammen nicht 
fest in der Hand hat, dem gleiten sie zwischen den Fingern durch. 
Die Zahl der pfuschenden Hebammen in einem Amtsbezirk ist 
ein gutes Merkmal für die Tätigkeit des Amtsarztes. Aehnlich 
verhält es sich mit den Pflege- und Fürsorgeschwestern, nur 
daß hier der Einfluß des Amtsarztes von vornherein abgemindert 
ist. Dieses Institut ist ursprünglich geschaffen als Instrument 
der Auswirkung der amts- und privatärztlichen Anordnungen. 
Es ist aber Gefahr vorhanden, daß es selbständiges Eigenleben 
bekommt und sich von den Aerzten mehr oder minder ab¬ 
trennt. Besonders die frei praktizierenden Pflegerinnen neigen 
dazu, einerseits infolge ihrer natürlichen Anlage, anderseits aus 
Mangel an äußeren Hemmungen durch die Einflüsse einer 
Organisation. Das Verhältnis zwischen Amtsarzt und Pflege- 
und Fürsorgepersonal ist immer noch nicht genügend geklärt, 
Die Einführung einer staatlichen Approbation muß von der 
Einordnung der Approbierten in die zielbewußte, konzentrisch 
wirkende Sanitätsverwaltung begleitet sein. Auch sind neue 
Vorschriften, die das ganze Reich gleichsinnig umfassen, am 
Platze. Tun wir dies nicht, so schaffen wir uns und den Aerzten 
oft selbst Widerstände. 

Am schwierigsten sind die Berufskurpfuscher zu be¬ 
handeln. Bisher war Bayern hierin recht — rückständig. Während 
in den übrigen Gliederstaaten sich die Gelegenheitspfuscher längst 
zu einer Berufstätigkeit emporgearbeitet hatten, hatten wir in 
Bayern noch größtenteils die verhältnismäßig harmlosen Ama¬ 
teurpfuscher. Dieses Idyll ist aber auch bei uns im Schwinden 
begriffen. Es wird die Kurpfuscherei auch bei uns immer mehr 



Dr. Seyffarth and Dr. Schräder. 


120 

eine Lebensbeschäftigung. Sie haben sich zusammengeschlossen, 
gehören durchwegs einer politischen Richtung an und sind 
daher bei unserer Parteileidenschaft eine willkommene Ergänzung 
der Stimmenzahl und damit einer politischen Macht. Sie greifen 
bereits in die Rechtspflege über, -wo sie Gleichberechtigung 
mit den Aerzten als Begutachter fordern und in einzelnen 
Fällen auch schon erhielten. Bei der Aussichtslosigkeit der 
Bekämpfung durch das Reich selbst gegen diesen aufstrebenden 
Wassertrieb am Baume der ärztlichen Wissenschaft hilft nur 
ein enger Zusammenschluß der ganzen Aerzteschaft. Das Lieb¬ 
äugeln einzelner Aerzte mit den Kurpfuschern kann nicht streng 
genug abgelehnt werden. Schon aus diesem Grunde — es gibt 
noch hunderte Gründe mehr — muß der Amtsarzt ein führendes 
Mitglied der Aerzteorganisation sein und bleiben. Wir Amts¬ 
ärzte dürfen uns von der Heilmedizin nicht trennen, sonst hängen 
wir in der Luft. 

Endlich wäre noch die Hypnose und deren verwandte Ab¬ 
arten zu besprechen. Immer zur Zeit großer Bewegung, großer 
Umänderungen fand auch auf dem Gebiete des Okkultismus ein 
lebhaftes Treiben statt. Das Volk dürstet nach übernatürlichen 
Dingen; es will gruseln. Aber die Gefahren sind nicht geringe. 
Der Amtsarzt muß diesen Gefahren zielbewußt in die Augen 
schauen. In Bayern ist das öffentliche Auftreten der Hypnoti¬ 
seure längst verboten. 1 ) Die Durchführung läßt allerdings zu 
wünschen übrig. Die Heimat des Okkultismus und Hypnotismus 
sind die Großstädte, wo eigene Schulen hierfür Anfänger aus¬ 
bilden. Es ist mir ganz unverständlich, daß die Gesetzgebung 
keine Handhabe dafür bieten sollte, diese Schulen zu unter¬ 
drücken. Bei den Aerzten finden diese Laien-Hypnotiseure 
nicht immer Gegnerschaft. Ja, ich habe selbst beamtete Aerzte 
als Empfehler der Künste dieser Oharlatans unterschrieben 
gesehen und es waren nicht immer bayerische Amtsärzte. Ich 
würde jeden Amtsarzt, der einen Hypnotiseur empfiehlt, dis¬ 
ziplinieren und gegebenenfalls entfernen. Er zeigt, daß er nicht 
genug objektives Urteil zur Ausstellung eines Zeugnisses besitzt. 

Die Kurpfuscherei bedarf eines konzentrischen Widerstandes, 
sonst wächst sie uns über den Kopf und letzten Endes: Quid- 
quid delirant reges, plectunter Achivi. 

lieber die Mitwirkung des Amtsarztes 
bei der Auswahl der Hebammen. 

Von den Kreismediainalräten Dr. Seyffarth-Wehlan 
and Dr. Schrader-Gerdaaen. 

In Nummer 20 des 34 Jahrganges dieser Zeitschrift findet 
sich ein Artikel des Herrn Reg.- und Med.-Rats Dr. Schwabe- 
Hannover, der unseres Erachtens von den Amtsärzten nicht 
widerspruchslos hingenommen werden darf, und zwar um so 
mehr, als er in völlig gleicher Fassung auf Seite 422 der 


') Anm. der Schriftleitnng: In Preußen gleichfalls! 





Heber die Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen. 121 

Allgemeinen Deutschen Hebammenzeitung 86. Jahrgang ab¬ 
gemuckt ist. 

Am Schlüsse dieses Artikels ist folgender Absatz enthalten: 

„Wer soll non die geistige £ignnng der Anwärterinnen für den 
Hebammenberof prüfen? Nach §60 der Dienstanweisung ist den Kreisärzten 
diese Aufgabe zugewiesen. 

In der erwähnten Petition wird der Wunsch geäußert, daß die Auf¬ 
nahmeprüfung an der Hebammenlehranstalt yorzunehmen sei. In Besprech¬ 
ungen über die Beform des Hebammenwesens ist mir yon Hebammen, die be¬ 
sonderen Wert auf eine besondere Auswahl der Hebammenschülerinnen zur 
Hebung des ganzen Standes legten, dieser Wunsch yerschiedentlich yorgetragen 
und begründet worden. Ich halte ihn für durchaus berechtigt und seine 
Erfüllung für dringend notwendig. 

Für den Kreisarzt gehört die Prüfung der zur Aufnahme in eine Heb- 
ammenlehranstalt sich meldenden Frauen mit zu den undankbarsten Aufgaben. 
Seine Begutachtung tragen die verschiedensten aus den Begleitumständen sich 
ergebenden Rücksichtnahmen ein, und die Prüfung selbst gibt ihm oft genug 
nur ein unzureichendes Bild über die intellektuelle Eignung des Prüflings. 

Der Erfolg oder besser gesagt der Mißerfolg besteht dann bekanntlich auch 
darin, daß die Direktoren der Hebammenlehranstalten mehr oder weniger 
bewegliche Klage über die ihnen zugewiesenen ungeeigneten Elemente führen. 

Man überlasse daher diesen die Auswahl nach dem Ergebnis der yon 
ihnen yorgenommenen Aufnahmeprüfung, die sie weit zweckmäßiger und schärfer 
handhaben können, und betraue den Kreisarzt lediglich mit der Untersuchung 
auf die körperliche Geeignetheit und mit der Bedürfnisfrage.“ 

Vernichtender ist wohl kaum über eine der wichtigsten 
Dienstverrichtungen des Amtsarztes geurteilt worden. Dieses 
Urteil wird um so mehr von allen Gegnern der Amtsärzte be¬ 
achtet und gegen die Amtsärzte verwandt werden, als es selbst 
aus unseren Reihen stammt und dazu noch von einem höheren 
Medizinalbeamten, dessen Urteil unseren zahlreichen Gegnern 
kompetent erscheinen wird. Wir Amtsärzte haben uns selbst 
in dem schweren Kampfe um gebührende Würdigung unserer 
Verdienste besonders gern und besonders erfolgreich auf das | 
Gutachten unserer vorg^etztgg^Herren Reg.- und Med.-Räte 
berufen; denn wir zeugt, daß unsere Interessen von 

ihnen am besten vertreten würden und wir haben — Gott sei 
Dank — die Erfahrung gemacht, daß wir uns in dieser Annahme 
kaum in einem Falle getäuscht sahen. 

Was soll nun der Amtsarzt durch seine Prüfung der zu¬ 
künftigen Hebammen feststellen? 

Er soll sich, wenn er die Ausfüllung des Fähigkeitszeug¬ 
nisses nicht als eine rein mechanische und damit wertlose 
Schreibarbeit betrachtet, über die gesamte Persönlichkeit 
der betreffenden Frau äußern. 

Es ist eigentlich beschämend für einen Amtsarzt, daß er 
in diesen Blättern noch darauf hinweisen muß, wie sehr er 
seiner ganzen Vorbildung nach unbedingt geeignet ist bei 
einem Menschen eine Intelligenzprüfung vorzunehmen; denn 
diese Gutachtertätigkeit übt er auch sonst aus und zwar in 
noch viel schwierigeren Fällen, bei denen sein Gutachten eine 



122 


Dr. Seyffarth and Dr. Schräder. 


weit größere Bedeutung hat. Ich erinnere nur an die Gut¬ 
achtertätigkeit des Amtsarztes vor Gericht. Er muß sich hierbei 
äußern, ob ein Mensch § 51 des Strafgesetzbuches für sich in 
Anspruch nehmen darf, er muß entscheiden, ob ein Mensch 
wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche seine Angelegen¬ 
heiten besorgen kann, aber d i e Fähigkeit, eine Anwärterin für 
den Hebammenberuf auf ihre geistigen Fähigkeiten zuver¬ 
lässig zu prüfen, diese Fähigkeit spricht uns Amtsärzten Herr 
Reg.- und Med.-Rat Dr. Schwabe-Hannover abl 

Keinem gewissenhaften Amtsärzte wird es einfallen, 
aus einer einmaligen Untersuchung in jedem Falle end¬ 
gültig seine Schlüsse zu ziehen. Ausnahmslos fast wird der 
Amtsarzt sich wohl mehrfach mit der betreffenden Hebammen¬ 
anwärterin beschäftigen. Dazu hat er auch hinreichend Zeit; 
denn die Ausstellung des Zeugnisses eilt nicht sehr. Zwischen 
den einzelnen Prüfungen wird er gelegentlich bei zuverlässigen 
Personen sich über die Bewerberin erkundigen. Es ist mm 
auch absolut freigestellt, die betreffende Frau einmal ohne vor¬ 
herige Anmeldung zu besuchen, damit er sich überzeugen kann, 
wie sie in ihrem Haushalte schaltet und waltet. Wenn er aber 
dies alles getan hat, dann ist er nicht nur ebenso gut wie 
der Lehrer der Hebammenanstalt in der Lage ein zutreffendes 
Zeugnis über die betreffende Frau abzugeben, sondern er ist 
unseres Erachtens in der Lage, sich zuverlässiger und 
treffender über die Geeignetheit der betreffenden Frau zu 
äußern; denn er hat nicht nur allgemeine medizinisch-psychi¬ 
atrische Kenntnisse bei seinem Urteile verwandt, die er unbe¬ 
dingt ebenso gut beherrscht wie der Leiter der Hebammen¬ 
anstalt, sondern er hat auch noch aus der Praxis heraus 
Umstände für sein Urteil benutzt, die jenem völlig fehlen. 
Jeder Amtsarzt wird schon in jungen Jahren die Erfahrung 
maohen, was eine Hebamme seines Bezirks leisten muß. 
Er weiß ganz genau, daß ungeeignete Elemente in diesem 
wichtigen Berufe in erster Linie ihm selbst später einen 
Teil seiner Amtspflichten sehr unangenehm machen werden, 
daß anderseits er also selbst persönlich ungemein viel Segen 
stiften kann, wenn er nur wirklich fähigen Bewerberinnen in 
seinem Zeugnis sein „placet“ erteilt. Auf keinem anderen Ge¬ 
biete wie auf diesem ist er in der Lage, seiner Amtstätigkeit 
den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken. 

Wir Amtsärzte waren bisher stets besonders stolz darauf, 
daß wir in unserer Gutachtertätigkeit unbeeinflußt sind wie 
sonst die Aerzte nicht in diesem Grade. Selbst praktische Aerzte 
haben zum Ausdruck gebracht, daß der Amtsarzt der gegebene 
Gutachter sei, in dessen Händen möglichst die gesamte Gut¬ 
achtertätigkeit der Praxis vereinigt werden sollte. Ein der¬ 
artiges Urteil, auf das wir stolz sein dürfen, haben wir uns 
redlich verdient durch die gewissenhafte Art und Weise, mit 
der wir bei unserer Gutachtertätigkeit vorgegangen sind. Und 
nun tritt gegen uns einer aus unseren Reihen auf und be- 



Ueber die Mitwirkung des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen. 133 


hauptet „unsere Begutachtung trage die verschiedensten, aus 
den Begleitumständen sich ergebenden Rücksichtnahmen ein!!* 
Gegen ein derartiges, unsere Interessen schwer schädigendes 
und unseres Erachtens bisher von Herrn Reg.- und Med.-Rat 
Dr. Schwabe in keiner Weise bewiesenes Urteil müssen wir 
— ungeachtet des schuldigen Respektes, den wir unseren Herren 
Vnrgpj.tfpf.tttgnJ n dieser disziplinlosen Zeit mehr als früher schuldig 
sind — aufs energischste protestieren. 

Die Dienstanweisung der Kreisärzte ist Menschenwerk und 
deshalb nicht vollkommen gut. Jedem Amtsärzte ist es ge¬ 
stattet, seine Erfahrungen für YerbesserungsVorschläge vorzu¬ 
bringen. Wir würden also nicht das mindeste einzuwenden 
gehabt haben, wenn ein Amtsarzt, — gleichgültig, welche 
Stellung er einnimmt — in einem vertraulichen Schreiben seine 
Erfahrungen seinen Kollegen mitgeteilt hätte, um sich einen 
Ueberblick zu verschaffen, wie anderenorts die Erfahrungen in 
der betreffenden Angelegenheit sind. Jeder Reg.- und Med.-Rat, 
der sich nicht nur als dekVfljyjasiytoti* sondern wirklich als 
der Kollege und wohlmeinende Berater seiner Amtsärzte fühlt, 
hätte diese Angelegenheit auf der nächsten Medizinalbeamten- 
Vereins-Sitzung vorgebracht. Hierbei wären alle Amtsärzte zur 
Sprache gekommen. Es hätte festgestellt werden können, ob 
denn wirklich ein Mißstand dieser Schwere vorliegt. Diese Fest¬ 
stellung hätte dann mehr Wert gehabt, als die allgemein ge¬ 
haltenen Behauptungen des Herrn Reg.- und Med.-Rats Dr. 
Schwabe-Hannover. Man hätte dann beraten können, wie 
einem derartigen Mißstande abzuhelfen sei. Auch diese Arbeit 
wäre wertvoll gewesen, denn ebenso wie der Untergebene nioht 
des korrigierenden Urteils seiner VorgesetzterT ffntoehren kann, 
sind diese auf die Erfahrungen ihrer untergebenen angewiesen. 
Wenn dann wirklich die Gesamtheit der Amtsärzte zu dem 
Urteile kam, sich in dem oder jenem Punkte Herrn Reg.- und 
Med.-Rat Dr. Schwabe-Hannover anzuschließen, so hätte 
dies in der Oeffentlichkeit in einer ganz anderen Form 
zum Ausdruck gebracht werden können, als sie von ihm gewählt 
wurde und unseres Erachtens unter keinen Umständen mit 
Rücksicht auf die Standesinteressen seiner Kollegen gewählt 
werden durfte. 

Wir stehen mit unserem Urteile nicht allein. Auf der 
letzten Sitzung des Medizinalbeamten-Vereins des Reg.-Bez. 
Königsberg wurde die gleiche vernichtende Kritik überden 
oben erwähnten Artikel einstimmig von allen Amtsärzten 
gefällt. Unter ihnen waren aber Männer vertreten, die in 
jahrzehntelanger Amtstätigkeit ergraut waren und deren be¬ 
sonnenes Urteil uns jüngeren von jeher maßgebend war. Das 
sollte doch Herrn Reg.- und Med.-Rat Dr. Schwabe in Han¬ 
nover sehr zu denken geben! 



124 


Bericht über die im Ministerium für Volks Wohlfahrt 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Aber die am Ml. Januar 1922 im nintsteriam iftr 
Volkswohlfalirt gepflogenen Verhandlungen. 

Nachdem der Herr Minister für Volkswohlfahrt dnrch Erlaß vom 8.1. 22 
I M I 8849 den Antrag des Preußischen Medizinalbeamtenvereins auf Aner¬ 
kennung des gewählten Beamtenausschosses abgelehnt, sich aber gleichzeitig 
bereit erklärt hatte, mit dem Vorstand des Vereins über wichtige Fragen der 
Medizinalverwaltnng in Verhandlungen einzutreten, fand auf Einladung des 
Herrn Ministers am 21. 2. 22 eine Beratung statt. 

Unter dem Vorsitz dos Herrn Ministerialdirektors Prof. Dr. Gott¬ 
stein waren versammelt: 

Ministerialrat Wirkl. Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr. Dietrich und Reg.- 
und Med.-Rat Dr. Glaubitt, als Vertreter des Ministeriums. Med.-Rat Dr. 
Bundt, Kreisarzt Dr. Wollenweber, Med.-Rat Dr. Rogowski, Geh. 
Med.-Ral Dr. Solbrig, Med.-Rat Dr. Franz, als Vorstand des Preußischen 
Medizinalbeamtenvereins. Med.-Rat Dr. S a n d h o p, Kreisarzt Dr. M a n t h e y, 
als Mitglieder des gewählten Beamtenausschusses. 

Ministerialdirektor Prof. Dr. Gottstein begrüßte die Erschienenen. 
Geheimrat Dr. Dietrich teilte mit, daß der Herr Minister den Beamten¬ 
ausschuß Dicht habe anerkennen können, weil ein solcher nach den Bestim¬ 
mungen vom 24. 8.19 nur für die Beamten einer Behörde mit ihren verschiedenen 
Beamtenklassen, nicht aber für eine Vereinigung von Einzelbehörden und von 
Angehörigen verschiedener Behörden ernannt werden könne. Der Herr Minister 
habe sich aber gern bereit erklärt, mit dem Vorstand des Preußischen Medizinal¬ 
beamtenvereins in dem Sinne der erwähnten Bestimmungen über alle wichtigen 
Fragen regelmäßig zu verhandeln. Gemeinsame Beratungen werden voraussicht¬ 
lich zweimal im Jahre stattfinden und können bei Bedürfnis vom Vorstand 
darüber hinaus beantragt werden. 

Der Vorsitzende des Preußischen Medizinalbeamtenvereins dankt dem 
Herrn Minister und seinen Beauftragten. 

Als Beratungsgegenstände wurden verhandelt: 

1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Reg.- und Med.- 
Räte, sowie der Kreismedizinalräte), 

2. Gesetz bet. die Gebühren der Med.-Beamten, Ablieferungspflicht der Gebühren, 
8. Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte, 

4. Dienstanweisung für die Kreismedizinaleäte. 

1. Allgemeine Angelegenheiten (Beamtenausschuß, Stellung der Reg.- 
und Med.-Räte sowie der Kreismedizinalräte). Wirkl. Geh. Obermed.-Rat 
Dr. Dietrich, der für den im weiteren Verlauf verhinderten Ministerialdirektor 
den Vorsitz übernahm, besprach die Stellung der Reg.-Med.-Räte, 
sowie der Kreismedizinalräte. Die Dienstbezeichnung der Reg.- und Med.-R&te 
als „Oberregierungs- und Med.-Räte“, für die Vorgänge in der Bezeichnung 
der entsprechenden Beamten in der Gewerbe- und Schulverwaltung vorhanden 
seien, und eine entsprechende Dienststellung und Besoldung für sie, werde 
erstrebt. Im Etat für 1922 sei für 18 von 34 Reg.- und Med.-Qäten die 
Gruppe XII vorgesehen. 

Vom Vorstande wurde die Forderung aufgestellt, daß alle Reg.- und 
Med.-Räte entsprechend der vorgenommenen Abstimmung die Dienstbezeichnun^ 
„Oberregierungsrat“ erhalten und ihnen eine selbständige Abteilung bei 
der Regierung, gegebenenfalls als Unterabteilung der Abteilung I, sowie ein 
entsprechendes Gehalt gewährt werde. Gleichzeitig wurde für notwendig 
erklärt, daß entsprechend der Bedeutung des Gesundheitswesens im Staate ein 
besonderes Ministerium für Volksgesundheit gebildet, mindestens 
aber, falls dies vorerst nicht zu erreichen, die volle Selbständigkeit der 
Medizinalabteilung durch Bestellung eines Staatssekretärs als 
Leiter unmittelbar unter dem Minister gewährleistet werde. 

Auch die Dienststellung der Kreisärzte bedarf der Ausgestaltung und 
größerer Selbständigkeit. Die Vollbesoldung aller Kreisärzte steht in 
einigen Jahren zu erwarten. Entgegenstehende Bestrebungen einzelner Kreis¬ 
ärzte müssen gegenüber dem Gesamtinteresse zurücktreten. Im Etat für 1922 
sind von 228 vofibesoldeten Kreisärzten 174 für Gruppe XI, 49 für Gruppe X 



gepflogenen Verhandlungen 


125 


vorgesehen. Vom Vorstand wnrde der Antrag gestellt, daß auch nicht voll* 
besoldete Kreisärzte in Aafrücknngsstellen gelangen können. Weiter wurde 
vorgeschlagen, daß zar Vereinfachung des Besoldungswesens and des Etats 
dem Beispiele des Freistaates Baden gefolgt werde. Danach wäre im Etat 
nicht mehr zwischen vollbesoldeten und nicht vollbesoldeten Kreisärzten an 
unterscheiden, sondern gleiches Gehalt für beide anzusetzen mit dem Zusatz: 
„Soweit einzelne Kreisärzte dienstlich nicht vollbeschäftigt sind, werden ihnen 
2&°/o des Gebalts einbehalten." Die Aufrückungsmöglickheit und das Ruhe¬ 
gehalt würde unter diesen Verhältnissen für alle gleich sein. 

Geheimrat Dr. Dietrich besprach dann eingehend die Besoldungsvor¬ 
schriften vom 8. 7. 21, veröffentlicht im Finanzblatt Nr. 14. Er wies insbesondere 
darauf hin, daß der Beamte verpflichtet ist, nach der vorgeschriebenen schrift¬ 
lichen Mitteilung der Regierung an ihn, die, wenn sie noch nicht erfolgt sei, 
von dem Beamten bei dem Regierungspräsidenten erbeten werden müsse, die 
Festsetzung des Besoldungsdienstalters selbst nachzuprüfen, 
daß es im übrigen im eigensten Interesse der Beamten liegt, sich über die 
Vorschriften eingehend zn unterrichten. Sondervergütungen fallen vom 1. 4 22 
ab weg. Es ist jedoch wiederum eine Summe von 110000 Mark in den Etat 
eingefaßt, aus der besonders bedürftigen Kreisarztstellen Stellenzulagen gewährt 
werden sollen. 

Bei Gelegenheit der Besprechung der gesetzlichen Vorschriften wurde 
darauf hingewiesen, daß die Preußische Gesetzsammlung und das 
Reichsgesetzblatt von den Kreisärzten notwendigerweise zu halten sind. 

Vom Vorstand wurde beantragt, daß im Ruhestand befindlichen 
früher vollbesoldeten Kreisärzten ein Ruhegehalt entsprechend Gruppe XI 
und denjenigen Regiernngs- und Med.-Räten, die früher Stellenzulagen 
von 600 Mark erhielten, ein Ruhegehalt entsprechend Gruppe XII gewährt wild, 
so, als wenn sie sich in einer den jetzigen Verhältnissen entsprechenden Auf- 
rückungsstelle befunden hätten. Der Vorstand stellte entsprechende Anträge 
in Aussicht je an den Herrn Finanzminister, an das Staatsministerium und an 
den Herrn Minister für Volkswoblfahrt. 

Auf das Besoldungsdienstalter können angerechnet werden: 

5 Jahre Studium, V* Jahr Staatsexamen, ein praktisches Jsihr, */* Jahr Kreis¬ 
arztexamen, 8 Jahre Ausübung ärztlicher Praxis, d. h. für die Gesamtausbildung 
10 Jahre. Da hiervon 4 Jahre abgehen, so sind dem Besoldungsdienstalter 

6 Jahre Anwärterdienstzeit hinzuzurechnen. 

Weitergehende, vom Vorstand geäußerte Wünsche, insbesondere die 
Anrechnung fünfjähriger Praxis und einer Zeit von einem Jahr für das Kreis¬ 
arztexamen haben Berücksichtigung bisher nicht finden können. 

Hinsichtlich der Dienslbezeichnuog wurden vom Vorstand entsprechend 
der erfolgten Abstimmung folgende Forderungen gestellt: 

1. für die Reg.- und Med.-Räte: Oberregierungsrat, 

2. für die Kreisärzte: Med.-Rat bezw. O&ermecL-Rat, 

8. für die Kreisassistenzärzte: Medizinalassessor. 

Dabei soll für die Kreisärzte die Bezeichnung als Behörde bleiben «Der 
Kreisarzt des Kreises" und die Amtsbezeichnung „Med.-Rat“ bezw. „Ober- 
medizinal rat“ binzugefügt werden, wie sie in gleicher Weise auch bei den 
Gewerbeaufsichtsbeamten (Bezeichnung als Behörde „Der Gewerbeaufsicbts- 
beamte“ und als Dienstbezeichnung „Gewerberat“) vorhanden ist. Eine ent¬ 
sprechende Bezeichnung ist auch für die Gerichtsärzte vorzusehen. Zu dieser 
nunmehr von der durchaus überwiegenden Mehrheit der Kreisärzte gestellten 
Forderung wurde auf die einmütige Ahlehnung der Dienstbezeichnung „Kreis¬ 
medizinalrat“ erneut hingewiesen, die der Amtsbezeichnung der Versorgungs¬ 
ärzte „Regierungsmedizinalrat“ und der geplanten Amtsbezeichnung der Aerste 
der Schutzpolizei „8taatsmedizinalrat“ gegenüber minderwertig erscheinen muß. 

Geheimrat Dr. Dietrich erklärt sich bereit, diese Anträge bei der 
Beratung über die Neufassung der Besoldungsordnung und über die end¬ 
gültige Festsetzung der Amtsbezeichnungen zum Vortrag zu bringen. 

Die Direktoren der Medizinaluntersuchungsämter haben 
bei einer erfolgten Abstimmung sich überwiegend für die Dienslbezeichnung 
„Medizinalrat“ ausgesprochen, während ein Teil von ihnen die Dienstbezeichnung 
„Professor“ wünscht. Nach Besprechung mit Geh. Obermed.-Rat Prof. Dr. 
Lentz bedarf die Frage weiterer Klärung. Herr Geheimrat Dr. Lents ist 



126 Bericht über die im Ministerium für Volkswohlfahrt 

bereit eine Abordnung der Vorsteher der Untersnchnngsämter im Einverständnis 
mit dem Vorstand des Vereins zn einer Besprechung zu empfangen. 

Med.-Bat Dr. Sandhop übermittelt den Wunsch, daß den gerichts- 
ärztlichen Ansschüssen auch ein Kreisarzt angehören soll. Geheimrat 
Dr. Dietrich wird die Anregung bei dem Herrn Minister vertreten. 

Ein Antrag des Gerichtsarztes Geh. Bat Prof. Dr P n p p e wünscht eine 
besondere Dienstanweisung für Gerichtsärzte. Die Berechtigung wird 
anerkannt, jedoch sollen den Gerichtsärzten hierdurch nicht wichtige Dienst¬ 
obliegenheiten der Kreisärzte, insbesondere im Attestwesen übertragen werden. 
Geh. Bat Dr. S o 1 b r i g wird gebeten mit Geh Bat Prof. Dr. Puppe einen Entwurf 
auszaarbeiten und diesen durch Vermittlung des Preußischen Medizinalbeamten- 
Vereins dem Herrn Minister zu übermitteln. 

2. Das Gesetz über die Gebühren der Medizinalbeamten soll nen 
bearbeitet werden. Med.-Bat Dr. B u n d t legte einen bereits früher eingereiebten 
Entwurf vor, der durchberaten wird. 

In Paragraph 1 ist hinter „Kreisärzte“ zn setzen „Gerichtsärzte“. Die 
Abführungspflicht entsprechend § 4, deren Abschaffung vom Preußischen 
Medizinalbeamtenverein gewünscht wird, muß entsprechend der Forderung des 
Finanzministers bestehen bleiben. Bezüglich der Abführungspflicht für die 
Bevisionen von Färb- oder Gifthandlungen bestanden Zweifel, da es nicht fest¬ 
steht, daß diese lediglich vom Kreisarzt Torgenommen werden können. 

§ 5 Abs. 3 soll heißen: „ Die Tagegelder und Beisekosten in gericht¬ 
lichen Angelegenheiten sind dieselben wie in den übrigen Amtsgeschäften.“ 

Im Absatz 4 ist zu setzen nach „§ 2“ und „§ 8“. 

§ 17 ist zu streichen, § 14 anderweitig zu fassen. 

Im Tarif ist A I 3 zn fassen: „Vorbereitung eines in einem Termine 
zu erstattenden Gutachtens: 

a) wenn die Untersuchung in der Wohnung des Kreisarztes oder, falls dieser 
Anstaltsarzt ist, in der Anstalt Btattfindet (Voruntersuchung), 

b) wenn die Untersuchung außerhalb der Wohnung oder Anstalt stattfindet 
(Vorbesuch einschl. Untersuchung). 

Am Schluß der Ziffer 3 ist hinzuzusetzen: „Fahrtauslagen sind in bar 
zu ersetzten.“ 

In Ziffer II 7 ist der zweite Teil zu streichen. Ziffer 8 ist hinzuzn- 
fügen: „Fahrtkosten sind in bar zu ersetzen“, soweit nicht für auswärtige 
Termine Beisekosten in Frage kommen. 

Unter A III soll der Unterschied zwischen Befundschein und Befand- 
attest fortfallen. 

Ziffer 11 und 12 zusammengefaßt sollen vielmehr lauten: „Befundattest 
oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne gutachtliche Ausführung.“ 

Ziffer 17 ist hinzuzusetzen: „Gebühren für Voruntersuchung und Vor¬ 
besuch sind dieselben wie A 1 3, sowohl bei Befundattesten, wie Vorbesuchen.* 

Im letzten Absatz Ziffer 17 ist überall anstatt „14 nnd 15“ zu setzen 
„14 bis 16“. 

B Ziffer 6 Abs. 2 ist zu streichen. 

B Ziffer 19, desgleichen Ziffer 13 nnd 14 fallen weg. 

Hinsichtlich der Höhe der einzelnen Tarifbestimmungen wird 
eine Erhöhung auf das Zehnfache der für die Vorkriegszeit geltenden, als 
unbedingt notwendig bezeichnet 

Herr Geh. Bat Dr. Dietrich schlägt vor, daß der so abgeänderte 
Entwurf der Gebührenordnung vom Vorstande an die BezirkBVereine zur Durch¬ 
beratung gesandt werde. Der Vorstand sagt dies zu. 

3. Bezüglich Veränderung der Dienstanweisung berichtete Dr. Wollen* 
weber im Aufträge des Vorstandes: 

An sich sei es erwünscht, die gesamte Gesundheitspolizei von der 
Allgemeinpolizei gesetzlich abzutrennen und dem Kreisarzt zu übertragen, 
wobei diese bis zu einem gewissen Grade ihres polizeilichen Charakters ent¬ 
kleidet werden und den Charakter der Fürsorge erhalten könnte. Hierzu sei 
aber eine Aenderung verschiedener Gesetze notwendig, auch sei die ganze 
Einrichtung der Behörde „Der Kreisarzt" keineswegs überall reif dazu. Grund¬ 
sätzlich sei aber obige Forderung zu stellen, die vielleicht im Bahmen der 
Verwaltungsreform Berücksichtigung finden könne. 

Schon jetzt sei aber durch Veränderung der Dienstanweisung eine Ver- 



geflogenen Verhandlungen. 


127 


besserang und ein Ausbau der Stellung des Kreisarztes möglich. Zunächst 
bedürfe die Stellung zum Landrat einer zeitgemäßen Aenderung. § 12, 
Abs. 3, wonach die .Berichte des Kreisarztes an den Regierungspräsidenten 
durch die Hand des Landrats einzureichen seien, werde ohnedies in vielen 
Kreisen nicht beachtet, sei auch in der Mehrzahl der Fälle überflüssig. Es 
wird von Dr. W. vorgeschlagen, den § 12 wie folgt zu formulieren: 

„Der Kreisarzt hat sich eine enge Verbindung mit dem Landrat auf 
dem Gebiete des Gesundheitswesens angelegen sein zu lassen und ihn von 
allen wichtigen Angelegenheiten auf diesem Gebiete zu unterrichten. Er hat 
als technischer Berater des Landrats dessen Ersuchen in Angelegenheiten des 
Gesundheitswesens nachzukommen. Anderseits hat der Land rat den Kreisarzt 
über alle wichtigen Angelegenheiten, die für das Gesundheitswesen in Betracht 
kommen, zu unterrichten, ihn vor Erlaß von allen Verordnungen oder all* 

f emeinen Verfügungen, die das Gesundheitswesen betreffen, rechtzeitig zu 
Ören und sie ihm nach Erlaß mitzuteilen. 

Der Kreisarzt gibt dem Landrat auch von wichtigen Berichten an den 
Regierungspräsidenten oder eine Abteilung der Regierung Kenntnis." 

In § 14, Abs. 4, muß die Vorschrift über die Anmeldung der an¬ 
steckenden Krankheiten lauten: 

„Die Anzeigen von Erkrankungen oder Todesfällen an übertragbaren 
Krankheiten sind von den Verpflichteten unmittelbar an den Kreisarzt zu 
richten, der sie mit dem nach Lage der Sache notwendigen Anordnungen 
(vgl. § 35) ungesäumt der Ortspolizeibehörde gegen Rückgabe weitergibt. 
Die Ortspolizeibebörde ist verpflichtet, die Anordnung zur Ausführung zu 
bringen. Sofern Bedenken vorliegen, teilt dies die Ortspolizeibehörde dem Kreis¬ 
arzt ungesäumt mit, der nötigenfalls die übergeordnete Dienststelle anruft. 
Bei der Rückgabe der Anmeldungen teilt die Ortspolizeibehörde die aus¬ 
geführten Maßnahmen mit. Sie hat im übrigen den Kreisarzt, wenn sie auf 
andere Weise vom Ausbruch einer der Anzeigepflicht unterliegenden Krankheit 
Kenntnis erhält, hiervon ungesäumt zu benachrichtigen. Ihre Verpflichtung 
zur Berichterstattung an den Land rat nach Maßgabe sonstiger bestehender 
Vorschriften bleibt unberührt." 

Dementsprechend ist § 35 folgendermaßen zu fassen; Abs. 1 bleibt be¬ 
stehen. Aba. 2 soll lauten: 

„Die zur Verhütung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit er¬ 
forderlichen Maßnahmen, soweit sie in den Seuchengesetzen und ihren Aus¬ 
führungsbestimmungen vorgesehen sind und Feststellungs-, Absonderungs- und 
Desinfektionsmaßnahmen darstellen, ordnet der Kreisarzt jedoch selbständig 
an. Dies geschieht in der Regel durch schriftliche Anordnung an die Orts¬ 
polizeibehörde, in dringlichen Fällen unmittelbar an den Betroffenen. Die Orts¬ 
polizeibehörde und die Betroffenen haben den Anordnungen Folge zu leisten. 
Falls die Ortspolizeibehörde begründete Bedenken gegen die Ausführung hat, 
sind sie dem Kreisarzt ungesäumt mitzuteilen, der nötigenfalls die über¬ 
geordnete Dienststelle anruft. Die Anordnungen sollen stets die verschiedenen 
Interessen berücksichtigen, das Gemeinwohl aber in den Vordergrund stellen 
und möglichst den Charakter der vorbeugenden Fürsorge tragen." 

Das Verhältnis zu den Organen der Selbstverwaltung bedarf 
einer grundlegenden Aenderung. Unter den jetzigen Verhältnissen wird der 
Kreisarzt von ihnen äußerst selten zugezogen, vielfach geflissentlich über¬ 
gangen. Hierdurch veranlaßt, sind stellenweise höchst unerquickliche Ver¬ 
hältnisse entstanden. Unter anderen hat sich vielfach die kommunale Gesund¬ 
heitsfürsorge unter mehr oder weniger völliger Ausschaltung des Kreisarztes 
entwickelt, so daß der Kreisarzt weder die notwendige Kenntnis noch irgend¬ 
einen Einfluß auf das Fürsorgewesen hat. Wenn eine Anzahl von Kreisärzten 
auf dem Gebiete des Fürsorgewesens eine wichtige Stellung haben, so liegt 
dies an persönlicher Initiative und günstigen örtlichen Verhältnissen. Wenn 
naturgemäß der § 16 d. D. A. der gewaltigen Entwicklung des Fürsorgewesens, 
welche erst nach dem Kriege entstanden ist, nicht hat Rechnung tragen können, 
so ist jetzt seine grundlegende Aenderung unerläßlich. 

Dem § 16 ist dementsprechend naeh dem ersten Satz hinzuzusetzen: 
„Der Kreisarzt hat anderseits das Recht, an diesen Sitzungen, soweit Fragen 
des öffentlichen Gesundheitswesens und der Gesundheitsfürsorge zur Verhand¬ 
lung kommen, mit beratender Stimme teilzunehmen und nach vorherigem Be- 



tu Bericht über he k Hk fib VhknroUiikrt gepflogt ea Yei tofln ga. 


mIm nt ha Yonitiwhi das Recht des Vortrags nad des Antrags. Der 
Vorsitzende ist verpflichtet, diesbezügliche As trage des Eidumo auf die 
Tagesordnung n setzea und dem Kreisarzt Tagesordnung« von Verband- 
laages aoi dem Gebiete des Gesundheitswesens nnd der Gesundheitsfürsorge 
■dtzateflea. 

Soweit der Kreisarzt sieht als nebenamtlicher Kreiskommunalarzt bereits 
dam Vorstände der Kreiswohlfahrtsämter mit beschließender Stimme angehört, 
ist es Ton Amtswegen Mitglied dieses Vorstandes mit Stimmrecht. 

Der Vorsitze des Kreisaosschnsses soll sich mit dem Kreisarzt Tor 
■daß tob wichtiges Anordnungen aof dem Gebiete des kommunalen Gesund¬ 
heitswesens and der Gesundheitsfürsorge iss Benehmen setzen und ihm ge¬ 
troffene Anordnungen alsbald mitteilen. Aach die Leiter der unteren Kommunal- 
Verwaltungen haben für ihr Gebiet dieselbe Verpflichtung wie der Vorsitzende 
des Kreisaasschusses. 

Anträge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der Gesnndheits- 
fftrsorge an die Torgeordneten Dienststellen (Regierungspräsident, Land rat, bezw. 
Vorsitzende des Kreisaosschnsses) sind dem Kreisarzt zur Kenntnis vorzulegen.* 

$ 34, Ziffer 3 ist dementsprechend zu ändern. In Zeile 5 ist nach 
„Hebammenwesen" za setzen: 

„Ueber die Krankenschwestern, Ffirsorgerinnea, Werks¬ 
pflegerinnen, and gleichartige Angestellte der Gemeinden oder sonstiger 
Körperschaften, über die Heilgehilfen, Desinfektoren nnd anderes 
Hilfspersonal des Gesnndheitswesens nnd der Gesundheitsfürsorge die 
fachliche Ansicht zu führen. Auch über alle Einrichtungen der kommu¬ 
nalen Gesundheitsfürsorge führt der Kreisarzt die Aufsicht.“ 

Eine entsprechende Aenderung im § 45 regelt die Meldepflicht der 
Krankenschwestern, Fürsorgerinnen and gleicnartiger Angestellten 
der Gemeinden oder sonstiger Körperschaften. 

Geheimrat Dr. Dietrich erkennt die Berechtigung einzelner der ge¬ 
wünschten Abänderungen an, betont aber, daß andere der Torgeschlagenen 
Aendernogen das Einverständnis des Herrn Ministers des Innern, sowie anderer 
Ministerien nötig machen. Die Stellung des Herrn Ministers für Volkswoblfahrt 
müßte er, wie bei allen anderen Fragen den gemeinsamen Verhandlungen 
immer Vorbehalten. Im übrigen stellt er anheim, daß der Vorstand einen Ent' 
warf einer neuen Dienstanweisung unter besonderer Berücksichtigung der be¬ 
sprochenen Punkte ansarbeiten and vorlegen möchte. 

4. Ueber die Aenderang der ärztlichen Gebührenordnung referierte 
Med.-Rat Dr. Franz. Als notwendig wird gemäß Vorschlag von Kreisarzt 
Dr. Wollen weher die Einführung einer besonderen Gebühr für „eingehende 
physikalische Untersuchung der Brost- oder Bauchhöhle“ anerkannt, ebenso 
eine bedeutende Heranfsetznng der Mindestsätze. Als Mindestgebühr für einen 
Besuch werden 15 M. von Med.-Rat Dr. F r a n z bezeichnet, im übrigen werden 
einzelne Vorschläge von ihm and Kreisarzt Dr. Manthey gemacht. 

Geheimrat Dr. Dietrich teilt noch mit, daß der Erlaß vom 14 . Dezember 
1981 betreffend Ausbildung der in der kommunalen Fürsorge 
tätigen Aerzte zu Mißverständnissen Anlaß gegeben habe, als ob der 
Kreisarzt nicht ohne weiteres als für kommanalärztliche Tätigkeit ansgebildet 
ansnsehen sei. Eine entsprechende Richtigstellung werde in einem besonderen 
Erlasse erfolgen. 

Der vom Vorstand früher gestellte Antrag, wonach die Gerichts* 
Erste keine Gebühren abliefern sollen, ist von den zuständigen Ministerien 
abschlägig beschieden. Der Vorstand behält sich vor, seinen Antrag von 
neuem einzureichen. 

Geheimrat Dr. Dietrich regt an, die sämtlichen in Betracht kommenden 
Anträge snsammengefaßt einzareichen. Der Vorstand sagt entsprechendes 
Vorfahren zu. 

Für die nächste Bitsang wird vorläufig der Monat Juli in Aussicht ge¬ 
nommen. Die Niederschrift soll dem Herrn Minister überreicht werden. 

Der Voratand. 

ges. Dr. W ollen weher, gez. Dr.Bundt, 

Schriftführer. Vorsitzender. 



Bericht aber die Hauptversammlungen des Vereins der Sächs. Bezirksärzte. 129 


Bericht Aber die Hauptversammlungen 
des Vereins der Sächsischen tteztrksärzte Im Jahre 1921. 

i. Hauptversammlung in Dresden am 28. Mai 1921. 

Die für nachmittags */s5 Uhr einberufene Versammlung konnte erst abends 
V*7 Ubr beginnen, da die am gleichen Tage von vormittags 7*10 Uhr an statt- 
gefundene Vollversammlung der Bezirksärzte im Ministerium des Innern erst 
abends 6 Uhr beendet wurde. Außer 20 Mitgliedern waren anwesend die Ehren* 
mitglieder Geh. Med.-Rat Dr. Eras und Ober*Med.*Rat Dr. von Mücke, sowie 
als Gäste Dr. Ha Ile-Zwickau und Dr. Lehne rt-Dresden. 

Nach Begrüßung der Erschienenen durch den Vorsitzenden, Dr. Petzholdt- 
Piraa, und kurzen geschäftlichen Mitteilungen wird sofort in die Tagesordnung 
eingetreten. 

I. Vorschläge zur Abänderung der Dienstanweisung. Der Bericht¬ 
erstatter Dr. Holz-Leipzig führt folgendes ans: Wenn anch klar liege, daß 
eine seit 37 Jahren bestehende Dienstanweisung dnrchsichtigsbedürftig sei und 
manches ansscheiden, anderes umgearbeitet werden müsse, so habe er doch bereits 
Tor einem Jahr vor einer Abänderung gewarnt; denn die Dienstanweisung für 
die sächsischen Bezirksärzte habe manche Vorzüge vor der anderer Staaten, 
es sei den Bezirksärzten größere Freiheit gelassen und ihre Stellung sei selbst¬ 
ständiger, sodaß an der jetzigen Dienstanweisung im großen nnd ganzen fest- 
gehalten werden müsse nnd an ihr nicht viel zu ändern sei. Wenn aber trotz¬ 
dem eine Aendernng jetzt znr Besprechung gestellt werde, so sei dies dadurch 
veranlaßt, daß der Verein im letzten Jahre dem Ministerium eine Denkschrift 
unterbreitet habe, in der die Errichtung von Gesundheitsämtern unter Leitang 
des Bezirksarztes angeregt worden sei nnd daß das Ministerium eine derartige 
grundsätzliche Aendernng der bezirksärztlicben Stellung zwar abgelebnt, daß 
es aber zur Entgegennahme von Vorschlägen zur Abänderung einzelner Be¬ 
stimmungen der Dienstanweisung sich bereit erklärt habe. Dadnrch sei es za einer 
Umfrage bei allen Bezirksärzten gekommen, deren Ergebnis dem Entwarf des 
Berichterstatters zngrnnde liege. Dieser Entwarf sieht außer verschiedenen 
kleineren nnd formgebenden (redaktionellen) Aenderungen als wesentlich nur vor: 
die ausdrückliche Einbeziehung der Aufsicht über die Wohlfahrtspflege in dea 
Pflichtkreis der Bezirksärzte, die Ueberwachnng des Desinfektionswesens, die 
Aufsicht über die schalärztliche Tätigkeit nnd eine größere Bewegungsfreiheit 
auf dem Gebiete der Gewerbebygiene. Nach längerer Aussprache stimmte man 
dem Vor8chlags-Entwnrf unter unwesentlichen Abänderungen zu. Durch Ver¬ 
vielfältigung des angenommenen Entwurfs soll den Mitgliedern nochmals vor 
Einreichung an das Ministerium Gelegenheit znr Meinungsäußerung gegeben 
werden. 

II. Kassenbericht; Berichterstattet Dr. San er-Bautzen: Der Einnahme 
Ton 970 M. steht eine Ausgabe von 694,50 M. and 668,50 M. Fehlbetrag vom 
Voijahre gegenüber, mithin besteht jetzt ein Fehlbetrag von 893 M. Die 
dadurch sich nötig machende Erhöhung des Mitgliedsbeitrages anf 
30 M. wird beschlossen. Das Tagegeld bei Reisen wird anf 30 M. festgesetzt. 

III. Bezirksärztlicher Gefängnisdienst; Berichterstatter Dr. Stahl- 
Meißen : Die Bestimmung, daß den Bezirksärzten an ihrem Dienstorte anch der 
ärztliche Gefängnisdienst als Pflichtaufgabe zufällt, falls nicht ein besonderer 
Ueriuhtsarzt angestellt oder dem Gerichtsassistenzarzt der ärztliche Gefängnis¬ 
dienst ausdrücklich übertragen ist, fuhrt bisweilen zn bedenklichen Härten, 
deren Abstellung nötig erscheint. Der Veiein beschließt, zunächst den davon 
betroffenen Mitgliedern die geeigneten Schritte selbst zu überlassen. 

IV. Vereinheitlichung der bezirksärztlichen Gebühren. Wegen der 
vorgerückten Zeit kann der von Franke-Grimma aasgearbeitete Entwarf 
nicht eingehend beraten werden. 

V. Leipziger Erfahrungen anf dem Gebiete hygienischer Volksbe- 
lehrnugen; Berichterstatter Dr. Poetter-Leipzig: In Leipzig hat sich ein 
»Verein für Volksbeleb rang in Säuglings-, Kinder-, nnd Matterpflege (Leipziger 
Mütterkarse) u gebildet, der durch einen Facharzt Vorträge and praktische 
Marse abhalten läßt, die außerordentliche Erfolge anfweisen. Derartige Kurse 
sind unter sehr starker Beteiligung der Bevölkerung von dem gleichen Arzte 
io verschiedenen Orten der Kreisbanpunannschaft Leipzig abgehalten worden. 

Schloß der Sitzung nach 10 Uhr. 



ISO Bericht Uber die Hauptversammlungen des Vereins der 8ichs. Bezirksärzte. 


B. Hertstrersammluo in Dresdei ai 17. Oktober 1921. 

Beginn V4l Uhr. Anwesend 22 Mitglieder, als Gast Dr. Lehnert- 
Dresden. 

Der Vorsitzende, Dr. Petzholdt-Pirna, begrüßte die Erschienenen 
and weist darauf hin, daß die Bezirksärzte in letzter Zeit doch gewisse 
Erfolge erzielt hätten und man den Eindruck gewinne, daß die Oberbehörden 
mehr als bisher die Tätigkeit der Bezirksärzte würdigten. Die Einrichtung 
einer Vollversammlung aller Bezirksärzte des Landes im Ministerium, die 
häufigen Einladungen von Bezirksärzten zu den Sitzungen des L&ndesgesund- 
heitsamts, die Berufung von Bezirksärzten in den Landesausschuß für Wohl¬ 
fahrtspflege und in den Vorstand des Landesausschusses für hygienische Volks¬ 
belehrung, sowie die Abordnung einer größeren Zahl von Bezirksärzten zum 
Tuberkulosekongreß in Elster seien Anzeichen dafür. Nur bei der Besoldungs- 
reforrn sei man den berechtigten Wünschen der Bezirksärzte — unbedingte 
Gleichstellung mit den Bezirksschulräten — nicht gerecht geworden, während 
die von den Bezirksärzten gewünschte Regelung der Kanzleiaufwandsentschädi- 
gung (s. u.) bald zu erwarten sei. — Hierauf wurde in die Tagesordnung 
eingetreten. 

I. Eingänge und Mitteilungen: Unter den ersteren wurde der Aufruf 
des Deutschen Medizinal beamten Vereins zum lückenlosen Beitritt besonders 
betont und befürwortet. Von den Mitteilungen seien nur die wichtigsten erwähnt: 

a) Der früher beschlossene korporative Beitritt des Vereins 
zur Vereinigung der Sächsischen Höheren Staatsbeamten ist 
nach der letzten Satzungsänderung der Vereinigung nicht möglich, ebensowenig ein 
korporativer Beitritt des Vereins zum Bund der Sächsischen Staatsbeamten. 
Die Mitglieder werden gebeten, der Vereinigung der S. H. St. ausnahmslos als 
Einzelmitglieder beizutreten, wodurch sie auch Mitglieder des Bundes S. St. 
werden. 

b) Die seit Jahren dringend nötige und vor fast einem Jahr unter ein¬ 
gehendster Begründung erbetene Begelung der Kanzleiaufwandsent- 
schädigung steht bevor. Es wird den Bezirksärzten für Stellung der Ge¬ 
schäftsräume in ihrer Wohnung jährlich eine Entschädigung in Höhe von ein Viertel 
der Wohnungsmiete, aber höchstens 500 M. gewährt; für Heizung, Beleuchtung 
und Reinigung der Geschäftsräume erhält der Bezirksarzt eine jährliche Ent¬ 
schädigung von 1500 M.; der Dienstgebrauch des Fernsprechers wird vergütet; 
die Dienstfreimarken and die gesamten sonstigen Kanzleibedürfnisse erhält der 
Bezirksarzt auf Anfordern von der Amtshauptmannschaft. Als Amtsblätter 
werden ihm kostenlos geliefert das Sächsische Gesetzblatt, das Ministerialblatt 
für die innere Verwaltung, die StaatszeituDg, die Blätter für Wohlfahrtspflege 
und die Nammern des Reichsgesetzblatts, die für die Bezirksärzte von Wichtig¬ 
keit sind. Die Kosten tür Vordrucke, die nicht von anderen Dienststellen 
erhältlich sind, werden ersetzt; für die Erledigung von Schreib- und sonstigen 
bezirksärztlichen Kanzleiarbeiten stellt die Amtshauptmannschaft dem Bezirks¬ 
arzt auf Anfordern täglich eine Schreibkraft bis zur Dauer von 4 Stunden; 
zur Entschädigung für die bis 1. 4. 21 zurückliegende Zeit werden den Bezirks¬ 
ärzten nachträglich 100 °/o der bisherigen Kanzleiaufwandsentschädigung 
gewährt. 1 ) 

c) Die Bemühungen des Vereins durch eine Eingabe an die Volkskammer 
und durch den Einfluß der Beamtenorganisalionen eine der Bedentung der 
Bezirksärzte besser entsprechende Einstufung in dieBesoldungsordnung, 
mindestens aber eine volle Gleichstellung mit den Bezirksschulräten, zu erreichen, 
sind im allgemeinen ohne Erfolg geblieben; es ist nur erreicht worden, daß 
anstatt früher ein Drittel, jetzt die Hälfte der Klasse XI zugeteilt sind; eine 
Aufrückungsmöglicbkeit in Klasse XII ist aber nicht gegeben. 

II. Vorschläge für den im Herbst 1922 statt findenden Fortbildungs¬ 
lehrgang für Bezirksärzte. Nach eingehender Anssprache wird beschlossen, 
das Ministerium zu bitten, für deu Foribildungslehrgang ins Auge zu fassen: 
a) neues Bauwesen und neue Baustoffe mit möglichst zahlreichen Besichti¬ 
gungen, b) Behandlung der Gewerbehygiene, c) Vorträge über Verwaltungs- 

*) Diese Neuregelung, die von den Bezirksärzten dankbar begrüßt wrden 
muß, ist inzwischen erfolgt. 



Berickte über die Versammlungen in Aachen and in Hagen. 


131 


rechtspflege. Für die nächstjährige Vollversammlung der Bezirksärzte im 
Ministerium wird die Besprechung über a) Wasserversorgungsanlagen und 
deren Besichtigung und b) Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten vor* 
geschlagen. 

III. Begründete Vorschläge für Abänderung des § 82 der Dienst* 
anweisnng—betrifft die Gewerbehygiene— und betreffs Aufsichts- 
ftthrung über die schulärztliche Tätigkeit. Der in der letzten 
Hauptversammlung beschlossene Entwurf betr. Abänderung der bezirksärzt¬ 
lichen Dienstanweisung ist dem Ministerium nicht vorgelegt worden, da es sich 
bei Besprechungen im Ministerium gezeigt hat, daß die etwa nötigen Be¬ 
stimmungen sich durch Verordnungen erreichen lassen. Nach eingehender 
Aussprache wird beschlossen zur Zeit von Anträgen abzusehen. 

IV. Aussprache über die Minlsterlal-Verordnung vom 24.6.21 betr. 
lostenpflichtigkeit der bakteriologischen Untersuchungen der Landes¬ 
stelle für öffentliche Gesundheitspflege. Durch diese Verordnung werden 
die bisher kostenlosen Untersuchungen kostenpflichtig gemacht Mau ist sich 
einig darüber, daß dies ein bedeutsamer und nicht ungefährlicher Rückschritt ist. 
Gemildert werden die zu befürchtenden Folgen dadurch, daß der Leiter der 
Landesstelle zugesicbert bat, in allen Fällen, in denen die Bedürftigkeit durch 
den Arzt bescheinigt wird, vom Kostenansatz abzusehen; ferner bleiben alle 
Dntersuchungen „im öffentlichen Interesse" wie bisher kostenlos. Es soll zu¬ 
nächst der weitere Verlauf abgewartet werden. 

V. Regelung des Ruhestandsgehalts der Bezirksärzte. Der Bericht¬ 
erstatter, Dr. Sauer-Bautzen, vermag wegen Mangels geeigneter Unterlagen 
nicht bestimmte Vorschläge zu machen. Da die Aussprache ergibt, daß allge¬ 
mein die Schwierigkeit einer vollkommenen Lösung dieser Frage anerkannt 
wird, soll vorläufig auch von deren weiterer Ve<folgung abgesehen werden. 

VI. Bezirbsärztllcher Gefiinguisdienst. Diese Sache ist bereits in der 
letzten Hauptversammlung behandelt weiden. Auf Wunsch eines Mitglieds 
wird sie nochmals besprochen; doch blieb der Verein bei dem Beschlüsse der 
Hauptversammlung. — 

Schiaß der Sitzung 6 Uhr. Dr. Petzholdt-Pirna. 


Bericht Aber die sm 8. Dezember 1921 ln Aachen abge¬ 
haltene Versammlung der Mitglieder des Nedislnal- 
beamtenvereins für den Regierungsbezirk Aachen. 

Anwesend waren: Reg.-und Med.-Rat Dr. Loerch, die Kreismedizinal¬ 
räte Dr. P e r e n - Aachen-Land, Dr. Stühlen-Aachen-Stadt, Dr. Schröder- 
Düren, Dr. Herlitzius• Erkelenz, Dr. Saigendorf-Geilenkirchen-Heins¬ 
berg, Dr. Wex jun.-Monschau, ferner der Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. 
Wex sen.-Düren und der Beigeordnete Reg.-und Med.-Rat a. D. Dr. Clau- 
ditz-Aachen. 

Die Sitzung wurde nachmittags 6Vt Uhr durch den Unterzeichneten, der 
während des Krieges und nach Beendigung des Krieges bis jetzt die Geschäfte 
de« Vereins geführt hatte, eröffnet. Er gab eine knrze Uebersicht über die 
Kriegsjahre und die ersten Jahre nach dem Kriege. Es wurde alsdann zur 
Neuwahl des Vorstandes geschritten. Es wurden gewählt: als erster Vor¬ 
sitzender: Reg.-und Med.-Kat Dr. Loerch, als Schriftführer: Med.- 
Hat Dr. Stühlen und als Kassierer: Dr. Wex jun. 

Als Vertreter zur Vertreterversammlung der Bezirksvereine in Berlin 
wurde der Unterzeichnete gewählt. 

Der Vorsitzende übernahm nach der Vorstandswahl die weitere 
Leitung der Versammlung. Er beglückwünschte den Kreismedizinalrat 
Dr. Salgendorf zu seiner Ernennung als vollbesoldeter Kreismedizinalrat für 
den Bezirk Geilenkirchen - Heinsberg. Der Vereinsbeitrag für das Jahr 1922 
wurde auf 100 M. festgesetzt und beschlossen, den außerordentlichen Mitgliedern 
des Vereins (pensionierte oder nicht mehr im Staatsdienst befindliche frühere 
Aktive Mitglieder des Vereins, ferner kreisärztlich geprüfte nicht angestellte 
Aerzte) den Beitrag auf Antrag bis zur Hälfte zu ermäßigen. 

Bei der Besprechung der Amtsunkostenentschädigung wurde die in 



182 Bericht Qber die Vers, des Vereins der Med.-Beamten der Prov. Sachsen. 


Aussicht genommene Aufbesserung (bis höchstens 4200 M.) als völlig unzu¬ 
reichend betrachtet. 

Der Vorsitzende bittet alsdann die Jahresberichte nur auf dem vor¬ 
gedrucktem Exemplar anzufertigen. 

Nach einer längeren Aussprache über die neue Desinfektionsordnung 
wurde die Versammlung um 7 1 /* Uhr geschlossen. Dr. Stühlen-Aachen. 


Bericht über die Tagung d**s Arnaberger Bezirkgvereina 
am 28. Januar 1922 in Bagen. 

1. Dr. Wollenweber berichtet über den Vertretertag und die Vor¬ 
standssitzung in Berlin. 

Als Bedingung für die Ausführbarkeit der Debernahme neuer Aufgaben 
in der Gesundheitspolizei und Statistik wird vom Verein eine den tatsäch¬ 
lichen Bedürfnissen entsprechende, wesentlich höher zu bemessende Dienst¬ 
aufwandsentschädigung bezeichnet. Bei etwaigen Aenderungen des 
Tarifs für die Gebühren wird möglichste Beschleunigung der Bekanntgabe 
gewünscht. 

Vorschläge bezw. Aenderung der Dienstanweisung sind zweckmäßig 
an Wollenweber zu richten, der sie bearbeitet. 

Der Jahresbeitrag wird auf M. 30.— für alle voll angestellten, 
auch Kommunalärzte und auf M. 15.— für die Kreisassistenzärzte und siaats- 
ärztlicb approbierten praktischen Aerzte festgesetzt. Dieser niedrige Betrag 
ist nnr wegen Ueberscbüsse aus dem Vorjahr, infolge Uebernahme der Ver¬ 
treterkosten auf den Preußischen Medizinalbeamtenverein, möglich. Der Verein 
erklärt sich gegen den Beitritt znm Berufsverein höherer Verwal¬ 
tungsbeamter, von dem er keinen Nutzen erwartet. 

Ein loser Zusammenschluß der drei Bezirksvereine Westfalens zu einer 
Provinzial Vereinigung ist geplant. 

2. Entsprechend den neuen Satzungen des Preußischen Medizinalbeamten¬ 
vereins wird der Vorstand des Arnsberger Bezirksvereins neogewählt: Vor¬ 
sitzender: Med.-Kat Dr. Bliesener, Bochum, Stellvertreter: Dr. Broecker- 
hoff, Hagen; Schriftführer: Dr. Wollenweber, Dortmund, Stellver¬ 
treter: Med.-Kat Dr. Koettgen, Dortmund. 

Geheimrat Dr. Graeve-Hagen, der Wiederwahl zum Vorsitzenden ab- 
lebnt, wird zum Ehrenvorsitzenden ernannt 

3. Der Ministerial - Erlaß vom 14. 12. 21 betr. Ausbildung von 

Kommunal- und Fürsorgeärzten hat mehrfach zu unberechtigter Beunruhigung 
Anlaß gegeben. Die vorgeschriebene Ausbildung der Kreisärzte ist selbstver¬ 
ständlich, wie uns autoritativ versichert wird, der im Erlaß geforderten 
gleichwertig. Dr. Wollenweber, Dortmund. 


Bericht Aber die Winter-Versammlung der Hitglieder des 
Vereins der Bedlzlnalbeamten der Provinz Sachsen ana 
29, Januar 1922 in Halle a* 84. (Im Hanse der .Landwirte). 

Anwesend waren 21 Mitglieder des Vereins. — 

Die Versammlung war diesmal schon vor dem Frühjahr einberufen worden, 
um zu den Beratungen und Beschlüssen der Vorstandsitzung und der Vertreter¬ 
versammlung, die am 13 Dezember 1921 in Berlin getagt haben, Stellung 
nehmen zu köonen und gemäß der dort durch die Ministerial-Instanz gegebenen 
Anregung Eotwürfe zu einer nenen Gebühren-Ordnung und einer Neubearbeitung 
der Dienstanweisung durchzuberaten. 

Nach einigen einleitenden Worten des Vorsitzenden, Med.-Kat Dr. Kluge- 
Wolmirstedt, wurde in die Tagesordnung eingetreten. 

I. Entwurf einer neuen Gebühren-Ordnung. 

Die Berichterstatter, Med.-Kat Dr. Curtius-Stendal und Kreisarst 
Dr. N e u b e 11 - Eisleben, behandelten in ausführlichem Vortrag das Thema, 
ersterer in Bezug auf die allgemeinen Bestimmungen des Gebühren-Gesetzes, 
letzterer unter Vorlage eines Entwurfs für einen neuen, den jetzigen Verhält¬ 
nissen angepaßten Tarif. 



Bericht Ober die Vers, des Vereins der Med.-Beamten der Prov. Sachsen. 133 


Es ist zwar eine angemessene erhebliche Erhöhung der Tarifsätze za 
fordern, anderseits vor einer Ueberspannung dieser Sätze ans mehrfachen Zweck- 
mäßigkeitsgrttnden za warnen. Die Bestimmungen der Abführbarkeit der gericht¬ 
lichen Gebühren sind dringend abzaändern; besonders für die vollbesoldeten 
Kreisärzte am Sitze eines Landgerichts (ohne Gerichtsarzt) bedeuten die jetzigen 
Bestimmungen eine außerordentliche Härte; die durch die gerichtsärztliche Gut¬ 
achtertätigkeit bedingte Mehrarbeit der Kreisärzte außerhalb ihrer Dienst¬ 
stunden und. die besonderen persönlichen Gefahren der Obduktionstätigkeit 
machen eine anderweite Regelung unbedingt notwendig. Die Ungleichheiten 
zwischen den Gebühren für staats- und gerichtsärztliche Tätigkeit müssen voll 
beseitigt werden. Die Bemessung der Gebühren für die vertrauensärztliche 
Tätigkeit der Kreisärzte soll keinesfalls nach der Gebühren-Ordnung für 
approbierte Aerzte, sondern mit Rücksicht auf ien amtlichen l harakter dieser 
Gutachten nur nach der kreisärztlichen Gebühren-Ordnung erfolgen dürfen. 

Aus dem Entwurf für den neuen Tarif seien herausgehoben: 

Abwartung eines gerichtlichen Termins bis zu 2 Standen usw. . 50 M. 

Für jede angefangene V» Stunde mehr. 10 , 

Untersuchung behufs Vorbereitung eines im Termin zu erstattenden 

Gutachtens in der Wohnung des Kreisarztes usw. ... 20 „ 

' außerhalb der Wohnung des Kreisarztes usw. 30 „ 

Mitwirkung hei einer Leichenschau usw. 50 „ 

Gerichtliche Leichenöffnung. 200 „ 

Bescheinigung der Todesursache zwecks Feuerbestattung ... 7ö „ 

Schriftliches Gutachten (Befundschein). 20 „ 

„ (Befandattest). 30 , 

„ (Begründetes Gutachten). 60—200 „ 

Kreisärztliche Gesundheitszeugnisse zu den verschiedenen Ver¬ 
wendungen im allgemeinen usw.. 30— 60 „ 


ln der eingehenden Besprechung wurde von mehreren Kreisärzten, be¬ 
sonders von Kreisarzt Dr. Hillen berg-Halle noch einmal dringend vor jeder 
Ueberspannung der Forderungen bei Neuaufstellung der Gebühren-Ordnung ge¬ 
warnt; die dem Staat zukommenden Gebühren könnten soweit erhöbt werden, 
als es mit dem Befangen des Publikums vereinbar ist, die den Kreisärzten 
Verbleibenden Gebühren sind nur in einem mäßigen Grade zu erhöhen; auch 
Kreisarzt Med.-Rat Dr. Bundt-Halle legte noch besonders die Bedenken 
gegen einen überspannten Gebühren-Tarif dar. Kreisarzt Dr. Kraemer-Calbe 
betonte, daß für gewisse amtliche Verrichtungen die jetzt im Tarif aufgeführten 
Positionen zweckmäßigerweise ganz za streichen sind. 


II. Abänderungen der kreisärztlichen Dienstanweisung. 

Der Referent, Med.-Rat Dr. Poddey-Erfurt, entwickelte in einem aus¬ 
führlichen Vortrag die Ziele der erstrebenswerten Abänderungen; aus den 
Leitsätzen seines Vortrages ist besonders hervorzuheben: 

Die Verwaltung des Gesundheitswesens ist auf eigene Füße zu 
stellen und damit in der Lokal-Instanz durch Schaffung von Kreisgesund¬ 
heitsämtern zu beginnen. In der Dienstanweisung wird als neuer Ab¬ 
schnitt „Bewegung der Bevölkerung, soziale Hygiene und Fürsorge“ auf- 

f enommen. Es bleibt dem Kreisarzt auch bei Vorhandensein eines Kreis- 
ommunalarztes die Pflicht, sich über alle Bestrebungen und Einrichtungen 
auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge seines Amtsbezirks fortlaufend unter¬ 
richtet zu halten; er ist in allen Sitzungen der Ausschüsse und Aemter dieses 
Gebietes der Kommanalverwaltung zu beteiligen. Die Berichterstattung des 
Kreiskommunalarztes auf dem Gebiet der sozialen Hygiene und Fürsorge muß 
durch die Hand des Kreisarztes geleitet werden. 

Es ist dem Kreisarzt ein Büro zu stellen; die Kosten zahlt der Staat 
“ach dem Verhältnis der amtlichen zur vertrauensärztlichen Tätigkeit. Das 
Kreisgesundheitsamt kann räumlich mit der Gesundheits-Abteilung des Kreis- 
Wohltahrtsamtes Zusammenhängen. Der Regierungs-Präsident kann anordnen, 
daß die staatliche Verwaltungsbehörde des Kreises dem Kreisarzt Diesträume 
“nd Schreibhilfe zu stellen hat. 

Die Berufstätigkeit der Wohlfahrtspflegerinnen unterliegt der 
Aufsicht des Kreisarztes; sie haben sich bei ihm an- and abzumelden. 


ä 











184 


Besprechungen. 


Der Kreierst ist befugt, mit allen Behörden, insbesondere den anderen 
technischen Beamten seines Amtsbezirks direkt zu verkehren; in der gewerbe¬ 
hygienischen Tätigkeit muß dem Kreisarzt eine größere Freiheit in seiner 
Beweglichkeit gegeben werden. 

Die Ortspolizeibehörden haben seine Anordnungen zur Durch¬ 
führung zu bringen und sind verpflichtet, ihm über das Veranlaßte Mitteilung 
zu machen. 

Falls eine Aenderung der Seuchen gesetze unter anderem dahin¬ 
gehend, daß die Anzeigen an das Kreisgesundheitsamt zu richten 
sind, zurzeit untunlich ist, so ist als Uebergang hierzu, die Anordnung zu er¬ 
lassen, daß die Adresse der Anzeige-Kartenbriefe lautet: „Durch das Kreis¬ 
gesundheitsamt an die Ortspolizeibehörde.“ 

In der sehr lebhaften Aussprache wurden die Foddeysehen Thesen 
im wesentlichen gebilligt. Med.-Rat Dr. Bundt trat noch einmal energisch 
für die Schaffung eines staatlichen Kreisgesundbeitsamtes ein; er betonte aber 
wiederum die noch immer drohende Gefahr der Kommunalisierung. An der 
weiteren Besprechung beteiligten sich besonders noch die Herren Dr. v. Ingers¬ 
leben- Quedlinburg, Dr. Cur tius-Stendal, Dr. Kuhn lein-Merseburg, Dr. 
Kraemer-Calbe, Dr. Hillenberg-Halle und Dr. Rapmund-Qaerfurt. 

III. Frage des Beitritts zum Berufs-Yerein höherer Reglern ngs- 
beamter. 

Der Referent, Med.-Rat Dr. Bundt-Halle, empfahl den Beitritt, falls 
die Bedingungen auf Sitz im Vorstand, Schaffung einer eigenen Gruppe und 
Dispens der Bchon pensionierten Beamten vom Beitritt bewilligt würden. 

IY. Der Beitrag fUr den Provinzialverein wurde für das Jahr 1922 
auf 80 M. festgesetzt. Die wesentlichen Erhöhungen der Beiträge für den 
Preußischen Hanptverein infolge der außerordentlichen Verteuerung der Zeit¬ 
schrift und des beabsichtigten Beitritts zu dem Verein höherer Beamten wurden 
auch seitens des Provinzialvereins als unbedingt notwendig anerkannt. 

Y. Verschiedenes. 

Es ist hier ein Antrag des Reg.- und Med.-Rats a. D. Dr. Herr man n- 
Merseburg zu erwähnen: Im Interesse eines gedeihlichen Zusammenarbeitens 
der Kreisärzte mit der Landesversicherungsanstalt Merseburg 
künftighin bei Beratungen aus dem Gebiet der Invaliden- usw. Versicherung 
dem Vorstand der L. V. A. Gelegenheit zur Teilnahme an den Beratungen zu 
geben; die L. V. A. will in diesen Fällen einen Vertreter entsenden. Eine an¬ 
gemessene Erhöhung der Gebührensätze für die vertrauensärztlichen Gutachten 
bei der L. V. A.-Merseburg wurde als unmittelbar bevorstehend in Aussicht 
gestellt. 

Nach Schluß der Sitzung waren die meisten Teilnehmer beim ein¬ 
fachen Essen noch einige Stunden in anregender Unterhaltung zusammen. 

Die Tagungen der 3 Bezirksvereine (Magdeburg, Merseburg und 
Erfurt) sollen auch im Sommer wieder zu einer gemeinsamen Tagung des 
Provinzialvereins vereint werden, ohne daß dadurch die notwendigen be¬ 
sonderen Zusammenkünfte innerhalb der einzelnen Bezirksvereine irgendwie 
eingeschränkt werden. 

Calbe &. 8., den 14. Febr. 1922. Dr. Kraemer. 


Besprechungen. 

Dr. W. Prauznltx, a. o. Prof, der Bygiene in Graz. Grundzfige der 
Hygiene. Für Studierende, Aerzte, Architekten, Ingenieure und Verwal¬ 
tungsbeamten. Elfte verbesserte Auflage. Mit 289 Abbildungen. München 
1920. Verlag von J. F. Lehmann. Gr. 12°; 761 S. Preis: geh. 20 M., 
geb. 23 M. 

Das allgemein beliebte Lehrbuch, das nunmehr schon in seiner 11. Auf¬ 
lage erschienen ist, ist an dieser Stelle schon verschiedentlich besprochen 
worden, so daß ein kurzer Hinweis genügen dürfte. Bei der Bearbeitung hat 
sich Verfasser von den gleichen Gesichtspunkten leiten lassen, wie früher; die 
Anordnung deB Stoffes ist nicht geändert. Erheblich erweitert Mt der Ab- 



Tagesnachrichten. 


185 


schnitt „Infektionskrankheiten“ und neu hinzu gekommen ein Abschnitt über 
„Die soziale Tätigkeit des Arztes und das FQrsorgewesen“. 

Auch die Neuauflage verdient der Empfehlung; wir wünschen ihr den 
gleichen Erfolg, wie den früheren. Rpd.jun. 


Dr. Franz Walter, Professor der Theologie in München: Die Sozialhygiene 
in ihrem Verhftltniss zur Weltanschauung und Ethik. Sozialhygtenische 
Abhandlungen, Nr. 5. C. F. Müllersehe Hofbuchhandlung, Karlsruhe L £. 
1921. 8°; 44 8. Preis: geh. 7,70 M. 

Das Thema wird von einem Theologen behandelt, einem Theologen, der 
sich mit der Hygiene sehr genau beschäftigt und eine reichhaltige Literatur 
(QueUenangabe in Fußnoten!; benutzt hat, um in scharfsinniger und außer¬ 
ordentlich fesselnder Weise darzulegen, wie Ethik und Hygiene in einem 
Wechselverhältnis stehen, das nicht ohne Schaden für beide Teile gelöst 
werden kann. 

Daß die Weltanschauung vielfach in das Gebiet der Sozialhygiene hinein¬ 
greift, wird im I. Abschnitt gezeigt. Wie Sozialhygiene und Sozialpolitik das 
gleiche Objekt, aber jede unter einer besonderen Rücksicht betrachtet, führt 
Verfasser im II. Abschnitt aus. Der HI. Abschnitt zeigt, wie sich Sozial¬ 
hygiene und Ethik auf allen Gebieten menschlicher Bedürfnis-Befriedigung 
begegnen. Wenn die gegensätzlichen Weltanschauungen die Entscheidung der 
Frage, welche Ethik für die Sozialhygiene maßgebend sein soll, erschweren, so 
ist, wie Verfasser im IV. Abschnitt ausführt, das Christentum nicht als Schäd¬ 
ling anzusehen, vielmehr als eine Weltanschauung des Optimismus von Bedeu¬ 
tung für die Sozialhygiene, die einen Optimismus nötig hat. Der Abschnitt V 
befaßt sich mit dem Zusammenhang der Sozial- und Rassenhygiene. Die Er¬ 
tüchtigung des Nachwuchses erfordert sittliche Kräfte, wobei die Religion nicht 
ohne Bedeutung sein kann. Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

Das Bayerische Staatsministerlom hat unter dem 23. Dezember 1921 
hinsichtlich der Wasserversorgung der Gemeinden eine Bekanntmachung 
ergehen lassen, in der die Gemeinden dringend davor gewarnt werden, ihre 
Wasserversorgungs-Unternehmungen unter Umgehung der Bezirks-Verwaltungs¬ 
behörden und des Landesamtes für Wasserversorgung durchzuführen, wie dies 
verschiedentlich zum Schaden der Gemeinden, namentlich im Jahre 1921 mit 
der hier einsetzenden außerordentlichen Trockenheit geschehen sei. Es wird 
genauer der Weg angegeben und auf frühere in dieser Hinsicht erlassene Ver¬ 
ordnungen verwiesen, wie im einzelnen bei derartigen Vorhaben zweckmäßig 
vorzugeben ist. Das genannte Landesamt ist in der Lage, kostenlos Entwürfe 
aufzustellen, bei den Fragen der Geldaufnahme, des Grunderwerbs, der Ent¬ 
eignungsmaßnahmen usw. mitzuwirken, und zwar bei hinreichendem Personal 
pünktlich alles zu erledigen. Die Gemeinden tun demnach gut, solche Anträge 
für Inanspruchnahme des Landesamtes regelmäßig zu stellen und zwar jedes¬ 
mal durch Vermittlung der Bezirksämter. 

(Nach „Wasser und Gas“, 1922, Nr. 19). 

Für Württemberg ist der Entwurf eines Gesetzes über die berufliche 
Vertretung der württemberglschen Aerzte bekanntgegeben, der zunächst einer 
Vorbesprechung im ärztlichen Landesausschuß unterzogen werden soll, worauf 
die Bezirks vereine nähere Nachricht erhalten werden. Im wesentlichen soU 
nach dem Entwurf als berufliche Vertretung der württembergischen Aerzte ein 
aus Abgeordneten der ärztlichen Bezirksvereine bestehender Landesausschuß, 
>ls eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gelten. Jeder approbierte Arzt 
muß Mitglied eines Bezirksvereins sein. Den Ehrengerichten sollen alle Aerzte, 
also auch die beamteten Aerzte unterworfen sein, jedoch mit der Einschränkung, 
daß die Dienstaufsichtsbehörde Einspruch gegen die Ladung beamteter Aerzte 
Tor den Ehrenrat oder in sonst gegen sie getroffenen Anordnungen erheben darf. 


In den Vereinigten Staaten Nordamerikas haben sich die haupsäch- 
liebsten, auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege tätigen größeren 



136 


Tagesnhrichten. 


privaten Vereinigungen einen National-Gesundheltsrat (National-Health Conncil) 
gegründet, um durch gemeinschaftliches Zusammenarbeiten den weiteren Ausbau 
der Öffentlichen Gesundheitspflege in den Vereinigten Staaten zu fördern. 


Besondere Ministerien für öffentliche Gesundheitspflege sind in 
jüngster Zeit eingerichtet in Canada, Südafrika) Australien und Japan. 


An der sozialhygienischen Akademie Charlottenburg wird im Sommer 
1922 vom 24. April bis 29. Juli ein sozialhygienischer Vollkursus zur 
Vorbildung von Kreis«, Kommunal-, Schul- und FUrsorgeärzten stattfinden. 
Der Lehrgang entspricht den Prüfungsbestimmungen für Kreisärzte, ebenso 
die nebenbei fakultativ abgebaltenen dreimonatigen Sonderkurse in patho- 
logischer Anatomie, Bakteriologie nnd Hygiene sowie gerichtlicher Medizin. 
Aerzte können auch Eiuzelvorlesungen als Gasthörer besuchen. Anfragen and 
Meldungen sind möglichst bald an das Sekretariat im Krankenhaus Charlotten- 
burg-Westend, Spandauerberg 16/16, zu richten, das auch mit Bilfe des Woh¬ 
nungsamts geeignete Wohnungen vermittelt. 

Die diesjährige Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für: 
Volksbäder findet am Mittwoch, den 16. März, mittags 12 Uhr, in. 
Berlin-Dahlem (Preußische Landesanstalt für Wasserbygiene, Ehrenberg¬ 
straße 38/42) statt. Auf der Tagesordnung stehen außer geschäftliche 
Angelegenheiten folgende Vorträge: 

a) Dr. B ü r g e r: Ueber Filterung, Chlorung und Wiederverwendung dea 
Wassers von Schwimmbädern, b) Prof. Dr. Wilhelmi: Die unbelebten und 
belebten Schwebestoffe des gechlorten Wassers der Hallenschwimmbäder. 
(Mit Lichtbildern.) c) Heg -Baumeister, Prof. Dr. ing. Reicble: Ueber Ge¬ 
winnung und Behandlung von Wasser für Schwimmbäder. d) Iagenieur B o h n r 
Praktische Gesichtspunkte für Schaffung von Bademöglichkeiten unter den 
jetzigen Verhältnissen. 

Nach Besprechung der Vorträge findet eine Kaffeepause (Ein¬ 
ladung der Gesellschaft) statt und im Anschluß daran unter Leitung von 
Geh. Med.-Rat Dr. Beninde: Besichtigung der Landesanstalt für Wasser¬ 
hygiene mit vorangehender, kurzer Erläuterung über Zwecke und Ziele. 


Die allseitige Ablehnung des Bad-Jo als eines marktschreierisch ange¬ 
priesenen, aber hinsichtlich seiner Wirkung in keiner Weise der Anpreisung 
entsprechenden Mittels ist erfreulicherweise jüngst auch einmütig auf der 
Tagung des Preußischen Hebammen-Verbandes am 16. Dezember 1921 in Köln 
durch eine Entschließung erfolgt. Hiernach lehnt die preußische Hebammen¬ 
schaft jegliche Verwendung des Rad-Jo ab. 


Preus sischer Medizinalbeamten verein. 

Kreisarzt Dr. Wollenweber —Dortmund, Südwall36I— 
bittet alle Kollegen, ihm etwaige Wünsche zur Abänderung der 
Dienstanweisung möglichst beschleunigt mitzuteilen. 


Berichtigung. Im ersten Absatz Zeile 13 meines kleinen Aufsatzes 
„Nicht Oberregierungsrat?" in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift 
ist beim Druck ein den beabsichtigten Sinn völlig entstellender Fehler ent¬ 
standen; es soll nach der Handschrift heißen „gewissermaßen wegen Dementia 
postcox gewaltsam pazifiziert" (natürlich nicht „praecox"). Borntraeger. 


Verantwortlich für die SchrlfUeitong: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig-, Reg.- n. Med.-Rat ln Bresluu 
Breslau V, RbedigeratraBe 84. Druck tob J. C. 0. Bruns, Minden 1. W. 






























Zuifesobrili ihr MeuliztoftlbwMUte. 


titM VtslnfeküfrtnHßüäct .... , 

l>r, 8«b«irt*rJ lieber die . ^ 

tafb*«’kttl6*en iurrt ufs ' ),V /; •?'■ 'V. H";•• 
IW. Dr ; KiwUi»; <Ziu «Tm^c räi-t ;3Dc»*-, 
fafoktion d*» tubff^Swta 
mietet« Jkcttkiik ' ♦ 

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KechUvrcohun* . . 

Weriif*ln Ai^eteg&Ung c^u*• > 

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toa -2 * dek~y ..' .- ':<-r. ^ 

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Sir&ttie; B*,W- Tirtt’feto'ocw * : „ 

E- -SteSH* **&* Pretfi* 


»nf^rdaang uod dte Xuinnft 


Fisraon&lien. 

Duatsehan »®ir.fe and Trntunten. 

Ernannt: Kreiflnjwdmaalrafc Br. Pachnio in Bad Homburg aflua 
ütwwräches Kreisarzt io Usingen; Dr. Pieper aas öamoczia zum *Ereis- 
taozarvt üt Proatkeo; Krasaasistenzarzt Dr. H ae r t * l io Proatken zum 
hiflsariacbeu Kreis-Med.-Bat in Ort ebtWrg. 

Gestorbeit: Keg.- u. Med.-Rat Dt. J a » Ö e a 1« Stade; G-ah. tted^Rftt 
Racioe io Essen, Kreisarzt ft. D.t KrebieiödixiBaSr&t Dr, Ballinger 
sing*« i Kreismedi*soalrat Dr. E b I e r$ in Laugijasalz«. ; KreismedMnairat 
jtosoik«!, Medininalrat io Schbolank* uod Krtfemediainairat Dr. Q.erlieh 
taahr&ek. 

»ayura. s - ;, 

Emonnatr Oberarzt sw* der Heil- and PilegeaoataU in Deggendorf Dr. 
rler zum LandgericbtaAfÄt beim Landgericht München I; Dr, Stendel 
tegensburg zum Bazirksarzt in SUeabaßh; Dr. ÖcbUfltoe in Augsburg 
Besirfczarzt io Scheinfetd. • v : ;:.. : ,.''. , 

Verabschiedet *»( eigens» (Jesnehi Bezirksarzt Dr. KJeninger» 
pothofen. 

Kestorbeni Bezirksarzt Dr. Eoaeosperger i« Kemnatb. 


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staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
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Herausgegeben von 

Med.- Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München, 
Geh. Med .-Rat Prof. Dr. Pfeiffer - Brest an, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pappe- 
Breslau, Kreisarzt Dr. O. Rapmund - Qucrfnrt, Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin, 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Göttingen, Prof. Dr. Sieveking-Hamburg, 
Geh. Med.-Rat Dr.Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Straßmann-Berlin 
und Kreisarzt Dr. Wollenweber-Dortmund. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 

Schiiftleltuntf: Verlag: 

leb. HoL-Rat Dr. Solbrlg, Hscber’s med. Bocbhandloog B. Kornfeld, 

lag.- ■, lad.-Rat ln Braslai. larlta V. 62, KalthstraN 5. 

Bezugspreis für das Jahr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M. 


Nr. 6. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monats 


| 20. März^ 


Bemerkungen zn den Kritiken 
der nenen preussischen Desinfektionsordnung. 

Von Professor Dr. Otto Lentz, Geh. Ober-Med.-Rat und Ministerialrat 
im Ministerium für Volkswohlfahrt. 

Die neue preußische Desinfektionsordnung vom 8. Februar 
1921 ist, wie nicht anders zu erwarten war, in einer ganzen 
Anzahl von Besprechungen einer eingehenden Kritik unter¬ 
zogen worden. Wenn auch die meisten Autoren anerkennen, 
daß der Erlaß des Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt einen 
erheblichen Fortschritt gegen früher bedeutet, so haben doch 
alle an Einzelheiten der Desinfektionsanweisungen und der 
Ausführimgsbe8timmungen mehr oder weniger auszusetzen. Auf 
die wichtigsten Einwendungen möchte ich im Folgenden ein- 
gehen. Eine grundlegende Würdigung wird der Erlaß erst finden 
können, wenn hinreichende Erfahrungen über die Wirksamkeit 
der neuen Vorschriften vorliegen. 

Flügge 1 ), Engelsmann*) und v. Vagedes 9 ) sind 
nicht damit einverstanden, daß der Erlaß der neuen Vorschriften 


*) Die Ziffern beziehen sich auf diejenigen des Literaturverzeichnisses am 
Ende der Arbeit. 


4 







138 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zn den Kritiken 


damit begründet wird, daß in den letzten Jahren die laufende 
Desinfektion immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und 
deshalb die Neubearbeitung der Desinfektions Vorschriften not¬ 
wendig geworden sei. Sie weisen demgegenüber darauf hin, 
daß schon in den Ausführungsbestimmungen zum Gesetz betr. 
die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten vom 28. August 
1905 auf die Bedeutung der laufenden Desinfektion mit allem 
Nachdruck hingewiesen und bestimmt worden ist, daß die 
laufende Desinfektion während der ganzen Dauer der Krankheit 
durchzuführen ist. 

Den verantwortlichen Redakteuren des Ministerialerlasses 
vom 8. Februar 1921 war selbstverständlich diese Bestimmung 
bekannt. Sie gründete sich auf die bei der systematischen 
Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches gemachten Er¬ 
fahrungen, die z. Z. der Ausarbeitung der Ausführungsbestimm¬ 
ungen zum preußischen Seuchengesetz bereits Vorlagen. Wir 
haben auch damals im Gebiete der Typhusbekämpfung mit 
bestem Erfolge von diesen Bestimmungen Gebrauch gemacht, 
ebenso einige große Städte, wie Berlin, Breslau, Cöln, Frank¬ 
furt a. 0., bei der systematischen Bekämpfung der Diphtherie 
durch sogenannte Diphtherie- oder Seuchenschwestern, aber 
im ganzen übrigen Preußen waren sie wohl zumeist, wie 
Seligmann 7 ) richtig sagt „auf dem Papier“ geblieben. Es 
galt, die Durchführung der laufenden Desinfektion neu zu be¬ 
leben und klar zu sagen, wie und durch welche Personen sie 
ausgeführt werden soll. 

Wenn Sarganek 5 ) und Engelsmann*) glauben, die Durch¬ 
führbarkeit dieser neuen Bestimmung schon in der kleinen Stadt, 
besonders aber auf dem Lande in Zweifel ziehen zu sollen, so 
möchte ich ihnen entgegenhalten, daß wir bereits im Jahre 1904 
im Gebiete der systematischen Typhusbekämpfung die regel¬ 
mäßige Kontrolle der laufenden Desinfektion am Krankenbette 
durch die Desinfektoren bei Typhus und später auch bei der 
Ruhr selbst im abgelegensten Hochwalddorf durchgeführt haben. 
M. E. sollte das, was uns in jenem Gebiete mit Hilfe der dortigen 
Kreisärzte gelungen ist — selbstverständlich nach Ueberwindung 
mancher bald größerer, bald geringerer Schwierigkeiten —, 
auch in Pommern und Schleswig-Holstein für jeden tüchtigen 
Medizinalbeamten möglich sein. 

Da es aber nunmehr an der Zeit ist, die bei der Typhus¬ 
bekämpfung gemachten Erfahrungen auch für die Bekämpfung 
der anderen übertragbaren Krankheiten nutzbar zu machen, 
so war es nur folgerichtig, die Kontrolle der laufenden Des¬ 
infektion für alle im Gesetz genannten übertragbaren Krank¬ 
heiten vorzuschreiben. Hierzu reicht aber die Zahl der vor¬ 
handenen staatlich geprüften Desinfektoren nicht entfernt aus. 
Das Nächstliegende ist daher, hierzu auch die in der Kranken¬ 
pflege tätigen Personen mit heranzuziehen. Auf die Frage, 
ob hierdurch den Desinfektoren, wie manche m. E. mit Unrecht 
annehmen, ein sie in ihrem Berufe schädigender Wettbewerb 



der neuen preußischen Desinfektionsordnung. 


139 


f 

durch die Schwestern erwächst, werde ich später im Zusammen¬ 
hang mit anderen die Schwestern und Desinfektoren berühren¬ 
den Fragen erörtern. 

Sarganek 6 } sagt in der Einleitung seiner Besprechung, 
daß „die neue Desinfektionsordnung es dem pflichtmäßigen 
Urteil des Kreisarztes überläßt, ob er nach Lage des 'Falles 
eine Schlußdesinfektion überhaupt noch für angezeigt erachtet 
oder nicht.“ Dies steht nun, abgesehen einzig von der Des¬ 
infektionsanweisung für die Körnerkrankheit, an keiner Stelle 
der Desinfektionsanweisungen oder der Ausführungsbestim¬ 
mungen. Eine ähnliche Auffassung spricht aber auch aus den 
Angaben von Schild 10 ) und Mitteilungen, die auf dem dies¬ 
jährigen Desinfektorentag in Berlin 1 *) gemacht wurden des 
Inhalts, daß wegen der Einschränkung der Schlußdesinfektion 
Desinfektoren von manchen Kommunen entlassen werden sollten. 
Endlich bricht auch Flügge eine Lanze dafür, daß in jedem 
Falle eine Schlußdesinfektion ausgeführt werden müsse. Also 
auch er ist der Ansicht, daß die neue Desinfektionsordnung 
aulasse, daß die Schlußdesinfektion unterbleiben könne. Er 
führt auch den Satz an, der ihn zu dieser Auffassung veranlaßt 
hat; er steht in den Ausführungsbestimmungen am Schluß des 
14. Absatzes und besagt, „die Bevölkerung möge darüber auf¬ 
geklärt werden, daß die von ihr oft als unbedingter Gesund¬ 
heitsschutz betrachtete Schlußdesinfektion durch die rechtzeitige 
und zweckmäßige laufende Desinfektion ersetzt wird.“ 

Ich muß zugeben, daß dieser Satz aus dem Zusammen¬ 
hang herausgenommen geeignet ist, die erwähnte falsche 
Auffassung zu erzeugen. Im Zusammenhang gelesen 
kann er aber m. E. zu Mißdeutungen schon deshalb keinen 
Anlaß geben, weil wenige Zeilen zuvor, im Absatz 11 des 
Erlasses, ausdrücklich gesagt worden ist, daß überall da, wo 
eine Schlußdesinfektion nicht schon von einer in der Desinfektion 
ausgebildeten Pflegeperson oder einem Desinfektor als Abschluß 
der laufenden Desinfektion ausgeführt wurde, „ihre Durchführung 
von der Ortspolizeibehörde möglichst sofort nach erfolg¬ 
ter Meldung der Verbringung des Kranken in ein Kranken¬ 
haus, der Genesung oder des Todes anzuorden“ sei. Hierdurch 
ist doch klar ausgesprochen, daß eine Schlußdesinfektion in 
jedem Falle auszunihren ist. Der Schlußsatz des Absatzes 14 
sollte nur erklären, weshalb wir in den Fällen, in denen eine 
gute laufende Desinfektion durchgeführt wurde, die Schlu߬ 
desinfektion sehr viel einfacher gestalten können, als dies früher 
angezeigt schien. Zweckmäßiger und sinngemäß muß der Schluß 
des Satzes die Fassung erbauen: „Daß die laufende und die 
Sohlußdesinfektion je ihre besondere, wertvolle Aufgabe hat 
und daß die erstere, wenn sie rechtzeitig und zweckmäßig 
durchgeführt wird, der letzteren wirksam Vorarbeiten kann.“ 

Daß es sich bei der Schlußdesinfektion, auch wenn eine 
laufende Desinfektion vorhergegangen ist, nicht lediglich um 
»gründliche Säuberung“ handeln darf, wie Engelsmann 1 ) 



140 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken 


meint, sondern um eine Desinfektion nach den in den Des¬ 
infektionsanweisungen enthaltenen Vorschriften, ist in der Aus¬ 
führungsanweisung klar zum Ausdruck gebracht. Nach den¬ 
selben Vorschriften hat aber auch der geprüfte Desinfektor die 
Schlußdesinfektion durchzuführen, wenn er vom Kreisarzt hierzu 
besonders beauftragt wird. Es ist deshalb falsch, wenn in den 
verschiedenen Besprechungen von einer „vereinfachten Schlu߬ 
desinfektion durch die Pflegeperson oder dem mit der Kontrolle 
der laufenden Desinfektion betraut gewesenen Desinfektor* 
gegenüber einer „verschärften“ Schlußdesinfektion durch den 
vom Kreisarzt hiermit besonders beauftragten Desinfektor ge¬ 
sprochen wird. Von einer „verschärften Desinfektion“ können 
wir nur in den Fällen sprechen, in denen der behandelnde 
oder der beamtete Arzt unter besonderen Verhältnissen die 
Desinfektion des ganzen Krankenzimmers und aller in ihm ent¬ 
haltenen Gegenstände, erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme 
von Formaldehyd und der Dampfdesinfektion für notwendig hält. 

Engelsmann 4 ) wirft ferner die an sich berechtigte Frage 
auf, wie „man die Nachricht von der Beendigung der Krank¬ 
heit“ erhält. Er fordert „eine Bestimmung, daß der behandelnde 
Arzt und alle sonst im § 2 des preußischen Gesetzes vom 
28. August 1905 genannten Personen der Ortspolizeibehörde, 
nach unserer Forderung dem Kreisärzte zu melden haben, 
wann der Kranke 1. genesen, 2. die Behausung gewechselt hat, 
8. in ein Krankenhaus gebracht wurde.“ 

Die Meldung zu 2 und 3, und zwar an die Polizeibehörde, 
ist bereits durch § 1 Abs. 2 des genannten Gesetzes vorge¬ 
schrieben. Eine Bestimmung im Sinne der Forderung zu 1 
sieht das Gesetz nicht vor, sie könnte nur auf gesetzlichem 
Wege erreicht werden, wenn anders sie nicht wirkungslos 
bleiben soll. Ich glaube aber, daß wir sie auch weiterhin 
werden entbehren können, da der Kreisarzt die Mitteilungen 
über die Genesung des Kranken teils durch die mit der Aus¬ 
führung der laufenden Desinfektion betrauten Personen, teils 
auf dem Wege persönlicher Verständigung mit den im Kreise 
behandelnden Aerzten leichter wird erhalten können, als wenn 
auch für diese Fälle eine neue Meldepflicht durch einen neuen 
Gesetzesparagraphen geschaffen würde. 

Auch legen die Ausführungsbestimmungen den behandeln¬ 
den Aerzten nahe, wie sie auch die laufende Desinfektion be¬ 
antragen können, so auch nach Ablauf der Krankheit die Aus¬ 
führung der Schlußdesinfektion bei der zuständigen Polizei¬ 
behörde zu veranlassen. Diese Vorschrift entspricht einer aus 
Aerztekreisen unmittelbar dem Ministerium gewordenen An¬ 
regung, die wir als einen Ausdruck des Willens zur Mitarbeit 
und Mittragung der Verantwortung bei dem Kampfe gegen die 
Infektionskrankheiten nur freudig begrüßen können. Es ist 
daher auch anzunehmen, daß die praktischen Aerzte gern von 
dieser Möglichkeit Gebrauch machen und so an ihrem Teile 
dazu beitragen werden, daß die Schlußdesinfektionen in Zukunft 



der neuen preußischen Desinfektionsordnung. 141 

schneller als es bisher manchmal der Fall war, ausgeführt 
werden. 

Das erstrebenswerte Ziel ist und bleibt ja nach wie vor, 
daß alle an einer übertragbaren Krankheit Leidenden behufs 
Isolierung in ein Krankenhaus überführt werden und in jedem 
Palle, soweit wir die Erreger der Krankheit kennen, nach er¬ 
folgter klinischer Genesung die bakteriologischen Schlußunter¬ 
suchungen gemacht werden; dann hätte der Kreisarzt die beste 
Handhabe, den Zeitpunkt der bakteriologischen Genesung — und 
dieser ist ja für die Vornahme der Schlußdesinfektion der aus¬ 
schlaggebende — selbst zu bestimmen. 

Großen Widerspruch von seiten Engelsmanns 2 , 8 , 4 ), 
Rapmunds 17 ) und besonders aus den Kreisen der Desinfek¬ 
toren 1 *) hat die Auswahl der in den Desinfektionsanweisungen 
genannten Desinfektionsmittel hervorgerufen; und besonders die 
Empfehlung des Sublimats in 1 und 5°/ 00 iger Lösung wird 
von einigen geradezu mit Entrüstung zurückgewiesen. Dem¬ 
gegenüber sei, wie ich das bereits an anderer Stelle ,4 ) erwähnte, 
□och einmal betont, daß die in den Desinfektionsanweisungen 
genannten Mittel so ausgewählt sind, daß da, wo es gewünscht 
wird, eine vollkommen geruchlose Desinfektion gewährleistet 
werden kann. Doch wird in den Ausführungsbestimmungen 
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch andere in bezug auf 
ihre desinfizierende Wirkung und praktische Brauchbarkeit 
erprobte Mittel angewendet werden dürfen; jedoch müssen ihre 
Mischungs- und LösungsVerhältnisse sowie ihre Verwendungs¬ 
weise so gewählt werden, daß nach dem Gutachten des be¬ 
amteten Arztes der Erfolg ihrer Anwendung einer Desinfektion 
mit den in den Anweisungen genannten Mitteln nicht nach¬ 
steht. Es steht also hiernach jedem Desinfektor frei, im Ein¬ 
verständnis mit dem zuständigen beamteten Arzt andere wie 
die in den Desinfektionsanweisungen genannten Mittel anzu¬ 
wenden, sogar die 6°/ 00 ige Sublimatlösung, deren Ersatz bei 
der Desinfektion bei Tuberkulose in den Ausführungsbestira- 
mungen mangels geeigneter gleichwertiger und billiger Mittel 
noch als schwierig bezeichnet werden mußte, kann heute nach 
den Mitteilungen Uhlenhuths 16 ) durch 4°/oiges Alkalysol 
und 8 bis 5°/ 0 iges Parmetol*) ersetzt werden. 

Aber selbst wenn wir diesen Ersatz nicht inzwischen er¬ 
halten hätten, könnte ich die von den Gegnern des^Sublimats 
geäußerte Furcht vor der Giftigkeit dieses Präparats nicht als 
berechtigt bezeichnen. Müssen doch eine große^Zahl von Aerzten 
vor chirurgischen Operationen oder nach dem Hantieren mit 
infektiösem Material tagtäglich wiederholt ihre Hände mit 
Sublimat desinfizieren. Und selbst, wenn einmal versehentlich 
jemandem ein Tröpfchen oder nach dem Desinfizieren der Zahn- 


*) Nach den nenesten Vorschriften Uhlenhnths soll 5, # / 0 iges Alkalysol 
und 5°/ 0 ige8 Permetol mit je 4 ständiger Einwirkungsdauer verwandt werden. 
(Anmerkung bei der Korrektur.) 



142 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen za den Kritiken 


bürste mit Sublimat ein Spürchen Sublimat in den Mund gerät, 
so wird der betreffende noch nicht davon krank. Ich möchte 
Herrn Kollegen Engelsmann*) gegenüber, der ja selbst ein¬ 
mal Bakteriologe war, erwähnen, daß ich, als mir beim Arbeiten 
mit frischer hochvirulenter Cholerakultur eine Aufschwemmung 
dieser Kultur beim Pipettieren in den Mund geriet, un¬ 
bedenklich den Mund mehrmals mit 1 °/ 00 iger Sublimatlösung 
ausgespült und mit ihr gegurgelt habe, ohne weiteren Nachteil, 
als daß ich danach einige Stunden lang einen metallischen 
Geschmack und eine leichte Salivation hatte 

Das Sublimateccem an den Händen, das bei mir nach reich¬ 
lichem Desinfizieren der Hände mit Sublimatlösung leicht auf- 
tritt, habe ich durch täglich einmaliges Einreiben der Hände 
mit einer Mischung von Spiritus rectificatus mit Glycerin zu 
gleichen Teilen schnell beseitigen und dann dauernd hintan¬ 
halten können. 

Unter keinen Umständen kann ich aber zugeben, daß die 
Vorschrift, daß zu den Desinfektionen auch Sublimat verwandt 
werden soll, den Selbstmördern Vorschub leistet. Den Selbst¬ 
mordkandidaten stehen heute eine so große Zahl von Mitteln 
und Methoden, sich aus diesem Dasein hinauszubefördern, 
zur Verfügung, daß sie nicht auf das Sublimat besonders ange¬ 
wiesen sind, anderseits ist aber das Sublimat in diesen Kreisen 
nicht sonderlich beliebt, weil es gegenüber anderen Giften ver¬ 
hältnismäßig langsam wirkt und den Tod nur unter großen 
Beschwerden und Schmerzen herbeiführt. 

Engelsmann 8 ) glaubt auch, auf einen Widerspruch 
zwischen der Besprechung der Berichte, die die Oberpräsidenten 
auf den Ministerialerlaß vom 24. Dezember 1916 über die Des¬ 
infektion tuberkulösen Auswurfs erstattet haben, und dem Erlaß 
vom 8. Februar aufmerksam machen zu sollen. Dieser Wider¬ 
spruch ist ohne praktische Bedeutung. Die Berichte der Ober¬ 
präsidenten und auch ihre Besprechung gehen von der Vor¬ 
aussetzung aus, daß unter allen Umständen angestrebt werden 
müsse, auch die im Innern der festen Sputumballen enthaltenen 
Tuberkelbazillen abzutöten. Bei den Beratungen über die neuen 
Desinfektionsanweisungen vertraten aber die zu ihnen hinzu- 
gezogeneu Fachgelehrten den jüngst wieder von Flügge 1 ) aus¬ 
gesprochenen Grundsatz, daß die Desinfektion dem praktischen 
Bedürfnis Rechnung tragen müsse, und man da, wo die sichere 
Abtötung der Infektionskeime Schwierigkeiten macht, anderer¬ 
seits eine Infektion durch die bei der Reinigung fortgeschafften 
Keime gegenüber anderen Infektionsmöglichkeiten völlig in den 
Hintergrund tritt, auf die restlose Abtötung der Keime ver¬ 
zichten und sich mit ihrer einwandfreien Beseitigung begnügen 
könne. Dieser Grundsatz wurde in Anbetracht der Schwierig¬ 
keiten, die die Abtötung der Tuberkelbazillen im Innern von 
festen Sputumballen durch Desinfektionsmittel macht (die Ab¬ 
tötung durch Kochen ist nicht überall durchführbar), lediglich 
für die Desinfektion tuberkulösen Sputums, hier aber auch un- 



der nepen preußischen Desinfektionsordnung. 


148 


bedenklich, als maßgebend, und demgemäß die Desinfektion 
mit 5 °/oo iger Sublimatlösung als ausreichend bezeichnet. In 
der Tat kann auoh die Beseitigung des sublimatgetränkten Inhalts 
des Speiglases eines Tuberkulösen, auch wenn im Innern der 
Sputumballen noch lebende Tuberkelbazillen enthalten sind, 
praktisch als einwandfrei angesehen werden, wenn er in das 
Closett, die Abortgrube oder auf den Misthaufen entleert wird. 
Denn daß von hier aus unmittelbar oder auf dem Umwege über 
das Feld Tuberkelbazillen wieder in einen Menschen gelangen und 
ihn infizieren könnten, würde, wenn es überhaupt vorkäme, 
gegenüber den sonstigen Infektionsmöglichkeiten eine ver¬ 
schwindend geringe Rolle spielen. 

Da wir aber jetzt in dem von Uhlenhuth empfohlenen 
Alkalysol und Pärmetol Desinfektionsmittel besitzen, die auch 
die im Innern von Sputumballen enthaltenen Tuberkelbazillen 
abzutöten vermögen und zudem den Vorzug der Billigkeit haben, 
so werden wir ihnen selbstverständlich den Vorzug vor dem 
Sublimat geben. 

Unverständlich ist mir, daß, wie Engelsmann 3 ) meint, 
die Stellung der Kreisärzte dadurch erschüttert werden könnte, 
daß bei der Anordnung der Desinfektion, der laufenden sowohl, 
als auch der Schlußdesinfektion (nicht bei der Schlußdesinfektion, 
wie Engelsmann schreibt), den Wünschen des behandelnden 
Arztes, soweit irgend möglich, Rechnung getragen wird. 

Ich habe eine höhere Meinung von den preußischen Kreis¬ 
ärzten und ihrer Stellung und glaube nicht, daß ihrem Ansehen 
der geringste Abbruch getan wird, wenn ein gewissenhafter 
praktischer Arzt, der ja auch im Staatsexamen sich über seine 
Kenntnisse in der Hygiene und der Seuchenbekämpfung hat 
ausweisen müssen, bei der zuständigen Polizeibehörde den Antrag 
auf Einleitung der laufenden Desinfektion stellt, falls er bei 
einem Patienten die Ueberzeugung gewonnen oder den Ver¬ 
dacht hat, daß er an einer übertragbaren Krankheit leidet, 
oder wenn er die Ausführung der Schlußdesinfektion veranlaßt, 
sobald sein Patient in ein Krankenhaus gebracht, gestorben 
oder nach klinischer Genesung seiner Ueberzeugung nach nicht 
mehr infektiös ist. Er ist doch derjenige, der bei seinem 
Patienten zuerst die Krankheit feststellen soll und der auch 
meist über die anderen genannten Momente unterrichtet ist, 
sodaß er — zunächst noch mit einer Einschränkung hinsicht¬ 
lich des Zeitpunktes der bakteriologischen Genesung — besser 
als jeder andere in der Lage ist, aen für die Ausführung der 
Schlußdesinfektion geeigneten Zeitpunkt zu bestimmen und so 
zu verhüten, daß die Schlußdesinfektion infolge zu später Aus¬ 
führung „zu einer Komödie wird“. 

Meiner Ueberzeugung nach — und hierin weiß ich mich 
in Uebereinstimmung mit den meisten preußischen Medizinal¬ 
beamten — ist die erfolgreiche Durchführung der Seuchen¬ 
bekämpfung ohne die freudige und verständnisvolle Mitarbeit 
der praktischen Aerzte nicht möglich. Von dieser Ueberzeugung 



144 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken 


habe ich mich stets leiten lassen und habe mich immer bemüht, 
mir^die Mitarbeit der behandelnden Aerzte zu sichern. Dabei 
war es für mich selbstverständlich, daß ich den Wünschen der 
Herren Kollegen, soweit ich es irgend konnte, Rechnung trug. 
Von wenigen Ausnahmen, die mich aber in meiner Ansicht 
nicht irre machen können, abgesehen, habe ich es nicht zu be¬ 
reuen gehabt, meiner Ueberzeugung gemäß gehandelt zu haben. 

Unsere praktischen Aerzte haben oft genug den Beweis 
geliefert, daß sie gern bei der Seuchenbekämpfung mitarbeiten, 
und durch ihre Aufmerksamkeit und rechtzeitige Meldung ge-. 
fährlicher Seuchenausbrüche — ich erinnere nur an das Vor¬ 
kommen von Cholera, Pocken und Fleckfieber in den letzten 
20 Jahren — dazu beitragen haben, daß größere Epidemien ver¬ 
hütet werden konnten. Deshalb sollten wir Medizinalbeamten uns 
nicht durch engherziges Pochen auf unsere Zuständigkeit unsere 
besten Helfer im Kampf gegen die Seuchen vergrämen. Uns 
bleibt noch genug des Wichtigen zu tun, dessen gewissenhafte 
Erfüllung unsere Stellung und unser Ansehen zu heben geeignet 
ist. Der tüchtige Kreisarzt wird auch trotz der Mitwirkung 
der praktischen Aerzte der eigentliche Spiritus rector der 
Seuchenbekämpfung in seinem Kreise bleiben. Bringen wir es 
so durch verständnisvolles Entgegenkommen dahin, daß uns 
die praktischen Aerzte bei der Seuchenbekämpfung freudig 
unterstützen, dann werden wir es allmählich auch erreichen, 
daß sie sich schließlich auch daran gewöhnen, die Festsetzung 
des Zeitpunktes für die Schlußdesinfektion nach der Genesung 
des Kranken von dem Ausfall der Schlußuntersuchungen ab¬ 
hängig zu machen. 

Verständlicher ist schon das Bedenken Engelsraanns 9 ) 
gegen die Vorschrift, daß der Kreisarzt die Schhißdesinfektion 
durch einen staatlich geprüften Desinfektor im Benehmen 
mit dem behandelnden Arzt anordnen kaDn, auch wenn 
die laufende Desinfektion von einer in der Desinfektion ausge¬ 
bildeten*) Schwester durchgeführt oder kontrolliert wurde. Diese 
Schlußdesinfektion soll in der Regel angeordnet werden, bevor 
noch von der Person, die die laufende Desinfektion ausgeführt 
oder kontrolliert hat, die Schlußdesinfektion angeschlossen ist, 
um eine doppelte Schlußdesinfektion zu vermeiden. Und weiter 
soll sie nur in besonderen Fällen angeordnet werden, in denen 
die Desinfektion mit Formalin oder im Dampfdesinfektions¬ 
apparat notwendig wird, oder in denen wegen der Größe oder 
der Zahl der zu desinfizierenden Räume (Verkaufsräume, Alum* 

*) Ich möchte hier bemerken, daß „staatlich geprüft" and „ausgebildet* 
keinen Gegensatz bedeutet, wie Engelsmann*) vermutet. Es soll durch 
diese verschiedene Bezeichnung nur zum Ausdruck gebracht werden, daß der 
staatlich geprüfte Desinfektor in seinem 14 tägigen Kurs auch in der Ausführung 
der Formalindesinfektion und der Handhabung des Dampfdesinfektionsapparats 
ausgebildet wird, die in der Desinfektion ausgebildete Schwester in ihrem 
8 tägigen Kurs jedoch nicht. Es gibt aber auch vereinzelte Schwestern, die 
nach 14 tägigem Kurs das Zeugnis als staatlich geprüfter Desinfektor erhalten 
haben. 



der neuen preußischen Desinfektionsordnung. 


146 


nate, Gefängnisse und dergl.) oder wegen besonders unsauberer 
Verhältnisse die Schlufldesinfektion mit besonderer körperlicher 
Anstrengung verbunden ist. Hier hat die Mitwirkung des be¬ 
handelnden Arztes eine etwas andere Bedeutung als in den 
vorher erwähnten Fällen. Die Desinfektion ist im allgemeinen 
bei der Bevölkerung noch nicht sonderlich beliebt. Immerhin 
werden die Angehörigen eines eben Genesenen nichts dagegen 
haben, wenn die Person, die die laufende Desinfektion durch¬ 
geführt oder kontrolliert hat, auch gleich die Schlußdesinfektion 
vomimmt, die ihnen trotz der Verwendung von Desinfektions¬ 
mitteln doch im wesentlichen als ein abschließendes Großreine¬ 
machen erscheint. Aber sie werden es doch vielleicht als eine 
besondere Unbequemlichkeit empfinden, wenn ein ihnen bisher 
unbekannter Desinfektor nun das Krankenzimmer mit Formalin 
ausräuchern und gar ihre Betten und Kleider zur Desinfektion 
im Dampfdesinfektionsapparat mitnehmen soll. Mit dieser ein¬ 
schneidenderen Maßnahme werden sie sich eher einverstanden 
erklären, wenn der behandelnde Arzt, der doch in allen mit der 
Krankheit zusammenhängenden Fragen ihr Vertrauen besitzt, 
mit der Vornahme dieser „verschärften Desinfektion“ einver¬ 
standen ist und womöglich persönlich ihre Bedenken beschwich¬ 
tigt. In Alumnaten, Gefängnissen und anderen Anstalten ist die 
Mitwirkung des Hausarztes mehr eine selbsverständliche Förm¬ 
lichkeit. 

Mir haben mehrfach Medizinalbeamte, mit denen ich diese 
letzte Frage besprochen habe, Bedenken dahin geäußert, daß 
seitens der behandelnden Aerzte der Anordnung der Schluß- 
desinfektion durch einen Desinfektor Schwierigkeiten in den 
Weg gelegt werden könnten. Aber wenigstens gleich groß war 
die Zahl derjenigen Medizinalbeamten, die demgegenüber den 
Standpunkt vertraten, daß solche Schwierigkeiten durch ver¬ 
ständige Einwirkung auf die behandelnden Aerzte seitens des 
Kreisarztes sich je länger desto leichter würden überwinden 
lassen. Den letzteren muß ich mich auf Grund meiner eigenen 
Erfahrung unbedingt anschließen. 

Bei den vorbereitenden Beratungen der neuen Desinfektions¬ 
ordnung wurde auch erwogen, daß die Vereinfachung der Schlu߬ 
desinfektion und die Mitwirkung von Pflegepersonen und 
Schwestern bei der Desinfektion in Desinfektorenkreisen Beun¬ 
ruhigung hervorrufen könnte. Ueberängstliche Gemüter könnten 
befürchten, daß in Zukunft gelegentlich ein Desinfektor weniger 
beschäftigt sein und dadurch geringere Einnahmen haben könnte 
als früher. Um solchen Befürchtungen und daraus entstehender 
Beunruhigung von vorn herein vorzubeugen, wurde am Schluß 
der Ausführungsbestimmungen darauf hingewiesen, daß beab¬ 
sichtigt sei, geeignete Desinfektoren durch eine umfassendere 
Ausbildung weiter zu fördern, um ihnen als Ober- oder Kreis- 
Desinfektoren oder Gesundheitsaufseher den Aufstieg in höhere 
Gehaltsstufen zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde den Gemeinden 
und Kreisen die Anstellung von solchen gehobenen Gesundheits- 



146 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen zu den Kritiken 


beamten empfohlen, da ja ihre Anstellung als staatliche Beamte 
bei der jetzigen Finanzlage des Staates ausgeschlossen ist. Auf 
die gleiche Möglichkeit der Erweiterung der Tätigkeit der Des¬ 
infektoren habe ich in meiner kleinen Abhandlung über die 
neue Desinfektionsordnung 14 ) hingewiesen. 

Leider haben diese Hinweise nicht den gewünschten Erfolg 
gehabt 10 ). Zu diesem Mißerfolg hat ganz wesentlich der Vor¬ 
trag von Engelsmann 8 ) vor den Schleswig-Holsteinischen 
Desinfektoren beigetragen, in denen er die Mitwirkung der 
Pflegepersonen und Schwestern zu „einer erheblichen Gefähr¬ 
dung nicht nur einzelner Desinfektoren, sondern des ganzen 
Desinfektorenstandes“ stempelte und den Desinfektoren zurief: 
„Da bitte ich Sie recht aufzuachten; denn hier geht es um den 
Bestand des Desinfektorenstandes.“ Da dieser Vortrag in dem 
Verbandsorgan des deutschen Desinfektorenbundes abgedruckt 
wurde, so wirkten die erwähnten Wendungen in den weitesten 
Kreisen der deutschen Desinfektoren nicht nur beunruhigend, 
sondern geradezu irreführend. Selbst der sonst so besonnene 
Vorsitzende des Desinfektorenbundes Schild 10 ) hat sich diesem 
Eindruck nicht entziehen können und spricht in seiner Be¬ 
sprechung der neuen Desinfektionsordnung, in der er in aner¬ 
kennenswerter Weise der eingetretenen Beunruhigung entgegen¬ 
tritt, von den „freiwerdenden Desinfektoren“, die in ein neues 
Arbeitsgebiet übernommen werden müßten. Dabei erwähnt er 
auch, daß auch ich 14 ) von einer Verminderung der Tätigkeit 
der Desinfektoren gesprochen hätte; macht aber aus meinem 
„vielleicht ... für einen Teil der Desinfektoren“ ein „wahr¬ 
scheinlich ... die Desinfektoren.“ 

Ganz besonders erregt scheinen sich aber die Desinfektoren 
auf dem Desinfektorentag in Berlin 18 ) geäußert zu haben. Man 
kann das ganz besonders aus den in dem Sitzungsbericht wieder¬ 
gegebenen Entgegnungen von v. Vagedes und Seligmann 
schließen, in denen diese den Uebertreibungen anderer Redner 
entgegentreten. 

Es ist mir unverständlich, wie Engelsmann zu seiner 
Auffassung und zu dieser Auslegung der Ausführungsbestim¬ 
mungen gekommen ist. Auf jeden Fall ist aber die Beunruhi¬ 
gung der Desinfektoren vollständig unberechtigt. Kein einziger 
Desinfektor wird infolge der neuen Desinfektionsordnung ent¬ 
lassen zu werden brauchen. Gewiß werden die Desinfektoren 
durch die Vereinfachung der Vorschriften und die Mitwirkung 
der Pflegepersonen und Schwestern bei der Schlußdesinfektion 
in diesem Zweige ihrer Tätigkeit eine Arbeitsverminderung 
erfahren. Dafür wird ihnen aber die Ausführung der Kontrolle 
der laufenden Desinfektion so reichliche Mehrarbeit bringen, 
daß trotz der Mitwirkung der Pflegepersonen und Schwestern, 
jene Verringerung ihrer Tätigkeit bei der Schlußdesinfektion 
voraussichtlich mehr als aufgewogen wird. Soll aber die Des¬ 
infektion, und zwar überall in Stadt und Land, so durchgeführt 
werden, so können wir dies ohne die Mitwirkung der Pflege- 



der neuen preußischen Desinlektionsordnung. 


147 


personen und Schwestern gar nicht erreichen. Und zwar nach 
zwei Richtungen. Zunächst erfordert die durch die neue Des¬ 
infektionsordnung angeordnete regelmäßige Durchführung bezw. 
Kontrolle der laufenden Desinfektion eine so große Arbeits¬ 
leistung, daß zu ihrer Bewältigung die vorhandenen Desinfek¬ 
toren — in manchem Kreise ist es ja nur ein einziger — gar 
nicht ausreichen können. Es wird ja auch von Sarganek 5 , 6 ) 
und Engelsmann*, 8 » 4 ) der neuen Desinfektionsordnung zum 
bitteren Vorwurf gemacht, daß sie Dinge fordert, die mangels 
ausreichenden Personals gar nicht ausgeführt werden könnten. 
Deshalb müssen wir noch andere Kräfte heranziehen, die die 
entstehenden Lücken auszufüllen vermögen. Das sind aber die 
in der Desinfektion ausgebildeten Pflegepersonen und Schwestern. 
Weshalb diese die Desinfektion schlechter ausführen sollten, 
als die Desinfektoren, wie Schild 10 ) meint, ist nicht recht ein-r 
Zusehen, da sie ja doch — abgesehen von der Formalin- und 
Dampfapparat-Desinfektion — die gleiche Ausbildung erhalten 
und vom beamteten Arzt wie die Desinfektoren kontrolliert 
werden. Sie werden also wie die Desinfektoren die laufende 
Desinfektion ausführen und kontrollieren, dabei aber nicht, wie 
Sarganek 5 ) meint, als Gesundheitsaufseher die Tätigkeit 
der Desinfektoren kontrollieren, aber auch nicht, wie manche 
Desinfektoren ll ) es wünschen, von den Desinfektoren kontrolliert 
werden. Aber auch ihre Zahl ist noch nicht ausreichend, um 
mit den Desinfektoren schon überall die anfallende Arbeit be¬ 
wältigen zu können. Deshalb sieht der Erlaß vom 8. 2. 21 eine 
Uebergangszeit vor, um den Kreisen und Gemeinden zu ermög¬ 
lichen, erst noch das nötige Personal — Desinfektoren oder in 
der Desinfektion ausgebildetes Pflegepersonal und Schwestern — 
zu beschaffen, ehe die neue Ordnung vollständig durchgeführt 
werden kann. 

Der zweite Grund, der die ausgiebige Heranziehung von 
Pflegepersonen und Schwestern zur Ausführung der Desinfektion 
in hohem Grade erwünscht macht, ist folgender: Ich sagte oben 
schon, daß ja leider auch heute noch die Desinfektion sich 
keiner besonderen Beliebtheit bei der Bevölkerung erfreut. 
Diese Abneigung trifft naturgemäß auch diejenigen, die von 
Amts wegen diese Desinfektion ausführen müssen. Sie wird aber 
geringer sein gegen Pflegepersonen und Gemeindeschwestern, 
die bei der Bevölkerung schon als die treuen Helfer in Krank¬ 
heit und Not bekannt und geschätzt sind. Diese werden im 
Verein mit dem behandelnden Arzt, ohne besondere Widerstände 
überwinden zu müssen, die Angehörigen des Kranken von der 
Notwendigkeit der Desinfektion überzeugen, die letztere dadurch 
auch in weiteren Kreisen beliebt machen und so indirekt geradezu 
als Schrittmacher für die Desinfektoren tätig sein. Dasselbe 
Bestreben, reges Verständnis zu erwecken, war auch die Ver¬ 
anlassung für die Anordnung, daß die Schlußdesinfektion nach 
Beendigung der laufenden Desinfektion in der Regel sogleich 
von der Person, die die letztere durchgeführt oder kontrolliert 



148 


Dr. Otto Lentz: Bemerkungen za den. Kritiken 


hat, vorgenommeu werden soll. Es soll dadurch verhütet werden, 
daß zu diesem Zweck noch wieder eine neue, oft dem Kranken 
und seinen Angehörigen unbekannte Person ins Haus kommen 
muß, was ja naturgemäß Unruhe schafft und nicht dazu bei¬ 
trägt, die Desinfektion beliebt zu machen. Ich bin mit Selig¬ 
mann 7 ) überzeugt, daß, wenn sich erst der erste Schrecken 
des Neuen gelegt haben wird und an seine Stelle wieder ruhige 
Ueberlegung tritt, auch das Mißtrauen gegen die Mitarbeit der 
Schwestern verschwinden wird. 

Wenn v. Vagedes 9 ) Bedenken gegen die Bestimmung 
äußert, daß der Desinfektor nur mit Genehmigung des Haus¬ 
haltungsvorstandes das Krankenzimmer betreten soll, und meint, 
daß diese Genehmigung wohl nur selten erteilt werden wird, 
so kann ich ihm darin nicht beipflichten. Ich habe im Gegenteil 
die Erfahrung gemacht, daß im allgemeinen die Bevölkerung 
bestrebt ist, dem Desinfektor seine Aufgabe nach Möglichkeit 
zu erleichtern, und ihm zur Vornahme der Desinfektion und 
zur Belehrung des (nicht geschulten) Pflegepersonals auch den 
Zutritt zum Krankenzimmer gestattet. 

Engelsmann 2 ) erklärt es für ganz unverständlich, daß 
in die Desinfektionsanweisung für Tuberkulose nicht ebenso 
wie in die anderen Anweisungen, auch Vorschriften für die 
Desinfektion von Krankentransportmitteln aufgenommen worden 
sind. Ich gebe zu, daß man über diesen Punkt verschiedener 
Meinung sein kann. Auch in der Kommission, die zur Be¬ 
ratung der neuen Anweisungen vom Herrn Minister für Volks¬ 
wohlfahrt einberufen war, wurden hier verschiedene Auffassungen 
geäußert; man einigte sich #ber schließlich dahin, daß die Be¬ 
stimmungen über die Desinfektion der Krankentransportmittel 
hier fortbleiben könnten. Da aber auch von anderer Seite die 
Bedenken Engelmanns geteilt werden, so beabsichtigt der 
Herr Minister, diese Vorschriften noch nachträglich in die An¬ 
weisung für die Tuberkulose einzufügen.*) 

Zum Schluß möchte ich noch ein paar Worte zur Kosten- 
fr a g e sagen, die von manchen Seiten ungünstig beurteilt wird. 
Sicher bringt die neue Anweisung den Gemeinden in mancher 
Hinsicht Ersparnisse, besonders durch die Vereinfachung der 
Schlußdesinfektion. Denen stehen aber auf der anderen Seite 
auch Mehrausgaben für die Kontrolle der laufenden Desinfektion 
gegenüber. Besonders die Personalkosten werden sich dem 
allgemeinen Zug der Zeit entsprechend nicht unbedeutend er¬ 
höhen. Ob durch die notwendigen Mehrausgaben die Erspar¬ 
nisse wieder ausgeglichen werden, muß erst die Zukunft lehren. 
Ein unverzeihlicher Fehler, der sich eines Tages schwer rächen 
könnte, wäre es jedoch, wollte eine Gemeinde auf dem Gebiete 
der Desinfektion eine falsche Sparsamkeitspolitik treiben. Wie¬ 
viel Krankheit und Unglück durch rechtzeitige Schaffung guter 
hygienischer Einrichtungen verhütet wird, kann man im allge- 

*) Inzwischen durch Erlaß Tom 7. Januar 1922 geschehen. 



der neuen preußischen Desinfektionsordnung. 


149 


meinen nicht mathematisch nachweisen, aber sicher ist, daß 
eine große Zahl von schweren Epidemien, die zahllose Opfer 
gefordert haben und durch sie bedingte große Geldaufwendungen 
nir die Kranken und den Schutz der Gesunden hätten ver¬ 
mieden werden können, wenn nicht vorher an den Kosten zur 
Schaffung hygienischer Zustände ein paar tausend Mark gespart 
worden wären. Löffler bezeichnete einmal die für die Seuchen¬ 
bekämpfung und -Verhütung aufgewandten Geldmittel als die 
beste Kapitalsanlage und ich selbst habe berechnet, daß durch 
die Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches von 1903 
bis 1913 mit einem jährlichen Kostenaufwand von Reich und 
Staat in Höhe von 200000 Mark im Durchschnitt eine jährliche 
Ersparnis von fast 500000 Mark an Volksvermögen erzielt wurde. 
Allein die Krankenkassen im Bekämpfungsgebiet haben ledig¬ 
lich durch die Abnahme der Typhuserkrankungen eine jährliche 
Ersparnis von durchschnittlich 180 000 Mark gehabt. Das sind 
(Goldmark-) Werte, für die auch sparsam veranlagte Gemeinde¬ 
säckelwarte Verständnis haben werden. 

Literaturverzeichnis. 

2 Flügge, 0. Kritische Bemerkungen zur neuen preußischen Desinfek- 
nung. Zeitschr. f. Ued.-Beamte 1921, Nr. 18. 

*) Engelsmann, B. Die Stellung der Desinfektoren durch die neuen 
Desinfektionsvorschriften in Prenßen. Der Prakt. Desinf. 1921, Heft 6. 

*) Derselbe. Die neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen. Zeitschr. 
f. Med.-Beamte 1921, Nr. 18. 

4 ) Derselbe. Zur Kritik der neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen. 
Sozialhygienische Mitteilungen 1921, Heft 4. 

®) Sarganek. Die laafende Desinfektion am Krankenbette und die 
Beteiligung der Gemeindeschwestern und der Sanitätskolonnen. Erka 1921, 
Heft 12/14 und Das Bote Kreuz des deutschen Volkes 1921, Heft 16/16. 

•) Derselbe. 26 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. Zeitschr. f. 
Med.-Beamte 1921, Heft 19. 

*) Seligmann, E. Die neue preußische Desinfektionsordnung und die 
Zukunft des Desinfektorenstandes. Zeitschr. f. Soziale Hygiene, Fürsorge und 
Krankenhauswesen 1921, Nr. 8. 

*) Derselbe. Neuregelung des Desinfektionswesens in Berlin. BerL 
Aerzte-Corresp. 1921, Nr. 45. 

*) v. Va^edes. Die preußische Desinfektionsordnung. Der prakt. 
Desinf. 1921, Heft 11. 

,0 ) Schild. Die neue preußische Desinfektionsordnung und die Des¬ 
infektoren. Der prakt. Desinf. 1921, Heft 7. 

M ) Weinert, W. Was lehrt uns die Desinfektionsordnung und was 
wollen wir daraus lernen. Der prakt. Desinf. 1921, Heft 7. 

'*) Bericht über den Desinfektorentag in Berlin. Der prakt. Desinf. 1921, 
Heft 9, 10 und 11. 

ia ) Solbrig. Die neuen Desinfektionsvorschriften in Preußen. Aerztl. 
Sachverst Zeitsch. 1921, Heft 17. 

14 ) L e n t z, 0. Die neue preußische Desinfektionsordnung. Desinfektion 
1921, Heft 4. 

I4 ) Derselbe. Die neuen preußischen Desinfektionsvorschriften bei 
Tuberkulose. Zeitschr. f, Tuberk. Bd. 84, Heft 7. 

**) Uhlenhuth, P. Neue Verfahren zur Desinfektion von tuberkulösem 
Auswurf. Zeitschr. f. Tuberk. Bd. 34, Heft 7. 

,7 ) Bapmund. Fußnoten zu der Abhandlung von Engelsmann s. Nr. 8. 



150 Dr. Wildenrath: Nachkriegsverhältnisse nnd ihre Einwirkung 

Nachkrlegsverhältnisse und ihre Einwirkung auf 
Öewerhehygiene, Medizinalgesetzgebung 
und Medizinalyerwaltung. 

Von Kreisarzt Br. Wildenrath in Daun. 

Deutschland ist besiegt und muß die Folgen seiner Nieder¬ 
lage tragen, soweit sie unabwendbar sind. Sich dieser bitteren 
Wahrheit verschließen, hieße die Grundlage zur Wiederaufrich¬ 
tung unseres Volkes verkennen; denn erst aus dem klaren Selbst¬ 
eingeständnis dieser Tatsache kann der Wille kommen, die äußerst 
mögliche und rationelle Kräfteanspannung zum Wiederaufbau 
zu entfalten. Das einzige Mittel aber, den gutwilligen Elementen 
unter unsern Kriegsgegnern und unter den Neutralen die Ueber- 
zeugung beizubringen, daß wir bis an die Grenze des Möglichen 
die Folgen des verlorenen Krieges dem Auslande gegenüber 
tragen wollen, und damit das einzige Mittel, eine Revision des 
Vertrages von Versailles durch die Wucht der Tatsachen zu er¬ 
zwingen, ist Arbeit, angespannteste Ausnutzung unserer Arbeits¬ 
kraft. Das Wort unserer Feinde: „Deutschland wird Ueber- 
stunden maohen müssen“ enthält einen großen Teil von Wahr¬ 
heit, wenn auch der gehässige Sinn der Sklavenarbeit, der in 
diesem Worte liegt, abgelehnt werden muß. Arbeiten müssen 
wir, muß Jeder aus unserm Volke, soweit seine Kräfte dies zu¬ 
lassen und ohne daß Gesundheitsschädigung die Folge ist. — 
Die schwache Seite der Gesetzgebung ist immer die Schemati¬ 
sierung, die in jedem „für alle Bürger gültigen“ Gesetz begründet 
liegt. Und einer der größten, wenn nicht der größte Fehler, den 
die Gesetzgebung seit dem Kriegsende begangen hat, ist die 
Schematisierung der Arbeitskraft im Achtstundentag. — Es 
mag zugegeben werden, daß es für einen nicht allzu kräftigen 
Schwerstarbeiter, in Bergwerken, Eisenhütten oder dergl. im 
Durchschnitt genug ist, sogar nur 6 Stunden zu arbeiten, ohne 
die gegebenen Kräfte zu überspannen und damit vom Kapital 
zu zehren. Doch auch in solchen Schwerstarbeiterbetrieben 
wird es genug Leute geben, die ohne Ueberspannung ihres 
Kräftehaushaltes 10 ja 12 Stunden arbeiten könnten, ja sogar 
gerne wollten, wenn ihnen von Gewerkschaftsorganen bezw. 
von der Gesetzgebung die Möglichkeit dazu gegeben wäre. 
Selbstverständlich wäre zu verhindern, daß nicht ein Arbeiter 
aus Not oder ungerechtfertigter Gewinnsucht seine Nerven und 
seine Gesundheit durch dauernde Ueberarbeitung schädigte, 
ja damit unter Umständen sogar — in gefährlichen Betrieben — 
das Leben seiner Mitarbeiter oder die Existenz des Werkes ge¬ 
fährdete. Haushalt ist eben alles 1 

In leichteren Betrieben, z. B. Eisenbahn, Post, Aemtem 
oder Bürobetrieben liegen die Verhältnisse natürlich noch weit 
günstiger. Warum arbeiten Eisenbahn und Post im Gegensatz 
zu den Zeiten vor dem Kriege mit dauerndem Defizit? Gewiß, 
die Materialpreise sind vielleicht auf das zwanzigfache der 
Friedenspreise gestiegen, während die Tarife noch nicht um 



auf Gtewerbebygiene, Medisinalgesetzgebang and Medizinalverwaltang 151 

dasselbe Verhältnis erhöht werden konnten, doch iBt dies bei 
weitem nicht der wesentlichste Grund. Der Hauptgrund für 
das Defizit ist der, daß die Beamten und Angestellten größten¬ 
teils nur 8 Stunden „arbeiten“, d. h. unter mangelhafter Auf¬ 
sicht sich teilweise nur mangelhaft beschäftigen und nachher 
überflüssige freie Zeit haben, die sie nicht anders hinbringen 
können, als indem sie Werte, die sie gewonnen, größtenteils 
unnütz verzehren, statt in derselben Zeit neue Werte zu schaffen, 
während sie, soweit sie Familie oder Sparbetrieb haben, gerne 
weitere Werte schaffen würden. Infolgedessen kommen diese 
Leute trotz erhöhter Gehälter nicht aus und werden immer 
begehrlicher in Gehaltsforderungen. Das Resultat ist außer 
andauernder Personalvermehrung, die doch wenigstens das Gute 
hätte, Kriegsbeschädigte unterzubringen, die Schraube ohne 
Ende der Gehalts- bezw. Lohnerhöhungen und damit immer 
weitergehende Unwirtschaftlichkeit des Betriebes. Jeder Ein¬ 
geweihte kennt diese Binsenwahrheiten, doch werden sie aus 
mannigfachen Gründen nicht genug öffentlich ausgesprochen. 

Es ist eine Härte der Natur, die sich niemals ganz umgehen 
lassen wird, daß der Schwächling nicht soviel arbeiten kann, 
wie der Normale oder gar der Starke. Die Frage, ob der 
Schwache seine Schwäche verschuldet hat, oder ob er ohne 
eigenes Verschulden schwach ist, bedarf hierbei kaum einer 
Prüfung. Doch soll und muß für den — zum mindesten für 
den schuldlosen — Schwächling eine Mindesteinnahme, mit der 
er für seine Person, oder auch wenn er Familie besitzt oder 
trotz seiner Schwäche gegründet hat — das Letztere wäre mög¬ 
lichst gesetzgeberisch einzuschränken — für diese ein Existenz¬ 
minimum festgesetzt werden. Anderseits aber soll der Normale 
oder gar der Starke nicht gehindert werden, seinen Kräften 
entsprechend mehr zu leisten, also Werte zu schaffen, die ihm 
selbst in erster Linie, dann aber auch der Gesamtheit zugute 
kommen, wenn er will, und soweit er kann. Eine Normierung 
der Arbeitskraft, je nach Schwere und Gesundheitsgefährlich¬ 
keit des Betriebes auf 6, 8 oder auch 12 Stunden ist gerecht¬ 
fertigt, doch muß es jedem Arbeiter, der will und soweit er — bei 
gewerkschaftlicher, gewerblicher und insbesondere ärztlicher Kon¬ 
trolle — kann, gestattet sein, seine Kräfte auszunutzen, wobei 
selbstverständlich die Ueberarbeit über die festgesetzte Betriebs- 
Normalarbeitszeit hinaus, weil freiwillig, höher zu bewerten wäre. 

Alle diese Fragen basieren also auf der rationellen Kräfte¬ 
ausnutzung des Einzelnen, und damit auch die Lösung der 
volkswirtschaftlichen Frage nach größtmöglichster Ausnutzung 
unserer Volkskraft zum Zweck des Wiederaufstiegs. Bei mög¬ 
lichst vollkommener Lösung dieser Fragen würden sowohl unserer 
Außen- wie Innenpolitik große Steine des Anstoßes aus dem 
Wege geräumt sein. Jedes Schema, damit auch jedes Gesetz, 
findet seine Grenze in der Natur, und nur duroh äußerstmög¬ 
liche Ausnutzung der natürlichen Kräfte im einzelnen Menschen 
wie in der Gesamtheit, kann unsere Volkswirtschaft gesunden. 



152 Dr. Wildenrath: Nachkriegsrerhältnisse nnd ihre Einwirkung new. 


Der berufene Beurteiler der menschlichen Arbeitskraft und ihrer 
rationellen Ausnutzung ist aber der Arzt, nicht der Jurist, 
der Gewerkschaftler, Berufspolitiker, Redner usw. Wenn es 
daher vor und während dem Kriege gerechtfertigt erschien, 
als zur Gesetzgebung und Regierung Berufene diese Letztge¬ 
nannten zu bezeichnen, so ist es heute dringend an der Zeit, 
den Aerzten mehr Einfluß auf Gesetzgebung und Regierung 
zu geben als bisher. In den gesetzgebenden Körperschaften 
ist der Arzt bisher kaum vertreten, und in Regierung und 
oberen und unteren Verwaltungsbehörden ist der Medizinal¬ 
beamte stets nur Berater, über dessen Vorschlag der bestimmende 
Verwaltungsjurist jederzeit hinwegzugehen das Recht hat, 
niemals selbständiger, raitbestimmenaer V erwalter eines Ressorts. 

Vor allen Dingen wäre den beamteten Aerzten, die ja besondere 
Ausbildung und Erfahrung in Medizinalgesetzgebung und volks¬ 
wirtschaftlicher Denkweise haben müssen, eine viel größere 
Selbständigkeit und ein größerer Einfluß in Gesetzgebung, Re¬ 
gierung und Verwaltung einzuräumen. 

Bisher ist der Kreisarzt laut Dienstanweisung nur „Berater“ 
des Landrats, über dessen „Rat“ der Landrat sich hinwegsetzen 
kann und dessen „Rat“ tatsächlich, wie viele Klagen von Kreis¬ 
ärzten bezeugen können, sein Ende in irgend einer Versenkung 
findet. i 

So ist der Reg.-Med.-Rat stets nur „Referent“ des Re¬ 
gierungspräsidenten in Medizinalangelegenheiten, dessen „ Referat“ 
von verständigen Regierungspräsidenten zwar wohl berücksich¬ 
tigt werden wird, aber nie selbständige Verfügungskraft hat. 

Im Ministerium endlich liegen die Verhältnisse auch wohl 
kaum wesentlich anders. Es erscheint m. E. dringend notwendig, 
hier grundlegenden Wandel zu schaffen, etwa so, daß in Sam- 
täts- oder Medizinalangelegenheiten der Medizinalbeamte selb¬ 
ständiges Verfügungsrecht hat, und daß seine Verfügungen 
zur Rechtswirksamkeit nur der Gegenzeichnung der betreffenden 
Verwaltungsbehörde bedürfen. Denn selbstverständlich wäre 
der Fall denkbar, wenn er bei erfahrenen Beamten auch kaum 
oft Vorkommen dürfte, daß der Medizinalbeamte Verfügungen 
erließe, die mit bestehenden Gesetzen in Widerspruch ständen. 
Dann* wäre es Sache der Vereinbarung zwischen den gleich¬ 
zuordnenden Medizinal- bezw. Verwaltungsbehörden, hier keine 
Fehler aufkommen zu lassen, bei Nichteinigung wäre die nächst¬ 
höhere Behörde zur Entscheidung anzurufen. Doch in einer 
Zeit, in der man juristische Laien zu Landräten und Regierungs¬ 
präsidenten ernennt, wenn sie nur den nötigen politischen , 
Hinterhalt haben, wären derartige Fehler eher von solchen 
Behörden als den beigegebenen Medizinalbeamten zu erwarten. 

Erst wenn die obengenannten Forderungen erfüllt sind, wäre 
eine gewisse Gewähr gegeben, und könnte es dahin kommen, 
daß einerseits der Schwache — nötigenfalls gegen seinen 
Willen — vor Ueberarbeitung geschützt, andererseits aber die 
Kraft des Normalen oder gar des Starken zu seinem Wohle 



Versammlung des Besirkavereins Cassel der Preoß. Med.-Beamten. 158 


und damit auch zum Wohle der OeBamtheit rationell ausge¬ 
nutzt wird. 

Ich habe hier nur ein Moment, allerdings zur Zeit eines 
der wichtigsten und aktuellsten, zur Begründung der obigen 
Forderungen herangezogen, die rationelle Ausnutzung der 
Arbeitskraft des Einzelnen wie des ganzen Volkes. Doch auch 
in manch anderer Hinsicht erscheint es dringend notwendig, 
dafi dem Medizinalbeamten mehr selbständiges Verfügungsrecht 
gegeben wird. Bei Ausbruch ansteckender Krankheiten z. B. 
hat der Kreisarzt laut Dienstanweisung nur dann das Recht 
su selbständigen polizeilichen Anordnungen, wenn „Gefahr im 
Verzüge“ ist, und auch dann sind seine Anordnungen nur vor¬ 
läufig, bis die eigentliche Verwaltungsbehörde ihren Spruch 
getan und die Anordnungen entweder bestätigt oder aufgehoben 
hat. Bei notwendigen Krankenhausneu- oder -Aenderungsbauten 
wird der Medizinalbeamte nur gehört, nicht daß er eine wesent¬ 
liche Einwirkung au! die Verwirklichung seiner Angaben und 
Pläne hätte. 

Solche Beispiele ließen sich noch viele angeben, in der 
Wohnungs-, Tuberkulose-, Krüppelfürsorge, Ernährungspolitik, 
Wohlfahrtseinrichtungen, Personalfragen u. a. m. Wenn wirklich 
die bisherigen Verhältnisse in Vorkriegszeiten, wenn auch kaum 
je befriedigend, so doch erträglich waren, so sind in unserer 
Zeit des Neuaufbaues unserer Volkswirtschaft und unserer 
schwergeschädigten Volksgesundheit grundlegende Aenderungen 
im Sinne größeren Einflusses der Aerzte, insbesondere der be¬ 
amteten Aerzte, in den öffentlichen Körperschaften, Gesetz¬ 
gebung und Verwaltung, dringend notwendig und zeitgemäß. 

Es bedarf zum Wiederaufstieg unseres Volkes der Zusammen¬ 
arbeit aller Berufe: Nicht bloß einer tragfähigen Koalition in 
der Politik, sondern auch einer Gesamtkoalition aller lebendigen 
Kräfte, wobei alle Glieder dieser Koalition den ihrer Wirksamkeit 
und Notwendigkeit entsprechenden Einfluß haben müssen. Die 
Medizinalgesetzgebung und -Verwaltung war bisher stets nur 
dienende Magd; sie muß gemäß ihrer größten Bedeutung für 
die Gesundung unseres Volkes, namentlich in unserer Zeit des 
Volkssiechtums, das ihr zukommende Mitbestimmungs-, nicht 
bloß Beratungsrecht erhalten. 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Teraammlnne de« Bezirk «verein« Can«el 4er Preußische» 
Medizi oh 1 beamten in Cassel an 19. Februar 1929. 

Anwesend: Ebert,Heilig,Malkus, Meder,Ros elieb,8 chopohl, 
Scharian, 8piecker, Wagner ond Wolf. 

Tagesordnung: 

1. Beitritt iam Berufsvereln höherer Beamten. Nach längerer Be¬ 
ratung wurde dem Vorstandsbeschluß des Landesvereins vom 21. Januar 1922 
beigetreten. 

2. Gebührenordnung. Es wurde den vom Lan d es Vereins Vorstand aus- 
gearbeiteten Richtlinien zugestimmt. 



154 


Kleinere Mitteilangen and Referate an« Zeitschriften. 


3. Dienstanweisung. Die in der Eingabe des Landesvereinsvorstandes 
▼om 10. Febraar 1»22 gemachten Vorschläge wurden im großen and ganzen 
angenommen and nar wenige Aendernngen resp. Zusätze empfohlen. 

4. Der Verein tritt in Unterbandlangen mit der HauptfÜrsorgentelle 
betr. Bezahlung der vertranensärztlichen Tätigkeit. 

5. Es soll ein kurzfristiger Elnführungskursus ln die Krüppelffirsorge 
in der Kasseler Krüppelheilanstalt beantragt werden. 

6. Kassenangelegenheiten. 

Nächste Versammlung Sonntag, den 11. Juni, Tormittags 11*/* Uhr in 
Marburg. Dr. Wolf. 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

1. Fleckfieber. 

Znr Fleckfleber• Aetlologie. Von E. Friedberger und F. Schiff. 
Ans dem Hygiene - Institut der Universität Greifswald. Berliner klinische 
Wochenschrift, 1921, Nr. 13. 

Aus ihren Versuchen schließen die Verfasser, daß alle Argumente, die 
als Beweise gegen die Identität des Fleck fieborvirus mit einer bestimmten 
(0-) Form des X 19 angeführt sind, widerlegt sind. Die apodiktischen An» 
sichten von Ko Ile und Pfeiffer, wonach X 19 nicht der Erreger des Fleck- 
fiebers ist, sind danach nicht gerechtfertigt. Ueber weitere Versuche zur 
Züchtung des Bazillus X 19 beabsichtigen die Verfasser später zu berichten. 

_ Dr. Solbrig-Breslau. 


2. Typhus. 

Ueber die serologische Typhnsdiagnose bei Schutzgeimpften. Von 
Priv.-Doz. Dr. Schürer und Dr. Rosel Goldschmidt. Aus der medizin¬ 
ischen Universitätsklinik Frankfurt a. M. Berliner klinische Wochenschrift, 
1920, Nr. 88. 

Nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen ist es für die Annahme 
einer typhösen Erkrankung bei einem Typbusschutzgeimpften von erheblicher 
diagnostischer Bedeutung, wenn sich bei einem Schutzgeimpften neben einer 
stärkeren Typhusbazillen-Agglutination eine schwächere Mitagglutination tob 
ParatyphuB A-Bazillen findet. _ Dr. Solbrig-Brealau. 


3. Paratyphus. 

Ist die Aufnahme eines Paratyphns der Scblachttlere ln die Aus* 
ftthrnngsbestimmungen zum Fleischbeschangesetz begründet? Von Ober¬ 
tierarzt Prof. Fr. G1 e g e - Hamburg. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, 
16. September 1921, XXXI, Heft 24, 8. 323. 

Auf Grund langjähriger Erfahrungen und eingehender wissenschaftlicher 
Studien verneint G. die obige Frage und erörtert dabei ausführlich die auch 
dem ärztlichen Gutachter oft aufstoßenden Zweifel, ob eine intravitale oder 
ein postmortale bakterielle Durchsetzung des Fleisches mit Paratbyphus- 
bakterien für eine Fleischvergiftung verantwortlich zu machen sei. Eine ein¬ 
heitliche Tierkrankheit, darüber herrscht nur eine Meinung, hat nie Vorgelegen. 
Die Kolik der Pferde ist keine Infektionskrankheit, sondern 
geht fast stets mit mechanischer Verlegung des Magendarm¬ 
kanals einher. Nie haben Fütterungsversuche mit menschenpathogenen 
Paratyphusbazillen bei großen Haustieren das Bild einer schmerzhaften Kolik 
hervorgerufen. G. geht die große Literatur über die Fleischvergiftungen der 
letzten Jahre eingebend kritisch durch, besonders auch die Not Schlacht¬ 
ungen, die dabei oft eine Bolle spielen, und beweist, daß selbst diese nicht 
notwendig eine intravitale bakterielle Einwanderung in das Fleisch der Tiere 
zur Voraussetzung haben, überhaupt sehr vorsichtig beurteilt nnd mit allen 
Begleitumständen genau klargestellt werden müssen. Ein Paratyphns läßt 
sich bei Schlachttieren weder klinisch noch nach dem Schlachten diagnostizieren. 
Die postmortale Fleischinfektion durch Paratyphus int 
sicher und unbestritten, die intravitale nur wahrscheinlich. 
Gelegenheit zu ersterer ist im Fleischandel überreich vor- 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


165 


handen. Glege polemisiert besonders gegen Müller (dies. Zeischrift Heft 18) 
and hält dessen Material für nicht beweiskräftig genag gegenüber seinem 
eigenen ablehnenden Standpunkt. Dabei befürwortet er dringend den weiteren 
Ausbau der bakteriellen Fleischbeschau. Jedem Amtsarzt, der gewissenhaft 
diese wichtige Frage prüfen will, sei diese ernste Arbeit dringend zur Be¬ 
achtung empfohlen. Dr. Sieveking-Hamburg. 


4. Scharlach. 

Ein seltener Fall von zweimaliger Scharlacherkranknng. Von Dr. 
M. N a m i o t • Berlin. Berliner klinische Wochenschrift, 1920, Nr. 44. 

Dieser seltene Fall betraf einen neunjährigen Knaben, der einen regel¬ 
rechten Scharlach ohne Komplikationen durchmachte, dann zur Schule ging 
und 10 Wochen später von neuem an einem echten Scharlach erkrankte, von 
dem er nach charakteristischer Abschuppung nach drei Wochen genas. 

Dr. Solbrig-Breslau. 


Zur Frage der Uebertragbarkeit von Scharlach auf Diphtheriekranke. 
Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schloss mann. Aus der akademischen Kinder¬ 
klinik in Düsseldorf. Berliner klinische Wochenschrift, 1920, Heft 44. 

Verfasser widerspricht der in einem verbreiteten Lehrbuch der Kinder¬ 
heilkunde zu findenden Angabe, daß auf der Dipbtherieabteilung oft Gelegen¬ 
heit sei, Scharlach zu erwerben. Er kommt bei einer Prüfnng seines — großen — 
Krankenmaterials zu dem Ergebnis, daß in der von ihm geleiteten Kinderklinik 
Scharlacbübertragungen auf Diphtheriekranke außerordentlich selten waren, in 
den letzten drei Jahren mit etwa 160c Aufnahmen von Diphtheriekranken 
überhaupt nicht vorkamen. Derartige Uebertragungen lassen sich durch Sauber¬ 
keit und Aufmerksamkeit auf ein Minimum zurückführen. Insbesondere kann 
man es vermeiden, daß auf Diptherieabteilungen Scharlacherkrankungen Vor¬ 
kommen. Diese Ansicht sollte, wie Verfasser meint, allgemein sich durch¬ 
setzen. _ Dr. Solbrig-Breslau. 


5. Influenza. 

Ueber epidemischen SIngultus bezw. Schlucksern bei Influenza. Von 
Dr. med. et phil. F. Kanngiesser in Braunfels. 

In jüngster Zeit ist vielfach, zunächst in Tageszeitungen, von diesem 
Thema die Rede gewesen. So stand z. B. im ßraunfelser Aozeiger vom 12. März 
1921: „Aus Paris wurde kürzlich berichtet, daß in Frankreich eine Schluck¬ 
epidemie aufgetreten sei. Schwedischen Blättern zufolge hat sich diese Krank¬ 
heit jetzt auch in Malmö gezeigt. Die Kranken sind in der Regel nach 2 bis 
8 Tagen wiederhergestellt. Es handelt sich um eine eigentümliche (oft) mit 
Schlafsucht verbundene Form der Grippe.“ Ein Arzt schrieb in der Neuen 
Badischen Landeszeitung (vom 3. Januar 1921), „daß auch in Mannheim eine 
Reihe derartiger bis jetzt aber gutartig verlaufener Fälle vorgekommen. Der 
durch das tagelang anhaltende Schlucken hervorgtrufene Zustand ist oft 
qualvoll.“ In den Berichten der Vox medicorum (Utrecht) 1920 heißt es p. 87: 
»In de gemeente Honten doen sich eenige gevallen van hikziekte voor. Er 
zijn patienten bij, die drie dagen achterens den hik (in Holland auch snik 
genannt) hadden.“ Das eidgenössische Gesundheitsamt erlaßt (cf. Med. Kl. 1921 
p. 334) die Mitteilung, daß im Berner Jura Fälle von epidemischem Singultus 
aufgetreten seien in Verbindung mit Symptomen der Encephalitis lethar- 
gica oder für sich allein als larvierte Form der grippalen Schlafkrankheit. 
Auch aus Ungarn, Spanien, Italien und England wurde aus der Zeit um 1920/21 
gehäuftes Singultusvorkommen gemeldet. Ich selbst sah diesen Sommer 
einen Fall von Influenza, der abgesehen von rasch vorübergebender 
Dämpfung über den Langen lediglich durch langandauernde Vertigo und 
leichteren Singultus gekennzeichnet war. Vor zehn Jahren wurde m. W. 
wohl erstmals und zwar durch mich hartnäckiger Singultus als Be¬ 
gleitsymptom der Influenza beschrieben (Med. Kl. 1911 Nr. 13). Der 
terminus technicus .Singultus“ scheint nicht allen Kollegen geläufig zu sein; 
so schrieb ein angesenener Gelehrter von „combinierten Stimmritzen- und Schling- 
kxämpfen nach Grippe“, ein anderer berichtete von „ruckweisen Contraktionen 



166 


Klemer« Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


des Zwerchfells bei Grippemeningitis*. Ob dieser Sngultus .peripher 0 2 . B. als 
„grippöse Infektion des Diaphragma 11 oder er. als Sekretreis Tom Larynx her 
durch den Nervus vagus s. phreoicus oder durch centrale Intoxication bedingt 
aufzofas8en ist, ist schwer zu entscheiden. Ich möchte geneigt sein, der letzteren 
Auffassung beizutreten; so erklärte ich mir auch die grippöse Chorea, die ich 
bereits Herbst 1918 bei einem b jährigen Mädchen beobachtete. Der Singultus 
wurde übrigens auch bei anderen Infektionskrankheiten beschrieben, ferner bei 
Herz* nnd Lungen-, Magen- und Darmkrankheiten, bei Vergiftungen, bei tabischen 
Krisen, als postoperatives Vorkommnis, usw. Therapeutisch gibt es die zahl¬ 
reichsten Mittel und Mittelchen, teils von einem post hoc ergo propter Succesa, 
teils von nur temporärem Wert. Selbst das leider zu beliebte Linderungs¬ 
mittel Morphium kann bei hartnäckigen Singultusfällen vollkommen versagen. 


6. Encephalitis epidemica. 

Zur Klinik der Encephalitis epidemica, unter besonderer Berück* 
sichtlgung der Prognose und des Blutbildes. Von A. G6rönne. Berliner 
klinisohe Wochenschrift, 1920, Nr. 49. 

Verfasser verfügt über Erfahrungen an 40 beobachteten FäUen dieser 
interessanten Krankheit. Die Mortalität betrug 26 °/,. Dauernde Schädigungen 
blieben bei den meisten Patienten, die mit dem Leben davon kamen, zurück. 
Die Prognose ist daher quoad restitutionem ungünstig. Verfasser sieht in der 
Krankheit eine einheitliche, nosologisch gut abgegrenzte Erkrankung, die auch 
pathologisch-anatomisch einen recht charakteristischen Befund aufweist, der 
nicht identisch mit der Influenzaencephalitis ist. Epidemiologisch bemerkens¬ 
wert ist, daß einzelne Erkrankungsfalle in ganz einsam und abgeschlossen 
gelegenen Dörfern vorkamen. Erkrankungen mehrerer Familienmitglieder und 
Uebertragungen durch Infektion im Krankensaal wurden nicht beobachtet. 

_ Dr. Solbrig-Breslau. 


Ceber die Anatomie der Encephalitis epidemica. Von Gotthold Hox- 
heimer. Berliner klinische Wochenschrift ; 1920, Nr. 49. 

Wenn auch die Aetiologie der Krankheit noch fraglich ist, so handelt 
es sich doch um eine eigene charakteristische Erkrankung, die wegen der Be¬ 
teiligung des Rückenmarks den Namen Poliomyelo-Encephalitis (epidemica) 
erhalten sollte. _ Dr. Solbrig -Breslau. 


Bakteriologischer Befund bei der Lelchenuntersncbung eines Falles 
von Encephalitis letharglca. Von P. ManteufeL Aus der bakteriologi¬ 
schen Abteilung des Reichsgesundheitsamts. Berliner klinische Wochenschrift, 
1920, Nr. 39. 

Die Aetiologie der .Schlafkrankheit“, wie sie neuerdings bei uns nicht 
selten vorkommt, ist noch ungeklärt. Manche glauben an einen Zusammenhang 
mit der Grippe, andere halten sie für eine Krankheit sui geueris. In dem hier 
beschriebenen, obduzierten Fall gelang der Nachweis eines fiitrierbaren Virus 
und der Hilgermannseben Körperchen nicht und der einzige ätiologisch 
erreichbare Gesichtspunkt blieb der Befund von Influenzabazillen im Nasen¬ 
rachenraum und in der Luftröhre. Dr. Sol brig-Breslau. 


Zur Dlfferentlaldiagnose des Encephalitis epidemica« Von 8an.-R*t 
Dr. Herzog. Berliner klinische Wochenschrift, 1921, Nr. 10. 

Verfasser gibt auf Grund eigener Beobachtungen ein Bild von dieser 
neuerdings ja häufiger vorkommenden Krankheit, die bei der Vielgestaltigkeit 
dem Arzt manche Nuß zu knacken gibt, aber ihn auch vor außerordentlich 
reizvolle diagnostische Aufgaben stellt. Differentialdiagnostisch sind hysterische 
Krämpfe, Tic der Psychopathen, Unruhe der Alkoholisten, Epilepsie, multiple 
Sklerose, Paralysis agitans, Paralysis progressiva in Betracht zu ziehen. Eine 
Trennung der einzelnen Formen dieser Krankheit vorzunehmen erscheint müßig» 
außer aus didaktischen Gründen. Das Charakteristische ist oft nicht das 
Momentbild, sondern die groteske Variabilität. Dr. 8olbrig-Breslau. 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


167 


Geber das Torkommen tob Encephalitis lethargica nnd Slngnltna 
eptdemlcus ln der Schweiz. Ton Dr. Carriöre, Beilage znm Bulletin des 
eidgenössischen Gesundheitsamts 1921, Nr. 37. Nach den yom Verfasser fest* 
gestellten statistischen Ermittelungen. 

Die Epidemie von Encephalitis lethargica erreichte ihren Höhepunkt im 
Februar 1920 mit 440 Fällen, der März zählte 848 Fälle. Die ärztliche Melde* 
pilicht wurde allerdings erst am 17. Februar angeordnet, so wird die Zahl 88 
für Januar wohl zu niedrig sein, sich aber doch höchstens mit derjenigen des 
April, in dem 78 Fälle zur Anzeige kamen, vergleichen lassen. Danach sind 
nur noch vereinzelte Fälle gemeldet worden, insgesamt 984 im Jahr 1920. 
Den wichtigen Einfluß der kalten Jahreszeit bestätigen auch diese Zahlen. 
Die Fälle waren über das ganze Land verstreut, nur die Kantone Schwyz und 
Basel-Land wurden besonders schwer heimgesucht. Die großen Städte litten ver* 
hältnismäßig wenig. Am stärksten befallen war bei den Männern die Altersklasse 
ron 80—89 Jahren, bei den Frauen diejenige von 20—29 Jahren, das Säug¬ 
lingsalter blieb völlig frei, die Jabresklasse von 1—17 Jahren war ebenso wie die 
über 70 Jahre nur sehr schwach beteiligt. Der Morbidität von 2,6 auf 10000 
Buwohner steht eine Mortalität von 0,75 gegenüber (290 Fälle) oder 29,4°/» 
der Erkrankten. Bei beiden Qberwiegt das männliche Geschlecht im Gegensatz 
tu amerikanischen und dänischen Berichten. In den ersteh Monaten des Jahres 
1921 wurde wieder ein mäßiges Ansteigen der Erkrankuogsfälle beobachtet 
(Januar 28, Februar 49, März 86). Klinisch war eine sehr geringe Ansteckung*- 
fähigkeit auffällig, alle Fälle traten vereinzelt auf, nur wenige Familien- oder 
klebe Hausepidemien ließen sich feststellen. Die Krankheitserscheinungen sind 
(ehr wechselnd (Ophthalmoplegie, Nystagmus, Somnolenz, choreaartige Unruhe, 
Myalgien, Myoclonus, Paralysis agitans, Exanthem, mäßiges Fieber). Ein Zu¬ 
sammenhang mit der Grippe wird abgewiesen. DerSingultus epidemicus 
wurde gegen Ende 1920 besonders bei Erwachsenen beobachtet, wenige Stunden 
bis zu 7 Tagen. Schnell wie er gekommen verschwindet er auch wieder, zumeist 
ohne Fieber oder andere Begleiterscheinungen. Der von anderer Seite behauptete 
Zusammenhang mit Encephalitis lethargica (vergl. Lisermitte, Presse mödic. 1920, 
Kr. 93, ref. D. M. W. 1921, 8.1176) konnte nicht erwiesen werden. 

Sieveking-Hamburg. 


7. Lungentuberkulose. 

Meise Kaltblütertuberkelbazillen nnd das Frledmannsche Mittel. 
Von Prof. Dr. A. Müller-Berlin. Berliner klm. Wochenschrift, 1921, Nr. 4. 

Müller stellt fest, daß das von ihm schon vor längerer Zeit geübte 
Verfahren dem später von Friedmann angewandten gleicht, daß seine 
(Müllers) Kaltblüterbazillen (Blindschleichenbazillen) dem Tuberkelbacillus 
viel näher stehen als Friedmanns Schildkrötenbazillen, die überhaupt nicht 
nur harmlose Sapropbyten seien, daher auch keine Immunität oder Heilung der 
Tuberkulose erzielen können. Im übrigen sei mit dem echten vollvirulenten 
menschlichen Tuberkelbacillus, mit kleinsten Dosen beginnend, Immunität und 
Heilung der Tuberkulose zu erzielen. Dr. Solbrig-Breslau. 


Grippe und Lungentuberkulose. Von Dr. 0. Kieffer. Aus dem 
8pital für Lungenkranke in Mannheim. Berliner klinische Wochenschrift, 
1920. Nr. 40. 

Verfasser sagt über die Bedeutung der Grippe als auslösendes Moment 
einer Tuberkulose nach dem heutigen Stande unserer Erfahrungen, daß 

1. in unmittelbarem Anschluß an eine Grippe es infolge Versagens der 
Immunität von einem alten tuberkulösen Lungenherd aus zu dem Bilde 
der käsigen Pneumonie (unter Umständen als „galoppierende Schwind¬ 
sucht“, die rasch zum Tode führt) kommen kann, 

2. ein alter inaktiver Lungenherd nach Grippe wieder aktiv werden kann, 

8. in einer großen Reihe von Fällen im Anschluß an eine Grippe, auch ohne 

daß ein aller Lungenherd vorliegt, eine Aktivierung einer latenten Hilus- 
drüsentuberkulose und damit eine Bronchialdiüsentuberkulose, die dann 
auch zu einer Lungentuberkulose führen kann, vorkommt. Zwischen der 



158 


Kleinere Hitteilaugen and Referate aas Zeitschriften. 


Grippe and der klinischen Erkrankung an Tuberkulose liegt stets ein Inter¬ 
vall relativen Wohlbefindens von verschieden langer Dauer. 

Dr. Solbrig-Breslan. 

Nutsanwendungen aus den Kriegserfahrungen für die Anstaltspflege 
Tuberkulöser. Von Dr. Zadek, dirigierender Arzt am Krankonhause und 
der Tuberkulosefürsorgestdle in Neukölln. Zeitschrift für soziale Hygiene 
und Fürsorge- und Krankenhauswesen, 8. Jahrg., Heft 1. 

Z. hat im Kriege beobachtet, daß die bei kräftigen und vor dem Heeres¬ 
dienst langengesanden Soldaten in großer Zahl aafgetretenen Taberkulosen 
von vornherein einen bösartigen Charakter und progressiven Verlauf annehmen. 
Im Gegensatz hierzu zeigten die bei den früher bereits langenkrank gewesenen, 
im Kriege wiederum an Taberkalose erkrankten Mannschaften trotz gleicher 
äußerer Bedingungen zahlenmäßig stark in den Hintergrund tretenden Neu¬ 
erkrankungen die Tendenz zu milderem Ablauf der Phtise. Für die weitaus 
größere Anzahl jener scheinbaren Neuerkrankungen kommt nur die endogene 
Reinfektion im Sinne Römers in Betracht, d. h. eine Autoinfektion infolge 
Durchbrechens der durch die Kindheitsinfektion erlangten relativen Immunität 
Eine wirklich primäre exogene Neuinfektion kann demnach nur für jene Formen 
mit galoppierendem Verlauf gefolgert werden, bei denen die Tuberkulose einen 
über immunisatorische Kräfte überhaupt nicht verfügenden Körper aus voller 
Gesundheit heraus ergreift und rasch vernichtet. Z. wünscht bei der Tuberku¬ 
losebekämpfung, daß diese Beobachtungen vollauf beachtet und ausgenutst 
werden. Bei Erwachsenen treten von außen zustande gekommene Infektionen 
an Taberkalose offenbar nur ein unter besonders ungünstigen, die Wider¬ 
standskraft des Körpers lähmenden Einflüssen bei kontinuierlicher massenhafter 
Bazillenüber8chwemmung. Solche Verhältnisse kommen in der Krankenanstalt 
niemals in Betracht. Es sollen zwar nicht schwerkranke Phtisiker und Nicht- 
tuberkalöse zasammengelegt werden, aber es sei ganz unnötig und verfehlt, 
wenn jeder Spitzenkatarrh mit gelegentlichem Bazilienbefand ängstlich isoliert 
wird, besonders wenn damit besondere Kosten oder Onzuträglichkeiten ver¬ 
bunden sind. Z. meint, daß dieses Verfahren nur Schuld hat, weil man die 
Taberkulosen in offene und geschlossene trennt und wünscht, daß diese Ein¬ 
teilung aufgegeben wird. So bemerkt er auch, daß der Erlaß des Reichs¬ 
ministers des Innern vom 10. November 1920 betreffend den Schutz der Kranken¬ 
pflegepersonen gegen Erkrankungen an Tuberkulose geändert werden müsse, 
da er nicht mit den Erfahrungen am Krankenbett übereinstimme. Besonders 
betrifft dies den Schlußsatz 3, in dem es heißt, daß Personen sich nicht für 
den Krankenpflegeberuf eignen, die die Zeichen einer latenten Tuberkulose er¬ 
kennen lassen oder früher Taberkalose Überstunden haben. 

Dr. Israel- Breslau. 


Sollen wir dte „offene“ von der „geschlossenen“ Tuberkulose trennen T 
(Erwiderung auf den Artikel von Zaaek.) Zeitschrift der sozialen Hygiene, 
Fürsorge- und Krankenhauswesen, Heft 8. 

Gewiß laufen bei der Einteilung in geschlossene und offene Tuberkulose 
sehr häufig Fehler unter und es ist gewiß falsch, der bakteriologischen Diagnose 
gerade bei dieser Erkrankung ein zu großes Gewicht beizulegen. Wenn wir 
jedoch wie bei vielen Krankheiten das positive Ergebnis einer bakteriologischen 
Diagnose höher bewerten als das negative, so wird man gegen die Einteilung 
wenig einwenden können. Natürlich kann man nicht auf Grund einiger nega¬ 
tiver Gntersuchungen alle Vorsichtsmaßregeln fallen lassen und man muß die 
Patienten aufklären, indem man ihnen die volle Wahrheit sagt; wenn man aber 
den Patienten sagen würde, daß das ganze Volk mit Taberkalose seit der 
Kindheit durchseucht ist. dann würde seitens der Patienten jede Vorsicht fallen 
gelassen werden und die Fürsorge außerhalb der Anstalten, also die Familien- 
sanierung, unmöglich gemacht werden. Bei der Tuberkulose ist für die Er¬ 
krankung die Massigkeit der Infektion maßgebend, gefährlich ist besonders der 
tropfenvertreuende Phtisiker. Den chirurgisch-tuberkulösen Kranken mit dem 
Lungentuberkulosen zu vergleichen, wie Zadek es tut, ist unmöglich, da bei 
dun enteren bei einwandfreier Pflege eine Infektion unmöglich wird. Die Eia- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


IG» 


teilung in offene und geschlossene Tuberkulose muß daher beibehalten werden 
und bei der Diagnosestellung selbstverständlich der klinische und der bakterio¬ 
logische Befund zusammen bewertet werden. Dr. Israel-Breslau. 


8. Trichinose. 

Ueber Trichinose. Von Prof. H. Strauss. Aus dem Krankenhause 
der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Berliner klinische Wochenschrift, 1921, Nr. 6. 

Es war Aber 8 Fälle von Trichinose berichtet, die in zwei Gruppen vor- 
kamen und unter denen im ganzen 2 (Erwachsene) starben. Das erste Mal 
erfolgte die Infektion durch Kasseler Rippespeer und Schinken aus Polen, bei 
der zweiten Gruppe durch durchwachsenen amerikanischen Speck, wobei die¬ 
jenigen Personen erkrankten, die den Speck roh genossen hatten, während die 
übrigen, die häufig von dem Speck in gekochtem Zustand gegessen hatten, 
gesund blieben bis auf einen, der leicht erkrankte. 

Die Diagnose im Frühstadium ist stets schwierig bei den er sten Fällen. 
Man denkt oft zunächst an Grippe oder beginnenden Typhus. Charakteristisch 
sind die „Muskellähmigkeit* und das Lidödem bezw. Gesichtsödem. Letzteres 
fehlte in keinem der beobachteten Fälle. Von einer histologischen Untersuchung 
— bei der man den M. biceps nahe am Beginn der Sehne wählt — konnte hier 
abgesehen werden, da die Diagnose so schon sicher war. Dr. Solbrig-Breslau. 


9. Desinfektion. 

Die neue Preußische Desinfektionsordnung und die Zukunft des 
Desinfektorenstandes. Von Prof. Dr. E. Seligmann-Berlin. Zeitschrift für 
soziale Hygiene, Fürsorge- und Krankeuhauswesen, III. Jabrg., Heft 8. 

Auf dem im August 1921 abgehaltenen Deutschen Desinfektorentag 
wurden bei Besprechungen um die Zukunft des Berufsstandes lebhafte Be¬ 
fürchtungen ausgesprochen, daß die materiellen Interessen der D. durch die 
neue Desinfektionsordnung gefährdet seien. Nach einer Besprechung der neuen 
Desinfektionsbestimmungen weist S. nach, daß die Arbeit des Desinfektors in 
Zukunft gar nicht eingeschränkt werden soll. Es wird allerdings in Zukunft 
weniger mit Dampf desinfiziert werden; daß aber die verstandesmäßige Arbeit 
des Desinfektors unzweifelhaft erweitert und seine Verantwortung größer 
wird, folgt aus dem Sinn der Anweisung. An die Ausbildung des D. werden 
höhere Anforderungen gestellt werden und die Aufgaben werden nur von halb¬ 
amtlichen D. bewältigt werden können. In seucbenarmen Zeiten können sie auch 
auf anderen Gebieten des Gesundheitswesens arbeiten, ganz besonders bei Be¬ 
kämpfung der Schädlinge. Die D. haben sonach allen Anlaß, die Aufstiegs¬ 
möglichkeiten, die ihnen die neue Desinfektionsordnung weist, aaszunutzen, 
anstatt, wie 8. meint, grollend beiseite zu stehen. Dr. Israel-Breslau. 


Heber die Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs. Von Oberarzt 
Dr. Schuster-Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 
92. Bd., 8. Heft, 1921. 

Verfasser teilt seine Versuche mit, die er im hygienischen Institut in 
Berlin auf Veranlassung von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flügge unter Benutzung 
Von Kalk behufs Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs gemacht hat. Er irt 
dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kalkmilch ein sehr einfaches und 
sehr wirkendes Homogenisierungsmittel des Auswurfs ist und daß in dem damit 
behandelten Sputum durch Zasatz von frischem Aetzkalk die darin vorhandenen 
Tuberkelbazillen sehr schnell infolge der sich bis -f-120° C. entwickelnden Hitze 
abgetötet werden. Es genügt aber auch, wenn man den Auswurf nur mit 
Wasser vermische und dann im Verhältnis 2:1 gebrannten Kalk hineinwirft. 
Die Hauptsache ist aber, daß der Kalk gut ist. Verfasser empfiehlt, ihn von 
den Rüdesdorfer Kaliwerken zu beziehen und zwar den sog. Marmorkalk in 
kleinen bis höchstens walnußgroßen Stücken, der sorgfältig verschlossen an 
trockenen Orten aufbewahrt werden muß. Das Verfahren hat auch den Vorsag 

S toßer Billigkeit gegenüber anderen Verfahren (12 Pfg. um 160 ccm Sputum zu 
esinfizieren gegenüber 22—80 Pfg. (Sublimat), 80 Pfg. (Phobrol), 60 P{g. 
(Sagrotan), 98 Pfg. (Alkali-Lysol) und 66 Pfg. (Poril). Bpd. een. 



160 


Besprechungen. 


Znr Frage der Desinfektion des tuberkulösen Auswurfes mittels 
Aetzkalk. Von Prof. Dr. Kirstein, Direktor des Medizinaluntersuchungs- 
amtes in Hannover. Deutsche medizinische Wochenschrift, 1921, Nr. 49. 

Verfasser hat durch seine Versache zwar festgestellt, daß durch das 
von Schaster empfohlene Verfahren der Desinfektion des tuberkulösen 
Answurfs mit Aetzkalk die Bazillen abgetötet wurden, aber nur bei Ver¬ 
wendung von gutem Aetzkalk, der nicht überall zur Hand ist. Außerdem ist 
die Methode umständlich, unhandlich und gefährlich. Schon die Beschaffung 
wallnußgroßer Kalkstücke ist schwierig, bei Verwendung yon kleineren Stücken 
oder pulverförmigem Kalk verzögert sich aber die Reaktion und tritt dann 
schließlich heftig, mitunter explosivartig auf, daß die Speigläser zerspringen 
und Aetzkalkteile umhergeschleudert werden und Verletzungen bei den Be¬ 
teiligten hervorrufen können. Weiterhin ist die spätere Reinigang der Gliser 
erschwert, weil sich die Kalksputummassen an der inneren Wand festsetzen. 
Endlich ist das Verfahren auch nicht besonders billig, jedenfalls nicht billiger 
als bei Verwendung des von Uhlenhuth empfohlenen Alkalilysols. Kirstein 
kann deshalb vor der Verwendung von Aetzkalk zur Desinfektion tubcrknlösea 
Auswurfes wegen der Unzuverlässigkeit, Umständlichkeit und Gefährlichkeit 
dieses Verfahrens nur dringend warnen. Rpd. een. 


Besprechungen. 

Sr. Hermann flohall: Diagnostik und Ernährungsbehandlung der 
Zuckerkrankheit in der Praxis. Zweite vollständig neu bearbeitete Auf¬ 
lage. Leipzig 1921. Verlag von Curt Kabitzscb. Gr. 8°; 70 8. Preis: 
geh. 14 Mark. 

Die Arbeit bildet die zweite Auflage der „Praxis der Ernährungstherapie 
der Zuckerkrankheit“; sie ist aber namentlich mit Rücksicht auf die Diagnostik 
der Zuckerkrankheit wesentlich erweitert und trägt vor allem den jetzigen 
Ernährung8möglichkeiten Rechnung. Verfasser will namentlich den praktischen 
Aerzten zeigen, daß es auch heute möglich ist, einen Zuckerkranken sach- 

S emäß zu ernähren; dies ist ihm vollständig gelungen und wird zweifellos 
asu beitragen, seiner Schrift die wohlverdiente weite Verbreitung in ärztlichen 
Kreisen su verschaffen. __ Rpd. 

Dr. Frans Xaver Mayr: Facharzt für Verdauungs- und Stoffwechsel- 
Krankheiten: Fundamente zur Diagnosik der Verdauungskrankheiften. 
Mit 67 Abbildungen auf 20 Tafeln. Wien und Leipzig 1921. Verlag von 
Wilh. Braumüller. Gr. 8°; 324 8. Preis: geh. 48 Mark. 

Die Kenntnisse in der Physiologie und Pathologie des Verdauungsapparats 
und somit auch in der Diagnostik ihrer Erkrankungen haben gerade in der 
neueren Zeit eine ganz außerordentliche Erweiterung und Verbreitung erfahren, 
die in erster Linie auch den Fortschritten anf dem Gebiete der Untersuchung!- 
technik zu verdanken ist. Trotzdem ist es nach Ansicht des Verfassers mit 
der Diagnostik der Verdauungskrankheiten noch recht schlecht bestellt, nament¬ 
lich gilt dies in bezug auf die durch lnspektion, Palpation und Perkussion 
festzustellenden Untersucbungsergebnisse und ihre praktische Bearbeitung für 
die Diagnose. Verfasser will deshalb durch sein Werk den Arzt in den Stand 
setzen, sich jederzeit am Krankenbette auch ohne chemische und instrumentale 
Hilfsmittel ein möglichst zutreffendes Bild von dem Zustand und der Funktion 
der einzelnen Abschnitte des Verdauungsapparates zu verschaffen; eine Auf¬ 
gabe, durch deren Lösung eine in dieser Hinsicht tatsächlich vorhandene Lücke 
ausgefüllt wird. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß diese Lösung dem Ver¬ 
fasser gelungen ist; ein eingehendes Studium seines Werkes kann deshalb dem 
Praktiker nur empfohlen werden; er wird daraus recht viel lernen können und 
•ich sein „ärztlicher Blick“ wesentlich erweitern, vorausgeesetzt, daß er eines 
solchen überhaupt besitzt _ Rpd. 


Dr. Friedrloh Uhlmann, Privatdozent für Pharmakologie in Berlin: Lehr¬ 
buch der Pharmakologie-Therapie. Für Studierende und Aerzte. Mit einem 
Anhang: ▲rzneidifpensierkwide von Dr. B. Bnrow, Diplom-Apotheker 



Besprechungen. 


161 


nnd approb. Nahrangsmittelchemiker. Leipzig, 1921. Verlag Ton F. C. W. 

Vogel. Gr. 8°; 449 S. Preis: geh. 100 Mark. 

Verfasser will sowohl den Medizinstadierenden, als dem Arzt alles das, 
was er über die Heilmittel wissen maß, in übersichtlicher and für seine speziellen 
Zwecke geordneten Form geben. Er hat demzufolge den Stoff nach Indikationen 
geordnet, damit sich der Arzt im Einzelfalle schnell nnterrichten kann, and 
bei jedem Arzneimittel chemische Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften, 
pharmakologische Wirkungen, Indikationen, Eontraindikationen, Dosierung nsw. 
angegeben. Das Bach ist für das ganze deutsche Sprachgebiet bestimmt, dem¬ 
zufolge sind das deutsche, schweizerische and österreichische Arzneibach berück¬ 
sichtigt. Diese Berücksichtigung hat jedenfalls nicht unerhebliche Schwierig¬ 
keiten verursacht, den Umfang des Werkes vermehrt und wie Verfasser sehr 
richtig bemerkt, den Beweis für die Unzweckmäßigkeit erbracht, daß jedes 
der drei Länder je ein eigenes Arzneibach hat. Bocht zweckmäßig und 
brauchbar ist die im Anhang beigefügte, von einem Apotheker (Dr. Bnrow) 
bearbeitete Dispensierknnde, die besonders dem angehenden Mediziner sehr 
willkommen sein wird. _ Rpd. 


Profi Dr. O. Vauwerok, Geh. San.-Bat and Direktor des pathologischen- 
hygieuiscben Instituts der Stadt Chemnitz: ßektionstechnik für Studierende 
und Aerste. Sechste vermehrte Auflage. Mit 1 Titelbild und 124 teilweise 
farbigen Abbildungen im Text. Jena, 1921. Verlag von Gustav Fischer. 
Gr. 8°; 319 8. 

Das Nauwercksche Bach ist schon wiederholt in dieser Zeitschrift 
besprochen and mit Rücksicht auf seine großen-Vorzüge als geradezu unent¬ 
behrlich für den Gerichtsarzt and Medizinalbeamten bezeichnet. Dies gilt in 
erhöhtem Maße auch von der neuen Auflage, die nicht anerhebliche Ergänzungen 
und Verbesserungen, namentlich aber eine sehr wertvolle Erweiterung durch 
eine alle Einzelheiten berücksichtigende Anleitung zur Konservierung and 
Aufstellung des Skelettmaterials erhalten hat, die von Prof. Dr. C. Pick in 
Berlin, einer bekannten Autorität auf diesem Gebiete, verfaßt ist. Hervorzuheben 
ist aach die vorzügliche Ausstattung der Neuauflage, für die die Verlags¬ 
buchhandlung besondere Anerkennung verdient. Bpd. 


Dr Karl Birnbaum, Oberarzt an der Irrenanstalt Herzberge der Stadt Berlin: 
Kriminal-Psychopathologie. Berlin, 1921. Verlag von Julius Springer, 
1921. Gr. 8°, 214 S. Preis: 45 Mark, geh. 51 Mark. 

Verfasser will in seinem Buche einen systematischen Ueberblick Uber 
die Gesamsheit der Erscheinungen geben, in denen die Beziehungen des Rechts¬ 
brechers zum Pathologischen geschildert werden. Die eigentliche Kriminal¬ 
psychopathologie — Ursachen, Grundlagen und Erscheinungsformen von Ver¬ 
brechen und Verbrechern — findet demzufolge ebenso Berücksichtigung wie 
die kriminalforensische — psychopathologische Erfassung des Ver¬ 
brechers in Strafverfahren und seine psychiatrische Beurteilung — und die 
Psychopathologie beim Strafverfahren und Strafvollzug. Im Rahmen 
dieser Gesamtdarstellung wird eine grundsätzliche Feststellung und systematische 
Beurteilung der grundlegenden Sachverhalte, grundsätzlichen Zusammenhänge 
und der daraus sich ergebenden Gesichtspunkte und Feststellungen in ge¬ 
drängter und geeigneter Zusammenfassung gegeben. Das Buch nimmt dadurch 
■ach Verfassers eigner Ansicht gegenüber anderen psychiatrisch - forensischen 
Werken in mehr als einer Hinsicht eine wissenschaftliche Selbständigkeit und 
Sonderstellung ein; es ist dies aber kein Nachteil, sondern vielmehr ein Vorzug, 
der um so stärker hervortritt, je mehr man sich tiefer in das Studium des 
Buches vertieft. _ Rpd. 

Dr. med. Dreuw, Polizeiarzt a. D. in Berlin: Die Sexualrevolution. Ernst 
Bircher Verlag. Leipzig 1921. Preis: brosch. 80 Mk. 

Das von juristischer Seite (s. Zt. im „Tag 0 von dem Kieler Oberlandes- 
gerichtsrat Dr. jur. et phil. Bovensiepen) so warm empfohlene Buch, ver¬ 
dient auch die Lektüre des Mediziners, gleichgültig, ob er für den Dreuw- 
scheu Vorschlag „der allgemeinen, gleichen, diskreten Anzeige- und Behand¬ 
lungspflicht (ohne Namensnennung) an ein zum strengsten Stillschweigen 



162 


Tagesnach richten. 


verpflichtetes Gesundheitsamt“ zar Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ein* 
tritt oder nicht. Denn ancb ein Gegner der Vorschläge wird das Bach, das ihmüefste 
Einblicke in die gegenwärtige Medicopolitik gewährt, mit lebhaftestem Interesse 
lesen, zumal die überaus gewandte Stilistik des Autors das Lesen der 628 Oktav- 
seiten erheblich erleichtert. F. Kanngiesser-Braunfels. 


Tagesnachrichten. 

▲na dem preusslsohen Landtag«. Der BeamtennnsschuA des 

Landtages hat nun in seiner Sitzung vom 4. d. Mts. den Antrag angenommen, 
das Staatsministerium zu ersuchen, nach Benehmen mit der Reichsregierung 
die vor dem 1. April 1920 in den Buhestand versetzten Beamten 
und die Hinterbliebenen vor dem 1. April 1920 verstorbener 
Beamten mit den nach dem genannten Zeitpunkt ausgeschie- 
denen Beamten und ihren Hinterbliebenen hinsichtlich der 
EinreihunginAufrückung-und nen geschaffene Beförderungs¬ 
stellen gleichzustellen. Hoffentlich findet der Antrag die Zustimmung 
sowohl der preußischen Staatsregierang, als der Beicbsregierung, damit endlich 
die bisherige ebenso schwere als ungerechte Benachteiligung der älteren pen¬ 
sionierten Beamten fortfällt. 


Besoldungsfragen. 1 ) Nach den „Nachrichten des Berufsverelns höherer 
Verwaltungsbeamten“ (1922, Nr. 1) hat der Beichsbund höherer Beamten Vor¬ 
schläge zur neuen Besoldungsreform gemacht, wonach neben der Zugrunde¬ 
legung eines Existenzminimains den einzelnen Besoldungsgruppen ein prozentual 
gleichmäßiger Aufstieg der Beineinkünfte gewährleistet sein muß. Als Bein¬ 
einkommen eines verheirateten Beamten der Ortsklasse A war bei Anwen¬ 
dung der Indexziffer für November (1897) gefordert: 

für Gruppe X 49093 M. Anfangs-, 66 612 M. Endeinkommen 

* . XI .6168 „ , 78 781 „ 

„ „ XII 61994 „ „ 82866 „ 

Es wird ferner berechnet, daß die neueste Gehaltsregulierur,'- der Be¬ 
amten, wenn man das Nettoeinkommen mit dem Einkommen im Jahre 1914 
vergleicht und dabei berücksichtigt, daß die jetzige Mark zur Goldmark 
= 1 : 26 sich verhält, ein ganz erhebliches Zurückbleiben hinter den An¬ 
forderungen bedeutet: z. B. ist das Nettoeinkommen in Gruppe XI (Höchst¬ 
gehalt in Ortsklasse B) um 6618 M. geringer zu bemessen, als in Vorkriegi* 
mark, so daß es nur 2208 M. in Vorkriegsmark beträgt. 


Die Gebühren der Medizinalbeamten in Anhalt sind nach einer Ver¬ 
ordnung des Staatsrates vom 24. Januar 1922 gegenüber den im Gesetz vom i 
22. März 1912 festgesetzten Gebühren mit Wirkung vom 1. Januar 1922 ab J 
um 800 v. H. erhöht worden. (Nach Pharmazeut. Zeitung; 1922, Nr. 18). | 

Nachruf. Am 4. d. M. ist zu Essen der Kreisarzt im Buhestands 
Geheimer Medizinalrat Dr. Hugo Baoine im 67. Lebensjahre plötzlich ver¬ 
storben. Er war seit 1882, also seit 40 Jahren, Medizinalbeamter nnd zwar 
zunächst Königlicher Kreiswundarzt, dann Kreisarzt der Stadt- und Landkreise 
Essen mit einer rasch anwachsenden industriellen, viele sanitäts- und medisinal- 
polizeiliche Aufgaben stellenden Bevölkerung von schließlich rd. 600000 Seelen, 
also gleich der eines mittleren Regierungsbezirks, außerdem auch Stadtarzt 
von Essen, bis die Teilung des großen Kreisarztbezirks erfolgte und Bacines 
Zuständigkeit auf den Zentralteil der großen Industriestadt Essen beschränkt 
wurde. Nur seine ganz ungewöhnliche Leistungsfähigkeit hat Racine be¬ 
fähigt, die Biesenarbeit dieser Stellungen nicht nur zu bewältigen, sondern 
auf das Vortrefflichste durchzuführen; ja, er war außerdem auch ein gewissen¬ 
hafter Krankenhausarzt, _ beteiligte sieb an vaterländischen Unternehmungen 
und fand dabei noch genügend Zeit, seine weiten und tiefen fachwissenacbut- 
liehen wie allgemeinen Kenntnisse weiter zu vermehren. Ausgestattet mit 
praktischem Blick und großem Taktgefühl, war er bei staatlichen und städtischen 

*) Inzwischen ist eine neue Besoldungsordnung beschlossen, die Ver¬ 
besserungen mit sich bringt, die allerdings noch hinter den obigen Forderungen n 
Zurückbleiben. 1 



Tagesnachrichten. 


168 


Behörden, bei Aersteschaft and Poblikam, nach als ärstlicher Konsiliarius, 
eine im rheinisch-westf&lischen Industriebezirk hochgeachtete and beliebte 
Persönlichkeit. Racine war ein feiner Mensch, ein auf den Versammlungen 
unseres Düsseldorfer Bezirks-Medizinalbeamtenvereins regelmäßig erscheinendes 
und ebenso gern gesehenes wie gehörtes Mitglied, ein aasgezeichneter Medizinal* 
beamter, der auch in der früheren selektorischen Zeit den Durchschnitt ganz 
erheblich überragte and dabei immer anspruchslos blieb. Es war mir rer* 
gönnt, 18 Jahre mit diesem vortrefflichen Kollegen zahlreiche sanitäre Aal* 
gaben von zum Teil hoher Wichtigkeit in seinem, vielen Gefahren aasgesetzten 
Kreisarstgebiet zusammen za bearbeiten and dabei seine Bedentnng für das 
Gesundheitswesen immer von neuem wahrnehmen za können. Während des 
Krieges nahm Racine neben allen seinen Amtsgeschäften auch den militäri* 
sehen Dienst trotz seines vorgeschrittenen Lebensalters wieder anf und tat 
Dienst als Oberstabsarzt in Beinern Heimatorte. Bei voller Leistungsfähigkeit 
fiel er am 1. 4. 1921 dem Altersgrenzegesetz zum Opfer and widmete sich 
seitdem mit Eifer seiner ärztlichen Tätigkeit bis zuletzt; er starb in den 
Sielen. Wir noch Zurückbleibenden werden ihn nicht vergessen, seine Werke 
werden ihm nachfolgen. 

Düsseldorf, den 9. März 1922. Borntraeger. 


Zur Wohnungsnot. Unter der Wohnungsnot leiden bekanntlich alle 
Städte, namentlich die Großstädte in erschreckendem Maße. Aber unter allen 
Großstädten ist Breslau am schlimmsten dran; denn hier spielt neben dem 
natürlichen Bevölkerungszuwachs der Zuzug aus Oberschlesien eine gewaltige 
Rolle. In Breslau haben mehr als 82000 Wohnungslose beim Wohnungs* 
Kommissar die Zuteilung einer Wohnung beantragt. Inbezug auf 2-, 8- und 
4-Zimmer-Wohnungen herrschen hier die allerungünstigsten Zustände: bei 
2-Zimmer-Wohnungen entfielen in Breslau auf ein Angebot 48 Nachfragen (in 
Berlin nur 18. in Köln 9, in Essen 10, in Magdeburg 18, in Königsberg 
87 Nachfragen), bei 8-Zimmer-Wobnungen entfielen in Breslau auf ein An* 

g ebot über 66 Nachfragen (in Berlin 16, in Köln 10, in Essen 18,5, in Magde* 
arg 17, in Königsberg 29 Nachfragen), bei 4-Zimmer-Wohnungen waren in 
Breslau auf ein Angebot 70 Nachfragen (in den übrigen Großstädten 4 bis 80). 
Dabei ist die Zahl der Eheschließungen in erheblicher Zunahme begriffen. 

Es wird darauf hingewiesen, daß mit den bisher angewandten Mitteln, 
der Verringerung des den einzelnen Haushaltungen zugewiesenen Wohnraums 
und dessen zwangsweiser Zuteilung an die Wohnungsuchenden, dem ständig zu* 
nehmenden Bedarf nicht genügt werden kann. Der Ausweg, der nur in Frage 
kommt, ist der, durch besondere Maßnahmen die Neubautätigkeit zu steigern. 
Dies will man erreichen durch die gesetzliche Erhebung einer Abgabe zur 
Förderung des Wohnungsbaues, welches Gesetz am 26. Juni 1921 erlassen ist. 


Beklmpfnng des Alkoholmlßbrauehs. Ein Erlaß des Preußischen 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 9. Januar 1922 an die Oberpräsidenten weist 
auf den in bedenklichem Umfang zunehmenden Alkoholmißbrauch, der namentlich 
die heran wachsende Jugend bedroht, hin. Diese betrübliche Erscheinung kann 
leider keinem, der sich mit offenen Augen umsieht, entgehen. Es wird deshalb 
mit Recht von der Zentralstelle darauf hingewiesen, daß eine weitere plan* 
mäßige Förderung aller in Frage kommenden alkoholgegnerischen Maßnahmen 
driogend geboten ist. Wie bereits im Vorjahr wird auch für dieses Jahr ein 
Betrag aus den Monopolgeldern den Provinzen zur Verfügung gestellt, der 
diesen Zwecken dienen sofi. Bei der Verteilung der überwiesenen Mittel soll, 
wie es bisher schon mit Erfolg in mehreren Provinzen (auch in Schlesien 1) 
geschah, ein aus Vertretern der alkoholgegnerischen Bewegung zu bildender 
Beirat gutachtlich gehört werden. Es sollen in erster Linie bewährte Ein¬ 
richtungen, die schon erfolreiche Arbeit geleistet haben, unterstützt werden, 
der Schutz der Jugend gegen die Gefahren des Alkohols ist bewußt in den 
Vordergrund zu stellen. 

So erfreulich diese von der Zentralstelle ausgehende Förderung der 
dringend nötigen alkoholgegnerischen Maßnahmen auch ist, die sieh nicht mit 
Worten begnügt, so notwendig ist auch eine wesentlich größere Bereit* 



Tagesnachrichten. 


164 

Stellung von Geldmitteln, als es bisher der Fall war. Ueber die endgültige 
Ziffer der zur Verfügung za stellendenden Geldbeträge ist noch nichts be- 
kannt — hoffen wir, daß die Somme so sein wird, daß damit auch etwas an* 
zufangen ist! 

Im Deutschen Kommunalverlag Berlin-Friedenau wird binnen kurzem 
das von Oberbürgermeister Dr. Luther, Oberbürgermeister Mitzlaff und 
Generalsekretär Stein herausgegebene Werk über „Die Zukunft saufgabem 
der deutschen Städte“ erscheinen. Das Werk verspricht nach dem Inhalts¬ 
verzeichnis und der großen Anzahl namhafter Mitarbeiter bedeutungsvoll sn 
werden. Bei Vorausbestellung wird das Werk vom Verein für Kommunal¬ 
wirtschaft und Kommunalpolitik zum Vorzugspreise von 160 M. bei 80 Bogen 
Inhalt den Mitgliedern des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins angebotea. 
Wir verfehlen nicht, hierauf hinzuweisen. 


Die ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenetik faa 
Berlin veranstaltet eine 2 tägige Sitzung am Sonnabend, den 25. Mär 4L 
abends 7 Uhr und am Sonntag, den 26. März, vormittags 10 Uhig 
im großen HOrsaal des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht Pott* 
damer Straße 120. 

Tagesordnung: 

Die Mitarbeit des Arztes an der Bekämpfung des Geburtenrückganges, 
Beferenten sind die Herren: Begierungsrat Dr. Boesie: Die Tatsachen ded 
Geburtenrückganges. — Dr. Gustav Tugendreich: Arzt und Fürsorge» 
stelle — Prof. Dr. Grotjahn: Ueber Begeln zur menschlichen Fortpflanzung. — 
Prof. Dr. H. Poll: Vererbungslehre und menschliche Fortpflanzung. — Geh.Bat 
Prof. Dr. C Posner: Ueber Fortpflanznngstherapie beim Manne. — Dr. Max 
Hirsch: Ueber Fortpflanznngstherapie beim Weibe. Wortmeldungen zur Aus¬ 
sprache sind schon jetzt an den Vorsitzenden Dr. Max Hirsch, Berlin W. 80, 
Motzatr. 84 erbeten. Der Verhandlungsbericht erscheint im A>chiv für Frauen¬ 
kunde und Eugenetik, Sexualbiologie und Vererbungslehre Weitere Auskunft 
erteilt der Schriftführer Dr. Czellitzer, Berlin W. 9, Potsdamerstr. 6. 


Die diesjährigen Jahresversammlungen des Deutschen Zentral- 
Komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose finden vom 17. bis 19. Mai 
in Bad Kösen statt. Am 1. Tag wird die Tuberkulose-Aerzte-Versammlung 
(nur für Aerzte) abgehalten werden, am 2. Tage die Generalversammlung und 
die Ausschnß-bitzung und am 3. Tage je eine Sitzung der Mittelstands-, Lupus- 
und Fürsorgestellenkommission. Für jede Versammlung ist ein allgemein 
interessierender Vortrag mit anschließender Erörterung vorgesehen. , 


Die Mitglieder des Prenßischen Medizinalbeamtenvereins, 
die das Personal Verzeichnis der preußischen 
Medizinalbehörden und »Beamten zum Vorzugs¬ 
preis erhalten, aber den Betrag dafür (7,50 M. einschl. Porto) 
noch nicht eingeschickt haben, werden um dessen Binsen«* 
düng bis zum 5. April d. J. gebeten; andernfalls wird der 
Betrag durch Postnachnahme eingezogen werden. 

Berlin, den 18. März 1922. 

Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld. 


VwaatwoHttoh Ar die Sehrt ftleltang: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Bat In Brealan, 
Brealan V, BehdlfentraBe 84. — Dreck Ton 3 . 0. C. Brun», Minden 1. W. 































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Gestorben: Geh. Med.»Bat Dr. Bäu her 


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A. ff oben herge-F i?r Saßfuft, Dr, Jt&ötä in Erlangen, Dr.fLPu rukb aaer 
in Lindau» Dt M. Discbiiiger »u Mefliftiiiageo, Dt. M. M alier in Riedenbnrg 
Dr. fl. Sofort an in üffenbeieo. Oe. A. Öticki in FiDsen, Dr, A. Eäfm&aa 
t# Null*« Dr> K. Göb ring io Rothenberg, Dr» CEWMd Ja WanaisdeS, Dft 
©. Borger io tUeitissob, Dr. J. A Idiag&r io Ochteßiart, Dr. L. Mayr in 
Mönchen, Di . A. Schelle in Bamberg, Dr.F.Eotbharbinbr mWeilbeim, 
Br. M. Hofbsmmer in Wulduitlncbeü, Dr. 3i Hertbl io Speyer, Dr. 
W'^Kafipar io Sf Soeben, Dr-A. Gatermaoa in Neumarktv Dr, W. Hof mann 
io. Mönchen. Dr, A Sauerteig in Börnberg, Dr. A. Debis-.r ia Landau L Pi, 
ro Ober»öted.»Räteo. 

Teraettts Besirksarat, Ob<»Med,.Rafc Dr. Becker ton NeostacU a. H. 
nach WSrzbarg, 

Gentorben: Besirkaarat Dr. Tezett tack in KaristaAt a. M. 

Gentorben .* ÖK-Med.-Rat Prof. Dr, Ni p p o I d , Gerjcbtsawt i» Freiberg 

K&rnborg-. 

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Universität .Hamburg 


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I 












30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. 

Von Medizinalrat Dr. Israel in Breslau. 

„Schon wieder einer mit Erinnerungen an die Amtszeit! 
Es scheint, die alten Herren werden redselig.“ So höre ich 
manchen Leser im Hinblick auf den Artikel des Herrn Kollegen 
Sarganek in Nr. 19 Jahrg. 1921 dieser Zeitschrift ausrufen. 
Nicht etwa „die Lust zum Fabulieren“ verleitet mich dazu, 
den knappen Raum dieser Zeitschrift zu einem Rückblick in 
Anspruch zu nehmen, auch nicht nur der Wunsch, selbst Rechen¬ 
schaft über meine Tätigkeit abzulegen; ich will zugleich ver¬ 
suchen, einiges zu schildern, was als Fortschritt in der prak¬ 
tischen Gesundheitspflege gebucht werden kann. Endlich will 
ich den jüngeren und angehenden Kollegen praktische Rat¬ 
schläge und Hinweise geben für Dinge, die nur durch Erfahrung 
gelernt werden können. Schon vor einiger Zeit hatte ich die 
Absicht, meine Erlebnisse als Medizinalbeamter Revue passieren 
zu lassen, hatte dies aber in dem Gedanken zurückgestellt, daß 
ja viele Wege nach Rom führen, daß aus örtlichen Verhält¬ 
nissen eine Vielfältigkeit in der Amtsführung resultiert und daß 
schließlich der Einzelne sein Amt so führt wie es Neigung und 
Individualität zulassen. Nachdem aber Kollege Sarganek 










166 


Dr. Israel. 


manches ausführlich geschildert und auch Postulate aufgesellt 
hat, möchte ich mit den meinigen, die in mancher Hinsicht 
diametral entgegengesetzt sind, nicht mehr zurückhalten. 
Schweigen soll hier keine Zustimmung bedeuten und das 
Sprichwort „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede“ be¬ 
steht noch immer zu Recht. 

Nach einjähriger Tätigkeit in einer großen Irrenanstalt 
und dreijähriger Praxis in einer kleinen Stadt wurde ich in 
einem rein ländlichen Kreise Kreisphysikus und dann Kreisarzt, 
blieb dort 2B Jahre und hatte neben meinem Amt eine aus¬ 
gedehnte ärztliche Praxis. Endlich wurde ich vollbesoldeter 
Kreisarzt in dem Landkreise, der rings um Breslau liegt, bis 
ich im Stadtkreise Breslau gelandet bin. So kann ich mir wohl 
ein Urteil erlauben nicht nur über das, was von den Medizinal- 
bearaten in den letzten drei Jahrzehnten geleistet wurde, sondern 
auch über die Art der Geschäftsführung und über die Zusammen¬ 
arbeit mit den einzelnen Behörden. Entsprechend dem über¬ 
wiegend größeren Zeitraum, der der Tätigkeit auf dem Lande 
gewidmet war, werde ich hauptsächlich die Verhältnisse auf 
dem Lande und in kleinen Städten berücksichtigen. Diese stehen 
wohl auch im Vordergründe des Interesses; denn hier gibt es 
noch für die nächsten Jahrzehnte viel zu tun; hier fängt auch 
die Mehrzahl der Kollegen ihre Tätigkeit an, während in den 
Großstädten die sanitären Forderungen mehr oder weniger 
erfüllt sind und in ihrer Handhabung sich schon eingebürgert 
haben. 

Die kreisärztliche Tätigkeit erstreckt sich auf folgende 
Arbeitsgebiete: 

1. Medizinalpolizeiliche Tätigkeit, 

2. Hygienisch-prophylaktische Tätigkeit, 

3. Hygienisch-fürsorgerische Tätigkeit, 

4. Vertrauensärztliche und Gutachtertätigkeit. 

Auf allen diesen Gebieten ist eine Zusammenarbeit mit 
Behörden und Medizinalpersonen nötig. Der Verkehr mit über¬ 
geordneten und gleichgestellten Behörden ist etwas, was der 
Medizinalbeamte mit allen anderen Staatsbeamten gemeinsam 
hat. In nicht seltenen Fällen ist es mir aber begegnet, daß 
der Medizinalbeamte hierin mangels besonderer Vorbildung im 
Anfang seiner Tätigkeit große Unsicherheit zeigte. Darum wäre 
es sehr zu begrüßen, wenn wenigstens der Mehrzahl der An¬ 
wärter Gelegenheit gegeben würde, sich als Kreisassistenzarzt 
bei älteren Kreisärzten oder auf der Regierung einzuarbeiten. 
Eine Sonderstellung nimmt aber der Medizinalbeamte dadurch 
ein, daß er ohne Mitarbeit einzelner Gruppen von Medizinal¬ 
personen sein Amt nicht ausführen kann. Das führt uns zur 
Besprechung der höchst wichtigen Beziehungen zu den nicht 
beamteten Aerzten, zu dem Gegenstand also, den auch 
Kollege S. ausführlich besprochen hat. 

Ich muß nun vod vornherein gestehen, daß ich auf ziem- 
ich entgegengesetztem Standpunkte stehe. Gerade auf per- 



SO Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. 


167 


8önliehe Beziehungen zu den Aerzten meiner Kreise habe 
ich den größten Wert gelegt und würde es aufs tiefste bedauern, 
wenn in § 23 der Dienstanweisung statt „persönliche“ nur 
„amtliche“ Beziehungen gefordert würden. Will nämlich der 
Kreisarzt gedeihliche Fortschritte in seinen Arbeiten erzielen 
und zugleich Befriedigung darin finden, so kann er der Mit¬ 
arbeit der Aerzte nicht gut entraten. Anregung und An¬ 
leitung hierzu müssen unbedingt vom Kreisarzt ausgehen, was 
aber nicht gut ohne persönliche Annäherung möglich ist. Man 
bedenke doch, wie wenig die Aerzte in den klinischen Semestern 
von der öffentlichen Gesundheitspflege und der praktischen 
Handhabung der diesbezüglichen Gesetze lernen. Zwar hat 
sich in den letzten Jahren darin eine kleine Besserung gezeigt, 
aber immer bleibt noch sehr viel zu wünschen übrig. So sind, 
um nur ein häufiges Vorkommnis herauszuholen, die Aerzte 
vielfach nicht genügend über die Anzeigepflicht bei anstecken¬ 
den Krankheiten informiert; ist es mir doch in jüngster Zeit 
vorgekommen, daß sehr erfahrene Aerzte und Frauenärzte mich 
befragten, ob Kindbettfieber auch bei Frühgeburten anzeige¬ 
pflichtig ist, ebenso ob fieberhafte Peri- und Parametritis im 
Wochenbett als Kindbettfieber anzusehen sind. Bei Typhus, 
wenn z. B. die erste bakteriologische Diagnose negativ aus¬ 
gefallen ist, wird die Anzeige nicht selten unterlassen. In 
solchen und ähnlichen Fällen habe ich mich niemals an die 
Polizei wegen der rechtzeitigen Anmeldung durch den Arzt 
gewendet, sondern mich stets direkt mit dem Kollegen in Ver¬ 
bindung gesetzt und bin dann fast nie auf Widerstand gestoßen. 
Konventionelle Beziehungen haben mir aber nicht genügt, 
sondern ich habe stets persönliche Annäherung gesucht und 
auch gefunden. Es ist mir noch hierbei der Rat eines alten 
erfahrenen Medizinalbeamten in Erinnerung, der mir sagte: 
Der Kreisarzt solle sich den Aerzten gegenüber stets als primus 
inter pares betrachten und ich kann hinzusetzen, daß ich nicht 
so sehr den Nachdruck auf „primus“ als auf „inter pares“ gelegt 
habe, was ich niemals zu bereuen hatte. Selbstverständlich gibt 
es auch unter den Aerzten Elemente, die schwer zugänglich 
sind und sich allem amtlichen abhold zeigen; daß solche aber 
in der Minderheit sind, werden mir die meisten MedizinalbeamteD 
zugeben. Es ist mir aber garnicht so schwer geworden, auch 
solche Aerzte allmählich zur Mitarbeit heranzuziehen. Das 
ärztliche Vereinsleben, dem sich der Kreisarzt aktiv widmen 
muß, bildet die beste Plattform, von der aus auf solche wider¬ 
strebende Kollegen eingewirkt werden kann. Immer muß man 
sich den Gedanken vor Augen halten, daß, wenn die Aerzte 
abseits stehen und verärgert sind, die Arbeit des Medizinal- 
heamten nicht so nutzbringend sein kann wie es dringend nötig 
ist. Ich brauche nur auf die Fürsorgetätigkeit hinzuweisen, die 
ohne Mitwirkung der Aerzte nicht denkbar ist. 

Die Ueberwachung des Hebammenwesens gehört zu 
den wichtigsten kreisärztlichen Aufgaben. Auf diesem (Jebiete 



168 


Dr. Israel. 


hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren ge¬ 
wendet; durch die bessere Ausbildung der Hebammen haben 
sich ihre praktischen Leistungen gehoben. Wenn sich auch 
auf dem Lande die Zahl der zur Verfügung stehenden Aerzte 
vermehrt hat, so hat doch in meinem ostpreußischen Kreise 
manche Wendung und Plazentarlösung von der Hebamme aus¬ 
geführt werden müssen, und, wie ich hinzusetzen möchte, mit 
bestem Erfolge. Verschleppte Querlagen, tiefe Dammrisse und 
ähnliches gehören jetzt zu den äußersten Seltenheiten. Schon 
bei der Auswahl der Kandidatinnen kann der Kreisarzt darauf 
hinwirken, das geistige Niveau der Hebammen zu heben. Aller¬ 
dings lehne ich es entschieden ab, daß als Bedingung für den 
Eintritt in die Hebaramenlehranstalt höhere Mädchenschulbildung 
gestellt wird; welche von diesen Damen würde dann aufs Land 
gehen wollen und sich bei Nacht auf schlechten Wegen bei 
geringer Bezahlung quälen? Jüngst wurde von einer Seite der 
Vorschlag gemacht, der Kreisarzt solle nur die körperliche 
Tauglichkeit der Anwärterinnen feststellen, die geistige Fähig¬ 
keit dagegen der Hebaramenlehrer. Ich kann nach meinen 
eigenen Erfahrungen keine Veranlassung hierzu finden, denn 
jedem Medizinalbeamten müssen die zu stellenden Ansprüche 
genau bekannt sein. 

Die Beaufsichtigung der Hebammen hat in erster Reihe 
darauf hin zu wirken, daß der vorgeschriebenen Meldepflicht 
genügt wird. Ich habe dies nur dadurch zu erreichen gewußt, 
daß ich bei den Ermittlungen nicht als Ankläger und Staats¬ 
anwalt auftrat, sondern als Berater. Nicht selten gelang es mir, 
die Ursachen auch für schwere Kindbettfieberfälle aufzudecken, 
ohne daß den Hebammen auch nur die geringste Schuld bei¬ 
zumessen war. Merken die Hebammen, daß man ihnen beisteht, 
wenn ihre Schuldlosigkeit erwiesen ist, dann melden sie auch 
lückenlos die Fieberfälle. Daß bei der statistischen Bewertung 
dieser gemeldeten Fieberfälle Vorsicht geübt werden muß, sei 
nebenbei bemerkt. Uebrigens habe ich mich auch auf diesem 
Gebiete der Mitwirkung der Aerzte versichert. War eine Heb¬ 
amme in ihrer Tätigkeit lau oder hatte ich Verdacht auf 
mangelnde Sauberkeit, dann wandte ich mich stets an die 
Aerzte, mit denen die Hebamme am Kreißbett zusammenzu- 
komraen pflegte. Garnicht selten habe ich dadurch wichtige 
Fingerzeige erhalten. Daß die Hebammen auf dem Lande be¬ 
rufen sind, neben den eigentlichen Fürsorgerinnen als Helfer¬ 
innen bei der Säuglingsfürsorge zu fungieren, habe ich in dieser 
Zeitschrift bereits vor zwei Jahren hervorgehoben. Meine 
Ansicht ist mir von vielen Seiten bestätigt worden, sodaß jetzt 
wohl allgemein die Losung lautet „Fürsorgerin und Hebamme*. 
Man darf aber auch nicht achtlos an den Sorgen der Hebammen 
Vorbeigehen, man muß an ihren Vereinssitzungen teilnehmen, 
sie in ihren materiellen Fragen beraten und der Kreisverwaltung 
gegenüber auf genügende Besoldung usw. dringen. Nicht un¬ 
wichtig erscheint mir besonders die Gratislieferung der Heb- 



80 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. 


169 


amraenzeitung seitens des Kreises; es ist dies eins der besten 
Mittel zur Fortbildung. Die regelmäßigen Revisionen zu Hause 
geben neben der amtlichen Ueberwachung Gelegenheit, auch 
auch au! ihre häuslichen Verhältnisse einzugehen. 

Meine Besprechung über das Heilpersonal kann ich nicht 
abschließen, ohne die Tätigkeit der Gemeindeschwestern 
erwähnt zu haben, deren Arbeit ich auf dem Lande stets hoch 
eingeschätzt habe. Man muß die Tätigkeit dieser treuen Helfer¬ 
innen kennen gelernt haben wie ich, um sie gebührend bewerten 
zu können. Die Vaterländischen Frauen vereine haben mit 
materieller Unterstützung des Kreises oft geradezu muster¬ 
gültiges geleistet. Dauernde Anregungen kann der Kreisarzt 
geben, wenn er sich in den Vorstand des Vaterländischen Frauen¬ 
vereins wählen läßt. Die Schwestern sind außer bei Hilfe¬ 
leistungen am Krankenbett, bei öffentlichen Impfungen, Schul¬ 
untersuchungen, Quäkerspeisungen, besonders bei Bekämpfung 
ansteckender Krankheiten, garnicht zu entbehren. Wer anders 
soll denn die Desinfektion am Krankenbett, die jetzt noch mehr 
als früher in den Vordergrund treten soll, ausführen, wenn nicht 
die Krankenschwester? Wer soll die Umgebungsuntersuchungen 
bei Typhus und Ruhr machen? Ich kenne Schwestern, die an 
Orten mit endemischem Typhus Hunderte von Proben eingesandt 
und mich neben den Aerzten unermüdlich durch ihre Beob¬ 
achtungen unterstüzt haben. Die Bekämpfung der Tuberkulose 
und die Ueberwachung der Bazillenträger ist ohne Schwestern 
überhaupt nicht denkbar. Auf den alljährlich stattfindenden 
Versammlungen habe ich mich bemüht, sie gerade auf diesem 
Gebiete zu fördern. 

Hiermit kommen wir zum hygienisch-prophylak¬ 
tischen Arbeitsgebiet des Medizinalbeamten. Mit der 
Einführung der Medizinalreform und der Herausgabe der Dienst¬ 
anweisung war recht bald eine einschneidende Aenderung ein¬ 
getreten. Brachte letztere auch nicht die Erfüllung aller unserer 
Wünsche, so war sie doch die Grundlage zur ersprießlichen 
gemeinsamen Arbeit mit den Behörden. Ohne Uebertreibung 
kann man behaupten, daß die größere Anzahl der Behörden 
erst aus der Dienstanweisung Kenntnis davon erhielt, wozu 
der Kreisarzt da ist und welche Befugnisse er hat. Ganz be¬ 
sonders erleichterte die Dienstanweisung die Arbeit mit den 
Behörden zwecks Verhütung ansteckender Krankheiten, nachdem 
auch fast um dieselbe Zeit die beiden Seuchengesetze in Kraft 
getreten waren. Besonders die Anzeigepflicht war gegen¬ 
über den Bestimmungen des früheren Regulativs fester um¬ 
schrieben. Die Aerzte haben sich an die gesetzlichen Be¬ 
stimmungen immer mehr gewöhnt, es wurde ihnen durch die 
eingeführten praktischen Meldeformulare und die Portofreiheit 
erleichtert. Von anderen raeldepflichtigen Personen Meldungen 
zu erhalten, glückt nur in vereinzelten Fällen, so daß man sagen 
kann: Die Aerzte^allein haben die Pflicht und Verantwortung 



170 


Dr. Israel. 


dafür übernommen, übertragbare Krankheiten und Seuchen zur 
Kenntnis der Behörden zu bringen. 

Der Kampf der Medizinalverwaltung gegen die Seuchen 
hat zu einem vollen Siege geführt. Die Bekämpfungsmethoden, 
auf den Untersuchungen von Koch basierend, haben sich in 
der langen Zeit im Frieden und im Kriege vollauf bewährt. 
Eine recht wesentliche Unterstützung bei der Ermittlung und 
Feststellung bieten uns die Untersuchungen der Untersuchungs¬ 
anstalten an den Hygienischen Universitätsinstituten und die 
Medizinaluntersuchungsämter. Unter der Aegide Kirchners 
eingerichtet, leisten diese Anstalten Mustergültiges. Nur dadurch 
ist es möglich geworden, die früheren Wahrscheinlichkeitsdiag¬ 
nosen in wissenschaftlicher Weise zu präzisieren. Die ganze 
Handhabung ist praktisch, sodaß sich auch die Aerztewelt daran 
gewöhnt hat und im ganzen fleißig Material einsendet. Im 
speziellen wollen wir uns daran erinnern, was bei den einzelnen 
Seuchen geschaffen worden ist: Bei Cholera die Flußüber¬ 
wachungsstationen, bei Fleckfleber die Entlausungsanstalten, 
bei Pocken die energische Durchführung der Pockenschutz¬ 
impfung und endlich für Lepra die Einrichtung des Leprosoriums 
bei Memel, wohin alle Leprösen aus Deutschland kommen. 

Man hört oft sagen, daß die Mitwirkung des Eireisarztes 
bei der Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten 
eine wenig befriedigende ist und in den letzten Jahren keine 
besondere Leistung aufzuweisen hat. Ich kann dies nicht unter¬ 
schreiben. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind auch hier 
große Fortschritte gemacht worden. Die Aufsuchung der Infek¬ 
tionsquellen für diese Krankheiten ist, z. B. für den Abdominal¬ 
typhus, auf eine viel sichere Basis als früher gesetzt. Machte 
man früher ausschließlich das Trinkwasser für Typhus ätiolo¬ 
gisch verantwortlich, wobei es natürlich viele Versager gab, 
so steht man jetzt nicht mehr mit gebundenen Händen da, 
nachdem die Lehre von den Bazillenträgern und den Daueraus¬ 
scheidern immer mehr ausgebaut wurde. Gerade diese Unter¬ 
suchungen bilden jetzt dankenswerte Objekte kreisärztlicher 
Tätigkeit. Allerdings muß man zu den vielfachen Umgebungs¬ 
untersuchungen, deren Zahl manchmal in die Hunderte gehen 
kann, Hilfskräfte, also Schwestern zur Verfügung haben. Man 
wird auf deren Hilfe mehr als je zurückkommen, wenn die 
neue Desinfektionsordnung erat in Kraft treten wird, bei der 
mehr als bisher der Hauptwert auf die Desinfektion am Kranken¬ 
bette gelegt werden soll. Zieht man bei Ermittelung von über¬ 
tragbaren Krankheiten neben dem Arzt auch die Schwestern 
zu, wie ich es regelmäßig getan habe, dann sind auch auf dem 
Lande befriedigende Resultate zu erzielen. Was dort allerdings 
meist fehlt, ist eine genügende Absonderung, zumal es auch an 
Krankenhausbetten mangelt; etwas wird dieser Mangel dadurch 
ausgehoben, daß die Bevölkerung auf dem Lande weniger dicht 
ist, die Häuser meist in Abständen voneinander stehen und 
der Verkehr ein viel geringerer ist. 



30 Jahre Tätigkeit als Medizinalbeamter. 


171 


Bei den übertragbaren Krankheiten kann ich nicht an der 
erfolgreichen systematischen Bekämpfung der Körnerkrank- 
heit in Ostpreußen und den übrigen östlichen Provinzen vor¬ 
übergehen. Die fast vollständige Eliminierung der Krankheit 
kann als eine Großtat der Preußischen Medizinalverwaltung 
angesehen werden. Man vergegenwärtige sich nur, daß die 
Schulkinder zu 10—15°/ 0 , in den Grenzkreisen 60—80 °/ 0 er¬ 
krankt waren und daß man es mit einer Volksseuche zu tun 
hatte, die in schweren Fällen zur Erblindung führte. Neben 
den Kreisärzten haben sich die praktischen Aerzte und Augen¬ 
ärzte in die Arbeit geteilt und last not least haben die Lehrer, 
besonders auf dem Lande, sich in jahrelanger Arbeit mit den 
täglichen Einträufelungen abgemüht, so daß kein geringer Teil 
des Erfolges von ihnen in Anspruch genommen werden kann. 
Die Mithilfe der Lehrer habe ich mir aber auch bei der Be¬ 
kämpfung der ansteckenden Krankheiten zu sichern gewußt. 
Hierin hat wohl das Gesetz vom 28. 8. 05 am meisten versagt; 
keine Gesetzesbestimmung ist wohl so selten gehandhabt worden 
wie der § 6 Abs. 5 des angeführten Gesetzes. Wie selten ist 
wohl nach dieser Bestimmung Diphtherie und Scharlach im 
Aufträge der Ortspolizeibehörde ärztlich festgestellt worden, wie 
wenige Behörden hatten überhaupt eine Ahnung von dieser 
Vorschrift! Und doch kann man diese Kinderkrankheiten nur 
erfolgreich bekämpfen, wenn die ersten Krankheitsfälle mög¬ 
lichst schnell gemeldet werden. Ich suchte mir dadurch zu 
helfen, daß ich mir die Lehrer, sei es im persönlichen Verkehr, 
sei es in Vorträgen bei Lehrerversammlungen, zur Mitarbeit 
heranzog. Meine Anordnungen trafen fast durchweg auf Ver¬ 
ständnis und die Lehrer, welche bald von der Wichtigkeit ihrer 
Mitarbeit überzeugt waren, meldeten mir die ersten Fälle weit 
früher als die Behörden. Dadurch konnte insbesondere ver¬ 
hindert werden, daß die Einschleppung der Krankheit ins Schul¬ 
haus und in die Lehrerfamilien verhindert werden konnte. Mög¬ 
lichst frühzeitige Schulschließungen, die ja allein wirksam sind, 
konnten dadurch auch angeordnet werden. Meine Erfahrungen 
in dieser Hinsicht sind also recht gute; ebenso empfiehlt es sich, 
auch auf anderen Gebieten die Lehrer mit hinzuzuziehen, zumal 
ihr Einfluß nicht gering ist und sie nicht selten im Gemeinde¬ 
vorstand eine Rolle spielen. Es gehört allerdings hierzu, daß 
man möglichst wenig vom grünen Tisch aus erledigt, vielmehr 
möglichst an Ort und Stelle persönlich verhandelt und den 
Leuten immer wieder einprägt, daß der Kreisarzt jederzeit als 
Berater in Gesundheitsangelegenheiten zu haben ist. 

Das Kapitel der ansteckenden Krankheiten kann ich nicht 
verlassen, ohne das zu erwähnen, was ich empfindlich vermißt 
habe: Es fehlt uns eine Anzeigepflicht bei Lungentuber¬ 
kulose der Lebenden. Sie wird und muß kommen, sonst 
bleiben auch die Fürsorgemaßnahmen auf diesem Gebiete eine 
Halbheit. Ferner erschien mir als eine große Lücke, daß der 
Verdacht bei Typhus und Genickstarre nicht anzeige- 



172 


Dr. Israel. 


pflichtig ist. Endlich müssen auch bei den Geschlechts¬ 
krankheiten in irgend einer Form Anzeigevorschriften er¬ 
lassen werden, besonders nachdem sie auch den Weg auf 
das Land gefunden haben. Ich bin überzeugt, daß man in den 
nächsten Jahren auch hierzu kommen wird. Neulich wurden, 
übrigens von gewisser Seite, die es für richtig befindet, auf die 
prophylaktische Tätigkeit des Kreisarztes herabzusehen, in einer 
Versammlung die Worte gefunden: „Es gibt ja keine anstecken¬ 
den Krankheiten mehr!“ Mit anderen Worten: Wozu seit Ihr 
Medizinalbeamten denn da? Für Euch ist ja nichts mehr zu 
tun! — Diesen Herren möchte ich erwidern: Wohl ist die Zahl 
der ansteckenden Krankheiten zurückgegangen, und dies ist 
nicht zum wenigsten auf unsere Tätigkeit zurückzuführen. 
Was würde aber geschehen, wenn unsere bisher bewährte Be¬ 
kämpfungsarbeit aufhören würde? Würden wir nicht sehr bald 
wieder z. B. Typhusepidemien haben? Kaum einer von den 
Herren, die so geringschätzig sprechen zu dürfen glauben, ist 
sich über die prophylaktische Arbeit des Kreisraedizinalbeamten 
klar. Insbesondere: Hat einer von ihnen einen Einblick in die 
Tätigkeit des Kreisarztes auf dem Lande? Ich glaube diese 
Frage entschieden verneinen zu müssen. 

Vorher habe ich von der Mitarbeiterschaft der Lehrer ge¬ 
sprochen und möchte nunmehr kurz berichten, was auf dem 
Gebiete der Schulhygiene zu leisten war. Hier springt der 
Unterschied von Land und Stadt so recht hervor: Hier moderne 
Schulpaläste, zweckmäßige Inneneinrichtung und angestellte 
Schulärzte, dort nicht selten noch primitive Zustände und 
fehlende ärztliche Ueberwachung der Schulkinder. Gleichwohl 
ist in den letzten 30 Jahren auch auf diesem Gebiete viel ge¬ 
schehen. Nichts konnte mich mehr erfreuen, als die stattliche 
Zahl neuer zweckmäßiger Schulhäuser, deren Bau zum Teil 
auf Grund meiner jahrelang wiederholten Forderungen vorge¬ 
nommen wurde. Immer habe ich die Ansicht vertreten, dafl 
die Schulräume für das Kind nicht nur zum Lernen dienen, 
sondern auch Vorbild für Ordnung und hygienische Sauberkeit 
sein sollen. Schon mit einfachen Mitteln konnte ich nützen, 
z. B. fehlten fast überall Ventilationseinrichtungen. Ich half 
mir damit, daß ich mich mit einem Glasermeister im Kreise in 
Verbindung setzte, der für wenige Mark Glasjalousiefenster 
herstellte. Die Schüleruntersuchungen, die nur alle 5 Jahre 
vorgenommen werden, genügen natürlich nicht. Mögen die 
regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen, deren Kosten jetzt 
bei der Armut unseres Vaterlandes fast unerschwinglich er¬ 
scheinen, noch in weiter Feme liegen, einmal kommen müssen 
sie doch. Sie können im Rahmen unserer heutigen Fürsorge¬ 
bestrebungen eben nicht fehlen. Eins aber ist dabei sicher: 
Ohne Mitwirkung der Aerzte wird man auch hierbei nicht aus- 
kommen können, in größeren Kreisen kann der Amtsarzt diese 
Untersuchungen allein nicht ausführen. Die Erfahrungen, die 
wir bei den Granuloseuntersuchungen in den Schulen gemacht 



SO Jahre Tätigkeit als Medisinalbeamter. 


178 


haben, berechtigen zu der Annahme, daß auch hierbei von den 
Aeraten segensreiche Arbeit geleistet werden wird. 

Die Schulbesichtigung ist ein Teil der allgemeinen Orts¬ 
besichtigung, die ebenfalls erst durch die Dienstanweisung 
eingeführt wurde; sie hat sich auf alle für das öffentliche Ge¬ 
sundheitswesen wichtigen Verhältnisse und Einrichtungen zu 
erstrecken. Im wesentlichen war es eine Revision der Wasser¬ 
versorgung und der Einrichtungen für die Beseitigung der 
Abfallstoffe. Wenn hierdurch u. a. viele Hunderte von Brunnen 
im Laufe von 10—20 Jahren neu angelegt, bezw. instandgesetzt 
wurden, so war auch für die hygienische Prophylaxe schon 
viel geschehen. 

Der hygienisch-prophylaktische Teil des kreisfirztlichen 
Dienstes mußte etwas ausführlicher abgehandelt werden, wenn 
auch damit keineswegs gesagt werden soll, daß die hygienisch¬ 
fürsorgerische Tätigkeit in den Hintergrund trat. Das Für¬ 
sorgewesen ist keine Erfindung der jüngsten Zeit, das kann 
nicht oft genug gesagt werden; freilich muß zugegeben werden, 
daß diese Bestrebungen jetzt etwas einheitlicher und straffer 
organisiert werden. Auch hierin war die Großstadt, weit vor¬ 
aus; in den kleineren Orten und auf dem Lande kam man erst 
langsam nach. Wie oft höre ich jüngere Kollegen darüber 
Klage führen, daß bis jetzt von der Zentralstelle aus bestimmte 
Anordnungen nach dieser Richtung hin nicht gegeben worden 
sind. Ich halte das für ganz falsch; von der Zentralstelle 
können höchstens Richtlinien angegeben werden, in den einzelnen 
Kreisen muß aber alles den örtlichen Eigentümlichkeiten und 
Bedürfnissen angepaßt werden. Auch hier heißt es, den Bau 
nicht von oben anfangen und sich nicht darum streiten, ob ein 
Wohlfahrts- oder Gesundheits- oder Fürsorgeamt eingerichtet 
werden und wer es leiten soll. Zuvörderst nabe ich versucht, 
unter der Bevölkerung Verständnis für die fürsorgerischen Be¬ 
strebungen zu verbreiten, indem ich den Vaterländischen Frauen¬ 
verein und den Kreisausschuß schon im Kriege zu bestimmen 
wußte, eine Kreisfürsorgerin anzustellen. Nachdem diese 
unter meiner Anleitung die Aufklärungsarbeit begonnen und 
durch mündliche Belehrung die Notwendigkeit der Fürsorge¬ 
bestrebungen gerade in der heutigen Zeit besprochen hatte, 
wuchs immer mehr das Interesse. Eine zweite Fürsorgerin 
wurde angestellt, die Hebammen wurden zur Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit herangezogen und so weitete sich unser 
Arbeitskreis allmählich. Gemeinde- und Amtsvorsteher, Ver¬ 
trauensdamen des Vaterländischen Frauen Vereins, kurz, alle ein¬ 
flußreichen Personen sahen den Nutzen der Tätigkeit ein und 
nach einigen Probejahren ging man schließlich an die Einrich¬ 
tung des Wohlfahrtsamtes heran. Ohne diese Vereinigung 
aller Bestrebungen in einem einzigen Amt geht es nicht, sonst 
zersplittert sich die Arbeit und findet nicht genügend Anschluß 
an andere Leistungen des Kreises, z. B. das Armen- und Wohnungs¬ 
wesen. Nach meinen Erfahrungen sollte man auf dem Lande 



174 


Dr. Willfahr. 


für die einzelnen Zweige der Fürsorge (Tuberkulose, Säuglings¬ 
und Kleinkinderpflege, Krüppel usw.) nicht besonderes Hilfs¬ 
personal anstellen, sondern Fürsorgerinnen für das gesamte 
Gebiet. Die Fürsorgerin soll nicht zu den einzelnen Kranken 
kommen, sondern zu der Familie, um die ganzen Nöte kennen 
zu lernen. Sie muß das Vertrauen der Bevölkerung, besonders 
der Frauen, durch wiederholte, persönliche Annäherung zu er¬ 
reichen suchen, Beratungsstunden und Mütterabende einrichten, 
kurz, alles tun, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen. 
Daß man in größeren Bezirken auch hierbei der freudigen Mit¬ 
arbeit der Aerzte nicht entraten kann, ist zwar selbstverständ¬ 
lich, soll aber doch hervorgehoben werden, um den Kreis der 
Bestrebungen zu schließen, in welchen sich der Kreisarzt und 
die Aerzte zur gedeihlichen Arbeit zusammenfinden müssen. 

Von der vertrauensärztlichen und Gutachter¬ 
tätigkeit habe ich nichts besonderes zu sagen, sie ist so oft 
in dieser Zeitschrift nach allen Seiten beleuchtet worden, daß 
ich neues nicht hinzufügen kann. Als Impfarzt, Bahnarzt, Ver¬ 
trauensarzt für die Krankenkasse und in allen übrigen Neben¬ 
ämtern habe ich immer versucht, Fühlung mit den Kreisein¬ 
gesessenen, auch mit den wirtschaftlich schwächsten unter ihneu 
zu nehmen und mich in ihren Gedankenkreis einzugewöhnen. 
So bemühte ich mich, der Vertrauensarzt der Bevölkerung zu 
sein; dazu gehört aber Zeit. Darum bin ich sehr dafür, daß 
der Kreisarzt nicht zu oft den Ort der Tätigkeit wechselt. Zu 
meinen stolzesten Erinnerungen gehört es, wenn ich ohne Ueber- 
treibung sagen kann: Vertrauen wurde mit Vertrauen belohnt 

Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Während der ver¬ 
flossenen 30 Jahre ist ein vollständiger Umschwung in der 
Stellung und Tätigkeit der Medizinalbeamten eingetreten. Jetzt 
stehen wir an vorderster Stelle derjenigen, die berufen sind, 
das größte und teuerste Gut des geschwächten und gedemütigten 
Vaterlandes zu erhalten: die öffentliche Gesundheit. Die große 
Entwicklung miterlebt und daran mitgearbeitet zu haben, bildet 
den Inhalt meines Werdegangs als Medizinalbeamter. Wenn auch 
manches nicht geglückt ist und vieles unerreichbar blieb, so 
habe ich mich stets an das Dichterwort gehalten: 

„Immer strebe zum Ganzen und kannst du selber kein Ganzes 
werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.“ 


Fleckfieber und soziale Lage.*) 

Von Bog.- and Med.-B.at Dr. Willilhr in Liegnitz. 

Wenn auch ein Zaubermittel, wie die Impfung, für die 
Bekämpfung des Fleckfiebers noch fehlt, so war doch das Fleck¬ 
fieber in Preußen seit Jahrzehnten, das heißt, ehe man etwas 
von der Uebertragung durch Läuse wußte, eine unbekannte 
Krankheit geworden. Die letzte schwere Fleckfieberverseuchung 

*) Nach einem Vortrag in der Medizinalbeamtenyersammlong in Liegnits. 
VergL diese Zeitschrift; 1921, Nr. 17. 



Fleckfieber and soziale Lage. 


176 


herrschte in Preußen von 1877—85. Wie die vorgelegten Zahlen¬ 
übersichten Nr. 1—4 leicht erkennen lassen, war das Fleckfieber 
seit 1886, jedenfalls seit 1895 in Preußen vollkommen erloschen. 
Während des Krieges nahm das Fleckfieber in Preußen bu. 
Trotzdem ist es falsch, zu glauben, daß der Krieg den Staat 
Preußen mit Fleckfieber verseucht habe. Die Zahlenübersicht 
Nr. 5 über die Fleckfieberfälle in den einzelnen Regierungsbezirken 
von 1913 bis 1919 zeigt auch dieses klar. Die verhältnismäßig 
hohen Zahlen des Jahres 1915 än dem daran nichts. Damals w urden 
bürgerliche Bevölkerung und Heer noch nicht streng getrennt 
und die Zahlen umfassen die Epidemien der Gefangenenlager mit. 
Erst mit dem Jahre 1919, d. h. mit dem Umsturz, schnellt die 
Zahl der Erkrankungen und Todesfälle mit einem Male auf das 
Zehnfache in die Höhe. Wie kommt das? Wie kam es vor 
allen Dingen, daß Preußen längst frei von Fleckfieber war, 
obwohl es ausgedehnte gemeinsame Grenzen mit den seit Jahr¬ 
hunderten schwer durch Fleckfieber verseuchten Ländern hat? 
Und wenn die Zahl der Fleckfiebererkrankungen 1919 auf das 
Zehnfache stieg, hat es vielleicht besondere Gründe, daß nicht 
noch eine ganz andere Verseuchung des Staates Preußen erfolgte 
in einer Zeit, in der die überstürzte Abrüstung aus den ver¬ 
seuchten Gebieten zahlreiche verlauste und verseuchte Personen 
in die Heimat führte und in der die alte bewährte staatliche 
Zucht und Ordnung in die Brüche zu gehen schien? 

Das Studium der 186 (36) Erkrankungen (Todesfälle) an 
Fleckfieber während der Jahre 1918 und 1919 im Regieruugs- 
bezirk Potsdam gab über diese Fragen einigen Aufschluß.*) 

Von den Gruppen, in die sich die Erkrankten trennen 
lassen, sind für unsere Fragestellung zwei ganz besonders be¬ 
merkenswert, das sind einmal 29 (13) Erkrankungen 
(Todesfälle) von Einzeleinschleppung des Fleck¬ 
fiebers aus dem Heere, aus den Grenzprovinzen 
und Nachbarländern, und zweitens 47 (15) Erkrankun¬ 
gen (Todesfälle) an Fleckfieber, die deutsche Rück¬ 
wanderer aus Gegend Rowno und deren Umgebung betrafen. 
Von den 29 Fällen der ersten Gruppe waren 4, von den 47 Fällen 
der zweiten 41 Kontakte, d. h. die Fälle von Einzeleinschleppung 
haben höchst selten, die Einschleppung durch deutsche Rück¬ 
wanderer aber beängstigend häufig zu Kontakten geführt. Von 
den 4 Kontakten der 29 Fälle waren noch dazu 2 in Lazarett¬ 
betrieben erworbene Fiebererkranknngen, sodaß für unsere Be¬ 
trachtung nur nuch 2 Kontakte bleiben. Dabei war in diesen 
29 Fällen das Fleckfieber in 27 Herden in 20 Orte und in 
10 Kreise des Bezirks Potsdam verstreut eingeschleppt, d. h. 
eines Bezirks, der Fabrikvororte wie Spandau, Tegel, Reinicken¬ 
dorf, Weißensee, Köpenick, Steglitz usw. umfaßt. Die zeitige 
Bekämpfung kann die Kontakte nicht verhütet haben: die 29 

*) Eine ausführliche Darstellung der Verseuchung des Regierungsbezirks 
Potsdam mit Fleckfieber ist inzwischen von dem Verfasser in den „Veröffent¬ 
lichungen aus dem Qebiete der Medizinalverwaltung“, BandIVX, Heft 1, erschienen. 



176 


Dr. Willflihr. 


Kranken lagen nicht weniger als 215 Tage = durchschnittlich 
7,4 Tage zu Hause, ehe sie in Krankenhäuser aufgenommen 
wurden. Der größte Teil der Erkrankten gehörte 
dem Arbeiterstande an, ein großer Teil von ihnen kam 
nachweislich verlaust an. Was wäre wohl aus 29 Pocken- und 
Cholerafällen unter gleichen Umständen geworden? 

Bemerkenswert ist aber zunächst das entschie- 
deneReinlichkeitsbedürfnis de rHe im kehrenden: fast 
ausnahmslos wuschen sie sich sofort von Kopf zu Fuß und beklei- i 
deten sich mit frischer Wäsche. Man wußte, schon ehe man die 
Rolle der Läuse kannte, daß in „auch nur einigermaßen besser situ¬ 
ierten Familien“, wie Gott schlich sich ausdrückt, Kontakte 
von Fleckfieber auszubleiben pflegen. Zieht man umgekehrt 
die besondere Vorliebe gerade dieser Krankheit für die Ver¬ 
wahrlosung, für schmutzige Wohnungen, für das Zusammen¬ 
gepferchtsein in engen, dunklen Räumen in Betracht, so ergibt 
sich der zwingende Schluß, daß der deutsche Arbeiter 
längst zu den „einigermaßen besser situierten 
Familien“ Gottschlichs gehörte, d. h., daß seine 
günstige soziale Lage längst dem Fleckfieber den 
geeigneten Boden für die Ausbreitung der Seuche 
entzogen hatte. Diese Feststellung ist wichtig, wenn man | 
bedenkt, daß das oft geschmähte alte Regiment 
diesen gewaltigen Fortschritt zu erzielen wußte, 
und daß in der fraglichen Zeit nicht nur Scharen verlauster 1 
Leute aus verseuchten Gebieten heirakehrten, sondern auch , 
der Seifenmangel noch immer die Reinlichkeit sehr schwer 
schädigte. 

Das Gegenstück bilden die 41 Kontakte unter den 
47 Fleckfieberfällen der Rückwandererseuche. 318 
deutsche Rückwanderer aus Gegend Rowno waren um Weih¬ 
nachten 1918 auf 21 Güter der Bezirke Potsdam und Frank¬ 
furt a. 0. unentlaust verteilt worden. Die Folge war, daß das 
alsbald auf 2 Vorwerken im Kreise Westhavelland und 2 Gütern 
im Kreise Neu-Ruppin ausbrechende Fleckfieber gierig um sich 
fraß. DieRückwan derer waren sämtlich sehr unsauber 
und schwer verlaust. Ihre Unterbringung, besonders 
auf den beiden Vorwerken, war recht dürftig, die soziale 
Lage sämtlicher Rückwanderer stand auf einer so tiefen 
Stufe, wie wir sie in Preußen nur noch bei anderen 
Wanderarbeitern, z. B. den „polnischen Schnittern* 
der großen Güter, kennen. Die Seuche wurde in sämt¬ 
lichen Fällen erst eine Reihe von Wochen für Grippe, dann für 
Typhus gehalten, bis die Kreisärzte das Fleckfieber feststellten. 
Nur dieser Boden ist der geeignete für die Ausbreitung 
des Fleckfiebers, ln solchen Fällen greift aber die Seuche 
auch sofort rücksichtslos auf die Umgebung über: durch die 
Rückwanderer erkrankten (starben) 7 (2) Deutsche, darunter 
tötlich der Gutsherr des einen Gutes und ein Desinfektor, sowie 
8 (5) Polen, die mit den Rückwanderern zusammen arbeiteten. 



Fleckfieber und soziale Lage. 


177 


Jede Verseuchung mit Fleckfieber, die seit der 
Mitte des vorigen Jahrhunderts in Preußen auftrat, 
ist von der Einschleppung beherrscht. Das beweist 
schon das sehr erhebliche Ueberwiegen der Fleckfieberf&lle in 
den Östlichen im Vergleich zu den westlichen Landes¬ 
teilen sowohl in den Kriegsjahren wie in den Jahren 
1877 bis 1885, wie die Zahlenübersichten Nr. 1 und 5 deut¬ 
lich zeigen. Es ist gewiß zum Teil das Verdienst der sorg¬ 
fältigen Grenzsperre in den Ostmarken, wenn die Ein¬ 
schleppung sich allmählich in immer engeren Grenzen hält. 
Wenn diese Einschleppung aber — abgesehen von dem Auf¬ 
flackern 1877—85 — seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts 
zu keiner endemischen Verseuchung des Landes mehr führte, 
wenn vielmehr die Seuche bei uns erlosch, so muß der Grund 
ein anderer sein. Der Grund für dieses Erloschen können 
nicht unsere jetzigen Kenntnisse über die Rolle der 
Läuse bei der Verbreitung sein. Denn die Seuche ist 
schon dreißig Jahre, fast kann man sagen sechzig Jahre, früher 
bei uns endgültig erloschen. 


Uebersicht 1. 


Von den Fleckfiebererkr&nkangen der Jahre 1877—85 in Preußen 
entfielen auf die Provinzen 


Ostpreußen: 
Westprenßen: 
Brandenburg: 
Pommern : 


1672 

Posen: 

1641 

Hannover: 

57 

2067 

Schlesien: 

4426 

Westfalen: 

70 

1209 

8achsen: 

268 

Hessen-Nassau: 

12 

840 

Schleswig-Holstein: 

6 

Rbeinprovinz: 
Zusammen 

105 

12966 


Uebersicht 2. 


ln den Preußischen Heilanstalten sind an Fleckfleber behandelt in 
den Jahren 


18*6: 

109 

1889: 

42 

1892: 

89 

1887: 

808 

1890: 

19 

1898: 

28 

1888: 

122 

1891. 

29 

1894: 

208 


Uebersicht 8. 


An Fleckfieberfällen sind ln Preußen gemeldet in den Jahren 


Erkrank¬ 

Todes¬ 


Erkrank¬ 

Todes¬ 

Erkrank- 

Todes¬ 

ungen 

fälle 


ungen 

fälle 


ungen 

fälle 

1896: — 

16 

1902: 

2 

1 

1908: 

6 

1 

1896: - 

18 

19* 8: 

2 

1 

1909: 

6 

0 

1897: — 

11 

1904: 

4 

0 

1910: 

18 

1 

18 u 8: - 

6 

1906: 

24 

4 

1911: 

6 

0 

1899: — 

11 

1906: 

12 

2 

19l2: 

6 

0 

1900: — 

14 

1907: 

5 

0 

1918: 

3 

2 

1901: 7 

1 








Uebersicht 4. 


An Fleckfieber sind erkrankt (gestorben) in den Jahren 


im Begierungsbesirk Oppeln: 
1847—49 : 80000 (lb 000) 
1856—56 : 2000 (unhek.) 
1876—77 : 6091 (644) 


in der Stadt Breslau: 

1813—14: unbek. (478) 
1866-67 : 6000 (800) 

18n8—69: HHö (176) 
18<8—79 : 600 (70) 









Df. WjUftiljr: Klc«k$^bfef üfiö soziale Lag# 


l>»er»tcbt «. 

Das fc’leckf iobcr in den Jobren 1918-^*1919, 


b$*M k 


1; b 

& CiiiühVoo^q 
3. Au*nkce>a 


.5. Märl?ti'vrrfde> 


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3. .FfHn-Kl'ölt- 
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12, 

13, 

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1 4* 299 IW. 


/.: • >'*4ü!*v j 'J- I f 4 l'I V> t’J I \ W 

'. I { { ’' : i ; 

Uebersicht Ä. 

y ob Heafesangehörigen starben y.pm 1. A ugast 1914 
bis 81. Des «mb er 1916 an 


'•7 f > \ * \v-./yVJ.£ f. v f “äT < xiio^Cv 

»J Darunter }u 0>*:Ui»*«*e*ilng'3r i^anwdatf 3«8.<4'»1 

f > IWuntcr im Öjrf«age*eol*g«r WittattfrsrgJWtf^ Krfc^fr.^fc!pS»^' 

*) Damalwr uat»afang<*a«nlag«r Müagfc»«»l*^dlß'i iillft): fotraak, 


460,'45ö:mi | 6 \ M3!2516j)50G 













Dr. Hillenberg: Zar Giftwirkang der Kieselflaßsäureverbindungen. 179 

Der Orund für das Erlöschen des Fleckfiebers 
in Preußen ist allein die gehobene soziale Lage des 
deutschen Arbeiters, die dem Fleckfieber den günstigen 
Boden für seine Ausbreitung entzogen hat: Derjenige Grad 
von Verlausung, der für die weitere Verbreitung 
nötig ist, war bis auf praktisch nicht zählende Aus¬ 
nahmen in Preußen seit 188& endgültig verschwunden. 
Auch scheinbar widersprechende Anschauungen der 
Schriftsteller über die Verlausung können an dieser 
unumstößlichen Probe auf das Exempel nicht das 
Mindeste ändern. 

Im Kriege herrschen andere Mächte. Die Ver¬ 
lausung der Truppen einschließlich der Offiziere galt früher als 
unvermeidliches Uebel. Niemand ahnte, daß hier die Wurzel 
der Jahrtausende alten Kriegspest und Geißel aller Länder lag. 
Der Wandel, den die Erkenntnis dieses Zusammenhanges und 
dessen Erfassen durch die deutschen Aerzte brachte, spricht 
sich in folgenden schlichten Zahlen aus. Von den 600000 harten, 
kriegs- und sieggewohnten Leuten, mit denen Napoleon 1812 
oach Rußland zog, waren 400000 Mann verschwunden und ganz 
vorwiegend dem Fleckfieber erlegen* als er in Moskau einzog. 
Der Weltkrieg führte unsere Heere in dieselben gefürchteten 
Seuchenländer, und unsere Feinde erhofften dort ein ähnliches 
Massengrab für die deutschen Truppen. Wie Uebersicht Nr. 6 
zeigt, starben aber von deutschenHeeresangehörigen vom 
1. August 1914 bis 31. Dezember 1916 — soweit reicht bisher 
die zahlenmäßige Erfassung — insgesamt 895 030, davon durch 
Waffengewalt 839416, an Krankheiten überhaupt 49097, an 
übertragbaren Krankheiten 32 815, an Fleckfieber 448. Wer die 
Beschichte dieses Krieges schreibt, wird den Ruhm der deutschen 
Aerzte verkünden. 


Zur Giftwirkang der Kieselflusssäure- 
y er bin dun gen. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Hillenberg in Halle a. 8. 


Der Minist.-Erlaß vom 14. September 1921 betr. die Not¬ 
wendigkeit einer verstärkten Bekämpfung der Rattenplage gibt 
mir zu nachstehenden kurzen Erörterungen Anlaß. Es ist 
sehr wahrscheinlich, daß infolge obigen Erlasses die Polizei¬ 
behörden die Bewohner ihrer Amtsbezirke darauf hinweisen 
werden, der zunehmenden Rattenplage wegen der mit ihr ver¬ 
bundenen Gefahren erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken und 
an eine intensive Vernichtung dieser Schädlinge heranzugehen. 
Wer dieser Mahnung nachzukommen beabsichtigt, wird wahr¬ 
scheinlich vom Apotheker oder Drogisten sich ein mehr oder 
weniger bewährtes Rattengift unter Ausstellung eines Gift¬ 
scheines verabfolgen oder sich eines der fabrikmäßig her¬ 
gestellten Mittel anempfehlen lassen, die unter den verschie¬ 
densten Phantasienamen und in den verlockendsten Packungen 



180 Dr. Hillenberg: Zar Giftwirkang der Kieselflaßsäureverbindungeii. 


in den Handel kommen und ohne weiteres in den Verkehr ge¬ 
bracht werden können. Daß diese Mittel, trotzdem keinerlei 
Verkehrsbeschränkungen für sie bestehen, nichts weniger als 
harmlos sind und nicht nur zur Ratten-, sondern gelegentlich 
auch einmal zur Menschenvergiftung gebraucht werden können, 
lehren einzelne Beispiele der Literatur. Ein gerichtsärztlicher 
Fall, in dem ich vor einigen Wochen zusammen mit dem 
hiesigen Chemiker am hygienischen Institut der Universität 
Prof. Dr. Klostermann in einer Strafkammerverhandlung als 
Gutachter mich zu betätigen hatte, ist ein weiterer Beleg für 
die Gefährlichkeit der gedachten Mittel. 

Ein janges Dienstmädchen H., bei einem Gutsbesitzer K. in Stellung, 
strebte nach Hanse. Sie fahr nach D. and besorgte sich hier bei einem 
Drogisten 2 Päckchen Battengift „Erun“, von denen sie eines der Herrschaft 
in den von ihr bereiteten Kaffee schüttete. Der Gedanke, daß die Leute nach 
dem Genoß desselben erkranken oder gar sterben könnten, sei ihr nicht ge¬ 
kommen. K. trank von dem Kaffee, gab jedoch schon den zweiten Schlack 
wieder von sich, da er schlecht schmeckte, auch die Ehefraa kostete von 
jenem, spie ihn jedoch sofort aas. Der Kaffee wurde fortgegossen, das Mädchen 
nach Hanse geschickt. K. bekam Debelkeit and Brechreiz, Milch konnte nicht 
geschlackt werden; weiter stellten sich starker Speichelfluß and Durchfall ein. 
Eine Durchsuchung der Sachen des Mädchens ließ das zweite Päckchen Batten- 
gilt auffioden, woraufhin die Verhaftung erfolgte. Das Päckchen wurde dem 
Berichtersatter von der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung zugesandt, der 
es natürlich sofort zurückschickte mit dem Anheimgeben, es dem oben genannten 
Chemiker zu übermitteln, was geschah. Dieser stellte feBt, daß das 60 g 
schwere Päckchen 40% kieselfluorwasserstoftsaures Natrium enthielt. 

Von den nur spärlich vorhandenen Veröffentlichungen über 
Vergiftungen mit Kieselflußsäure Verbindungen, deren Kenntnis ich 
Herrn Prof. Dr. Klostermann und Herrn Prof. Dr. Schmidt, 
Direktor des hygienischen Instituts, verdanke, ist eine ein¬ 
gehende Arbeit von Kreisarzt Dr. Krauße in Glogau zu er¬ 
wähnen, die er im Zentralblatt für Gewerbehygiene (Juli 1921) 
veröffentlicht hat, anläßlich einer schweren Vergiftung mit 
Mont an in, das ist eine wässerige Lösung von Kieselfluor¬ 
wasserstoffsäure, die, als Abfall- oder Nebenprodukt in der 
keramischen Industrie gewonnen, etwa 28—30 °/ 0 freie Kiesel¬ 
flußsäure enthält und wegen ihrer keimtötenden Eigenschaft 
vornehmlich in der Brauerei- und Brennerei-Industrie zum 
Desinfizieren von Bottichen, Fässern, Schläuchen und Rohr¬ 
leitungen verwandt wird. Ein 13jähriger Knabe hatte aus 
einer diese Flüssigkeit enthaltenden Flasche, im Glauben, es 
sei Schnaps (1), getrunken und war in ganz kurzer Zeit unter 
heftigen Schmerzen und Erbrechen gestorben. — Weiterhin 
haben Kockel und Zimmermann in der Münchener Med. 
Wochenschrift (1920, Nr. 27) eine Veröffentlichung über Ver¬ 
giftung mit Fluorverbindungen gebracht, in der 1 Fall von 
Selbstmord und 2 Mordfälle geschildert werden. Im ersteren 
hatte sich ein 16jähriges Dienstmädchen mit Rattengift„Orwin“, 
vcn dem man ein Paket in ihrem Arbeitsbeutel fand, vergiftet, 
das von Prof. Siegfried als im wesentlichen aus fluorwasser- 
stoffsaurera Natron bestehend festgestellt wurde. Das gleiche 
Gift wurde in den beiden anderen Fällen gefunden. 



Dr. Schwab«: Entgegnung auf den Aufsatz „tJeber Mitwirkung osw.“ 1S1 

Die Obduktion ergab in allen Fällen das Bild des 
schweren Reizzustandes der Magen- und Dannschleimhaut, 
d. h. diffuse Schwellung und Quellung der Magen- und Dünn- 
darmschleimhaut mit Blutungen in dieser und auf ihrer Ober¬ 
fläche, in einem Fall auch HirnOdem. Die Befunde ähneln bis zu 
einem gewissen Grade denen bei der Arsenikvergiftung, unter¬ 
scheiden sich aber von ihnen durch das Vorhandensein von 
ziemlich reichlichen Blutungen auf der Schleimhautoberfläche; 
es fehlen auch die für Arsen charakteristischen umschriebenen 
Schleimhautverätzungen. 

Ueber die tödliche Dosis der Flußsäureverbindungen 
hat Tappeiner Tierversuche angestellt und berechnet sie auf 
0,6 g pro kg Tier. In dem Vergiftungsfall von Krauße mit 
Montanin hat der betreffende Knabe etwa 20 ccm Flüssigkeit 
su sich genommen; da diese 50°/ 0 der wirksamen Substanz 
enthielt, haben 10 g bei einem lebenden Gewicht von etwa 
40 kg, d. h. 0,25 g auf 1 kg Körpergewicht, in kurzer Zeit 
tödlion gewirkt. 

Wir haben also in den genannten Verbindungen hoch¬ 
giftige, sehr gefährliche Substanzen vor uns. Während nun 
die Fluorwasserstoffsäure nach der Verordnung vom 22. Februar 
1906 zu den Giften der Abt. I gehört und nur gegen Giftschein 
verabfolgt werden darf, besteht hinsichtlich der Abgabe ihrer 
Verbindungen bisher keine Verkehrsbeschränkung. Kocke 1 
and Zimmermann haben bereits die Forderung gestellt, die 
Fluorverbindungen wegen ihrer großen Gefährlichkeit dem 
freihändigen Handel zu entziehen der eingangs erwähnte Fall 
und das zu erwartende vermehrte Angebot fluorhaltiger Ratten¬ 
vertilgungsmittel beleuchtet von neuem die Notwendigkeit, 
Mittel jeglicher Art, die Verbindungen der Flußsäure, der 
Kieselflußsäure usw. enthalten, den Vorschriften der Gift¬ 
verordnung zu unterstellen und bei ihrem Gebrauch die größte 
Vorsicht anzuempfehlen. Wenn dadurch auch ihre Verwen¬ 
dung zu Mord- und Selbstmordzwecken nicht ausgeschlossen 
wird, so hat der Staat doch die Pflicht, ihre Abgabe zu er¬ 
schweren, mit gewissen Kautelen zu versehen und das Publikum 
vor schweren Gesundheitsstörungen nach Kräften zu bewahren. 
Hierzu sollten vorstehende Ausführungen erneut anregen. 


Entgegnung auf den Aufsatz „Ueber Mitwirkung 
des Amtsarztes bei der Auswahl der Hebammen“ 

in Nr. 5 — 1922 —. 


Von Heg.- and Medizinalrat Dr. Schwabe-Hannover. 

Die Kritik über meine in Nr. 20 des 34. Jahrgangs dieser 
Zeitschrift geäußerte Ansicht, daß die Prüfung der Anwärte¬ 
rinnen für den Hebammenberuf zweckmäßig in die Provinzial- 
Hebammenlehranstalten in Form einer Aufnahmeprüfung zu 
verlegen sei, ist nach meinem Gefühl reichlich temperament- 



182 Dr. Schwabe: Entgegnung auf den Aufsatz „Ueber Mitwirkung usw. 8 

voll und mit einer wohl in ihrer Schärfe vermeidbaren Apo- 
strophierung meiner Person geübt. 

Sie stützt sich, möchte ich glauben, mehr auf gefühls¬ 
betonte Momente als auf Tatsachen. 

Darum unterstellt sie mir auch die Auffassung, als spräche 
ich den Kreismedizinalbeamten die Fähigkeit von Inteliigenz- 
prüfungen ab. 

Diese Unterstellung ist unrichtig und unberechtigt. Die 
Aufnahmeprüfungs Kommission hatte ich mir in folgender Zu¬ 
sammensetzunggedacht : Vorsitzender der Direktor der Hebammen¬ 
lehranstalt, Beisitzer ein Kreismedizinalrat und der Oberarzt der 
betreffenden Anstalt oder zwei Kreismedizinalräte. Doch das 
nur nebenher. 

Tatsache ist, daß sich seit Jahren die Direktoren der 
Hebaramenlehranstalten über das mehr oder minder ungeeignete 
Hebammenschülerinnen-Material beschweren und dafür die Kreis¬ 
ärzte verantwortlich machen zu müssen glauben. 

Tatsache ist ferner, daß die Kreisärzte kaum je die Schuld 
trifft, sondern daß einmal die besonderen Umstäde, die nicht 
selten in der Präsentation von Anwärterinnen für den Hebammen¬ 
beruf mitspielen, ausschlaggebend sind und daß nicht selten die 
Persönlichkeiten der An Wärterinnen große Schwierigkeiten bieten, 
sich über ihre Hebammenberufseignung ein zweifelsfreies Urteil 
zu bilden. 

Wenn die Herren Kollegen Dr. Seyffarth und Dr. 
Schräder durch Wiederholungen der Prüfungen und Besuche 
am Wohnort der Prüflinge diese Schwierigkeiten ausräumen zu 
können vermeinen, so mag das ja bei ganz besonders gün¬ 
stigen Umständen hier und da möglich sein. Generell halte 
ich das aber für unmöglich nach meinen Erfahrungen in Thüringen, 
in der Rheinprovinz, Pommern und Hannover. In Ostpreußen 
müssen die Verhältnisse ganz besonders günstig liegen und den 
Kreismedizinalbeamten müssen anscheinend die anderen Amts¬ 
geschäfte die erforderliche Zeit zur Verfügung lassen. Die 
Kostenfrage will ich dabei ganz außer Betracht lassen. Unter 
allen Umständen bestreite ich aber auf Grund meiner Er¬ 
fahrungen die Richtigkeit des Satzes: „Ausnahmslos fast wird 
der Amtsarzt sich wohl mehrfach mit der betreffenden Hebammen¬ 
anwärterin beschäftigen.“ 

Ferner: Aufnahmeprüfungen im allgemeinen an Anstalten 
bedeuten doch wahrlich keine utopischen Neuerungen und sind 
doch keinesfalls geeignet, irgendeinen Stand zu mißkreditieren; 
ebensowenig die an Hebammenlehranstalten. Sie würden ganz 
im Gegenteil die Kreismedizinalbeamten von jedem unberech¬ 
tigten Vorwurf eines sich nicht bestätigenden Befähigungszeug¬ 
nisses frei halten und die volle Verantwortung auf die Prüfungs¬ 
kommission, also in erster Linie auf den Direktor der Hebammen¬ 
lehranstalt übertragen. 

Daß aber der letztere in der Beurteilung der besonderen 
Berufseignung der Anwärterinnen im allgemeinen die größere 



Versammlung des Besirksyereins der Med.-Beamten des Reg.-Bez. Aachen. 188 

Erfahrung besitzen wird, kann nur der abstreiten, der bei sich 
selbst die größten Erfahrungen yoraussetzt. 

Mit dieser Aufnahmeprüfung die amtsärztlichen Gemüts- 
sustandsgutachten in Vergleich zu stellen, schießt m. E. weit 
über das Ziel hinaus. Daß übrigens auch der Medizinalbearate 
gelegentlich der größeren Erfahrung des Fachpsychiaters nicht 
entbehren kann, sei nur gestreift. 

Die „vernichtende Kritik“ über meinen Aufsatz in Nr. 20 
des 34. Jahrgangs dieser Zeitschrift — also auch anscheinend 
über das, was ich hinsichtlich der ethischen Gesichtspunkte bei 
Ausgestaltung des Hebammenwesens geäußert habe — in der 
Sitzung des Medizinalbeamtenvereins in Königsberg, noch dazu 
in der Stadt Kants, ist ja schmerzlich für mich. Da ich mich 
aber mit meinen Anschauungen im Kreise der Medizinalbeamten 
nicht isoliert weiß, auch nicht unter den mit mir „ergrauten“, 
und mir bewußt bin, etwa 25 Jahre hindurch die Standes¬ 
interessen der beamteten Kollegen nach Kräften, freilich unter 
dem Gesichtspunkt Salus publica suprema lex, vertreten zu 
haben, so werde ich mich zu trösten wissen. 

Die freundlich-wohlwollende Belehrung, wie ich mich in 
Zukunft bei Veröffentlichung von Fachaufsätzen zu verhalten 
habe, gehört wohl kaum in eine sachliche Kritik. 

Für mich ist diese Angelegenheit hiermit erledigt. 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Versammlung des BesirksVereins der üfdizinalbeamten 
des tteg.-Bez* Aachen am 11. Vebroar 1911. 

Anwesend sind die Herren: Reg.- and Med.-Rat Dr. L o e r c h als Vor¬ 
sitzender, Qeb. Med.-Rat Dr. Wex ans Dören, Reg.- and Med.-Rat z. D. Dr. 
Claaditz, Beigeordneter der Stadt Aachen, die Kreismedizinalräte Dr. 
Herlitziu8,Dr.Peren, Dr.S algend or fl, Dr. Sehr öder, Dr.Stühlen, 
Dr. Wex. 

Med.-Rat Dr. Stühlen legt das Amt als Schriftführer nieder, an seine 
Stelle wird Dr.Peren zum Schriftführer and Dr. Wex zam Protokollführer 
gewählt. 

Bericht des Vorsitzenden über die Vertreter-Versammlung in Berlin am 
12. Dezember 1921 

Der Vorsitzende schlägt als Gebührensätze für die Schiaßdesinfektion 
vor: 60 M. am Wohnort«, 100 M. außerhalb des Wohnortes des Desinft-ktora. 
Med.-Rat Dr. Peren stellt den Antrag, daß die kürzlich von den Landräten 
dem Herrn Regierungspräsidenten Übersandten Aenßerangen über die Besoldung 
der Desinfektoren den Kreismedizinalräten zur Kenntnis und Stellungnahme 
zugesandt werden. 

Nach eingehender Besprechung werden nachstehend aofgeführte Gebühren¬ 
sätze für die nene Gebührenordnung der Hebammen als angemessen und not¬ 


wendig bezeichnet: 

für die Gebnrt bis zu 12 Ständen Daner. 200—600 M. 

für jeden Hansbesnch. 10 , 

Wegegebühren t.ei Bernfsgescbäften außerhalb des Wohnortes 

für den laufenden Kilometer. 2 „ 


Es wird beschlossen, den Herrn Regierungspräsidenten zu bitten, daß er 
auf die Landräte im 8inne der Uebertragnng der Kreiskommunalarztstellen 
auf die Kreimedizisaliäte einwirkt. Alsdann werden die amtliche Gebühren- 






184 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Ordnung und die Dienstanweisung für die Kreisärzte eingehend durch gesprochen 
und Vorschläge gemacht ttber die bei demnächstigem Neuerlaß der Gebühren- 
ordnung und der Dienstanweisung zu treffenden Aenderungen. Es wird 
eine Erhöhung der amtsärztlichen Gebühren im allgemeinen auf das 10 fache 
der Friedenssätze als erforderlich erachtet. Einstimmig sprechen sich die An* 
wesenden dahin aus, daß die gerichtsärztlichen sowie vertrauensärztlichen Ge¬ 
bühren beim Oberversicherungsamt als nicht mehr ablieferungspflichtig bezeichnet 
werden mögen. Die Tertrauensärztlichen Gebühren sind in 2 Kategorien n 
teilen und zwar: 

1. Gebühren für solche yertrauensärztlicbe Amtshandlungen, welche nur der 
Kreismedizinalrat ausführen kann, 

2. Gebühren für solche yertrauensärztliche Amtshandlungen, die unter Um¬ 
ständen auch yon nicht beamteten Aerzten ausgeführt werden können. 

Einzelne Vorschläge bezügl. der Einzelgebühren sollen dem Vorsitzenden 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins eingesandt werden. 

Die Dienstanweisung für die Kreisärzte wird als im allgemeinen auch 
den heutigen Verhältnissen entsprechend bezeichnet Wichtig Ist es, daß in 
der neuen Dienstanweisung die sozialhygienischen Aufgaben des Kreisarztes 
Berücksichtigung finden, ferner, daß die Beaufsichtigung über das Medizinal- 
personal sich nicht nur bezieht auf Aerzte, Zahnärzte, Hebammen, Zahn¬ 
techniker, sowie Kurpfuscher, sondern auch auf das gesamte Krankenpflege- und 
Heilpersonal sowie auf das Fürsorgepersonal. Auch bezügl. der Dienstanweisung 
werden Sondervorscbläge dem Vorsitzenden des Preußischen Medizinalbeamten- 
yereins zugesandt werden. 

Zum Schlüsse der Sitzung werden auf Vorschlag des Vorsitzenden die 
Kreismedizinalräte a. D. Geh. Med.-Rat Dr. Schmitz-Aachen und Geh. Med.- 
Rat Dr.Wex-Düren zu Ehrenmitgliedern des Bezirksyereins ernannt 

Dr. Peren-Aachen. 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

A. Geriohtliohe Medizin. 

Der Nachweis der Zengungsnnfähigkeit. Von Prot Dr. F. Strass¬ 
mann - Berlin. Aerztliche Sach verständigcn-Zeitung, 1921, Nr. 14. 

Zum Nachweis der Zeugungsunfähigkeit — eine Aufgabe, die dem Ver¬ 
fasser neuerdings häufiger yorlag und auf die das Gericht vielfach gar nicht 
verzichten kann — ist es geboten, wie Strassmann ausführt, frisch ent¬ 
leertes Sperma zu untersuchen. Daß zu diesem Zweck der Untersuchte zur 
Ausführung eines masturbatoriscben Aktes veranlaßt wird, hält Verfasser im 
allgemeinen für unbedenklich. Nur bei jugendlichen in der Pubertät befind¬ 
lichen Personen will er hiervon absehen, doch kommen solche Fälle wohl nur 
ganz selten vor. Eine andere Methode ist die, mittels Expression der Samen¬ 
blase vom Mastdarm aus Samenflüssigkeit zu gewinnen. Diese vonFraenkel 
angewandte Methode erfordert aber eine besondere Uebung. 

Aus seiner gerichtsärztlichen Praxis — es handelt sich teils um Ehe¬ 
streitigkeiten, teils um Ansprüche illegitimer Kinder, denen mit dem Entwand 
der Zeugungsunfähigkeit begegnet wurde — führt Verfasser eine Reihe tob 
Fällen an, in denen nach der angegebenen Methode die Untersuchung vor- 
genommen wurde und auch mit größerer oder geringerer Sicherheit ein be¬ 
stimmtes Urteil abgegeben werden konnte. Es genügt eine einmalige, aber 
ganz gründliche Spermauntersuchung, wie Verfasser bemerkt, da rechtlich nicht 
die Zeugungsfähigkeit, sondern die Zengungsnnfähigkeit festgestellt werden muß. 

_ Solbrig. 


Ein Beitrag snm Spermanachweis. Von Dr. G. Strass mann. [Aus 
der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin.] Aerzt¬ 
liche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 11. 

Es wird eine kombinierte Färbung snm Nachweis der Samenfäden, be¬ 
sonders zum raschen Aufsuchen im Vaginalinhalt, empfohlen, die regelmäßig 
gelingen soll und nicht mehr als 10—20 Minuten beansprucht. Die Methode 
besteht in der Kombination der von Baöcchi an g e gebenen mit der Gram- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


185 


färbung. Die 8permatozoenköpfe erscheinen danach violett, die Schwänze 
bläulich, die Epithelzellen gelbbraun. Am Vaginalinhalt, der wochenlang ein¬ 
getrocknet war, gelingt dieser Nachweis noch, während andere, bisher an¬ 
gewandte Methoden hierbei im 8tich lassen. Solbrig. 


Die Yergiftungsgefahr bei Verwendung des Baryums als Kontrast¬ 
mittel Ar Röntgendurchleuchtungen. Von Medizinalrat Dr. Aust und Chef¬ 
arzt Dr. Krön in Nauen. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 12. 

Ein in der Praxis vorgekommener Fall lehrt, daß das als ungefährlich 
hingestellte Baryumsulfat, das statt des giftigeren Wismut als Kontrastmittel 
bei Röntgendurchleuchtungen dem Magen einverleibt wird, tatsächlich ge¬ 
fährlich ist. Der betr. Patient, der im allgemeinen gesund und arbeitsfähig 
war, ging 24 Stunden nach Einverleibung des Mittels (100 g) zu Grunde. 

' Es ist also vor dem weiteren Gebrauch dieses Kontrastmittels zu warnen. 

8olbrig. 

Beitrag zum gerichtsärztlichen Studium des Todes durch Ueber* 
fahrenwerden. Von Dr. R. Romanese. (Aus dem gerichtsärztlicben Institut 
der Universität Turin). Archivio di Antropologia criminale eto. 1920, Heft 5 u. 6. 

150 im genannten Institut untersuchte Fälle, davon 67 sichere Selbst¬ 
mord-, 81 (Jngl&ck8fälle, werden den Ausführungen zugrunde gelegt. Einige 
gute photographische Abbildungen dienen zur Illustration. 

Aus den Schlußfolgerungen sei folgendes wiedergegeben: 

1. Das Ueberfahrcnwerden ist ein kompliziertes Ereignis. Man muß den 
Komplex der traumatischen Vorgänge ins Auge fassen und darf nicht nur den 
Augenblick des Ueberfahrens in Betracht ziehen. 

2. Unter den verschiedenen traumatischen Vorgängen kommen, vielfach 
mit einander kombiniert, oft auch unter Fehlen des einen oder andern Momentes 
vor: Stoß, Hinschleudern auf die Erde, Schleifen, Fortreißen. Entscheidende 
Momente sind seitens des Vehikels: Form, Gewicht, Schnelligkeit, seitens des 
Erdbodens: Elastizität, Schlüpfrigkeit, Obei flächen Verhältnisse, seitens des 
überfahrenen Körpers: Alter, Skelettbescbaffenbeit, Bekleidung. 

3. Für die Diagnose kommen die einzelnen Phasen in Betracht. Das 
Vehikel selbst ist oft nicht zu ermitteln, seine Kraft, Schnelligkeit und die 
Form der Räder ist aber zu eruieren. Die Differentialdiagnose zwischen Selbst¬ 
mord und Unfall ist nur dann leicht zu stellen, wenn die erste Berührung 
zwischen Wagen und Körper mit der Phase des Geschleiftwerdens zuBammenfällt. 

Oft weichen in der Praxis die Vorgänge von den aufgestellten Typen ab, 
so daß die Feststellungen sehr erschwert werden. Solbrig. 


Gerichtsärztliches Studium über den zufälligen Tod durch Ueber* 
fahrenwerden. Von Dr. A. Cazzaniga-Florenz. (Aus dem gerichtsärzt¬ 
lichen Institut zu Florenz). Archivio di Antropologia criminale etc. 1920, 
Heft 6 und 6. 

Verfasser gibt eine ausführliche Darstellung dieser nicht seltenen, aber 
bisher literarisch noch nicht hinreicbend gewürdigten Todesart, die geriebts- 
ärztlich von Bedeutung ist. Im besonderen werden 100 im genannten Institut 
beobachtete Fälle verarbeitet. 

Das kindliche und das Greisenalter liefern die meisten derartigen Unglücks¬ 
fälle. Es kamen vor: 34 Fälle durch Ueberfahren durch Eisen- und Straßen¬ 
bahn, 28 mal waren es Automobile, 20 mal Wagen, die von Tieren gezogen 
wurden, 10 mal Fahrräder, die das Ueberfahren bewirkten. Am häufigsten 
wurde der Schädel verletzt, danach Brust und Bauch. In drei Fällen fehlte 
jede Spur äußerer Verletzung, in 46 Fällen waren nur oberflächliche äoßere 
Verletzungen sichtbar und nur in 20 Fällen handelte es sich um ausgedehnte 
äußere Verletzungen. Knochenbrüche überwogen, sie kamen 91 mal zur 
Beobachtung. 

Als unmittelbare Todesursache sind zu unterscheiden: Cbok (direkt oder 
reflektorisch), Hämorrhagie, septische Komplikationen, ln 20 Fällen trat der 
Tod unmittelbar ein, innerhalb der ersten 24 Stunden in 29 Fällen. 

Bei Verletzungen durch langsam fahrende Wagen ist es häufiger mög- 



186 


Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften. 


lieh, an ekcbymotisohen Streifen, entsprechend dem Gewebe der Kleidang, das 
Zustandekommen der Verletzungen za erkennen. Im übrigen kommen alle 
möglichen Variationen bei diesen Verletzungen vor. 

Für die gerichtsärztliche Diagnose des Ueberfahrenwerdens sind deshalb 
die anatomischen Veränderungen nicht ausschlaggebend, vielmehr ist es erforder¬ 
lich das Vehikel, das die Verletzungen herbeigeführt hat, zu identifizieren and 
den Vorfall möglichst epikritisch za rekonstruieren. Den Aassagen des Wagen¬ 
führers wie aach etwaigen Zeugen des Unfalls gegenüber ist Vorsicht am 
Platze. Solbrig. 


Hämorrhagische Diathese nach Kohlenoxydvergiftuiig. Von Priv.- 
Doz. Dr. Müller-Hess. (Aus dem Institut fnr gerichtliche Medizin in 
Königsberg Pr.). Aerztliche ßachveratändigen-Zeitnng, 1920, Nr. 23. 

Müller-Hess lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nachkrankbeiten, die 
sich an glücklich überstandene akute Kohlenoxyd-Vergiftungen anschließen 
können und speziell auf eine Nachkrankheit, die bisher wenig bekannt ist nnd 
deshalb leicht übersehen werden kann. Es ist dies die „hämorrhagische Diathese*. 
Verfasser ist in der Lage, die spärliche Literatur über diesen Gegenstand 
— es sind bisher 5 Fälle bekannt gegeben, über die knrz berichtet wird — 
durch genauere Schilderung von 3 Fällen zu bereichern. 

Im 1. Falle handelte es sich um die Erkrankung einer BüroangesteUten, 
die in einem kleinen, schlecht gelüfteten, überfüllten Kassenraum bei schlecht 
brennenden Gaslampen arbeitete und an Schwindelgefühl, Herzbeschwerden, 
psychischen Störungen und Hautblutnngen erkrankte. Die ersten Gutachter 
hatten Hysterie angenommen und Dienstbeschädigung verneint. Andere Sach¬ 
verständige, darunter auch pharmakologische, ksmen zu dem Ergebnis, daß in 
dem fraglichen Arbeitsraum CO in der Loft festzustellen war. Das Gutachten 
lautete demnach: Dienstunfähigkeit infolge CO-Vergiftung. Im Verlaufe der 
länger dauernden ärztlichen Behandlung zeigten sich wieder holt feinste bis 
linsengroße Hautblutnngen. 

Der 2. Fall betraf einen 37jährigen Beamten, der bewußtlos im Bette 
gefunden war, nachdem er bei einer Gaslampe gelesen batte, die nachis aua- 
gegangen war. Das Bewußtsein kehrte erst am folgenden Tage wieder, es 
bestanden Halluzinationen und vom vierten Tage ab traten Hautblatungen 
an verschiedenen Körperstellen auf. Geistige Trägheit, Kopfschmerz und 
Hautblutungen bestanden noch nach Jahren. 

Im 3. Fall handelte es sich um ein Neugeborenes, das die uneheliche 
Matter heimlich geboren und lebend in einen Bauchfang gesteckt batte. Aus 
letzterem wurde es lebend, schwarz wie ein Mohr nach einigen Standen heraao- 
gezogen. Es starb 12 Tage alt. Die Sektion ergab Blutergüsse unter der 
Haut und in verschiedenen Organen. Da zugleich Ikterus nachzuweisen war, 
hatte man anfangs an Phosphorvergiftnng gedacht. Es ist aber nicht zweifel¬ 
haft, daß auch dieser Fall zu den CO- (bezw. Bauchgas-) Vergiftungen ztt 
rechnen ist 


Es ist anzunehmen, daß anhaltendes, mehrstündiges Einatmen von kleinen 
Mengen Kohlenoxydgas eine schädigende Wirkung auf das Gewebe nnd die 
Blutbeschaffenheit zurückläßt und dadurch eine Leuchtgasvergiftung gefährlich 
macht _ Solbrig. 


Wann tribt sich die Cornea aach dem Ted! Von Dr. med. et phIL 
F. Kanagiesser in Braunfels. 

Das folgende Phänomen nahm ich an dem Kadaver eines erhängten 
Greises wahr, der im März in eiskaltem Wud wohl etwa sieben Standen im 
Freien gehangen hatte. Die Hornhaut der halb geschlossenen Augen war nicht 
die Spur getiübt, sondern durchsichtig klar, obwohl ich das Trübwerden der 
Cornea bei einem Apoplektiker, der auf einem Schiff in der Seeböbe der West* 
kirnte von Marokko im Dezember starb, schon alsbald nach der Agonie beobachten 
konnte. Vibert bemerkt in seinem Präcis de KäJecine legale (Paris 1886): 
„Au moment de la mort et quelqueiois 1* agonie, les yeux perdent leor 
öclat, leur aspect brillant cela rillte de le formatioa sur la corale d’ uae 
couche que 1* ob a appel£e la tolle glaireuse et qai eet coaatitade sanout par 



Kleinere Mitteilungen und Referate ras Zeitschriften. 


187 


I* öpHhölhun mmolli.* Räuber schreibt in seiner Anatomie (TI. 1898 p. 701): 
»Nach dem Tode trübt sich die Hornhaut allmihlich, teils infolge der Trübung 
Ihres Epitbeb, teils infolge der Qaellung ihrer Sabstans durch das Kammer- 
Wasser.* E. y. Hofmann (Lehrb. d. gericbtl. Medisin 1887 p. 80») sagt: 
„Das Auge büßt meist schon gleich nach dem Tode seinen Glans ein, und 
später trübt sich die Cornea. Bei geschlossenen Augenlidern ist der Vorgang 
ein langsamer.* (u. p. 843): „Es kann die Cornea mitunter laoge durchsichtig 
bleiben; so fanden wir bei eiuem Mann, der sich im Winter in einem offenen 
Keller erhängt batte und erst nach 20 Tagen gefunden wurde, das Auge noch 
vollkommen frisch.* Nach einer gütigen Mitteilang des Herrn Priyatdosentea 
Dr. E. Wölfflin (Basel) tritt die postmortale Trübung der Cornea gewöhn¬ 
lich nach ein paar Stunden ein, es hinge dies im spesiellen ab von der Jahree- 
seit und auch von dem Alter des Patienten. 


Ueber Sterbehilfe. Von Dr. med. et phil. F. Kanngiesser (Braunfeb). 
Ohne irgendwie au der von Herrn Kollegen Heyn aufgeworfenen Frage 
(s. diese Zeitschr. 1921, Nr. 14 und 15) Stellung su nehmen, und swar ledig¬ 
lich wegen der Schwierigkeit des Problems, über das lotsten Endes von Fall 
su Fall und m. E nicht allgemein entscheidbar ist, möchte adnotationis causa 
auf folgendes verweben. 

1. Valerius Mazimus IL 6. 7.: „Man hat in Marseille Gift, das mit 
Schierling yermbcht ist, in öffentlicher Verwahrung. Man reicht es dem¬ 
jenigen, der einem von dem Rat der Sechshundert (stichhaltige) Gründe angeben 
kann, weshalb er den Tod sich wünsche.* 

2. Heyn schreibt (1. c. p. 275): „Diagnostische Irrtttmer werden sich 
also mit vollständigster Sicherheit vermeiden lassen.* Vgl. hierin, was Schleich 
in seinen Lebenserinnerungen (ref. F.Z. 25. XI. 1920) berichtet. Bergmann 
stellte 1888 eben Kranken vor, bei dem er wie Frankel laryngoskopbch 
und mikroskopisch die Diagnose auf Kehlkopfkrebs gestellt hatten. B. operierte, 
um su zeigen, wie er hier lebensrettend wirken könne, während man ihn bei 
Kaiser Friedrich daran verhindere. Während der Operation entpoppte 
sich die Fehldiagnose; es lag eine diffuse Tuberculose des Laryux vor. Zwei 
Stunden später war der Patient tot. Aber es können nicht nui Zelebritäten, 
sondern sogar Konsilien irren. Und wie oft stand mancher allein mit seiner 
wie die Zukunft ergab richtigen Ansicht gegen die Mebung der Masse (auch 
die der Gelehrten). 

8. Heyn schreibt ferner (p. 261): „Da die gewaltsamen gröberen Todee- 
arten selbstverständlich außer Betracht bleiben müssen, bleibt nur die Anwen¬ 
dung von Gift übrig. Der modernen Chemie stehen aber so viele sicher und 
schmerzlos wirkende Mittel (Opiumpraeparate, Harnstoffabkömmlinge, Chloral- 
bydrat, Blausäure u. a) zur Verfügung, daß die 8terbehilfe jeden falb an dieser 
Frage nicht zu scheitern braucht.* Und doch bt gerade diese Frage eine der 
schwierigsten; denn m. E. gibt es mit zuverlässiger Sicherheit schnell und 
schmerzlos wirkende Euthanatica bb jetzt noch nicht. Der Verlauf und die 
sog. tötliche Dosis bei einer Vergiftung bt großen bdividuellen Schwankungen 
unterworfen. In der Symptomatologie sei nur an die Praekordialangst, die 
furibunden Delirien und an die Fälle erionert, wo trotz bitterster Qualen das 
Bewußtsein bb kurz vor dem Tode erhalten blieb. „Opium sedat, opium 
mehercule minime sedat.* 

4. In dem Altersheim ebes niederösterreichbchen Ortes verübte ein 
56 jähriger Pflegling Selbstmord, indem er sich ein langes Messer ins Hers stieß; 
er war schwer krank und beging die verzweiflungsvolle Tat, obwohl er sich 
in sterbendem Zustand befand. (Braunfeber Anzeiger, 4. V. 1921.) 

Wenn, wie Heyn richtig bemerkt, die Literatur über Sterbehilfe eine 
im Vergleich zur Sache auffallend geringe bt, so bt daran m. E. teib die 
Scheu schuld, sich in Widerspruch zu einer staatlichen oder staatskirchlichen 
Auffassung zu setzen. Meine Meinung geht lediglich dahin, daß es schwierig 
ist, generelle Bestimmungen über Dinge su formulieren, die in höchster 
Instanz vor dem Tribunal des Gewissens su erledigen sind. 



188 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


B. Gerlohtllohe Pnyohlntrle. 

Ein Fall von Notzucht an einem Hypnotisierten. Von Generals taate- 
anwalt Dr. Höpler-Wien. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1921, Nr.4. 

Schilderang eines sicher erwiesenen Falles, bei dem ein 17jähriges 
— nicht unbescholtenes — Mädchen nach Hypnotisierung von zwei jangen 
Männern, bei denen später Neurasthenie bezw. degenerative Defekte sich fest¬ 
stellen ließen, vergewaltigt wurde. Der Nachweis gelang dadurch, daß durch 
Sine neue Hypnose die Genotzücütigte in den Stand gesetzt wurde, eine genaue 
Schilderung des Vorgangs zu geben, woza sie vorher bei völliger Amnesie nicht 
fähig gewesen war. Es erfolgte Verurteilung. Solbrig. 


Aetherlsmus und Kriminalität. Von Dr. Amaldi-Florenz. Archivio 
di Antropologia criminale etc.; 1921, H. 2. 

Neben Morpbinismus und Kokainismus findet in Italien auch der Aethe- 
rismus Verbreitung. Der hier ausführlich beschriebene Fall betrifft einen 
Offizier, der zehn Jahre lang regelmäßig Aethef (bis zu 160 g pro die) teils 
durch Inhalation, teils per os zu sich genommen hatte und eines Tages kriminell 
wurde (versuchter Betrug). Die Beobachtung in der Irrenanstalt ergab keine 
besonderen Abweichungen. Es wurde aber verminderte Zurechnungsfähigkeit 
angenommen, und zwar mit Rücksicht auf erbliche Belastung und die psychi¬ 
schen Störungen, die der Aethergenuß notorisch zur Folge hat und die auch 
bei dem Untersuchten früher beobachtet wurden (Gedächtnisstörungen, morali¬ 
sche Defekte). _ Solbrig. 


O. Baohverständigentätlgkeit ln Unfall-, Invalidität«- and 
Krankenversioherungssaohen. 

(Jeher Hernla dlaphragmatlca. Von Reg.- und Med.-RatDr. Lehmann- 
Düsseldorf. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921. Nr. 18. 

Ein junger Soldat wurde im Felde mit schwerer Quetschung nach Ver¬ 
schüttung ins Lazarett eingeliefert und starb danach sehr schnell. Bei der 
Obduktion wurde neben der Todesursache (Beckenbruch mit Komplikation) das 
Vorhandensein einer alten — angeborenen? — Zwerchfellhernie festgestellt, 
indem der größte Teil des Magens und ein Teil der Leber durch eine etwa 
Fünfmarkstück große Oeffoung des Zwerchfells in die Brusthöhle hineinragtaa. 
Außerdem war Kleinheit des Herzens und Kryptorchismus vorhanden. Ob der 
abnorme Befand, der zweifellos eine Seltenheit darstellt, in vivo irgendwelche 
Erscheinungen verursacht hatte, ließ sich nicht feststellen. Solbrig. 


Ela Fall voo Schüttellähmung (Paralysis agttans) nach plötzlichem 
Schreck. V on Nervenarzt Dr. Hebestreit - Leipzig. Aerztl. Sachverständigen- 
Zeitung, 1921, Nr. 12. 

Eine erblich nicht belastete ländliche Arbeiterin von 60 Jahren, die 
14 Kinder geboren hatte, angeblich immer etwas nervenschwach gewesen war, 
ohne indes in ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt zu sein, erkrankte plötzlich 
infolge eines heftigen Schrecks an typischer Schüttellähmung. Eine gewisse 
Disposition nimmt Verfasser als vorliegend an, da er es für ausgeschlossen 
hält, daß eine solche Erkrankung bei vollständig gesunden Körper- und Nerven- 
verhältnissen eintreten kann. _ Solbrig. 


Die Elektrographte des Herzens und ihre Bedeutung für die Ver¬ 
sicherungsmedizin. Von Dr. S a c h s - Berlin. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 
1921, Heft 1. 

Der Versicherungsmedizin muß aus der Elektrokardiographie zwiefacher 
Nutzen erwachsen. Einmal vermag dieses diagnostische Hilfsmittel bisweilen 
dort Klarheit zu bringen, wo bereits andere klinische Untersuchungsmethoden 
Verdacht erweckt hatten. Andererseits, und was weit häufiger und wertvoller 
ist, wird das Elektrokardiogramm im Einzelfall den exakten und ausschlaggeben¬ 
den Beweis dafür liefern können, daß eine alarmierende Arhythmie zweifels¬ 
ohne harmloser Art ist und ihren Täger nicht belastet. Dr. Wolf-Cassel. 



11|WI i 1 i I j Ml Will « 


189 

Mttttiidrt fiMetnUIgkeltea des elektrischen UnfkHes. Von Dr. 
Jeeg er •Zürich. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, Nr. 8. 

In der Schweiz besteht eine absolute Zunahme der jährlich verkommen¬ 
den Unfälle. Nach den vorliegenden Zahlen haben Niederspannung! - und 
Hochspannungsunfälle die gleiche Mortalität Oer irrtümlichen Anschauung 
von der Ungefährlichkeit der Niederspannung ist energisch entgegenzutreten. 
Die Niedetspannungstodesfälle, besonders durch Handlungen mit gewöhnlichem 
Beleuchtungsstrom, häufen sich. Es verdient endlich Gemeingut zu werden, 
daß unter gewissen Bedingungen, nämlich bei großen Berührungsflächen und 
stark reduziertem Kürperwiderstand („nasses Milieu“, Schweiß), die gemeinhin 
als ungefährlich bezeichneten Spannungen der Lichtleitung usw. lebensgefähr¬ 
lich werden können. In der Praxis hat jeder technisch verwendete Strom unter 
gegebenen Umständen als lebensgefährlich zu gelten. Der Selbstmord durch 
Elektrizität ist im Zunehmen begriffen. Die Differentialdiagnose von elektrischem 
Unfall und elektrischem Suicia verlangt erhöhte Beachtung. Die Schuldfrage 
beim elektrischen Unfall ist statistisch nicht genau zu fassen; die Subjektivität 
des Beurteilenden spielt eine große Bolle. Es besteht eine Häufung der 
elektrischen Unfälle in den Sommermonaten Juni, Juli, August Diese ist durch 
meteorologisch-physikalische und meteorologisch-biologische Faktoren (erhöhte 
Ermüdung, Schweißbildung) zu erklären. Unfälle an Schwachstromanlagen 
sind in der Schweiz so gut wie unbekannt. Auch hierin ist die günstige 
Wirkung der Gesetzgebung über die elektrischen Anlagen und die getroffenen 
Schutzmaßnahmen zu erblicken. Dr. Wolf« Cassel. 


Tagesnachrichten. 

Atu d«m Hauptaussohuss des Belohstages. Am 18. März d. Ja. 
wurde im Hauptausschuß des Reichstages gelegentlich der Fortsetzung der 
Berittung über den Haushalt des Beichsmiusteriums für Volksgesundheit bei 
der Aussprache über das Beicbsgesundheitsamt seitens des Abg. Dr. Moses 
(U. Soz.) der Antrag gestellt sobald als möglich, ein selbständiges Reichs« 
mbltutertnm für Volksgesundheit unter fachmännischer Leitung einzurichten. 

Der Berichterstatter, Abg. Dr. Schreiber (Z.) widersprach diesem An¬ 
träge und erklärte es für zweckmäßig, das Reichsgesundheitsamt, das 
sdine Aufgaben glänzend erfüllt habe, wie durch seine wissenschaftlich ehren¬ 
volle Vergangenheit bewiesen sei, beim Beichsministerium zu belassen. 

Dagegen verlangte Abg. Dr. Grotjan (Soz.) ebenfalls, eine Reichs- 
zehtralbebürde für die Öffentliche Gesundheitspflege zu errichten, und zwar 
durch Ueberführung des Beichsgesundheitsamtes in das Reichsarbeitsministerium 
und seine Umgestaltung aus einer Untersuchungs- und Gutachterstelle zu 
einem Verwaltungsamt. Dies sei notwendig, da nicht mehr wie früher die 
Gesundheitspflege in Deutschland durch Preußen in der Hauptsache gefordert 
werde. Inzwischen hätten sich diese Verhältnisse dermaßen geändert und 
wäre durch das Beicbsgesundheitsamt namentlich auf sozial-hygienischem. Ge¬ 
biete nichts Genügendes geleistet, wie überhaupt die Ergebnisse des Beichs¬ 
gesundheitsamtes im wissenschaftlichen Sinne nur sehr bescheiden seien. 

Die Abgg.Dr. Mumm (D. Nat) und Koch (Dem.) wandten sich gegen 
die beantragte Neuorganisation, da sie bei erheblichen Kosten wenig Nutzen 
verspreche. 

Der Reichsminister des Innern, Dr. Küster, widersprach gleichfalls 
dem Anträge auf Schaffung eines Gesundheitsministeriums. Auf Zentralisierung 
drängten zwar die Aufgaben der sozial-hygienischen Fürsorge, trotz aller 
finanziellen Note, aber jetzt sei der Zeitpunkt noch zu früh. Im übrigen habe 
das Beichsgesundheitsamt außerordentlich viel auf dem Gebiete gesetzgeberischer 
Initiative geleistet, was naturgemäß der Oeffentlicbkeit vielfach verborgen 
bleibe. Zurzeit seien folgende Gesetze in Vorbereitung: 

Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Gesetz zur Aendeiung 
des Weingesetzes, Tuberkulosegesetz, Nahrungsmittelgesetz, Irrengesetz, Beichs- 
apdthekengeeetz, Feuerbestattungsgesetz, Abwässergesetz, Gesetz gegen Alkohol- 
dnßbraucb, Fleisch benchaugeeetz, Prüfungsordnungen für Aerzte, Tierärzte und 



190 Tagesnachrichten. 

Nahrungschemiker, Krankenpflegegesetz, Säuglingssterblichkeit, Tuberkulone- 
fonds and Alkobolfonds. 

Der Minister erklärte, dem Reichstag eine Denkschrift Torlegen su 
wollen, in der nnter Würdigung der hier Torgebrachten Gesichtspunkte, Vor¬ 
schläge über eine eventuelle Um Organisierung des Reichsgesundheitsamtes ge¬ 
macht werden sollen. Der Präsident des Keicbsgesundheitsamts Bumm ver¬ 
wahrte sich gegen die Angriffe auf das Reicbsgesundbeitsamt. Er machte 
darauf aufmerksam, daß die Verwaltungsmaßnahmen in der Gesundheitspflege 
ausreichend seien, was schon daraus hervorgehe, daß Tuberkulose, Pocken, 
Typhus, Ruhr und Geschlechtskrankheiten in Deutschland nicht stärker ver¬ 
breitet seien, als in Frankreich, Italien usw. Noch niemals seien Seuchen in 
so geringem Maße einem ungeheurem Kriege, wie dem Weltkriege gefolgt. 
Daß die wissenschaftlichen Arbeiten des Reichsgesundheitsamtes erfolgreich 
gewesen seien, werde dadurch bewiesen, daß hier der Tuberkelbacillus und 
der Erreger des Syphilis entdeckt wurden. Kürzlich sei es auch hier gelungen, 
den Erreger der Maul- und Klauenseuche zu züchten und damit die Basis für 
die Immunisierung der Tiere gegen diese Seuche zu finden. 

Abg. Dr. Grotjan (Soz.) betonte, niemals die ruhmvolle Vergangen¬ 
heit des Reichsgesund beitsamtes bestritten zu haben; jetzt aber seien neue 
Aufgaben, weniger auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung als auf dem sozial- 
hygienischen Fürsorgewesen zu lösen. Er beantragte, daß seitens der Reichs- 
regierung Vorarbeiten veranlaßt werden für eine Umgestaltung der 
Schutzpockenimpfung im Sinne der Einführung der Gewissens- 
klausel und der Haftpflicht des Reiches für nachgewiesene Impfschäden, 
sowie der Aufhebung der Wiederimpfang. 

Der Haaptau8scbuß lehnte diesen Antrag ab. 

Ein Antrag des Abg. Dr. 8chreiber (Z.) über die Vorlegung einer 
Denkschrift und über die Gesamtaufwendungen des Reiches und der Länder 
für die bestehenden Organisationen in der Tuberkulosebekämpfung wurde 
angenommen. Zur Förderung der Bekämpfung des Typhus wurden 
760 000 M. bewilligt. Als Beitrag zu den Unterhaltungskosten einer Anstalt 
für die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit wurden 2 Millionen 
Mark gewährt, ein gleicher Betrag für die Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit und für die Kleinkinderfürsorge im Deutschen Reich. 
Zur Bekämpfung der Tuberkulose bewilligte der Hauptausschuß 8 Millionen M. 

Also das gleiche Bild wie im Vorjahre in der Sitzung des Reichstages 
am 16. März (vgl. diese Zeitschrift 1921, S. 129). Die Linksparteien beantragen 
die Schaffung eines eigenen Reichsgesundüeifrminisieriums, die anderen Parteien 
sind dagegen und der Herr Minister verweist auf das Reichsgesundheitsamt, 
von dem eine Fülle von gesetzgeberischen Arbeiten geleistet sei, während noch 
eine große Menge von Gesetzen in Vorbereitung sei (wie lange aber schon! 
und wie lange noch!) Immerhin eine leise Hoffnung auf eine dermaleinstige 
Verwirklichung des Reichsgesundheitsministeriums, das zu fordern die Medi¬ 
zinalbeamten nicht müde werden düifen. Aus den Worten des Herrn Ministers 
geht diesmal hervor, daß die Zentralisierung der mannigfachen Aufgaben als not¬ 
wendig anerkannt wird, nur sei der Zeitpunkt zur Durchführung noch verfrüht! 


Gültigkeit des Altersgrensengesetzes. Die mit Spannung erwartete 
höcbBtgerichtliche Entscheidung über die Berechtigung der Zwaogspensionierong 
ist eingetroffen: Das Reichsgericht hat unter dem 14. März diese Berechtigung 
anerkannt. Nach Ansicht des erkennenden Senats verstößt das preußische 
Altert>gre»zengesetz nicht gegen die Reichsverfassung und ist rechtskräftig. 
Die Verpflichtung des 8taates gegenüber den Beamten bestehe darin, diese und 
ihre Familien standesgemäß zu unterhalten, die Vergütung spalte sich dabei 
in Amtsgebalt und Ruhegehalt. Der Ausdrack „lebenslänglich“ dürfte also 
nicht wörtlich genommen werden. Der Staat kann auch wohlerworbene 
Rechte einschränken oder anfheben. und zwar mit oder ohne 
Entschädigung, denn die Wurzel allen Rechtes ist die Macht 
des Staates. Die Beamten haben kein wohlerworbenes Recht darin, daß 
die Frage, wann die Dienstunlähigkeit eintritt, lediglich au beurteilen sei nach 



Tageinachrichten. 


191 


individuellen und persönlichen Gesichtspunkten. Maßgebend ist das 
Interesse der Allgemeinheit, und dieser dient das Altersgrenzengesetz, 
da es dem Nachwuchs den Aufstieg in höhere 8tufen ermöglicht. 

Hiernach gilt es also für die von dem Altersgrenzengesetz Betroffenen 
■ich in das Schicksal zu finden! 


Eue neue ärztliche Gebührenordnung ist in Preußen unter dem 
16. Mira erlassen, die mit dem 1. April in Kraft tritt. Gegenfiber den Friedens* 
Sätzen ist durchschnittlich eine 10 fache Erhöhung eingetreten (Beratung eines 
Kranken beim Arzt 10—200, Besuch des Arztes beim Kranken bei Tage 20 bis 
400 Mark). Die Gebührenordnung wird in der „Volkswohlfahrt* veröffentlicht 
werden. 


Nachruf. Ein schmerzlicher Verlost bat wiederum uns Medizinalbeamte 

g etroffen. Am 20. März starb nach kurzem schweren Leiden im 70. Lebensjahr 
[. Geh. Med.-Rat Dr. Räuber, Reg. u. Med.-Rat a. D. in Erfurt Der Verstorbene 
war lange Jahre Mediziualbeamter und hat als solcher in den verschiedenen 
Orten nnd Stellungen hervorragend gewirkt; erst vor einem Jahr schied er aus 
dem Amt Den Medizinalbeamten des Bezirks Erfurt war er lange Jahre 
hindurch ein wohlwollender Freund und Berater. Ein „treuer deutscher Mann* 
ist mit ihm dahingegangen, wie aus seinem ersten Wirkungskreise Nordhausen 
gerttbmt und betrauert wird. Für unsere Zeitschrift hat er wiederholt wert¬ 
volle Beiträge geliefert. Jedem ist seine „Zusammenstellung der gesetzlichen 
Bestimmungen* pp. ein unentbehrliches Nachschlagebuck geworden Räubers 
Andenken hoch in Ehren zu halten, wird uns eine selbstverständliche Pflicht sein. 


Todesfall. In Hamburg starb der bekannte Professor der Bakteriologie 
und Direktor des hygienischen Instituts der Universität Dr. William Dunbar 
im Alter von 59 Jauren. Seine Verdienste um die Hygiene — wir erwähnen 
nur seine Forschungen über die Epidemiologie der Seuchen, seine Leistungen 
auf dem Gebiete der Abwasserreinigung — werden unvergessen bleiben und 
sichern dem zu früh Verstorbenen ein ehrenvolles Andenken besonders auch 
unter den Medizinalbeamten. 


Prcussischer Medizinal beamten-Verein. 

XXXIII. Hauptversammlung 

und 

U. Vertreterversammlung. 

Tagung am 27., 28. und 29. April 1922 in Magdeburg, 

Gesellschaft Harmonie, fiaiserstraße 64, beim Museum. * 
Tagesordnung: 

Mittwoch, den 26. April, Begrfissungsabend mit Damen um 8 Uhr 
in der Harmonie und Vorstandssitzung, zu welcher noch besondere Ein¬ 
ladungen an die Vorstandsmitglieder erfolgen. 

Erster Sitznngstag: 

Donnerstag, den 27. April, 9 Uhr vormittags: Vertretertag in 
der Harmonie. 

1. Geschäfts- und Kassenbericht, Prüfung der Rechnungen, Beratung bezw. 
Festsetzung des Jahresbeitrages und Wahl eines besonderen Kassenffihrers. 

2. Aenderung einiger Bestimmungen der Satzungen in §§ 9, 12 und 15. *) 


*) Die §§ 9 und 12 der Satzungen, in denen einmal Vertretung des Ver¬ 
eins durch alle 5 Vorstandsmitglieder, dann nur durch Vorsitzenden und 





IM TagCiüBehrichtetf. 

3. Aussprache übet* die wirtschaftliche Lage und amtliehe tfiflp 

Medizinsibeamten. 

4. Mitteilangen and Vorberfttang von Anträgen.*) 

8 Uhr nachmittags: Mitgliederversammlimg in der Harmonie; 

1. Ueber Gebartsschädigungen der Neugeborenen. Berichterstatter: Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Puppe, Breslau. 

8s Die Dienstanweisung für die Kreis- und Gerichtsärzte. Berichterstatter ; 
Kreisarzt Dr. Wollenweber, Dortmund, Med.-Bat Dr. Franz, Löfseh 
and Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslaa. 

3. Geschäfts- und Kassenbericht, Bericht der Bechnungsprüfer, Entlastung 
des Kassenfttbrers. Wahl eines besonderen Kassenfahrers, Festsetzung des 
Jahresbeitrages. 

4. Allgemeine Aussprache über die amtliche Stellung und wirtschaftliche 
Lage der Medizinalbeamten, Stellung zu den Beamtenverbänden. 

8 Uhr: Gemeinsames Essen im Bestaurant Harmonie. 

Zweiter Sitzungstag. 

Freitag, den 28. April, vormittags 10 Uhr in der Harmonie. 

1. Die gesetzliche Neuregelung der amtsärztlichen Gebühren. Berichterstatter: 
Medizinalrat Dr. Bogowski, Berlin. 

2. Kreisarzt und Fürsorge. Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Huebner- 
Waldenburg. 

3. Mitteilungen. Verschiedenes. 

Nachmittags 4 Uhr: Weitere Vorstandssitaung. 

Dr*. Wöllenweber, Dr. Bundt, 

Schriftführer. Vorsitzender. 

Schriftführer festgesetzt wird, müssen auf Forderung des Amtsgerichts Berthe 
Mitte, bei dem die Eintragung der Satzungen beantragt ist, in Uebewtm* 
Stimmung gebracht werden. 

Die Belastung des Landesvereins mit den Kosten der V. T. ist ohne ge¬ 
waltige Erhöhung der Beiträge nicht möglich. 

a) Antrag Wollen Weber auf Aenderung des § 15: „Die Bezirlovereiao 
trägen die Kosten ihrer Vertreter auf den Vertretertagen." 

b) Antrag Bogowski: „Der Landesverein und die BezirkävereiSer tragen 
die Kosten der Vertretertage je zur Hälfte." 

Es wird gebeten, im Hinblick auf die finanzielle Lage des Vereins, von 
der Bestimmung der Satzungen, wonach 1 Vertreter mebrere Stimmen aus 
seinem Bezirk-übernehmen kann, Gebrauch zu machen. 

*) Anträge Bogowski: 

1. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Herrn Miniftteh d Hk 
Antrag, daß dort, wo die Begierungspräsidenten den Kreisärzten das 

* Halten eines Telefons im dienstlichen Interesse auferlegen, die Kosten für 
die laufende Unterhaltung des Telefons der Staatskasse besonders zur 
Last fallen. 

2. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Aerztekammeraisschuß 
den Antrag, den Kreisärzten in allen Provinzen eine gleichmäßige Br» 
Mäßigung des Kammerbeitrages zuzubilligen. 

Hotels in Magdeburg: Magdeburger Hof, Central- und Conti¬ 
nental-Hotel (Preis für das Bett 6^—80 M.), Weißer Bär, Kaiserhof, Bellevue, 
InlUeft Hotel, Stadt Prag (Preis für das Bett 42—50 Mark), alle höchsten* 
8 Minuten vom Bahnhof. — Möglicherweise werden auch Privatwohnungen nur 
Verfügung gestellt. — Anfragen sind zu richten an Herrn Medizinalrat 
Dt: Themas, Magdeburg, Medizinal an tersuchungsamt, Fernruf 1911. 


VerttfctiriMUfaV ftr dfe SchrtfUeltim*: G«h. ¥ed.-B«« Dr. Solbrlr, Be*.- «. Mtav-BbT lä Brtafea, 
AMMUrV, 84. — Dmek Ttitf J. O. O. Bkob», MfSdeS 1. W*.’ 

















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86. Jahrg. 


Zeitschrift für Medüinalbeamte. 


Nr. 8 


Sarganek in Köslin, Dr. Michaelsohn in Meseritz, Dr. Dörrenberg in 
Soest, Dr. Nanck in Hattingen sowie die Med .-Räte Dr. Birkholz in Naum- 
barg, Dr. Nobler in Glatz nnd Dr. Söhle in Mühlhausen (Thür.) 

Ansgeschieden ans dem preußischen Staatsdienst: der Kreisassistenz¬ 
arzt Dr. Barten in Stralsund. 

Gestorben: Die Kreismedizinalräte Dr. Ehlers ln Langensalza, Med.* 
Bat Dr. Koschel in Schönlanke. 

Bayern. 

Ernannt: Dr. M1 n d e r 1 ei n in Berolzheim znm Bezirksarzt in Sonthofen, 
Dr. Lift, Stadtschularzt in Wttrzborg ztim Stadtarzt daselbst. 

Berufen: Dr. 8 i m o n, Chefarzt des städtischen Krankenhauses in Ludwigs¬ 
hafen als Mitglied des Kreismedizinalausschnsses der Pfalz. 

Versetzt: Obermedizinalrat Dr. Becker, Bezirksamt in Neustadt a. S. 
nach Würzburg (Stadt), Bezirksamt Dr.Schmid ron Meßkirch nach Emmen- 
dingen. 

Sachsen. 

Ernannt: Dr. Steudemann, Polizeiamt in München zum Stadt-Schul¬ 
amt in Leipzig. 

Württemberg. 

Ernannt: Oberamtsamt Dr.Schott zum Tollbesoldeten Oberamtsamt 
ausschließlich für den Oberamtsbezirk Eßlingen. 

Versetzt: Oberamtsarzt Dr. Haffner in Langenburg in die Oberamts¬ 
stelle in Kirchheim. 

Gestorben: Dr.Bister, Oberamtswundamt in Bllwangen. 

Erledigte Stellen. 

Bayern. 

Die Beslrksnrztstellen in Günzborg, Karlstadt und Neustadt a. Saale. 
Bewerbungen sind bei der für den Bewerber zuständigen Begierung, Abteilung 
des Innern, einznreichen. 



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Kräftigt den gesamten Organismus. 


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PiluU^ Saagülnalte Krewel 

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PilnlöB SangötnalKs Krewel 

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Jahrg. 35. 


Zeitschrift 

für 


1922. 


MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegrdndet und von 1882 bis 1922 herausgegeben von ß&h. Med.-Rat Prot. Or. RAPMUND. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin' und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene 

Heraosgegeben von 

Med.> Bat Dr. Bundt- Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger - München, 
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslan, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Poppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmnnd-Querfnrt, Med.-Rat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, -Prof. 
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat. 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigisohen Medizinalbeamtenvereins 


Schrlftleitung: Verlag: 

Geb. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flscbefs med. Buchhandlung B. Kornfeld, 

Rag.- n. Hei.-Rat ln Breslau. Berlin V. 62, SelttastraOe 5. 

Bezugspreis für das Jahr: 60 M., durch die Post bezogen: 63 M. 


Nr. 8. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monate 


j 20. April. 


Notwendigkeit und Organisation städtischer 
Gesundheitsämter. 

Von Prof. Dr. Bürgers, Stadtarzt in Düsseldorf. 

Die von Kommunalärzten schon lange erhobene Forde¬ 
rung in größeren Stadtverwaltungen selbständige Gesundheits¬ 
ämter unter Leitung eines Arztes zu schaffen, ist nur in ganz 
wenigen Städten Wirklichkeit geworden. In manchen Kommunen 
wird darum gekämpft, in anderen ist das Gesundheitsamt eine 
Unterabteilung des Wohlfahrtsamtes oder sogar des Jugendamtes, 
in anderen Orten wiederum fungiert der Amtsarzt nur als tech¬ 
nischer Berater der Verwaltung. Es ist daher als ein Fort¬ 
schritt zu verzeichnen, daß auf dem 1. Deutschen Gesundheits¬ 
fürsorgetag auf Grund der Referate von Grotjahn, Kraut- 
wig, Pfeiffer und Silberstein die Versammlung der 
Kreis- und Kommunalärzte fast einmütig die Schaffung von 
selbständigen Gesundheitsämtern in größeren Städten als eine 
dringende Forderung der Zeit bezeichnete. Da die Gründe, 
weswegen noch keine einheitliche Regelung in dieser Frage 
erzielt werden konnte, die Allgemeinheit der Aerzte interessiert, 
soll in folgendem eine kurze Darstellung der ganzen Organi¬ 
sation auf Grund persönlicher Erfahrung gegeben werden. 







194 


Dr. Bürgers. 


Es mag befremdend erscheinen, daß in der heutigen Zeit, 
wo man dem Fachmann weitgehende Kompetenzen einräumt, 
wo bereits Schulämter, Bauämter, Wohlfahrtsämter, Presseämter 
bestehen, Berufs- und Arbeitsämter eingerichtet werden, ledig¬ 
lich dem Arzt die selbständige Stellung nicht gewährt werden 
soll, unter der Begründung, daß der Arzt die Verwaltung, be¬ 
sonders die von selbständigen Etats, nicht verstehe und daß 
lediglich der Jurist dazu imstande sei. Dabei sei nur an zwei 
Tatsachen erinnert: 

1. Der Weltkrieg hat zur Genüge gezeigt, daß deutsche Aerzte 
sehr gut zu organisieren und zu verwalten vermögen. Sie 
haben das oft unter den schwierigsten Verhältnissen be¬ 
wiesen, die sich nicht im entferntesten mit den ruhigen 
Arbeitsbedingungen der Jetztzeit vergleichen lassen. 

2. Wie schon Krautwig in seinem Referat hervorhob, macht 
die traurige Finanzlage der meisten großen Kommunen es 
zur Pflicht, alle Ausgaben für die Gesundheit und Für¬ 
sorgetätigkeit und deren Einrichtungen auf ihre Not¬ 
wendigkeit oder Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Und wer 
kann das besser als der in allen Zweigen der Hygiene 
bewanderte Arzt? Es genügt unseres Erachtens auch nicht, 
die Verwaltung der vorhandenen Mittel in die Hände von 
anderen Aemtern, oder Deputationen oder Kommissionen 
zu legen und dem Arzt in diesen Sitz und Stimme zu 
geben. Wie oft kann er da überstimmt werden? Wer 
glaubt, daß alle Menschen auf den Rat des Arztes hören, 
der ist ein Tor. 

Wir postulieren also: An die Spitze der Ver¬ 
waltung von öff entliehen Mitteln, die ganz oder 
überwiegend der Gesundheitspflege un d ge¬ 
sundheitlichen Fürsorge dienen, gehört der 
Arzt als selbständiger Dezernent im Range 
oder besser in der Stellung eines Beigeordneten 
bezw. Ratsmitgliedes. 

Wir kommen nun zu der Organisation des Gesund¬ 
heitsamtes selbst. Hier sei eine Vorbemerkung gestattet: 
Nicht ein Heer von Beamten macht das Amt, sondern die Tüch¬ 
tigkeit und Arbeitsfreude von wenigen guten Beamten und der 
Geist, der die s'aubigen Akten mit lebendigem Leben erfüllt. 
Das ist eine schwere Aufgabe, aber ihre Erledigung ist un¬ 
erläßliche Vorbedingung. Noch eines: In keinem Teile dieses 
Amtes hat Politik oder Religion Platz, es muß die Betätigung 
der sozialen Hygiene eine absolut neutrale Plattform sein, auf 
der sich alle Parteien und Religionsgemeinschaften einig zu¬ 
sammenfinden. 

Nach diesen notwendigen Abschweifungen müssen ^zunächst 
die Aufgaben, die in einem Gesundheitsamt bearbeitet werden 
sollen, aufgezählt werden, woran sich zweckmäßig eine Be¬ 
sprechung besonderer Einrichtungen, die notwendige Mitarbeit 



Notwendigkeit und Organisation städtischer Gesundheitsämter. 


195 


mit anderen Dienststellen und schließlich die Aufzählung des 
erforderlichen Beamtenapparates anschließt. i 

Vielfach trennt man eine reine gesundheitliche Abteilung 
von einer gesundheitsfürsorgerischen, d. h. einer sozialhygieni¬ 
schen, prophylaktischen. Abgesehen davon, daß das Wort 
„gesundheitsfürsorgerisch“ nicht gerade glücklich gewählt ist, 
scheint eine Trennung in mancher Hinsicht sachlich nicht be¬ 
rechtigt, da Maßnahmen auf einem Gebiete dem anderen zugute 
kommen. Auch ergibt sich eine Einteilung von selbst da, wo 
die Funktion von Kreis- und Stadtarzt in einer Hand liegt. 
(Unseres Erachtens sprechen mehr Gründe für eine Trennung 
der Stadt- und Kreisarztgeschäfte als dagegen.) 

Nach wie vor bildet die Bekämpfung der anstecken¬ 
den Krankeiten eine Hauptaufgabe des Gesundheitsamtes. 
Gerade hier bedarf es einer harmonischen Zusammenarbeit 
zwischen Kreisarzt als Aufsichts- und anordnende Behörde und 
Gesundheitsamt als praktisch tätige und ausführende Behörde, 
die ja durch ihre städtischen Desinfektoren und die Desinfektions¬ 
anstalt wenn möglich auch durch ihr Laboratorium alle nötigen. 
Maßnahmen schnell ausführen kann. Uns ist nicht bekannt, 
daß auf diesem Gebiete nennenswerte Reibungsflächen zwischen 
den beiden Dienststellen entstanden sind. Von manchen Seiten 
wird verlangt, die Durchführung getroffener Maßnahmen aus 
der Hand der Polizeiverwaltung in die des Gesundheitsamtes 
zu überführen. Auch wir halten die gesetzliche Regelung dieser 
Frage im obigen Sinne für erstrebenswert. Logischerweise 
unterstehen die Desinfektionsanstalt und die städtischen Des¬ 
infektoren dieser Abteilung des Gesundheitsamtes. Gerade hier 
gilt es, auf Grund der neuen Desinfektionsvorschriften kost¬ 
spielige Schlußdesinfektionen zu sparen und die Desinfektoren 
auf die Ueberwachung der fortlaufenden Desinfektion umzu¬ 
stellen. Anderseits wird diese Stelle öfters von der Tuber¬ 
kulosefürsorgestelle und Bezirksfürsorgerin in Anspruch ge¬ 
nommen werden müssen. 

Zur Verhütung der ansteckenden und sonstigen Er¬ 
krankungen dient die hygienische Aufsicht und Ueber¬ 
wachung von Nahrungsmitteln vornehmlich der so oft 
gefälschten Milch, Genußmittel, besonders der wilden Speiseeis¬ 
fabrikation und Gebrauchsgegenstände, die heute notwendige 
Ueberwachung der Verkaufsstände auf den Straßen und Märkten. 
Diese Abteilung bedarf enger Zusammenarbeit mit der Polizei 
und dem hygienischen Institut, der Nahrungsmitteluntersuchungs- 
atelle oder ähnlichen Einrichtungen, wo beanstandete Proben, 
besonders Milch von Fachleuten untersucht werden können. 
Sofern diese Angelegenheiten schon einem Polizeitierarzt anver¬ 
traut sind, muß dieser seinen Sitz im Gesundheitsamt haben. 

Aehnlichem Zwecke dient eine weitere Einrichtung des 
Gesundheitsamtes: Ortsbesichtigungen hygienischer 
Natur und Bearbeitung dieser Angelegenheiten, Ersuchen an 
uie Polizeibehörde zur Abstellung von Mißständen in der 



196 


Dr. Bürgers. 


Wasserversorgung, Abortanlagen, Schutt-und Müllabladeplätzen. 
Namentlich letztere führen oft zu einer starken Verstaubung 
von anliegenden Straßen. 

Eine besondere und ganz eigenartige Quelle von Infektions¬ 
krankheiten und Ungezieferverbreitung bilden die öffentlichen 
und privaten Asyle, deren Ueberwachung daher vom Gesund¬ 
heitsamt ausgeübt werden muß. Dahin gehören auch öffent¬ 
liche und private Säuglingsheime, Kinderhorte, Krippen, 
Bewahranstalten und ähnliche Einrichtungen, auf deren 
Gefährlichkeit als Infektionsquelle für Keuchhusten, Diphtherie 
und andere Krankheiten in neuester Zeit immer wieder von 
Kinderärzten hingewiesen wird. 

Wenn auch Uebertraguhgen von ansteckenden Krank¬ 
heiten durch Badeanstalten inkl. Luftbäder immerhin zu den 
größten Seltenheiten gehören, so muß doch ihre hygienische 
Ueberwachung dem Gesundheitsamt zur Pflicht gemacht werden. 

Eine in heutiger Zeit ganz besonders wichtige Aufgabe 
in der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten ist dem 
Gesundheitsamt in der Ueberwachung der Prostitution 
erwachsen. Dabei wird zweckmäßigerweise die dabei tätige 
Fürsorgerin dem Gesundheitsamt unterstellt, womit auch diese 
soziale Fürsorgearbeit ihren polizeilichen Charakter verliert. Ob 
bei der Umwandlung in staatliche Polizei die Prostitution ganz 
der Ueberwachung der Kommune entzogen werden soll, ist nicht 
sicher. Ein Zusammenhang mit dem Gesundheitsamt wäre sach¬ 
lich wohl wünschenswert. Großen Wert auf diese ärztliche 
Ueberwachung werden allerdings viele Gesundheitsämter nicht 
legen. 

Wir halten es ferner für nötig, daß die vielfach dem Poli¬ 
zeidezernenten unterstellte Bearbeitung des Impfwesens ihren 
Platz im Gesundheitsamt findet, von wo die Ausübung der 
Impfung ja sowieso geleitet wird. Die Aufsicht bleibt Sache 
des Kreisarztes, ohne daß auch hier Reibungen zu befürchten 
sind. Strafverfügungen erläßt nach wie vor der Polizeidezement. 

Ganz verschieden in den einzelnen Städten ist die folgende 
Abteilung des Gesundheitsamtes organisiert: Bearbeitung der 
Angelegenheiten der städtischen und privaten 
Krankenanstalten, Genesungsheime, Heilstätten, 
Säuglingsheime, Krippen, Kleinkindergärten, Wald¬ 
erholungsstätten, Licht-und Luftbäder. Am vorbild¬ 
lichsten ist diese Organisation wohl in Köln und in Berlin. Die 
Aufgaben sind einmal rein gesundheitlicher Natur: Zweckmäßige 
und ausreichende Versorgung von Kranken und Bedrohten, 
anderseits rein verwaltungstechnisch: Bereitstellung der erforder¬ 
lichen Mittel an der bedürftigsten Stelle. Wir denken hier 
beispielsweise an Vermehrung der Betten für Tuberkulose¬ 
kranke. Selbst bei Anerkennung der Selbständigkeit der ge¬ 
nannten Betriebe darf dieses wichtige Glied in der viel ver¬ 
schlungenen Kette des Gesundheitswesens nicht fehlen. 



Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 197 

\ . 

Sehr buntscheckig ist die Regelung des Unfall- und 
Rettungs wesens. Unseres Erachtens sollte der Knotenpunkt 
aller darauf gerichteten Bestrebungen im Gesundheitsamt liegen, 
unter Wahrung aller Selbständigkeit von Einrichtungen bei 
Feuerwehr, Polizeistationen, Hilfspersonal, Sanitätskolonnen und 
dergleichen. Besonders nötig erscheint uns die ärztliche Ueber- 
wachung der polizeilichen Unfallstationen und der Verband¬ 
kästen in den Trambahnen, ferner der Zentralnachweis für 
Krankenpfleger und -pflegerinnen. Aerzte, Apotheken und 
Hebammen gehören unseres Erachtens nicht unbedingt zum 
Gesundheitsamt. Diese Angelegenheiten unterstehen besser 
nach wie vor dem Kreisarzt. 

Dagegen gehört die Wohnungshygiene unbedingt in 
das Gesundheitsamt. Zuleitende und ausführende Organe sind 
die Bezirksfürsorgerinnen und Desinfektoren. Zur Mitarbeit sind 
alle charitativen Vereine und das Wohnungsamt heranzuziehen. 
Dies darf natürlich nicht dazu führen, daß nun von seiten des 
Publikums alle Beschwerden beim Gesundheitsamt einlaufen. 
Es ist hier wohl die Stelle, einmal mit allem Nachdruck 
auf die Gefahren der Wohnungsrationierung für die 
körperliche und seelische Gesundheit der Gro߬ 
stadtbewohner hinzuweisen. Wir kommen immer mehr zu 
der Auffassung, daß diese Zwangsmaßregel mehr Schaden 
als Nutzen gestiftet hat. Man soll aber als Arzt und 
Hygieniker auch den Mut haben, sich offen zu dieser Auffassung 
zu bekennen. 

Viel Zeit und Arbeit erforderten bisher Untersuchungen 
undBegutachtungenvon Beamten und Angestellten. 
Wenn solche Gutachten nur von beamteten — ich verstehe 
darunter gut ausgebildete — Aerzten gemacht würden, wäre 
die Arbeit wesentlich leichter. Leider haben sich auf dem 
Gebiete des Attestwesens Zustände herausgebildet, die besser 
unerörtert bleiben. Auf jeden Fall dient die in Juristen- und 
Verwaltungskreisen oft geäußerte Anschauung, daß heute jedes 
Gutachten von praktischen Aerzten zu haben sei, nicht zur 
Hebung des Ansehens deutscher Aerzte. Das Vorgehen des 
Aerztevereins in München in dieser Frage, der seinen Mit¬ 
gliedern das Ausstellen von Attesten nur auf Ersuchen von 
Behörden gestattet, erscheint daher vorbildlich. 

Das große Material, was in den Gesundheitsämtern zu¬ 
sammenfließt, sollte für die Kenntnis sozialhygienischer Vor¬ 
gänge nicht unfruchtbar bleiben. Die Ergebnisse von Massen¬ 
untersuchungen, Krankheitsbewegungen, Feststellungen und 
Erfolge von Fürsorgestellen sollten in wissenschaftlichen Ver¬ 
öffentlichungen niedergelegt werden. Die Kritik der Aerzte 
und des Publikums kann durch solche Arbeiten nur geschärft 
und korrigiert werden. 

Das Gesundheitsamt findet eine besondere wichtige Be¬ 
tätigung in der Auf klär ung weiter Volkskreise über Krank¬ 
heiten und Hygiene. Hier scheinen uns Vorträge vor kleinerem 



198 


Dr. Bürgers. 


Publikum mit anschließender Diskussion besser zu wirken, als 
solche vor Hunderten von Menschen. Guten Resonanzboden 
linden solche Belehrungen in Volkshochschulkursen, au! Eltern¬ 
abenden und Veranstaltungen einzelner Berufsgruppen, wobei 
das wichtige Gebiet der Gewerbehygiene nicht vernachlässigt 
werden soll. Ausstellungen mit ärztlicher Führung und gute 
Filme vervollständigen diese Propaganda auf das wirksamste. 

Wir kommen nun zu den gesundheitsfürsorgerischen 
Aufgaben, wobei man als obersten Satz voranstellen soll: 
Die Fürsorge soll Vorsorge, Prophylaxe und da¬ 
durch wirtschaftlich sein. Nicht in dem sinnlosen Aus¬ 
bau aller Fürsorgebestrebungen liegt das Ziel der Arbeit, 
sondern, wenn die einzelne Fürsorge alle Bedürftigen einmal 
erfaßt hat, müßte sie — ordnungsgemäße Arbeit vorausgesetzt — 
von Jahr zu Jahr auf einen kleineren Kreis von Bedürftigen 

stoßen. Das Gegenteil ist zurzeit der Fall. Die Erörterung 

der Gründe hierfür würde zu weit führen. Das Gebiet der 

Fürsorge umfaßt heute fast schon die bedürftige Menschheit 
vom wachsenden Embryo bis zum Grabe und zeigt starke 
Neigung zum Spezialistentum. Auch ist die Strömung, die das 
sozialwirtschaftliche Moment betont und alles Heil von einer 
Besserung der sozialen Lage erhofft, zurzeit stärker, als die 
Betonung der gesundheitlichen Seite durch hygienisch gut vor¬ 
gebildete Aerzte, wozu natürlich auch eine gründliche Kenntnis 
von Sozialpolitik gehört. 

Ferner kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß 
ein beschränkter Horizont den Blick trübt. Rasseneinflüsse, 

Vergleiche mit anderen Völkern, wo nicht hinter jedem Säug¬ 
ling eine Fürsorgerin steht, bleiben ganz unberücksichtigt. ) 

Welche hygienischen Einrichtungen sollen nun 
dem Gesundheitsamt zur Verfügung stehen? 

1. Fürsorge- und Beratungsstellen für hoffende 
Mütter, Wöchnerinnen, stillende Mütter, Säuglinge 
und Kleinkinder in genügender Zahl im Weichbild der Stadt 
zerstreut, in hygienisch einwandfreien Räumen mit einem Für¬ 
sorgearzt oder Aerztin als Leiter an der Spitze. Bei den 
Kleinkindern soll sich die ärztliche Fürsorge im besonderen 
auf die körperlich und geistig anormalen Kinder erstrecken. 
Denselben Aerzten bezw. Aerztinnen ist die besonders not¬ 
wendige Kontrolle von Kleinkinderbewahranstalten, Kleinkinder¬ 
gärten usw. zu unterstellen. Ein zweimaliger Besuch in der 
Woche scheint bei der großen Gefahr als Infektionsherd dieser 
Einrichtungen nicht zuviel verlangt. 

2. Die Ausübung der Schulgesundheitspflege durch 

*) Hat man in Amerika — nm nur ein Beispiel herauszugreifen — wo 
an einzelnen Stellen jede Woche eine fürsorgerische Untersuchung in den 
Schulen stattfindet, vielleicht bessere Erfolge als in Japan, iro das nicht der 
Fall ist? 

Ist die körperliche Konstitution unserer fleischfressenden Nation etwa 
der der hauptsächlich von Vegetabilien lebenden Nordchinesen überlegen? 



Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 199 


besondere Aerzte entweder im Haupt- oder Nebenamt. Welches 
System das bessere' ist, wird sich nie ganz entscheiden 
lassen; wie ich schon an anderer Stelle betonte, ist das eine 
reine Personenfrage und jede Diskussion darüber höchst un¬ 
fruchtbar. Die Mehrzahl der Großstädte besitzt heute wohl 
hauptamtliche Aerzte. 

Zu den eigentlichen Aufgaben der Schul- und Schüler¬ 
hygiene incl. Fürsorge tritt neuerdings die Organisation und 
Ueberwachung der Schulspeisung, ferner die Auslese und Ueber- 
wachung für die orthopädischen Kurse, Stottererkurse und die 
Arbeit eines Psychiaters in den Hilfsschulen und Hilfsklassen. 

Soweit Waldschulen vorhanden, bedürfen sie der be¬ 
sonderen ärztlichen Kontrolle seitens des Gesundheitsamtes. 
Binen breiten Raum in der Tätigkeit des Schularztes nehmen 
die Untersuchungen und Entsendungen zum Land- und Kur¬ 
aufenthalt ein. Soll hier nicht Geld vergeudet werden, muß 
eine eingehende ärztliche Begutachtung vor und nach dem 
Aufenthalt stattfinden. In erster Linie sind tuberkulosebedrohte 
und unterernährte Kinder zu berücksichtigen, erstere vom 
Tuberkulosefacharzt begutachtet, der die Kur vorzuschlagen hat. 
Zwei Grundsätze sollen befolgt werden: 

a) Lieber weniger Kinder, dafür aber auf längere Zeit, 8 Wochen 
und mehr entsenden; 

b) Entsendung in nahegelegene städtische Heime, Hospize, Er¬ 
holungsstätten, die unter guter fachärztlicher Kontrolle 
stehen, ist wirtschaftlicher und der Gesundheit dienlicher, 
als Entsendung in ferngelegene See- oder Badeorte, wo 
jede ärztliche Aufsicht immer noch fehlt und die meist 
imerträglich lange Reise schadet. Als Begleitpersonen 
kommen nur in der Kranken- und Kinderpflege ausgebildete 
Personen in Betracht. 

3. Die Fürsorge für Genesende und Kranke besteht einmal 
in der Bereitstellung der nötigen Bettenzahl in Krankenanstalten 
und Genesungsheimen, worauf das Gesundheitsamt bei den zu¬ 
ständigen Behörden dringen muß, zweitens in der Organisation 
des Krankenpflegedienstes, d. h. einer Zentralnachweisstelle, 
der Mitarbeit der Bezirksschwestern zwecks Familienunter¬ 
stützung durch öffentliche oder private Organisationen. 

4. Das wichtigste Gebiet ist aber zurzeit der Ausbau der 
Tuberkulosefürsorge, damit endlich einmal alle an¬ 
steckungsfähigen Tuberkulösen erfaßt und ihre Angehörigen 
dauernd ärztlich kontrolliert werden. Diesem Zwecke dient 
eine dem Gesundheitsamt auch verwaltungstechnisch zu unter¬ 
stellende Zentralfürsorgestelle mit den notwendigen Einrich¬ 
tungen (Röntgenapparat) und ausreichendem Personal und 
dezentralisierten Beratungsstellen. Die Frage, ob man zu diesen 
Aufgaben die Bezirksfürsorgerin oder spezialistisch aus¬ 
gebildete Fürsorgerinnen heranzieht, scheint sich in 
neuerer Zeit an Orten, wo wirklich positive Arbeit geleistet 



200 


Dr. Bürgers. 


wird, wie Stettin, Halle, Mannheim, zu Gunsten der letzteren 
zu entscheiden. Auf Einzelheiten soll tjis auf einen Punkt 
nicht eingegangen werden. Dieser betrifft den Aufenthalt der 
ansteckungsfähigen Tuberkulösen in der Familie. Solange nicht 
der Grundsatz strikte durchgeführt wird: „Jeder An¬ 
steckungsfähige muß ein eigenes Schlafzimmer zu 
seinem alleinigen Gebrauch haben“, ist alle Fürsorge 
umsonst, und alle Aufwendungen hinausgeworfenes Geld. Man 
sieht, wie eng hier der Konnex mit dem Wohnungsamt auf der 
einen, der Wohnungs- und Familien pflege auf der anderen Seite 
sein muß. 

5. Damit kommen wir zu einer neuen Organisation, nämlich 
der Familienfürsorge, verkörpert durch die Bezirksfürsorgerin. 
Wenn man auch dem sozialen, pädagogischen, selbst psychischen 
Moment in der Familienpflege Gleichberechtigung neben dem 
gesundheitlichen einräumen muß, so scheint uns doch nach dem 
Kriege das gesundheitliche Moment schon mit Rücksicht auf 
die Volkswirtschaft im Vordergrund zu stehen. Nicht auf die 
Beseitigung kleiner Mißstände, wie schlechte Tapeten, die Zer¬ 
streuung häuslicher Sorgen, die Zuleitung von Geldmitteln an 
jeden Bedürftigen kommt es an, sondern in erster Linie auf die 
Erhaltung der produktiven Kraft des Volkes, welche durch das 
Wohnungselend und die Volksseuchen bedroht ist. Immer wieder 
wird der enge Zusammenhang von Krankheit und sozialer Lage 
vergessen. 

6. Hier sei einer noch nicht erwähnten schleichenden 
Seuche gedacht, der Geschlechtskrankheiten. Seit langem 
hat sich die Fürsorge auch dieser Kranken angenommen, ein¬ 
mal durch Unterbringung in wirtschaftlich arbeitenden An¬ 
stalten, die wir sachlich als Arbeitskrankenhäuser, nach außen 
hin als Fürsorgeheime bezeichnen möchten, zweitens durch 
Einrichtung von Beratungsstellen, die oft nur im losen Konnex 
mit dem Gesundheitsamt zum Teil als Einrichtung von Landes¬ 
versicherungsanstalten arbeiten, drittens durch die Arbeit einer 
besonders auf diesem Gebiete tätigen Fürsorgerin. 

7. Die Fürsorge für körperlich defekte Personen ist Auf¬ 
gabe der Krüppelfürsorge und Beratungsstellen. Der Schwer¬ 
punkt scheint uns nicht in der registrierenden Tätigkeit des 
Kreis- oder Stadtarztes, sondern in der guten Ausstattung der 
Ambulatorien bei den chirurgischen Kliniken und der Unter¬ 
bringungsmöglichkeit in Anstalten zu liegen. Vielfach sind die 
Gesundheitsämter hier ganz ausgeschaltet, unseres Erachtens 
zu Unrecht. 

8. Die Fürsorge für geistig defekte Personen 
gehört, soweit das kindliche Alter in Betracht kommt, in die 
Abteilung Schulgesundheitspflege. Für Erwachsene sollte das 
Gesundheitsamt über eine Beratungs- und Fürsorgestelle ver¬ 
fügen, die in Händen eines nebenamtlich beschäftigten Psy¬ 
chiaters und einer Fürsorgeschwester liegt. 



Notwendigkeit and Organisation städtischer Gesundheitsämter. 201 


9. Fürsorge für Trinker wird zwar vielfach betrieben, 
die Erfolge stehen aber in keinem Verhältnis zu den Auf¬ 
wendungen. Wichtig erscheint hier die Mitarbeit der Ver¬ 
einigungen gegen Mißbrauch von alkoholischen Getränken. Die 
bereits oben erwähnte hygienische Volksaufklärung scheint uns 
billiger und wirksamer zu arbeiten. 

10. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge gehört nicht 
notwendigerweise in das Gesundheitsamt. Erstens ist sie eine 
vorübergehende Erscheinung, zweitens ist sie in den meisten 
Orten eme selbständige Organisation mit selbstgewählten Ver¬ 
trauensärzten. 

11. Die Mitarbeit mit verwandten sozialen Einrichtungen 
ist in den meisten Städten dadurch genügend gesichert, daß 
der Leiter des Gesundheitsamtes Mitglied der Deputationen 
und Kommissionen der betreffenden Aemter ist. Besondere Be¬ 
achtung verdient die bisher noch recht mangelhafte Mitarbeit 
der Aerzte des Gesundheitsamtes bei der Berufsberatung. Hier 
muß entschieden bessere Arbeit geleistet werden. 

Damit ist der Rahmen des Gesundheitsamtes genügend 
skizziert. Entgegen verschiedenen an anderer Stelle geäußerten 
Anschauungen Feilchenfeld, Wilden, Polligkeit u. a. 
müssen wir unseren Standpunkt in der Frage des Gesundheits¬ 
amtes in großen Städten in Uebereinstimmung mit Grotjahn, 
Krau twig und Pfeiffer dahin präzisieren, daß die Verwaltung 
öffentlicher Mittel in den wichtigsten Zweigen der öffentlichen 
Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge dem Arzte über¬ 
tragen werden muß, der allein entscheiden kann, welches die 
dringlichsten Aufgaben sind und die am wirtschaftlichsten 
gelöst werden. 

Ueber den Beamtenapparat können nur annähernde An¬ 
gaben gemacht werden. Für eine Stadt von 400—500 000 Ein¬ 
wohner läßt sich schon viel erreichen, wenn das Gesundheits¬ 
amt verfügt: 

1. Aerzte: 1 Leiter, 2—3 Stadtärzte, 2 Tuberkulosefachärzte, 
3—4 Kinderärzte oder Aerztinnen, 5 Schulärzte, alle im 
Hauptamt, 2 Psychiater im Nebenamt; 

2. 20—25 Bezirksfürsorgerinnen, 1 Röntgenschwester, 12 Tuber¬ 
kulosefürsorgerinnen, 5 Schulfürsorgerinnen, 6 Fürsorge¬ 
rinnen in Mütterberatungs- und Säuglingsfürsorgestellen 
unter Heranziehung von ehrenamtlichen Helferinnen bezw. 
Schülerinnen. 

3. 1 Bürovorsteher, 8—10 Bürobeamte. 

Geht man von der Tatsache aus, daß ein Mensch, der 
mit Lust und Liebe arbeitet, an einem Tage unheimlich viel 
leisten' kann, und beherzigt man den Grundsatz der englischen 
Verwaltung: „the right man on the right place“, dann wird 
ein, nach d$n oben entwickelten Grundsätzen aufgebautes Ge¬ 
sundheitsamt jeder städtischen Verwaltung zur Ehre gereichen 
und sich im Volke die Anerkennung verdienen, die ihm gebührt. 



202 


Dr. Krantwig. 


Kreisärzte und Kommunalärzte. 

Von Prof. Dr. Krautwig-Köln. 

Das Thema ist im Laufe der letzten Monate reichlich be¬ 
sprochen worden, u. a. auf der Tagung des Deutschen bezw. 
Preußischen Medizinalbeamtenvereins in Nürnberg im September 
1921 und in einer Reihe von Aufsätzen, die in der Zeitschrift 
für Medizinalbeamte erschienen sind. Auch in die Tages¬ 
zeitungen ist der Streit der Meinungen getragen worden. Eine 
gewisse Gegensätzlichkeit zwischen Kreisärzten und Kommunal¬ 
ärzten besteht nicht nur nach der Anstellung, sondern auch 
nach dem vornehralichen Pflichtenkreis. Die ersteren, die Be¬ 
amten des Staates, bezeichnen sich mit einem gewissen Stolz 
als unpolitisch angestellt, als unpolitisch auf ihre Aufgaben ein¬ 
gestellt. Das halten sie gern gegenüber den Kommunalbeamten, 
die sie nach der Anstellung und nach ihren Aufgaben für poli¬ 
tisch abhängig halten. Gemeinsam ist beiden amtsärztlichen 
Gruppen der Wunsch, im Dienste der Oeffentlichkeit angesichts 
der gesundheitlichen Nöte der heutigen Zeit das Beste zu 
leisten. Gemeinsam ist ebenfalls beiden Teilen die Klage, daß 
die Bedeutung der öffentlichen Gesundheitspflege heute trotz 
aller schönen Reden von Behörden und Parlamentariern aller 
Richtungen noch nicht genügend eingeschätzt wird, und daß 
sowohl die Zentralstellen in den Ministerien, wie die Gesund¬ 
heitsämter in der Lokalinstanz bisher noch nicht die notwendige 
Selbständigkeit der Organisation erhalten haben. 

Innerhalb der Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege 
wird die soziale Hygiene, die Gesundheitsfürsorge in zunehmendem 
Maße von allen Gesundheitsbeamten als die wichtigste Auf¬ 
gabe anerkannt, die heute in Stadt und Land zu leisten ist. 
Es ist richtig, daß an ihrer Ausgestaltung auch Kreisärzte und 
Mitglieder der obersten Medizinalverwaltung in Preußen in er¬ 
heblichem Maße mitgewirkt haben. Wer die Geschichte der 
Fürsorgebewegungen schreiben will, kann an den Namen 
Kirchner, Dietrich und Krohne und an der Tätigkeit 
vieler Medizinalbeamten, ich nenne nur Berger, As eher, 
Hillenberg, Lohmer, Dohm u. a. nicht vorübergehen. 
Weit über das Ziel aber schießt die Behauptung, ja, sie ist 
direkt falsch, daß die Kreisärzte schlechthin auf dem Gebiete 
der sozialen Hygiene führend gewesen seien, daß sie die soziale 
Hygiene aus der Taufe gehoben hätten. Der Tatsache gegen¬ 
über, daß viele Kreisärzte mit den Vertretern der sozialen 
Hygiene, wie sie besonders im Dienste der Kommune sich be¬ 
tätigen, gemeinsam an den neuen Zielen gearbeitet haben, 
steht die andere Tatsache unleugbar gegenüber, daß viele Kreis¬ 
ärzte sich mit den praktischen Aufgaben der sozialen Hygiene 
nur wenig beschäftigt haben. Das ist gewiß erklärlich und 
sicher auch zum Teil entschuldbar. Es liegt daran, daß viele 
Kreisärzte keine Gelegenheit hatten, sich mit den Problemen 
der sozialen Hygiene und mit ihrer spezifischen Arbeitsweise 



Kreisärzte and Kommun&lärzte. 


203 


genügend bekannt zu machen. Es liegt zum Teil an dem un¬ 
genügenden Entgegenkommen, das interessierte Kreisärzte, be¬ 
sonders in Landkreisen bei ihren sozialhygienischen Bemühungen 
erfahren haben; es liegt gewiß auch bei vielen Kreisärzten 
daran, daß sie durch die bisherigen Aufgaben ihres Amtes mehr 
als ausreichend in Anspruch genommen waren. 

Es soll auch anerkannt werden, daß der Staat sowohl bei 
den Anforderungen der Kreisarztprüfung, als auch durch Ge¬ 
legenheit zu Fortbildungskursen in wirksamer Weise dahin 
arbeitet, daß diese sozialhygienische Schulung undlnteressierung 
der Kreisärzte in immer höherem Maße erreicht wird. 

Aber trotz alledem wird die Frage, ob heute alles ge¬ 
schieht, um die soziale Hygiene schnell und umfassend zur 
praktischen Auswirkung in der Gemeinde zu entwickeln, noch 
mit Recht geprüft werden müssen. Nicht nur die Kreisärzte, 
sondern auch die meisten an den Fragen der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege beteiligten Aerzte halten die soziale Hygiene 
in der jetzigen und kommenden Zeit für das wichtigste Gebiet 
der Gesarathygiene. Sie ist trotz aller Kritik zutreffend vom 
Ministerialdirektor Gottstein die neue Gesundheitspflege der 
heutigen Zeit genannt worden. Selbstverständlich ist es, daß 
auch der sozialhygienisch eingestellte Arzt alle Aufgaben der 
Ortshygiene und der Seuchenbekämpfung für wichtig hält. 
Aber manche Aufgaben, die der Kreisarzt bis heute vornehmlich 
betreibt: Revision von Apotheken und Drogerien, Erledigung 
vertrauensärztlicher Untersuchungen, Wahrnehmung von Stellen 
als Gefängnisarzt, Impfarzt usw. treten an Bedeutung erheblich 
zurück hinter die sozialhygienische Aufgabe, den kostbarsten 
Besitz, den wir haben, die Gesundheit der breiten Massen durch 
eine weitausgreifende sozialhygienische Fürsorge zu schützen 
uud zu heben. Das schält sich immer mehr zu der Haupt¬ 
aufgabe der Hygiene in der heutigen Zeit heraus, und die Er¬ 
füllung dieser Aufgabe verlangt in Stadt und Land die immer 
weitere Ausdehnung des fürsorgeärztlichen Dienstes, der vieler¬ 
orts einen solchen Umfang angenommen hat, daß er nicht 
mehr nebenbei durch den Kreisarzt, sondern im Hauptamt durch 
den Kommunalarzt als Fürsorgearzt wahrgenommen werden muß. 

Diese Entwicklung geht ihren Weg. Immer mehr werden 
selbständige Fürsorgeärzte angestellt, und nur auf dem Lande 
wird es noch die überwiegende Regel sein, daß der Kreisarzt 
die Fürsorgearbeit nebenamtlich übernimmt. 

So ist es gekommen, daß vielerorts im Dienste der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege die Kreisärzte und Kommunalärzte 
nebeneinander tätig sind, daß an vielen Stellen die schönste 
und wichtigste Arbeit der heutigen Gesundheitspflege den Kreis¬ 
ärzten genommen ist, so daß in solchen Fällen mit mehr oder 
weniger Recht gesagt werden kann, daß die Kreisärzte sich 
überwiegend mit polizeilichen und vertrauensärztlichen Attest¬ 
aufgaben beschäftigen. Denn auch die Bekämpfung der In¬ 
fektionskrankheiten, zumal der wichtigsten derselben, der Tuber- 



204 


Dr. Krautwig. 


kulose, verspricht nur dann Erfolg, wenn sie nicht nur mit 
dem Rüstzeug der Seuchengesetze, deren Durchführung in erster 
Linie den Kreisärzten obliegt, vorgenommen wird, sondern mit 
den Mitteln der sozialen Hygiene. 

Diese ganze Entwicklung gibt zu denken. Es ist ver¬ 
ständlich, daß viele Kreisärzte in Unruhe sind ob der Zukunft 
ihres Standes angesichts der Entwicklung der kommunalärzt¬ 
lichen Tätigkeit. So schnell die Entwicklung gehen mag, so 
wird doch nicht von heute auf morgen eine grundsätzliche 
Aenderung der kreisärztlichen Organisation möglich sein; ander¬ 
seits ist es aber nötig, gerade im Interesse der öffentlichen 
Gesundheitspflege sich nicht nur von der Entwicklung treiben 
zu lassen, sondern die Frage einer zweckmäßigen Organisation 
der Organe der öffentlichen Gesundheitspflege für die Zukunft 
zur Diskussion zu stellen. 

ln den Vorschlägen, die eine Kommunalisierung als die 
beste Lösung zur Schaffung eines wirksamen öffentlichen Ge¬ 
sundheitsamtes auffassen, sehen die Kreisärzte eine große Gefahr 
für die öffentliche Gesundheitspflege. Anscheinend haben die 
Gesetzentwürfe einer Verwaltungsreform den Gedanken der 
Bestellung der Kreisärzte durch die Gemeinden wenigstens zeit¬ 
weise verfolgt. Ich selbst habe nach dieser Richtung hin Vor¬ 
schläge auf dem 41. Deutschen Aerztetage in Eisenach am 
27. September 1919 gemacht. Aber auch aus den Reihen der 
Kreisärzte selbst sind solche häretischen Vorschläge erfolgt 
(s. Dr. Katluhn, Zeitschrift f. Med.-Beamte; 1919, Nr. 16). 
Die Kommunalärzte als solche haben zu der Frage der Kom¬ 
munalisierung der Kreisärzte noch keine Stellung genommen. 
Ihr Interesse ist es nicht, daß ihnen unter allen Umständen die 
staatlichen Aufgaben des Kreisarztes übertragen werden. Die 
meisten derselben fühlen sich in ihrer gemeindlichen Anstellung 
und in ihrer gemeindlichen Tätigkeit durchaus wohl. 

Die Kreisärzte scheinen nun die Meinung zu vertreten, 
daß die gegebene Lösung die ist, daß dem Kreisarzt, dem 
staatlichen Gesundheitsbeamteu, auch von der Gemeinde die 
Fürsorgeaufgaben übertragen werden, und sie glauben wohl 
auch, daß die Gemeinden dazu ^urch Verfügungen des Staates 
angehalten werden können. Man übersieht aber, daß die 
Fürsorgetätigkeit eine freiwillige Arbeit der Gemeinde ist, für 
die sie in der Zeit der heutigen Wirtschaftsnot nur unter 
großen Opfern die Gelder aufzubringen vermag. Man über¬ 
sieht, daß es ein verständlicher Wunsch der Gemeinden ist, 
daß sie diese ganze Arbeit im Wege völliger Selbstverwaltung 
mit eigenen Organen am liebsten ausführen. Wir alle können 
nur wünschen, daß da, wo die Summe der Fürsorgearbeit nicht 
zu groß ist und wo ein interessierter Kreisarzt zur Verfügung 
ist, die Gemeinden diesem Kreisarzt auch ihre Fürsorgearbeit 
übertragen mögen. Das wird aber nicht nur in großen Städten, 
sondern auch in vielen größeren Landbezirken nicht erreich¬ 
bar sein. Nun hat ja der Staat hier und da Versuche,gemacht, 




Kreisärzte und Kommanalärzte. 


206 


kreisärztliche Tätigkeit an Stadtärzte zu übertragen. Nach 
Geheimrat Dietrich (Zeitschrift f. Med.-Beamte; 1921, Nr. 24) 
hat der Staat aber zum Teil die Erfahrung gemacht, daß für 
solche Stadtärzte die Wahrung der Unabhängigkeit (soll wohl 
heißen: gegenüber der Gemeinde) allzu schwer, wenn nicht 
unmöglich gewesen sein soll. Es wäre doch erwünscht, wenn 
man die näheren Tatsachen, die zu diesem Urteil berechtigen, 
erfahren könnte. Dieser Ein wand führt zu dem Bedenken, 
das die Kreisärzte wiederholt aussprachen, daß eine etwaige 
Kommunalisierung die ärztlichen Beamten der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege in ihrer Bewegungsfreiheit, in ihrer politischen 
Unabhängigkeit und in ihrer unparteiischen Tätigkeit als Öffent¬ 
liche Sachverständige bedrohe. Auch der, welcher die Ueber- 
tragung der heute weniger wichtigen Geschäfte staatlicher 
Gesundheitsbearaten an den Kommunalarzt für möglich oder 
gar für wünschenswert hält, wird stets verlangen, daß die 
wissenschaftliche Qualifikation der Bewerber, welche die Ge¬ 
meinden für solche Stellen in Frage ziehen, durch bestimmte 
Forderungen festgelegt wird. Daß die Gemeinden, die sich 
Kommunalärzte zugelegt haben, ungeeignete Kräfte heran¬ 
gezogen hätten, wird man nicht behaupten können. Und nun 
die Meinung, daß der gemeindliche Gesundheitsbeamte ohne 
weiteres „politisch“ sein müßte. Zweifellos muß der Arzt, der 
die öffentliche Gesundheitspflege vertritt, heute viel mehr in 
die Politik hineingehen, als es bisher geschehen ist. Ist nicht 
die Medizin nach virchov eine soziale Wissenschaft und die 
Politik nichts weiter als Medizin im großen? Kann man heute 
noch, nicht wegen des politischen Stigmas unserer Zeit, sondern 
wegen der anerkannten Zusammenhänge der Probleme der 
sozialen Hygiene mit Wirtschaft und Sozialpolitik sich vornehm 
auf eine rein ärztliche oder ärztlich hygienische Arbeit zurück¬ 
ziehen? Greift nicht die praktische Fürsorgearbeit hinein in 
zahlreiche Gebiete der Gemeindearbeit, die von den politischen 
Organen gebilligt und beschlossen werden muß? Darum muß 
der Sozialarzt, der in der Gemeinde erfolgreich sein will, nicht 
nur reden und schreiben, sondern er muß mit den beschließenden 
Organen der Selbstverwaltung, ja mit der öffentlichen Meinung 
in lebhafte, „politische“ Fühlung treten. Man frage mal die 
staatlich-ärztliche Zentralinstanz im Wohlfahrtsministerium, in 
welchem Maße sie sich politisch einstellen muß. 

Das gibt man vielleicht zu, und man will mit dem apo¬ 
litischen Arzt nur ausdrücken, daß er in seiner Bestellung und 
in seiner Arbeit unabhängig sein soll von den Strömungen der 
politischen Parteien. Diese Gefahr verkenne ich gewiß nicht. 
Sollte sie aber in der heutigen Zeit für die Stellenbesetzungen 
und für die Gestaltung der Gesundheitsarbeit nicht gleich stark 
sein im Staate, wie in der Gemeinde? Werden Beweise ge¬ 
wünscht? 

In meiner großen und langjährigen kommunalärztlichen 
Tätigkeit und in dem Austausch der Erfahrungen mit vielen 



206 


Dr. Krantwig. 


Kommunalärzten habe ich bis jetzt von schweren Konflikts¬ 
stoffen, die durch politische Beeinflussung etwa geschaffen 
worden wären, sehr wenig gehört. Im allgemeinen wird gerade 
der Kommunalarzt mit seiner Fürsorgearbeit auf die Unter¬ 
stützung aller Parteien mehr als jeder andere Beamte rechnen 
können. Dabei wird ihm meist ein viel größeres Maß der 
Selbständigkeit eingeräumt, als es der Mehrzahl der staatlichen 
Kreisärzte beschieden ist. Wollen etwa die Kreisärzte be¬ 
haupten, daß gerade sie immer die wünschenswerte Selbst¬ 
ständigkeit und Unabhängigkeit gehabt haben ? Vielleicht 
gegenüber den Gemeinden, aber auch gegenüber den staat¬ 
lichen Instanzen? Die Wohlfahrtsarbeit innerhalb der Gemeinde 
gewinnt sicherlich nicht dadurch, daß sich der staatliche Ge¬ 
sundheitsbeamte, auf seine Unabhängigkeit pochend, der Gemeinde 
dafür zur Verfügung stellt. Seine Unabhängigkeit mag von 
Bedeutung sein, wenn auf sanitärem Gebiet Mißstände in der 
Gemeinde abzustellen sind, für welche die Gemeinde die Mittel 
schwer zu besorgen vermag. Auch hier erreicht der Kreisarzt 
heute in vielen Städten und in vielen Landgemeinden am besten 
sein Ziel, wenn er sich mit den Gemeinden, die auch für solche 
sanitären Verpflichtungen zumeist das notwendige Verständnis 
aufbringen, in freundschaftlicher Weise benimmt. Wo aber 
gegenüber notwendigen sanitären Forderungen eine Gemeinde 
sich halsstarrig zeigt, wird der Staat auch da, wo der Kommunal¬ 
arzt angestellt ist, in ihm durchaus einen verständnisvollen 
Förderer notwendiger Pläne Anden. Hat übrigens der Kreis¬ 
arzt bisher trotz seiner staatlichen Anstellung und Unabhängig¬ 
keit auf dem Lande überall in wünschenswertem Maße durch¬ 
greifen können ? Ist es wirklich nötig, ausdrücklich sich dagegen 
zu verwahren, daß der Staat mal in irgendeinem Ausnahme¬ 
fall, wie es z. B. in Essen und Düsseldorf geschehen sein soll, 
einem nicht staatlich geprüften Arzt auch irgendeine kreisärat- 
liche Tätigkeit übertragen hat? Man kann kaum annehmen, daß 
der preußische Staat dadurch ins Wanken kommt, und man könnte 
eigentlich den Herrn Kollegen Wollenweber und andere, 
die sehr beunruhigt sind, darauf verweisen, daß bisher schon 
der Staat insbesondere auf dem Polizeigebiet in recht um¬ 
fassendem Maße staatliche Hoheitsgeschäfte an Gemeindeorgane 
übertragen hat, ohne daß er deshalb aus den Fugen ging. 

Und wenn wirklich die Kreisärzte so ängstlich sind gegen¬ 
über der Gemeinde, wie wollen sie dann ihren Wunsch be¬ 
gründen, daß die Gemeinde auf der anderen Seite gerade ihnen 
in erster Linie die kommunalärztliche Fürsorgetätigkeit über¬ 
weisen soll. 

• Aus diesen Ausführungen soll nur hervorgehen, daß das 
Problem der Ausgestaltung des Gesundheitsamtes in der Ge¬ 
meinde durchaus nicht so einfach liegt, wie es nach den Ver¬ 
öffentlichungen vieler Kreisärzte zu sein scheint. Auch wir 
Kommunalärzte werden gerechter weise zugeben, daß der Weg 
der besten und wirksamsten organisatorischen Gestaltung der 



Kreisärzte und Kommanalärzte. 


207 

öffentlichen Gesundheitspflege in der Lokalinstanz noch ge¬ 
sucht werden muß, gesucht werden muß am besten in gemein¬ 
samer Arbeit der Kreisärzte und der Koromunalärzte, für deren 
Entscheidung schließlich doch allein die Ueberlegung ma߬ 
gebend sein muß, ob auf dem einen oder anderen Wege die 
öffentliche Gesundheitspflege am besten gefördert wird. 

Diese gemeinsame, freundschaftliche Beratung schwebender 
Fragen sollte auch nach dem Ausklang der Diskussion, die auf 
der schon eingangs genannten Hauptversammlung der Medizinal¬ 
beamten in Nürnberg sich entwickelte, beiderseitig erstrebt 
werden. Wir stimmten damals alle den vortrefflichen Aus¬ 
führungen des Vorsitzenden der Hauptversammlung der Deutschen 
Medizinalbeamten, Geheimrat Wodtke zu, als er sagte: „ln 
der Forderung der Selbständigkeit der Gesundheitsverwaltung 
werden staatliche und kommunale Medizinalbeamte sich wieder 
zusamraenflnden und inne werden, daß sie besser tun, gemeinsam 
höhere Ziele zu verfolgen, als sich um Kirchturmsinteressen 
gegenseitig zu befehden. “ 

Zu dem Zwecke hat die Vereinigung der deutschen 
Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte sich gerne entschlossen, 
in ihren Vorstand auch Medizinalbeamte hineinzuwählen, die 
in der Fürsorgearbeit der Gemeinde tätig sind. Auf seiten der 
Kreisärzte ist man aber anscheinend sehr beunruhigt und hat 
meiner Meinung nach durch verschiedene Ausführungen der 
weiteren Verständigung nicht gerade gute Dienste geleistet. 
So kann ich die Annahme folgenden Antrages des Kreisarztes 
Dr. Wollenweber nicht gerade günstig beurteilen: 

„Der Preußische Medizinalbeamtenverein erblickt in den Bestrebungen 
nach einer Umwandlung der staatlichen Beamtenstellung der Kreisärzte in 
eine kommunale — die sogenannte „Kommunalisierung“ — eine Gefährdung 
ihrer Unabhängigkeit als Gesundheitsbeamter wie als Gutachter. Er ist der 
Ueberzeugung, daß die „Kommunalisierung“ die Kreisärzte in Abhängigkeit 
von den kommunalen Körperschaften bezw. der jeweils in ihnen herrschenden 
Partei bringen und einer „Politisierung“ nahe kommen würde. Eine derartige 
Abhängigkeit ist aber weder mit der Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf- 
dem Gebiete des Gesundheitswesens, noch mit einer unparteiischen Tätigkeit 
als öffentlicher ärztlicher Sachverständiger vereinbar. Die öffentliche Gesund¬ 
heitspflege würde durch die Kommunalisierung Schaden leiden. Der Verein 
glaubt aber auch in einer gegen den Willen der Medizinalbeamten etwa statt¬ 
findenden Umwandlung ihrer Stellung einen Eingriff in die durch die Ver¬ 
fassung geschützten, wohl erworbenen Rechte der Medizinalbeamten erblicken 
zu müssen.“ 

Wenn der Antragsteller in einer solchen Kommunalisierung 
die größte Gefahr für die Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit 
der beamteten Aerzte sieht, so verweise ich hierzu auf meine 
obigen Ausführungen. 

Den gleichen Eindruck einer allzu polemischen Einstellung 
wird man haben, wenn man den Bericht über die Sitzungen 
des Vorstandes und der Bezirks Vertreter des Preußischen 
Medizinalbeamtenvereins am 13. Dezember 1921 in Berlin in 
Nr. 24 der Zeitschrift für Medizinalbeamte durchliest. Man ver¬ 
steht es, wie gegenüber dieser Unruhe der Kreisärzte der Minister 



208 Dr. Scholz: Ein Beitrag zur Frage der Kommaoalisiernng der Kreisärzte. 

für Volks Wohlfahrt in seiner Programmrede die Kreisärzte zu 
beruhigen versucht und ihnen verspricht, ihre berechtigten 
Forderungen, die sie zur Wahrung ihres unbehinderten Wirkens 
in der Erfüllung der ihnen durch ihre Dienstanweisung über¬ 
tragenen Aufgaben aufstellen, mit Nachdruck zu unterstützen. 
Was aber „berechtigt ist", darüber läßt sich streiten. Hier 
soll nur versucht werden, eine sachliche Auseinandersetzung 
über tatsächlich vorhandene Gegensätze einzuleiten und mit 
dem Minister zu hoffen, „daß auch hier sich zwischen den 
staatlichen und kommunalen Gesundheitsbeamten eine Ver¬ 
ständigung über die Abgrenzung ihrer Wirkungsbereiche und 
über ihre Zusammenarbeit anzubahnen beginnt". Unerfreulich 
klingt auch die fortgesetzte Polemik gegen den I. Deutschen 
Gesundheitsfürsorgetag und besonders gegen Prof. Grotjahn, 
denen man trotz wiederholter Richtigsstellungen der beteiligten 
Stellen aggressive Tendenzen gegen die Medizinalbeamten zu 
Unrecht vorwirft. Wir wollen aber friedlich unsere Gegensätze 
austragen. 

Wir müssen einig sein in dem Verlangen, daß sich der 
Fürsorgegedanken der sozialen Hygiene innerhalb der öffent¬ 
lichen Gesundheitsarbeit immer mehr durchsetzen möge, be¬ 
sonders auch in den längst fälligen Gesetzen zur Bekämpfung 
der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten; wir müssen 
zusammenstehen in der Forderung, daß den Vertretern der 
öffentlichen Hygiene zu ihrer Arbeit die notwendige Selbst¬ 
ständigkeit und die notwendigen Mittel eingeräumt werden. 


Ein Beitrag zur Frage der Kommunalisierung 

der Kreisärzte. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Scholz in L&ndsberg a. W. 

Vor einigen Monaten trat in meiner Kreisstadt ein junger 
Mann auf, der sich Krirainalpsychologe Hanns Heinz Wolf gang 
nannte, in Wirklichkeit aber Wolff-Pinner heißt. Er hielt 
öffentliche Vorträge über Hypnose, Suggestion usw. und führte 
hypnotische Experimente an Menschen jeden Alters bis herab 
zu 15jährigen Jungen vor. Außerdem arbeitete er in Privat¬ 
zirkeln. Icn machte die Polizeiverwaltung auf den Unfug auf¬ 
merksam und ersuchte sie gemäß den auch ihr wohlbekannten 
Verfügungen des Ministers des Innern, diese verbotenen Vor¬ 
führungen zu verhindern. Die Polizeiverwaltung, der der junge 
Mann vorgeschwatzt hatte, er sei Mediziner, halte seine „auf¬ 
klärenden“ Vorstellungen „im Aufträge der Berliner Gesellschaft 
für Volksaufklärung" und habe auch die Erlaubnis des Berliner 
Polizeipräsidiums, schritt nicht ein. Als ich mein Ersuchen 
wiederholte, gab sie den Bescheid, ihre Beamten seien leider 
nicht in der Lage, entscheiden zu können, wann der Vortragende 
den Rahmen des Erlaubten überschritte und zu unerlaubten 
Experimenten überginge, da er auch in Gedankenübertragung, 



Tagesnachrichten. 


209 


Telepathie und dergl. arbeite! Auch mein Hinweis, daß einige 
der Zuhörer ihrer Verwunderung Ausdruck gegeben hätten, 
daß es dem W. erlaubt sei, sogar an unerwachsenen Menschen 
öffentlich Experimente mit Hypnose zu machen, fruchtete nichts. 
Schließlich war ich gezwungen, mich beschwerdeführend an 
den Herrn Regierungspräsidenten zu wenden. Inzwischen hatte 
aber W. seinem Publikum genügend Geld abgenommen und 
war von der Bildfläche verschwunden, nachdem er noch in 
einer Rolle als „Detektiv“ einen recht peinlichen Reinfall er¬ 
lebt hatte. Inzwischen ist W. vom Gericht in Berlin wegen 
Betruges zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden. 

Die Polizeiverwaltung hatte also im vorliegenden Falle 
den staatlichen Gesundheitsbeamten beim Versuch, eine mini¬ 
sterielle Anordnung durchzuführen, im Stich gelassen. Folge 
war Beschwerde des Gesundheitsbeamten bei seiner Vorgesetzten 
Behörde. Welche Möglichkeit würde nun der kommunalisierte 
Arzt haben, sich durchzusetzen, wenn selbst in derart wichtigen, 
die Volksgesundheit berührenden Fragen Stadt und Polizei 
versagen? Recht angenehme Aussichten eröffnen sich dabei 
für die Stellung und für das Ansehen des kommunalisierten, 
beamteten Arztes! 


Tagesnachrichten. 

Tages* und Vereinsfragen vom Vorsitzenden des Preoß. Medizinal¬ 
beamtenvereins Medizinalrat Dr. Bnndt: Mit dem Verleger unserer Zeit¬ 
schrift, Herrn Kornfeld, Inhaber von Fischers medizinischer Bnchhandlong 
in Berlin, ist ein Znsatzantrag für das Jahr 1922 geschlossen worden. Nach 
diesem beträgt die Bezogsgebühr in diesem Jahre 40 M. für jedes Mitglied, 
die nach dem Nürnberger Beschloß an den Deutschen Verein gezahlt werden 
nnd daher im Mitgliedsbeitrag an den Deutschen Verein mit abzuftthren sind. 
Die Mitarbeiterhonorare sind auf 160 M. für den Druckbogen erhöht. Von 
dem Reingewinn erhalten der Verleger, der Preußische und der Deutsche 
Medizinaibeamtenverein je ein Drittel, ebenso wie sie auch einen etwaigen 
Verlust zu gleichen Teilen tragen.— 

Auf unseren Antrag vom 27. Dezember 1921, den wir infolge eines auf 
der Vertreterversammlung am 13. Dezember 1921 in Berlin gefaßten Be¬ 
schlusses an den Herrn Minister für Volkswohlfahrt gestellt hatten: „den 
Medizinalbeamten eine fünfjährige praktische Arbeit als Vorbereitungszeit für 
das Besoldungsdienstalter anzurechnen und die Prüfungszeit auf ein ganzes 
Jahr festzusetzen“, ging am 25. Februar folgende Antwort des Herrn 
Ministers ein: 

„Bei der Festsetzung der nach Ziffer 159 der Preußischen Besoldungs¬ 
vorschriften auf das Anw. D. A. bezw. die Anw. D. Z. der Beamten anzu¬ 
rechnenden Ausbüdungs- und Prüfungszeiten dienen die bestehenden 
Prüfungsvorschriften als Grundlage. So ist durch die Prüfungsordnungen 
für Kreisärzte festgesetzt, daß die Zulassung zur kreisärztlichen Prüfung 
erst drei Jahre nach Erlangung der Approbation erfolgen kann. Diese 
Zeit ist daher auch in meinem Runderlaß vom 25. November 1921 — 
I M I 2992, A 1 Nr. 1117 II — als Vorbereitungszeit in Ansatz gebracht 
worden. Die in § 3 Ziff. 4 der Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 
1. September 1909 für die Anstellung als Kreisarzt vorgesehene Ausübung 
einer fünfjährigen selbständigen praktischen ärztlichen Tätigkeit kann als 
Grundlage für die Ermittelung der in Ansatz zu bringenden Vorbereitungs¬ 
zeit nicht dienen, weü diese Vorschrift keine Zwangsbestimmung darstellt 
und die Einstellung der Btellenanwärter für Kreisarztstellen (Kreisassistenz- 
ärzte) in den meisten Fällen alsbald nach der Ablegung der Kreisarzt- 



210 


Tagesnachrichten. 


prüfang erfolgt. Da die Dienstzeit als Kreisassistenzarzt ohne weiteres 
als Anw.D.Z. gilt, wird die nach der Dienstanweisung gegenüber den 
Prüfungsordnungen geforderte weitere zweijährige Tätigkeit als praktischer 
Arzt von den meisten Medizinalbeamten bereits als Anw. D. Z. zurückgelegt. 
Eine Berücksichtigung dieser Zeit nach Ziff, 159 P. B. V. ist daher auch 
zur Vermeidung von Doppelrechnungen nicht zulässig. 

Die Festsetzung der Prüfungszeit für die kreisärztliche Prüfung auf 
ein halbes Jahr entspricht dem Durchschnitt der letzten Jahre. Sollte 
dieser Durchschnitt zdkünftig wesentlich überschritten werden, bin ich 
bereit, die Prüfungszeit entsprechend höher anzusetzen, aus Anlaß einer 
Aenderung der Prttfungsvorschriften und erhöhter Anforderungen für die 
schriftliche oder mündliche Prüfung. 

Im Aufträge: gez. Gottstein.“ 

Die Antwort wird die Medizinalbeamten nicht voll befriedigen, denn wenn 
die Forderung der Ausübung einer fünfjährigen selbständigen praktischen 
ärztlichen Tätigkeit auch keine Zwangsbestimmung darstellt, so ist sie doch 
im § 8 Abs. 4 der immer noch gültigen Dienstanweisung gefordert — 

Das Reichsgericht bat entgegen den Entscheidungen mehrerer Land* 
gerichte entschieden, daß die Zwangspensionierung der Staatsbeamten mit dem 
66. Lebensjahre zu Recht besteht. Damit ist wieder eines der alten Beamten¬ 
rechte, die lebenslängliche Anstellung, solange die DienBtfähigkeit dauert, 
dahin. Es gilt, die uns verbliebenen um so schärfer zu wahren. — 

Unseren Beitritt zum Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten (der 
„Säule Hoheit“, des Reichsbundes höherer Beamten) hat der Vorstand bisher 
nur bedingt vollzogen, unter der Voraussetzung der Zustimmung der Haupt¬ 
versammlung am 27. und 28. April, zu der am Schlüsse der vorliegenden Nummer 
der Zeitschrift eingeladen wird. 

Der B. h. V. hat uns eine eigene Fachgruppe, einen Sitz im Vorstand, 
die volle Beitragspflicht nur für aktive Medizinalbeamte, halbe Beitragspflicht 
für die im Vorbereitungsdienst befindlichen und Rückzahlung von 26% der an 
den Reichsbund höherer Beamten bisher gezahlten Beträge zugesagt. Die 
Mehrzahl der Bezirksvereine, soweit sich diese bisher geäußert haben, sind für 
den Anschluß eingetreten. Die endgültige Entscheidung wird also am 27. und 
28. April fallen. — 

Der Deutsche Medizinalbeamtenverein wird in diesem Jahre keine Haupt¬ 
versammlung haben, ob er seine Vorstandssitzung im Anschluß an unsere 
Aprilsitzungen abhalten oder zu anderer Zeit und am anderen Orte tagen wird, 
darüber ist eine Entscheidung noch nicht gefallen. Er hat im übrigen an die 
Reichsversicherungsanstalt eine Eingabe um beträchtliche Erhöhung der Gut¬ 
achterhonorare gerichtet. — 

Die Erhöhung der kreis- und gerichtsärztlichen Gebühren um 900'/oder 
Friedenssätze ist nunmehr durch Ministerialerlaß vom 8. März 1922 Tat ge¬ 
worden, auch die Anweisung zur Auszahlung der erhöhten Dienstaufwands¬ 
entschädigungen soll an die Regierungen gegangen sein. Es wird nun wohl 
in absehbarer Zeit die Nachzahlung seit dem 1. April 1921 erfolgen. Auch sie 
wird freilich nur ein ganz unzureichender Ausgleich für die von Monat zu 
Monat steigenden Aufwendungen sein. Bei den stark beschäftigten, ohne 
Schreibhilfe und Büroräume nicht auskommenden Kreisärzten wird trotz der 
erhöhten Gebühren der Dienstaufwand die Einnahmen durch Gebühren und ver¬ 
trauensärztliche Tätigkeit fast völlig aufbrauchen. Die Zeiten, in denen die 
großen, zumeist großstädtischen Kreisarztbezirke begehrenswert waren, sind 
vorüber. — 

Die Jahresberichte sind eingereicht Eine Fristverlängerung, um die in 
den meisten Bezirken gebeten wurde, ist nicht gewährt worden. Und doch 
verlangten die neuen statistischen Uebersichten vielfach eine vollkommen ver¬ 
änderte Fragestellung an die Behörden. Viele Kreisärzte, die ihre Anfragen 
bei Herausgabe der neuen Muster schon hatten herausgehen lassen, mußten 
noch einmal Umfragen, und das vieliach bei Behörden und Vereinigungen, 
denen keinerlei Verpflichtung zur Beantwortung oblag. Man sollte dort, wo 
man eine Verpflichtung zur Anfrage fordert auch eine aolehe Antwort festsetzen. 



Tagesnachrichten. 


211 


Es wäre im übrigen wissenswert zu erfahren, wie die Bearbeitung der 
Jahresberichte in den einzelnen Regierungsbezirken gehandhabt wird, ob man 
überall die einzelnen Abschnitte an einzelde Kreisärzte verteilt oder hier und 
da wohl auch einem Kreisarzt die ganze Bearbeitung überläßt. — 

Vor kurzem gab einer unserer Kollegen eine Anregung für die Aus¬ 
nutzung der Fortbildungskurse für unser Vereinsleben. Der Obmann des 
Kurses, so meint er, soll seine Beobachtungen und Erfahrungen jedesmal dem 
Vereinsvorstand mitteilen. Auch seien die Kurse sehr geeignet zum Meinungs¬ 
austausch für Standesfragen,, wenn ein Mitglied des Vorstandes unseres Vereines 
an der am Schlüsse des Kurses üblichen vertraulichen Aussprache teilnähme. 
Die Anregung ist durchaus beachtenswert. Sie läßt uns vor allem auch auf 
die Kollegen Einfluß gewinnen, die durch weitere Entfernung oder durch 
sonstige ungünstige Verhältnisse den Versammlungen unseres Vereines fern- 

E halten werden und oftmals in recht großer Unkenntnis unserer Ziele und 
Strebungen sind. — 

Der Entwurf des Reichsjugendgesetzes ist leider noch nicht vollständig 
in meine Hand gelangt. Aber die mir vorliegenden §§ 8 und 4 geben zum 
Denken und zu Bedenken Anlaß: 

Das Gesetz sagt in §§ 8 und 4: 

§ 8. Aufgaben des Jugendamtes sind: 

1. Der Schutz der Pflegekinder gemäß §§ 20—81 des Gesetzes. 

2. die Mitwirkung im Vormundschaftswesen, insbesondere die Tätigkeit des 
Gemeindewaisenrals, gemäß §§ 82—49, 

8. die Fürsorge für hilfsbedürftige Minderjährige, gemäß §§ 50—56, 

4. die Mitwirkung bei der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung, gemäß 
§§ 57-78, 

5. die Jugendgerichtshilfe gemäß reichsgesetzlicher Regelung. 

§ 4. Aufgabe des Jugendamtes ist ferner, Einrichtungen und Veran¬ 
staltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen für: 

1. Beratungen in Angelegenheiten der Jugendlichen, 

2. Mutterschutz vor und nach der Geburt, 

8. Wohlfahrt der Säuglinge, 

4. Wohlfahrt der Kleinkinder, 

5. Wohlfahrt der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend außerhalb des 
Unterrichts, 

6. Wohlfahrt der schulentlassenen Jugend. 

Das Nähere kann durch die oberste Landesbehörde bestimmt werden. 
Zwar sind die Aufgaben des § 4 für das Jugendamt nicht als pflicht¬ 
gemäße gedacht wie die des § 3, die seine ureigenste Tätigkeit darstellen. 
Das Jugendamt soll bei ihnen für gewöhnlich nur Anregung und Unterstützung 
geben, soll aber auch selbst die nötigen Einrichtungen und Veranstaltungen 
treffen, wenn es sieht, daß ohne sein Eingreifen die nötigen Maßnahmen nicht 
zustande kommen. 

Bedenklich ist in dem Gesetzentwurf, daß die Gesundheitsbehörden in 
ihnen kaum eine Stelle finden, bedenklich ist auch die Trennung der gesund¬ 
heitlichen Fürsorge nach Altersklassen. Die Herausnahme unter Umständen 
auch der rein ärztlichen Jugendfürsorge aus der allgemeinen Fürsorge. 

Hierzu hat uns freilich der Herr Minister für Volks Wohlfahrt unter dem 
14. Juli 1921 I M I 2015 auf unsere Eingabe zugesagt, daß die Mitwirkung 
der staatlichen und kommunalen Medizinalbeamten im Jugendamt im preußi¬ 
schen Ausführungsgesetz besonders geregelt werden wird in der Weise, daß 
den Medizinalbeamten nicht nur beratende, sondern auch entscheidende Stimmen 
verliehen werden. Es wäre eine Aufgabe für den deutschen Medizinalbeamten¬ 
verein, auch seinerseits hierzu Stellung zu nehmen. — 

Wir sind in allen den Dingen, wo es heißt, unsere Rechte gegenüber 
nichtärztlichen Verwaltungs- und Fürsorgeorganen zu wahren, in gleicher 
Verdammnis wie die Kommunalärzte. Sie stehen hier in ebenso schwerer Ab¬ 
wehrstellung wie wir. Ein Zusammenarbeiten mit ihnen wurde schon auf der 
Nürnberger Hauptversammlung angeregt und könnte meines Erachtens beiden 
Teilen nur zum Vorteil dienen. Man glaubt an vielen Orten und in so manchen 
auch ärztlichen Fürsorgezweigen des ärztlichen Rates mehr und mehr entraten 



212 


Tagesnachrichten. 


zu können. Die Ueberschätzung in kurzer Zeit gewonnener volkswirtschaft¬ 
licher and oberflächlicher sozialbygienischer Kenntnisse ist groß, and die Gründ¬ 
lichkeit des Arztes bisweilen unbequem, seine kritische Würdigung vermeint¬ 
licher Taten nicht immer angenehm. 

Am 10.—12. September tagt in Frankfurt a. Main die diesjährige Haupt¬ 
versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege mit dem einzigen 
Verhandlungsgegenstand „Wohnungsnot und Volksgesundbeit", ein Thema, 
das in seiner Bedeutung für die Gesundung unseres ganzen Volkes doch sicher 
eine größere Anzahl unserer Mitglieder zur Tagung dort zusammenführen wird. 
Sollte sich hier nicht die Gelegenheit zu einer Besprechung mit führenden 
Mitgliedern des Kommunalärztevereins bieten und zu einem Zusammenschluß 
in einer Arbeite- und Kampfgemeinschaft? Ich weiß wohl, daß die Belange 
beider Vereinigungen nicht immer übereinstimmen und daß ihre Wege nicht 
immer parallel laufen, aber sie gehen schließlich doch denselben Zielen zu 
den Zielen des gesundheitlichen Wiederaufbaues unseres armen, kranken Volkes 
und „getrennt marschieren und vereint schlagen" war schon immer ein guter 
taktischer Wahlsprach. _ 


Das Kaiserin Auguste Victoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfnng 
der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit Charlottenburg, Frankstraße, 
veranstaltet vom 29. Mai bis 6. Juli einen 6 wöchigen Lehrgang für Aerzte über 
Ernährung, Krankheiten und Fürsorge des frühen Kindesalters, der von jetzt 
ab halbjährlich stattfindet. Dieser Lehrgang soll unter besonderer Berück¬ 
sichtigung praktischer Arbeit den Teilnehmern einen Ueberblick über das ge¬ 
samte Gebiet der Physiologie, Pathologie und Therapie im Säuglings- und 
Kleinkindesalter und der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge geben. Er bildet 
in sich ein organisches Ganzes, ist aber so aufgebaut, daß auch Einzelkurse in 
jeder Woche gesondert belegt werden können. 

Das Kurshonorar beträgt M. 1200.—, für Ausländer wird es unter Be¬ 
rücksichtigung der Valuta besonders vereinbart; Honorar für Einzelkurse nach 
besonderer Vereinbarung. Für Unterbringung kann Sorge getragen werden. 

Aus dem Kursprogramm: Propaedeutische Klinik, Ernährung des 
gesunden und kranken Kindes, die Pflege des gesunden und kranken Kindes 
mit praktischen Arbeiten auf den Stationen, Klinik und Poliklinik der Säug¬ 
lings- und Kleinkinderkrankheiten mit Demonstrationen und Kolloquium, Tuber¬ 
kulose und Syphilis, diagnostische und therapeutische Technik mit praktischen 
Demonstrationen am Krankenbett, Arzneiverordnungen und Arzneidosierung 
im Kindesalter, Immunitätsverhältnisse im Kindesalter, Böntgendiagnostik, 
pathologische Anatomie des Kindesalters, nervöse Störungen im Kindesalter 
unter besonderer Berücksichtigung der Psychotheiapie, Milchuntersuchungen 
und Herstellung von Milchmischungen und Heilnahrangen, Säuglings- und Klein¬ 
kinderschutz unter vorwiegender Berücksichtigung der vom Arzt durchzu¬ 
führenden praktischen Maßnahmen. 

Anmeldungen sind zu richten: an das Kaiserin Auguste 
Victoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfung der Säuglings- und Klein¬ 
kindersterblichkeit, Charlottenburg 5, Mollwitz-Frankstraße. Von hier aus sind 
ausführliche Kursprogramme beziehbar. 


Der Vorstand der Vereinigung zur Förderung des deutschen Heb- 
anunenwesens erlaubt sich den Kollegen mangels einer Vollversammlung 
folgendes zur Erwägung vorzulegen und dessen Entschließung zu erbitten. 

Eine Vollversammlung der Vereinigung ist in diesem Jahre erforderlich. 
Es liegt am nächsten, sie mit dem Pfingsten in Innsbruck statlflndenden 
(7. Juni beginnend) Kongreß der deutschen Gesellschaft der Gynäkologie 
nnd Geburtshilfe zu verbinden. Es ist uns seitens Herrn P. Math es für 
Dienstag, den 6. Juni, 4 Uhr nachm, der Hörsaal der geburtshilflichen Klinik, 
Schulgasse 1, zur Verfügung gestellt. 

Die Mehrzahl des Vorstandes glaubt, daß diese Verbindung am vorteil¬ 
haftesten ist, und schlägt eie demgemäß vor. 



Tagesnachricbten. 


218 


Es ist aber auch geltend gemacht worden, daß die wirtschaftliche Lage 
diesem oder jenem Kollegen die weite Eeise nach Innsbrnck unmöglich machen 
würde. Es bleibt festzostellen, wie weit dieses Bedenken zutreffend ist. 
Würden daraus größere Schwierigkeiten für einen guten Besuch der Versamm¬ 
lung sich ergeben, so bleibt zu erwägen, daß den nach Innsbruck reisenden 
Kollegen die Teilnahme an einer Versammlung an einem Orte ermöglicht werden 
kann, der dem Wege nach Innsbruck von Osten, Westen und Norden her nahe 
liegt und der auch den übrigen Kollegen leicht erreichbar ist. Das ist 
Würzburg. 

Wir bitten daher um tunlichst umgehende Entscheidung zu folgenden 
Fragen: 

1. Werden Sie voraussichtlich an dem Gynäkologenkongreß in Innsbruck 
teilnehmen ? 

2. Wenn nicht, werden Sie an einer Versammlung unserer Vereinigung in 
Würzburg teinehmen ? 

8. Haben 8ie sonstige Vorschläge zu machen? 

Würden wir bis zum 16. A p ril ohne Nachricht bleiben, so nehmen wir an, 
daß die betr. Herren Kollegen ohne Interesse an der Frage sind, also weder 
nach Innsbruck noch nach Würzburg kommen können. Um aber möglichst den 
Wunsch der Kollegen zu ermitteln, bitten wir um Bescheid. 

Außer den geschäftlichen Erörterungen, die der Vorstand von Amts wegen 
vorzutragen haben wird, sind angeköndigt als Vorträge: Hammerschlag- 
Neukölln: Zum HebammeDgesetz. — E. Martin-Elberfeld: dasselbe (Kor¬ 
referent). — Mann-Paderborn: Voraussetzungen und Ziele des Hebammen- 
unterrichts. — Bis mann -Osnabrück: Welche Schulbildung sollen wir von 
unseren Schülerinnen verlangen. 

Weitere Vorschläge zur Tagesordnung werden erbeten. Die Einladung 
mit dem schließlichen Programm wird, danach rechtzeitig ergehen. 

1. L das Verstandes der Vereinigung zur Förderung des deutschen Bebauunenwesenst 

B a u m m - Breslau, I. Vorsitzender. Mann- Paderborn, Schriftführer. 

(Anschrift: San.-Bat Dr. Mann, Direktor der Landesfrauenklinik in 
Paderborn, Bußdorfwall 80.) 


In Magdeburg findet in der Zeit vom Juni bis September d. J. 
«ine „Mitteldeutsche Ausstellung des Wiederaufbaues“ statt, die nach den 
vorliegenden Mitteilungen gut beschickt und von vielen Seiten gefördert zu 
werden verspricht. U. a. findet das ßiedlungswesen, die Sozialfürsorge, das 
Schulwesen, Sport und Spiel besondere Berücksichtigung. 


Leitsätze des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins über die 
Durchführung des Jugendamtsgesetzes. Der Württembergische Medizinal¬ 
beamtenverein hat in seiner am 4. und 5. d. M. stattgefundenen 17. Jahres¬ 
versammlung folgende Leitsätze angenommen: 

1. Der Württembergische Medizinalbeamtenverein erklärt sich mit der 
Uebertragung der gesamten ärztlichen Fürsorgetätigkeit an die Oberamts- 
ärzte grundsätzlich einverstanden. 

2. Im Bahmen der bestehenden oberamtsärztlichen Dienstverhältnisse 
kann die Fürsorgetätigkeit nicht übernommen werden. Der Medizinalbeamten¬ 
verein erkennt deshalb übereinstimmend mit dem Württembergischen Aerzte- 
verband als Notwendigkeit an, daß zu wirksamer Ausgestaltung der Fürsorge- 
tätigkeit für jedes Oberamt ein eigener vollbesoldeter Oberamtsarzt bestellt wird. 

8. Der Oberamtsarst muß als Leiter der Fürsorgetätigkeit eine selbst¬ 
ständige Stellung in medizinaltechnischen und gesundheitlichen Fragen be¬ 
kommen, in der ihm Ausführungsbefugnis zusteht. In diesen Fragen müssen 



214 Tagesnachrichten. 

ihm auch schon bestehende FürsorgesteUen, deren Leitang nicht an ihn über¬ 
geht, unterstellt werden. 

4. Zu diesem Zweck ist in jedem Bezirk ein Gesundheitsamt mit aus¬ 
reichendem Personal zu errichten, dessen Leiter der Oberamtsarzt ist 


Todesfall. Bin schwerer Verlust hat neuerdings wieder die Aerzteschaft 
und darüber hinaus weite Kreise betroffen, der Tod von Prof. Dr. Blaschko in 
Berlin. Wissenschaftlich auf dem Gebiet der Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten hervorragend, hat sich Blaschko besonders dadurch einen Namen ge¬ 
macht, daß er im Jahre 1902 die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten“ mit begründete und nach Neissers Tod als Vor¬ 
sitzender der Gesellschaft eine weitnmfassende Tätigkeit ausübte. Der jetzt 
dem Reichstag vorliegende Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten ist im wesentlichen seiner Initiative zu verdanken. Es wird nicht 
leicht sein, die Lücke, die entstanden ist, auszufüllen. 


Ueber die von dem Zentralausschuß für die Auslandshilfe übernommene 
Tätigkeit der Quäker erfahren wir aus der letzten Zeit folgendes: Englische 
Quäker haben erneut eine größere Spende, bestehend aus Lebertran, 
Schmalz und Zucker, zur Bekämpfung der Tuberkulose in der offenen Für¬ 
sorge gesandt. Ferner ist von den Methodisten eine Kinderhilfe ins 
Leben gerufen, die Kindern und Jugendlichen Aufenthalt in ihren Erholungs¬ 
heimen z. T. unentgeltlich gewährt. Die Kinderspeisung umfaßte im 
Februar insgesamt täglich 607 940 Portionen, davon die meisten für Schul¬ 
kinder, daneben auch für Kleinkinder, Jugendliche und stillende oder schwangere 
Mütter. Für die Herstellung der Mahlzeiten sind insgesamt vom 1. Januar bis 
11. März d. J. Nahrungsmittel im Werte von 89,2 Millionen Mark verwandt 
worden, von denen rund 31 Millionen auf deutsche und 68,2 Millionen Mark 
auf amerikanische Lebensmittel entfallen. Die Unkosten für die Herstellung 
der einzelnen Mahlzeit betrugen durchschnittlich 4,70 M. 


Soziale Zahnheilkunde. Das Kuratorium der Ostdeutschen Sozial- 
Hygienischen Akademie in Breslau veranstaltet auf Wunsch weiter Kreise 
der Zahnärzteschaft und auf besondere Anregung des Deutschen Zentral¬ 
komitees für die Zahnpflege in den Schulen E. V. einen Kurs der Sozialen 
Zahnheilknnde, der vom 19. Juni bis 1. Juli 1922 stattflnden soll. Der 
Kurs umfaßt allgemeine und spezielle theoretische Vorlesungen und aus¬ 
gedehnte seminaristische Uebungen aus den für den Zahnarzt wichtigen Ge¬ 
bieten der Sozialen Hygiene, Sozialen Medizin, Sozialen Gesetzgebung, des 
Fürsorgewesens und der Standesorganisation. Der Unterricht wird erteilt von 
Universitätsprofessoren, von beamteten Aerzten der Stadt und von erfahrenen 
Männern der Praxis. Nähere Auskunft erteilt das Sekretariat der Ostdeutschen 
Sozial-Hygienischen Akademie, Breslau XVI, Maxstraße 4. 


Anschauungstafeln für den Unterricht ln der Säuglings* und Klein¬ 
kinderpflege. Das Organisationsamt für Säuglings- und Kleinkinderschutz, 
Charlottenburg V, Mollwitz-Frankstr. teilt mit, daß die zweite Auflage des 
„Atlasses der Hygiene des Säuglings und Kleinkindes, für Unterrichts- und 
Belehrungszweeke“ soeben im Verlag Julius Springer, Berlin W.9, er¬ 
schienen ist. 

Der Atlas, der 100 lose, teils farbige Tafeln (35 X 60 cm) enthält, 
dient als Anschauungsmaterial in Säuglings- und Krankenpflegerinnenschnlen, 
Hebammenlehranstalten, Wohlfahrt- und Frauenschulen, Kindergärtnerinnen- 
Seminaren, Mädchenfortbildungschulen und Mädchenschulen, wird in Säuglings- 
fiirsorgestellen als Wandtafeln und von Wanderlehrerinnen und Fürsorgerinnen, 
besonders auf dem Lande, bei Veranstaltung von Mutterschulkursen und be¬ 
lehrenden Vorträgen verwendet 




Tagesnachrichten. 


215 

Prenssischer Medirinalbgamten -Verein« 

XXXffl. Hauptversammlung 

und 

H. Vertreterversammlung. 

Tagung am 27., 28. und 29. April 1922 in Magdeburg 

Id der Loge Harpokrates, Gr. Mfinzstr. 10, Ecke Kaiserstraße. 

Tagesordnung: 

Mittwoch, den 26. April, Begrüssnngsabend mit Damen nm 8 Uhr 
im Hotel Kaiserhof und Vorstandssitzung, zu welcher noch besondere 
Einladungen an die Vorstandsmitglieder erfolgen. 

Erster Sitiungstag: 

Donnerstag, den 27. April, 9 Uhr vormittags: Vertretertag in 
der Loge Harpokrates, Gr. Milnzstr. 10. 

1. Geschäfts- und Kassenbericht, Prüfung der Rechnungen, Beratung bezw. 
Festsetzung des Jahresbeitrages und Wahl eines besonderen Kassenführers. 

2. Aenderung einiger Bestimmungen der Satzungen in §§ 9, 12 und 15. *) 

3. Aussprache über die wirtschaftliche Lage und amtliche Stellung der 
Medizinalbeamten. 

4. Mitteilungen und Vorberatung von Anträgen. 1 ) 

*) Die §§ 9 und 12 der Satzungen, in denen einmal Vertretung des Ver¬ 
eins durch alle 5 Vorstandsmitglieder, dann nur durch Vorsitzenden und 
Schriftführer festgesetzt wird, müssen auf Forderung des Amtsgerichts Berlin- 
Mitte, bei dem die Eintragung der Satzungen beantragt ist, in Ueberein- 
stimmung gebracht werden. 

Die Belastung des Landesvereins mit den Kosten der V. T. ist ohne ge¬ 
waltige Erhöhung der Beiträge nicht möglich. 

a) Antrag Wollenweber auf Aenderung des § 15: „Die Bezirksvereine 
tragen die Kosten ihrer Vertreter auf den Vertretertagen.“ 

b) Antrag Bogowski: „Der Landesverein und die Bezirksvereine tragen 
die Kosten der Vertretertage je zur Hälfte.“ 

Es wird gebeten, im Hinblick auf die finanzielle Lage des Vereins, von 
der Bestimmung der Satzungen, wonach 1 Vertreter mehrere Stimmen aus 
seinem Bezirk übernehmen kann, Gebrauch zu machen. 

*) Anträge Rogowski: 

1. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Herrn Minister den 
Antrag, daß dort, wo die Regierungspräsidenten den Kreisärzten das 
Halten eines Telefons im dienstlichen Interesse auferlegen, die Kosten für die 
laufende Unterhaltung des Telefons der Staatskasse besonders zur Last fallen. 

2. Der Preußische Medizinalbeamtenverein stellt an den Aerztekammerausschuß 
den Antrag, den Kreisärzten in allen Provinzen eine gleichmäßige Er¬ 
mäßigung des Kammerbeitrages zuzubilligen. 

Beschlüsse der Versammlung des Bezirksvereins Potsdam: 

1. Die Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins wird ge¬ 
beten, bei der Staatsregierung eine Erhöhung der Amtsunkostenentschädigung 
auf das 20 fache des Friedenssatzes als unbedingt notwendig zu beantragen. 

2. Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamten Vereins wolle dahin wirken, 
daß in dem neuen Hebammengesetz der Vorsitz bezw. stellvertretende 
Vorsitz in der Kreishebammenstelle für den Kreisarzt gefordert wird. 

8. Als unverrückbare Grundlage für jede Aenderung der Dienstanweisung 
werde der Leitsatz angenommen: 

Die Stelle des Kreisarztes soll in eine selbständige Behörde mit einem 
staatlichen Gesundheitsamt und Büro und mit den daraus sich für den 
Kreiz&rzt ergebenden Pflichten nmgewandelt werden. 





216 


Tagesnachrichten. 


8 Uhr nachmittags: Mitgliederversammlung in der Loge Harpokrates. 

1. Ueber Geburtsschädigungen der Neugeborenen. Berichterstatter: Geh. 
Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslau. 

2. Die Dienstanweisung für die Kreis« und Gerichtsärzte. Berichterstatter: 
Kreisarzt Dr. Wollenweber, Dortmund, Med.-Bat Dr. Franz, Lötzen 
und Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Puppe, Breslau. 

3. Geschäfts- und Kassenbericht, Bericht'der Bechnungsprüfer, Entlastung 
des Kassenftthrers. Wahl eines besonderen Kassenftthrers, Festsetzung des 
Jahresbeitrages. 

4. Allgemeine Aussprache über die amtliche Stellung und wirtschaftliche 
Lage der Medizinalbeamten, Stellung zu den Beamtenverbänden. 

8 Uhr: Gemeinsames Essen im Bestaurant der Loge Harpokrates. 

Zweiter Sitzungstag. 

Freitag, den 28. April, vormittags 10 Uhr In der Loge Harpokrates. 

1. Die gesetzliche Neuregelung der amtsärztlichen Gebühren. Berichterstatter: 
Medizinalrat Dr. Bogowski, Berlin. 

2. Kreisarzt und Fürsorge. Berichterstatter: Kreisarzt Dr. Hu ebner- 
Waldenburg (Aenderung Vorbehalten). 

3. Mitteilungen. Verschiedenes. 

Nachmittags 4 Uhr: Weitere Vorstandssitzung. 

Dr. Wollenweber, Dr. Bundt, 

Schriftführer. Vorsitzender. 

Hotels In Magdeburg: Central- und Continental-Hotel, Weißer 
Bär, Kaiserhof, Bellevue, Müllers Hotel, Stadt Prag, alle höchstens 8 Minuten 
vom Bahnhof. — Möglicherweise werden auch Privatwohnungen zur Verfügung 
gestellt — Anfragen sind zu richten an Herrn Medizinalrat Dr. Thomas, 
Magdeburg, Medizinaluntersuchungsamt, Fernruf 1911. — Auskunftsstelle 
für alle Ankommenden imCentral-Hotel( gegenüber dem Bahnhofsausgang). 
Es wird noch besonders darauf hingewiesen, daß der Versammlungsort 
die Loge Harpokrates ist, die Begrüßung im Kaiserhof stattfindet. 


Bitte der Schriftleitung. 

Es wird dringend gebeten, Manuskripte für Abhandlungen 
und Mitteilungen, die zur Veröffentlichung in der Zeitschrift 
bestimmt sind, gut leserlich, einseitig beschrieben, 
möglichst in Maschinenschrift, einzusenden, und dabei auch die 
Privatadresse des Schriftleiters zu benutzen. 

Ferner werden die Autoren gebeten, zur Vermeidung von 
recht hohen Korrekturkosten bei der Durchsicht möglichst 
wenig Aenderungen vorzunehmen. 

Die Schriftleitung. 


Verantwortlich für die Bchriftleltunf: Geh. Med.-Bat Dr. So Ihrig, Bef.- n. Med.-Bat ln Breelan, 
Breslau V, Behdlfentrafle 84. — Druok von J. 0. 0. Brom, Minden L W. 































Zeitathiift für Medizinal bearalo. 


Fer «ö na Li «ft. 

0»ntsoh«rx Stole b und Pnunch 

In den Eahttttand getrefceo: Direktor des MffdfefaalontoTBachaagsamt« 
Dr. Kci»tfc AttCf in Cobleaz. 

Ernannt: Kraisasshifiruarzt Dr; IIa*r teJ *nm Krelsmedwinalrat iß 
Örtelsbörg. 

Bajrereu . 

Ernannt: Bezirktarst Ob.-MedUftat Dr, Kert*l ia Speyer aont Mitglied 
<U» Ereisined)izinalaus8cliD38es der Pfalz. 

mmm WpNksarat Dr, CHer&r von Teaschnite nach Karlafcadt; 
Beairkearat Dr, Stark ton Pegnjts nach Nenaudt a. H. 

Oestorbeo: Bedtjfc»arst Ober-Med.' Bat ©r. B r a gg e r ia Qünzburg, 
Bexirks&rst «. D. Med,'Bat Dr, Scbmid ia ViMorfen. 

W*ld*ok. 

Eroaant; Komm, Kreuphysäm! 0?, Waldsöbtnidt zum Kreisarzt des 
Kreises der Eder, — Der fcäti&rige Gberl&ndpbysiknfi «ad Medizraalreforeat 
tdhrt den Dienattitel Eegiernng«* &, Medizinalrat, die Krftisphyaücer de« Drenst- 


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Rat Prof. Dr. Puppe -Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Querfurt, Med.-Bat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof. 
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Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
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Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 


Schriftleltung: Verlag: 

GUl Med.-Rat Dr. Solbrig, flscber’s med. Bocbbandlang H. Kornfeld, 

lag.- 1 . Bad.* lat la Breslau. Berlin V. 62, KelthstraBa S. 

Bezugspreis für das Jahr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M. 


Nr. 9. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monats 


5. Mai. 


Die Durchführung der neuen Preußischen 
Desinfektionsordnung im Saalkreis. 

Von Kreisarzt Dr. Hillenberg in Halle a. S. 

Verschiedene Anfragen von Fachollegen nach der Art der 
Neu-Organisation des Desinfektionswesens im hiesigen Kreise 
veranlassen mich, in Kürze die praktische Regelung desselben 
hier zu schildern, wie sie auf Grund eines eingehenden Berichts, 
den ich dem Kreisausschuß schriftlich und mündlich erstattete, 
von diesem beschlossen wurde. 

Wir hatten im Saalkreis mit seinen etwa 92 000 Einwohnern 
drei Desinfektoren, von denen der Dienstälteste als Kreisbeamter 
mit der Dienstbezeichnung „Kreisoberdesinfektor“ schon vor der 
Neuordnung angestellt war. Von den beiden anderen war der 
eine auf Privatdienstvertrag hauptamtlich, der dritte im Neben¬ 
amt gegen Bezahlung der Einzelleistungen dem Kreise ver¬ 
pflichtet. Dieser letztere warjjedoch derart beschäftigt, daß 
er für seinen Hauptberuf Zeit nicht mehr erübrigen konnte. 
Die drei Desinfektoren reichten bisher vollkommen aus bei einer 
durchschnittlichen Zahl von jährlich 115 Formalin-, 126 
Dampf- und 127 chemisch-mechanischen Desinfektionen. Hinzu- 









218 Dr. Hillenberg. 

kommt eine kleinere Zahl von Entwesungen mittels Hya- 
Apparates. 

Es war vom Berichterstatter in den letzten Jahren wieder¬ 
holt beim Kreisausschuß der Antrag gestellt worden, sämtliche 
Desinfektoren als Kreisbeamte und zugleich alsGesundheits- 
a u f 8 e h er anzustellen, deren Mitarbeit im Interesse einer erfolg¬ 
reichen Seuchenbekämpfung dringend erwünscht erschien. Diese 
Anträge waren bisher stets abgelehnt worden mit der Begrün¬ 
dung, es sollten keine neuen Beamtenstellen geschaffen werden. 
Nach dem Erlaß der Verordnung vom 8. 2. 21 erreichte ich end¬ 
lich mein Ziel: Alle drei Desinfektoren wurden hauptamtlich 
und zugleich als Gesundheitsaufseher angestellt, der Oberdes¬ 
infektor mit einem jährlichen Gehalt von zur Zeit 30400 Mark, 
die beiden anderen von je 20109 Mark; hinzukommen für den 
ersteren Tagegelder von 25 Mark, die beiden anderen von 
7,50 Mark und die baren Auslagen. Für sie ist folgende Dienst¬ 
anweisung in Anlehnung an den amtlichen Leitfaden „Die Des¬ 
infektion“ von Geh. Rat Hensgen in Siegen aufgestellt und 
vom Beamtenbetriebsrat sowie Kreisausschuß genehmigt worden, 
die ihre Tätigkeit im einzelnen näher vorschreibt: 

§ 1. Der Desinfektor and Gesnndheitsaafseher ist dem Kreismedizinalrat 
als dem staatlichen Gesundheitsbeamten and dem Kreisaasscbaß dienstlich 
unterstellt. 

Aufträge in Seachenangelegenheiten, die ihm von dem behandelnden Arzt 
Uber eine an einer übertragbaren Krankheit erkrankten Person zageben, hat 
er pflichtgemäß za erledigen. Za diesem Zweck hat er mit den behandelnden 
Aerzten ständig Fühlung za halten and sich nach deren Wünschen za erkundigen. 

§ 2 enthält die Anstellangsbedingungen. 

§ 8. Die vornehmlicLste Aufgabe des Desinfektors and Gesund- 
heitsanfsehers besteht in der Unterstützung des Kreismedizinalrats in der 
Seachenbekämpfang. Br hat sich über die gesundheitlichen Verhältnisse in 
einer Ortschaft auf Grand besonderer Aufträge za unterrichten, über den Stand 
und die Ausbreitung jeweils anftretender Epidemien za berichten and insbe¬ 
sondere die Darchführang derjenigen Maßnahmen gegen einzelne übertragbare 
Krankheiten za beaufsichtigen, welche darch allgemeine Verordnungen oder 
durch Sonderanweisungen des Kreismedizinalrats oder des behandelnden Arztes 
getroffen worden sind. 

§ 4. Allmonatlich hat er unter Vorlegung seines Tagebuchs (§ 14) mit 
dem Kreismedizinalrat persönlich über seine Tätigkeit und die hierbei gemachten 
Beobachtungen sich zu besprechen, im übrigen in allen wichtigen Fällen, die 
besondere Anordnungen erheischen, diesem unverzüglich mündlichen oder 
schriftlichen Bericht zu erstatten und sich Belehrung und Anweisung zu holen. 

§ 5. Die Haushaltungsvorstände, welche über das Wesen der Seuche 
und ihre Bekämpfung nicht unterrichtet sind, hat er bei Zustellung polizeilicher 
Verfügungen unter Ueberweisung eines Merkblattes entsprechend anfzuklären, 
ihnen die zur Desinfektion in der Krankenstube (laufende Desinfektion) not¬ 
wendigen Chemikalien zu übergeben und zu ergänzen und die Pflegeperson des 
Kranken in deren Gebrauch nötigenfalls zu unterrichten. 

Im Hause des Erkrankten, in der Nachbarschaft und unter denjenigen 
Personen, die mit dem Erkrankten während der sog. Inkubations- (Vorbereitungs-) 
Zeit in Verkehr gestanden haben, hat er ebenfalls Belehrungen zu erteilen. 

§ 6. Auf Ersuchen des Kreismedizinalrates, des behandelnden Arztes oder 
der Ortspolizeibehörde hat er Proben für die bakteriologische Untersuchung zu 
entnehmen und mit größter Beschleunigung an das hygienische Institut der 
Universität Halle a. 8. einzusenden. 

§ 7. Der Desinfektor bat nach besonderer Anweisung des Kreismedizinal- 



Die Durchführung der neuen PreuB. Desinfektionsordnung im Saalkreis. 219 

rate durch regelmäßige Ueberwachuogsbesuche, die in 2- bis 3 tägigen Zwischen¬ 
räumen auszaiühren sind, 

1. dafür zu sorgen, daß die Absonderung (Isolierung) des Erkrankten in der 
Behausung der polizeilichen Anordnung entspricht; 

2. dafür 8orge zu tragen, daß die laufende Desinfektion in yorschriltsmäßiger 
Weise von den Angehörigen ausgeführt wird. Erforderlichenfalls hat er 
die Desinfektion der Abgänge des Kranken selber yorzunehmen; 

3. frühzeitig zu ermitteln, ob in der Nachbarschaft des Erkrankten neue 
Verdachts- oder Erkrankungsfälle aufgetaucht Bind; 

4. gesundheitswidrige Zustände, soweit sie das Entstehen und die Verbreitung 
der Seuche fördern können, dem Kreismedizinalrat zur Anzeige zu bringen. 

§ 8. Die Kontrolle der Desinfektoren erfolgt durch den Kreisober¬ 
desinfektor mittels gelegentlicher Besuche gemäß besonderen Auftrags des 
Kreismedizinalrats. Dem Oberdesinfektor stehen Reisekosten und Tagegelder 
nach den staatlichen Sätzen zu. Im Bedarfsfälle ist der Oberdesinfektor ver¬ 
pflichtet, auch selbst laufende und Schlnßdesinfektionen auszuführen. 

§ 9. Bei Kranken, die in ihrer Behausung abgesondert werden, hat der 
Gesundheitsaufseher durch Nachfragen bei dem behandelnden Arzt den Zeit¬ 
punkt der Genesung festzustellen, oder wenn ein behandelnder Arzt fehlt, dies 
dem Kreismedizinalrat zu melden. 

§ 10. 24 Stunden nach der Feststellung der Genesung hat er, sofern 
nicht eine in der Desinfektion ordnungsmäßig ausgebildete Pflegeperson die 
Schlußdesinfektion ausführt, die Desinfektion der verseuchten Bäume und 
Sachen yorzunehmen. Er hat sich hierbei genau an die Anweisungen zu halten, 
wie sie für die einzelnen Krankheiten yorgeschrieben sind. 

g 11. In gleicher Frist ist die Desinfektion yorzunehmen, wenn der 
Erkrankte in das Krankenhaus überführt worden ist oder seine Wohnung ge¬ 
wechselt hat, oder im Falle des Todes die Leiche aus dem Krankenzimmer 
entfernt ist. 

§ 12. Vor der Ausführung der Schlußdesinfektion durch die Pflegeperson 
oder den amtlichen Desinfektor hat dieser sofort der Ortspolizeibehörde 
und dem Kreismedizinalrat Nachricht zu geben. 

§ 13. Hinsichtlich seiner praktischen Tätigkeit hat sich der Gesund- 
heitsaufseher im übrigen nach den Vorschriften zu richten, wie sie in den 
§§ 26 bis 31 des amtlichen Leitfadens ‘für Desinfektoren und Gesundheitsauf¬ 
seher niedergelegt sind. 

§ 14. An Büchern hat der Desinfektor und Gesundheitsanfseher zu führen: 

a) ein Anzeigebuch für gemeldete ßenchen; 

b) ein Beschäftigungsbuch, in das er genaue Eintragungen über seine dienst¬ 
liche Tätigkeit an jedem Tag zu machen hat. 

Beide Bücher können auch zu einem Tagebuch vereinigt werden. Die¬ 
selben sind allmonatlich dem Kreismedizinalrat, vierteljährlich dem Kreisaus- 
sohuß zur Durchsicht vorzulegen. 

§ 16. Die Desinfektoren haben sich den Nachprüfungen durch den 
Kreismedizinalrat zu unterziehen und an den Wiederholungslehrgängen teil¬ 
zunehmen. 

Da zu erwarten steht, daß wir mit den drei Desinfektoren 
nach der erheblichen Erweiterung ihres Arbeitsgebietes nicht 
auskommen werden — schon jetzt muß der eine von ihnen fast 
tftglich 12—13 Stunden unterwegs sein —, ist bereits die Neu¬ 
ausbildung zweier weiterer Kräfte vom Kreisausschuß genehmigt, 
die aus einer Sanitätskolonne vom Roten Kreuz als tüchtige 
Leute ausgesucht wurden und sich zur Ausbildung bereit er¬ 
klärten. Von ihnen soll der eine als vierter Desinfektor wieder 
hauptamtlich angestellt werden, der andere als Reservekraft für 
Epidemien bereit stehen. 

Ursprünglich hatte ich dem Kreisausohuß die Ausbildung 
zweier im Kreise bodenständiger Qemeindeschwestern als 



220 


Dr. Hillenberg. 


Seuchenschwestern vorgeschlagen. Sie waren auch zu- 

S ächst hierzu bereit, sagten jedoch schließlich mit der Begrün¬ 
ung ab, daß ihre sonstigen Pflichten in der Gemeinde-Kranken¬ 
pflege und Fürsorgetätigkeit bereits so umfangreich seien, daß 
sie nur unter Vernachlässigung dieser Tätigkeit neue Aufgaben 
übernehmen könnten. Diese Begründung erschien stichhaltig, 
und so wurde von ihrer Wahl Abstand genommen. Die ministe¬ 
rielle Anweisung sieht zwar die Beteiligung von Schwestern an 
allen die Desinfektion betreffenden Fragen und die Bereitstellung 
von Desinfektions- bezw. Seuchenschwestern vor; ich glaube 
jedoch, daß weibliche Kräfte im Hauptamt in ausgedehnten 
Landkreisen sich für die Zwecke der Seuchenbekämpfung im 
allgemeinen nicht recht eignen. Ueberhaupt halte ich die ganze 
Tätigkeit, die einmal erhebliche Anforderungen an die körper¬ 
lichen Kräfte stellt, über die die Schwestern nicht verfügen, 
sodann unter gewissen Umständen ein gewisses autoritatives 
Auftreten erheischt, das der Frau in der Oeffentlichkeit weniger 
als dem Mann gegeben, für weibliche Kräfte nicht besonders 
geeignet. Außerdem sollte man die Schwestern, die für Kranken¬ 
pflege und soziale Arbeit immer seltener werden, diesem Gebiet 
so wenig wie möglich entziehen! 

Nebenamtlich werden sie natürlich gelegentlich mit 
großem Nutzen herangezogen werden können, wie es ja bisher 
schon zu Epidemiezeiten überall geschehen. — 

Die Hauptaufgabe der Desinfektoren als Gesundheits¬ 
aufseher sehe ich nun darin, daß sie als Vortrupp für hygi¬ 
enische Volksbelehrung und -Aufklärung zu wirken haben, wozu 
ihnen die regelmäßigen Besuche der verseuchten Familien aus¬ 
reichende Gelegenheiten bieten. Um möglichst frühzeitig hier¬ 
mit einsetzen zu können, erhalten sie von der Ortspolizeibehörde 
sofort Abschrift von jeder einlaufenden Anzeige und haben sich, 
tunlichst nach vorherigem Benehmen mit dem behandelnden 
Arzt, unverzüglich an Ort und Stelle zu begeben. 

Ich habe ihnen eingeschärft, sich nicht sowohl als Polizei-, 
sondern als Fürsorgeorgane zu fühlen und danach zu handeln. 
Derjenige werde seme Aufgabe am besten lösen, der durch un¬ 
ermüdliche Belehrung des Publikums dessen Verständnis für 
die Abwehrmaßnahmen der Seuchen, sowie für hygienische 
Lebensführung am weitesten zu fördern imstande sei. Es ist 
hierzu natürlich nötig, daß die Desinfektoren selber ein gewisses 
Maß von hygienischem Wissen besitzen, daß sie ferner in engem 
Konnex mit dem Kreisarzt arbeiten. Der Oberdesinfektor er¬ 
stattet mir wöchentlich Bericht; alle vier Wochen werden an 
der Hand der ausführlichen Geschäftsbücher alle Fälle mit ihnen 
in gemeinsamer Besprechung erörtert, außerdem sind sie ja ge¬ 
halten, mich bei allem, was ihnen an Besonderheiten aufstößt, 
um Hat zu fragen. Es ist im übrigen geboten, die künftigen 
Desinfektionskurse, deren Verlängerung ja in Aussicht genommen, 
so auszugestalten, daß denjenigen Teilnehmern, die auf Anstellung 
als Gesundheitsaufseher rechnen, eine entsprechende weiter- 



Di* Durchführung der neuen Preuß. Desinfektionsordnung im Saalkreis. 221 

gehende Ausbildung zuteil wird, die mit einer Sonderprüfung 
abzuschließen wäre. 

Die Gesundheitsaufseher haben natürlich neben der ibe- 
lehrenden Tätigkeit bei ihren Besuchen soweit als erforderlich 
die laufende Desinfektion selber auszuführen; im wesentlichen 
wird diese dort, wo keine sachverständige Pflegerin den Kranken 
betreut, was nur ausnahmsweise geschehen wird, den Angehörigen 
überlassen bleiben müssen; diese zu verständnisvoller Mitarbeit 
zu erziehen, ist Aufgabe von Arzt und Gesundheitsaufseher. 

Dem behandelnden Arzt soll der Gesundheitsaufseher 
sich weitgehend zur Verfügung stellen und auch mit ihm rege 
Fühlung halten. Die praktischen Kollegen scheinen diese Rege¬ 
lung nicht ungern zu sehen; können sie sich doch durch die 
Mitarbeit der vorgebildeten Laien mancherlei Erleichterungen 
bei Versorgung ansteckender Kranker bereiten. Ich habe ihnen 
in einer Vereinssitzung über Zweck und Ziel der neuen Des¬ 
infektionsordnung Bericht erstattet und ihre Mitarbeit erbeten. 
Daß sich der Kreisarzt mit ihnen vor Anordnung einer „amt¬ 
lichen Schlußdesinfektion“ ins Benehmen setzt, dürfte der großen 
Mehrzahl von ihnen überflüssig und als reine Formsache er¬ 
scheinen, auf die sie keinen Wert legen, ich habe daher auch 
in den wenigen Fällen, in denen icn bisher eine ausgiebigere 
Desinfektion für nötig erachtete, von diesem Schritt abgesehen. 
Es bedeutet übrigens ein Stücklein vorwärts auf dem Weg zur 
polizeilichen Selbständigkeit des Medizinalbeamten, daß er nach 
der neuen Verordnung selbst eine Schlußdesinfektion anzuordnen 
in der Lage ist; hoffentlich sind wir bald soweit, daß die ge¬ 
samte Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, wenigstens 
soweit sie das Gesetz vom 28. 8. 05 umgreift, zu dem Aufgaben¬ 
kreis der Kreisgesundheitsbeamten gehört! 

Die Gemeindevorsteher, denen nach der ministeriellen 
Anweisung gleichfalls eine Rolle bei der Bekämpfung der Seuchen 
zufallen soll — Versendung der Desinfektionsmittel durch Ge- 
meindeboten in die Häuser der Kranken und Aushändigung der 
gemeinverständlichen Belehrungen — haben wir in der betreffen¬ 
den Kreisausschußbesprechung völlig ausgeschaltet. Ein 
großer Teil von ihnen befindet sich tagsüber fern des Hauses 
auf Arbeit und kann somit unmöglich immer im geeigneten 
Moment zur Verfügung stehen. Aehnlich geht’s mit dem Ge¬ 
meindediener, der allein als Bote in Frage kommen kann. Wer 
soll die Sachen in deren Abwesenheit erledigen ? Die Ehefrauen 
möchte ich ausgeschlossen wissen. Nach meinen langjährigen 
Landerfahrungen — und ich glaube, alle Kollegen dürften mir 
beipflichten — würden wir mit unsern Maßnahmen bald Fiasko 
machen, wollten wir die Hilfe der Gemeindevorsteher auch noch 
für dieses Gebiet beanspruchen. Wir haben die Aufbewahrung 
und Verteilung der Desinfektionsmittel den Desinfektoren selber 
übertragen, die zugleich die Merkblätter übernehmen. Auf dem 
Kreisständehaus wird ein großes Depot von Desinfektionsmitteln 
angelegt, von dem aus die Desinfektoren versorgt werden; jene 



222 Dr. Hillenberg: Die Durchführung der neuen Preuß. Desinfektionsordnung. 

werden übrigens vielfach den Kranken, soweit sie Kassenmit¬ 
glieder sind, von den Aerzten auf Kassenrechnung verschrieben, 
sodaß der Desinfektor nur ihre Zubereitung und Erläuterung 
ihrer Anwendung zu übernehmen braucht. 

Ueber die regelmäßigen Besuche der Gesundheitsaufseher 
sind Klagen bisher nicht laut geworden, im Gegenteil ist das 
Publikum bis jetzt sehr erfreut über die neue Art der Des¬ 
infektionshandhabung, und man hört immer wieder die Frage: 
warum ist das nicht schon immer so gemacht worden? Nament¬ 
lich, der Fortfall der umständlichen Schlußdesinfektion auf der 
einen, und die sofortige Vornahme der vereinfachten 
Schlußdesinfektion auf der anderen Seite löst große Befriedigung 
aus. Um den Desinfektor in den Stand zu setzen, sofort nach 
eingetretener Genesung usw. die Schlußdesinfektion auszuführen, 
legt er bei seinem ersten Besuch im Krankenzimmer dem be¬ 
handelnden Arzt nachstehenden Zettel hin: 

Benachrichtigung. 

.. den. 

Dein Desinfektor and Gesandheitsanfseher. 

Der 

pj- an.erkrankte. 

ist genesen — gestorben — nach dem Krankenhanse überführt. Die Schia߬ 
desinfektion kann vorgenommen werden. 

Tag der Erledigung: Der behandelnde Arst: 


Unterschrift des Desinfektors: 


Dieser wird im gegebenen Zeitpunkt vom Arzt ausgefüllt 
und dient dem Desinfektor als Unterlage für die Vornahme der 
Desinfektion; in einer Reihe von Fällen ist freilich persönliche 
Erkundigung des Desinfektors beim Arzt nach dem Termin der 
Schlußdesinfektion vonnöten. Hinsichtlich der Ausführung der 
letzteren ist dem Beamten eingehends eingeschärft worden, was 
der Altmeister Flügge in Nr. 18 dieser Zeitschrift über die 
mechanische Desinfektion ausgeführt hat: Nie zu übersehen, 
daß diese niemals eine Desinfektion in seuchentechnischem 
Sinne ist, vielmehr stets darauf Bedacht zu nehmen, die Krank¬ 
heitserreger am Ort des Kranken erst zu vernichten, dann sie 
mit dem Schmutz zu beseitigen. — 

loh hoffe, daß wir mit Hilfe der Gesundheitsaufseher all¬ 
mählich auch eine bessere Absonderung der Kranken 
erreichen werden. Die Ueberführung ansteckender Kranker in 
ein Spital findet jetzt fast ausnahmslos lediglich bei Genick¬ 
starre, Typhus und Ruhr statt, bei Scharlach und Diphtherie nur 
in Ausnahmefällen. Daß bei der heutigen Wohnungsmisere eine 
Isolierung in der Familie noch schwieriger als früher sich ge¬ 
staltet, liegt auf der Hand; immerhin läßt sich doch manches 
erreichen, wenn dauernd durch Kontrollbesuche amtlicher Per¬ 
sonen auf die Notwendigkeit guter Absonderung hingewiesen 
wird. Es wird hier eingewendet werden, daß der behandelnde 











Dr. med. 0. Neaatätler: Kreisarzt and hygienische Volksbelehrang. 22 $ 


Arzt hier an erster Stelle maßgebend ist. Gewiß ist er das; 
aber die Erfahrung lehrt, daß, wie vor Jahrzehnten so auch 
jetzt noch der praktische Kollege im Drang seiner therapeu¬ 
tischen Tätigkeit nicht selten den sonstigen nicht rein ärzt¬ 
lichen Forderungen gegenüber sich mehr oder weniger indifferent 
verhält. Deshalb wird auch in Zukunft die Seuchenbekämpfung 
in der Hauptsache auf den Schultern des staatlichen Gesund¬ 
heitsbeamten und seiner Organe ruhen. 

Was zum Schluß die Kostenfrage anlangt, so vermag ich 
den Kollegen Engelsmann, der von der neuen Desinfektions¬ 
ordnung eine „wesentliche Verbilligung“ des Desinfektionswesens 
erwartet, nicht beipflichten. Durch die hauptamtliche Anstellung 
der Desinfektoren als Gesundheitsaufseher, deren häufige Reisen, 
erwachsen die Kost.n erheblich, und ich glaube wohl, daß nicht 
alle Kreise in der Lage sein werden, ihr Desinfektionswesen 
im geschilderten Sinne einzurichten. Dafür pflichte ich ihm 
durchaus darin bei, daß eine größere Wirksamkeit erhofft werden 
kann, besonders wenn die Gesundheitsaufseher entsprechend 
ausgebildet werden. Alles in allem halte ich die neue Des¬ 
infektion sordnung für einen ungemein wichtigen Fortschritt, 
wenn ihr in der Praxis sinngemäß Rechnung getragen werden 
kann. Daß wir in der Seuchenbekämpfung noch erheblic^ mehr 
zu leisten imstande sind als bisher, ist sicher; sie stellt m. E. 
das Hauptgebiet der Wohlfahrtspflege dar, die freilich in leichtem 
Polizeimäntelchen daherschreitet, in Wirklichkeit aber nichts 
anderes ist, als reinste Fürsorgearbeit, und als solche bewertet 
und im Grunde gehandhabt werden muß. 


Kreisarzt und hygienische Volkshelehrung. 

Von Dr. med. 0. Neustätter, Generalsekretär des Beichsansschnsses 
für hygienische Volksbelehrung, Dresden. 

Der Artikel von Kühnlein über die Kreisärzte und den 
1. Deutschen Gesundheitsfürsorgetag in Berlin gibt Anlaß zu 
diesen Zeilen. Sie sind nicht bestimmt, nochmals die Wunde 
zu berühren, die ja in Nürnberg noch stark blutete. Zweifel¬ 
los haben Kreisärzte Vieles und Großes geleistet in sozialer 
Hinsicht, nur daß man früher dieses Gebiet nicht so scharf 
abgrenzte wie jetzt. Es gab ja auch schon eine Sozialhygiene, 
ehe man sie umschrieb. Die ganze Schule Pettenkofers 
hatte einen wesentlichen sozialen Zug. Aber wie durch Ab¬ 
grenzung der Hygiene zunächst gegenüber der „medizinischen 
Chemie“, der „Staatsarzneikunde“, der „gerichtlichen Medizin“ 
und jetzt der „Sozialhygiene“ gegenüber der „technischen 
Hygiene“ sich den Förderern der neuen Richtung'das Bedürfnis 
ergeben hat, nach scharfen Abgrenzungen zu suchen, die im 
Leben meist ineinander überzugehen pflegen und wie im ersten 
Eifer dort so manches von den früheren Ergebnissen übersehen 
worden ist, so geht es jetzt auch mit der Leistung der Kreisärzte. 

Was für die hygienische Volksbelehrung von großem 



224 


Dr. med. 0. Neustätter. 


Interesse ist, das ist die Aufzählung der zahlreichen Qebiete 
und der vielseitigen Hörerkreise, in denen sich die Kreisärzte 
betätigt haben. Daraus geht hervor, daß in der „hygienischen 
Volksbelehrung“, was übrigens von uns niemals verkannt worden 
ist, schon recht Erhebliches unternommen worden ist. Trotz¬ 
dem darf gesagt werden, daß noch mehr geleistet werden muß, 
wenn das Ziel erreicht werden soll, daß der Mensch von seinem 
Körper und der Erhaltung seiner Funktionen und den Wegen 
zur Kräftigung seiner Widerstandskraft mindestens soviel wissen 
und planmäßig beigebracht bekommen soll, wie etwa über die 
Flüsse von Frankreich, die Bäume des Waldes, die Schlachten 
der Römer und Griechen. Wenn übrigens von solchem Unter¬ 
richt eine Selbstüberhebung befürchtet wird, so ist das nur so¬ 
lange gerechtfertigt, als dieses Wissen eben allzu oberflächlich 
ist. Denn echtes Wissen macht bescheiden. Es zeigt am besten 
die Grenze des eigenen Könnens und lehrt Hochachtung vor 
dem tieferen Verständnis und Können. 

Es darf nun angenoipmen werden, daß die Kreisärzte, die 
bisher schon in Schulen, wie in Vereinen, vor Eltern, Lehrern, 
Gewerkschaften, Ortskrankenkassen mitgewirkt haben an der 
Aufklärung und die ja, wie es Kühnlein aussprach, das Auf¬ 
klärer^ für eine Pflicht anseheu, auch weiterhin in dieser Rich¬ 
tung inre wertvolle Hilfe nicht versagen werden, und es darf dies 
um so eher erwartet werden, wenn ihnen die Lasten erleichtert 
werden können, die ein solcher Vortrag zu machen pflegte. 
Unter diese Beschwerlichkeiten werden die Vorbereitung der 
Vorträge, dann aber die Opfer an Geld, die dabei zu entstehen 
pflegten, angeführt. 

Es ist Zweck dieser Zeilen, darauf hinzuweisen, daß in 
dieser Richtung die Landesausschüsse für hygienische 
Volksbelehrung den Kreisärzten an die Hand zu 
gehen bestrebt sein werden. Denn eine ihrerjAufgaben- 
ist es allgemein, möglichst vielseitige Vorbereitungen zu treffen, 
die tatsächlich dem Praktiker draußen — der ja nicht nur in 
der Aufklärungsarbeit sich erschöpfen kann, dem die Zeit und 
oft die Gelegenheit fehlt, sich mit Literatur wie Anschauungs¬ 
material für einen Vortrag zu versehen — recht beschwerlich 
fallen und nur zu oft von der sonst vielleicht gern übernommenen 
Aufgabe abhalten. 

Es sind schon jetzt z. B. durch den Reichsausschuß die schönen 
Lichtbilderreihen zu vermitteln, die das Deutsche Hygiene- 
Museum in Dresden aufgestellt hat und weiterhin zu ergänzen im 
Begriff steht. Es seien hier nur die Titel der Lichtbilderreihen er¬ 
wähnt, die fertig zur Verfügung stehen: Entwicklung und Aufbau 
des menschlichen Körpers; das Knochengerüst des Körpers; Haut 
und Muskeln; Blut, Blutkreislauf, Lymphe; Atmungsorgane; Ver¬ 
dauungsorgane; Nervensystem; Sinnesorgane; Ausscheidungs¬ 
organe — Geschlechtsorgane — Drüsen mit innerer Sekretion; 
Zerrüttung der Volksgesundheit durch Geschlechtskranheiten; 
Tuberkulose: Wesen, Verbreitung, Bekämpfung; Alkoholismus; 




Kreisarzt and hygienische Volksbelehrung. 


286 


Krankheitserreger — Krankheitsübertragung und -Verhütung; 
Pocken-Irapfung; Typhus—Cholera—Ruhr; Ansteckende Kinder- 
Krankheiten; Zahnpflege; Keimesentwicklung — Schwanger¬ 
schaft — Geburt; Jugend wandern —Jugendfrohsinn; Säuglings¬ 
ernährung; englische Krankheit; Pflege des Kindes im ersten 
Lebensjahr; Soziale Fürsorge für Mutter und Kind; Erneuerung 
der Männertracht; die weibliche Unterkleidung (Korsettfrage); 
Hygiene der Kleidung; die Kochkiste; Wohnungshygiene; das 
Onr und seine Pflege; Keimesentwicklung des Menschen; Körper¬ 
pflege — Leibesübungen; Luftbad; Wasserbad — Schwimmen; 
erste Hilfe bei Unglücksfällen; Tuberkulose (Schulreihe); Knochen- 
und Gelenktuberkulose; Tuberkulose im Kindesalter; Unsere 
heimischen Pilze; Die Stätten der Leibesübungen sowie einige 
geschichtlichen Reihen. 

Es ist nicht gesagt, daß sich nun der Vortragende stets 
an die Titel zu halten braucht. Die Reihen enthalten so viel, 
daß man manchmal die Hälfte der Bilder weglassen kann und 
doch einen Vortrag noch reichlich auszustatten vermag. Anderer¬ 
seits sind Teile der Bilderreihen auch für sich zu verwenden 
und auf Wunsch werden auch für ein gegebenes Thema nach 
Mitteilung eigene Reihen aus den vorhandenen zusammen¬ 
gestellt. Es ist ahpr anzuempfehlen, gegebenenfalls mehrere 
Reihen zu bestellen, aus denen man sich dann die für einen 
besonderen Vortrag gewünschten Bilder zusammenstellen kann. 
Doch ist aus den bereit gehaltenen Verzeichnissen der einzelnen 
Bilder, die auf Wunsch zugesandt werden, zu ersehen, daß ge¬ 
wöhnlich die bezeichneten Gebiete nicht eng genommen, sondern 
aus Grenzgebieten schon Bilder herangezogen sind. 

Es sei ferner besonders erwähnt, daß der preußische 
Landesausschuß und der bayrische ebenfalls eine größere 
Sammlung vonLichtbilderreihen bereit halten. Auch 
andere Stellen haben solche vorbereitet, z. B. der Reichs¬ 
ausschuß für Leibesübungen Berlin, die Arbeitsgemeinschaft 
sozialhygienischer Reichsverbände in Berlin u. a. Die Qualität 
ist noch nicht überall gleich, wie sich denken läßt, besonders 
wenn man weiß, wieviel Arbeit und Kosten die gute Ausgestal¬ 
tung solcher Lichtbilderreihen bedeutet und wie bisher die 
Lichtbilder nur nebenher, jedenfalls ohne eingehende Prüfung 
und Anpassung an das Gesamtgebiet der Hygiene ausgeführt 
wurden. Was vorhanden ist, das soll demnächst in einem 
vom preußischen Landesausschuß vorbereiteten Verzeichnis der 
verleihbaren hygienischen Lichtbilderreihen zusammengestellt 
werden. 

Der Reichsausschuß ist andererseits im Begriff, eine Leih¬ 
bibliothek für Vortragende zusammenzustellen, die es 
sich zur Aufgabe macht, das bereit zu halten, was ein Vor¬ 
tragender für seine eigene Orientierung vor einem solchen Vor¬ 
trag rasch einmal durcharbeiten möchte. Das setzt natürlich 
eine gewaltige Sammelarbeit voraus, die noch durch die un¬ 
geheuerlichen Preise aller Drucksachen in der Jetztzeit äußerst 



226 Dr. med. 0. Neustätter: Kreisarzt and hygienische Volksbelehrung. 

erschwert ist. Es wird sich aber allmählich durchsetzen, daß, 
wie an dasReichsgesundheitsarat oder an sonstige neutrale Stellen, 
die Autoren je einen Separatabzug ihrer Arbeiten auch an 
den Reich sausschuß nach Dresden senden, wo, wie nicht 
leicht irgendwo anders, die gesammelte Literatur der breitesten 
Oefientlichkeit dann indirekt zu gute kommt. Es möchte bei 
dieser Gelegenheit auch an die Kreisärzte die Bitte gerichtet 
werden, von ihren Arbeiten dem Reichsausschuß Sonderabzüge — 
wenn irgend angängig in 2 Exemplaren — zuzustellen. Der 
Reichsminister des Innern hat übrigens bei sämt¬ 
lichen Landesregierungen diese Bitte befürwortet 
und gebeten, daß die staatlichen und kommunalen 
Stellen die zuständigen Veröffentlichungen fort¬ 
laufend dem Reichsausschuß zusenden möchten. 

Der Reichsausschuß wird außerdem bemüht sein, auch den 
hygienischen Film zu weiterem Ausbau zu bringen. Auch 
das ist eine nicht nur sehr schwierige, sondern vor allem sehr 
kostspielige Sache. Immerhin sind jetzt schon mehrere Film¬ 
firmen mit Material versehen, das freilich mangels einer Fühlung¬ 
nahme mit den in der hygienischen Belehrung besonders er¬ 
fahrenen Stellen, noch nicht ganz auf der Höhe steht, die man 
wünschen möchte. Das ist nicht technisch zu verstehen, sondern 
bezüglich der Anpassung an das Publikum und des Ueberblicks 
über das besonders Wichtige, das gelehrt werden soll. Auch 
ein Verzeichnis der vorhandenen Filme mit Leihbedingungen 
steht auf Anfrage zur Verfügung. 

Jedenfalls würde es sich empfehlen, wenn die Amtsärzte 
enge Fühlung nehmen würden mit den Landesaus- 
sohüssen für hygienische Volksbelehrung. Es existieren solche 
bisher in Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, 
Thüringen, Anhalt, Waldeck, Lippe-Detmold, Hamburg, Olden¬ 
burg, Hessen, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe. 

Mit der angedeuteten Tätigkeit erschöpft sich aber nicht 
das Ziel der Landesausschüsse. Gerade das, was ebenfalls den 
Kreisärzten bei ihrer Tätigkeit noch viel zu schaffen gemacht 
hat: die Vorbereitungen an Ort und Stelle, die Aus¬ 
wahl der Lokale, die Beschaffung und Bedienung von Licht¬ 
bildapparaten, die Anzeigen in den Blättern und sonstige Werbung 
von Zuhörern und was all die kleinen Sorgen vor einem solchen 
Vortrag oder gar einem Kursus sind, das soll durch die Organi¬ 
sation der Ortsausschüsse geleistet werden. Unter den Landes¬ 
ausschüssen soll sich ein Netz von Ortsausschüssen bilden. 
Deren Aufgabe wird es sein, die angedeuteten örtlichen Erforder¬ 
nisse zu erfüllen und auch, soweit irgend angängig, für die 
Deckung der entstehenden Kosten zu sorgen, so daß dann der 
Vortragende sich nur noch mit der Darbietung seiner Belehrung 
zu befassen braucht. In Sachsen ist durch aas Landesamt für 
Wohlfahrtspflege den Pflegebezirken diese Aufgabe der Orts¬ 
ausschüsse überantwortet worden und ein Teil von ihnen hat 
schon Mittel und Wege für die Arbeiten gefunden. 



Dr. Plenske: Die Martener Typhus-Epidemie im Sommer 1921. 227 

Die Organisation der Landesausschüsse ist erst in der 
Bildung begriffen und schreitet bei den jetzigen schwierigen 
Verhältnissen nur allmählich vor. Man wird dabei wiederum 
die Mitarbeit der Kreisärzte, und sicher nicht ohne Erfolg, an- 
rufen : daß sie nämlich die Einrichtungen mitschaffen helfen, 
die ihnen wiederum die Arbeit erleichtern werden, die sie bisher 
trotz so vieler Hindernisse geleistet haben. Und es ist auch, 
wie ich nach den Erfahrungen in Sachsen sagen kann, zu er¬ 
warten, daß gerade die Medizinalbeamten in ihrer Tätigkeit 
nicht nur fortfahren, sondern sie auch weiter ausdehnen werden, 
bis die Organisation auf breitere Basis gestellt ist. Durch den 
Erlaß des Reichsarbeitsministeriums, der auch die Ver¬ 
sorgungsärzte aufgefordei t hat, bei der hygienischen Volks¬ 
belehrung mitzuwirken, wird ihnen Gelegenheit geboten sein, 
sich mit Kollegen zusammenzufinden, die einen Teil der bisher 
ihnen allein aufgebürdeten Arbeit mit leisten könnten. 

Und so darf man der Ueberzeugung Ausdruck geben, daß 
es nach und nach gelingen wird, was Kühnlein ausspricht: 
Besinnung in unser Volk zu bringen, Besinnung darauf, daß die 
Gesundheit des Volkes das Einzige ist, was wir armen Deutschen 
uns vielleicht zurzeit noch etwas besser gestalten können und 
unbedingt gestalten müssen, wenn wir nicht als Volk zu Grunde 
gehen wollen. Für große sozialhygienische Aufgaben anderer 
Art fehlen ja leider die Mittel. Aufklärung zu schaffen ist im 
wesentlichen abhängig von der Arbeitswilligkeit, der zur Auf¬ 
klärung Berufenen. Sie wird sich durchsetzen, wenn die Kreis¬ 
ärzte ihre bewährte Kraft weiter zur Verfügung stellen. Die 
angedeuteten, jetzt schon bestehenden Erleichterungen mögen 
ihnen dabei den Entschluß stärken und die Arbeitsfreudigkeit 
erhöhen. 

Die Martener Typhus-Epidemie im Sommer 1921. 

(Aus dem Kreise Dortmund-Land.) 

Von Kreis&ssislonzarzt Dr. Plenske in Dortmund. 

Im Landkreise Dortmund treten in jedem Jahr und be¬ 
sonders in den Sommermonaten zahlreichere Typhuserkrankungen 
auf. Ein verhältnismäßig häufiges Vorkommen wurde fast regel¬ 
mäßig in dem von ungefähr 12000 Einwohnern bewohnten 
Dorfe Marten beobachtet, in dem es auch schon im Jahre 1909 
und 1917 zu epidemischer Ausbreitung des Typhus gekommen 
war. Die damaligen Epidemien konnten auf Kontakt-Infektion 
zurückgeführt werden. Marten liegt im Senkungsfelde der um¬ 
liegenden Zechen und ist bis heute noch ohne Kanalisation, 
besitzt aber fast in sämtlichen Häusern Wasserleitung. Die Häuser 
sind aber zum größten Teil vor 1900 gebaut; die Wohnungs¬ 
verhältnisse sind ungünstig. 

Während es in den Jahren 1918 bis 20 nur zu dem seit 
Jahren gewohnten endemischen Auftreten des Typhus kam, 



Or. Plansk«. 


machte sich Mitte des Jahres 1921 ein ganz plötzliches, ge¬ 
häuftes Auftreten von Typhuserkrankungen bemerkbar. Die 
erste Erkrankung ließ sich auf den 9./10. 6. zurückführen, dann 
folgten am 12. und 14./6. je 2 Fälle, am 16./6. drei Fälle, am 
17./6. vier Fälle, am 18./6. drei, am 20./6. fünf und am 21. und 
22./6. je 2 Fälle. Die ersten dieser Fälle wurden aber erst am 
28. Juni bekannt. Es handelte sich um Personen von ganz 
verschiedenem Alter und verschiedenen Berufen. Die örtliche 
Ausbreitung erstreckte sich über verschiedene Straßen und ver¬ 
schiedene Ortsteile. Bei dem verhältnismäßig plötzlichen Beginn 
und der örtlichen Ausbreitung wurde bereits bei den ersten Fest¬ 
stellungen am 28. Juni eine gemeinsame Ursache angenommen 
und eine Milchinfektion vermutet. Der ganze Ort bezog 
den größten Teil seiner Milch, über 1500 Liter, aus der Molkerei 
0. bei H. i. W. Die Ausbreitung der Epidemie fand im Ver¬ 
sorgungsbereich sämtlicher Milchhändler statt, die aus der 
Molkerei 0. bezogene Mich verkauft hatten. Es wurde daher 
wegen Typhusverdachts in der Molkerei noch an demselben 
Tage, an dem die ersten Fälle bekannt geworden waren, eine 
telegraphische Anfrage an den Kreisarzt des dortigen Kreises 
gerichtet und wegen des Verdachtes einer Milchinfektion bereits 
am 28. Juni in Marten die Anordnung getroffen, daß die Milch 
nur in abgekochtem Zustande abgegeben werden dürfte. Diese 
Maßnahme ließ sich sehr gut durchfüren, da die für die Quäker- 
Speisung vorhandenen Kessel sich sehr gut zum Abkochen der 
Milch benutzen ließen. Am 30. Juni traf vom Kreisarzt in B. 
folgende telegraphische Antwort ein: 

„Soeben Typhusfälle in Molkerei 0. festgestellt, Molkerei 
vorläufig gesperrt.“ 

Schon vor Wirksamkeit der Sperrung hatte sich übrigens 
Marten ab 30. Juni anderweitig mit Milch versorgt. 

Die außerordentlich ungünstigen Verhältnisse des Ortes, 
insbesondere der Mangel einer Kanalisation ließen auch nach 
Verstopfung der Infektionsquelle noch eine weitere Ausbreitung 
der Epidemie befürchten. 

Im ganzen erkrankten in Marten selbst 111 Personen. 
Die Erkrankungsziffer stieg von Mitte Juni bis Anfang 
Juli schnell an — es waren bis 8. Juli schon 72 sichere und 
4 Verdachtsfälle bekannt — um dann allmählich abzunehmen 
und etwa Anfang August ganz zu erlöschen. Nach Monaten 
geordnet ergibt sich folgende Uebersicht, in der man im Gegen¬ 
satz zu der Epidemie 1917 besonders das fast explosionsartige 
Auftreten der Epidemie erkennen kann. 


1917: 

Juli 1 

Anglist 3 
September 88 
Oktober 65 
November 17 


1921: 
April 1 
Mai 0 

Jnni 87 
Juli 22 

August 8 



Oie It&rtener Typhu*- Epidemie im Sommer 1921. 


829 


oder noch weiter gesondert: 


September bis November 1917. 


1.—14./9. 16.-80./9. 1.—14./10. 16.—31./10. 

1.—14/11. 16.-30./1L 

10 28 89 26 

9 8 

Juni bis August 1921. 

1.—14./6. 16.—80./6. 1.—14./7. 16.—31./7. 

1.—14./8. 16.—81./8. 

6 82 19 8 

2 1 


Sehr gut veranschaulichen auch die beiden Kurven das 
allmähliche Ansteigen der Erkrankungsziffer im Jahre 1917 
und das plötzliche Emporschnellen 1921. 




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Die nach dem 15. August auf getretenen Fälle konnten 
nioht mehr mit der Milchepidemie in Verbindung gebracht 
werden. 


Die Verteilung auf die Milchverteilungsstellen des Ortes 
aeigt nachfolgende'Tabelle: 


Bezirk 1 

Bezirk 2 

Bezirk 8 

Bezirk 4 

40 

21 

27 

28 


Unter den 111 erkrankten Personen waren 47 männliche 
und 64 weibliche Personen. Die Verteilung auf die einzelnen 
Lebensalter gibt die folgende Uebersicht: 


o-l 1—6 6—14 14—80 80—60 80-40 40—70 Jahr« 


m 

w m 

w m 

w m 

w m 

w m | 

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0 6 

6 12 

12 18 

10 10 

21 6 

10 2 

6 


D 10 i 

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iT^ ^ 



1 





























230 


Dr. Plenske. 


Bemerkenswert ist, daß im Säuglingsalter keine und im 
Kleinkindesalter relativ wenig Fälle aulgetreten sind. Als 
Erklärung ist anzunehmen, daß die Milch für die Säuglinge 
stets und auch meist für die Kleinkinder abgekocht wird. Die 
hohe Beteiligung des höheren Lebensalters läßt sich besonders 
aus dem Umstand erklären, daß kurz vorher die Milch frei 
gegeben war, Anfang Juni große Hitze herrschte und daher 
damals reichlich mehr oder weniger gesäuerte Milch genossen 
wurde. Weiter war ungekochte Milch in einigen Familien 
auch im Kaffe genossen worden. In einigen Familien konnte 
direkt festgestellt werden, daß nur die Person, die ungekochte 
resp. saure Milch genossen hatte, erkrankt war, während die 
anderen Familienmitglieder von der Krankheit verschont ge¬ 
blieben waren. Auch die höhere Beteiligung der Frauen im 
Alter von 20 bis 70 Jahren erklärt sich aus dem größeren 
Milchverbrauch der Frauen als dem der Männer und vor allem 
daraus, daß die Hausfrauen oft und besonders im Sommer erst 
die Milch vor dem Kochen kosten. 

Unmittelbar auf die Infektion durch die Milch konnten 
86 Fälle zurückgeführt werden, der Rest mit 25 Fällen ist als 
auf Kontakt beruhend anzusehep, davon 7 als wahrscheinlich, 
18 als sicher. Die ersten Kontaktfälle wurden am 4. Juli be¬ 
obachtet, also 28 Tage nach Auftreten der ersten Erkrankung. 

Es handelte sich zum Teil um schwere und mittelschwere 
Fälle, aber noch mehr um leichte und zum Teil abortiv ver¬ 
laufende. Die leichteren Fälle wurden zum größten Teil da¬ 
durch ermittelt, daß fast täglich von unserer Seite die vom 
Typhus befallenen Häuser abgesucht wurden und allen auch 
nur einigermaßen krankheits verdächtigen Personen nachgegangen 
wurde. Die Mortalität war verhältnismäßig niedrig, es ver¬ 
liefen nur 6 Fälle tödlich. 

Die Diagnose wurde hauptsächlich aus dem klinischen 
Bilde gestellt. Die bakteriologische Untersuchung ließ bei 31 
klinisch sicheren Fällen, dabei 2 tödlich verlaufenden, im Stich. 
Eine Uebersicht über die bakteriologischen Ergebnisse ergibt 
nachstehende Tabelle. Von den 111 Fällen hatten: 


pos. Widal 

Tjphasbaz. im Blut 

Typhusbaz. im Kot 

72 Fälle 

13 

10 

(Von diesen außerdem 

(davon pos. Widal 7) 

(davon pos. Widal 8) 

Basillen im Blot 7, imKot 8) 


Sämtliche Kranke und Verdachtsfälle, von denen sich 
12 nicht bestätigten, wurden in den umliegenden Kranken¬ 
häusern abgesondert. Die Bevölkerung setzte im allgemeinen 
der Absonderung keine wesentlichen Schwierigkeiten ent¬ 
gegen, da sie an solche Maßnahmen gewöhnt ist und weiß, 
daß Widerstand zwecklos ist. Wo sich in einzelnen Fällen 
Widerstände gegen die Absonderung zeigten, wurden sie be¬ 
seitigt; bei 2 Fällen genügte die Androhung zwangsweiser 





Die Matener Typhus-Epidemie im Sommer 1921. 


281 


Ueberführung. Eine Frau versuchte sich der Absonderung da¬ 
durch zu entziehen, daß sie sich mit einem Kraftwagep nach 
einem etwa 20 km entfernten Industrieort begab. Sie wurde 
aber nach sofortiger telefonischer Benachrichtigung der zu¬ 
ständigen Polizeibehörde bereits bei ihrer Ankunft in Empfang 
genommen und in das dortige Krankenhaus befördert. Eine 
andere Kranke, eine Lehrerin, reiste nach ihrem Heimatort, 
um ebenfalls so der Krankenhausabsonderung zu entgehen. 
Der sofort benachrichtigte zuständige Kreisarzt sorgte für als¬ 
baldige Krankenhausüberführung im dortigen Bezirk. 

Die Desinfektionsmaßnahmen wurden in der üblichen 
Weise unter Heranziehung von Hilfsdesinfektoren durchgeführt, 
Uragebungskotuntersuchungen wurden in möglichst großem 
Umfange veranlaßt. Den ernsten Bedenken, die bezüglich 
weiterer Ausbreitung der Epidemie wegen der ungünstigen 
hygienischen Verhältnisse des Ortes insbesondere wegen der 
fehlenden Kanalisation bestanden, wurde durch fortlaufende 
Desinfektion der Abwässer mit Kalk, Kontrolle des Abortwesens, 
der Nahrungsraittelgeschäfte und Wirtschaften Rechnung ge¬ 
tragen. Die Aufklärung der Bevölkerung erfolgte durch ein 
besonderes Flugblatt, im übrigen wurden auch Merkblätter des 
Reichsgesundheitsamtes verteilt. Die Abhaltung öffentlicher Fest¬ 
lichkeiten wurde untersagt. In allen von Typhus befallenen 
Häusern wurden zunächst die in ihnen wohnenden Schulkinder 
vom Schulbesuch befreit. Da aber bis zum 6. Juli schon 
20 Schulkinder erkrankt waren, eine weitere Ausbreitung durch 
die Schule zu befürchten war und außerdem noch ungefähr 
70 Kinder aus den von Typhus befallenen Häusern vom Schul¬ 
besuch befreit waren, wurden auf Antrag des Kreisarztes am 
6. Juli sämtliche Schulen geschlossen. 

Während der Epidemie 1917 waren mit der Typhus¬ 
schutzimpfung günstige Erfahrungen gemacht worden. Von 
den damals geimpften 691 Personen fand sich keine unter den 
jetzt Erkrankten, obwohl 4 Typhusfälle in der Familie und 46 
in den Häusern s. Zt. geimpfter Personen aufgetreteu waren. 
Daher wurde auch diesmal der Plan einer weiteren Durch¬ 
impfung der Bevölkerung gefaßt. Es wurden zweimal wöchentlich 
von den ortsansässigen Aerzten Impftermine abgehalten und 
die Bevölkerung durch Flugblatt aufgeklärt und zur Impfung 
aufgefordert. Trotzdem war der Erfolg dieses Mal sehr gering. 
Es ließen sich nur 189 Personen impfen, von diesen sogar nur 
44 dreimal. Als Ursache für die geringe Beteiligung sind vor 
allem übertriebene Erzählungen von Kriegsteilnehmern über 
Beschwerden nach der Impfung und ohne Zweifel auch das 
wenig vorbildliche Verhalten der Beamten des Amtes anzu¬ 
sehen, die sich nicht impfen ließen. 

Weiter wurde als Hilfsmittel in der Bekämpfung der 
Epidemie die Errichtung einer besonderen bakteriologischen 
Untersuchungsstelle in Marten in die Wege geleitet und 
dazu das Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsen- 



282 Dr. Plenske: Die Martener Typhus-Epidemie ijn Sommer ld21. 

kirchen in Anspruch genommen. Hierdurch wurde die zeit¬ 
raubende Versendung der Proben und ihr Verderben resp. Aus¬ 
laufen auf dem Transport verhütet, und konnten so die bakterio¬ 
logischen Untersuchungen beschleunigt und in vollem Umfange 
leicht durchgeführt werden. Unter andern wurden durch diese 
Untersuchungen drei abortiv verlaufende Krankheitsfälle ent¬ 
deckt, die daraufhin der Absonderung im Krankenhaus zu¬ 
geführt werden konnten, und drei Bazillenträger ermittelt. 

Es hat sich also um eine Milchepidemie gehandelt,' die 
von an Typhus erkrankten Angestellten einer Molkerei ihren 
Ausgang genommen hat. Die Ursache des Typhus in der 
Molkerei ist nicht sicher aufgeklärt. Es wurde u. a. von dem 
dortigen Kreisarzt und der Molkereiverwaltung auch vermutet, 
daß der Typhus erst von Marten nach der Molkerei mittels der 
Milchkannen eingeschleppt worden sei. Anhaltspunkte hierfür 
haben sich nicht ergeben. 

Die Tatsache einer Milchverseuchung in einer Molkerei 
und dadurch hervorgerufene Typhus-Epidemie gehört nicht zu 
den Seltenheiten. Es ergibt sich daraus Anlaß zu der Forde¬ 
rung, daß eine allgemeine eingehende hygienische Kontrolle 
der Molkereien und eine gesundheitliche Ueberwachung 
des Personals, verbunden mit regelmäßig wiederkehrenden 
bakteriologischen Untersuchungen durchgeführt werden sollten. 
Daß in unserem Falle nur eine verhältnismäßig geringe primäre 
Ausbreitung — 86 Fälle auf etwa 12 000 Einwohner — statt¬ 
gefunden hat, beruht im wesentlichen auf der im allgemeinen 
geübten Sitte der Abkochung der Milch, dem zurzeit noch ver¬ 
hältnismäßig geringen Milch verkauf und auf sofortiger Ver¬ 
stopfung der Infektionsquelle. Die geringe weitere Ausbreitung 
kann auf die nicht übermäßig große Infektiosität und plan¬ 
mäßige Bekämpfung mit streng durchgeführter Absonderung 
zurückgeführt werden. Als Grundlage der Bekämpfung hat 
sich die energische Anwendung der im Landesseuchengesetz 
gegebenen Maßnahmen bewährt. Weiter hat die Epidemie ge¬ 
zeigt, wie yerschieden schwer die einzelnen Erkrankungen auch 
bei ein und derselben Ansteckungsquelle verlaufen können. 
Neben sehr schweren und mittelschweren Fällen wurden viele 
ganz leicht abortiv verlaufende Fälle beobachtet, die in epidemiö- 
freier Zeit nicht zur Kenntnis gekommen und sicher nicht für 
Typhus gehalten worden wären. Der Typhus als Seuche be¬ 
trachtet bietet eben ein ganz anderes Bild als das der Schul¬ 
fälle in den Kliniken, und wer sich in seiner Diagnose an sie 
halten will, wird häufig falsch diagnostizieren. 

Die bakteriologische Untersuchung hat trotz um¬ 
fangreicher Anwendung in einer Reihe von Fällen im Stich 
gelassen und nicht nur bei einzelnen leichteren, sondern auch 
bei 2 schweren tödlich verlaufenden Fällen, während anderseits 
einige abortiv verlaufende erst durch die bakteriologische Unter¬ 
suchung entdeckt wurden. Wie schwankend gerade die Unter¬ 
suchungen nach Widal sind, haben auch wieder in letzter 



Versammlungen der Medizinalbeamten der Reg.-Bez, Stade u. Potsdam 238 


Zeit 2 typische Typhusfälle gezeigt, bei denen während der 
Erkrankung fünfmalige Untersuchungen nach Widal angestellt 
wurden. Z. B. ergab Fall 1) am 15./8. Agglutination mit Ty. 
Bac. 1: 100 +, 30./9.1:200 +, 6-/10. 1:100 +, 28./10.1:50 + (!), 
3./11.1: 200 +. 

Fall 2) 22./Ö. Aggl. mit Ty. Bac. 1:200 +, 4./10. 1:1000 +, 
19./10. 1 : 500 +, 28./10. neg. (!), 3./11.1:100 +. 

Aus dieser Tatsache, daß keineswegs alle Typhuskranken 
bakteriologisch positive Befunde geben, ergibt sich die Forde¬ 
rung, daß die praktischen Aerzte sich nicht dadurch, daß die 
bakteriologische Untersuchung negativ ausfällt, verleiten lassen, 
bei klinisch verdächtigen Fällen keinen Typhus anzunehmen 
und eine Meldung zu unterlassen, wie es so oft noch vorkommt. 
Die bakteriologische Untersuchung, besonders der 
negative Ausfall kann nicht allein entscheidend 
sein für die Diagnose „Typhus“ oder „kein Typhus“. 
Sie kann nur als ein Hilfsmittel in der Diagnose angesehen 
werden, das hinter dem klinischen Befunde znrücksteht. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Versammlung des Medlzlnalbeamten-Vereins des Reg.-Bez. 
Stade in Bremervörde am MM. 91ärz 1922. 

Anwesend: Beck, Elten, Gattmann, Hancken, Hapke. 
Laben au, Menke, Müller, Pannen borg, Prölss, Bes sei, Tinschert. 

Tagesordnung: Prölss eröffnet die Versammlung und widmet dem 
verstorbenen Reg.- und Med.-Bat Dr. Janssen-Stade einen warmen Nachruf. 

1. Yorstandswahl: Vorsitzender: Prölss, Schriftführer: Pannen¬ 
borg. Vertreter für Berlin: Menke. 

2. Menke berichtet über die Yertreterversammlung ln Berlin. 

8. Müller referiert über Entwurf zur neuen Gebührenordnung, der 
nach anregender Diskussion im ganzen Zustimmung findet. 

4» Prölss beantragt, durch den Vertreter den korporativen Beitritt 
des Preufi. Med.« Beamten «Vereins zum Bernfsvereln höherer Verwaltungen 
beamten zu befürworten. Angenommen. 

5. Elten bespricht die einheitliche Begelung der Impfgebühren im 
Beg.*Bez. Stade. 

6. Tinschert bespricht die Titelfrage und Dienstanfwandseut« 
Schädigung. 

7. Kassenangelegenbelten und Verschiedenes. 

Nach der Sitzung fand ein gemeinschaftliches Essen statt. 

Dr. P r ö 1 s s • Bremervörde. 


Versammlung des BesIrksverelnsPotodamder prenssischen 
Hedialnalbeamten ln Berlin, Kaiserin Friedrichhaus tttr 
ärztliche Fortbildung am 25. Stärs 1922. 

Anwesend: Geiseier, Mantey, Schulz, Aust, Heinze, Gatt¬ 
wein, Wilhelm, Tietz, Stölting, Larras. 

Tagesordnung. 

1. Neuwahl. Nachdem Geiseier erklärt hatte, eine Neuwahl ans 
Mangel an Zeit nicht wieder annehmen zu können, wird Mantey-Belzig zum 
Vorsitzenden und Anst-Nauen zum vorläufigen Schrift« nnd Kassenführer 
gewählt. 

2. Gehaltsfragen. Es wird der Wunsch nach Festsetzung des Be¬ 
soldungsdienstalters für jeden Medizinalbeamten geäußert. Jeder Staatsbeamte 



234 


Kleinere Mitteillingen and Beferate aas Zeitschriften. 


hat das Hecht, eine Gehaltsaofrechnong von der Vorgesetzten Dienststelle za 
verlangen. Die Schriftleitnng der Zeitschrift für Medizinalbeamte wird ge¬ 
beten, von Zeit za Zeit Fragen der Gehaltsberechnung za erörtern, so daß 
jeder Kreisarzt die Möglichkeit hat, sein eignes Gehalt sicher za berechnen. 

3. Amtsnnkostenentschädignng. Die Hauptversammlung des Preußischen 
Medizinalbeamten-Vereins wird ersacht, bei der Staatsregierang eine Erhöhung 
der Amtsunkostenentschädigung auf das 20 fache des Friedenssatzes als un¬ 
bedingt notwendig zu beantragen. 

4. Als Vertreter des Medizinalbeamtenvereins im Berufsverein höherer 
Verwaltungsbeamten wird Bogowski-Berlin in Vorschlag gebracht. 

5. Im neuen Hebammengesetz wird für die Kreishebammenstelle der 
Vorsitz bezw. stellvertretende Vorsitz des Kreisarztes verlangt. Diesbezüg¬ 
licher Antrag an den Hauptverein. 

6. Aenderungen der Dienstanweisung sollen bis zom 15. April von den 
einzelnen Mitgliedern angeregt werden. Als unverrückbare Grandlage für jede 
Aenderung der Dienstanweisung wurde der Leitsatz angenommen: Die 8telle 
des Kreisarztes soll in eine selbständige Behörde mit eignem, staatlichem Ge¬ 
sundheitsamt und Büro and mit den daraus sich ergebenden Pflichten für den 
Kreisarzt amgewandelt werden. Dr. M a n t e y - Belzig. Dr. A u s t - Nauen. 


Kleinere Mitteilungen n. Beferate ans Zeitschriften. 

Hygiene and öffentliches Gesundheitswesen. 

L Schulhygiene. 

Ein Rechenschieber zur Feststellung der prozentualen Abweichung 
des Rohrerschen Index vom Normalindex. Von Studienrat Luckey-Elber¬ 
feld. Zeitschrift für Schul gesundheitspflege, 1921, Beilage der Schul- und 
Fttrsorgearzt, Nr. 1. 

Der hier abgebildete Rechenschieber soll an Stelle der etwas umständ¬ 
lichen Tabellen bei geringem Umfang des Apparats die Bestimmung bequemer 
machen. Man stellt die Körperlänge unter das Gewicht, dann steht die ge¬ 
suchte Prozentzahl unter dem Alter. Solbrig. 


Rohrerscher Index and Ernährungszustand. Von Stadtassistenzärstin 
Dr. Lisa Brunn-Kiel. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Beilage: 
Der Schul- und Fürsorgearzt, Nr. 1. 

Aus den Ergebnissen der Untersuchung von 1000 Kieler Schulkindern 
folgert Verfasserin, daß der Rohr ersehe Index in der von der Quäker- 
kommission angegebenen Modifikation der Anwendung zur Beurteilung des Er¬ 
nährungszustandes des einzelnen nicht, zur Massenbeurteilung nur bedingt 
brauchbar ist. Solbrig. 


üeber die Eignung des Rohrerschen Index zur Bestimmung der 
Unterernährung der Schulkinder und über die dazu gestellte Tabelle. 
Von Stadtassistenzarzt Dr. Re deker-Mülheim a. R. Zeitschrift für Schal¬ 
gesundheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2. 

Der Roh rer sehe Index ist, wie Verfasser auf Grund von eigenen 
Prüfungen annimmt, wohl beim Erwachsenen (bei stabilen Verhältnissen), nicht 
aber beim aufwachsenden Kinde zu gebrauchen, um als Maßstab zur Fest¬ 
stellung von Unterernährungszuständen in objektiven Zahlen zu dienen. Speziell 
bei der individuellen Auswahl der unterernährten Kinder ist Augenschein und 
Untersuchung des unbekleideten Kindeskörpers durch den Schularzt nebst 
Berücksichtigung der Angaben von Lehrer und Fürsorgerin erforderlich. 

_ Solbrig. 


Die Indexmethode, Insbesondere der Rohrersche Index, als Haß zur 
Beurteilung der Entwicklung der Kinder. Von Prof. Dr. E. Schlesinger- 
Frankfurt a. M. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 3 und 4. 

An einer Reihe von Beobachtungen und Untersuchungen sucht Verfasser 
zu zeigen, daß die Indexmethode, so wenig sie bei einmaliger Anwendung zur 
Beurteilung des einzelnen Kindes leistet, doch wertvolle Ergebnisse zeitigt bei 



Kleinere Mitteilungen and Beforate aas Zeitschriften. 386 

wiederholter Bestimmang des Index bei demselben Kinde and vor allem zom 
objektiven Vergleich von Gruppen yon Kindern ans verschiedenen Bevölke- 
rangsschichten oder von verschiedener Konstitution. In dem Bob rer sehen 
Index kommt vor allem das Wachstum, kaum der Ernährungszustand zom 
Aasdrack, derart, daß sich niedere Werte im allgemeinen mehr bei großen, 
schlanken, als bei mageren Kindern finden and niedere Zahlen im allgemeinen 
die günstigeren Werte darstellen, daß dagegen die hohen Zahlen (Pluswerte) 
aber den im Wachstum zurückgebliebenen Kindern entsprechend die weniger 
günstigen Ziffern sind. Die schwachen, kleinen, mageren, fürsorgebedürftigen 
Under haben meist (abgesehen von sehr kleinen, rachitischen) einen geringen, 
nicht auffallenden Pias- oder Minaswert, indem anormale gleichsinnige Ver¬ 
änderungen der Länge und des Gewichts, wie Wachstamshemmang und Ab¬ 
magerang, sich in den Formeln in einander entgegengesetzter Bichtang äußern. 

_ Solbrig. 


Untersuchung der Schüler and Schülerinnen In Kristiania. Von 
LOo Bnrgerstein-Wien. Zeitsch. für Schnlgesandheitspflege, 1921, Nr. 1 a. 2. 

In Kristiania sind nach einer vom Chef des dortigen Schalarztwesens 
aasgearbeiteten Methode, die auf dem Bohr er sehen Index beruht, wobei aber 
Normen für Höhe and Gewichtsverhältnisse für Altersmonate festgelegt worden, 
in größtem Umfange Untersuchungen von Schülern and Schülerinnen vor¬ 
genommen worden, die außerordentlich wertvoll sind, wie Bargerstein 
meint, and weiterhin Anwendang finden sollen, am die Wirkung des Ferien¬ 
aufenthaltes ganz objektiv bearteilen za können. Solbrig. 


Ein vereinfachtes Verfahren, um ans WSgnng and Messung die körper¬ 
liche Entwicklung der Schalkinder za bestimmen. Von Med.-Bat Dr. 
Drescher- Alzey. Zeitschrift für Schnlgesandheitspflege, 1921, Nr. 6 a. 6. 

Das hier angegebene Verfahren Ä>11 an Stelle des mit mancherlei Fehlern 
behafteten Verfahrens der Benutzung des Bohr er sehen Index praktischen 
Zwecken dienen. In Tabellen sind Gewichts-, Größen- and Alterszahlen ver¬ 
merkt, Gewicht and Größe des za untersuchenden Kindes werden an ent¬ 
sprechender Stelle eingetragen, durch Vergleich der Differenz zwischen Ge¬ 
wichts- and Längenstafenzahlen and zwischen Größen- and Altersstufenzahlen 
gelingt es leicht, Abweichungen vom Normalzustand der betreffenden Alters¬ 
stufe zu erkennen. _ Solbrig. 


Ueber Erfahrungen bei Qu&kerspeisangen und Erholungskuren. 
Von 8tadtschalarzt Dr. Stephani-Mannheim. Zeitschrift für Schalgesund¬ 
heitspflege, 1921, Nr. 8 and 4. 

Die Erfolge der Qnäkerspeisangen waren gute (Zunahme an Gewicht 
und Größe bei 72,5 °/ 0 Knaben und 88,5 °/ 0 Mädchen nach 3 Monaten), worden 
aber noch weit übertroffen von den Erfolgen von Erholungskuren (Zunahme 
von Gewicht und Größe bei 86,6 °/ 0 Knaben and 94,8 °/„ Mädchen nach 6 Wochen). 

_ Solbrig. 


Erholungskuren für Schulkinder auf dem Lande. Von Schalinspektor 
H. Th. Matthias Meyer in Hambarg. Zeitschrift für Schalgesundheitspflege, 
1921, Nr. 7 und 8. 

Verfasser unterscheidet folgende Formen der Ferienkolonien: 

1. unentgeltlicher Anfenthalt bei Familien anf dem Lande, was nur vereinzelt 
zur Anwendang kommen kann, wobei aber dankbar an die neutralen 
Länder während des Krieges zum Nutzen unserer notleidenden Jagend zu 
denken ist; 

2. die „offene Ferienkolonie", d. h. Unterbringung einzelner Kinder gegen 
Entgelt bei Landleaten, was heute nur selten vorkommt und sich wenig 
bewährt hat; 

8. die -geschlossene Gastkolonie", d. h. Unterbringung einer größeren Anzahl 
von Kindern bei Gastwirten; auch dies hat sich in Hamburg nicht bewährt 
und ist aufgegeben; 



236 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


4. die „geschlossene Regiekolonie*', wobei die Organisationen selbst die Be¬ 
wirtschaftung übernehmen; dies hat sich recht bewährt and wird in 
Hambarg bevorzugt. 

Das Ideal ist, daß die Schale selbst eigene, in enger Verbindung mit 
dem Scbulleben stehende Erholungsheime schafft. Die Dsrchführwg stößt 
aber gerade heutzutage auf große Schwierigkeiten. Sol orig. 


Die Neuköllner Gartenarbeitsschule. Von Gartenschalleiter A. H e y n - 
Neukölln. Zeitschrift für Schalgesandheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2. 

Die hier beschriebene Gartenarbeitsschale, Ostern 1920 eröffnet, hat sich 
nach jeder Richtung bewährt. Es erhielten hier die 4 obersten Klassen von 
6 Volksschulen wöchentlich an 2 Tagen 10 Unterrichtsstanden, wozu praktische 
Arbeit kam. Schüler, Lehrer, Eltern waren zufrieden. Die Sdhule arbeitet 
mit Ueberschüssen. _ Solbrig. 


Die Schulpflegerin. Von Stadtarzt Dr. Fischer-Defoy in Frank¬ 
furt a. M. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 7 und 8. 

Die Schulpflegerin gehört heutzutage unbedingt in der Großstadt zu 
einem schulärztlichen Betrieb. Die Grenze zwischen Schulschwester und Schul¬ 
pflegerin verwischt sich immer mehr. Die Aufgaben der Schulschwestern sind 
vor allem darin zu suchen, sämtliche Ermittlungen über Mißstände allerlei Axt 
anzustellen, auf die Abstellung von solchen Mängeln hinzuwirken, die Ver¬ 
mittlung zwischen Arzt und Elternhaus, zwischen Arzt und Fürsorgeeinrich¬ 
tungen zu übernehmen, bei der Jagendgerichtsbarkeit mitzuwirken u. a. m. 

Eine Schulpflegerin maß neben besonderen Eigenschaften eine gediegene 
Schulbildung und ein bestimmtes Maß von Kenntnissen aufweisen. Der Be¬ 
such einer Wohlfahrtsschule mit Abschlußprüfung erscheint dem Verfasser 
nicht unbedingt erforderlich. Solbrig. 

o 

Ueber die schulärztliche Tätigkeit an Fortbildungsschulen. Von 
Schulärztin Dr. Ilse Szagunn-Charlottenburg. Zeitschrift für Schulgesund¬ 
heitspflege, 1921, Nr. 6 und 6. 

Verfasserin tritt für die Einstellung von Schulärzten an den Fortbildungs¬ 
schulen ein. Die Tätigkeit dieser Schulärzte soll zunächst eine nebenamtliche 
sein, ihre Ausgestaltung zu einer halbamtlichen nach dem Vorbild von Frankfurt 
a. M. ist anzustreben, während Anstellung im Hauptamt bei der gegenwärtigen 
Form der Fortbildungsschulen nicht anznraten ist. Eine Schulpflegerin ist dem 
Schularzt zur Seite zu stellen.__ Solbrig. 

Bemerkungen zur Berufseignungsforschung. Von Dr. Erich Stern, 
Priv.-Doz. in Gießen. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 1 und 2. 

Da das Experiment allein nicht ausreicht, um für die Berufsberatung 
oder Berufsauslese sichere Ergebnisse zu erzielen, müssen zur Gewinnung eines 
Bildes von der Veranlagung des jugendlichen Bewerbers auch die Beobachtungen 
über sein spontanes Verhalten, seine Gefühls- und Willensbeschaffenheit in 
gleicher Weise mit berangezogen werden. Der Weg, auf den man zu 
solchen Erkenntnissen gelangt, ist der Beobachtungsbogen, der von allen In¬ 
stanzen, welche das Kind lange Zeit zu beobachten Gelegenheit haben und 
dabei psychologisch hinreichend vorgebildet sind, auszufüllen ist. Also hat 
die Schule hier ausschlaggebend zu wirken. Solbrig. 


Berufsberatung der schwerhörigen Schulkinder. Von Pro! Dr.G.B r ü h 1 - 
Berlin. Zeitschrift für Schalgesandheitspflege, 1921, Nr. 5 und 6. 

Die Berufsberatung Ohrenkranker und Schwerhöriger hat von dem ärzt¬ 
lichen Befund nebst Prognose aaszugehen, dabei ist die Beobachtung der 
Pädagogen während der Schulzeit als Ergänzung des ärztlichen Befundes von 
Wichtigkeit. Bestimmte Berufe bringen besondere Schädlichkeiten für daa 
Gehörorgan mit sich, wobei meteorologische Einflüsse, Staubentwicklung, Qift- 
wirkungen, Geräusche, Luftdruckschwankungen, äußere Gewalteinwirkungen 
von Bedeutung sind. Grundsätzlich sollten Ohrenleidende oder hierzu Disponierte 
von allen Berufsarten ferngehalten werden, die 1. ein dauernd gutes Gehör 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


287 


beanspruchen, 2. erfahrungsgemäß leicht zur Erkrankung des Ohres führen. 
Es gibt mancherlei Berufe, die sich auch für Schwerhörige eignen. Dazu ge¬ 
hören alle Berufe, in denen verhältnismäßig leicht Selbständigkeit erworben wird. 

_ Solbrig. 

Berufsberatung bei Augenleiden. Von Prof. Dr. Levinsohn-Berlin. 
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1921, Nr. 5 und 6. 

Bei dieser Berufsberatung kommt es darauf an, 

1. Kinder von Berufen fern zu halten, für welche die Sehfähigkeit nicht 
ausreicht, 

2. neben der Beurteilung der zentralen Sehschärfe auch das Gesichtsfeld, den 
Farben-, Raum- und Lichtsinn zu berücksichtigen, 

3. Individuen mit Neigung zu Katarrhen von Berufen mit starker Staub¬ 
entwicklung zurückzuhalten. 

4. Individuen mit nur einem Auge von Berufen abzuraten, in denen das 
Auge besonders gefährdet ist, 

6. Sünder mit stärkerer Myopie vor Berufen zu warnen, welche eine stärkere 
Rumpf- und Kopfbeugung verlangen (mit Rücksicht auf die Tatsache, 
daß solche Beugung das anslösende Moment für die Entstehung der 
Myopie bildet). 

Im übrigen ist bei der Berufsberatung niemals das einzelne Organ zu 
sehr in den Vordergrund zu stellen, sondern das ganze Individuum auf die 
Eignung zu dem Beruf zu berücksichtigen. Solbrig. 

2. Jugendfürsorge. 

Jugendwohlfahrtsgesetz und Gesundheitspflege. Von Obermedizinalrat 
Dr. Tj aden-Bremen. Zeitschr. f. soz. Hygiene, Fürsorge- und Kranhenhaus- 
wesen, Juni 1921. 

T. geht von dem vorliegenden Gesetzentwurf aus und weist darauf hin, 
daß als Ziel der Jugendpflege in der neuen Organisation der Jugendämter das 
körperliche, geistige und sittliche Gedeihen des Menschen vom Mutterleibe bis 
zur Volljährigkeit gesetzt ist. Der Kreis gliedert sich in Jugendfürsorge und 
in Jugendpflege. Es fragt sich nun, meint Verfasser, ob der geplante Weg 
sachlich und auch organisatorisch gangbar ist, ob sein Beschreiten Nutzen 
bringt, oder ob bereits Erreichtes gefährdet und verheißnngsreiche Anfänge ver¬ 
nichtet werden. Im großen und ganzen wird die Frage verneint, da für den 
ärztlichen Fachmann keine Zweifel bestehen, daß die öffentliche, gesundheit¬ 
liche Pflege und Fürsorge für die Jugend sich als Sonderaufgabe aus dem 
Rahmen der Gesundheitspflege für das Gesamtvolk nicht loslösen lassen, 
ohne das ganze oder die einzelnen Teile zu gefährden. So läßt sich bei der 
Säuglingsfürsorge nicht Durchgreifendes schaffen, wenn man die Sorge für die 
Schwangeren für das Wochenbett und für das geborene Kind außer acht läßt. 
Bei der Kleinkinderfürsorge sind es die heimischen Infektionskrankheiten, deren 
Bekämpfung bisher Aufgabe der Gesundheitsbehörden war und unmöglich den 
Jugendämtern übertragen werden kann. Die Schulkinder sollen während des 
Unterrichts von den Schulärzten und der Schulverwaltung überwacht und ge¬ 
pflegt werden, außerhalb des Unterrichts aber von den Organen der Jugend¬ 
ämter. Wieder eine sachliche Unmöglichkeit! Endlich ist bei der schul¬ 
entlassenen Jugend die Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechts¬ 
krankheiten die dringendste Aufgabe. Da sie auch bei den Erwachsenen zu 
bekämpfen sind, so kann man sie nicht den Jugendämtern übertragen, weil 
sonst eine schädliche Trennung erfolgen würde. So kommt Verfasser zu dem 
Schluß, daß der Entwurf in der vorliegenden Fassung nicht Gesetz werden 
darf. Entweder muß man den ganzen öffentlichen Gesundheitsdienst voll¬ 
ständig den Jugendämtern angliedern (was natürlich unmöglich) oder man muß 
die gesundheitliche Fürsorge für die Jugendlichen den Gesundheitsbehörden 
überlassen, wohin sie organisch gehören. Dr. Israel-Breslau. 

Fllmzensur und Jugendbewegung. Von G. Gohde-Potsdam. Zeit¬ 
schrift für Schalgesundheitspflege, 1920, Nr. 11 und 12. 

Die Gefahr, die in sittlicher Beziehung durch die nach Aufhebung der 
Zensur schrankenlos erfolgende Ausübung des Lichtspielwesens erwächst, 



244 Tagesoachfichtea. 

fordert ein Einschreiten. Der „Ausschuß dar deutschen Jugend verbände“ hat 
bestimmt« Forderung a«fge stellt and sie dem AasscboB für Berdtkeraugspolitik 
Vorgelegt Hoffentlich wird ihnen Beachtung geschenkt. Ohne eine Zensor 
wird matt nicht auskommen können. Selb rig. 

- •' «• V» • //•••/ ' . ■ —*—r*-—«*—‘v : • -• = v -Y'V • • 

3, IrreafttTBorge. 

Offene Fürsorge fUr Geisteskranke. Von Dr, Friedrich Wendenbarg, 
St&dtam in Gelsenkirchen. Zeitschrift für sos. Hygiene, Fürsorge- tt. Kranken¬ 
haus weisen, Heft 12, Juni 1921. 

Dort, wo die Gesundheitsfürsorge als eia besonderes kommunales Ver¬ 
waltung* gebiet systematisch betrieben’ wird, seil auch die geistige Anomalität 
in das «osiftl « hygienische Arbeitsgebiet eingeaogeu werde«. Es bandelt sich 
um die Pfi »Bürge für außerhalb der AnrtaHeß bufihdlichs Öeistes.kratike, Grena- 
zustande uu4 Geistesschwache. Solche sind eheuBO fürsorgebedlMtig feie 
Tuberkulose, Krüppel uaw, Die -Fürsorge «mß im iödmdaeDea Äöd i» soaialen, 
im wirtsuhnftiiehen und hygienischen SitmO unter fachäraüicher Leitutig ge¬ 
leistet Würden. Unter diesen .Zweig der Fürsorge fallen sCl'bxtyefst&odlidi 
all« Idioten, die Insaasen aller Hüfsschtüsa und die eatlaaseacu HlUsacbliler, 
Trinker und Psychopathen Dia EiartchtttiSjf* der offenen Föw%e öiy Geistes¬ 
krank« reiht sich da, wo «n« geordnete Familifenftlrsofge bokteht, natür¬ 
lich ein. Die laufende Beobachtung geschieht nicht^ dardi SpusialfiwsorgerinBen* 
sondern wird uur durch Bezirksfürsorgeriocea fit andere Gebiete gleichseitig 
mit ausgeübt. Verfasser zeigt im Hinblick auf die seit Hai^ to Gelseti- 
kircheu bestehende FürsorgeBtelle. welche von der BevSlkeiruag. „Herveur 
fürBorge* genannt wird, daß der ciMig rlcbüge Wl^; : aftsh auf dieäetn Gebiete 
die Familienfürsorge ist. _ __ l)r. Israel * Breslau. 

Tagesnaekrichteiu 

Bei der Beratung dea Baushalts des Beichsministetittms des Innern im 
Reichstag* Anfang April Ist von dem Herrn Beiehaminister des lauer« 
Dr. Köster die bemerkenswert« Aettßentng: getan, daß tu m einem Beleb»- 
gesundhettmoiialsterlui« kommen müssen/ Sobald die stenographischen Be¬ 
richte vollständig Torüßge«, werden wir auf die ReichstngsTwbasdlueg aus¬ 
führlicher au sprechen kommet!. _ 

Öle SefUClieBgefabrIW DfiUbsehlaud, Maßnahmen der Eegier un g. 
Der Minister für VolltswokUahrt -erteilte kürzlich auf eine Anfrage Über die 
Maßnahmen der Regierung gegen die drohenden Seuchen einscMeppuogtn ei** 
sehr eingehende Antwort, deren einzelne Punkte hier wiedergegeban seieu. Der 
Minister führte aus, jt&ß die beispiellose Hungersnot an der Wolga und in der 
Krim Tausende von dorr ansässig gcweoeßen/ lk^tschstammiigen’nsch Westen 
treibe. Wenn von ihnen auch Iwreite m ü^e» Heimatgebitle» und auf 

dem Wege nach hierher dem Hunger lind de» -^Caches. «uns Opfer fielen. *o 
ist doch damit an rechnen, daß ein großer Teil dieser Flüchtlinge über die 
deutsche Grenre gelangen werde. Die Hafipigcfahr bei diesen audringesdes 
Massen liege darin, daß sowohl in der rirssjetlien 'Heimat dieser liebt* Fleck- 
ticbcr, Rückftlläftber, S'ock-rc. ».'Wera, Typhus, Rohr und Scharlach in einer 
ungewöhnliche* Stärke verbreitet seien, als such is Polen, durch das diene 
Answandervrströme hindurch müßten, tlSes-6 Seuchen tu ausgedehntem Maße 
wutetca. Besonders die von den Polen und Letten eingerichteten großes 
Quarastkaelsger seien wegeo des Cagariefer* in den dortiges Baracken geradezu 
Herde für Fieckfie^refkninkcsgea geworden. i/' ■ • 

Der Minister führte daua weiter aus. «iaS demeasprechend auch die 
ersten Transporte von Wolga-De ätsche» im D*»aifeer rongea Jahres stark 
Seckfieberrerseach* vrarea. Vcs dem erstö»Tmssprrt, der aas"363 Personen 
bestand, erkrankte* damals aivfct weßig-tt als 2öS. Meuerdings 
kaltes die Pole« weitere Transporte ha den '«f U 

de* deutsche» Lagern die MNebelten »sr Aufenhsie i-trw T>ri»«,:-vi* 
ist 8 m« m befürchte», 3*6 Polen m-Ssä 

üb-rfiotet wird c»l dar» sich die Amncs tderer alsFaiti enge besamt dt» dir 
dcaivct»'* Grrw« ergror« werdwc Vor #J>.» Pisgea wird in dies«! Huwicht 
die Graue toc Brasdeahurg und de: öreamark twdrobt. Ob e* 




Tagesnachrichten. t89 

f 

gelingen wird, diese Hassen durch Besetzung der Grenze mit Polizei abzu- 
halten, ist fraglich. 

Die deutsche Regierung hat sich aber doch entschlossen, der drohenden 
Gefahr so weit wie möglich zu begegnen. So ist die Grenze von Ostpreußen 
dadurch geschützt worden, daß bei Neidenburg und in Prostken Sanierungs¬ 
anstalten und in Eydtkuhnen ein 1200 Personen fassendes Lager mit großer 
Entlausungsanstalt eingerichtet ist. Es stehen ferner zur Aufnahme sanierter 
Flüchtlinge ehemalige Gefangenenlager sowie Rote-Kreuz-Lager zur Verfügung. 
Auch am polnischen Korridor und an der Grenze der ehemaligen Provinz Posen 
ist beabsichtigt, eine größere Sanierungsanstalt einzurichten. In Schneidemtthl 
steht ein Entlausungs-Eisenbahnzug zur Verfügung. Zur Ueberwachung der 
Strecke Posen—Bentschen, auf der sich der Hauptverkehr von Polen nach 
Deutschland abspielt, ist in Stentsch eine große Aerztestation eingerichtet. 

In gleicher Weise ist einstweilen die Sicherung der schlesischen Grenze 
vorgesehen, aber es war hier noch nicht möglich, wegen der Unsicherheit der 
endgültigen Grenzfestlegung Entlausungsanstalten einzurichten. Zur Unter¬ 
bringung von Flüchtlingen steht für Schlesien das frühere Gefangenenlager 
Neiße zur Verfügung. 

Der Minister schloß mit der Hoffnung, daß selbst, wenn es nicht ge¬ 
lingen sollte, alle Flüchtlinge in die Quarantäne-Anstalten zu leiten, die Aerzte 
ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf die verstreut im Lande auftretenden 
Erkrankungen richten und durch die Absonderung der Kranken und die Durch¬ 
führung aller Maßnahmen der modernen Seuchenbekämpfung diese Infektions¬ 
krankheiten unschädlich machen werden. Jedenfalls sind die Aerzte von der 
Regierung wiederholt auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht worden. 

(Voss. Zeitung.) 


Eine neue Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige für 
das Beioh ist in Kraft getreten. Die Zeitversäumnis wird mit 1 bis 16 M. 
für jede angefangene Stunde vergütet. Dabei wird der Erwerb berücksichtigt. 
Für jeden Tag werden nicht mehr als 10 Stunden vergütet. Handarbeiter, 
Handwerker und kleine Gewerbetreibende erhalten die Entschädigung auch 
ohne Zeitversäumnis. Sachverständige bekommen bis zu 20 M. für die Stunde, 
für besonders schwierige Leistungen bis zu 80 M. Besteht ein üblicher Preis, 
so gilt dieser. Für einen Weg von mehr als 2 Kilometer wird eine Ent¬ 
schädigung nach billigem Ermessen oder für jedes angefangene Kilometer 
BO Pf. gewährt. Für einen auswärtigen Aufenthalt sollen nicht mehr als 60 M., 
für das Nachtquartier nicht mehr als 80 M. vergütet werden. Notwendige 
Begleiter für Jugendliche und Gebrechliche erhalten dieselben Entschädigungen. 


In dem vom Beiohstage angenommenen neuen Branntwein¬ 
monopolgesetz werden 30 Millionen Mark zur Bekämpfung der Trunk¬ 
sucht und anderer der Volksgesundheit drohenden Schäden, die mit dem mi߬ 
bräuchlichen Branntweingenuß Zusammenhängen, insbesondere der Tuberkulose 
und der Geschlehtskrankheiten ausgesetzt. 


Fleckfiebererkrankungen im Deutschen Belebe im Jahre 1921. Nach 
den Mitteilungen des Reichsgesondheitsamts wurden im Jahre 1921 insgesamt 
688 Erkrankungen (gegenüber 1103 im Vorjahr) angezeigt. Davon entfielen 
826 auf Flüchtlinge, Rückwanderer und sonstige, aus dem Ausland zugereiste 
Zivilpersonen, 106 auf internierte Russen, 71 auf ehemalige Soldaten und Heim¬ 
kehrer, 26 auf einheimische Zivilpersonen, 3 auf polnische Arbeiter und 2 auf 
sonstige Personen, über die nähere Angaben fehlen. Die meisten Erkrankungen 
(474) kamen in den Internierten- und anderen Lagern vor; an erster Stäle 
stand Frankfurt a. 0. mit 276 Rückwanderern und 2 Krankenpflegepersonen. 

Sämtliche Lager waren mit Entlausungsanstalten und Desinfektions¬ 
einrichtungen, viele mit eigenen Seuchenkrankenhäusern versehen worden. 
Nach Monaten verteilt, war der Dezember mit 847 der bä weitem am meisten 
befallene Monat, danach Januar mit 91 und Februar mit 42 Fällen, in den 
übrigen Monaten kamen nur wenige, in zwäen gar keine Erkr&nkungsfälle vor. 
Unter den einheimischen Zivilpersonen (26) befanden sich 8 Krankenpflege¬ 
personen, 1 Hebamme. 



240 


Sprechsaal. 


Der Zweite dentsche Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung 
findet in der flimmelfahrtswocbe, and zwar vom 22. bis 25. Mai 1922 in 
Berlin statt. Der Kongreß wird den Teilnehmern einen allgemeinen Ueber- 
bliek über den heutigen Stand der Alkoholforschnng and Alkoholbekampfang 
bieten, die Fragen der alkoholfreien Jugenderziehung eingehend behandeln und 
praktische Wege weisen, wie wir unsere Jagend zar alkoholfreien Lebens* 
führang bringen and sie dadurch vor den ihnen besonders verderblichen 
Wirkungen der alkoholischen Getränke schützen können. — Auf die große Be¬ 
deutung dieser Veranstaltung braucht an dieser Stelle kaum besonders hin¬ 
gewiesen werden. Daß der Veranstaltung in weitesten Kreisen lebhaftestes 
Interesse entgegengebracht wird, hat sich bereits während der Vorbereitungen 
herausgestellt; so hat der Herr Reichsminister des Innern sich bereit erklärt, 
den Ehrenvorsitz des Kongresses zu übernehmen; namhafte Persönlichkeiten 
haben bereits Vorträge übernommen. Es ist zu erwarten, daß die Tagung den 
erwünschten Erfolg haben wird. Das Programm der Tagung kann von der 
Geschäftsstelle der Reichshauptstelle gegen den Alkoholismus, Berlin-Dahlem, 
Werderstraße 16, bezogen werden. 

Für die zunehmende Bedeutung, welche die Soziale Hygiene auch in 
den Kreisen der praktischen Aerzte gewinnt, liefert einen neuen Beweis die 
Tatsache, daß die „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ vom April ab 
dieser Disziplin eine eigene Beilage widmet, in welcher über die neuesten 
literarischen Erscheinungen auf den einzelnen Gebieten (Bevölkerungsbewegung, 
Mutter-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge, Schulkinderfürsorge, Jugendpflege- 
und -fürsorge, Krüppelfürsorge, Seuchenbekämpfung, Tuberkulosefürsorge etc.} 
berichtet wird. Die Redaktion dieser Beilage hat der bekannte Sozialhygieniker 
Prof. Rott, Direktor im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichsanstalt zur 
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und Vorsitzender der Arbeitsgemein¬ 
schaft sozialbygienischer Reichsfachverbände übernommen. 


In dem bekannten medizinischen Verlage von J. F. Lehmann in Berlin 
erscheint jetzt eine neue sozialhy gienische Wochenschrift: „Blätter 
für Gesundheitsfürsorge“, die von der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft zur 
Förderung der Volksgesundheitspflege herausgegeben wird und an Stelle der bis¬ 
herigen „Blätter für Säuglings- und Kleinkinderpflege“ tritt. Die Schrift¬ 
leitung haben Hofrat Dr. Doernberger und Med.-Rat Dr. Seiffert- 
München übernommen. Die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate und kostet 
halbjährlich 15 M.; für Mitglieder der Landesverbände: 7,50 M. 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kreismedicinalrats L. in L.: Können für Mitführung eines 
Fahrrades auf der Bahn die Auslagen besonders liquidiert werden, wenn der 
Beamte das Rad zur Beförderung von dem Endpunkte der Bahnstrecke zum 
Geschäftsorte braucht? 

Antwort: Ja! Nach den Ausführungsbestimmungen deBStaatsministeriums 
zu den Vorschriften über die Reisekosten der Staatsbeamten vom 24. 9. 10 
§ 87 werden Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten, 
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäftes bedarf, ge¬ 
sondert erstattet. 


Auf die Anfrage des Med.-Rats W. in Kl. M. über die ihm zustehenden 
Rnhegehaltsbezüge, die direkt beantwortet ist, und die Bitte, hierzu an dieser 
Stelle eine allgemeine Antwort zu geben: 

Das Ruhegehalt wird auf der Regierung nach der Aasführungsanweisung 
des Finanzminister8 vom 20.12. 21 (Ges.-S. S. 558) berechnet. Der Regierungs¬ 
präsident schickt die Festsetzung an die Kassenverwaltung, letztere gibt die 
Anweisung an die Kreiskasse und Nachricht dem Empfänger. Ausstellungen 
sind an die Regierangs • Kassenverwaltung zu richten. 


Verantwortlich für die Schrlftleitong: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat in Brealaii, 
Breslau V, Rehdlgerstraße 84. — Druck ?on J. C. 0. Bruns, Minden I. W. 








































































Zeitschrift Dir Medizinalbeamte; 


Sonstige Famlliennaclmchten. 

Regf atati Geh- Med.-Rat Dr. Bo I b r i g gibt die Verlobung seiner Tochter 
Cläre mit Herrn Kaufmann Ernst Bchoedon in Beathen bei. au nt. 

Erledigt« Stellen. 

Prtmuaau. 

Zn. besetzen die nicht vollbesoldeten Kreidarzistellea in Waldbröl, 
Eeg.'fezlrt Kßln, Hattingen, Reg>Bex. Arnsberg, Schönl&olie, Reg.-Bezir» 


r» f\}.<in, .ushunpn^ Arn&uerg,, öueuhiaoki 1 « 

BcjraeidemUhl, Mei«enbein>, Bcg.-Bez. Coblenz, and NJebtftl, Reg.-BeZ. Sdüsswlg, 
I»i$ Umwandclnog dsr Kreisärzte telleaWaldbröl and Hattingen in vollbeaoidete 
Stelle® ist im Entwarf zum Staatshaushalt för 1922 vorgesehen. Dem Kreis- 
medizittairat in Hattingen werden Tom KrasnusscbUfl. voraussichtlich «ach 
kreiskommnrtalärztiicbe. Dienstgeschälte übertragen werden. Außerdem ist die 
Krefaasstairnxarztstelle in Banmhojdcr, Reg.-ßez. Trier, zu heBetzwr. Be» 
Werbungen sind bis zum 20 . Juni 1922 an das Ministerium, tftr Volks wohl fahrt 
in Berlin W. 86 , Leipziger Straße 8 , dnrch Vermittlung des für den Wohnort 
des Bewerbers anständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin de« Herrn 


Polizeipräsidenten) einzureichen. 

Bayern. 

Zu besetzen: Bezlrbsarztateile in Wegscheld. Bewerbopirea siui bei 
der f&r den Bewerber zuständigen Regiernng, Abteilung des Innern, ein» 


zureicben. 

Zu besetzen ist — bis sui Verabschiedung des Staatshaushaltsplans 1922 
in vorläadger Weise — dl« Stelle eine« Oberanilgarefes — mit ärztlicher 
Praxis — für »Jen Oheramtebexlrk Gerahroun mit dem Sitz in Langeitbarg. 
Vorbehalten feleit-t die Umwandlung der Steile in eine vollbesoldete Ober* 
amtearstitelR? urit sTweitertem Amtsbezirk und Anweisung eines anderen 
DienatatizeSi Die Bewerber haben sich binnen 8 Tagen beim Minist, d. Innern 
zu melden. ' 3 ">V. • 0 : '.'-i;vVV:v " c vVV -V V Vf.*" -'V-V . 


Q Jfr JF Jj y'+S Ko'üoktate« 

’Ws Kieselsäure-Eiweisa 

pro Tafel. 0,1 g Si 0 >; 3 X tägl. 1 Tabi, 

I 

Gegen Ekzeme, Lungenkraukliesteti etc., 
besonders gegen beginnende und fibröse Tuberkulose. 


Kolloidale Mmeral-Eiweissnahrung. 

Fördert die KnocbenMldung, 
Kräftigt den gesamten Organismus 


Proben und Literatur vom Le ein werk Hannover. 







Zeiurchfjji Mr Medista&ibeamte. 


( O iacetv ia m Idoazotol u o!) 


Hasche, gfün<Hiche Epitb«iisiefting gt^noliemidfer WoiidflacLon. 
Wesentliche Abkürzung »ler Heildaner. — Zafertässige, Wir¬ 

kung hei Ekzemen ftlie§ Ail lind hartnäckigen Hamkmnkheiten. 

Amrendonet Hauptsächlich in Fora vnn 12*/*Selbe, ferner als 
2*/» /iinkpastfc and 5®/fr BeJaspuder, r ; V 

Orartnal-Pazkun^-M : V 

| Tub*v 

PtttidoU Salbt oder 7Jnkfast* . 2 ,J .W , 4 -V Dof» su ru. j\? || 

[ 1 1 Do>*h zu cu> Sc. ir • ,>y. 

Botuspuaer j'Yo , . - . .. 


Aoirfuhrliclie Lit^etatur dttfch 


Nr. itti 


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haltbares altbewährtes Trockeohsfe-Präparat 

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Mrg^i 5 .- Zeitschrift l92ä - 

für 

MEDIZINALBEAMTE 

1888 raitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.* Rat Prot. Dr. RAPMUND. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie fflr das Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt u. sozialen Hygiene 

Heraasgegeben von 

Med.- Bat Dr. Bundt- Halle a. 8., Ober-Keg.-Rat Dr. Frickhinger- München, 
Prof. Dr. Raup -München, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer- Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Pappe -Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund -Querfurt, Med.-Bat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof. 
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Bat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund 

Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
WQrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 

Schriftleitung: Verlag: 

Heb. Med.-Rat Dr. Solbrig, Hscber’s metL Buchhandlung fl. Kornfeld, 

leg.- u. lad.- Rat li Brösln. Itrlln V. 62, laltbstraße 5. 

Bezugspreis für das Jabr: 60 M.. durch die Post bezogen: 63 M. 


Nr. 10. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monat« 


20. Mai. 


Die Frage der Bildung eines Reichsgesundheits- 
ministerinms bei der Beratung des Haushalts des 
Reichsministerinms des Innern im Reichstage 
am 3. bis 6. April 1922. 

Vom Schriftleiter. 

Im vorigen Jahre wurde bei der Sitzung des Reichstages 
vom 16. März bei der Beratung des Haushalts des Reicns- 
ministeriums des Innern von seiten der unabhängigen sozial¬ 
demokratischen Partei die Errichtung eines Reichsministeriums 
mit einem sozial-hygienisch denkenden Fachmann an der Spitze 
erneut beantragt, aber erneut abgelehnt, nachdem sich der 
Reichsminister des Innern dagegen ausgesprochen hatte.*) Die 
Begründung der Ablehnung durch letzteren lag in folgenden 
Gesichtspunkten: Fehlen des Einheitsstaats, hervorragende 
Leistungen des Reichsgesundheitsamts auf gesetzgeberischem 
Gebiete. Daß diese Begründung auf schwachen Füßen ruhte, 
wurde von Rapmund schlagend bewiesen. 

In diesem Jahr bei der Beratung desselben Haushalts ein 


*) VergL diese Zeitschrift, 1921, S. 129. 










242 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines ReichagesundheitsminiBteriums 

wesentlich anderes Bild: zwar gleichfalls Ablehnung des von 
derselben Partei erneut gestellten Antrages, aber ein Stand¬ 
punkt des Reichsministers des Innern, der an sich der Errich¬ 
tung eines eignen Reichsgesundheitsministeriums durchaus zu¬ 
neigt, aber die sofortige Inangriffnahme dieses Plans ablehnt, 
und zwar aus finanziellen Gründen und aus Kompetenz¬ 
schwierigkeiten zwischen Reich und Ländern. In der Tat ein 
bemerkenswerter Wechsel der Ansicht in der maßgebenden 
Zentralstelle 1 Die Erklärung des Reichsministers Dr. Köster, 
daß er, wie er bereits im Ausschuß gesagt habe, der Ueber- 
zeugung sei, daß wir „zu einem Reichsgesundheits¬ 
ministerium kommen“, erweckt begründete Aussicht, daß 
der in den letzten Jahren von manchen Seiten, besonders aus 
den Kreisen der Aerzte und Medizinalbearaten nachdrücklich 
geäußerte Wunsch seiner Erfüllung nicht mehr allzu fern ist. 
Wenn der Herr Reichsminister ferner in Aussicht gestellt hat, 
eine Reorganisierung des Reichsgesundheitsamts in Angriff zu 
nehmen, sofern und soweit eine solche notwendig erscheint, 
und an eine Vereinheitlichung der heute noch auf eine Reihe 
von Ministerien verteilten, mit Gesundheitsfragen des Reichs 
befaßten Stellen heranzugehen, so ist das gleichfalls erfreulich 
i zu hören. Diese Reorganisationen dürfen aber, was ausdrücklich 
hier zu betonen ist, keinesfalls den Plan, ein eignes Reichs¬ 
gesundheitsministerium zu gründen, hintanhalten. An finan¬ 
ziellen Schwierigkeiten darf das Werk nicht scheitern, mag die 
finanzielle Not des Reichs auch noch so groß sein. Schließlich 
wird durch Errichtung eines solchen Ministeriums so manches 
auf dem Gebiete des Gesundheitswesens vereinheitlicht werden, 
wodurch Zeit und Geld bei der gegenwärtigen Zersplitterung 
erspart werden kann. Das ist oft genug betont worden, so daß 
es sich erübrigt, näher darauf einzugehen. 

Bei der Bedeutung des Gegenstandes halten wir es für 
erwünscht, das wichtigste aus den Reichstagsverhandlungen 
nach den vorliegenden stenographischen Berichten, manches 
auch im Wortlaut hier wiederzugeben. Des Raummangels wegen 
beschränken wir uns möglichst. Es soll aber ausdrücklichst 
hervorgehoben werden, daß in diesen Verhandlungen auch sonst 
manches außerordentlich Wichtige in Frage des Wiederauf¬ 
baues überhaupt, besonders auch bei der Jugenderziehung und 
Jugendbewegung, verhandelt worden ist, was allgemeines 
Interesse beansprucht. 

Aus den Aeußerungen derjenigen Abgeordneten, die zu 
dem Gegenstand gesprochen haben, sehen wir am besten, wie 
die politischen Parteien zu der Frage stehen, und an welchen 
Stellen es gilt, aufklärend zu wirken, damit die noch vielfach 
fehlende Einsicht von der Bedeutung eines Reichsgesundheits¬ 
ministeriums Platz greift und dann der Plan der Verwirk¬ 
lichung nahe gerückt wird. 

Neben dieser Frage der Errichtung eines Reichsgesund¬ 
heitsministeriums waren es auf gesundheitlichem Gebiete noch 



bei der Beratung des Hansbalts des Beicbsmin. des Innern im Reichstag. 248 


einige andere Dinge, die zur Besprechung kamen, so besonders 
die Tätigkeit des Reichsgesundheitsamtes, die Frage der Ein¬ 
führung der „Gewissensklausel“ bei der Impfung, die Bereit¬ 
stellung von Mitteln für Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 
und der Tuberkulose; auch dieses ist wichtig genug, um in 
Kürze wenigstens auf die hierüber stattgehabten Verhandlungen 
hier einzugehen. 

Wir lassen nunmehr die Aeußernngen der Beteiligten 
folgen. 

Der Herr Reichsminister Dr. Köster eröffnete die Be¬ 
sprechung über den Haushalt des Reichsministeriums für das 
Rechnungsjahr 1922, indem er nach Bemerkungen über all¬ 
gemeine Aufgaben und über die Wichtigkeit eines Wieder¬ 
aufbaues des deutschen Volkes nach den schwerwiegenden 
Kriegsfolgen fortfuhr: 

„Um so wichtiger ist die Aufgabe, die das Reich in dieser Beziehung 
hat. Ich verstehe durchaus, daß wie im vorigen Jahre, so auch in diesem 
wieder an uns der Wunsch herangebracht worden ist, diese große sozial- 
hygienische Aufgabe des körperlichen Wiederaufbaus des deutschen Volkes 
auf ein eigenes Reiclisgesundheitsministerlum zu übertragen. Ich habe im 
Ausschuß schon erklärt, daß ich der Ueberzeugung bio, daß wir zu einem 
solchen Reichsgesundheitsministerium kommen. Ich habe aber auch erklärt, 
daß nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus dem Grunde, weil 
die Gesundheitspflege heute noch zwischen Ländern und Reich verteilt ist, an 
eine sofortige Inangriffnahme dieser Aufgabe nicht zu denken ist. Ich habe 
im Anschuß mitgeteilt, daß die Frage einer Reorganisierung des Reichs¬ 
gesundheitsamts, einer Erweiterung seiner Aufgabe, einer Modernisierung, 
wenn es sie wirklich nötig hat, von mir in Angriff genommen wird und daß 
ich bis zum nächsten Jabre dem hohen Hause eine Denkschrift vorlegen werde, 
in der die Vereinheitlichung der heute noch auf eine Reihe von Ministerien 
verteilten Stellen, in denen die Gesundheitsfragen des Reichs behandelt werden, 
vorgeschlagen werden soll. 

Ich mache Sie in dieser Beziehung auf eine weitere große Gefahr auf¬ 
merksam, die dem deutschen Volkskörper gesundheitlich aus dem Osten droht, 
von den Tausenden und aber Tausenden von Flüchtlingen, die über unsere 
Grenzen hereinströmen, ob wir das wollen oder nicht, und von denen zahllose 
mit Krankheiten behaftet sind, die den deutschen Volkskörper bedrohen. Wir 
haben auch in diesem Etat von Ihnen Mittel verlangt, die die Seuchen¬ 
bekämpfung ans dem Osten mehr als bisher ermöglichen gemäß dem immer 
breiter werdenden Strome von solchen kranken Flüchtlingen, mit denen wir 
rechnen müssen.“ 

Von den Abgeordneten sprach als erster Dr. Schreiber 
(Zentr.), indem er u. a. die große physische Schwächung, an 
der unser Volk heute durch Unterernährung, Tuberkulose, 
Volksseuchen leidet, betonte, auf die Gefahr hin wies, die für 
Deutschland besteht, wenn es finanziell und wirtschaftlich weiter 
geschwächt wird und dann nicht mehr imstande ist, sich der 
Seuchen zu erwehren, die bisher immer noch eingedämmt 
werden konnten. Er setzte sich dann noch für Bereitstellung 
von Mitteln zum Zweck der Tuberkulosebekämpfung und Be¬ 
kämpfung der Säuglingssterblichkeit ein, nahm aber nicht 
Stellung zu der Frage eines Reichsgesundheitsministeriums. 

Darauf äußert sich Abg. D. Mumm (D. Nat.), wie folgt: 

„Die Rede des Herrn Reichsministers des Innern bot noch eine zweite 
Ueberraschnng, nämlich die Ankündigung eines neuen Ministeriums. Wir 



244 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines BeichsgesondheitsministeriiunB 

haben ja in vergangenen Zeiten manch nenes Ministerium ans dem Reichsamt 
des Innern heraas geschaffen, and ich erinnere mich sehr wohl der Zeit, wo 
es hieß: jetzt ist das Reichsministeriam des Innern ein feines, kleines, vor¬ 
nehmes Ministerium geworden. Inzwischen ist dann allerdings viel Neues 
hinzugetreten. Aber wenn nun der Herr Minister uns heute — ausgerechnet 
in dieser gegenwärtigen Gesamtsituation — ein neues Reichsministerium an¬ 
kündigt, dann frage ich doch: ist das ein Beschluß des Kabinetts, der uns 
hier mitgeteilt worden ist, oder ist das nur die Privatansicht des Herrn 
Ministers? Ein neues Gesundheitsministeriuml Wenn wir unsererseits unseren 
Bedenken, — die, soviel ich weiß, die Bedenken der Mehrzahl des Hauses 
sind; so sah es wenigstens im Hauptausschuß aus — dagegen Ausdruck 
geben, dann geschieht das wahrhaftig nicht aus dem Gedanken, als ob wir 
die Pflege der Gesundheit irgendwie als geringwertig bezeichnen wollen, nein, 
gerade aus der Ueberzeugung heraus, daß das, was bisher von seiten des 
Reichsgesundheitsamts geleistet worden ist, nicht allen möglichen Experimenten 
— die Mehrheitssozialisten schlagen das vor, die Unabhängigen Sozialisten 
schlagen wieder etwas anderes vor; so war es im Hauptaasschuß — aus¬ 
gesetzt werden soll. Wir freuen uns, daß fttr die Bekämpfnng der Säug¬ 
lingssterblichkeit vermehrte Mittel eingesetzt werden können, und wir geben 
der Hoffnung Ausdruck, daß wir auch auf diesem Gebiete weiter werden 
voranschreiten dürfen.“ 

Am folgenden Sitzungstage (5. April) folgte der Abg. Dr. 
Moses (U. Soz.), der nach absprechenden Bemerkungen über 
die Einsetzung unzulänglicher Mittel zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose und der Säuglingssterblicheit (3 bezw. 2 Millionen, während 
seine Partei B bezw. 4 Millionen beantragt hatte) zu der uns 
hier beschäftigenden Frage folgendes ausführte: 

„Und nun noch ein letztes Wort zu all . den Gesetzesvorlagen, die uns 
von dem Herrn Mihister angekündigt worden sind. Er hat uns mitgeteilt, 
daß ein Tuberkulosegesetz in Vorbereitung sei. Das Tuberkulosegesetz war 
uns bereits im vorigen Jahr angekündigt worden. Der Herr Minister hat uns 
weiter ein Irrengesetz angekündigt, dessen Notwendigkeit ganz besonders 
Herr Kollege Kahl auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für 
Psychiatrie ausführlich begründet hat. Herr Kollege Kahl will die Schaffung 
einer Zentralbehörde für das Irrenwesen, und er will diese Behörde ein¬ 
gerichtet wissen als eine dem Reichsministerium des Innern angegliederte 
Reicbsbehörde; er fordert als Leiter dieser Behörde einen Psychiater. Diese 
Forderung ist für mich deshalb so wertvoll, weil ich als Leiter eines Reichs¬ 
gesundheitsamts einen Fachmann, einen Arzt, und nicht einen juristisch 
vorgebildeten Verwaltungsbeamten fordere 1“ 

Der nächste Sitzungstag (6. April) brachte alsdann eine 
ausführlichere Besprechung zum Kapitel Gesundheitswesen. Zu¬ 
erst sprach Abg. Dr. Grotjahn (Soz.) und führte folgendes aus. 

„Während sich in allen Zentralbehörden des Reichs in den letzten drei 
Jahren grundlegende und erfreuliche Wandlungen vollzogen haben, war davon 
im Reichsgesundbeitswesen, soweit man von einem solchen überhaupt sprechen 
kann, nichts zu verspüren. In Zeiten, die glücklicherweise hinter uns liefen, 
hat die Medizinalverwaltung Preußens die Medizinalangelegenheiten des Reichs 
sozusagen im Nebenamte mitverwaltet, — ein Zustand, der gegenwärtig 
unhaltbar geworden ist, zumal die Verfassung des Reichs gerade auf dem 
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege der Gesetzgebung und der Ver¬ 
waltung wichtige Aufgaben zuweist. 

Anerkanntermaßen ist Deutschland das klassische Land der wissen¬ 
schaftlichen Hygiene. In recht auffallendem Gegensatz dazu steht aber die 
Tatsache, daß das Deutsche Reich allein von allen Ländern Europas, seien sie 
reich oder arm, seien sie alt oder neu, eine besondere zentrale Verwaltungs¬ 
behörde für die gesundheitlichen Aufgaben entbehren muß. Nun haben wir 
ja allerdings ein Reicbsgesundheitsamt. Aber schon der Name ist irreführend, 
denn es handelt sich dabei nicht um eine Verwaltungsstelle, Bondern lediglich 



bei der Beratung des Haushalts des Reichamin. des Innern im Reichstag. 245 


um eine Untersuchung»- und Gutachterstelle, die keine Verwaltungsbefug¬ 
nisse hat. 

Die augenblickliche Tätigkeit des Beichsgesnndheitsamts ist etwas 
undurchsichtig, da Verwaltnngsbericbte niemals erschienen sind. Man ist 
daher gezwungen, sich aus den Veröffentlichungen des Amts ein Urteil zu 
bilden, zumal es sich im wesentlichen um eine wissenschaftliche Tätigkeit 
handelt. Da darf man denn doch wohl sagen, daß die Aasbeate an Publika¬ 
tionen innerhalb der letzten beiden Jahre sowohl quantitativ wie qualitativ 
nicht als voll befriedigend bezeichnet werden kann. Wir haben da zunächst 
die „Veröffentlichungen“, die allwöchentlich erscheinen und bei denen schon 
der Name irreführend ist, denn es handelt sich hier vorwiegend um Notizen 
und kleine Mitteilungen, in denen die Tierseuchen und die ausländischen 
8euchen eigentlich den Hauptinhalt bilden, während gerade jener Teil der 
Hygiene, der in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine so große Be¬ 
deutung gewonnen hat, das sozialbygienische Fürsorgewesen, fast vollständig 
vernachlässigt wird. Als Beilagen erscheinen nun die „Arbeiten aus dem 
Reichsgesundheitsamt“, von denen in zwei Jahren nur ein einziger Band 
erschienen ist. Schon die Titel der Arbeiten, die dort veröffentlicht sind, 
lassen erkennen, daß es sich hier um Aufgaben handelt, die auch von jeder 
anderen Untersuchnngsstelle oder von Universitätsinstituten ausgefübrt werden 
können, so daß ein Amt mit einem Personenstand von 200 Personen dafür 
eigentlich nicht notwendig wäre. Ferner erscheinen die ^Medizinalstatlstischen 
Mitteilungen“, von denen in den letzten Jahren als selbständiger Band nur 
ein Band über die Heilanstaltenstatistik, also eine vergleichsweise nebensäch¬ 
liche und die Oeffentlichkeit wenig interessierende Statistik, erschienen ist. 
Erkundigt man sich nun nach dem Teil der Statistik, der für die Grundlage 
des physischen Wiederaufbaues am allerwichtigsten ist, nämlich nach der 
Todesursachenstatistik, so findet man, daß eine solche Statistik nur in ver¬ 
streuten Abschnitten der oben erwähnten Amtsblättchen enthalten ist. Sie 
erscheint in einer Form, die eines 60-Millionenvolkes unwürdig ist. Ich möchte 
dabei nicht mißverstanden werden. Die Kritik, die ich an der Todes¬ 
ursachenstatistik und an allen diesen Publikationen übe, soll sich nicht gegen 
die Persönlichkeiten richten, die diese Publikationen mit ihrem Namen zu decken 
haben, weder gegen den Statistiker von Ruf, der die medizinische Statistik 
im Reichsgesundheitsamt bearbeitet, sondern es soll lediglich eine Kritik der 
Organisation sein und eine Feststellung, daß das Amt augenscheinlich in der 
Stellung, die es augenblicklich einnimmt, sich nicht in dem Maße durchzusetzen 
vermag, wie es wünschenswert wäre. Wir können eine Todesurxachenstatistik 
verlangen, die schnell und rechtzeitig mit Hilfe der Länder herausgegeben 
wird. Ich glaube, daß die Todesursachenstatistik nicht von der Bevölkerungs¬ 
statistik, die Bevölkerungsstatistik wieder nicht von dem allgemeinen Statisti¬ 
schen Amt losgelöst werden kann. Ich möchte deshalb den Herrn Reichs¬ 
minister des Innern bitten, Bich zu überlegen, ob es nicht besser wäre, auch 
die Todesursachenstatistik dem Reichsgesundheitsamt wieder zu nehmen und 
sie in das statistische Reichsamt zu überfuhren. 

Wir finden unter den angeforderten Summen auch einen Betrag von 
800000 Mark für die Typhusbekämpfung in Mitteldeutschland. Die Typhus¬ 
bekämpfung ist eigentlich Sache der örtlichen Behörden, sowohl der Medizinal¬ 
beamten als auch der Gemeindeverwaltungen, und ich verstehe nicht recht, 
warum das Reich hier plötzlich für einen umschriebenen Bezirk eine solche 
Typhusbekämpfung inauguriert. Ich habe beinahe den Eindruck, als ob hier 
wieder eine Beschäftigung für einen Apparat gewonnen werden soll, der durch 
Abtretung von Gebieten im Westen und Süden des Reiches frei geworden ist. 
Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß diese Summe im nächsten Etat 
nicht wieder erscheint; denn es hat keinen Zweck, den Landes- und Gemeinde¬ 
behörden diese Aufgaben abzunehmen. Auch versiehe ich nicht recht, wie 
man fünf Cntersuchungsämler in einer Gegend ei richtet, in der vier Univer¬ 
sitätsstädte liegen, und daß man zwei Untersuchungsämter dort noch ein¬ 
richtet, wo, wie in Halle und Jena, schon solche Universitätsinstitute vor¬ 
handen sind. 

Man hört häufig die Ansicht aussprechen, das Reich hätte zum Unter¬ 
schied von den Ländern keine lokalen Medizinalbeamten und brauche daher 


246 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines Beicbsgesondheitsministerioms 

ancb keine einflußreiche Zentralbehörde für gesundheitliche Aufgaben. 
Nun, daß ist ein Irrtum. Tatsächlich unterhält das Beich durch seine 
Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung bis in das kleinste Dorf hinein 
unmittelbare Beziehungen zur öffentlichen Gesundheitspflege. Aber das soziale 
Versicherungswesen gipfelt jetzt im Beichsarbeitsministerium, wodurch sich 
die sonderbare Tatsache ergibt, daß die gesundheitlichen Zentralbehörden des 
Beichsministeriums des Innern von jener Stelle getrennt sind, die für die Volks¬ 
gesundheit die größte Bedeutung erlangt hat, nämlich vom Beichsversicherungs- 
amt. Ich möchte doch den Herrn Beichsminister des Innern bitten, zusammen 
mit dem Herrn Beichsarbeitsminister zu überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, 
sowohl das Beicbsamt als auch die medizinische Unterabteilung des Beichs¬ 
ministeriums des Innern in das Reichsarbeitsmiuisterium zu verpflanzen, also 
in die unmittelbare Nähe des Beichsversorgungswesens und des Beichsver- 
sicherungsamts. Wir brauchten dann kein besonderes Gesundheitsministerium, 
sondern hätten dann schon ein solches, und zwar, ohne daß uns dadurch 
irgendwelche Kosten entständen. Meine Freunde hatten einen diesbezüglichen 
Antrag im Ausschuß gestellt. Wir wiederholen diesen Antrag hier nicht, da 
er in diesem Jahre dort keine Mehrheit gefunden hat, und weil uns der Herr 
Beichsminister des Innern im Ausschuß zugtsagt hat, eine Denkschrift über 
die Neuorganisation der gesundheitlichen Beichsbehörden ausarbeiten zu lassen!* 

Es folgen dann noch Ausführungen über die Bekämpfung 
des Alkoholismus, wobei auf das Experiment, das die Ver¬ 
einigten Staaten von Nordamerika mit der Prohibition gemacht 
haben, hingewiesen wird, ohne daß sich der Redner darauf fest¬ 
legen will, ob diese Form der Alkoholbekärapfung für unser 
Land das einzig Richtige ist, und der Antrag gestellt wird, 
daß seitens der Reichsregierung eingehende Ermittlungen über 
die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sittlichen Wirkungen 
der Alkoholgesetzgebung in den Vereinigten Staaten angestellt 
und danach Folgerungen für die deutsche Gesetzgebung ge¬ 
zogen werden sollen. Schließlich spricht Grotjahn für die 
Einführung der Gewissensklausel bei der Wiederimpfung, ohne 
einen besonderen Antrag darüber zu stellen. Er erklärt aus¬ 
drücklich, nicht Impfgegner, vielmehr von der Nützlichkeit des 
Impfschutzes überzeugt zu sein; nur sei es fraglich, „ob die 
kostspielige und in manchen Bevölkerungkreisen wenig beliebte 
rigorose Art, Hygiene zu treiben, wie sie durch den Impfzwang 
gegeben ist, nun bis in alle Ewigkeit weiter fortgesetzt werden 
soll.“ Die in England seit 25 Jahren herrschende Gewissens¬ 
klausel habe nicht dazu geführt, daß die Pocken wieder ins 
Land hineingekomraen seien, obwohl in England bereits 50°/ 0 
aller Kinder nicht geimpft werden. Es wird zum Schluß die 
Bitte an den Herrn Reichsminister ausgesprochen, diese Frage 
der Einführung der Gewissensklausel, die auf jeden Fall wieder¬ 
kehren werde, von seinen Medizinalräten von neuem prüfen 
zu lassen. 

Der nächste Redner, Abg. Streiter (D. Vp.) begrüßt die 
deutschen Bestrebungen zur Verbesserung der hygienischen Zu¬ 
stände und zur Bekämpfung der Seuchengefahr in Rußland, er 
hält reichsgesetzliche Regelung über die Ausbildung und Prüfung 
des Krankenpflegepersonals für nötig und wünscht im Reichs¬ 
gesundheitsrat auch Vertreter des Pflegepersonals. Dem Ge¬ 
sundheitswesen im Deutschen Reich werden anerkennende Worte 
gewidmet. 



bei der Beratung des Haushalts des Reichsmin. des Innern im Reichstag. 247 

Darauf erneuert Abg. Dr. Moses (U. Soz.) seinen schon 
wiederholt eingebrachten Antrag auf Errichtung eines eignen 
Reichsgesundheitsrninisteriums mit folgenden Worten: 

„Wir haben unseren Antrag wieder eingebracht, den wir schon in der 
Nationalversammlung gestellt und im vorigen Jahre wiederholt hatten, den 
Antrag nämlich auf Errichtung eines eigenen Reichsgesnndheitsministerlnms 
mit einem Fachmann an der Spitze. Ich habe mich im vorigen Jahre aus¬ 
führlich über die Notwendigkeit der Errichtung eines solchen Ministeriums 
ausgelassen und verweise hier anf die Ausführungen, die ich damals gemacht 
habe. Ein Fortschritt ist jedenfalls erzielt worden. Der Herr Minister hat 
nämlich im Ansschuß und anch hier im Plenum erklärt, anch er sei überzeugt, 
daß diese Forderang über kurz oder lang in Deutschland in die Wirklichkeit 
umgesetzt werden würde. Welche Gründe ihn dazu geführt haben, weiß ich 
nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß in einer ganzen Reibe von 
Staaten, zuletzt, will ich nur sagen, in England 1919, in Frankreich 1920, in 
Rußland 1919, in Polen 1919, in Jugoslawien 1919, in der Tschechoslowakei 
1919, in Ungarn 1920 usw., solche Reichsgesnndheitsministerien errichtet 
worden sind, und zwar unter dem Druck der ungeheuren Verhältnisse, die der 
Krieg ans hinterlassen hat. 

Es sind ja überwiegend Bedenken finanzieller Natur, die die meisten 
• davon abhalten, einem solchen Anträge ihre Zustimmung zu geben. Der Herr 
Minister bat uns versprochen, daß er dafür sorgen werde, einmal rein finanziell 
all diese Positionen zusammenstellen zu lassen, die sich in den verschiedensten 
Ministerien mit den Problemen der Gesundheit nnd der Gesundung des Volkes 
befassen. Ich bin überzeugt, wenn alle diese großen Positionen rein zahlen^ 
mäßig zusammengefaßt werden, daß der Herr Minister selbst erschreckt sein 
wird über die angehenreu Summen, die hier in den verschiedensten Ministerien, 
verschieden verteilt, aaxgegeben werden, und daß es finanziell keine Belastnng 
sein würde, wenn wir ein neaes Gesandheitsministeriam errichten, sondern im 
Gegenteil auch finanziell gesprochen eine Entlastung. Aber wir werden ja 
abwarten, was ans dem heranskommt, was der Herr Minister versprochen hat. 

Ich will auf die vielen sonstigen Gründe, die mich dazu geführt haben, 
den Antrag immer wieder zu stellen, nicht näher eingehen. Ich sagte ja schon, 
aus welchem Grnnde ich das nicht tnn will. Nnr eines: mir ist in den letzten 
Tagen von einem alten bewährten Arzt etwas sehr Interessantes zngeschickt 
worden. Unsere Forderung lautet auch, daß an die Spitze eines solchen 
Reichsgesundheitsministeriums ein Fachmann gestellt werden soll. Für andere 
Länder ist das eine Selbstverständlichkeit. Bei uns steht an der Spitze eines 
Beichsgesnndheitsamts nnd vielleicht anch eines neu zu errichtenden Reichs- 
gesnndheitsmlnisteriums ein Verwaltnngsbeamter, ein Jnrist. Das ist für 
Deutschland nichts Ungewöhnliches. Da ist es nun interessant, wenn ich Ihnen 
noch — und damit bin ich schon am Ende meiner Rede — eine Kabinetts¬ 
order Friedrichs des Großen vom 1. Febrnar 1784 vorlese. Diese Kabinetts¬ 
order ist an seinen Minister v. Hagen gerichtet nnd lautet: 

„Bester Rat, besonders lieber Getreuer! 

Es bat mich gewundert, ans Eurem Bericht vom 80. Jannarii zu er¬ 
sehen, daß der beym Kammergericht gestandene Präsident von Rebour 
zugleich die Direktorstelle beym Ober-Collegio-Mediko mit einem Traktament 
von 200 Talern gehabt hat Wie schickt sieb denn der Justiz Mann zu 
dem medizinischen Fach; davon versteht er ja nichts, und soll auch keiner 
dergleichen wieder dabei gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu ein guter 
und vernünftiger Medikus, und mnß man suchen einen solchen dazu vor¬ 
zuschlagen; der schickt sich eher dahin als einer von der Justiz, welches 
ich Euch also hierdurch erkennen geben wollen, umb Euch hiernach zu 
richten.“ 

Ich brauche also zu dem Antrag, daß an der Spitze des Reichsgesundheits¬ 
ministeriums ein Fachmann stehen soll, keine bessere Begründung zu geben, 
als die Friedrich der Große vor über 100 Jahren- gegeben hat. 

Der Abg. Dr. Mumm (D. Nat.) hat „auf den Wunsch nach 
Schaffung eines besonderen Gesundheitsministeriums in dieser 
Stunde nur die eine Antwort: Reichsgesundheitsamt.“ 



248 Dr. Solbrig: Die Frage der Bildung eines Beicbsgesnndheitsmin. usw. 

Zum Schluß verteidigt Dr. Bumm, Präsident des Reichs¬ 
gesundheitsamts, die Arbeit seiner Beamten und seines Amts. 
Br versichert, daß „durchgehends mit treuer Hingabe und mit 
allen Kräften, mit Freude und mit Aufopferung“ die Beamten 
ihre Pflicht erfüllen. 

„Aber leider kommen eben ihre Leistangen nicht anmittelbar für jeder¬ 
mann zar Erkennung, sondern sie stecken darcbgehends in der großen Anzahl 
von Gesetzen, Verordnungen, Anweisungen und Vorschriften, die vom Reiche 
oder auf Veranlassung der Beichsverwaltung oder auf Grund von Beschlüssen 
des Beichsrats von den Landesregierungen erlassen werden. Das Reichs¬ 
gesundbeitsamt ist nach seiner Organisation nicht in der Lage, selbständig 
nach außen mit Anordnungen, Kundgebungen, Gesetzesvorschlägen und der¬ 
gleichen hervorzutreten, es ist nur eine beratende und begutachtende Behörde 
für die Zentralstellen des Reichs.* 

An Berichten und Gutachten pp. werde vom Gesundheits¬ 
amt alljährlich sehr viel geleistet, die Aufgaben, die es zu er¬ 
füllen gebe, seien reichlich. Gegenüber den Klagen des Abg. Dr. 
Grotjahn über allzu geringe und zu wenig interessante Arbeiten 
in den „Veröffentlichungen des Reichsgesundheitsamts“ wird- 
darauf hingewiesen, daß diese Wochenschrift anerkanntermaßen 
die einzige Quelle sei, die über den jeweiligen neuesten Stand 
jder Krankheiten unter Menschen (und Tieren) innerhalb des 
Reichsgebietes Auskunft gibt. Hinsichtlich der „Gewissens¬ 
klausel“ bei der Impfung sei unter Berufung auf Virchow es 
das „Verfehlteste, was man tun kann“, das Impfgesetz zu 
lockern. 

Am Schlüsse der Sitzung wurde der Antrag Moses auf 
Einrichtung eines eigenen Reichsgesundheits- 
ministeriumsabgelehnt. 

Angenommen wurde der Antrag Moses und Genossen, 
die Summe der zur Bekämpfung der Säuglingssterb¬ 
lichkeit und für die gesundheitliche Kleinkinderfürsorge auf¬ 
zuwendenden Mittel von 2 auf 4 Millionen Mark zu erhöhen. 

Abgelehnt wurde ein ähnlicher Antrag, die zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose aufzuwendenden Mittel statt 
mit 3 Millionen mit 6 Millionen Mark zu beziffern. — 

Ueberblicken wir diese inhaltsreichen Reichstagsverhand- 
lungen, so müssen wir auf der einen Seite mit Bedauern fest¬ 
stellen, daß die Notwendigkeit der Errichtung eines eignen 
Reichsgesundheitsministeriums (mit einem Fachmann an der 
Spitze) im Parlament erst bei einer einzigen Partei erkannt 
wird. Ein Fortschritt ist es aber zweifellos, daß man sich an 
der jetzt maßgebendeden Zentralstelle nicht mehr der Einsicht 
verschließt, daß wir zu einem solchen Ministerium kommen 
müssen. Das Reichsgesundheitsamt, dessen Verdienste gewiß 
nicht unterschätzt werden sollen, ist auch bei etwaiger Um¬ 
organisation nicht als vollwertiger Ersatz für das zu fordernde 
Ministerium anzusehen. 

Daß namhafte Mittel für die Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit bewilligt worden sind, ist erfreulich. Es wäre zu 
wünschen gewesen, daß auch die Mittel zur Bekämpfung der 



Dr. med. Dreaw: Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 249 


Tuberkulose eine Erhöhung erfahren hätten; immerhin ist mit 
der bewilligten Summe schon etwas anzufangen. 

Die Einführung der Gewissensklausel ist abgelehnt. 
Hoffentlich wird ihr dieses Schicksal jedesmal, wenn sie wieder 
auf die Tagesordnung kommen sollte, zuteil! 


Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten.*) 

Von Polizeiarzt a. D. Dr. med. Dreuw-Berlin, Facharzt für Geschlechtskrankheiten* 

Der dem Ausschuß des Reichstags überwiesene Regierungs¬ 
entwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wirft eine 
Reihe von Fragen auf, die für die Zukunft unseres Volkes — 
haben wir doch ca. 10 Millionen Geschlechtskranke — von 
größter Bedeutung sind. Jeder Gesetzentwurf muß eine leitende 
Idee haben. Der Grundgedanke des Regierungsentwurfs ist die 
sogenannte „beschränkte Anzeigepflicht“, d. h. das „Anzeige¬ 
recht“, d. h. in Wirklichkeit die „Anzeigewillkür“ des Arztes, 
ein Prinzip, das jeder fortschrittlichen, gerechten und wirkungs¬ 
vollen Auffassung widerspricht. Daher hat auch die Preußische 
Landesversammlung nach schweren Debatten dieses System 
abgelehnt und hat sich für das von mir seit 1916 verfochtene 
System der „allgemeinen, gleichen, diskreten Anzeige- und 
Behandlungspflicht“ ohne Namensnennung an ein zum strengsten 
Stillschweigen verpflichtetes Gesundheitsamt ausgesprochen, das 
die Patienten unter einer bestimmten Chiffre, die ihm vom 
Arzte mitgeteilt wird, registriert und erst dann das Recht hat, 
sich nach dem Namen des Betreffenden zu erkundigen, wenn 
dieser gröblich seine Pflichten verletzt. Dieses System funktioniert 
in Amerika mit großem Erfolg (S. S.421 der „Sexualrevolution“). 

Wenn der jetzige Regierungsentwurf mit seiner Anzeige¬ 
pflicht Gesetz würde, dann gestalteten sich die Verhältnisse, 
an einem praktischen Beispiel demonstriert, etwa folgender¬ 
maßen: Angenommen, ein Herr Müller ist geschlechtskrank 
oder fürchtet, es zu sein, so ist er verpflichtet, ob er Geld 
hat oder nicht, sich von einem approbierten Arzt behandeln zu 
lassen. Der Arzt hat ihn nun über die Art der Krankheit und 
die Ansteckungsgefahr aufzuklären und händigt ihm ein amtlich 
genehmigtes Merkblatt aus. Nunmehr fängt der Arzt, der doch 
schließlich auch nur ein Mensch und menschlichen Versuchungen 
unterworfen ist, gemäß dem § 8 des Gesetzentwurfes an, zu 
überlegen, ob nicht gerade dieser „Patient infolge seines Be¬ 
rufes oder seiner persönlichen Verhältnisse andere besonders 


*) Eine kritische Würdigung der beiden Gesetzentwürfe sowie die Aus¬ 
landsgesetzgebung findet sich in meinem Buche „Die Sexualrevolution“. Verlag 
von Ernst Bireher-Leipzig. 644 Seiten. Eine zosammenfassende Dar¬ 
stellung des gesamten Problems (82 Seiten) findet sich in meiner Broschüre 
„Gesetzliche Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“. Berlin W. 30. Bitter- 
T er lag, Neue Winterfeldstr. 82. 


250 


Dr. med. Dreuw. 


gefährdet“. Kommt er zu diesem Ergebnis, was natürlich in 
100 v. H. der Pall ist, da jeder Geschlechtskranke eine große 
Gefahr darstellt, dann ist er, ebenso, „wenn der Patient sich 
der ärztlichen Behandlung entzieht“, verpflichtet, den Patienten 
der sogenannten Beratungsstelle zu melden. Also der reine 
Schnüffel- und Bütteldienst I Der Beratungsstelle ist der Patient 
auf Gnade und Ungnade ausgeliefert und hat ohne Berufungs¬ 
recht den Anweisungen Folge zu leisten. Folgt er nicht, so 
hat die Beratungsstelle der Gesundheitsbehörde Kenntnis zu 
geben. Wer diese Behörde ist, wird nicht gesagt. Aber diese 
völlig in der Luft schwebende Gesundheitsbehörde hat das 
Recht, nach Belieben Personen, die dringend verdächtig sind, 
geschlechtskrank zu sein und diese Krankheit weiter zu ver¬ 
breiten, anzuhalten, daß der Betreffende ein ärztliches Zeugnis 
über den Gesundheitszustand vorlege oder sich der Unter¬ 
suchung durch einen behördlich ermächtigten Arzt unterziehe. 
Die Gesundheitsbehörde kann also jedermann, ob geschlechts¬ 
krank oder auch nur verdächtig, zwangsweise einem Heil¬ 
verfahren unterziehen, und zwangsweise in ein Krankenhaus 
bringen, wenn dies zur Verhütung der Krankheit erforderlich 
scheint. Der Willkür der Beratungsstellen kann jeder Deutsche, 
der auch nur verdächtigt wird, geschlechtskrank zu sein, aus¬ 
geliefert werden. Unter dem Namen einer Gesundheitsbehörde*) 

*) In einer Broschüre „Gesetzgeberische Sexualdiktatur“ schreibt der 
Verfasser Dr. jur. med. et rer. pol. B. S p u h 1 über den Regierungeentwurf: 
„Wer ist die zuständige Gesundheitsbehörde? In der Praxis wird sie dar¬ 
gestellt durch einen Schutzmann, durch einen Angestellten der Sittenpolizei 
oder noch schlimmer, durch Leute, die diesen Schnüffler-, Spitzel- oder Büttel¬ 
dienst leisten. Man muß sich dieses praktisch vergegenwärtigen: Herr 
Schulze macht (da er ja keine Verantwortung trägt) ohne jedes Risiko einen 
Herrn Müller von der Gesundheitsbehörde darauf aufmerksam, daß die Frau 
seines Freundes und Gegners Namens Mayer ihm verdächtig erscheint, ge¬ 
schlechtskrank zu sein. Jetzt kommt zu diesen Leuten, nämlich zu Familie 
Mayer, der im ganzen Ort bekannte Beamte und fordert die Untersuchung, 
oder es wird an die Familie Mayer ein Brief geschrieben, der in Form, 
Farbe usw. in der kleinen Stadt natürlich bekannt ist und so wird Frau 
Mayer zu einer Untersuchung aufgefordert. D. h. obwohl überhaupt noch 
nichts festgestellt ist, wird im ganzen Ort über den Fall gesprochen und auf 
der Familie lastet von vornherein ein schweres Odium. Nun kommt Frau 
Mayer wirklich diesem Gesetze nach und geht zu dem Arzt. Da sie gesund 
ist, kann der Arzt nichts finden; weil aber alle Geschlechtskrankheiten das 
Unangenehme haben, daß in gewissen Zeiten Stadien vorhanden sind, in denen 
Erscheinungen noch nicht oder nicht mehr feststellbar sind und ein gewissen¬ 
hafter Arzt zwei oder drei Untersuchungen vornehmen muß, so ist die ganze 
Stadt davon überzeugt, daß, wenn Frau Mayer sogar zwei- oder dreimal zum 
Arzt geht, sie nicht nur verdächtigt, sondern auch daß sie geschlechiskrank 
ist. Was haben die Aerzte für Schwierigkeiten bei der Diagnose und wie 
schwanken dabei die Entscheidungen! Ich erinnere hier nur an die Blutunter¬ 
suchungen nach Wassermann, die seitens der verschiedensten Aerzte außer¬ 
ordentlich verschieden bewertet wird. Wer hat laut § 9 ein berechtigtes 
Interesse, als dritter von den Beamten der Gesundheitsbehörde über die Ge¬ 
schlechtskrankheiten eines anderen Mitteilung zu erbitten? Der Ehemann, der 
Verlobte, oder auch der Knecht oder die Magd i Oder alle die Leute, die die¬ 
selbe Toilette benutzen müssen? Oder vielleicht anch sogar der Wucherer, 
der bei der Vergebung eines Darlehns genau wissen muß, wieweit die Syphilis 
seines Schuldners vorgeschritten ist?“ \ 



GeseUliche Bekämpfung dor OftscLkcbtalsrankhiMten. 351 

wird die Sexualpolizeiauf ca, 60 Millionen Menscher» ausgedehnt 
und eine Kultursklaverei ■ schlimmsten Stils eingeSüfcrt. 

Ein anderer, vors mir herruh render Oesetze?itwurh der aut 
der allgemeinen, gleichen,. diskreten Anzeige- und Behsndlurigs» 
pfliehtj dem von mir sogenannten ^I>i8krep6i3»t»us 4 '^henibt^ 
würde, wie sieh an folgendem Beispiel zeigt, eine «dich« Sklaverei 
ausschalten und die ängesitebten Ziele deiinoeh erreichen: 
Angenommen, Herr Albert M ü Iler, geboren ara 17. März 1883 
zu Breslau, befürchtet, gosohlechtslCrank , zu m«. Baun wäre 
er Verpflichtet-, sic!» auf Staatskosten von e>ioero, für .GeSöbleehts- 
krankbeiten staatlich zugelässeneh Arzt imtersuehcu -zu- lassen, 
Dem Arzt teilt er seine richtige Adresse raU v wird von ihm 
aufgeklärt, erhält ein Merkblatt/ und wird vom Arzt dem/Zur 
strengsten Diskretion verpflichteten' Gesu.ridh.eifsmnt mit den 
Anfangsbuchstaben seines Namens, Geburtsortes, sovae der drei 
Gcbnrtszahlen gemeldet. Also I I. 3/83. B. 

Jede Verwechslung ist somit ausgeschlossen und die Diskret io« 
bleibt gewahrt. Nur der Arzt /weiß, von tU i Krankheit. Von 
diesem Augenblick an ist liew Müller verpflichtet, jede Woche 
einmal dem diskreten G esundheit samt tn der Stadt, wo er die 
erste Meldung dem oben .angeführten Zeichen 

ein von einem attesüe<rfähfg*ft deutschen A rztfausgelülltes Ein- 
2ch?eibeforrr»iiIar zu senden, l/ntersuchung. Behandlung und 
Attest müßieit bei zahlurigsuu fähigen Patienten auf Staatskosten 
geschehen. / Däuft der Binschndbebri^ hat das 

Gesundheitsamt da» Recht, nach weiterem achttägigem Warten 
beim ^rkt'ejp. Arzt sich nach : Ablfn 'zu • etkupdigen und 

den DÄtienten/^wAter Berechnung eirtei' sofort vollstreckbaren 
Strafgehühr uni Einsendung zu ersuchen. Tot er dies auch 
jetzt, noch nicht, dann - erst kann er in. zwangsweise Behand¬ 
lung gebracht Werden, Kommt er immer noch seiner Pflicht 
nicht nach, wird er bestraft,Alle Akten und Aufzeichnungen 
müssen Unbefugten liözugängiieh sein- Ist der Patient für 
gesund; erklärt, schickt er ein’Schiuüatuch ein. 

Durch dieses System wird auch die Prostil utionsfragc ge¬ 
löst. Sittenpolizei und. .Beglernent.iemng wird abgeschäflt, die 
KontröHmädchert werdfjü Birrgertluveti wie alle anderen und 
werden nicht- mehr geheiztuod gejagt. Sie haben, •. 

andere GoseMechtskranke, auf Staatskosten wöchentlich den 
Nachweis der Öesundbeit an das Gcsundhciti-amt- zu erbringen. 
Pa sie aber, der Praxis ■ 'däuffchfl kfaftk oder krankheits» 

verdächtig und besonders /gefährlich sind,. den Kanlw 

weis dreimal wö&heniheH orbrbgoo. Jeder nr tesS ierhihigo deutsche 
Arzt darf; sie auf Staatikxfeten untersuche«. Bei einer Er- 
krankung müssen sie u«te» .strenger SirafändrehiHtg sofort vom 
Arzt aus das Krankenhaus' aubmehen. Höhere aU die staatlich 
festgesetzte Taxpreise darf der Arzt nicht nehmen, iiisbesondero 
nicht direkte Bezabliurg von dön MSdehen selbst. Pin Pflöge-- 
amt kümmert sich um die sozialen und Wirtschaft liehen Ver¬ 
hältnisse, soweit sie dem Gesundheitsamt HemAmg ihres/Nanaens 






252 


Dr. med. Dreuw. 



gestatten. Man erkennt also die strenge Scheidung zwischen 
der Polizei, die sich nur um die Auirechterhaltung der Ordnung 
und der Sitte zu künpmera hat, zwischen dem reinen medi¬ 
zinisch-sanitären Gesundheitsamt und dem Pflegeamt. 

Zunächst sei bemerkt, daß nach englischen und fran¬ 
zösischen Statistiken ca. 25 °/ 0 geschlechtskrank sind, also auch 
voraussichtlich bei uns. Die Regierungsstatistik, wonach 1913 
in den zehn größten Städten mehr krank als 1919 waren, ist 
sicher nicht richtig. Der Regierungsentwurf ist im übrigen 
eine Unmöglichkeit. Das Prinzip war nämlich fast wörtlich 
vom Jahre 1835 bis 1905 in Preußen als sogenanntes „Regulativ“ 
Gesetz. DeT'§ 65 besagte: „Anzeige an die Polizeibehörde muß 
bei einer Strafe von fünf Talern erfolgen, wenn nach dem Er¬ 
messen des Arztes nachteilige Folgen für den Kranken selbst 
und für das Gemeinwesen zu befürchten sind.“ Heute als § 8 
Regierungsentwurfes: „Anzeige erfolgt an die Beratungsstellen, 
wenn der Kranke sich der ärztlichen Behandlung entzieht oder 
infolge seines Berufs oder seiner persönlichen Verhältnisse andere 
gefährdet. Kommt er den Anweisungen (welchen?) der Be¬ 
ratungsstelle nicht nach, so hat diese der Gesundheitsbehörde 
(Wer ist das?) Kenntnis zu geben.“ Also der fast wörtliche 
Abdruck des „Regulativs“ von 1835. Nur statt des klaren Be¬ 
griffs „Ortspolizeibehörde“ der verschwommene Kautschukbegriff 
„Beratungsstelle und Gesundheitsbehörde“. Also noch ein 
Nachteil. 

Wie hat sich dieses Regierungssystem (Blaschko-D.G. 
B.G.) nun bewährt? Hierüber schreibt das Ehrenmitglied der 
privaten D. G. B. G. Ministerialdirektor Kirchner, der das Regu¬ 
lativ noch in Tätigkeit sah: „diese Art hat große Bedenken. 
Sie ist ln das Ermessen des Arztes gestellt und von Bedin¬ 
gungen abhängig, deren Vorhandensein oder Fehlen der Arzt 
in vielen Fällen gar nicht beurteilen kann. Sie ist weder Fisch 
noch Fleisch. Der Arzt bekommt eine Verantwortung, die er 
eigentlich gar nicht tragen kann. Meines Wissens hat kein 
Arzt jemals diese Anzeigepflicht beachtet.“ Privatdozent Dr. 
Christian, der Rassenhygieniker, schreibt (Oeffentl. Gesund¬ 
heitspflege, 1921, S. 631), daß wir auf diese Weise „gewissen¬ 
hafte Aerzte bekommen, die nichts mehr zu melden haben 
und weniger gewissenhafte, die nichts melden“. Also dieser 
70 Jahre alte Ladenhüter ist für die moderne Aerzteschaft 
völlig unbrauchbar. Daß er wieder hervorgeholt wurde, ist un¬ 
begreiflich. 

Nun soll die Meldung an die von Blaschko eingeführten 
Beratungsstellen gemacht werden. 

Im ganzen Königreich Sachsen meldeten in drei Jahren: 
1916, 1917, 1918, nur 99 (!) Aerzte je einen Patienten allen 
Stellen zusammen. In Deutschland waren 1919 122 solcher 
Stellen. 1918 berieten sie 33078 Patienten, d. h. jede durch¬ 
schnittlich im Jahre etwa 330 Patienten, d. h. täglich einen 
einzigen. 







Beiciimpfang öe8<iilfr(jhtjs)S?iiokh^i9rt; 


ÄS 


Das Reicihsverßic^rungsjimt gibt bek&i. ; : ■ 

184 BeratuRgsst^ileir» fßr vörhorfd»*!!' warn«, 

di«? trotz; "der gewaltigen'Ifeklame 107 995 . ; 



(18898), Krarike«hä«ser.H: (t&lOü), Müitärvv • , . ^ ; 

und andere« Stelteii übprwiesBTi wurden. Ai^ erat unt 

stelle hatte hei Millionen Kranken (*) Ulg’B M je • » > 

und je eine überwiesene Meldung. Bei der*' •;<«« IfakJjüw) 
mit Films, Behörden, Vorytcdiungen, Äftfnm • <■• 

ein Resultat, bei dfem ; . jadcf 'anaeirö : .>ip|4yAie .|5flr}oir*i.A»g dm 
BanAerott anrnüiden rnüiit,!*. Em Pmakfürler Atsi •-.. 
Meldungen tägbch ohne Reklame. 

ln Nr, SB der t&vfofcti" Ptttefs*' hrkUirt^ 

1 -..w $3 •: .„ f-... ,-•- 1 .. aK..;,«! _ 7 *.:* ‘ . 



Dr. G h ri st i a n die „Schlau en(;die feö^usbAkoÜMU^ß- bij%i}. daii 
man in den Beralung-ssteilen eine Biutuub. • • ■ • - 

halten kan«. Dir 1 fhdähriifske» aber werden rdhwL; 

Dr. 

Nr. 


haben kann. Die Gefährlichen aber werdeu niein e 
Dr. Hodaun »uhreibi im „Archiv für ■-• •*. ;•- 


1920 


1 , daß! von «K> Kranken jhner rhemß.üh^ 

ml 


stelle nur ein einziger trotz aüer Ermahnuogv.ri •; • 
aulsuchte. Und 90 Prosent aller Kranken jna&gn tffash nanh 
Philip flieht grüadileb hohaudviö. Wie sollen diese gwsw 
werden? Durch die BeratuogsstollHa oder . 
Äo^etgepftich! ? Dies atiaunehmen. Ist ^absurd "ttm- 

su nehmen''. Millionen Gelder werden durch diese UdiHö uot-z- 
los verschwendet. 

Was sagt nun die^ _dje Öaphynr?t 4 ndi^f. ; das 

Parlament u&w. ;$l$jir: dcn'-^Di^feretiAi^ite'jSs^ pty: prctv&feö«** 
Landesversämmlung .»ahm. ihn trotz aller (•■ , <■■ : r.- 

25 . Februar 1920 ao. Der Vertreter Preußens ist dttkat ver* 
pöichtet. im Reichstage dafür einzutföten. 

•. lieber tneioe Vorschläge fin meinem Buche ,Div . '• •.!■*;! • ■ : 

liegen u. a. folgende Ur/.e«Je vor. Geh. 'jfustizm Dr. A ' 
flitzende der Gesellschaft, ftfr sozWes Reckt; „Die £• Jam&tfybiw&ft”- kalies 
sich fern von traditionellen V^rflftidlßo, dm sex na) ky £i>fljjwhe U‘>*ucjt dev 


„Stexaalrerc'lution“ wird dwn ZeU^ti-vtc als .festen gereckt.' - . 

Uirektör des Hygienischen UnlvturBit'atsiofltjtätß in .V«nch?ö - .■> An J r *t>- 


P . 'Bache, bnl mich besonders die Änzeigepöieht inf«t>ai*ii».*rv . üil#; 
{Jarchaus JMtf dem Standpunkt, <1«Ö ohne aiigernme u: .* • '..,. > 

nicht Äasrnkoßuaen iai.“ Okeriandeakericktsfat l)f, jr&r.et puit hu $*«.») 

Kiel; „Jeder objektiv urteilende, unbefangene Leser wi--.i rjcf-iumzh v. 

4ie Wacht des von Drenw keigobrachtön Bew»t.;c.nikl^m |^S WWHK 
etdrückend wl Trotz aller aDftindaf.gee hat er denn u<« w:Wi:/>cVeu 
Trvamph erlebt, daß sowohl die könstituierende jirenöisc! 
durch Annahme eines Gesetzentwurfes Vöül %&.. ifehrtuu' WjA AVeli. ;U’t 

lv.____ tr.z V ;v. ;i?nU V-.. ;s. - .... :r - : - .... 


Pflicht bei allen öesckletktskranbia dürchuug teUen/’ 

Difln)Königsberg);' „ 0 erG^danködesÖreo wsehen Dsktim^i , aha£^lS^t*cb-e;r 
nad wird in Bälde za einem Woitbekefrsuheoden werden, c 
Stand müßte geschlossen für den Dtiakretionismaa eim . - ».■ a - 

flngeht and alle beschäftigt,“ Der bekannte Sozia:.-• v> : .. . 



264 


Dr. med. Drenw. 


W. Sch ve isheimer schreibt in den „Münchener Neuesten Nachrichten 11 
über die Sexnalrevolntion: „Ob die D re a wsehen Vorschläge richtig sind, 
darüber läßt sich vielleicht oder sicher streiten. Aber besser ein nener and 
vielleicht steiler Weg, als das dampfe Arbeiten and Mühen, das die jetzige 
staatliche GeschlechtskrankheitenbekämpfoDg darstellt and dessen Ergebnis-' 
losigkeit an dem Erfolg des im Tretrade sinnlos sich abmühenden Hundes 
erinnert. Vor allem leuchtet den Dreawschen Vorschlägen ein Licht voran, 
das auf jeden Fall, was man anch beginnen mag, den ersten Schritt znr erfolg¬ 
reichen Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bilden maß and wird. Ver¬ 
bohrte Energie zar Darchführang des als richtig Erkannten ist nötig. Das 
Lebenswerk Drenws weist dieselbe verbohrte Energie aaf, die Jenner, 
Semmelweis, Robert Mayer nsw. gekennzeichnet hat. In dem Bache 
wird etwas Neues gegeben, hier wird Leben gebracht in den stagnierenden 
Sampf, der sich staatliche Geschlechtskrankheitenbekämpfang nennt. Die 
„Deutsche Gesellschaft zar Bekämpfang der Geschlechtskrankheiten" gibt sich 
redlich Mühe, aber was ist das Ergebnis?: MißerfolgI Mißerfolg 1 MißerfolgI 
Immer dasselbe larmoyante Lied. Nan kommt das Dreawsche Bach and 
zeigt neue Wege.“ 

In ähnlichem Sinne äußern sich Staatsminister S i v k o v i c h, 
Sanitätsrat Dr. Leo Silberstein, Dr. Weyl, M. d. L., Dr. 
Käte Schirraacher, Dr. Helene Stöcker, die • Kölnische 
Volkszeitung, das Berliner Tageblatt, die Kieler Zeitung, die 
Germania, die Leipziger Volkszeitung, Hamburger Echo, Berliner 
Volkszeitung, Deutsche Tageszeitung, Der Rote Tag, Leipziger 
Neueste Nachrichten, Kölner Tageblatt, Zeischrift für Sexual¬ 
wissenschaft, Essener Arbeiterzeitung, Wiener Reichspost, 
European-Press usw. Ich gebe aus Raumgründen nur diese 
kleine Auslese aus zahlreichen anderen Urteilen. Darum ist es zu 
verstehen, wenn man an der Hand der Erfahrungen mit dem 
schwedischen Spezialgesetz in Sachverständigenkreisen anfängt, 
die Vorzüge des Diskretionisraus, auf den das Wort paßt: »Der 
Prophet genießt in seinem Vaterlande“ zu erkennen. In 
Schweden existiert bekanntlich das größte Spezialgesetz der 
Welt (31 Paragraphen). Darum ist es von Bedeutung, was der 
Direktor des hygienischen Universitätsinstituts in Stockholm, 
Prof. Dr. Alfred Pettersson über mein Buch in der schwedischen 
„Hygiea“ schreibt: „Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Er¬ 
fahrungen ergeben werden, daß den Dreuwsehen Vorschlägen 
der Vorzug vor den in Schweden geltenden gesetzlichen Be¬ 
stimmungen zu geben ist.“ 

Aber auch in Deutschland sehen die für die Zukunft be¬ 
sorgten Sachverständigen auf dem Gebiete der Rassenhygiene 
ein, daß nur ganze Arbeit zum Ziele führen kann. Daher lehnte 
die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene in einer länger 
begründeten Resolution den Entwurf: Syst. D. S. B. G. ab und trat 
für den diskretionistischen Entwurf ein, dessen Annahme sie im 
Interesse der Volksgesundheit forderte. Und am 23. 3. 22 nahm 
wiederum unter Ablehnung der beschränkten Anzeigepflicht 
eine Versammlung von Aerztinnen, Juristinnen und National¬ 
ökonominnen den Diskretionismus an. 

Auch die Aerzte sollten sich, zumal eine gerechte Ver¬ 
teilung der Patienten stattfindet, nicht mit Redensarten von 
diesem System abbringen lassen. Wenn auch etwa 36 Dermato- 



SesetJEliehe Bekämpf upg 4s? Öesclilechtskmakheitea, 26S- 

logen und auf Antrag der letzteren die Berliner Medizinische 
ßesellsühalt vhne l^lskiiäston (1) sieh für dve Kegierwngsideo 
ausspraehen, so ist es mimdrjjin beschämend, daß mau bei einer 
so wichtigen Sache ohne Diskussion einen 70 .Jahre alten Laden¬ 
hüter, der in der Praxis YiUlig versagt hatte, wieder hervor- 
holen will. Leider ist die AefZtt33chalt, da die führende medh 
ßinische Fachpresse bisher jedets Aufsatz' über den „Disoretioms- 
mu8 u ab leimte, nicht orientiert. 

Auch der Vorwarf, den ra&n dem DLkretionisrous macht, 
er sei zu teuer, verschlinge zuviel Geld und erfordern zuviel 
Beamte, trifft nicht zu; denn die Sittenpolizei mit ihren vielen 
Beamten (in Berlin m. 400) imdöebäuden und Gehälter» wird 
abgeaehalft, femer die Bcratung^steilen, dicBordenwIftschaft. etc, 
uud alle diese Ersparnisse würden für die Beaufsiehttgung aller, 
arm und reich, ÄfAöh Wh! Weib verwandt werden, damit endlich 
di» K.!as3enhj r g>cne und die doppelte Moral aufhÖren, 

Der Frankfurter Arzt, Prof. Br. Max Flosch, hat aus 

f »rechnet, daß einer der meistheachäftigtsteh Bermatnlogen 
Frankfurts täglich etwa vier Fälle habe, das gäbe auf ein Jahr 
etwa 1200 und für etwa 40 Fachärzte 50 OCX), Dazu käme, wate 
sieb noch bei de» nicht approbierten KraakenbchandJcrn, bei 
den praktischen Äerzten und in den Heilinstituteü befände, etw& 
die gleiche Anzahl. jEse wäre Ambestroitbar, daß wir da au! eine 
viel zu hohe Zahl kämen, d. h. in einer Stadt von einer halben 
Million Einwohner kämen im Jahr etwa 100000 Zugänge, 
d. h. etwa täglich ?SQ. m registrierende Meldiuigfen. Arbeit für 
etwa 2 Beamte 1 Sulbist' uiHer detti heutigen; Arbeitstag von 
tatsächlich bloß 6‘/g Stur,Jon würden nach Ansicht voiv Fach¬ 
leuten des Registratur Wesens : S Boamtü diosh Arbeit leicht be¬ 
wältigen könnet]. Für die Wciterhcarbeiturig aber käme nur 
ein Bruchteil io Frage, 

Selbst wenn 40 und 50 Beamte nötig wären.. : wäre es 
immer iJOdh eine Ersparnis^ wenn die BeraturigssteUen fielen 
die der Regierungsentwurf eigenartigerweise als „vorzügliche 
Resultate liefernd“ bezeiohnei 

Nachdem bereits sämtliche Frauenvemne, die Schweiz und 
Amerika, zahlreiche Juristen,' Aerzte, Parlämentaricr und Sozio¬ 
logen,, Ferner die beiden sozialdeaiokratischen Fraktionen, die 
deutsch-nationale Volkspartci, das Plenum der preußischen 
Landesversammlung am 25. 2. 20, der Kölner bevölkerungs 
politüiche Kongress ira Mät 1921, dl® Aerätmneüt Juristen und 
NationälökonottunRen für die allgemeine diskrete Atvzesgcpftich t 
eingotreten sind, dürfte diese Jm Rei<^tjagn weit eher Annahme 
finden, als die ins R*gievu»gsent.w«rf verankerte leitende Idee, 
der beschränkten Anzcigepfiichi. Leider aber hat sich, wie der 
So 2 ialpolitiker Diy näed. Cattahi io der Neuen Züricher Zeitung 
schreibt, der moderne Stank allen diesen Fragen gegenüber ah 
impotent, rat-and hilflos erwiesen. Da aber die Geschlechts¬ 
krankheiten ins MUlionenhaSte sich vermehrt haben, so kann 








256 Bericht Über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirksvertreter 

nur ganze Arbeit, die der Diskretionismus in der schonendsten 
Weise leistet, zum Ziele führen. 

Professor von Zumbusch-München, Direktor der Uni¬ 
versitätshautklinik, bespricht in Nr. 13 der v Münchener Medi¬ 
zinischen Wochenschrift 1922“ den Gesetzentwurf der Re¬ 
gierung. Der letzte Absatz seines Referates bringt zusammen¬ 
fassend folgendes Urteil: 

„Die drei letzten Paragraphen bestimmen, daß Beratungsstellen errichtet 
werden müssen, daß ihr Wirkungskreis von Beichs wegen geregelt wird und 
daß die Länder die Kosten aufzubringen haben. Da diese Dinge nicht medi¬ 
zinischer Natur sind, möchte ich mir nur ein paar ganz kurze Fragen erlauben. 
Ist sich der, welcher das Gesetz verfaßt hat, klar, was diese 8ache kostet? 
Es gibt nämlich noch keine Beratungsstellen, wie in der Begründung in voll¬ 
kommen unrichtiger Weise behauptet wird. Das, was nämlich jetzt an Be¬ 
ratungsstellen existiert und was die Begründung erwähnt, sind rein private 
Anstalten, welche von den Landesversicherungsanstalten erhalten werden. 
Diese Anstalten sind weder ihrem Ausmaß und ihrer Einrichtung nach in der 
Lage, die ihnen zugedachten Aufgaben zu übernebmen, noch werden die Landes¬ 
versicherungsanstalten ihr sauer mittels Invalidenmarken zusammengeklebtes 
Geld dazu hergeben, um das Reich zu entlasten; besonders gering dürfte ihre 
Lust sein im Hinblick auf den Inhalt des Gesetzes. Dies werden wohl alles 
die Bandesstaaten übernehmen müssen zum Dank dafür, daß man ihre meist 
viel besseren Vorschriften abschafft und ihnen ein Gesetz aufzwingt, 
welches in wenig Jahren soviel Unheil stiften kann, daß man 
ein Jahrhundert zur Behebung der Schäden braucht." 


Bericht 

über die Sitzungen des Vorstandes nnd der Bezirks- 
Vertreter des Prenssischen Medizinalbeamtenvereins 
am 26. nnd 27. April 1922 in Magdeburg. 

A. Vorstandssitznng. 

Die Vorstandssitzung fand vor dem Vertretertage am 
26. April nachmittags statt. Anwesend waren: Rapmund sen., 
Bundt, Wollenweber, Rogowski, Franz und Solbrig. 

Bundt erstattete den Geschäfts- und Kassenbericht. Da 
derselbe auch auf dem Vertretertage und in der Hauptversamm¬ 
lung wiederholt wurde, wird darüber später berichtet. Besonders 
bemerkt wurde, daß die Geldüberweisungen vielfach eine absolut 
unleserliche Unterschrift tragen, so daß es zuweilen unmöglich 
war, den Einzahlenden zu erkennen. Notwendig ist deutliche 
Unterschrift oder Anwendung von Stempel. 

Gelegentlich bei der Neuordnung des Besoldungsgesetzes 
soll vom Vorstand versucht werden, für die im Ruhestand befind¬ 
lichen Mitglieder Pensionierung aus Gruppe XI zu erreichen. 

Es wurde berichtet, daß es in letzter Zeit wiederholt vor¬ 
gekommen ist, daß die Versorgungsärzte (Reg.-Medizinalräte) 
amtsärztliche Atteste ausstellen. Die Reg.-Präsidenten und das 
Ministerium sollen darum angegangen werden, an die nachge- 
ordneten Behörden aufklärende Bestimmungen dahin zu erlassen, 
daß die staatlich beamteten Aerzte nur die Kreisärzte sind. 













de» Pr«nß, ÜodiiiaiVit-eauifceneereiDa ans 26. a. 27« April w Mftgdebarg. 26r? 

In allen Fragen wurde Einhelligkeit erzielt Zur Ver¬ 
meidung von Wiederholungen werden sie im Bericht des Ver¬ 
tretertages erwähnt. 

B. YortreterVersammlung 

aiu 27. April, vormittags 9 Uhr* 

Fa waren anwesend: 33 Vertreter der Bezirksrvereine 
außerdem Geh. Oberrned.-Rat Prof. Dr. Dietrich als Vertrete, 
des Ministeriums und Geh. Med.-Hat Prof. Dr» ßäpinund al • 

Ehr*.»'Vorsitzender, Der Vorsitzende Bundt erstattete den 

Öesfühäfts* dnd Kassen bericht ( vgl. Anlage), 

Zu Rechnungsprüfern würden dauernd Jörns und 
R t o e « k e r hö! 1 ge wäh) U Die Kässenführung wurde von Ihnen 
geprüftund für richtig befunden.. 

Dem Vorstand wurde Bntlastußg erteilt. Aul Wunsch 
erklärte sich ö u adt bereit:, da ihm »Üb vorzügliche Hille eine? 
Bankiers zur Seite stöbt, : die Kasse weiter zu führen. Er 
wurde Raraufentspröclreßd§ R) der Satzungen'als Schatzmeistei 
bntondenr gewählt. Alle UeberweisUngeß und Forderungen sind 
daher weiter an ihn bezw. at* sein Bankkonto *) zu richten. 

Gemäß Forderung des Amtsgerichts Berlin-Mitte muß § I- 
Abs, 2 der Satzungen dahin geändert werden: .»Der Vorstand 
oder sein Stellvertreter bilden den Vorstand im Sinne des §2t* 

B. Gr. B. ..Stellvertreter ist irn Falle der Verhinderung des Voi • 
sitzenden der Sühr]ftfdbrer H > Dieser zur Eintragung als B. V. 
notwendigen Aeodäferung stimmt die Vertrelerversatmulung ze 
(sie kt von der Haupf ver^Äiurniyng genehmigt} so daß nunmehr 
die Eintragung ins Vtuemsregister keine Schwierigkeiten mehr 
haben dürfte). 

.'Der Vorstand hat vorbehaltlich der Genehmigung der Haupt- Vü 
vcrsanmdung den korporaüven Beitritt des Preuß. Medizittal* 
beamU'iHmreitis zürn Berufs? ertdö höherer VerwäUungsboamto; 

Untergruppe des RotVhsbeamtenburtdoB vollzogen. 

Ö#; Aoschluß andiese Spitzeuofgartisatton erschien in heutige; 

Zeit notwendig. Die Verhandlungen, sind .-von Rogowski ge- 
führt. Er hat erreicht, daß et« Vertreter im engeren Verstand, 
iihbt Besold ungsaussehuß und Besehwerdeauseuhüß zugesagt ist 
Er berichtet eingehend über die. Organisation, und die Verhand¬ 
lungen. Kur die voll angestellten Mitglieder müssen den volle" 
Beitrag für den BerxiRverein höherer Verw&itüngsbeämter zahlen 
4b. im 'VAsiig Hälfte, im Ruh©- 
stand befindliche Mitglieder keinen. Beitrag (auch die Haupt 
Versammlung hat. dem Beitritt augestimrat); 

Die Luge der Kasse — . Bedingt durch die allgemeine Geld* 
ebtwertung, insbesondere aber die durch die Gehern ahme de: v 
Kosten- .lür die Vertue erläge -auf die Kasse des. - Lande«verein 
••.eiagettefteiiö • : $sr]ku. fth den- Berufs verein 

höherer VerwalUingsl/earoter abzufährenden' Beiträge — vei 
langen eine Darke ßrhöhung des Jahresbeitrages und ein v ' 

*} Baakiaaa P. L e h m a n n in Hallo i, Postscheckkonto 1096 Leipzig 



| 

i 

I 

I 








258 Bericht über die tiitzangen des Vorstandes und der Bezirksvertreter 


Nachtragsforderung für 1922. Die Vertreterversamralung 
beschließt 

1. daß der derzeitige Zustand der Belastung der Haupt¬ 
kasse durch die Vertretertagskosten bestehen bleibt. Dafür 
spricht insbesondere der Umstand, daß die weit entfernten 
Bezirks vereine aus sich heraus kaum die Kosten ihrer Vertreter 
tragen können. Eine Verteilung auf alle Bezirksvereine bezw. 
alle Mitglieder erscheint als eine Forderung der Gerechtigkeit; 

2. für das Jahr 1922 einen nachträglichen Beitrag von 
M. 200,— pro Mitglied zu erheben. Diese Nachtragsforderung 
gilt nicht für im Ruhestand befindliche Mitglieder, nur zur 
Hälfte für Kreisassistenzärzte bezw. Stadtassistenzärzte und für 
praktische Aerzte. (Von der Hauptversammlung genehmigt, 
Jahresbeitrag also bis auf Weiteres M. 276,—, dafür aber keine 
hohen Beiträge der Bezirksvereine). 

In der Aussprache über die wirtschaftliche Lage und 
die amtliche Stellung der Kreisärzte wird festgestellt, daß 
die* in anderen kleinen Freistaaten wohnenden, bisher dem 
Preuß. Medizinalbeamtenverein angehörigen Mitglieder dies 
unverändert bleiben. Sie schließen sich zweckmäßig, falls sie 
keine besondere Bezirksvereine bilden können, dem nächst¬ 
gelegenen Bezirksverein an. 

Die Jubiläumsstiftung braucht, um ihrer Aufgabe 
gerecht zu werden, für notleidende Hinterbliebene aus den 
Kreisen des Preuß. Medizinalbeamtenvereins zu sorgen, vor allem 
mehr Mitglieder und höhere Beiträge. Die Vertreterversamm- 
lung beschließt für Beides einzutreten. Die Bezirksvereine 
erheben zweckmäßig die Beiträge zusammen mit allen anderen, 
insbesondere denen für den Preuß. Medizinalbeamtenverein und 
führen sie an Geh. Rat Schlüter, Gütersloh, Postscheckkonto 
2959 Hannover ab. (Von der Hauptversammlung sind M. 80,— 
als Mindestbeitrag genehmigt). 

Sandhop beantragt allgemein die Einführung von Provinz¬ 
gruppen unter Wegfall der Bezirks vereine. Der Antrag findet 
keine Zustimmung, es wird den einzelnen Bezirksvereinen über¬ 
lassen, sich in durchaus zweckmäßiger Weise zu Provinzgruppen 
lose zusammenzuschließen, insbesondere zur Pflege gleichartiger 
wirtschaftlicher Interessen. 

Wollenweber weist darauf hin, daß die Behördebezeich¬ 
nung „Der Kreisarzt“ gesetzlich weiter fortbesteht, die vom 
Preuß. Medizinalbeamtenverein abgelehnte Bezeichnung „Kreis¬ 
medizinalrat“ keine gesetzliche Bezeichnung als Behörde, 
sondern nur eine Dienstbezeichnung des Stelleninhabers sei, dafi 
daher „Kopfstempel“ und Dienststempel „Der Kreismedizinal- 
Rat“, ebenso wie entsprechende Adressen falsch seien. Die 
Aenderung der Amtsbezeichnung als Behörde kann nur durch 
Gesetzesänderung erfolgen. Diese Ansicht wird anerkannt — 
unwidersprochen.. 

Auf Antrag Rapmund sen. wird beschlossen, noch am 
Tage der Versammlung einen Antrag an den Vorsitzenden des 




des Preuß. Medizinalbeamtenvereins am 26. a. 27. April in Magdeburg. 259 

• 

Haushaltsausschußses der Landesversammlung zu richten, die 
Dienstbezeichnung der Medizinalbeamten durch Aenderung der¬ 
selben im Etat den Wünschen der Medizinalbeamten entsprechend 
lestzusetzen. Es wird gefordert für die Reg.- und Med.-Räte 
die Dienstbezeichnung „Oberregierungs- und Med.-Rat“, für die 
Hülfsarbeiter bei der Regierung „Regierungs- und Med.-Rat“, 
für die Kreis- bezw. Gerichtsärzte „Medizinalrat“, in der Auf- 
rückungsstelle „Obermed.-Rat“, für die Kreisassistenzärzte 
„Medizinalassessor“. (Der Antrag ist nach Zustimmung der 
Hauptversammlung am gleichen Tage an den gerade tagenden 
Haushaltsausschuß als Eilbrief abgegangen). 

Eine besondere Amtsbezeichnung für die Vorsitzenden der 
gerichtsärztlichen Ausschüsse und die Mitglieder derselben wird 
von der Vertreterversammlung als unnötig einhellig abgelehnt. 

Nach eingehender Aussprache über die Dienstaufwands¬ 
entschädigung, die allseits als unerhört niedrig bezeichnet wird, 
wird beschlossen, die Unterhaltung eines staatlichen Büros mit 
staatlichen Mitteln zu beantragen, nicht eine stets mehr oder 
weniger unzureichende Dienstaufwandsentschädigung. Hinsicht¬ 
lich des derzeitigen Zustandes des Ersatzes der Telefonkosten 
wird festgestellt, daß in den verschiedenen Regierungsbezirken 
ein verschiedenes Verfahren geübt wird. Offenbar ist es bereits 
jetzt möglich, die gesamten Kosten der Staatskasse aufzuerlegen, 
wobei von dem einzelnen Kreisarzt für etwaige Privatgespräche 
die Gebühren für einen Nebenanschluß abzuführen sind. Es 
wird empfohlen, entsprechende Anträge bei den Regierungs¬ 
präsidenten zu stellen. 

Die weitere Uebertragung kreisärztlicher Geschäfte auf 
Stadtärzte wird von der Vertreterversammlung als unzweck¬ 
mäßig angesehen. Sie scheint auch vom Ministerium nicht 
weiter beabsichtigt zu sein. Rapmund jun. beantragt die 
Beseitigung der Prüfung der Protokolle bei Leichenöffnungen 
und der Gutachten in Entmündigungssachen. Die Vertreter¬ 
versammlung stimmt dem nicht zu, die Frage soll aber auf 
der nächsten Vertreterversammlung weiter geprüft werden. 
Anträge auf Verhandlungen des Preuß. Medizinalbeamten Vereins 
mit Landesversicherungsanstalten werden nicht genehmigt. 
Derartige Verhandlungen werden bei der Verschiedenartigkeit 
der Verhältnisse als Aufgabe der Bezirks vereine bezw. der 
Provinzialvereinigungen angesehen. Die Aerztekammer Berlin 
zieht die Medizinalbeamten im Gegensatz zu anscheinend sämt¬ 
lichen anderen Aerztekammern in voller Höhe zu den Beiträgen 
heran, dies wird als ungerechtfertigt von der Vertreterversamm- 
lung angesehen und ein Abzug entsprechend den Kosten für die 
Ehrengerichte als notwendig bezeichnet. Der Vorstand wird 
beauftragt, in Verhandlungen mit dem Aerztekammerausschuß 
zu treten. 

Auf Antrag Bundt wird beschlossen, die Berliner Fort¬ 
bildungskurse für Medizinalbeamte zur Pflege der Standes- 
angelegenheiten auszunutzen, zumal bereits von anderer Seite 





260 Bericht über die Siudageo des Vorstandes and der Bezirfermfcrefcer 

an die Eur-abdln.ehTOwr heranget raten worden ist. In Zukunft 
soll «in VorstatMlsmitglied Gelegenheit zu kollegialerAussprache 
mit den Kursteilnehmern snehen, Von Geb.-RatDletrieh ■wird 
<&ms Vorstand dmZusondung enies FrogTainrns der Kurse xugesagt. * ’ 

Bundt uftd Woil?nweb«r : weisen aöf die Zweckmäßig- 
keife einer Yerbindutijg mit den ■Kornnmnalärzteü zur Pflege der 
.gleichartigen Interessen hin. Die•.V«sf'tretcrveir^mmluög beauf¬ 
tragt den Vorstand, die in beiderseitigem Interesse liegende 
Verbindung als «Arbeilfegemeins^afti 4 zu suchen. 

Dagegen wird diu von den Versorgungsärzten angeregte 
Vereinigung als den Interessen der staatlichen Medizinalbeamten 
nicht entsprechend von der Vergaaunlung bezeichnet. Insbesondere 
wird darauf hingewiesen, daft. die Versorgungsärzte die Aus¬ 
stellung amtsärztlicher- Atteste von behördlichem Charakter 
erstreben und bei Reiehsbe&rnicn bereits dazu übergegangen 
sind. Daa Reichsarbeitsministerium 9öil über diese Sachlage 
Aufklärung erhalten. 

Von Br o ec k er h ofl wird eine rührige Tätigkeit der 
Impfgegner berichtet, Selbst der Prof. Groljab r «oU für 
Siütühryng der Ge.wigsensk 1 s* u sei sein. Die Veftreterversamra- 
luog gibt seiner üeberzeugung Ausdruck, daß jegliche Durch¬ 
löcherung dea Reichsiinpfgeeetzes su einem Schäden für die 
VnJksge>vundheit führe. 

Auf. Antrag R o go w $ k i wird beschlösse^ durch Vermitt¬ 
lung des BesoickmgsäüRSchusses des Borufavereiti» höherer Ver- 
waHungsbeamter den . Antrag auf Einreihung der Medizinal¬ 
bear« ten in eine höhere ■Besoldungsgruppe zu ätelfü«, 

Broeckerhoff beantragt Aeüdriung der Beziinmümge» 
über Pestsetzung dos PensiGnadleiisiälters, Es wird Bist■gestellt, 
daß schon jetzt ein* , ausgßsjjroeheire als 

Assistenzarzt, Krankesihausarzt, vielleicht auch als Mditärärzt — 
gemäß AusRihrnngshestimmungen des Besoldungsgesetzen bis 
äg t dührdn ängersehnet werden kann. Dahingehende Anträge 
bleiben im EiozehaU zu stellen. G$h.-Rä< Dietrich gibt auf 
Wunsch Wo j iettwebers eine autoritative Erläuterung der 
Begriffe „BcsolduftgadionstaRer^ und „ Anwärtord’fengi&her“ 

Die Kroisassisterizarzizeit gehört als solche nicht zum Bcsotdupg» 
diensralter,kannvielmehr nur angeroehnet worden, soweit sie 
5 Jahre überschreitet. Dagegen ist es nicht aussichtslos, später 
eine Anrechnung der Tätigkeit als praktischer Arzt, bis zu 
o anstatt 3 -fahren'zu .erreichen. 

Bundt gibt dem emheiligenr Gedanken der Versammlung 
Ausdruck, daß die ^Ereishebammeustelle“ in der im Gesetz 
vorgesehenen Form nicht den berechtigten Wünschen der Kreis¬ 
ärzte entspricht, Mindestens muß gefordert werden., daß der 
Kreisarzt Vorsitzender ist. 

Verschiedentlich werden Klagen darüber laut, daß einzelne 
Kreisärzte bei der Aufstellung der Jahresberichte für die Bezirke 
übermäßig in Anspruch genommen werden, es ist sogar vor- 

*) Vgl. den ersten Aufsatz iti dieser N rutnmer der ZeiUudirjf t. ß, ÖeJjrifü.i 


des Preuij. Medizlnalbeanitejivereujs am 26. ü, 27. April in MagdoUtnrg. 2^’ 

gekommen, daß einem Kreisarzt der Gesamtbericht übertrag':*, 
Würde. Eine angemessen« Verteilung wird ab notwendig 
gefordert, die Beteiligung der jflngeren Kreis8.rzte bei der Am 
Stellung aber ab für ihre Weiterbildung förderlich bezeichn- ■ 
Die Frage einer Revision des einschlägigen M'misterorla^es s 
später neu bearbeitet werden. 

t, Geschäftsbericht (8 u n d i). 

Wir ..hatten bei unserer Baoptversanmilurig im Septemb 
in Nürnberg 753 Mitglieder. Es sind■. seither 58 abgegangen.. • 
57 neu eingetreten, .'verbleite?« 76.2' Mitglieder, Von den ab-. 
gegängened sind 11 jjeat<drHen:"u.hd'; zwar'?.';. 

1) iii r G«-h. R»t K. *> p K1 pt t .Berlin, f 
.2t der Mt'd.-I'is.t KofBerlin, 
ü) ii.i» Mtd ~Rai.jU*.k(% Liegnite,. 

4t -ler M-Sl - Rat :JS bl c r '*, Xaojiei'.sälza, - 
ö) <ter Grb. R&t Etsiers, ScbUinsiMgen, 

. 6 t ft , • Wesfaubttrg, 

7- San.. ÄRf. M iij. o:t a ;jSti?isi‘nhr:ini. b;' ~ , 

ü) ■ Me-l. -Ivut liaei.no , Eshc-d, 

Dl Öe'l». Air-»!,- Bat. Räuber. Erfurt. 

, JtO) Mö-i.dtiu. K o $ <vh fr \, Äeböiilank, . 

11) Med 'Rat Geri-ich. 0>na,hn1ic}?. 

Es ist erfreulich, daß trotz der Erhöhung der Beiträge d 
Äbwaöderffög ein» so geringe ist. Es sind in der Baupteae; 
nmblbeanitete Mitglieder, die sich durch .die Erhöhung cb?jr 
Beiträge »um Austritt b«weges. dicßhn.- und Pensionäre, Von 
letzteren hat eiü Teil der schoß Ausgetretenen ihre Abroeldüut: 
zurückgezogen, ale ich ihnen mitteilcn konnte, daß die Vor 
treterversammlung beschlossen habe, ihnen Ermäßigung der 
Beiträge zuzubilhgen. 

Ich bitte nun an dieser Stelle die rückständigen Bezirk 
vereine — es sind noch 12 — ihre Mitgliederlisten mögliche. 
Umgehend dem Vorsitzenden und dom Schrihfiihrer zuzusendtm 
Die Listen sind zur endgültigen Feststeiföng. des - Mitglieder- 
Verzeichnisses und auch für die KÄ^o-nlührtmg 'dringend nötfö 

Was mm die Tätigkeit des Vereins seit der letzten Hauj 
Versammlung in Nürnberg angeht, so lassen Sie mich. ztinäei • 
über Sitzungen und Bespreohungen berichten. ? 

Am 13. 12. 22 fand eine Vorstandssitzung und Vertreter- 
Versammlung i» Berlin statt, die Yprtre^^ 
ip Nürnberg mit der endgültigen Fassung des angepomrodäGte 
SatzungsenitwurSes beauftragt war* An den Sitzungen nahmen 
Vetreter dea H«rrp Ministers teil- ln der VorstaudsaitÄung, $$f 
der Herr Ministerialdirektor Gef tsteui und Gehoinmü 
Dietrich teilnahme-», kam es zuerst zu einer BespreclHi 
über die Mißverständnisse zwischen der Mediztnäl&hioÜung u?-d 
unserem Verein, die, 'darüber war man einig, pur durch ete- 
•, .regelmäßige Fühlungnahme und Aussprache zu beseitige-'- 1 
seien. Die Vertreter des Herrn Ministers gaben die Vorsteher um-; 
ab, daß sie stete .«u einer solchen bereit seien, ln den dara 
folgenden. Besprechungen kamen die Amtsbezeichnung und $ 




262 Bericht über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirks Vertreter 

Besoldung, die Stellung und die drohende Kommunalisierung 
der Medizinalbeamten, überhaupt die ganze wirtschaftliche und 
staatliche Stellung der Medizinalbeamten zur Verhandlung. 

Ihnen ist ja wohl aus den Veröffentlichungen der Zeitung 
der Verlauf der Verhandlungen bekannt, so daß es sich für mich 
erübrigt, hier Einzelheiten zu bringen. 

Bemerken will ich nur, daß immer noch die Aussicht auf 
eine Amtsbezeichnung besteht, und daß dahingehende Anträge 
für die kommenden Verhandlungen über Besoldung zurück¬ 
zustellen sind. Bemerken will ich ferner, daß die Kommu¬ 
nalisierung der Kreisärzte bei der Medizinalabteilung und dem 
Herrn Minister genau die gleiche Ablehnung findet wie bei uns, 
und daß auch unsere Bestrebungen für eine selbständige 
Gesundheitspolizei mit Fürsorgecharakter für ein Reiohs- bezw. 
Staatsgesundheitsamt und Gesundheitsämter in der Kreisinstanz 
mit einem staatlich angestellten Arzt an der Spitze bei unserer 
Zentralbehörde volles Verständnis finden. 

Drei unserer Vorstandsmitglieder, unser Vorsitzender 
G. H. Wodtke, Kreisarzt Dr. Wollen weber und der Bericht¬ 
erstatter hatten darauf Gelegenheit, auch dem Herrn Minister 
in Gegenwart des Herrn Staatssekretärs Dr. Scheidt, Mi¬ 
nisterialdirektor Gottstein und Geheimrat Dietrich nähere 
diesbezügliche Wünsche und Forderungen vorzutragen. Wir 
fanden auch hier großes Entgegenkommen und gingen aus der 
Besprechung mit der Hoffnung, auch bei dem Herrn Minister 
volles Verständnis für unsere Bestrebungen und Förderung 
unserer wirtschaftlichen und amtlichen Belange gefunden zu 
haben. 

Wir danken auch an dieser Stelle dafür dem Herrn Minister 
und der Medizinalabteilung. 

In der am Nachmittag stattfindenden Vertreter Versamm¬ 
lung kamen als erster Punkt die Satzungen zur Baratung. 

Sie wurden im allgemeinen dem Rapmund-Bundtschen 
Entwurf gemäß, d. h. im Sinne der Bezirksorganisation, genehmigt. 

Die Hauptänderung betraf: 

1) die Begrenzung des Vorstandes auf 5 Mitglieder. 

2) die Bestimmung, daß bei Abstimmung über dienstliche 
Angelegenheiten der aktiven Medizinalbeamten nur 
diesen allein das Stimmrecht zusteht. 

3) die Bestimmung, daß der Landesverein sämtliche Kosten, 
auch für die Vertreterversammlungen trägt. 

Ich darf hier gleich vorausschicken, daß das Amtsgericht 
Berlin-Mitte, dem die Satzungen zur Genehmigung und Ein¬ 
tragung vorliegen, diese nicht ohne weiteres bewilligt hat. Es 
ist vorher eine kleine Unstimmigkeit in § 12 zu beseitigen, 
welche den Vorstand in Hinsicht auf § 25 des B. G. B. betrifft. 
Es hat sich außerdem als kaum durchführbar erwiesen, daß 
gemäß § 16 letzter Absatz der Landesverein sämtliche Kosten 
trägt und endlich sind einige Protokollunterschriften noch nach- 


des Preuß. Medizroalbeamtenyereins am 26. a. 27. April in Magdeburg. 268 

zuholen. Wir werden daher noch einmal eine kurze Nach¬ 
beratung der Satzungen vornehmen müssen. 

In den Wahlen wurde der Berichterstatter zum Vorsitzenden, 
Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin zum stellv. Vorsitzenden, 
Dr. Wollen weher-Dortmund zum Schriftführer und die 
Herren Geh. Med.- und Reg.-Rat Dr. Solbrig-Breslau und 
Med.-Rat Franz-Loetzen zu Beisitzern gewählt. 

Der Eintragung des neuen Vorstandes stehen nach Mit¬ 
teilung des Amtsgerichtes Berlin-Mitte Bedenken nicht entgegen. 

Wie Sie wohl wissen, ist in dieser Vertreterversammlung 
auch ein Beamtenausschuß gewählt, der aber die Billigung des 
Ministeriums aus gesetzlichen Gründen nicht finden könnte. 
Das Ministerium hat uns aber die Anerkennung des Vorstandes 
als Vertretung des Vereins für alle Verhandlungen zugesagt. 

Es wurde dann noch in Kürze über die Kommunalisierung 
der Kreisärzte und das Verhältnis des Preußischen Medizinal¬ 
beamtenvereins zu anderen Beamtenvereinigungen verhandelt. 

Am 21. Januar 1922 fand darauf auf Einladung des Herrn 
Ministers eine Besprechung des Herrn Ministerialdirektors und 
des Herrn Geheimrats Dietrich mit unserem Vorstand im 
Ministerium für Volkswohlfahrt statt. Auch hier verhandelten 
wir über Amtsbezeichnung, amtsärztliche Gebührenordnung, 
vor allem über Erhöhung der Tarife und Ablieferung der 
gerichtsärztlichen Gebühren, und insbesondere über die Aen- 
derung der Dienstanweisung in dem Sinne, daß dem Gesund¬ 
heitswesen und den staatlichen Gesundheitsbeamten eine größere 
Selbständigkeit in Anordnung und Ausführung gegeben wird. 

Auch die neue ärztliche Gebührenordnung fand Berück¬ 
sichtigung. 

Es wurde beschlossen, die in den Ausführungen zum 
Ausdruck gebrachten Wünsche in einer Gesamteingabe an den 
Herrn Minister für Volks Wohlfahrt, den Herrn Justizminister 
und den Herrn Finanzminister niederzulegen. Ueber die 
Wünsche der Vorsteher des Medizinaluntersuchungsamts hin¬ 
sichtlich Besoldung, Amtsbezeichnung und Kreisarztexamen als 
Anstellungsbedingung wurde in einer Sonderbesprechung mit 
Herrn Geheimrat Lenz verhandelt. 

Im Verfolg der Nürnberger Verhandlungen und der Be¬ 
schlüsse der oben angeführten Vertreter- und Vorstandssitzungen 
und der Besprechung im Ministerium sind vom Vorstand folgende 
Eingaben an die zuständigen Behörden gemacht. 

Am 21. 10.: An den Herrn Minister für Volkswohlfahrt 
betreffend Anhörung des Medizinalbeamtenvereins vor Fest¬ 
setzung des Besoldungsdienstalters und Entgegennahme der 
Wünsche für die Stellung der Medizinalbeamten. 

Am 19. 9. 21.: Bitte an den Herrn Finanzminister um 
Mitteilung der Grundsätze bei Festsetzung des Besoldungs¬ 
dienstalters. 

Am 18. 10. 21: An die Preußische Landesversammlung: 
Einspruch gegen die Amtsbezeichnung. 





264 Bericht Über die Sitzungen des Vorstandes and der Bezirksvertreter 

Am 2.12.21: Bitte an den Herrn Minister für Volks Wohlfahrt, 
sich bei der Vorstandssitzung am 13. 12. vertreten zu lassen. 

Es gingen hierauf Antworten ein: 

Unter dem 30. 9. 21 vom Preußischen Ministerpräsidenten 
auf unser Nürnberger Telegramm, daß eine Aenderung der 
Dienstbezeichnung nicht möglich sei. 

Unter dem 1. 11. 21 vom Herrn Minister für Volkswohlfahrt 
die Mitteilung, daß er unserem Antrag gemäß unseren Vorstand 
empfangen werde. 

Außerdem am 17. 9. 21 vom Herrn Minister für Volks¬ 
wohlfahrt die Antwort auf einen früheren Antrag, daß die 
höheren Tagegelder nach teueren Städten genehmigt seien. 

Am 18.12. 22 stellten wir beim Minister für Volkswohlfahrt 
den Antrag, den in der Vertreterversammlung vom 13. 12. 22 
gewählten Beamtenausschuß als gesetzmäßige Vertretung des 
Preußischen Medizinalbeamtenvereins anzuerkennen. 

Hierauf erfolgte am 8. 1. 22 die Antwort, daß der Beamten¬ 
ausschuß nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, die 
diese Ausschüsse nur für die sämtlichen Beamten einer Behörde 
in vertikaler Gliederung zulasse. Gleichzeitig damit erfolgte 
die Einladung zu gemeinsamer Besprechung im Ministerium 
am 21. 1. 21. 

Am 27. 12. 21 stellten wir den Antrag auf anderweitige 
Festsetzung des Besoldungsdienstalters mit Anrechnung von 
5 Jahren ärztlicher Tätigkeit und 1 Examensjahr als gütige 
Vorbereitungszeit. 

Hierauf erfolgte am 27. 2. 22 die Ablehnung mit der Be¬ 
gründung, daß die fünfjährige ärztliche Vorbereitungszeit der 
Dienstanweisung keine Zwangsbestimmung sei und daß die 
durchschnittliche Examensdauer nur */* Jahr sei. 

Dem Gesuch um sofortige Erhöhung der amtsärztlichen 
Gebühren vom 23. 2. 21 folgte 3. 2. 22 der Erlaß des Herrn 
Ministers für Volkswohlfahrt mit der Erhöhung der Tarife A 
und B um 900 °/ 0 der Friedenssätze. 

Unter dem 10. Februar 1922 war inzwischen schon die 
Gesamteingabe auf Grund der am 21. Januar 1922 im Ministerium 
gepflogenen Verhandlungen an die Ministerien gegangen. In 
diesen wurde um Ausbau eines selbständigen Gesundheitswesens, 
Neufassung einzelner Abschnitte der Dienstanweisung in diesem 
Sinne mit Einfügung der Bestimmungen über die Tätigkeit der 
Kreisärzte im Fürsorgewesen, Erhöhung der Dienstaufwand¬ 
entschädigung, Nachprüfung der Amtsbezeichnung, der Besoldung 
und des Besoldungsdienstalters, Neuordnung der Gebührenord¬ 
nung gebeten. Dazu kommt am 15. 2. ein Antrag an den Herrn 
Minister für Volkswohlfahrt, die Kreishebammenstelle aus dem 
Entwurf zum Hebammengesetz herauszulassen oder wenigstens 
dahin zu wirken, daß der Kreisarzt in dieser Stelle den Vorsitz hat. 

Dazu kommen Anträge an die Reichsversicherungsanstalt 
um Erhöhung der Gutachtengebühren und an den Herrn Mi¬ 
nister um Bewilligung von Anwesenheitsgeldem auch für die 



de$ Preaß. MßdmoaJbe&mtcfivereiue um 26, u, 27. Apt.il in Magdebnr^. 205 


auswärtigen Mitglieder der geriehtsiirzxliehefi Provinzial* 
aussehüsse. 

Sie sehen auch diesmal eine rciiehe BIütenieRe voti-Gesuchen 
und Eingaben und wir können mit einer gewissen Befriedigung 
sagen, nicht mehr mit se geringem Erfelg wig in der Nürnberger 
Versammlung, in der in dieser Ilmsieht; lebhafte Klage geführt 
wurde. 

Manches ist erreicht, .vieles hie»ht noch zu erstreben. 

Die Vertreter Versammlung hatte inner der Bedingung 
einer eigenen Fachgruppe.. Vertretung'- im Vorstand und.-'Beitrag 
nur für aktive Mediztaalbearote unseren Beitritt -zur...Berufs* 
Vereinigung. höherer ^rwaUimg^heamter besöh'teM^• den 
BezirksvereifieQ hatten sich mir 53 .zu 'dieser Frage erklärt, 

7 waren, dafür, 4 dagegen, 2 unensebieder» Wir haben tlah«t . %r 
bisher u&äßrim 'y#b#aitli.eb.\^^U8timm.UDg dieser 

Hauptversammlung erklärt. 

Zum Schlüsse muß ich noch berichten, daß wir mit un¬ 
serem Verleger,.- Herrn KomMd» einen Zumizkonirakt über die 
Medizloalbeamienzeitung .machen mußte». Di« gestiegenen 
Druck-, Papier- .und öbW^häft-kkbsten erforderten eine Erhöhung 
der Bezugsgebühr, wenn wir flicht I« eine bedeutende Ein¬ 
schränkung des Umfange,* «ml des Inhalte» unserer Zeitung 
einv/illigen wollten. Der Bezugspreis .betrügt, seit V 1. 22 auf 
Grund dieses..Vortrages 40 Mark. Am Oewi'nn ' und Vertust 
sind der Deutsche und Preußische Medizinalbeamtenverein und 
Kornfeld' mit je l /* beteiligt. Kornfeld er.höJt- lö'Vo Verlags¬ 


wird durch den Deutschen. Vom» an den Verleger abgeführt, 
so daß der io Nürnberg..'fe>:igexet.zte Beitrag' an den Deutschen 
Verein einer-Erhöhung bedürfen wird,'. Unser Verleger hat den 
Antrag gestellt, ihm sein Defizit für das Jahr 1921, welches 
79S2 Mark beträgt, zu 2h mit 1983 Mark tragen zu helfen - 


Wie Sie ja gesehen hnbeu« ist mit dem 1, Mai die Re 
daktiöh der 'Zeitschrift aus den Händen «üseres all verehrt er* 
EhreÖt'orstia&^tdeh G^hefrurät ßäpmu nß hi die Hatni unseres 
Vors tan dsmi tgliedes $ o i h r i g iBwogfigiUTge». loh möchte auch 
hier noch einmal unserem Kap m u n d. dom wir für unsere!* 
Verein und unsere Leitung so unendlich viel verdanken, chm 
den wir' uns eine .'Sitzung unseres Vereins gar nicht: denken 
können, def uns auch in seinem öiiutn «um .summa dignitate 
imruet noch du getreuer Eickaii nur seinem Rat- i.* t, unser -alk« 
Dank aüssprgcrhen und-ihn unserer dauernde» Verehrung und 
Liebe versichern. 

Wir dürfe« aber auch seinem Nachfolger Snihr.lg - in 
Vollem Maße das Vertraue« ontgegeubringes» daß er im 'Sinnt 
R ap rn n n d s- und m unserem Öe-te« die -Zeitung weiter fort 
führt. Er hat ja schon die erste Probe seines Könnens und 
SüitiöS Eifers- in diesöm Siaine gegeben. Ihm steht ja auch 


t ■: t 

V/.-'b 





266 Bericht über die Sitzungen des Vorstandes und der Bezirks Vertreter 


unter den Mitherausgebern eine Anzahl von Männern zur Seite, 
deren Namen in der Wissenschaft und Medizinalverwaltung 
die Gewähr dafür gibt, daß unsere Zeitung auf der Höhe bleibt, 
auf die sie Rapmund gebracht hat. 

2. Kassenbericht (Bundt). 

Nach den neuen Sätzen sollen die Mitgliederbeiträge von 
den Bezirksvereinen eingezogen und von diesen den Kassen¬ 
führern übermittelt werden. Diese neue Art der Kassen¬ 
führung ist aber noch nicht durchweg durchgeführt. Es 
hängt dies wohl damit zusammen, daß ein Teil der Beiträge 
auch für das Jahr 1922 schon vor der Neuordnung der Ge¬ 
schäfte bezahlt war. Es liegen den Kassenführern auch bisher 
noch keineswegs alle Mitgliederverzeichnisse von den einzelnen 
Bezirksvereinen vor, sodaß eine genaue Feststellung der rück¬ 
ständigen Mitglieder bisher nicht vollkommen möglich war, 
zumal einzelne Mitglieder bei den Einzahlungen ihre Namen 
auf der Zahlkarte so undeutlich schreiben, daß deren Ent¬ 
rätselung weder der Bank noch mir möglich war. 

Ich habe hier für die einzelnen Bezirke die Listen der 
Rückstände mitgebracht, muß aber aus den oben angeführten 
Gründen um Nachsicht bitten, wenn einige Irrtümer vorgekommen 
sind, um deren baldige Richtigstellung ich bitte. Es ist auoh 
in Zukunft notwendig, daß bei den Einzahlungen der Bezirke 
eine Liste mit den Namen der Beitragenden und der Höhe der 
Beitragssume beigefügt wird. 

Es ist zwar schon in Nürnberg bis zuraß. September 1921 
Rechnung gelegt, doch gebe ich der Vollständigkeit und Ordnung 
halber hier noch einmal eine Uebersicht über das ganze 


Rechnungsjahr 1921. 

A. Einnahmen. 

1. 19. 2. Uebernahme von Nationalbank Minden 3184.55 M. 

2. 1921 Beiträge. 52 263.95 „ 

3. Kapital-Zinsen 5000 M. Reichsanleihe . . . 219 20 „ 

4. Guthaben-Zinsen der Baok . .. 349.90 „ 


66017.60 M. 

B. Ausgaben. 

1. Drucksachen. 1760 50 M. 

2. Sitzungen des Vorstandes, der Vertreter usw. 5 845.— „ 

3. Beitrage: a) an den Deutschen Verein . . 4530.— „ 

4. den Beichsbnnd höherer Beamter .... 3040.— „ 

5. den Verein für Volkshygiene. 20.60 „ 

6. für die Zeitung Bruns-Minden. 9375.— „ 

7. Bürobedarf, Schreibhilfe, Porto. 2 386 85 „ 

8. Kapitalateuern.. 37 65 ,_ 


26 995.60 M. 

Bleibt 1. 1. 22 Bestand: 29022.- M. 


Es sind vorhanden an Kapital 6000 M. Deutsche Reichs¬ 
anleihe. 

Die Abrechnung ist von den Herren Jorns und 
Broeckerhoff geprüft. 




















ia Jfcä&<tei>isr£. 2G7 


- .(v 03 r.cn der Desr-bätte iiihriW£ pinl d»e gewaltige 

sr:teigvr»ii*£ ulk-r Uchttft«* und Bi ■ ■•■ im Jahre \iesttöfc 

Es 4«v Benuupttng- der Höhe des 

'fafästo fJöWsieht liber BhV 
m'i atthkwt und Ausgaben für jus begonnen« Jahr 1922 zu gehen. 

;. h> bisher eingiüiovww: ao tKmVagru..f>9 800.— 31. 

|r^r *fort KM^raoli^ü ; . . f . * . '' ' .*' •' \ '"'; • - *• 

^r : . i. fttr dir Zt'*Limg Krna^hrtfe»'• • HiSA.- iJ 

V !(‘:t-ri,K>.r..-n amf < ‘J i; :;i ;,- 

W£i, ’ >?. --IHimHdö.jfeiiä jf',. Par i« , 2 >£>;*, - »■ _ 

'■...-= *•'“>.» - M. ■ 

p: ; Biwbr r;su. : 'i.(i 1 ]^ 

gj;. Beitrag au «kr» Deutschen Verein, der i- - erhöht^ Bezug»- 
^ v;{*ehf.vhr (pt ■ dfo-Zeittmg w*mh naf minihMUenii- ‘Äh iahrÄ 
g* .d«*t*usei se«. •: • - ; p w - .". p 

. • ■ •&’ - iD\ 'O-XV-1 iV.a 

- 'f' BiiroimMwf >'.'.•■ .,:•; .\ .m .; , d v; : :v,.■' 

;: YoMtor».«iUii'»ee«i 80 Yskretör •-.«.< 5 ; '(« 
tV mitylkder ---• U5> .i...v.i,;-u,».itrikn i<X*tfJE3' .:'>■><m.~- 

■beamte --• GOO, rx, « .km I.Mäadm.-.b' Xi-m*. - ; 

5. fc»staiTj <kr irliHiyUT^fsa t.mii,,.-.. . . ; • .yono ... r 

v • . . •• . . MiMx'ttifih'-- M« 

. Nbeu A-fttgigr »:(>•»• •y-mhyrkwim» - M. 

1 ’I' :•■• v -WiX* P ? xV-- Ü. 

Hnphnet man rur.d Jo* - Mörder $§ .i; m ...r ^ '{VjI aus- 
1. h^lli unef heduiikf- ihw},. dati ijau! auiuuk ?ii der T^rl-rethrver- 
■ «Äinmhu^ 1 AvJrug dih !v :.>!:>;■ *on-a. u!.;ä- die 

p . Kreisärzte und v. >/;. Ut.r den 

halben Beitrag', dky .'Pttftsä'^iriiwv dilnön virnjkrihffujh:■■'.fk < i-irag 
If fahlen, m pver jdtt Jilr 2?X> M, fid uJctivfr- Medi7id)üB 

| J heamte, tCHj M, ftii' AirivdriHr und wie hi^lief Ö0 lü; nach 
Efböhurig des ßezugskrei^ii.ihr diti ^*ntidig 7<t Mi für Penaiouäre 
;:, 4u iah Jeu sein. 

liin^Anin-g wirtl ajtgeu«i<»>nw-.v. 

ist ferner hierzu jef Aiitrhg Yhn Di, VV r ü I len wuher 
lioftrmiü«! .!l ( ei mm ««j'^r.nen KaHsenfühnT zu wählen, da 
m 2k Last Jur Kussen^nsdhdfti' für. deu \%v^i\wudm utui den 

miS- ihrer sunst 
wird der Eiinv.uid 

C’hnjtisvrr}, isly Xuihi ■;! ^ m \ er sitz ' j ud t-n oder 
uhrödec . .wirtgöitaftlioheö 


ttmmW 

7 xHkK.' t!“ . 


V r arsit.zend*«n utui deft 
'ghuH zu grüß werden, 
gett.efid; geifiaeht, daß es 


^ffierordentheh 

^erhäi tiifs^e' -Wetii daher mit-naivem 

M*««Verständnis der V r ursitzendK saun Ka.sc»d'tfii'liier guhänli. 

t tiesdi{ifJ,.sl)mdvlii iih<,r die ,f •ihüliü.tiistlttmig: Jie* Browßiscfivij 

if!-v?»/;I!HUu>*smtot>ofi’ies ja; r.r-'f 

»i- Hnroh das'BeHrefön von 2u »-Mi*frii«-'<•!*.:**»•••' lu'f ^jot, d>e 
MHgJiödevzaid diu JuhihiaMusU.ÜMUia v.-ü iui V'.,j,ahre co'i 
’r 1 /’- rn Bucichtijahre erhöht. -väl.M-od m% BMwmi du/f.h 

\*> i/- ■> '*-■*• * ^ » • ••••''• ■* * v 3 •. . 







268 Bericht über die 8itioogen des Vorstandes und der Bezirksvert.ro ter osw. 

Todesfälle, teils durch Abmeldung 15 Mitglieder eingebüßt hatte. 
An Jahresbeiträgen sind rund 3020 M. gegen 2859 M. im Vorjahr 
gezahlt und an einmaligen Gaben 63,60 M. gegen 445 M. im Vor¬ 
jahre. Der Gesamteinnahme an Beiträgen mit 3083,55 M., ein¬ 
schließlich der einmaligen Gaben, steht eine Ausgabe von 4200M. 
für Unterstützungen gegenüber, die in Beiträgen von 400 bis 
1000 M. an 2 Medizinalbeamte und an 5 Witwen gewährt sind. 

Die Jahresrechnung schließt ab wie folgt: 


a. Einnahme. 


Mitglieder-Beitr&ge and einmalige Gaben . . . 
Zinsen d. Fingerstiftarg nach Abzug d. 10°/ o Steuer 
Sonstige Zinsen nach Abzug der 10°/ o Steuer . . 
Zinsen der Wertpapiere naoh Abzug der 10 “/« Steuer 

8088,65 M. 
186,« 0 , 
164,66 , 
1864,00 , 


Zusammen-Einnahme: 


5227,21 M. 

b. Ausgabe. 

Gewährte Unterstützungen. 

Porto, Drucksachen, Hinterlegung»- u. Bankgebflh ren 

4200.00 M. 
88688 „ 


Zusammen - A na« h r>«: 


46X11.88 M. 

Verbleibt als B^tand: 
Dazu der EassenbeBtand am 81. Dez. 1920 von: 

6902.66 M. 

640,38 M. 

Gesamtbestand am 81. Dezember 1921: 
Davon sind abzuzieben für Kapitalanlage durch 
Beschaffung von 7000 M. 6°/ 0 mündelsichere 
Obligationen Badenwerk. 

6982 20 M. 

7542,99 M. 

Verbleibt Bestand am 81. Dezember 1921 von: 


660,79 M. 

Das Vermögen der Stiftung beträgt am 21. Dezember 
1921 insgesamt 48113,99 M. und zwar: 

Kurswert 

1. Zinstragende Wertpapiere: Nennwert so.u. mi 

8Vi°/ 0 Preußische Staatsanleihe.10000 M. 6010,00 M. 

4«/ 0 „ n . 14000 * 9674,00 , 

4 # / 0 Deutsche Beichsanleihe. 2000 „ 1766,00 „ 

6«/ 0 „ „ . 22000 „ 17050.00 „ 

4 # / 0 Westfäl. und Pommersche Provinzial-Anleihe 8000 „ 2710.00 a 

Deutsche 8parpr&mienanleihe. 4000 n 8872,00 „ 

5 °/ 0 Obligationen Badeuwerk. 7 000 „ 6 982.20 , 

2. KasBenbestand am 31. Dez. 1921: 

62000 M. 

47 63.20 M. 
560,7» „ 

Zusammen: 

Vermögensbestand am 81. Dez. 1920: 

62000 M, 
66 >'00 , 

48113,99 M. 
45786.66 „ 

Mithin mehr: 

7000 M. 

2878,88 M. 


Die 24000 M. der 3*/> und 4 °/ 0 Preußischen Staatsanleihe 
und die 24000 M. der 4 °/ 0 und 5 # / 0 Reichsanleihe sind auf den 
Namen des Preußischen Medizinalbeamtenvereins in das Staats- 
bezw. Reichsschuldbuch eingetragen, während die übrigen Wert¬ 
papiere 3000 M. 4°/ 0 Provinzialanleihe, 4000 M. Sparprämien¬ 
anleihe und 7000 M. 5°/ 0 Obligationen des Badenwerks teils 
bei der Dresdener Bank, Filiale Gütersloh, teils bei der Städti¬ 
schen Sparkasse in Gütersloh hinterlegt sind. Im Jahre 1922 











270 


Dr. Solbrig: Zur Besold ungsdienstaltersf rage. 


I. Das An Wärter dienstalter wird folgendermaßen 
berechnet. Es wird zusammengezählt: 

1. Hochschulstudium (4‘/ 8 J- bezw. 5 J., je nachdem 
die Prüfungsordnung vor oder nach 1901 maßgebend war, wobei 
eine etwaige Kürzung vorzunehmen ist, wenn die Ausbildungs¬ 
zeit infolge der auf Grund des Krieges erlassenen Vorschriften 
eine kürzere war), 

2. nach dem Studium folgende Vorbereitungszeit, nämlich 
a) etwa abgeleistetes praktisches Jahr = 1 Jahr, b) 3 Jahre 
Tätigkeit als praktischer Arzt, als Vorbereitung zur Zulassung 
zur kreisärztlichen Prüfung (bezw. 2 Jahre, falls die Zulassung 
zur Kreisarztprüfung tatsächlich nach zweijähriger Beschäftigung 
beantragt wurde, gemäß Ministerialerlaß vom 20. 3. 22). 

3. Prüfungszeit für die ärztliche Prüfung */* J* \ i t 

desgl. für die kreisärztliche Prüfung */* J* j ’ 

im ganzen höchstens 10 Jahre. 

Von dieser Zeit wird nun angerechnet die 4 Jahre über¬ 
steigende Zeit, also höchstens 6 Jahre. 

Diese so bestimmte Zeit der Anrechnung wird von dem 
Zeitpunkt der tatsächlichen Anstellung als Kreisassistenzarzt 
zurückdadiert und dieses neue Datum als Anwärterdienstalter 
errechnet. 

Beispiele. 

A. Dr. X. 1. Aerztliches Stadium (nach der Prüfungsordnung vor 1901) 4 1 /* J. 

2. Nachfolgende Vorbereitungszeit als Arzt (ohne prakt. Jahr) 3 J. 

8. Regelmäßige Prüfungazeit a) ärztliche V» J\ _ i t 

b) kreisärztliche */« J.) ~~ 1 


Zas.: 8V* J. 

mithin anrechnungsfähig: 4 1 /* Jahre. 

Dr. X. ist als Kreisassistenzarzt angestellt am 31.10. 13. 

Das neue Anwärterdienstalter wird danach errechnet auf den 1. 6. 09. 


B. Dr. T. 1. Aerztliches Studium (nach der Prüfungsordnung nach 1901) 5 J. 

2. Naobfolgende Vorbereitungszeit (mit praktischem Jahr) . 4 J. 
8. Prüfungazeit (wie bei A). . . . 1 J. 

Zus.: 10 J 

mithin anrechnungsfähig: 6 Jahre. 

Dr. Y. ist als Kreisassistenzarzt angestellt am 1. 1. 20. 

Das neue Besoldungsdienstalter gilt vom 1. 1. 14. 


11. Jetzt wird das Besoldungsdienstalter errechnet, 
indem festgestellt wird, wieviel Zeit zwischen dem errechnten 
Anwärterdienstalter und der ersten planmäßigen Anstellung als 
Kreis-(Gerichts-) Arzt liegt, und von dieser Zeit nur der 6 J. 
übersteigende Teil zur Anrechnung kommt. 

Beispiel. Das errecbnete Anwärterdienstalter ist (a. oben unter A) 
1. 6. 09. Die Anstellung als Kreisarzt erfolgt am 1.10.16. Die dazwischen 
liegende Zeit beträgt fdso 7 Jahre, 6 Monate. Es werden also angerechnet 
2 Jahre 5 Monate. Das Besoldungsdienstalter wird demnach auf den 1.5. 14 
festgesetzt. 

Hiernach wird jeder Medizinalbeamte, der aus der Gruppe 
der Kreisassistenzärzte hervorgegangen ist, leicht ausrechnen 
können, ob sein Besoldungsdienstalter richtig festgestellt ist. 









Bericht. Uber die 6, Versammlungdes Tbüring. Medizis^bcßmteftvereics. 97t 

tm Zweifeisfallß wird er sich an seinen Regierungspräsidenten 
au weudejn haben. Wegen 4er Üeberlastung mit/Ärbeiteß bei 
der Regierung wird vielleicht noch nicht jeder Bescheid über 
sein Dienstalter und die danach zustehenden Gehälter erhalten 
haben j jedenlalls wird dies aber in kürzester Zeit überall ge- 
fegelfe sein. Denjenigen Medizinalheamteri, die nicht Kreis* 
assistenzärzte gewesen sind, sieb etwa in anderen staatlichem 
oder kommunale« Stellungen während der Vorbereitungszeit 
befunden haben, ist zu raten, entsprechende Anträge wegen 
Anrechnung solcher Zeit auf das Bösolduogadienstaiter zu stellen. 
Dabei ist aber immer zu berücksichtigen, daU nur elnö 
■Vordatierung des Besöldungsdier.stalters angängig ist, wenn eine 
als Afiwärterdienst in Ansatz zu bringende Äusbiidungs- und 
PrüfüngS 2 öit von rcelrr als 5 Jahren aulzuweisou ist. 

Ars Yersaiumlungeii und Vereinen. 

Bericht über die ft. Verkant«»lang tie» Thiiringiftchem 

•»*» 366. Möc* 19ÜS la Erfurt, ' , 

Tagesordnung: 

1. Mitteilangen des Vorsitzenden. 

2. ») Recböaogalegung Über das Jahr 1921. 
b) PestselZuirg des Vereinsbeitrags, 
eiört und Zeit der nächsten Vcrmuätolotig, 

3. Besprechung über die Zukunil, der Thüringer tiedizinalbeaaiten, ins¬ 
besondere 

A) über die RnhegebaUsregelung der bei der neuen Kreiseln teiiang 
ansscbeideitden beamtete» Aerzte,; 

b) öfter Besoldung and Hebaneinoahinett der vollbeaoldeten und nicht 
voUbespldeten zukünftigen Kreisärzte. 

4. Verschiedenes. 

Es waren an wesend 19 Mitglieder, als Vertreter des Wirtscbaftsministorinrns 
der Thüringer Medizinalreferent Rerr öeü. Med.* Bat Prof» Dr. O a mp recht 
Weimar. 

Za 1, Der Vorsitzende NeöbaäB'öera eröffnet« die Versammlung 
1,30 nachmittags, berichtete utr-r die Tätigkeit des'Vorstandes seit der letzten 
Versammlung am 26. 6. 21 in Erfurt und Machte Mitteilong yom Ableben des 
Mitgliedes Med,.Rat Dr. Lüde mz-Slafilfenbein. 

Zn 2 ») Osawald-BoiitRrsbaäse» fegte Rechnung über das Jahr 192t 
ab.. Die Rechnung ward« geprMfc and richtig beUrede«. 

b) Der Vereinsbeitrag für 1923 wurde auf M, -40 festgesetzt. V»u den 
»ul Grand der Kreiseinteilnng fest angesleUten Kfmlnien füll tvent. auf 
Qraod eines VorstandsbeacbluBBes ein baherer Beitrag erböbeft werden. 

Fttr 1922 soll noch eine BöUragsaaehz&hltt&g vm M lö erhaben werden. 

c) Oie Bestimmung aber Ort und Zeit der nächsten V ei Sammlung wird 
dem Vorstand Obertasse«. 

Zu 3 a.i Neahatts-Gera trog di»-- wichtigsten Abschnitte ans der 
vom Vorstand auf VeranlassüBg des Wirfsehaftstainisteriume in Weimar atu- 
bearbeitetet* DfeBsionweisong für die künftigen Tbürineej Kreisärzte. naffiset- 
lieb die öher die persönlicben VerhttUtiissevor. Die, RubegebaltBrrgelasg der 
bei der Neuregelung des Medizinal Wesens in Thüringen ausscheideadeu Bezirks¬ 
ärzte soll, «ach $ 11 des vom- Verein 19z0 de?r Regierung und dem Landtag 
Torgelegten Entwurfs eines K.reiearztgeaetzes erfolgen. 

b) Die sehr aHsgedebnr.e A osspracbe bezog sich nicht nur auf die öe- 
haltsverbältsiase uAwv der künftigen, sondern auch Auf die der jetzt noch im Amt 
befindlichen Kreis* (Bezirks-) Aerzte. Die nicht vollbesoldeien jetzigen Bezirks- 
irste sollen einen bestimmtea Prozentsatz des Gebelles der yollfeefioldeten 



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272 


Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften. 


berechnet nach der Einwohnerzahl ihrer Bezirke, erhalten. Die Aufrückungs- 
möglicbkeit der Kreisärzte in Gruppe 12 soll erstrebt werden. 

Da für eine Anzahl der bei der Neuregelung in Betracht kommenden 
Kreisärzte die Vollbesoldung pekuniäre Härten mit sich bringen würde, soll 
diesen eine Uebergangszeit gewährt werden, während deren sie sich zn ent* 
scheiden haben, ob sie vollnesoldet werden wollen oder nicht. Während dieser 
Zeit soll die Besoldung nach badischem Muster erfolgen. Die Dienstalters¬ 
berechnung soll nach den Preußischen Bestimmungen erfolgen. — Der Vorstand 
wird beauftragt, entsprechende Eingaben sofort an das Wirtschafts- und Finanz¬ 
ministerium in Weimar zu richten. 

Za 4 a) Ein vom Wirtschaftsministerium vorgelegter Tarif über die 
Amts- and gerichtsärztlichen Gebühren der Kreisärzte wird mit kleinen Aende- 
rungen gutgeheißen. Die neuen Gebühren sollen rückwirkend vom 1. 4. 1922 
Gültigkeit haben. 

b) Einem Antrag des Kollegen G r ä f - Frankenhausen, die Hebammen 
sollen in der bei schweren Blutungen nach der Geburt äußerst wirksamen 
Kompression der Aorta unterrichtet werden, wird von der Versamlung zuge¬ 
stimmt. Der Antrag soll dem Leiter der Hebammenlehranstalt in Jena über¬ 
mittelt werden. 

Schlnß der Versammlung 4,30 Uhr nachmittags. 

Dr. 0 8 8 wa 1 d - Sondershausen. 

Kleinere Mitteilungen u. Referate ans Zeitschriften. 

A. Gerlohtllohe Psyohlatrie. 

Körperverletzung durch Hypnose. Von Med.-Rat Dr. Schröder- 
Altona. Aerztliche Sachverstandigen-Zeitung, 1922, Nr. 22. 

Es erfolgte gegen einen Kaufmann, der ein junges Mädchen hypnotisiert 
und dadurch in ihrem Gesundheitszustand geschädigt hatte — die von 
Haus aus nervöse Person hatte wochenlang unter allerhand nervösen Ver¬ 
änderungen gelitten — rechtskräftige Verurteilung wegen fahrlässiger Körper¬ 
verletzung zu einer Geldstrafe von 900 M. Solbrig. 

Ueber Schädigungen durch hypnotische und spiritistische Sitzungen. 
Von Dr. W. Jacobi-Jena. Aerztliche Sachverstnndigen-Zeitung, 1921, Nr. 16. 

Der Unfug der öff entlichen Vorträge und Experimente mit Hypnotismus 
und Spiritismus bat bereits mehrfach zu schweren psychischen Störungen der 
Medien aus dem Publikum geführt. Dafür führt Verfasser mehrere Fälle von 
Psychose an, die in der Psychiatrischen Klinik in Jena Aufnahme fanden. & 
wird mit Recht ein einheitliches Reichsgesetz zum Schutze vor solchen üblen 
hypnotischen Folgeerscheinungen gefordert. 

Uebrigens ist in Preußen bereits ein derartiges Verbot durch Minist.-Erl. 
vom 6. Oktober 1919 ergangen (D. Ref.). Solbrig. 

B. 8aohver*tändlgentä.tlgkelt ln Unfall-, Invalidität«- und 
Krankenverslohernngasaohen. 

Tödliche Luugentubeikulose 15 Mouate nach kompliziertem Unter¬ 
schenkel brach — keine Unfallfolge. Von Prof. Dr. R o e p k e - Melsungen. 
Zeitschrift für Bahnärzte, 1921, Nr. 6. 

Am 6. September 1919 off -ner doppelter Bruch beider Knochen des 
rechten Unterschenkels, der am 20 Dezember geheilt war bis auf eine kleine 
Fistel. Wegen ungünstiger Stellung des Braches erfolgte im März 1921 
operative Geradstellung des Beins und Entlassung am 21. August 1920. Der 
Dienst wurde am 6. September 1920 aufgenommen. Anfang Oktober die ersten 
Zeichen der tuberkulösen Lungenerkrankung; der Tod erfolgte bereits am 4. Dez. 
1920. Der Verfasser lehnt den Zusammenhang ab. Dr. W o 1 f - Cassel. 

Leistenbrüche als Betriebsunfälle. Von Geh. Med.-Rat Dr. Meyer - 
Göttingen. Zeitschrift für Babnärzte, 1921, Nr. 10. 

Es muß stets der Nachweis erbracht werden, daß tatsächlich der Aus¬ 
tritt des Braches eine Folge eines Betriebsunfalls ist, und dieser Nachweis 


Kleinere. Mitteilungen und Referate ans Steitachriften. 


273 


maß in ganz zwingender Weise geführt werden in keinem Fall genügt die 
Wahmiit-jüIscJikint. Der Stftuiijiunkt t!es li. V.A. muß als* richtig anerkannt 
Werdern Br. W o, }f •üsssei. 

l>* f gerichtsärztlicbe Beurteilung der hlrnverletzton Apbaslschen. 
Von l)r, Jacob i, Oberarzt an der Provi)i2iaihedläaslalt Münster. Aerztliehe 
Sachv^f&t&adigen-^iftflngi7,921, Nr; 18'.and 19. 

Zwei Fr&gen bat sich der Gefichtsarzt bei Bnumilung von ^unverletzten 
Ajfcaäikv.ra foraak'gen V • ’• ^ 

1. Ist der Apbasische imstande,seine Gedanken durch Sprache, Wort, 
Se&Blt :■ Verstand heb za machen? 

2. Wte ist die Intelligenz des Apbasiscben, läßt sie ein geregeltes 
Deukern zo? 

Zar iJatersaeiang von Spracbleistungfioempäehlt Verfasser ein be* 
sümsntes Schema,. 

E.i würde« danach diese Kranken; iii-'-*ivUreclitüch«t Sinsieht {Te«ti#js : ; : 
fähigkeit, ;&\i£iAffndigüng, Eheschließung! betrachtet, die Frage des Zusammen* 
hanga. nait Du feilen and die Erwerbstähigkeit besprochen and in Strafrecht« 
iiefaer Beziehung die Beurteilung gemäß § 224 8t.G--& and die Zeugnis-, 2»fir 
rechnungs-, VerbandiMogs- and StralvoUzugsfäliigke.it erörtert. Ibttg, 


Arbeti.st'dhtekeft bei 'ärztlich nachgotvleflener tdlligw Tuvalidit&f, 
Yoo Beg - and Med-JUt Br- Leb n a n n, ärztl; Berater der LäÄdesvwsjshefunga- 
suoatalt Rbeißprövioz in Düsseldorf. AerztUche Saßhv&rdt&ndlgeb^ Zeitung, 
1921, Nr. 15. " 

Za ähnlichen, bereits früher Veröffentlichten Fallen führt Veriasser 
felgenden an, den er aeliwt beinah« za den „unglaublicher/ rechnet. Ein jetzt 
r>l Jaü?o alter Mann bezieht seit Über 20 Jahre die Invalidenrente wegen nach 
Ripjienreäektjon offen gebliebene? lirusitböhle nnd Speiserobren&itel in derselben. 
Bei einer kürzlich stttttgefaabteö iSacbantersacbnng fand sich eine stark inauos- 
iattstgrroße Höhle des isrustfauras. zu der eine Fünfmarkstbck^große Oeffiiung 
flihrte. Bie Speiseröbreetliud lv-ft sich daran feststellen, daß beim Trinken 
Von Kakao der Schleim in der Höhle gefärbt wurde, lief Mann bat, trotzdem 
noch scfecchter Ernährungszustand und erheblicnß nervöse Beizharkeit besteht, 
den tarifmäßigen iioho al# Straßenkehrer verdient Bä& aber Invalidität 'im 
gesetzlichen Sinne weiterbestebt, hat Verfasser mit Recht daher Zweifel 
gelassen. • : :- r S^lhtlg. 

CnfallpratDkei' gegen pathologlsdliCT» Änatoia. Ja einem Falle von 
Tuberkuih«e, Bbergntaebten von Job. 0 rth-Berlin, Äerstlicba Sacbve?-' 
st.Andiget!-ZüHUD^, 1921, Nr. 5, • ■ 'Y ‘ 1 

Ein iutereseftnier Fall, in dem Cirth zu einem von zwei Vßrgut*ßht<iTH, 
eiiujin patiudogiseben Anatomen und einem Kreisarzt, abweichenden Urteil kommt. 
Bef Fall lag, kurz gesägt, so r Ein 61 jähriger Arboiteir, bid dahin Ääscbeinend 


fgSilftd, erlitt eine« nicht nnboiräebtlicbenStoß gegen dis Brust, wobei Scövvel?ong v 
itttitnieriaufoiig und ein iUppenbruCh aafträten. Im Anschluß dafao eine 
Eilsrgesehwuist, dBtiaeh »»tufcsto Langenfcnbftrkulbse. Tod fünf ftlduaie nach 
dem Unfall. Svktiünsbt-fund; Tuberkulose eis*?■'■Lange, l-jmpbdrffaenknoten. 

• Eiterherd i« der Muskulatur, ausgedehnte Tübeikaiose der Wirbelsäule und 
des Brustbeins, 

Der erste Üuuu’titet lehnte den ursächlichsn Zusammenhang ab, weil es 
sich am alle tuberkulöse ErkranktiiugeB handJe. Der zweite Gutachter brachte 
die KoOcbebuiberkHlose mit dem Unfall in Z«samWeSii&Kng. 

Orth bemängelt zunächst, daß hier der pathologische Anatom io einen 
Oegensalz *iil dem Praktiker gebracht wurde. Er beurteilt dön Fall so, daß 
die Imngöritu borkiilose’zwcifoUbs Tön frühe£ F#Fbätä&4, daß TiäSfekhl auch diö 
Bhocbcneikra&kangen: bereits zur Zeit des ÜnMlK bestanden haben, daß aber 
durch den Unfall eine wesentliche Vetsdhilfflhibfnng ebigdtreten sei, demnach 
der Tod in ursächlichem Zusammenhang mit ß.niall stehe. Beroentsprächend 
wurde vom Rekhsvetsiaberuhgsamt entscMeden.' Solbrig. 



274 


Besprechungen. 


Phlegmone und Unfall. Von Dr. Pickenbach-Berlin. Aerztliche 
Sachverstandigen-Zeitung, 1921, Nr 2. 

Verfasser hat bei Durchsicht von Bernfsgenossenschafts-Akten den Ein- 
drnck gewonnen, daß die häufige Ablehnung der Entscbädignogspflicbt bei 
Phlegmonen nicht berechtigt war. Er nimmt bei Phlegmonen als Ursache 
immer einen Unfall an, sei es, daß es sich nm winzige Verletzungen, sei es 
nm stumpfe Gewalteinwirkungen irgendwelcher Art sich handelt, ln diesen 
beiden Fällen liegt aber ein Tranma vor. Erst wenn diese Ursachen negiert 
oder ansgeschaltet werden können, ist man berechtigt, den Zusammenhang 
zwischen Unfall und Phlegmone abzulehnen, sonst muß der Zusammenhang an¬ 
erkannt werden, wie die Gerichte es für gewöhnlich tun. Der volkstümliche 
Begriff „aus heiler Haut" kann vor der strengen medizinischen Forschung 
nicht bestehen. 8 o 1 b r i g. 


0. Kriegsbesoh&dlgten-Fftrsorge. 

Ueber Hysterie derKriegbsesch&digten. Von Gerichtsarzt Dr. Schulz - 
Gleiwitz. Sonderabdruck aus der Zeitschrift für ärztlich-soziales Versorgungs¬ 
wesen, 1921, H. 8. 

Die größte Zahl der sog. Kriegsneurotiker gehört zur Gruppe der sozialen 
Hysterie. Bei solchen Personen besteht die durch Selbst- oder FremdBuggestion 
gewährte überwertige Idee, eine möglichst hohe Geldentschädignng zu er¬ 
langen. Ans einem größeren Krankenmaterial zieht Verfasser den Schloß 
von der psychogenen Natur des hysterischen Symptomenkomplexes, das all¬ 
mählich abzublassen pflegt, so daß die Prophylaxe durchaus nicht als un¬ 
günstig zu bezeichnen ist. Eine Berufsbeschaftigung ist von günstigstem 
Einfluß auf das Schwinden der Krankheitsvorstellnngen. Deshalb ist Kapitals- 
abfindung nicht am Platze, vielmehr für die schwereren Fälle eine befristete 
Beute (auf 2—3 Jahre) von 20—30 v. H. Wer der Heilung widerstrebt, hat 
einen schlechten Gesundheitswillen und soll nicht mit einer Rente bedacht 
werden. _ Solbrig. 


Die Versorgung« • Heilbehandlung der Kriegsbeschädigten nach 
dem Reichsversorgungsgesetz vom 15. Hai 1920. Von Generalarzt a. D. 
Dr. Herhold-Hannover. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 15. 

Das wichtigste aus diesem Gesetz ist, daß die Heilbehandlung der 
Kriegsbeschädigten von den Krankenkassen und Versdrgungsbehörden gewährt 
und durchgeführt wird, wobei aber die amtlichen Fürsorgestellen nicht be¬ 
teiligt sind. _ Solbrig. 


Besprechungen. 

OrandrlM der menzohlloheo Erbllohkeitslehre und Rassonhyglene. 

Band I: Menschliche Erolichkeitnlehre. Von Prof Dr. Baor, Direktor 
des Instituts für Vererbungsforschung in Potsdam, Prof. Dr. Fischer, 
Direktor des anatomischen Instituts der Universität Freiburg i. Br., Dr. Lens. 
Priv.-Doz. für Hygiene an der Universität München. Mit 65 Figuren im Text. 
Gr. 8°. 305 8 . Band II: Menschliehe Auslese und Rassenhygiene. 
Von Dr. Lenz. Verlag von J F. Lehmann-München. 1921. 251 S. 

Bevöikeruogspolitik und Rassenbygiene stehen heute im Vordergrande 
des Interesses, unsere Gesetzgebung basiert vielfach auf ihnen und die Menschen 
aller Parteirichtungen und Schichten befassen sich mit ihnen. Da ist vor 
allem not, daß die maßgebenden Persönlichkeiten sich eine genaue Kenntnis 
darüber verschaffen, welche verschiedenen RassenbcBtandteile ein Volk zusammen¬ 
setzen, nach welchen Gesetzen die Rassenunterschiede und die zahllosen Unter¬ 
schiede der Einzelm^nschen vererbt werden und die Auslesevorgänge auf ein 
Volk einwirken. Das vorliegende Werk ist geschrieben, um diese Kenntnisse 
zu vermitteln. Wohl für den Arzt in erster Reihe bestimmt, kann es auch 
dem gebildeten Laien die interessanten Probleme der Erblichkeitslebre und 
Rassenbygiene verständlich machen nnd näher bringen. Der erste Band ist 
mehr theoretisch, der zweite berücksichtigt die Praxis. Jeder Teil ist aber 
ein Werk für sich und auch einzeln erhältlich. Das Hauptgewicht liegt auf 
dem zweiten Bande, der eine Fülle von Aufklärungen und Anregungen bietet 



Besprechungen. 


275 


und erkennen läßt, daß die erbliche Beschaffenheit unserer Bevölkerung in der 
Gegenwart sich im g»nzen in ungünstiger Richtung ändert, andererseits aber 
zeigt, weiche praktischen rassebygieniscben Maßnahmen mit Erfolg anzuwenden 
sind, um den drohenden Gefahren zu begegnen. 

Das Werk, so außerordentlich fesselnd geschrieben, verdient beachtet 
und verbreitet zu werden. _ 8 o 1 b r i g. 

Prot Dt. mod. et vet. h. o. Robert v. Ostertag, Geh. Beg.-Rat und Minist.- 
Rat im Ministerium des Innern zu Stuttgart: Handbuch der Fleischbeschau. 
7 u.8. neubearbeitete Anflage. I. Bd. Mit 168Textabbildungen und 3 Tafeln. 
Preis: geh. lo2 M , Gr. 8°, 630 8 Stuttgart 1922 Verlag von Ferd. Enke. 

Bas rühmlich bekannte Handbuch hat eine Neubearbeitung, die eich als 
notwendig herausstellte, erfahren; zunächst liegt der I. Baud in neuer Be¬ 
arbeitung, entsprechend den Fortschritten von Wissenschaft und Praxis der 
Fleischbeschau, vor. Die Einteilung des Stoffes ist die gleiche geblieben, wie 
früher (vergl. die Besprechung in dieser Zeitschrift, 19)3, 8. 42), aber ganze 
Abschnitte haben eine völlige Umarbeitung erfahren. Die Ausstattung, 
namentlich hinsichtlich der zahlreichen Abbildungen ist eine vortreffliche; 
letztere haben eine nicht unerhebliche Vermehrung erfahren. Das Werk bedarf 
keiner besonderen Empfehlung. In erster Reihe für Tierärzte bestimmt, ist es 
auch fttr den Mediziner und Richter, die sich über die Grnndzttge der wissen¬ 
schaftlichen Fleischbeschau unterrichten wollen, von Wert. Solbrig. 

Dr. F. Dionomann, 8tadtarzt in Dresden: Die gesundheitlichen Grund¬ 
lagen für gewerbliche Arbeit und Taylorsystem. Veröffentlichungen 
der Dresdner Volkshochschule. 4. Heft. Verlag von C. Heinrich, Dresden. 
71 8. Preis: geh. 6 M. 

Verfasser will den Leser mit den Vorbedingungen bekannt machen, die 
erfüllt sein müssen, wenn gewerbliche Arbeit ohne Schädigung von Körper 
und Geist getan werden boII, und zeigen, inwiefern das bisher Geschehene un¬ 
genügend war, damit er selbst za beurteilen vermag, ob das Tnylorsystem 
eben Fortschritt bedeutet. In der Hand des erfahrenen Untersuchers ist die 
experimentelle Psycbotechnik mit ihren Apparaten und Methoden geeignet, 
nützlich zu sein, wenn auch nicht für aUe Berufe solche feine Prüfungen 
weder möglich noch nötig sind. 

Die Schrift ist für den, der sich schnell über die vorliegenden Fragen 
unterrichten will, ohne erst in Sonderwerke sich vertiefen zu wollen, namentlich 
auch fttr Aerzte, zu empfehlen. Solbrig. 

Internationale Uebereiebt Aber Gewerbekrankholten naoh den 
Beriohcen der Gewerbelnepekti nen der Kulturländer Aber daa 
Jahr 1913. Mit Unterstützung von Dr. L. Teleky, bearbeitet voo Prof. 
Dr. Ernst Brexlna in Wien. Berlin 1921. Verlag von Jul. 8pringer. 
143 3. Preis: geh. 28 M. Dieselbe Ueberaicht über die Jahre 1914—1918. 
270 8. Preis: geb. 66 M. 

Nach längerer Panse ist es möglich gewesen, an eine Fortsetzung der 
„Internationalen Uebersicht“ beranzugeben. Freilich fehlen für die Kriegsjahre 
Berichte aus Frankreich und Belgien, so daß außer Deutschland, Oesterreich, 
die Schweiz, England und die Niederlande berücksichtigt werden können. Sind 
diese Berichte von großem Interesse, so verdienen die sieb auf die Kriegs¬ 
jahre beziehenden Ausführungen besonders beachtet zu werden. Namentlich 
erhalten die Berichte aus Deutschland und England durch die Besprechung der 
Kriegsindustrie und die durch den Krieg geschaffenen außergewöhnlichen Ver¬ 
hältnisse (Beobachtungen über Vergiftungen bei der Mnnitionserzengung, wie 
sie bisher niemals vorkamen) ihr charakteristisches Gi-p äge. In der englischen 
Gewerbeinspektion tritt die intensive selbständige ärztliche Mitwirkung als 
eia großer Vorteil gegenüber dem in dieser Hinsicht in Deaschland außer 
Bayern und Baden bestehen Mangel in die Erscheinung. 

Die Einteilung des Stoffes ist wie bei den früheren Berichten: Das 
aeliologische Moment wird in den Vorderund gestellt, demnach werden die 
gowerbiichen Gifte einzeln abgehandelt, daneben aber auch einzelne Körper¬ 
organe (Hautkrankheiten, Augenerkrankungen) durchgenommen. Solbrig. 


; 





276 


Besprechungen. 


Dr. Paul Dittrioh, ord. Professor der gerichtlichen Medizin an der deutschen 
Universität und Landgericbtsarzt in Prag: Lehrbuch der gerichtlichen 
Medizin für Aerzte und Juristen. Zweite vermehrte und vollständig 
umgearbeitete Auflage. Mit 2 Tafeln und 111 Abbildungen im Text. Prag, 
1921. Schulwissenschaftlicher Verlag von A. Haase. Gr. 8°; 300 8. Preis: 
geh. 68 Mark, geb. 64 Mark. 

Die einzelnen Abschnitte der vorliegenden zweiten Auflage des D i 11 r i ch- 
schen Lehrbuches haben unter Zugrundelegung der langjährigen eigenen Er¬ 
fahrungen des Verfassers und des gegenwärtigen Standpunktes der medizinischen 
Wissenschaften eine vollständige Umarbeitung erfahren. Die Einteilung des 
Stoffes (Tätigkeit des Arztes vor Gericht, Verletzungen, Schädigungen durch 
Hitze und Kälte, Erstickung, Vergiftungen, Kindesmord, Zeugangsfähigkeit, 
Selbstmordverbrechen, Schwangerschaft und Geburt, Fruchtabtreibnng) ist jedoch 
die gleiche und nur die gerichtliche Psychiatrie ist diesmal unberücksichtigt 
geblieben. Die Ausstattung des Buches, auch der Abbildungen, ist eine bessere 
und reichhaltigere geworden. Der Charakter eines kurzgefaßten, in erster 
Linie für den Studierenden der Medizin bestimmten Lehrbuches ist gewahrt; 
es wird sich aber- auch für erfahrene Gerichtsärzte und für Juristen als brauch¬ 
bares Nachschlagebuch erweisen. Bpd. 


Dr. Ernat Friedberger, o. ö. Prof, der Hygiene in Greifswald und Dr. Richard 
Pfeiffer, o. ö. Prof, der Hygiene in Breslau: Lehrbuoh der Mikrobiologie 
mit besonderer Berücksichtigung der Seuchenlehre. Herausgegeben unter 
Mitwirkung einer großen Anzahl der bekanntesten Hygieniker und Bakterio¬ 
logen. Jena 1919 und 1920. Verlag von Gustav Fischer 8°; Zwei 
Bände. I. Band: Allgemeiner Teil. Mit 8 Tafeln, 8 Diagrammen und 149 
Abbildungen. II. Band: Spezieller Teil. Mit 4 Tafeln nnd 218 zum Teil 
mehrfarbigen Abbildungen. 1206 Seiten. Preis: geh. 40 M. 

Ein ziemlich umfangreiches und ausführliches Lehrbuch, das den Haupt¬ 
wert auf die Darstellung der allgemeinen Seuchenlehre und des Seuchen¬ 
schutzes legt, wobei die wertvollen Erfahrungen, die unsere Wissenschaft 
durch den letzten Krieg gerade auf diesem Gebiete erfahren hat — ich brauche 
hier nur auf das Fleckfieber hinzuweisen — sämtlich berücksichtigt sind. Der 
auf möglichst breiter Grundlage angelegte allgemeine Teil behandelt in 
seinen einzelnen Abschnitten die Geschichte der epidemiologischen Forschungen, 
die Einwirkung der Krankheitserreger, die allgemeine Morphologie und Biologie 
der Bakterien, die allgemeine Morphologie und Biologie der übrigen Virus- 
arten, Schimmel und Hefen, die Schimmel- und Hefenerkrakungen, die all¬ 
gemeine Morphologie und Physiologie der Protozoen, die Infektion und Im¬ 
munität, die experimentelle Chemotherapie, die allgemeine Epidemiologie und 
Prophylaxe, die Desinfektion, die Gesetzgebung, die Methodik der bakterio¬ 
logischen Untersuchungsmethoden; er enthält außerdem einen Abschnitt über 
Bakterien in Luft, Wasser, Erdboden und Milch. Im speziellen Teil werden 
dann die einzelnen, durch Bakterien hervorgerufenen Erkrankungen ausführ¬ 
lich besprochen. Sämtliche Abhandlungen stehen durchaus auf der Höhe der 
Wissenschaft und sind leicht verständlich und klar geschrieben; ihr Wert wird 
durch zahlreiche gute Abbildungen unterstützt Ein ausführliches Sachregister 
am Schluß erleichtert den Gebrauch. Das Lehrbuch bildet eine wertvolle 
Bereicherung unserer wissenschaftlichen Literatur auf diesem Gebiete; seine 
Anschaffung kann nur warm empfohlen werden. Bpd. jun. 


Dr. E. Kraaemann, Kinderarzt in Bostock: Säuglings- und Eieinkinder¬ 
pflege in Frage und Antwort. Eine Vorbereitung zur Prüfung als 
staatlich anerkannte Säuglings- und Kleinkinderpflegerin. 2. verbesserte Auf¬ 
lage. Leipzig 1922. Verlag von Georg Thieme. 90 S. Preis geh. 15 M. 

Das kaum vor Jahresfrist zuerst erschienene Büchlein (s. die Besprechung 
in dieser Zeitschrift 1921, S. 612) liegt nach gründlicher Ueberarbeitung und 
in mancherlei Hinsicht verbessert nun schon in zweiter Auflage vor, ein Zeichen, 
daß es sich bewährt hat und weiterhin Eingang finden wird. Für etwaige 
weitere Auflagen wird empfohlen, von den seuchengesetzlichen Bestimmungen 
etwas mehr zu bringen (besonders Anzeigepflicht, fortlaufende Desinfektion). 

_ 8 o 1 b r i g. 




Tagesnachrichten. 


277 


Prof. Dr. ö. Bobornhelm-Bern: Leitfaden für Desinfektoren. 4. Auf¬ 
lage, erweitert und neu bearbeitet von Prof. Dr. E. Seligmann-Berlin. 
Halle a. 8.1922. CarlMarhold Verlagsbuchhandlung. 68 S. Preis geh. 7 M. 

Der bekannte Leitfaden liegt in neuer Auflage, von Seligmann auf 
6rand der neuesten Fortschritte und der neuen für Preußen ergangenen Des¬ 
infektionsvorschriften bearbeitet und erweitert, vor. Das Büchlein hat sich 
bewährt und wird künftig erst recht als Anleitung für die praktische Aus¬ 
führung der Desinfektion, sowie für den Unterricht der auszubildenden Des¬ 
infektoren nützliche Verwendung finden. Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

Die Vertreter-Versammlung der Bezirksvereine sowie die Haupt¬ 
versammlung des Preuß. Hedizinalbeamtenvereins bat einen, wie alle Teil¬ 
nehmer gern bekunden werden, außerordentlich befriedigenden, harmonischen Ver¬ 
lauf genommen. Wir berichten heute über die Vertreterversammlung. Der Bericht 
über die Hauptversammlung folgt in der nächsten Nummer. Es sei beute nur 
kurz bemerkt, daß die Teilnahme eine verhältnismäßig recht zahlreiche, daß 
auch die Zahl der Damen nicht gar zu gering und alles aufs beste vorbereitet 
war, um ein gutes Gelingen zu gewährleisten. Trotz fleißiger und angestrengter 
Arbeit in den Sitznngen, die von unserm neuen Vorsitzenden aufs beste ge¬ 
leitet wurden, kam auch der Frohsinn zur Geltung. Die Festtafel, durch 
launige Beden, Musik und Gesang gewürzt, wird allen Teilnehmern in an¬ 
genehmster Erinnerung bleiben. Mit Magdeburg als Versammlungsort war 
entschieden ein guter Griff getan. Berlin, ja zunächst in Aussicht genommen, 
eignet sich heute nicht mehr recht hierfür. Der Gedanke, die nächste Jahres¬ 
versammlung in einem größeren Ort in Thüringen oder im Harz stattfinden zu 
lassen, wurde in Magdeburg lebhaft begrüßt. 


Der Vorstand des Deutschen Ucdizinalbeamtenvereins teilt mit: 
Auf die im Verfolg der Beschlüsse der Nürnberger Hauptversammlung vom 
• September 1921 an das Boichsarbeitsminisierium, betr. Aenderung der 
Amtsbezeichnung der Versorgungsärzte, und an das Reichs- 
ministerinm des Innern, betr. Zuwahl von zwei Mitgliedern des 
Deutschen Medizinalbeamtenvereins zu Mitgliedern des 
Reichsgesundheitsrats, gerichteten Eingaben sind die folgenden Ant¬ 
worten eingegangen: 

D S 'minister. Berlin NW ^ den 15 März im 

Die Verleihung der Amtsbezeichnungen „Regierungs - Medizinalrat“ und 
„Oberregierungs -Medizinalrat“ an die Versorgungsärzte war die natürliche und 
notwendige Folge der Verleihung der Amtsbezeichnungen „Regierungsrat“ und 
„Oberregierungsrat“ an die Beamten des höheren Dienstes im Versorgnngswesen. 

Da diese Amtsbezeichnungen sich bereits in der Bevölkerung eingebürgert 
haben, und eine Aenderung der Amtsbezeichnungen „Regierungsrat und „Ober¬ 
regierangsrat“ für die betreffenden Versorgungsbeamien nicht beabsichtigt ist, 
ao bin ich nicht in der Lage, dem dortigen Wunsche näher zu treten. 

gez. Dr. Ritter. 

Der Reichsminister des Innern. Berlin Nw ^ den 2Q April l922 . 


Der Reicbsrat hat, um die Grundsätze für die Neugestaltung des Reichs- 
gesundheitsrats einer eingehenden Nachprüfung unterziehen zu können, in der 
Sitzung vom 23. Febrnar 1922 beschlossen, die am 3t. Dezember 1920 ab¬ 
gelaufene, durch Beschluß des Reichsrats vom 14. April 19H bis 31. De¬ 
zember 1921 verlängerte Wahlperiode des Reichsgesundheitsrats um ein 
weiteres Jahr, das ist bis zum 31. Dezember 1922, zu verlängern. 

Für diese Uebergangszeit sind Veränderungen in der Zusammensetzung 
des Reichsgesundheitsrats, insbesondere Ersatz- und Zusatzwahlen, nicht beab¬ 
sichtigt. Für die Beteiligung von behördlichen Vertretern wie aach von Ver¬ 
tretern interessierter Verbände und Organisationen und von sonstigen Sach¬ 
verständigen wird § 2 der Geschäftsordnung des Reichsgesundheitsrats eine 
geeignete Handhabe bieten. gez. Hamei. 







278 


Tagesnachrichten. 


Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins teilt folgen» 
den Erlaß des Herrn Ministers für Volkswohlfahrt mit, der nnter dem 5. Mai 
an den Vorsitzenden ergangen ist: 

Der Herr Preußische Ministerpräsident hpt Ihre an das 8taatsministeritun 
gerichtete Eingabe vom 10. Februar d. Js. — Nr. 280/22 — an den Herrn 
Finanzminister und mich zur Bescheidung abgegeben. Im Einvernehmen mit 
dem Herrn Finanzminister und unter Bezugnahme auf die von mir am 13. De¬ 
zember v. Js. den Vertretern des Vereinsvorstandes gegenüber abgegebenen 
Erklärungen teile ich ergebenst mit, daß 

1. Ihre Anregung, betreffend den Ausbau des Gesundheitswesens mit einer 

f rößeren Selbständigkeit in der Zentral-, Bezirks- und Kreisinstanz bei 
eu Beratungen über die Verwaltungsreform zum Gegenstand eingehender 
Erwägungen gemacht werden wird, 

2. die Vorbereitung einer Neufassung der Dienstanweisung für die Kreis¬ 
ärzte habe ich ungeordnet. Ich hoffe, daß die Hauptversammlung Tom 
27. d. Mts , die sich auch mit der genannten Dienstanweisung beschäftigen 
wird, beachtenswerte Vorschläge ergeben wird. Der Entwurf eiuer neuen 
Fassung soll nach der eiforderlichen Beratung zwischen den beteiligten 
Ministerien in einer der nächsten Sitzungen mit Ihrem Vereinsvoratand 
durchberaten werden. 

8. Die anderweitige Festsetzung der Dienstaufwandsentscbädigung für die 
Medizinalbeamten wird bei den demnächst beginnenden Verhandlungen 
über die Beamtenbesoldungen zum Gegenstand besonderer Erwägungen 
gemacht werden. 

4. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Besoldung und Amtsbezeichnungen 
der Medizinalbeamten neu geprüft werden. 

5. Die Neuordnung der Gebühren der Aerzte und Zahnärzte ist durch Be¬ 
kanntmachung, betreffend die Gebührenordnung für approbierte Aerzte 
und Zahnärzte vom lb. März 1922 (Volkswohlfahrt S. 185) bereits erfolgt. 

Die Tarife des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten 
vom 14. Juli 1909 (G.S. S. 625) sind durch den Erlaß vom 13. März d. Ja. 
(G.S. 8. 60) angemessen erhöht worden. Eine Abänderung des Gesetzes 
selbst ist in Vorbereitung. 


Der bevölkerungspolitische Ausschuß des Reichstags begann am 4. 6. 
seine Verhandlungen über den Entwnrf eines Gesetzes znr Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten mit der Generaldebatte. Ministerialdirektor Dam- 
mann gab zunächst einen kurzen UVberblick über die Maßnahmen während 
des Krieges, die schließlich zu der Notverordnung vom 11. Dezember 1918 
geführt hätten, ging dann anf das ein, was bisher auf dem Gebiet der Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten von Reichs wegen geleistet worden ist, 
auf die Zählung der Geschlechtskrankheiten, die verschiedenen Ausstellungen, 
Merkblätter usw. Abg. Dr. Qu es sei (Soz.) erläuterte als Berichterstatter 
kurz den Gesetzentwurf, der den Zwang zur Behandlung der Geschlechtskranken 
durch approbierte Aerzte — also ein Kurpfuscherverbot — und die Aufhebung 
der Reglementierung der Prostitution als Kernpunkte einführe. Als besonderen 
Fortschritt begrüßte er es, daß der Kontrollzwang auch auf die männlichen 
Kranken ausgedehnt werde. Der Gesetzentwurf trage einen durchaus sanitären 
Charakter und wolle mit den Polizeimaßnahmen aufräumen. Abg. M um m (D. Nat.) 
wünschte, daß nicht nur Bestimmungen rein sanitärer, sondern auch ethischer 
Natur in daß Gesetz aufgenommen würden, war aher zur Mitarbeit anf der 
Grundlage des Entwurfs bereit. Abg. Dr. Luther (D. Vp.) sprach sich gegen 
die Beseitigung des Paragraphen aus, die sich auf die gewerbliche Prostitution 
beziehen. Abg. Frau Neu haus (Zentr.) wollte insbesondere gesetzliche Für- 
sorgemaßnabmen für die Prostituierten eingeführt whsen. Abg. Dr. Moses 
(U. Soz.) begrüßte es als besonders erfreulich, daß mit der Erörterung des 
ganzen Problems der Geschlechtskrankheiten dieses endlich aus dem Gebiet der 
Heimlichtuerei herausgeholt werde, und bedauerte, daß das Reichsgesundheitsamt 
in seiner Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse in Deutschland 
während der Jahre 1920 und 1921 zu anderen Ergebnissen über den Umfang 
der Geschlechtskrankheiten gekommen sei, als in den Erläuterungen zu diesem 




m 


GesetseBtvnsrf ftwgefiihrt; 'Werde. Er- kenn^chnet« dw S^wienekfiten, 

die sich der Erfaseuoe der öescblecbtskranken entgegenKieilen, and wünschte 
bei den» Knrpfflacinyrterbbt Dne besondere Aosbtldttnjf der praktischen Aerzto 
in bezug auf die Beli&odinng von Gß-seiiJcebtsliMnke»; ..Abg. Br Ö FötJ&hn 
tSoz.i bezeichn* te die grundsätzliche A i.^cha üfucg. derpolizeilichen. BegiemekttCTUpg 
als das Bedeutendste in-diesem ßeseuentwurf. Ai*-'. Privö Pr. Lu der* fÖeiiL.l 
beschäftigte sieb Id derHrniptsache ml* derStollsHg des Eeichsratö m dem 
rieseueniwurf.- Dem gegenübe r erklärte ■ der '.Vertreter Freiherr 

»on I m b o ff, daß die bayerische .Eegiera»g dem yo?{.teg»ädeaA.id)»4®Nibwint( 
skeptisch gtsgenübemehe. da er vielfach, den n'UgRssee und sit-tju'heD Grund- 
lagen und Empfindungen des Wy'efjBchco APtikea «ridereprcchA Er hielt, die 
strafrechtlich« Freigabe 4er Pnzecbt und Acpuusimg von Mitteln 2 tsr Verh&tueg 
von öeechleehtakrurikheiteo als gefährlich, letzteres inabesondere, da es nach 
rar Verhütung der EfDpfftngms -und damit zu einer Etnsöhränkung der Bevölkerung 
beitragen wtirde, Abg. Frnü M ii lier-0 tfr.iipii ,iD. Kat.) wandt« sieb gegen 
die Aaßeracbtiassnug ivligioSssiti lieber Beweggründt; in A cm Entwarf, begrüßte 
aber die Gleiehbekäudlwng von Mann und Fr&ii. ■ l<rbae‘Fttägeämter wäre da» 
Gesetz für ihre Partei unvollständig, ■'.■L^rHisieriiddifektoi’ Hamei bestritt, daß 
die Geschlechtskrankheiten in d-r letzten Zeit eiueu außergewöhnlich großen 
Umfang nngimoiuroeu hätten, und .ben<>f «cfc auf die Statistik des .Reiebsg-esnnd* 
beitsauita. 'Von Vertretern des Keiclisgesündbeitsaiats wnrdfcn dann noch auf 
Omnd von Karten omfangreiehe Angaben über die Verbreitung -der-■'Geschlechts-- 
krankhehea in Deutschland gemacht, di« von einem Vertreter der preußischen 
Regierung ergänzt würden, (Voss. Ztg,} 

, 'Der Bevölkerangsapsscbpß des Landtages nahm nach laugen ^sfband- 
ittngen den £Wtr#ffi«s: prenßlscbt-B U^batumengesettes an, das sowohl frei 
prtlrtiswrande wie beamtete HVoamajen vorsieht , ßs. soll, am JU C'klaWr 1922, 
wenn möglich, in Kraft treten und enthält n, A eine Stsaisbeibüfe für die 
Kreise und Gemeinden in Höhe von 25 Millionen Mark. 

Die Vereinigung der ln leitender Stellfiitg tätigen lonoraonalfirzte 
wird an< der diesjährigen Tagung dos deutschen Vereins fur ilffeot liebe D«sond- 
betlapftege in Frankfurt a. M. ihre Jahresversammlang «bhalteß. Genaue 
Nachrichten folgen. . ■ ■'" _. _ . A ‘‘ 

SprechsaaL 

AeaBtnsf des KrelsmedfztnaJratH W. in €. An zeig e von Kind¬ 
bett fieber, Auf Seite 167 m Heft 7 hat Herr Med.-Hat Pr. Israel 
darauf biogewicse.n, daß sehr arftibrone Aerzte und Frauenärzte ihn befragt 
hätten, ob Kindbettfieber auch bei Frühgeburten an/.'-igepftichtig sei und. ob 
fieberhafte Peri- und Paraiuetriiis im Wochenbett als Kirnt beu hebet auztiaeben 
.'«lad,.. -.Hierüber herrscht, wie aarjb von andOfep Swtla schon geäußert ist* in. 
Aerztekreiscn eine große MoiniingsverschiedenbeJi ; cs wäre daher sehr wäuseheBa- 
wert, wenn diese Frage allgemein geklärt würde; Vor allen Dingen auch, daß 
Kindbcttfteber auch daun anzeigepfüchitg ist, wenn keine Hebamme zttgezogen ist. 

Hieraaf kann nur geantwortet werden, daß leider die Anzeige von Kind- 
bottfiebej durch Aeme nicht selten ante-rUsscm wird, wobei dann sur Erklärung 
abgegeben wird, es habe eich nicht um eiu .eigeptliches* E-odbettflabef, sondern 
am Parametritis u. dgl gehandelt. Es ist. selbstverständlich, duß auch Kind*, 
bottfieher bei Frühgeburten nnd in solchen Fällen anzeigepfiiciög ist, wem» 
keine Hebamme zugezogeo ist. 

/A;-A \1«.' Krelsw^tHzlnalrni l*. tu jil beklagt sich darüber, daß ihm von der 
Rogisruag far Biensträi^on bei lAudwegen 60 PI angesf-tzt Tferdöo* während 
p tiBen eigenen K ruh wagen benutzt, ■ wofür er 4 M. pro .Kilömeter in Ansatz 
gebföcht hat. Dabei wird arigegbbcti, daß Mißtsfiihrwerkd, tjbefBanpt. 

phäitiinh, pro Kilometer etwa f> M. kosten. 

Antwort: iäcllwtverständlicü süul Bte nicht verpÜichtet, Landweg« über 
'd km su Fnß zitröckzulcgt;» Sie ton gut, sieh eine aoitiiche Bescheinigung 
über die dort üblichen Sätze für Miotsfohrwerk« (pro Kilometrir befeehnet) 



280 


Bitte an die Leser der Zeitschrift 


ausstellen zu lassen und mit den Reisekostenliqnidationen einzureichen. Stellt sich 
heraus, daß der Kraftwagen nicht teurer ist als Mietsfahrwerk, muß Ihnen der 
Betrag, den Sie für den Kraftwagen in Ansatz gebracht haben, erstattet werden. 

2. Derselbe tragt: Outachterhonorare der Regierung erhielt ich neuer¬ 
dings unter Absetzung des Ueberscndungsportos, was ich rein rechtlich nicht 
für zulässig halte. Kann ich remonstrieren? 

Antwort: Nein. Wenn der Betrag nicht abgeholt wird, sondern über¬ 
sandt wird, werden die Kosten Ihnen zur Last gelegt (vgl. Bekanntmachung 
des Pr. Staatsministeriums vom 7. 2. 94, § 1 dieser Zeitschr., Beilage 1894, S. 46). 

Herr Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. J. in Cli. beschwert sich bitter 
darüber, daß die Zeitschrift nachgelassen habe, die wohlberechtigten wirtschaft¬ 
lichen Fragen, die die im Ruhestand befindlichen M.-dizinalbeamten angehen, 
zum Gegenstand der Erörterung zu machen. Im besonderen vermißt er in den 
lezten Nummern ein Eingehen auf die Bezüge, die die Pensionäre jetzt nach 
dem 1. April zu bekommen haben. „Warum“, sagt er, „wollen Sie (d. h. der 
Leiter der Zeitschrift) alle wirtsc aftlichen Fragen und Mitteilungen aus der 
Zeitschrift für Medizinalbeamte ausmerzen?“ — 

Hierauf folgende Antwort: Die Bezüge der im Ruhestand befindlichen 
Mcdizinalbeamten sind leicht von der zuständigen Kreiskasse zu erfahren. Auch 
dürfte durch die Bezirks vereine, denen satzungsgemäß jedes Mitglied des Preuß. 
Medizinalbeamten Vereins angehören soll, dies festzustellen sein. Es sei aber 
hier gleich mitgeteilt, daß die Versorgungsgebührnisse der Ruhegehaltsempfänger 
gleichmäßig so geregelt sind, daß das Grundgehalt nach den seit 1. 4. 22 für 
die Beamten gültigen Sätzen nebst dem Durchschnittssatz des Ortszuschlags 
(4680 M ) und dem Satz von 2250 M. für ruhegehaltsfähige Nebenbezüge 
zugrundgelegt, vou dieser Summe der nach der Länge der Dienstzeit zu berechnende 
Anteil genommen und hierzu ein Ausgleich- und Versorgung'Zuschlag hinzu¬ 
gerechnet wird, wozu dann noch die Frauenbeihilfe in voller Höhe kommt. 

Der Preuß. Med.- Beamtenverein bat sich nach wie vor bemüht, die Interessen 
der Pensionäre, wie es seine Pflicht ist, zu vertreten und zu fördern, soweit er 
vermag. Darüber ist in d m Bericht über die Magdeburger Tagung mehr zu lesen. 

Im übrigeu soll den geäußerten Wünschen mögL Rechnung getragen werden. 


Bitte an die Leser der Zeitschrift. 

Herr Professor Dr. Müller-Hess in Königsberg, nach Bonn 
berufen, hat die Bitte ausgesprochen, die von der Schriftleitung 
gern unterstützt wird, ihm bei der Einrichtung des gerichts¬ 
ärztlichen Instituts, in dem noch alles fehlt, möglichst 
dadurch zu helfen, daß ihm Instrumente und Bücher, die von 
ihren Besitzern nicht mehr gebraucht werden, käuflich über¬ 
lassen werden. Besonders sind von Gerätschaften Mikroskop 
und Mikrotom, von Büchern Zeitschriften (auch ältere Jahr¬ 
gänge) aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin, der sozialen 
Medizin, der Psychiatrie und Pathologie erwünscht. Spenden 
werden selbstverständlich besonders dankbar entgegengenommen. 

Da Herr Professor M. H. zur Zeit noch keine Adresse in 
Bonn angeben kann, ist der Schriftleiter gebeten, Anmeldungen 
von dem, was zum Verkauf bezw. zur Schenkung zur Ver- 
fügung gestellt wird, anzunehmen.. 


Dieser Nummer liegt eia Prospekt von Fischers med. Buchhand¬ 
lung, Berlin W. 62, Keitstr. 6, betr. »Kompendium der sozialen Hygiene“, 
bei, worauf besonders aufmerksam gemacht wird. 


Verantwortlich für die Schriftlcitnng: Qeh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau 
Breslau V, Rehdlgerstraße 84. — Druck von J. C. C. Bruns, Minden L W. 





uititji SMtttwg^csütKiea «Ülitir «aif; 
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.*!uw«ufo -aul^>. 4«n wjÜiftiÖUfB 

































35. J&hrg. 


Zeitschrift für Medizin&lbeamte. 


Nr. 11. 


Personalien. 

Deutsches Reloh und Preussen. 

Ernannt: Znm ordentlichen Professor für gerichtliche Medizin in Bonn 
der Priv.-Doz* Dr. Müll er-Hess in Königsberg. 

Württemberg. 

In den Ruhestand auf Ansuchen versetzt: Oberamtsarzt tit. Med.-Bat 
Dr. Essig in Ravensburg. 

Erledigte Stellen. 

Prenssen. 

Zu besetzen alsbald die Kreisassistenzarztstelle in Burgdorf, Regierungs¬ 
bezirk Lüneburg. Bewerbungen sind an das Ministerium für Volkswohlfahrt 
in Berlin W. 66, Leipzigerstraße 3, durch Vermittelung des für den Wohnort 
des Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn 
Polizeipräsidenten) einzureichen. 

Württemberg. 

Die Oberamtsarztstelle — mit ärztlicher PraxiB — in Ravensburg. 
Bewerber haben sich binnen 10 Tagen beim Ministerium des Innern zu melden. 


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Laut Erlass des Ministeriums für Volks Wohlfahrt 
vom 7. Januar 1922 kann anstelle von Sublimat 
zur Abtötung der Tuberkeln das Alkalysol an- 

gewandt werden, 

Jk A11 e i n h e r steiler; 

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MyV Lysolfabrik 


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35. Jkbrg. 














282 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


unseres alten Preußischen Medizinalbeamtenvereins in seinem 
neuen Gewände, der Sie die Ehre Ihrer Teilnahme geben. 
Stehen doch in unserer schweren und bedrängten Zeit einer 
Zusammenkunft starke und schwere Hindernisse entgegen, die 
nicht immer allein durch den guten Willen zu besiegen sind. 

Ich sehe vieb, die fast an jeder Versammlung unseres 
Vereins teilgenommen haben, ich sehe aber auch manche Neue. 
Alte Medizinalbeamte und junge, alle bereit, an dem Wohl 
unseres Standes mitzuarbeiten. Sie finden reiche Arbeit und 
wichtige Punkte stehen zur Beratung. Aber wir dürfen wohl 
hoffen, zu einem guten Ende zu kommen, denn wir werden 
auch der Unterstützung unserer Staatsbehörden nicht zu ent- 
raten brauchen, können wir doch hier begrüßen: Herrn Wirkl. 
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich als Verrtreter des 
Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt, Herrn Landesrat 
Dr. Albrecht als Vertreter der Landes Versicherungsanstalt 
Sachsen, den Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg Herrn 
Beims, Herrn Polizeiarzt Dr. Gerhardt als Vertreter des 
Herrn Ministers des Innern, Herrn Prof. Dr. Alt, Vorsitzenden 
der Aerztekammer der Provinz Sachsen, Herrn Prof. Dr. Habs, 
Vorsitzenden der Medizinischen Gesellschaft Magdeburg, Herrn 
Reg.- und Med.-Rat Dr. Ostermann, Vertreter des Herrn 
Ober- und des Herrn Regierungspräsidenten zu Magdeburg. Die 
Herren Regierungspräsidenten zu Merseburg und Erfurt waren 
verhindert, an den Verhandlungen teilzunehmen. 

Darf ich diese uns so sehr willkommenen Herren bitten, 
sowohl für sich selbst unseren Dank entgegenzunehmen für ihr 
Erscheinen und den Herrn Minister, Oberpräsidenten und Regie¬ 
rungspräsidenten unseren besten Dank auszusprechen für das 
Interesse, das sie dadurch an unserer Zusammenkunft und unseren 
Verhandlungen beweisen. 

Sind wir uns doch wohl bewußt, daß nur in dem stetigen 
Meinungsaustausch und engster Zusammenarbeit aller der 
Stellen, die verantwortlich sind für das öffentliche Gesund¬ 
heitswesen, die Gesundheitspflege und Gesundheitsfürsorge, der 
gesundheitliche Wiederaufbau unseres Volkes und auch das 
Wohl unseres Standes gefördert werden kann. 

Dank sagen möchte ich auch den Vertretern der guten 
alten Stadt Magdeburg für die Gastfreundschaft, die sie uns in 
ihren Mauern gewährt. Auch sie trägt ein gut Teil dazu bei, 
wenn unseren Tagungen heute ein schöner Erfolg beschieden ist. 

Noch einmal, meine sehr verehrten Herren Kollegen und 
Ehrengäste, seien Sie bedankt für Ihr Erscheinen und seien 
Sie uns herzlich willkommen. 

Wirklicher Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich: Meine 
Herren, sehr verehrte Herren Kollegen 1 Der Herr Minister für 
Volks Wohlfahrt, mein Herr Chef, ist zu seinem Bedauern durch 
dringende Dienstgeschäfte verhindert, an Ihrer Hauptversamm¬ 
lung teilzunehmen. Er hat von der übermittelten Tagesordnung 
mit Interesse Kenntnis genommen und bestimmt, daß zwei 




des Preußischen Medizin albeamtenyerrins. 


288 


Vertreter, Herr Staatssekretär Scheidt und ich, an der Ver¬ 
sammlung teilnehmen sollten. Leider hat mir der Herr Staats¬ 
sekretär gestern abend telegraphisch mitgeteilt, daß er im letzten 
Augenblick an der Teilnahme verhindert worden ist, da in dieser 
Stunde die Verhandlungen im Hauptausschuß des Landtags über 
den Haushalt unseres Ministeriums, im besonderen auch über 
den Haushalt der Abteilung I Volksgesundheit stattfinden, an 
denen er teilnehmen muß. Aus demselben Grunde hat mich 
auch Herr Ministerialdirektor Gottstein ersucht, sein Fern¬ 
bleiben zu entschuldigen. Die Herren haben mioh beauftragt, 
dem Vorstand für die freundliche Einladung zu dieser Ver¬ 
sammlung bestens zu danken und in ihrem Namen Ihren Ver¬ 
handlungen guten Erfolg zu wünschen. Um so mehr freue ich 
mich, daß es mir trotz der augenblicklichen schwierigen par¬ 
lamentarischen Lage vergönnt ist, an Ihren Beratungen teilzu¬ 
nehmen. 

Meine Herren, die Wünsche und Hoffnungen, die die Preußi¬ 
schen Medizinalbeamten hegen, sind dem Herrn Minister bereits 
im Dezember v. J. durch Ihren Vorstand vorgetragen worden. 
Er hat schon damals zugesagt, alles zu tun, was in seinen 
Kräften steht, um die staatliche Stellung des Kreisarztes zu 
erhalten und zu stärken. (Bravo!) 

Was im besonderen die Erstrebung einer größeren Selbst¬ 
ständigkeit der Stellung der Medizinalbeamten in allen Instanzen 
angeht, so wird diese Frage bei den Beratungen über die Ver¬ 
waltungsreform eingehend erwogen werden. Damit sich das 
erstrebte Ziel durch eine Neufassung der Dienstanweisung für 
die Kreisärzte erreichen läßt, soll versucht werden, bei der Neu¬ 
bearbeitung der Dienstanweisung entsprechende Bestimmungen 
mit den übrigen beteiligten Ressorts zu vereinbaren. Ihre Be¬ 
ratungen werden, wie ich hoffe, dafür beachtenswerte Gesichts¬ 
punkte ergeben. 

Eine Ueberprüfung und anderweite Festsetzung der Be¬ 
stimmungen über die Besoldung, der Dienstaufwandsentschädi¬ 
gung und der Amtsbezeichnungen der Medizinalbeamten soll 
bei den demnächst wieder beginnenden Verhandlungen über 
die Besoldung und Amtsbezeichnung der Preußischen Beamten 
Überhaupt Ihren Wünschen und Anträgen entsprechend in An¬ 
regung gebracht werden. 

Was die Gebühren der beamteten und nicht beamteten 
Aerzte angeht, für die Ihr Vorstand neue Vorschriften beantragt 
hat, so ist Ihnen bekannt, daß zunächst durch die neue Ge¬ 
bührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 
15. März d. J. privatärztliche Gebühren festgesetzt worden sind, 
die den derzeitigen Teuerungsverhäitnissen Rechnung tragen, 
und in denen auch die Wünsche Ihres Vorstandes Berücksichti- 



10 fache des Friedensstandes angeordnet und vom Landtag ge¬ 
nehmigt worden. Was die Vorschriften des Gesetzes, betreffend 








284 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 

die Gebühren der Medizinalbeamten, angeht, so ist die Neu¬ 
bearbeitung bereits im Gange. Ich hone, daß Ihre morgen 
stattfindenden Verhandlungen über eine Neufassung dieses Ge¬ 
setzes uns wünschenswerte und willkommene Unterlagen für 
unsere Arbeit geben werden. 

Meine sehr verehrten Herren Kollegen, in dieser schweren 
Zeit, in der wir immer noch an den Folgen des Weltkrieges 
und der Umwälzung, namentlich auf wirtschaftlichem und ge¬ 
sundheitlichem Geibiete zu tragen haben, ist nichts nötiger, als 
daß alle für das Volkswohl bestellten und sorgenden Kreise 
treu zusammenstehen, ist nichts nötiger als gemeinsame Arbeit 
und Einigkeit. Deshalb legt der Herr Minister besonderen Wert 
darauf, daß seine Medizinalabteilung mit dem Vorstand Ihres 
Vereins enge Fühlung hält. Er beabsichtigt, wie Ihnen bereits 
bekannt ist, die Mitglieder Ihres Vorstandes zweimal im Jahre 
ins Ministerium einzuberufen zur gemeinsamen Beratung über 
wichtige Fragen der Volksgesundheit und Medizinal Verwaltung 
mit seinen Beauftragten. Außerdem wird es meine besondere 
Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß alles, was für die Medizinal¬ 
beamten und für die öffentliche Gesundheitspflege von grund¬ 
sätzlicher Bedeutung ist, Ihrem Vorstand und wenn erforderlich, 
durch diesen Ihrer Vertreterversammlung oder Ihrer Haupt¬ 
versammlung vorgelegt wird. (Bravo 1) 

Der Herr Minister ist sich mit Dank dessen bewußt, was 
Sie, meine Herren Kollegen, insbesondere auch die Herren 
Kollegen in der Kreisinstanz, auf dem Gebiete der Volksgesund¬ 
heit in selbstloser, hingebender Arbeit geleistet haben, und 
welche Verdienste sie sich um das Allgemeinwohl und den 
Staat erworben haben. Er gibt sich der Hoffnung hin, daß 
Sie gemeinsam mit ihm und seinen Vertretern in Zukunft in 
derselben verdienstvollen Weise wie bisher arbeiten werden, 
dann werden auch Ihre Wünsche mit aller Kraft vertreten und 
der Erfüllung nahegebracht werden können nicht so zu Ihrem 
Nutzen, als vielmehr zum Segen für unsere Volksgesundheit 
und zur Erstarkung unseres in so trauriger Weise geschwächten 
Volkes. In diesem Sinne darf ich im Namen des Herrn Mi¬ 
nisters Ihren Verhandlungen den besten Erfolg wünschen. (Leb¬ 
haftes Bravo!) 

Prof. Alt: Meine sehr verehrten Herren! Im Namen der 
Aerztekammer der Provinz Sachsen habe ich herzlich zu danken 
für die freundliche Einladung, die an den Vorstand der Kammer 
erging, Sie herzlich willkommen zu heißen in der Hauptstadt 
unseres Kammerbezirks und dem Wunsche Ausdruck zu geben, 
daß Ihre in der heutigen Versammlung beginnenden Verhand¬ 
lungen nach jeder Richtung fruchtbringend verlaufen mögen. 
Die Aerztekammer bringt ebenso wie Geheimrat Dietrich für 
das Ministerium vorgetragen hat, gerade der jetzigen Tages¬ 
ordnung das größte Interesse entgegen. Darüber dürfen wir 
nicht im Zweifel sein, ohne einen berufstüchtigen Aerztestand 
gibt es keinen Fortschritt in der sozialen Hygiene und all die 


des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


285 


großen Worte, die die Wohlfahrtspflege gebraucht, die nament¬ 
lich von Laien so hochtönend im Munde geführt werden, sind 
nur Schall und Rauch, wenn nicht ein berufsfreudiger Medizinal- 
Beamtenstand geschaffen ist. Die Aerztekammer legt großen 
Wert darauf, stets in inniger Gemeinschaft mit Ihnen zu arbeiten. 
Sie sollen unsere Führer sein auf dem Gebiet der Volksgesund¬ 
heit. Wir wollen Ihre auserlesene Truppe und ausführenden 
Organe sein. Gerade in der Provinz Sachsen haben wir die 
denkbar innigste Zusammenarbeit zwischen Aerztekammer und 
allgemeiner Aerzteschaft. Unsere gemeinsame Zusammenarbeit 
— wir haben die Freude zwei Ihrer Mitglieder, Herrn Med.-Rat 
Dr. Bundt und Herrn Geh.-Rat Dr. Kluge, in der Aerzte¬ 
kammer zu sehen — hat schöne Früchte getragen nicht nur 
auf dem Gebiet der Volksgesundheit, sondern auch auf dem 
Gebiet der Bekämpfung des Kurpfuschertums. Wenn heute 
Otto Schlesinger, gen. Otto-Otto, nicht mehr Professor 
der Psychotherapie und Sepp Oerter dicht mehr Minister in 
Braunschweig ist, so ist das das Hauptverdienst der Aerzte¬ 
kammer und der Medizinalbeamten. In gleicher Weise haben 
wir in Magdeburg einen Kurpfuscher durch gemeinsame Arbeit 
zur Strecke gebracht. In diesem Sinne wünschen wir, daß die 
Forderungen, die Sie mit voller Berechtigung stellen, in Er¬ 
füllung gehen, damit Ihr Stand weiterhin schaffenstüchtig, be¬ 
rufsfreudig bleiben möge. In diesem Sinne heiße ich die Tagung 
willkommen. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen.) 

Oberbürgermeister Beims: Ich danke dem Herrn Vor¬ 
sitzenden, daß er es mir möglich machte, in Ihrer Versamm¬ 
lung anwesend sein zu können und von Ihren Bestrebungen 
Kenntnis zu nehmen, um sie so in unserer Gemeinde nach 
Möglichkeit nutzbringend anzuwenden. Wir werden in diesem 
Jahre in Magdeburg durch die Mitteldeutsche Ausstellung eine 
ganze Reihe von Kongressen haben, viele Organisationen werden 
ihre Tagungen nach Magdeburg legen. Aber die Vereinigung 
der Medizinalbeamten unterhält zu den Kommunen so innige 
Beziehungen und die Kommunen sind auf ihre Mitwirkung so 
außerordentlich angewiesen, daß Ihre Tagung unseren Magistrat 
veranlaßt hat, eine Delegation zu beschließen und ich heiße Sie 
als ihr Vertreter willkommen und hoffe, daß dieses Willkommen 
angenehmen Widerklang finden möge. (Bravo 1) 

Landesrat Albrecht (Vertreter der Landesversicherungs- 
Anstalt): M. H.! Ihre vertrauensärztliche Tätigkeit bedingt ein 
Hand in Handarbeiten zwischen Kreisarzt und der versicherten 
Bevölkerung. Der V orstand der Landesversicherungsanstalt, in 
deren Bezirk die Tagung fällt, hat Ihre Einladung mit Dank 
aufgenommen und heißt Sie ebenfalls auf das herzlichste will¬ 
kommen. 

Prof. Habs, Vorsitzender der Medizinischen Gesellschaft in 
Magdeburg, beißt die Versammlung ebenfalls herzlich willkommen. 

Dr. Gerhard dankt für die Einladung und überbringt Grüße 
und beste Wünsche als Vertreter des Ministers des Innern. 


286 


Bericht Aber die XXXIII. Hauptversammlung 


Reg.- u. Med.-Rat Ostermann dankt als Vertreter des 
Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten für die Einladung. 

Der Vorsitzende Dr. Bundt dankt allen Vorrednern für die 
freundlichen Wünsche und Willkomraensgrüße und erteilt Herrn 
Prof. P u p p e - Breslau das Wort zu seinem Vortrag über Ge¬ 
burtsschädigungen der Neugeborenen. 

II. Gefourtsschädigungen des kindlichen Kopfes, 
Vorschläge zu einer Abänderung der bisher 
üblichen Sektionsmethode*). 

Berichterstatter Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau: 
Die Geburtsschädigungen des kindlichen Kopfes haben eine hohe 
gerichtsärztliche Bedeutung. Insbesondere interessiert den Ge¬ 
richtsarzt, ob und in wie weit bei Spontangeburten Verletzungen 
auftreten können, die den Verdacht einer gewaltsamen Geburts¬ 
schädigung hervorrufen. Die durch einen geburtshilflichen Ein¬ 
griff hervorgerufenen Geburtsschädigungen will ich deshalb 
nicht in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen. 

Die häufigste und hinlänglich bekannte Geburtsschädigung, 
die der kindliche Kopf erleidet, ist die Kopfgeschwulst. Das 
bekannte sulzige Infiltrat, das stets mit kleinen Blutungen ver¬ 
gesellschaftet ist, und das sich stets am vorliegenden Kindsteil, 
Kopf, Gesicht, Steiß nachweisen läßt, wenn nicht, und das wird 
ja ausreichend gerichtsärztlich gewürdigt, ein besonders schneller 
Geburtsverlauf das Zustandekommen einer Geburtsgeschwulst 
verhindert. 

Auch das Kephalhämatom ist eine allgemein bekannte 
Veränderung, die gleichfalls als Geburtsschädigung anzusprechen 
ist, und die in ähnlicher Weise erklärt wird, wie das sogenannte 
Döcollement de la peau, die Taschenbildung im Unterhautfett¬ 
gewebe bei tangential auf die Körperhaut einwirkenden Gewalten. 
Wichtig ist, daß das Kephalhämatom demgemäß nicht nur bei 
Kopflagen auftritt, sondern auch bei Beckenendlagen. Wir 
müssen annehmen, daß beim Hindurchtreten des Kopfes durch 
das Becken Periost und Knochen tangential von einander ver¬ 
schoben werden, und daß so die Blutung zustande kommt. 

Weniger bekannt sind die Druckmarken, die durch 
einen rigiden Muttermund am vorliegenden Kindsteil erzeugt 
werden können, und die zum Teil einen strangmarkenartigen 
Charakter annehmen können. Ich muß gestehen, daß ich eine 
derartige Geburtsschädigung noch nicht gesehen habe. Doch 
möchte ich Ihnen hier im Bilde aus der bekannten Krattef- 
schen Abhandlung einen typischen Pall dieser Art vorführen. 
(Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin, 3. Folge XIII). 

Wichtiger, als die durch den Muttermund hervorgerufenen 
Druckmarken sind aber die durch Teile des knöchernen Beckens 
bedingten. In erster Linie kommt hier das Promontorium, in 
zweiter Linie die Symphyse in Betracht. Druck dieser Teile 

*) Mit Vorführung von Lichtbildern. 



des Preußischen Medizin albe amten verein«. 


287 


des knöchernen Beckens auf die Haut des kindlichen Schädels 
kann Druckmarken erzeugen, die zur Nekrose und zu Wund¬ 
komplikationen Veranlassung geben können. 

loh erwähne bei dieser Gelelegenheit die kongenitalen 
Cutisdefekte, die durch amniotische Verwachsungen in 
utero zustande kommen,. und die durch Fehlen der obersten 
Hautschichten, Fehlen der Haare und dergleichen charakteristisch 
sind. Ich erlaube mir hier, Ihnen die von Dittrich und 
Keller in der Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin 
(Band 9 und Band 85) publizierten Abbildungen vorzuführen. 
Diese kongenitalen Cutisdefekte sind also keine Effekte einer 
Geburtsschädigung; sie sind weniger allgemein bekannt, und 
ioh halte es deshalb für wichtig, wenn Sie selbst durch Au gen¬ 
schein sich von der Art der Veränderungen überzeugen können. 

Wiederholt haben größere Verletzungen gerichtsärztliche 
Gutachten erfordert, wenn behauptet worden war, daß das Kind 
mit den Verletzungen geboren worden sei, die durch den Ge¬ 
burtsakt entstanden, oder wenn die durch eine Kopfgeschwulst 
vorgebuchtete Kopfschwarte von einer Pfuscherin für die Frucht¬ 
blase gehalten und zerschnitten wurde. Einen derartigen Fall 
hat Kratter mitgeteilt. Die für die Fruchtblase gehaltene 
Kopfhaut war mit einer großen Handscheere zerschnitten worden. 
Der unmittelbare Effekt dieses Eingriffes konnte von der 
Pfuscherin nicht beobachtet werden, weil die Gebärende so 
heftige Wehen bekam, daß sie niedergehalten werden mußte. 
Als dann die Geburt erfolgte, wies zum Entsetzen aller An¬ 
wesenden der Kopf des Kindes eine kreuzweis klaffende Wunde 
an der rechten Seite auf, die ich Ihnen hier nach einer Skizze 
vorführe. Um den Fehler wieder gut zu machen, wurde vom 
Kaufmann eine starke Nähnadel herbeigeholt, und die Pfuscherin 
nähte die Wunde mit fortlaufender Naht kunstgerecht wieder 
zu. Natürlich ohne ateptische Cautelen. Tod an eitriger 
Meningitis und Hirnabszeß nach 10 Tagen. 

Bei einem zweiten von Dittrich mitgeteilten Falle war 
auf diese Weise eine Skalpierung der Kopfhaut erfolgt. Hier 
wurde sofort eine sachgemäße ärztliche Behandlung eingeleitet 
und es gelang, das Kind am Leben zu erhalten. 

Einen dritten Fall dieser Art habe ich selbst erlebt. Eine 
XIX para (17 normale schnelle Entbindungen, ein Abort) kon¬ 
sultiert eine Pfuscherin, die sie angeblich wegen zu weiter 
Entfernung der Hebamme vom Wohnort schon öfter zu Ge¬ 
burten hat herbeirufen lassen. Bei der 19. Entbindung war der 
Wehenbeginn angeblich abends 8 Uhr, um 8 l / s Uhr erfolgte 
Blasensprung mit erheblichem Wassererguß, das Fruchtwasser 
kam durch das Bettstroh bis in die Stube. Um 8 3 / 4 oder 9 Uhr 
erfolgte die Geburt. Als die Fruchtblase sprang, war die 
Pfuscherin noch nicht da. Nach dem Blasensprung untersuchte 
sich die Gebärende selbst mit dem zweiten Finger der rechten 
Hand, der keinen scharfen Nagel hatte. Als dann die Pfu- 
scherin erschien, waren nur ganz schwache Wehen vorhanden, 



288 


Bericht Uber die XXXLH. Hauptversammlung 


die gleichwohl verschwanden. Das dauerte etwa 10 Minuten 
an und während dieser Zeit hat die Pfuscherin einmal unter¬ 
sucht, nachdem sie sich vorher einmal die Hände mit Wasser, 
aber ohne Seife gewaschen hatte. Die Kreisende hatte der 
Pfuscherin befohlen zu sehen, ob das Kind mit dem Kopfe 
vorkam. Dann erfolgte die Geburt. Als die Pfuscherin das 
Kind nahm, sah sie angeblich, daß der Kopf des Kindes offen 
war. Weiter behauptet sie „dreimal sackte sie mit der Hand 
Blut und Eiter weg und warf es in den Eimer“. Diese von 
der Pfuscherin gemachte Angabe wird auch von der Tochter 
und von dem Ehemann der Gebärenden, die bei der Entbindung 
assistierten, in ganz stereotyper Weise wiederholt. Offenbar 
war das Verabredung. Die Tochter reichte der Pfuscherin dann 
eine Scheere, und mit dieser durchtrennte sie den Nabelstrang. 
Das Kind ist dann nach 3 Tagen auf Veranlassung der kon¬ 
sultierten Diakonissin zum Arzt gebracht worden, der eine 12 cm 
lange, an den Enden 2 1 /» in der Mitte 3 cm klaffende Wunde, 
die ziemlich scharfrandig war, feststellte. Die Wunde war an 
den Rändern bereits schwach granulierend, in der Tiefe sah 
man die mißfarbig, gelbgrünlich aussehende Knochenhaut über 
den beiden Scheitelbeinen. Das Kind ist dann nach dem 
Krankenhaus überführt worden und starb hier 8 Tage nach 
der Geburt infolge von Anämie und Sepsis. Die zur Verant¬ 
wortung gezogene Pfuscherin behauptete, die Kopfgeschwulst 
sei geplatzt, und es mußte gerichtsärztlich die Frage beant¬ 
wortet werden, ob denn das überhaupt möglich sei. Die Ant¬ 
wort lautete selbstverständlich verneinend. Es ist auch in 
diesem Falle anzunehmen, daß die Kopfhaut für die Frucht¬ 
blase gehalten und angeschnitten wurde. Versuche, die wir 
in meinem Königsberger Institut angestellt haben, haben er¬ 
geben, daß nach Anlegen einer primären kleinen Hautwunde 
mit einer Scheere leicht mit dem gekrümmten Finger Durch¬ 
trennungen der Kopfhaut im Siune der Spaltbarkeitsrichtung 
der Haut ausgeführt werden können. Weiter haben Versuche 
ergeben, daß es auch durch Kratzen und Bohren mit dem Finger 
gelingt, die Kopfhaut zu durchtrennen und dann von dem 
primären Loch aus eine größere Rißwunde, wie sie hier eine 
Rolle spielt, zu erzeugen. Was nun im vorliegendem Falle 
erfolgt ist, ließ sich nicht feststellen. Es konnte auch nicht 
einmal Anklage erhoben werden, weil nicht feststand, wer denn 
nun eigentlich die Durchtrennung der Kopfschwarte vorge¬ 
nommen hatte, die Pfuscherin, die Kreisende, der Ehemann 
oder die Tochter. 

Die Knochenverletzungen sind entweder Frakturen 
oder Fissuren, oder es handelt sich um die bekannten löffel- oder 
rinnenförmigen Impressionen, die gewöhnlich auf dem Scheitel¬ 
bein gelegen, dem Druck des Promontoriums ihre Entstehung 
verdanken. Irgend welche Exostosen am mütterlichen Becken, 
aber auch Ossifikationsdefekte oder Weichkeit der Knochen am 
Kopfe des Kindes können das Zustandekommen dieser Ver- 



des Preußischen Medizin&lbeamtenvereins. 289 

änderungen unterstützen und befördern. Zuweilen kommt es 
nicht zu Frakturen oder Fissuren, sondern zum Platzen der 
Nähte, event. mit traumatischer Enzephalozele oder Meningozele. 

Es ist abwegig, wenn wir diese Frakturen oder Fissuren 
oder Impressionen lediglich für sich betrachten, sondern wir 
müssen uns klar machen, daß in diesen Fällen stets ein starker 
seitlicher Druck auf den kindlichen Schädel durch die Geburts¬ 
wege, insbesondere Promontorium oder Symphyse ausgeübt 
wird, und daß naturgemäß dadurch auch das Gehirn mit seinen 
Häuten eine Schädigung erfahren kann. 

Das, was hier in Betracht kommt, sind Blutungen, ent¬ 
weder in die weichen Hirnhäute hinein oder zwischen die 
weiche und die harte Hirnhaut, oder beides, wie wohl in den 
meisten hierher gehörigen Fällen. 

Ich habe in meinem bisherigen Wirkungskreise im An¬ 
schluß an die bekannten Veröffentlichungen Benekes mich für 
dieses Problem schon lange interessiert. Das große Material 
in meinem Breslauer Institut hat die Voraussetzungen, unter 
denen ich neuerdings an diese Frage herangegangen bin, vollauf 
bestätigt: Tatsächlich sind Geburtsschädigungen des kindlichen 
Gehirns und seiner Häute durch die mütterlichen Geburtswege 
häufiger, als man wohl allgemein annimmt, und, so möchte ich 
mit Nachdruck hervorheben, sie sind auch unter Anwendung 
der entsprechenden Untersuchungsmethoden durchaus der Fest¬ 
stellung zugänglich. 

Die bisherige Methode zur Obduktion des kindliohen Kopfes 
vernichtet die Falx und zum Teil auch das Tentorium cerebelli. 
Ich habe deshalb eine Aenderung der Sektionsmethode des 
kindlichen Kopfes seit längerer Zeit in Anwendung gebracht, 
die darin besteht, daß ich nicht das ganze Schädeldach in toto 
umschneide und abhebe, sondern, daß ich nach Zurückklappen 
und Untersuchung der Kopfhaut in ihrer vorderen und hinteren 
Hälfte durch den gewöhnlichen Sektionsschnitt und nach ge¬ 
nauer Untersuchung der Knochen und ihrer Nähte jede Hälfte 
des knöchernen Schädeldaches für sich umschneide und streng 
darauf bedacht bin, in der Mitte eine schmale Knochenleiste 
zu beiden Seiten der Pfeilnaht zu erhalten. Zu diesem Zwecke 
steche ich mit einer kräftigen Schere in die Lambdanaht ein 
und lenke die Schnittführung dann kurz vor der Mittellinie 
nach vorn neben der Pfeilnaht entlang, sodaß der Längstblut¬ 
leiter erhalten bleibt. Diese Schnittführung geht bis an die 
Wölbung des Stirnbeins nach vorn und wendet sich dann nach 
der Seite im Sinne unseres bisherigen Sektionsschnittes. Nach 
Umschneidung jeder Hälfte des knöchernen Schädeldaches hebe 
ich es ab, inspiziere das Schädeldach von innen, untersuche 
die. einzelnen Knochen und stelle dann die Beschaffenheit der 
weichen Hirnhaut fest. Dann entferne ich die betreffende Gro߬ 
hirnhälfte und untersuche diese durch die üblichen Längs¬ 
schnitte. Das, was nunmehr übrig bleibt, ist die schmale, der 
Pfeilnaht entsprechende Knochenleiste mit der Falx und dem 


290 


Bericht Ober die XXXIU. Hauptversammlung 


Tentorium cerebelli und dem Kleinhirn mit der Brücke. Diese 
Teile werden nunmehr besichtigt, dann wird das Tentorium 
durch Scheerenschläge vom Felsenbein getrennt, dann wird 
das untere Tentoriumblatt au! Blutungen und Risse untersucht 
und schließlich erfolgt die Herausnahme und Untersuchung von 
Brücke und Kleinhirn und die Untersuchung der Schädelbasis. 
(Cf. Zangemeister: Ueber Teutoriumrisse. Zentralblatt für 
Gynäkologie; 1921, Nr. 13.) 

Beneke hat darauf hingewiesen, daß es sehr leicht mög¬ 
lich sei, an einem, so wie ich es beschrieben habe, vorbereiteten 
Schädel, zu demonstrieren, daß durch Druck von der Seite her 
eine Spannung der Falx und des Tentoriums eintritt. Ich kann 
das durchaus bestätigen und ich möchte an Hand dieser sche¬ 
matischen Darstellung*) der Blutleiter der Schädelhöhle demon¬ 
strieren, wie die Falx mit ihrem oberen und unteren Längs¬ 
blutleiter von Gefäßen versorgt wird. Wird die Falx gezerrt, 
dann werden die Gefäße bersten können und wir werden in 
Gestalt von Blutungen und Einrissen in die Falx den ob¬ 
jektiven Nachweis führen können, daß hier eine starke Kom¬ 
pression des Schädels von der Seite her stattgehabt hat. Weiter 
werden wir feststellen können, ob die von Beneke zuerst in 
ihrer Bedeutung gewürdigten Tentoriumrisse mit Blu¬ 
tungen in das Tentorium, ob Tentoriumblutungen mit oder 
ohne intermeningeale Blutung vorhanden sind. 

Ich bemerke, daß ich diese Art der Sektionsmethode des 
kindlichen Kopfes seit Jahren bei allen Obduktionen von Leichen 
Neugeborener angewendet habe, und daß es sich nach meinen 
Erfahrungen verlohnt, diese Aenderung unserer bisherigen 
Sektionsmethode einzuführen. Ganz besonders aber habe ich den 
Eindruck, daß die Obduktionen von Kindern, die einige Zeit 
nach der Geburt zu Grunde gegangen sind, uns entsprechende 
Befunde liefern. Gewiß werden manche Blutungen in die 
Blätter des Tentoriums oder in die Falx wieder ausheilen können, 
aber in anderen Fällen wird sich das Neugeborene nicht er¬ 
holen von der schweren Geburtsschädigung, die das Gehirn 
erlitten hat. Es wird nicht ordentlich schreien und wird an 
Bronchialkatarrh oder Atelectase oder an sonstigen krankhaften 
Zuständen zugrunde gehen, die im ursächlichen Zusammenhang 
stehen mit der Geburtschädigung, deren Indikator Blu¬ 
tung und Ruptur in Falx und Tentorium sind. Ich 
zeige Ihnen hier einige Diapositive, aus denen sie die Bedeutung 
der von mir erwähnten Blutungen und Rupturen entnehmen mögen. 

Wir werden demnächst in den Besitz einer neuen An¬ 
weisung für das Verfahren bei gerichtlichen Obduktionen ge¬ 
langen. Ich möchte wünschen, daß das von mir ausprobierte 
Verfahren ebenfalls in diesen Vorschriften eine Stelle finden 
möge. loh weiß, wie wenig positive Befunde bei gerichtlichen 
Sektionen bei der Untersuchung der Kopfhöhle, wenn man von 
Kopfhaut und -knochen absieht, erhoben zu werden pflegen. 

*) Im Lichtbild gezeigt 





des Preußische» Mcdiirit‘»It:>efjwte»y«rajii«r. 29t* 

Aus diesem Grunde halte ich m ftfc o^tweodjgi fiarswit hinzu- 
weisen, daß die Zahl der Beiuedv dun h Anwendung des von 
mir empfohlenen Verfahrens Verraehn werden kann. 

Nach einer Zusammenstellung von Soli Ui er:'intrakraniell* 
Blutungen bei Neugeborenen (Öev-!,•.•'!>* men kt milche tWom-e 
schriftf 1020 Obduktionen von 

Leichen Neugeborene? Sucht: 'weuic--' 140 intrakranielle 
Blutungen, davon 114, 3 hpr&tenter sS; b* ;Öiu(un g «m, 8* inira*en- 
torielle Biutungeo, und IT mal beiden {ungleich. Von diesen 
Infra- und anpratentoneljen Blutehgen .-rAhften Bl von Twj- 
tormmrissen her, 8 von Falxrissen nud ? vua Fakt- und Ten- 
toriurarissen, In ÖÖ Fällen war ■■■M-'id der ünd 

Blutungen eine schwere geburtshHflo.’he Operation. S <.• h a i e-r 
hebt hervor, daß besonders' bei f*Vi)l (gebürten Tent.orLmuisse- 
leichfc Vorkommen können. 

Ich möchte abet noch hthweFon da, Frage der Kon¬ 
kurrenz der Todesursachen,. Selbkiy. ühioh wird ein Lgb 06 
schwaches, durch Kompression ; • - • ' iu der tiebort 

geschädigtes Kind auch durch cb-oo d-.:-.meif Eingriff jgsw 
tötet werden k&nheöi; Man die Bedeutung 

der Fafe und Tentöriumrase n \jjß : m überschätzen haben, 
sondern wird jdl® Frage -Gach Todesursachen 

unter Borücksichtiguö^ des ümstoeaiiiv.-orten haben, 
ob die bei der Obduktion • lastgßsteHte todbringende Verletzung- 
vitale Reaktion zeigt oder nicht, 

(Lebhafter BeifallK • 

• Y Arj ä'pie h c It e. 

Prof. Dr» (ttRll&r*Ues8: Ala sch • ■ tsack KAuiesberß als Assistent 
uh das gecichtsÄraltiche Institut kam, ha"W ich die Vife Perm p»<>/. Puppe 
heteate Art *5&r Ötdaktioü kenne» greleni» bd-einer tietbe von ftlUc haben 
vir dnr&h; eie ©ibe Aofklärang bekommen die raf£h twi ihrer vwitiragepdoo 
Bedeutung übersengt. ; P. : » fp b Vw»; jr.&ßgsFprg • Jarl ist habe ich 

voröbergebebd die Leitawg des Institut* < ; eine Beibe rub o.u.'uhh»««* 

gemacht. Hier erlebteich däno eisige k»-i.*..?o *iio ich Ihnen mehr \»r~ 

enthalten möchte. Es handelte sieh jda \?m «tue «SfjßjirVo- VerKüVfeVia, die- 
ohne yofhAteftobg - gehöre» butteA .JÖt« riafeim dahuebö äü* hmnueH. Bas 
Kind fca«r lebeuil sar ^4^«**®* w. 'mx »ift ro^iif smx -BAw^c«ig a^kommeh. 
Die- öebärehde; war bewußüo#' geworden,' - 'SÜdki*. *ie- sich nfuiit um das Kind 
kömmern konnte. Das Kmd war gesierfcre Bk* ÖerifhC tegt© t<uu ’O 

CöSfeZöstaUeo, ,öb die Geburt toUktfatfifii* ; ob>*a»hrr©Ußi «eschtih Ich 
hatte dte Obduktion vöraoaehmeo Rad' sieil*..- den» *aeh iti» Jtvatvsiofti atu© 
Beihe von Bintange» fest. 

Etwa acht Wochen später ereignete «uh ein ,1-Vh. SfeWl 

SSjährtgö WäschbfiB hatte heimheh geboren. i>>* .(.bhun hat.-e aw "«ngehbeh- 
hberraschk Sio dauerte nnr eine Stunde. Wie tuer die «arktf j£ompr«MtQB 
/piande kam, habe jeb mir nicht erklä? . » knWnm Bei dtr Ohifbktion fand, 
ich fünf Bisse im Tentorinm tetrhelli* Der ^0S^f.K0^c&r für > ivet> Steckoadel. 
knöpf durchgängig. .Auch, hier .hatte' Verdacht geschöpft, 

weil die Gehört heimlich erfolgte. Auch hi: > rü öraufsii-htigung 

nach, einer Stande gestorben, Aach hier h»rt» <ä>rr. ' " '••;•. Oituaic hintcrlassen 
durch die Zerreißungen and Blutungen irr. r - 

Ein anderer Pulk Eine Sfäfi^ÄOhSbeiude .käbjjr - 1 b>. drei Biuodbo gehOTeo 
Wie die Tuchter angab. war das mhd nie r^itttk 'ghr'-'Entfaltung gt-kommen, 
hatte nie richtig geachrien nsw. fünf Stuodeo nach der Gehört war 
gestorben. Eier ergab die Obduktion elwufalL aoscedeboto Blutung>vr, hu 





292 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


Tentorinm cerebelli. Wenn ich die Sektionen vor acht Jahren gemacht hatte, 
hätte ich die Todesursache nicht entdeckt; denn wir wissen, daß, wenn wir 
die falx durchschneiden, sich das Blut durch die Qehirnmasse ergießt, so daß 
man dann nicht weiß, wodurch die Blutung entstanden ist. Ich glaube, daß 
diese Fälle sehr instruktiv sind. 

Dr. Hillenberg: Ich habe mich zum Wort gemeldet, um zu bitten, daß 
sich die Herren befleißigen möchten, alle Fachausdrttcke, die durch die deutsche 
Sprache zu ersetzen sind, auch zu verdeutschen. Wir haben einen interessanten 
Vortrag von Prof. Puppe gehört und eine Fülle von Ausdrücken vernommen, 
die nach meinem Empfinden sich auch sehr gut auf deutsch hätten sagen lassen. 
Es ist zweifellos, daß es eine Reihe von Ausdrücken gibt, die wir nicht gut 
verdeutschen können, oft schon ihrer prägnanten Kürze wegen. Aber es gibt 
doch eine Menge von Ausdrücken, die sich auf gut deutsch sagen lassen. Ich 
möchte die Kollegen bitten, überall da deutsche Ausdrücke anzuwenden, wo 
sie angebracht und möglich sind. 

Vorsitzender: Ich begrüße die Anregung, glaube aber doch nicht, daß 
wir sie gleich in die Tat umsetzen können. Die Kollegen sind zu sehr an 
die fremden Ausdrücke gewöhnt. 

Dr. v. Ingersleben: Prof. Puppe hat uns darauf aufmerksam gemacbtt, 
daß bei Blutergüssen in der falx auch in der Nachbarschaft Blutungen in 
lebenswichtigen Organen, wie das Atmungszentrum, Vorkommen und Todes¬ 
folge haben können. Ich beobachtete, daß derartige Schädigungen des Zentral¬ 
nervensystems auch ohne Blutaustritt stattgefunden und den Tod herbeigeführt 
haben. Solche Verletzungen kommen offenbar sowohl bei Kindern wie bei 
Erwachsenen vor. Wir haben in Aschersleben einen Sektionsbefund gehabt, 
der den gleichen Charakter trug. Ein 55 jähriger Mann erhielt in einem öffent¬ 
lichen Lokal von einem Betrunkenen mit einem Bierseidel einen Schlag auf 
den Kopf. Der Getroffene war nicht ganz bewußtlos. Ein Eingriff des 
Chirurgen wurde nicht vorgenommen, da keine Symtome dafür da waren. Noch 
des Nachts um 1 Uhr war der Verletzte bei vollem Bewußtsein und leidlichem 
Wohlbefinden. Um 2 Uhr trat plötzlich Benommenheit ein und darauf schnell 
der Tod. Nun erwarteten wir natürlich bei der Sektion eine Schädelfissur und 
eine Blutung. Das war aber nicht der Fall. Der Schädel war vollständig 
unverletzt. Es war nicht einmal eine Schramme an den entsprechenden Schädel¬ 
knochenstellen zu finden, die unter den Weichteilverletzungen lagen. Es fand 
sich vielmehr eine vasamotorische Lähmung, ein Gehirnödem. Zugleich ist 
bemerkenswert, daß der Schädel eine bemerkenswerte Dünne hatte. Wir haben 
angenommen, daß dieser dünne Schädel durch den Schlag wie ein Gummiball 
zusammengedrückt wurde und daß in dem Moment der Formveränderung eine 
starke mechanische Einwirkung auf das Gehirn stattgefunden hat, die die 
tödliche vasamotorische Lähmung zur Folge hatte, ohne daß ein Bluterguß 
an einer Stelle des Gehirns aufzufinden war. Solche Verletzungen kommen in 
erhöhtem Maße auch bei Kindern vor. 

Vorsitzender: Ich erinnere mich dieser Tentoriumrisse aus Vorträgen 
Beneckes. Ich weiß nicht, ob Benecke der erste Beobachter war, ich 
nehme es aber an. Benecke hat, soviel mir erinnerlich, niemals eine besondere 
Sekiionsmetbode angewandt. Er hat nur die Knochen vorsichtig mit der Schere 
herausgeschnitten ohne die Methode von Prof. Puppe, die mir außerordent¬ 
lich praktisch erscheint, anzuwenden. Ich begrüße, daß unB diese Sektions- 
methode vorgeführt wurde. Was ich noch zu sagen habe, liegt in derselben 
Richtung, wie es von Herrn v. Ingersleben geschildert wurde. Es war 
eine meiner ersten Sektionen im Kreise Belgard. Es bandelte sich um einen 
Peitschenschlag und zwar nicht etwa mit dem dicken Ende. Ein Vater hatte 
seinem betrunkenen Sohn einen Schlag mit dem elastischen Ende des Peitschen¬ 
stiels an die Seite des Kopfes versetzt. Der Sohn war hingefallen, er wurde 
auf das Sofa gebettet, nach einiger Zeit war er tot. Die Sektion ergab eine 
außerordentliche Blutfülle im Gehirn, aber keine Schädeiverletzung. Diese 
Stauung im Gehirn mußte als Todesursache angesehen werden. Was straf¬ 
rechtlich herausgekommen ist, weiß ich nicht. Wir haben damals auf das 
Tentorium nicht geachtet. Es wäre möglich, daß eine kleine Blutung in der 
Nähe des Atmungszentrums vorhanden gewesen war. 



des Preußischen Medizinalbeamtenrereins. 293 

III. Die Dienstanweisung für die Kreis- 
nnd Gerichtsärzte. 

Erster Berichterstatter: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pappe- 
Breslau : Die Gerichtsärzte stellen insofern unter den preußischen 
Beamten ein Unicum dar, als eine besondere Dienstanweisung 
für sie nicht vorhanden ist, und als sie, wie nicht zu leugnen 
ist, tatsächlich vorhanden sind und sich auch an den Stellen, 
an denen sie amtieren, als ein unentbehrlicher Bestandteil des 
für die Rechtspflege bestimmten Apparates erwiesen haben. 
Gewiß werden sie in der bisherigen Dienstanweisung für die 
Kreisärzte an mehreren Stellen erwähnt, aber das, was das 
Wichtigste ist, eine Abgrenzung ihrer Zuständigkeit gegenüber 
den Kreisärzten ist in dieser Dienstanweisung nicht vorgesehen. 

Es sind jetzt 19 Jahre her, als ich, damals Berliner 
Gerichtsarzt, die neu errichtete Professur für Gerichtliche Me¬ 
dizin in Königsberg Pr. übernahm. Ich habe damals sofort 
diesen eben erwähnten Mangel empfunden und habe unter Zu¬ 
stimmung des Regierungspräsidenten ein freiwilliges Abkommen 
betreffend die Zuständigkeiten mit dem Kreisarzt in Königsberg 
getroffen. Dieses Uebereinkommen ist dann auch von den 
späteren Kreisärzten mit gewissen Abänderungen übernommen 
worden, da es sich bewährt hatte. Wenn jet?t über eine 
Dienstanweisung für Gerichtsärzte gesprochen wird, so glaube 
ich in diesem Sinne kompetent zu sein, meine Erfahrungen 
darzulegen. 

Das, was unentbehrlich ist, ist jedenfalls Herbeiführung 
eines gedeihlichen Nebeneinanderarbeitens von 
Kreisarzt und Gerichtsarzt. Es ist unerfreulich, wenü 
z. B. ein kreisärztliches Attest über die Haftunfähigkeit eines 
Menschen vorliegt, und wenn nachher auf Ersuchen des Gerichts 
ein gerichtsärztliches Gutachten zu einem anderen Ergebnis 
gelangt. Ebenso wie es unerfreulich ist, wenn der Geriohtsarzt 
einem Gerichtsbeamten eine Urlaubsnotwendigkeit bescheinigt, 
die ein kreisärztliches Attest nicht anzuerkennen vermag. Der¬ 
artige Kompetenzkonflikte müssen unter allen Umständen ver¬ 
mieden werden in einer Zeit, in der vieles fließt, wenig 
Bestand hat, und in der auch in dem Arbeitsgebiet der be¬ 
amteten Aerzte alles mögliche zu ändern versucht witd. Des¬ 
halb sollen wir Zusammenhalten, eine Abgrenzung der Zu¬ 
ständigkeiten herbeiführen, und zwar so genau und so bestimmt 
wie möglich, und dann die Dinge gehen lassen, wie sie ge¬ 
regelt sind. 

Noch ein anderer Grund spricht für die Regelung der 
Zuständigkeiten: Es handelt sich hier um die Frage der ge¬ 
deihlichen Pflege der Gerichtlichen und Sozialen 
Medizin an den preußischen Universitäten. Die 
Professoren der Gerichtlichen Medizin, die zum großen Teil 
auch einen Lehrauftrag für Soziale Medizin haben, können na¬ 
türlich nur lehren, wenn sie genügendes Material haben. Sie 




294 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


werden verstehen, wenn ioh Ihnen sage, daß auch dieser 
Gesichtspunkt für mich seiner Zeit in Königsberg bestimmend 
war, eine Abgrenzung der Zuständigkeiten zu erstreben. Das 
Wohl der Gerichtlichen Medizin an den Universitäten, die 
Leistungsfähigkeit der Gerichtsärztlichen Institute ist eine 
Angelegenheit, die den Kreisarzt ebenso angeht, wie die wenigen 
außer den Professoren noch vorhandenen Gerichtsärzte. 

Wir haben wohl alle von Versuchen gehört, Gerichtsärzte 
einzusetzen, die vergeblich gewesen sind. Die betreffenden 
Kollegen haben keine Existenz als Gerichtsarzt gefunden, und 
die Stellen sind wieder eingezogen worden. Ich zweifle nicht 
daran, daß die Ursache weniger in der Insuffizienz des betr. 
Kollegen lag, als in dem Fehlen einer Dienstanweisung, in 
dem Nichtvorhandensein von Bestimmungen, welche die Zu¬ 
ständigkeit des neuauftretenden Gerichtsarztes von der des am 
Orte befindlichen Kreisarztes abgrenzten. 

Das, was wir jetzt in irgend eine Formel fassen müssen, 
ergibt sich aus den geltenden Gesetzen, St. G. B., St. P. 0. aber 
auch aus dem kommenden St. G. B. (Entwurf 1919), ergibt sich 
endlich aus den Erfahrungen, wie ich sie in Königsberg habe 
machen können. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, 
daß das Protokoll über die am 21. 1. 1922 im Ministerium 
für Volks Wohlfahrt gepflogenen Verhandlungen auf Seite 126 
der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 6. 3. 1922 insofern einen 
Irrtum enthält, als ich nicht eine Dienstanweisung für Gerichts¬ 
ärzte beantragt habe. Dem Ministerium lag lediglich ein 
Antrag von mir vor, eine Dienstteilung in Breslau zwischen 
den Kreisärzten und dem Gerichtsarzt hebeizuführen. 

Zuständig sind die Gerichtsärzte nach der St. P. 0. für 
gerichtliche Obduktionen. Ueber diesen Punkt bedarf 
es keinen weiteren Wortes. Wer 2. Obduzent sein soll, regelt 
sich nach den bestehenden Bestimmungen. 

Zuständig sein aber müssen die Gerichtsärzte auch für alle 
sonstigen gerichtsärztlichen Angelegenheiten. Ich verstehe 
hierunter: Gutachten betr. den körperlichen oder 
Geisteszustand eines Menschen oder der krimi¬ 
nellen Eignung einer Sache auf Ersuchen der 
Gerichte oder der Polizei in einer schwebenden 
Untersuchung, in einer Strafsache, im Entmündi¬ 
gungsverfahren oder in Zivilprozessen. Damit ist 
aas Gros der Tätigkeit des Gerichtsarztes Umrissen. 

Die Freiheit der Gerichte und der Polizei in der Wahl 
ihrer Sachverständigen wird durch eine derartige Abgrenzung 
der Zuständigkeit des Gerichtsarztes gegenüber der des Kreis¬ 
arztes nicht berührt. Gerichte und Polizei können sich zum 
Sachverständigen wählen, wen sie wollen. Der Sinn der Zu¬ 
ständigkeit aber ist fraglos der, daß, wenn das Gericht einen 
beamteten Arzt als Sachverständigen nimmt, dieser die Zu¬ 
ständigkeit wahren muß, und wenn der Kreisarzt für ein von 




des PfeaSiftehea MedizinalheatßtenreffciwB. 


ihm erfordertes Gutachten nicht zuständig ist, er die Akten 
zuatÄndigkeitshalher dem Gerichtsarzt s^gehen läßt, indem 
er gleichzeitig die ersuchende Gerichts- oder Polizeibehörde 
davon benachrichtigt — und umgekehrt. 

Zuständig ist der Gerichtsarzt demgemäß auch für die 
Feststellung der Haitiähigkeit, insofern, als es sich hier 
um die Vollstreckung des Urteils, vielleicht auch um die Ver¬ 
hängung der Untersuchungshaft handelt. Ich erwähnte oben 
bereit« die Gefahr der Doppelbegutaohumg durch Kreisarzt und 
Gerichtsarzt, ich halte es nicht mit der Würde des beamteten 
Arztes für vereinbar, wehrt bei einer zweilachen Begutachtung 
zwei verschiedene Meinungen verlautbart werden. Eine Re¬ 
gelung der Zuständigkeit ergibt das Fernbleiben von Reibungeii 


zwischen Kreisarzt 'und Gerichtsarzt,. 

Unberührt von dieser Zustätidigfeeit3regeluiig bleiben die 
Geiän gn isär zte. Erhält der Kreisarzt io seiner Eigenschaft afe 


Gelängmsarzt den Auftrag, den in seinem Gefängnis heündlioher, 
Geiangenea zu untersuchen, dann.- gilt er auch als hierfür zu¬ 
ständig. 

Nach hieinem X>afürbai!tett ist die Feststellung, daß der 
Tod eines Menschen, dessen Lei che feuCr bns ta tte 1 werden 
soll, durch eine strafbare ITandl ung hiebt her beigeführt sei, 
eine ausgesprochen gerichtsärzthche Angeiegeiiheit Inh habe 
deshalb nicht verstanden* daß diese zunächst den. ÖMehtsäraton 
überantwortete Leichenschau zur Feuerbestattung nunmehr auch 


den Kreisärzten in gleicher Weise offen stehen soll, ebenso 
wie sich auch Krankenhsusärzte daran beteiligen dürfen, Ich 
stelle erneut die Forderung auf. die- Leichenschau zur Feuer¬ 
bestattung als eine geriehtsärztltehe Angelegenheit den Gerichts 
Ärzten zu überantworten, im Falle der Behinderung aber dessen 
gesetzlichen Vertreter für die Leichenschau zur Feuerbestattung 
heranzuzieheti. 

Hierbei will ich auch nicht unterlassen, der Gebühren 
zu gedenken. 5Efjfc muß davon ausgehen, daß der alte Satz 
immer noch seine Richtigkeit hat : Porarduura et admodum 
difficile est medieorurn jüria peritorum officium. Ich kann m 
nicht für richtig halten, die schwere, so viel Initiative bean¬ 
spruchende Tätigkeit des Gsnchtsarztes dadurch unerfreulich 
zu machen* daß man ihn zwingt, Gebühren abzuführen. Ich 
fürchte, daß durch ein derartiges Verfahren die ohnehin nur 
geringe Neigung der Aerzte zum gerichtsärztlichen Berufe nicht 
onr ftbgoscwächt, sondern getötet wird. Dem Grundsatz der 
heutigen Zeit entsprechend muß auch jede Arbeit ihren Ent 
gelt finden, und die stets mit körperlicher Anstrengung aus- 

f eführte Arbeit des Gerichtsarztes, die nicht selten "mit leib- 
eher Gefährd ang verbunden ist, sollte von derartigen Ein 
griffen bewahrt bleiben. 

Wenn ich oben schon von den Gefängniäärzteö goapimöhen 
habe, so verstehe ich hierunter eine yertrauensärztliche 
Tätigkeit, die der Gerichtsarzt ausüben kann, wenn er mag. 



296 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


oder ausüben soll, wenn der Regierungspräsident das für not¬ 
wendig hält. Die Regelung der Bezüge als Gefängnisarzt 
unterliegt der freien Vereinbarung durch die hierfür ent¬ 
standenen Organisationen der Gefängnisärzte und der Gefängnis¬ 
verwaltung, die durch den Generalstaatsanwalt repräsentiert wird. 

VertraueDSärztliche Tätigkeit ist es auch, wenn der 
Gerichtsarzt bei dem Versicherungsamt, Oberversicherungsamt, 
bei den Versorgungsgerichten, bei den Berufsgenossenschaften 
Gutachten abgibt. Wie die gefängnisärztliche Tätigkeit steht 
diese vertrauensärztliche Tätigkeit selbstverständlich den Ge¬ 
richtsärzten ebenso offen, wie den Kreisärzten. 

Bei der Ausführung von sogenannten Unfallobduk¬ 
tionen ist es nach meinem Dafürhalten, und hier spreche ich 
als Vertreter der gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute, 
unter allen Umständen notwendig, daß der Gerichtsarzt in 
erster Linie zu dieser vertrauensärztlichen Tätigkeit von der 
Polizei herangezogen wird. Die Zuziehung eines Kreisarztes 
oder 2. Gerichtsarztes als 2'. Obduzenten richtet sich nach den 
örtlichen Verhältnissen. 

Von Bedeutung erscheint mir ferner noch zweierlei. 
Einmal die Frage der gerichtsärztlichen Univer¬ 
sitätsinstitute und ihrer Zuständigkeit, und sodann 
die Frage der Einführung des Instituts der Gerichts¬ 
assistenzärzte. 

Was zunächst die Zuständigkeit der gerichtsärztlichen 
Institute anbetrifft, so dienen sie ja in erster Linie dem Unter¬ 
richt. Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, daß ihr Ma¬ 
terial geregelt und gut fließend sein muß. Ich möchte bitten, 
sich damit einverstanden erklären zu wollen, daß jedes gerichts¬ 
ärztliche Universitätsinstitut in ganz ähnlicher Weise, wie die 
Medizinaluntersuchungsämter, die Zuständigkeit für seinen 
geographischen Bezirk erhält, wenn es sich um Blut- und 
Haaruntersuchungen, um Fingerabdrücke oder Fußspuren, oder 
um ähnliche Untersuchungen handelt. Auch Untersuchungen 
von Leichenteilen, Mazeration von Schädeln, Herstellung von 
mikroskopischen Präparaten — alle diese Materialgruppen 
sollen dem gerichtsärztlichen Universitätsinstitut zufließen, und 
es ist Aufgabe der bei der Obduktion tätigen beamteten Sach¬ 
verständigen, diese Beteiligung des gerichtsärztlichen Instituts 
im Ermittlungsverfahren bereits im vorläufigen Gutachten nach 
der Obduktion zu beantragen. 

Was weiter die Einführung von Gerichtsassistenzärzten 
anbetrifft, so stellt sich das für uns in Preußen als ein Novum 
dar. Ich möchte aber bitten, die Versammlung möge sich damit 
einverstanden erklären, daß in ähnlicher Weise, wie jeder Kreis¬ 
arzt Kreisassistenzarzt gewesen sein muß, auch in Zukunft jeder 
Gerichtsarzt auf eine gewisse Bewährungsfrist als Gerichts¬ 
assistenzarzt zurückblicken muß, es sei denn, daß er durch eine 
Assistentenzeit an einem Gerichtsärztliohen Universitätsinstitut 





des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


297 


eine Zeit durchgemacht hat, die der Beschäftigung als Gerichts¬ 
assistenzarzt als gleichwertig zu betrachten ist. 

Schließlich noch ein Hinweis auf die sozial-medizini¬ 
sche, d. h. prophylaktische Tätigkeit des Gerichts¬ 
arztes! Es empfiehlt sich, die Feststellung zu treffen, daß 
die Gerichtsärzte nicht nur in gerichtlich-medizinischen, sondern 
auch in sozial-medizinischen Angelegenheiten Berater der Ge¬ 
richte und der Polizeibehörden ihres Amtsbezirks sind, Hierzu 
habe ich noch folgendes zu bemerken: 

Die sozialärztliche Tätigkeit des Gerichtsarztes regelt sich 
nach Maßgabe des Gesetzes. Der Gerichtsarzt hat in Zukunft 
(cf. Entwurf zum Strafgesetzbuch 1919) nicht nur über die Zu¬ 
rechnungsfähigkeit bei Begehung eines Rechtsbruches ein Gut¬ 
achten abzugeben, sondern er hat das Gericht auch nach der 
Richtung hin zu beraten, wenn ein diesbezügliches Verlangen 
an ihn gestellt wird, was weiter mit dem Rechtsbrecher zu 
geschehen hat. Insbesondere wird dies bei Unzurechnungs¬ 
fähigen im Sinne des § 61 St.G.B., geistig Minderwertigen 
(vermindert Zurechnungsfähigen), Trinkern und Jugendlichen 
der Fall sein. Zu diesem Zwecke muß er sich in engster 
Fühlung mit den in seinem Bezirke vorhandenen Fürsorge¬ 
organisationen halten und solche, falls sie noch nicht vorhanden 
sind, ins Leben zu rufen bestrebt sein. Er hat hierbei davon 
auszugehen, daß der beste Teil der Strafrechtspflege in der 
Prophylaxe liegt. Daran, daß die diesbezüglichen grundlegen¬ 
den Bestimmungen des Entwurfs von 1919 auch wirklich Ge¬ 
setz werden, zu zweifeln, liegt nicht der geringste Anlaß vor. 

Von den Jugendlichen ist im besonderen zu sagen, 
daß der Gerichtsarzt der Zentrale für Jugendfürsorge in seinem 
Bezirk mit Rat und Tat zur Seite zu stehen hat. Insbesondere 
hat er auch allgemeine Maßnahmen nach Kräften zu fördern, 
sowie einzelne Jugendliche auf Ersuchen der Zentrale zu unter¬ 
suchen. Hierbei hat er festzustellen, ob sozialtherapeutische 
Maßnahmen erforderlich sind (Vermahnung, Verweisung an die 
Zucht des gesetzlichen Vertreters oder an die Schulbehörden, 
Anordnung einer anderweitigen Erziehung oder Unterbringung 
in Fürsorgeerziehung oder Schutzaufsicht). Die Fürsorge für 
jugendliche Psychopathen durch systematische Einrichtung 
von Unterrichtskursen, Erholungsheimen, Arbeitsstätten und 
dergleichen mehr muß er sich ganz besonders angelegen sein 
lassen. 

Ebenso muß der Gerichtsarzt auch der Trinkerfürsorge¬ 
stelle ratend zur Seite stehen. Er wird, da ihm die Macht¬ 
mittel des Staates zur Verfügung stehen, in ganz anderer 
Weise die Trinkerfürsorge günstig zu beeinflussen im Stande 
sein, als das ein nicht beamteter Arzt kann. Trinker, welche 
der Untersuchung durch einen nicht beamteten Arzt Wider¬ 
stand entgegensetzen, müssen dem Gerichtsarzt auf sein Ver¬ 
langen von der Polizei vorgeführt werden. Der Gerichtsarzt 
hat dann den Heilplan festzustellen, unter anderem auch, wenn 



298 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


die Unterlagen hierfür vorhanden sind, die Entmündigung, 
gegebenenfalls die vorläufige Vormundschaft gemäß § 1906B.G.B. 
anzuregen, damit der vorläufige Vormund entweder den Trinker 
alsbald einem Heilverfahren* unterzieht, und zwar, wenn die 
Landesversicherungsanstalt an dem Fall interessiert ist, auf 
Kosten der Landesversicherungsanstalt, oder ihn in einem In¬ 
validenheim oder Armenhaus oder sonstwie unterbringt. Auf 
Verlangen der Gerichtsbehörden hat er sich darüber zu äußern, 
ob Schutzaufsicht genügt oder ob V erbringung in eine Trinker¬ 
heilanstalt notwendig ist. 

Was endlich Psychopathen und Geisteskranke 
anbelangt, so hat der Gerichtsarzt kraft seines Amtes die Für¬ 
sorge für die in seinem Bezirk wohnenden Geisteskranken und 
Psychopathen. Er hat sich mit den für diesen Zweck be¬ 
stehenden Fürsorgeorganisationen in Verbindung zu halten und 
gegebenenfalls solche ins Leben zu rufen. Auf Verlangen des 
Gerichts hat er sich darüber zu äußern, ob für einen Geistes¬ 
kranken oder vermindert Zurechnungsfähigen Anstaltsbehand¬ 
lung erforderlich ist, oder ob Schutzaufsicht genügt. Ent¬ 
lassungen aus der Irrenanstalt sind ihm mitzuteilen. Auf 
Verlangen der Polizei hat er sich auch über die Entlassungs¬ 
fähigkeit der in eine geschlossene Anstalt eingelieferten ge¬ 
meingefährlichen Geisteskranken zu äußern, und zwar 
auf Grund der in der Anstalt geführten Krankenblätter oder 
auch der Gerichtsakten. Gegebenenfalls hat er gemäß Mi- 
nisterialerlaß vom 15. 6. 1901 bei der Polizei zu beantragen, 
daß diese die Genehmigung zur Entlassung verweigert. 

Er wird sich um so lieber diesem Zweige seiner Tätigkeit 
zuwenden, als er so häufig Gelegenheit erhält, nicht krimi¬ 
nellen Geisteskranken gegenüber zu treten, und seine Kennt¬ 
nisse auf dem Gebiete der Geisteskrankheiten auf dem laufenden 
zu erhalten. Für entsprechende Arbeitsnachweise hat er eben¬ 
falls Sorge zu tragen, wie er sich auch der Verpflichtung, die 
Kranken oder ihre Angehörigen zu beraten, nicht wird ent¬ 
ziehen wollen. 

Daß all’ diese Bestimmungen in einer besonderen Dienst¬ 
anweisung für Gerichtsärzte niedergelegt werden, erscheint mir 
nicht notwendig; es würde genügen, sie in der zu erwartenden 
Dienstanweisung für Kreisärzte und Gerichtsärzte 
so bestimmt wie möglich zu umschreiben. 

(Lebhafter Beifall.) 

Die'Leitsätze hierzu lauten: 

Die Dienstanweisung für Kreis- und Gerichtsärzte. 

1. Eine besondere Dienstanweisung für Gerichtsärzte erübrigt 
sich, wenn in der erwarteten Dienstanweisung für Kreis- 
und Gerichtsärzte eine Abgrenzung der Zuständigkeit 
beider herbeigeführt wird. 

2. Diese ist notwendig im Interesse eines gedeihlichen Neben- 
einanderarbeitens von beiden, wie auch zur Sicherung des 




dos Preußfscjico 


akademischen Unterrichte jp-tfor g^HührKöheii und sozialen 
Medizin, den etwa ein- Drittel Ser' UeriühtsÄrzie t» ihrer 
Eigenschaft als Universität^ ruf essürftu zu Steilen hat. 

3» Der Gerichtsarzt ist in gevichtlich-mediziniachon und in 
sozial-medizinischen Angelegenheiten cter Berater der 
Gerichte und der Polizeibehörden seines Amtsbezirks nach 
Maßgabe der nachstehenden Normen. 

4. Der Gerichtsarzt ist zuständig für gyrinUthohe Obduktionen. 

5, Ferner für ITntersüchung und Begutachtimg des kbrper- 
licheh odet Geisteszustandei? eines Menschen oder der 

einer Sache auf Ersuche« des 0«~ 
rieht«' oder der Polizei in ein«» schwebenden Üntersuolntu*;, 
in einer Strafsache, im EntUiündigmigsverfahren oder im 
2iivit|irogeß;ic;|^- ' 

8. Ferner für die Feststellung der Haftfähigkeit.. 

% Kreisärzte, di« Gefängnisänte sind, besitzen in gleicher 
Wels«, wie der zuständige ÖöriohtHäfzfc,. die Zuständigkeit 
für die Elegtjtächtüng der ihnen anverträuten Gefangen««, 

8. Für die Leichenschau zur FeuerbBstattubg, die «rtuitteln 
soll, ob der Tod durch «me Äitäfbstr* Handlung herbei- 
geführt ist, und die songch eine r.eüj c/-ru & .• •'••/:dom. 
Angelegenheit darsteltt, ist der Geriebtsa.rzt irr erster Linie 
zuständig. 

9. Die amtsärztlichen Gehührei'. der Genohts'ärzte unterliegen 
nicht der Abfübningsphiciu 

10 Als vertrauensärztliche Tätigkei•' Kommt für ihm GeHchis*- 
arzt in Frage die Tätigkeit, als UeUuiguisärzt, die Bi 
verständigeßtätigkeit beim Yersich^tUngiiänJ . i merve?* 
sicheruiigsamt und Fersotirungsgeriobt, . sowie als Vier, 
tjfauensarzt der Berüfsgönö.4ieri»c!iaften, 

11» Bei den polizeilichen Ötoukiiohek der Leichen von unter 
UnfäUverdacht ver^tcrbeae'i' i-V^onen, ’ dir. auf Ersuchen 
./ der . ßerufsgenössenschafteri ausgefftbrt werden, ist der 
GerichtSÄrzt kr erster Linie zuständig* 

12. Der Gerichtsarzt hat die AuLmbv über die Geisteskranken 
und Psychopathen in seinem Di.-ii db.^irk, «.»weit sie .«.ich 
außerhalb der geschlossene« Anstalt^« • befinden.' ßr ist 
auch für die Feststellung der Gen'ioiriguiälirlichkeii eine* 
Geistesfersökefi zuständig, desgleichen für die Frage der 
Entlässungafähigkeit eines gemeingefährlichen Oeisfuic 
kranken, 

13. Auch di« in seinem Dienstb^idib; vt oh«haften Trinker und 
clugendlicheB hat der:üeHfejk;^*£ aii't^aufsiuhWgen. 

14. Der Kreisarzt.- ist zuständig/ihr >.% Begutachtung des- 

Gesundheitssiistandes riöht-Micther uod HitdHrichterficher 
Beamter bef deren - k aßd v ; Beurlaubung und 

Pensionierung. 

15. Desgleichen Über die Frage der Eignung von Schöffen 
und Geschworenen zum Ridiicrarm. 










300 Bericht über die XXXUI. Hauptversammlung 

16. Unberührt durch diese Bestimmungen bleibt die Befugnis 
des Gerichts, unbeschränkt ihre Sachverständigen zu 
wählen; wird aber ein beamteter Arzt um ein Gutachten 
ersucht, dann hat er die vorbezeichnete Zuständigkeit zu 
wahren. 

Zweiter Berichterstatter: H. Med.-Rat Dr. Wollenweber- 
Oortmund: M. s. v. H.I Wenn wir heute die Neufassung der 
D. A. für die Kreisärzte beraten, so handelt es sich nicht nur um 
zeitgemäße Aenderung einiger Paragraphen. Ganz anderes 
steht auf dem Spiele. Es handelt sich darum, daß wir unsere 
Stellung ausbauen, so daß wir sie -bei dem im Gange befind¬ 
lichen und noch zu erwartenden Angriffen halten können. 
M. H.I Das Gesetz über die Dienststellung des Kreisarztes 
vom 16. 9. 99. und die Dienstanweisung für die Kreisärzte 
vom 23. 3. 01. bedeuteten gegenüber den vorher herrschenden 
Verhältnissen einen gewaltigen Fortschritt. Zwar war bereits 
seit 1813 der Kreisphysikus unmittelbarer Staatsbeamter und 
nicht wie vorher Kommunalbeamter, aber er war nur im Neben¬ 
amt angestellt, bezog eine kärgliche Besoldung, war in der 
Hauptsache praktischer Arzt und wurde dementsprechend als 
Beamter gering eingeschätzt. Durch das Kreisarztgesetz wurde 
der Gesundheitsbeamte wesentlich selbständiger, bekam größere 
Aufgaben, eine größere Initiatiye und Bewegungsfreiheit und 
entsprechend höheres Gehalt. Der Urheber dieser gesetzlichen 
Bestimmungen wird man in der Geschichte der Medizinal¬ 
verwaltung stets mit Dank gedenken müssen. 

Dieser preußische Kreisarzt hat sich überall, wo der rechte 
Mann am rechten Platze war, bewährt. Wir dürfen für uns 
in Anspruch nehmen, daß ein wesentlicher Grund für die Hebung 
der Volksgesundheit die unermüdliche Tätigkeit der Kreisärzte 
ist, die erst die Umsetzung der gewaltig fortgeschrittenen 
wissenschaftlichen Erkenntnisse der Hygiene in praktische 
Arbeit, mag es sich um allgemeine oder soziale Hygiene ge¬ 
handelt haben, ermöglicht haben.. Wir sind dem Herrn Minister 
für Volks Wohlfahrt und der Medizinalabteilung dafür dankbar, 
daß wir bei den letzten Etatsberatüngen gegenüber den maß 
losen, unberechtigten Angriffen gegen uns die berechtigte An¬ 
erkennung gefunden haben und weiter für die frühere und 
und heutige autoritative Erklärung des Herrn Ministers gegen¬ 
über dem Vorstande des Pr.M.B.V., daß er den Bestrebungen 
auf Umwandlung unserer staatlichen Stellung in eine kommu¬ 
nale durchaus gegnerisch gegenüber stehe. 

Aber, m. H.! darüber müssen wir uns klar sein, wir haben 
viele und mächtige Gegner, denen die Selbständigkeit des 
staatlichen Medizinalbeamten ein Dom im Auge ist. Wir wissen, 
wo sie stehen. Sie finden sich in sonst ganz voneinander ge¬ 
trennten Lagern. 

Wir wissen auch, daß der im vergangenen Jahre ab¬ 
geschlagene offene Angriff anderen Methoden, die man zum 



des Preußischen Medirinalbeamtenvereius. 


801 


Teil als Minenkrieg, zum Teil als Sirenenklänge bezeichnen 
kann, Platz gemacht hat und müssen uns darauf einrichten 
durch festes Zusammenhalten und durch Arbeit jedes Einzelnen. 

M. H.l Das Fundament unserer Stellung als Gesundheits¬ 
beamter ist „der Kreisarzt ist der staatliche Gesundheits- 
bearate des Kreises“. Das lassen wir nicht sprengen. Das muß 
stehen, solange es einen geordneten Staat und solange es 
Medizinalbeamte gibt. Auf diesem Fundament ist aufgebaut 
der ganze Bau des staatlichen Gesundheitswesens. Seine Be¬ 
deutung für die öffentliche Gesundheitspflege ist 
unserer festen Ueberzeugung nach noch ungleich größer, als 
die Bedeutung für unsere eigene Beamtensteliung. 

Wir wollen aber von dem Fundament auch nichts ab- 
bröckeln lassen. Das ist gesehen dadurch, daß man uns die 
Dienstbezeichnung * Kreismedizinalrat“ gegen unseren ein¬ 
mütigen Willen gegeben hat. Ich zweifle nicht daran, daß 
das Staatsministerium mit der Veileihung dieser Dienstbezeich¬ 
nung es gut gemeint hat, wenngleich wir alle uns darüber 
wundern, daß es unseren Wünschen so wenig Rechnung ge¬ 
tragen oder sie so wenig gekannt hat. Tatsächlich hat man 
uns damit schwer geschädigt. Nach über 20 Jahren wußte die 
Oeffentlichkeit in ihrem überwiegenden Teil allmählich, wer der 
Kreisarzt war, daß er Staatsbeamter war. Gewiß führt die 
Bezeichnung leicht zu der Anschauung, daß der Kreisarzt ein 
dem Landrat unterstellter Kreisbeamter sei — wir kennen 
alle wohl Beispiele bei keineswegs unklugen Personen, aber sie 
waren doch in der Minderzahl. Die Bezeichnung hat Hand 
und Fuß, ist dem Volke vertraut geworden und der Kreisarzt ist 
zu Ansehen und Ehren, infolge seiner Dienstaufgäben not¬ 
gedrungen auch zu viel Feindschaft gekommen. Die neue Be¬ 
zeichnung „der Kreismedizinalrat“ gefährdet unser Ansehen als 
Staatsbeamter aufs neue. Das war uns wohl allen vor ihrem 
Erlaß klar. Ich hörte sie zuerst von einem höheren Medizinal¬ 
beamten eines anderen Freistaats und vergesse nicht sein 
„malitiöses“ Lächeln, das so mancher von uns auch bei an¬ 
deren wohl beobachtet haben wird. Nachdem die Kreise dazu 
übergegangen sind, ihre Baubeamten „Kreisbauräte“ zu nennen, 
nachdem die Versorgungsärzte „Reg.-Medizinalräte“ längst heißen, 
bedeutet die Bezeichnung „Kreismedizinalrat“ glattweg eine 
Herabsetzung unserer behördlichen Stellung in den Augen des 
Publikums. Wir müssen sie daher wieder zu beseitigen suchen. 
Wenn die Bezeichnung im übrigen für uns als Behörde, nicht 
als persönliche Dienstbezeichnung gebraucht wird, wie auf vor¬ 
gedruckten Briefumschlägen auch von den Regierungen jetzt 
geschieht, so scheint mir das gesetzlich bedenklich. § 1 des 
Gesetzes vom 16. 9. 99. sagt, „der staatliche Gesundheits¬ 
beamte ist der Kreisarzt“. Damit ist die Bezeichnung der 
Behörde als „der Kreisarzt“ festgelegt. Sie ist auch in 20 Jahren 
ausgeübt. Nie haben wir die Behördenbezeichnung der „staat¬ 
liche Gesundheitsbeamte“ gehabt, also kann nur die „der 



■ ■■ 



302 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 

Kreisarzt“ gelten. Das Staatsministerium kann die gesetzlioh 
feststehende Bezeichnung der Behörde m. E. allein gar nicht 
ändern, denn es wäre eine Gesetzesänderung — hat es m. E. 
auch gar nicht gewollt. Es hat dem Vertreter der Behörde 
nur entsprechend dom Verfahren bei anderen Behörden eine 
Rats-Dienstbezeichnung, die leider so unglücklich ausgefallen 
ist, geben wollen und können. Das Amtsgericht bleibt das 
Amtsgericht auch, nachdem seine Richter, u. U. sein einziger 
Richter die Dienstbezeichnung „Gerichtsrat“ hat, der „Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamte“ bleibt der „Gewerbeaufsichtsbeamte“, auch 
wenn sein Vertreter „Gewerberat“ heißt. Bezeichnung der 
Behörde und Dienstbezeichnung ihres jeweiligen Inhabers sind 
eben 2 ganz verschiedene Begriffe. Selbst wenn bei 
der Genehmigung des Etats in der Landesversammlung — also 
bei einer gesetzgeberischen Maßnahme *- die Dienstbezeich¬ 
nung „Kreismedizinalräte“ gebraucht wird, so bedeutet das 
ra. E. keine Aenderung des Kreisarztgesetzes, also keine Aende- 
rung der Bezeichnung der Behörde, sondern nur der Dienst¬ 
bezeichnung der Stelleninhaber. 

Ich bin also der Auffassung, als Behörde heißen wir weiter 
„der Kreisarzt“. Diese Auffassung müssen wir durchsetzen. 
Ich möchte mich hier gleich auseinandersetzen mit den Be¬ 
strebungen, die sich richten auf Errichtung von besonderen 
Gesundheitsämtern, Kreisgesundheitsämtern oder Medizinal¬ 
ämtern oder wie man sie nennen will. Sie gehen aus von dem 
absolut dringlichen Bedürfnis auf Herstellung eines den Auf¬ 
gaben entsprechenden Büros mit den nötigen Räumen, der 
Ausstattung und dem nötigen Hilfspersonal. So dringlich dieses 
Bedürfnis, so unnötig ist es, deshalb den Namen der Behörde 
zu ändern. Hat etwa der Landrat kein Büro mit vielen Hilfs¬ 
kräften?! Niemand denkt daran, deshalb diese Verwaltungs¬ 
behörde „Verwaltungsamt“ nennen zu wollen! 

Die Bezeichnung „Kreisgesundheitsamt“ ist aber sogar 
direkt gefährlich für unsere Stellung. Es gibt bereits eme 
Reihe kommunaler Gesundheitsämter, ich selbst leite neben¬ 
amtlich ein Kreisgesundheitsamt. Es würde zum wilden Durch¬ 
einander führen, wenn staatliche Gesundheitsämter errrichtet 
würden. Sie müßten mit den kommunalen vereinigt werden, 
dann käme das staatliche leicht zu kurz — solche Sachen 
liegen oft an Aeußerlichkeiten, am Namen — die Gefahr der 
Kommunalisierung des staatlichen Gesundheitsbeamten wäre 
ungleich größer. 

Nein! m. H.! Wir wollen den „Kreisarzt“ behalten. 
Er soll da stehen wie ein wuchtiger Granitblock, auf den und 
um den sich alles übrige im Gesundheitswesen aufbauen kann. 
Wir haben selbstverständlich wie alle höheren Beamten An¬ 
spruch auf eine Ratsbezeichnung. Sie ist von Ministerpräsident 
Stegerwald seinerzeit versprochen. Zufolge unzureichender 
Information hat er geglaubt, daß „Kreismedizinalrat“ erwünscht 
und sachgemäß sei. Der Irrtum dürfte nunmehr aufgeklärt 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. . 308 

sein. Wir wünschen die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“ und 
in der Vorrückungsstelle „Obermedizinalrat“. Demgemäß liegt 
dem Herrn Minister der Antrag des Vorstandes seit etwa 
2 Monaten vor: Die Bezeichnung der Behörde bleibt „der 
Kreisarzt“, die Dienstbezeichnung des Stelleninhabers ist „Medi¬ 
zinalrat“ bezw. in der Vorrückungsstelle „Obermedizinalrat“. 

§ 1. Abs. 1 der D. A. soll meinem Vorschläge entsprechend 
demnach in seinem Wortlaut bestehen bleiben, anstatt „techni¬ 
scher Beamter“ wird nur zu setzen sein der „fachliche Beamte“. 

Dementsprechend bleibt in der ganzen D. A. die Bezeich¬ 
nung der Kreisarzt stehen, wo es sich um die Bezeichnung 
der Behörde handelt. Ueberall, wo mehr die Person des 
Stelleninhabers, als die Behörde als solche in Frage kommt, 
tritt an ihre Stelle »der Medizinalrat“, z. B. beim Dienst- 
einkomraen. Um an dieser Stelle gleich die sonstige Bezeich¬ 
nung der Behörden zu erledigen, so muß selbstverständlich an 
Stelle de’s „Ministers der Medizinalangelegenheiten“ überall der 
„Minister für Volkswohlfahrt“, an Stelle des „Regierungs- und 
Medizinalrats“ entsprechend dem beim Minister gestellten An¬ 
trag je nach Entscheidung der „Oberregierungsrat“ oder der 
„Oberregierungs- und Medizinalrat“ treten. 

(Die Dienstbezeichnung des Kreisarztes wird zweckmäßig 
in § 4 zu behandeln sein.) Die Rangklassenfrage hat 
heutzutage nur eine Bedeutung für die Höhe der Tagegelder. 

Dabei bin ich der Meinung, daß ein so wichtiger Beamter, 
wie der Med.-Rat (Kreisarzt), von vornherein in die 4. Rang¬ 
klasse gehört, und daß er als Obermedizinalrat in die dritte 
Rangklasse aufrücken und dann seinem Dienst- und Lebens¬ 
alter entsprechend auch die höheren Tagegelder haben muß. 

§ 4 würde demnach lauten: „Der Kreisarzt wird vom 
Minister für Volkswohlfahrt angestellt. Er gehört zur vierten 
Rangklasse der höheren Staatsbeamten“ (der bisherige Wort¬ 
laut „Provinzialbeamten“ führt zu irrigen Auffassungen). „Er 
führt die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“.“ Wenn er seinem 
Dienstalter entsprechend in die höhere Gehaltsgruppe einrückt, 
gehört er zur dritten Rangklasse und führt die Dienstbezeich¬ 
nung „Obermedizinalrat“.“ 

Ueber die Gerichtsärzte werde ich im ganzen später 
sprechen. 

Ueber die Voraussetzungen der Anstellung im § 3 wäre 
zu sagen: Die im Abs. 4 im allgemeinen geforderte fünfjährige, 
„selbständige, praktische Tätigkeit als Arzt“ muß bestehen 
bleiben, aber auch bei der Festsetzung des Besoldungsdienst¬ 
alters an Ausbildungszeit voll angerechnet werden. 
Die Unklarheit in der Fassung ist zu beseitigen, indem es 
heißen muß „Tätigkeit als praktischer Arzt“. 

Auf der Hauptversammlung in Nürnberg bereits bestand 
Einstimmigkeit darüber, daß die Tätigkeit als praktischer Arzt 
wichtiger, als eine andere in Instituten für die Ausbildung des 
Kreisarztes ist. Um die „Rücksichtnahme auf besondere Ver- 



804 Bericht ttber die XXXIII. Hauptversammlung 

hältnisse" nicht zum allgemein üblichen Gebrauch werden zu 
lassen, ist es angezeigt, den Satz 2 wie folgt anders zu fassen: „der 
Minister für Volkswohlfahrt kann in Äusnahraefällen eine in 
anderer Art verbrachte ärztliche Tätigkeit anrechnen". Dagegen 
ist zu streichen „diesen Zeitraum abzukürzen". 

(§ 6). Das Dienstsiegel wird zweckmäßig heißen: „Der 
Preußische Kreisarzt des Kreises ..." und für Gerichtsärzte: 
„Der Preußische Gerichtsarzt in . . ." 

Der Diensteid richtet sich nach Artikel 38 der Verfassung. 
Es fragt sich, ob er auch vor Gericht gelten soll. Dazu läßt 
sich manches dafür aber auch dagegen sagen. Da der Kreis¬ 
arzt gleichzeitig als Gerichtsarzt seines Bezirks vereidigt ist, 
so ist er logisch für die einzelnen gerichtsärztlichen Geschäfte 
auch vereidigt. Die Gerichte lassen das aber vielfach, ich 
glaube in der Regel, nicht gelten. Deshalb wäre ein ent¬ 
sprechender Zusatz zum § 6, Abs. 1 am Schluß „und die ge¬ 
richtsärztlichen Geschäfte innerhalb des Amtsbezirks" notwendig. 
Diese Regelung würde aber Unklarheiten praktisch mit sich 
bringen. Ich halte es daher für richtiger, wenn der § 6 Abs. 1 
ergänzt wird: „Für gerichtsärztliche Geschäfte kann von den 
Gerichten ein besonderer Eid verlangt werden, der durch eine 
Vereidigung als Sachverständiger ein für allemal durch den 
Landgerichtspräsidenten für den Landgerichtbezirk ersetzt werden 
kann." 

Im § 8, Abs. 2 betr. ärztliche Ehrengerichte. Zusatz: 
„Auch den Schiedsgerichten ärztlicher Vereine ist der Kreis¬ 
arzt nicht unterstellt." 

Zu § 10: Prüfung der Amtsführung durch den Ober¬ 
regierungsrat „mindestens" alle 3 Jahre streichen und dafür 
setzen „m der Regel". 

Nun! Meine Herren, das wichtige Kapitel des Verhält¬ 
nisses zum Landrat) zu den Ortspolizeibehörden nnd den Organen 
der Selbstverwaltung. Um von vornherein auch den gro߬ 
städtischen Verhältnissen Rechnung zu tragen, bemerke ich, 
daß praktisch die Oberbürgermeister den Landräten gleich zu 
rechnen sind und daher das Verhältnis zu ihnen nicht besonders 
besprochen zu werden braucht. 

Von einer großen Zahl von Kreisärzten wird das der¬ 
zeitige Verhältnis zu den Landräten als unglücklich, zum min¬ 
desten als recht einseitig, an manchen Stellen als nicht würdig 
empfunden, wenn auch in der durchaus überwiegenden Mehr¬ 
zahl wohl ein harmonisches Verhältnis vorhanden sein mag. 
Unglückliche Verhältnisse liegen selbstverständlich nicht nur 
an der gesetzlichen Regelung, sondern in weit höherem 
Maße an den Personen — an einer oder genau so wie in 
der Ehe in der Regel an beiden. Die werden sich auch 
durch die beste Neuregelung nicht ganz aus der Welt schaffen 
lassen. 

Wenn wir den Mißhelligkeiten auf den Grund gehen, so 
finden wir, daß das Aufwärtsstreben der Kreisärzte, das sachlich 



des Preußischen Medizinalbeamtenrereins. 


806 


begründete Streben nach Einfluß und nutzbringender Arbeit, 
kollidiert mit dem Machtgefühl der Verwaltungsbeamten, dem 
Bestreben von ihrer Stellung und ihrem Einfluß nichts ab¬ 
zugeben. Es ist derselbe Konflikt, der überall zwischen „Tech¬ 
niker“ und Verwaltungsbeamten, der alles verstehen und ent¬ 
scheiden will, aber nach Meinung des „Technikers“ von seinen 
Sachen nichts versteht, zu Tage tritt. 

Die neue Zeit könnte freilich mit der hochgespannten 
Ueberzeugung der Juristen von sich gründlich aufgeräumt 
haben. Mit der alten Stellung des Landrats als König in 
seinem Kreise ist es offenbar endgültig vorbei. Man glaubt 
gar nicht, wie vorsichtig mancher sein muß, wenn er nicht sich 
auf eine starke parteipolitische Mehrheit als Parteigenosse 
stützen kann. Wenn Gärtner oder Zimmerleute Landräte werden, 
wenn Parteisekretäre Minister, Vorgesetzte aller Berufsbeamten 
werden können, so sollte man es für selbstverständlich halten, 
daß ohne weiteres anerkannt würde, daß ein „Techniker“ — 
also ein Schulbeamter, Baubeamter, Medizinalbeamter usw. erst 
recht imstande und der rechte Mann dazu wäre, auf seinem 
ureigensten Fachgebiete Entscheidungen zu treffen und nicht 
nur sachverständig zu beraten. Ich glaube, daß die 
„Techniker“ mit Fug und Recht 10 mal mehr für sich in An¬ 
spruch nehmen können, auf ihrem Gebiete Entscheidungen zu 
treffen, als so mancher neuzeitliche Verwaltungsbeamter. 

Nun besteht die eigenartige Tatsache, daß diese neuzeit¬ 
lichen Verwaltungsbeamten ohne juristische Vorbildung viel¬ 
fach sehr schnell von demselben Machtgefühl durchdrungen 
werden, wie ihre juristischen Vorgänger, und daß sie ihnen in 
der eifersüchtigen Wahrung ihrer Stellung bald nichts nach¬ 
geben. 

Damit, meine Herren, müssen wir rechnen. Wir müssen 
aber auch rechnen mit der Notwendigkeit einer gewissen Ein¬ 
heit der Verwaltung — es geht nicht wohl an, daß sie schließlich 
zerfällt in alle möglichen Sonderzweige, die ohne Zusammen¬ 
hang untereinander, womöglich gegeneinander bearbeitet werden. 

Vom Standpunkt des Gesundheitsbeamten ist im Interesse 
der gedeihlichen Entwicklung des Gesundheitswesens volle 
Selbständigkeit der GesundheitsVerwaltung zu fordern, — 
Ministerium für Volksgesundheit, eine selbständige Abteilung 
für Volksgesundheit mit einem medizinischen Oberregierungsrat 
bei den Regierungen und eine selbständige Gesundheits¬ 
behörde „der Kreisarzt“, auf die unter Abtrennung von der 
allgemeinen Polizei auch die Gesundheitpolizei, die möglichst 
den Charakter der Fürsorge tragen muß, zu übertragen ist. 
Eine solche „Gesundheitsbehörde“ finden wir in dem neuen Ge¬ 
setzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten § 3, 
zum erstenmal genannt. Ich hoffe, daß es ein vielversprechender 
Anfang ist. 

Diese Gesundheitsbehörde würde auch zu den Organen 
der kommunalen Selbstverwaltung in ein gesetzlich fest- 



806 Bericht Ober die XXXIU. Hauptversammlung 

gelegtes, organisches Verhältnis zu bringen und ihr in 
einschlägigen Fragen Sitz und beratende Stimme zu ver¬ 
leihen sein. Derartig durchgreifende Aenderungen bedürfen 
aber einer Aenderung einer ganzen Reihe von Gesetzen — ich 
nenne nur das über die allgemeine Ländesverwaltung, das all¬ 
gemeine Landrecht, soweit es noch gilt, die Seuchengesetze, 
das Kreisarztgesetz und die Städte- und Kreisordnung — die 
bevorstehende Verwaltungsreform muß darauf zugeschnitten 
sein. Die Behörde, „der Kreisarzt“, müßte sehr ausgestaltet 
werden, auch ihre Vertreter verwaltungsrechtlich noch besser 
ausgebildet werden. Bis wir das alles haben, wird viel Wasser 
den Rhein heruntergeflossen sein. Wir müssen mit der Gegen¬ 
wart und nur mit der durch Umänderung derD. A. möglichen 
Besserung rechnen. 

Zunächst ist es möglich und notwendig, im Verhältnis 
zum Landrat mehr die Koordination herauszuheben und es auf 
Gegenseitigkeit einzustellen. 

§ 12 wäre daher zu formulieren: 

„Der Kreisarzt hat sich eine enge Verbindung mit dem 
Landrat auf dem Gebiete des Gesundheitswens angelegen sein 
zu lassen und ihn von allen Angelegenheiten auf diesem Gebiet 
zu unterrichten. Br hat als fachmännischer Berater des Land¬ 
rats dessen Ersuchen in Angelegenheiten des Gesundheits¬ 
wesens nachzukommen. Andererseits hat der Landrat den 
Kreisarzt über alle wichtigen Angelegenheiten, die für das Ge¬ 
sundheitswesen in Betracht kommen, zu unterrichten, ihn vor 
Erlaß von allen Verordnungen oder Verfügungen, die das Ge¬ 
sundheitswesen und die gesundheitliche Wohlfahrtspflege be¬ 
treffen, rechtzeitig zu hören und sie ihm nach Erlaß mitzu¬ 
teilen. Vorhandene Meinungsverschiedenheiten sind durch Ver¬ 
handlungen oder durch Anrufung des Regierungspräsidenten 
zu beseitigen. Wichtige Berichte an den Regierungspräsidenten 
oder eine Abteilung der Regierung in Angelegenheiten des 
Gesundheitswesens oder der Gesundheitsfürsorge des Kreises 
müssen vom Landrat wie vom Kreisarzt entweder durch 
die Hand des anderen erstattet werden oder dem anderen in 
Abschrift mitgeteilt werden. 

Dabei ist jedem von beiden unbenommen, eigene Aeuße- 
rungen oder eigene Sonderberichte hinzuzufügen. Verfügungen 
des Regierungspräsidenten in den genannten Angelegenheiten 
gehen beiden Behörden zu.“ 

Verhältnis zu den Ortspolizeibehörden. 

Die jetzige Fassung des § 14 führt vielfach zu einer 
falschen Auffassung der Stellung des Kreisarztes. Sie ist noch 
zu sehr von der Polizeimajestät durchdrungen. Es ist für 
uns selbstverständlich, daß wir gemeinsam mit der 
Ortspolizei arbeiten müssen. Wir wollen aber nicht ihr Hand¬ 
langer sein, sondern sie soll unser Helfer sein. 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


807 


Die Bestimmung, {laß der gegenseitige Verkehr durch die 
Vermittlung des Landrats geht, steht, wenigstens im Westen, 
meist nur auf dem Papier. Sie hat auch m. E. im allgemeinen 
keinen Wert mehr, denn sie läuft doch schließlich nur darauf 
eu, daß der Landrat die ganze Polizei in der Hand behalten 
soll, was, in großen Kreisen wenigstens, absolut nicht der Fall 
ist; in Städten, die einen Polizeipräsidenten haben, erst recht 
nicht. Durch die Zwischenstelle wird zwecklos nur Zeit 
vergeudet. 

§ 14 wird daher zweckmäßig von Absatz 2 ab dahin zu 
ändern sein: 

„Der Kreisarzt und die Ortspolizeibehörden stehen in un¬ 
mittelbarem Verkehr untereinander und unterstützen sich 
gegenseitig in der Durchführung der Gesundheitsgesetze. Dem 
gegenseitigen Ersuchen haben sie nach pflichtgemäßer Prüfung 
Folge zu geben, insbesondere die Ortspolizeibehörden die ver- 
anlaßten und ausgeführten Maßnahmen mitzuteilen. Von wich- • 
tigen Angelegenheiten ist der Landrat zu unterrichten. 

Die Ortspolizeibehörde hat dem Kreisarzt bei der Aus¬ 
übung seiner Tätigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit die er¬ 
forderliche Unterstützung zuteil werden zu lassen, ihn über 
alle wichtigen das Gesundheitswesen ihres Bezirks betreffenden 
Verhältnisse in Kenntnis zu setzen und zu erhalten und ihm 
auf Ersuchen die notwendigen Unterlagen für sein Urteil und 
Berichte zu liefern. 

Den Entwurf von Polizei Verordnungen und sonstigen 
allgemeinen Anordnungen auf dem Gebiete des Gesundheits¬ 
wesens und insbesondere auch des Wohnungswesens muß die 
Ortspolizeibehörde dem Kreisarzt frühzeitig mitteilen, seinen 
etwa geäußerten Bedenken Folge geben oder sie durch Ver¬ 
handlungen oder Anrufung der übergeordneten Dienststellen 
aus dem Wege zu räumen suchen und die Verordnungen nach 
Erlaß dem Kreisarzt mitteilen. Erfährt die Ortspolizeibehörde 
durch die gesetzliche Anzeige oder auf anderem Wege Er¬ 
krankungen oder Todesfälle an übertragbaren Krankheiten, so 
hat sie dem Kreisarzt sofort Mitteilung zu machen. Bei den 
gemeingefährlichen Krankheiten des Reichsseuchengesetzes ist 
außer den schriftlichen Mitteilungen vom Fernsprecher oder 
Telegrammen Gebrauch zu machen. Bei Verzögerungen von 
mehr als 24 Stunden nach dem Eintreffen der Meldung bei 
der Ortspolizeibehörde ist der Kreisarzt zur dienstlichen 
Beschwerde verpflichtet. Bei der Weitergabe der Mel¬ 
dungen ansteckender Krankheiten hat die Ortspolizeibehörde 
die etwa bereits getroffenen Maßnahmen mitzuteilen. 

Die Anordnungen des Kreisarztes zur Bekämpfung einer 
ansteckenden Krankheit nach Maßgabe der Seuchengesetze und 
ihrer Ausführungsbestimmungen hat die Ortspolizeibehörde zur 
Ausführung zu bringen. Sofern Bedenken vorliegen, teilt 
sie die Ortspolizeibehörde ungesäumt dem Kreisarzt mit, der 
nötigenfalls die der Ortspolizeibehörde übergeordnete Dienst- 



308 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


stelle anruft. Die ausgeführten Maßnahmen hat die Orts¬ 
polizeibehörde in jedem Einzelfalle dem Kreisarzt mitzuteilen.“ 

Sie wissen, m. H., daß ich ursprünglich ein anderes Ver¬ 
fahren, nämlich der Anmeldung ansteckender Krankheiten un¬ 
mittelbar an den Kreisarzt, der die Meldung an die Ortspolizei¬ 
behörde weiter geben sollte, vorgeschlagen habe. Ich bin davon 
abgekommen und versuche die Verzögerungen der Weitergabe 
der Meldekarten an den Kreisarzt durch die obige Fassung zu 
beseitigen. Der Gründe sind mehrere: 

1. Der Bürobetrieb der meisten Kreisärzte ist bei der 
dürftigen Dienstaufwandsentschädigung unzureichend, so daß 
durch das Verfahren vielfach eine Verzögerung der Be¬ 
kämpfungsmaßnahmen anstatt der beabsichtigten Beschleuni¬ 
gung zu erwarten stände. Die notwendige Ausgestaltung 
durch Gestellung eines Hilfsbeamten äteht aber vom Staate 
vorläufig nicht zu erwarten. 

2. Die Seuchengesetze schreiben die Meldungen an die 
Ortspolizeibehörden vor. Um dem Rechnung zu tragen, 
hat der Provinzialverein Sachsen die Meldung an die Ortspolizei- 
behörden durch die Hand des Kreisarztes vorgeschlagen. 
Dabei bleibt 1 bez. Unzulänglichkeit des Bürobetriebes aber 
bestehen. 

3. Die Kreisärzte des besetzten, insbesondere des von 
Belgiern besetzten Gebietes befürchten die allergrößten Schwierig¬ 
keiten, da dort ganz rigorose Ententevorschriften gelten. 

Wir werden also die weitere Entwicklung der Verhält¬ 
nisse abwarten müssen. Am zweckmäßigsten dürfte nunmehr 
der § 34 und § 35 zu besprechen sein: 

§ 34 der D. A. wird ebenso wie bei einer Aenderung des 
Kreisarztgesetzes § 6 zweckmäßig zu lauten haben: 

„Der Kreisarzt hat insbesondere die Aufgabe“ .... usw. 

1, 2, 4, 5 wie bisher. Jetziger Abs. 3 wird Abs. 5 und 
lautet: „Als ständiger Beauftragter des Regierungs¬ 
präsidenten die Durchführung der Gesundheitsgesetzgebung 
und“ usw. bis „Gesundheitswesens“ dann weiter „und der Ge¬ 
sundheitsfürsorge zu beaufsichtigen. Auch hat er über das 
Apotheken- und Hebammenwesen, über die Krankenschwestern, 
Wohlfahrtspflegerinnen oder Fürsorgerinnen, Werkspflegerinnen 
und gleichartige Angestellte der Gemeinden oder sonstiger Kör¬ 
perschaften, über die Heilgehilfen, Desinfektoren und anderes 
Hilfspersonal des Gesundheitswesens und der Gesundheitsfür¬ 
sorge die fachliche Aufsicht zu führen. Auch über alle Ein¬ 
richtungen der kommunalen Gesundheitsfürsorge 
führt der Kreisarzt die fachliche Aufsicht.“ 

Der Gedanke des Zusatzes „als ständiger Beauftragter 
des Reg.-Präs.“ entspringt der Tatsache, daß im § 1 der D. A. 
für die Gewerbeaufsichtsbeamten derselbe Satz vorhanden ist. 
Er kann unsere Stellung nur festigen. 

Hinsichtlich des Zwanges zu vertrauensärztlicher Tätigkeit, 
über die der letzte Absatz des § 34 spricht, möchte ich hier be- 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


809 


merken, daß ein Bezirksverein sich dagegen ausgesprochen hat. Ich 
glaube mit Unrecht. Das Interesse manches Nachfolgerkollegen 
verlangt es, daß der Vorgänger nicht aus Mangel an Interesse 
oder wegen persönlicher Wohlhabenheit die vertrauensärztliche 
Tätigkeit aufgibt und damit die Stelle dauernd verdirbt. Eine 
Härte aus dieser Bestimmung steht doch kaum zu befürchten. 

Die jetzige Fassung des § 35 ist uns unsympathisch und 
entspricht nicht den tatsächlichen Bedürfnissen. Wir können 
es nicht weiter mitmachen, wie es noch in manchen Kreisen 
geschieht, daß der Kreisarzt die Ueberführung eines Kranken 
ms Krankenhaus für notwendig erklärt, daß sie aber nicht er¬ 
folgt oder erst, nachdem weiteres Unheil angerichtet ist. Im 
Reg.-Bez. Arnsberg haben wir freilich seit Springfelds Zeiten 
bereits glänzende Verhältnisse, aber sie sind keineswegs über¬ 
all so. Man könnte ja den sehr dehnbaren Begriff von Gefahr 
im Verzüge ausnutzen — ich habe schon einmal ein ganzes 
größeres Krankenhaus durch schriftliche Anordnung gesperrt 
wegen Pockenverseuchung, — aber zweckmäßiger ist die Aen- 
derung des § 35 Abs. 2 in folgender Fassung: 

„Die zur Verhütung der Verbreitung einer übertragbaren 
Krankheit erforderlichen Maßnahmen, soweit sie in den Seu- 
ohengesetzen und ihren Ausführungsbestimmungen vorgesehen, 
sind und Festst eil ungs-, Absonderungs-und Desinfek¬ 
tionsmaßnahmen darstellen, ordnet der Kreisarzt selbst¬ 
ständig an. Dies geschieht in der Regel durch schriftliche An¬ 
ordnung an die Ortspolzeibehörde, bei Gefahr im Verzüge un¬ 
mittelbar schriftlich an den Betroffenen. Die Ortspolizeibehörde . 
und die Betroffenen haben den Anordnungen Folge zu leisten. 
Falls die Ortspolizeibehörde begründete Bedenken gegen die Aus¬ 
führung hat, sind sie dem Kreisarzt ungesäumt mitzuteilen, der 
nötigenfalls die übergeordnete Dienststelle anruft. Die Anord¬ 
nungen sollen stets die verschiedenen Interessen berücksichtigen, 
das Gemeinwohl aber in den Vordergrund stellen und möglichst 
den Charakter der vorbeugenden Fürsorge tragen.“ 

Bei dieser Fassung kann m. E. der Absatz 1 mit seinen 
negativen Gedanken ganz wegfallen, er führt dem Publikum 
und den Polizeibehörden doch gar zu sehr zur Gemüte, daß 
wir unmittelbar nichts zu sagen haben sollen. Er ist vom 
Geist der alten Polizeimajestät durchdrungen, der doch auf allen 
möglichen anderen Gebieten praktisch abgewirtschaftet hat. 
In der Fassung des Abs. 2 liegt implicite enthalten, daß der 
Kreisarzt sonst nach der bisherigen gesetzlichen Lage keine 
selbständigen Anordnungen treffen soll. Ich möchte es dem 
Herrn Minister für Volks Wohlfahrt überlassen, ob es notwendig 
ist, das Negative im Abs. 1 hervorzuheben. Wenn es für not¬ 
wendig gehalten wird, so halte ich die gleichsinnigen 
Bestimmungen in der Dienstanweisung für Gewerbeaufsichts¬ 
beamte § 8 Abs. 2 für außerordentlich viel glücklicher. 
Hier ist von dem Rechte, polizeiliche Verfügungen als 
ständiger Beauftragter des Regierungspräsidenten zu treffen 



310 


Bericht Ober die XXX [II. Hauptversammlung 


die Rede — einem Recht, das sich aus der von mir vorge¬ 
schlagenen Fassung des § 4 neuer Abs. 6 ohne weiteres auch 
für den Kreisarzt als „ständigen Beauftragten des Re¬ 
gierunspräsidenten“ ergeben würde. 

Von diesem Recht soll der Gewerbeaufsichtsbeamte nur 
bei Gefahr im Verzüge Gebrauch machen. Das gleiche wäre 
dem Kreisarzt vorzuschreiben, ihm aber die Verfügungsbe- 
rechtigung amtlich zuzugestehen. Ich bitte also den §8 der 
der D. A. für die Gewerbeaufsichtsbeamten als Muster zu nehmen. 
Man befürchte nicht von uns unzeitgemäßen Polizeigeist und 
Uebereifer! Davon sind wir weit entfernt und durchaus da¬ 
von durchdrungen, daß Beratung und Fürsorge viele, wenn 
auch nicht alle Polizeimaßnahmen ersetzen kann. Mancher von 
uns scheut sogar die Erweiterung seiner Befugnisse wegen der 
Verantwortung. Aber verantwortungsfreudig müssen wir 
sein, m. H., im Interesse der Sache und des Standes. Der 
Prozeß der Entwickelung vom prakt. Arzt zum vollen Beamten 
geht weiter und es ist unzweckmäßig, wenn sich einzelne etwa 
dagegen stemmen wollen. 

Das Verhältnis zu den Organen der Selbstver¬ 
waltung bedarf einer grundlegenden Aenderung. Unter den 
jetzigen Verhältnissen wird der Kreisarzt von ihnen äußerst 
selten zugezogen, vielfach geflissentlich übergangen. Hierdurch 
veranlaßt, sind stellenweise höchst unerquickliche Verhältnisse 
entstanden, u. a. hat sich vielfach die kommunale Gesundheits¬ 
fürsorge unter mehr oder weniger völliger Ausschaltung des 
Kreisarztes entwickelt, sodaß der Kreisarzt weder die notwendige 
Kenntnis noch irgend einen Einfluß auf das Fürsorgewesen hat. 
Wenn eine Anzahl von Kreisärzten auf dem Gebiete des Für¬ 
sorgewesens eine wichtige Stellung haben, so liegt dies an 
persönlicher Initiative und günstigen örtlichen Verhältnissen. 
Wenn naturgemäß der § 16 der D. A. der gewaltigen Ent¬ 
wickelung des Fürsorgewesens, welche erst nach dem Kriege 
entstanden ist, nicht hat Rechnung tragen können, so ist jetzt 
eine grundlegende Aenderung unerläßlich. 

Dem § 16 ist dementsprechend nach dem ersten Satz hin¬ 
zuzusetzen: »Der Kreisarzt hat andererseits das Recht, an diesen 
Sitzungen, soweit Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens 
und der Gesundheitsfürsorge zur Verhandlung kommen, mit 
beratender Stimme teilzunehmen und nach vorherigem Be¬ 
nehmen mit dem Vorsitzenden das Recht des Vortrags und 
des Antrags. 

Der Vorsitzende ist verpflichtet, diesbezügliche Anträge 
des Kreisarztes auf die Tagesordnung zu setzen und dem Kreis¬ 
arzt Tagesordnungen aus dem Gebiete des Gesundheitswesens 
und der Gesundheitsfürsorge mitzuteilen. 

Soweit der Kreisarzt nicht als nebenamtlicher Kreis¬ 
kommunalarzt oder Stadtarzt bereits dem Vorstande der Wohl¬ 
fahrtsämter oder ähnlicher Einrichtungen mit beschließender 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


311 


Stimme angehört, ist er von Amtswegen Mitglied deses Vor¬ 
standes mit Stimmrecht. 

Der Vorsitzende des Kreisausschusses (Magistrats) oder 
der Bürgermeister muß sich mit dem Kreisarzt vor Erlaß von 
wichtigen Anordnungen auf dem Gebiete des kommunalen Ge¬ 
sundheitswesens und der Gesundheitsfürsorge ins Benehmen 
setzen und ihm getroffene Anordnungen alsbald mitteilen. Auch 
die Leiter der unteren Kommunalverwaltungen haben für ihr 
Gebiet dieselbe Verpflichtung wie der Vorsitzende des Kreis¬ 
ausschusses. 

Anträge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der 
Gesundheitsfürsorge an die vorgeordneten Dienststellen (Re¬ 
gierungspräsident, Landrat bezw. Vorsitzender des Kreisaus¬ 
schusses) sind dem Kreisarzt zur Kenntnis vorzulegen. 

In Großstädten, in denen mehrere Kreisarztbezirke vor¬ 
handen sind, fallen die aus vorstehenden Bestimmungen sich 
ergebenden Rechte dem vom Regierungspräsidenten dazu be¬ 
sonders bestellten Kreisarzt zu. Er hat die dienstliche Ver¬ 
pflichtung, sich mit den anderen Kreisärzten der Stadt ins 
Benehmen über alle einschlägigen Fragen zu setzen und zu halten“. 

Die sachliche Notwendigkeit solcher Aenderung brauche 
ich in diesem Kreise nicht zu besprechen. Die Kreisausschüsse 
sollten allgemein einsehen, wie notwendig der medizinische 
Fachmann bei ihren Beratungen ist. 

§ 45 betreffend Meldepflicht der Med. Personen ist wesent¬ 
lich zu ändern und eine Pflicht der „An- und Abmeldung von 
Hebammen, Krankenschwestern, Wohlfahrtspflegerinnen, Für¬ 
sorgerinnen und gleichartigen Angestellten der Gemeinden oder 
sonstiger Körperschaften, der Gesundheitsaufseher, Desinfek¬ 
toren und sonstiger geprüften oder nicht geprüften Heil- oder 
Fürsorgepersonen“ festzulegen. Anstatt „niederlassenden“ 
Aerzte ist zu setzen „tätigen“, da sonst die Assistenzärzte 
glauben, sie brauchten sich nicht zu melden. Bekanntlich steht 
der Durchführung der Meldepflicht aus § 45 und 46 eine 
Kammergerichtsentscheidung entgegen, trotzdem ist aber die 
Beachtung durch Min. Erl. vom 10. 11. 14 weiter verlangt und 
sachlich zweifellos durchaus notwendig. 

§ 65 über Beaufsichtigung von Heilpersonen ist § 45 ent¬ 
sprechend zu ändern. 

§ 64 über Heilgehilfen und Masseure fällt weg. 

Ueber Hebammenwesen jetzt, wo der Gesetzentwurf über 
das Hebammenwesen in der Kommission ist, zu sprechen, mag 
verfehlt erscheinen. Ich möchte es auch aus Zeitmangel lassen, 
nur — ich glaube unserer einmütigen Auffassung dahin Aus¬ 
druck geben zu dürfen, daß wir die dem Kreisarzt nach dem 
Gesetzentwurf zugedachte Stellung, insbesondere in der Kreis¬ 
hebammenstelle für unglücklich, seiner Dienststellung nicht 
entsprechend und die Einrichtung wenigstens in der geplanten 
EJorm für sohädlich für das Hebammenwesen halten. Richtiger 



312 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


erscheint uns, daß die Kreishebammenstelle nur aus dem Med. 
Rat und mehreren Hebammen besteht. 

In § 67 betr. Desinfektoren ist ein Zusatz erwünscht „Zur 
Beaufsichtigung der Desinfektoren sollen die Kreise Kreis* 
desinfektoren anstellen, die nach Anweisung des Kreisarztes 
und ihm fachlich unterstellt ihren Dienst zu versehen haben“. 
Diensteinkommen pp. Verhältnisse. Zu ändern ist vor 
allem die jetzige Art der Unterscheidung zwischen vollbesoldeten 
und nicht vollbesolldeten Medizinalräten. 

Diensteinkommen. 

§ 24 Abs. 1 fällt weg. Er lautet: „Die Med. Räte erhalten 
Gehalt mit den gesetzmäßigen Zuschüssen in derselben Weise 
wie andere höhere Staatsbeamte unter Ausschluß von Gebühren 
für amtliche Verrichtungen (Vollbesoldete Stellen)“. 

Ob im Abs. 3 der letzte Satz betr. gerichtsärztliche Tätig¬ 
keit zu streichen ist, bedarf eingehender Erwägung. Wirklich 
amtlich zugezogen werden wir von den Gerichten vielfach doch 
nur zu den Leichenöffnungen, während in allen anderen 
Sachen das Gericht nicht den Kreisarzt nehmen muß und es 
vielfach auch nicht tut. Die ganze Stellung des Gerichtsarztes 
hat sich doch im Verlaufe der letzten Jahrzehnte, insbesondere 
durch das ärztliche Specialistentum wesentlich verändert. Eine 
innere Berechtigung die gerichtsärztlichen Gebühren als amt¬ 
liche anzusehen, ist also kaum vorhanden bezw. nur bei den 
Leichenöffnungen. Andererseits werden die begründeten Gut¬ 
achten zumeist von den Kreisärzten nur durch Ueberarbeit, in 
Abend- und Nachtstunden erstattet, in denen erst die dazu 
notwendige Ruhe und Konzentration vorhanden ist. Etwa aber 
gerade von den Med. Beamten zu verlangen, daß sie die sehr 
anstrengende, oft ekelhafte und gefährliche Tätigkeit — wie 
viele sind schon der Infektion bei Leichenöffnungen erlegen — 
einer Leichenzerlegung ohne persönlichen Sondergegen¬ 
wert für ihr Gehalt leisten, wird auch Fernstehenden als nicht 
unbedingt erforderlich erscheinen. Andere Beamte haben auch 
Gerichtstermine und Gutachten zu erstatten, deren Gebühren 
ihnen selbstverständlich verbleiben. 

Ich meine also, wir haben Recht, wenn wir die Abschaffung 
der Abführpflicht gerichtsärztlicher Gebühren fordern, wie es ja 
auch bereits in Nürnberg geschehen ist. 

Ob wir damit beim Staatsministerium durchkommen, ist 
eine andere Frage. Sollte es nicht der Fall sein, so wäre 
folgender Kompromiß Vorschlag zu machen und die D. A. ent¬ 
sprechend zu ändern: „Die Gebühren für die m der normalen 
Arbeitszeit am Tage stattfindenden amtlichen gerichtsärztlichen 
Verrichtungen innerhalb seines Amtsbezirks im Termin, Vor¬ 
besuche, Untersuchungen, kurze gutachtliche Aeußerungen sind 
abfuhrpflichtig bezw. sind von den Gerichtskassen nicht zu er¬ 
heben. Die Gebühren für als Sonderleistung zu wertende 
Verrichtungen — Leichenöffnungen, Leiohenschau und schritt- 



des Preußischen Medisinalbe&mtenvereins. 


818 


liehe wissenschaftlich begründete Gutachten verbleiben dem 
Medizialrat bezw. werden von den Gerichtskassen erhoben“. 

Die Begründung für das Nicht erheben von bestimmten 
Gebühren ist ohne weiteres gegeben. 

Es kann m. E. doch der Staatskasse ganz gleichgültig 
sein, ob sie Geld gar nicht auszahlt oder es auszanlt und auf 
Umwegen wieder erhält. Oder besser gesagt, es kann der 
Staatsverwaltung gar nicht gleichgültig sein, ob dieser nur 
durch Interessen einer Etatsverwaltung allenfalls zu begrün¬ 
dende Zustand weiter besteht. Der Aufwand an Beamtenkraft, 
Zeit und Papier, von dem der Staat auch nicht 1 Pfennig 
Nutzen hat, ein Zustand, wie er m. E. nur wegen leicht ander¬ 
weitig ausgleichbarer Ressortinteressen noch besteht, kann nicht 
mehr gerechtfertigt erscheinen. 

Ueber die Dienstaufwandsentschädigung (§ 26) 
möchte ich nur wenige Worte sagen. Der jetzige Zustand 
einer absolut unzureichenden Entschädigung, die den Kreisarzt 
zwingt, einerseits seine Kraft in minderwertiger Schreibarbeit 
zu vergeuden, oder Frau oder Tochter dafür heranzuholen, 
andererseits trotz alledem ständig hohe Beträge für reinen 
Büroaufwand aus seinen sonstigen Einnahmen zuzusetzen, ist 
unhaltbar. Dies gilt um so mehr, als die rein büromäßigen 
Aufgaben von Jahr zu Jahr steigen, in letzter Zeit durch die 
Verarbeitung der standesamtlichen Nachweisungen so, daß die 
Außentätigkeit auf Dienstreisen darunter zu leiden droht. Es 
ist daher mindestens für größere Kreisarztbezirke zu fordern, 
daß die Dienstaufwandsentschädigung so bemessen wird, daß 
eine Schreibhülfe gehalten werden kann. Damit ist erst die 
Möglichkeit einer ersprießlichen Dienstleistung gegeben, damit 
aber auch erst die notwendige Rücksicht auf das Pu¬ 
blikum, das doch erwarten kann, jemand in den Dienststunden 
auf dem Büro aufzufinden zur Auskunft bei Abwesenheit des 
Medizinalrates. Bisher leisten auch diese Aufgaben Angehörige 
oder Privatpersonal des Medizinalrats. Es ist daher entsprechend 
Vorschlag des Prov. Vereins Sachsen zu fordern, daß der Staat 
grundsätzlich die vollen Bürokosten einschl. der für etwa 
notwendige Bürohilfe trägt. Von diesen Kosten ist aber abzu¬ 
ziehen und vom Medizinalrat selbst zu tragen ein bestimmter 
vom Regierungspräsidenten jährlich festzusetzender Teil, dessen 
Höhe sich nach der etwa betriebenen Praxis oder nebenamt¬ 
lichen Tätigkeit richtet. Eine entsprechende Aenderung des 
§ 26, Abs. 1 ist daher notwendig. 

Der § 33 betreffend Kreisassistenzärzte wird zweckmäßig 
anders zu fassen sein. 

Ueberschrift: „Hilfsarbeiter“. 

Wortlaut: „Dem Kreisarzt können usw.“ als Hilfsarbeiter 
beigegeben werden. Sie werden vom Minister usw. bestellt 
und führen die Dienstbezeiohnung „ Medizinalassessor“. 

Ein Bez.-Verein hat den Antrag gestellt, daß die Ueber- 



314 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


tragung eines bestimmten Teiles der Geschäfte zur eigenen 
Erledigung wegfallen sollen. Meines Wissens kommt diese 
Uebertragung doch nur bei räumlich sehr ausgedehnten Kreises 
in Betracht und die Möglichkeit dazu muß m. E. bestehen bleiben. 

Die Vorschriften über das gesundheitliche Wohl¬ 
fahrtswesen sind grundlegend umzuarbeiten. 

Die Gesundheitsfürsorge hat eine noch vor wenigen Jahren 
ungeahnte Entwicklung genommen. Vielfach ist sie absolut 
planlos und überhastet gewesen. Ich erblicke den Grund 
für diese Planlosigkeit hauptsächlich darin, daß man zwar die 
Idee der beschleunigten Fürsorgemaßnahmen für das zusammen¬ 
brechende und zusammengebrochene Volk von der Zentrale 
aus den Gemeinden gegeben, aber die Ausführung der Idee 
aus einer meiner Meinung nach falsch angewandten Rücksicht 
auf das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden ihnen völlig 
überlassen'hat. Spät erst und übervorsichtig hat man die 
notwendig ordnende Hand des Staates an das kaleidoskop¬ 
artige Bild des Fürsorgewesens angelegt und noch jetzt be¬ 
stehen die allergrößten, sachlich durchaus unerwünschten 
Verschiedenheiten in durchaus gleichartigen, aneinander 
stoßenden Städten und Kreisen, sogar zwischen den einzelnen 
Gemeinden eines Kreises. Auch wir Kreisärzte sind bisher von 
Amtswegen organisch mit dem Fürsorge wesen nicht ver¬ 
bunden. Das bleibt jetzt nachzuholen. 

Von § 97 ab ist ein neuer Abschnitt XXVII. 

„Gesundheitliche Wohlfahrtspflege (Gesundheitsfürsorge) 4 
zu bilden, in den die §§ 97, 98, 98 a, 99, 103 a, 104, 105 hin¬ 
einzuarbeiten, in dem die der jetzigen Dienstanweisung noch 
unbekannte Fürsorge für Tuberkulöse, Geschlechtskranke und 
Psychopathen, für Schwangere und Wöchnerinnen, fürWohnungs- 
fürsorge zu verwenden, kurz die gesamte als „Familienfürsorge 4 
zusammengefaßte Fürsorge zu besprechen ist. 

Aus diesem Abschnitt aber müssen heraus bleiben die 
§§ über Beaufsichtigung der Krankenanstalten. Sie sind wieder 
in einem besonderen Abschnitt zu besprechen. 

Vor a 11 e m ist bei der neuen Fassung des Abschnitts XXVII 
Klarheit darüber zu schaffen, „welche Aufgaben hat der 
Kreisarzt als staatlicher Gesundheitsbeamter auf dem 
Gebiete der Gesundheitsfürsorge? 4 Liest man sich die jetzigen 
Bestimmungen, z. B. den § 98 a über Säuglingsfürsorge durch, 
so könnte man glauben, der Kreisarzt habe die Pflicht, minde¬ 
stens die gesamte Gesundheitsfürsorge des Kreises von Amts¬ 
wegen zu organisieren und zu verwalten, wenn nicht gar die 
zu befürsorgenden Personen zu beraten. Und in der Tat hat 
es Kommunen gegeben und gibt es noch, die derartige Auf¬ 
gaben vom Kreisarzt von Amtswegen verlangen ohne oder mit 
minimaler Entschädigung. Zahlreiche Kreisärzte haben solche 
Aufgaben von Amtswegen übernommen und ehrenhalber 
ausgeführt. 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


815 


Der Erlaß derartiger Vorschriften, von denen das Kreis¬ 
arzt g e s e t z noch nichts weiß, ist heutzutage, wo die Entwicke¬ 
lung längst andere Wege gegangen ist nur so zu verstehen, 
daß der Staat das dringliche Bedürfnis hatte, das Fürsorgewesen 
in Gang zu bringen, den Kommunen keine unmittelbaren Vor¬ 
schriften machen wollte und sich deshalb seiner Beamten be¬ 
diente, die Fürsorgeidee zu inaugurieren und in die Praxis um¬ 
zusetzen. Das ändert aber nichts daran, daß die eigentliche 
Gesundheitsfürsorge eine rein kommunale Aufgabe 
ist und zwar ihre Organisation und Verwaltung, ebenso wie die 
Ausübung. Das wissen die Kommunen auch ganz genau, lassen 
sich höchst ungern oder gar nicht von. Staatsbeamten in diese 
Sache hineinreden, die verständigen von ihnen sind anderseits, 
wenn sie den Kreisarzt nebenamtlich als Kommunalarzt betei- 
ligen, gerne bereit, ihn besonders zu honorieren. Der Staat 
selbst erkent z. B. im Krüppelfürsorgegesetz diese Sachlage an, 
indem er vom Kreisarzt nur das Meldewesen leiten läßt. So 
glaube ich denn mit vollem Recht sagen zu dürfen: 

„Die Organisation, Verwaltung und Ausübung der Ge¬ 
sundheitsfürsorge gehört nicht zu den staatlichen Aufgaben 
des Kreisarztes. Wenn er sie übernimmt, so kann und darf er 
es nur mit Genehmigung seiner Vorgesetzten Dienststelle als 
eine kommunale Aufgabe. 

Der Kreisarzt muß aber von Amtswegen staatliche Auf¬ 
sichtsbehörde auch über das Fürsorgewesen sein. Die ge¬ 
sundheitliche Wohlfahrtspflege ist heute derart wichtig gewor¬ 
den, daß wir in ihr mitwirken müssen, daß man auch unsere 
Mitwirkung nicht entbehren kann, wenn nicht Schaden in 
der einen oder anderen Weise entstehen soll. Wir müssen auch 
bereit sein auf Antrag und kraft besonderen Vertrages mit 
den Kommunen organisierend, verwaltend und ausübend für¬ 
sorgerisch tätig zu sein. Prof. Krautwig hat vor etwa 1 Jahr 
einmal etwa gesagt: „Die Kreisärzte müssen sich auf das Für¬ 
sorgewesen einstellen“, womit er nach anderen seiner Aeußerungen 
zu schließen wohl auch meinte, sie müßten sich kommunalisieren 
lassen, sonst verlören sie allen Einfluß und Bedeutung und 
würden „an die Wand gequetscht“. NunI Mit dem Letzteren 
hat es wohl noch weite Wege, aber daß wir im Fürsorge wesen 
mitarbeiten müssen, freilich ohne Kommunalisierung das läßt 
wohl jeder von uns gelten. Ich betone auch hier, daß die ein¬ 
zelnen Kreisärzte mit wenigen Ausnahmen sich aber gar nicht 
fürsorgerisch erst einzustellen brauchen, längst eingestellt sind, 
solange es eine Fürsorge gibt und bahnbrechend gewirkt haben. 

Ich halte es zur Klärung der Rechtsverhältnisse und zur 
Vermeidung von Unzuträglichkeiten gegenüber den Trägern der 
Selbstverwaltung für unbedingt geboten, daß die gesamten Be¬ 
stimmungen der derzeitigen Dienstanweisungen, die den Ein¬ 
druck erwecken, als habe der Kreisarzt von Amts wegen für¬ 
sorgeärztliche Aufgaben, anders gefaßt werden — also auch be¬ 
züglich Beaufsichtigung der Haltekinder, Geisteskranken usw. 



316 


Bericht über die XXXIII. H&aptverB&mmlang 


Selbst der Umstand, daß die Ueberwachung des Haltekinder¬ 
wesens bisher noch Polizeiangelegenheit ist, darf nicht daran 
hindern. Sie muß auch Angelegenheit der Fürsorge werden, der 
die Polizeihilfe immer im Notfall zur Verfügung steht. 

So schlage ich denn für den neuen Abschnitt „Gesund¬ 
heitliche Wohlfahrtspflege“ folgende Fassung vor: 

„1. Der Kreisarzt hat als staatliche Gesundheitsbehörde 
seine volle Aufmerksamkeit der gesundheitlichen Wohlfahrts¬ 
pflege zu widmen, deren Organisation, Leitung und Ausführung 
Aufgabe der Gemeinden und Gemeindeverbände ist. Br hat 
von Amtswegen das Staatsinteresse an der Gesundheits¬ 
fürsorge zu vertreten, die Einrichtungen derselben zu über¬ 
wachen und sich über den Stand der Gesundheitsfürsorge unter¬ 
richtet zu halten. Er hat das Recht und die Pflicht auf die 
Einrichtung einer den Bedürfnissen der Bevölkerung angepaßten 
Gesundheitsfürsorge in ihren verschiedenen Zweigen hinzuwirken 
und an die Gemeinden mit Vorschlägen heranzutreten Anträgen 
der Organe der Selbstverwaltung um fachliche Beratung in der 
allgemeinen Regelung der Gesundheitsfürsorge hat er Folge zu 
geben. Falls Bedenken vorliegen, hat er sie dem Regierungs¬ 
präsidenten vorzulegen. Dagegen gehört die Einrichtung, 
Leitung und Ausführung der Gdkundheitsfürsorge nicht zu seinen 
staatlichen Aufgaben. Der Medizinalrat ist aber berechtigt, in 
dem Maße, wie seine staatlichen Dienstaufgaben es tunlich 
erscheinen lassen, diese Tätigkeit als vertrauensärztliche mit 
Genehmigung des Ministers für Volkswohlfahrt zu übernehmen. 
Sind besondere Kommunalärzte (Stadtärzte, Kreiskommunal¬ 
ärzte) vorhanden, so hat der Medizinalrat sich ein enges dienst¬ 
liches Verhältnis zu ihnen angelegen sein zu lassen und mit 
ihnen die gesundheitsfürsorgerischen Interessen zu pflegen. Das 
Austragen von Meinungsverschiedenheiten in der Oeffentlichkeit 
ist zu vermeiden. Sie sind, falls ein Ausgleich nicht möglich 
ist, dem Regierungspräsidenten zu unterbreiten. 

2. Die Organe der Selbstverwaltung haben demgegenüber 
die sich aus § 16 ergebenden Verpflichtungen. Sie haben weiter 
die Verpflichtung, den Kreisarzt über die Einrichtungen ihres 
Bezirks auf dem Gebiete der Gesundheitsfürsorge unterrichtet 
zu halten und ihm auf Ersuchen Auskunft und das zur Aus¬ 
führung der staatlichen Vorschriften notwendige statistische 
Material zu liefern.“ 

An diese Paragraphen würden sich Einzelbestimmungen 
über die Mitwirkung auf dem gesamten Gebiete der Gesund¬ 
heitsfürsorge anzuschließen haben. Sie müssen ein scharf ge¬ 
faßtes Oompendium der zahlreichen einzelnen Fürsorgezweige 
darstellen, das Richtlinien für die staatliche Aufsicht und die 
kraft kommunalen Sonderauftrags mögliche Beteiligung in der 
Organisation, Verwaltung und Ausübung der Fürsorge gibt, das 
auszuarbeiten ich noch nicht die Zeit gefunden habe, das zu 
besprechen aber auch zu weit führen würde, zumal Herr Kollege 
Hillenberg morgen ein besonderes Referat über Kreisarzt 



des Preußischen Medizinalbesmtenvereins. 


317 


und Fürsorge halten wird. Es wird daher erst in dem Ge¬ 
samtentwurf der neuen Dienstanweisung durch den Vorstand 
vorzulegen sein. 

Für diese Bestimmungen muß eine Uebergangsvorschrift 
wohl duroh Ministerial- Erlaß gegeben werden, etwa folgenden 
Wortlauts: 

„In denjenigen Kreisen, in denen die Organisation der 
gesundheitlichen Wohlfahrtspflege noch nicht so weit vor¬ 
geschritten ist, daß eine gedeihliche selbständige Tätigkeit 
möglich ist, hat der Kreisarzt mit Nachdruck auf ihre Ein¬ 
richtung hinzuwirken und gegebenenfalls nach besonders ein¬ 
zuholender Anweisung des Regierungspräsidenten seine Bereit¬ 
willigkeit in nebenamtlicher Tätigkeit kommunale Aufgaben zu 
übernehmen, kund zu geben. Die ausübende Fürsorge durch 
Beaufsichtigung der Haltekinder und Geisteskranken in Privat¬ 
pflege hat er nach Maßgabe der in der alten D. A. gegebenen 
Vorschriften solange auszuführen, bis eine geordnete kommunale 
Fürsorge auf diesen Gebieten eingeführt ist.“ 

Gerichtsärzte. 

Es bleiben noch als besonders wichtige Punkte zu be¬ 
sprechen die Bestimmungen über die Gerichtsärzte. 

M. H.! Es sind in den letzten Jahren wiederholt Be¬ 
strebungen hervorgetreten, die Gerichtsärzte von den Kreis¬ 
ärzten abzuzweigen. Ich erinnere an das Referat von Herrn 
Geheimrat Straß mann im vorigen Jahre in Nürnberg, das die 
Möglichkeit besonderer Ausbildung und Prüfung vorsan, und an 
die Wünsche einer besonderen Dienstanweisung für Gerichtsärzte, 
die, wie ich erst gestern hörte, irrigerweise als von Herrn Geh. 
Rat Puppe herrührend bezeichnet worden sind. 

Ich kann die Berechtigung weder der einen noch der 
anderen Forderung anerkennen. 

Genau so wie der Kreisarzt eine gerichtsärztliche Vor¬ 
bildung haben muß, muß der Gerichtsarzt eine hygienische und 
sozialhygienische haben. Dafür gehen die Arbeitsgebiete beider 
in der Praxis zu sehr ineinander über. Ich erinnere nur an die 
Aufgaben des Gefängnisarztes, der doch als Hygieniker und 
Sozialhygieniker durchaus auf der Höhe sein muß, darüber sind 
wir uns ja auch schon in Nürnberg klar geworden. Das 
kommende Strafgesetz wird aller Voraussicht nach ja auch dem 
Gerichtsarzt viele fürsorgerische Aufgaben auf dem Gebiete 
kriminell gewordener Personen geben. 

Die Forderung einer besonderen Dienstanweisung für Ge¬ 
richtsärzte mag auf den ersten Blick etwas für sich haben. Sie 
geht freilich zunächst gar nicht davon aus, daß der Gerichts¬ 
arzt zu wenig mit den kreisärztlichen in der Dienstanweisung 
festgelegten Aufgaben zu tun hat, sondern von dem Bestreben, 
Grenzgebiete und bisherige Aufgaben der Kreisärzte auf das 
gerichtsärztliche Gebiet hinüberzuziehen und durch die besondere 
Dienstanweisung diesen neuen Zustand festzulegen. Diese beiden 
Momente müssen wir aber streng auseinander halten. 



818 


Bericht Qber die XXXIII. Hauptversammlung 


Zu der Frage, ob die Gerichtsärzte eine besondere Dienst¬ 
anweisung haben müssen oder nicht, möchte ich den Gerichts¬ 
arzt Dr. Teudt zu Wort kommen lassen, indem ich seine Aus¬ 
führungen vorlese: 

„Die kürzlich erfolgte Besprechung westdeutscher Gerichts¬ 
ärzte in Düsseldorf ergab, daß wir es für zweckmäßig halten, 
unsere besonderen Aufgaben und Zuständigkeiten im Rahmen 
der neu zu bearbeitenden Dienstanweisung für Kreisärzte, nicht 
in eigener Dienstanweisung festlegen zu lassen. 

Wir befürchten von einer eigenen Dienstanweisung, die in 
weiterer Folge eine Angliederung an das Justiz¬ 
ministerium möglicherweise bedingen wird, eine allmähliche 
Abtrennung vom Gros der beamteten Aerzte, den Kreisärzten, 
mit denen uns doch überwiegende Interessen, auch der engeren 
beruflichen Tätigkeit verbinden. Wir befürchten, daß der bisher 
mögliche Uebergang von einer zur anderen Stellung, unter 
Umständen damit auch die Aufrückungsmöglichkeit in die Re¬ 
gierungsinstanz uns abgeschnitten würde. Wir erblicken auch 
in der unmittelbaren Angliederung an die Justiz mit der Folge 
der Unterstellung unter den Landgerichtspräsidenten keinen 
Vorteil. 

Da trotz ausgiebiger Inanspruchnahme der Kreis unserer 
Wirksamkeit — im Gegensatz zu den Kreisärzten — in wenigen 
Paragraphen Umrissen werden kann, erblicken wir in einer be¬ 
sonderen Dienstanweisung für Gerichtsärzte insofern sogar die 
Möglichkeit einer wirtschaftlichen Schädigung, als es dann 
nicht ausgeschlossen ist, daß es — sei- es von Regierungs- sei 
es von parlamentarischer Seite — den Gerichtsärzten zur Ab¬ 
rundung ihres Wirkungskreises zugemutet werden könnte, die 
gefängnisärztliche Tätigkeit amtshalber wahrzunehmen, so daß 
damit die einzige Nebeneinnahme in Wegfall käme. 

Wir halten es aus allen diesen Gründen für erwünscht, 
unseren besonderen gerichtsärztlichen Aufgabenkreis, mit Pflich¬ 
ten und Rechten, in dessen Formulierung wir im wesentlichen 
mit Herrn Geheimrat Puppe übereinstimmen, nicht in selbst¬ 
ständiger Dienstanweisung, sondern in Form von Grundsätzen 
zu den entsprechenden Paragraphen der Dienstanweisung für 
Kreisärzte festlegen, in die unsere Kompetenzen ja ohne dies 
hineingearbeitet werden müssen. Die neue Dienstanweisung 
würde zweckmäßig dann den Namen Dienstanweisung für Kreis¬ 
ärzte und Gerichtsärzte erhalten, damit die Gerichtsärzte als 
selbstständige und gleichwertige Gruppe auch im Titel gekenn¬ 
zeichnet werden, nicht bloß als nebensächliche Klammergruppe 
in Erscheinung treten.“ 

Ich glaube, wir können diesen Ausführungen durchaus bei¬ 
pflichten. Ich tue es um so mehr, als 5 von 6 westlichen Ge¬ 
richtsärzten (Berg-Düsseldorf, Teudt-Duisburg, Dorsch- 
Essen, Plempel-Köln, Klein-Elberfeld), die sich über die 
Frage haben beraten können, d. h. doch ein sehr erheblicher 



des Preußischen Med izin al beamten Vereins. 


819 


Teil der Gerichtsärzte überhaupt sich ihnen anschließen. Ich bin 
ausdrücklich von ihnen beauftragt, diesen ihren Standpunkt hier 
zu vertreten. Ließe man sämtliche preußischen Gerichtsärzte 
abstimmen, so würde, davon bin ich überzeugt, eine gleich¬ 
sinnige, durchaus überwiegende Mehrheit zustande kommen. 

Wir wollen also die für die Gerichtsärzte in Betracht 
kommenden Sonderbestimmungen in die allgemeine Dienst¬ 
anweisung hereinarbeiten. Die Gerichtsärzte sind bisher nicht 
vollbesoldet und müssen den Teil der Gebühren, der die Voll¬ 
besoldung überschreitet, in die Staatskasse abliefern. Dieser 
Zustand ist m. E. für den Staat, wie die Gerichtsärzte schon 
wegen des komplizierten Rechnungswesens unerwünscht. Die 
Gerichtsärzte sind m. E. als vollbesoldete Beamte, wie die voll¬ 
besoldeten Kreisärzte anzustellen und haben dieselbe Abführ¬ 
pflicht wie diese, d. h. sie sollen abführen nach meinem Vor¬ 
schlag die Gebühren für amtliche, in den Normalarbeitsstunden 
am Tage geleisteten Verrichtungen — also für Termine, Unter¬ 
suchungen, Vorbesuche, kurze Atteste und gutachtliche Aeuße- 
rungen, nicht aber für die als Sonderleistung zu wertende 
Leichenöffnung und Leichenschau und nicht für die in der 
Regel in den Abend- und Nachtstunden ausgearbeiteten ausführ¬ 
lich begründeten Gutachten. Ich meine, das ist eine Forderung 
der Gerechtigkeit, der auch der Herr Finanzminister sich kaum 
verschließen dürfte. 

§ 1 Abs. 3 der D. A. würde danach zu lauten haben „Die 
besonderen Gerichtsärzte werden wie die vollbesoldeten Kreis¬ 
ärzte angestellt. 8 

ln der Abgrenzung der Gebiete zwischen Kreisärzten und 
Gerichtsärzten halte ich ein weitgehendes Entgegenkommen 
gegenüber den Gerichtsärzten für geboten. Es kommt nach 
den Wünschen der Gerichtsärzte eine Abgrenzung im Attest¬ 
wesen, bei Leichenöffnungen in Unfallsachen und in der Ge¬ 
sundheitsfürsorge in Betracht. Im Attestwesen wird folgende 
Regelung durch Zusatz zu § 43 Abs. 1 vorgeschlagen: 

„ln den Bezirken, für die ein besonderer Gerichtsarzt be¬ 
stellt ist, gehört jede Begutachtung, die und soweit sie Zwecken 
der Rechtspflege oder des Strafvollzugs dienen soll, insbesondere 
die amtsärztliche Feststellung von Gesundheitsschädigung, be¬ 
stehender Schwangerschaft, erfolgter Geburt, Infizierung mit 
Geschlechtskrankheiten, Notwendigkeit der Entmündigung und 
Pflegeschaft, Notwendigkeit der Verwahrung in Irrenanstalten, 
Haftunfähigkeit zur Zuständigkeit des Gerichtsarztes. An den 
Kreisarzt kommende amtliche oder private Ersuchen sind von 
diesem an den Gerichtsarzt als die zuständige Stelle zu über¬ 
weisen. Die Befugnis der Polizei- und Gefängnisärzte für ihren 
Tätigkeitsbereich auf amtliches Ersuchen Zeugnisse auszustellen, 
wird hierdurch nicht berührt. 8 

Hinsichtlich der Leichenöffnungen bei Betriebsunfällen 
herrschen bei einigen Gerichtsärzten offenbar falsche Vor¬ 
stellungen. Derartige Leichenöffnungen sind eine reine Ange- 



820 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


legenheit der Träger der sozialen Unfallversicherung. Sie ver¬ 
lieren diesen Charakter auch nicht dadurch, daß die Polizei¬ 
behörde gelegentlich dabei — lediglich als Rechtshilfe — 
mitwirkt. Die Berufsgenossenschaften und gegebenenfalls die 
von ihnen um Hilfe angegangene Polizeibehörde können dazu 
einen Arzt wählen, welchen sie wollen, und verfahren dement¬ 
sprechend. Die Gebühren sind auch nach der ärztlichen 
Gebührenordnung bei der Berufsgenossenschaft zu liqui¬ 
dieren. Die Frage hat also mit der der Gerichtsärzte gar nichts 
zu tun, gegebenenfalls kann sie nur durch örtliche Verein¬ 
barung geregelt werden. 

Der Wunsch einiger Gerichtsärzte, im Fürsorgewesen be¬ 
teiligt zu werden, ist hinsichtlich der Fürsorge für Geisteskranke, 
Epileptische, Idioten und Psychopaten ohne weiteres verständ¬ 
lich so weit es sich um Maßnahmen zur Verhütung von 
Kriminalität handelt. Dies ist aber keineswegs die Haupt¬ 
aufgabe dieses Fürsorgezweiges, Maßnahmen rein gesundheits¬ 
fürsorgerischer und wirtschaftlicher Art stehen durchaus im 
Vordergründe. Wer auf diesem Gebiete daher als aus¬ 
übende Fürsorge treibender Fürsorge arzt zu bestellen 
ist, muß ganz den örtlichen Verhältnissen und dem Willen der 
Kommunen, die als Träger der ausübenden Gesundheitsfürsorge 
völlig freie Wahl ihrer Fürsorgeärzte haben, überlassen bleiben. 
Auch der Kreisarzt 'wird weder durch die bisherige noch die 
nach meinem Vorschläge etwa kommende neue D. A. der Für¬ 
sorgearzt auf diesem Gebiet. Er ist nach meinen Vorschlägen 
lediglich staatliche Aufsichtsbehörde, wie über das gesamte 
Fürsorgewesen, so auch über diesen Zweig derselben. Das 
muß er aber m. E. unbedingt bleiben. 

Es bestehen noch eine Reihe von Einzelwünschen, die ich 
aus Zeitmangel nicht ausführlich besprechen kann: 

In § 64 muß das Recht selbständiger Revision der 
Drogenhandlungen festgelegt werden — nötigenfalls ohne Polizei. 

Der § 81a über Bekämpfung des Alkoholismus wird zweck¬ 
mäßig eine Beteiligung des Kreisarztes bei der Konzession von 
Schankstätten vorsehen. 

Das Recht zur Teilnahme an allen Wohlfahrtskom¬ 
missionen und Wohnungskommissionen, zur Besichtigung von 
Wohnungen ist festzulegen. Ein Kollege hat angeregt, die 
Abführpflicht durch Entwertung von Stempelmarken zu er¬ 
ledigen. Ich habe mich dem in den Leitsätzen angeschlossen. Ein 
anderer schlägt vor, in die D. A. aufzunehmen das Recht gegen 
Gestellung eines Vertreters Selbstbeurlaubung bis zu 3 Tagen 
vorzunehmen. 

Ein dritter stößt sich an die Formalität der amtseidlichen 
Versicherung am Schluß von Attesten oder Gutachten, da doch 
auch andere Beamte keine Versicherungen abgeben. 

Alles beachtenswerte Gedanken. Manche formelle Ver¬ 
besserungen sind auch noch notwendig. 



des Preußischen Medirinalbeamtenvereins. 


321 


Au! andere Fragen wird Herr Kollege Franz in seinem 
Referat noch eingehen. 

M. H. I Es lag mir heute weniger daran, alle einzelnen 
Paragraphen zu besprechen, als leitende Gesichtspunkte auf¬ 
zustellen. Sie sehen, ich habe bei dem Ausbau unserer Stellung 
besonderen Wert auf ihren staatlichen Charakter und eine klare 
Abgrenzung unserer Aufgaben gegenüber den Aufgaben der 
Kommunen, andererseits auf die Herstellung einer organischen 
Verbindung unserer und der kommunalen Arbeit gelegt. Ich 
kann eben bei aller Hochachtung vor dem verfassungsmäßigen 
Selbstverwaltungsrecht und bei vollster Ueberzeugung davon, 
daß nur auf Grund dieses Rechts von ihnen etwas Gutes 
geleistet werden kann auf dem Gebiete der Gesundheitsfürsorge 
wie auch auf allen ähnlichen die Augen vor dem heutigen 
Durcheinander nicht verschließen. Ich glaube, daß eine Besse¬ 
rung nur durch eine kräftiger eingreifende Hand des demo¬ 
kratischen Staates, die sich ja auch auf anderen Gebieten 
bereits mehr bemerkbar macht, erfolgen kann. Das allen ge¬ 
meinsame Ziel eines geordneten Staatswesens und des Wohl¬ 
befindens der Bevölkerung kann jedenfalls dadurch nur ge¬ 
fördert werden. Aus der starken staatlichen Beteiligung in der 
Organisation erwachsen m. E. selbstverständlich aber dem Staate 
auch größere finanzielle Pflichten. Auch unsere Aufgabe ist 
es, hier vermittelnd zu wirken. 

Der Mängel meines Referates bin ich mir wohl bewußt, 
zumal manche verwaltungstechnische Gesichtspunkte in Frage 
kommen. Die Aufstellung des endgiltigen Entwurfs der Dienst¬ 
anweisung wird noch viel Arbeit von uns allen erfordern. Ich 
halte es für ratsam, daß wir uns in der Diskussion nicht in 
Einzelfragen verlieren, sondern uns über die Hauptgesichts¬ 
punkte, die ich auch nur in meine Leitsätze aufgenommen 
habe, einigen. 

Zum Schluß möchte ich noch bitten — rein psychisch — 
ungedruckt — einen Paragraphen in die Dienstanweisung auf¬ 
zunehmen, der etwa lauten würde: „Die Medizinalräte haben 
sich eines engen persönlichen und dienstlichen Verhältnisses 
zueinander und der Pflege des Standesbewußtseins zu be¬ 
fleißigen." 

Wir dürfen die Pflege dieses Korpsgeistes, dessen reges 
Leben bei uns das unauslöschliche Verdienst unseres verehrten 
Ehrenvorsitzenden ist, mit um so größerer Berechtigung 
treiben, als wir damit auch unserem ganzen Volke dienen. 

(Lebhafter Beifall!) 

Die Leitsätze hierzu lauten: 

1. Die neu zu fassende Dienstanweisung für die Kreisärzte 
muß die bisherige Stellung des Kreisarztes als Staats¬ 
beamter neu festigen und sie neuzeitlichen Bedürfnissen 
entsprechend ausbauen im Interesse der Volksgesundheit. 



822 


Bericht ttber die XXXITL Hauptversammlung 


Der Geist des Ereisarztgesetzes und der bisherigen 
Dienstanweisung, der dem staatlichen Gesundheitsbeamten 
Unabhängigkeit und freies Wirken ermöglichen will, muß 
auch bei der Neuordnung herirschen. Ein Aufgeben der 
staatlichen Stellung des Kreisarztes würde zu schwerem 
Sohaden für die Kreisärzte wie das Gesundheitswesen 
führen. Alle dahin. zielenden Bestrebungen sind daher 
energisch zu bekämpfen. 

2. Die in ihrer Art glücklich gewählte, klare, dem Volke 
vertraut gewordene Bezeichnung des staatlichen Gesund¬ 
heitsbeamten als Behörde „der Kreisarzt“ muß erhalten 
bezw. wiederhergestellt werden. Die entgegen dem ein¬ 
stimmigen Beschluß der Kreisärzte eingeführte Bezeich¬ 
nung „der Kreismedizinalrat“ muß als unglücklich gewählt 
und irreführend wieder abgeschafft werden. Dabei ist die 
allen höheren Beamten zuteil gewordene Dienstbezeich¬ 
nung als Rat auch den Kreisärzten zu gewähren, indem 
sie die Dienstbezeichnung „Medizinalrat“ und in der Vor¬ 
rückungsstelle „Obermedizinalrat“ erhalten. 

3. Entsprechend der Bedeutung des Gesundheitswesens im 
Staate und im Interesse seines dringlich notwendigen Aus¬ 
baues ist seine volle Selbständigkeit zu sichern. Das ge¬ 
schieht durch Errichtung eines besonderen Ministeriums 
für Volksgesundheit, die Errichtung einer besonderen 
Abteilung bei den Regierungen unter Verleihung der Dienst¬ 
stellung und Bezeichnung der Regierungs- und Medizinal¬ 
räte als „Oberregierungsräte“ und Ausbau der Gesundheits¬ 
behörde „der Kreisarzt“ zu einer auch büromäßig leistungs¬ 
fähigeren Dienststelle. Solange und insoweit die daraus 
sich ergebenden, nur durch Gesetzesänderungen möglichen 
Maßnahmen nicht völlig durchführbar sind, ist durch 
Aenderung der Dienstanweisung den Bedürfnissen Rech¬ 
nung zu tragen. Die Ausgestaltung der Behörde „der 
Kreisarzt“ führt zweckmäßig wegen der bereits vorhan¬ 
denen kommunalen Gesundheitsämter nicht zur Errich¬ 
tung staatlicher Kreisgesundheitsämter. 

4. Das Verhältnis zum Landrat ist als auf Gleichberechtigung 
als Beamter und Gegenseitigkeit beruhend in der D. A. 
klarer hervorzuheben. 

6. Das bisher wenig fruchtbare Verhältnis zu den Organen 
der Selbstverwaltung ist enger zu knüpfen zur Erzielung 
eines nutzbringenden Zusammenarbeiten. Der Medizinalrat 
muß das Recht der Teilnahme an sämtlichen Beratungen 
kommunaler Körperschaften, bei denen Fragen des Ge¬ 
sundheitswesens und der gesundheitlichen Wohlfahrtspflege 
verhandelt werden, haben. Er muß auch Mitglied dee 
Vorstandes der Wohlfahrtsämter in der Kreisinstanz sein. 

6. Der Kreisarzt ist als staatliche Gesundheitsbehörde in ein 
klares Verhältnis zu allen Einrichtungen der gemeind- 



des Preußischen Medizinalbe&mtenvereins. 


823 


liehen gesundheitlichen Wohlfahrtspflege zu bringen. Er 
hat das Recht, das Staatsinteresse an der Gesundheits¬ 
fürsorge zu vertreten und dementsprechend anregend zu 
wirken, andererseits das Interesse der Gemeinden an staat¬ 
licher Hilfe zur Geltung bringen zu helfen. 

Anträgen der Organe der Gesundheitsfürsorge um Be¬ 
ratung hat er tunlichst Folge zu geben und seine guten 
Dienste nach Maßgabe seiner staatlichen Pflicht zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Eine dienstliche Verpflichtung zur 
Organisation, Verwaltung oder Ausübung der Gesundheits¬ 
fürsorge liegt dem Medizinalrat nicht ob. Er darf diese 
Aufgaben aber mit Genehmigung des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt nebenamtlich übernehmen. Die Uebernahme 
ist, soweit die staatlichen Aufgaben es zulassen, sachlich 
erwünscht. 

Der Medizinalrat hat ein möglichst gedeihliches Zu¬ 
sammenarbeiten mit den vorhandenen Kommunalärzten 
zu erstreben. 

7. Die bisherigen Bestimmungen der D. A. über Fürsorge¬ 
wesen sind dementsprechend grundlegend urazuändera. 
auch hinsichtlich der Beaufsichtigung . der Haltekinder 
und Geisteskranken in Privatpflege. Wo keine geordnete 
kommunale Gesundheitsfürsorge auf diesem Gebiete be¬ 
steht, ist auf ihre Einführung hinzuwirken. So lange als 
notwendig, sind die diesbezüglichen Aufgaben der bis¬ 
herigen D. A. aufrechtzuerhalten. 

8. a) Die Abtrennung der Gesundheitspolizei von der all¬ 

gemeinen Polizei und ihre Uebertragung unter Ver¬ 
änderung ihres Charakters möglichst im Sinne der 
Fürsorge auf den Kreisarzt ist an sich zu erstreben, 
aber in Rücksicht auf die gesetzlich festgelegten Ver¬ 
hältnisse, die bisherige Organisation der Gesundheits¬ 
behörde und die Verhältnisse im besetzten Gebiet noch 
nicht durchführbar. Ebenso ist die Teilmaßnahme der 
Meldung ansteckender Krankheiten unmittelbar an den 
Kreisarzt noch nicht allgemein durchführbar. 

b) Dem Kreisarzt ist jedoch schon jetzt in gleicher Weise 
wie den Gewerbeaufsichtsbeamten auf ihrem Gebiete 
als ständigem Beauftragten des Regierungspräsidenten 
ein Anordnungsrecht mit Wirkung polizeilichen Zwanges 
bei Gefahr im Verzüge zu gewähren. 

c) Die zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten not¬ 
wendigen Anordnungen trifft der Kreisarzt selbständig — 
in der Kegel durch Vermittelung der Ortspolizeibehörde, 
bei Gefahr im Verzüge unmittelbar. 

d) Dem Kreisarzt ist bereits jetzt das Recht zu verleihen, 
auch die selbständigen Revisionen der Drogenhand¬ 
lungen, gewerblichen Anlagen und Besichtigung von 
gesundheitlich bedenklichen Unterkunftsräumen vor¬ 
zunehmen. 



324 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


9. Die Medizinalräte sollen mit Vollendung des 12. Dienst¬ 
jahres in eine höhere Gehaltsstufe einrücken, und damit 
die Dienstbezeichnung Obermedizinalrat erhalten. Hin¬ 
sichtlich der Bemessung der Tagegelder gelten die Medi¬ 
zinalräte als Räte IV. Klasse, die Obermedizinalräte als 
solche III. Klasse. 

10. Der Unterschied zwischen vollbesoldeten und nicht voll¬ 
besoldeten Medizinalräten ist anderweitig festzulegen, so 
daß die Vollbesoldung als die Regel angesehen werden und 
die Pensionsverhältnisse für alle gleich sind. Die Gerichts¬ 
ärzte sollen vollbesoldete Beamte werden, und den Medi¬ 
zinalräten der Kreise in jeder Weise gleichgestellt werden. 

11. Die Kreisassistenzärzte sollen als Beamtenkategorie „Hilfs¬ 
arbeiter beim Kreisarzt 0 heißen und die Dienstbezeichnung 
„Medizinalassessor 0 führen. 

12. Die Pflicht zur Abführung amtsärztlicher Gebühren soll dahin 
für alle vollbesoldeten Medizinalbeamten eingeschränkt 
werden, daß Leichenöffnungen, Leichenschau und die wissen¬ 
schaftlich begründeten Gutachten als Sonderleistungen an¬ 
gesehen werden und ein Anspruch auf Gebühren ohne 
Abführpflicht bestehen bleibt. Für andere gerichtsärzt¬ 
liche Verrichtungen innerhalb des Amtsbezirks sollen die 
Gerichtskassen Gebühren nicht auszahlen, wodurch die 
Abführung wegfällt. Die Abführpflicht der sonstigen Ge¬ 
bühren wird durch die Vorschrift der Entwertung von 
Stempelmarken auf den verfaßten Attesten bei ihrer Aus¬ 
händigung oder bei nachträglicher Zahlung der Gebühren 
durch Entwertung in einem besonders zu führenden Ver¬ 
zeichnis zu ersetzen sein. 

Gegenüber diesem große Ersparnis an Arbeitskraft ver¬ 
schiedener Beamten, Zeit und Papier mit sich bringenden 
Verfahren werden Ressortinteressen zurücktreten müssen. 

13. Die Dienstaufwandsentschädigung der Kreisärzte soll so 
bemessen sein, daß die jährlich nachzuweisenden Kosten 
für Büroräume, ihre Einrichtungen und Betrieb und eine 
Schreibhilfe gedeckt werden. Für die Medizinalräte, welche 
Nebenämter haben oder Praxis treiben, ist ein vom Re¬ 
gierungspräsidenten jährlich festzusetzender Teil der Ge¬ 
samtkosten auf Grund dieser Tätigkeit in Abzug zu bringen. 

Dritter Berichterstatter: H. Med.-Rat Dr. Franz-Lötzen. M.s. 
v. H.l Als Ergänzung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen 
Wollenweber, welcher besonders die Stellung des Kreis¬ 
arztes als Staatsbeamter den neuzeitlichen Bedürfnissen ent¬ 
sprechend geändert, das Verhältnis zum Landrat, zu den Polizei¬ 
organen im Sinne der Gleichberechtigung durch die neue 
Dienstanweisung geregelt wissen will und vor allem eine klare 
Festlegung des Verhältnisses des Kreisarztes zu allen Ein¬ 
richtungen der gemeindlichen gesundheitlichen Wohlfahrtspflege 
wünscht, will ich auf eine Reihe von Spezialabschnitten ein- 



des Preußischen Medixinalbeamtenvereius. 


825 


§ ehen, so weit sie am dringendsten der Abänderung bedürfen. 

eit dem Jahre 1909 sind ferner zahlreiche Ministerialerlasse 
ergangen, die für unsere Dienstführung von maßgebender Be¬ 
deutung sind, sie liegen wohl in unseren Akten gut verwahrt, 
können dem Gedächtnis zu gegebener Zeit wieder entschwinden, 
und müssen daher in die einzelnen Abschnitte hineingearbeitet 
werden. 

Zuvor erscheint es mir von Wichtigkeit, Ihre Aufmerk¬ 
samkeit noch auf folgenden Punkt zu lenken: 

Herr Kollege Wollenweber hat über die Dienstbezeich 
nung des Kreisarztes, des Kreisassistenzarztes, des Regierungs¬ 
und Medizinalrats gesprochen; eine weitere Gruppe von Medi¬ 
zinalbeamten bedarf noch der Erwähnung, die ständigen, medi¬ 
zinisch-technischen Hilfsarbeiter bei der Regierung. 

M. H. 1 Es dürfte wohl allgemein bekannt sein, wie schwer 
es ist, gerade für diese Beamtenkategorie geeignete und bereite 
Kräfte zu gewinnen; weshalb diese Stellungen überhaupt ge¬ 
schaffen sind, vermag ich nicht einzusehen; der Kreisschulrat, 
der Oberförster, der Kreistierarzt wird sofort Regierungs- und 
Schulrat bezw. Regierungs- und Forstrat und Regierungs- und 
Veterinärrat, der Kreisarzt muß, bevor er die Dienststellung 
eines Regierungs- und Medizinalrats bekleiden darf, im all¬ 
gemeinen erst den dornenvollen Pfad eines ständigen Hilfs¬ 
arbeiters in läogerer Reihe von Jahren — früher waren es 
sogar häufiger 5 und mehr Jahre, — durchwandern. Sein Ver¬ 
hältnis zu den Kreisärzten wird leicht ein schwieriges, seine 
Stellung als Regierungsdezernent ist eine, um mich milde aus¬ 
zudrücken, recht bescheidene. Was das Verhältnis zum Re¬ 
gierungs- und Medizinalrat anbetrifft, so tritt das Vorgesetzten¬ 
verhältnis dem Hilfsarbeiter gegenüber häufig viel mehr hervor 
als gegenüber jedem anderen Kreisarzt. Es wird hieran nichts 
geändert, wenn dem Hilfsarbeiter ein besonderes, kleines De¬ 
zernat zugeteilt wird. Das Interessanteste, Wichtigste wird der 
Medizinalreferent nicht an seinen Hilfsarbeiter abgeben. Es 
ist also im allgemeinen eine sehr wenig befriedigende Tätigkeit 
und glücklich fühlt sich in dieser Stellung kaum einer, wenn 
er aufrichtig ist. Es bleibt weiter die Frage aufzuwerfen, sollen 
ältere oder jüngere Herren für diese Hilfsarbeiterposten ge¬ 
wählt werden. Eine kurze Zeitlang wurde der Weg ein¬ 
geschlagen, junge Kreisassistenzärzte, die Hilfsarbeiter im Mini¬ 
sterium waren, für diese Stellungen zu wählen. Was die Unter¬ 
ordnung anbetrifft und das Dezernat, welches ihnen zugeteilt 
wurde, so war dieser Weg vielleicht empfehlenswerter als ältere, 
erfahrene, an Selbständigkeit gewöhnte Kreisärzte hierzu aus¬ 
zuersehen. Aber auch diesem System haftete ein großer Nach¬ 
teil an; der Hilfsarbeiter soll bei Urlaub, Abwesenheit des 
Regierungs-Medizinalrats doch auch sein Vertreter sein. Unter 
diesen Umständen ist es nötig, daß er auch Dienstreisen in 
den Bezirk der Kreisärzte unternimmt, hierbei können sich 
dann leicht Reibungen ergeben. Deshalb sollte diese Stellung 



326 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


überhaupt abgeschafft werden. Es ist zu verlangen, daß der 
jetzige Regierungs- und Medizinalrat die Dienstbezeichnung 
Oberregierungs- und Medizinalrat erhält, die anderen Medizinal¬ 
referenten die Dienstbezeichnung Regierungs- und Medizinalrat 
bezw. Obermedizinalrat führen. Der Hilfsarbeiter soll wegfallen, 
soweit diese Bezeichnung für einen Kreisarzt in Frage kommt. 

Nun komme ich zu den besonderen Obliegenheiten des 
Kreisarztes, die in dem Abschnit B. unserer Dienstanweisung 
festgelegt sind. Im Gegensatz zu der Besprechung der all¬ 
gemeinen leitenden Gesichtspunkte ist dieser Stoff ein recht 
trockener und wird Sie weniger fesseln. Um den Teil des 
Referats, welcher mir zugefallen ist, nicht zu sehr in die Länge 
zu ziehen, mußte ich mich in den meisten Fällen darauf be¬ 
schränken, lediglich die notwendigen Aenderungen dem bis¬ 
herigen Text einzuverleiben unter genauer Angabe der ein¬ 
zelnen Erlasse. Ich glaubte andererseits für den speziellen Ab¬ 
schnitt meine Aufgabe darin sehen zu müssen, dem Text 
möglichst schon denjenigen Wortlaut geben zu sollen, wie ihn 
die neue Dienstanweisung tatsächlich verlangt. 

Zu § 45. Meldepflicht der Medizinalpersonen, die Herr 
Kollege Wollenweber schon näher erörtert hat, bleibt noch 
nachzutragen,' daß an Stelle der Worte „Gehilfen und Lehr¬ 
linge“ in den Apotheken die neuen Bezeichnungen „Prakti¬ 
kanten und Assistenten“ Platz greifen müssen. Ich kann mich 
den diesbezüglichen Ausführungen in der Zeitschrift für Medi¬ 
zinalbeamte vom 5. 1. 22. Nr. 1 nur anschließen, daß die neuen 
Bezeichnungen wohl oft geäußerten Wünschen aus Apotheker¬ 
kreisen entsprechen, jedoch was speziell den Praktikanten an¬ 
betrifft, die Stellung unzutreffend bezeichnen. Hoffentlich 
werden sich auch die Leistungen und der Eifer der Praktikanten, 
die nach meinen Erfahrungen schon seit Jahren immer mehr 
nachlassen, auf Grund dieser gehobenen Stellung bessern. 

Zu § 47. Apothekenwesen: 

ln Absatz 3 ist hinter die Worte „unbefugtes Halten von 
Lehrlingen“ einzuschieben „sowie gesetzwidrige Verwendung 
ungelernten Personals“. Es muß von uns Kreisärzten mit allen 
Mitteln dem Ueberhandnehmen sogenannter Helferinnen Einhalt 
getan werden. Kommen doch gerade von ihnen nicht selten 
Uebergriffe vor, zumal die Apothekenbesitzer mit ,Rücksicht 
auf Kostenersparnis sie mit Arbeiten und Funktionen betrauen, 
die lediglich gelerntem Personal Vorbehalten sind. Bereits vor 
Jahresfrist hat der Verband deutscher Apotheker hierüber 
Klage geführt. 

Dem Absatz 4 schlage ich vor, folgende Fassung zu geben: 

„Bei der Musterung sind die Praktikanten in der pharma¬ 
zeutischen Wissenschaft im Beisein des Kreisarztes von dem 
Lehrherrn zu prüfen, im übrigen vom Kreisarzt.“ 

Zu § 48. Im Absatz 3 müßte statt der Worte „mit Ab¬ 
lauf der gesetzlichen Frist“ gesagt werden „mit Ablauf der 
festgesetzten Frist“. 


X 



des Preußischen tfedisinalbeamtenvereins. 


827 


§51 ist folgendermaßen zu fassen: 

Der' Kreisarzt hat demjenigen, welcher als Praktikant in 
eine Apotheke eintreten will, auf Grund der ihm vorzulegenden 
Papiere — Zeugnis der Reife von einem deutschen Gymnasium, 
deutschen Realgynasium oder einer deutschen Oberrealschule 
bezw. einer an Mädchenlyzeen errichteten Studienanstalt — 
(Beschluß des Reichsrats vom 22. 7. 20. Volks Wohlfahrt S. 238), 
Zeugnis über die Wiederimpfung, selbst geschriebenen Lebens¬ 
lauf, ein Zulassungszeugnis auszustellen . . . 

§ 52. Prüfung des Personals für Krankenhausapotheken 
muß am Schlüsse folgenden Zusatz erhalten: vergl. Ministerial- 
erlaß vom 2. 6. 1858, vom 6. 4. 1905 M.B1. S. 195 und vom 
18. 11. 1916, S. 401. 

Der letzte Ministerialerlaß schreibt die Dauer mindestens 
eines Jahres zur Ausbildung vor, mindestens 7 Monate hat der 
Unterricht durch einen Apotheker zu erfolgen und 3 Monate 
entfallen auf die Tätigkeit in der Dispensieranstalt des Kranken¬ 
hauses unter Aufsicht und Anleitung der geprüften Apotheken¬ 
schwester. 

§ 54. Besichtigung der Drogen- und ähnlichen Hand¬ 
lungen. 

Zum Schluß des zweiten Absatzes ist hinter Ministerial¬ 
erlaß vom 22. 12. 02 zu setzen: Ministerialerlaß vom 13. 1. 1910, 
Ministerialblatt Seite 65 und Ministerialerlaß vom 22. 11. 1912, 
Seite 385. Hiernach sollen wenigstens einmal jährlich alle 
Handlungen besichtigt werden, in denen die genannten Waren 
allein oder vorzugsweise feilgehalten werden, ferner solche, 
deren Besichtigungen gröbere Mängel ergeben und endlich die 
Drogenschränke, bei kleineren Handlungen darf auch ein Zeit¬ 
raum von 2 bis 3 Jahren liegen. Die Besichtigungen erfolgen 
durch die Polizeibehörde unter Mitwirkung des Kreisarztes, 
auf dessen Erfordern auch die Zuziehung eines approbierten 
Apothekers stattfindet. 

Als neuen dritten Absatz schlage ich vor: 

Dem Kreisarzt steht andererseits das Recht zu, auch selbst¬ 
ständig, nötigenfalls ohne Polizei Revisionen der Drogenhand¬ 
lungen vorzunehraen. 

In den Vorschlägen eines Bezirksvereins habe ich folgenden 
Passus gefunden: „Die Bestimmungen über den Verkehr mit 
Arzneimitteln außerhalb der Apotheken sind grundlegend zu 
ändern. Die Besichtigung der Drogenhandlungen, wie sie jetzt 
ist, ist ein Narrenspiel.“ 

Es kommt tatsächlich bei der bisherigen Form der Revision 
der Drogenhandlungen sehr wenig heraus, wie wir wohl alle 
erfahren haben; die einzelnen Gerichtsentscheidungen zudem 
sind einander so widersprechend, eine positive Liste für die 
Drogisten fehlt, in Nebenräumen bezw. eingebauten Schränken 
wird unseren Blicken vieles entzogen. Ich glaube sicher, wenn 
dem Kreisarzt das Recht zur selbständigen Besichtigung zu¬ 
erkannt wird, werden wir mehr erreichen, weil durch die 



828 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 

unteren Polizeiorgane die Revisionstermine häufig verraten 
werden. 

Was die Drogenschränke anbetrifft, die speziell auf dem 
Lande vielfach anzutreffen sind, so halte ich für diese eine Be¬ 
sichtigung in Abständen von 2—3 Jahren für vollkommen aus¬ 
reichend, sie müssen den kleinen Handlungen gleichgestellt 
werden, es werden gerade bei diesen Revisionen wenig Vor¬ 
schriftswidrigkeiten festgestellt. 

Zu § 57. Hebammenwesen. 

Wenn das Hebammengesetz auch noch nicht verabschiedet 
ist, so möchte ich doch in Kürze einige wichtige, notwendig 
erscheinende Aenderungen vorschlagen, schon mit Rücksicht 
auf das neue Hebammenlehrbuch. 

Absatz 1 soll lauten: Die Berufstätigkeit sämtlicher 
Hebammen des Bezirks untersteht der Aufsicht des Kreisarztes, 
bei welchem sie sich vor Beginn ihrer Berufstätigkeit oder vor 
deren Wiederaufnahme nach längerer, höchstens ein Jahr be¬ 
tragender Unterbrechung unter Vorlegung des Prüfungszeug¬ 
nisses, der erforderlichen Instrumente und Geräte sowie des 
Tagebuchs persönlich zu melden und dem sie auch jeden 
Wohnungswechsel und Verlegung ihres Wohnorts anzu¬ 
zeigen haben. — Hebammenlehrbuch; Ausgabe 1920, S. 415. 
Im Laufe von zwei Jahren ist jede Hebamme mindestens 
einmal an ihrem Wohnort außerordentlich vom Kreisarzt zu 
revidieren. 

Bisheriger Absatz 2 kann wegfallen. 

Neuer Absatz 2: Der Kreisarzt hat insbesondere darauf 
zu achten, daß die Hebammen in Erfüllung der ihnen auf¬ 
erlegten Verpflichtungen jeden Fall von Fieber, der während 
der Geburt festgestellt wurde, sowie von Fieber im Wochen¬ 
bett oder nach Fehlgeburt von mehr als 38 Grad anzeigen sowie 
jeden Todesfall einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin, 
sowie jeden in den ersten 10 Lebenstagen erfolgten Tod eines 
Neugeborenen — vergl. §§ 481, 482 des Hebammenlehrbuchs, 
Ausgabe 1920. 

Zusatz zu letztem Absatz: Ministerialerlaß vom 3. 12. 21. 

Hiernach müssen auch die Zahlen der Aborte und Früh¬ 
geburten, soweit sie dem Standesbeamten nicht meldepflichtig 
sind, angegeben werden, außerdem die Zahl der während der 
ersten 10 Tage nach der Geburt erkrankten und gestorbenen 
"Neugeborenen; früher betrug der Zeitraum 14 Tage. 

Zu § 60. Was die Prüfung der zum Hebammenberuf sich 
meldenden Personen anbetrifft, so glaube ich mich, ohne weiter 
des Näheren auf die bereits in der Zeitschrift für Medizinal« 
beamte gepflogenen Erörterungen eingehen zu wollen, des Ein¬ 
verständnisses der Mehrzahl der Herren Kollegen sicher, wenn ich 
hierfür wie bisher den Kreisarzt als die gegebene Persönlichkeit 
erachte und mich gegen jede Aenderung des Absatz 1 aus¬ 
spreche. 



des Preußischem Mediiinalbeamteurereina. 


329 


Zu § 61 Abs. 5 empfehle ich folgenden Zusatz: 

„Ueber den Ausfall der Nachprüfung ist ein Vermerk in 
das Tagebuch und die Personalakten der Hebamme einzutragen*. 

Abs. 6 soll folgende Fassung erhalten: „Diejenigen Heb¬ 
ammen, welche den Anforderungen der Nachprüfung genügen 
und sich auch sonst als tüchtig bewähren, wird der Kreisarzt 
in ihrem Beruf zu fördern suchen. Bei denjenigen, welche eine 
vorgeschriebene Nachprüfung zweimal hintereinander nicht be¬ 
stehen, einen angeordneten Fortbildungslehrgang ohne Qrund 
versäumen oder sonst den in § 9 des Heb. Ges. gestellten Be¬ 
dingungen nicht entsprechen, hat er die Zurücknahme der 
Niederlassungsgenehmigung bezw. des Prüfungszeugnisses zu 
beantragen.* 

§ 62 Abs. 2 soll lauten: 

„Bei der Bildung und Abgrenzung der Hebammenbezirke, 
bei der Annahme von Bezirkshebammen auf Grund statu¬ 
tarischer Regelung durch Dienstvertrag hat der Kreisarzt sich 
dem Kreisausschuß gegenüber gutachtlich zu äufiern, überhaupt 
bei der Durchführung des Heb. Ges. insbesondere bei den in 
§ 33 des Ges. genannten Angelegenheiten mitzuwirken. 

Abs. 3 fällt weg. 

§ 63 ist dahin abzuändem: 

„Besondere Aufmerksamkeit hat der Kreisarzt auf die ge¬ 
werbsmäßige sowie auf die nicht gewerbsmäßige Vornahme 
geburtshilflicher Handlungen durch Frauen zu richten, welche 
weder eine ärztliche Approbation noch ein HebammenzeugniB 
besitzen, und gegebenenfalls deren Bestrafung zu veranlassen*. 

Zu § 65, welcher entsprechend dem Vorschlag des Herrn 
Kollegen Wollenweber der Abänderung bedarf, erscheint 
mir noch der Zusatz wichtig, daß der Kreisarzt bei Beur¬ 
laubungen speziell von Desinfektoren und Gemeindeschwestern 
stets in Kenntnis zu setzen ist, da nach meinen Erfahrungen 
schon häufiger bei Ausbruch von Seuchen durch die Unter¬ 
lassung dieser Mitteilung größere Schwierigkeiten und Mißstände 
hervorgerufen sind. 

§ 67 Desinfektoren. 

Für Abs. 1 schlage ich folgenden Zusatz vor: 

„Weiterhin hat der Kreisarzt Sorge zu tragen, daß die Ge¬ 
meindeschwestern und sonstigen Krankenpflegepersonen in der 
Desinfektion ausgebildet werden, am besten in einer staatlichen 
Desinfektorenschule. Er soll ferner dahin wirken, daß die Des¬ 
infektionsmittel von den Kommunen oder den Kommunalver¬ 
bänden beschafft und für die laufende und Schlußdesinfektion 
zweckmäßig ganz aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung ge¬ 
stellt werden.“ 

Absazt 2 soll lauten: 

„Der Kreisarzt beruft die Desinfektoren von 3 zu 3 Jahren 
zur Nachprüfung ein.“ Die Worte „und zwar die von einem 
Kommunal verbände angestellten durch Vermittlung der Kom¬ 
munalbehörde“ fallen weg. Die Prüfung hat sich aut die Grund- 



330 


Bericht über die XXXUL Hauptversammlung 


züge der Bakterienkunde, die Entstehung und Verbreitung der 
übertragbaren Krankheiten, die Desinfektionsmittel und Desin¬ 
fektionsapparate und deren Anwendung gemäß der Desinfektions¬ 
anweisung nach dem Ministerialerlaß vom 8. 2. 21. (Volkswohl- 
fahrt S. 191—193) zu erstrecken. 

Absatz 3 ist dahin zu ändern: „Ueber den Ausfall der 
Nachprüfung ist ein Vermerk in die Akten einzutragen.“ 

Das genügt m. E. vollständig, der Erteilung eines Aus¬ 
weises bedarf es nicht. 

Zu § 69 Ortsbesichtigungen: 

In Absatz 2 fällt weg „Im Einvernehmen mit dem Landrat.“ 

Ueber die Reihenfolge und die Zeiträume, in denen Ort¬ 
schaften zu besichtigen sind, kann und muß allein das Urteil 
des Kreisarztes maßgebend sein, da dies eine rein hygienische 
und keine Verwaltungsangelegenheit ist. 

Abs. 3 soll mit Rücksicht darauf, daß Ortspolizeibehörden 
nur in seltenen Fällen zu den Ortsbesichtigungen erscheinen, 
Gemeindevorsteher gleichfalls häufiger fehlen, die Benachrichti¬ 
gung des Landrats doch nur ausnahmsweise Zweck hat, folgende 
Fassung erhalten: 

„Zu den Besichtigungen müssen die Ortspolizeibehörden 
und Gemeindevorsteher erscheinen, Gesundheitskommissionen 
sind in denjenigen Orten, in welchen sie bestehen, nach Möglich¬ 
keit zuzuziehen. Die entsprechende Benachrichtigung hat tun¬ 
lichst 8 Tage vorher stattzufinden. Die Besichtigung der Do¬ 
mänen ist wenigstens 14 Tage vorher bei der Regierung, 
Domänenabteilung, anzumelden. Falls dem Kreisarzt in be¬ 
sonderen Fällen die Teilnahme des Landrats von Wichtigkeit 
erscheint, hat er demselben von den angesetzten Terminen Mit¬ 
teilung zu machen.“ 

Absatz 6. Ueber das Ergebnis der Besichtigung ist eine 
Verhandlung nach Formular VII aufzunehmen und von den 
Beteiligten zu vollziehen, der Kreisarzt hat diese mit seinen 
Vorschlägen dem Landrat zu übersenden. Ich halte die Auf¬ 
nahme der Verhandlung — abgesehen von Domänenbesichti¬ 
gungen — in einem Stück für vollkommen ausreichend. Soll 
der Kreisarzt auch die zweite Ausfertigung schreiben, so be¬ 
deutet dies für ihn eine große Belastung und Zeitversäumnis, 
überläßt er es wiederum dem Gemeindevorsteher, der bei uns 
im Osten wenigstens sehr ungeeignet dazu ist, so hat' man 
noch mehr Arbeit durch die vielfachen notwendigen Umände¬ 
rungen und Verbesserungen. In den Registraturen der Ge¬ 
meindevorsteher sucht man überdies meist vergebens nach der 
Besichtigungs verhan dlung. 

Uber den Wert der Ortsbesichtigungen kann man ver¬ 
schiedener Meinung sein. Eins steht jedenfalls fest, daß diese 
Besichtigungen in ländlichen Bezirken heute mit großen Kosten 
verbunden sind, die häufig in keinem Verhältnis zu den Er¬ 
folgen und dem Erreichten stehen. Für Schulen erscheint mir 
die Zeitspanne von 5 Jahren zu weit, für rein ländliche Ort- 



des Preußischen Medizinalbeamtenyereins. 


881 


schäften ohne industrielle Betriebe wird der Zeitraum weiter 
gefaßt werden können. 

§ 78. Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und 
Gebrauchsgegenständen. 

Zu Absatz 1 ist folgender Zusatz notwendig: 

„Die Untersuchungsergebnisse und etwaige Bestrafungen der 
Beteiligten sind dem Kreisarzt regelmäßig mitzuteilen. 0 

In § 79 ist am Schlüsse der Erlaß betreffend Grundsätze 
für die Regelung des Verkehrs mit Kuhmilch als Nahrungs* 
mittel für Menschen vom 26.7.1912 M. Bl. S. 246—248 anzuführen. 

§ 80 Abs. 2 ist dahin zu ergänzen: 

Erlaß betreffend Benachrichtigung der Kreistierärzte bei 
Fleischvergiftungen vom 25. 2. 1914 M. Bl. S. 117, 118. 

Erlaß betreffend Nachprüfung der Fleischbeschau bei Fest¬ 
stellung von Fleischvergiftungen vom 19. 5. 1914 S. 207, 208. 

x Zu § 81 „Beaufsichtigung der Mineralwasserfabriken 0 
empfehle ich am Schluß folgenden Zusatz: 

„Wird kein destilliertes Wasser oder nicht Wasser aus öffent¬ 
lichen Wasserleitungen verwendet, sondern undestilliertes Was¬ 
ser anderer Herkunft, so darf letzteres nur dann zur Verwen¬ 
dung zugelassen werden, wenn der Unternehmer auf Grund 
einer örtlichen Besichtigung der Entnahmestelle durch den Kreis¬ 
arzt und alljährlich einmal vorzunehmender chemischer und 
bakteriologischer Untersuchung des Wassers durch geeignete 
Sachverständige nachweist, daß das Wasser einwandfrei ist. 0 
(Ministerialerlaß vom 26. 8. 1912 S. 305—809.) 

§ 81 a. Bekämpfung des Alkoholismus. 

Absatz 1 Satz 2 soll dahin geändert werden: 

„Er hat die ihm seitens der zuständigen Behörden mitzu¬ 
teilenden Anträge und Gesuche daraufhin zu prüfen, ob nach 
Maßgabe der örtlichen Verhältnisse Einschränkungen usw. 
wünschenswert erscheinen, ferner die Einrichtung von Beratungs- 
Fürsorgestellen und Heilstätten für Alkoholkranke anzuregen. 0 

Zusatz zu Abs. 2 am Schluß: 

„Insbesondere dem Deutschen Verein gegen den Alkoholis¬ 
mus Berlin-Dahlem. 0 

Absatz 3 erhält unter Beibehaltung des ersten Satzes fol¬ 
gende Fassung: 

„Der Schul- und Fortbildungsunterricht, die Volksunter¬ 
haltungsabende, die Impftermine, öffentliche Vorträge aller Art, 
Verteilung von Merkblättern bieten die Gelegenheit, die Be¬ 
lehrung weitesten Kreisen zugänglich zu machen. Mittel zur 
Förderung dieser Bestrebungen sind aus dem dem Herrn Minister 
für Volks Wohlfahrt zur Verfügung stehenden, aus dem Ertrage 
des Branntweinmonopols gebildeten Fonds, zu erbitten. 0 

§ 82. Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krank¬ 
heiten. 

Absatz 4 wird zweckmäßig folgende Fassung erhalten: 

„Der Kreisarzt hat, sobald er von dem Ausbruch einer 
übertragbaren Krankheit Kenntnis erhält, möglichst umgehend 



332 Bericht über die XXXI11. Hauptversammlung 

an Ort und Stelle die erforderlichen Ermittelungen vorzu¬ 
nehmen. 0 

ln c. ß. fällt weg: 

„Im Einverständnis mit dem Landrat — in Stadtkreisen 
der Ortspolizeibehörde. —“ 

Im vorletzten Absatz müssen gleichfalls die Worte „soweit 
der Landrat — in Stadtkreisen die Ortspolizeibehörde — damit 
einverstanden ist“ gestrichen werden. 

Der letzte Absatz erübrigt sich vollkommen. 

§ 84III c ist dahin abzuändern: 

„Geschlechtskranke, an Syphilis, Tripper und Schanker lei¬ 
dende Personen, welche gewerbsmäßig Unzucht treiben oder 
bei denen sonst die Gefahr besteht, daß sie ihre Krankheit 
weiter verbreiten (Verordnung der Reichsregierung vom 11. 12. 
1918 zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten). 

§ 86 erhält in Anpassung an die Beschlüsse des Bundes¬ 
rats zur Ausführung des Impfgeschäfts vom 22. 8. 17 folgenden 
Wortlaut: 

„Die Bestellung der Impfärzte erfolgt durch die Staatsbe¬ 
hörde. Der Kreisarzt ist vor der Anstellung derselben bezüg¬ 
lich ihrer Befähigung sowie über die Abgrenzung der Impf¬ 
bezirke zur gutachtlichen Aeusserung aufzufordern. 

, Das öftentliche Impfgeschäft ist vorzugsweise den Kreis¬ 
ärzten zu übertragen. Nicht beamtete Aerzte sind bei der 
Uehernahme der öffentlichen Impfung ausdrücklich in Pflicht zu 
nehmen.“ 

Zu § 89. „Aus den Berichten der Impfärzte und den Impf¬ 
listen hat der Kreisarzt einen Hauptimpfbericht gemäß Ministerial- 
erla^nvom 26. 7. 17. und 21. 4. 18. zusammenzustellen usw.“ 

, Bezüglich des Impferysipels wird auf Ministerialerlaß vom 
28. jl. 22. hingewiesen. 

, Zu § 90 schlage ich einen neuen dritten Absatz vor: 

„Die Einrichtung von Beratungsstellen für Geschlechts¬ 
kranke hat der Kreisarzt, soweit es die örtlichen Verhältnisse 
gestatten, anzuregen und durch Vorträge auf die Bevölkerung 
auf klärend und belehrend einzüwirken. Er hat sich zu diesem 
Zwecke auch die Propagandatätigkeit der Deutschen Gesellschaft 
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Berlin W Wil- 
helmstr. 48 zu nutze zu machen. Wo ein Facharzt nicht zur 
Verfügung steht, soll er sich, soweit es seine sontsigen Dienst¬ 
geschäfte gestatten, zu dieser Tätigkeit in der Beratungsstelle 
bereit finden.“ 

§ 92 Mitwirkung bei Gewerbeaufsicht. 

Abs. 2 soll lauten: 

„Es steht ihm das Recht zu allein, auch unangemeldet die 
Gewerbebetriebe seines Amtsbezirks zu besuchen, namentlich 
durch Beobachtung der Tätigkeit, erforderlichenfalls auch durch 
Befragen und Untersuchung von Arbeitern, Feststellungen zu 
machen, ob und wodurch deren Gesundheit Schaden erleidet. 
Ueber Abstellung etwaiger Schädigungen und Belästigungen hat 



des Preußischen Medizinalbe&mtenvereins. 


388 


er sich mit den zuständigen Behörden insbesondere dem Ge- 
werbeaufsichsbeamten ins Einvernehmen zu setzen und nach Be¬ 
dürfnis eine erneute Besichtigung vorzunehmen. Falls eine Eini¬ 
gung über die Massnahmen nicht erzielt wird, hat der Medizinal¬ 
beamte die Entscheidung der Aufsichtsbehörden herbeizuführen. 
Der Kreisarzt und der zuständige Gewerbemedizinalrat haben 
zusammen zu arbeiten, indem sie sich ihre Beobachtungen über 
gewerbliche Schädigung der Arbeiter und Belästigung der Um¬ 
gebung mitteilen und nach Bedürfnis gemeinschaftliche Besichti¬ 
gungen ausführen.“ 

§ 94 Schulhygiene, 

Abs. 3 soll den Zusatz erhalten: 

„Ueber das Yeranlaßte ist dem Kreisarzt Mitteilung zu 
machen.“ Bisher hörte man nur in den seltensten Fällen, ob und 
inwieweit die Vorschläge durchgeführt sind. 

Zusatz zu Abs. 4. 

„Vor der Genehmigung einer deratigen Anstalt ist der 
Kreisarzt. zu hören und über die erfolgte Genehmigung ihm 
Mitteilung zu machen“. 

Neuer Absatz 8: 

„Der Kreisarzt hat auf Ersuchen der Magistrate an den 
Sitzungen der Schuldeputationen teilzunehmen und ist, sofern 
gesundheitliche Fragen erörtert werden, regelmäßig zur Teil¬ 
nahme einzuladen. Bei der Anstellung von Schulärzten ist ihm 
die Dienstanweisung zur gutachtlichen Aeußerung vorzulegen. 
An der schulärztlichen Tätigkeit soll er, soweit es seine sonsti¬ 
gen Dienstgeschäfte zulassen, möglichst beteiligt werden.“ 

§ 100 Abs. 1. „Beaufsichtigung der Krankenanstalten“ ist 
nach Erweiterung der Besichtigungspflicht auf die Kranken¬ 
häuser des Johanuiterordens und die Versorgungskrankenhäuser 
gemäß Ministerialerlaß vom 30. 7. 20 und 21. 11. 21 abzuändem. 

Als Zusatz zu Abs. 1 schlage ich vor: 

„ln den Krankenanstalten soll tunlichst nur noch vor¬ 
schriftsmäßig ausgebildetes Pflegepersonal beschäftigt werden — 
Ministerialerlaß vom 19. 7. 21.“ 

Auf genügende und rechtzeitige zahnärztliche Versorgung 
der Krankenhausinsassen ist gleichfalls zu achten — Ministerial¬ 
erlaß vom 31. 10. 21.“ 

Vor § 101 ist ein neuer unter der Ueberschrift: „Bevöl¬ 
kerungsbewegung und Statistik“ einzugliedern. 

§ 101. „Uebersichten über die Eirankenbewegung“ ist ent¬ 
sprechend dem Ministerialerlaß vom 11. 9. 16 dahin abzuändern: 

„Die von den Heilanstalten alljährlich bis zum 1. Februar 
an die Kreisärzte einzureichenden Tabellenformulare über die 
Krankheitsverhältnisse des Vorjahres hat dieser spätestens am 
1. März an das statistische Landesamt weiter zu geben.“ 

Zu § 106. „Aerztliche Hilfe in Notfällen“ ist von einer 
Seite folgende Aenderung vorgeschlagen: 



884 Bericht aber die XXXIII. Haaptvers&mmlarg 

Statt „der Kreisarzt“ muß es heißen „der Praxis ausübende 
staatliche Medizinalbeamte“, da der nicht Praxis ausübende die 
Verantwortung infolge des Fehlens der nötigen Instrumente 
und Medikamente nicht tragen kann. Ich glaube die hieraus 
sprechenden Bedenken sind wohl mehr theoretischer wie prak¬ 
tischer Natur.' Selbstverständlich kann und wird es von keinem 
Kreisarzt verlangt werden, daß er zu diesem Notfallzwecke An¬ 
schaffungen macht, um vielleicht in Abständen von Monaten 
oder Jahren davon Gebrauch zu machen. Bedenklicher er¬ 
scheint mir, daß das Publikum bei einem Aerztestreik aus dem 
§ 106 Folgerungen ziehen könnte, die uns in schwere Gewissens¬ 
und kollegiale Konflikte zu bringen geeignet sind. Ich bin der 
Ansicht, der § 106 könnte vollkommen fallen, da die ärztliche 
Hilfe in Notfällen eine so selbstverständliche Standespflicht ist, 
daß sie nicht noch durch einen besonderen § für uns Kreis¬ 
ärzte festgelegt werden braucht. 

§ 107 „öffentliches Badewesen“ Abs. 1 erhält den Zusatz: 
„vergl. Ministerialerlaß vom 11. 7. 10. betreffend Anleitung 
und Förderung des Badewesens“. 

§ 111. „Leichenbeförderung“ ist folgendermaßen abzuändern 
auf Grund des Ministerialerlasses vom 3. 1. 22.: 

„Bei Beförderung von Leichen nach dem Auslande oder 
behufs Feuerbestattung sowie bei Beförderung im Inlande, so¬ 
fern der Tod an Pocken, Fleckfieber, Cholera und Pest erfolgt 
ist, ist die Ausstellung einer amtsärzlichen Bescheinigung not¬ 
wendig. In allen anderen Fällen genügt eine ärztliche Be¬ 
scheinigung über die Todesursache für die Ausstellung eines 
Leichenpasses — Ministerialerlaß vom 3. 1. 22“. 

Absatz 3 Satz 1 ist dahin zu fassen: 

„Für die Beförderung der Leichen von Personen die an 
einer gemeingefährlichen Krankheit gestorben sind, nach einem 
anderen, als dem ordnungsmäßigen Beerdigungsort, ist die Aus¬ 
stellung der amtsärztlichen Bescheinigung zu versagen“. 

Bezüglich der Einschränkung der amtsärztlichen Beschei¬ 
nigungen bei Leichentransporten sind bereits in einem Artikel 
der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 20. 2. 22. Nr. 4 von 
dem Herrn Kollegen Jorns schwere Bedenken geltend gemacht, 
welche sich in sanitätspolizeilicher Beziehung speziell auf dem 
platten Lande hieraus ergeben. Als Kreisarzt eines im wesent¬ 
lichen ländlichen Kreises weiß ich alle diese Bedenken sehr 
wohl zu würdigen. Auch meines Erachtens wird durch dieses 
weitgehende Zugeständnis gegenüber den prakt. Aerzten und 
die erweiterten Befugnisse uns Medizinalbeamten die Seuchen¬ 
bekämpfung sehr erschwert werden, zumal doch sogar für die 
Leichenbeförderung von zwei gemeingefährlichen Krankheiten 
wie Gelbfieber und Aussatz — letzterer kommt doch in den 
östlichen Provinzen auch vor — amtsärztliche Zeugnisse nicht 
mehr notwendig sind. 



des Preußischen Medizinalbeamtenyereins. 


335 


Als 4. und neuen Absatz zu § 111 schlage ich vor: 

„Inwieweit bei ärztlichen Bescheinigungen über die Todes¬ 
ursache zum Zwecke der Feuerbestattung an Stelle des Kreis¬ 
arztes der besondere Gerichtsarzt oder Aerzte größerer Kranken¬ 
häuser zuständig sind, regelt sich nach den Ministerialerlassen 
vom 29. 9. 11. und 5. 6. 19.“ 

§ 113. Begräbnisplätze. 

Absatz 1 erhält folgende Fassung: 

„Die Genehmigung zur Anlegung neuer und der Erwei¬ 
terung bestehender Begräbnisplätze ist von der Beibringung 
eines kreisärztlichen Zeugnisses über die Geeignetheit abhängig 
zu machen — Ministerialerlaß vom 4. 7. 10. 

Zu § 115. „Vertrauensärztliche Tätigkeit“: 

f. „Reklamationsatteste“ ist zu streichen, zu n. ist „Kreis¬ 
kommunalarzt“ zuzusetzen, o. „Zeugnisse über Militärtaug¬ 
lichkeit bei Naturalisierungsanträgen“ fällt weg. 

Dafür kommen als vertrauensärztliche Tätigkeit neu hinzu: 

„Gesundheitszeugnisse, welche zum Eintritt in Reichswehr 
oder Marine vorgesehen sind; 

die Tätigkeit als Gerichtsarzt, soweit Leichenschau, 
Leichenöffnung und wissenschaftliche begründete Gutachten 
hierüber sowie über Geisteszustandsuntersuchungen in Frage 
kommen“. 

§ 116. „Amtlicher Schriftverkehr“ wird dahin abgeändert: 

„Berichte sind auf der ersten Seite in halber Breite, von 
da ab in dreiviertel Breite zu schreiben. Die Worte „des 
Bogens“ fallen weg, da bei kleineren Berichten ein viertel Bogen 
genügt und bei der großen Papierteuerung und Knappheit auch 
in dieser Beziehung Sparsamkeit geübt werden muß. 

Zu § 117 ist der Zusatz notwendig „nach dem Muster 
Volkswohlfahrt 1922 S. 25 bis 39 (Ministerialerlaß vom 3.12.21).“ 

In § 118 Absatz 2 fallen die Worte: „Durch Vermittelung 
des Landrats“ weg. 

Dieser Durchgang der Liquidation durch den Landrat er¬ 
scheint mir zwecklos, die Kontrolle des Landrats einem gleich¬ 
berechtigten Beamten gegenüber unwürdig. 

§ 121 erhält folgende Fassung: 

„Die amtlichen Sendungen sind unter Aufdrückung des 
Dienstsiegels mit Dienstmarken zu versehen. Das Portobuch ist 
nach den geltenden Vorschriften ordnungsmäßig zu führen, am 
31. März jeden Jahres für das Rechnungsjahr abzuschließen 
und mit Richtigkeitsbescheinigung an den Regierungspräsidenten 
einzureichen“. 

§ 122. Geschäftsbücher und Listenführung: 

Ziffer 9 ist dahin abzuändem: „Krüppelstammliste und 
Krüppelnachweisung“. 



336 


Bericht über die XXXILL Hauptversammlung 


Die neue Ziffer 10 soll lauten: 

„Verzeichnis des Krankenpflege- und Fürsorgepersonals“. 

Die neue Ziffer 11 soll lauteu: 

„Verzeichnis der in Privatpflege untergebrachten Geistes¬ 
kranken und Geistesschwachen“. 

M. H.! Ich bin mir wohl bewußt, die Abänderungen aller 
derjenigen Paragraphen unserer Dienstanweisung, die Ihnen 
vielleicht dringlich erscheinen, nicht völlig erschöpft zu haben. 
Aber ich mußte mich bescheiden; vergessen Sie nicht, daß 
noch eine größere Anzahl von Gesetzen in Vorbereitung sind, 
die wiederum erneut eine Abänderung verlangen werden. In 
unserer heutigen Zeit, in der die einzelnen Erlasse und Ver¬ 
fügungen sich jagen, kann eine Dienstanweisung für Kreisärzte 
nicht mehr auf längere Zeit, sondern nur auf eine Reihe von 
Jahren festgelegt werden. Es kommt daher m. E. darauf an, 
daß in Bälde unsere Dienstanweisung eine andere Fassung er¬ 
hält auf Grund der notwendigsten Forderungen und der An¬ 
regungen, wie sie von den einzelnen Bezirksvereinen gegeben 
und bei der Aussprache gewiß noch eine Ergänzung er¬ 
fahren werden. 

Die Dienstanweisung wird vielfach einen anderen Wortlaut 
erhalten, angepaßt den heutigen Bedürfnissen und der neuen 
Zeit, der Buchstabe wird ein anderer sein. Aber eins, wollen 
wir hoffen, wird das alte, das gleiche bleiben und keine Aen- 
derung erfahren, es ist der Geist, in dem auch die neue, ab¬ 
geänderte Dienstanweisung von uns beachtet und befolgt werden 
wird. Es ist der Geist der Pflichttreue und nie versagenden 
Schaffensfreudigkeit, der uns stets beherrscht hat und auch 
fernerhin leiten soll. 

(Lebhafter Beifall.) 


Zweiter Sitzungstag. 

Freitag, den 28. April 1922. 

IY. Die Gebührenordnung für Kreis- 
und Gerichtsärzte. 

Berichterstatter Med.-Rat Dr. Rogowski-Berlin nimmt die 
einzelnen Paragraphen der Gebührenordnung mit den vorzu¬ 
schlagenden Aenderungen vor, woran sich dann gleich die Aus¬ 
sprache schließt und die einzelnen Paragraphen beschlossen werden. 
Der alsdann angenommene Entwurf findet sich hier am Schluß 
der Besprechung. 

§ 1 wird ohne Diskussion angenommen. 

§ 2 bleibt in der alten Fassung. 

| 3 wird ohne Aussprache angenommen. 

g 4 wird angenommen, nachdem Wirkl. Geb. Ob.-Med.-Bat Dietrich 
sich dazu geäußert hatte. 



des Preußischen Medizin&lbeamtenrereins. 


337 


§ 6 wird angenommen mit dem Antrag, den zweiten Teil za streichen, 
ebenso mit dem Antrag auf Ersatz der Fahrkosten am Orte. 

§ 6 wird in der alten Fassang angenommen, nachdem Geh.-Rat 
Bapmand and der Vorsitzende dafür eingetreten waren. 

§ 7. Geh. Med.-Rat Forstreuter-Königsberg: Unser Bezirksverein be¬ 
antragt an dieser Stelle zn sagen: „ln den Fälien nach §§ 2 and 3 werden 
Tagegelder nar insoweit gezahlt, als sie die Gebühren für die amtliche Tätig¬ 
keit am Tage der Verrichtung übersteigen.“ Bei uns kommt es vor, daß wir 
drei Tage unterwegs sind. Dann bekommen wir eventl. bei der Verrechnung 
gar keine Tagegelder. Das muß fortfallen. Wir beanspruchen auch die Tage- 

f elder für den Tag der Abwesenheit. (Zuruf: Das ist selbstverständlich.) 

las ist nicht selbstverständlich. Es besteht darüber eine gerichtliche Ent¬ 
scheidung, daß für den Tag die Gelder abgezogen werden, wenn die Tage¬ 
gelder weniger betragen wie die Gebühren. Um völlige Klarheit za schaffen, 
möchte ich daher diesen Passns aufgenommen haben wissen. 

Vorsitzender: Ich bin auch dafür, daß wir diesen Passus aufnehmen. 
Dr. Schals: Es besteht tatsächlich eine Entscheidung des Oberlandes¬ 
gerichts Stettin, auf die sich alle Amtsrichter berufen. Ich habe es durch- 
gefochten and mich beschwert darüber. Das Gericht Insterbarg entschied 
ebenso, aber das Landgericht hat anders entschieden. 

Der Antrag Forstrenter wird angenommen. 

Dr. Wollenweber: Im Absatz 1 des § 8 heißt es: .Für die Gebühren 
ist der dem Gesetz beigefügte Tarif maßgebend.“ Ein solcher Tarif hat keine 
Labilität. Die Verhältnisse ändern sich aber jetzt so außerordentlich schnell, 
daß ein gesetzlich auf lange Dauer gebundener Tarif für uns eine Benach¬ 
teiligung bedeutet. Ich schlage deshalb vor: „Für die Gebühren ist der Tarif 
maßgebend, der vom Staatsministerium erlassen wird.“ Dann bat das Staats- 
ministerium das Recht, die Gebühren schnell and leicht zu ändern. Werden 
sie aber darch das Gesetz festgelegt, so ist keine Labilität möglich, weil 
jedesmal eine Gesetzesänderang erforderlich wäre. 

Dr. Rogowski: Was Dr. Wollenweber vorschlägt, ist eine Er¬ 
schwerung gegen den bisher bestehenden Zustand. Bisher war der Mi¬ 
nister für Volkswohlfahrt berechtigt, den Tarif abzaändern. Ich schlage vor, 
daß der Minister für Volkswohlfahrt im Benehmen mit den anderen Ministern 
eine Aenderang des Tarifs vornehmen kann. 

Geh. Rat Dietrich: Gestatten Sie mir hierzu eine Bemerkung. In dem 
Gesetzentwurf, der diesem Gesetz vorausgegangen ist, war die Bestimmung 
vorgesehen, daß der Minister für Medizinalangelegenheiten in Gemeinschaft 
mit anderen Ministern, ohne jede Mitwirkung des Landtags, den Tarif erläßt. 
Das ist von den Parteien des Landtags, die damals die Mehrheit hatten, ab¬ 
gelehnt worden, weil der Landtag eine dauernde Kontrolle über die Gebühren¬ 
sätze haben sollte. Das gab eine Erschwerung insofern, als damit die Ge¬ 
bührensätze der Kritik des Landtages unterzogen wurden. Wenn es so wäre, 
wie die Ermächtigung zu § 80 der Gewerbeordnung besagt, daß die Zentral¬ 
behörde ermächtigt ist, den Tarif za erlassen, so wäre diese allein zuständig 
and eine Kontrolle des Landtages über die Gebührensätze gesetzlich nicht 
vorgeschrieben. Ich bin gewiß grundsätzlich durchaus dafür, daß die Volks¬ 
vertretung die innere Politik und Regierangsarbeit überwacht und kontrolliert; 
wo es sich aber um spezifisch fach technische Fragen bandelt, ist eine sach¬ 
gemäße Prüfung durch Sachverständige und Verwaltungsbeamte besser als 
eine Kontrolle nach parlamentarischem Regime. Deshalb würde ich es für 
richtig halten, wenn der Antrag Wollenweber angenommen würde. Es ist 
möglich, daß gewisse Schwierigkeiten entstehen, wie Herr Rogowski schon 
sagte. Wenn Sie es jedoch für richtiger halten, daß der Landtag Ihre Ge¬ 
bührensätze regelmäßig nach prüft, dann müssen sie dem Antrag Rogowski 
sastimmen. Ich darf noch das eine geltend machen: Als der Tarif auf das 
Zehnfache erhöht wurde, sind von verschiedenen Seiten des Parlaments erhebliche 
Bedenken geäußert und Abänderungsvorschläge gemacht worden, die sich nach 
in der gleichen Richtung bewegen, wie sie Herr Kollege Rogowski vorge¬ 
schlagen hat, die einen Spielxaom lassen für die Höchst- and Mindestgrenze. 











338 Bericht Aber die XXXIII. Hauptversammlung 

Ich mochte mich daher zusammenfassend dahin äußern, daß es nicht im In¬ 
teresse einer schnellen and fachtechnisch richtigen Festsetzung der Ge¬ 
bührensätze liegt, wenn der Landtag bei dem Erlaß der Gebühren mitwirkt 

Dr. Kortins: Ich möchte Vorschlägen, daß wir möglichst bald eine Aen- 
derang vornehmen und alles vermeiden, was die Aenderung verzögert Bei 
der Aenderung der Gebührenordnung haben wir leicht den Nachteil, daß wir 
nachher Gelder nicht mehr einzieben können. Von Privatpersonen sind wir 
überhaupt nicht in der Lage, nachträglich etwas einzuziehen wie bei den Ge¬ 
richten U8W. Deshalb glaube ich, daß eine möglichst baldige Aenderung bei 
den heutigen teueren Verhältnissen das Wichtigste ist. Das Zehnfache mag 
vielleicht hoch erscheinen, aber wenn man bedenkt, was man früher für 6 Mk. 
kaufen konnte und heute für 60 Hk. kauft, so muß man sagen, daß das ein 
schreiendes Mißverhältnis ist. 

Geh. Bat Rapmund: Ich halte die Bedenken für richtig. Der Tarif ist 
entsprechend den Teuerungsverhältnissen abzuändern. Hierbei darf aber niemals 
eine Nachzahlung erforderlich sein. Wir müssen vielmehr Wert darauf legen, 
daß der Tarif rechtzeitig abgeändert und rechtzeitig bekannt gemacht wird. 

Geh. Bat Dietrich: Es ließe sich so machen, daß der Tarif, der am 
1. April erlassen wird, erst mit dem 15. April in Kraft tritt. Dann weiß jeder, 
wann der neue Tarif Gültigkeit hat, und Nachzahlungen kommen dann nicht 
mehr in Frage. 

Dr. Wollenweber: Wir können unmöglich solche Bestimmungen in das 
Gesetz bringen. Wir können dort nur hineinbringen: „Für die Gebühren ist 
der vom Staatsministefium erlassene den jeweiligen Verhältnissen anzupassende 
Tarif maßgebend.“ Ich bin aber nicht einmal dafür, sondern schlage vor: 
„Für die Gebühren ist der vom Staatsministerium erlassene Tarif maßgebend“. 

Dr. Rogowski: Ich stimme dem Kollegen Wollen weher zu, aber die 
Bedenken sind nur dann gerechtfertigt, wenn der Landtag nicht mitzureden 
hat. Wenn der Landtag mitzureden hat, dann muß in das Gesetz eine Be¬ 
stimmung hinein, daß eine Aenderung des Tarifs entsprechend den Teuernngs- 
verhältnissen stattfinden mnß, damit der Landtag durch diesen Wortlaut des 
Gesetzes auch gebunden ist. 

Vorsitzender: Ebenso wie der Landtag sich das Recht vorbehält, zu 
kontrollieren, kann er auch unsere Bestimmungen herausstreichen, die wir 
darin haben wollen. Die Sache liegt so, daß wir die Sätze durch das Staats- 
ministerium feststellen lassen wollen. 

Der Paragraph wird angenommen (Festsetzung des Tarifs durch das 
8taat8minislerium). 

Ueber die Frage, ob Dienstverrichtungen am Sonntag höher bezahlt 
werden sollen, entspinnt sich eine längere Erörterung. Rogowski ist grund¬ 
sätzlich dafür, Franz, Puppe, Wollenweber bestreiten, daß eine Mehr¬ 
bezahlung für Sonntagsarbeit in das Gesetz kommen kann, vielmehr kann dies 
nur im Tarif selbst zum Ausdruck kommen. 

Vorsitzender: Vor dem Tarif befindet sich ja noch eine Einführnng. 
Da ist die Bestimmung vielleicht unterzubringen. 

Der Paragraph wird angenommen. Die Versammlung ist dafür, daß die 
Sonntagsbestimmung aus dem Gesetz herausgelassen wird. 

Die §§ 9—11 werden ohne Aussprache angenommen. 

Wollenweber: Zu § 12 stelle ich den Antrag, daß hinter „Aerzte* ge¬ 
setzt wird oder „Zahnärzte“. Diese haben den Wunsch ausgesprochen, daß 
sie hier auch berücksichtigt werden. Es kommen Fälle vor, daß ein Zahnarzt 
hinzugezogen werden mnß. 

Geh. Bat Dietrich: Ich unterstütze den Antrag Wollenweber, daß 
hinter Aerzte gesagt wird „oder Zahnärzte“. 

Bei der Abstimmung bleibt der Paragraph bestehen mit dem Zusatz 
„oder Zahnärzte“. 

Geh. Bat Dietrich: Zu § 13 möchte ich bitten eine Bestimmung auf- 
zunehmen, die der Zentralbehörde die Ermächtigung erteilt, auch für die 
Chemiker die Gebühren in Form neuer Verordnung festzusetzen. 

Dr. Rogowski: Nach meinem Empfinden ist ein besonderer Tarif nicht 
erforderlich, weil in dem Tarif für die beamteten Aerzte die chemischen nnd 
bakteriologischen Untersuchungen erwähnt sind. § 13 müßte dann vielleicht 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


389 


so lauten: Wird ein Chemiker hinzugezogen, erhält er für seine Arbeit Ent¬ 
schädigung nach dem Tarif. 

Geh.-Bat Bapmnud wünscht, daß die Chemiker gestrichen werden, da 
sie nicht Beamte sind und unter die Reichsgebührenordnung fallen. 

Die Versammlung erklärt sich, nachdem auch Dr. Wollenweber dafür 
gesprochen hat, für die Einbeziehung der Chemiker in den Entwurf. 

Dr. Bogowskl: Wir kommen jetzt zu dem Tarif und ich schlage Ihnen 
yor, an geeigneten Stellen des Tarifs Mindest- und Höchstsätze einzusetzen, 
um den 'verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen, und 
nach der wechselnden Schwierigkeit der Leistung unsere Gebühren abstufen zu 
können. 

Zur Frage, ob im neuen Tarif Mindest- und Höchstsätze einzuführen 
sind, wird nach Meinungsäußerungen des Vorsitzenden, von Rapmund sen. 
und Rapmund jun. beschlossen, Höchst- und Mindestsätze einzuführen. 

Der Antrag, für Sonntagsarbeit, wenn sie von Behörden oder Privat¬ 
personen verlang wird, doppelt zu berechnen, wird ohne Aussprache an¬ 
genommen. 

Es folgen die §§ 4, 5 und 6. 

Dr. Rogowski: Ich schlage vor, nicht über die Sätze zu beraten, sondern 
beantrage: Der Höchstsatz beträgt das Vierfache des Mindestsatzes. 

Dr. Nowack: Ich halte die Spannung für zu niedrig und beantrage eine 
8pannung von 1: 10. 

Vorsitzender: Es steht zur Abstimmung die Sätze 1:4 und 1:10. 

Die Versammlung erklärt sich für die Spannung von 1:10. 

Die Paragraphen werden angenommen. 

Dr. Rogowski: Jetzt kommt Tarif A: 

Es entspinnt sich eine längere Erörterung über die Fragen: 

1. ob für die Terminsgebühr (I, 1) die Untersuchung während des Termins 
mit abgegolten ist, wogegen sich Rapmund sen. wendet; 

2. ob und inwieweit Unterbrechungen der Verhandlungen in die Terminsdauer 
einzurechnen sind, wozu Angenete, Rapmund sen., Rogowski, Bundt 
und Fewson sprechen. 

Vorsitzender: Es steht also zur Debatte: 1. Unterbrechungen werden 
bezahlt. 2. Die Unterbrechung hat nach dem bisherigen Wortlaut zwei 
Stunden zu dauern oder kann bis zu vier Stunden dauern und dann das Amen¬ 
dement dazu: nach der Unterbrechung von zwei Stunden wird der Termin 
neu bezahlt. 

Die Versammlung lebnt die Anrechnung der Unterbrechung in beliebiger 
Höhe ab und stimmt für Neuberechnung des Termins bei Unterbrechung von 
mehr als 2 Stunden Dauer. 

Dr. Rogowski.: Für Teilnahme an einer Sitzung eines Schiedsgerichts, 
Versicherungsamtes, Versorgunggerichts etc. 

Die Fassung bleibt bestehen mit der Aenderung von Schiedsgericht in 
„Oberversicherungsamt“. 

Nr. 3. Vorbereitung eines zu erstattenden Gutachtens. 

Dr. Bundt: Ich möchte hier die Bedenken äußern, die hauptsächlich die 
Psychiater haben. Dieselben halten es nicht immer für möglich, sich in drei 
Untersuchungen über den Geisteszustand schlüssig zu werden. Ich bitte 8ie, 
sich dazu zu äußern. Wir können es, glaube ich, wohl im allgemeinen dabei 
lassen, da ja die Gerichte auf Antrag wohl stets eine größere Anzahl Vor¬ 
besuche zugestehen. 

Dieser Ansicht wird allgemein zugestimmt. 

Absatz c und d werden angenommen (ohne Debatte). 

N. 4 „Aktendurchsicht“ wird angenommen. 

Geh.-Rat Bapmnud: Die Akteneinsicht muß auch bezahlt werden, wenn 
der Termin nicht stattfindet. 

Nr. 5 wird gestrichen. 

Ueber die Frage, ob bei gerichtlichen Sektionen eine Mindest- und Höchst¬ 
gebühr zu verlangen sei, äußert sich Rogowski zustimmend, während Schulz 
Schwierigkeiten in einer solchen Regelung erblickt. Dazu bemerkt Geh.-Rat 
Dietrich: Ich sehe nicht die großen Schwierigkeiten, wie sie Herr Kollege 
Schulz sieht. Es handelt sich im wesentlichen darum, daß die Leistungen, 






840 


Bericht über die XXXIII. Hanptvers&mmlnng 


die nach Mindestsätzen berechnet werden sollen, in den allgemeinen Be¬ 
stimmungen des Tarifs festgelegt werden. Hier könnte bestimmt werden, daß 
in gerichtsärztlichen Angelegenheiten nnr die Mindestgebühr in Ansatz zn 
bringen sei. Ich wurde dies aber nicht für richtig halten, denn es gibt Ob¬ 
duktionen von ganz verschiedener Zeit- und Arbeitsleistung, von verschiedener 
Qualität in den äußeren Umständen. Auch für die gerichtlichen Obduktionen 
müßten daher Mindest- und Höchstsätze festgelegt werden. 

Dr. Krämer: Es besteht durchaus der Wunsch, daß für gerichtsärzt¬ 
liche Leistungen ein einziger Satz besteht. Außerdem kommt derselbe Ge¬ 
sichtspunkt hier in Frage, der vorhin hier ausgesprochen ist, daß wir über 
der ganzen Sache stehen uud als Beamte nicht einen beliebigen Satz berechnen. 

Dr. Franz: Ich bin sonst für die Spannung in den Sätzen. Nur bei den 
Sektionen bin ich dafür, daß lediglich ein einziger Satz festgelegt wird. Nur 
bei Vergiftungen ist vielleicht eine Ausnahme zu machen. 

Dr. Neubelt: Wir hatten früher schon verschiedene Sätze festgelegt. 
Eine Leiche, die nach sechs Woeben wieder ausgegraben wird, ist eine derart 
unangenehme Sache, das ein höherer Satz berechtigt ist. 

Dr. Bundt: Ich bin ebensowenig wie bei gerichtsärztlichen Terminen für 
Höchst- und Mindestsätze bei Obduktionen zu haben. Wir wollen einen Satz, 
der nicht zu niedrig ist und der ausgleicbend wirkt. 

Dr. Wollenweber: Wenn wir die Verhältnisse allgemein betrachten, so 
erscheint eine besondere Gebühr für besondere Obduktionen nicht notwendig. 
Die Verhältnisse liegen doch praktisch so, daß eine Obduktion oft eine lorcht- 
bar einfache Sache ist, andererseits kommt es vor, daß sie sehr unangenehm 
ist und die dreifache Leistung verlangt. Das gleicht sich aus. Dann, was ist 
das für eine unangenehme Geschichte, sich mit den Gerichten herumzastreiten 
darüber, was eine besonders schwierige Obduktion ist. 

Geh. Bat Dr. Solbrig: Es ist nicht so schwer, im Einzelfall den an¬ 
gemessenen Satz festznlegen. Wenn z. B. eine Vergiftungsobduklion vorliegt 
und die Obduzenten erklären, die Obduktion war schwierig, so ist das ein¬ 
fach bei der Begierung zu prüfen und der doppelte oder noch höhere Satz 
zu bewilligen. 

Dr. Bundt: Wer ist für den einheitlichen Satz? 

Durch Handerheben ergibt sich eine überwiegende Mehrheit für den 
Einheitssatz. 

Von verschiedenen Seiten wird darauf aufmerksam gemacht, daß es ge¬ 
rechtfertigt sei, das Schleifen der Sektionsinstrumente in Ansatz bringen zu 
können. Dazu bemerkt Wollenweber, daß in Bheinland-Weslfalen die 
Obduzenten überhaupt nicht die Instrumente mitbringen, sondern letztere von 
dem Heilgehilfen auf Kosten des Gerichts beschafft werden. 

Dr. Hillenberg: Es besteht die Bestimmung, daß der Kreisarzt für 
die Instandhaltung der Instrumente zu sorgen hat und solange diese Bestimmung 
besteht, können wir nicht darauf bestehen, daß das Messerschleifen bezahlt 
werden muß. 

Der Antrag Bogowski auf besondere Entschädigung für Vorhaltung 
der Instrumente wird angenommen. 

Dr. Rogowski: Bei 11 „Befundschein“ (soll fortfallen), 12 bis 16 wird 
nach den Vorschlägen des Berichterstatters angenommen. 

Bei Punkt 17: Erhöhung des Schreibgebührensatzes um */<, wenn dem 
Gutachten ein Durchschlag beigefügt wird, bemerkt 

Dr. Wollenweber: Ich bin der Meinung, das */* für den Durchschlag 
zu wenig ist. Wir schaffen damit eine ungünstigere Lage als wir sie bereits 
haben. Bei uns ist es so, daß davon */* berechnet wird. 

Dr. Bnndt: Wer ist für */, und wer für */*• 

Die Mehrzahl ist für */*• 

Dr. Forstreuter: Ich bin von meinem Verein beauftragt zu beantragen, 
daß bei Ziffer 18 hinzugefügt wird, Schreibgebühr soll auch in den Fälle 0 
bewilligt werden, in denen der Kreisarzt selbst mit der Schreibmaschine die 
Niederschrift vollzogen hat. In den kleinen Verhältnissen, in denen ein Teil 
der Kreisärzte keine Schreibkraft zom Äbschreiben hat nnd er selbst die Rein¬ 
schrift besorgen maß, erwachsen dem Betreffenden auch Kosten und er kann 
sie nioht liquidieren. 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


841 


Dr. Rogowski: Das habe ich ja auch vorgeschlagen, (Liest den Text 
nochmal vor). 

Betreffend Besichtigung der Apotheken bemerkt Geh.«Bat Rapmund, 
daß er gegen eine Gebühr des Reg.- und Med.-Rats für Besichtigung von 
Apotheken am Wohnorte sei. 

Ihm wird von anderer Seite widersprochen (Solbrig), gerade mit bezug 
auf die zeitraubenden Besichtigungen in großen Städten. 

Dr. Wollenweber: Es ist der dringliche Antrag eingegangen von 
sechs Kollegen: „Die weitere Beratung des Tarifs wird dem Vorstand 
überlassen“. 

Dr. Bundt: Das ist ausgeschlossen. Wir können uns ganz kurz fassen. 
Kollege Dr. Rogowski gibt nur Abänderungen. 

Soll also der Reg.-Med.-Rat an seinem Wohnort für die Apotheken- 
besichtigang Gebühren erheben oder nicht i 

Wer ist für die Gebührenerhebung? 24, also angenommen. 

Beim Thema „Voruntersuchung“ bemerkt Geh. - Rat Rapmond: Es 
entspricht früheren Beschlüssen, daß für die Voruntersuchung besondere Gebühr 
erhoben wird. Es ist ein großer Unterschied, wenn z. B. bei einer Hebamme 
eine Harnuntersuchung gemacht werden muß, ob eine besondere Gebühr er¬ 
hoben wird oder nicht. 

Dr. Bundt: Wer ist dafür, daß die Voruntersuchung auch für diese 
Atteste bezahlt wird? Die Versammlung beschließt, auch für solche Atteste 
Gebühr für Voruntersuchung zu beantragen. Bei Ablehnung eines Attestes 
soll nur die Gebühr für Voruntersuchung erhoben werden. 

Die Vorschläge des Berichterstatters zum Rest des Tarifs werden mit 
geringen Aenderungen angenommen. 

Rogowski wird beauftragt, mit noch zwei Herren die einzelnen Sätze 
festznsetzen, damit für die im Juli in Aussicht genommenen Verhandlungen 
mit dem Minister der Gesetzentwurf vollständig vorgelegt werden kann. 

Besprechung Uber die Vorschläge für die neue Dienstanweisung für die 

Kreisärzte nnd Gerichtsärzte. (Vgl. ersten Verhandlungstag.) 

Dr. Bundt schlägt für die Kommission zur Beratung der Dienstan¬ 
weisung eine Kommission von 5 Herren vor. 

Dr. Wolleuweber wünscht die Kommission wesentlich kleiner. Die Ver¬ 
sammlung ist einverstanden mit einer Kommission für die Dienstanweisung, 
bestehend aus Franz, Puppe, Wollenweber. 

Dr. Bundt: Hält die Versammlung eine besondere Dienstanweisung für 
die Gerichtsärzte überhaupt nötig? Ich bin der Meinung, daß diese sehr wohl 
in der allgemeinen Dienstanweisung unterzubringen ist. 

Geh.-Rat Kapmund betont, daß es erwünscht sei, wenn diejenigen Kollegen, 
die noch besondere Wünsche hinsichtlich der Dienstanweisung haben, diese der 
gewählten Kommission mitteilen. 

Dr. Rogowski: Namens der 7 Berliner Gerichtsärzte habe ich die Er¬ 
klärung abzugeben, daß sie eine besondere Dienstanweisung für die Gerichts¬ 
ärzte nicht für nötig erachten. Die Berliner sind 7, das ist mehr als ‘/* aller 
Gerichtsärzte, das fällt ins Gewicht. 

Dr. Nowak: Ich weiß nicht, ob die Dienstanweisung überhaupt Eile 
hat. Jeder der heute hier war, kann in der Zeitschrift nuchlesen, was hier 
gewesen ist. Anßerdem ist ja über die Dienstanweisung schon eine Anfrage 
bei den Bezirksvereinen gewesen. Wenn diese sehen, was für Leitsätze auf- 
gestellt sind, ob sie sich mit ihren Anträgen decken oder nicht, können sie 
sich dazu äußern oder nicht. 

Dr. Wollenweber: Wir legen großen Wert ( auf die Vorträge als Ganzes. 
Sie können leicht gedruckt werden. Es geht sehr schnell. Der Vorstand bittet 
dann jeden Kollegen, Bedenken oder Vorschläge den Betreffenden vorzulegen. 

Dr. Bundt: Das ist die einfachste Methode. Die Vorträge liegen vor 
und können innerhalb vier Wochen erscheinen. 

Ich frage Sie: Hält die Versammlung eine Neuordnung unserer Dienst¬ 
anweisung für nötig? Ja, also angenommen. 



842 Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 

Hält die Versammlung eine eigene Dienstanweisung für Gerichts&rzte 
für nötig? Nein, also abgelehnt. 

Es genügt also Ihrer Meinung nach eine Einbeziehung in unsere 
gemeine Dienstanweisung. 

Der von der Versammlung beschlossene Entwurf des neuen 
Gebührengesetzes nebst Tarif lautet demnach: 

§ 1. Die Kreisärzte und die Gerichtsärzte erhalten für 
amtliche Verrichtungen (§ 6 des Gesetzes betr. die Dienst¬ 
stellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheits¬ 
kommissionen vom 10.9.99, Ges.S.S. 172), deren Kosten der 
Staatskasse zur Last fallen, soweit dieses Gesetz in den §§ 3 
und 5 nicht ein anderes bestimmt, außer ihren staatshaushalts¬ 
mäßigen Bezügen keine weitere Vergütung aus der Staatskasse. 

§ 2. Bei anderen amtlichen Verrichtungen erhalten die 
Kreisärzte und die Gerichtsärzte Gebühren, und zwar 

1. wenn es sich um ortspolizeiliche Aufgaben handelt^ deren 

Erfüllung den Gemeinden gesetzlich obliegt, von den 

letzteren, auch in Orten oder Bezirken mit staatlicher 

Polizeiverwaltung, 

2. in allen übrigen Fällen von den Beteiligten, in deren Inte¬ 
resse die Verrichtungen erfolgen. 

§ 3. Für die Tätigkeit als gerichtliche Sachverständige 
steht den Kreisärzten und den Gerichtsärzten ein Anspruch auf 
Gebühren zu. 

§ 4. Die vollbesoldeten Kreisärzte haben die ihnen nach 
§ 2 zustehenden Gebühren an die Staatskasse abzuführen. 

§ 5. 1. Die Kreisärzte und die Gerichtsärzte erhalten aus 
der Staatskasse, in den Fällen des § 2 von den Beteiligten, 
Tagegelder und Reisekosten nach Maßgabe der für Staats¬ 
beamte geltenden allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen. 

2. Werden die in den §§ 1 bis 3 bezeichneten amtlichen 
Verrichtungen am Wohnort oder in einer Entfernung von weniger 
als 2 km vom Wohnort des Kreisarztes oder Gerichtsarztes 
vorgenommen, so hat dieser Anspruch auf Ersatz der veraus¬ 
lagten Fahrgelder. 

3. Die Gemeinden und sonstigen Beteiligten sind befugt, 
mit den Kreisärzten und Gerichtsärzten Gewährung von Bausch- 
entschädigungen zu vereinbaren. 

§ 6. 1. Sind mehrere amtliche Verrichtungen auf einer 
Reise in einer Entfernung von mindestens 2 km vom Wohnort 
des Kreisarztes bezw. des Gerichtsarztes vorgenommen worden 
und ist eine Verteilung der Kosten auf die verschiedenen Ver¬ 
richtungen erforderlich, so sind für die ganze Reise Tagegelder 
und Reisekosten nach den für Staatsdienstreisen geltenden 
Sätzen zu berechnen*und gleichmäßig nach der Zahl der Ge¬ 
schäfte auf diese zu verteilen; hierbei gelten mehrere an dem¬ 
selben Orte für denselben Zahlungspflichtigen verrichtete Dienst¬ 
geschäfte der in den §§ 1 und 2 genannten Art als ein Geschäft. 

2. Für die in den §§ 1 und 3 bezeichneten Geschäfte ist 
an Tagegeldern und Reisekosten der nach Absatz 1 berechnete 



des Preußischen Medizinalbeamtenyereins. 


843 


Anteil zu entrichten, jedoch nicht mehr, als wenn zur Aus¬ 
führung des Geschäfts eine besondere Reise unternommen 
worden wäre. 

3. Die vorstehenden Bestimmungen finden ensprechende 
Anwendung auf die bei Verrichtungen am Wohnort oder in 
einer Entfernung von weniger als 2 km von diesem entstan¬ 
denen Auslagen für Fuhrkosten. 

4. Tagegelder können auch dann, wenn mehrere Dienst¬ 
reisen an einem Tage erledigt werden, nur einmal beansprucht 
werden. 

§ 7. 1. In den Fällen der §§ 2 und 3 werden Tagegelder 
nur insoweit gezahlt, als sie einzeln die Gebühren für die auf 
der Reise am Tage der Verrichtungen vorgenommenen amt¬ 
lichen Verrichtungen übersteigen. 

2. ln den Fällen des § 2 haben die vollbesoldeten Kreis¬ 
ärzte denjenigen Betrag, um welchen die Gebühren den gesetz¬ 
lichen Tagegeldersatz nebst Teuerungszulagen überschreiten, an 
die Staatskasse abzuführen. 

§ 8. Das Staatsministerium setzt den Tarif für die amt¬ 
lichen Verrichtungen der Kreisärzte und der Gerichtsärzte fest. 
Der Minister für Volks Wohlfahrt kann im Einvernehmen mit 
den sonst beteiligten Ministern die Sätze des Tarifs den 
wechselnden Teuerungsverhältnissen anpassen. 

§ 9. 1. Werden in den Fällen, in welchen der Tarif einen 
Mindest- und Höchstsatz vorsieht, Bedenken gegen die An¬ 
gemessenheit des geforderten Betrages erhoben, so entscheidet, 
soweit nicht für gewisse Verrichtungen ein anderes bestimmt 
ist, der Regierungspräsident, innerhalb des seiner Zuständigkeit 
unterstellten Bezirks der Polizeipräsident von Berlin. 

2. Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten An¬ 
rufung des Ministers für Volks Wohlfahrt zu, dessen Entscheid 
endgiltig ist. 

§ 10. Als Kreisärzte bezw. Gerichtsärzte im Sinne dieses 
Gesetzes gelten auch die Kreisassistenzärzte und die Gerichts¬ 
assistenzärzte. 

§ 11. Inwieweit bei der Versetzung der nicht vollbesoldeten 
Kreisärzte und Gerichtsärzte in den dauernden Ruhestand aufier 
dem Gehalt amtliche Gebühren im Sinne dieses Gesetzes und 
andere Dienstbezüge der Ruhegehaltsberechnung zugrunde zu 
legen sind, wird durch die Besoldungsordnung bestimmt. 

§ 12. Werden andere Aerzte oder Zahnärzte, beamtete 
oder nicht beamtete, zu kreis- oder gerichtsärztlichen Geschäften 
herangezogen oder mit solchen baauftragt, so erhalten sie für 
deren Ausführung in Ermangelung anderweitiger Verabredung 
Reisekosten, Tagegelder und Gebühren nach den Bestimmungen 
dieses Gesetzes, sofern sie nicht nach ihrer Amtsstellung An¬ 
spruch auf höhere Tagegelder, Reisekosten und Fuhrkosten haben. 

§ 13. 1. Wird zu einer gerichtlichen oder medizinalpolizei¬ 
lichen Feststellung ein Chemiker zugezogen, so erhält er für 
seine Arbeit einschließlich des Berichts Gebühren. 




344 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


2. Hinsichtlich des Tarifs für die Gebühren gelten die 
Vorschriften der §§ 8 und 9. 

§ 14. Uebergangsbestimmung. 

Tarif für die Gebühren der Kreisärzte and der Gerichtslrzte. 

1. Wird eine der in dem nachstehenden Tarif aufgeführten gerichts¬ 
ärztlichen Verrichtungen auf Veranlassung einer Privatperson ausgeführt, so 
stehen dem Sachverständigen höhere als die tarifmäßigen Sätze zu. 

2. Wird eine der in dem Tarif verzeichneten Verrichtungen besonderes 
Ersuchen einer Behörde oder einer Privatperson an einem Sonntag oder einem 
gesetzlichen Feiertag vorgenommen, so tritt eine Verdoppelung der Gebühren ein. 

8. Soweit in dem Tarif unter B. Gebührensätze für vertrauensärztliche 
Verrichtungen besonders aufgeführt sind, sind diese in Anwendung zu bringen. 

4. Die Höhe der Gebühr ist, sofern der Tarif einen Mindest- und Höchst¬ 
satz vorsieht, innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen Umständen 
des einzelnen Falles, insbesondere nach der Beschaffenheit und Schwierigkeit 
der Leistung, der Vermögenslage des Zahlungspflichtigen, den örtlichen Ver¬ 
hältnissen, sowie dem Zeitaufwand zu bemessen. Bei ausnahmsweise schwierigen 
Verrichtungen darf die Höcbstgebühr mit Zustimmung des Begierungspräsidenten 
(Polizeipräsidenten in Berlin) überschritten werden. In dringenden Fällen kann 
diese Zustimmung nachträglich eingeholt werden. Gegen die Entscheidung des 
Begierungspräsidenten (Polizeipräsidenten in Berlin) kann die Entscheidung des 
Ministers für Volks Wohlfahrt angerufen werden. 

5. Wird mehr als der Mindestsatz einer Gebühr beansprucht, so ist dies 
auf Verlangen des Auftraggebers in der Gebührenrechnung unter Angabe der 
besonderen Umstände des einzelnen Falles näher zu begründen. 

6. Soweit die Festsetzung der Gebühren durch das Gericht erfolgt, ist 
dieses befugt, den Begierungspräsidenten (Polizeipräsidenten in Berlin) um eine 
gutachtliche Aeußerung zu ersuchen. 

7. Verrichtungen, für welche der Tarif Gebührensätze nicht vorsieht, 
sind nach Maßgabe der Sätze für ähnliche Verrichtungen zu vergüten. 

A. Gebühren für gerichtsärztliche Verrichtungen.*) 

1. a) Abwartung eines Termins bis zur Dauer von zwei Stunden, einschließlich 

der während des Termins erstatteten mündlichen Gutachten . — Mark 

b) Jede an gefangene halbe Stunde mehr.— Mark 

c) Als Anfang des Termins gilt die Zeit, zu welcher geladen ist, als End¬ 
punkt die Zeit der Entlassung. 

d) Unterbrechungen der Verhandlungen und Beurlaubungen des Medizinal¬ 
beamten werden in die Terminsdauer eingerechnet. 

e) Bei einer Unterbrechung oder Beurlaubung, welche auf mehr als zwei 
Stunden bestimmt wird, kommt, wenn der Kreis- oder Gerichtsarzt an 
seinem Wohnort vernommen wird, für die Fortsetzung des Termins die 
Gebühr zu a und danach za b von neuem in Ansatz. 

f) Die Gebühr ist für jeden Verhandlungstag besonders zu berechnen. 

g) Ist der Kreis- oder Gerichtsarzt in mehreren Terminen an demselben 
Tage beschäftigt- gewesen, so darf eine mehrfache Berechnung derselben 
Zeit nicht stattfinden. 

h) Für eine während eines Termins vorzunehmende Untersuchung wird nach 
8 besonders berechnet. 

2. Teilnahme an einer Sitzung des Versicherungsamtes oder Oberversicher¬ 
ungsamtes, einschließlich der erforderlichen körperlichen Untersuchungen 
und mündlichen Gutachten ohne Bücksicht auf die Anzahl der ver¬ 


handelten Sachen 

für die erste Stunde.— Mark 

für jede weitere angefangene Stunde .... — Mark 


*) Der einzelne Gebührensatz für die verschiedenen Verrichtungen wurde 
nicht beraten; zurzeit wird mit einer Erhöhung um das 10fache dem Friedens¬ 
satz gegenüber gerechnet. 





des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


845 


8. Vorbereitung eines Gutachtens: 

a) Wenn die Untersuchung in der Wohnung des Medizinalbeamten oder, 

falls dieser Anstaltsarzt ist, in der Anstalt stattfindet, (Vorunter¬ 
suchung) .— bis — Mark. 

b) Wenn die Untersuchung außerhalb der Wohnung oder Anstalt stattfindet 

(Vorbesuch einschließlich Untersuchung).— bis — Mark. 

c) Die höheren Sätze kommen insbesondere auch zur Anwendung, wenn eine 
einfache qualitative Harnuntersuchung oder eine Untersuchung mittels 
des Kehlkopf-, Nasen-, Augen-, Ohren-Scheidenspiegels oder eine gynä¬ 
kologische Untersuchung stattgefunden hat. 

d) Hat sich der Medizinal beamte in dem Falle zu b an Ort und v Stelle 
begeben und kann die Untersuchung ohne sein Verschulden nicht statt¬ 
finden, so ist eine Gebühr von — bis — Mark in Ansatz zu bringen. 

e) Mehr als drei Untersuchungen dürfen nur mit Zustimmung der ersuchen¬ 
den Behörde berechnet werden. 

4. Für eine Akteneinsicht je angefangene Stunde . . . — bis — Mark 

5. Hat sich auf Erfordern des Gerichts der Medizinalbeamte behufs Ein¬ 
sichtnahme der Akten an Gerichtsstelle oder eine andere vom Gericht 
ihm bezeichnete Stelle begeben, so kommt außer der Gebühr für die 
Akteneinsicht noch die Gebühr zu 8 b in Ansatz. 

6. Für die Mitwirkung bei einer richterlichen Leichenschau, die sonstige 

Besichtigung einer Leiche oder die Besichtigung von Leichenteilen oder 
einer Leibesfrucht.— Mark. 

7. Für eine Leichenöffnung, Oeffnung einer Leibesfrucht oder Sektion von 

Leichenteilen..— Mark. 

8. Außer der Gebühr zu 7. für die Verrichtung erhält derjenige, der für 
die Vorhaltung der notwendigen Gerätschaften verantwortlich ist, hierfür 
ein Zehntel der Gebühr für die Verrichtung. 

9. Für die Bescheinigung über die Todesursache gemäß § 8 des Gesetzes 
über die Feuerbestattung vom 14. 9. 1911 (Ges.-S. S. 198) 


1. sofern es einer Leichenöffnung nicht bedarf . . . — bis — Mark, 

2. sofern es einer Leichenöffnung bedarf.— bis — Mark. 


8. Werden in 'demselben Baum gleichzeitig mehr als zwei Leichen 
besichtigt, so ermäßigt sich die Gebühr zu 1 für die dritte und 
folgende Leiche auf die Hälfte. 

10. In den Gebühren zu 6, 7, 8 und 9 ist die Gebühr für den Termin und 
den zu Protokoll gegebenen Bericht einbegriffen. 

11. Kann ausnahmsweise der Bericht über eine Besichtigung nicht sogleich 
in dem Termine zu Protokoll gegeben werden, so ist für ihn eine Gebühr 
von — bis — Mark außerdem anzusetzen. 

12. Wird ein besonderer Bericht zu 7 (Obduktionsbericht) ausdrücklich 
erfordert, so ist außer der Gebühr zu 7 die Gebühr zu 15 anzusetzen. Der 
zweite Obduzent erhält als Mitherichterstatter die Hälfte dieser Gebühr, 
es sei denn, daß er einen besonderen Bericht erstattet. 

18. Erteilung einer schriftlichen Auskunft.— bis — Mark. 

14. Schriftliches Befundattest ohne Begründung der gutachtlichen Aenßer- 

ung.— bis — Mark. 

15. a) Schriftliches begründetes Gutachten über den körperlichen oder geistigen 

Zustand einer Person oder über eine Sache .... — bis — Mark, 
b) Sind mehrere Kreisärzte oder Gerichtsärzte zu einem gemeinschaftlichen 
Gatachten aufgefordert, so erhält der erste Gutachter die volle Gebühr, 
die folgenden je die Hälfte, soweit sie nicht ein besonderes, von dem 
ersten abweichendes Ouiacbten erstatten. 

16. Untersuchung eines Nahrangs- und Genußmittels, sowie Gebrauchsgegen¬ 
standes, eines Arzneistoffes, Geheimmittels oder dergleichen nebst kurzer 
gutachtlicher Aenßerung ohne Begründung .... — bis. — Mark. 

17. a) Untersuchung, mikroskopische, chemische, physikalische, bakteriologische, 

an Personen oder Sacben, einschließlich einer gutachtlichen Aenßerung, 

ohne Begründung.-.— bis — Mark. 

b) Das verbrauchte Material an Beagentien, verbrauchten Gerätschaften, 
Nährböden, Auslagen für Benutzung eines besonderen Baumes, sowie 
sonstige notwendige Unkosten sind neben der Gebühr zu vergüten. 











846 


Bericht Ober die XXXIII. Hauptversammlung 


18. In den Fällen za 13 bis 17 kommen zutreffenden Falles noch die 8ätze 
nach 8, 4 und 5 zur Anwendung, im Falle der Wahrnehmung eines 
Termins kommt außerdem die zu 1 bestimmte Gebühr znr Anwendung. 

19. Erfordert eine schriftliche Auskunft, ein Befundattest oder ein begründetes 
Gutachten eine Untersuchung der in 16 und 17 bezeicbneten Art oder 
wird in den Fällen zu 16 und 17 nachträglich ein schriftlich begründetes 
Gutachten erfordert, bo kommen die Gebühren zu 13 bis 15, sowie zu 
16 und 17 nebeneinander in Ansatz. 

20. a) Schreibgebühren für Beinschriften sind nach Maßgabe der für die Be¬ 

rechnung der gerichtlichen Schreibgebühren geltenden Bestimmungen zu 
bewilligen. 

b) Werden auf Erfordern bei Benutzung einer Schreibmaschine Durchschlüge 
angefertigt, so kommt für jeden Durchschlag die Hälfte des ursprüng¬ 
lichen Satzes in Anwendung. 

c) Sind nachweislich höhere Schreibgebühren entstanden, so sind diese zu 

ersetzen. • 

d) Für verbrauchte Schreibmaterialien kann ein angemessener Satz in An¬ 
wendung gebracht werden. 

e) Erfordert die Art des Gutachtens oder Befundattestes ganz oder zum 
Teil Aufnahme eines Stenogramms, so kann Ersatz der hierdurch ent¬ 
standenen Unkosten gefordert werden. 


B. Gebühren für sonstige amtliche und vertrauensärztlicbe 

Verrichtungen. 

1. Werden Verrichtungen der unter A 6 bis 17 genannten Art in außer¬ 
gerichtlichen Angelegenheiten vorgenommen, so kommen dieselben Gebühren 
wie für die gericbtsärztlichen Verrichtungen in Anwendung. 

2. Für die Besichtigung einer Apotheke erhält der medizinische Kommissar 
an seinem Wohnort — Mark Entschädigung. Liegt die besichtigte 
Apotheke mehr als 2 km von der Grenze der Wobngemeinde des 
Kommissars entfernt, so erhält er außerdem Reisekosten und Tagegelder. 
Der pharmazeutische Kommissar erhält Tagegelder und Reisekosten nach 
den den Kreisärzten zustehenden Sätzen, außerdem für jede Apotheken¬ 
besichtigung — Mark Entschädigung, sowie Ersatz der verbrauchten 
Reagentien. 

8. Musterung einer Apotheke auf einem Kauffahrteischiff, einschließlich 
des Besuchs.— bis — Mark. 

4. a) Besichtigung einer Wohnung^ eines Gebäudes, einet Wasserversorgungs- 
stelie, einer gewerblichen Anlage, eines verdächtigen oder verseuchten' 
Schiffes, einer Privatkranken-, Entbindangs- oder Irrenanstalt und der¬ 
gleichen, einschließlich einer kurzen gutachtlichen Aeußerung, ohne 

Begründung.— bis — Mark. 

b) In dem Verfahren bei der Errichtung genehmigungspflichtiger gewerb¬ 
licher Anlagen können für eine Prüfung der Unterlagen ohne vorherige 
Ortsbesichtignng sowie für die Angabe des Prüfungsergel nisses Gebühren 
nicht gefordert werden. 

6. Besichtigung eines Begräbnisplatzes oder eines für dessen Anlegung 
oder Erweiterung in Aussicht genommenen Grundstücks einschließlich 
des vorgeschriebenen Gutachtens.— bis — Mark. 

Zu dieser Gebühr tritt an Stelle der Gebühr für den Vorbesuch die' 
Terroiosgebübr gemäß Al.. 

6. Gutachten über Geisteskranke, Blinde, Trunksüchtige, Epileptische, 
Idioten, Taubstumme und sonstige Krüppel zwecks Aufnahme in eine 
Anstalt.— bis — Mark. 


7. 


8 . 

9. 


10. 


Ausstellung eines Leicbentransportscheines 

a) ohne Besichtigung der Leiche.— bis — Mark,- 

b) mit Besichtigung der Leiche.— bis — Mark. 

Erteilung der Genehmigung zur Umbettung einer Leiche — bis — Mark. 

Besichtigung einer Mineralwasserfabrik, Drogenhändlung, Farbenhandlang, 

Gifthandlang, Arzneimittelhandlung.— bis — Mark. 

Prüfungszeugni8 für den Handel mit Giften außerhalb der Apotheken 

, — bis — Mark. 












itt Preußischen MedisineIbeatnteu vergiß® 347 

11. ZulafurongszeugoiB zur Erlernung der Apotbukerktinst — bis — M«rk, 

12. ui Priilang beliafs Verwaltung einer Krankenhauaapottieke für Mitglieder 

*<in S-rftnkenpäegeßenossenöChftften . . ... . . . v . - Mark, 

b) B«r BJitprttfenda pharB?a8eotisehe Kommissar erhält die gleiche Gebfthr. 

13. BeläiugüßgssfiagHiÄ zur Aufnahme in eine Hebammenlebramitalt 

— bis — Merk. 

14. Be^hignmgii 2 eagtii 88 iaf Afifnabinein eine DesinfektorenschoiB—bis—Mark. 

15- S*iibigong»zeuga)8 ab L'-ichenseMaer . . . . *. , — bis — Mark. 

16. &} Nachpiüfttnig disf Besiufektoren. ; . . . . *'• - —Mark, 

b) Sind mehr als zwei f)e»jnfekt*:>feo gleichzeitig nacbZQprüfen, ao ermäßigt 

sich die Gt-bübr- für jeden auf die Hüllte der Gebühr zu *. 

17. v Für ein aal fir/eoinrn der anständigen Behörde abgegebenes schrift- 
; liebes SefaHdat»est über daöernd© gänzliche Erwerbsaolähigkeit für 

eine Person düs Unterolftzier« oder Mannsebafi.« 9 taDdea des Heeres oder 
der Marine aut Grund dos Artikels I Nr. 3 des Iteichagesetzes vom 
22.5. 95 (E. Ges. S. S. 237), ^otvie TO«' firuteMbliebenen von KriecsUU* 
nehmen» im Säpitalabfiadttagsrerfülirofe können Gebühren nicht gefordert j 
werden. 

18. Geaandheitssebguls beliofä FiblTitts in Üe« riffentlichen Bieost (äts Büro-. 

Steuer-, Post-, Teiegrepbea-, Eisenbahn^ Bankbeamter, Lehrer, i«sho<ftö^> ' 
Lotse and dergleichen) . . . . . . . . . . — bk — Mark. 

19. Gesundbeitazeugb» tebsli Ayoalisac in »in Seminar oder riae Pfbps- 

Tandenanslak . . . , . , . . . . , . , • — big — Mu?k. 

20. Für ein Zeögnis behufs Begriinduag von öeauubdu wegen Unterstützung, 
Urlaubs, Ablehnung von Jübrea&mtern, NjchwrsfGbeinens for Gericht, 
Aufsehiebeaa der Strafvollstreckung and defglelcben sind Gebühren nach 
A 16 bis 19 za entrichten. 

21. , In den Fällen der &ififera 4«, 6, 7 h, 9, 10, JbjA 15, Änd 18 bis 20 

kommen außer Öen festgesetzte« öabftbre» noch Geblibren nach A S 
uud 4 in AaöatÄ. 

22. Hat in den Fällen der Zidern 4 a, ti, 7 b, iö, 12 bis 15 und 13 bis 20 
eine Prüfung bezw. Untersuchung «tattgefonden, ubot» daß dem Aaftrug* 
geber das geforderte Zeugnis ferteilt werdea koent« odet terzicbt&t 
dieser nach Btattgebabtar Prüftmg odgt p&tersttub&rtg auf das Zdugnis, 4 
sö but er Gebühren nach A 3 uud 4 *u entrichte«. 

23. Wegen der Scbreibgebührett gelten die unter A 20 geirofiduen Be¬ 
stimmungen. ' ■ •- - ,-k-, ‘ - -' .. < . ■ /• _ , ■ . 

AamerkttUgen; Bio nöchsfcgebttbr ist in der Regel auf da* Zeh#* 
fache der Mindeafcge'bühr fcstzusetze», . . ", ‘ V ; . 

7ör»ch)äge für dse einzelnen Gebührensätze können aur £eU hiebt gemacht 
werden, da die Eotwicklung der Teaerangaverhältniaso bis zur endgültiges 
Gestaltung des Tarifs sich nicht voransseheo läßt. -'kv.‘/Cv V7* '• •• •••''•••".• 

' « ■ .... _ __ _ .... 

Y. Kreisarzt und Fürsorge. 

Berichterstatter: Med.-Rat Dr. Hilleuberg-Halle a. S- 
M. H.I Es ist. nach dein Kriege über Pürsorgewesen und die Be¬ 
ziehungen des staatlichen Gesundheitsbeamten zu ihm recht 
viel gesprocfien und geschrieben worden. Man könnte daher 
meinen, zumal ja auch auf der Weimarer Tagung das Thema 
von hervorragenden Sach ^erHSudigen in prinzipieller Weise 
erschöpfend behandelt worden ist. die Frage sei theoretisch 
genügend geklärt, ihrer praktischen Auswirkung müsse nunmehr 
freier Lauf gelassen werden. Wer jedoch etwas tiefer in den 
Gang der Dinge hinein schaut^ wicd sieh nicht verhehlen, daß 
eine sichere Eptwicklungsrichuing noch nicht zu verfolgen ist, 
daß vor allem hinsichtlich de? Stellung des Kreisarztes im 
Rahmen der Kreiswohlfahrbämter, sowie der Frage, 





848 


Bericht über die XXXIII. Haaptvers&mmlug 


Fürsorge vornehmlich durch hauptamtliche Aerzte oder durch 
praktische Kollegen im Nebenamt auszuüben sei, die Anschau¬ 
ungen noch recht schwanken. Aus diesen Gründen erscheint 
eine abermalige kurze Besprechung des für uns Kreisärzte so 
überaus wichtigen Themas gerechtfertigt. 

M. H.l Bei« der Durchführung des Fürsorgegedankens 
und der Stellung des Medizinalbeamten hierzu müssen wir 
unterscheiden zwischen den großen städtischen und den länd¬ 
lichen Gemeinwesen; zwischen beiden stehen die Mittelstädte, 
die bald mehr jenen, bald mehr diesen in der praktischen 
Handhabung der Fürsorge sich zuneigen werden. Das Feld der 
Gesundheitsfürsorge in Großstädten zu beackern, ist ein ganz 
anderes Ding als in einem Landkreis. Dort die Möglichkeit, 
die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt leicht herzustellen, 
die Fäden von einer Stelle aus verhältnismäßig sicher zu leiten 
und zu übersehen, die Fürsorgemaßnahmen zweckgemäß zur 
Durchführung zu bringen, den Konnex mit den einzelnen Ar¬ 
beitsgruppen ständig aufrecht zu erhalten, mit den ausübenden 
ärztlichen Persönlichkeiten in naher Fühlung zu stehen. Hier, 
d. h. auf dem Lande, ein räumlich zum Teil sehr weit ausge¬ 
dehntes Gebiet, das die Zusammenarbeit der einzelnen Für¬ 
sorgezweige, den Zusammenhang zwischen Fürsorgeorganen 
und Hilfsbedürftigen, die Ueberwachung der angeordneten 
Maßnahmen, die ärztlich*technische und ärztlich-organisatorische 
Durchführung der Fürsorgearbeit so außerordentlich erschwert 
und zu mancher Abweichung von bewährten städtischen Me¬ 
thoden führt, die nur derjenige ganz zu würdigen versteht, der 
unter ländlichen Verhältnissen zu arbeiten gezwungen gewesen ist. 

Bei der Vielseitigkeit der Pflichten und dem Umfang des 
Aufgabenkreises in der Großstadt ist es nur natürlich gewesen, 
wenn die Kommunen zur Leitung ihrer Gesundheitsämter sich 
eigene, bestgeschulte und erfahrene Persönlichkeiten erwählten, 
die ihre Kraft ausschließlich den gesundheitlichen Belangen des 
Gemeinwesens zu widmen hatten. Wie weit hier der erfahrene 
staatliche Medizinalbeamte, über dessen Eignung zur Leitung 
eines Gesundheitsamtes an sich kein Wort mehr zu verlieren 
ist, mit dem hauptamtlichen Stadtarzt in Wettbewerb treten 
kann, muß ausschließlich nach der besonderen Art der jeweiligen 
Persönlichkeiten und Verhältnisse beurteilt werden. Hier lassen 
sich m. E. bestimmte Richtlinien nicht aufstellen. Aus der 
Tatsache aber, daß eine nicht kleine Reihe von Großstädten 
den staatlichen Gesundheitsbeamten auch zu ihren Gesundheits¬ 
berater erwählt haben, läßt sich einmal der Beweis ableiten, 
daß ersterer selbst hier ein großes gemeindliches und staat¬ 
liches Amt zur Zufriedenheit der Vorgesetzten Behörden zu 
verwalten imstande iat, sodann spricht dies besser als alle Worte 
dafür, daß jener tatsächlich sich ebensogut für die gedachte 
Aufgabe eignet, wie ein hauptamtlicher Stadtarzt. Es wird 
viel von den Persönlichkeiten und dem Grad des Vertrauens 
abhftngen, das sie in ihrer amtlichen Tätigkeit bei der Korn- 



des Preußischen Medizinalbeatatenvereins. 


349 


munalbehörde zu erringen verstanden haben, ob diese auf sie 
bei Besetzung einer leitenden Kommunalarztstelle zurückgreift 
oder nicht Daß daneben auch andere, nicht ausschließlich 
sachliche, Gesichtspunkte hier eine ausschlaggebende Rolle 
spielen können und spielen, ist bekannt; auf sie will ich nicht 
näher eingehen. 

Eine besondere Bedeutung gewinnt die Frage der Leitung des 
Fürsorgewesens für uns Kreisärzte in ländlichen Kommunen, 
indem hier nicht selten ein Schwanken, eine gewisse Unsicher¬ 
heit bemerkbar wird, wenn es die Entscheidung gilt: An¬ 
stellung eines besonderen hauptamtlichen Kommunalarztes oder 
Uebertragung der kommunalärztlichen Geschäfte auf den Kreis¬ 
arzt im Nebenamt. Der Ausweg aus diesem Dilemma scheint 
mir eng verknüpft zu sein mit der anderen Frage: sollen auch 
auf dem Lande hauptamtliche Fürsörgeärzte tätig sein, 
oder muß das Bestreben dahin gehen, ihre Anstellung tunlichst 
einzuschränken, dafür die praktischen Kollegen an der gesamten 
Fürsorgearbeit zu beteiligen, bezw. sie durch diese allein aus¬ 
üben zu lassen. Auf diese Frage will ich zuerst kurz eingehen. 

In Weimar, m. H., wurde als vierter Leitsatz folgendes 
beschlossen: „Die Heranziehung von nicht beamteten Aerzten 
zu den Aufgaben der sozialen Fürsorge ist durch ihre An¬ 
stellung als Fürsorgeärzte möglichst zu fördern“.* Die Verwirk¬ 
lichung dieser Forderung ist m. E. ein unabweisliches Bedürfnis. 
Ohne die weitgehende Mitarbeit der prakt. Aerzte ist auf dem 
Lande eine wirklich ersprießliche Fürsorge nicht zu betreiben. 
Wir haben es, m. H., im Saalkreis erfahren,* was es hieß, als 
eines Tages die Aerzteschaft infolge eines unglücklichen Mi߬ 
verständnisses erklärte: von morgen ab wird jede Fürsorgearbeit 
eingestellt. Wochenlang ruhte die Tuberkulosefürsorge, die 
Säuglingsfürsorge fast ganz, teilweise die Schul- und die 
Krüppelfürsorge, und es traten sehr ungemütliche Zeiten ein. 
Der Kreis war nahe daran, zu der vorhandenen Kreiskommunal¬ 
ärztin ein bis zwei weitere hauptamtliche Aerzte anzustellen, 
und auf die Mitarbeit der prakt. Aerzte ein für allemal zu ver¬ 
zichten. Ich riet dringend ab, da ihre Tätigkeit schließlich, 
um mit einem technischen Ausdruck zu reden, „leer laufen“ 
mußte. Was hätte es uns genützt, wenn wir in einigen Orten 
z. B. Tuberkulosefürsorgestellen eingerichtet, die Aerzte aber 
keine Kranken gesandt, ja diese vielmehr abgehalten hätten, 
die Stellen aufzusuchen? Die wenigen, die von selbst gekommen 
wären, hätten die Anwendungen an Zeit und Kosten nicht im 
entferntesten gelöhnt. Was wäre ferner aus der Schulfürsorge 
geworden, wenn diese sich in der Hauptsache auf die bloße 
Untersuchung der Kinder hätte beschränken müssen, während 
ärztliche Behandlung der gefundenen Mängel wahrscheinlich 
nur in geringem Umfang stattgefunden hätte? Wir atmeten 
auf, als dieser Aerztestreik beigelegt wurde. Aber auch ohne 
Streik kann z. B. die Schulfürsorge auf dem Lande m. E. ohne 
verständnisvolle Mithilfe der prakt. Kollegen, der sog. „Heil- 



350 


Bericht Ober die XXXIII. Hauptversammlung 


ärzte“ nicht recht gedeihen. Eine ausreichende Kontrolle der 
Ueberwachungs8chüler vermag z. B. doch nur jemand auszu¬ 
üben, der die Kinder oft genug zu sehen und zu untersuchen 
Gelegenheit hat, und nicht derjenige, der erst durch eine Tages¬ 
reise mit vielen Kosten von den Kindern und deren Ange¬ 
hörigen aufgesucht werden muß. Auch wenn einzelne Aerzte 
aus irgend einem Grunde mit der Persönlichkeit des haupt¬ 
amtlichen Schularztes nicht einverstanden sind, kann die Sache 
nur schlecht gefördert werden. So klagte unsere Kommunal¬ 
ärztin, die vornehmlich bisher die Schularzttätigkeit in geradezu 
vorbildlicher Weise ausübte, wiederholt, sie sehe keinen Nutzen 
ihrer Mühe, da anscheinend ein Teil der prakt. Aerzte mit ihr 
nicht Hand in Hand arbeiten wolle und die Durchführung der 
Heilmaßnahmen ablehne. Daß die Aerzte mit der Art der 
heutigen Fürsorgetätigkeit überhaupt nicht überall zufrieden 
sind, habe ich in einer größeren Aerzteversammlung in Halle 
persönlich zu erfahren Gelegenheit gehabt, auf der bitter darüber 
- geklagt wurde, die prakt. Aerzte bekämen in der Stadt keinen 
kranken Säugling, keinen Tuberkulösen mehr zu sehen, alles 
liefe in die Fürsorgestelle; eine völlige Neugestaltung des Für¬ 
sorgewesens sei unbedingt zu verlangen. Es liegt gewiß etwas 
richtiges in der eben gehörten Behauptung, wenn auch viel¬ 
leicht die prakt. Kollegen selber nicht ganz schuldlos an der 
Entwicklung der Dinge sein dürften. Jedenfalls sind wir im 
Saalkreis dazu übergegangen, alle Kollegen auf allen Ge¬ 
bieten der Fürsorge praktisch mitarbeiten zu lassen, auf Grund 
eines Kollektivvertrages mit der Aerzteorganisation, der für 
alle Mitglieder derselben bindend sein soll. Es ist selbstver¬ 
ständlich für die Leitung eines Gesundheitsamtes erheblich 
einfacher, wenn nur hauptamtliche Kräfte in der Arbeit stehen, 
die zweifellos in mancher Beziehung durch jene auch kräftiger 
gefördert werden kann. Es muß aber nach meiner Auffassung 
des Fürsorgewesens unser Bestreben dahin gehen, dieses aus 
der Monopolstellung, die es inne hat und in die es gewisser¬ 
maßen hineingedrängt ist, wieder zu einem freien Betätigungs¬ 
feld für sämtliche Aerzte zu machen, die freilich erst noch 
mancher Vervollkommnung und fachlicher Erziehung bedürfen, 
ehe sie überall und auf allen Gebieten Vollwertiges leisten 
werden. Sie dazu zu erziehen, ist Sache ihrer Ausbildung, die 
nach der sozialhygienischen Seite hin vertieft werden muß, 
was im Rahmen des 'bisherigen Ausbildungsganges durchaus 
möglich ist. So kann ich es von meinem Standpunkt aus auch 
nur beklagen, wenn in einer Großstadt nebenamtlich tätige 
Schulärzte gekündigt worden sind; nach meiner Auffassung 
müßte man auch hier allen Kollegen, die Verständnis, Können 
und ernstes Wollen mitbringen, Gelegenheit zur Mitarbeit geben. 
Doch ich will mich nicht weiter hiermit befassen, sondern nur 
noch einmal betonen, daß auf dem Lande die Kollegenschaft 
tunlichst lückenlos für den Dienst in der Wohlfahrtspflege ge¬ 
wonnen werden muß. Sie muß dafür zeitgemäß honoriert 



des Preußischen Medizinalbeamtenrereins. 


361 


werden, eine Forderung, an der ihre Mitarbeit hier und da 
scheitern kann und wird. Es sollten daher die Honoraransprüche 
immer unter dem Gesichtspunkt gestellt werden, daß es sich 
um eine nebenamtliche wohlfahrtliche Betätigung handelt, 
bei der nicht jede einzelne Leistung ihre volle materielle Ab- 

§ eltung findet. Teurer wird natürlich einer Kommune dieses 
ystem, aber es zeitigt auf die Dauer nutzbringendere Ergebnisse. 
Wenn nun diese Forderung restlos oder zum größten Teil 
erfüllt wird, so würde man nur noch in der Zentrale, d. h. im 
Kreis wohlfahrts- oder Kreisgesundheitsamt einer leitenden 
Stelle bedürfen, welche die Außenarbeit organisatorisch und 
technisch leitet, die Durchführung der Fürsorgemaßnahmen 
veranlaßt, daneben für den Kreisausschuß und die anderen Ab¬ 
teilungen des Kreiswohlfahrtsamts Berater und Mitarbeiter ist. 
Zur Ausübung dieser Tätigkeit dürfte nach meiner Ueberzeugung 
der Kreisarzt in fast allen Landkreisen, sofern er nur die nötige 
Arbeitsfreudigkeit und geistige Beweglichkeit besitzt, in erster 
Linie in Frage kommen. Ob er sie als Kreiskommunalarzt im 
Nebenamt oder ohne diese größere Bindung an die Kommune, 
einfach als Leiter der Gesundheitsabteilung oder des Kreisge¬ 
sundheitsamts wahrnimmt, ist ziehmlich gleichgültig und hängt 
von den jeweiligen Wünschen des betreffenden Kreistages bezw. 
eigenen Wünschen ab. Einer Kommunalisierung der Medizinal¬ 
beamten bedarf es zur sachlichen Erfüllung der gedachten Auf¬ 
gabe keinesfalls; wo sie gefordert wird scheinen mir die Gründe 
durchaus nicht zwingend zu sein und den Erfahrungen der 
Praxis nicht ganz zu entsprechen. 

Die praktische Mitarbeit des Kreisarztes in der Für¬ 
sorge wird sich je nach dem Umfang der amtlichen Geschäfte 
und der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, sowie nach seiner 
persönlichen Eignung und Neigung für ein bestimmtes Fürsorge¬ 
gebiet zu richten haben. Es gibt Kreise, in denen er aus¬ 
schließlich die gesamte Fürsorgearbeit leistet, z. B. in der 
Provinz Sachsen in den Kreisen Salzwedel und Heiligenstadt. 
Nach den eben gemachten Ausführungen über die Mitarbeit 
der Aerzte möchte ich aber empfehlen, auch dort, wo er an 
und für sich die ganze Fürsorgearbeit allein zu bewältigen sich 
imstande fühlt, diese Last nicht auf sich zu nehmen, sondern 
die Kollegen mit heranzuziehen und sich auf die bloße Mit-* 
arbeit zu beschränken. Nur wenn die Aerzte jegliche Betei¬ 
ligung ablehnen sollten, was bei einem guten Verhältnis zwischen 
ihnen und dem Kreisarzt kaum Vorkommen dürfte, wäre er 
m. E. zur alleinigen Wahrnehmung der ärztlichen Fürsorge 
berechtigt. Erwähnen möchte ich hier, daß es mir nicht richtig 
dünken würde, wenn er berechtigte Honorarforderungen der 
Kollegenschaft für ihre Mitarbeit, die die Kommune nicht be¬ 
willigen zu können angibt oder nicht bewilligen will, durch sein 
Einspringen hintertreibt. M. E. muß er hier auf begründete 
und erfüllbare Forderungen der Aerzteschaft in objektiver 
Weise Rücksicht nehmen. 



852 Bericht über die XXXTTI. Hauptversammlung 

Ich bin also der Ansicht, daß, soweit es sich ausschlie߬ 
lich oder in der Hauptsache um die Leitung der Kreisgesund- 
heitslürsorge handelt, es hier zu der Anstellung besonderer 
Kreiskommunalärzte in den meisten Kreisen nicht bedarf. Der 
Kreisraedizinalbeamte ist vielmehr die gegebene Persönlichkeit 
zur Übernahme dieser Stellung. Es kann hier eingewendet 
werden: wie kommt es denn, daß diese Erkenntnis teilweise 
noch eine recht einseitige ist, daß die andere Seite von ihrer 
Richtigkeit noch garnicht so ganz überzeugt zu sein scheint, 
da sonst viel häufiger als bisher die Verbindung zwischen 
Kreisarzt und Kreiskommunlarzt anzutreffen sein müßte? M. H. 1 
Die Eignung des staatlichen Gesundheitsbeamten zur Leitung 
von Gesundheitsämtern ist bisher leider fast ausschließlich aus 
dem eigenen Lager verkündet worden; diese Art der Beweis¬ 
führung besitzt keine durchschlagende Werbekraft. Es wäre 
sehr erwünscht, wenn größere Kommunen mit bestehender 
Personalunion beider Stellen von sich aus ihre diesbezüglichen 
Erfahrungen in geeigneter Weise der Oeffentlichkeit zugänglich 
machten. Die- Zahl solcher Verwaltungen ist ja nicht ganz 
klein. Ich habe aus dem Rapmundschen Verzeichnis der 
preußischen Medizinalbehörden und -Beamten für 1922 mir die 
Kollegen zusammengezählt, die nebenamtlich Stadt- bezw. Kreis¬ 
kommunalärzte sind und die Zahl 44 erhalten, also eine nicht 
ganz unbeträchtliche Ziffer, die sicher eine Mindest Ziffer dar¬ 
stellt. Im Regierungsbezirk Schleswig sind von 15 Kreisärzten 
9 zugleich im Kommunalgesundheitsdienst leitend tätig, ähnlich 
im Regierungsbezirk Düsseldorf, der eigentlichen Wiege der 
Kreiskommunalärzte, von 26 Medizinalbeamten 10. In gleicher 
Weise habe ich die Ziffer der besonderen hauptamtlichen Stadt- 
und Kreiskoromunalärzte festgestellt und gleichfalls die Zahl 
44 erhalten; auch sie dürfte eine Mindestziffer sein. Immer¬ 
hin geht m. E. aus diesen beiden Zahlen hervor, daß die An¬ 
schauung, der man immer wieder begegnet und die von man¬ 
chen Seiten nicht laut genug verkündet werden kann, die An¬ 
stellung von besonderen Kreiskoromunalärzten mache Riesen¬ 
fortschritte, während die Kreisärzte ständig stärker ins sozial¬ 
hygienische Hintertreffen gerieten, doch nicht ganz zutreffend sein 
dürfte. Und wenn behauptet wird, die weitere Entwicklung 
dränge mit Naturnotwendigkeit auf ein derartiges Ueberwiegen 
der sozialhygienischen Aufgaben der Kommune hin, daß nur 
vollbesoldete hauptamtliche Kommunalbeamte ihnen gerecht zu 
werden vermöchten, und daß der Kreisarzt, will er seine Stel- 
tung und seinen Anteil an dem Wachsen und Werden wahren, 
selber zum Kommunalbeamten sich wandeln müsse, so kann 
ich bei nüchterner Betrachtungsweise der Dinge nichts von 
dieser vermeintlichen Notwendigkeit wahrnehmen. Ja, ich habe 
nach persönlichen Erfahrungen, zu denen ich auch Erzählungen 
und Berichte von Fachkollegen rechne, das Gefühl, daß auch 
dort, wo in einer Kommune auf dem einen Stuhl ein älterer 
erfahrener und tüchtiger Kreisarzt, auf dem andern ein gleich- 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


368 


falls nicht mehr junger und bewährter Kreiskommunal- oder 
Stadtarzt sitzt, der erstere, d. h. der Kreisarzt, nicht selten als 
Berater und Gutachter höher eingeschätzt zu werden scheint 
als der letztere. Aber es wird auch, seien wir nur bescheiden 
und ehrlich, umgekehrte Fälle geben 1 Natürlich soll den Ge¬ 
meinden ihr gutes Recht gewahrt bleiben, dafür, daß sie ihr 
gutes Geld bezahlen, sich einen Beamten ihres Geschmacks aus¬ 
zusuchen, einen Mann, von dessen Qualitäten sie sich selbst 
überzeugt haben, wie Herr Bürgermeister Luppe in Nürnberg 
in einem Artikel in der „Sozialen Praxis“ ausgeführt hat. Ich 
meine, die Kommunen haben keine vollkommenere Gelegenheit, 
sich über die Qualitäten eines Anwärters für den Stadtarzt¬ 
oder Kreiskommunal-Arzt-Posten klarzuwerden, als sie ihnen 
die kritische Würdigung der gesamten Tätigkeit des staatlichen 
Gesundheitsbeamten bietet. Kommen sie hierbei zu der Ueber- 
zeugung, daß er ihnen nicht die gewünschten Garantien für eine 
fördersame Amtsführung auf dem Gebiet der kommunalen Ge¬ 
sundheitsfürsorge bietet, so mögen sie sich ruhig die Persönlich¬ 
keit holen, die ihnen zusagender ist. Gr wird auch in der Er¬ 
füllung seiner staatlichen Aufgaben ein voll gerüttelt und ge¬ 
schüttelt Maß Arbeit übrig behalten; freilich dürfen jene 
nicht in dem Ausmaß in den Bereich der kommunalen Ge¬ 
sundheitsämter hineingezogen werden, wie es Herr Kollege 
Bürgers, Stadtarzt in Düsseldorf, in seinem Artikel „Notwendig¬ 
keit und Organisation städt. Gesundheitsämter“ wünscht, in 
welchem er dem Kreisarzt herzlich wenig von seinen Pflichten 
läßt. M. H. Soll ein gedeihliches Zusammenarbeiten zwischen 
Kreis- und Kommunalarzt stattflnden, was durchaus nötig ist, 
so müßen gewisse Grenzen des Tätigkeitsbereichs von beiden 
Seiten respektiert werden 1 

Was bleibt nun für den Kreisarzt zu tun übrig, wenn er 
bei der Wahl eines Kommunalarztes übergangen wird, oder aus 
besonderen Gründen sich für eine solche nicht zur Verfügung 
stellen zu können glaubt? Nach meinem Dafürhalten muß er 
entweder, da er sich dem Kreiskommunalarzt dienstlich nicht 
unterstellen kann, auf jede Mitarbeit in der Fürsorge verzichten 
und sich lediglich bemühen, in eine kollegiale Arbeitsgemein¬ 
schaft mit ihm zu treten; oder er muß, falls ihm die Ausübung 
bestimmter Fürsorgetätigkeit angetragen wird, sich für dieses 
Gebiet absolute Unabhängigkeit vom Kreisausschuß zusichern 
lassen. So geschah es nach der Revolution im Saalkreis: Der 
Kreisausschuß wollte von vornherein einen bestimmten Arzt 
einer bestimmten Parteirichtung als Kreiskommunalarzt haben; 
trotzdem reichte auch ich ein Gesuch ein, das natürlich nicht 
Erfolg hatte. Dafür wurde mir in Anerkennung meiner bisheri- 

§ en Tätigkeit die schon bis dahin von mir ausgeübte Leitung 
er Tuberkulose- und Säuglingsfürsorge übertragen mit der Zu¬ 
sicherung völliger Selbständigkeit auf diesem Fürsorgegebiet, 
so daß ich keine Bedenken zu tragen brauchte, diese Tätigkeit 
weiter auszuüben. Es gibt noch einen dritten Ausweg: Den 



364 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


Kreiskommunalarzt dem Kreisarzt, der die Leitung der Für¬ 
sorge handhabt, dienstlich zu unterstellen, wie es in einzelnen 
Kreisen, z. B. in Jerichow II und z. Zt. im Saalkreis, geschieht. 
Dieser Ausweg wird naturgemäß auch nur unter besonderen 
Verhältnissen beschritten werden können. 

Sehr bedeutungsvoll hinsichtlich der für die Leitung des 
Kreisgesundheitsamts bezw. die Stelle eines Kreiskoramunal- 
arztes zu wählenden Persönlichkeit ist, m. H., die Haltung der 
ärztlichen Organisation. Besteht in einem Kreise eine 
festgefügte, geschlossene Standesvertretung unter zielbewußter 
Leitung, und versteht es der Kreisarzt, sich mit ihr in ein gutes 
Einvernehmen zu setzen, so hat er an ihr einen sehr erheblichen 
Rückhalt gegenüber der Kommune. Sie sollte im Hinblick auf die ab¬ 
solut notwendige Zusammenarbeit zwischen Kreiskommunalarzt 
und Aerzteschaft vom Kreisausschuß verlangen, vor der Wahl eines 
Kommunalarztes bezw. der Regelung des Fürsorgewesens gehört 
zu werden. Diese Forderung durchzusetzen, ist sie stets in der 
Lage. Meist wird ja eine gütliche Vereinbarung in irgend einer 
Form zustande kommen; so ist z. B. im Saalkreis der Vor¬ 
sitzende des Aerztevereins Mitglied des Arbeitsausschusses des 
Kreiswohlfahrtsamts geworden, in dem auch die Anstellung von 
Kommunalärzten vorberaten wird. Er kann nun sehr wohl dem 
Vorsitzenden des Kreisausschusses gegenüber die Wünsche der 
Aerzteschaft hinsichtlich der Frage der ärztlichen Leitung des 
Fürsorgewesens, der etwaigen Bestellung eines besonderen 
Kommunalarztes und der zu wählenden Persönlichkeit mit dem 
nötigen Nachdruck äußern und auf Beachtung seiner be¬ 
gründeten Vorschläge rechnen. Jedenfalls besteht hier ein 
Weg, dem Kreisarzt, der sich nioht selber für eine bestimmte 
Stellung vorschlagen kann oder will, u. U. die Pfade zu ebnen. 
Es kann daher nicht dringend genug auf die Zweckdienlichkeit 
eines persönlichen guten Einvernehmens zwischen Medizinalbe¬ 
amten und Aerzteschaft hingewiesen werden. Wenn auch jede 
Kommune sich selbstverständlich völlige Unabhängigkeit in 
ihren endgültigen Beschlüssen wahren wird, so kann durch die 
etwaigen Anregungen, die ihr von einer geschlossenen Aerzte¬ 
schaft gegeben werden, unter Umständen die Sache nur ge¬ 
fördert und geklärt werden. 

M. H. I Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, 
ohne noch zu einer etwas abseits liegenden Frage Stellung zu 
nehmen, die Herr Kollege Christian, der frühere bekannte 
Mitherausgeber der leider eingegangenen »Concordia“ und 
jetzige Leiter des sozialhygienischen Seminars an der Charlotten¬ 
burger Akademie in einem Aufsatz, betitelt: »Das hygienische 
Studium" in der Münch. Med. Wochenschrift behandelt hat. 
Er kommt hier nach eingehenderen theoretischen Erörterungen 
über die Ausbildung der »Heilärzte" und Medizinalbeamten, zu 
welch letzteren er auch die in kommunalen Stellungen be¬ 
findlichen Kollegen rechnet, zu dem praktischen Vorschlag, 
daß nach dem Vorexamen drei Semester dazu bestimmt werden, 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


866 


die Einarbeitung in die klinischen Fächer zu übernehmen. 
Vom 8. Semester an sollte sich aber der Ausbildungsgang 

§ abein in der Weise, daß die späteren Heilärzte den bisherigen 
tudiengang fortsetzen, die späteren Hygieniker (Sozialärzte, 
Verwaltungsmediziner, Medizinalbeamte) die letzten 3 Semester 
ausschließlich hygienischen Fächern, vornehmlich der Be¬ 
schäftigung im sozialhygienischen Seminar widmen sollten. Er 
will hierdurch „den jetzigen ungesunden Zuständen“ ein Ende 
gemacht und Klarheit für Vorbildungsanforderungen der Medi- 
zinalbearaten geschaffen sehen. M. H.l So manche treffende 
Bemerkung auch sein Aufsatz enthält, so meine ich doch, daß 
wir staatlichen Medizinalbeamten uns gegen seinen Vorschlag 
mit ganzer Energie wehren müssen. Es ist eigentlich ver¬ 
wunderlich, daß dieser Artikel in unseren Kreisen so wenig 
Beachtung und Ablehnung erfahren hat; nur der bekannte 
bayrische Kollege Obermedizinalrat Dr. Oraßl hat in kurzen 
treffenden Ausführungen den Vorschlag Christians als „prin¬ 
zipiell und technisch verfehlt“ bezeichnet. Ich meine, daß 
gerade der staatliche Medizinalbeamte, diese Vertrauensperson 
für staatliche, kommunale und private Behörden und Körper¬ 
schaften, unter keinen Umständen schlechter beschlagen sein 
darf, als sein praktischer Kollege, und auch auf dem Gebiet 
der allgemeinen Medizin jederzeit auf .der Höhe stehen muß. 
Freilich will Christian ihm schließlich alles nehmen, was mit 
der praktischen Medizin noch irgendwie im Zusammenhang 
steht, und ihn dafür zu einem reinen Gesundheitswirschaftler 
und -Politiker, also zu einer Art Gesundheitsjuristen oder juri¬ 
stischen Mediziners machen. Vor allem soll ihm neben der 
gerichtsärztlichen auch die vertrauensärztliche Tätigkeit völlig 
unterbunden werden, die den praktischen Aerzten zu über¬ 
lassen sei, da Atteste schreiben jeder Arzt könnte. Ich möchte 
mir hierzu einige Bemerkungen erlauben. Ganz abgesehen 
davon, daß die Fälle wirklich nicht selten sind, in denen ein 
Antragsteller von seinem Arzt, der das betreffende Attest ohne 
weiteres ausstellen könnte, direkt zum Kreisarzt zwecks Ab¬ 
gabe desselben geschickt wird, glaube auch ich, daß die prak¬ 
tischen Kollegen gemäß ihrer Vorbildung das Ausstellen von 
Attesten mit der Zeit in gleicher Weise erlernen würden, wie 
wir Kreisärzte es haben lernen müssen. Denn zum Ausstellen 
eines guten Attestes gehört nicht nur Wissen, sondern vor 
allem Erfahrung und Uebung; deshalb wird auch nicht dadurch 
ein Attest brauchbar, daß es ein Kreisarzt als solcher aus¬ 
gestellt hat — es wird ja auch über manches schlechte kreis¬ 
ärztliche Attest geklagt —, sondern meist erst dann, wenn 
letzterer im Laufe der Jahre sich den gehörigen Schatz von 
Erfahrungen gesammelt und die erforderliche Uebung angeeignet 
hat. Aber auch dies genügt noch nicht; vielmehr kann, wie 
in unseren Kreisen vollauf bekannt, nur ein von der Praxis 
völlig unabhängiger Arzt stets auch ein völlig objektives Gut¬ 
achten erstatten. Daß dem so ist, geht schon aus der täg- 



366 


Bericht über die XXXIII. Hauptversammlung 


liehen Erfahrung hervor, daß jetzt selbst private Vereinigungen 
in zunehmendem Maße Atteste über Angestellte von dem staat¬ 
lichen Gesundheitsbeamten verlangen, die früher von den prak¬ 
tischen Kollegen ausgestellt wurden. Soll also künftig die ver¬ 
trauensärztliche Tätigkeit zum großen Teil auf die Aerzteschaft 
übertragen werden, so könnte dies nur an praxisfreie Aerzte 
geschehen; andernfalls glaube ich, daß Behörden und öffentlich- 
rechtliche Körperschaften sich auf die Dauer mit dieser Aende- 
rung nicht einverstanden erklären würden. Es würde eine 
Lücke in unserem Rechtsstaat sich auftun, die wieder geschlossen 
werden müßte, und zwar nur dadurch, daß man wieder auf den 
verpönten praxislosen Medizinalbeamten zurückgriffe. 

Im übrigen ist es mir sehr zweifelhaft, ob es überhaupt 
rechtlich zulässig wäre, den Kreisarzt von der vertrauensärzt¬ 
lichen Tätigkeit gänzlich auszuschließen, sie ihm zu verbieten. 
Man könnte m. E. lediglich die praktischen Kollegen für gewisse 
Gebiete als gleichberechtigte Konkurrenten zulassen, womit aber 
in der Praxis fast alles beim alten bleiben würde. 

M. H.l Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, der Ver¬ 
wirklichung der Gedanken, wie sie in demVorschlagChristians 
zum Ausdruck kommen, mit aller Kraft uns entgegenzustellen. 
Was sich aus der durch Verhältnisse und Zeiten bedingten 
zwangsläufigen Entwicklung von selbst ergibt, wollen wir gern 
hinnehmen, uns aber nicht in eine Wandlung drängen lassen, 
die mehr aus theoretischen und etwas akademisch anmutenden 
Ueberlegungen, als aus wirklicher Facherfahrung und prak¬ 
tischen Bedürfnissen entsprossen ist. Für einen großen Fehler 
würde ich es halten, wenn der staatliche Medizinalbeamte von 
der Stammütter seines geistigen Wesens, seines Wissens und 
Könnens, der allgemeinen Heilkunde, auch nur um Haaresbreite 
abgedrängt würde; soll eine Vertiefung in den Spezialdisziplinen 
des Hygienikers erfolgen, — und diese Notwendigkeit soll nicht 
bestritten werden — so könnte dies am ehesten während des 
praktischen Jahres geschehen, in dem denjenigen angehenden 
Aerzten, die die staatliche Medizinalbeamtenlaufbahn später 
einschlagen wollen, zur Pflicht gemacht wird, jenes zu einem 
Teil an einer der drei Akademien, zum anderen Teil an größeren 
Stadt- oder Kreisgesundheitsämtern abzuleisten. Ob der kom¬ 
munale Verwaltungsmediziner und Fürsorgearzt für seinen 
Teil mit der von Christian vorgeschlagenen Aenderung seiner 
Ausbildung einverstanden ist, darüber haben wir hier nicht zu 
befinden. Jedenfalls halte ich es für eine Pflicht des Preußischen 
Medizinalbeamten-Vereins, auch zu dieser Frage unzweideutig 
Stellung zu nehmen, um so bei Zeiten der Vollendung einer 
Tatsache vorzubeugen, vor die wir uns eines Tages zu unserer 
Ueberraschung gestellt sehen könnten. Auch bin ich der An¬ 
sicht, daß aus den Kreisen der staatlichen Medizinalbeamten 
selber die Anregung zu derartigen einschneidenden Aenderungen 
erfolgen müßte und würde, wenn sie als notwendig empfunden 
würden, denn sie sind wohl die berufensten Beurteiler der 



des Preußischen Medizin&lbeamtenyereins. 867 

eigenen Belange, die zugleich denen der Allgemeinheit Bich 
weitgehend angleichen. 

M. H. 1 Ich stehe am Schlüsse meiner Ausführungen, die 
dem Zweck dienen sollten, eine erneute Besprechung des immer 
noch aktuellen Themas: „Kreisarzt und Fürsorge“ einzuleiten. 
Sie werden nicht alle mit allem einverstanden sein, und es ist 
ja ohne weiteres zuzugeben, daß auch auf anderen Wegen und 
in anderem Gewände zum gleichen Ziel marschiert werden kann; 
wie denn überhaupt immer je nach den örtlichen Verhältnissen 
die Bauausführung mehr oder weniger variiert werden muß. 
Nur die Forderung müssen wir unentwegt erheben, daß bei 
dem weiteren Ausbau unseres öffentlichen Gesundheitswesens 
in der Richtung einer verstärkten Gesundheitsfürsorge das neu 
zu Schaffende in organische Verbindung mit Altbewährtem ge¬ 
bracht wird, solange nicht der unumstößliche Beweis geliefert 
ist, daß das alte Fundament keine tragfähige Fläche für das 
neue Gebäude mehr bietet. An uns wird eB liegen, durch 
die Tat zu beweisen, daß wir auch erweiterten Aufgaben und 
neuen Pflichten gerecht zu werden vermögen. 

(Lebhafter Beifall!) 

Die Leitsätze hierzu sind folgende: 

1. Die Wahl des Leiters des Gesundheitsfürsorgewesens in 
Groß- und Mittelstädten muß sich ausschließlich nach den 
örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen richten; es ist 
aber auch hier nach den Erfahrungender Praxis möglioh, 
den staatlichen Medizinalbeamten im Nebenamt mit der 
Leitung zu betrauen. 

2. Der Kreisarzt ist in allen Landkreisen der gegebene 
Leiter der Gesundheitsabteilung des Kreiswohlfahrtsamtes, 
oder des selbständigen Kreisgesundheitsamtes, sei es in 
der Form des nebenamtlichen Kreiskommunalarztes, sei 
es lediglich als Leiter des Fürsorgewesens, Berater und Mit¬ 
arbeiter des Kreisausschusses bezw. des Kreis Wohlfahrtsamtes. 

3. In Landkreisen ist zur ausübenden Fürsorge auf allen 
Gebieten in erster Linie der prakt. Arzt berufen, erst in 
zweiter Linie kommt die Anstellung von hauptamtlichen 
Fürsorgeärzten in Frage. 

4. An der praktischen Fürsorge soll sich der Kreisarzt prin¬ 
zipiell nur in beschränktem Umfang neben anderen Aerzten 
beteiligen und zwar auch in solchen Kreisen, in denen er an 
und für sich in der Lage wäre, erstere allein zu leisten. 

5. Der Kreisarzt hat mit der Aerzteorganisation seines Kreises 
in allen prinzipiellen Fürsorgeangelegenheiten enge 
Fühlung zu halten. 

6. Die Abtrennung der vertrauensärztlichen Tätigkeit von 
dem Amte des Medizinalbeamten und Uebertragung auf 
die praktischen Aerzte erscheint nicht zweckmäßig. 



360 


Besprechungen. 


räte haben es sich außerordentlich bequem gemacht, indem sie 20—25000 M. 
dem Kreisarzt geben, wenn er Kreiskommunalarzt ist, wofür er aber denn 
auch die ganze Impfung zu besorgen hat. Das ist ein Zastand, der nicht 
haltbar ist. Ich bin für rege Mitarbeit der praktischen Aerzte. Eine Ver¬ 
rechnung des Impfbonorars darf aber nicht stattfinden. Dem betreffenden Arzt 
muß in den einzelnen Kreisen die Impfang bleiben, sonst schafft man nur 
Feindschaft. 

Dr. Hutwein: Ich bin anfs Entschiedenste dafür, daß der Kreisarzt 
nicht nur im Landkreise, sondern auch im Stadtkreise nur der Leiter der Für¬ 
sorge Ist. Ich glaube, daß der Kreisarzt im Landkreise nicht *die Möglichkeit 
hat, die ausübende Fürsorge so zu betreiben, wie es erforderlich ist. Ich möchte 
weiter unterstreichen, daß der Kreisarzt sich in enge Fühlungnahme mit der 
Aerzteorganisation stellt, denn überall sind die Aerzte stark organisiert. Dann 
ist es auch erforderlich, daß der Vorsitzende der örtlichen Organisation heran¬ 
gezogen wird. 

Dr. Fewson: Es ist nicht schwer Richtlinien zu geben. Ich habe die 
Sache sehr kurz gemacht. Wenn Sie eine hauptamtliche Position im Kommunal* 
dienst einnehmen, so bringt das in Gruppe 12 so und soviel Mark. Ich habe 
das Dezernentengehalt von 105000 M. Ziehe ich von diesem mein Kreisarzt¬ 
gebalt ab, so bleibt der Rest für meine Bezahlung als Kommunalarzt. In 
Landkreisen läßt sich das auch so machen. Entschädigung nach Gruppe 12 
— unter 11 gibt es ja keinen. Ich ziehe davon das Gehalt des Kreisarztes 
ab, der Rest ist für den Kommunalarzt. 

Dr. Bundt: Das ist aber doch bedenklich, denn schließlich muß ein 
Kreisarzt bei Erhöhung der staatlichen Besoldung, z. B. auf Gruppe 12, die 
kommunale Tätigkeit noch umsonst leisten. 

Hierauf wird in die Allgemeine Aussprache über 
die amtliche Stellung und wirtschaftliche Lage 
der Medizinalbeamten eingetreten, über die keine Nieder¬ 
schrift und Bekanntgabe der Einzelheiten gewünscht wird. — 
Danach wurde die Versammlung vom Vorsitzenden ge¬ 
schlossen. 


Besprechungen. 

Dritter Jahresbericht des Landeegesundheltzamtee Aber das Ge¬ 
sundheitswesen in Saohsen für die Jahre 1914—1918. Dresden 1921. 

Der vorliegende Jahresbericht umfußt die Kriegejabre, er mnßte (ähnlich 
wie der für Preußen) mit Rücksicht auf die Kosten kurz gefaßt werden. Aus 
dem reichen, den Statistiker und Arzt besonders interessierenden Inhalt Bei nur 
folgendes kurz hervorgehoben. Die Geburtenziffer sank im Jahre 1917 als dem 
ungünstigsten Jahre auf 52721 (gegenüber 127482 im Jahre 1913). Die un¬ 
günstigen Wirkungen des Krieges auf die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse 
machen sich besonders beim Mittelstände, weniger bei den Arbeitern bemerkbar. 
Typhus, Ruhr und Pocken stiegen wesentlich an. Die lnflaenza wurde im 
Jahre 1918 zu einer weit verbreiteten, bösartig verlaufenden Epidemie. Die 
Bevölkerungsziffer erfnbr von 1914 bis 1918 einen starken Rückgang. (Ge¬ 
burtenüberschuß im Jahre 1313: 54473, im Jahre 1918 ein Ueberschuß 
der Gestorbenen über die Lebendgeborenen von 25250). 

In einem Anhang sind genauere statistische Tabellen enthalten, auch 
fioden hier die während der Berichtszeit erlassenen Gesetze und Verordnungen 
von sanitärer Bedeutung Erwähnung. Solbrig. 


Bericht Aber die zweite Tagung Aber Psychopathenfürsorge Köln a. Btu 
17. nnd 18. Mai 1921. Berlin 1921, Verlag von JuliuB Springer. 
98 8. Pr. 16 M. 

Auf dieser bemerkenswerten Tagung wurden eine Reihe interessanter 
Vorträge von Persönlichkeiten verschiedener Berufsstände, die auf dem Gebiete 
der Psychopathenfürsorge tätig sind, gehalten. Als Ergebnis kam eine Ent¬ 
schließung zustande, die folgende Forderungen stellte: \ 



des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 


869 


Kursus von 4—6 Wochen dorchmachen. Die Führung müßte der Kreisarzt 
natürlich behalten. 

Dr. Simon: Stadt- and Landkreis sind zweierlei and es ist außer¬ 
ordentlich leicht, wie es Herr Dr. Wollenweber in Dortmund hat, and 
außerordentlich schwer bei unserem durchaus ausgedehnten Landkreis. Da 
ist es ungeheuer schwer das richtige za finden. Ich maß vollkommen Herrn 
Dr. flillenberg zustimmen, wir müssen die praktischen Aerzte als Mit¬ 
arbeiter haben und nur einen kleinen Teil der auszuübenden Fürsorge selbst 
haben. Wenn wir uns hinstellen und sagen, wir wollen nur die Leitung haben, 
lassen sich das* die praktischen Aerzte wieder nicht bieten. Wir müssen einen 
Teil übernehmen, aber im eniren Anschluß an die Tarife, die von dem Zweck- 
verband aufgestellt sind. Eine Frage habe ich nie richtig beantwortet ge¬ 
funden: Wie sollen wir bezahlt bekommen i Dafür müssen wir Bichtlinien 
haben. Deshalb möchte ich gern, daß von hieraus Bichtlinien gegeben werden. 
Deshalb schlage ich vor, daß in Kreisen bis zu 600U0 der Kreisarzt für seine 
Tätigkeit, die z. T. ausübend, z. T. leitend ist, die Hälfte der Qruppe 10, in 
Kreisen von 60000 bis 100000 die Hälfte der Qruppe 12 und über 100000 die 
Hälfte der Qruppe 16 bekommt. 

Dr. Bundt: Es kommt bei der Bemessung des Honorars auf die ein¬ 
zelnen Kreise an. Ich glaube, diesen Punkt, Über die Höhe und die Bicht¬ 
linien der Entlohnung, müssen wir heute fallen lassen, das müssen wir einer 
späteren Zeit überlassen. Da müßte, glaube ich, erst einmal eine Bandfrage 
gemacht werden. Es ist das eine rein wirtschaftliche Sache des Vertretertages. 

Dr. Neubelt: Ich habe die Fürsorge im Kreise. Ich schreibe nicht ein 
einziges Bezept, gebe nicht einen einzigen Batscblag. Jeder Taberkulöse wird 
dem betreffenden Arzt zugewiesen, ebenso die krank befundenen Säuglinge. 
Wenn man so handelt, kann man sehr wohl mit praktischen Aerzten aaskommen. 

Dr. Manthey: Die Bezahlung muß durch die Aerzteorganisationen fest¬ 
gesetzt werden. Die Bezahlung von 50 Mk. pro Doppelstunde ist nicht so 
schlimm. Ein hauptamtlicher Kommunalarzt wird teurer. Ich kann die Für¬ 
sorge überhaupt nicht wahrnehmen. Die Kreisfürsorge muß als leitendem 
Arzt dem Kreisarzt unterstellt werden. 

Dr. Herfurt: Ich halte es für richtig, daß der Kreisarzt sich auch in 
den Landkreisen mit an der Fürsorge beteiligt, aber nur zu einem Teil. Ich 
stehe nicht auf dem Wollenweber sehen Standpunkt. Es ist das in seinem 
Kreise vielleicht anders. Ob die praktischen Aerzte, die an der Fürsorge 
beteiligt sind, das leisten können, weiß ich nicht. Es ist nötig, sich durch 
eigene Mitarbeit zu orientieren und zu helfen, daß die Arbeiten so ausgeführt 
werden, wie sie müssen. 

Dr. Kühnlein: Nach den Beobachtungen, die ich heute gemacht habe, 
finde ich, daß wir uns der Entwicklung der Aerztevereine außerordentlich 
nähern. Früher beschäftigte man sich bei den Fragen vom idealen Standpunkte 
aus. Wenn Sie heute in einen Aerzteverein kommen, fioden Sie, daß nur wirt¬ 
schaftliche Dinge behandelt werden. Ich fürchte, wir nähern uns auch zu 
sehr diesem Standpunkt. Es kommt das meiner Ansicht nach auch in den 
Hillenbergsehen Leitsätzen zum Ausdruck. Die Fürsorge für unsere unter¬ 
ernährte Bevölkerung ist außerordentlich wichtig. Wir werden also die prak¬ 
tischen Aerzte heranziehen müssen. Mit den Bichtlinien, wie sie Kollege 
8imon fordert, werden wir zu keinem Schluß kommen. Da muß von Fall zu 
Fall entschieden werden. Wir Kreisärzte werden darauf sehen müssen, daß 
wir uns auf einen idealen Standpunkt stellen und die gestellten Forderungen 
nicht so hoch aasfallen wie die der Aerztekammer. Ich bin durchaus nicht 
der Ansicht, daß die Entwicklung auf die Anstellung hauptamtlicher Kommunal¬ 
ärzte gebt. Im Qegenteil man wird abbauen, denn der Staats- und Medizinal¬ 
beamte wird herangezogen, weil er es etwas billiger macht 

Dr. Franz: Gerade mit Bttcksicht darauf, daß in Allenstein eine Ver¬ 
sammlung der Kreisärzte und Laodräte statlfinden soll, um sich darüber 
schlüssig zu werden, wie am billigsten und besten gerade die kommunale 
Tätigkeit statlfinden kann, ist es mir doch von Wichtigkeit, gerade die Vor¬ 
schläge des Herrn Kollegen Simon gehört zu haben. Der eine Kreis will 
das bewilligen, der andere das. Ich habe nicht sagen können, dies oder jenes 
kann verlangt werden. Ich will auf eins aufmerksam machen. Manche Land- 



860 


Besprechungen. 


ritte haben ee sich außerordentlich bequem gemacht, indem sie 20—26000 M. 
dem Kreisarzt geben, wenn er Kreiskommunalarzt ist, wofür er aber denn 
auch die ganze Impfung zu besorgen hat. Das ist ein Zastand, der nicht 
haltbar ist. Ich bin für rege Mitarbeit der praktischen Aerzte. Eine Ver¬ 
rechnung des Impfbonorars darf aber nicht stattfinden. Dem betreffenden Amt 
muß in den einzelnen Kreisen die Impfung bleiben, sonst schafft man nur 
Feindschaft. 

Dr. Hutwein: Ich bin aufs Entschiedenste dafür, daß der Kreisarzt 
nicht nur im Landkreise, sondern auch im Stadtkreise nur der Leiter der Für¬ 
sorge ist. Ich glaube, daß der Kreisarzt im Landkreise nicht *die Möglichkeit 
hat, die ausübende Fürsorge so zu betreiben, wie es erforderlich ist. Ich möchte 
weiter unterstreichen, daß der Kreisarzt sich in enge Fühlungnahme mit der 
Aerzteorganisation stellt, denn überall sind die Aerzte stark organisiert. Dann 
ist es auch erforderlich, daß der Vorsitzende der örtlichen Organisation heran¬ 
gezogen wird. 

Dr. Fewson: Es ist nicht schwer Richtlinien zu geben. Ich habe die 
Sache sehr kurz gemacht. Wenn Sie eine hauptamtliche Position im Kommunal¬ 
dienst einnehmen, so bringt das in Groppe 12 so und soviel Mark. Ich habe 
das Dezernentengehalt von 105000 M. Ziehe ich von diesem mein Kreisarzt¬ 
gehalt ab, so bleibt der Rest für meine Bezahlung als Kommunalarzt. In 
Landkreisen läßt sich das auch so machen. Entschädigung nach Gruppe 12 
— unter 11 gibt es ja keinen. Ich ziehe davon das Gehalt des Kreisarztes 
ab, der Rest ist für den Kommunalarzt. 

Dr. Bundt: Das ist aber doch bedenklich, denn schließlich muß ein 
Kreisarzt bei Erhöhung der staatlichen Besoldung, z. B. auf Gruppe 12, die 
kommunale Tätigkeit'noch umsonst leisten. 

Hierauf wird in die Allgemeine Aussprache über 
die amtliche Stellung und wirtschaftliche Lage 
der Medizinalbeamten eingetreten, über die keine Nieder¬ 
schrift und Bekanntgabe der Einzelheiten gewünscht wird. — 
Danach wurde die Versammlung vom Vorsitzenden ge¬ 
schlossen. 


Besprechungen. 

Dritter Jahresbericht des Landnsgezundheltsamten Aber das Ge¬ 
sundheitswesen in Saohsen für die Jahre 1914—1018. Dresden 1921. 

Der vorliegende Jahresbericht umfaßt die Knegpj&bre, er mußte (ähnlich 
wie der für Preußen) mit Rücksicht auf die Kosten kurz gefaßt werden. Aus 
dem reichen, den Statistiker und Arzt besonders interessierenden Inhalt sei nur 
folgendes kurz bervorgehoben. Die Geburtenziffer sank im Jahre 1917 als dem 
ungünstigsten Jahre auf 62721 (gegenüber 127482 im Jahre 1918). Die un¬ 
günstigen Wirkungen des Krieges auf die allgemeinen Gesundheitsverbältnisse 
machen sich besonders beim Mittelstände, weniger bei den Arbeitern bemerkbar. 
Typhus, Ruhr und Pocken stiegen wesentlich an. Die Influenza wurde im 
Jabro 1918 zu einer weit verbreiteten, bösartig verlaufenden Epidemie. Die 
Bevölkerungsziffer erfuhr von 1914 bis 1918 einen starken Rückgang. (Ge¬ 
burtenüberschuß im Jahre 1818: 54473, im Jahre 1918 ein [Jeberschuß 
der Gestorbenen über die Lebendgeborenen von 25260). 

In einem Anhang sind genauere statistische Tabellen enthaltet), auch 
finden hier die während der Berichtszeit erlassenen Gesetze und Verordnungen 
von sanitärer Bedeutung Erwähnung. Solbrig. 


Bericht Aber die zweite Tagung Aber Psychopathenfürsorge Eßln a. Rh. 

17. und 18. Mai 1921. Berlin 1921, Verlag von Julius Springer. 
98 8. Pr. 16 M. 

Auf dieser bemerkenswerten Tagung wurden eine Reihe interessanter 
Vorträge von Persönlichkeiten verschiedener Berufsstände, die auf dem Gebiete 
der Psychopathenfürsorge tätig sind, gehalten. Als Ergebnis kam eine Ent¬ 
schließung zustande, die folgende Forderungen stellte: V 



Besprechungen. 


861 


1. Ein planmäßiges Zusammenwirken zwischen Arzt, Erzieher und Wohl* 
fahrtsstellen während der gesamten Entwicklung der jngendlichen Psycho¬ 
pathen yon der frühesten Kindheit bis zur Volljährigkeit. 

2. Ebenso ein Zusammenwirken aller Jugendwohlfahrtsstellen unter¬ 
einander zum Zweck einheitlicher kontinuierlicher individualisierender Erziehung. 

3. Die Ausbildung von Helfern für die Fürsorge für jugendliche Psycho¬ 
pathen ist angesichts der fortschreitenden Bedeutung einer Heilerziehung 
psychopatischer Konstitution und angesichts neuer Aufgaben, wie sie auch das 
Jugendwohlfahrtsgesetz vorsieht, eine der wichtigsten Aufgaben der öffent¬ 
lichen Wohlfahrtspflege. 

Es wird die dringende Bitte an alle in Betracht kommenden Stellen ge¬ 
richtet, die Ausbildung von Männern und Frauen, insbesondere von Lehrern, 
Geistlichen, Verwaltungs- und Sozialbeamten für die Psychopathenfürsorge tat¬ 
kräftig in die Hand zu nehmen. Solbrig. 

Dr. Siegfried Oberndorfer, a. ö. Universitätsprofessor, Vorstand des patho¬ 
logischen Instituts am Krankenhaus München-Schwabing: Pathologisch¬ 
anatomische SitU8bilder der Bauchöhle. Mit 92 Tafeln in Kupfertief¬ 
druck und 92 Abbildungen im erklärenden Text. München 1922, Verlag von 
J. F. Lehmann. Gr. 12°, 133 S. Preis: geb. 100 M. 

Das vorliegende Werk bildet eine beachtenswerte Bereicherung der be¬ 
kannten medizinischen Atlanten Lehmanns. Was den Atlas besonders aus¬ 
zeichnet, sind die ganz hervorragenden Tafeln, die photographische Situsbilder 
in einer Vollendung bringen, wie man sie wohl nur selten zu sehen bekommt. 
Dazu kurze Beschreibung der einzelnen krankhaften Veränderungen in der 
Bauchhöhle nebst einführenden Bemerkungen über Magen und Darm. An der 
Hand solch vorzüglichen Anschauungsmaterials wird es leicht gemacht, die 
Kenntnisse über die Pathologie des Abdomens zu vertiefen und sich in der 
Diagnose der krankhaften Veränderungen in der Bauchhöhle zu vervollkommnen. 

_ Solbrig. 


Prof Dr. Frans M Aller-Berlin und Oberapotheker Alfons Koffka- Berlin- 
Wilmersdorf : Eezepttaschenbuch sparsamer Arzneiverordnungen für Privat- 
und Kassenpraxis. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1922, 
Verlag von Georg Thieme. 66 Seiten, Preis geh. 16,60 M. 

Das Taschenbuch bietet eine größere Auswahl von Verordnungen (440 
im ganzen) bei verschiedenen, nach Gruppen geordneten Krankheiten in relativ 
billigster Form unter Beifügung der Preise für die Privatpraxis (nach dem 
Stande vom Juni 1921). Das letztem ist ein besonderer Vorteil in heutiger 
Zeit, wo die Arzneipreise so stark in die Höhe gegangen sind, daß möglichst 
billige Verschreib weise in den meisten Fällen geboten erscheint. Solbrig. 


Dr. med. Carl Breul: Ueber Tuberkulose und Mittelstand nebst Vor¬ 
schlägen zu einer Erweiterung der Bekämpfnngsmaßnahmen. (Tuberkulose- 
Bibliothek, Beihefte zur Zeitschrift für Tuberkulose, herausgegeben von 
Prof. Dr. L. Ra bin o witsch, 1922, Nr. 6, Verlag von Joh. Ambr. Barth). 

Eine überaus fleißige und verdienstliche Untersuchung. Ihre Grundlage 
bilden sehr eingehende anamnestische Erhebungen, die vor dem Kriege an 
42 Kranken in der Deutschen Heilstätte zu Davos gemacht wurden. Da unter 
den Kranken viele Lehrpersonen waren, werden beachtenswerte Erörterungen 
über die Schulen in ihrer Beziehung zur Tuberkulose und über die Erweiterung 
und Vertiefung der schulärztlichen Tätigkeit angestellt. Der Verf. formuliert 
bestimmte Schlußsätze über die Entstehung der Tuberkulose im Lehrerberufe 
und bezeichnet als Haupterfordernisse der Prophylaxe: 

1. Fortschreitende Sanierung der Schulbauten und schulärztliche Dauer- 
Überwachung der Lehrer und Schüler sowie aller im Schuldienst regelmäßig 
tätigen Personen; 2. Fernhaltung Tuberkulose-Verdächtiger und -Disponierter 
vom Lehrerberufe; 3. Revision und Sanierung der auf den Lchrerberuf vor- 
bereitendeb Anstalten, ärztliche Dauerbeobachtung und periodische Zwangs- 
untersnchungen an diesen Anstalten. 

Verfasser kommt zu dem Ergebnisse, daß das Hauptgewicht der Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose im Mittelstände auf der vorberuflichen Zeit ruht; 



362 


Besprechungen. 


doch auch in den Berufen selbst worden Löcken in den Abwehreinrichtongen 
aufgedeckt. Die in Zukunft nötigen Maßnahmen werden zum Schlosse knrx 
zusammen gefaßt. Das auffallendste Ergebnis ist vielleicht, wie oft die Tuber¬ 
kulose lange Zeit unbeachtet bleibt, obwohl manche für das Einschleichen 
charakteristische Erscheinungen vorhanden sind. Es ist notwendig, an mög¬ 
lichst vielen geeigneten Stellen mit allen Mitteln periodisch za antersachen 
and die Kenntnisse über die Entstehang and Verbreitengsart der Tuberkulose 
in allen Volkskreisen immer mehr auszubreiten. Dr. Wolffberg -Breslau. 


Dr. Th. Fürst, städt. Schalarzt in Mönchen: Die Frage der Berufsberatung 
und Berufseignung vom hygienischen Standpunkt. Mönchen und 

Berlin 1921, Verlag von Oldenbourg. 16 S. mit einer Tafel. Pr. 3 M. 

Die ärztliche Seite bei der Berufsberatung gilt es besonders in den 
Vordergrund zu stellen, am Erfolge erzielen za können. In München hat man 
durch Zusammenwirken von Fachvertretern mit Lehrer and Arzt gute Er¬ 
fahrungen gemacht. 

Der Schalarzt hat die Aufgabe der ärztlichen Berufsberatung, dem Fort¬ 
bildungschalarzt soll die wichtige Aufgabe einer Kontrolle der Berufseignung 
zafallen. 

Ein Ausbau der schulärztlichen Tätigkeit erscheint nach folgenden 
Bichtangen nötig: 

1. nach der klinischen Seite (genauere klinische Untersuchungen unter An¬ 
wendung der Röntgenuntersuchung, quantitativer Urinuntersuchungen und dergL), 

2. Regelung der statistichen Erhebungen an dem Schülermaterial (ein¬ 
heitliche Vorschriften), 

3. Fühlungnahme mit der Gewerbebygiene. 

Eine vom Verfasser auf gestellte Tabelle soll den „Dienstweg" zeigen, 
der sich bei der Ueberweisung von Fortbildungsschülern ergibt, die einer be¬ 
sonderen ärztlichen Ueberwachung bedürfen. Solbrig. 


Die Meldepflicht der Berufskrankheiten« Eine Umfrage, bearbeitet von 
von Dr. Q. Franoke, Frankfurt a. M. und Sanitätsrat Dr. Baohfeld, 

Offenbach. Berlin 1921, Verlag von Julius Springer. 49 S. 

Das Ergebnis der Umfrage, die seitens des Instituts für Gewerbehygiene 
bei einer größeren Anzahl von Sachverständigen aus verschiedenen Berufs- 
Ständen veranstaltet wurde, faßt Francke dahin zusammen, daß die große 
Mehrzahl der Bearbeiter grundsätzlich für Erweiterung der Meldepflicht und 
Einführung der Entschädigungspflicht ist. Die Forderung nach allgemeiner 
Anstellung von Landesgeweibeärzten (in Preußen in jüngster Zeit durch¬ 
geführt ! D. Ref.) und eine bessere Ausbildung der Aerzte auf dem Gebiete 
der Gewerbebygiene ist zu erheben. 

B a c h f e 1 d äußert sich auf Grund der eingegangenen Antworten genauer 
über die Art der Meldung. Zur Meldung soll der behandelnde Arzt und der Arbeit¬ 
geber verpflichtet sein, und zwar soll der Arzt dem Kreisarzt, der Arbeitgeber 
der Behörde und der Berufsgenossenschaft melden. Als meldepflichtige In¬ 
fektionen werden vorgeschlagen: Milzbrand, Rotz, Maul- und Klauenseuche, 
Strahlenpilz, Starrkrampf, extragenitale Syphilis der Glasbläser, Lungen¬ 
entzündung der Thomasschlackenarbeiter, Wurmkrankheit der Bergarbeiter u. a., 
dazu kommen meldepflichtige Folgen der Arbeit wie Blasengeschwülste bei 
Arbeitern mit Benzolderivaten, Lungenkrebs bei Bergarbeitern in Kobaltgruben, 
Hautkrebs infolge von Ruß und Teer, Augenzittern bei Bergleuten, Linsen¬ 
trübung bei Ofenarbeitern und Gasbläsern, Schwerhörigkeit bei Lärmberufen. 

Francke fordert schließlich hauptamtliche Gewerbeärzte, da der Kreis¬ 
arzt auch beim besten Willen nicht genügend mit der Gewerbehygiene sich 
beschäftigen könne, eine Forderung, der ja in Preußen jüngst durch Anstellung 
von 5 Landesgewerbeärzten Genüge geschehen ist. Solbrig. 


Dr. Wilhelm Stekel: Der Wille zum Leben, 143 S.; — derselbe: Das 

liebe Ich, 212 S. Berlin 1920. Verlag von Otto Salle. 

Ganz anders als Schleich, der in seinem „Am Schaltwerk der Ge¬ 
danken“ u. a. Schriften seino Theorien über den Bau und die Tätigkeit des 



Tagesnachrichten. 


863 


Gehirns and des Zentralnervensystems gemeinfaßlich darzostellen versucht, and 
doch in gewissem inneren Zns&mmenhange mit ihnen, führt in diesen Schriften 
ein Praktiker, Nervenarzt in Wien, den Laien in die wichtigsten Scelenstörungen 
besonders des Neurotikers ein. Aber diese kurzen psychoanalytischen Kapitel: 
„Der Segen der Krankheit“, „Der seelische Schwerpunkt“, „Der Freiheitsteufel“, 
„Das liebe Ich“, „Lebenskünstler“ and wie sie alle heißen, sind auch für den 
denkenden praktizierenden wie begutachtenden Arzt belehrend und anregend 
zugleich. Entstanden in der Leidenszeit unseres Volkes wollen die Aufsätze 
Menschenherzen auf richten, verblendeten and törichten Menschen den Weg zar 
Arbeit and zam Gluck weisen. Dr. Sieveking-Hamburg. 


Tagesnachrichten. 

Zam Nachfolger des in den Bahestand getretenen Geh. Med.-Bats 
Prof. Dr. Flügge ist Geh. Hof rat Prof. Dr. M. Hain» in Freibarg i. Br. berufen 
worden and hat den Buf angenommen. 


Um jenen Aerzten, die sich bereits in amtlicher Stellung befinden, die 
Möglichkeit za geben, sich die für ihr Amt immer notwendiger werdenden 
Kenntnisse in der sozialen Hygiene und der Gesundheitsfürsorge za ver¬ 
schaffen, and ihnen vor allem die theoretischen Grundlagen für die auf diesem 
Gebiet praktisch auszuübenden Tätigkeit za vermitteln, wird in der West* 
deutschen Sozialhygienischen Akademie im Juli dieses Jahres ein vier* 
wöchentlicher Sozialhygienischer Kurs abgehalten. — An diesen Kursen 
können alle Aerzte, die im staatlichen oder städtischen Gesundheitsdienst sind, 
teilnehmen, die Hörerzahl ist beschränkt, deshalb möglichst baldige Anmeldung 
notwendig. — Das Sekretariat der Akademie bemüht sich um Wohnung- 
beschaffung and erteilt nähere Auskunft. — Verpflegung za ermäßigtem 
Preis ist in der Akademie selbst erhältlich. 


Zar Aasbildang von Zahnärzten in der sozialen Hygiene und in der 
zahnärztlichen Gesundheitsfürsorge als Vorbereitung für die Tätigkeit als 
Schulza'hnarzt, Städtischem oder Krankenkassenzahnarzt, wird in der West¬ 
deutschen Sozialhygienischen Akademie ein 3 wöchentlicher Kurs abgehalten.— 
Kursbeginn am 3. Juli 1922. 


Eine öffentliche Konferenz des Ansschnssds der deutschen Jngend- 
verbäude (Berlin W. 50, Augsburgerstr. 61), dem nahezu alle .Organisationen 
der deutschen Jugendpflege und Jugendbewegung angehören, die sich an zwei 
Tagen mit der Lage der deutschen Jugend uach dem Kriege beschäftigen soll, 
wird am 21. and 22. Juni in Braunschweig veranstaltet werden. Für 
den ersten Tag sind drei Vorträge in Aussicht genommen. Der erste wird 
eine nüchterne Darlegung des so mangelhaften Gesundheitszustandes der 
deutschen Jugend geben. Als Unterlagen hierzu werden Untersuchungen 
dienen, die apf Grund eines im Beichsgesnndheitsamt ausgearbeiteten Frage¬ 
bogens in den Jugend vereinen vorgenommen werden. Der zweite Vortrag wird 
die Schwierigkeiten, die sich angesichts der gänzlich unsicheren Lage unseres 
Wirtschaftslebens den Jugendlichen bei der Berufswahl entgegenstellen, zu 
schildern haben, und der dritte wird in Form einer psychologischen und 
psychophysischen Erklärung, nicht einer Anklage, ein Bild von der ethischen 
Situation der Jugend von heute geben. — Am zweiten Tage wird davon zu 
reden sein, wie der deutschen Jugend geholfen werden kann. 

Mit dieser Veranstaltung gedenkt der Ausschuß der deutschen Jagend¬ 
verbände die bekannten Jugendpflegekonferenzen der Zentralstelle für Volks¬ 
wohlfahrt auf seine Weise fortzusetzen. Er hofft, daß es den Stellen in 
Staats- und Kommnnalverwaltung, die sich mit den Fragen der Jugendwohl¬ 
fahrtspflege befassen, der gesamten deutschen Wohlfahrtspflege und einer 
breiteren Oeffentlichkeit, die sich für die Angelegenheiten der Jugend interessiert, 
willkommen sein wird, wenn ihnen wieder Gelegenheit geboten wird, sich auf 
neutralem Boden mit den führenden Fachleuten der Jugendpflege und Jugend¬ 
bewegung zu freiem persönlichen Gedankenaustausch zu begegnen. 



364 


Tagesnachrichten. 


Einladung 

zu der 

am Montag, den 26. Juni 1922, vormittags 9 1 /» Uhr in München 
(Polizeidirektion, Unterrichtssaal, 111. St.) 

stattfindenden 

XVI. Landesversammlung des Bayerischen 
Medizinalbeamtenvereins. 

Tagesordnung: 

1. Rechenschaftsbericht des Kassenführers. Festsetzung des Jahresbeitrages- 

2. Tätigkeitsbericht der Vorstandschaft mit anschließender Besprechung 
von Standesfragen. 

3. Stellungnahme gegen die Agitation zur Beseitigung der §§ 218 und 219 
R.Str.G.B. Berichterstatter: Obermedizinalrat Dr. Graßl-Kempten. 

4. Vortrag von Universitätsprofessor Dr. Isserlin-München: „Hirnschäden 
und Psychopathie“. 

6. Wünsche und Anträge. 

Für die am Nachmittag in München noch anwesenden Kollegen ist Ge¬ 
legenheit zu Besichtigungen gegeben. 

Die Vorstandsmitglieder werden ersucht, sich am Sonntag, den 24. Juni, 
nachmittags 4 Uhr, zu einer Vorstandssitzung im Hotel Union (Barerstrabe) 
einzufinden. 

Um zahlreiches Erscheinen ersucht 

Die Vorstandschaft. 

Dr. Frickhinger, Landesvorsitzender. Dr. Schuster, Schriftführer. 


Mitteilung an die Leser der Zeitschriit. 

Das „Handbuch der preußischen Gesundheitsgesetzgebung“ 

(von Rapmund und Solbrig), dessen Erscheinen in Fischers 
medizinischer Buchhandlung bereits für das Frühjahr angekündigt 
war, wird erst später erscheinen. Die Hinausschiebung hat sich 
mit Rücksicht darauf, daß die Dienstanweisung für die Kreis¬ 
ärzte einer Umänderung unterliegt und daß verschiedene wich¬ 
tige Gesetze auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬ 
wesens in Vorbereitung sind, als zweckmäßig erwiesen. Der 
genauere Zeitpunkt des Erscheinens läßt sich noch nicht an¬ 
geben; es wird aber an der Herausgabe des Handbuchs fest¬ 
gehalten. 

Zugleich im Namen von Herrn Geheimrat Rapmund 
und der Verlagsbuchhandlung: 

Die Schriftleitnng. 


Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau, 
Breslau V, Rehdigerstraße B4. Druck von J. C. C. Bruns, Minden i. W. 





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JWtHfrhnft fiir Medizinalbeamie. 


JörsonaHdn. 

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Ernannt: Zum ständigen Hilfsarbeiter liir die Bearbeitung der ärztlichen 
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Mit besonderer Berücksichtigung der deutschen 
Reichs- und preußischen £an<iesgeset 2 gebung 

VC.fi 

Geh. Med.-Rat Dt, O. Rapmnnd, Profi Pr, A, Gramer, 
Prof. Dr. Q. Puppe und Prof. Dr,P. Stolper. 

2 &&cnJe und l 3«pp fernen 

Geheftet: M. 70,—. 8d. 1 v. 2 auch getänden in Halbfranz-Band 
gegen Berechnung des Einbandes von M. 25.—. 








86. Jshrg. 


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Dr. Hillenberp. 


sehen Aufgaben zurücktreten. Als ich diese Zeilen las, fragte 
ich mich zunächst: Hat denn der verehrte Herr Kollege jemals 
unsere Dienstanweisung ernstlich studiert? Ich meine, daß 
auch derjenige, der niemals preußischer Kreisarzt gewesen, 
bei seinem Studium doch eine wesentlich andere Vorstellung 
von diesem Aufgabenkreis gewinnen müßte. Als ich 1918 in 
Livland einem dort sehr bekannten esthnischen Kollegen und 
Lepraforscher auf dessen Bitte unsere Dienstanweisung geliehen, 
gab er sie mir nach einigen Tagen etwa mit den Worten 
zurück: Herr Kollege, was da von ihnen verlangt wird, ist ja 
mehr, als ein deutscher Professor ausführen kann. Er wollte 
damit nur andeuten, daß der Umfang unserer Pflichten ein 
riesengroßer, jedenfalls erheblich vielseitiger ist, als Herr Kollege 
Krautwig anzunehmen scheint. Unsere Dienstanweisung 
umgreift doch in der Tat im Kern bereits fast alle diejenigen 
Aufgaben, die die alte und neue Gesundheitspflege umschließt. 
Ich bedauere nur, daß die wenigsten hauptamtlichen Kom¬ 
munalärzte aus eigener Erfahrung die außerordentliche Mannig¬ 
faltigkeit und Vielgestaltigkeit der Tätigkeit eines nur einiger¬ 
maßen beschäftigten Kreisarztes kennen, daß sie nicht selber 
eine Anzahl von Jahren in einem größeren Kreis staatliche 
Gesundheitsbeamte gewesen sind; sie würden dann vermutlich 
anders urteilen. Daß es eine Reihe kleiner, größtenteils rein 
ländlicher Kreise gibt, in denen die amtliche Tätigkeit des 
Gesundheitsbeamten sich in verhältnismäßig einfachen ruhigen 
Linien bewegt, weiß ich wohl. 

Was insbesondere die sozialhygienischen Aufgaben anlangt, 
so sind wir Kreisärzte nach unserer bisherigen Dienstanweisung 
freilich in erster Linie gehalten, Schaffung von entsprechenden 
Einrichtungen anzuregen, Maßnahmen in die Wege zu leiten, 
und erst in zweiter Linie kommt eine ausübende, persönliche 
Fürsorgetätigkeit in Frage. Und in diesem Geiste fasse ich 
auch für die Zukunft unsere gesundheitsfürsorgerische Arbeit 
dahin auf, daß wir selbst dort, wo genügend Zeit und Neigung 
vorhanden, nur in beschränktem Maße uns an der prak¬ 
tischen Betätigung der Gesundheitsfürsorge beteiligen sollen. 
Diese ist z. T. von den praktischen Kollegen nebenamtlich, 
z. T. von hauptamtlichen Fürsorgeärzten auszuüben. Auch der 
Stadtarzt als hauptamtlicher kommunaler Beamter übt ja gar 
keine oder nur beschränkte soziale Arbeit aus. Der Kreisarat 
soll aber überall dort, wo auf der einen Seite seine amtlichen 
Dienstobliegenheiten es gestatten, auf der anderen die kommu¬ 
nalen Gesundheitsaufgaben nicht zu umfangreich sind, die 
Leitung auch der Gesundheitsfürsorge im Sinne seiner Dienst¬ 
anweisung in Händen haben. Dieser Aufgabe wird er sich 
z. B. in den meisten Landkreisen sehr gut unterziehen können. 
Dies ist m. E. der Weg, auf den die Komunen mit der Zeit 
von selber als den nach meiner Auffassung einzig richtigen 
freiwillig gelangen oder durch die finanziellen Nöte getrieben 
werden. — 



Kommanalärzte and Kreisärzte. 


3f>7 


Bei der bisherigen Entwicklung der Dinge will es mir 
scheinen, daß nicht jeder der in einer leitenden Stellung be¬ 
findlichen Kommunalärzte sioh auf seinem eigensten Gebiet 
voll befriedigt fühlt, so daß ihre Arbeitslust sie nach weiterer 
Betätigung ausschauen läßt. Denn wie anders wären die Aus¬ 
führungen des Herrn Kollegen Bürgers zu erklären, der in 
seinem Artikel „Notwendigkeit und Organisation städtischer 
Gesundheitsämter“ weit über die Grenzen seines eigentlichen 
Aufgabengebiets hinausgeht und auf ein Feld hinüberwechseln 
möchte, das nach der Dienstanweisung für die preuß. Kreisärzte 
ausschließlich diesen zugewiesen ist? Unser Streben, daß die 
Stelle des Kreisarztes und Kreis-Kommunalarztes am zweck¬ 
mäßigsten in der Hand des historisch älteren Staatsmedizinal¬ 
beamten vereinigt bliebe, kann durch nichts kräftiger unter¬ 
stützt werden, als durch seine Forderung, daß ein großer Teil 
der Obliegenheiten des staatlichen Gesundheitsbeamten dem 
Leiter der kommunalen Gesundheitsfürsorge übertragen werden 
möchte. Ich wäre mit seiner Forderung durchaus einverstanden, 
wenn der Kommunalarzt die Priorität seiner Existenz für sich in 
Anspruch nehmen könnte, und wir Kreisärzte nach ihm in die 
Erscheinung getreten wären. Da nun aber das umgekehrte 
Verhältnis historisch gegeben ist, erscheint es mir logisch, 
wenn der Kreisarzt seine Stimme erhebt und sagt: Nachdem 
die Kommunen endlich daran gegangen, unsere oft geäußerten 
Wünsche nach Ausbau der sozialen Aufgaben zu verwirklichen, 
stellen wir, die wir bisher bereits im Dienste der öffentlichen 
Gesundheitspflege unsere Kräfte geopfert, die Forderung, auch 
das erweiterte Gebäude zu leiten und zu verwalten. Der Ein¬ 
wand, daß die Kommune als diejenige Instanz, der die Durch¬ 
führung des „modernen“ Teils der öffentlichen Hygiene obliegt, 
sich eigene, nur ihr verantwortliche und vom Staat unabhän¬ 
gige Aerzte sichern will, ist völlig verständlich und berechtigt. 
Dieses Recht soll auch keinem Gemeinwesen streitig gemacht 
werden. Lediglich aus dem Gesichtspunkt heraus, daß die 
Einheitlickeit des Ganzen gewahrt, eine Kräftezer¬ 
splitterung vermieden werden sollte, glauben wir Kreisärzte, 
unter gleichzeitiger Berücksichtigung des historischen Werde¬ 
ganges nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet zu sein, 
prinzipiell auf Beachtung und Berücksichtigung bei der 
Wahl von Leitern der kommunalen Gesundheitsfürsorge rechnen 
zu können . 

Ich halte es für ein Unding und durch nichts zu begründen, 
daß wir wesentliche Teile unseres Pflichtenkreises abtreten 
und uns damit völlig den Boden unter den Füßen fortziehen 
lassen sollen, sodaß Vertreter der neuen Gesundheitspflege 
eines Tages sagen könnten: jetzt ist der staatliche Gesundheits¬ 
beamte überflüssig geworden, wir wollen und werden ihn er¬ 
setzen. Ich vermag es nicht zu verstehen, wie Herr Kollege 
Bürgers große und wichtige Gebiete der uns durch Gesetz 
übertragenen Aufgaben, denen wir m. E. bisher vollauf gerecht 



368 


Dr. Hillenberg: Kommanalärzte and Kreisärzte. 


geworden sind — Landtags- über. Landtagsverhandlung des 
letzten Jahrzehnts hat das ja öffentlich ausgesprochen — in 
die Bannmeile des kommunalen Gesundheitsamts einbeziehen 
will, ohne auf intensiven Widerstand der Medizinalbeamten zu 
stoßen. Dieser Drang nach Expansion zwingt fast den schon 
geäußerten Gedanken auf, daß die reine Gesundheitsfürsorge 
den Arzt und Beamten nicht so glücklich macht, wie es gern 
verkündet wird. Wäre das der Fall, würde doch kaum ein 
solches Streben nach Gebietszuwachs sich bemerkbar machen, 
wie es aus den Wünschen des geschätzten Herrn Kollegen her¬ 
vorgeht. — Ich meine, daß wir uns bemühen müssen, die einander 
gesteckten Grenzen zu achten. — Kollege Krautwig spricht 
von „tatsächlich vorhandenen Gegensätzen“ zwischen Kreis¬ 
ärzten und Kommunalärzten. Ich muß gestehen, daß ich bei 
objektiver nüchterner Betrachtung der Verhältnisse eigentliche 
Gegensätze gar nicht wahrzunehmen vermag. Wo und wenn sie 
vorhanden, dürften sie mehr aus mißverständlicher Auffassung 
des Wesens der Sache, aus persönlichen Unstimmigkeiten her¬ 
vorgerufen, als in der Sache selbst begründet sein. Ebensowenig 
wie alte und neue Gesundheitspflege Gegensätze, sondern nur 
Fortentwicklunksphasen sind und sich zu einem einheitlichen 
Bau ergänzen sollen, ebensowenig dürften zwischen ihren Ver¬ 
tretern Gegensätzlichkeiten auftauchen. Wenn allerdings alte, 
gesetzlich verbriefte Besitzrechte angetastet werden, dann 
wären Mißstimmung und Kampf die unausbleibliche Folge; sehr 
zum Schaden der Sache. Wir haben doch wirklich, die wir 
alle einem großen Ziele zustreben, einem Ideale dienen: dem 
gesundheitlichen Wohl unseres schwer geprüften Volkes, volle 
Veranlassung, mit vereinten Kräften an die Meisterung der so 
unendlich schweren Aufgabe heranzutreten. Wenn sich Herr 
Kollege Krautwig beklagt, daß wir Kreisärzte noch immer 
gereizt und aggressiv erseneinen, so darf ich ihn nur daran 
erinnern, daß wir nicht nur heftig, und zwar ohne Grund, an¬ 
gegriffen worden sind, sondern nach wie vor in einer gewissen 
Kampf- und Abwehrstellung erhalten werden durch fortgesetzte 
Bestrebungen, unsere Pflichten und Rechte zu verkürzen. Ich 
halte es für durchaus nötig, wie auch schon Herr Kollege 
Bundt in seinen „Tages- und Vereinsfragen“ in Nr. 8 ausführt, 
daß beide Teile sich zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden, 
vor allem ihr Arbeitsgebiet schiedlich-friedlich durch sachliche 
Aussprache abgrenzen — Erlasse und Verfügungen allein nützen 
da nichts — und miteinander sowie gemeinsam mit anderen 
großen Gesundheitsorganisationen sich zu einer kraftvollen 
Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, in der Vertreter der 
öffentlichen Gesundheitspflege und -Fürsorge alle die Aufgaben 
und Maßnahmen anregen, vorberaten und überwachen, die zur 
Förderung des Gesamtwohls nötig sind. Dann wird auch das 
Problem: Kreisärzte und Kommunalärzte und all das Dornwerk, 
das ihm angeblich anhaftet, sehr bald von der Bildfläche ver¬ 
schwinden, und ein kleiner Schritt zur Einigung des zerissenen 



Dt. Faetsch: Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem richtigen Wege ? 369 

Volkes weiter getan sein, die wir doch alle mit heißer Seele 
erstreben. Das ist das politische Moment, das ich in unserer 
Arbeit sehen möchte: Gegensätze im täglichen Leben zu über¬ 
brücken, einander Fernstehende zum gemeinsamen Schaffen zu 
vereinigen. Im übrigen sollte nach meiner Ueberzeugung sich 
gerade unsere Arbeit von jeder Politik freihalten, die sich 
leider — hierin ist ja Herrn Kollegen Krautwig nur zuzu¬ 
stimmen — von ihr nicht freihält, aber ich hoffe, daß die 
Zukunft sich auch hier als Lehrmeisterin zur Ein- und Umkehr 
erweisen wird. 


Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem 

richtigen Wege? 

Von StadtfQrsorgearzt Dr. Paetsch-Bielefeld. 

Im Heft 8 der Zeitschrift für soziale Hygiene vom Fe¬ 
bruar d. J. wird eine Arbeit des Kreisarztes Dr. B o e g e referiert, 
die im Heft 13, Jahrgang 34 der Zeitschrift für Medizinalbeamte 
im Juli 1921 unter dem Titel erschienen ist: „Ueber Fürsorge 
im allgemeinen und über Tuberkulosefürsorge im besonderen.“ — 
So ist mir diese Arbeit leider erst jetzt bekannt geworden; ihr 
Inhalt ist aber meiner Meinung nach so außerordentlich an¬ 
greifbar und widerspricht vielfach den Tatsachen so sehr, daß 
es mir geboten erscheint, einige Punkte einmal etwas näher zu 
beleuchten, wobei ich mich nur auf die Tuberkulosefürsorge 
beschränken will. 

Boege sagt: „Werden die Tuberkulösen nicht vom be¬ 
handelnden Arzt geschickt, so lernt sie die Fürsorge nur selten 
kennen. ..." Das kann zutreffen, braucht aber nicht so 
zu sein. Selbstverständlich ist es mit allen Mitteln anzustreben, 
möglichst viel Zuweisungen von den praktischen Aerzten zu 
bekommen; ist das aber nicht zu erreichen, so kann man doch 
auch auf anderen Wegen an die Kranken herankommen, z. B. 
mit Hilfe der Krankenkassen, die heute ja doch den weitaus 
größten Teil der Bevölkerung in sich schließen, — der Ministerial- 
erlaß vom 9. 11. 18 (Handelsministerialblatt 1918, S. 283) gibt 
eine sehr geeignete Handhabe dazu; — ferner durch die Ver¬ 
sicherungsämter, Landesversicherungsanstalten usw. In Bielefeld 
z. B. hat die Fürsorgestelle, die erst 3 Jahre besteht und erst 
seit 3 / 4 Jahren einen hauptamtlichen, fachärztlichen Leiter hat, 
durch die Aerzte 1921 nur 23,13 % Zuweisungen erhalten, trotz¬ 
dem kennt sie aber 68,04 % aller Offenen (auf Grund der Toten¬ 
scheine berechnet). Stettin hat 83,4% ärztliche Zuweisungen 
und kennt 64 % Offene. — Also es gibt schon die Möglichkeit, 
die Kranken zu erfassen. 

Im weiteren Verlauf der Arbeit stellt Boege nun einige 
Leitsätze auf und sagt: „Meistens werden die Verhältnisse in 
Groß- oder doch Mittelstädten den Erörterungen zugrunde ge¬ 
legt. Ein Beitrag aus einem Landkreis seien die folgenden 
Leitsätze ....“: 




370 


Dr. Paetscb. 


„I. Was will die Tuberkulosefürsorge? 

Sie will 

1. alle Tuberkulosen erfassen, 

2. Tuberkulose diagnostizieren, d. h. dem Hausarzte mit ihrem 
größeren Rüstzeug aushelfen und da, wo der Kranke mittel¬ 
los ist, den Hausarzt ersetzen, 

3. den unbemittelten Kranken wirtschaftlich unterstützen, 

4. und das ist ihre wesentlichste Aufgabe, der Weiterver¬ 
breitung der Tuberkulose Vorbeugen, indem sie den Kranken 
in seiner Wohnung aufsucht und ihn und seine Angehörigen 
Hygiene lehrt. 

II. Ist dieFürsorge diesen vier Aufgaben bisher 
gerecht geworden? 

Die Antwort muß leider „Nein“ lauten.“ — 

Und nun kommt der Beweis 1 Die meisten Tuberkulösen 
blieben in Behandlung ihrer Haus- und Kassenärzte und nur 
wenige kämen zur Fürsorge. Daß das nicht so sein muß, habe 
ich oben schon erörtert; im übrigen sollen doch die Kranken 
in Behandlung ihrer Aerzte bleiben. Behandlung ist Sache 
des praktischen Arztes und nicht Sache der Fürsorge. Die Be¬ 
hauptung ferner, die Fürsorge leiste in der Erkennung der 
Tuberkulose nicht mehr als der praktische Arzt, sondern 
weniger ist durch nichts zu halten. Allerdings malt Bo ege 
hier ein Bild eines Fürsorgearztes wie er nicht sein soll, ge¬ 
wissermaßen einen medizinischen Torso, unfähig bis dahinaus. 
Warum soll „der Fürsorgearzt“ kein Mikroskop haben? Wenn 
er in Ueckermünde keins hat, kann er es doch wo anders 
haben 1 Daß diagnostische Tuberkulinproben nicht zu machen 
seien, trifft nicht zu; ungezählte Fürsorgen machen sie. Ebenso 
stehts mit dem Röntgenapparat und der Unfähigkeit, Röntgen¬ 
platten zu deuten. Diese verallgemeinerte Behauptung B o e g e s 
ist durch nichts bewiesen. Gott sei Dank haben eine Reihe 
von Fürsorgestellen Röntgenapparate, werden fachärztlich ge¬ 
leitet und sind auch infolgedessen von den Aerzten als diagnosti¬ 
sche Autorität anerkannt. Und schließlich sollte man meinen, 
daß auch der Fürsorgearzt, der nicht einen Röntgenapparat 
zur Verfügung hat, durch die große Uebung in der Perkussion 
und Auskultation sich auch eine größere Sicherheit in der 
Diagnostik aneignen kann, als der praktische Arzt. Und wenn 
dieses diagnostische Uebergewichl der Fürsorgestelle dem prak¬ 
tischen Arzte klar geworden ist und er sieht, daß die Fürsorge 
gar nicht daran denkt, ihm Patienten zu entziehen, sondern 
sie im Gegenteil ihm Diagnosen stellen hilft und zwar gute 
Diagnosen, wird er ihr auch Kranke zu weisen. Diese Erkennt¬ 
nis braucht allerdings Zeit und zwar oft jahrelang. Dann wird 
der praktische Arzt auch gar keinen Grund mehr haben, an¬ 
zunehmen, die Fürsorgestelle leiste nicht mehr als er selbst, 
ln dieser Annahme liegt auch gar nicht der Grund des Mi߬ 
trauens gegen die Fürsorgestellen, sondern in dem unberech¬ 
tigten Argwohn der Konkurrenz. 



Sind wir mit der Tuberkulose auf dein richtigen Wege f 


871 


„Der vierten Aufgabe, den Kranken in der Wohnung auf¬ 
zusuchen, ist die Fürsorge wiederum sehr unvollkommen nach¬ 
gekommen. Einmal, weil sie, wie gesagt, nur einen kleinen 
Teil der Tuberkulosekranken kennt und dann, weil die Fürsorge¬ 
schwestern so mit allerlei Arbeit überhäuft sind, daß sie nicht 
einmal bei den wenigen bekannten Tuberkulösen genügend 
Hausbesuche machen könnend 

Beweise fehlen. Auch hier muß es nicht so sein, wie 
Boege es schildert; so hatten z. B. in Stettin 45,7 °/ 0 der Kranken 
hygienisch einwandfreie Verhältnisse auf zu weisen, in Biele¬ 
feld 80. «/o *) 

Boeges Vorschläge, um diese vermeintlichen Uebelstände 
abzustellen, erscheinen allerdings reichlich eigenartig, denn sie 
gipfeln in der Forderung: „Weg mit der ärztlichen Unter¬ 
suchung uod Beratung, mehr Fürsorgeschwestern einstellen, 
mehr Hausbesuche der Schwestern und Zusammenarbeiten der 
Schwestern mit den behandelnden Aerzten.“ 

Ich glaube kaum, daß hierin die Mehrzahl der Fürsorge¬ 
stellenleiter Boege zustimmen werden, abgesehen von der 
Einstellung der Schwestern und der Forderung auf recht viel 
Hausbesuche. Vielmehr muß man annehmen, daß dann noch 
weniger Tuberkulöse erfaßt werden, weil der praktische Arzt 
gar nicht die Zeit und oft auch nicht das Interesse daran hat, 
sich mit all solchen Dingen abzugeben. Und wo würden sich 
die Schwestern finden, die so und soviel praktischen Aerzten 
unterstellt wären, von denen der eine „Hüh“, der andere „Hott“ 
und der dritte gar nichts sagt? Nach ganz kurzer Zeit würden von 
dem Betriebe die Schwestern sicher genug haben und dankend 
den Dienst quittieren. 

Und nun heißt es zum*Schluß: „Erstrebenswert bleiben 
unter allen Umständen Fürsorgestellen, die nicht nur beraten, 
sondern auch untersuchen und sogar behandeln.“ Ob Boege 
nun glaubt, daß durch die Behandlung der Fürsorgestellen die 
praktischen Aerzte eher geneigt sein werden, Patienten zu über¬ 
weisen, lasse ich dahingeste lt. Zusammenfassend läßt sich 
sagen, daß Boege spezielle Fälle verallgemeinert und so eine 
Organisation herunterreißt, die recht Gutes schon geleistet hat 
und leisten kann, wenn man es nur richtig anfängt. Die Mehr¬ 
zahl der Fürsorgeärzte wird aber diese Boege sehen Vorschläge 
ablehnen, und vielmehr fordern: 

1. Weiteren Ausbau der Fürsorgestellen in ihrem bisherigen 
System, unter fachärztlicher Leitune:, ausgestattet mit modernem, 
diagnostischem Instrumentarium (Röntgenapparat). 

2. Heranziehen der Aerzteschaft zür Mitarbeit, vor allem 
durch Ablehnung der Behandlung und dadurch, daß die Fürsorge¬ 
stelle als fachärztlicher Konsiliarius ihre Arbeit in den Dienst 

*) Ich empfehle Herrn Boege, sich mal die Stettiner Fürsorgestelle 
anznsehen und mal die Jahresberichte von Stettin nnd Mannheim za studieren, 
auch den meinigen stelle ich gern zar Verfügung. Dann dürfte er doch viel¬ 
leicht eines Besseren belehrt werden. 



372 


Pr. Schräder. 


des behandelnden Arztes stellt. Erfolgt dann eine rege Zu¬ 
weisung von verdächtigen Kranken durch Aerzte, Kassen usw., 
so soll die Fürsorgestelle jede Selbstmeldung ablehnen, die an¬ 
zunehmen sie leider bei ablehnendem Verhalten der Aerzteschaft 
gezwungen ist. 

3. Ablehnung der Behandlung in der Fürsorgestelle, aus¬ 
genommen prophylaktische Tuberkulinkuren bei Kindern in 
offen tuberkulösen Haushalten und Tuberkulinkuren auf Er¬ 
suchen des behandelnden Arztes. 


Zukunft saufgaben amtsärztlicher Tätigkeit. 

Von Kreismed izinalrat Dr. Schräder • Gerdauen. 

ln den nächsten Monaten soll die Dienstanweisung für die 
Kreisärzte einer Umarbeitung unterzogen werden, um sie den 
inzwischen eingetretenen veränderten Verhältnissen anzupassen. 
Dies bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte unseres 
Standes und zwingt dazu kritisch zu betrachten, in wiefern die 
bisherige Dienstanweisung Mängel enthielt und festzustellen, in 
welcher Weise in der Zukunft diese Mängel abgestellt werden 
können. 

In dieser Zeitschrift sind in den letzten Monaten so viele 
gute Artikel von berufener Seite zu diesem Thema veröffent¬ 
licht worden, daß über viele Fragen Klarheit geschaffen ist. 
Und doch werden sich in den nächsten Wochen die einzelnen 
Medizinalbeamten - Bezirksvereine noch weiter mit ähnlichen 
Gesichtspunkten beschäftigen müssen, denn unsere Wünsche 
hinsichtlich der Verbesserung unserer Diensttätigkeit sind noch 
lange nicht alle erfüllt. Es ist unsere Pflicht, emsig in diesem 
Sinne weiter zu arbeiten und einander durch Aussprache auf 
gewisse Punkte in der Ausübung unseres Dienstes aufmerksam 
zu machen. 

Den Lesern dieser Zeitschrift brauche ich wohl nicht erst 
anzudeuten, worauf sich die Angriffe gegen die Amtsärzte 
gründeten. Von verschiedenen Seiten wurde behauptet, daß 
von der sozial-fürsorgenden Tätigkeit wenig in der Praxis zu 
verspüren gewesen wäre. 

Woran sollte das gelegen haben? An Nachlässigkeit und 
Oberflächlichkeit der Amtsärzte bei Ausübung ihres Dienstes? 
Sicherlich nicht I Jeder neu auf eine Stelle versetzte Amtsarzt 
wird die Akten seines Vorgängers studieren, um sich hieraus 
ein Bild zu schaffen, in welchem Sinne dieser als Fürsorgearzt 
des Kreises gewirkt hat und — worauf es doch in erster Linie 
ankomrat — was er bei dieser Tätigkeit erreichte. Bei solchen 
Vergleichen wird man nicht selten zu dem für uns Amtsärzte 
selbst am schmerzlichsten Ergebnisse kommen, daß viele An¬ 
regungen, die der Amtsarzt als der technische Berater des 
Kreises seinem Landrate gab, nicht oder nur mangelhaft befolgt 
wurden und die enorme Arbeit, die dem Amtsärzte durch diesen 
Schriftverkehr erwuchs, nicht den notwendigen Erfolg hatte. 



Zukunftsaufgabon amtsärztlicher Tätigkeit 


873 


Wenn ein Amtsarzt von dem zuständigen Regierungs¬ 
präsidenten eine Verfügung erhält, mit der Aufforderung im 
Sinne dieser Verfügung zu wirken, so kann eine derartige 
Verfügung, nur allgemeine Richtlinien enthalten. Wie sie nun 
am besten unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse 
des Kreises durchgeführt werden müssen, das kann die Vor¬ 
gesetzte Behörde nicht anordnen. 

In den Kreisen, in denen der Landrat es als seine vor¬ 
nehmste Aufgabe ansieht, den Anregungen seines beratenden 
Amtsarztes so weit wie irgend möglich nachzukommen, wird 
sich wohl stets ein Mittel finden lassen, um das zu verwirk¬ 
lichen, was die Verfügung andeutet. Doch nicht selten wird 
dieses Zusammenarbeiten zwischen beiden Beamten nicht so 
reibungslos vor sich gehen. Landräte sind nun einmal nicht 
nur Regierungsbeamte, sondern nehmen oft — ob aus eigener 
Ueberzeugung oder unter dem Drucke ihrer Kreistage, das sei 
hier nicht erörtert — eine so weitgehende Rücksicht auf die 
Kreise, die die für Durchführung sozialer Tätigkeit notwendigen 
Mittel aufbringen müssen, daß es oft bei der Anregung des 
Amtsarztes (und sei diese auch noch so gut begründet) verbleibt. 

Nun braucht der betreffende Amtsarzt sich hierbei nicht 
zu beruhigen. Er wird sich an seine Vorgesetzte Dienstbehörde 
wenden und ihr schildern, daß und weshalb er in dem oder 
jenem' Punkte nichts erreichte. Nach meinen Erfahrungen 
wird er oft nachträglich doch noch etwas durchdrücken, was 
ihm kategorisch als undiskutabel und unausführbar hingestellt 
wurde. 

Dieser Weg ist langwierig. Er bringt dem Amtsärzte 
sehr viel Arbeit, die ihm erspart werden könnte. Und zwar 
in vielen Fällen, wenn er die Möglichkeit haben würde, seine 
Anregungen selbst vor dem Kreistage oder dem Kreisausschusse 
vorzubringen und nicht gezwungen wäre zu warten, ob und in 
welcher Form der betreffende Landrat dies tun wird. 

Einige Beispiele mögen dies erläutern: 

In einem Bezirke ist die Stelle einer Hebamme zu besetzen. Der Amts¬ 
arzt hat eine Hebamme gefunden, die geeignet wäre, diese Stelle auszufüllen. 
Er bittet seinen Landrat dafür zu sorgen; daß eine Wohnung für diese Heb¬ 
amme geschaffen wird. Der Landrat reicht dies Schreiben dem betreffenden 
Gemeindevorsteher weiter. Dieser und die anderen Besitzer der Gemeinde 
haben kein besonderes Interesse daran, daß die Stelle neu besetzt wird. Erstens 
einmal sind ihre Frauen zum großen Teile aus den Jahren, in denen sie Mutter 
werden könnten, heraus. Zweitens verfügen sie alle über genügend Fuhrwerk, 
um im Bedarfsfälle sich eine Hebamme von weit her zu holen. Folglich be¬ 
müht sich der Gemeindevorsteher nicht genügend, um eine Wohnung für die 
betreffende Hebamme in absehbarer Zeit frei zu bekommen. So kenne ich einen 
Fall, in dem ein Hebammenbezirk mit über 80 Geburten im Jahre und zwar 
ausschließlich auf dem Lande nicht neu besetzt werden konnte, weil sich trotz 
aller erdenklichen Bemühungen des Amtsarztes keine Wohnung im Verlaufe 
von mehr als einem Jahre für die neue Hebamme auftreiben ließ. Ja dieser 
wurde sogar von einem der einflußreichsten Besitzer des Ortes gesagt, in dem 
Orte würde eine Hebamme gar nicht ihr Brot finden können. Und das, obwohl 
seit Jahrzenten eine Hebamme dort ihr Auskommen hatte. 

Ist dem betreffenden Kreistage von der Kreisbehörde dar- 



874 


Dr. Schräder. 


gelegt worden, was es bedeutet, wenn zu einer Geburt die 
Hebamme meilenweit erst herangeholt werden muß? Ist ihm 
dargelegt worden, daß auf dem Lande so und so viele still¬ 
fähige Frauen zur Flasche greifen, um ihr Kind —• und dann, 
womöglich noch von einer alten Großmutter schlecht beraten, 
falsch — zu ernähren, nur weil die Hebamme in der ersten 
Woche nach der Geburt die junge Mutter nicht besuchen 
konnte und ihr über die kleinen, aber oft das Leben des 
Kindes entscheidenden technischen Schwierigkeiten des Still¬ 
geschäftes hinweghelfen konnte? Was weiß der Kreistag 
über die Erfahrungstatsache, daß die Hebammenfuscherei dort 
ihre Giftblüten treibt, wo die regelrechte Versorgung mit 
Hebammenhilfe eine mangelhafte war? Sicherlich nichts. 
Sonst wäre sehr schnell eine Wohnung für die Hebamme ge¬ 
schafft worden. Der umständliche Weg, auf dem sonst der 
amtsärztliche Antrag möglichst bürokratisch und mit vielfachen 
passiven Widerständen von verschiedenen Seiten weitergegeben 
und erledigt, d. h. oft nicht erledigt wurde, wäre mit einem 
Male ausgeschaltet. Anstatt stundenlang am Schreibtische zu 
sitzen, Anregungen schriftlich zu geben, von denen doch nur 
wenige verwirklicht werden, würde der Amtsarzt schnell und 
schlagend Erfolge erzielen, weil er für seine Arbeit selbst ein- 
treten kann. Anstatt mit der Zeit über die häufige Erfolglosig¬ 
keit seiner Arbeit mißmutig zu werden, würde ihn jeder-Erfolg 
zu neuen Taten anspornen. 

Oder einen anderen Fall: 

Ich kenne einen Kreis, in dem drei Gemeindeschwestern tätig sind. Je 
eine ist in den beiden Städten des Kreises stationiert, eine anf dem Lande. 
Der Kreis müßte noch mindestens 5 Gemeindeschwestern haben. Dies hat der 
Amtsarzt immer und immer wieder dem Landrat vorgestellt. Und stets erhält 
er zur Antwort, diese Lasten könne der Kreis nicht aufbringen, der Kreis, der 
— nebenbei bemerkt — sprichwörtlich wohlhabend ist! Hätte der Amtsarzt 
die Möglichkeit vor dem Kreistage darzulegen, welcher Segen von der Tätigkeit 
einer Gemeindeschwester ausgehen könnte, dann würde unter den heutigen 
Verhältnissen kein Kreistag die Mittel fiir die Anstellung der Gemeinde¬ 
schwestern verweigern. 

Und diese Beispiele ließen sich um vieles vermehren! 
Deshalb muß in Zukunft eine unserer Hauptforderungen 
sein, daß wir Amtsärzte in allen Fragen unseres 
Dienstes und beiBeratung eines jeden unserer Vor¬ 
schläge vom Kreistage oder dem Kreisausschusse 
gehört werden müssen. Wir müssen es als unsere Pflicht 
ansehen zu verlangen, daß der Amtsarzt zum mindesten Sitz 
und beratende Stimme im Kreistage und dem Kreisausschusse 
erhält. Diese Forderung haben die Kommunalärzte längst ge¬ 
stellt und erfüllt bekommen. Und wo sie mehr als wir erreicht 
haben, da haben sie diese Erfolge nicht etwa ihrer größeren 
Sachkenntnis oder ihrem größeren Diensteifer zu verdanken 
gehabt, sondern lediglich der Tatsache, daß sie die Möglichkeit 

*) Anm. d. Scbriftl.: Diese Forderung ist auf der Hauptversammlung des 
Preußischen Medizinalbeamten-Vereins in Magdeburg bereits gestellt. 



Zukanftaanfgaben der amtsärztlichen Tätigkeit. 


875 


hatten, ihren Standpunkt einem größeren und entscheidenden 
Forum gegenüber zu vertreten I 

Nun wird ja der oder jener Amtsarzt bereits Mitglied des 
Kreistages sein, weil er von irgend einer Partei in diese Körper¬ 
schaft gewählt wurde. Er hat zwar die Möglichkeit, nunmehr 
seinen Standpunkt zu vertreten; aber er tritt hierbei doch in 
erster Linie als Vertreter einer Partei oder einer Wirtschafts¬ 
gruppe auf. Hierdurch sind ihm die Hände gebunden; er ist 
dauernd Angriffen ausgesetzt, daß er in seinen Forderungen 
für die Wohlfahrt seines Kreises zu weit oder nicht weit genug 
gehe. Deshalb halte ich es für unbedingt erforderlich und 
besser, daß der Amtsarzt — ganz unabhängig von der Zu¬ 
sammensetzung des Kreistages oder Kreisausschusses oder der 
Person des Landrates — von amtswegen verdichtet wäre an 
den Sitzungen beider Körperschaften teilzunehmen und daß der 
Leiter dieser Sitzungen, der Landrat, verpflichtet wäre, ihm bei 
Beratung über jeden seiner Anträge und jede seiner Anregungen 
das Wort zu erteilen. 

Die Teilnahme an diesen Sitzungen würde aber noch in 
anderer Beziehung die Tätigkeit des Amtsarztes vielfach be¬ 
fruchten 1 Er würde viele Teile kommunaler Verwaltungstätig- 
keit kennen lernen, die er so kaum kennen lernt. Bis jetzt ist 
er vielfach darauf angewiesen, nur das von diesen Dingen und 
nur so viel von ihnen zu erfahren, was der Landrat ihm mit¬ 
zuteilen für gut hält. Und auch das oft nur von einem ein¬ 
seitigen Standpunkte aus. 

Den betreffenden Abgeordneten dieser beiden Körper¬ 
schaften könnte er bei strittigen Fragen oft als Berater dienen 
und zwar als ein Berater, der völlig uninteressiert an der oft 
recht hitzigen Debatte unparteiisch, sachlich und ohne die 
bekanntlich den Blick verdunkelnde Parteibrille vor dem 
geistigen Auge urteilt. 

Bei einem verständnisvollen Zusammenarbeiten zwischen 
Landrat und Amtsarzt wird schließlich auch ersterer mit der 
Zeit diese neue Tätigkeit des Amtsarztes als angenehm für 
sich selbst empfinden. Immer jedoch wird sie ihn zwingen, 
unserer Tätigkeit ein größeres Augenmerk zu schenken und 
hierdurch werden die amtsärztlichen Erfolge auf sozialhygieni 
schera Gebiete von selbst wachsen. Ein Jahrzehnt solcher Tätig¬ 
keit, und unsere Gegner werden anders über unsere Tätigkeit 
urteilen I 

Unsere Leistungen werden sich dann jederzeit mit denen 
der Kommunalärzte vergleichen lassen dürfen. Denn wir ver¬ 
fügen über die gleiche Sachkenntnis, haben aber nebenbei noch 
den enormen Vorteil, unser wertvollstes ideales Gut, unsere 
wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Kreise, bei unserer Tätig¬ 
keit mit in die Wagschale werfen zu können. Und dies ist in 
der heutigen Zeit mehr noch als früher Vorbedingung, wirklich 
sachliche und wertvolle Arbeit auf diesem Gebiete leisten 
zu können. 



376 


Dr. Hahn. 


Ein Beitrag znr Frage der Aufhebung 
der Zwangsimpfting. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn-Königsberg i. Pr. 

Nach einer Mitteilung in Nr. 1254 des „Aerztlichen Vereins¬ 
blatts“ vom 23. März 1922 Seite 101 hat am 3. März 1922 im 
Reichstagsgebäude ein Vortrag gegen den Impfzwang seitens 
einer Vorkämpferin des Frauenbundes dieser Bewegung vor 
Reichstagsabgeordneten und Aerzten stattgefunden, in dem 
gegen den angeblich unzeitgemäßen und unpopulären 
Fortbestand des Impfgesetzes zu Felde gezogen wurde. 

Auf das „Für“ oder „Wider“ der Zwangsimpfung in 
diesem Blatte einzugehen, darf ich mir versagen, da es m. E. 
für den erfahrenen Medizinalbeamten nur ein „Für“ geben kann. 

Es ist mir aber letzthin bekannt geworden, daß ich als 
ehemals Pockenkranker in der Presse der Impfgegner zugunsten 
ihrer Bestrebungen aufgeführt werde — als Beispiel, daß die 
Impfung nicht vor der Erkrankung schützt. Ich halte es des¬ 
halb für angebracht, wenn ich über meine Beobachtungen am 
eigenen Körper während der Erkrankung berichte und den 
etwaigen Einfluß der an mir vorgenommenen früheren Impfungen 
auf die Erkrankung einer kritischen Würdigung unterziehe. 

Ich war vorschriftsmäßig als Kleinkind, im zwölften Lebens¬ 
jahr und zuletzt als Soldat im Jahre 1890 geimpft worden; die 
ersten beiden Male „mit“, als Soldat „ohne“ Erfolg. 

Im Jahre 1910 oder 1911 traten in Marienburg (Westpr.), 
und alsdann in der mit der Stadt Marienburg in starkem Ver¬ 
kehr stehenden, zum Kreise Stuhm gehörigen Ortschaft P., wo 
fast ausschließlich ärmliche Arbeiterbevölkerung wohnte, die 
Pocken auf, mutmaßlich eingeschleppt durch polnische Saison¬ 
arbeiter, die alljährlich in dem damals zum Kreise Marienburg 
gehörigen „Großen Werder“ für den Zuckerrübenbau in starker 
Auflage benötigt wurden. 

Wohl hatte ich von etwaigen in Marienburg vorgekommenen 
Pockenerkrankungen gehört, aber — ich plaudere hier aus der 
Schule — mir gedacht: „So etwas kommt in meinem Kreise 
nicht vor.“ 

Eines Tages erhalte ich vom Landratsamt den Auftrag, 
nach P. zu fahren, da dort ein eigentümlicher Krankheitsfall, 
wahrscheinlich eine Infektionskrankheit, vorliege. 

Ich fuhr sofort hin. Krank war ein etwa 11 jähriger Junge, 
krankheitsverdächtig ein Kind im ersten Lebensjahr. Die 
Diagnose war: Pocken. Ich hatte noch nie einen Pocken¬ 
kranken gesehen. Der Junge bot ein allerschwerstes Krank¬ 
heitsbild ; — das Gesicht war eine schwärzlich-braune Kruste, 
der Körper übersäet mit Pockenpusteln und Schorfen. Der 
Knabe starb bald darauf, desgleichen das andere Kind nach kurzer 
Pockenkrankheit, während die übrigen Familienmitglieder — 
darunter auch Kinder —, die im übrigen sogleich schutzgeimpft 
wurden, gesund blieben. 



Bin Beitrag zur Frage der Aufhebung der Zwangsimpfung. 377 

Heimgekehrt impfte ich meine Frau, meine Kinder von 10 
bezw. 5 Jahren, Dienstmädchen und mich selbst. In den nächsten 
Tagen nahm ich Massen-Impfungen in P. vor, denen sich das 
Publikum freiwillig in ziemlich geschlossener Zahl unterzog. 

Nach kürzerer Zeit fühlte ich mein sonst stets einwand¬ 
freies körperliches Gleichgewicht gestört. Ich tat indes meinen 
Dienst, bis die zunehmenden Rückenschmerzen mich nötigten, 
das Bett aufzusuchen. Der Verdacht einer nahenden Pocken¬ 
erkrankung kam mir nicht; ich glaubte, mich „erkältet“ zu 
haben. Die folgende Nacht war wenig erfreulich. Am nächsten 
Vormittag konstatiere ich plötzlich, daß sich der Körper — fast wie 
bei einem Masernkranken — mit Ausschlag bedeckt und daß die 
meisten Flecke im Zentrum kleine Blutpunkte auf wiesen. Es war 
heraus: — ich hatte die Pocken. Allein ich fühlte mich schon 
fast obenauf und war am nächsten Morgen fieberfrei. Der weitere 
Verlauf war der, daß ich täglich bedauerte, die Außenwelt meiden 
zu müssen. Nur hier und da, besonders auf der Kopfhaut, ent¬ 
wickelten sich einige windpockenartige Pusteln. 

Welche Folgerungen muß man als Arzt aus diesem Er¬ 
lebnis ziehen, selbst wenn man ein arger Skeptiker ist? 

Bevor ich diese Frage beantworte, weise ich auf eine 
andere Erfahrung aus eigener Beobachtung hin, nämlich die, 
daß, nachdem zu Anfang des Weltkrieges eine ganze Zahl von 
Verwundeten auf der Westfront an Wundstarrkrampf zugrunde 
ging, die Erkrankungen mit einem Schlage auf hörten, als be¬ 
fehlsmäßig jeder Verwundete aufs schnellste der Tetanusschutz¬ 
impfung unterzogen wurde. Diesen plötzlichen Umschwung 
muß man erlebt haben; dann kann man keine Zweifel hegen, 
daß allein die Schutzimpfung unsere Verwundeten vor der fast 
immer tödlichen Erkrankung an Starrkrampf bewahrte. 

Ist der Pockenimpfschutz weniger gut, weniger bewährt? — 
Neinl Ich verdanke ihm sicher damals mein Leben und den 
schnellen Ablauf der Erkrankung. Nicht aber hat sich, wie 
die Impfgegner wähnen, die Schutzpockenimpfung als etwas 
überflüssiges, zur Verhütung der Krankheit imgeeignetes er¬ 
wiesen. Ich hatte mich sicher aufs schwerste infiziert. Dafür 
sprach — abgesehen davon, daß die beiden verstorbenen Pocken¬ 
kranken sch werst-krank gewesen waren — der enorme Aus¬ 
schlag mit den zentralen Blutungen in den Ausschlagsflecken. 
Aber ich hatte aus den während meines Lebens voraus¬ 
gegangenen Schutzimpfungen noch soviel Impfschutz in mir, 
daß die Attacke seitens der in mir vorhandenen Schutzstoffe 
glatt und kurz paralysiert werden konnte. 

Meine Erkrankung lieferte nicht den Beweis, wie ihn 
die Impfgegner finden, daß die Schutzpockenimpfung nichts 
nützt, sondern den, daß sie, gesetzmäßig durchgeführt und 
wiederholt, einen zum mindesten derartigen Schutz gewährt, 
daß eine schwerste Infektion nur oberflächlich krankmachend 
wirkt, und daß, sofern die Umgebung geimpft ist bezw. schnellstens 
geimpft wird, weitere Erkrankungen nicht auftreten. Von den 



378 


Dr. Solbrig. 


beiden Verstorbenen in P. war das Kleinkind überhaupt noch 
nicht geimpft; es erlag sehr schnell der Krankheit. Bei dem 
11 jährigen Knaben war wegen der Pusteln und Krusten nicht 
feststellbar, ob die Erstimpfung intensiven Erfolg gehabt und 
er genügend Impfschutz im Körper erworben hatte. Im übrigen 
stand der Junge unweit der zweiten Impfung, die ihm weiteren 
Schutz gewähren sollte. Bekannt ist ja, daß tunlichst alle 
5 Jahre die Pockenschutzimpfung erfolgen müßte, um best¬ 
möglichen, vielleicht ganz sicheren Schutz zu erreichen. 

Es wäre durchaus verfehlt im Interesse der Volksgesund¬ 
heit, wollte man mit der Zwangsimpfung brechen. Wozu nur 
rütteln an dem, was sich voll bewährt hat und unter allen 
Umständen zu unserem für die Abwehr einer schweren Volks¬ 
krankheit notwendigen Rüstzeug gehören muß! Wer nicht 
hören will, der sehe die vielen pockennarbigen Gesichter der 
russisch-polnischen Saisonarbeiter. Ich habe sie in Westpreußen 
in recht hoher Zahl erlebt. Wie überaus selten findet man 
einen pockennarbigen Deutschen I 

Jetzt, wo die Infektionskrankheiten mehr als früher die 
östlichen Grenzen bedrohen, laufe man nicht gegen die 
Zwangsimpfung an. Sie ist nicht zu entbehren, und bei sach¬ 
gemäßer Ausführung und hygienisch einwandfreier Betreuung 
der Kinder nach der Impfung sind ernstere Störungen durch¬ 
aus selten. Das hat mich die Erfahrung an vielen Tausenden 
von Impflingen gelehrt, die ich teils selbst geimpft oder über 
die ich die pflichtmäßigen Aufstellungen gemacht habe. 

Wenn Gefahr droht, wie damals beim Auftreten der echten 
Pocken, kommt übrigens die Bevölkerung von selbst, um sich 
impfen zu lassen und vergißt alle Impfgegnerschaft. 

Kurzum, nur die Beibehaltung der Zwangsimpfung kann 
dem Volkswohl nützen. 


Besoldungsfragen. 

Vom Schriftleiter. 

Den verschiedentlich geäußerten Wünschen, daß in der 
Zeitschrift, und zwar fortlaufend*) nach den eintretenden Aende- 
dungen, die Bezüge für die im Dienst befindlichen, die bereits 
im Ruhestand befindlichen Medizinalbeamten und deren Hinter¬ 
bliebenen genauer bekannt gegeben werden, da es schwierig 
sei, sich aus den fortwährend wechselnden Bestimmungen ge¬ 
hörig zu unterrichten, kommt die Schriftleitung gern nach. 

Maßgebend ist für Preußen zur Zeit die vom Landtag 
beschlossene Aenderung des Gesetzes mit Wirkung vom 
1. April 1922 nebst einer Aenderung mit Wirkung vom I. Mai 
1922 ab. Die zweite Aenderung bezieht sich lediglich auf 
eine Erhöhung des allgemeinen Ausgleichs- und Sonderzuschlags. 

•) Anm.: Zar Zeit schweben bereits, wie man hört, Erwägungen Aber 
Erhöhung der Bezöge, die ja auch, mit Biicksicht auf die immer zunehmende 
Teuerung durchaus nötig erscheint. 



fiesoldungsfragen. 


379 


Hiernach setzt sich das Gehalt der im Dienst befind¬ 
lichen Beamten zusammen aus: 

1. Grundgehalt, 2. Ortszuschlag, 3. Ausgleichs¬ 
zuschlägen, 4. gegebenenfalls Kinderbeihilfen und 
Prauenbeihilfe,' 5. gegebenenfalls Wirtschaftsbeihilfe 
(für bestimmte teure Orte). 

Das Grundgehalt richtet sich nach den Gehaltsgruppen 
und steigt bei den Einzelnen je nach seiner Dienstzeit, wobei 
in den Gruppen 10 und 11 (Kreisärzte) das Höchstgehalt nach 
14, in der Gruppe 12 (Reg.- und Med.-Räte in Aufrückungs- 
steilen) in 12 Jahren erreicht wird; eine Steigerung vom An¬ 
fangsgrundgehalt tritt jedesmal nach 2 Jahren ein. 

Zum Grundgehalt tritt der Ortszuschlag, dessen Höhe 
sich je nach der Höhe des Grundgehalts und nach den Orts¬ 
klassen (5 Klassen von A—E) verschieden gestaltet, im höchst- 
fall 8000 M. beträgt. 

Ausgleichszuschläge kommen zum Grundgehalt und 
Ortszuschlag und zwar: 

a) der allgemeine Ausgleichszuschlag auf Grundgehalt und . 
Ortszuschlag, einheitlich 65 v. H., 

b) ein Sonderzuschlag von 65 v. H. für die ersten 10000 M. 
des Diensteinkommens. 

Verheiratete erhalten einheitlich 2500 M. jährlich (also 
auch solche, welche gekürzte Grundgehälter beziehen — nicht 
vollbesoldete Kreisärzte und Kreisassistenzärzte) als sogenannte 
Frauenbeihilfe. Voraussetzung ist, das die Ehefrauen unter¬ 
haltsberechtigt sind, was ohne weiteres als gegeben anzusehen 
ist, wenn die Eheleute zusammen leben, dann aber, wenn die 
Eheleute getrennt leben, gleichfalls in Betracht kommt, wenn 
der Beamte der getrennt lebenden Ehefrau den Unterhalt ge¬ 
währt oder mindestens in Höhe der Frauenbeihilfe einen Beitrag 
dazu leistet. Die Frauenbeihilfe ist ferner auch verwitweten 
Beamten zahlbar, welche im eignen Hausstande für den vollen 
Unterhalt von Kindern aufkommen, für welche sie die gesetz¬ 
lichen Kinderbeihilfen beziehen. 

Kinderbeihilfen werden gezahlt: 

a) für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahre 3960 M., 

b) vom vollendeten 6. bis vollendeten 14. Lebensjahre 
4950 M., 

c) vom vollendeten 14. bis vollendeten 21. Lebensjahre 
6940 M., letzteres (c) aber nur dann, wenn das Kind sich in 
der Schulausbildung oder in der Ausbildung für einen künftig 
gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf befindet oder wenn 
es wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd er¬ 
werbsunfähig ist. Bezüglich der Kinderbeihilfen für Kinder 
vom 14. bis 21. Lebensjahre ist außerdem festgesetzt, daß von 
dem eigenen Einkommen des Kindes ein Betrag von 4000 M. 
als anrechnungsfrei gilt. 

Schließlich kommt dem Beamten und zwar nur den im 
Dienst befindlichen, und nur für ganz bestimmte Orte eine 



380 Dr. Solbrig. 

Wirtschaftsbeihilfe zugute, deren Höhe schwankt zwischen 
etwa i000 bis 3000 M. 

Hiernach beziffert sich der Jahresbetrag des Grundgehalts 
nebst Ortszuschlag und Ausgleichszuschlag (einschl. des Sonder¬ 
zuschlags von 5500 M.) in den Gehaltsgruppen 10, 11, 12 (ohne 
Frauenbeihilfe und Kinderbeihilfen) folgendermaßen: 

I. Besoldungsgruppe 10. 


8rti- 

klisst 


in den 
ersten 
2 Jahr. 

nach 

2 Jahr. 

nach 

4 Jahr. 

nach 

6 Jahr. 

nach 

8 Jahr. 

nach 

10 

Jahren 


nach 

14 

Jahren 


Grundgehalt 




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42000 

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Ortszuschlag 

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7200 

8000 

JhugleitfcszBufalige 

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Elia 

Eiitt 


3800 


ZUR. 

63580 

66880 

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73480 

| 76780 

80080 

83380 

88000 


Grundgehalt 


300U0 

Kl BW 

ETOTiim 


38000 

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42000 

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Ortszuschlag 

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5400 

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6000 

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33710 

Es 

36700 


ZU«. 

60610 

63910 

67210 

70510 

73810 

77110 

80410 

84700 


Grundgehalt 



n 

KW| 



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42000 

c 

Ortszuschlag 







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5000 


JUsglädiszBsililige 

IBS 

SS 

ES 

E» 

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m 


36050 


zus. 

59125 

62425 

65725 

69025 

72325 

7562f' 

78925 

83050 


Grundgehalt 

BMYt 





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400O0 

42000 

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Ortszuschlag 

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3600 

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33840 

35400 


ZUS. 

57640 

60940 

64240 

67540 

| 70840 


77440 

81400 


Grundgehalt 


gT>Wi] 

wm 


— 


40000 

42000 

E 

Ortszuschlag 



2700 


ütri 


2700 

8000 

lu|liidKn«kll|i 

25455 

26755 

28055 

29365 

30655 

31955 

83255 

34760 



56155 

59455 

62755 

66056 

69355 

72656 

75956 

79750 


II 

Besoldungsgruppe 11. 



Irts- 

klust 


in den 
ersten 
2 Jahr. 

nach 

2 Jahr. 

m 

nwvffl 

nach 

6 Jahr. 

nach 

8 Jahr. 

nach 

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Jahren 

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nach 

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Jahren 


Grundgehalt 

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48000 

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8000 


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94600 

97900 


Grundgehalt 


34500 

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HM 

HW 


48000 

B 

Ortszuschlag 





Km 



6000 

InilnhzistUigi 

29810 

31435 

33060 

K|T!7!h 

EM 

ES 

EB 

40600 


ZU8. 

672i0 

71335 

754«0 

79585 

84700 

88000 

91300 

94600 


Grundgehalt 




B 

42000 



48000 

C 

Ortszuschlag 

Biff fl 




5000 



5000 

lis|hhhoiscUi|< 

E22 

BE 

32475 

Eil lü 

36050 

B 

38650 

39950 


zus. 

65725| 

69850 

73976 

78100 

83050 

EH 


92960 



















































































































































Besoldungsfragen. 


381 


Ms* 

Mas» 


in den 
ersten 
2 Jahr. 

nach 

2 Jahr. 

nach 

4 Jahr. 

nach 

6 Jahr. 

nach 

8 Jahr. 

nach 

10 

Jahren 


nach 

14 

Jahren 


Grundgehalt 

eütr 


KWITJJ 




46000 

481)00 

D 

Ortszuschlag 

Br ijffi 

Kt®! 


Bß «Ei 


Bn 

40: )0 

4000 


teglritbsandillgi 

ese 


WRm 

Eüi 

35400 


38000 

39300 


ZU8. 

64240 

68366 


76615 

81400 

| 84700 

88000 

91300 


Grundgehalt 

IftTiVV 


güTTT 


in 


46(00 

48000 

E 

Ortszaschlag 

taitofemuUSii 






Hm 

3000 

3000 

ESI 




ES 


37850 

38650 


zus. 

| 62755 

| 66880 

| 71005 

| 75180 

| 79760 

| 88050 

86350 

89650 


III. Besoldungsgruppe 12. 


litt- 



nach 

nach 

nach 

nach 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

LI- 

flwtl 


2 Jahr. 

4 Jahr. 

6 Jahr. 

8 Jahr. 


Grundgehalt 

40000 

Pjrm 

BETiTW] 


54000 


60000 

A 

Ortszuschlag 

7200 

Kl 


! 



8000 


Ausgleichszuschläge 

36180 



Bü 


47750 

49700 


ZUS. 

83380 

91300 

97900 

102850 

t07800 

112750 

117700 


Grundgehalt 





Bffl! 

IS 

60000 

B 

Ortszuscblag 

Brto 


|B| 

nm 

Hm 

2 

6000 

AuBgleichszuschläge 


38000 

ESSE 




48400 


ZUR. 

80410 

88000 

94600 

99550 

104600 

109450 

114400 


Grundgehalt 

■OIlHII] 

44000 



B® 

BH 


c 

Ortszuschlag 

m 

6000 

Km 

BR! 


K® 


V/ 

Ausgleichszuschläge 

84425 

37350 

mmm 




47750 


zus. 

78926 

86350 

92950 

97900 

102850 

107800 

112750 


Grundgehalt 


44000 


BQ 

B® 

■mcu 

60000 

D 

Ortszuschlag 

BPaE 

4000 

Hm 

HQ 

H® 

■Eii'i'i 

4000 


Ausgleichszuschläge 


36700 


Hirni! 

ra!»' 

Em 

47100 


ZU8. 

77440 

84700 

91300 

96250 

101200 

106150 

111100 


Grundgehalt 


vn 

48000 

61000 

isisiss 


60000 

E 

Ortszuschlag 

Ausgleichszuschläge 

m 

rm 

3000 

88650 

3000 

40600 

B 


3000 

46450 


ins. 

| 76955 

83050 


94600 

I 99550 

1104500 

109450 


Wenn sich hiernach die Bezüge der vollbesoldeten Medi¬ 
zinalbeamten ergeben, so wird bei den nicht vollbesoldeten 
Kreisär zten folgendermaßen verfahren. Die nicht voll¬ 
besoldeten Kreisärzte erhalten 75 v. H. der Grundgehaltssätze 
der vollbesoldeten Kreisärzte in Gruppe 10, dazu der diesem 

f »kürzten Grundgehalt entsprechende Ortszuschlag, wozu die 
usgleichszuschläge, wie oben angegeben, kommen. Etwaige 
Kinderbeihilfen und Frauenbeihilfe werden in gleicher Höhe, 
wie den vollbesoldeten Beamten gewährt. Dasselbe gilt von 
der Wirt8ohaft8beihilfe. 





















































































































882 


Dr. Solbrig. 


Hiernach beziffert sich das Einkommen des nicht voll¬ 
besoldeten Kreisarztes (ausschließlich Frauenbeihilfe, 
Kinderbeihilfen und Wirtschaftsbeihilfe) wie folgt: 


Irts- 

klast 


in den 
erst. 2 
Jahren 

nach nach 

2 4 

Jahren Jahren 

nach 

6 

Jahren 

nach 

8 

Jahren 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

nach 

14 

Jahren 


Grundgehalt 



24000 

25500 




81500 

A 

Ortsznscblag 

Hm 

HO 

6400 

6400 

KM 

7200 


7200 


äisglwhsnudilige 



25260 

26235 




80655 


zus. 

49390 

Ö318&J 

55660 

58185 

60610 

63406 

66880 

69355 


Grundgehalt 


BBSI 



KTjTO 

kess 

KjTIXj 

31600 

B 

Ortszuschlag 

■M. 

4800 




KM 

KM 

5400 


luilwbaiiuUigt 

Bbsii 




IMrM 



29485 


ZUS. 

47O80 

50545 

53020 

55495 

57970 

61435 

63910 

66385 


Grundgehalt 

iiUiVjl 






BTiüüTB 

31500 

c 

Ortszuschlag 




■n 

■m 



4500 


Jüis|Mdiszn(tngt_ 

31425 

22725| 

23700 



K&mi 1 

27926 

28900 


zus. 

45925 

49225| 

51700 


56650 

59950 

62425 

64900 


Grundgehalt 

wvm 

22500 



27000 


gTjWi] 


D 

Ortszuschlag 


3200 



3200 



K?£CSj 


faqltidiguiiip 

Kirnt 

22‘205[ 

Km» 1 

Kiigf! 

26130 

26365 

27841 

| 28316 


zus. 

44770 

47905j 

50380 

52855 

66330 

58465 

60940 



Grundgehalt 

21000 

KgMITI 




ehss 


31500 

E 

Ortszuschlag 

2100 


KM 


km 



2700 


Ifls|isithszisdiligs_ 

20515 





1 ^^ 


27780 


zus. 

48615| 

4658ö| 

49060 

51535 

54010 

56980 

59455 

61930 


Die Kreisassistenzärzte gelten nach den Besoldungs¬ 
gesetzen als Stellenanwärter für die vollbesoldeten Kreisarzt¬ 
stellen und erhalten als solche: 

a) eine Grundvergütung in Höhe von 95 v. H. des 
Anfangsgrundgehalts eines vollbesoldeten Kreisarztes der 
Gehaltsgruppe 10, 

b) einen Ortszuschlag der voll dem des Kreisarztes entspricht, 

c) ‘einen Ausgleichszuschlag (allgemeiner und Sonderzu¬ 
schlag) in voller Höhe entsprechend dem Einkommen zu a und b. 

Die etwaige Frauenbeihilfe und etwaige Kinderbeihilfen 
erhalten sie außerdem in voller Höhe wie der planmäßige Beamte. 

'Eine etwaige Wirtschaftsbeihilfe wird ihnen in Höhe von 
95 v. H. der planmäßigen Beamten gewährt. 

Danach beträgt das Diensteinkommen des Kreis¬ 
assistenzarztes (außer Frauenbeihilfe, Kinderbeihilfen und 
Wirtschaftsbeihilfe): 


Ortski. Ortski. 


Grandvergütung . . 26600 M. 

* Ortszuschlag . . . 7200 „ 

A Ausgleichs- and Son¬ 
derzuschlag . . . 27470 „ 

za». 61270 M. 


Grundvergütung . . 26600 M. 
t> Ortszuschlag . . . 5400 „ 

Ausgleichs- und Son¬ 
derzuschlag. . ■ 26800 „ 
zus. 68800 M. 


V 





















































































Besoldungsfragen. 


388 


Ortokl. 

Grondyergütong . . 26600 M. 

q Ortszuschlag . . . 4500 „ 

Ausgleichs* und Sou- 

derzuschlag. . . 25715 „ 

zus. 56816 M. 

ßrundvergütung . . 26600 M. 

n Ortszuschlag . . . 3600 „ 

u Ausgleichs- und Son- 

derzuschlag. . . 26130 „ 

zus. 55380 M* 

Rahegehälter. 

Die Ruhegehälter der Medizinalbeamten werden 
gleichmäßig für alle, also auch die bereits längere Zeit im 
Ruhestand befindlichen, so geregelt, daß die Grundgehaltssätze, 
die mit dem 1. April 1922 in Kraft getreten sind, zu Grunde 
gelegt werden und auch die mit dem 1. Mai 1922 erhöhten 
Äusgleichszuschläge Berücksichtigung finden. Für die nicht 
vollbesoldeten Kreisärzte wird bei der Pensionierung ein Betrag 
von 5000 M. *) für sonstige Dienstbezüge hinzugerechnet. Hierzu 
kommt dann für alle ein Durchschnittssatz des Ortszuschlags, 
der bei einem Grundgehalt von über 27400 bis 40000 M. 4680 
und bei einem Grundgehalt von über 40000 M. 5200 M. beträgt. 
Hinzugerechnet wird hierzu ein Versorgungszuschlag vom ruhe¬ 
gehaltsfähigen Diensteinkoramen (Grundgehalt nebst Ortszu¬ 
schlagsdurchschnitt), nämlich 120 v. H. der ersten 10000 M. und 
65 v. H. des Restbetrages. 

Etwaige Frauenbeihilfen und Kinderbeihilfen werden den 
RuhegehaltBempfängern in gleicher Höhe bewilligt wie den im 
Dienst befindlichen Beamten. Eine Wirtschaftsbeihilfe kommt 
nicht in Frage. 

Beispiele werden diese etwas kompliziert erscheinende 
Berechnungsart verständlicher machen. Als bekannt wird vor¬ 
ausgesetzt, daß das ruhegehaltsfähige Diensteinkommen in der 
Weise berechnet wird, daß, wenn die Versetzung in den Ruhe¬ 
stand nach vollendetem zehnten Dienstjahr eintritt, die Pension 
80 /«o beträgt und von da mit jedem weiteren vollen Dienstjahr 
bis zum vollendeten 80. Dienstjahre um l l 60 des Dienstein¬ 
kommens, von da ab um l / 120 bis zum vollendeten 40. Dienstjahre, 
in welchem der Höchstbetrag von 45 / 60 erreicht wird, steigt. 

Beispiel I: Kreisarzt X. hat eine Dienstzeit von 28 Jahren hinter sich, 
war vollbesoldet und in Gehaltsgruppe 11. Der Buhegebaltsberechnung sind 
demnach zu Grunde zu legen w/eo des Diensteinkommens; das letztere betrug: 


48000 M. Grundgehalt 


zus. 53200 M. Davon sind M /eo. 33687 M. 

Hierzu kommt: 

Versorgungszuscblag vom Buhegehalt, und 2war 120 v. H. der 

ersten 10000 M. 12000 M. 

65 v. H. des Bestbetrages von 23 687 M... . 15 396 M. 


_ zus. 27 536 M. 

*) Nicht 2250 M. wie bisher und wie noch in Nr. 10 d. Zeitschr. anf 
8.280 angegeben ist 1 


Ortski. 

GvnndvergQtung . . 26600 M. 
U Ortszuschlag . . . 2700 „ 

Ausgleichs- und Son¬ 
derzuschlag . . . 24545 „ 

zus. 53845 M. 






384 


Dr. Solbrig: Besoldungsfragen. 

Es betragen also die Versorgungsgebührnisse 33687 M. 

27896 M, 

zus. 61083 M,, 

wozu etwaige Frauenbeihilfe (2600 M.) und etwaige Kinderbeihilfen treten. 

Beispiel II: Kreisarzt Y. hat eine Dienstzeit von 10 Jahren hinter 
sich, war nicht vollbesoldet und befand sich in Gehaltsgruppe 10. Der Rtxhe- 
gehaltsberechnung sind also zu Grunde zu legen , 7 90 des Diensteinkommens; 


letzteres betrag: 

28500 M. Grundgehalt 

4 ir j_i___i_.‘ui 


zus. 3b 180 M. 

dazu 6000 M. fü r sonstige Dienstbezüge 

zus. 38180 M. so/eo hiervon .. 12726 M. 

Hierzu kommt: 

Yersorgungszuschlag vom Hubegebalt, und zwar 120 v. H. der 

ersten 10000 M. 12000 M. 

65 v. H. des Bestes von 2726 U.. . 1771 M. 


zus. 13771 M. 

Es betragen also die Versorgungsgebührnisse 12726 M. 

18771 M. 

zus. 26497 M., 

wozu etwaige Frauenbeihilfe (2600 M.) und etwaige Kinderbeihilfen treten. 

Die Yersorgungsgebührnisse der Hinterbliebenen 
regeln sich nach den neuesten Bestimmungen derart, daß der 
Witwe des verstorbenen Beamten 2 / 6 des ruhegehaltsfähigen 
Diensteinkommens (Grundgehalt nebst Ortszuschlag) zusteht, zu 
welchem der Verstorbene berechtigt war oder berechtigt gewesen 
sein würde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt 
wäre. Dazu wird ein Ausgleichszuschlag gewährt, der die 
Hälfte des Betrages ist, den der Verstorbene im Ruhestand 
erhalten haben würde. Die Waisen erhalten je Vs des Witwen¬ 
geldes (bezw. Vs, falls die Mutter nicht mehr lebt). Kinder¬ 
beihilfen werden nebenher gewährt, wie in den Fällen, in denen 
es sich um aktive oder im Ruhestand befindliche Beamte handelt. 

Beispiel: Kreisarzt Z. (vollbesoldet, Gruppe 10) ist gestorben, nach¬ 
dem er volle 20 Jahre im Dienst sich befunden hat. Er hinterläßt eine Witwe. 
Die Versorgungsgebühmisse der letzteren berechnen sich folgendermaßen: das 
ruhegehaltsfähige Diensteinkommen des Verstorbenen betrug 
42000 M. Grundgehalt 

_ 6200 M. D urchschnittssatz deB Ortszuscblags 

zus. 47200 M., danach würde das Buhegehalt *°/«> davon, d. h. 

23600 M., betragen. Die Witwe erhält davon */* als Witwengeld 9440 M. 
Dazu Versorgungungszuschlag, und zwar vom Aus¬ 
gleichszuschlag vom ruhegehaltsfähigen Dienst¬ 
einkommen (47200 M. Grundgehalt nebst Orts¬ 
zuschlagsdurchschnitt) von 36180, 120 v. H. der 

ersten 100C0 M. 12000 M. 

66 v. H. des Bestbetrages von 26180 M.17 017 M. 

zus. 29017 M. 

Davon die Hälfte. 14608 M . 14 508 M. 

zus. 23948 M. 

Also beträgt das Witwengeld 23948 M. 

Hierzu würden, falls Kinder hinterlassen werden, Waisengeld und Kinder¬ 
beihilfen kommen. 









Verhandlungen des Vorstandes des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 386 

Aus dieser Zusammenstellung wird, wie wir hoffen, jeder 
Kollege, ob noch im Dienst oder schon im Ruhestand befindlich, 
sich leicht darüber unterrichten können, wie sich zur Zeit die 
Gebührnisse für ihn und dermaleinst für die Hinterbliebenen 
gestalten, und wie sie errechnet werden. Dazu sei am Schlüsse 
noch bemerkt, daß die der neuen Aenderung entsprechenden 
Umrechnungen bestimmungsgemäß mit größter Beschleunigung 
in allen Verwaltungen erfolgen sollen, und zwar haben die 
Kassen Verwaltungen der Regierungen die vom 1. Mai in Frage 
kommenden Umrechnungen für die Ruhegehälter und Ver¬ 
sorgungsbezüge der Hinterbliebenen vorzunehmen, worauf von 
dort die Mitteilungen an die Empfänger ergehen werden. Die 
neuen Festsetzungen der Gehälter der im Dienst befindlichen 
Medizinalbeamten erfolgen bei jeder Regierung durch den Re¬ 
gierungspräsidenten. 

Aus Versammlungen und Vereinen. 

Verhandlungen des Vorstandes des Deutschen Medizinal* 
beamten Vereins ln Magdeburg. Zentralhotel, 
am £9. April 19**. 

Anwesend: Rapmund,Bundt,Sieveking,Petzhold t, Wollen¬ 
weber, Gnmprecht, Zoeppritz, Solbrig. Entschuldigt fehlen: 
Frickhinger, Kaspar, Baader, Strassmann, Schnitze. 

nachdem Herr Geh. Med.-Bat Dr. Wodtke zum großen Bedauern des 
Vorstandes trotz allseitiger Bitten auf der Niederlegung des Vorsitzes besteht, 
wird einstimmig Herr Med.-Bat Dr. Bundt zum Vorsitzenden gewählt. 

Der Schriftführer Dr. Sieveking legt die Antworten vor, die auf die 
verschiedenen von der Nürnberger Hauptversammlung am 10./11. Sept 1921 
beschlossenen Eingaben erfolgt sind: 

a) vom Beichsarbeitsministerinm, betr. Amtsbezeichnung „Reg.-Med.-Rat“ und 
„Ober-Reg.-Med.-Bat“ der Versorgungsärzte; 

b) vom Reichsministerium des Innern, betr. Vertretung des Deutschen Mcdiz. 
Beamtenvereins im Reichsgesundheitsrat. (Wortlaut mitgeteilt in der 
Zeitschrift für Medizinalbeamte, Nr. 10 vom 20. Mai 1922, S. 277.) 

Er berichtet über die von ibm im Aufträge des Vorstandes mit der Reichs- 
Versicherungs-Anstalt für Angestellte in Berlin gepflogenen Verhandlungen, 
betr. Erhöhung der Gutachtenhonorare. Es ist in Aussicht genommen, sie ent¬ 
sprechend den Veränderungen der Beamtengehälter za verändern. Jeden¬ 
falls werden die Kollegen dringend ersucht, nicht durch 
Einzelgesuche die Bemühungen des Vorstandes zu erschweren. 

Die Abrechnung für 1921 wird vorgelegt nnd genehmigt. Sie schließt 
mit einem Fehlbetrag von M. 3897 ab. In Zukunft sollen, wie bisher sehon 
in Preußen und Bayern, die Vorstände der Landesvereine (Sachsen, 
Württemberg, Baden, Hessen, Thüringen) die Jahresbeiträge einziehen. 

Um die Zeitschrift für Medizinalbeamte, über die eine lebhafte Ans¬ 
sprache stattfand, überhaupt weiterführen za können, wird für das laufende 
Jahr ein zweiter Beitrag von M. 60 notwendig werden. 

Die Satzungen sollen zwecks Eintragung des Vereins umgearbeitet werden. 

In der Frage der Amtsbezeichnungen soll der Vorstand einstweilen von 
weiteren Schritten absehen, da in Preußen, Württemberg und Baden Verhand¬ 
lungen darüber schweben. 

Eine Hauptversammlung soll 1922 schon der hoben Kosten wegen nicht 
atattfinden. Für 1923 wird an eine mitteldeutsche Stadt gedacht 

Sehr eingehend wurde über die Verhandlungen mit den Berufsorgani¬ 
sationen gesprochen. Nachdem der Preuß. Medizinal-Beamtenverein korporativ ' 



386 Bericht ttber die dienstliche Versammlung der Med.-B. des Bgbz. Köln. 


dem Berufsverein höherer Verwaltangsbeamten (Berlin W 50, 
Pragerstr. 9) beigetreten ist, wird allen Landesvereinen empfohlen, diesem Bei« 
spiele zu folgen. Kleinere, nicht za Landesvereinen znsammenznfassende Gruppen 
werden gebeten, sich benachbarten derartigen Vereinen anzaschließen oder utre 
Mitglieder einzeln beitreten za lassen. Erst wenn so ein möglichst restloser 
Beitritt aller Mitglieder erreicht ist, wird der Deutsche Medizinalbeamtenverein 
auch seinerseits wie der Prenß. Med.« Beamtenverein eine Vertretung im Vor¬ 
stande des Berufsvereins Höherer Verwaltangsbeamten erhalten können. 


Kassenbericht des Deutschen Medlzlnalbeamtenverelns für 1921. 


Einnahmen: 


Bestand von 1920 . 

Zinsen der Beichskriegsanleihe. 

Zurücke rstattete Kapital-Ertragssteuer. 

Jahresbeiträge: 

Preußischer Medizinalbeamtenverein 750 X 3 
Bayerischer „ 310 X 29 . 

Deutscher „ 284 X 30 . 

Porti. 

Fehlbetrag.. . . 


M. 

7t 

7t 


2869,63 

270,— 

52,50 


n 

7t 

7t 

71 

n 


2250 — 
8990,— 
8520,— 
77,86 
3897,- 


M. 26926,98 


Ansgaben: 

Verwaltungskosten •.M. 200,78 

Porti und Briefumschläge.„ 238,60 

Jahresbeiträge.„ 126,— 

Beisekosten f. Vorstandssitzung in Cassel 30. L 1921 „ 2898,30 

Beisekosten für Hauptversammlung in Nürnberg 

10./11. IX. 1921. „ 2898,30 

Unkosten der Tagung in Nürnberg. . 67,— 

An Druckerei J. C. C. Bruns und Verlag H. Kornfeld * 

für die Zeitschrift für Medizinalbeamte . . . . „ 21724,15 


M. 26926,98 

Hamburg, 15. April 1922. Dr. G. Herman Sieveking. 

Geprüft und mit den Belegen übereinstimmend befunden. 

Hamburg, 26. April 1922. Dr. Sannemann. Dr. Spaethe. 


Bericht ttber die diemntliche Versammlung der üedlzinal« 
Beamten den Heg.- Bez. Köln am 86. Aprii 1988 in Köln. 

Es nahmen teil: Der Begierungspräsident Graf Adelmann, die Ober- 
regierungsräte Bad ding und von Heinsberg, Beigeordneter Prof. Dr. 
Kraut wig, Gerichtsmedizinalrat, Geheimrat Prof. Dr. Unger-Bonn, Beg.« 
nnd Med.-Bat Dr.Döllner, die Kreismedizinalräte Prof. Dr.Meder, Lohmer, 
Schmidt, Schrammen, Meerbeck,Hillebrand, Basten, Bachem, 
Viereck, Kessel, Schäfer, Heinecke, Möbius und Kreisassistenzarzt 
Steinebach. 

Nach der Eröffnungsrede des neuernannten Begierungspräsidenten, der 
die Medizinalbeamten seines regsten Interesses versicherte hinsichtlich ihrer 
Aufgaben und ihrer Stellung, referierte zunächst 

Dr. Steinebach über das Thema Kreisarzt und Kommunalarzt* Hierzu 
hielt Dr. Viereck das Korreferat. 

Nachdem in der Debatte Prof. Dr. Krautwig darauf hingewiesen hatte, 
daß für eine Beihe von Bezirken sich die Anstellung besonderer Kommunal« 
ärzte als notwendig erwiesen habe, und daß auf Grund dieser Tatsache der 
Wirkungskreis der Kreismedizinalbeamten gegenüber dem Kommunalarzt durch 
gegenseitige Verständigung und durch entsprechende Fassung der Dienst¬ 
anweisung abgegrenzt werden müsse, einigte man sich auf folgende Leitsätze: 

Im allgemeinen ist der Kreisarzt der gegebene Leiter des kommunal¬ 
ärztlichen Dienstes, doch machen besonders ausgedehnte oder besonders 













Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 887 

i 

dicht bevölkerte Bezirke vielfach die Anstellung besonderer Kommanal¬ 
ärzte empfehlenswert. 

Ihre Tätigkeit grenzt sich dann insofern ab. als der Kreisarzt der 
staatliche Aofsichtsbeamte für die Durchführung der Medizinal- and Sani- 
tätegesetzgebung und der Berater der Behörden in der allgemeinen Ge¬ 
sundheitsfürsorge ist, während dem Kommanalarzt die praktische Aus¬ 
führung bezw. Leitung der individuellen Gesundheitsfürsorge obliegt. 

Die Uebertragung der gesamten Kreisarztgeschäfte an den Kommanal¬ 
arzt ist ebenso ^bzulehnen, wie die gänzliche Kommunalisierung der 
Kreisärzte. 

Sodann referierte Dr. Basten über Kreisarzt and Kreiswohlfahrtsamt. 
Hierzu korreferierte Dr. Schrammen. 

Man einigte sich hierbei darauf, daß die Leitung der Gesundheitsfürsorge 
einem Arzte, und zwar, falls der Kreisarzt nicht überlastet ist, diesem za 
übertragen ist. Die Gesundheitsfürsorge soll in einer besonderen Abteilung 
dem unter Leitung des Landrats stehenden Kreiswohlfahrtsamt mit der not¬ 
wendigen Selbständigkeit eingefügt und mit dem erforderlichen Personal ver¬ 
sehen werden. Für die Tätigkeit als Leiter der Gesundheitsabteilung des 
Kreiswohlfahrtsamtes ist dem ärztlichen Leiter eine angemessene Entschädigung 
zu gewähren. Ein Wohlfahrtsamt, das zum Staatsmedizinalbeamten in keinerlei 
Beziehungen steht, ist abzulehnen. Dr. D ö 11 n e r - Köln a. Rh. 


Kleinere Mitteilungen u. Referate aus Zeitschriften. 

Gewerbehygiene. 

Die gewerbehygienischen Aufgaben und die Mitwirkung der Aerzte 
in der Gewerbeaufsicht. Von Dr. Rasch-Hamburg und Prof. Dr. Hol tz- 
mann-Karlsruhe. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, Nr. 8—9. 

1. Zur Wahrung der einheitlichen Verwaltung muß auch in gewerbe¬ 
hygienischen Fragen der Gewerberat in seinem Bezirk zuständig und verant¬ 
wortlich bleiben. 

2. Der Gewerberat muß in allen Zweigen der Gewerbehygiene um¬ 
fassende Kenntnisse besitzen; er muß über technisches Können verfügen, um 
das wissenschaftlich Erkannte in den praktischen Betrieb überzuführen. 

3. Die ärztliche Mitwirkung in der Gewerbeaufsicht ist unentbehrlich. 
Sie wird gesichert durch die Tätigkeit von Landesgewerbeärzten io großen 
Industriegebieten und durch die Beteiligung örtlich zuständiger Amtsärzte, die 
in ständigem unmittelbarem Verkehr mit den Gewerbeaufsichtsbeamten stehen. 

4. Grundsätzlich sollte Aerzten mit technischer Neigung und Befähigung 
nach der für technische Beamte geforderten Berufsausbildung die Laufbahn 
als Gewerbeaufsichtsbeamter eröffnet werden. 

Der zweite Verfasser kommt zu folgendem Schluß: 

1. Zur Wahrung der einheitlichen Verwaltung muß auch in gewerbe¬ 
hygienischen Fragen der Gewerberat in seinem Bezirk zuständig und verant¬ 
wortlich bleiben. 

2. Der Gewerberat muß in allen Zweigen der Gewerbehygiene um¬ 
fassende Kenntnisse besitzen, muß über technisches Können verfügen, um das 
wissenschaftlich Erkannte in den praktischen Betrieb überzuführen. 

3. Die ärztliche Mitwirkung in der Gewerbeaufsicht ist unentbehrlich. 

Sie wird gesichert durch die Tätigkeit der Landesgewerbeärzte, die in den 
Gewerbeaufsichtsdienst eingegliedert und als Beamte im Sinne des § 139 b GO. 
bestellt werden. Für den Arbeiter- und namentlich für den Anwohnerschutz 
können, soweit erforderlich, auch fernerhin die örtlich zuständigen Amtsärzte 
zugezogen werden, die in unmittelbarem, ständigem Verkehr mit den Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamten stehen müssen. Dr. Wolf-CasseL 


Beruf und Krankheit und ihre Erfassung durch die Statistik. Von 
Landesgewerbearzt Dr. Thiele-Dresden. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 
1921, Nr. 2. 

Es ist unter allen Umständen zu fordern, daß die Geschäftsführung der 
Krankenkassen so geordnet wird, daß ihre Ergebnisse ohne weiteres berufs- 



388 


Tagesnachrichten. 


hygienisch, d. h. auch praktisch-statistisch, ausgewertet werden können; ohne 
ärztliche Mitwirkung dttrfte eine auch sozial-, im engeren Sinne gewerbe¬ 
hygienisch nützliche Krankenkassenstatistik nicht geschaffen werden. 

Dr. Wolf-Cassel. 


Die neuen Fortschritte der Gruppenbeleuchtung. Von H. Müller- 
Offenbach. Zeitschrift für Gewerbehygiene, 1921, H. 1. 

Neben vielen anderen Vorteilen liegen die Vorzüge einer ausreichenden 
Beleuchtungsstärke und eines ruhigen Lichtes darin, daß sie der Augenkrank¬ 
heit der Bergarbeiter, dem bekannten Augenzittern, Einhalt bieten. Als bestes 
Vorbeugungsmittel gegen diese Krankheit hat sich die Erhöhung der Beleuch¬ 
tungsstärke erwiesen. _ Dr. Wolf-CasseL 


Ueber den Einfluß der Nachtarbeit auf den Gesundheitszustand der 
Arbeiterschaft* Von H. Brückner. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 
1921, H. 10. 

Soweit wir die Verhältnisse bis jetzt Überblicken, ist der Einfluß der 
Nachtarbeit auf die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiterschaft in keiner Weise 
von ausschlaggebender Bedeutung. Ein einwandfreies Urteil kann aber erst 
dann abgegeben werden, wenn es gelungen ist, eine vergleichende Statistik 
über die Tages- und Schichtarbeiter hinsichtlich der Verteilung innerer Krank¬ 
heiten fertigzustellen und wenn noch weitere Forschungsrichtungen zu dem¬ 
selben Besätat gelangen. _ Dr. Wolf-Cassel. 


Bericht über den ersten Kurs der Fabrikärzte der deutschen Blei¬ 
farbenfabriken über Prophylaxe der Bleivergiftung. Von Dr. Grobe- 
Katzhütte. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 1921, H. 8. 

Prof. Schmidt-Halle besprach vor allen Dingen die 4 Kardinalsymp¬ 
tome unter den objektiven Merkmalen: Bleisaum, Bleikolorit, basophile Körnung 
der Erythrozyten und Hämatoporphyrinurie. Ein völliger Ausschluß von der 
Arbeit kommt bei niederen Werten der Körnung und des Hämatoporphyrins 
ohne klinische Symptome nicht in Frage, aber doch eine verschärfte Beob¬ 
achtung der betreffenden Arbeiter. Plötzlich starke Aenderungen des Blutbildes 
und des Urinbefundes sind von alarmierender Bedeutung und rechtfertigen 
eventuell den Arbeitsausschluß oder doch wenigstens eine Beschäftigung an 
ungefährlicher Stelle. Ebenso wurden die für eine Abweisung maßgebenden 
Gründe erörtert (Potatoren, Schwächliche und Anämische, Neurastheniker, 
Luetiker, Mundatmer usw. sollten nicht eingestellt werden, insbesondere nicht 
bei Bleistaubgefahr). _ Dr. Wolf-Cassel. 


Tagesnachrichten. 

Ana dem Reichstage. Im Reichstage wurde eine Vorlage an¬ 
genommen, die sich auf die Pensionskürzung bezieht Danach bleibt das 
Arbeitseinkommen, das von pensionierten Beamten nebenher erworben wird, bis 
zur Höhe von 60000 M. bei der Kürzung unberücksichtigt. Ruhegehalt, ein¬ 
schließlich des Teuerungszuschlages wird aber um die Hälfte des Betrage« 
gekürzt, um den das gesamte Arbeitseinkommen das kürzungsfreie Arbeits¬ 
einkommen übersteigt. Die Hälfte des Ruhegehalts, einschließlich des Teue¬ 
rungszuschlages muß jedoch dem Ruhegehaltsempfänger verbleiben. Das Gesetz 
gilt nicht für Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. 

Bei der Schlußsitzung des Reichstages am 31. Mai wurde der Gesetz¬ 
entwurf auf Ausdehnung der Krankenverslchernngspfllcht endgültig an¬ 
genommen, und zwar in der Ausscbnßfassung, die die Versicherungspflicht bis 
auf ein Jahreseinkommen von 72000 M. ausdehnt, während der Regierungs¬ 
entwurf nur bis 60 000 M. gehen wollte. Auch die Gesetze über Erhöhung der 
Leistungen für Wochenhilfe, Wochenfürsorge und Sozialversicherung, über das 
Soldatenversicherungsgesetz wurden angenommen, schließlich auch das Gesetz 
über die Umgestaltung der Angestelltenversicherung insoweit, als die Grenze 
des versicheren gspflientigen Einkommens auf 100000 M. erhöht wird. 



Tagesnachrichten. 


889 


Am 22. Hai fand im Preußischen Ministerium für Volks¬ 
wohlfahrt eine Besprechung über Maßnahmen zur Bekämpfung der aus 
Rußland und Polen drohenden Senchengefahr statt, zu der der Herr Minister 
die Regierungs- und Medizinalräte aus Ostpreußen, Schlesien und den Bezirken 
Stettin, Köslin, Marienwerder, Frankfurt, Schneidemühl berufen hatte, an der 
auch Vertreter des Reichsministeriums des Innern, des Reichsgesundheitsamts 
und des Preuß. Ministeriums des Innern teilnahmen. Herr Ministerialdirektor 
Gottstein leitete die Versammlung, Herr Ministerialrat Lentz gab im 
Anfang einen Ueberblick über die zu treffenden Maßnahmen. Er führte aus, 
daß unsere langgestreckten Ostgrenzen mangels ausreichender Polizeimann¬ 
schaften ganz ungenügend geschützt seien; daher sei dauernd mit einer Seuchen¬ 
einschleppung aus dem stark verseuchten Osten zu rechnen. Wir müssen des¬ 
halb von unseren Medizinalbeamten und praktischen Aerzten erwarten, daß sie 
ihre Aufmerksamkeit wie in früheren Jahren drohender Seuchengefahr auf ver¬ 
dächtige Erkrankungen richten und diese sofort zur Anzeige bringen. Daneben 
seien alle früher bewährten Maßnahmen zu treffen, um sofort schon die ersten 
eingeschleppten Fälle unschädlich zu machen und etwaige Epidemieherde 
schon in ihren Anfängen zu unterdrücken. 

Die zur ausführlichen Besprechung gelangenden Gegenstände waren: 

I. Cholera. 

a) Einrichtung von Stromüberwachungsstellen. 

Diese soU in der Weise, wie früher mit Nutzen geschehen, vor sich 
gehen. 

b) Ihre Versorgung mit Aerzten, Desinfektoren, Landjägern, Dampfern oder 
Motorbooten. 

Es gilt rechtzeitig für Aerzte und Desinfektoren zu sorgen. Medi¬ 
zinalbeamte werden nur im Anfang und meistens nur für kürzere Zeit 
abkömmlich sein. Es ist aber anzunehmen, daß es nicht schwer halten 
wird, in dieser Hinsicht vorzusorgen (Gewinnung von Aerzten aus großen 
Städten). 

c) Bereitstellung von Krankenhäusern. 

Nach den Berichten aus den verschiedenen Bezirken ist im aUge- 
meinen ausreichend gesorgt. Wo es noch fehlt, soll auf die Gemeinden 
eingewirkt werden. Diese Bereitstellung bezieht sich auf die Unter¬ 
bringung einzelner Kranken. Sollte es zu Epidemien kommen, muß 
je nach den Verhältnissen durch Aufstellung von Baracken, Herrichtung 
von Notlazaretten in Schulen und dergl. verfahren werden. 

d) Sonstige Maßnahmen — Benachrichtigung der Aerzte, Eisenbahnen usw., 
Versorgung der Schiffer mit frischem Trinkwasser. 

Die Kreisärzte sollen mit den praktischen Aerzten rege Fühlung be¬ 
halten, damit diese ihnen schon die ersten Verdachtsfälle sofort melden; 
die Trinkwasserentnahmestellen an den Flußläufen müssen häufig kon¬ 
trolliert werden. 

II. Fleckfieber. 

a) Entlausungsanstalten. 

Entlang der Grenze zwischen Preußen und Polen sind verschiedene 
Entlausungsanstalten teils schon fertig, teils in Vorbereitung. Sie werden 
an Grenzübergängen mit großem Reiseverkehr (z. B. Schneidemühl), sonst 
an größeren Eisenbahnknotenpunkten in der Nähe der Grenze erbaut. 
Bei den ungeheuren Kosten der Errichtung solcher Anstalten ist eine 
Beschränkung geboten, doch wird man mit den vorgesehenen Einrichtungen 
auskommen, wenn der Grenzschutz einigermaßen zuverlässig durchgeführt 
wird. Als bedenklich ist es aber zu bezeichnen, wenn die Schutzpolizei 
an der Grenze die schon an Zahl gering ist, zurückgezogen wird (For¬ 
derung der Entente I). 

b) Arztstationen. 

Solche sollen an vorderster Stelle an allen wichtigen Eisenbahngrenz¬ 
stationen eingerichtet werden und sind dazu bestimmt, die die Grenze 
überschreitenden Personen zu untersuchen, wobei im allgemeinen eine 
Besichtigung zur Feststellung kranker und verlauster Personen ausreicht. 
Kranke Personen sind dem nächsten Krankenhause, Verlauste der nächsten 
Sanierungsanstalt zuzuführen. Saisonarbeiter sind, soweit dies nicht schon 



390 


Sprechsaal. 


in den Grenzübernahmestationen der deutschen Arbeiterzentrale geschehen 
kann, unmittelbar nach ihrem Eintreffen am Orte ihrer Beschäftigung 
ärztlich zu untersuchen, zu impfen und, soweit notwendig, zu entlausen, 
c) Quarantänelager. 

Diese sind in genügender Zahl vorhanden und müssen beibehalten 
werden. Die schlesischen Lager sind z. Z. allerdings durch oberschlesische 
Flüchtlinge überfüllt. Hier muß Abhilfe geschaffen werden. 

Grundsätzlich sollen die Kosten für Sanierung und die Kosten für 
ärztliche Untersuchung von den Beteiligten eingezogen werden. Dies ist 
auch häufig gut möglich. Die allgemeinen Kosten des Betriebes der 
Stationen verringern sich dadurch. 

III. Maßnahmen in den Häfen. 

Diese sollen wie früher in der erprobten Weise zur Durchführung kommen. — 
Am Schluß betonte Herr Ministerialdirektor Gottstein, daß die Gefahr 
der Seucheneinschleppung aus dem Osten sehr groß, viel größer als je zuvor und 
als viele ahnen, sei und die Medizinalverwaltung demgegenüber wohl gerüstet 
sein müsse. 


Herr Kreismedizinalrat Dr. Wolf- Cassel, Schriftleiter der Monatsschrift 
„Der praktische Desinfektor“ teilt mit: 

„Deutscher Desinfektoreubund. Eine Hauptaufgabe des Bundes ist 
die Fortbildung seiner Mitglieder; dies ist natürlich nur möglich, wenn die 
beamteten Aerzte den Band in diesen Bestrebungen unterstützen. 

Nun haben aber die meisten Kreise so wenig Desinfektoren, daß ein Zu- 
sammenschlaß einer so kleinen Anzahl nicht vorteilhaft ist; vielmehr wird es 
sich empfehlen, daß sich mehrere Kreise zusammenschließen, wie es sich bei 
den jetzigen Verkehrs Verhältnissen am besten einrichten läßt. Aus dem Grunde 
ist es auch nicht möglich, zu große Vereine zu bilden, da sonst die Reise¬ 
unkosten zu hoch werden. Da auf diesen Versammlungen Fortbildungsvorträge 
gehalten und neue Erlasse, Vorkommnisse aus der Praxis besprochen werden, 
so wird es nicht schwer halten, dafür zu sorgen, daß die Kreisausschüsse oder 
Städte die Reiseunkosten ersetzen. Auf diese Weise wird es möglich sein, 
alle Desinfektoren eines kleineren Bezirks zweimal im Jahre zu versammeln. 
Diese Vereine wählen je einen Vertreter, der seinen Verein bei der Delegierten¬ 
versammlung des Regierungsbezirks vertritt. Diese Versammlung tagt alle 
1—2 Jahre, wenigstens aber 4 Wochen vor dem Desinfektorentag, um die 
Tagesordnung des Desinfektoreutages durchzuberaten. Jeder Regierungsbezirk 
schickt einen stimmberechtigten Vertreter zu dem Desinfektorentag. Außerdem 
dürfte es sich empfehlen, für jeden Desinfektor die Fachzeitschrift „Der prakt. 
Desinfektor“ zu bestellen, die in vielen Staaten durch Min. Erlaß empfohlen 
ist; viele Kreise bezahlen sogar die Mitgliederbeiträge für den Desinfektoren* 
bund. Wenn auf diese Weise für den Desinfektorenstand gesorgt würde, 
würde die Berufstüchtigkeit und Arbeitsfreudigkeit der Desinfektoren gefördert; 
der beamtete Arzt würde also neben dem Hebammenverein, wo er schon seit 
Jahren mitarbeitet, auch dem Desinfektorenverein sein Interesse zu widmen 
haben. Selbstverständlich muß auch dafür gesorgt werden, daß der Desinfektor 
genügend beschäftigt ist, damit er berufstüchtig bleibt und Befriedigung in 
seinem Beruf findet.“ — 

Hierzu sei kurz bemerkt, daß die Bemühungen des Herrn Kollegen 
Wolf zur Hebung des Desinfektorenstandes und zur Fortbildung der Des¬ 
infektoren weitgehende Förderung verdienen. Das kann besonders dadurch 
geschehen, daß die Zeitschrift „Der prakt. Desinfektor“ von den Herrn Kreis- 
medizinalbeamten nach Möglichkeit unterstützt wird. 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kreismedizinalrats Dr. K. ln B.: Ist es gesetzlich zu¬ 
lässig, daß ein Amtsgericht als Sachverständigen in einem Entmündigungs¬ 
verfahren wegen Geistesstörung einen Pastor benennt (es bandelt sich um den 
geistlichen Leiter einer nicht öffentlichen Fürsorgeerziehungsanstalt, in welcher 
der zu Entmündigende untergebracht ist)? 



Unsere Zeitschrift. 


891 


Antwort: Eine Entmündigung darf nach § 665 Z. P. 0. nicht aus¬ 
gesprochen werden, bevor das Gericht einen oder mehrere Sachverständige Aber 
den Geisteszustand des zn Entmündigenden gehört hat. Für die Erstattung 
derartiger Gutachten sind in Preußen nach § 43 der Dienstanweisung für die 
Kreisärzte die Kreisärzte als Sachverständige öffentlich bestellt. Nach § 404, 
Abs. 2 Z. P. 0. sollen daher die Gerichte als Sachverständige andere Personen 
nur dann wählen, „wenn besondere Umstände es erfordern". Dies hat die 
Just.-Minist.-Verfg. vom 1. 10. 02 noch ausdrücklich hervorgehoben. Um die 
entstandenen Zweifel zu beseitigen, als ob die Aerzte der betr. Irrenanstalt 
als Sachverständige nun ausgeschaltet sein sollten, betonte eine neue Verfügung 
des Just-Minist. vom 21. 3. 04 (diese Zeitschr., Beil. 1904, S. 112), daß die 
„besonderen Umstände“ zwar bei den Leitern und Aerzten von Irrenanstalten 
häufig vorlfbgen werden. Aus diesem ganzen Zusammenhang ergibt sich mit 
voller Deutlichkeit, daß dem Sinne des Gesetzes in den §§ 665, 668, 404 
Z. P. 0. nur durch Vernehmung eines Arztes als Sachverständigen im Ent¬ 
mündigungsverfahren genUgt wird und daß ein Geistlicher keinesfalls als 
Sachverständiger in diesem Verfahren angesehen werden kann. 

Ein Verstoß gegen diese Bestimmmungen durch das Amtsgericht wird 
von den beim Verfahren Beteiligten durch Anfechtungsklage, vom Kreisarzt 
selbst nur mittels der allgemeinen DienstaufBichtsbeschwerde gerügt werden 
können. 


Anfrage des Kreisarztes Dr. K. in B.: Kann ein Verfahren zur Ver¬ 
nichtung von Kopfläusen mit schwefliger Säure bei Schulkindern empfohlen 
werden ? 

Antwort: Ein Verfahren znr Vernichtung von Kopfläusen mit schwef¬ 
liger Säure gibt es nicht. Es wird der bewährte Gebrauch von Sabadillessig 
empfohlen, auch die Benutzung der von der Auergesellschaft herausgegebenen 
Lixhaube, mit der nach Auskunft des hygienischen Instituts in Breslau gute 
Erfahrungen gemacht sind. 


4. Sitzung 

des 

Sächsischen Medizinalbeamtenvereins 

Sonntag, am 18. Juni 1922 in Leipzig. 

1. Professor Dr. Kruse: Hygienische Topographie von Sachsen. 

2. Professor Dr. Kockel: Die Bekonstruktionen von Verletzungs¬ 

vorgängen. 

Beginn der Versammlung '/all Uhr im hygienischen Institut Liebigstr. 29. 
Fortsetzung im Institut für gerichtliche Medizin Johannes-Allee 28. 

Dr. llberg. 


Unsere Zeitschrift. 

Schon in der Vorstandssitzung des Deutschen Medizinal¬ 
beamtenvereins in Magdeburg am 29. April mußten wir in 
Rücksicht auf die gestiegene Bezugsgebühr für die Zeitschrift 
für Medizinalbeamte den Beitrag zum Deutschen Verein um 
20 M., d. h. von 40 auf 60 M. erhöhen. 

Leider ist es damit nicht getan. Unser Verleger hat uns 
inzwischen mitgeteilt, daß die seit dem 1. April ganz außer¬ 
ordentlich gestiegenen Herstellungskosten eine weitere Erhöhung 
der Bezugsgebühr fordern. Wir haben nach sorgfältigster Be¬ 
rechnung festgestellt, daß die Zeitschrift in dem jetzigen, ohne- 






392 


Unsere Zeitschrift. 


hin gegen früher stark verkleinerten Umfange von 40 Bogen 
jährlich und bei zweimaligem Erscheinen im Monat nicht unter 
80—90 Mark herzustellen ist. 

Es ist das eine bittere Erkenntnis und wir haben auf 
Abhilfe gesonnen. Wir haben bedacht, ob man eine weitere 
Einschränkung des Umfanges oder ein selteneres, vielleicht 
einmal monatliches Erscheinen, vorschlagen soll. Wir haben 
auch Kornfelds Vorschlag der Vereinigung mit einer anderen 
Zeitschrift in Erwägung gezogen. Wir sind aber doch zu dem 
Entschlüsse gekommep, daß wir weder unsere Selbständigkeit 
aufgeben noch in eine Verkleinerung unserer Zeitschrift 
willigen dürfen. 

Wir verdanken ihr viel. Sie war uns unter Rapmund! 
Leitung ein Führer und Helfer in unserem Kampfe um dk 
Medizinalreform um die Wende dieses Jahrhunderts. Sie hat 
somit unseren Stand und unser Amt begründen helfen. Sk 
war und ist uns allen auch unter der jetzigen Redaktion io 
schwierigen amtlichen Fragen ein treuer Berater und vielen 
von uns ein Sprachrohr unserer Ansichten und Wünsche und 
ein Vermittler von Wissen und Können in unserem schönen 
und schwierigen Amt. Das soll sie in vollem Umfange bleiben! 
Jetzt wie früher I 

Und gerade jetzt ist das in ganz besonders hohem Maße 
nötig, da wir wiederum wie damals an der Jahrhundertwende 
vor großen und wichtigen Entscheidungen über unsere amtliche 
Stellung und unsere wirtschaftliche Lage stehen. Da brauchen 
wir unsere Zeitschrift, um uns den Vertretern des Volkes und 
den Behörden zu Gehör zu bringen und um ihnen aus unserer 
Sachkenntnis und unserer Erfahrung heraus zu sagen, wie man 
dem gesundheitlichen Wohl des Staates und unserem Stande 
am besten dient. Dazu brauchen wir sie in altem Umfange 
und als unser alleiniges Organ, durch keine Rücksicht auf 
Mitbesitzer eingeengt. 

Aus diesen Ueberlegungen heraus haben wir in eine neue 
Erhöhung der Bezugsgebühr für die Zeitung und damit auch 
in eine weitere Erhöhung des Beitrages für den Deutschen 
Verein auf 90 M. jährlich eingewilligt und hoffen bestimmt, 
daß wir damit die Zustimmung aller unserer Mitglieder finden. 
Denn diese wissen alle, daß in dieser Zeit des Wechsels und 
des Kampfes ein enger Zusammenschluß der Medizinalbeamten 
mit dem unverrückten Ziele des Wiederaufbaues der Volks¬ 
gesundheit und der Hebung unseres Standes eine dringende Not¬ 
wendigkeit ist, und daß das festete Band für diesen Zusammen¬ 
schluß unsere Medizinalbeamtenzeitung auch für die Zukunft 
sein wird. 

Dr. Bundt, 

Vorsitzender des Deutschen u. Preuß. Medizinalbeamtenvereins. 


VerentwortUoh für die 8chrlfUeltung: Geh. Med.-Kat Dr. Solbrig, Keg.- u. Med.-Hat ln Bre»!»«, 
Bretleu V, Rehdlgentraß« 84. Druck Ton J. 0. 0. Bruns, Minden i. W. 









































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85. Jahre. 


Zeitschrift für Medizinalbe&mte. 


Nr. 18. 


Hamborg. 

Ernannt: Zum Direktor des Hygienischen Instituts Prof. Dr. Neu mann 
ans Bonn. 

Erledigte Stellen. 

Prenraen. 

Zu besetzen: alsbald die Kreisassistenzarztstellen ln Oppeln und 
KOlo sowie die nicht Tollbesoldete Kreisarztstelle in Prenzlan, Reg.-Bez. 
Potsdam; zum 1. September 1922 die Tollbesoldete Kreisarztstelle in Inster¬ 
burg, Beg.-Bez. Gumbinnen und zum 1. Oktober 1922 die Tollbesoldeten 
Kreisarztstellen der Kreisarztbezirke Königsberg Land, Beg.-Bez.Königsberg; 
Clere nnd Lennep, Beg.-Bez. Düssledorf, und Wolmirstedt, Beg.-Bez. Magde¬ 
burg, sowie die Gerichtsarztstelle in HannoTer. Bewerbungen sind bis zum 
1. August 1922 an das Ministerium für Volks Wohlfahrt in Berlin W. 66, 
Leipzigerstr. 3 durch Vermittelung des für den Wohnort des Bewerbers zustän¬ 
digen Herrn Begierungspräsidenten (in Berlin des Herrn Polizeipräsidenten) ein¬ 
zureichen. 



Kolloidales 

f Kieselsänre^Eiweiss 

v ^ ^ pro Tabl. 0,1 g Si 0 *; 3 X tägl. 1 Tabl. 

Gegen Ekzeme, Lungenkrankheiten etc., 
besonders gegen beginnende nnd fibröse Tuberkulose. 


Pas a c o1 

Kolloidale Mineral-Eiweissnahnmg. 

Fördert die Knoohenbildung. 
Kräftigt den gesamten Organismus. 

a Proben nnd Literatur vom Lecinwerk Hannover. H 

Die Stelle eines 


Stadtarztes 

ist bei unserer Verwaltung zu besetzen. Anstellung erfolgt als Beamter mit 
Buhegehaltsberechtigung und HinterbliebenenTersorgung. Besoldung nach 
Gruppe XII der staatlichen Besoldungsordnung. Ausübung Ton Priratpraxis 
ist nicht gestattet. Erwünscht ist, daß Bewerber das Physikatsexamen be¬ 
standen haben. Bewerbungen mit Lebenslauf und Zeugnisabschriften bis 
1, August Cr. erbeten. 

Insterburg, den 17. Juni 19221 

Der Magistrat. 






ge'itsntittjk. 


JaHrxehfrtiJwge EHahruog^ts» Maraafajsparats «fssüi ir#rritig. Vollständig« 
0esißfektDi^^A<»rt(^angm. Sämliisf« 0asi»rfe*tiö<w»itto5. 


DE5INFEKTION5-CENTRALE 

BERLIN-WEI55EN5EE / LEHDEP5TR.74-79 


ist niefet mor ein 

Gicht mittel ersten Ranges 

s<iu*l*Tn berührt sich vwtreftMch such bei 


Gelenkrheumatismus und sonstigen 
Gelenkschmeftei), gonorrhoischer; 
Neuralgien, Ischias, Lumbago, li 
Entzündungen der oberen 

krankhelfen («feafcoite' Ekueme. ürtiferiäv'^i 

Formen von 1 
Arthritis usw. 1 
itgrÄb« uaw, 1 
jyege.c Haut- ft 

Pnirijroh 1 

... 

NOVATOP HJkM 

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OesdUctiacklrtip^ ^räparjit 

Opg.-Packung: Hohfeben mit2d Tabletten k 0,&: 
(Gläaer mit 100 St. xa 0,tj} ÄtophsiB-Srtpyasit 
ai» 10 St. ?n 1,0)$ Klinik * Packung itölas mit 50 

Atophsa-l*mg^es ■ 

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Ctaiscise Fabrik ml Anlien (vorm. LScterliMl Berlin 1 1 


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394 


Dr. Solbrig: Annahme des Gesetzentwurfs über das 


genommen ist, erscheint es zwecklos, an ihm noch weiter Kritik 
zu üben, zumal wir Medizinalbeamte einmütig der Ansicht sein 
werden, daß mit dem Zustandekommen des Gesetzes im all¬ 
gemeinen ein bedeutender Schritt vorwärts zum besten unserer 
Hebammen, damit auch zur Förderung der Volksgesundheit 
gemacht worden ist. Der Herr Minister für Volkswohlfahrt hat 
mit Recht in seiner Rede gelegentlich der Verhandlung über 
diesen Gegenstand im Landtage diesen Standpunkt vertreten, 
indem er der Freude Ausdruck gibt, daß es endlich gelungen 
ist, die mancherlei widerstreitenden Interessen zu überbrücken 
und damit eine gemeinsame Basis zu schaffen, auf der auch für 
längere Zeit gearbeitet werden kann zum Segen unseres ganzen 
Volkes. 

Von den verschiedenen Parteien waren es die sozialdemo¬ 
kratische, die unabhängige sozialdemokratische und die kommu¬ 
nistische Partei, die für weitergehende Forderungen eintraten, 
besonders nach der Richtung, die Hebammen zu vollbesoldeten 
Beamten (Besoldungsgruppe 7 bezw. 8) zu machen und die 
Hebammenhilfe unentgeltlich zu gestalten. Aber auch diese 
Parteien stimmten der Vorlage zu, nachdem sie gesehen hatten, 
daß ihre weitergehenden Anträge keine Berücksichtigung fanden. 

Es ist also nach dem neuen Gesetz vorgesehen, neben den 
Bezirkshebammen freipraktizierende zu behalten, wie bisher. 
Diese Lösung begrüßen wir besonders. Es wird sich in dem 
Nebeneinanderleben der beiden Formen des Hebammenberufs 
eine Konkurrenz weiterhin bemerkbar machen, die nur nützlich 
sein kann, woraus sich dann für die Zukunft etwa nötig werdende 
Reformen ergeben, wie die Abg. Frau Dönhoff richtig aus¬ 
führte. Bei der Festsetzung der Einkommen der Hebammen 
(§ 17) ist es wichtig, daß zu den Mindestbeträgen — je nach 
der Teuerungsklasse 3000—6000 M. — Zuschläge hinzutreten; 
bei der gegenwärtigen Teuerung, deren steigende Tendenz leider 
von Tag zu Tag zu bemerken ist, müssen diese Zuschläge er¬ 
hebliche sein, wenn den Hebammen ein einigermaßen sorgen¬ 
freies Einkommen, was doch der Fall sein muß, gewährt 
werden soll. 

Daß das Gesetz erst zum 1. April 1923 in Kraft treten 
soll, ist, so bedauerlich auch dieser späte Termin ist, erklärlich, 
da es, wie von dem Herrn Minister hervorgehoben wird, 
mancherlei Vorarbeiten für die Durchführung bedarf. Es ist 
aber wenigstens in Aussicht genommen, bereits früher, vielleicht 
sogar vor dem 1. Januar das Gesetz in Kraft treten zu lassen. 

Wir lassen in Kürze die Ausführungen folgen, die bei den 
letzten Beratungen über den Gesetzentwurf von den Abgeord¬ 
neten — unter denen naturgemäß die weiblichen überwogen — 
und namentlich von dem Herrn Minister selbst gemacht wurden. 
Dabei soll nicht der am Schlüsse der Verhandlung ergötzliche 
Zwischenfall unerwähnt bleiben, der darin bestand, daß der 
Kommunist Kilian sich folgenden schönen Satz leistete: 



Heb&mmenwesen im Prenß. Landtage am 14. n. 15. Juni. 


395 


„Wir lehnen das Gesetz ab als soziale Mißgeburt, als ein verstümmeltes 
Samenkorn im Mutterleibe, das von der Stinnes-Roalition stammt 11 — worauf 
ihn unter der schallenden Heiterkeit des Hauses der Unabhängige Dr. Weyl 
ironisch aufforderte, eine verstinnesierte Hebamme auf den Tisch des Hauses 
su legen, und fragte, was denn „der arme Stinnes“ noch alles verschuldet 
haben solle. . . . 

Abg. Da 11 mar (D. Nat.) erstattet den mündlichen Bericht über die 
Ausschußverhandlungen. § 1 statuiert das Becht jeder Frau auf Hebammen¬ 
hilfe nach Maßgabe dieses Gesetzes. Diese Hilfe soll sich erstrecken auf Be¬ 
ratung und Hilfe in der Schwangerschaft, Hilfe bei Störungen in derselben, 
Hilf e bei der Geburt, Versorgung der Wöchnerinnen im Wochenbett und der 
Neugeborenen, sowie auf Beratung Über die Pflege und das Stillen der Kinder. 

Abg. Frau Ege (Soz.): Die große Zunahme der Kindersterblichkeit 
fordere gebieterisch eine Neuregelung. Der Entwurf und auch die Ausschu߬ 
fassung werde aber weder dem dringendsten Bedürfnis, noch den viel weiter¬ 
gehenden Forderungen gerecht, die die sozialdemokratische Fraktion schon 
vor Jahr und Tag erhoben habe. Es sei nur eine Halbheit herausgekommen. 
Das beste an der Kommissionsarbeit seien noch die vorgeschlagenen Ent¬ 
schließungen, die den Erlaß eines Beicbsgesetzes zur Begelung des Hebammen¬ 
wesens und unentgeltliche Hebammenhilfe für der Beichsfürsorge unterworfene 
Wöchnerinnen sowie Altersbeihilfe für Hebammen fordern. Trotz alledem 
werde die Fraktion, da endlich einmal ein .Anfang mit der Beform gemacht 
werden müsse, sich bemühen, die Ausschußfassung möglichst zu verbessern. 

Abg. Frau Heßberger (Zentr.) glaubt konstatieren zu können, daß 
ans allen Meinungsdifferenzen in der Frage sich schließlich ein Begierungs- 
entwurf herauskristallisiert habe, den man nur lebhaft begrüßen könne. In der 
Frage, ob den Hebammen Beamtencharakter beizulegen sei, gehe die Vorlage 
den richtigen Mittelweg. 

Abg. Dr. Quaet-Faslem (D. Nat.): Der Entwurf entspricht gewiß 
nicht allen Erwartungen, wird sich aber doch als lebensfähig erweisen. Den 
Vorwurf der Frau Ege gegen die Bechte, sie habe den besseren Vorschlag 
der sozialdemokratischen Partei zu Fall gebracht, weisen wir zurück; wir 
werden für die Ausschußvorschläge eintreten. Der Hebamme wird ein Mindest¬ 
einkommen garantiert; eine zeitgemäße Gebührenordnung ist vorgesehen. Die 
Niederlassungsgenehmigung wird sicher zur Hebung des ganzen Hebammen¬ 
standes beitragen. Natürlich wird das Gesetz sich erst einleben müssen. Für 
die dienstunfähig werdenden Hebammen muß gesorgt werden; darum ist die 
vorgeschlagene Entschließung begrüßenswert. 

Abg. Dr. Weyl (U. Soz.): Der Entwurf ist ein Kompromiß. Meine Partei 
hat daran positiv mitgearbeitet. Unser Ziel bleibt unverrückt; wir unter¬ 
stützen alles, was nuf dem Wege zu diesem Ziele liegt, und bei den derzeitigen 
Mehrheitsverhältnissen ist mehr als dieser immerhin erhebliche Schritt zur 
Besserung vorerst nicht zu erreichen. Wir können also mit gutem Gewissen 
für diesen mehrfach mit sozialistischem Oele gesalbten Entwurf eintreten. Mit 
einer bloßen Entschließung ist den Veteranen der Hebammenkunst freilich nicht 
gedient. Wie wir unentgeltliche Hebammenhilfe fordern, verlangen wir auch 
Sicherstellung der alt oder dienstunfähig gewordenen Hebammen durch ein 
Buhegeld in Höhe von zwei Dritteln des Buhegeldes für Bezirkshebammen. 

Abg. König-Weißenfells (Komm.): Unsere Anträge hat der Ausschuß 
abgelehnt. Wir werden für die Vorlage stimmen, wenn das Plenum diese An¬ 
träge annimmt. Wir verlangen u. a. die Besoldung der Hebammen nach 
Gruppe 8 der Besoldnngsordnung; der Antrag der Unabhängigen, welcher sic 
in Gruppe 7 einrangieren will, geht uns nicht weit genug. 

Abg. Frau Dönhoff (Dem.): Auch wir hoffen, den Entwurf heute ver¬ 
abschieden zu können, so unvollkommen er ist, er bedeutet einen ersten Anfang 
auf dem Wege einer Beform in modernem Sinne. Die beiden Formen des 
Hebammenberufs, die freie und die beamtete Bezirkshebamme, werden in der 
Praxis nebeneinander sich zu bewähren haben und die gesammelten Erfahrungen 
werden evtl, das Material für weitere Beformen liefern. 

Minister für Volkswohlfahrt Hirtsiefer: Meine sehr verehrten Damen 
und Herren! Das heute hoffentlich endgültig zur Verabschiedung gelangende 
Hebammengesetz hat, wie bereits angedeutet worden ist, eine sehr wechselvolle 



396 Dr. Solbrig: Annahme des Gesetzentwurfs über das Hebammenwesen. 

Geschichte hinter sieb. Bereits in der Preußischen Landesversammlang lag ein 
Gesetzentwurf vor zur Regelung dieser für unsere Volksgesundheit so wichtigen 
Materie. Leider aber platzten damals die Gemüter so aufeinander, daß es nicht 
zu einem Ergebnis kam. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß dank der ein¬ 
gehenden Arbeit des Bevölkerungsausschusses endlich eine Lösung gefunden 
worden ist. 

Ich will es mir versagen, auf Einzelheiten einzugehen, die schon mehr 
oder weniger von den Vorrednern angeführt worden sind. Ich will nur sagen: 
im Interesse unserer Volksgesundheit ist es sehr erfreulich, daß jetzt endlich 
ein Weg gefunden worden ist, der die widerstreitenden Interessen zwar nicht 
beseitigt, aber doch wenigstens überbrückt, eine gemeinsame Basis schafft, auf 
der vorläufig gearbeitet werden kann. (Zuruf bei den Sozialdem.: Doch nur vor¬ 
läufig !) — Ich hoffe doch, auch für längere Zeit, verehrte Frau Abgeordnete. — 
Allerdings müssen auch wir zu unserem Bedauern sagen, hat die Beratung 
nicht so schnell gefördert werden können, wie wir es alle gewünscht und aucu 
wohl gehofft hätten. Leider hat auch das Plenum in die Beratung der Vorlage 
vor Pfingsten nicht mehr eintreten können, und es ist dadurch eine weitere 
Verzögerung der Angelegenheit eingetreten, ich glaube daher doch wohl, daß 
der Anregung der Frau Abgeordneten Heßberger nahegetreten werden muß, 
den Termin nicht auf den 1. Oktober dieses Jahres festzusetzen. Ich darf 
daran erinnern, daß wir in der Sommerzeit sind, und daß die Urlaubsfrage 
eine große Rolle bei den Vorarbeiten für die Durchführung des Gesetzes spielen 
wird. Wir hoffen, daß die Vorarbeiten baldigst bewältigt werden können, 
glauben aber nicht, daß sie in allen Gemeinden,''insbesondere anch in den 
größeren, so zeitig gefördert werden können, daß das Gesetz bereits am 1. Ok¬ 
tober in Kraft treten kann. Wir hoffen, daß es möglich sein wird, sie spätestens 
bis zam 1. Januar durchzuführen und das Gesetz mit diesem Tage in Kraft 
treten zu fassen. Wir glauben aber, daß es besser ist, auch im Interesse der 
Lösung der Frage, ein gut vorbereitetes Gesetz in Kraft zu setzen, als durch 
schlechte Vorbereitung, wenn auch uur vorül ergehend, eine Diskreditierung 
des Gesetzes eintreten zu lassen. Deshalb bitten wir, die Inkraftsetzung des 
Gesetzes auf den 1. April 1923 anzusetzen, aber dem Wohlfahrtsministerium 
das Recht zu geben, das Gesetz früher in Kraft treten zu lassen, wenn irgend 
möglich noch vor dem 1. Januar. Wir hoffen aber, wie ich bereits sagte, dafi 
es am 1. Januar bestimmt möglich sein wird, und wenn es möglich sein sollte, 
werden wir es auch noch vorher in Kraft setzen. Wir halten es für richtiger, 
nicht durch ein schlecht vorbereitetes Gesetz Schwierigkeiten zu schaffen, die 
im Gesetz nicht begründet sind. Wir hoffen dann zuversichtlich, daß du 
Gesetz nicht nur unserem für die Volksgesundheit so wichtigen Stande der 
Hebammen, sondern auch in außerordentlich großem Umfange Mutter und Kind 
und damit unserem heranwachsenden Geschlecht zu wirklichem und großen 
Segen gereichen wird. Es ist mit Recht gesagt worden: es sind gewiß nicht 
alle Wünsche erfüllt; aber ich glaube doch sagen zu dürfen, daß mit der 
gegenwärtigen Gesetzesvorlage auf diesem so außerordenlich wichtigen Gebiete 
ein wesentlicher Schritt vorwärts gemacht wird, und ich möchte es mir nicht 
versagen, dem Bevölkerungsausschuß und dem ganzen Hause für das außer¬ 
ordentlich große Interesse, für die große Mühewaltung und opferfreudige 
Mitarbeit bei der Bewältigung dieser schwierigen, für unsere Volksgesundheit 
aber so außerordentlich wichtigen Frage meinen besonderen Dank abzustatten. 
Ich gebe gern der Hoffnung Ausdruck, daß damit für unsere Volksgesundheit 
auf einem ganz außerordentlich wichtigen Gebiete eine neue gesetzliche Grund¬ 
lage geschaffen wird, auf der zum Segen unseres ganzen Volkes gearbeitet 
werden kann. (Bravo 1) 

Abg. Frau Poehlmann (D. Vp.) wirft einen Rückblick auf die wechsel- 
vollen Stadien, durch die sich alle Beteiligten bis zu dem Entwurf des Aus¬ 
schusses durchgerungen haben, und hebt nochmals dessen Vorzüge hervor, die 
dem dringendsten Erfordernis des Augenblicks immerhin genügten. Die Deutsche 
Volkspartei werde in der überwiegenden Mehrheit dafür stimmen. Rednerin 
schließt mit dem Wunsche, die Hebammen möchten auch fernerhin an des 
freien Berufe festbalten. — 

§ 1 wird in der Ausschußfassung unverändert angenommen, ebenso unter 



Dr. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande usw. 397 

Ablehnung weitgehender Anträge der Kommunisten und der Unabhängigen 
Sozialdemokraten die §§ 2 bis 14. 

§§ 15 bis 21 handeln yon den Gebühren und Vergütungen für die He* 
b&mmen. Die Gebührenordnungen haben die Bildung yon drei Teuerungsklassen 
yorzusehen. Die Unabhängigen und die Kommunisten beantragen Einreihung 
der Hebammen in Gruppe 7 bezw. 8 der Besoldungsordnung. — § 15 fiodet 
unverändert Anwendung, ebenso §§ 16 bis 21 mit einigen vom Zentrum bean¬ 
tragten redaktionellen Verbesserungen. 

§§ 22 bis 29, die Bezirkshebammen betreffend, werden ebenfalls nach 
kurzer Erörterung in der Ausschußfassung genehmigt. 

§§30 bis 89 (Kreis- und Prorinz-Hebammenstellen), § 40 (25 Millionen 
Staatsbeihilfe) und §§ 41 bis 45 (Uebergangs-, Straf- und Schlußbestimmungen) 
werden angenommen, in § 46 mit knapper Mehrheit, der Anregung des Ministers 
gemäß, der Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes auf spätestens 1. April 
1923 festgesetzt. Der Antrag der Unabhängigen in § 41 den Anspruch auf ein 
Buhegeld zu statuieren, wird nach nochmaliger Aussprache abgelehnt. 

Dafür nimmt die Mehrheit die vom Ausschüsse vorgeschlagenen Ent¬ 
schließungen an, diejenigen wegen Gewährung eines Buhegeldes auf Antrag 
des Zentrums in der Form, daß die Kreise veranlaßt werden sollen, den Vete- 
raninnen der Hebammenkunst angemessene Beihilfen zu gewähren, und daß 
mindestens die Hälfte dieser Beiträge den Kreisen aus dem 25-Millionen-Fonds 
(Staatsbeihilfe) wiedererstattet werden soll. 

Es folgt die dritte Lesung des Entwurfs, wobei von den 
Sozialdemokraten beantragt wird, den Termin für das Inkraft¬ 
treten auf den 1. Januar 1928 festzusetzen. 

Nach Bemerkungen der Abg. Kilian (Komm.) und Weyl 
(Unabh.) wird in der Gesamtabstimmung der Entwurf mit sehr 
großer Mehrheit endgültig genehmigt und der Termin, 1. April 
1923, unverändert gelassen. 


Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande nebst Be¬ 
merkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie. 

Von Kr.-Med.-Bat Dr. HiUenberg in Halle a. 8. 

Der Aufsatz des Herrn Kollegen Boege in Uecker¬ 
münde in Nr. 13/21 dieser Zeitschrift „Ueber Fürsorge im all¬ 
gemeinen und über Tuberkulosefürsorge im besonderen u gibt 
mir Veranlassung, die Organisation der Tuberkulosefürsorge 
im Saalkreis den Kollegen mit kurzen Strichen zu schildern, 
um vielleicht diesem oder jenem dort, wo die Einrichtung der¬ 
selben noch nicht in zufriedenstellender Weise arbeitet, einen 
Weg anzudeuten, auf dem Ersprießliches zu erzielen ist. 

Wir hören viel und lesen noch mehr von vortrefflich 
arbeitenden Fürsorgestellen der Großstädte, vernehmen mit Be¬ 
wunderung von ihren modernen diagnostischen Einrichtungen 
und lassen mit Staunen die Zahlen der Besucher an unsem 
Augen vorüberziehen. Ein stiller Neid packt wohl manchen, 
der mit Eifer und heißem Bemühen ähnliches schaffen möchte, 
aber vom Schicksal nicht in eine Stadt mit verständnisvollen 
und gebefreudigen Stadtvätern, mit trefflichen sanitären Ein¬ 
richtungen, guten, wenn auch jetzt teuem Verkehrsmitteln ge¬ 
setzt ist, sondern in einen Landkreis, der womöglich kein 
größeres Zentrum besitzt, sehr weitläufig, schwer zu bereisen, 
arm an Mitteln ist, dafür aber auch ein gerüttelt und geschüttelt 



398 


Dr. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande 


volles Maß von Tuberkulösen hat, die ebenso dringend der Für¬ 
sorge bedürfen, wie in der Großstadt. Wie unendlich viel 
schwerer ist doch hier Fürsorge zi 1 treiben I Wieviel mehr 
Anerkennung verdient deshalb der Arzt, der in stiller, aber 
zäher Arbeit dem spröden Boden kärgliche Frucht abringtl 

Man hat vielfach versucht, die Einrichtungen der Städte 
ohne weiteres auf das Land zu übertragen, d. h. auch hier Für¬ 
sorgestellen einzurichten, einen Fürsorgearzt oder deren mehrere, 
Fürsorgeschwestern anzustellen und in regelmäßigen Beratungs¬ 
stunden die sich zu ihnen Findenden zu betreuen. Ich weiß, 
daß dieses System hier und da auch auf dem Lande gut ge¬ 
deiht, besonders wenn ein tüchtiger Kollege die Fürsorge leitet, 
technisch-diagnostische Hilfsmittel nicht fehlen und auch sonstige 
Umstände günstig sind. Ich denke z. B. an den Landkreis 
Quedlinburg meiner Provinz, in dem die Tuberkulosefürsorge 
sehr gut nach städtischem Muster wirkt. Ebenso kenne ich 
aber auch Kollegen — und diese sind die zahlreicheren —, die 
ähnliche Klagen äußern, wie sie der Kollege Bo ege sich vom 
Herzen geschrieben. Es steht viel auf dem Papier; die Wirk¬ 
lichkeit weist aber unbestelltes Feld auf. Nach meinen persön¬ 
lichen Erfahrungen, die in der Tuberkulose-Fürsorgefrage, be¬ 
sonders soweit das Land in Betracht kommt, nicht gering sind, 
halte ich es im allgemeinen für nicht richtig, unter länd¬ 
lichen Verhältnissen die gleichen Wege wie unter städtischen 
wandeln zu wollen. Jeder muß sich hier seinen eigenen, be¬ 
sonderen Bau zimmern. Die Technik der praktischen Arbeit 
muß sich vornehmlich von zwei Gesichtspunkten leiten lassen: 
Einmal muß nicht nur der Kranke zum beratenden Arzt, sondern 
auch dieser zu jenem kommen, wenn äußere Umstände (weite 
Wege, schlechtes Wetter) es erfordern. Sodann muß tunlichst 
die Gesamtheit der Aerzte eines Kreises an der Fürsorge¬ 
arbeit beteiligt sein; denn nur so werden wir möglichst restlos 
alle Fürsorgebedürftigen erfassen und daneben die Gewähr 
haben, auch therapeutisch weiter greifen zu können, als wenn 
nur die Fürsorgestelle mit ihrem Arzt den Fürsorgebetrieb hand¬ 
habt. Die Einrichung besonderer Beratungsstellen fällt hierbei 
natürlich fort; Untersuchung und Beratung findet in der Sprech¬ 
stunde des Arztes statt. 

Wir sind nun im Saalkreis folgendermaßen vorgegangen: 
Durch ein Rundschreiben des Kreiswohlfahrtsamts an sämt¬ 
liche Aerzte des Kreises und an diejenigen Kollegen der be¬ 
nachbarten Kreise, die in ersterem mitpraktizieren, wurde zur 
Mitarbeit aufgefordert, die, wie von vornherein betont wurde, 
nach näher zu vereinbarenden Sätzen honoriert werden sollte, 
und die Frage nach der Bereitwilligkeit hierzu gestellt. Wir 
erhielten nur zusagende Antworten. 

Weiterhin wurde mit dem Vaterländischen Frauen¬ 
verein in Verbindung getreten und dieser gebeten, unter be¬ 
stimmten Bedingungen (Beitrag des Kreises zum Unterhalt der 
Schwesternstationen) seine Gemeindeschwestern in der 



nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie. 


399 


Tuberkulosefürsorge mitarbeiten zu lassen. Die Einwilligung 
wurde gegeben. Die Kreisfürsorgerinnen sind von vorn¬ 
herein zur Mitarbeit verpflichtet. Nach Erledigung dieser Präli¬ 
minarien wurde eine Versammlung der Aerzte, Kreisfürsorge¬ 
rinnen und Gemeindeschwestern auf dem Landratsamt anberaumt, 
und hier den Anwesenden der geplante Gang der Fürsorge 
mitgeteilt. Aerzte und Schwestern erhalten vorgedruckte Melde¬ 
formulare, auf denen sie jeden ihnen bekannt werdenden Fall 
von Schwindsucht oder begründetem Verdacht der Krankheit 
dem Kreis Wohlfahrtsamt mitteilen. Auch dieörtlichenWohl- 
fahrtsämter (Wohlfahrtsausschüsse), von denen für jeden 
Amtsbezirk eines besteht, sind zur Meldung verpflichtet. Nach 
Eingang einer Anzeige wird die zuständige Gemeinde¬ 
schwester oder Kreisfürsorgerin aufgeforiert, an der Hand eines 
eingehenden wirtschaftlichen Fragebogens die häus¬ 
lichen Verhältnisse festzustellen. Nach Erledigung geht dieser 
zum behandelnden Arzt oder, wenn ein solcher noch nicht oder 
nicht mehr vorhanden, zum Arzt der Wahl des zu Unter¬ 
suchenden, mit der Bitte, diesen mittels Vordrucks in die 
Sprechstunde zu bestellen, zu untersuchen, das in seinen 
Händen befindliche Arztformular genau auszufüllen, an der 
Hand seiner eigenen Kenntnisse, der Angabe des wirtschaft¬ 
lichen Fragebogens und des Untersuchungsbefundes die not¬ 
wendigen Maßnahmen anzugeben und beide Fragebogen dem 
Kreiswohlfahrtsamt zurückzusenden. Hier entscheidet der 
Kreisarzt als Leiter der Tuberkulosefürsorge an der Hand 
der Vorschläge von Arzt und Schwester, was endgiltig ge¬ 
schehen soll, wobei natürlich die Vorschläge der Kollegen weit¬ 
gehend berücksichtigt werden. Die Zentrale muß die Ent¬ 
scheidung haben, weil sich in ihrer Hand die Mittel befinden, 
und sie allein weiß, welche Leistungen sich ermöglichen lassen. 
Die endgiltigen Vorschläge des Kreisarztes werden durch das 
Kreiswohlfahrtsamt bezw. die örtlichen Wohlfahrtsämter zur Aus¬ 
führung gebracht. Besondere Berichtsbogen der Schwestern, 
die jährlich dem Kreiswohlfahrtsamt eingereicht werden, 
geben eine laufende Uebersicht über deren Tätigkeit; münd¬ 
liche Rücksprachen der einzelnen Schwestern sowie gelegent¬ 
liche gemeinschaftliche Besprechungen mit dem Kreisarzt 
stellen den Zusammenhang zwischen diesem und den Kranken 
her. Von Zeit zu Zeit werden nach Bedarf weitere ärztliche 
Berichte erbeten. Die Kollegen haben bisher für die erste 
Untersuchung 15 M. und mehr, für die folgenden Berichte je 
10—12 M. erhalten. Für Besuche bei Kranken, vom Kreis- 
wohlfahrtsarat veranlaßt, erhalten sie die ortsüblichen Gebühren; 
tunlichst sollen dies Gelegenheitsbesuche sein. Alle Auslagen 
werden ihnen vergütet. Um den Aerzten in diagnostisch un¬ 
klaren Fällen die Hilfsmittel moderner Untersuchungsmethoden 
zugänglich zu machen, hat das Kreiswohlfahrtsamt mit der 
musterhaft eingerichteten und von dem bekannten Facharzt 
Dr. Blümel geleiteten Lungenfürsorgestelle des Vereins zur 



400 


Dr. Hillenberg: Taberkulosebekämpfong auf dem Lande 


Bekämpfung der Schwindsucht in der Stadt Halle a. S. ein Ab* 
kommen getroffen, nach dem der Saalkreis der genannten Stelle 
eine jährliche größere Summe (3000 M.) zahlt; hierfür werden 
die Einwohner des Saalkreises auf Ueberweisung durch den 
behandelnden Arzt fachärztlich untersucht und zwar erforder¬ 
lichenfalls auch röntgenologisch, wofür noch eine besondere 
Gebühr zu zahlen ist. Für kurze klinische Beobachtungen 
werden die Kranken der Medizinischen Klinik der Universität 
überwiesen. Für Lupuskranke steht die Universitäts-Hautklinik 
zur Verfügung. 

Diese Organisation hat sich bisher gut bewährt; sie er¬ 
scheint vielleicht etwas umständlich, bietet aber große Vorteile. 
Vor allem sind wir nicht nur auf solche Kranke angewiesen, 
die, ohne in ärztlicher Behandlung zu stehen, aus eigenem An¬ 
trieb die Fürsorgestelle aufsuchen oder ihr vom Arzt zuge¬ 
wiesen werden, sondern ich kann sagen, daß wir eben alle 
Kranken in Fürsorge bekommen, da ja kein Arzt seinen Kranken 
verloren gehen sieht und nur Interesse daran hat, daß unter 
seiner Aufsicht und Leitung letzterer bestmöglich sozial ver¬ 
sorgt wird. 

Aber auch prophylaktisch-therapeutisch läßt sich, 
wie ich schon oben andeutete, durch diese Art der Gemein¬ 
schaftsarbeit mancherlei erreichen. Ich hatte bereits vor end- 
giltiger Einrichtung der Tuberkulosefürsorge in einzelnen be¬ 
grenzten Bezirken meines Kreises mit Unterstützung einiger 
sehr gewissenhafter Gemeindeschwestern zunächst an einem 
kleinen Material von Kindern aus tuberkuloseverseuchten Familien 
das Petruschky sehe Perkutanverfahren unter meiner ständigen 
Aufsicht ausführen lassen und, wie nicht anders zu erwarten 
war, hinsichtlich deren Allgemeinbefinden gute, sinnfällige Er¬ 
folge erzielt, die natürlich auch den praktischen Kollegen nicht 
verborgen blieben. Diesen wurde nun auf einer Versammlung 
an der Hand von Beispielen ein kleiner Vortrag über das Ver¬ 
fahren gehalten, mit einzelnen von ihnen auch persönlich ein¬ 
gehend darüber gesprochen, und alle wurden gebeten, vor¬ 
nehmlich bei tuberkulosebedrohten Kindern, aber in geeigneten 
Fällen auch bei Erwachsenen das Verfahren in Anwendung zu 
bringen. In gleicher Weise wurde die Schwesternschaft be¬ 
lehrt und ihr Interesse für die Sache geweckt. So wurde mit 
der Zeit, nachdem die Kollegen sich durch persönliche Er¬ 
fahrungen von dem Nutzen der Methode überzeugt, diese in 
größerer Ausdehnung angewandt und wird jetzt von der großen 
Mehrzahl der Kollegen sehr geschätzt und nicht nur bei ge¬ 
fährdeten Kindern zur Prophylaxe, sondern fast ebenso häufig 
bei Erwachsenen zu therapeutischen Zwecken angewandt, und 
zwar vorwiegend mit günstigem, ja teilweise überraschendem 
Erfolge. Es hieße, Eulen nach Athen tragen, wollte ich mich 
des längeren über den Nutzen des Perkutanverfahrens hier ein¬ 
gehend äußern. Lungenheilstätten, Fürsorgestellen, einzelne 
Aerzte machen von ihm mit Erfolg Gebrauch. Auch während 



nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutan therapie. 


401 


der Verhandlungen des vorletzten Tuberkulose-Kongresses in 
Bad Elster wurde von einzelnen Rednern, die dieses Thema an¬ 
schlugen, der Wert des Verfahrens voll gewürdigt und an¬ 
erkannt, besonders von Med.-Rat Dr. Breoke-Stuttgart. Ich 
stehe freilich nicht auf dem Standpunkt, wie ihnToeplitz in 
Chemnitz, Jänicke in Apolda und Petruschky selber ein¬ 
nehmen, alle Kinder, die auf Pirquet positiv reagieren, mit 
dem Liniment zu behandeln. Wir wissen ja noch nicht — und 
es werden Jahre vergehen, ehe uns darüber Klarheit wird —, 
wie sich die prophylaktisch mit Tuberkulin behandelten Kinder 
später der Tuberkulose gegenüber verhalten. Ob es uns, wie 
Petruschky glaubt, gelingt, die behandelten Kinder später 
gegen Neu-Infektionen, endogene oder exogene, ganz schützen 
zu können, dafür lassen sich Beweise noch nicht erbringen. 
Nach meinem Dafürhalten dürfen wir keinen zu hohen Wechsel 
auf die Zukunft ausstellen; es genügt m. E. vollauf, wenn es 
uns gelingt, die z. T. sehr elenden, blassen, appetitlosen, an¬ 
fälligen, ewig kränkelnden Kinder durch das Verfahren in vielen 
Fällen aufblühen zu lassen, zu kräftigen, sie gegen ein Fort¬ 
schreiten des tuberkulösen Prozesses zu schützen — auf die 
immun-biologischen Vorgänge will ich hier nicht näher ein- 
gehen —; was später aus ihnen wird, wenn sie in die Puber¬ 
tätszeit eingetreten, muß abgewartet werden. 

. Auch bei bereits tuberkulösen Erwachsenen besitzen wir 
in dem Verfahren, in geeigneten Fällen zielbewußt und mit 
Ausdauer angewandt, ein Mittel, die Kranken zu bessern, für 
Heilstättenbehandlung vorzubereiten, nach einer solchen die 
Erfolge zu festigen oder aber dort, wo Heilstättenbehandlung 
nicht mehr möglich, wenigstens in einzelnen Fällen durch vor¬ 
sichtige Anwendung noch erhebliche Besserung zu erzielen. 
Es sei mir gestattet, hier in kurzer Zusammenfassung meine 
Erfahrungen mitzuteilen, um diejenigen Kollegen, die noch 
skeptisch der Sache gegenüberstehen, einen Antrieb zu eigener 
Prüfung zu geben. Daß eine solche „Anregung wünschenswert 
sein kann, schließe ich aus einer zufällig gehörten Bemerkung 
eines Kollegen, etwa dahin lautend: „Was soll von einer solchen 
Schmiererei wohl Gutes herauskommen?“ Ohne eigene Er¬ 
fahrung sollte man nicht so urteilen! 

Sämtliche Schwestern haben nachstehenden Berichtsbogen 
zu führen, auf dem sie über jeden Fall fortlaufend Aufzeich¬ 
nungen machen müssen: 

Bericht Aber Taberkullnbehandlang nach Prof. Petruschky. 

Vor- and Znn&men.Wohnung. 

Geboren.Beginn der Kar: . 


Dosis 


Datum 
der Ein- 
reibung 


Tropfen- 


Tempe- 


zahl 


ratur 


Bemerkungen Ober das 


Gewicht 


Befinden des Kranken und den 


Verlauf der Krankheit 














402 


I)i. Hillenberg: Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande 


Diese Bogen werden mir von Zeit zn Zeit vorgelegt, meist 
unter gleichzeitiger Vorstellung derjenigen Kinder, die einer 
besonderen Besprechung bezw. Nachuntersuchung bedürfen. So 
bin ich in der Lage, ständig über den Verlauf der Kur im 
Bilde zu bleiben. Es wurde bisher etwa die gleiche Zahl von 
Kindern und Erwachsenen nach Petruschky behandelt und 
zwar im wesentlichen nach den von ihm gegebenen Vorschriften 
mit denjenigen Abweichungen, die gelegentlich der einzelne 
Pall erheischte. Die Einreibungen wurden fast restlos gut ver¬ 
tragen; bei einem Kranken (Erwachsenen) mußte mit ihnen 
ausgesetzt werden, weil er angeblich bald nach Beginn der 
Kur einen derart öligen Geschmack im Munde bekam, daß ihm 
alles ölig schmeckte. (Hysterie?) Nach längerer Pause wurde 
ein erneuter Versuch gemacht, der bis jetzt geglückt ist. Ferner 
waren wir genötigt, vorübergehend bei einer Frau die Kur zu 
unterbrechen, weil sie nach jeder Einreibung heftige ziehende 
Schmerzen in Armen und Beinen zu verspüren behauptete. 
Hier lag sicher Hysterie vor. Auch bei diesen Kranken scheint 
ein zweiter Versuch besser vertragen zu werden. 

Wie ich schon sagte, behandeln wir nicht alle Kinder, die 
pirquetpositiv sind, sondern nur mit Auswahl, d. h. diejenigen, 
die aus tuberkulösen Familien stammen und infiziert sind, so¬ 
dann solche, die klinisch und röntgenologisch als besonders 
gefährdet anzusehen sind. Massenbehandlungen auf dem Lande 
auszuführen, halte ich im allgemeinen für nicht ratsam. Soll 
das Verfahren nicht diskreditiert werden und vor allem seine 

S ute Wirkung ausüben können, so muß bis zu einem gewissen 
rade individualisiert, die Kur mit Vorsicht und Sorgfalt aus¬ 
geführt werden. Sie wird deshalb fast durchweg von den 
Fürsorgeschwestern persönlich ausgeübt, die die Kinder in der 
Mehrzahl an bestimmten Tagen zu sich bestellen, im übrigen 
die Kranken in den einzelnen Ortschaften- aufsuchen und in 
ihrem Heim die Einreibung vornehmen. Bei Massenbehandlungen 
könnten die Schwestern .die Arbeit gar nicht bewältigen, es 
fehlte bei Handhabung der Kur durch die Angehörigen jede 
Gewähr für die peinliche Beobachtung der Vorschriften, Un¬ 
regelmäßigkeiten wären die notwendige Folge und schließlich 
ein Ausbleiben der erhofften Wirkung, womit der ganzen Methode 
das Grab gegraben würde. 

Zu Beginn einer Kur finden regelmäßige Temperatur¬ 
messungen statt, die später nur nach dem Uebergang zu einer 
stärkeren Dosis gemacht werden. Das Gewicht wird vierwöchent¬ 
lich festgestellt. 

Die Erfahrungen sind bei den Kindern, wie auch andere 
Kollegen bereits bestätigt haben, zum Teil geradezu verblüffend: 
Die bisher elenden, anämischen, appetitlosen, teilnahmlosen 
Kinder leben auf, werden fröhlich, spielen und lachen, essen 
mit Appetit und nehmen ständig an Gewicht zu. Die durch¬ 
schnittliche Gewichtszunahme betrug nach Ablauf der zwei¬ 
jährigen Kur 5,17 kg, ohne daß eine Aenderung der Lebens- 



nebst Bemerkungen zur Petruschkyschen Perkutantherapie. 


403 


weise eingetreten. Die Mindestzunahme waren 5, die höchste 
14 l /> Pfund. Soweit bei einzelnen Kindern leichte Lungen¬ 
veränderungen bereits nachweisbar gewesen, sind diese zurück¬ 
gegangen; selbstverständlich ist dieser anscheinende Erfolg mit 
großer Vorsicht zu bewerten. Das Zurückgehen von Drüsen¬ 
schwellungen ist eklatanter. Einen negativen Pirquet habe ich 
jedoch bei keinem Kinde nach Ablauf einer 2jährigen Kur 
erlebt, soweit ich die Reaktion anstellen konnte; es ist ja mög¬ 
lich, daß sich unter dem Rest der nicht nachuntersuchten 
Kinder — äußere Verhältnisse verhinderten die Schlußkontrolle — 
einzelne mit erzielter positiver Anergie bestanden. Besonders 
hervorheben möchte ich den Fall einer 13jährigen Marie M., 
die seit Juni 1918 wegen Knie- und Handgelenktuberkulose 
krank zu Bett lag. Im November 1919 wurde bei ihr mit dem 
Perkutan-Verfahren begonnen; es machten sich bald die ersten 
Zeichen der Besserung bemerkbar, die Juni 1920 so weit vor¬ 
geschritten war, daß das Kind die Schule besuchen, im November 
1920 sogar am Turnen teilnehmen konnte. Das Allgemein¬ 
befinden hat freilich mit der örtlichen Besserung nicht Schritt 
gehalten; das Kind schaut noch blaß aus und wird im Früh¬ 
jahr in ein Soolbad gesandt werden. Immerhin betrug die 
Gewichtszunahme 5,21 kg. Ob das Tuberkulin diesen Erfolg 
gezeitigt, oder ob auch spontan diese Besserung eingetreten wäre, 
lasse ich dahingestellt. 

Fast gleich günstige Resultate haben wir bei Erwachse¬ 
nen erzielt, unter denen einzelne zur Behandlung kamen, die 
trotz wiederholter Heilstättenkuren kein rechtes Vorwärts¬ 
kommen merken ließen. Die durchschnittliche Gewichtszunahme 
war bei ihnen erheblicher als bei den Kindern und betrug 6,6 kg 
in 2 Jahren; einige haben freilich gar keine Zunahme, aber 
auch keine Abnahme erfahren. Das geringste Plus an Gewicht 
betrug 3 kg, das höchste 16,5 kg, wieder ohne jede Aenderung 
der allgemeinen Lebensweise! Was mir besonders bemerkens¬ 
wert erscheint, ist, daß mehrere tuberkulöse Frauen während 
der 2 jährigen Kur zweimal eine Niederkunft ohne jede Spur 
von Nachteil für ihren Lungenprozeß durchmachten. Auch habe 
ich den Eindruck, daß wiederholte schwere Grippeanfälle unter 
der Petruschky-Kur von den Tuberkulösen verhältnismäßig 
leicht überwunden wurden. Ich darf kurz noch einige besonders 
bemerkenswerte Fälle mitteilen: 

1. Frau D., Landjägersgattin, 42 Jahre alt, seit 1914 an Tuberkulose 
krank, wiederholt in Lungenheilstätten gewesen. 1917 schwerer Gelenkrheumatis¬ 
mus. T. B. + +• Ueber beiden Oberlappen Dämpfung, Bassein, viel Auswurf 
mit Blutbeimengung. Beginn der Kur 18.11. 19 mit 57,5 kg Körpergewicht. 
Nach 2jähriger Kur fast kein Auswnrf, nur noch geringe Lungenveränderungen. 
Gewicht 74 kg, kann leichte Haus- und Handarbeit verrichten. 

2. Marie K., 22 Jahre alt; seit 1. 4.19 arbeitsunfähig, starke Abmage¬ 
rung, Auswurf. Beginn der Kur am 12. 8.19 mit 37,5 kg (1) Körpergewicht 
Pirquet •+■+• Nach 2 Jahren Kurgebrauch Ende September 21 arbeitsfähig 
mit 53 kg Körpergewicht entlassen. Kein positiver Pirquet mehr! 

3. Frau W, 43 Jahre alt, seit 1916 tuberkulös, 1 Kind an Tuberkulose 
gestorben; vom 1. 5. bis 1. 8. 18 in der Heilstätte Vogelsang. Sommer 1919 



404 


Dr. Hjlienberg: Tuberkolose.auf dem Lande naw. 


Verschlechterung des Befindens. Beginn der Petrnschky-Eor Oktober 19 
mit 40,5 kg Körpergewicht. Nach 2 Jahren mit 50,5 kg Qewicht and roll' 
ständig gutem Befinden and voller Arbeitsfähigkeit entlassen. 

4. Otto M., 22 Jahre alt, April 19 wegen Banchfelltaberknlose In 
„Bergmannstrost“ in Halle a. S. operiert; nach Aafhören der Kassenleistangen 
angeheilt and bettlägerig entlassen. Am 6.4.20 Beginn der Kar; Gewicht 
kann nicht festgestellt werden; im Jani 1920 zam ersten Male gewogen: 34,5 
Fortschreitende Besserang des Befindens, Jam 21 zam ersten Male leichte Arbeit 
Seit Oktober 1921 als Bergmann wieder aaf der Grabe tätig, sieht sehr gnt 
aas and fühlt sich völlig gesand. Gewicht 57 kg! 

Selbstverständlich besagt die Mitteilung dieser wenigen 
Fälle nicht viel; ihre Zahl kann jederzeit vermehrt werden, 
der Raummangel verbietet es. Jeder wird ein wenden können, 
daß auch bei völlig abwartendem Verhalten derartige Kranke 
erhebliche Besserungen auf weisen, ja, gesund werden können. 
Gewiß; immerhin spornen sie zu weiterer Anwendung des Ver¬ 
fahrens an. 

Und gerade dadurch, daß alle Kollegen an der Fürsorge 
beteiligt sind, ist es möglich, sie auoh zu therapeutischem 
Handeln bei ihren Kranken anzuregen; bisher sind sie der¬ 
artigen Anregungen fast stets in dankenswertester Weise 
entgegengekommen. Sind nur besondere Fürsorgeärzte vor¬ 
handen, so ist es diesen schwer oder gar nicht möglich, bei 
Kranken, die sich in ärztlicher Versorgung befinden, Einfluß auf 
die Behandlung zu gewinnen. Daher auch die Schwierigkeit 
der Lösung der Frage: Soll in den Fürsorgestellen 
überhaupt behandelt werden oder nicht? Es ist ja 
bekannt, daß eine Richtung jegliche Behandlung völlig ablehnt 
und sich nur auf Beratung und wirtschaftliche Betreuung be¬ 
schränkt, während andere ohne Behandlung in den Fürsorge- 
steilen nicht mehr auskommen zu können glauben. Auch ich 
halte es für durchaus erwünscht, bei geeigneten Personen Be¬ 
handlung eintreten zu lassen. Ich darf hier gleich einschalten, 
daß nicht etwa nur nach Petruschky behandelt wird, sondern 
einzelne Kollegen ziehen das Deyke-Muchsche Verfahren 
vor und wollen auch mit ihm günstige Erfolge erzielen, wenn¬ 
gleich das Urteil über letzteres zurzeit wohl dahin neigt, daß 
die großen Hoffnungen, die die Aerzteschaft mit den Entdeckern 
desselben auf diese genial ausgedachte, wenn auch etwas um¬ 
ständliche Methode gesetzt, sich leider nicht erfüllt haben. 
Auch das Stoelznersche Tebelon-Verfahren (Behandlung mit 
einem flüssigen Wachs, das intravenös injiziert wird) käme etwa 
unter den gleichen Voraussetzungen bei Kindern, wie das 
Petruschky sehe in Betracht, läßt sich jedoch nicht in größerem 
Umfang zu Sanierungszwecken anwenden. Haupsache ist m. E., 
daß in der Fürsorge behandelt werden kann, und dies ist nur 
möglich, wenn eine weitgehende Beteiligung der Aerzteschaft 
an der Tuberkulosefürsorge Platz greift. 

Man hört hier und da noch immer von Kollegen, die die 
Wirksamkeit des Perkutan Verfahrens anzweifeln. Darüber ist 
indes nicht mehr zu streiten, daß bakterielle Antigene von der 
Haut aus gut resorbiert werden (N e u f e 1 d); fieberhafte Allgemein- 



Dr. Hallenberger: Principiis obsta t 


405 


reaktionen und Hautreaktionen treten auch nach Einreibung 
von Tuberkulin auf und beweisen, daß das Präparat auch auf 
diesem Wege eine spezifische Wirkung ausüben kann, und 
daß die Behandlung durchaus keine Scheinbehandlung ist 
(Brecke-Stuttgart). Zudem hat Petruschky selber durch 
den Versuch bei Meerschweinchen bewiesen, daß nach Ein¬ 
reibung abgetöteter imzerkleinerter Vollbakterien in die Haut 
diese schon nach wenigen Stunden im Corium nachweisbar, 
nach 24 Stunden zu Qranula geworden und nach spätestens 
48 Stunden restlos parenteral verdaut sind. 

Gerade die langsame, mildere Aufnahme des Antigens von 
der Haut ist als ein besonderer Vorteil des Verfahrens hin¬ 
sichtlich der Einwirkung auf den tuberkulösen Herd anzusehen, 
sofern nur geeignete Verdünnungen und nicht sofort zu starke 
Konzentrationen gewählt werden. Denn so einfach die ganze 
Behandlungsmethode erscheint, erfordert sie doch ein besonderes 
Studium, eingehendes Individualisieren und ständige Beobachtung, 
vornehmlich bei der Behandlung Erwachsener. Ich kann jedem 
Kollegen das Büchlein von Großmann*), der selbst an offener 
Tuberkulose erkrankt war, sich Jahre hindurch vonPetruschky 
mit vollem Erfolg perkutan behandeln ließ und während dieser 
Zeit bei ihm arbeitete, zu näherem Studium der ganzen Frage 
dringend empfehlen und raten, soweit das Verfahren von ihm 
bei der Tuberkulosebekämpfung noch nicht angewandt worden 
sein sollte, einen Versuch hiermit zu machen. Ohne von dieser 
Methode alles das, was manche begeisterte Anhänger erwarten, 
zu erhoffen, kann mit ihr doch viel Nutzen gestutet werden; 
mir jedenfalls erscheint ihre Anwendung als ein recht gang¬ 
barer Weg wirksamer Tuberkulosebekämpfung durch die Für¬ 
sorgestellen, von dem ich nicht wieder abgehen möchte, eine 
Anschauung, die sich mit derjenigen von Br ecke in Stuttgart, 
von Jänicke in Apolda, der sie in ausgedehntem Maße an 
Hunderten von Kindern anwendet, und anderer Kollegen deckt. 
Gerade für die ambulante Behandlung lungenkranker Erwachsener 
und die prophylaktische Behandlung gefährdeter Kinder hat 
sie Vorzüge, die ihre Anwendung in Zukunft in viel umfang¬ 
reicherem Maße als bisher angezeigt erscheinen lassen. 


Principiis obsta! 

Von Kreisarzt Dr. Hallenberger-Höchst a. M. 

Den in Nr. 5 dieser Zeitschrift veröffentlichten Bericht über 
die am 21. 1. 22 im Ministerium für Volkswohlfahrt gepflogenen 
Verhandlungen haben wir wohl alle mit größtem Interesse ge¬ 
lesen, und ich glaube, daß wir den Anträgen und Ausführungen 
unseres Vorstandes unbedenklich zustimmen können. Nur auf 


*) Dr. Felix Großmann: Die spezifische Perkutanbehandlung der 
Tuberkulose mit dem Petruschky scheu Tuberkulin-Liniment. Verlag von 
Urban & Schwarzenberg, SerUn-Wien 1921. 



406 


Dr. Hallenberger: Prindpiis obsta! 


einen Punkt, dessen Verwirklichung wohl noch in einiger Ferne 
liegt, möchte ich, eingedenk dem Grundsatz „principiis obsta“, 
rechtzeitig die Aufmerksamkeit der Kollegen lenken. 

Unser Vorstand hat gefordert, daß uns als Behörde die 

Bezeichnung »Der Kreisarzt des Kreises.“ neben der 

Dienstbezeichnung »Medizinalrat“ verbleiben solle; andererseits 
wird von uns die Abtrennung der Gesundheitspolizei von der 
allgemeinen Polizei und die Zusammenfassung des gesamten 
Gesundheitswesens in einer besonderen Behörde erstrebt, von 
der jetzt in unseren Kreisen schon ganz allgemein als von dem 
Kreisgesundheitsamt gesprochen wird. Ich halte es für un¬ 
politisch, wenn wir selbst diesen Ausdruck gebrauchen. Solange 
das Damoklesschwert der Kommunalisierung noch über uns 
schwebt, sollte m. E. alles vermieden werden, was beim Publikum 
und bei Behörden Zweifel an unserer staatlichen Stellung auf- 
kommen lassen könnte, ist es doch heute schon der Fall, daß 
nicht nur Privatleute, sondern auch Staatsbeamte und Behörden 
nicht mehr wissen, ob wir Staatsbeamte oder Kommunalbeamte 
sind. Früher ging der staatliche Charakter des Kreisarztes 
aus dem »Königlich“ einwandfrei hervor; um Mißverständnisse 
zu vermeiden, sollten wir uns stets, wie das andere Behörden 
ja auch tun, als »staatlicher“ oder »preußischer“ Kreisarzt be¬ 
zeichnen, und bei Erörterungen über das zu erstrebende Ge¬ 
sundheitsamt sollten wir immer nur von dem »staatlichen 

Gesundheitsamt für den Kreis.“*) sprechen und nicht 

einfach von dem Kreisgesundheitsamt. Sollte das erstrebte 
Gesundheitsamt Wirklichkeit werden, dann muß es auch eine 
nicht zu Mißverständnissen Veranlassung gebende Bezeichnung 
haben. Die Gegenüberstellung Kreiswohlfahrtsamt = Kreis¬ 
gesundheitsamt besagt genug, zudem gibt es in einer ganzen 
Reihe von Kreisen bereits Kreisgesundheitsämter als kommunale 
Einrichtungen, denen aber eine ganz andere Aufgabe zufällt, 
als dem staatlichen Gesundheitsamte zufallen würde. 

Es ist wohl unser einmütiger Wille, nicht kommunalisiert 
zu werden, und deshalb ist es wichtig, daß wir selbst bei Er¬ 
örterung unserer Wünsche in Wort und Schrift jede irreführende 
Bezeichnung vermeiden. Ein Wort wird leicht zur Gewohnheit, 
und die Gewohnheit, vom Kreisgesundheitsamt zu sprechen, 
kann uns etwas bescheren, was unserem Interesse zuwider läuft, 
denn haben wir oder das erstrebte Gesundheitsamt erst einmal 
eine dienstliche Bezeichnung, die den Eindruck erwecken kann, 
als ob wir Kommunalbeamte bezw. eine kommunale Behörde 
seien, dann ist der Schritt zu der von einigen politischen Parteien 
so sehr gewünschten Kommunalisierung der staatlichen Medizinal¬ 
beamten erheblich kleiner geworden. Die Form macht viel 
aus, darum videant consules! 

*) Anm. bei der Korrektor: Durch Erlaß des Finanzministers rom 14.1. 22 
inzwischen für die Kreiskassen die Bezeichnung „staatliche* vorgeschrieben. 





Dr. Karl Meixner: Loichenzeretörang daroh Fliegenmadon. 407 

Aus dem Institut für gerichtliche Medizin in Wien 
(Hofrat Prof. Dr. A. H a b e r d a). 

Leichenzerstörung durch Fliegenmaden. 

Von Prof. Dr. Karl Meixner. 

In Heft 21 des Jahrganges 1920 dieser Zeitschrift be¬ 
richtet Neumann von einem Fall, in welchem die Leiohe 
eines neugeborenen Kindes durch Fliegenmaden sehr rasch 
zerstört wurde. Das Kind war am 29. Juli tot geboren, am 
30. in einem einfachen Holzsarg beerdigt worden. Als es am 
4. August, also 6 Tage nach dem Tode wegen des Verdachtes 
einer Kindestötung wieder ausgegraben wurde, fanden sich 
aufler den Knochen nur spärliche Reste von Haut, Knorpel, 
Sehnen und harter Hirnhaut. 

So rasche Zerstörungen von Leichen kommen nicht so selten 
vor und 63 ist wichtig, dies zu wissen, um nicht zu falschen 
Schlüssen über den Zeitpunkt des Todes zu gelangen. Einen 
ähnlichen Fall, wie den eben erwähnten, konnten wir im Vor¬ 
jahre beobachten: 

Bine Fracht aas dem 9. Mondmonate, deren Beste von Kollegen 
Werkgartner und mir gerichtlich untersucht worden, war in unserer im 
Kellergeschoß gelegenen Leichenkammer in wenigen Tagen zerstört worden. 
Die Fracht war am 18. Jani unter einem Banm im Ottakringer Wald ober¬ 
flächlich eingescharrt, in Zeitangspapier and Wacbsleinwand eingebaut, entdeckt 
worden. Der Polizeiarzt, der sie am 19. aaf dem Ottakringer Friedhofe be- 
schaate, schrieb in seinem Befand: „Sie ist frisch, dürfte einige Standen vor 
der Auffindung geboren worden sein“. Wenn der Beschaaarzt sich auch in 
letzterer Folgerung vielleicht geirrt hatte, so ist doch nicht anzonehmen, daß 
damals von Fliegenmaden schon etwas za merken war. Bei der Leichenöffnung 
waren fast nar mehr die Knochen erhalten. Von WeichteUen fanden sich bloß 
einige schwärzliche Fetzen an den Kippen, ferner einige Fetzen der vorderen 
Baachwand mit Nabelschnur and EihaatstUcken, während das Zottengewebe 
des Mutterkuchens fast vollständig aafgefressen war. Ferner fand sich die 
Brnstschlagader, an der als Best des Herzens einige bindegewebige Fetzen 
hingen, and WeichteUreste der Füße. Sogar die Zwischenwirbelscheioen waren 
vielfach zerstört, die Halswirbelsänle größtenteils zerfaUen. 

Wenn es auch zwei Jahre zuvor im Sommer vorgekommen 
war, daß die unversehrt eingelieferte Leiche eines Neugeborenen 
im Laufe einer Woche, bis die Staatsanwaltschaft die Leichen¬ 
öffnung an ordnete, von Maden bis auf die Knochen auf gefressen 
war, so zweifelten wir hier zunächst doch, ob es sich um die¬ 
selbe Leiche handelte, zumal das Geschlecht in den verschiedenen 
Ausweisen nicht übereinstimmte. In der Polizeianzeige und im 
Ueberbringungszettel war es als männlich angegeben, während 
der Polizeiarzt es als weiblich vermerkt hatte. Nachforschungen 
ergaben aber, daß in jener Zeit in der Leichenkammer des 
Ottakringer Friedhofes keine andere Frucht, weder in den Tagen 
vorher noch nachher sich befunden hat. Auch in unserer 
Leichenkammer kam eine Verwechslung in diesem Falle nicht 
in Betracht. Uebrigens stimmte die Umhüllung, Zeitungspapier 
und Wachsleinwand. Zudem ergab sich ein Befund, der die 
zuerst begründeten Bedenken zerstreute. Es war nämlich ein 
Vorfuß der kleinen Leiche vollständig erhalten und dieser war 



408 


Dr. Karl Meixner. 


von der rosigen Farbe einer frischen Frucht mit zwar abzieh¬ 
barer, jedoch erhaltener Oberhaut und festhaftenden Zehen¬ 
nägeln, ein eindrucksvoller Gegensatz zu den übrigen schwärzlich 
mißfarbenen Resten. 

Unter günstigen Bedingungen vermögen die Fliegenmaden 
noch weitaus mehr zu leisten, wie ein Fall im Frühsommer 
1920 lins lehrte: 

Am 25. Mai abends wurde knapp außerhalb der Wiener Gemeindegrenxe 
an einer der ins Marchfeld fahrenden Straßen in einem Düngerhaufen eine 
männliche Leiche gefunden. Sie lag am Fuße des mächtigen Düngerhaufens, 
nur in dünner Schichte von Mist bedeckt, wobei ein Fuß vorschaute. Die Leiche 
wurde als der seit dem 18. Mai abgängige Kutscher K. J. erkannt, dessen Fahr- 
werk am Abend des 18. Mai ohne Pferde in einer Straße Wiens gefunden 
wurde. Bei dem am nächsten Morgen vorgenommenen Augenschein konnte ich 
folgenden Befund erheben: Die mit einer feldgrauen Uniform bekleidete Leiche 
lag auf dem Bauche, rund um sie etwas auseinandergeworfener Dünger. Der Kopf, 
der halb auf der linken Seite gelegen war, war nur durch ein vom Knochen 
gelöstes Stück Kopfschwarte, unter welchem es von Fliegenmaden wimmelte 
und einen Streifen der Nackenbaut mit dem Kumpfe in Zusammenhang. Von 
der rechten Hand fehlten die meisten Fingerglieder. Von der Mittelhand 
waren nur Knochen und Bänder erhalten. Auch von den Armen waren, wie sich 
durch die Kleidung durchfühlen ließ, nur mehr die Knochen übrig, die übrigens 
im rechten Ellenbogen vollkommen voneinander gelöst waren. An der reimten 
bloßliegenden Seite des Schädeldaches fand sich eine kleine Einschußltteke. 

Die vom Kollegen Katz am 28. Mai vorgenommene Unter¬ 
suchung ergab nachstehenden Befund: 

Schädel an der linken Seite von einem lappenförmigen Best der Kopf¬ 
schwarte, der mit der Nackenhaut zusammenhängt, wie von einer Kappe lose 
bedeckt, sonst nahezu frei von Weichteilen. Nur am Unterkiefer haftet noch 
ein zur Gegend der Drosselgrube herabziehender Hautstreifen. Kippen größten¬ 
teils bloßliegend. Knorpelknochenverbindungen gelöst. Bauchwand fehlt. Von 
dem Inhalt der Bauchhöhle nur ein schmieriger Best vorhanden. Der linke 
Darmbeinteller bloßgelegt. Schoßfuge klafft handbreit auf. Ein schmaler, 
platter, 5 cm langer Gewebsstreifen scheint ein Kest des männlichen Gliedes 
zu sein. Am Schultergürtel fanden sich beiderseits Muskelstümpfe. Am rechten 
Oberarm waren reichlich Weichteile, hie und da sogar Haut, am linken nur 
spärliche Muskelreste erhalteiü Vorderarme und Hände bis auf Sehnenreste 
und Knochen zerstört. Das rechte Ellenbogengclenk gelöst, das linke leicht 
zu lösen. Von den Händen fehlten rechts alle Finger und drei Mittelhand¬ 
knochen, links mehrere Fingerendglieder. Mehr war von den Weichteilen der 
Beine erhalten. Das linke war sogar größtenteils noch von der Lederhaut 
bedeckt. Eechts lagen die Muskeln teils frei, teils waren sie zerstört, das 
rechte Sprunggelenk war eröffnet. Vom Halse nur die Wirbel erhalten, von 
welchen 1 und 2 am Kopfe haften. Von den Lungen nichts mehr kenntlich. 
Vom Herzen nur ein schlaffer Fetzen und die zweizipfelige Klappe erhalten. 
Von der Körperschlagader kein Kest aufzufinden. Vom Zwerchfell nur Fetzen 
vorhanden, die Leber stark verkleinert, doch verhältnismäßig am besten er¬ 
halten, beide Lappen noch kenntlich, Gewebe von Gasblasen dicht durchsetzt. 
Sonst von den Baucheingeweiden nur ein Fetzen der Harnblase erhalten. 

Die hochgradige Zerstörung erklärt sich einerseits durch 
die hochsommerliche Wärme jener Tage, andererseits durch die 
Bettung im Dünger, der ja eine Hauptsammel- und Brutstätte 
der Fliegen ist. Noch wenige Tage und es wären nur 
mehr Knochen erhalten gewesen, was leicht zu einem Trug¬ 
schluß in Bezug auf den Zeitpunkt des Todes hätte verleiten 
können. Bemerkenswert war, daß von den Weichteilen des 
Kopfes nur an der linken Seite, wo er auflag, etwas übrig 



Leichenzerstörung durch Fliegenmadeo. 


409 


war. Auch von Armen und Beinen war links mehr er¬ 
halten. Daß sich von den Beinen überhaupt mehr Vorland, 
war auch durch die enganliegende Reithose und die Stiefel 
bedingt. Die Fliegenmaden beginnen eben dort, wo sie aus 
den Eiern auskriechen, ihre Arbeit und Teile, die durch Aul¬ 
liegen oder andere Umstände weniger leicht zugänglich sind, 
kommen erst später daran, können auch vertrocknen, ehe 
die Maden dahin gelangen. Bemerkenswert ist ferner, daß so 
derbe Gewebe, wie Knorpel, Bänder, harte Hirnhaut und die 
Körperschlagader so rasch aufgefressen werden. Daß die Wirbel¬ 
säule im Halsteile zuerst zerfällt, ist, abgesehen von ihrer ge¬ 
ringeren Stärke, auch in Anbetracht der Unmengen von Eiern, 
die in Mund und Nase abgelegt werden können, leicht begreiflich. 

Der Schädel war übrigens von zwei Schüssen durchbohrt. Trotz der 
hochgradigen Zerstörung landen sich beide Geschosse, das eine, welches gegen¬ 
über dem Einschuß nur einen unvollständigen Lochbruch erzengt hatte, in dem 
geringen Beste von Hirnbrei, das andere, welches gleichfalls in die rechte 
Schläfe eingedrungen war, stak in einem Fetzen Gesichtshaut an der 
linken Seite. 

Sehr lehrreich war ferner im Hinblick auf das, was über 
die Entwicklungszeiten der Fliegen in den meisten Büchern zu 
linden ist, folgender Fall, über den ich in anderem Zusammen¬ 
hänge schon einmal berichtet habe. 1 ) 

An einer Frauenleiche, die in einem abgelegenen slowakischen Gebirgs- 
dorf am 14. Juni 1917, nachdem sie vier Wochen lang begraben war, cnterdigt 
und von mir untersucht wurde, fanden sich Fliegenmaden in solchen Mengen, 
wie ich es nur wenige Male gesehen habe. Dabei war die Zerstörung der 
Leiche noch nicht einmal so weit gediehen. Nur die Weichteile des Kopfes 
und Halses fehlten in größerer Ausdehnung. 

Daß Fliegenraaden auch an der Zerstörung beerdigter 
Leichen reichen Anteil haben können, wie es auch der ein¬ 
gangs erwähnte Fall lehrt, ist bekannt. 2 ) Zum Teil sind es 
Maden von Fliegen, welche ihre Eier vor der Beerdigung an 
den Leichen ablegen, also vor allem die der Schmeiß- und 
Goldfliege, zum Teil von Arten, deren Maden erst in der Erde 
an die Leichen gelangen. Die Reste letzterer finden sich im 
Gegensatz zu den erst erwähnten Arten auch an Leichen von 
im strengen Winter Verstorbenen. 

Mit großer Begelmäßigkeit wird an Leichen, die mehrere Jahre beerdigt 
sind, eine kleine Fliegenart der Familie Phora angetroffen, welche bei der 
Zerstörung begrabener Leichen die Hauptarbeit zu leisten scheint. Nach 
Reinhard und Hunziker wurde sie als Conice ra atra Meig bestimmt, 
Megnin nennt sie Phora aterrima. Letzterer fand bei im Winter be¬ 
erdigten Leichen außerdem Puppen von Angehörigen der Familie Anthomyia 


*) W. Kl. Wochenschrift, 1919, Nr. 40. 

*) Megnin: Virchows Jahrbücher 1883, 1.617; 1888, 1.467; 1894, 
I. 477; Ann. d. hyg. publ. XIX., 8.160; la faune des cadavres, Paris 1894 in Ency- 
clop&die scientifique des aide-mömoire. Reinhard: Beiträge zur Gräberfauna, 
Verh. der Wiener zool. bot. Ges., 1881, XXXI. Bd., S. 207. Hunziker: Ueber 
Befunde bei Leichenausgrabnngen auf den Kirchhöfen Basels. Frankf. Zeitschr. 
f. Path., 1919/20, XXII. Bd.,' 8.147. 



410 


Dr. Kail Meixner. 


(La faune des cadavree, 8.101) and in einigen ungefähr 1 Jahr begrabenen 
Leichen yon einer Art, der er den Namen Ophrya cadaverina gab, Maden, 
Pappen and frisch aasgeschifipfte Fliegen. (La faune des cadayres, S. 106.) 
Yon den Phoren worden an Leichen, deren Zerfall schon vorgeschritten war 
(bei Megnin waren die Leichen 1 bis 3 Jahre, bei Hnnziker 2 bis 5 Jahre 
beerdigt gewesen) fast ausnahmslos zahlreiche, meist leere Pappen vorgefanden, 
die an Stelle der zerstörten Weichteile die Knochen bedeckten oder nmhüUten 
oder in den Haaren staken. Bis 6 Jahre nach der Beerdigung fanden Reinhard 
und Hnnziker, wenn noch Weichteile vorhanden waren, nach lebende Maden, 
häufig sogar in großer Menge und in voller Tätigkeit, so daß die Weichteil« 
reste von ihnen dicht durchsetzt waren. Ferner fanden bis za dieser Zeit alle 
Untersacher vereinzelt lebende Fliegen. Megnin schien es hervorhebenswert, 
daß in lebenden Pappen die Entwicklung der Nymphen vielfach noch nicht 
weit gediehen war. In Gläschen sah er aus solchen Pappen nach 3—4 Tagen 
in großer Zahl Fliegen aasschlüpfen. Er folgert daraas, daß die Phora die 
beerdigten Leichen' erst später befalle, was angesichts der zahllosen leeren 
Pappen nicht ganz schlüssig ist. Mingaud 1 * * ) hat Phora an der Leiche einer 
menschlichen Fracht, die nar 58 Tage vergraben war, festgestellt 

Mehr wissen wir, soweit ich ermitteln konnte, vom Lebensgange dieser 
Fliegen nicht. Hinsichtlich des Weges, auf dem sie an die begrabenen Leichen 
gelangen, erörtert Megnin zwei Möglichkeiten: erstens, daß die Fliegen, 
aarch die Aasdünstang der Gräber angelockt, ihre Eier in die oberflächlichen 
Erdschichten ablegen and die aaskriechenden Maden, vielleicht unter Be¬ 
nutzung der Gänge von Regenwürmern and anderen Erdbewohnern sich an die 
Leichen heranarbeiten oder daß die in die oberflächlichen Erdschichten auf den 
Friedhöfen abgelegten Eier beim Zaschütten der Gräber in die Tiefe gelangen. 
Es wäre wohl noch eine dritte Möglichkeit in Betracht za ziehen, daß nä mlich 
die Fliege selbst sich zar Eiablage tiefer eingräbt Ungeklärt ist ferner, ob 
die in den Gräbern ansschlüpfenden Fliegen sich wenigstens zum Teil den 
Weg an die Erdoberfläche bahnen and nar Maden« and Pappenleben an der 
begrabenen Leiche sich abspielt oder ob nach die Fliegen in der Tiefe bleiben, 
sich daselbst paaren and fortpflanzen können. Erstere Möglichkeit ist nicht 
von der Hand za weisen. Denn nach Doflein*) stellten amerikanische 
Forscher fest, „daß Imagines, Ophrya and Masca dom. L. durch Sandschichten 
von 1 bis 2 m sich durcharbeiten, nachdem sie ihre Metamorphose in den bo 
tief vergrabenen Faeces darchgemacht haben“. Megnin nimmt za dieser 
Frage nicht klar Stellung, äußert nar, es sei kein Zweifel, daß zahlreiche Ge¬ 
schlechter einander folgen. Orfila*) meint mit Beziehung auf Fliegenarten, 
die ihre Eier noch vor der Beerdigung an die Leichen bringen, daß sie im 
Grabe ihre volle Verwandlung durchmachen, sich paaren and wieder vermehren 
and so 7 bis 8 Geschlechter erleben können, was wohl ein Irrtum ist Aach 
Hanziker neigt der Annahme za, daß Conicera atra im Grabe sich weiter 
vermehre, bis die Leiche vollständig anfgezehrt ist 


Um Phora und andere später auftretende Fliegenarten kann 
es sich in dem Fall aus dem slowakischen Qebirgsdorf nicht 
gehandelt haben. Ebenso wie die Fliegen selbst, sind auch die 
Maden der Phoriden sehr klein, während mir an dem Maden¬ 
gewimmel nichts besonderes aufgefallen ist. An die Be¬ 
stimmung ihrer Art habe ich damals, da meine Aufmerk¬ 
samkeit hauptsächlich Verletzungsspuren galt, freilich nicht 
gedacht. Es waren also wohl die gewöhnlichen Arten, die 
ihre Eier an Leichen ablegen, in erster Linie Lucilia Caesar, 
die Goldfliege, welche, nach Graham Smith 4 ) sehr lichtliebeud, 
im Freien am reichlichsten von den Aasfiiegen vorkommt, so* 


l ) Ann. d. byg. publ. 1896, Bd. 85, S. 424 (von Megnin selbst vorgetragen). 

*) Hesse und Doflein, Tierleben, 8.257. 

8 ) Traitö des ezhumations jaridiques, Paris 1880. 

4 ) Flies in rel&tion to disease, Cambridge 1918. 



Leichenzerstörung durch Fliegenmaden. 


411 


dann die Schmeißfliegen (Calliphoren) 1 ). Die ungeheure Menge 
läßt sich dadurch erklären, daß die Leiche vor der Beerdigung 
schon einmal gerichtlich geöffnet worden, somit zu einer aus¬ 
giebigen Eiablage reichlichste Gelegenheit gegeben war. Nun 
ergibt sich aber noch die Schwierigkeit, das Vorhandensein so 
zahlreicher Maden mit den gewöhnlichen Angaben über die 
Entwicklungszeiten der Fliegen in Einklang zu bringen. 

Von den Schmeißfliegen und der Goldfliege gibt Brehm 2 ) 
an, daß die Maden spätestens 24 Stunden nach der Eiablage 
auskriechen, daß sie nach 8 bis 14 Tagen erwachsen seien, und 
daß die Verwandlung in der Puppe bis zum Ausschlüpfen der 
jungen Fliege 14 Tage währe. Nach Graham Smith 3 ) kriecht 
die Made der Goldfliege nach 8 bis 18 Stunden aus. Sie frißt 
dann 60 bis 72 Stunden, wandert darauf aus der Leiche aus. 
Vom Aus wandern bis zur Verpuppung können 2 bis 4 Tage 
und mehr vergehen. Ungefähr 8 Tage dauert das Puppen¬ 
dasein, so daß von der Eiablage bis zum Ausschlüpfen der 
jungen Fliege durchschnittlich 14 Tage vergehen. 

Megnin 4 ) gibt sowohl die Dauer des Maden- wie die des 
Puppendaseins bei der Goldfliege mit 14—20 Tagen an. 

Bei den Schmeißfliegen erreichen nach demselben Schrift¬ 
steller die Maden ihre volle Ausbildung in 8 Tagen und 14 Tage 
nach der Verpuppung schlüpft die Fliege aus. 

Aehnlich berichtet Graham Smith 5 ), daß die Made der 
Schmeißfliegen nach 8 bis 20 Stunden auskrieche, durch 7 1 /» 
bis 8 Tage fresse und daß das Puppenleben 14 Tage dauere. 

Thompson Lowne 6 ), welcher der Schmeißfliege ein zwei¬ 
bändiges Werk gewidmet hat, gibt an, daß die Maden nach 
20 bis 24 Stunden auskriechen. Hie und da soll es dadurch, 
daß ein oder mehrere befruchtete Eier (die Fliege wird nur 
einmal begattet, ihre Eier bei der Ablage befruchtet) nicht so- 

§ leich abgelegt werden, Vorkommen, daß ähnlich, wie es bei 
arcophaga die Regel ist, lebende Maden abgesetzt werden. 
Die Made, welche sich wahrscheinlich dreimal häutet, frißt 
durchschnittlich 14 Tage. Bei höherer Wärme ist sie schon in 
8 bis 10 Tagen ausgewachsen. Dann bohrt sie sich in die 
Erde ein und es folgt vor Beginn der Verpuppung ein Ab¬ 
schnitt der Ruhe, der gewöhnlich nur 2 bis 3 Tage dauert, bei 
geringer Wärme aber auch mehrere Wochen, selbst Monate 


*) Bei den Leichenöffnungen im Felde waren wir am meisten von 
den stahlblauen Schmeißfliegen belästigt, welche, so sehr wir auch bedacht 
waren, die Spalten zwischen den Brettern zu verschließen, immer wieder in 
unsere Holzverschläge und Leichenkammern zahlreich den Weg fanden. Nach 
Megnin und Niezabitowski (Vierteljahrsschr.f.ger.Med. 1902, H. 1, S. 44) 
kommen sie früher an die Leichen als die Goldfliege. 

•) Tierleben, 1892. 

•) a. a. 0. 

4 ) la faune des cadavres. 

6 ) a. a. 0. 

•) the anatomy, pbysiology, morphology and development of the blow fly, 
London 1890—92. 



412 


Dr. Earl Meixner. 


dauern kann. Wird die Made in ihrer Ruhe gestört, so kriecht 
sie lebhaft umher, um sich neuerdings einzugraben. Gegen 
Ende der Ruhezeit wird sie immer träger und verpuppt 
sich, wobei ihre äußeren Hüllen zur Puppentonne werden. Das 
Puppendasein dauert durchschnittlich 12 bis 14 Tage, kann im 
Winter auch viele Monate dauern. Unter 45 Grad Fahr, (un¬ 
gefähr 7 Grad C.) steht nach Thompson Lowne alle Ent¬ 
wicklung still. 

Eine ähnliche Abhängigkeit der Entwicklungsdauer lassen 
die Angaben von Graham Smith 1 ), der sich auf Newstead*) 
beruft, über die Entwicklung der Stubenfliege, welche zur 
selben Familie gehört wie die Schmeißfliegen, erkennen. Nach 
ihm kann sich aas Auskriechen der Maden aus den Eiern unter 
ungünstigen Bedingungen gegenüber einem Durchschnitt von 
8 bis 12 Stunden bis zu 4 Tagen verzögern. Es kann ferner 
das Madenleben gegenüber der gewöhnlichen Dauer von 5 bis 
8 Tagen auf 6 bis 8 Wochen verlängert sein und es kann in 
gleicher Weise die Umwandlung in der Puppe anstatt wie ge¬ 
wöhnlich 5 bis 7 Tage 2 bis 4 Wochen in Anspruch nehmen, 
ganz abgesehen von der Ueberwinterungsdauer der Puppen. 

Zweifellos hat es sich auch in dem uns hier beschäftigenden 
Falle um eine Verzögerung der Entwicklung gehandelt, denn 
die Eier können nur vor der Beerdigung an die Leiche gelangt 
sein. Nach dem, was über den Einfluß der Wärme auf die 
Entwicklungsdauer der Fliegen vorstehend berichtet ist, darf 
uns auch aas nicht wundern. Denn in der Tiefe von 6 Fuß 
ist es, gar im Frühjahr, recht kalt und wir müssen annehmen, 
daß überhaupt nur die Fäulnisvorgänge und die Lebensvorgänge 
bei einer größeren Zahl von Maden die für eine Entwicklung 
letzterer nötige Wärme liefern. Durch die entwicklungshemmende 
Wirkung der Kälte erklärt es sich wohl, daß Reinhard 9 ) aus 
Puppen, welche er aus Gruftsärgen gesammelt hat, eine Musciden- 
art (Homalomyia scalaris) ausschlüpfen sah. 

Unser Fall lehrt, daß bei Schätzung des Leichenalters 
nach dem Tierleben größte Vorsicht geboten ist und daß eine 
Rechnung wie Mingaud 4 ) sie anstellt: „Lucilia Caesar 
braucht 30 Tage, die erst später auftretende Phora 25 bis 
30 Tage zur Entwicklung, macht zusammen 60 Tage. Daher 
kann der Tod vor 68 Tagen erfolgt sein“ nicht ohne weiteres 
zulässig ist. Uebrigens warnen auch Reinhard 5 ), v. Niezabi- 
towski*), Strauch 7 ), Hunziker 8 ), Kratter 9 ) vor den weit- 


*) a. a. 0. 

*) Second interim report on the flouse Fly, as obseryed in the city of 
Ltrerpooi 1909. 

«) a. a. 0. 

<) a. a. 0. 

*) a. a. 0. 

0| Q t 

T ) Vierteijahrschrift f. ger. Med., 1912, Bd. 43, 2. Sappl. H.: S. 47. 

•) a. a. 0. 

9) Lehrbach der gerichtlichen Medizin, 1921, 8.69. 



Leichenzeratörung durch Fliegenmaden. 


418 


S ehenden Schlüssen, welche Megnin aus dem Tierleben in 
ezug auf das Leichenalter ableitet. 

Sowie mit Eintritt wärmeren Wetters die Fliegen erscheinen, sollen an 
unserer Anstalt Versuche Qber den Entwicklungsgang der Leichen-Fliegen unter 
verschiedenen Bedingungen angestellt werden. 

Die unterschiedliche Zerstörung von gleich lang auf der¬ 
selben Stätte im Grabe ruhenden gleichzeitig beerdigten Leichen 
erklärt sich wohl, wie schon Orfila 1 ) betont, hauptsächlich 
durch die verschiedene Menge von noch mit ins Grab ge¬ 
langter Eier oder Maden von Fliegen. 

Bei unbeerdigten Leichen gebietet auch im Sommer die 
Vertrocknung der Weichteile dem Zerstörungswerk der Fliegen , 
oft Einhalt und an Leichen von im Winter Verstorbenen, die 
an trockenen Oertlichkeiten liegen geblieben sind, finden die 
Fliegen bei ihrem Erscheinen häufig überhaupt keine Nahrung 
mehr. Aus dem Umfang der Zerstörung aufgefundener ver¬ 
trockneter Leichen läßt sich manchmal in weiten Grenzen die. 
Jahreszeit des Todes erschließen. (Beispiele auch bei Megnin.) 

Am 16. Dezember 1920 habe ich die Leiche eines neugeborenen Kinde 8 
untersucht, das von einem Spängler (Klempner) in einem ganz niedrigen Luft¬ 
räume unter der flachen Betondecke eines Wiener Hauses, von einem Tuch 
locker umhüllt, gefunden wurde. An den oberen frei liegenden Bezirken des 
Kopfes und des Bumpfes und an den Gliedmaßen war die hart vertrocknete 
Haut größtenteils erhalten, von kleinen runden Lücken, die teils nur ver¬ 
einzelt, teils dichter standen, durchbrochen. Am Kopfe waren Lippen, Nase, 
Lider und Inhalt der Augenhöhlen zerstört, am Halse fand sich nur unter 
einem Drosselband ein den Abdruck desselben noch deutlich wiedergebender 
hart vertrockneter Hautstreifen, der durch das eng anliegende Band vor den 
Maden geschützt geblieben war, bis ihn die Vertrocknung vor weiterer Zer¬ 
störung bewahrte. Sonst fehlten alle Weichteile am Halse. Die Unterkiefer¬ 
hälften lagen völlig frei. In den aufliegenden Bezirken des Bumpfes war auch 
die Haut größtenteüs zerstört. Hier fand sich Moder mit zahlreichen Puppen. 
Nach dem Befunde ließ sich folgern, daß das Kind in der wärmeren Jahreszeit 
geboren worden sein muß, als es reichlich Fliegen gab, weil andernfalls die 
kleine auf dem Dachboden rascher Vertrocknung ausgesetzte Leiche den 
Fliegen keine Nahrung mehr geboten hätte. So war es auch. Die Mutter 
wurde ermittelt und gestand, das Kind im Aprii des Vorjahres in ihrer Boden¬ 
kammer geboren, erwürgt und gedrosselt und die Leiche dann unter dem 
flachen Dach versteckt zu. haben. 

Schließlich möchte ich noch auf eine Veränderung hin- 
weisen, die wohl jedem erfahrenen Gerichtsarzt bekannt ist, 
die ich aber nirgends erwähnt finde. An Stellen, wo die Haut 
längere Zeit von darauf wimmelnden Fliegenmaden bedeckt 
war, wie es in der Umgebung der Augen, der Atemöffnungen, 
besonders aber unter blutdurchtränkten Verbänden vorkommt, 
ist die Haut schmutzig dunkelgrau verfärbt, feucht. Die Ver¬ 
färbung deckt sich genau mit der Ausbreitung der Maden. 
W ahrscheinlich handelt es sich um die Wirkung einer Absonde¬ 
rung der Maden, wohl des Verdauungssaftes, durch den sie die 
Gewebe vor der Aufnahme verflüssigen. Werden die Maden 
entfernt, wie z. B. bei Abnahme von Verbänden, so können 
solche Stellen vertrocknen und können dann Aetzspuren oder 
andere Hautveränderungen Vortäuschen. 


*) a. a. 0. 



414 


Vom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Tom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie 
Jugenderziehung vom 81. bis 85. Mai in Berlin. 

„Alle ernsten Aerzte and Erzieher sind heate darüber einig, daß geistige 
Getränke in jeder Form and jedem Maße die körperliche, geistige and sitt¬ 
liche Entwicklung der Jagend schwer gefährden. Diese Erkenntnis maß ver¬ 
breitet werden. Die Mittel und Wege za ihrer Verwirklichung müssen auf¬ 
gezeigt werden. Es gilt, die hierfür beratenen Persönlichkeiten and Steiles 
zar Mitarbeit heranznziehen. Die Jugend maß aufgerafen werden, d&ß sie 
selbst mithilft an ihrer eigenen Befreiung aas den Ketten alter Anschauungen, 
Ueberlieferungen and Sitten". Das war laut dem Einladungsblatte der Inhalt 
and Zweck des 2. deatschen Kongresses für alkoholfreie Jugenderziehung. 
Der Zwischenraum zwischen der ersten deatschen Tagung dieser Art im Jahre 
1913 und dieser zweiten umschloß einesteils den Weltkrieg, der jene machtvolle 
Kundgebung nicht za ihrer vollen Aaswirkung kommen ließ (infolge der starken 
zwangsweisen Einschränkung des Alkoholverbraachs, die er herbeifuhrte, er¬ 
schien es aach weniger nötig), andernteils die Nachkriegsjahre, die die Alkohol- 
flnt wieder mehr und mehr bedrohlich anschwellen ließen, wobei gerade auch 
die vielfach gatbezahlten Jugendlichen wesentlich mit hereinbezogen wurden. 
Dadarch legte es sich gebieterisch nahe, mit der erneuten Veranstaltung einer 
solchen Bekundung und allgemeinen öffentlichen Gewissensschärfung nicht 
länger zuwarten. 

ln der Tat begegnete denn auch der diesmalige Kongreß, von der im 
vorigen Jahre gegründeten Deutschen Beichshauptstelle gegen den Alkoholismus 
planmäßig und umsichtig vorbereitet und dnrcbgeführt, wieder sehr weithin, 
vor allem naturgemäß in den Erzieher-, Wohlfahrts- und Jugendkreisen, leb¬ 
haftestem Interesse. Von den angemeldeten rund 2000 Teilnehmern mögen, 
soweit bis jetzt zu übersehen, rund 1300 aus allen Teilen Deutschlands und 
dem Ausland (aus Deutsch-Oesterreich, Tschechoslowakei, Holland, der Schweiz, 
Skandinavien, Litanen usw. etwa 30) tatsächlich erschienen sein. Setzte sich 
jedoch die Teilnehmerschaft, wie erwähnt und zu erwarten, vorwiegend aus 
Lehrern, Lehrerinnen und Schulleitern, Geistlichen, Jugendpflegen! u. dgl., 
andererseits einem stattlichen Aufgebot von Jugendlichen zusammen, so sah 
man in der Zuhörerschaft doch auch eine nicht geringe Zahl von Aerzten und 
Medizinalbeamten,*) ebenso Vertreter von Wohlfahrtsämtern usw. — begrüßte 
doch auch der preußische Wohlfahrtsminister selbst bei der Eröffnung in 
eigener Person mit warmen Worten. Unter den Rednern, unter denen der 
der Natur der Sache nach wieder die der Schulwelt überwogen, waren ebenfalls 
verschiedene Mitglieder der Aerzteschaft: Tuczek (Marburg), Mallwitz und 
Agnes Bluhm (Berlin), Fuchs (Breslau), Holitscher (Pirkenhammer). 
Sachkundige Männer und Frauen waren als Vortragende oder vorgemerkte 
Ausspracheredner gewonnen. Auch Jugendliche kamen diesmal am dritten 
Tage, dessen größere erste Hälfte ausdrücklich der „Mitarbeit der organisierten 
Jagend selber bei der alkoholfreien Jagenderziehung" gewidmet war, ausgiebig 
zum Wort. Eine Reihe von Nebenveranstaltungen, die mit dem Charakter der 
Tagung zusammenhingen oder auf ihn abgestimmt wurden, umrahmten die 
Hauptverhandlungen, so eine entsprechende Ausstellung, Lichtbildervorführungen, 
öffentliche und geschlossene Sonderversammlungen von Erwachsenen, Jugend¬ 
lichen und Fachvereinen, Besichtigungen guter Ersatzeinrichtungen für die 
Jugend usw. 

Der erste Tag brachte die allgemeine Grundlegung: Bedeutung der 
Alkoholfrage für den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sittlichen Wieder¬ 
aufbau unseres Volkes, Einfluß des Genusses geistiger Getränke auf die 
stillende Mutter einerseits, auf das Kind und die heranwachsende Jugend 
andererseits, Stand der Antialkoholbewegung. Der zweite gehörte der Erör¬ 
terung der alkoholfreien Jugenderziehung selber durch Haus, Schule, Kirche, 
Reich, Staat und Gemeinde; und der dritte bot neben einer Einzelüberschau 


*) Anm.: Wer, wie der Schriftleiter, die Freude hatte, an dem Kongreß 
teilzunehmen, wird bestätigen, daß die Vorbereitung vorzüglich war und der 
Verlauf in hohem Maße befriedigte. 



Jugenderziehung vom 21. big 25. Mai in Berlin. 


415 


über die Mitarbeit der Jugend namentlich noch Vorträge über die Ueberwindung 
der Alkoholgefahren durch Förderung der körperlichen und geistigen Ertüch¬ 
tigung der Jugend. Alles in allem bildete der Kongreß im Banmen dieses 
reichen, fast überreichen Tagungsplans unter starker Beteiligung der Behörden 
eine großzügige und einmütige Kundgebung für den Qedanken, unter dem 8r stand. 

Aus den vielseitigen Vortragsdarbietungen, die durch die Aussprache 
in wertvoller Weise ergänzt wurden, seien an Hand der ausgegebenen Selbst¬ 
berichte bezw. Leitsätze einige Ausführungen kurz andeutend wiedergegeben, 
die hier besonderes Interesse finden dürften. 

Der bekannte Irrenarzt Dr. Tuczek in seinem Vortrage über die Be¬ 
deutung der Alkoholfrage für den gesundheitlichen Wiederaufbau: Die 
Hoffnung auf allmähliche Wiedererstarkung der deutschen Volkskraft wird 
getrübt durch den zunehmenden Alkoholismus. Durch weite Kreise der Be¬ 
völkerung geht eine gefährliche Sehnsucht nach Anregung oder Betäubung 
durch Genußgifte. Der Alkohol wirkt schädigend auf alle lebenswichtigen 
Organe, besonders auf das Nervensystem. Weiter werden ungeheure Summen, 
die für geistige Getränke ausgegeben werden, dazu diejenigen, welche auf 
das Konto des Alkoholmißbrauchs auflanfen, trotz Nahrungmittelknappheit 
und Teuerung aller Lebensmittel der Gesamtheit entzogen zum Nachteil der 
Lebenshaltung und damit der Gesundheit breiter Volksmassen. Bei Kindern 
und Jugendlichen wirkt der Alkohol besonders verheerend, die Entwicklung 
störend und hemmend. Schon aus diesem Grunde — von andern wichtigen 
Gesichtspunkten ganz abgesehen — ist der Kampf gegen den Alkoholismus 
dringend notwendig, heute mehr als je. — Die Gesundheitsfürsorge muß noch 
viel mehr als früher auf die ganze heranwachsende Jugend sich erstrecken. 
Völlige Enthaltung von geistigen Getränken ist für alle Jugendlichen bis zur 
Vollentwicklung zu fordern. Die jungen Leute sollen angeleitet werden, ihren 
Verdienst zweckmäßig anzulegen und ihre freie Zeit gesuudheitsgemäß an¬ 
zuwenden. In allen Schulgattungen muß Belehrung über die Alkoholfrage 
dem Unterrichtsplan fest eingefügt werden. Das Haus muß hier mit der 
Schule Hand in Hand arbeiten. Lehraufträge über die Alkoholfrage sind 
an allen Hochschulen zu erteilen. Wichtiger aber als Verbote und Belehrung 
ist neben der Sorge für veredelnde alkoholfreie Unterhaltung das Beispiel der 
Erwachsenen und der aus eigenem Willen hervorgegangene Verzicht der 
Jugendlichen auf berauschende Getränke. 

Dr. A. Bluhm, durch ihre rassen-biologischen Forschungen bekannt, 
zur Frage des Einflusses des Alkohols auf die stillende Mutter: Alkohol ist 
ein allgemeines Zellgift, welches auf jede Zelle lähmend wirkt. Der genossene 
Alkohol geht sehr schnell in das Blut des Trinkenden und damit in jedes 
seiner Organe über. Am meisten geschädigt werden die Zellen des Zentral¬ 
nervensystems, an welche unsere geistigen und seelischen Funktionen gebunden 
sind, und die Keimzellen, welche die gesamten Anlagen für den aus ihnen 
hervorgehenden Organismus enthalten. Der von der Mutter genossene Alkohol 
geht fast in der gleichen Menge wie in ihr eigenes in das Blut der sich in 
Ihrem Leibe entwickelnden Frucht und in deren sämtliche Organe über. Neuere 
einwandfreie Tierexperimente zeigen, daß stärkere Alkoholvergiftung der Mutter 
(ebenso wie diejenige des Vaters) nicht nur eine starke Erhöhung der vorge¬ 
burtlichen und Jagendsterblichkeit sowie mangelhafte Körperentwicklung, 
sondern gelegentlich auch schwere Mißbildungen bei der Nachkommenschaft 
bis ins dritte und vierte Glied bewirkt. Schon '/» Liter Bier, von der hoffenden 
Mutter täglich genossen, kann nicht ohne schädliche Folgen für das Kind 
bleiben. Deshalb hat die alkoholfreie Jugenderziehung bereits im Mutter leibe 
zu beginnen. Wie in das Blut geht der Alkohol nachgewiesenermaßen auch in die 
Milch der Mutter über. Stärkerer Alkoholgenuß der Nährmutter ruft beim 
Säugling Krämpfe hervor; geringerer bewirkt nicht sofort greifbare Schädi¬ 
gungen, bleibt aber sicherlich nicht ohne schädlichen Einfluß. Schon das dünne 
sogenannte Ammenbier kann schädlich werden. Deshalb hat sich ebenso wie 
die hoffende auch die stillende Matter jeden Genusses geistiger Getränke 
zu enthalten. Das gegebene Getränk für beide ist die Milch. 

Bürgermeister Dr. Caspari (Brandenburg) über den Gegenstand »Die 
ulkeholfrele Jugenderziehung durch Beleb, Staat und Gemeinde": Nach 



416 Vom zweiten deutschen Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung. 

Artikel 120 der Reichsverfassung ist die Erziehung des Nachwuchses, also aller 
Jagend zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit oberste 
Pflicht und natürliches Hecht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche 
Gemeinschaft wacht. Nach Artikel 122 ist die Jugend gegen Ausbeutung 
sowie gegen sittliche, geistige oder körperliche Verwahrlosung zu schützen. 
Staat und Gemeinde haben die erforderlichen Einrichtungen zu treffen. Dem¬ 
gemäß ist es die Aufgabe des Reiches, der Länder und der kommunalen Selbst¬ 
verwaltungskörper, die Erfüllung der in beiden Vorschriften genannten Pflichten 
zu überwachen und bei der Schatzgewährung für die Jugend mitzuwirken. 
Eine planmäßig durchgeführte Wohlfahrts- und insbesondere Jugendwohlf&hrta- 
pflege bedingt aber die Aufnahme des Kampfes für die alkoholfreie Jugend¬ 
erziehung. Wertvolle Ansätze hierzu bietet der Entwarf des Reichsjugend¬ 
wohlfahrtsgesetzes, der in Kürze vom Reichstag verabschiedet werden soll. 
Wir brauchen im übrigen für Deutschland eine einheitliche Wohlfahrtsrahmen¬ 
gesetzgebung. In ihr darf die Bestimmung, die sich beispielsweise in dem 
oldenburgischen Gesetz befindet: „die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs*, 
nicht fehlen. Neben den Schutzmaßnahmen für die Jugendlichen sind Zwangs¬ 
maßnahmen gegen die Erwachsenen zu erstreben. Zwangsmaßnahmen gegen¬ 
über den Jugendlichen werden abgelehnt. Zu fordern ist in erster Linie du 
Verbot an die Gastwirte, geistige Getränke an Jugendliche zu verabfolgen. 
Die alkoholfreie Jugenderziehung bedingt aber eine andere Einstellung der 
Erwachsenen zur Alkobolfrage. Diese Umerziehung der Erwachsenen ist aber 
wiederum auch nur möglich, wenn die organisierte Jugend im Kampf für die 
alkoholfreie Jugenderziehung vorangeht und durch gutes Beispiel erziehe¬ 
risch wirkt. 

Von Wichtigkeit mag im Rahmen dieser Zeitschrift etwa besonders noch 
die Betonung der Ersatzmittel nnd -bestrebungengegen über den Reizen 
und Versuchungen der Trinkaitten nnd des Wirtshauses erscheinen, wie sie 
in verschiedenen Vorträgen und Verhandlungen zum Ausdruck kam. Re&l- 
»cbuldirektor Dr. Neuendorff (Mühlheim a. R.) führte in einem Lichtbilder¬ 
vortrag Jagendheime und -herbergen und ihre hohe Bedeutung vor Augen. 
Gymnasialdirektor Prof. Dr. Berger (Aschersleben), der Vorsitzende der 
Deutschen Turnerschaft, und Dr. Mallwitz, der bekannte Sportarzt und 
Abteilungsleiter an der Hochschule für Leibesübungen, beleuchteten treffend 
aus der Praxis heraus das Turnen und den Sport als wertvolle Hills- und 
Gegenmittel gegen die Alkoholgefahren bei der Jngend. Frau Friese-Schmidt 
(Schwerin i.Meckl.) und Oberlehrer Ulbricht (Dresden) endlich behandelten 
die Erneuerung der Geselligkeit in Familie, Vereinen, bei Kinder-, Jagend- und 
Volksfesten usw. mit Hilfe der Organe der Jugenderziehung. 

Besonders eindrucksvoll waren zweifellos am letzten Tage die Bekun¬ 
dungen der organisierten Jugend bezüglich ihrer bisherigen Mitarbeit oder 
künftigen Mitarbcitsboroitschaft bei der alkoholfreien Jugenderziehung sowohl 
seitens dor den Knthaltsamkeitsverbänden angeschlossenen Jugendvereine, als 
seitens dor allgemeinen Jugend verbände, wobei Generalsekretär F. Goebel 
eine zusammonftissonde Uebersicht über die mannigfaltige Haltung dieser 
letzteron zu der Frage bot. Es gehört wohl zum Bemerkenswertesten und 
Kennzeichnendsten an dem Kongreß, daß sich hier die alkoholabgew&ndte und 
mehr oder weniger bewußt und tätig alkoholgegnerische Stellung von Verbänden 
kundtat, hinter denen rund zwei Millionen Jugendliche stehen. 

Man hat von Tagungen dieser Art wohl mit einem gewissen Recht gesagt, 
sie seien so viel wert, als sie nach wirken. Möchten dann nicht bloß alle 
Teilnehmer dieser großen Tagung und alle Hörer und Leser von Berichtes 
über sie, sondern insgesamt alle, die von der brennenden Wichtigkeit und 
hohen Tragweite der in ihrem Namen aasgedrückten Forderung durchdrungen 
sind, nach Kräften dazu beitragen, daß die gesprochenen Worte und ausge¬ 
tauschten Gedanken, die gebotenen Anregungen und gefaßten Entschlüsse an 
wirklicher, ziei bewußter und planmäßig lebendiger Tat werden, zum Wohl und 
Heil unserer Jugend und unseres ganzen Volkes. 1 

Dr. J. Flalg, Berlin-Wilmersdorf. 

- V 



Tagesn&chrichten. 


417 


Besprechungen. 

Bi« Preuasisohe Gebührenordnung für approbierte Aerzte und 
Zahn Arzte vom 16. März 1923. Unter Mitwirkung von Dr. Drucker 
erläutert und herausgegeben von Prof. Dr. Dietrich, Wirkl. Geh. Ober-Med.- 
Eat in Berlin. 8. Auflage des Förster* Dietrich sehen Kommentars. 
Berlin 1922, Verlag von Eich. Schoetz. 12°, 182 S. Preis: geb. 66 M. 
Der bekannte Kommentar, der in dieser Zeitschrift wiederholt bei seinen 
verschiedenen Auflagen besprochen ist, mußte mit Erlaß der neuen Gebühren¬ 
ordnung neu erscheinen. Er ist in den Kreisen der Aerzte und Medizinal¬ 
beamten rühmlichst bekannt und so beliebt, so daß er weiterer Empfehlung 
nicht bedarf und es genügt, auf sein Neuerscheinen hinzuweisen. So Ihrig. 


Preueeiaobe Gebührenordnung fftr Aerzte und Zahnärzte vom 
16. März 1922 mit eingehenden Erläuterungen und den für das Erwerbs- 
leben der Medizinalpersonen gültigen Bestimmungen sowie mit dem Gesetz 
über die Gebühren der Medizinalbeamten. Von Dr. Borntraeger, Geh. Med.- 
Eat. 6. verbesserte Auflage. Leipzig 1922, Verlag von C. Kabitzsch. 
Kl. 12 # , 101 S. Preis: brosch. 30 M. 

Der beliebte Borntraegersche Kommentar erscheint, nachdem nun 
eine neue ärztliche Gebührenordnung erlassen ist, in neuer Auflage. Die Ein¬ 
teilung des Stoffes ist die gleiche geblieben. (Vergl. die Besprechung der 
vorigen Auflage in dieser Zeitschrift, 1921, S. 406.) Es ist nicht zu zweifeln, 
daß das Büchlein, dessen besonderer Wert noch in den beigefügten Abschnitten 
über allgemeine ärztliche Fragen liegt, in ärztlichen Kreisen weitere Freunde 
Anden wird. _ Solbrig. 


Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte vom L April 1922. 

Sonderabdruck aus der „Volkswohlfahrt" 1922. 

Vorrätig als Nr. 589 in Carl Heymanns Verlag, Berlin W. 8. 

_ Solbrig. 


Tagesn&chrichten. 

Aus dem preussisohen Landtage. In der Sitzung vom 14. Juni 
wurde gelegentlich der Beratung über das Hebammeogesetz ein Antrag der 
Abg. Frau Ege (Sozialdem.) angenommen, wonach bei allen Bezirksregierungen 
Dezernate für Bezirksfürsorgerlnnen eingerichtet werden sollen. 


Der Haushalt des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt ist 
nach kurzer Beratung fast durchweg nach den Anträgen des Hauptausschusses 
angenommen worden. Soweit aus den Tageszeitungen zu ersehen ist — die 
Stenogramme sind leider bisher noch nicht erhältlich gewesen — ist bei der 
Besprechung des unsere Leser hauptsächlich interessierenden Gebietes „Volks¬ 
gesundheit“ nicht viel besonders Bemerkenswertes zur Sprache gekommen. 
Von den Medizinalbeamten selbst und ihrer Tätigkeit scheint man sich nicht 
unterhalten zu haben, woraus man wenigstens schließen kann, daß in den 
Kreisen der Abgeordneten niemand an uns und unserer Tätigkeit etwas aus¬ 
zusetzen gefunden hat. Erfreulich ist es, festzustellen, daß immerhin von 
einer Seite auf die gänzlich unzureichenden Tagegelder für Dienstreisen der 
Medizinalbeamten bingewiescn wurde (Abg. Dr. Stemmler, Zentr.). 

Die Verhandlungen erstreckten sich hauptsächlich auf die Notwendigkeit, 
für die Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrank¬ 
heiten größere Mittel zur Verfügung zu stellen, wie dies seitens des Haupt- 
auBBchusses auch beantragt worden war. 

Die Ueberführung der preußischen Staatsbäder in die Verwaltung des 
Wohlfahrtsministeriums soll für 1923 dem Anträge des Ausschusses ent¬ 
sprechend geschehen. Abg. Wey 1 trat erneut für Sozialisierung des ärztlichen 
Standes ein, bemängelte die geringe Finanzierung des Haushalts für die Volks¬ 
gesundheit (40 Millionen Staatszuschüsse gegenüber 41 Millionen für die Ge- 
st&tsverwaltung I) und setzte sich nachdrücklich für die Bekämpfung des 
Alkoholismus ein. Ministerialdirektor Gottstein gab ein Bild über den 
Stand der Volksgesundheit in Preußen und forderte ein Zusammenwirken aller 



beteiligten Kreise um den Kampf gegen die Tuberkulose and die anderen 
Volkskrankheiten mit allem Nackdruck za führen. Der Minister Hi rtsief er 
selbst erinnerte daran, daß er in seiner Antrittsrede gebeten habe, Ton dem 
wichtigen Gebiete der Wohlfahrt unseres Volkes alle Parteipolitik fernzuhalten, 
and forderte za gemeinsamer Arbeit auf. 

Bei der Abstimmung gelangten die Anträge des Hauptausschusses fast 
durchweg zur Annahme, einige wenige wurden an diesen zurückverwieeen. Bin 
Antrag aer Sozialisten wegen systematischer Einrichtung von Dezernaten für 
Bezirksfürsorgerinnen bei allen Bezirksregierangen fand schließlich noch mit 
einer geringen Stimmenmehrheit Annahme. 

Wir behalten uns yor, nach Einsicht in die stenographischen Berichte 
noch ausführlicher hierauf zurftckzukommen. 


Der Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten hat nnter dem 26. Mai 
d. Js. folgende Eingaben an den Beamtenaasschuß des Preußischen Landtags 
gerichtet und durch seinen Geschäftsführer dort persönlich vertreten lassen. 

„Im Anschluß an unsere Eingabe Tgb. Nr. 1628/22 vom 10. d. M. bitten 
wir bei den Verhandlungen über die Eingruppierung der höheren Beamten 
nachstehendes berücksichtigen zu wollen: 

Das Verhältnis der Beamtenzahl in den Gehaltsgruppen X, XI and XII 
in Preußen ist zurzeit 9:8:2, während im Beiche auf die Besold ungsgrappe X 
4368, auf die Besoldungsgruppe XI 6511 und auf die Besoldungsgruppe XU 
2888 Beamte entfallen. In einfachen Zahlen ausgedrückt ergibt das, daß im 
Beiche das Verhältnis der Beamtenzahl in diesen Gruppen 2:3:1 ist. Dieser 
Unterschied wird noch deutlicher bei Umrechnung auf gleiche Anfangszahl; 
für das Beich ergibt sich dann ein Verhältnis von 18:27 :9, dem in Preußen 
das Verhältnis 18 :14 : 4 gegenübersteht. 

Bei einer Angleichung an das Beich muß das gleiche Verhältnis auch 
den preußischen Beamten zugestanden werden. Die in den vorliegenden Ent¬ 
würfen vorgesehene Verteilung der Beamten auf die genannten drei Gruppen 
im Verhältnis 3:2:1 bedeutet im Gegensatz hierzu eine wesentliche Schlechter¬ 
stellung der preußischen Beamten. Es ist dabei zu bemerken, daß in vielen 
Verwaltungen des Beiches das Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander 
noch wesentlich günstiger ist, so z. B. in der Beicbpostverwaltung, wo Bich in 
Gruppe X 289, in Gruppe XI 2250 und in Gruppe XII 623 höhere Beamte be¬ 
finden. Das ergibt ein Verhältnis von rund 1:7:2. Ebenso wie im Beich ist 
eine wesentliche Besserstellung der höheren Beamten auch in den übrigen 
Ländern, insbesondere ln Bayern erfolgt. Lediglich für die preußischen höheren 
Beamten ist die dringend notwendige erforderliche Angleichung auch durch die 
Aendernngen im diesjährigen Staatshaushalt noch nicht annähernd erreicht. 

Für die im Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten zusammen¬ 
geschlossenen Fachgruppen von höheren Beamten ergeben sich im einzelnen 
folgende Wünsche, die wir noch zu berücksichtigen bitten: 

pp. 

5. Für die nicht vollbesoldeten Kreisärzte ist eine Aufrttckungsmöglich- 
keit nach Gruppe XI geboten, und zwar für ein Drittel, da die Aussichten 
für diese Beamten, durch PrivatpraxiB erhebliche Nebeneinnahmen zum Dienst¬ 
einkommen hinzuzugewinnen, durch Vermehrung der Dienstgeschäfte sehr ein¬ 
geschränkt sind, und sich immer mehr verschlechtern. 

6. Den vollbesoldeten Kreisärzten ist eine Aufrückungsmöglichkeit nach i 

Gruppe XII, wie sie alle höheren Beamten haben, auch nach dem neuen Ent- { 
warf zur Besoldungsregelung versagt. Diese Zurücksetzung ist bei diesen 
Beamten um so härter, als bei den äußerst geringen Beförderungsmöglich¬ 
keiten (nur 6 v. H. gegen z. B. 20 v. H. bei den richterlichen Beamten) nur ein 
verschwindender Bruchteil bisher die Aussicht hat, in Gruppe XU za gelangen, jj 
Wir müssen daher für einen Teil der vollbesoldeten Kreisärzte eine Auf- | 
rückung8möglichkeit in Gruppe XII fordern. 1 

Die im Vorstehenden dargelegten Wünsche bitten wir berücksichtigen 
zu wollen, damit die Schlechterstellung der preußischen höheren Beamten 
gegenüber denen des Beiches und der anderen Bundesstaaten be¬ 
seitigt wird. 

Der Vorsitzende, gez. Dr. L e n t z e, Staatsminister.“ 



Tagesnachrichten. 


419 


Dieser Antrag ist hinsichtlich der nicht Tollbesoldeten and der voll- 
besoldeten Kreisärzte vom Landtagsaasschaß angenommen worden, hat aber 
bei dem Staatsministerinm keine Gegenliebe gefunden and ist von ihm ab¬ 
gelehnt worden. 

Eine weitere Eingabe unseres Hauptvereins betr. die Abffihrnngspflicht 
der Gerichtsärzte hinsichtlich ihrer amtlichen Gebühren Ober das Gehalt eines 
Tollbesoldeten Kreisarztes der Groppe X hinaus ist in Bearbeitung des Berufs- 
vereins höherer Verwaltangsbeamten and dessen Besoldangsaasschasses. Ueber 
den Ansgang werde ich seinerzeit berichten. Dr. Rogowski-Berlin. 


Das Beichsgesundheitsamt hat im Anschluß an eine von ihm 
im Dezember 1918 verfaßte Denkschrift über die Schädigungen der deutschen 
Volkskraft durch die Blockade (Verlag von G. Stalling, Berlin SW., 
Zimmerstraße 77) eine weitere Denkschrift bearbeitet, in der die gesundheit¬ 
lichen Verhältnisse des deutschen Volkes im Jahre 1920/21 geschildert werden. 
Die darin behandelten Untersuchungen erstrecken sich auf die Geburts- und 
Sterblicbkeitsverhältnisse im Deutschen Beiche während der angegebenen Zeit, 
auf die Häufigkeit der Sterbe- und Erkrankungsfälle bei einzelnen Krankheiten, 
insbesondere der Tuberkulose, ferner auf die Gesundbeitsverhältnisse unter den 
Kindern sowie auf die fortdauernden Schwierigkeiten auf dem Gebiete des Er- 
nährungs-, Wohnungs- und Bekleidungswesens. Der Schlußabschnitt der Denk¬ 
schrift lautet: 

Die Untersuchung fiber den Gesundheitszustand des deutschen Volkes 
für die Zeit von Ende 1918 bis in das erste Vierteljahr 1921 ergibt somit: 

1. Seit dem zweiten Viertel des Jahres 1920 beginnt eine fortgesetzte 
Abnahme der vordem erheblichen allgemeinen Sterblichkeit, bei der diejenige 
an Tuberkulose, Grippe, Wochenbettfieber eine bedeutende Bolle spielten. Die 
Zahl der Geburten nimmt mit dem zweiten Halbjahr des Jahres 1919 zu, bleibt 
im Jahre 1920 aber noch hinter dem letzten Friedensjahre 1918 zurück. 

2. ln den Berichtsjahren übertrafen die Typbus- und Bahrerkrankungen 
noch wesentlich die Ziffern der Friedenszeit. Hauterkrankungen, Schädigungen 
der Bauchorgane, des Herzens und der Gefäße, des Nervensystems waren noch 
weit verbreitet 

3. Die allgemeine Sterblichkeit an Tuberkulose hat sich zwar seit dem 
Jahre 1919 vermindert; es ist aber noch eine sehr wesentliche Steigerung der 
Absteckungen mit Tuberkulose vorhanden, die sich vorzugsweise auf das frühe 
Kindesalter erstreckt. 

4. Für eine außerordentliche Zunahme der Geschlechtskrankheiten haben 
sich Anhaltspunkte nicht ergeben. 

5. Der Gesundheitszustand der Kinder jenseits des Säuglingsalters hat 
besonders unter dem Mangel an Milch schwer gelitten und tut sich in ge¬ 
häufter Skrofulöse, Bachitis und Blutarmut kund. 

6. An dem Tiefstand der Volksgesundheit ist vorzugsweise der Nahrungs- ’ 
mangel schuld, der zu einer allgemeinen Unterernährung führte. Wohnungs-, 
Bekleidungs-, Kohlen- und Seifennot sowie die Teuerung verschärfen die Lage. 

Die Gesamtbetrachtung läßt für die Berichtszeit also nur bezüglich der 
Verminderung der Sterblichkeit und der Steigerung der Geburtenziffern eine 
Besserung der Verhältnisse erkennen. Dieser stehen aber zahlreiche schlimme 
Zustände gegenüber. Eine weitere Zunahme der erwähnten Ernährungs- und 
Wirtschaftsschwierigkeiten wie auch etwaige Einbrüche von Seuchen können 
das sich mühsam behauptende Gleichgewicht zerstören. An dieser Auffassung 
ändert vorderhand die an sich erfreuliche Tatsache nichts, daß die Abnahme 
April 1921 bereits um 1,3 auf 1000 der Bevölkerung geringer war, als in 
demselben Monat des Jahres 1918. Ferner läßt leider die Mitteilung des Ge¬ 
sundheitsrats von Bremen, wonach der Ernährungszustand der Schulkinder sich 
um 66 v. H. gehoben hätte, keine Verallgemeinerung zu, noch kann sie gegen¬ 
über anderslautenden Berichten, z. B. aus Thüringen, alB Signal für eine an¬ 
haltende Verbesserung der Ernährungslage gedeutet werden. Noch immer 
besteht eine große Knappheit an Milch und anderen wichtigen Lebensmitteln 
und wieder erhebt sich infolge der sinkenden Kaufkraft des Geldes, die eine 



420 


Tagesnachrichten 


stärkere Einfuhr aus dem Ausland nicht zuläßt, eine neue Teuerungswelle, 
während die Wohnungs- und Eieidungsnöte sich in keiner Weise geändert haben. 

Ein Versuch, die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes 
des deutschen Volkes, insbesondere bezüglich seiner Kinder, vorherznsagen, ist 
wegen der Gnsicherheit der ihn beeinflussenden Verhältnisse unmöglich. Keines¬ 
falls aber wird man die gesundheitliche Zukunft der deutschen Jugend als 
ungefährdet bezeichnen können, sondern nur von einer günstigeren Gestaltung 
der Lebensbedingungen eine glückliche Wendung erwarten dürfen. 

(Veröffentlichungen des Reichsgesundheitsamts, 1922, Nr. 17.) 


Ln Reichsgesundheitsamt ist ein Entwurf für ein Relchsgesets 
Aber Ausübung der Krankenpflege und der Säuglings- und 'Wochenpflege 
ausgearbeitet, der dem Reichstage zugehen soll, nachdem die einzelnen Länder 
ihre Stellungnahme zu dem Entwurf dem Reichsgesundheitsamt mitgeteilt haben. 

(Nach deutsch, med. Wochenschrift; 1922, Nr. 24.) 


Die neue Erhöhung der Beamtenbezüge. Durch Verhandlungen des 
Reichsfinanzministeriums mit den Gewerkschaften ist folgende Verbesserung 
der Besoldung mit Rückwirkung vom 1. Juni zustande gekommen: Die Aus¬ 
gleichszuschläge zum Grundgehalt nebst Ortszuschlag werden in der Weise 
bemessen, daß a) der allgemeine Ausgleichszuschlag auf Grundgehalt und Orts¬ 
zuschlag von 65 auf 105 v. H., b) der Sonderzuschlag für die ersten 10000 M. 
des Diensteinkommens von 55 auf 95 v. H. erhöht wird. Dies bedeutet also 
eine Erhöhung der Zuschläge um 40 v. H., was einer Erhöhung der Gesamt¬ 
bezüge um etwa 22 v. H. entspricht. Für Preußen hat der 8taatsrat gleichfalls 
einem dahingehenden Gesetzentwurf zugestimmt. Er bedarf noch der Beschlu߬ 
fassung seitens des Reichstages bezw. des Abgeordnetenhauses. Es ist aber 
nicht daran zu zweifeln, daß diese Zustimmung erfolgen wird. Den unerhörten 
Steigerungen der Kosten für die Lebenshaltung werden diese an sich natürlich 
erwünschten Aufbesserungen kaum gerecht, zumal zu fürchten ist, daß alle 
Preise mit Steigerung der Gehälter und Löhne weiter steigen. 


t 

Nachruf. Am 24. Juni verstarb in Waldenburg der Kreisarzt i. R., 
Geh. Med.-Rat Dr. Dybowski im Alter von 70 Jahreo. Mit ihm ist wiederum 
einer von uns gegangen, der lange Jahre als Medizinalbeamter an wichtiger 
Stelle hervorragend tätig gewesen ist und vorbildlich gewirkt hat. Sein Leben 
galt dem Dienste, unermüdlich war er tätig, Ruhe und Erholung kannte er 
nicht. Nur wenige Jahre waren ihm beschieden, nachdem er aus dem Dienste 
schied. Wir Medizinalbeamte des Bezirks Breslau danken dem Verstorbenen 
für alles, was er zur Ehre des Standes, zum Besten des Volkswohls getan 
hat. Besonders sind es auch zahlreiche Kreisärzte, die in Waldenburg als 
Kreisassistenzärzte unter der Leitung des Heimgegangenen zu ihrem Berufe 
hervorragend ausgebildet, stets dankbar seiner gedenken werden. So lange 
Männer wie Dybowski in unserem Stande sein werden, so lange wird der 
Kreisarzt geachtet und geehrt sein! Wir werden dem Verstorbenen ein treues 
Andenken bewahren. 

Im Namen des Vereins der Medizinalbeamten des Bezirks Breslau: 

S o 1 b r i g. 


Mitteilung. 

Der Schriftleiter ist bis Ende Juli auf Urlaub. Wichtigere 
Mitteilungen erreichen ihn und werden erbeten unter der Adresse: 
Alexandersbad im Fichtelgebirge, Roglermfihle. 


Verantwortlich für die Schriftleltnng: Geh. Med.-Hat Dr. Solbrlg, Re*.- n, Med.-Rat ln Breslau, 
Breslau V, Bahdlferttraße 84. Drmok tob J. 0. 0. Bruns, Minden 1. W. 














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Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flschefs med. Buchhandlung H. Kornfeld, 

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Bezugspreis fOr das Jahr: 100 M., doreh die Post bezogen: 103 M- 


• Nr. 14. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monats 


20. Juli. 


Kreisarzt und Kreiskommunalarzt. 

Ein Vorschlag für eine neue Dienstanweisung. 

Von Kreisarzt Dr. Boege - Deckermünde. 

Als ich noch Kreisassistenzarzt war, war mir der Gedanke 
als Kreisarzt einmal etwas wie ein Amt zu haben, das alle 
staatliche, kommunale und private Gesundheitspflege und Für¬ 
sorge zusamraenfaßte, ein Traum stiller Stunden. Mein Traum 
ist Wahrheit geworden, wenn auch nicht ganz in der Form, in 
der ich ihn damals geträumt habe. Seit 1919 hat mein Kreis 
ein Wohlfahrtsamt, und seit 1920 bin ich als Kreiskommunal¬ 
arzt Leiter der Gesundheitsabteilung dieses Amtes.*) 

Die Personalunion hat sich bewährt, der Staatsbeamte wie 
der Kommunalbeamte in mir können jeder mit dem andern 
zufrieden sein. Jeder hat aus des andern Unterstützung und 

*) Ich bekomme dafür die Hälfte des jeweiligen Grundgehalts meiner 
Besoldungsgruppe und die gesetzlichen Teuerungszuschläge; Beisekosten 
werden nicht ersetzt, weil der Kreis ganz mit Recht sagt, daß ich bei meinen 
staatlichen Dienstreisen genügend Gelegenheit hätte, mir die für den Kreis¬ 
kommanalarzt erforderliche Kenntnis der örtlichen Verhältnisse zu beschaffen. 
Die Tätigkeit als Impfarzt und falls ich Fürsorge treibe, als praktischer 
Fürsorgearzt, ist hiermit jedoch nicht abgegolten. 



422 


Dr. Boege. 


Mitarbeit Nutzen gezogen. Aber, was wesentlicher ist, der Sache 
sowohl des Staates wie des Kreises ist damit gedient gewesen. 
Ich würde es für ein Unglück, für eine Torheit halten, wollte 
man, wenigstens in einem Landkreise wie dem meinigen, der 
mit seinen 56000 Einwohnern einer der größten Pommerschen 
Landkreise ist, aber trotzdem immer noch ein kleiner Kreis 
bleibt, die beiden Aemter auseinander reißen. Abgesehen von 
Kriegsbeschädigtenfürsorge habe ich als Kommunalarzt nichts 
zu tun, wozu mich nicht schon meine kreisärztliche Dienst¬ 
anweisung verpflichtet. Wenn ich früher diesen Verpflichtungen 
nicht oder nicht in dem Umfange nachgekommen bin, so lag 
es daran, daß ich um ihnen nachzukommen weder von Staat 
noch Kreis die erforderlichen Mittel bekam. Wenn ich nicht 
selbst Kreiskommunalarzt wäre, würde ich meinem kommunalen 
Kollegen dauernd von Amts wegen in die Haltekinder-, Säug¬ 
lings- und Tuberkulosefürsorge, in die Geschlechtskranken¬ 
fürsorge, in Schularzt- und Schulzahnarztfragen ins Hebammen¬ 
wesen und Desinfektionswesen usw. hineinreden müssen. Und 
umgekehrt, wenn der Kreis nicht mir die Stelle des Kreis¬ 
kommunalarztes übertragen hätte, könnte dieser nichts anregen, 
nichts unternehmen, nichts vertreten, ohne Gefahr zu laufen, 
daß ich ihm von Amtswegen hineinredete. Reibungslos würde 
sich die Sache nur abwickeln, wenn entweder der Kreiskoramu- 
nalarzt dem Kreisarzt unterstellt würde, woran nicht zu denken 
ist, oder wenn der Kreiskomraunalarzt lediglich die praktische 
Fürsorge zu machen hätte. Der Ansicht, daß der Kreis¬ 
kommunalarzt lediglich Fürsorgearzt sei, begegnet man aller-, 
dings öfter, sogar unter Kreisärzten, aber sie ist falsch. Selbst¬ 
verständlich kann dem Kreiskommunalarzte auch die ganze 
praktische Fürsorge oder ein Teilgebiet der praktischen Für¬ 
sorge, im ganzen Kreise oder in einem Teil des Kreises, über¬ 
tragen werden, je nach der Größe und nach den Verkehrs¬ 
verhältnissen des Kreises und je nach seiner Vorbildung und 
seinen Kenntnissen in Säuglingsfürsorge, Tuberkulosefürsorge 
oder Krüppelfürsorge u. s. f. Seine Hauptaufgabe ist jedoch die 
Organisation und Ueberwachung der Fürsorge und die Beratung 
des Kreises in allen hygienischen und gesundheitlichen Fragen. 
Diese haben in den letzten Jahren einen solchen Umfang und 
solche Bedeutung gewonnen, daß zu ihrer Bearbeitung ein Fach¬ 
mann gehört, aber nicht ein Jurist oder ehemaliger Offizier, sie 
mögen noch so tüchtig sein, auch nicht eine Wohlfahrtspflegerin. 

Weil aber der Kreiskommunalarzt in der Hauptsache 
organisatorische und beratende Arbeit zu leisten hat, geriete er 
leicht mit dem Kreisarzt aneinander und würde viel Doppel¬ 
arbeit geleistet werden, wenn die beiden Funktionen ausein¬ 
andergerissen würden. Und gerade darum haben mir die letzten 
1 l /* Jahre gezeigt, daß die Tätigkeit als Kreiskommunalarzt 
die notwendige Ergänzung des Kreisarztamtes ist. Ich will nur 
einige Beispiele herausgreifen. Der Kreis hat im letzten Jahre 
unter anderm das Desinfektionswesen'und das Hebaramenwesen 



Kreisarzt and Kreiskommanalarzt. 


423 


neu geregelt,*) er hat den Bau eines städtischen Krankenhauses 
subventioniert, er hat einen Ausschuß für hygienische Volks¬ 
belehrung ins Leben gerufen und berät z. Z. die Einführung 
der Schulzahnpflege. Die Regelung des Desinfektionswesens 
und des Hebaramenwesens war von mir als Kreisarzt aus¬ 
gegangen, denn an beiden Dingen hahe ich ja überwiegendes 
Interesse. Allein, wenn es wie früher gegangen wäre, hätte 
ich dem Kreise meine Entwürfe eingereicht, und die Entwürfe 
wären in Kreisausschuß und Kreistag ihren Weg gegangen. 
Jetzt habe ich sie beide in Kreisausschuß und Kreistag per¬ 
sönlich vertreten und auch durchgebracht. Aber auch an dem 
Ausbau des Krankenhauses, an der hygienischen Volksbelehrung, 
an der Schulzahnpflege bin ich als Kreisarzt höchst interessiert. 
Trotzdem, wenn ich nicht selbst Kreiskommunalarzt gewesen 
wäre, hätte, glaube ich, der Kreis alle diese Dinge mit seinem 
Kreiskommunalarzt abgemacht, ohne mich zu fragen. 

Habe ich somit gesehen, wie die Personalunion die Arbeit 
des Kreisarztes erleichtert; ja erweitert und ergänzt, so ist es 
mir auch erschreckend klar geworden, welche Gefahr es für die 
amtliche Stellung des Kreisarztes bedeuten würde, welche 
traurige Rolle er auf hygienischem Gebiete, ja womöglich auf 
seinem Spezialgebiete der Seuchenbekämpfung, spielen würde, 
wenn sich zwischen ihn und den Kreis, ihn und die Desinfek¬ 
toren, ihn und die Hebammen ein Kreiskommunalarzt schöbe, 
wobei er wohl das Recht hätte einzusprechen, aber der Kreis 
nicht die Pflicht ihn zu hören. Er würde bald in Fragen der 
öffentlichen Gesundheitspflege nicht viel mehr zu sagen haben, 
als jetzt, auf dem Gebiet der Gewerbehygiene, d. h. so gut wie 
nichts. Ich habe mir erzählen lassen, daß dieses Zukunftsbild 
in manchen Großstädten schon jetzt Wirklichkeit ist. Der 
Kreisarzt bekämpft dort die^ Seuchen, beaufsichtigt das Medi¬ 
zinalpersonal und schreibt Gutachten: alle andern Aufgaben 
sind ihm abgenoramen worden, vom Stadtmedizinalrat, vom 
Stadtschularzt, von den Fürsorgestellen, vom Stadtgesundheits¬ 
amt u. s. f. Dagegen, daß er in großen Kreisen entlastet wird, 
ist vielleicht gar nichts zu sagen, sein Arbeitsgebiet würde 
sonst zu groß, wohl aber ist sehr viel dagegen zu sagen, daß er 
von der Arbeit an diesen Aufgaben geradezu ausgeschlossen ist. 

Nun scheinen ja die Kreise in überwiegender Zahl zu der 
Ansicht gekommen zu sein, daß der Kreisarzt, wenn er es irgend 
leisten kann, am besten gleichzeitig auch Kreiskommunalarzt 
ist, und zwar nicht nur im Interesse des Staates, sondern auch 
des Kreises seibst. Allein es ist schon in früheren Zeiten nicht 
immer geschehen, was richtig und nötig war, und heute, wo 
persönliche und politische Gründe oft schwerer als sachliche 


*) Wir haben jetzt Kreisdesinfektoren mit Grundentschädigung and Ge¬ 
bühren. Den Hebammen wird bis zar Regelung durch das Hebammengesetz 
ein Einkommen von 8750 M. gewährleistet. Darauf werden ihnen jedoch nicht 
die wahren Einkünfte ungerechnet, sondern nur je Entbindung der Mindestsatz 
der jeweiligen Gebührenordnung z. Z. 70 11. 



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Dr. Ä. Lasrisi nun. 


wi^srcr*. sir.d f *e^rra.v' r. ..ngen noch weniger ausgeschlossen, 
•ich b**.; er» köür.en die K'.rnrr.'j.vrr». da sie die Kosten und die 

Folger» zu tragen haben, auch tun. was sie wollen. Da aber 
staatliche Ir.tereesen üheran in das kommunale Gesundheits¬ 
wesen hineinspieier.. so muß der Staat Vorsorge treffen, daß 
«einem Kreisarzt das Recht gewahrt bleibt, im kommunalen 
Gesundheitswesen mitzuberaten, uni den Kommunen die Pflicht 
aufzuerlegen, den Kreisarzt zu hören und nichts ohne Zustimmung 
den Kreisarztes zu tun. Eine dementsprechende Bestimmung 
gehört daher in das Kreisarztgesetz und die Dienstanweisung 
hinein, und die Dienstanweisung muß den Zusatz bekommen, 
dal» diese Bestimmung auch für die Kommunen gilt. Ich denke 
mir den % 10 der Dienstanweisung etwa wie folgt geändert.*) 

Verhältnis zu den Organen der Selbstverwaltung: 

Der Kreisarzt hat die Pflicht, die ihm vom Kreise an¬ 
gebotene Stelle eine3 Kommunalarztes anzunehmen, wenn ihm 
nicht, der Krnfang seiner sonstigen Dienstobliegenheiten die 
Annahme verbietet. Der Regierungspräsident hat sowohl An¬ 
nahme wie Ablehnung dieses Nebenamts zu genehmigen. 

Soweit der Kreisarzt nicht gleichzeitig Kreiskommunalarzt 
oder in einer kreisfreien Stadt Stadtarzt ist, hat er die Ent¬ 
wicklung des kommunalen Gesundheitswesens in seinem Kreise 
von Amts wegen zu verfolgen. Auf Ersuchen des Vorsitzenden 
des Kreisausachusses und Kreistages, (in kreisfreien Städten) 
des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung, hat er 
an den Sitzungen dieser Körperschaften mit beratender Stimme 
teilzunohmen. Auch ungeladen hat er das Recht mit beratender 
Stimme an den Sitzungen teilzunehmen. Für die Teilnahme 
stellt ihm ein Anspruch auf Gebühren nicht zu. 

Vor der Neuregelung und jeder grundsätzlichen Aenderung 
einer von der Kommune (Gemeinde, Stadt, Kreis) freiwillig oder 
pflichtgemäß übernommenen Leistung auf dem Gebiet des Ge¬ 
sundheitswesens (z. B. Hebammenwesen, Desinfektionswesen, 
Haltekinderwesen, Säuglingsfürsorge, Tuberkulosefürsorge, 
Krünpelfürnorge, Geschlechtskrankenfürsorge, hygienische Volks- 
holohrung, Gemeindekrankenpflege) ist der Kreisarzt zu hören. 
Glaubt er der Regelung nicht zustimraen zu können, so hat er 
den Entwurf mit Abänderungsvorschlägen zurückzugeben. 
Geht die Kommune auf seine Vorschläge nicht ein, so ist die 
Entscheidung des Regierungspräsidenten einzuholen. 

Die Durchführung der neuen Desinfektionsordnung 
in Stadt- und Landkreisen. 

Von Dr. R. Engelsmann, Kreismedizinalrat in Kiel. 

Der Herr Minister für Volks Wohlfahrt hat am 17. Januar 
11)22 auf eine Entschließung des Deutschen Desinfektoren¬ 
bundes eingehend geantwortet. 

*) Anmerkung der Schriftleitang: Vergl. die Beschlüsse aaf der Magde¬ 
burger Tagung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins (diese Zeitschrift, 
1W22, Nr. 11, S. 810). 

X 

\ 



Die Durchführung der neuen Deeinfektionsordnung in Stadt* und Landkreise. 426 

Einzelheiten müssen im praktischen Desinfektor 1922, H. 1, 
S. 9 nachgelesen werden. Der wichtigste Satz ist „Dieser Punkt 
gehört zur Zuständigkeit der Gemeinden, denen in der Desinfek¬ 
tionsordnung nur Richtlinien an die Hand gegeben worden sind.“ 
Wäre dieser Standpunkt früher bekannt, hätte er früher 
berücksichtigt werden können, so hätten sich viele Kreise mit 
den neuen Vorschriften befreundet, die ihnen bis jetzt ab¬ 
lehnend gegenüberstehen. 

Ebenso wichtig sind die Ausführungen des Herrn Ministers, 
dahin lautend, daß nicht die Tätigkeit der Desinfektoren ein¬ 
geschränkt werden solle und daß eine Mitarbeit der 
Schwestern durchaus notwendig sei, um die laufende Desinfektion 
im beabsichtigten Umfange durchzuführen. 

Hiermit ist die Grundlage gegeben, auf der den Kreisen 
praktische Vorschläge gemacht werden können. 

I. Die Tätigkeit der Desinfektoren soll nicht eingeschränkt 
werden. 

Welche Aufgaben werden ihnen auf Grund des Wortlautes 
der Verordnung zugewiesen? 

a) Die Ausführung oder Ueberwachung der laufenden Des¬ 
infektion, wenn dieselbe sich durch die zu 1 und 2 ge¬ 
nannten Personen nicht ausführen läßt; 

b) die Ausführung der Schlußdesinfektion 1. wenn dem Kreis¬ 
ärzte die Ausführung derselben durch die Pflegepersonen 
nicht genügt, also wohl nur bei gemeingefährlichen Krank¬ 
heiten. Warum sollte in bestimmten Fällen dem Kreis¬ 
ärzte die Ausführung nicht genügen? Entweder erfüllen 
die Pflegepersonen ihre Aufgaben oder nicht; 

2. wenn nach den Anweisungen weitergehende Ma߬ 
nahmen für erforderlich erklärt werden. Hierbei ist nicht 
angegeben, daß oder ob der Desinfektor allein in Frage 
kommt. 

II. Die Mitarbeit der Schwestern ist unbedingt erforderlich. 
In Landkreisen kommen für die Ausführung der Schlu߬ 
desinfektion, für die Ausführung und Ueberwachung der laufenden 
Desinfektion in Betracht: 

1. Kreis- oder Bezirksfürsorgerinnen, 

2 . Gemeindeschwestern, 

3. Desinfektoren. 

Zu 1. Die Kreise haben Kreis- oder Bezirksfürsorgerinnen 
in sehr verschiedener Zahl angestellt. Fast in der Hälfte der 
Kreise unserer Provinz ist nur eine tätig. 

Fast von allen Seiten werden diese Organe als ungeeignet 
für dieses Arbeitsgebiet bezeichnet: 1. wegen der geringen 
Zahl, 2. weil sie andere, wichtigere Aufgaben zu erfüllen haben. 
Der Name der Fürsorgerin wurde in der Prüfungsvorschrift 
vom 1. November 1920 in den der Wohlfahrtspflegerin um¬ 
geändert. A. Salomon hat in der Volkswohlfahrt (1921, Nr. 3) 
die wirtschaftlichen Aufgaben der Fürsorgerinnen unterstrichen, 
die auch die Ursache der Namensänderung gewesen sind. 



420 


Dt. JL Gogelsmajui. 


Sind mehrere Bezirksfürsorgermnen in einem Kreise an¬ 
gestellt, — in einzelnen Kreisen beträgt ihre Zahl 8 — so 
kommen diese für die Ueberwachung der laufenden Desinfektion 
mit in Frage. 

Zu 2. Auch Gemeindeschwestern finden wir in verschie¬ 
dener Zahl in den Kreisen. Die Zahl schwankt zwischen 10 
und 22. Aber auch bei der genannten Höchstzahl sind weite 
Bezirke unversorgt. 

Also auch die Gemeindeschwestern können nicht als Haupt¬ 
träger der neuen Einrichtung gelten, da auch sie mit anderen 
Arbeiten, Pflegen von akut und chronisch Erkrankten, über¬ 
lastet sind. 

Wesentlich ist, daß die Gemeindeschwestern von Frauen¬ 
vereinen, Gutsbezirken und freien Gemeinden angestellt, dem¬ 
nach dem Kreisarzt dienstlich nicht unterstellt sind. Sie melden 
sich bei ihm nicht an, noch ab. 

Aus diesen Gründen können Gemeindeschwestern in ihren 
Bezirken die Ausführung der laufenden Desinfektion über¬ 
wachen, sie nur in seltenen Fällen ausführen. Für die 
Ausführung der Schlußdesinfektion kommen auch sie nicht in 
Frage. 

Diese Arbeit müssen nach wie vor die Desinfektoren aus¬ 
führen ; noch mehr, sie müssen die Ueberwachung der laufenden 
Desinfektion in den Bezirken übernehmen, für die Gemeinde¬ 
schwestern nicht angestellt sind. 

Für diese Bezirke müssen hauptamtliche Desinfektoren — 
es kommen 1 höchstens 2 in Frage — angestellt werden, die 
gleichzeitig als Gesundheitsaufseher für den ganzen Landkreis 
dem Kreisärzte wichtige Dienste bei der Ermittelung und Ueber¬ 
wachung der Absonderung in Fällen von übertragbaren Krank¬ 
heiten leisten können. 

Für die laufende Desinfektion kommen die Desinfektoren 
so lange nicht in Frage, als sie nebenamtlich angestellt sind. 

Lentz meint, daß in einzelnen Kreisen nur ein einziger 
angestellt sei. Dann muß in diesen Kreisen das Desinfektoren¬ 
wesen in unverantwortlicher Weise vernachlässigt worden sein. 

Meiner Meinung nach kann man auf Grund des § 29 des 
Gesetzes vom 28. August 1905 die Gemeinden wohl dazu ver¬ 
anlassen, Desinfektoren in genügender Zahl anzustellen. Kein 
Mittel hat man, die Anstellung von Gemeindeschwestern zu 
vorlangen. 

Mit den größten Opfern werden Schwesternstationen jetzt 
erhalten; Empfehlungen für Neuanstellungen haben keinen 
Erfolg. Die Landkreise zeigen die größte Abneigung gegen 
die Neuordnung des Desinfektionswesens auf Grund des Wort¬ 
lautes der Verfügung. Bis November 1921 hatten erst 3 weib¬ 
liche Pflegepersonen aus Landkreisen der hiesigen Provinz an 
den Ausbildungskursen teilgenomraen. Einen großen Schritt 
würden wir vorwärts kommen, wenn, wie es der Desinfektoren¬ 
bund in seiner Entschließung angeregt hatte, der zuständige 



Die Durchführung der neaen Desinfektionsordnung in Stadt- and Landkreise. 427 

Kreisarzt die Gemeindeschwestern in der laufenden Desinfektion 
unterweisen dürfte. Zahlreiche Kreise, die die Reise- ünd Ver¬ 
pflegungskosten scheuen, würden diesen Weg beschreiten, und 
so würde das Desinfektionswesen gefördert werden. 

Noch wurden die wichtigsten Förderer der Desinfektion 
nicht genannt, die praktischen Aerzte. Ich hatte eine gesetz¬ 
liche Bestimmung verlangt, dahingehend, daß alle in § 2 des 
Gesetzes vom 28. August 1905 genannten Personen auch die 
Genesung des Kranken der Ortspolizeibehörde, besser dem 
Kreisärzte zu melden haben. Nur weil dieser Zeitpunkt un¬ 
bestimmbar war, blieb die Schlußdesinfektion bisher so un¬ 
wirksam 1 

Man kann nur hoffen, daß der erhöhte Wille der Aerzte- 
schaft zur Teilnahme an der Fürsorgetätigkeit sie auch ver¬ 
anlassen wird, zum Schutze den Gesunden die Ueberwachung 
der Desinfektion gewissenhaft durchzuführen. Ohne die Aerzte 
muß die Organisation in den Landkreisen erfolglos bleiben. 
Sie müssen die laufende Desinfektion vornehmen, die dazu er¬ 
forderlichen Mittel bei der Gemeinde beantragen, die laufende 
Desinfektion überwachen, den Zeitpunkt der Schlußdesinfektion 
angeben. 

In Landkreisen fällt die Ueberwachung der laufen¬ 
den Desinfektion den Aerzten, Gemeindeschwestern, evtl. 
Bezirksfürsorgerinnen, den Desinfektoren, die Ausführung der 
Schlußdesinfektion nur den Desinfektoren zu. 

Wir • können uns den resignierten Ausführungen von 
Sarganek nicht anschließen; möge sie aber jeder beherzigen, 
der in Landkreisen organisieren will. 

Wie steht es in den Städten? 

An anderer Stelle habe ich die Neuordnung in Kiel kurz 
beschrieben. Interessant sind die Richtlinien, die Rabnow 
als Leiter des Hauptgesundheitsamtes für Berlin aufgestellt hat. 
Hier heißt es „Praktisch ist die Umstellung nur durchführbar 
durch ausschließliche Beschäftigung hauptamtlicher Desinfek¬ 
toren.“ Ebenso wichtig ist Punkt 10 „Ist sachkundiges, in der 
Desinfektion ausgebildetes Pflegepersonal vorhanden, so hat er 
durch taktvolle Rücksprache mit diesem sich über die zweck¬ 
mäßige Ausführung zu unterhalten und im übrigen durch Be¬ 
suche, ein- bis zweimal in der Woche zu überwachen.“ Den 
Desinfektoren wird so hier, wie z. B. auch in Kiel, eine über¬ 
ragende Stellung eingeräumt. 

Nach dem Bericht von Gutfeld wurde 1921 1004mal die 
einfache Schlußdesinfektion von den Schwestern, wie oben ge¬ 
schildert, in enger Fühlung mit den Desinfektoren, 955 mal die 
verschärfte Schlußdesinfektion von den Desinfektoren auf An¬ 
trag der Schwestern ausgeführt, ln Stadtkreisen werden 
Schwestern in den Fällen, in denen sie bei übertragbaren Krank¬ 
heiten pflegen, mit Vorteil die vereinfachte Schlußdesinfektion 
ausführen. Eine Irreführung der Desinfektoren hat nicht statt¬ 
gefunden. Nach dem Wortlaut der Desinfektionsordnung war 



428 


Dr. Poten. 


das Arbeitsfeld der DesiDfektoren so beschnitten, daß die Ver¬ 
kümmerung des Standes drohen mußte. In seiner Antwort auf 
die Entschließung des Desinfektorenbundes hat der Herr Mi¬ 
nister die Arbeit der Desinfektoren „an erster Stelle“ erwähnt, 
die „Mitarbeit“ der Schwestern als unentbehrlich bezeichnet. 

So sind in dankenswerter Weise Mißverständnisse beseitigt 
worden. Die praktische Arbeit wird dadurch gefördert. 

Möchten in allen Land- und Stadtkreisen die Kreisärzte 
fußend auf diese ministeriellen Anweisungen, die die nötige Be¬ 
wegungsfreiheit gewähren, die Neuorganisation in die Hand 
nehmen. Gemeinde und Kreise werden dann der Neueinrichtung 
freundlich gegenüberstehen. Gilt im allgemeinen der Satz: „wo 
ein Wille ist, da ist ein Weg“; so hier das Wort: „wenn sie 
einen Weg sehen, werden sie auch wollen“. 

Liter&tnr. 

Siehe bei 0. Le nt z: Diese Zeitschrift; 1922, Nr. 6 außerdem. 

Erlaß des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 7. Januar 1922: 
Volkswohlfahrt; 1922, Nr. 8, 8.59. 

Antwort des Herrn Ministers für Volkswohlfahrt an den Desinfektorenbund 
vom 17. Januar 1922. Der Praktische Desinfektor; 1922, H. 1, S. 9. 

H. Engelsmann: Die nene Desinfektionsanweisung und der praktische Arzt 
Klinische Wochenschrift; 1922, Nr. 6, S. 276. 

F. v. Gutfeld: Bericht über die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern . . . • 
ebenda; Nr. 12, 8. 591. 

Die Neuordnung des Desinfektionswesens in Berlin. Der Praktische Desinfektor; 
1922, H. 1, 8. 8. 

A. Salomon: Die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen. Volks- 
Wohlfahrt; 1921, Nr. 3, 8. 64. 


Die Answahl der Hebammen. 

Von Dr. Poten, Direktor der Prov.-Hebammenlehranstalt in Hannover. 

Gegen die Anregung des Regierungs- und Medizinalrats 
Dr. Schwabe, die Hebammenschülerinnen auf Grund einer 
an der Lehranstalt abzuhaltenden Prüfung zu den Ausbildungs- 
kursen zuzulassen, wenden sich in Nr. 5 dieser Zeitschrift die 
Kreisärzte Dr. Seyffarth und Dr. Schräder. Wenn sie die 
Form und den Ort der Veröffentlichung Schwabes bemängeln, 
so kann es nicht meine Sache sein, hierüber ein Urteil abzugeben, 
wohl aber glaube ich als langjähriger Hebammenlehrer ein Wort 
zur Sache selbst sagen zu müssen, zumal ich bereits auf der 
Haller Tagung der Vereinigung zur Förderung des Hebammen¬ 
wesens 1918 denselben Vorschlag wie jetzt Schwabe gemacht 
habe, nämlich daß bei der Auswahl einer Hebammenschülerin 
dem Kreisarzt zwar die Begutachtung der körperlichen Eignung 
der Kandidatin belassen werden solle, die Zulassung zum Kurse 
aber von dem Bestehen einer Prüfung abhängig zu machen sei, 
welche sie in der Lehranstalt selbst ablegt. Für mich ist der 
Gesichtspunkt maßgebend, daß ein Fortschritt im Hebamraen- 
wesen in allererster Linie nur möglich ist auf Grund der Auswahl 
wirklich geeigneter Persönlichkeiten, welche imstande sind, das 
ihnen im Unterricht vorgetragene Wissensgebiet zu ihrem 



Die Auswahl der Hebammen. 


429 


dauernden geistigen Besitz zu machen. Den Lehrstoff in 
succum et sanguinem zu überführen und nicht etwa nur not¬ 
dürftig gedächtnismäßig sich anzueignen. Dazu gehört aber 
mehr als wir es bei der Mehrzahl aller uns von den Kreisärzten 
präsentierten und als zum Hebammenberuf geeignet bezeichneten 
Frauen finden, und der letzte Grund für diese von allen 
Hebammenlehrern beklagte Dissonanz zwischen dem Urteil des 
Kreisarztes und den Anforderungen der Lehrschule liegt darin, 
daß von hundert Kreisärzten kaum einer jemals einer Unter¬ 
richtsstunde in der Hebammenschule beigewohnt hat, die Kreis¬ 
ärzte also in die Anforderungen und Methoden neuzeitlicher 
Hebammenausbildung nicht genügende Einsicht haben. Die 
Zeiten gedächtnismäßigen Einpaukens des Lehrbuchs, des 
Eindrillens bestimmter Vorschriften sind vorüber; wir Heb¬ 
ammenlehrer verlangen verständnisvolles Erfassen der Materie 
und vollbewußtes Eindringen in den Lehrstoff, weil nur auf 
diese Weise die oft beobachtete Verflachung und Entartung 
nach Eintritt in die Praxis vermieden werden kann. 

Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es bei der Schülerin 
gewisser Vorkenntnisse, für welche als Mindestmaß eine gute 
Volksschulbildung verlangt werden muß, also die Beherrschung 
der hochdeutschen Muttersprache soweit, daß ein Diktat ein¬ 
facher Art in sinnrichtiger Wiedergabe und ohne erhebliche 
orthographische Fehler mühelos niedergeschrieben, ein leichtes 
Lesestück — auch in lateinischem Druck! — fließend gelesen 
und inhaltlich richtig in verständlicher Form wiedergegeben 
werden kann; ferner ist unbedingt erforderlich die Kenntnis 
der einfachen Rechnungsarten mit Einschluß der Bruch-, De¬ 
zimal- und Prozentrechnung und das Vertrautsein mit den Maß- 
und Gewichtsgrößen, sowie der Wärmemessung. Fehlen diese 
elementarsten Kenntnisse, so ist das geistige Niveau der 
Kandidatin für den Hebammenberuf und speziell für die nutz¬ 
bringende Beteiligung an dem Unterricht ein zu niedriges, und 
es hilft dann nicht, auf den gesunden Menschenverstand und 
den guten Willen sich zu verlassen, denn eine solche Schülerin 
wird immer wieder anecken und nur als Ballast mitgeschleppt 
werden können. Bei Vorhandensein der geforderten Kenntnisse 
muß aber erst eine weitergehende Intelligenzprüfung durch An- - 
fertigung einer selbständigen Arbeit (Lebenslauf oder ähnliches), 
durch Unterhaltung über einfache politische, wirtschaftliche, natur¬ 
wissenschaftliche und andere Dinge ergeben, ob die Schülerin wirk¬ 
lich im Stande sein dürfte, dem Unterricht mit Nutzen zu folgen. 

Zu Beginn eines jeden Kurses stelle ich eine derartige 
Prüfung an, finde aber, daß kaum ein Drittel der Schülerinnen 
den genannten Anforderungen notdürftig entspricht; die Mehrzahl 
versagt vollständig und müßte — wir Direktoren haben das 
Recht dazu, — wieder entlassen werden, was sich aber aus 
praktischen Rücksichten verbietet. Die Aussiebung unbrauch¬ 
barer Elemente muß vor Beginn der Lehrkurse abgeschlossen 
sein; in der Hand der Kreisärzte hat sie bisher versagt, und 



430 


Dr. Poten: Die Auswahl der Hebammen. 


sie muß versagen, weil diese Aufsichtsbeamten den Aufgaben 
des Hebammenunterrichts fremd gegenüber stehen und weil, 
wie mir scheint, die Autorität des Kreisarztes gegenüber den 
Wünschen der Gemeinden und Landräte, wenn es sich um 
Abweisung unbefähigter Kandidatinnen handelt, nicht immer 
ausreicht. Vor einigen Jahren habe ich in Gemeinschaft mit 
meinen Kollegen in Osnabrück und Celle ein Schreiben an 
sämtliche Kreisärzte der Provinz gerichtet, um eine bessere 
Auswahl der Hebammenschülerinnen herbeizuführen; fast der 
einzige Erfolg ist gewesen, daß ich wegen Nichtbeachtung des 
Instanzenweges einen amtlichen Rüffel bekommen habe; nach 
wie vor werden uns Frauen geschickt, die auf der niedrigsten 
Bildungs* und Geistesstufe stehen, die in einem Lande mit 
Schulzwang überhaupt möglich ist. Beispiele hierfür, kann ich 
aus den Kursen nach dem Kriege noch genügend beibringen. 
Eine Revision der Vorbedingungen, welche zum Eintritt in 
eine Hebammenlehranstalt befähigen, ist deshalb unbedingt 
nötig, doppelt nötig angesichts der bevorstehenden Verlängerung 
der Lehrkurse. Was soll es nützen, von vornherein ungenügend 
vorgebildete Schülerinnen ein ganzes Jahr zu plagen? Leeres 
Stroh gibt auch bei fortgesetztem Dreschen kein Korn! Die 
Verlegung der Vorprüfung an die Stelle, wo auch die Aus¬ 
bildung erfolgen soll, wird aber erst die Sicherheit bieten, daß 
nur wirklich geistig befähigte und mit genügenden Vorkennt¬ 
nissen versehene Personen den verantwortungvollen und hy¬ 
gienisch so wichtigen Beruf einer Hebamme ergreifen. Die 
sonstige Eignung der Kandidatin — körperliche Gesundheit, 
moralische Qualität — festzustellen, bleibe Sache des Kreis¬ 
arztes, der hier als Medizinalbeamter und durch seine Ver¬ 
trautheit mit den lokalen Verhältnissen seines Bezirkes kompetent 
ist. Die Einführung in das Berufswissen der Hebamme und 
die damit in Verbindung stehende Prüfung der erforderlichen 
Vorkenntnisse und geistigen Fähigkeit ist ein Kapitel für sich, 
ist Sache der Hebammenschule, deren Lehrer besser als der 
Kreisarzt beurteilen kann, was die Schülerin an geistigem 
Besitz mitzubringen hat, um in einer verhältnismäßig kurzen 
Zeit eine Fülle von Kenntnissen sich anzueignen, die sie be¬ 
fähigt, selbständig eine Tätigkeit auszuüben, die in ihrem sozial¬ 
hygienischen Wert unter allen Berufsarbeiten des nachgeordneten 
Heilpersonals — Krankenpflegerinnen etc. — wohl die erste 
Stelle einnimmt, die vor allem auch dadurch, daß die Hebamme 
eine bei jeder Geburt bedeutungsvolle Diagnose aus eigener 
Erkenntnis heraus stellen muß, sich wissenschaftlich über andere 
Tätigkeiten des niederen Heilwesens erhebt. 

Wie die Vorprüfung in der Lehranstalt im Einzelnen zu 
gestatten ist, braucht hier nicht näher dargelegt zu werden. 
Es möge genügen, auf eine veraltete und verbesserungsbe¬ 
dürftige Erscheinung in unserem Hebammenwesen hingewiesen 
zu haben; nicht gegen den Stand der Kreisärzte, sondern gegen 
eine verfehlte Verwaltungsmaßregel richten sich diese Zeilen. 



Dr. Matbar: Urinantersachtuig von Schulkindern. 


431 


Urinuntersuchung von Schulkindern. 

Von Kreisass.* und Schularzt Dr. Mathar. 

In Ausführung des Erlasses des Herrn Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt I M IV 908/20 vom 11. 5. 20 habe ich die angeregte 
Urinuntersuchung bei sämtlichen Volksschulkindern der Stadt 
Rheydt (6817) vorgenommen; dabei hat sich mir folgendes Ver¬ 
fahren praktischer als das durch den Ministerialerlaß (Kochprobe) 
vorgeschlagene erwiesen: 

1. Die Entnahme des Urins erfolgte in der Brause¬ 
anlage der kath. Volksschule VIII, weil dort auch für die 
Mädchen hinreichende und ästhetisch einwandfreie Möglichkeit 
des Urinierens war. Hilfspersonal: 2 Familienfürsorgerinnen. 
Aufsicht: die Klassenlehrperson. Die übrigen Volksschulen 
fanden sich klassenweise dort ein. Das zu untersuchende Schul¬ 
kind ließ den Urin in ein Spitzglas (später des häufigen Bruches 
wegen in einen Emaillebecher) und brachte dieses dann der 
mit einer Anzahl (etwa 10) von Uringläsern versehenen Für¬ 
sorgerin; die andere Fürsorgerin trug den vorläufigen Befund 
in die von den Lehrpersonen aufgestellte Klassenliste ein. 

2. Vornahme der Untersuchung: mittels Eßbach- 
Reagenz wurde von der Fürsorgerin nach Anleitung durch den 
Schularzt erforscht, ob eine Trübung des Urins im Reagenz¬ 
glase eintrat. Die Kinder, bei denen dies der Fall war, mußten 
sich dann — da das Eßbach-Reagenz bisweilen schon in nor¬ 
malen eiweißfreien Harnen Niederschläge gibt (Pikrinsäure und 
Kalisalze, Urate und andere Stoffe) — im städt* Gesundheits- 
arate einfinden, wo dann die Salpetersäure-Schichtprobe den 
genauen Eiweißbefund erkennen ließ; trüber Urin wurde, vor 
Anstellung .dieser Heller’sehen Probe stets filtriert. Mikro¬ 
skopische Untersuchung ergänzte die Probe. Bei positivem 
Befunde wurde gleich die vollständige Untersuchung des Kindes 
durch den Schularzt angeschlossen (Herz, Blutdruck, wässerige 
Schwellungen usw.) 

Die Methode der vorläufigen Untersuchung des Harnes in 
der Schule mittels ^ßbach-Reagenz und der eventl. nach¬ 
folgenden mit Salpetersäure im Gesundheitsamte ist einfacher, 
erspart Zeit, Material und Feuer, da der Urin weder gekocht 
noch transportiert zu werden braucht. Die Entnahme des Urins 
in der Schulbad-Anlage, wo reichlich fließendes Wasser zur 
Verfügung stand, machte die Untersuchung sauber und angenehm. 
In einer Stunde konnte bequem der Harn von 100 Schulkindern 
untersucht werden. Eine Störung des Unterrichts trat nicht ein. 

3. Untersuchungsergebnis: 

a)Juli 1921. Von den 6817 Untersuchten litten 86 (66 
Mädchen und 20 Knaben) an Eiweißausscheidung, d. i. 
1,26 °/ 0 . Die Erkrankung der Kinder war, abgesehen von 
wenigen Ausnahmefällen, den Eltern unbekannt. Granu¬ 
lierte oder hyaline Cylinder. Oedeme und Blutkörperchen 
fanden sich in einigen Fällen. Vorangegangene fieberhafte 



482 


Dr. Berneick. 


Mandelentzündung (Angina), Grippe, Furunkulose, Bron¬ 
chialkatarrh, Erkältung, Masern, Nesselfieber waren als 
auslösende Ursache der Erkrankung zu betrachten. Einmal 
bestand ein Blasenkatarrh; viermal litt auch ein Elternteil 
an Nierenentzündung (familiäre Neigung). Mit je einem 
Elternteil nahm der Schularzt Rücksprache und erreichte, 
daß in allen Fällen eine Behandlung durch den Hausarzt 
erfolgte. Die genaue Ermittelung der Ursache der Eiwei߬ 
ausscheidung (statisch-lordotisch, Ernährungsstörung, Nie¬ 
renentzündung nach Infektionskrankheit oder Erkältung, 
degenerative Form nach Infektionskrankheiten, herdför¬ 
mige Nierenentzündung) blieb dem Hausarzt überlassen, 
da sie nicht Sache der sozialhygienisch-statistischen Er¬ 
mittelung sein konnte. Der Wasser- und Konzentrations¬ 
versuch wurde aus dem gleichen Grunde nicht angestellt. 
Nierenentzündung auf sklerotischer Grundlage kam nicht 
in Frage, da bei den Jugendlichen in keinem Falle Blut¬ 
drucksteigerung oder Herzvergrößerung vorhanden war. 

b) 1. Nachuntersuchung Oktober 1921: 39 Kinder 
aus der Zahl der 86 Eiweißausscheider sind frei von Eiweiß. 
Nochmalige Rücksprache des Schularztes mit den Eltern 
der übrigen 47. 

c) 2. Nachuntersuchung Januar 1922: Es sind noch 
40 Eiweißausscheider vorhanden. 

d) 3. Nachuntersuchung März 1922: Im Harne von 

23 Kindern findet sich noch Eiweiß. ' 

Der Nutzen der Urinuntersuchung bei den Schulkindern 
ist aus den angeführten Zahlen ohne weiteres ersichtlich. 
86 Eiweißausscheider unter 6817 Schulkindern bedeuten ein 
Maß von körperlicher Minderwertigkeit, welches nicht unbeachtet 
bleiben darf. Zudem ist diese Minderwertigkeit bis dahin fast 
stets den Kindern, den Eltern und den Lehrpersonen unbekannt 
geblieben. Die Unterrichtsfähigkeit der betreffenden Knaben 
und Mädchen war sicherlich herabgesetzt, ohne daß die Ursache 
ermittelt war. Die Heilung ist zwar im Laufe von 8 Monaten 
bei fast 8 / 4 der Kinder erreicht worden, doch ist das restliche ‘/a 
trotz hausärztlicher Behandlung noch nicht frei von Eiwei߬ 
ausscheidung, ein Zeichen, daß der Zustand nicht ein neben¬ 
sächlicher oder vorübergehender Krankheitsbefund war, sondern 
ernstlich und zäh haftend. 

Mit Notwendigkeit ergibt sich aus diesen Untersuchungen 
die Forderung: 

1. Die Urine der Schulneulinge sind jährlich zu untersuchen. 

2. Die der übrigen Schulkinder etwa alle 3 Jahre. 

Ein Fall von Melancholie 
mit vermeintlicher Gravidität. 

Von Dr. Berneick-Gilgenburg, kreisärztlich approbiert. 

Ara 10. 2. er. wurde ich zu der Besitzerstochter G. K. in 
H., 20 J. alt abgeholt; bezüglich der Anamnese erfuhr ich dort 



Ein Fall von Melancholie mit vermeintlicher Gravidität. 


483 


folgendes: Pat. war seit 1. 10. 21 zur Erlernung der Wirtschaft 
auf einem Gut im Kreise 0. in Stellung gewesen und dort 
anfangs November 1921 unter Kopfschmerzen und gestörtem 
Allgemeinbefinden erkrankt, war müde und unlustig zur Arbeit, 
einsilbig und traurig; die anfangs Dezember 1921 erwartete 
Periode blieb aus; sie teilte dies dem Wirtschaftsfräulein mit, 
diese nahm an, daß sie geschlechtlichen Verkehr gehabt und in 
anderer Lage sei und schrieb in diesem Sinne den Eltern, sie 
möchten das Mädchen am 1. Januar 1922 nach Hause nehmen; 
daheim wurde sie sofort mit der Frage bestürmt, mit wem sie 
den unerlaubten Umgang gepflogen hätte; Pat. behauptete, sie 
wüßte von keinem männlichen Verkehr, fand aber bei den 
Eltern keinen Glauben; eine Tante, welche in der Nähe als 
Bezirks-Hebamme fungiert, wurde zu Rate gezogen, untersuchte 
und fand eine „weite Scheide“ und nahm an, hier müsse 
Schwangerschaft vorliegen; da die Eltern „möglichst schnelle 
Wiederkehr der Periode“ wünschten, so wurden heiße Scheiden¬ 
spülungen vorgenommen, doch ohne Erfolg. Mein Unter¬ 
suchungsbefund war folgender: Bild einer deutlichen Seelen¬ 
störung, Pat. jammert in weinerlichem Tone, ohne daß wirkliche 
Tränen fließen, sie wolle Gift haben zum Sterben; alle Leute 
sagen, sie sei in anderer Lage, und das müsse dann auch* wahr 
sein, ich solle ihr doch helfen, diese Worte kehrten immer 
wieder, von der bereits längere Zeit anhaltenden Schlaflosigkeit 
war das Antlitz bleich und ängstlich verstört. Die genitale 
Untersuchung ließ sie willig vornehmen; ich fand das Hymen 
intakt, Scheide rugös, Uterus hart, leicht verdickt, in regelrechter 
Lage, Portio und Uterus virginell; Scheideneingang, große und 
kleine Schamlippen sowie die Dammgegend bis zum After 
weißlich verfärbt, verbrüht von den heißen Scheidenspülungen; 
ich redete sofort den Eltern zu, die Kranke in die nächste 
Irrenanstalt zu bringen, fand aber keine Gegenliebe, sie wollten 
erst abwarten, ob sich der Zustand nicht beruhigen möchte; 
ich gab eine Morph.-Spritze und Chloral hydr. in Lösung 6/200, 
2 stdl. 1 Eßl.; am 13. 2. er. wurde ich nochmals herausgeholt, 
fand die Kranke wie bei dem ersten Besuch zu Bett, das Bild 
der Seelenstörung hatte sich nicht geändert: ^Der Arzt hilft 
nichts, er lügt, daß ich nicht schwanger bin, ich bin es doch, 
alle Leute sagen es.“ Es war eine gewisse Verbigeration in 
der Art zu klagen, im ganzen sprach der Zustand für Melan¬ 
cholie. Ich habe von neuem den Eltern gesagt, daß die Kranke 
in Anstaltsbehandlung müsse, daß sie sich leicht in einem un¬ 
bewachten Augenblick ein Leid antun könnte und schrieb ein 
Begleitattest für die Ueberführung in die Irrenanstalt, welche 
am Tage darauf erfolgen sollte; ich hatte den Eltern gleich 
bei dem ersten Besuch gesagt, daß das Ausbleiben der Periode 
nichts weiter auf sich hätte, daß keine Schwangerschaft vorlag, 
auch gar kein Grund zu der Annahme, daß die Kranke jemals 
männlichen Verkehr gehabt und uaß die Periode sich von selbst 
wieder einstellen werde, sobald sie seelisch wieder genesen. 



434 Dr. Berneick: Ein Fall von Melancholie mit vermeintlicher Gravidität 

Am 15. 2. er. erschien der Vater in meiner Wohnung mit der 
Meldung, aus der Reise nach K. (Irrenanstalt) sei nichts ge¬ 
worden, die Kranke habe nicht fahren wollen; später erfuhr 
ich, die Eltern hätten sie zu Verwandten gebracht, damit sie 
auf andere Gedanken* komme; sie war aber nach ca. 4 Wochen 
in demselben Zustande zurückgebracht worden. Die Nacht vom 
22. zum 23. März schlief sie, wie gewöhnlich, mit der Mutter 
zusammen; als diese morgens erwachte, fand sie den Platz 
neben sich leer; ihr ahnte nichts Gutes; man fand im Schnee 
eine Spur, welche von der Wohnung zu dem Ufer des nahe- , 
gelegenen Sees führte, aber nicht zurück; sie gilt seitdem als 
vermißt, man nimmt an, sie habe sich ertränkt. 

Der Fall hat für mich nach mehreren Richtungen hin 
etwas Interessantes, einmal, weil das zufällige Ausbleiben der 
Periode, wie es die schwere Seelenstörung mit sich brachte, 
ganz in den Vordergrund des Krankheitsbildes trat; die Kranke, 
welche im Januar 1922 und auch später noch die richtige 
Kritik über sich hatte, widersprach den Eltern und beteuerte 
ihre Unschuld, wurde aber, als selbst die sachverständige Tante 
Hebamme anfangs Februar ihr den Vorwurf der Bescholtenheit 
(„sie sei möglicherweise im Schlaf vergewaltigt, so daß sie es 
gar nicht wissen könne“, Worte der Hebamme,) mitmachte und 
heiße Scheidenspülungen vorgenommen wurden, durch eine 
Art Suggestion an sich irre, so daß sie schließlich selbst an die 
Schwangerschaft glaubte und sich nicht mehr davon abbringen 
ließ; — ich habe die Hebamme später gefragt: wie sie zu der 
Diagnose der Schwangerschaft gekommen sei; bei drei Monate 
bestehender Schwangerschaft hätte sie anfangs Februar doch 
mindestens eine deutlich vergrößerte Gebärmutter finden müssen; 
ob sie denn gar nicht gesehen, daß das Hymen gänzlich un* ! 
versehrt war? „Nein, danach hätte sie gar nicht gesehen*, 
sie sagte, es wäre ihr nur aufgefallen, daß sie mit dem Finger | 
bequem die Portio erreichen konnte; als sie von ihrem Kreisarzt 
als Hebammenschülerin untersucht wurde, hätte dieser nur mit | 
Mühe den Finger in die Scheide hineinbekommen, wäre aber 
bis zur Portio nicht vorgedrungen; sie hätte wohl einen Scheiden- 
krampf gehabt; aus dem Ausbleiben desselben in diesem Falle 
glaubte sie sich zu dem Schluß berechtigt, daß die Nichte nicht 
mehr jungfräulich wäre; sie wollte nun ihr Versehen dadurch 
wieder gut machen, daß sie die Eltern zur Unterbringung der 
Tochter in eine Nervenanstalt überreden würde, kam jedoch 
mit der Ausführung ihres Vorhabens zu spät; inzwischen hatte 
sich die Kranke das Leben genommen; — nach der dritten Seite I 
hin ist es interessant zu sehen, wie schnell man in Laienkreisen 
mit Abtreibungsversuchen bei der Hand ist; im Publikum geht 
die Meinung: erst muß die Periode da sein, dann werden auch 
die Nerven wieder gesund. 




Versammlungen d. Mediziaalbeamten d. Rog.-Bezirke Cassel n. Hildesheim. 485 

Ans Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Aber die zweite Versammlung; des BeslrksTereln« 
Cassel der Preuss. Medizinal beamten am 11. Juni 198t 

in Marburg;. 

Anwesend: Boerner, Dreising, Fehsenfeid, Heilig, Hilde¬ 
brand, Kahle, Malens, Boselieb, Schulze, Schnrian, Spiecker, 
Vahle, Wagner, Wolf. Vorsitz: Boselieb. 

Tagesordnnng: 

1. Besichtigung des neueingerichteten gerichtsärztlichen Instituts und 
Demonstrationen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin, von Röntgen¬ 
aufnahmen und Photographien durch den Direktor Geh. Med.* Rat Professor 
Dr. Hildebrand. 

2. Spiecker-Fritzlar, stellvertr. Vertreter, berichtet Ober die Magde¬ 
burger Tagung, woran sich eine lebhafte Aussprache anschloß. 

3. Kassenbericht. Festsetzung der Nachzahlungen. 

4. Wolf-Cassel stellt den Antrag: „Der Verein tritt korporativ der 
Jubiläumsstiftung bei“, der einstimmig angenommen wird. 

5. Verträge mit der L. V. A., L. B. G. und der Hauptfttrsorgestelle. 

6. Aussprache betr. Fernsprechanschluß. 

7. Besprechung über die Stellung des Kreisarztes zur Kreisfürsorgerin. 

8. Bs wird beschlossen, an den Landesverein sich zu wenden zwecks 
Brhöhung der Landweg-Kilometer-Gelder unter Bezugnahme auf den Erlaß des 
Landwirtschaftsministeriums bez. der Kreistierärzte. 

9. Nächste Sitzung am 24. September in Herafeld. Tagesordnung: 
Kreisarzt und Kreiskommunalarzt. Berichterstatter: Heilig-Rotenburg. 

Nach Schluß der Sitzung ein gemeinschaftliches Mittagessen mit Damen 
im Hessen-Nassauerhaus unter Leitnng von Prof. Hildebrand mit an¬ 
schließender Kaffeetafel auf der Veranda. Dr. Wolf-Kassel. 


Bericht Ober die 3. Tagung des Medtztnalbeamtenvereins 
des Regierungsbezirks Hildeshelm 
am 11. Juni 1933 in Goslar. 

Es waren erschienen: die Kreisärzte von Göttingen, Osterode, Marienburg, 
Northeim, Alfeld und Goslar. Die Kollegen von Hildesheim und Duderstadt 
fehlten leider wegen Krankheit, außerdem waren der Kreisarzt von Peine und 
der Kreisassistenzarzt von Göttingen nicht erschienen. 

Aus der Tagesordnung ist folgendes zu erwähnen: der frühere Reg.- u. 
Med.-Rat Dr. Arbeit wurde einstimmig zam Ehrenmitglieds des Bez.-Vereins 
ernannt. Betr. Uebernahme des Telefons auf die Staatskasse soll 
ein gemeinsames Gesuch an den Herrn Reg.«Präsidenten gerichtet werden, 
damit dieser uns das Halten des Telefons auferlegt. Privatgespräche sollen 
zurückvergütet werden. 

Der Bez.- Verband sprach sich erneut gegen jede Kommunalisierung 
der Kreisärzte aus. 

Der Preuß. Med.- Beamtenverein soll ersucht werden, eine Aufhebung der 
Verfügung betr. Halten der Preaß. Ges.-Samml. herbeizuführen, da dieselbe uns 
jeder Zeit auf den Lanratsämtern zugängig ist. Andernfalls soll um eine Er¬ 
höhung der D.-A.-Entschädigung eingekommen werden. Es wurde betont, daß 
uns allen viel mehr an der Gestellung eines Büros mit einer Schreibkraft als 
an der Erhöhung der Entschädigung gelegen ist. 

Der Prov. Med.-Beamten verein in Hannover soll ersucht werden, bei der 
L. V. A. um eine Erhöhung der Gebühren für die Gutachten von 50 auf 100 M. 
wie die L. V. A. von Berlin pp. einzukommen. 

Die kreisärztlich geprüften Aerzte des Reg.-'Bez. Hildesheim sollen be~ 
fragt werden, ob sie dem Bez.-Verein als Mitglieder beitreten wollen. Die 
Jahresgebühr von 800 Mark ist an den Schriftführer des Vereins abzuführen. 
Hierin ist der Jahresbeitrag für den Peuß. Med.-Beamtenverein inbegriffen. 



436 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Als Ort der nächsten Zosamoienkanft warde Hildesheim bestimmt and zwar 
der 16. Oktober d. J. Der Herr Reg.-Präsident soll dazu anfgefordert werden. 

Nach der Sitzung begaben sich die Teilnehmer za einem gemeinsamen 
Essen mit ihren Damen in das Hotel „ Der Achterm&nn“ und blieben bis 8 Uhr 
abends in Goslar zusammen. Dr. Roo»-Goslar. 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Untersuchungen bei Schoßverletzungen. Von Dr. Strassinann- 
Aus der Unterricbtsanstalt für Staatsarzneikunde Berlin. Aerztliche Sach¬ 
verständigen-Zeitung, 1922, Nr. 6. 

Beschreibung zweier interessanter Fälle Yon tödlichen Schußverletzungen 
durch Tesching and Pistole. Im zweiten Fall war die Einschußwunde an der 
•Stirn kreazförmig mit so scharfen Bändern, daß die ersten Obduzenten sie für 
eine Schnittwunde gehalten hatten. Die Frage, ob Selbstmord oder Tötung 
durch eine fremde Person vorlag, war medizinisch nicht zu entscheiden. 

_ S o 1 b r t g. 


B. SaohverztAndlgontätigkeit ln Unfall-, Invalidität«- and 
Krankenverzloherungss&ohen. 

Hirngeschwulst und Kopfverletzung. V on Kr.-Med.-Rat Dr. Lewerenx- 
Scbleswig. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 3. 

Ein 27 jähriger Mann erlitt durch Hufschlag einen komplizierten Schädel- 
brach und verfiel sogleich in Bewußtlosigkeit und Krämpfe. Nach günstigem 
Heilungsverlauf wurde er anfangs mit einer Rente von 90°/o bedacht, die dann 
allmählich auf 20°/o herabgesetzt wurde. Für die Folge blieben erheblichere 
nervöse Kopfbeschwerden bestehen; 17 Jahre nach dem Unfall verschlimmerte 
sich der Zustand, heftiges Kopfweh und vermehrte Neigung zu Schwindel¬ 
anfällen trat auf; nach einigen Monaten erfolgte der Tod. Die Sektion ergab 
außer den Folgen des lange zurückliegenden Schädelbruchs eine vom Boideo 
der linken Seitenhirnböhle ausgehende walnußgroße gestielte Geschwulst, die 
sich histologisch als Neurofibrom erwies und als Todesursache angesehen wurde 
(der Tod war unter den Erscheinungen zunehmenden Hirndrucks eingetreten). 
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kopfverletzung und dem 17 Jahre 
später eingetretenen Tode wurde nicht als erweislich oder wahrscheinlich be¬ 
zeichnet. _ So Ihrig. 


Gasvergiftung und Herzschädigung. Von Stabsarzt Dr. Frehse. Ans 
der medizinischen Universitätsklinik Heidelberg. Aerztliche Sachverständigen- 
Zeitung, 1922, Nr. 7. 

Mitteilung eines Falles .von dauernder Schädigung des Herzens durch 
Gasvergiftung im Kriege bei einem früher gesunden Manu; es handelt sich um 
eioen als chronische Myocarditis angesehenen Zustand. Die Erwerbsverminde- 
rang wurde auf 83 ‘/s °/o angenommen, Kr. D. B. war bereits anerkannt. 

Die Bedeutung des mitgeteilten Falles ist darin begründet, daß bisher 
derartige dauernde Schädigungen des Herzens nicht bekannt geworden sind, 
wie Verfasser hervorhebt. Solbrig. 


Zur Neürosenfrage. Von Dr. Hübner, Oberarzt der Klinik für 
psychische und Nervenkranke zu Bonn (Geh. Rat Westphal). Aerztliche 
Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 1. 

Die Frage, ob versicherungspfiichtige Patienten mit Neurose verpflichtet 
sind, sich einer psycho-therapeutischen Behandlung zu unterwerfen, wird be¬ 
jaht, sofern es sich um schmerzlose Maßnahmen handelt. Es stehen uns ge¬ 
nügend derartige Methoden zur Verfügung. Die Resultate der Suggesuv- 
beh&ndlung haben sich verschlechtert, da der Gesnndheitswille der Kriegs- 
nourotiker geringer geworden ist. Bei Militärrentenempfängern und Unfall- 
verletzten kann man anf etwa &0°/o Heilungen bezw. wesentliche Besserungen 
rechnen (gegenüber 90°/o bei Zivil-Neurotikern ohne Rentenansprüche). Ab- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


487 


f i n d u n g ist bei Neurotikern immer anzustreben, am besten frühzeitig, die 
Erfolge bleiben aber auch nach jahrelangem Prozessieren nicht aus. Pekuniäre 
Sorgen sind für den Heilungsverlauf von Neurosen von Bedeutung. 

Solbrig. 

Die Bedeutung der Blutdruckmessung lu der augeuärztltohen Unfall* 
begutachtung. Von Prof. Dr. Reis-Bonn. Aerztliche Sachverständigen- 
Zeitung, 1922, Nr. 1. 

Daß die exakte Bestimmung des Blutdrucks ein geeignetes Mittel ist, 
um Gefäßwanderkrankungen, speziell in der Netzhaut, als Grundlage von Netz¬ 
hautblutungen sicher zu stellen, wird an 4 Fällen, bei denen die Frage eines* 
ursächlichen Zusammenhangs einer Netzhautvenenthrombose mit einem Unfall 
gutachtlich zu beurteilen war, gezeigt. Solbrig. 

Znr Reform des Reichshaftpllichtgesetzes für Eisenbahnen. Von 
Priv.-Doz. Dr. Horn-Bonn. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1922, Nr. 1. 

Seitens des Reichsjustizministers sind neue Grundzüge eines Gesetzes 
über die Haftpflicht der Eisenbahnen als Entwurf aufgestellt, der den gesetz¬ 
gebenden Körperschaften vorgelegt werden soll, Verf. prüft diesen Entwurf von 
der medizinischen Seite und macht allerlei Vorschläge zur Abänderung. Seine 
Ansicht, daß nur durch Zusammenarbeit von Rechtswissenschaft und Medizin 
die erstrebte Reform zustande kommen kann, wird von unserer Seite nicht auf 
Widerstand stoßen. _ Solbrig. 

Ueber einen FaU von Aneurysma der Arteria vertebralis dextra 
nach einem Trauma. Von Dr. MenacheL (Aus dem phatol. anat. Institut 
des Stadtkrankenhauses Dresden-Friedrichstadt). Aerztliche Sachverständigen- 
Zeitung, 1922, Nr. 2. 

Traumatische Hirnaneurysmen sind äußerst selten. Der hier beschriebene 
Fall dürfte deshalb des Interesses nicht ermangeln. Es handelte sich um ein 
2 jähriges Kind, das von einem Wagen geschleift, besinnungslos ln die Kinder¬ 
heilanstalt gebracht und nach 8 tägiger Behandlung munter entlassen wurde, 
bald darauf von neuem besinnungslos ins Krankenhaus kam und nach 4 Wochen 
plötzlich starb. Wie die Sektion ergab, war die Arteria vertebralis dextra 
zerrissen, und hatte zu einem Aneurysma geführt, das dann geplatzt war und 
den Tod herbeigeführt hatte. Der ursächliche Zusammenhang mit dem Trauma 
wurde noch dadurch bewiesen, daß keinerlei Gefäßerkrankung nachzuweisen war. 

_ Solbrig. 

O. Hygiene und öffentliehes Gesundheitswesen. 

Soziale Hygiene. 

Der Unterricht in der sozialen Medizin. Von Th. Rumpf-Bonn. 
Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 2. 

Ueber dieB strittige Thema äußert sich Rumpf, der selbst einen Lehr¬ 
auftrag^ für soziale Medizin besitzt, dahin, daß die soziale Medizin wichtig 
genug ist, um ihre Selbständigkeit im Rahmen des medizinischen Unterrichts 
zu erhalten. Es erscheint ihm auch erforderlich, daß die soziale Versichernngs- 
medizin als ein obligatorisches Unterrichtsfach bestimmt und im Staatsexamen 
als Prüfungsfach eingeführt werde. Der Unterricht in diesem Fach bedarf 
einer wesentlichen Erweiterung, indem u. a. auch die speziellen ärztlichen 
Pflichten bezüglich Anzeige und Bekämpfung der Infektionskrankheiten, die 
rechtliche Stellung des Arztes, die ärztliche Standeskunde und dergl. eingefügt 
werden. Dagegen ist es unnötig, Detailskenntnisse der speziellen Fürsorge 
für Säuglinge usw. in das Gebiet der sozialen Medizin einzubeziehen. Im 
ganzen sind für den fortlaufenden Unterricht 4—5 Stunden in der Woche 
während eines Halbjahrs nötig. Es wird empfohlen, die vorkliniscben Semester 
des ärztlichen Studiums um eins zu kürzen, ebenso das Praktikantenjahr auf 
ein halbes Jahr zurückzusetzen. So würde hinreichend Zeit gewonnen, ohne 
das Studium im ganzen zu verlängern, um den künftigen Arzt mit der sozialen 
Medizin hinreichend vertraut zu machen. Solbrig. 



438 


Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften. 


Wohlfahrtspflege and Arzt. Von Ministerialdirektor Prof. A. Gottstein. 
Zeitchrift f. soz. Hygiene, Fürsorge* and Krankenhauswesen, Jani 1921, Heft 12. 

Unter Hinweis auf den I. Deutschen Gesnndheitsfürsorgetag, auf welchem 
im Interesse der Sache dafür eingetreten wurde, daß den Aerzten and dem 
von ihnen vertretenen Fach das für ihr Wirken erforderliche selbständige Be* 
tätignngsfeld eingeräumt wird, betont Verfasser, daß es sich am einen alten 
Kampf am die Stellung der Aerzte handelt. Dieser sei bei den Beratungen 
über das Jagendwohlfahrtsgesetz wieder nea aasgebrochen. Er weist aas 
Schriften von Dr. Marie Kröhne and Dr. Marie Baum nach, daß den Aerzten 
mangelnde Eignung zu sozialer Arbeit nachgesagt wird und daß ihnen nicht 
immer frühzeitig genug bei Maßnahmen für die vorbeugende Gesundheits¬ 
fürsorge das Wort and die Mitarbeit verstattet wird. So hat z. B. die Toll 
ständige Unkenntnis der Feststellungen der Ernährungsphysiologie dazu ge* 
führt, die Volksernährung nur als ein Verwaltungsproblem und nicht als ein 
solches der Sozialhygiene anzasehen. Damit die Zusammenhänge, welche bei 
den verschiedensten Verwaltangsmaßregeln mit sozialhygienischen Beobach¬ 
tungen obwalten, rechtzeitig aufgedeckt werden, hat G. stets vorgeschlagea, 
daß in großen and mittleren Städten der Stadtarzt im Magistrat Sitz und 
Stimme haben sollte. Häufig werde zum Schaden der Sache der Arzt ent 
gehört, wenn der Laie glaubt, seine sachverständige Beratung nicht entbehren 
zn können. Weiter betont G., daß gerade führende und anf dem Gebiete der 
Wohlfahrtsfürsorge hochverdiente Frauen sich so sehr gegen die Forderungen 
der Aerzte einsetzen. G. hat dafür folgende 4 Gründe gefunden: a) für jede 
Frau ist mit der Gesundheitsfürsorge ein Stück Schönheitskultar verbunden, 
aber nicht im Sinne des Hygienikers, dem Schönheit und Gesundheit des Körper* 
dasselbe sind, sondern es handelt sich am eine Ausschmückung der Umgebang 
des Körpers; vereinzelt ist sogar die letzte ihr Hauptziel and die gesund¬ 
heitliche Fürsorge nar der Umweg daza. b) Frauen können zwischen Leiden 
and Krankheiten nicht unterscheiden and übertragen anf die letzteren die 
Forderungen, der Askese, d. h. sie unterschätzen ihre Bedeutung gegenüber der 
geistigen Zucht, c) Die Fraaen weisen die Rechnang für die im Kriege ge¬ 
leistete soziale Kriegsarbeit vor and verlangen die Begleichung derselben. Sie 
haben damit Erfolg gehabt, d) Die Behauptung, daß gewisse Fragen der 
persönlichen Frauenwürde weder Verständnis noch Beachtung bei den Männern 
finden, ist richtig, ebenso aber aach, daß auch die klügste and erfahrenste 
Frau selbst bei naturwissenschaftlicher Schalung für die Stellung des Manne* 
za einigen sexaalen Problemen kein Verständnis hat. — G. schließt: „Die 
Gleichberechtigung der fachmännisch vorgebildeten Frau ist überhaupt nickt 
angefochten, wohl aber maß man sich ganz entschieden dagegen wenden, daß 
der Fachmann zarücktreten soll, wo rein weibliche Aaffassang za ungutste* 
der sachlichen Lösung Alleinherrschaft beansprucht." Dr. Israel-Breslau. 


Wohlfahrtspflege, Arzt und Frau. Eine Replik. Von Dr. Marie Baum - 
Karlsruhe. Zeitschr. f. soz. Hyg., Fürsorge u. Krankenhauswesen, UI. Jahrg., H. 2. 

Als Erwiderung aaf obige Arbeit behauptet B., daß die Zahl der sozial 
geschalten Aerzte, derer, die ihrer Ausbildung und ihrer Einstellung nach dea 
Namen Sozialarzt verdienen, beute noch nicht groß ist. Das sei nicht Schuld 
der Aerzte, sondern lediglich Schuld der Ausbildung. Hierin sollte Wandel 
geschaffen werden und daran sollte die oberste Zentralbehörde ihren Einfluß 
geltend machen, wie auch die Fraaen im gleichen Sinne hierin arbeiten, wo sie 
Einfluß haben. Die Schwierigkeiten, welche bei der gemeinsamen Arbeit er¬ 
wachsen, liegen nicht bei den Frauen, sondern innerhalb des der gesamten 
Entwicklung der Wohlfahrtspflege nicht ungefährlichen Einflusses des büro¬ 
mäßigen Apparates, wo das Verständnis für den Unterschied der starren und 
lebendigen Form der sozialen Arbeit vielfach völlig verkannt wird. Frauen 
und Aerzte sollten sich zur Abhilfe dieses Uebelstandes die Hand reichen. 
Gesundheitliche, wirtschaftliche und Erziehungsfürsorge bilden eine Einheit, 
Fürsorgerin und Arzt müssen sich ergänzen und die innerliche Zusammen¬ 
gehörigkeit in der Arbeit anerkennen. Eingehend auf die Gründe, welche sich 
speziell gegen die Frauen richten, vermag Frau B. mit dem unter a) an¬ 
geführten Motiv nichts anzufangen und kann darauf nicht antworten. Zu b) 
will Frau B. von der heiligen Unteilbarkeit des Menschen nicht lassen, dessen 
Schicksal durch die soziale Fürsorge beeinflußt werden soll. Za den psychische* 



Besprechungen. 


439 


Hilfsfaktoren rechnet sie auch die Stärkung des Lebenswillens und die Be¬ 
einflussung seiner Lebensgestaltung durch die helfende Kraft eines anderen 
Menschen. Dies gelte nicht bloß für ansgesprochene Krankheitserscheinungen, 
sondern besonders für die vorbeugende Gesundheitsfürsorge. Zucht und Sitte 
dtlrfe jedoch nicht mit Askese verwechselt werden. Ganz besonders leiden¬ 
schaftlich wendet sich Verfasser gegen den Punkt c). Die Frauen haben das, 
was von ihnen im Kriege gefordert wurde, selbstverständlich getan und es 
liege ihnen fern, Vorteile daraus ziehen zu wollen. Die seit 1919 von ihnen 
vertretenen sozialen und sozialpolitischen Forderungen hätten ihre Wurzeln in 
einer viel früheren Zeit. Sie hält es für die Aufgabe der Frau, das ihr aus 
der Familie vertraute Gefühl der Ganzheit und Unteilbarkeit von Lebens¬ 
schicksalen wieder in das Gebiet der Wohlfahrtspflege zu tragen. Der Sozial¬ 
arzt, die sozial empfindende und geschuldete Frau, sie können einander in ihrer 
Arbeitsweise sehr nahe stehen. Dr. Israel-Breslau. 


Was will die Bassenhygiene? Von Dr. H. W. Sie mens -München. 
Zeitschrift für Säuglingsfürsorge, 1920, H. 5—6. 

Der Geburtsrückgang bedroht uns nicht nur in quantitativer Einsicht, 
sondern er bewirkt auch eine fortschreitende Verminderung der durchschnitt¬ 
lichen Tüchtigkeit unseres Volkes, er bewirkt einen Bassenverfall. 

Dr. Wolf-Hanau. 


Gesundheitlicher Rechtsschutz der Ehe. Von Dr. G. Mamlock- 
Berlin. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 1921, Nr. 6. 

Es wird eine bemerkenswerte Stellungnahme des Kammergerichts zu der 
Frage ärztlicher Ehe-Beratung mitgeteilt. Ein Bräutigam wollte die Ver¬ 
lobung zurückgehen lassen, weil die Braut sich nicht vor der Eheschließung 
ärztlich untersuchen lassen wollte. Das Kammergericht hatte dieses Verlangen 
eines Verlobten, nämlich bei Auftreten besorgniserregender gesundheitlicher Er¬ 
scheinungen (was hier vorlag!) vom andern Verlobten ärztliche Beratung und 
Begutachtung einzuholen, gebilligt. Solbrig. 


Besprechungen. 

Baus Muoh: Die Partialantigengesetze und ihre Allgemeingttltigkeit. 

(Erkenntnisse, Erlebnisse, Erstrebnisse). 70 Seiten mit 2 Tafeln. 

Curt Kabitschs Verlag, Leipzig. Preis 8 Mark. 

Die Methode der Tuberkulosebehandlung mit Partialantigenen des 
Tuberkelbazillus nach Deyke und Much findet heute bereits ausgedehnte 
Anwendung. Der Wert dieser Methode ist keineswegs unbestritten. 

In der vorliegenden programmatischen, im Tone eines Künders neuer, 
umwälzender Wahrheiten gehaltenen Schrift geht Much von der These aus, 
daß die Partialantigene eine Gültigkeit schlechthin haben. Sie gelten nach 
ihm „nicht nur für Krankheitserreger, sondern auch für Krankheitserzeugnisse 
(Krebszellen) und weiterhin für alle zusammengesetzten reizhaften (reaktiven) 
Stoff- und Kraftmischungen“. Wesen und Wirkung der Antigene, d. h. der 
Stoffe oder Kräfte, die im lebenden Körper einen Beizzustand, d. b. eine 
Störung des Gleichgewichtes irgendwelcher Art hervorrufen, faßt er in „Ge¬ 
setzen“ zusammen, deren erstes und wichtigstes ist: Jedes natürliche Antigen 
besteht aus Teilbestandteilen, aus Partialantigenen, die durch Aufschließung 
des Antigens mit möglichst schonendem Darstellungsverfahren gewonnen 
werden (nach Deyke und Much z. B. durch längere Einwirkung von Milch¬ 
säure auf die Bazillen bei 56°). Jedes Partialantigen hat einen besonderen 
Partialantikörper. Nicht nur Eiweiß, sondern auch Lipoide und Fette können 
als Partialantigen wirken. Die Beizzustände, durch die einzelnen Partialan¬ 
tigene hervorgerufen, sind nicht nur in ihrer Art, sondern auch in ihrer Be¬ 
deutung verschieden. Es gibt günstige und ungünstige Beizzustände. So sind 
die Reaktionen gegen 3 der 4 Partialantigene des Tuberkelbazillus günstig, 
gegen das 4. ist sie ungünstig. Weiter schildert Much die Anwendung der 
„Partigengesetze“ auf die pathologische Biologie; Blu timmuni tät, Zellimmunität. 
Die letztere erzeugt die erstere; die Zellimmnnität, die beständiger ist, ver¬ 
stärkt rückwirkend die wandelbare Blutimmunität. Eine Begleiterin der Im- 



440 


Besprechungen. 


munität ist die Ueberempfindlichkeit; sie ist eine Gleichgewichtsrerschiebung 
im günstigen Sinne, wenn sie sich gegen den Erreger richtet (Abbauüber- 
empfindlichkeit). Daneben gibt es eine höchst bösartige Umstimmung gegen¬ 
über Giften (z. B. gegen Tuberkulin); Giftüberempfindlichkeit. 

Much erläutert dann vom Standpunkte des Partigenforscbers aus die 
biologischen Heilverfahren, die übertragene Immunität, die Vaccinetherapie, die 
Schutzimpfung und noch verschiedene andere Probleme der ImmunitätsWissen¬ 
schaft. Alles in allem eine zum mindesten geistreiche, anregende Schrift. 

Wie viel von den „Erkenntnissen, Ergebnissen, Erstrebnissen* gesicherter 
Besitz der Wissenschaft wird, muß die Zukunft lehren. Kathe-JBreslau. 


Dr. Traugott Baumg&rtel: Die staatlichen Bestimmungen über die 
Ausführung der Wassermannschen Reaktion. Erläutert für prak¬ 
tische Aerzte und Untersucher. J. F. Lehmanns Verlag, München 1922. 
Preis 7,50 Mark. 

Mit den zahlreichen Monographien über die Wassermannsche Reaktion 
will die nur 32 Druckseiten umfassende Abhandlung Baumgärtels nicht in 
Wettbewerb treten. Gleichwohl halte ich sie für recht wertvoll und möchte 
wünschen, daß sie von jedem Wassermannlaboratorium angeschafft und dort 
von dem ärztlichen, wie dem technischen Personal auch gründlichst gelesen wird. 

In „kritisch-historischen Vorbemerkungen* gibt £. einen kurzen [Jeber- 
blick über die Grundlage und die Entwicklung unserer Anschauungen über 
das Wesen der Wa. R. In der Hauptsache aber erläutert er die am 1. 1. 1921 
in Kraft getretenen staatlichen Bestimmungen und zwar einmal der Anleitung 
für die Ausführung, der Wa. R. und dann die Vorschriften über die bei der 
Wa. R. zur Anwendung kommenden Extrakte und Amboceptoren. Wertvoll 
erscheinen mir besonders seine, offenbar auf große eigene Erfahrung gegrün¬ 
deten kritischen Bemerkungen über die zahlreichen Fehlerquellen der Reaktionen, 
die dem doch sonst mit leidlich zuverlässigen Methoden arbeitenden Serologen 
die Wa. R. nie so recht zu einer Quelle reiner Freude werden läßt. Deswegen 
stehen wir Serologen ja wohl meist auch der Wa. R. wesentlich skeptischer 
gegenüber als der Praktiker, für den wir arbeiten. Käthe-Breslau. 


F. A. Hoffmann P. o. em. an der Universität Leipzig: Die Reiohsver- 
Sicherungsordnung nach der Vorlesung für Juristen und Aerzte. 
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel 1921. Geh. 65 S. Preis 20,00 Mark. 

Die Schrift verfolgt den Zweck, juristische und medizinische Gedanken¬ 
gänge miteinander in Einklang zu bringen. 

Verf. hält die allgemeine Zwangsversicherung, zu der die Verschiebung 
der Besitzverhältnisse nötige, für erforderlich. Er erhofft davon eine Ver¬ 
minderung der Klassengegensätze und eine Erhöhung des Verantwortungs¬ 
gefühls, wenn der einzelne die Beiträge selbst zahlen müsse, statt der Ein¬ 
ziehung durch die Arbeitgeber. 

Es werden nicht alle Aerzte sich dieser Ansicht anschließen, ebenso, 
wie der, daß der gegenwärtige Zustand der Kurpfuschereigesetzgebung be¬ 
friedigend sei und daß die Aerzte bei der Bekämpfung der Kurpfuscher mehr 
in den Hintergrund treten sollten. 

Die beiden Hauptabschnitte behandeln Kranken- und UnfallgeBetzgebung. 
Bei der Durchführung der Krankenversicherung ergeben sich die Haupt¬ 
schwierigkeiten aus der Unklarheit des Begriffes der Krankheit, wie Verf. aas 
eingehend an den Symptomen des Schmerzes und Schwindels zeigt Auch 
Arbeitsfähigkeit und besonders Behandlungsbedürftigkeit sind recht schwan¬ 
kende Begriffe. Darch diese Unklarheiten, und auch durch die sich oft wider¬ 
sprechenden ärztlichen Zeugnisse wird dem Juristen die Beurteilung stark 
erschwert, bei Fragen der Krankenversicherung nicht weniger, als bei solchen 
der Unfallversicherung. Bei der Besprechung der letzteren verurteilt Verf. 
mit Recht scharf die Neigung vieler Gutachter, durch Spitzfindigkeiten Zu¬ 
sammenhänge zwischen Unfällen und Neurosen, sowie allerlei Spätfolgen ia 
konstruieren. Die Entschädigung der letzteren lehnt er als „weder ethisch 
noch medizinisch zu rechtfertigen“ ab. 

Die staatliche Arbeitslosenversicherung wird verworfen. Verf. will sie 
durch eine großzügige Regelung des Arbeitsnachweises und der Arbeitsver¬ 
mittlung ersetzen. 



Tagesn&chrichten. 


441 


Die Lektüre des Baches, das den Inhalt einer reichen Lebenserfahrung 
darbietet, wird nicht nur für Juristen und Verwaltungsbeamte, für die es wohl 
hauptsächlich geschrieben ist, sondern auch für Aerzte, besonders für solche, 
die viel als Gutachter tätig sind, von großem Interesse und Nutzen Bein. 

_ Richter- Münsterberg. 


Brauer (Hamburg): Die Ruhr, ihr Wesen und ihre Behandlung. Berlin 
(Kornfeld) 1922. 118 8. 

Die erste Auflage dieses Buches wurde von Brauer während seines 
Aufenthaltes in Palästina als beratender Innerer einer Armee geschrieben und 
infolge einer milden Spende den Feldärzten zur Verfügung gestellt. Die jetzige 
Auflage ist von Theys ausgearbeitet und um die Erfahrungen, die im Heimat¬ 
gebiet und im Eppendorfer Krankenhaus gemacht waren, bereichert. Aus dem 
Bache spricht eine gewaltige Erfahrung, große Gewandtheit und Frische in 
der Darstellung, ein feinfühliger Instinkt für das Richtige unter den vielen 
schwankenden Angaben anderer Beobachter. Krankheitsbild, Differentialdiagnose, 
Diätfragen sind mit souveräner Beherrschung behandelt. Ob es nötig ist, jetzt 
noch Mittel, die man sich wohl nui mit Schwierigkeiten und teilweiso nur aus 
dem Ausland verschaffen kann (Granatrinde, Simaruba, Akazien- und Krameria- 
sirup) und die doch wohl nur als Tanninträger dienen, den deutschen Aerzten 
zu empfehlen, möchte ich dahingestellt lassen. . Für den Medizinalbeamten ist 
Epidemiologie und Prophylaxe etwas kurz, Vergleichungen mit-den großen in 
Preußen beobachteten Epidemien fehlen. Die Literatur ist nur berücksichtigt, 
wie sie gerade dem Autor über den Weg lief. Die Kurve Fliegen und Ruhr¬ 
fälle ist ohne Erklärung nicht verständlich. Gumprecht-Weimar. 


Kaiser (München). Die syphilitischen Erkrankungen in der All¬ 
gemeinpraxis. München (Lehmann) 1922. 366 S. 90 Mark. 

Das Bach ist für den praktischen Arzt geschrieben, verzichtet auf Dar¬ 
stellung von Kontroversen und auf Literaturangaben ebenso wie auf historische 
Betrachtungen; es enthält einen allgemeinen Teil von nur 16 Seiten, dem dann 
die Spezialgebiete, Haut, Eingeweide, Ohr, Augen, Nervensystem, kongenitale 
Lues, chirurgische Affektionen folgen. Die Spezialgebiete sind wohl etwas 
lang geraten, da sie alle von besonderen Sachverständigen bearbeitet wurden. 
Das Hautkapitel erscheint allerdings nur so lang, weil es die Therapie enthält, 
die eigentlich in das Allgemeine gehörte. Interessant für den Medizinalbeamten 
ist das hier abgedruckte Mulzer’sche Merkblatt, das jedem in Behandlung 
befindlichen Syphilitiker vom Arzt mitgegeben werden soll und in der Tat sehr 
wohl überlegt und zweckmäßig ist, aber jetzt wohl durch die vom Reiche 
aufgestellten 2 Formulare ersetzt werden muß. Das Buch ist dem Praktiker 
zu empfehlen. _ Gump recht-Weimar. 


J. Sohwalbe (Berlin). Diagnostische und therapeutische Irrtttmer und 
deren Verhütung in der Kinderheilkunde. Leipzig, G. T h i e m e. 1922. 
Die neuesten Hefte dieses verdienstvollen Lehrwerkes stehen auf der 
gewohnten Höhe; besonders eingehend und interessant ist H a p p e r t (Wien): 
Krankheiten des Nervensystems im Kindesalter. Die andern Autoren, Körte 
(Berlin), Stock (Tübingen), Fehling (Baden-Baden) behandeln Einzelthemata 
ihrer Disziplinen. Gump recht-Weimar. 


Tagesnachrichten. 

Wie bekannt, hatte der Staatsrat für Preußen beschlossen, das Zwangs- 
pensionlerungggesetz auf die Dauer, von zwei Jahren außer Kraft zu lassen. 
Das Preußische Abgeordnetenhaus ist, wenn die bei dem infolge Buchdrucker¬ 
streik in Berlin nur äußerst spärlich dem Schriftleiter in seinem Urlaubs¬ 
aufenthaltsort zugänglichen Zeitungsnachrichten recht haben, diesen Beschluß 
nicht beigetreten, und zwar mit großer Mehrheit, da nur die Deutschnationalen 
und ein Teil der Volksparteiler für die Außerkraftsetzung waren. Danach 
würde es also bei der Zwangspensionierung nach vollendetem 65. Lebensjahr 
verbleiben 1 



442 


T&gesnadmchteo. 


Gleichzeitig mit der diesjährigen S7. Nitirfonckerrtmianlnf 
(Hundertjahrfeier) in Leipzig rindet die XII. Tagvug der Deutschem Ge- 
sellsehaft für gerichtliche und soziale Medizin in der Zeit Tom 18. bis 
2 3. September im Institut für gerichtliche Medizin. Johaamsallee 28, statt. 

Vorträge and Demonstrationen sind möglichst umgehend dei dem 
Scbriftfttrer der Gesellschaft Prof. Dr. Karl Beut er, Hamburg 23, Hagenau 10, 
anzumelden. 

Fritz Reuter, Graz; M. Nippe, Greifswald; Karl Reuter, Hamborg; 
Vorsitzender. Schatzmeister, Schriftführer. 

R. Ko ekel, Leipzig; Einführender. 


Wie die Zeitungen melden, finden mit Rücksicht auf die fortschreitende 
Geldentwertung und Teuerung — die Steigerung der Reichsindezziffer be¬ 
trägt im Juni gegenüber dem Mai 9.2 v. H., gegen 9 t. E von April zum Mai — 
Verhandlungen zwischen den einzelnen Beamtenorganisationea statt, um eine 
neue Teaerangsaktion in die Wege zu leiten. 

Warum entschließt man sich nicht, von Monat zu Monat dem Teuerungs¬ 
index angemessene Teuerungszulagen automatisch! ein treten zu lassen? Das 
Verfahren hat sich doch in größeren industriellen Betrieben und dergL längst 
bewährt! 


ln München ist die Errichtung eines eigenen Städtischen Gesund« 
heitsamts mit einem ätadtarzt als berufsmäßigem Stadtrat an der Spitze 
beschlossen. 


Die noch immer umstrittene „Wünschelrutenfrage“ ist von Geheimrat 
Prof. Dr. J. Walther, der als bestbekannter Geologe gilt, zum Gegenstand 
eines Vortrages gemacht worden. W., der „selbst lange Jahre den Ruten- 
Problemen ablehnend gegenüber gestanden hat“, hat durch die Beschäftigung 
mit dem „Wünschein“ folgende wahrscheinliche Voraussetzungen zu eint»« 
Rutenausschlag erkannt; 1. einen natürlichen Zustand der Erdrinde unter der 
Rutenstelle, die von ihrer Umgebung verschieden ist; 2. die besondere an¬ 
geborene Reizbarkeit gewisser Gewebe des Rutengängers; 3. seine durch Uebuag 
erworbene Fähigkeit von den vielen schwachen Reizen, die auf ihn ein wirken, 
denjenigen herauszulesen, der nach seinen Erfahrungen auf einen bestimmtes 
Zustand des Teiles der Erdrinde schließen läßt. Seine bisherigen Erfahrungen 
und Beobachtungen faßt er in folgende Sätze zusammen: „Die Wünschelrute 
ist kein mystischer Zauberstab, sondern ein mechanisches Hilfsmittel, um 
nervöse Reizzustände sichtbar za machen. Es gibt eine geringe Zahl von 
Menschen, deren Nervensystem durch örtliche Zustände oder Vorgänge unter¬ 
halb der Erdoberfläche in einen Reizznstand versetzt wird, der in ihren Ge¬ 
weben fühlbar oder an den Bewegungen ihrer Muskeln mit oder ohne Wünschei* 
rote sichtbar wird. Nach längerer Uebnng sind solche Menschen imstande, 
aus diesen Reflexen auf die unterirdische Verteilung von gasförmigen (Kohlen¬ 
säure, Kohlenwasserstoffe), .flüssigen (gespanntes Wasser, Salzsole, Mineral¬ 
wasser) oder festen (Kohle, Salz, Kalisalz, Metalle) Bodenschätzen mit größerer 
oder geringerer Sicherheit za schließen. Ueber die wirklichen Ursachen dieser 
Reizerscheinungen und deren Anslösang sind wir noch ganz im Dunklen, und 
die bisher darüber aufgestellten Hypothesen können vor einer ernsthaften 
wissenschaftlichen Kritik nicht bestehen. Nur langjährige vergleichende geo¬ 
logische und psychologische Untersuchungen können eine Aufklärung dieser 
Zusammenhänge herbeiführen.“ (Wasser und Gas, 1922, Nr. 28). 


An der Preußischen Hochschule für Leibesübungen in Spandau findet 
vom 8.—18. August unter der Leitung von Med.-Rat Prof. Müller ein 
Fortbildungsknrsus in Leibesübungen für Aerzte statt (Beginn: 8. August 
1922, morgens 9 Uhr). Außer einigen von der Medizinalverwaltung einbernfenen 
preußischen Medizinal beamten können daran Schulärzte, Stadtärzte und prak¬ 
tische Aerzte (auch Assistenten) ans Preußen nnd anderen Bundesstaaten teil* 
nehmen. Preußische Teilnehmer erhalten die Fahrkosten 3. Klasse für Hm* 
und Rückfahrt sowie eine tägliche Beihilfe von 30 M. einschL der Reisetage. 



Tagesnachriohten. 


443 


Eine entsprechende Vergütung an außerpreußische Teilnehmer richtet sich nach 
der beantragten geldlichen Beteiligung des Reiches. Ausreichendes Mittag¬ 
essen zum Preise von 7 M. (anßer Sonntags) wird von der Volksküche Spandau 
in den Bäumen der Hochschule nachgewiesen, wo sich die Teilnehmer am besten 
am 7. Angust im Laufe des Nachmittags oder Abends melden. Preußische 
Aerzte wollen ihre Meldungen an den zuständigen Regierungspräsidenten ein¬ 
reichen, außerpreußisebe Aerzte unmittelbar an das preußische Wohlfahrts- 
ministerium in Berlin. 


Ostdeutsche Sozial-Hygienische Akademie. Der nächste Kurs zur 
Ausbildung von Kreis-, Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzten, der den Be¬ 
stimmungen der neuen Kreisarzt-Prüfungsordnung entspricht, wird vom 
26. September bis 23. Dezember 1922 in Breslau abgehalten werden. 
Anmeldungen und Programme durch das Sekretariat der Akademie, Breslau XVI, 
Maxstr. 4. 


Am 24. Mai fand die 6. Tagung der kommunalen Vereinigung für 
Gesundheitsfürsorge im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in Mül¬ 
heim (Ruhr) statt, auf der besonders die Frage erörtert wurde, wie am zweck¬ 
mäßigsten das kommunale Gesundheitswesen zu organisieren sei. Hierüber 
referierte Med.-Rat Gasters-Mülheim und Oberbürgermeister von Wedel- 
s t a e d t - Gelsenkirchen, wonach es zu folgender Resolution kam, die zweifellos 
allgemein und besonders auch die Medizinalbeamten interessieren wird: 

„Die kommunale Vereinigung für Gesundheitsfürsorge im rheinisch-west¬ 
fälischen Industriegebiet ist von der ungeheuren Wichtigkeit planmäßiger Ge¬ 
sundheitsfürsorge in unserem Volke durchdrungen und spricht sich deshalb 
für die Schaffung und Unterhaltung kommunaler Gesundheitsämter in allen 
großen Kommunalverbänden aus. Zu ihrem geschlossenen Arbeitsbereich müssen 
alle Angelegenheiten vorwiegend gesundheitlicher Bedeutung gehören. An 
ihrer Spitze muß ein besonders geeigneter beamteter Arzt stehen, der nicht nur 
gutachtlich, sondern leitend und auch führend tätig zu sein hat und der des¬ 
halb Vorgesetzter der Beamten und Angestellten seines Verwaltungsbereiches, 
namentlich der in diesem tätigen Fürsorgerinnen sein muß. Ihm ist im Inter¬ 
esse der Sache die Möglichkeit gutachtlicher Aeußerung zu allen sonst im 
Bereich der ganzen Stadtverwaltung auftauchenden Fragen zu sichern." 


Tagesordnung für die X. Versammlung der Vereinigung Deutscher 
Schul- und Fürsorgeärzte am 10. Septemberl922imRömerinFrank- 
f urt a. M. 

Samstag, den 9. September 1922, von abends 8 Uhr ab, zwang¬ 
loser Begrüßungsabend im Restaurant „Thomasbräu", Börsengebäude, Schiller¬ 
straße, Haltestelle Hauptwache. 

Sonntag, den 10. September 1922, vormittags 9 Uhr, Haupt¬ 
versammlung der Vereinigung Deutscher Schul- und Fürsorgeärzte in der 
Geschlechterstube des Römers. 

„Die Aufgaben und Grenzen der schulärztlichen Tätig¬ 
keit“. 1. Berichterstatter städtischer Kinderarzt Dr. Th. Hof f a-Barmen. — 

2. Berichterstatter Schularzt Prof. Dr. Alfred Le wand owski-Berlin. — 

3. Berichterstatter Stadt-Med.-Rat Dr. Oxenius-Frankfurt a. M. 

Nachmittags 3 */* Uhr :Mitgliederversammlungin der Geschlechter¬ 
stube des Römers. 1. Derzeitiger Stand der Honorarverhältnisse der neben- 
und hauptamtlichen Schul- und Fürsorgeärzte. Berichterstatter: Stadtschul¬ 
arzt Dr. Rothfeld-Chemnitz. — 2. Tätigkeitsbericht des Geschäftsführers. 
Kassenbericht des Schatzmeisters. — 3. Satzungsänderungen. — 4. Wahlen. — 
6. Verschiedenes. 

Abends 8 Uhr: Gesellschaftsabend gemeinsam mit dem Deutschen Verein 
für öffentliche Gesundheitspflege im Römer. Darauf Begrüßung im Kaisersaal 
und kurzer Vortrag in der großen Römerhalle über Alt-Frankfurt, mit gemüt¬ 
licher gegenseitiger Aussprache bei gemeinsamer Eß- und Trinkgelegenheit. 



444 


Tagesaachrichten. 


Tagesordnung für die 18. Jahresversammlnng des Deutsches Vereint 
für Schulgesundlieitspflege am Mittwoch, den 13. September 1922 
im Börner in Frankfurt a. M. 

Dienstag, den 12. September 1922, von abends8 Uhr ab. Unter» 
haltongs- and Begrüßangsabend im Restaurant „Steinernes Haus" nahe dem 
Börner. ' 

Mittwoch, den 13. September 1922, Tormittags 8*/. Uhr: Mit¬ 
gliederversammlung in der Geschlechterstube des Börners. 

1. Eröffnung durch den Vorsitzenden. — 2. Tätigkeitsbericht des Ge¬ 
schäftsführers. — 3. Kassenbericht des Schatzmeisters. — 4. Wahlen. — 5. Ver¬ 
schiedenes. 

Vormittags 10 Uhr: Hauptversammlung in der Geschlechterstabe 
des Börners. 

„Wie weit läßt sich die auf kulturellem Gebiete er¬ 
forderliche Sparsamkeit mit den Forderungen der Schul¬ 
gesundheitspflege in Einklang bringen! 1 “ 1. Berichterstatter: 
Prof. Dr. S e 11 e r - Königsberg i. Pr. — 2 Berichterstatter: Geh. Baorat Dr. 
Ha ne-Berlin. — 3. Berichterstatter: 

Nachmittags 3 Uhr: Besichtigungen nach näherem Programm. Gleich¬ 
laufend für Damen Stadtführung. 

Donnerstag, den 14. September 1922: Ausflug auf die Weg- 
scheide bei genügender Beteiligung. 


Nach einem Bericht des Schweizerischen Gesundheitsrates 
hat in der Schweiz im Jahre 1921 eine Blatternepidemie geherrscht. Die 
Zahl der Erkrankungen betrag 696, darunter 8 Todesfälle. Von den Ver¬ 
storbenen sind 7 nicht geimpft und 1 wieder geimpft; von den Erkrankten nur 
23 geimpft, 16 wieder geimpft und 359 ungeimpft; bei 198 war der Haupt- 
zustand unbekannt. Mit Recht heißt es in dem Bericht „Eine richtige Durch¬ 
impfung der Bevölkerung *) würde die Pocken ohne weiteres zum Verschwinden 
bringen und den Gemeinden und Kantonen sowie dem Bunde die großen 
Aufgaben ersparen, die ihnen für Epidemien, wie sie das Jahr 1921 zu ver¬ 
zeichnen hatte, erwachsen“. Nach Annahme des Gesundheitsamtes haben die 
Gesamtkosten für diese Epidemie eine halbe Million Franken überstiegen. 

(Münchener med. Wochenschrift; Jahrg. 1922, Nr. 26.) 


*) In der Schweiz ist die Regelung der Schutzpockenimpfung den ein¬ 
zelnen Kantonen überlassen und unter dem Einfluß impfgegsodscher Be¬ 
strebungen in verschiedenen Kantonen die obligatorische Impfung und Wieder¬ 
impfung wieder abgeschafft. 


Mitteilungen an die Leser. 

Der Schriftleiter macht erneut darauf aufmerksam, daß bei 
Anfragen zur unmittelbaren Beantwortung das Porto beigefügt 
werden muß. 

Es ist ferner darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht 
angängig ist, Dienstmarken bei Einsendung von Manuskripten 
eder Anfragen zu verwenden. 


Verantwortlich für die 8chrifÜeittmg: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat ln Bmlau 
Brealan V, Rehdigerstraße 84. — Druck ron J. O. C. Bram, Minden I. W. 




35. Jahro. Nr. t5 


ZEITSCHRIFT *■*+**■ - 

MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegründet und von 1892 bis 1022 herausgegeben von Geh. Med.- Rat Prot. Or. RAPMUND. 

Zentralblatt 

flr das gesamt« Gebiet der gerlcbtlicben Medizin and Psychiatrie, des Staat' 
lieben und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal' und 
fiffentllche .Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene. 

Her&usgegeben von 

Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober«Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München, 
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer -Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. £. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttiagon, Prof.. 
Dr.*Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 

Offizielles Organ des Deutschen. Prensslschen. Bayerischen, Sächsischen, 
WQrttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen, Thüringischen 
and Braunschweigischen Medlzlnalbeamtenverelns. 

Eins Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzggbnng. 

Schriftleitung: Verlag: 

Geb. HetL-Rat Dr. Solbrig, Ftscber’s med. Bochhandlong H. Kornfeld, 

leg.- e. Hat.-Kat ln Breslau. ' larlln V. 62, KelthslnOa 5. 

Bezugspreis für da« Jahr: 100 durch die Post bezogen: 103 M. 


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wirkt stark herabsetzend auf dies Erregbarkeit 
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bunden mit Expectorantien oder Guajacolpräparaten. 

Ausführliche Prospekte, Literatur, Rezeptformeln 
sowie Proben kostenfrei durch 

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35. J&hrg. 


Zeitschrift für Medizinslbe&mte. 


Nr. 15. 


INHALT. 


Abhandlungen: 

ISftf hkomrhfn^^ haff^hy^if oe and ^ hale. Von 

Vr. Heinrich Berger ..445 

Zu Yonrcbt&gen 4<r „*t>*kr*tea“’ B*- 

kimpfqir^ «iPMhiecbiAronkbviU'D 

Von Dr. Lortntzes , . * . . 44 ^ 

Be*prechange& 455 

Ta#<?#naob richten.456 


j Dr. SolbHe: «Sonfeti, Boifuan^n niici 

W Hji.sc.he , . .. , . . 453 

• Dr. Rogowski: Zar Ertaubung de« Jahr^- 

bvitraj'M . . v *. 46i 

; Beilage 

HerbwprcChang ...... r . « <gfy 

M»dL*LnaIff^-1*^chung* . . . » . . rty 

Umschlag : Ptr»onalien. 


Geschäftsstelle und Versand für die Mitglieder des Medizinaibeamtea* 
vereine durch 3. C. C, BRÜNS, Bachdruchertf, MINDEN 1. WESTF. 

A nze i gen - A n n a h m e und verantwortlich für den A n zei g en t eiI: 
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstraße 28. 

Außerdem werden von sämtlichen Anzfigen-Annahmestellen des In- und Auslandes 
Anzeigen angenommen. i»ie durchgehende Petitzeile kostet M. 2,50. 

Personalien. 

Deutsche* Reich und Freussen. 

Verabschiedet auf eigenes Ersuche»; Reg.-Rat Dr. G iin ter im Reich*- 
geaumdbeitsamt. 

Ernannt: Prof, für Seuchenbekämpfung und Yeteriniirpolizeu Hygiene 
und Bakteriologie an der Tierärztl. Hochschule in Hannover, Dr. H. Mie fixier, 
und Oberbürgermeister Dr. Luther in Essen zu Mitgliedern des Preußischen 
Landesgesundheitsrates; zum kommissarischen Kreismedizinalrat io Usingen 
Dr. Erb; zu Kreisroedizinalräteo: die Kreisassistenzärzte Dr. Helming 
in Ahaus, Dt. Hartwich in Nienburg, Dr. Beyreis in Dramburg; zum 
Direktor des Medizinal an tersuchungsamts in Düsseldorf: Dr. Klein, bisher 
Assistent am Hygienischen Institut in Köln: zum kommissarischen Gerichts- 
arzt: Dr. Vorkastner in Greifs waid; zu Kreisassistenzärzten : Dr. Lu b e n a u 
in tftentsek, Dr, Beck er t in Maffen, 














Zeitschrift für Medizitmlbefttnie. 


Tersetit : Kreismod.- fiat ftrüt • l)f;. W. ywä VfaidbröI niÄb K6siio, 

KreTsjrnRÜ.-Kftt 0r. Miibius vo» Meidats Hilfsarbeiter an die Segiefn.Bg ln 
Xtfin, K;reiätßed.*Eat Dr. lt u d o 1 p h y ?ös Hüi rt&ch XriJiäa&sistöaizaTzt 

iJp. Olim v«u Oppeln nach Firm. •■*'•■ * ; . ■■■ :yJ \:;•;• ’ ." 

Württemberg, 

VefSiWi'.’iJiedet anf eigenes Ersuche»: OberamUferzt Med.*Rat Dr. Essig 
in Ravens karg, 

Oideahnrg. 

y^ttäMR i Die Dienst bezeif-bnang M ed.* R a t: den Amtsärzten Dr, Rau 
in Westem,ed«,^fieberdiag in 7atö, Peters in Jever und Lühbers in 
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Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.- Ra! Prol. Or. RAPMUND. 

Zentralblatt 

fOr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für aas Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der pKakt. u. sozialen Hygiene 

Her&osgegeben von 

Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München, 
Prof. Dr. Kanp-München, Geb. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Querfurt, Med.-Rat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schultze - Göttingen, Prof. 
Dr. Sieyeking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 

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lag.- 1. lad.- lat li Braslaa. Berlin V. 62, Kelthstrafie 5. 

Bezugspreis ffir das Jabr: 100 M.. durch die Post bezogen: 103 M-* 


Nr. 15. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monats 


5. Aug. 


Nachkonunenschaftshygiene und Schule. 

Zu Gregor Mendels hundertjährigem Geburtstag. 

Von Dr. Heinrich Berger, Reg.- und Med.-Rat in Düsseldorf. 

Unbeirrt von der Parteien Gunst und Haß zieht die 
Wissenschaft ihre Kreise und stellt ihre Kräfte in den Dienst 
der reinsten Idee. Der Natur folgend, die nicht bloß physi¬ 
kalische Wettkämpfe aufführt, sondern nach geistigen Prinzipien 
zur Form, zur Auslese des Schönen und Guten drängt, will sie 
den Menschen zum Glück führen. 

Die Gesundheitswissenschaft, die vermöge des Objekts 
ihrer Betätigung unter allen Wissenschaften einen der ersten 
Plätze einniramt, beschäftigte sich erst vorwiegend mit der Um¬ 
gebung des Menschen; dann erfaßte sie als soziale Hygiene 
den Menschen und seine Nachkommenschaft, ja, sie griff über 
die Grenzen Wiege und Bahre hinaus und wollte in der Säug¬ 
lings- und Mutterfürsorge schon den werdenden Menschen unter 
Bedingungen bringen, die eine gesunde Säuglingszeit und da¬ 
mit gute Aussichten der Aufzucht und der zukünftigen Gesund¬ 
heit gewährleisten. 

Die soziale Hygiene wendet sich dabei auch im wesent- 










446 


Dr. Heinrich Berger. 


liehen wie überhaupt und wie die gesamte Hygiene an das 
Menschenkind, wenn es da ist, an das lebende Geschlecht, für 
das die Verhältnisse der gesamten Umwelt von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung sind. 

Die Hilfe, die Hygiene und soziale Hygiene dem Menschen 
bringen, steht bei manchen zu Unrecht in dem Geruch, daß 
sie das Verantwortungsgefühl herabsetze und die natürliche 
Auslese, die für das Höherzüchten aller Wesen Bedingung ist, 
zu beeinträchtigen geeignet sei, ich sage zu Unrecht, denn 
einzig richtige soziale Hygiene will durch planmäßige Arbeit 
und planmäßige Beseitigung von derzeitigen Uebelständen sich 
selbst das Objekt der Betätigung entziehen und dadurch über¬ 
flüssig machen. 

Da bei den Fortschritten nach allen Richtungen immer 
neue Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt eintreten, 
so wird auch die soziale Hygiene nie ersterben, im Gegenteil, 
sie ist die Wissenschaft der Zukunft, auch sie wird wie alles 
nach eigenen Gesetzen immer neue Formen suchen, auch wenn 
ihr Objekt, der Mensch, in Abermillionen von Jahren eine 
weitere Entwicklung aus seinem jetzigen Zustand genommen 
hat, wie sie in den bisher ins Meer der unsichtbaren und 
sichtbaren Geschichte gefallenen vom Nebelfleck an vor sich 
gegangen ist. 

Die soziale Hygiene will das Verantwortungsgefühl gar 
nicht herabsetzen, sie will es erziehen, und erziehen läßt sich 
leichter bei einem Menschen, der mit Verantwortungsgefühl 
gezeugt ist und bei dem die Voraussetzungen für die heiligsten 
Güter, Gesundheit und Arbeit, gegeben sind. 

Dieses Verantwortungsgefühl für den kommenden Menschen 
ist noch recht schwach. Wer denkt himmelhochjauchzend zum 
Tode betrübt an Enkel? Schlagen wir an unsere eigene Brust. 

So wird zum eigentlichen Kern der Hygiene, der sozialen 
Hygiene, die Rassenhygiene, die die Wege zeigt, wie wir uns 
in einer gesunden Nachkommenschaft zu höheren Menschen im 
Sinne des nichtverstandenen Nietzsche hinaufzeugen, nicht 
in Brutalität, sondern in höchstmenschlicher Vitalität; die Rassen¬ 
hygiene, die mit einer bestimmten Rasse oder gar mit einem 
Volk, einer Gemeinschaft durch Sprache, Kultur und Schicksal 
nichts zu tun hat, da sie die Züchtung hochwertiger Individuen 
aller Rassen will und deshalb besser Vererbungs-, Deszendenz¬ 
oder Nachkommensohafts-Hygiene genannt wird. 

Auf das zukünftige Wesen sind wir nicht ohne Einfluß, 
und wenn auch beim Menschen begreiflicherweise noch manches 
Dunkel auf diesem heimlichsten und subtilsten Gebiete zu 
lichten ist, wobei es ohne Irrungen und Wirrungen nicht ab¬ 
gehen wird, so weisen doch Mendels — dessen 100jährigen 
Geburtstag wir am 22. Juli still dankbar gefeiert haben, — 
grundlegende Forschungen an Pflanzen und Tieren verheißungs¬ 
volle Wege. 



Nachkommenschaftshygiene nnd Schale. 


447 


Was hat zu geschehen, ura der heute mehr als je not¬ 
wendigen Rassenhygiene, die die Grundlage für hohe Politik, 
für Sozialpolitik, für Vaterlands wohl, Familienglück und persön¬ 
liches Glück bildet, den Weg zu bahnen, der ihr gebahnt 
werden muß. Wäre es vielleicht hier möglich, eine geistige 
Einheit in Deutschland zu sohaffen, die aber wohl ebenso schwierig 
ist, wie es die politische war, sagte doch bei den Verhand¬ 
lungen über die Erweiterung der Stadt Barmen durch an¬ 
grenzende Teile der Provinz Westfalen, ein Abgeordneter im 
preußischen Landtag, daß Teile aus Westfalen einer Provinz 
angegliedert werden, mit der sie keine Verbindung in Bezug 
auf Sprache und Empfindung haben; ja, leben wir denn immer 
noch im Mittelalter? 

Der Gegenstand ist öffentlich zu behandeln in Vorträgen, 
Zeitungen, Zeitschriften, im Kino, in Volkshochschulkursen, 
selbstverständlich auf der Universität, allgemein verständlich, 
und für Mediziner. 

Eheberatungsstellen, deren Benutzung zunächst freiwillig 
ist, mit sachverständiger Leitung sind einzurichten; in Wien 
ist kürzlich eine solche Stelle dem städtischen Gesundheitsamt 
angegliedert. 

Es erübrigt sich zunächst, auf die Fragen Zwangszeugnis 
oder freiwilliges Zeugnis bei der Verheiratung, auf Geburten¬ 
rückgang, Frühehe, Steuerfragen, Erbschaftssteuer und Er¬ 
ziehungsbeihilfen einzugehen, so wichtig sie auch für die ganze 
Angelegenheit sind. 

Die Belehrung Erwachsener erfordert einen großen Kraft¬ 
aufwand; wenn wir der Natur, die überall mit dem geringsten 
Kraftaufwand arbeitet, folgen, so müssen wir wie überall bei 
der Jugend einsetzen. 

Die biologische Ausgestaltung des Unterrichts in der 
Schule ist zu vervollkommnen; die Erziehung hat überhaupt 
neue Wege zu finden; wir müssen zu Zwecken erziehen, die 
das Leben ausmachen, nicht einen Komplex von Gesetzen ver¬ 
mitteln, den die Natur darstellt; wir müssen uns aus östlichem 
Meditieren über Gesetze zu westlichem Wollen umstellen. Aber 
das reicht nicht aus. 

Das Tragische unserer Zeit geht in seinen Ursachen im 
wesentlichen auf Erziehungsfragen zurück, und so sehr ich 
selbstverständlich der Forderung der Gesundheit mit die erste 
Stelle eingeräumt wissen will, eins erscheint mir jetzt not¬ 
wendiger als alles, nämlich die Pflichtfortbildungsschule auch 
für das weibliche Geschlecht. Das Mädchen muß zur Hausfrau 
und Mutter erzogen werden, das ist der Angelpunkt für alle 
weiteren Fragen; wie sich die mangelhafte Ausbildung der 
Mädchen überall bemerkbar gemacht hat und noch macht, ist 
bekannt. 

Schule und Fortbildungsschule führen die Menschen in 
der Entwicklungszeit, hier muß körperlich und geistig erzogen 
werden, die Erfolge bleiben auch bei der Nachkommenschaft 



448 Dr. Heinrich Berger: Nachkommenschaftahygiene lind Schale. 

nicht aus; es würde zu weit führen, hier auf die Vererbbarkeit 
erworbener Eigenschaften einzugehen, Erziehbarkeit sehen auch 
die Zweifler an der Richtigkeit der Laraarck sehen Ansicht 
als vererbbar an, und was die Vererbung körperlicher Eigen¬ 
schaften anlangt, so sei nur darauf verwiesen, daß alle Punk¬ 
tionen des Menschen auf hinterlassenen Spuren von Reizen, 
Erinnerungsbildern, Engrammen beruhen, deren Gesamtheit die 
persönliche Erfahrung, die Mneme ist; unter diesem Gesichts¬ 
winkel verdienen die Körperübungen aller Art die nachhaltigste 
Förderung. 

Das Kind ist aber weiter in dieser Entwicklungszeit am 
aufnahmefähigsten, und hier ist der Hebel für allgemeine Bildungs¬ 
fragen, hier sind Fragen der Vererbungshygiene je nachdem 
offen und im Gewände anderer Unterrichtsgegenstände zu über¬ 
mitteln. 

Für die planmäßige Förderung der Gesundheit der Be¬ 
völkerung sind allenthalben die Schulen schulärztlich zu über¬ 
wachen, aber wirklich ausreichend und planmäßig, der jetzige 
Zustand ist nicht im entferntesten überall befriedigend, es wäre 
leicht, massenhaft Beweise dafür zu erbringen. Wann wird die 
starke Hand kommen, die auf diesem Gebiete Plan und Ziel 
steckt? Ihr Besitzer darf der Gefolgschaft der ganzen Be¬ 
völkerung sicher sein. 

Fortlaufende Gesundheitsbüchlein, mit kurzen Gesundheits¬ 
lehren — am besten werden 2 geführt, eins für Säuglings-Klein¬ 
kind- und Schulzeit, eins für die Schulentlassenen — müssen 
die Menschen begleiten von der Säuglingszeit bis in die Pflicht¬ 
fortbildungsschule. Sie dienen der Gesundheit des Einzelnen, 
und sie müssen zu einer Fundgrube für den Erblichkeitsforscher 
ausgestaltet werden; die Mendels sehen Regeln enthalten viel, 
aber noch lange nicht alles. 

Der Lehrer, der selbst auf hoher gesundheitlicher Warte 
stehen muß, ist in der ganzen Schularztfrage von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung, in der Familienforschung wird er bei den 
einzelnen Kinder wichtige Unterlagen bringen, vermöge seiner 
örtlichen Kenntnisse wird er dem Arzt Fingerzeige geben, deren 
Verknüpfung Sache des Arztes ist, Arzt ohne Lenrer, Lehrer 
ohne Arzt sind nicht imstande, das Ziel zu erreichen. 

Der Schularzt steht in enger Beziehung einerseits zu den 
Aerzten, deren Mitarbeit unentbehrlich ist, andererseits zu dem 
beamteten Arzt, dessen Aufgabe hier ist, die Volksbelehrung zu 
organisieren, und das von den Schulärzten geschaffene Material an 
der Hand seiner Kenntnisse über Infektionskrankheiten, Todes¬ 
ursachen (Verbindung mit dem Standesamt) usw. zu verarbeiten. 

Tiefste Wissenschaft wird hier ihre Triumphe feiern und 
eine Einheitsfront von Aerzten, Fürsorgeärzten und Amtsärzten 
wird dem Stande und der Bevölkerung zugute kommen, nicht 
zuletzt auch durch Bekämpfung der Kurpfuscherei, die hier 
nicht folgen kann; ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die 



Dr. Lorentzcn: Za Dreuws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung usw. 449 


Worte von Alt auf der 33. Hauptversammlung des Preußischen 
Medizinalbeamtenvereins über die gemeinsamen Erfolge der 
Aerztekammer und Medizinalbeamten gegen die Kurpfuscherei. 

Die Priester, denen in grauer Vorzeit auch die gesund¬ 
heitliche Fürsorge mit oblag, waren eine einheitliche Front. 

Jetzt muß die Einheitsfront der Aerzte marschieren. 

Zu Dreuws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten. 

Antwort auf die Abhandlung in der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte; 1922, Nr. 10. 

Von Dr. Lorentzen, Kreismedizinalrat in Langenschw&lbach. 

Es ist sehr dankenswert, daß die Frage der Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten sine ira et Studio in unserer Zeit¬ 
schrift durchbesprochen wird und daß auch Ansichten, die in 
anderen Blättern nicht genügend zu Worte kommen, bei uns 
durchberaten werden. Wir sind aber jedem Autor gegenüber 
verpflichtet, zu seinen Ausführungen eine präzise Stellung ein¬ 
zunehmen, zumal wir Kreisärzte in unserer Gesamtheit, da wir 
unter den verschiedensten Umständen arbeiten, eher ein Urteil 
darüber haben, ob ein Vorschlag durchführbar ist, als ein ein¬ 
zelner Autor, der doch nur die Verhältnisse genauer kennt, 
auf die ihn das Schicksal nun einmal gestellt hat. 

Mir scheint, als ob Dreuw sein System allzusehr so auf¬ 
gebaut hat, daß es zur Not noch in der Millionenstadt Berlin 
durchführbar und vielleicht (?) von Nützen ist. Daß es in 
andere Verhältnisse nicht hineinpaßt, glaube ich im folgenden 
darlegen zu können. 

Dreuws Vorschlag ist recht kompliziert. Er steht und 
fällt damit, daß die Vorteile, die er bei seinem System zu haben 
glaubt, auch wirklich vorhanden sind. In erster Linie muß 
also die Anzeige und die Ueberwachung wirklich diskret sein. 
Dreuw stellt sich eine automatisch wirkende Einrichtung vor, 
die etwa wie die automatischen Telephonämter funktionieren 
soll. An einem Ende der Leitung der Patient, am anderen das 
Gesundheitsamt; die Verbindung, die nun doch mal vorhanden 
sein muß, besorgt die Post durch eingeschriebene Briefe. 
Nehmen wir am besten als Beispiel den von Dreuw schon 
zitierten „Herrn Müller“. Der Arzt füllt allwöchentlich ein 
Formular mit vorgeschriebenen Zeichen aus und der Herr 
Müller schickt diesen Brief eingeschrieben dem Gesundheits¬ 
amt. In Berlin wird dieses sehr einfach sein, abgesehen von 
den ziemlich erheblichen Portokosten. Man geht einige Straßen 
weiter in eine fremde Stadtgegend und dort kennt einen kein 
Mensch. Aber in der Kleinstadt und auf dem Lande kennt 
einen jeder, auch im Nachbardorf ist man keineswegs unbekannt. 
Da muß man unter Umständen seinem Stammtischbruder den omi¬ 
nösen Brief in den Postschalter hineinreichen, der alles besagt. 



460 


Dr. Lorentzeo: Zn Oreaws Vorschlägen 


Ura einen herum stehen andere Leute, die einem über die 
Schulter sehen und sich sehr dafür interessieren, wer denn den 
Brief bekommt. Was ein eingeschriebener Brief an das Gesund¬ 
heitsamt bedeutet, wird in kurzem jeder wissen. In der Klein¬ 
stadt wird am selben Abend die große Neuheit schon die Runde 
gemacht haben. Was geschieht, wenn jemand an einer Krank¬ 
heit plötzlich krank wird und auf einige Zeit das Bett hüten 
muß? Dann wird zu allem Unglück noch die ganze Familie 
über alles unterrichtet, denn der Brief des Gesundheitsamts 
kommt dann ganz sicher in die unrichtigen Hände. Der Arzt 
für Geschlechtskrankheiten, der den Kranken in dieser Krank¬ 
heit nicht behandelt, ahnt natürlich nichts von der neuen 
Krankheit, ebensowenig das Gesundheitsamt, und automatisch 
kommt der Brief des Gesundheitsamts ins Haus. Wenn der 
Betreffende plötzlich stirbt, werden mit Sicherheit die An¬ 
gehörigen höchst unnötigerweise über die Krankheit des Ver¬ 
storbenen instruiert werden, denn in diesen Fällen bleibt das 
Schlußattest sicher aus. 

Ein Ausweg wäre ja dadurch gegeben, daß der Arzt 
selber die Meldung übernähme und selber die Briefe besorgte. 
Ob das aber nicht ein Danaergeschenk für die Aerzte wäre! 
So ziemlich jeder Arzt, der über die Vorteile und Nachteile 
des Kreisarztberufes mit uns spricht, drückt unumwunden seinen 
Abscheu vor schriftlichen Arbeiten aus und die Praxis bestätigt 
in dieser Hinsicht sicherlich die Theorie. Jedenfalls würde ein 
Arzt, der infolge Vergeßlichkeit dem Patienten Unannehmlich¬ 
keiten bereitet, sich strafbar und haftpflichtig machen. 

Was versteht Dreuw unter einem „attestierfähigen 
Arzte“ ? oder unter einem „für Geschlechtskrankheiten staatlich 
zugelassenen Arzt“? Sind das alle Aerzte, die ja auf Grund 
ihrer Approbation alle Krankheiten behandeln dürfen, also auch 
alle Geschlechtskrankheiten? Sind es die Fachärzte für Ge¬ 
schlechtskrankheiten ? oder sind es die Aerzte, von denen man 
nichts Ungünstiges weiß? Ich glaube, daß das, was Dreuw 
dem Regierungsentwurf, und zwar mit Recht, nachsagt, daß die 
gewissenhaften Aerzte bald nichts mehr zu tun hätten, auch 
für seinen Entwurf gilt. Ich kann hier aus Erfahrung sprechen. 
Als in unserer kleinen Stadt im besetzten Gebiet ein Bordell 
eingerichtet wurde, klappte im Anfänge verschiedenes nicht. 
Vor allem war nicht geregelt, was mit den erkrankten Prosti¬ 
tuierten geschehen sollte, wer die Kosten trüge usw. Die Folge 
dieser Unsicherheit war nun, daß in kurzem die Mädchen mir 
mit Attesten von praktischen Aerzten und Spezialärzten kamen, 
daß sie ganz gesund seien. Es handelte sich dabei um ganz 
eklatante Fälle: florider Tripper mit Gonokokken und Syphilis 
mit breiten Kondylomen, also keineswegs um Fälle, über die 
die Gelehrten streiten konnten. Wenn das nun auch bei unseren 
kleinen Verhältnissen nicht viel Schaden anrichten konnte, im 
großen Betriebe, ohne daß die Betreffenden voruntersucht 
worden wären, wäre es ausgeschlossen, diese Art Atteste heraus- 



der „diskreten" Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 


451 


zufinden. Wenn das Gesundheitsamt ein Schlußattest bekommt, 
muß es den Patienten einstweilen streichen, und solche Schlu߬ 
atteste werden nicht ausbleiben. 

„Dem Arzt teilt er seine richtige Adresse mit“. Ja, wenn 
er das nur immer täte. In Wirklichkeit werden sehr viele 
falsche Namen beim Arzt angegeben, wenn es sich um ein 
heikles Thema handelt, in der Großstadt wohl mehr als in der 
Kleinstadt. In meiner Kurpraxis, in der verhältnismäßig oft 
Frauen mit sexuellen Abnormitäten sich einfinden, haben die 
Patientinnen mehrmals schon gebeten, anonym bleiben zu 
dürfen, da sie sich sonst nicht offen aussprechen konnten. 
Selbstverständlich habe ich dies ohne weiteres gewährt. In 
anderen Fällen habe ich den Namen nicht für den richtigen 
gehalten, aber jede Nachforschung unterlassen. Was nun, wenn 
der Herr Müller gar nicht Müller, sondern Schulze heißt, 
und der Geburtstag natürlich auch nicht stimmt. Dann würde 
das Gesundheitsamt natürlich nie heraus bekommen, wer denn 
der Herr Müller, geboren dann und dann, ist. Nur unnütz 
Porto hätte es ausgegeben. Und daß man auf diese einfache 
Weise die ganze Kontrolle illusorisch machen würde, das würde 
in kurzem allgemein bekannt sein, und jeder Arzt, der mehr 
als ein Augurenlächeln bei der Nennung des Namens übrig 
hätte, würde viel riskieren. 

Anders in der kleinen Stadt. Dort kennt der Arzt den 
Kranken. Er füllt also das Formular richtig aus, aber hier weiß 
auch der Beamte des Gesundheitsamts sofort, wer gemeint ist. 
Wenn der Beamte des Gesundheitsamts wissen will, ob eine 
junge Dame seiner Bekanntschaft auf der Liste steht, ein Blick 
sagt ihm genug. Noch viel schlimmer ist es aber, was wohl 
auch Vorkommen kann, daß er irrtümlich jemand mit gleichem 
Monogramm dort vermutet. In einer Stadt sei der Name Müller 
sehr häufig, dann sind alle Maria, Magda, Magdalena usw. 
Müller unter M. M. verzeichnet, und jeder kann allerlei munkeln. 
Wozu also die gesuchte umständliche „diskrete“ Meldung, wenn 
in vielen Fällen die Sache nicht diskret bleibt, in anderen 
Fällen dadurch leicht umgangen wird. 

Dann das „Gesundheitsamt“! Wer ist das? Der Kreisarzt 
oder eine Abteilung des Landratsamtes, des Bürgermeister¬ 
amtes? In letzteren Fällen läuft solch ein Schreiben durch fast 
alle Hände, bis es in die rechten kommt. Man muß es nur 
mal mit angesehen haben, wie die Post in einem großen Haufen 
ankommt, von mehreren Personen sortiert und gesichtet wird, 
von anderen in die verschiedenen Abteilungen getragen, dort 
weiter gesichtet, registriert, und bearbeitet wird, alles von ver¬ 
schiedenen Leuten, bis es dem eigentlichen Dezernenten vor¬ 
gelegt wird. Dann wird alles und jedes stenographiert und mit 
der Maschine geschrieben und schließlich auf einem ebenso 
komplizierten Wege erledigt. Dazu noch ein paar Irrwege und 
das ganze Amt hat das betr. Schriftstück gesehen. Wenn das 
nun auch in vielen Dingen gar nichts schadet, hierbei geht 



452 Dr. Lorentzen: Zu Dreuws Vorschlägen 

es wirklich nicht an. — Beim Kreisarzt geht es ja etwas ein¬ 
facher zu, aber der ist doch nicht das „Gesundheitsamt“ und 
weshalb ihm gegenüber die Heimlichtuerei? 

Dreuw scnreibt ferner, daß „Untersuchung, Behandlung 
und Attest bei Zahlungsunfähigen auf Staatskosten“ erfolgen 
soll. Dann muß aber die Verschwiegenheit auf hören, denn der 
Staat wird nur dann die Kosten übernehmen, wenn er die Ver¬ 
hältnisse nachprüfen kann und Belege irgendwelcher Art, wie 
sie jede Krankenkasse auch hat, bekommt. Nur auf die Ver¬ 
sicherung des Arztes: ich habe so und soviel Patienten für so 
und soviel Geld behandelt, wird er nie zahlen. Dann hört aber 
die Verschwiegenheit in ganz anderem Maße auf, als bei der 
Meldung an den Kreisarzt. Wer entscheidet die Zahlungs¬ 
unfähigkeit? Irgendeine Behörde muß doch dafür zuständig 
sein. Es werden Anfragen nötig werden, aus denen die Heimat¬ 
behörde alles erfahren kann. Also bei den Minderbemittelten 
wird die Verschwiegenheit sicher durchlöchert werden und nur 
wegen der besser situierten Leute, um diese nicht zu inkommo¬ 
dieren, den ganzen Apparat in Bewegung setzen, ist doch nicht 
sehr sozial in der Wirkung. 

Trotzdem Dreuw die Prostituierten als „Bürgerinnen wie 
alle anderen“ behandelt wissen will, muß er doch eine Reihe 
Ausnahmebestimmungen für sie vorsehen, da er auch zugibt, 
daß sie besonders gefährlich sind; so haben sie dreimal 
wöchentlich sich untersuchen zu lassen, allerdings bei jedem 
attestierfähigen deutschen Arzt auf Kosten des Staates. Bei 
einer Erkrankung müssen sie unter strenger Strafandrohung 
sofort vom Arzt aus das Krankenhaus aufsuchen. Also muß 
doch irgendwer ihnen das mitteilen, daß sie Prostituierte seien 
und dies und das zu tun hätten. Und da man nicht verlangen 
kann, daß der betr. Beamte die Namen auswendig lernt, so 
muß er sich eine Liste zulegen. Wer das nun tut, ist ganz 
einerlei. Das entscheidende Wort hat doch die Polizei, die 
allein die erforderlichen Beobachtungen auf den Straßen machen 
und die Mädchen ertappen kann. Dann ist aber die Reglemen¬ 
tierung wieder da und höchstens die Aenderung getroffen, daß 
das letzte Wort, ob jemand als Prostituierte anzusehen ist oder 
nioht, jemand außerhalb der Polizei hat. Das wird man aber 
kaum als Aufhebung der Reglementierung ansehen können. 

Die Sittenpolizei wird überhaupt nicht abgeschafft werden 
können, wenn man nicht den allergrößten öffentlichen Skandal 
heraufbeschwören will, denn kein Gemeinwesen wird darauf 
verzichten können, für Anstand und Ordnung in den Straßen 
und in den Lokalen zu sorgen. Ob man dann die Beamten, 
die nur für diesen speziellen Zweig der Polizei arbeiten, etwas 
absondert, ist eine so kleine Reform, daß man nicht viel darüber 
reden sollte. Jedenfalls werden alle übrigen Polizeibeamten für die 
Sittenpolizei mitarbeiten müssen wie bisher. Ueberhaupt kommt 
es mir so vor, wenn ich die Aufsätze von Sozialhygienikern lese, 
als wenn diese die Hauptaufgabe der Sittenpolizei in der Vor- 



der „diskreten 11 Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 


463 


bereitung und Mitarbeit bei der ärztlichen Untersuchung sehen. 
Die Sittenpolizei hat doch so viele andere Aufgaben, daß sie 
schon aus diesem Grunde nie abgeschafft werden kann. 

Meiner Ansicht nach leiden viele wohlmeinenden Ver¬ 
besserungsvorschläge daran, daß die Reformer in erster Linie 
den Prostituierten helfen wollen, ohne viel Kenntnis der Prosti¬ 
tuierten selber. Dreuws Vorschlag will zum Besten der 
Prostituierten Sittenpolizei und Reglementierung abschaffen; es 
geschieht aber in der Tat zum Schaden der anderen, die ge¬ 
waltsam mit den Prostituierten in dasselbe Prokrustesbett ge¬ 
zwängt werden. Es geht wirklich gegen mein Gefühl, eine 
anständige Frau, die von ihrem Ehemanne infiziert worden ist, 
genau so zu behandeln wie die Prostituierte. Niemandem, auch 
nicht den Prostituierten, wird hierbei wohl zu Mute. 

Am besten frage man einmal die Prostituierten selber. 
In Frankfurt a. M. sind jetzt — in bester Absicht — aber, um 
nur eins zu erwähnen, ohne die zuständigen Kreisärzte zu be¬ 
fragen — die Bordellstraßen abgeschafft. Da wir hier genügend 
Beziehungen zu Frankfurt a. M. haben, weil ein großer Teil der 
Prostituierten vor nicht gar zu langer Zeit in Frankfurt a. M. 
gewesen ist, so bin ich über die Stimmung unter den Prosti¬ 
tuierten in Frankfurt a. M. genügend unterrichtet. Eine Prosti¬ 
tuierte sagte mir z. B.: „Wenn unter uns abgestimmt würde, 
dann werden morgen die Bordellstraßen wieder eröffnet. Jetzt 
wissen die Pr. nicht, wo sie wohnen sollen. Wohnungen sind 
schwer erhältlich. Die Pr. werden ganz anders als früher aus- 

f enutzt. In die Wohnung darf man nur in den seltensten 
'ällen den Besucher mitbringen, weil die Zimmervermieter 
dann jederzeit bei irgendeiner Gelegenheit vom Hauswirt auf 
die Straße gesetzt werden können, wovor die Polizei die Ver¬ 
mieter nicht schützen kann.“ Der Geschlechtsverkehr spielt 
sich natürlich viel mehr als früher im Freien, z. B. in den An¬ 
lagen oder Winkeln ab. Irgendwelche Kontrolle seitens der 
Mädchen, ob der Mann geschlechtskrank ist, ist dort natürlich 
ausgeschlossen. In den Absteigequartieren ist diese Unter¬ 
suchung zwar wohl möglich, aber nicht die Konsequenz, den 
Besucher abzuweisen, da das Mädchen niemanden zur Hilfe in 
der. Nähe hat. Den Besucher ordentlich untersuchen, ob er 
geschlechtskrank ist, kann nur die Bordellinsassin. Und diese 
Untersuchung ist vielleicht wichtiger als die ärztliche der 
Prostituierten. Die Prostituierten nehmen nach meiner Er¬ 


fahrung Reglementierung und Untersuchung ganz gleichmütig 
hin. Der Typus des Weibes, das sich nur in Liebe hingeben 
kann, aber die Untersuchung des Arztes unangenehm empfindet, 
ist mir bei den Prostituierten nicht begegnet, wohl aber in 
vielen mehr minder guten Romanen, aus denen die Mitwelt an¬ 
scheinend viel Belehrung schöpft, z. B. im „Tagebuch einer 
Verlorenen“. Die Prostituierten wissen, daß sie für ihr Leben 
ohne nennenswerte Arbeit, aber mit schönen Kleidern, Putz 


und anderen guten Sachen einen Preis bezahlen müssen; sie 


in^S^ch 


> 



454 Dr. Lorentzen: Zn Drenws Vorschlägen der „diskreten“ Bekämpfung new. 


haben nur einen grimmigen Haß gegen ihre Kolleginnen unter 
den „anständigen Frauen 0 , die äußerlich die vornehme Dame 
spielen und doch nicht besser sind als sie. 

Dreuw setzt mit vielen anderen bei den Prostituierten 
seinen eigenen Trieb, gesund zu bleiben oder zu werden, vor¬ 
aus. Den haben sie zurzeit wohl künstlich bekommen, weil 
Kranksein ihnen viele Unannehmlichkeiten bringt; ob sie ihn 
aber unter lockeren Bestimmungen haben werden, ist doch sehr 
zweifelhaft. Meine oben geschilderten Beobachtungen sprechen 
nicht dafür. 

Das einzige, worüber die Prostituierten sich eigentlich be¬ 
klagen, ist unnötig schroffe Behandlung. Da ließe sich viel¬ 
leicht allerlei ändern. Ich bin weit davon entfernt, alle Er¬ 
zählungen für bare Münze zu nehmen, aber das ist doch meiner 
Ansicht nach sicher, daß mancher Beamte den allerschroffsten 
Polizeiton meint anschlagen zu müssen, wohl in bester Ab¬ 
sicht, um sich Respekt zu verschaffen, und vielleicht auch ge¬ 
reizt durch Unverschämtheiten mancher Prostituierten, und daß 
manchmal die Polizeivorschriften recht scharf angewandt werden. 
Aber das sind Sachen, die sich ändern lassen, wenn auch nicht 
von heute auf morgen; die Tätigkeit der Polizei wird auch bei 
noch soviel Neuorganisation nicht verschwinden. Denn wenn 
eine Prostituierte Anstand und gute Sitte verletzt und die zu 
ihrem Schutze erlassenen Verordnungen Übertritt, so wird eben 
gar nichts anderes übrig bleiben, als daß die Polizei sie mifc- 
nimmt, und das wird jede Prostituierte unter allen Umständen 
unangenehm empfinden, ob sie nun reglementiert ist oder nicht. 

Meiner Ansicht nach tut man am besten, die Prostituierten 
mit aller Art wohlgemeinten VerbesserungsVorschlägen zu ver¬ 
schonen, von denen sie selber nichts wissen wollen. Die durch¬ 
aus gutgemeinten Aenderungen in Frankfurt a. M. z. B. haben 
nicht viel Gutes gebracht, wobei man gerne zugeben kann, 
daß eine langsamere Umstellung in einer Zeit ohne Wohnungs¬ 
not bessere Resultate ergeben hätte. Die Prostituierten wünschen 
nur, daß die Art der Ueberwachung sich in etwas milderer 
Form abspielt und würden dann vollkommen zufrieden ge¬ 
stellt sein. 

Was hier über den Entwurf des Kollegen Dreuw gesagt 
ist, gilt mutatis mutandis auch für den Regierungsentwun. 
Wenn es in die Hand des Arztes gelegt wird, ob er anzeigen 
soll oder nicht, wird nichts dabei herauskommen. Das Publikum 
wird die Anzeige in vielen Fällen für einen persönlichen Rache¬ 
akt ansehen, zumal wenn jemand aus der Behandlung fort¬ 
geblieben ist oder die Rechnung noch nicht bezahlt hat, und 
das Bewußtsein, daß dieses der Erfolg der Anzeige sein wird, 
wird wohl die meisten Aerzte abschrecken. 

Das einzige, was überhaupt zu diskutieren ist, ist die An¬ 
zeige an den Kreisarzt, mit voller Namensnennung, und zwar 
in allen Fällen, und es diesem zu überlassen, in den dafür ge¬ 
eigneten Fällen möglichst geschickt unter Anpassung an die 



Besprechungen. 


456 


jeweiligen Verhältnisse die Fürsorge eintreten zu lassen, und 
an der bewährten Form der Ueberwachung der Prostituierten 
nur das suaviter in modo, fortiter in re mehr als bisher zur 
Geltung zu bringen. Wenn die Kreisärzte sich dann mit dem 
praktischen Kollegen ins Benehmen setzen, wird in den Fällen, 
in denen Fürsorge nötig ist, diese still und unauffällig aus¬ 
geführt werden können, in den anderen wird der Kranke gar 
nichts davon merken, daß er gemeldet ist. Wie die Fürsorge dann 
im einzelnen ausgeführt wird, welche Organe als Mittler ge¬ 
nommen werden, *ob z. B. die Krankenkassen, was sich an ein¬ 
zelnen Stellen sohon bewährt hat, das kommt ganz auf die ört¬ 
lichen Verhältnisse an und soll hier nicht weiter erörtert werden. 

Wenn ein Schlagwort nötig sein sollte, so soll es nicht 
heißen: „diskrete Anzeige“, sondern „diskrete Fürsorge“. Der 
Fürsorger darf nicht im Blinden tappen. Wenn man ihm gegen¬ 
über diskret sein will, kann er nicht diskret sein. 


Besprechungen. 

Th. Friedrlohs: Zur Psychologie der Hypnose und der Suggestion. 

Kleine Schriften zur Seelenforschung. Stuttgart 1922. Jul. Püttmann, 
Verlagsbuchhandlung. 32 ; S., Preis: 20 M. 

Ein Versuch, die hypnotischen und suggestiven Phänomene einheitlich 
zu erfassen und beide gemeinschaftlich aus der gleichen Dynamik der Affekte 
und Triebe zu erklären, die auch in der Neurosenlehre u. a. als das Fundament 
angesehen werden: Die Hypnose kein Schlafzustand, keine Bewußtseinstrübung, 
sondern eine Bewußtseinseinengung; zwischen Suggerierten und Suggestor eine 
affektive Bindung derart, daß der erstere an den letzten glaubt wie das Kind 
an seinen Vater, seine Mutter; es entsteht so ein Zustand des Unterworfen« 
seins, der Abhängigkeit, eines Ohnmachtgefühls gegenüber dem Suggestor; 
das Hirnleben des Hypnotisierten ist paralysiert, er wird der Sklave aller un¬ 
bewußten Funktionen seines Bückenmarks. Die Freudscbe Lehre, die die 
Affekte auf rein sexueller Grundlage beruhend ansieht und Verliebtheit mit 
Hypnose in engen Zusammenhang bringt, hat manches für sich, doch kann 
damit nicht alles erklärt werden. 

Als Ergebnisse formuliert Verfasser seine Ausführungen: 

1. Die Suggestibilität äußert sich in bestimmten archaistischen Erlebens¬ 
weisen und -Dispositionen im Sinne der „Gläubigkeit“ und ihrer „magischen“ 
Symbolik. 

2. Die Suggestibilität stammt aus affektiven Quellen. 

3. Die suggestive Bindung ist in vieler Hinsicht analog der Liebes- 
bindung anzusehen. 

4. Die Suggestibilität ist genetisch begreifbar aus einer unbewußten 

Determinante: der friedbedingten ichlosen „suggestiven“ Folgsamkeit. des 
Kindes gegen die Eltern. _ Solbrig. 


Dr. A. Manie, Professor in Freiburg i. Br.: Richtlinien und Vorschläge 
für einen Neuaufbau der Kräfte und Leistungen unseres Volkes. 

Verlag von Emil Groß. Freiburg i. Br. 1922. 

Als Ziel aller Politik bezeichnet N i s s 1 e die Sicherung der Unabhängig¬ 
keit, Existenzmöglichkeit und Geschlossenheit des Staates und seiner Be¬ 
völkerung. Das Hauptmittel zur Erreichung dieses Zieles ist nach ihm die 
Erhaltung einer ausreichenden Wehrkraft im weiteren Sinne. Diesem Bestreben 
wiU er auch alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen untergeordnet sehen. 
Eine wichtige Aufgabe sei die Unterbringung des Bevölkerungsüberschusses. 
Intensivere Bewirtschaftung auf aUen Gebieten soll den nötigen Nahrungs¬ 
spielraum schaffen. Die Gefahren der Auswanderung werden vom Verfasser 
wohl etwas überschätzt. Nissie fordert vor allem qualitative Bevölkerungs- 



Tagesnachricb ten 


45« 

Politik, eioe Zacbt za Pflicbtmenschen; in der ßiedlangsfrage sieht er den 
kern derselben beschlossen. Beschleunigte Urbarmachung der Oedländereien 
ist erwünscht. 

Neben einer Aaslese der Erbanlagen fordert Nisale die Pflege des Er¬ 
scheinungsbildes. Bassen- and Sozialhygiene sollen nebeneinander bestehen, 
denn in einem durch die Umweltsbedingnngen erworbenen kranken Körper ver- 
mögen sich die besten Erbanlagen nicht aaszawirken. Verfasser fordert weiter, 
daß unsere gesamte Arbeit auf praktische Ziele gerichtet sein soll, da unsere 
Lage keinerlei Luxus gestatte, ln der Frage der Kinderzulagen ist bei sonstiger 
Uebereinstimmung mit den Grundziigen des Verfassers eine grundsätzliche Be¬ 
richtigung nötig. Es ist bestimmt unrichtig, den Kinderzulagen nur eine vor¬ 
übergehende durch die außergewöhnlichen Verhältnisse, bedingte Berechtigung 
zuzusprecben. Die Kinderzulagen sind vielleicht das wichtigste Mittel der 
BcvöHcerungspolitik und müssen allen Volkskreisen gewährt werden. Schoo 
längst nicht mehr werden die Kinderzulagen als Belohnung fttr eine besondere 
Mühewaltung aufgefaßt, sondern als Entlohnung für eine zum Heile der Ge¬ 
samtheit vollbrachte Leistung. Der Matterlohn ist nicht Geschenk, sondern 
Lohn für die Arbeit der Frau alB Matter. Eine Staffelung der Kinderzulagen 
ist zu wünschen, wird aber vorerst nicht zu erreichen sein. Als nächstes Ziel 
ist zunächst die allgemeine, gesetzliche Begelung dieser Frage anzustreben. 
Alles in allem wäre zu wünschen, daß der Geist des Heftes in weite Kreise 
dringe und namentlich unsere Volksvertretungen befruchte. 

Dr. med. F e t s c h e r - Dresden. 


Tagesnachrichten. 

Das Kelchs jagend Wohlfahrtsgesetz ist vom Reichstag im wesentlichen 
nach den Mehrheitsbeschlüssen des Ausschusses, aber doch mit einer ganzen 
Reihe von Abänderungen angenommen worden. Die Vorarbeiten im Ausschuß 
hatten ein großes Maß von Arbeit erfordert und fast ein ganzes Jahr in An¬ 
spruch genommen. Im Reichstag selbst war das Interesse hierfür nicht über¬ 
mäßig groß, wenigstens wird in den Zeitungen berichtet, daß die Abgeordneten, 
die zu dem Gesetz das Wort nahmen, teilweise vor fast leerem Hause sprachen. 

Die Vertreter sämtlicher Parteien erkannten trotz einzelner Bedenken 
hier und da die Wichtigkeit eines Gesetzes an, das unter Sammlung der bisher 
zerstreuten Gesetzesvorschriften und aller auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt 
tätigen Kräfte dazu dienen soll, der weiteren Verwahrlosung der Jugend zu 
steuern (Jugendfürsorge) und die gesunde Jugend in jeder Beziehung zu fördern 
(Jugendpflege). Die Grundzüge des ganzen Gesetzes sind im § 1, wie er genau 
nach der Fassung des Ausschusses angenommen wurde, dargelegt. Hiernach 
wird jedem deutschen Kinde dasRecbt auf Erziehung zur leib¬ 
lichen, seelischen und gesellschaftlichen Tätigkeit gewähr¬ 
leistet. Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung 
werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Oeffentliche 
Jugendhilfe tritt unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger 
Tätigkeit ein, soweit der Anspruch desKindes auf Erziehung 
von der Familie nicht erfüllt wird. 

Mehr oder weniger einschneidende Aenderungen wurden von den Deutsch- 
nationalen und den Unabhängigen beantragt; die Kommunisten lehnten das 
Gesetz als unzulänglich ab, wiewohl auch sie einige Fortschritte gegenüber 
dem jetzigen Zustande anerkannten; die übrigen Parteien traten für unver¬ 
änderte Annahme des Gesetzentwurfs ein. Unter Ablehnung verschiedener 
Abänderungsanträge der äußersten Linken und der äußersten Rechten wurde 
dann schließlich das Gesetz mit seinen mehr als 200 Paragraphen im ganzen 
angenommen, ebenso das Einführungsgesetz mit der Abänderung, daß das In¬ 
krafttreten auf ein Jahr hinausgeschoben wird, nämlich auf den 1. April 1924. 
Zu bemerken ist noch, daß es noch auf das hartnäckige Drängen des Aus¬ 
schusses gelungen war, Tom Reichstinanzminister statt der ursprünglich vor¬ 
gesehenen 50 Millionen 100 Millionen Mark als Reichszuschuß zur Durch¬ 
führung des Gesetzes zu erlangen. 

Es ist dann beschlossen worden, das Gesetz in der Fassung des Reichs¬ 
tages an die Ausschüsse nochmals zur Prüfung zu verweisen. Das soll aber, 



Tagesnachrichten. 


457 


wie besonders betont wurde, keine Verzögerung in der Verabschiedung des 
Gesetzes bedeuten. 

An dem nun beschlossenen Jagendwohlfahrtsgesetz wurde von Anfang 
an von ärztlicher Seite bemängelt, daß Arzt und Medizinalbeamter so gut wie 
nicht beteiligt werden, obwohl ihre Mitwirkung entschieden geboten sei. Es 
bleibt abzuwarten, ob in der praktischen Durchführung dem Mangel abgeholfen 
werden kann und wird. 


Der vom Minister fttr Volkswohl fahrt vorgelegte Entwurf eines Prenßi- 
sehen Gesetzes zur Bekämpftang der Tuberkulose hat die Zustimmung des 
Preußischen Staatsministeriums unter dem 14. Juli erhalten. Der Entwurf geht 
nunmehr dem Staatsrat zu und wird dann veröffentlicht werden. 

Aus dem Inhalt des Gesetzentwurfs wird mitgeteilt, daß das wesentliche 
die Einführung der Meldepflicht bei Erkrankungen ansteckender Lugentuber- 
kolose und die Ausfüllung einiger Löcken in der Fürsorge ist. Das in Vor¬ 
bereitung befindliche, umfassendere Reichsgesetz zur Bekämpfung der 
Tuberkulose soll dadurch nicht hintangehalten werden, es wird aber Wert 
darauf gelegt, die Zwischenzeit zur Verabschiedung des Reichsgesetzes für 
dringliche Aufgaben der Vorbeugung nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. 

(Nach Deutscher Allg. Zeitung.) 


Der Landesverband der höheren Beamten Preußens teilt unter dem 
1. J u 1 i folgendes mit: 

I. Die sich ständig verschärfende Wohnungsnot der Beamten hat 
den Landesverband veranlaßt, bei der Preußischen Staatsregierung Abhilfe¬ 
maßnahmen zu beantragen, insbesondere eine gesetzliche Festlegung der Be¬ 
rücksichtigung wohnungsloser Beamten bei der Zuweisung freiwerdender Woh¬ 
nungen an erster Stelle, Verpflichtung der Wohnungsämter gegenüber der 
staatlichen Aufsichtsbehörde zur regelmäßigen Vorlage von Nachweisungen über 
die Zahl der freigewordenen und der an Beamte überwiesenen Wohnungen 
sowie der noch unerledigten Wohnungsgesuche von Beamten, ferner eine sich 
der steigenden Teuerung anpassende Erhöhung der Beihilfen für Beamte mit 
doppeltem Haushalt und Unterstützung des Eigenbaues von Wohnungen durch 
Beamte und Bau staatseigener Wohnungen. 

II. Der Preußische Herr Finanzminister ist erneut auf die Notlage eines 
großen Teiles der preußischen Ruhegehalts- pp. Empfänger infolge der 
schleppenden Auszahlung der erhöhten Bezüge hingewiesen und um energische 
Beschleunigung des Umrechnungs- und Auszahlungsverfahrens, sowie Anweisung 
von Vorschüssen auf die rückständigen Bezüge ersucht worden. 

HI. Der Landesverband hat in einer Eingabe an den Landtag zu dem 
ihm vorliegenden Gesetzentwurf, betreffend die Reisekosten der Staatsbeamten 
— Drucks. Nr. 2960 — Stellungen genommen und insbesohdere die Erhöhung 
der im Entwurf vorgesehenen, durch die Teuerung bereits überholten Tage¬ 
geldsätze von 60—120 Mk., sowie fortlaufende Anpassung an die Teuerung 
gefordert. 

IV. In der Frage der Aufstiegsmöglichkeiten der höheren Be¬ 
amten (Gruppe 10, 11, 12) hat der Verbandsvorstand in Ergänzung seiner bis¬ 
herigen Eingaben wiederholt mit dem Beamtenausschuß des Landtages und 
einzelnen Mitgliedern desselben verhandelt. Die Angelegenheit wird zurzeit 
in einem aus je einem Mitglied jeder Partei bestehenden Unterausschuß bearbeitet, 
gez. Bolle. _ gez. v. Strempel. 


I. Aerztlicher Spezialkurs für Frauen-•. und Herzkrankheiten in 
Franzensbad. Vom 21. bis einschließlich 24. September 1922. 

Vorträge: 

Prof. Dr. Anton Ghon-Prag: Genese der Genitaltuberkulose der Frau.— 
Prof. Dr. Josef Hai bau-Wien: Menstruationsstörungen. — Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. H. B. Hering-Köln a. Rh.: Nervöse Herzstörangen. — Prof. Dr. 
F. Hit schm an n-Wien: Störungen der Menstruation. — Prof. Dr. Rudolf 
Jaksch-Prag: Herz- und Infektionskrankheiten. — Prof. Dr. Rudolf Th. 
v. Jaachke-Gießen: Funktionsstörungen des Herzgefäßapparates bei Ge- 



458 


Tagesnachrichten. 


schwülsten der weiblichen Genitalorgane. — Geh. flat Prof. Dr. E. Kehrer- 
Dresden: Sexnologisch - gynäkologische Fragen und ihre Bedeutung für die 
Indikationsstellung zur gynäkologisch -konservativen Therapie. — Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. 0. Minkowski-Breslau: Herz und Gefäße bei Stoffwechsel¬ 
krankheiten. — Hofrat Prof. Dr. Jaques Pal-Wien: Ueber die Pathologie des 
Herz- und Arterientonus und seine therapeutische Beeinflussung. — Prof. 
Dr. Rudolf Schmidt-Prag: Kardiovaskuläre Störungen und Konstitution. — 
Geh. Hofrat Prof. Dr. Seitz-Frankfurt a. M.: Strahlenbehandlung bösartiger 
Geschwülste. — Prof. Dr. Hans T h a 1 e r - Wien: Fernwirkungen pathologischer 
Zustände des weiblichen Genitales auf innere Organe. — Prof. Dr. Volhard- 
HaUe a. d. 8.: Ueber die Differentialdiagnose der Herzfehler mit Vorzeigungen. — 
Prot Dr. G. A. Wagner-Prag: Die Erkrankungen des Herzens und der Ge¬ 
fäße bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. — Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. G. W i n t e r - Königsberg i. Pr.: Die Sterilität der Frau. — Med.-Rat Doz. 
Dr. Karl Zörkendörfer-Prag: Die chemischen und pbysikalisehen Verhält¬ 
nisse der Franzensbader Kurmittel. 

Die Vorträge werden im Kurhause abgehalten. Die Zeitfolge der ein¬ 
zelnen Vorträge wird später bekanntgegeben. 

Tagesordnung: 

Donnerstag, den 21.September 1922, 8 (20) Uhr abends: Zwanglose 
Zusammenkunft der Kursteilnehmer im Speisesaale des Kurhauses. 

Freitag, den 22. September 1922, 9*/* Uhr, Begrüßung der Kursteil¬ 
nehmer im großen Kursaale. 9—1 (9—18) Uhr Vorträge. 3—4 (15—16) Uhr 
Vortrag. Anschließend Besichtigung der Kureinrichtungen. 8'/t (20*/*) Uhr 
gemeinsames Abendessen, gegeben von der Kurstadt Franzensbad. 

Samstag, den 23. September 1922, 9—1 (9—13) Uhr: Vorträge. 3 bis 
5 (15—17) Uhr: Vorträge. 5 (17) Uhr: Tee im Kurpark, gegeben von den 
Damen der Kurstadt. 8 (20) Uhr: Abendunterhaltung mit Tanz im großen 
Kursaale, gegeben von der Kurstadt Franzensbad. 

Sonntag, den 24. September 1922, 8—1 (8—13) Uhr: Vorträge. 
4 (16) Uhr: Ausflug zum Kammerbühl und Schloß Seeberg. Bei ungünstiger 
Witterung Konzert im großen Kurhaussaale. 

^ Bemerkungen für die Kursteilnehmer. 

Zur Teilnahme am Spezialkurs ist jeder Arzt gegen vorherige Anmeldung 
und Entrichtung einer Einschreibgebühr von £K 50.— berechtigt. Voran¬ 
meldungen werden bis 19. September 1922 an den vorbereitenden Ausschuß des 
Spezialkurses Franzensbad, Stadthaus, erbeten. Die Zuweisung der Teilnehmer¬ 
karten erfolgt durch die Geschäftsstelle im Kurhause. 

Die Geschäftsstelle des Spezialkurses (Kursbüro) befindet sich bis ein¬ 
schließlich 21. September im Staathause, von da an im Kurhause. Dortselbst 
werden Mitteilungen bezüglich des Kurses durch Anschlag verlautbart werden. 

Für die Kursteilnehmer und deren Angehörige werden in den Hotels und 
Kurhäusern in Franzensbad Freiquartiere durch die Geschäftsstelle zugewiesen. 
Bäder stehen den Kursteilnehmern während der Vormittagsstunden in.den 
städtischen Badeanstalten zur freien Verfügung. Auskünfte erteilt der Unter¬ 
zeichnete Ausschuß. 

Der vorbereitende Ausschuß 

des I. Aerztlichen Spezialkurses für Frauen- u. Herzkrankheiten in Franzensbad. 


Todesfall. Im Alter von 81 Jahren starb der frühere Direktor des 
Anatomischen Instituts in Breslau Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hasse. 


* 

Nachricht an die Mitglieder des Deutschen und 
Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Der Vorsitzende Medizinalrat Dr. Bnndt- Halle a. S. ist im 
August verreist und wird während dieser Zeit vom Schriftführer 
Dr. Wollenweber -Dortmund vertreten. 




459 


Dr. Buodt: Sorgen, Hoffnungen und Wünsche. 

Sorgen, Hoffnungen und Wünsche. 

Vom Vorsitzenden. 

Mir sind in den letzten Wochen manche Klagen von 
Kollegen zugeflogen, die sich über die hohe Nachzahlung zum 
Jahresbeitrag des Preußischen Medizinalbeamtenvereins für 1922 
entrüsten, wie sie auf der Hauptversammlung in Magdeburg 
beschlossen wurde. Mit den Klagen sind sogar einige Austritts¬ 
erklärungen gekommen, meist von Kollegen, die nicht mehr 
oder noch nicht aktive Medizinalbeamte sind, aber auch einige 
aktive haben uns den Rücken gekehrt. Ihnen ist der Beitrag 
zu hoch und im Verhältnis dazu der Erfolg des Vereins in wirt¬ 
schaftlicher Beziehung zu gering. 

Ist nun wirklich der Beitrag unverhältnismäßig hoch gegen¬ 
über früheren Zeiten? 

Man kann doch die Mark zurzeit auch im Inland nur mit 
*/ 50 ihres Goldwertes einsetzen, das ergibt bei dem heutigen 
Jahresbeitrag von 275 Papiermark 5,50 Goldmark. Dafür wird 
die Medizinalbeamtenzeitung geliefert, die schon heute 85 Mark 
Bezugsgeld jährlich kostet und bald noch teurer wird, dafür 
wird der Beitrag zum Reichsbund höherer Beamten mit durch¬ 
schnittlich 120 Mark für das Mitglied bezahlt, dafür trägt der 
Landesverein die Kosten der Vorstandssitzungen und Vertreter- 
Versammlungen. Mögen die Herren Kollegen dazu die Steige¬ 
rung der Reisekosten und Tagegelder und des für die Geschäfts¬ 
führung nötigen Aufwandes an Porto, Schreibgebühr und Büro¬ 
bedürfnissen in Rechnung setzen, so werden sie erkennen, daß wir 
mit unserem Magdeburger Beschluß nicht zu hoch gegriffen haben. 

Man wird auch zugeben müssen, daß alles das, was wir 
mit unseren Mitteln erhalten und ausbauen wollen: Zeitschrift, 
Zugehörigkeit zu einer Spitzenorganisation, Versammlungswesen 
und ordnungsgemäße Geschäftsführung, dringend nötig sind. 

Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr heißt: „Der 
Starke ist am mächtigsten allein.“ Wir brauchen dringender 
als je zuvor einen engen Zusammenschluß nicht nur unserer 
Mitglieder untereinander, sondern auch unseres Vereines mit 
anderen Beamtenverbänden, um uns durchzusetzen gegenüber 
allen Angriffen auf unsere besondere Stellung und auf die 
Stellung der Staatsbeamten überhaupt. 

Organisationen kosten Geld, um so mehr Geld, je stärker 
sie sind; und je stärker und gefestigter der Umwelt gegenüber 
sie dastehen, desto wirksamer sind sie. 

Auch wir haben schon manches erreicht, teils allein, teils 
gemeinsam mit unseren Spitzenorganisationen, dem Reichsbund 
höherer Beamten und dem Berufsverein höherer Verwaltungs¬ 
beamten. Die Zahl der vollbesoldeten Stellen ist erhöht; 323 
vollbesoldeten Stellen stehen nur noch 230 nichtvollbesoldete 
gegenüber. 174 der vollbesoldeten Kreisärzte sind in Auf- 
rückungsstelle in Gruppe XI, 18 Regierungs- und Medizinalräte 
in Gruppe XII. 



460 


Dr. Bnndt. 


Für die Dienstaufwandsentschädignng wird eine Erhöhung 
um fast 200 °/ 0 beantragt werden. Und noch manches andere. 
Was aber das All er wichtigste ist, unsere dienstliche Stellung, 
die jahrelang so vielen Angriffen und Aenderungsversuchen 
ausgesetzt war, ist zurzeit wieder gefestigt. 

Das sind alles Erfolge unseres Zusammenhaltens, das wir 
uns nicht durch persönliche Verärgerung und allzu kritische 
Wertung des Erreichten gegenüber dem, was noch zu wünschen 
übrig bleibt, stören lassen wollen. 

Andere Organisationen auch verwandter Berufe, z. B. der 
Apotheker, bringen viel größere Opfer, ganz zu schweigen von 
den Gewerkschaften, vor deren Opfer Willigkeit wir beschämt 
die Augen senken müssen. 

Der Vorstand weiß genau, daß seiner noch viel Mühe und 
Arbeit für unsere Bestrebungen und für das Wohl des staat¬ 
lichen Gesundheitswesens und der staatlichen Gesundheits¬ 
beamten wartet, aber er wird sich dieser gern unterziehen, 
wenn er weiß, daß die ganze Zahl der Medizinalbeamten und 
der Vereinsmitglieder geschlossen hinter ihm steht. 

Zu den immer und wieder vorgebrachten Klagen aus der 
Reihe unserer Mitglieder heraus gehört auch die, daß den 
Preußischen Medizinalbeamten in den neugeschaffenen Reichs¬ 
medizinalbeamten, den Aerzten der Versorgungsämter, die den 
stolzen Titel Regierungsraedizinalrat bezw. Oberregierungs¬ 
medizinalrat tragen, Wetterwerber in ihrer vertrauensärztlichen 
und Gutachtertätigkeit entstehen. Das ist in der Tat so. Die 
Reichsämter, namentlich das Reichsfinanzamt haben ihren ört¬ 
lichen Stellen Anweisung erteilt, ihre Anwärter und Beamten 
von den Regierungsmedizinalräten untersuchen und begutachten 
zu lassen. 

Dabei ist allerdings die Freude der Herren Kollegen vom 
Versorgungsamt doch nur eine geteilte. Die Erlasse besagen, 
daß alle Untersuchungen im Aufträge einer Behörde zu den 
Amtspflichten gehören, und man deutet wohl nicht falsch, 
wenn man aus dem Erlaß herausliest, daß dies der gewöhnliche 
und zumeist beliebte Weg der Begutachtung sein wird. 

Wir sind damit natürlich in Zukunft auch der Verpflich¬ 
tung enthoben, für die Reichsbehörden Rezepte zu revidieren, 
Rechnungen festzusetzen und ihnen sonst ex officio amtsärzt¬ 
liche Dienste zu leisten. 

Aber das Reich geht so langsam damit um, sich einen 
Stand von Medizinalbeamten zu schaffen. Seien wir auf der 
Hut, daß wir zu unserem Rechte kommen, wenn es einmal dazu 
kommt, das öffentliche Gesundheitswesen von Reiches wegen zu 
ordnen; eine Entwicklung der Dinge, die wir ja selbst in Weimar 
und Nürnberg angeregt und für erstrebenswert erklärt haben. 

Wir wollen freilich auch .unter dem Reichsgesundheits¬ 
ministerium bezw. Reichsgesundheitsamt — dem richtung¬ 
gebenden Mittelpunkt — den einzelnen Ländern und Landes¬ 
teilen eine möglichst umfassende Selbständigkeit in der Aus- 



Sorgen, Hoffnungen und Wünsche. 


461 


führung mit möglichst eingehender Anpassung an die örtlichen 
Verhältnisse erhalten wissen. 

Zu leugnen ist es aber nicht, daß das Reich diese seine 
Beamten besser stellt und anscheinend auch höher bewertet 
als unser Preußen. Jene Regierungsmedizinalräte, wir Kreis¬ 
medizinalräte; jene alle vollbesoldet, mit der Erlaubnis Privat¬ 
praxis zu treiben, wir immer noch zu einem Teil nicht voll¬ 
besoldet und wenn vollbesoldet, so ohne diese Erlaubnis; jene 
in der XI. Besoldungsklasse mit der Möglichkeit, in die XII. aul¬ 
zurücken, wir in der X. und nur zu einem Teil in der XI., ohne 
Aussicht auf die XII. Es liegt in der Tat eine gewisse Minder¬ 
bewertung unseres Standes in dieser Gegenüberstellung, die wir 
nicht verdient haben. 

Wir sind sowohl dem Herrn Minister für Volks Wohlfahrt 
als auch dem Leiter unserer Ministerialabteilung sehr dankbar, 
daß sie unserem Wirken gegenüber' so mancher Unkenntnis 
und Böswilligkeit in den Parlamenten so warme Anerkennung 
gezollt haben, um so mehr, als wir diese Schätzung unseres 
Amtes früher oft genug vermißt haben. Aber wir möchten den 
Ausdruck dieser Schätzung auch in unserer Amtsbezeichnung 
und in unserer Stellung sehen. 

Medizinalrat und Obermedizinalrat soll man uns in der 
Kreisstelle bezeichnen, ohne den „Kreis“, der uns der „Regierung“ 
gegenüber herabsetzt. Ebenso wollen und sollen auch die Ge¬ 
richtsärzte, die Gewerbeärzte und die Leiter der Medizinal¬ 
untersuchungsämter genannt werden, schon damit hierdurch 
ihre enge Zusammengehörigkeit mit uns dokumentiert wird, 
auf die sie stets das allergrößte Gewicht legen. Oberregierungs¬ 
und Medizinalrat soll die Amtsbezeichnung für die Bezirksstelle 
sein, denn in dieser sind wir in der Tat Leiter einer besonderen 
Abteilung, der bisher leider noch nicht als selbständig aner¬ 
kannten Medizinalabteilung, und müssen als solche, als eine 
Auswahl besonders geeigneter und in Beförderungsstelle befind¬ 
licher Medizinalbeamter auch durch die Amtsbezeichnung hervor¬ 
gehoben werden. 

Wir hoffen, daß es dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt 
und unserer Medizinalabteilung gelingt, diese unsere berechtigten 
Wünsche im Staatsministerium durchzusetzen. 

Das Aufrücken in die höheren Besoldungsklassen erstreben 
wir, weil wir uns vollkommen gleichwertig und gleichberechtigt 
mit den juristisch vorgebildeten Verwaltungsbeamten in gleicher 
Kreis- und Bezirksstelle halten, und wir sind der Medizinal¬ 
abteilung für ihre Bemühungen in dieser Richtung dankbar, 
wenn sie auch bisher erfolglos waren. 

Aber dies ist uns nicht das Wesentliche unserer Be¬ 
strebungen. Das Wesentliche ist die Hebung unseres Standes und 
unserer Stellung, die ihren äußerlichen Ausdruck auch in unserer 
Amtsbezeichnung finden soll und mit der zunehmenden An¬ 
erkennung für seine staatlichen Vertreter zugleich die immer 
wachsende Einsicht in die Wichtigkeit des öffentlichen Ge¬ 
sundheitswesens und der Arbeit an diesem gewährleistet. 



462 


Dr. Bondt: Sorgen, Hoffnungen und Wünsche. 


Ich scheue mich fast, auch au diesem Orte in der Medizinal- 
beamtenzeitung vor Wissenden den von uns allgemein aner¬ 
kannten Satz auszusprechen, daß in der Tat neben der Sorge 
für Zucht und Ordnung und untrennbar von diesen das öffent¬ 
liche Gesundheitswesen der allerwichtigste Baustein, ja, der 
Grundstein am Wiederaufbau unseres Volkes und Vaterlandes 
ist. Jedoch, es muß auch hier noch einmal gesagt werden, 
damit wir uns darüber klar werden, vor wie wichtigen Ent¬ 
scheidungen wir an dem Tage stehen, an dem der Leiter der 
Medizinalabteilung, der zentralen Gesundheitsbehörde des Preußi¬ 
schen Staates, Herr Ministerialdirektor Gottstein, von uns 
scheidet. Wir bedauern sein Gehen, denn er hat in schwerer 
Zeit seine ganze Kraft in den Dienst des staatlichen Gesund¬ 
heitswesens und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge gestellt, 
und ist unserem Stande ein wohlwollender Helfer und Förderer 

G ewesen, mit uns eins darin, daß die Erhaltung der staatlichen 
tellung der Medizinalbeamten ein unbedingtes Erfordernis für 
das Allgemeinwohl sei. 

Er geht mitten aus einer Entwicklung heraus. Obwohl 
er manches zum Abschluß gebracht hat — ich nenne hier nur 
Landesgesundheitsrat, Wohlfahrtsämter und Ausschüsse, Heb¬ 
ammengesetz —, so ist doch vieles Andere noch im Werden. 
Ich will hier nur an das Tuberkulosegesetz, das Gesetz zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, vor allem aber an den 
ganzen großen von uns gewünschten Ausbau des öffentlichen 
Gesundheitswesens, überhaupt, Schaffung selbständiger, von 
polizeilicher Bevormundung unabhängiger und mit weitreichender 
Initiative ausgestatteter Gesundheitsbehörden erinnern. 

Gruhd genug für uns, die wir die berufenen Vertreter 
dieses Gesundheitswesens sind, Umschau zu halten und mit uns 
zu Rate zu gehen, wie dieser unserer Lebensarbeit am besten 
gedient wird und wer ihr an leitender Stelle der beste erste 
Dienpr sein wird. Es gibt vielleicht mehrere Berufene. Eins 
aber ist uns gewiß. Er muß ein Mann sein, der aus dem Stande 
der Medizinalbeamten hervorgegangen ist, der in örtlichen und 
zentralen Stellen die nötigen Erfahrungen gesammelt, die Art 
des Volkes in Stadt und Land als Arzt und Medizinalbeamter 
kennen gelernt hat und weiß, wie man ihm mit gesundheitlichen 
Maßnahmen näher kommt. Er muß aber auch von höherer 
Warte aus einen Ueberblick über die Gesamtheit aller gesund¬ 
heitlichen Bestrebungen im Staate gewonnen und sich in der 
Verwaltung mit Erfolg betätigt haben. 

Ein Mann, geschult in bewährter Verwaltungstechnik, 
muß er aber auch das nötige Verständnis für die Forderungen 
und Strömungen unserer Zeit besitzen, um diesen die nötigen 
Auswirkungen in unserem Gesundheitswesen zu geben, um 
andererseits aber auch drohenden unerwünschten Schädigungen 
mit der nötigen Sachkenntnis und Festigkeit entgegenzutreten. 

Die Preußische Medizinalbeamtenschaft, die ihre berufene 
Vertretung im Preußischen Medizinalbeamten verein hat, müßte 



Dr. Rogowski: Zur Erhöhung des Jahresbeitrages. 468 

es als eine Mißachtung, ja, als einen Schlag ins Gesicht empfinden, 
wenn man sie auch bei dieser Besetzung der Ministerialdirektor¬ 
stelle überginge. Sie kann für die Besetzung dieser Stelle nur 
sachliche Gründe, wie sie eben auseinandergesetzt sind, gelten 
lassen, alle anderen Gründe müssen diesen gegenüber zurücktreten. 

Die Sorge für das Gesundheitswesen ist allein das höchste 
Gesetz. , Dr. Bundt-Halle a. S. 

Zur Erhöhung des Jahresbeitrages. 

Von Dr. Rogowski - Berlin. 

Der Beschluß unserer letzten Hauptversammlung, den Ver¬ 
einsbeitrag für 1922 auf 275 Mark bezw. für Kreisassistenzärzte 
auf 175 Mark zu erhöhen, hat den Unwillen manches Vereins¬ 
mitgliedes, das an der Versammlung nicht teilgenommen hat, 
hervorgerufen, und einige Kollegen haben erklärt, daß sie, wenn 
der Jahresbeitrag nicht wieder auf 75 Mark herabgesetzt wird, 
ihren Austritt aus unserem Verein erklären müßten; sie seien 
hierzu durch ihre schlechte geldliche Lage gezwungen. Wir 
Berliner Kreisärzte, die hinsichtlich der amtlichen Nebenein¬ 
nahmen wohl hinter dem kleinsten Landkreise zurückstehen, 
haben für diese Klage vollstes Verständnis, und es fällt uns 
gewiss auch nicht leicht, die 275 Mark für unseren Verein auf¬ 
zubringen. Und doch muß es sein. 

Zunächst kostet unsere Vereinszeitschrift jetzt schon mehr 
als 75 Mark jährlich, so daß wir gezwungen sind, um unsere 
Zeitschrift überhaupt noch erscheinen lassen zu können, sie mit 
einem anderen Aerzteverband gemeinsam herauszugeben. Die 
Kosten der Zeitschrift wachsen, wie auch den Kollegen, die 
nicht dem Vorstand angehören, bekannt sein muß, mit jeder 
Nummer und werden am Ende des Jahres wohl auf 150 Mark 
für jedes Mitglied gestiegen sein. Daß durch die Führung der 
Vereinsgeschäfte gleichfalls Kosten entstehen, müßte gleichfalls 
jedem Mitglied ohne weiteres klar sein. Die Ausgaben für 
Schreibpapier, Briefumschläge, Schreibhilfe, Porti haben sich 
seit Beginn des Jahres vervielfacht und müssen gleichfalls durch 
die Vereinsbeiträge gedeckt werden. Dazu kommen die Aus¬ 
gaben für den Vertretertag mit etwa 32000 Mark in diesem 
Jahre, für die Hauptversammlung und für die Mitgliedschaft 
zum Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten. Wenn einzelne 
Kollegen diese letzteren Einrichtungen für unproduktiv ansehen 
und ihre Wiederabschaffung fordern, so verkennen sie doch 
vollkommen, was sie diesen zu verdanken haben. Die wieder¬ 
holten erheblichen Erhöhungen des Gebührentarifs — eine 
weitere steht in Aussicht —, die bevorstehende beträchtliche 
Erhöhung der Amtsunkostenentschädigung, die Uebernahme des 
Fernsprechers bei einer Anzahl von Kreis- und Gerichtsärzten 
auf die Staatskasse, das demnächst zu erwartende neue Ge¬ 
bührengesetz wären ohne den Rückhalt, den der Vorstand unseres 

*) Anm. d. Scbriftl.: nech nicht endgültig beschlossen, aber ernsthaft 
erwogen nnd in Aussicht genommen! 



464 


Dr. Rogowski: Zar Erhöhung de* Jahresbeiträge*. 


Vereins im Vertretertag; und in den Bezirksvereinen hat, nicht 
denkbar. Und nun der Berufsverein höherer Verwaltungs¬ 
beamten! Von seinen Verdiensten will ich nur eines hervor¬ 
heben. Bis zu den letzten Teuerungszulagen ging das erfolg¬ 
reiche Bestreben des Deutschen Beamten - Bundes und der 
Gewerkschaften im Verein mit der Staatsregierung darauf hin¬ 
aus, die Unterschiede in den Besoldungen der einzelnen Be¬ 
soldungsgruppen möglichst niedrig zu gestalten. Dem entsprach 
bei den früheren Teuerungsverhandlungen die Gewährung eines 
für alle Beamtengruppen gleichen Kopfzuschlags von 10000 M., 
einer für alle gleichen Prauenbeihilfe und Kinderzulage. Der 
Erfolg war, daß — infolge der staffelförmigen Steigerung der 
Einkommensteuersätze — der untere und mittlere Beamte tat¬ 
sächlich 90 v. H., der höhere Beamte aber nur 70 bis 40 v. H. 
dieser Zulagen erhielt. Erst bei der letzten Teuerungszulage 
ist es den Verbänden der höheren Beamten gelungen, die Zu¬ 
lage wieder prozentual zu gestalten und damit die gröbste Un¬ 
gerechtfertigkeit in der vorherigen Form der Teuerungszulage 
zu beseitigen. Es würde hier zu weit führen, die weiteren 
Pläne, die der B. h. V. im Verein mit anderen Verbänden höherer 
Beamten zur Verbesserung der geldlichen Lage der letzteren 
verfolgt, das kann ich aber allen mit der Steigerung der Jahres¬ 
beiträge, unzufriedenen Kollegen versichern, daß sie sich keine 
Vorstellung davon machen können, in welcher nachhaltigen, 
an die Arbeitswilligkeit der Mitglieder des Vorstandes und der 
verschiedenen Ausschüsse dieser Verbände sehr erhebliche An¬ 
sprüche stellenden Weise von diesen auch zum Wohle der 
Medizinalbeamten, auch der im Ruhestand befind¬ 
lichen, gearbeitet wird. Das erfordert nicht nur viel Zeit und 
guten Willen, sondern auch viel Geld für die Organisation. Denn 
nur wenn hinter diesen Ausschüssen eine gut organisierte große 
Mitgliedschaft steht, haben die Forderungen dieser Verbände 
genügend Stoßkraft, um sich durchzusetzen. Es ist natürlich 
bequemer und billiger, an den Erfolgen dieser Tätigkeit — von 
denen ein einzelner nicht ausgeschlossen werden kann — teil¬ 
zunehmen, ohne Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Aber schon die 
Rücksicht auf das Ansehen des eigenen Standes sollte es jedem 
Kollegen selbstverständlich erscheinen lassen, daß er, wenn er 
die Vorteile, die er durch die Tätigkeit seiner Vertreter ein¬ 
heimst, genießt, auch wenigstens an den geldlichen Lasten, die 
mit deren Tätigkeit verbunden ist, sich beteiligt. Daß diese 
Tätigkeit in jeder Hinsicht ehrenamtlich ist, möchte ich zur 
Vermeidung von Mißverständnissen noch besonders betonen. 

Darum, liebe Kollegen, nicht murren und die Vereins¬ 
beiträge gern zahlen, und wenn die Beiträge im nächsten Jahre 
noch höher werden sollten, immer daran denken, daß sie sich 
zehn- und hundertfach wieder einbringenl 


Verantwortlich für die SchrlftleUung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat ln Breslau 
Breslau V, Rehdlgerstra&e 84. — Druok von J. 0. C. Brune, Minden 1. W. 












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der Gerichtsärzte bei gerichtlichen Unter¬ 
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31. Mal 1922. Von Ueheimrat Pappe . 467 
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Dr. Wollenweber-Dortmund 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsisohen, 
Württembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u.Braunsohweigisohen Medizinalbeamtenvereins 

Schrlftleltung: Verlag: 

Ml Med.-Ra! Dr* Solbrig, Fischers med. Bacbhandlang H. Kornfeld, 

lag.« i. Isd.-Bat la Breslau. Isrlln V. 62, KoltlistnBe 5. 

Bezugspreis für das Jahr: 100M.. durch die Post bezogen: 103 M. 


Nr. 16. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monate 


20. Aug. 


Mit Yolldampf voraus — gegen den Kreisarzt. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn • Königsberg i. Pr. 

Der Artikel von Hillenberg in Nr. 12 dieser Zeitschrift 
„Kommunalärzte und Kreisärzte" kennzeichnet so außerordent¬ 
lich treffend die Situation bezüglich der Kreis- und Kommunal¬ 
arztfrage, daß man seine Wucht und seinen Wert nur verkleinern 
könnte, wollte man viele Worte dazu machen. 

Diese Zeilen sollen denn auch weiter nichts als eine 
Illustration der Machtbestrebungen einer Großstadt im Interesse 
der Ausdehnung kommunalärztlicher Amtsbefugnis sein; dem 
zuständigen Stadtmedizinalrat sind die Absichten seiner Stadt¬ 
vertretung zum mindesten nicht unbekannt. 

Seit etwa 9 Monaten erstrebt die Stadt Königsberg mit 
immer größerem Eifer die Uebertragung amtsärztlicher Obliegen¬ 
heiten auf die Stadt und zwar zuletzt in dem Ausmaße, daß 
dem staatlichen Medizinalbeamten fürderhin nur noch — „als 
Polizeiarzt die Ueberwachung des Meldewesens der Medizinal¬ 
personen, des Heilgewerbes und der Prostitution verbleiben solle." 

Der hier zutage tretende „Expansionsdrang" der Kommune 
kann kaum mehr überboten werden. Sein Ziel ist — nach fast 











468 Dr. Hahn: Mit Volldampf voraus — gegen den Kreisarzt. 

völliger Lahmlegung staatsärztlicher Tätigkeit — die Umfassung 
so ziemlich des ganzen dem Kreisarzt durch die Dienstanweisung 
zugewiesenen Aufgaben- und Pflichtenkreises. Daß der Stadt¬ 
medizinalrat nicht von sich aus derartigen, in nichts als in 
Machthunger begründeten, Ausdehnungsplänen der Kommune 
hemmend, ja abwehrend entgegentritt!!!, sofern es nämlich 
zutrifft, daß die Betreuung aller Fürsorgegebiete in der Gro߬ 
stadt größte und immer neue, volle Befriedigung gewährende, 
Arbeitsaufgaben mit sich bringt, und im Hinblick darauf, daß 
in der Großstadt der staatliche Medizinalbeamte, auch ohne 
direkte Betätigung auf sozialhygienischem Gebiete, das restlos 
dem Kommunalarzt als Domäne überlassen wird, durchweg 
volle Arbeitstage hat II 

Das Volkswohlfahrtsministerium hat den Antrag der Stadt 
kürzlich abgelehnt. 

Dennoch gibt letztere den Kampf um die Herrschaft 

— wie anders soll roan’s nennen, da irgendwelche, in volks¬ 
gesundheitlichen Zielen zu findende Gründe nicht erbracht 
werden — nicht auf, sondern hat am 21. Juli d. J. dem in 
Königsberg weilenden Herrn Volkswohlfahrtsminister noch ein¬ 
mal durch den Mund des Magistratsdirigenten — wie man’s in 
den Lokalzeitungen vom 23. Juli lesen kann, — ihre Wünsche 
bezüglich „Uebertragung amtsärztlicher Funktionen auf die 
Stadt“ vorgetragen. 

Nach der bisherigen Stellungnahme des Herrn Ministers, 
der, wie sein Vorgänger, im Parlament voll anerkennende Worte 
für die Tätigkeit seiner staatlichen Medizinalbeamten gefunden 
hat, ist zu hoffen, daß auch durch die neuerlichen Vorstellungen 
des Stadtvertreters die Stellung und der Aufgabenkreis der staat¬ 
lichen Medizinalbeamten keine Einbuße erleidet, daß „dem 
Kreisarzt bleibt, was nach der Dienstanweisung des Kreis¬ 
arztes ist“. 

Man sieht aber immer wieder, es geht „mit Volldampf 
voran“ gegen den Kreisarzt, und — obwohl eine Zersplitterung 
oder Schwächung der Arbeitskraft des Kommunalarztes nur dem 
Ziel selbstgewählter speziell sozialhygienischer Betätigung 
abträglich sein müßte. 

Im übrigen darf mit Recht und erneut zugunsten der Er¬ 
haltung der uneingeschränkten Amtsbefugnisse des Kreisarztes 
betont werden: So frei wie der staatliche Medizinalbeamte, 
ist der „mit staatlichen Obliegenheiten betraute Kommunalarzt“ 
in seiner Kommune niemals auf den vielen, der Betreuung 
des Kreisarztes unterliegenden Gebieten; und gerade mit 
Bezug auf das öffentliche Gesundheitswesen ist unbeeinflußtes 
Urteil, gelegentlich von jeder Rücksichtnahme freie Entschließung 

— wie noch jüngst hier eine wahrscheinlich mit der Zentral¬ 
wasserleitung in ursächlichem Zusammenhang stehende Para- 
tvphus-Epidemie erwiesen hat — geboten. 



Dr. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte nsw. 467 


Die neuen Vorschriften über das Verfahren der 
Gerichtsärzte bei gerichtlichen Untersuchungen 
menschlicher Leichen Tom 31. Mai 1922.*) . 

Von Geheimrat Poppe-Breslan. 

Die neuen Vorschriften für das Verfahren der Gerichts¬ 
ärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen 
sind lange erwartet. Ihr Erscheinen wird allseitig begrüßt 
werden. Das alte Virchowsehe Regulativ bedeutete eine 
ziemlich starre Anweisung für das Verfahren bei den Obduk¬ 
tionen, doch dürfen wir nicht vergessen, daß diese Eindeutigkeit 
der Vorschriften zwar etwas Schematisches hatte, aber das 
Gute in sich schloß, daß der Obduzent wußte, so und nicht 
anders habe er zu handeln. Die Orth sehen Vorschriften vom 
Jahre 1904—1905 ließen dem individuellen Können ebenso 
Raum, wie sie auch eine Anpassung der Methode an die Einzel¬ 
heiten des Palles gestatteten. Es bedarf wohl kaum eines be¬ 
sonderen Hinweises, daß die neuen Vorsphriften, als deren 
geistige Väter wir wohl O. Lubarsch und P. Strassmann 
anzusprechen haben, und an denen auch die Deutsche Gesellschaft 
für Gerichtliche und Soziale Medizin mitgewirkt hat, auf diesem 
letztgenannten Wege weiter fortgeschritten sind. Im einzelnen 
zeigen die Vorschriften mancherlei Aenderung gegen früher. 
Sie stellen erhöhte Anforderungen an das technische Können 
des Obduzenten, und es ist zu wünschen, daß den durchaus 
modern gehaltenen Vorschriften nun auch die erzielten Resultate 
entsprechen mögen. 

Rein äußerlich hat sich die Zahl der Paragraphen um 
einen vermehrt, und zwar betrifft dieser neue § 22 Trichinen- 
und Fleischvergiftungen. Im übrigen ist die Anordnung der 
Vorschriften dieselbe geblieben, wie sie war. 

Unter den Instrumenten ist insofern eine Aenderung 
eingetreten, als das Miskroskop jetzt nicht mehr bei jeder ge¬ 
richtlichen Obduktion zur Stelle zu sein braucht. Diese Aende¬ 
rung ist wichtig, wenn man berücksichtigt, wie groß die 
Schwierigkeiten sind, die sich der Durchführung dieser Vor¬ 
schrift bei ländlichen Obduktionen — und das sind doch wohl 
etwa 50 °/ 0 aller gerichtlichen Obduktionen — entgegenstellen. 
Dafür ist aber nunmehr Vorschrift, 'daß eine Flasche mit ab¬ 
solutem Alkohol und eine solche mit 10°/ 0 Formalin mit einem 
Zusatz von Müll er scher Flüssigkeit, so daß die Flüssigkeit 
eine goldgelbe Farbe besitzt, sowie einige durch Glas- oder 
Korkpfropien gut verschließbare, reine Glas- oder Porzellangefäße 
zur Aufbewahrung von Leichenteilen, welche chemisch oder 
mikroskopisch untersucht werden sollen, zur Stelle sein müssen. 

Ferner müssen mehrere keimfreie Reagenzgläser, ein zum 
Ausglühen geeignetes Messer und eine ebensolche Pinzette 
sowie eine Spirituslampe zur Blutentnahme behufs bakterio- 


*) Beilage zur Volks Wohlfahrt, 1922, Nr. 12. 



468 Dr. Poppe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte 

logischer Untersuchung zur Stelle sein. Nach § 18 ist es zweck¬ 
mäßig, in allen Fällen, in denen nicht eine gewaltsame Todes¬ 
art feststeht oder weit fortgeschrittene Fäulnisvorgänge vor¬ 
liegen, aus dem rechten Herzen keimfreies Blut zur etwaigen 
bakteriologischen oder serologischen Untersuchung zu entnehmen. 
Zu diesem Zwecke soll mit einem an der Spiritus- oder Gas¬ 
flamme ausgeglühten Messer die Außenfläche der Kante des 
rechten Herzens abgesengt, mit dem nochmals geglühten Messer 
in Vorhof oder Kammer eingestochen, und dann das Blut direkt 
in ein bereit gehaltenes keimfreies Reagenzglas eingelassen 
werden. Auch die Benutzung, einer keimfreien Lu ersehen oder 
Rekordspritze, die nach Abglühen der Herzoberfiäche in das 
Herz eingeführt wird, ist erlaubt. Nach § 9 soll bei Verdacht 
auf Septicaemie, Pyämie und Septicopyaemie nicht nur eine 
kulturelle Untersuchung des Herzblutes erfolgen, sondern auch 
der Milz und gegebenenfalls auch der Lymphdrüsen. 

Es ist hier der Ort, darauf hinzu weisen, daß das Ver¬ 
halten der Gerichtsbehörden hinsichtlich der Zeit 
der Obduktionen ein nicht einheitliches ist. Während 
manche Gerichte, wie das ja den Umständen durchaus ent¬ 
spricht, die Obduktion so schnell wie möglich nach dem Tode 
stattfinden lassen, legen andere wieder Wert darauf, erst die 
Ermittlungen der Polizei vor Anordnung der gerichtlichen Ob¬ 
duktion abzuwarten. Daß sich hierdurch in vielen Fällen der 
Zustand der Leiche ergibt, den ein Spötter als die „gerichtliche 
Reife“ einer Leiche bezeichnet hat, ein Zustand der Leichen¬ 
zersetzung, wie er der Erhebung exakter Befunde widerspricht, 
muß nachdrücklich betont werden. Es muß darauf hingewiesen 
werden, daß ein derartiges Verhalten bei der Feststellung des 
objektiven Tatbestandes nicht den Bedürfnissen der strafrecht¬ 
lichen Praxis entspricht, die unter allen Umständen verlangt, 
daß die Befunde an der Leiche möglichst kurze Zeit nach dem 
Tode erhoben werden, weil sie sonst nicht mehr mit der not¬ 
wendigen Eindeutigkeit zu erheben sind. Eine allgemeine 
Regelung des Verfahrens seitens der Justizbehörden nach der 
Richtung hin, daß in allen Fällen, bei denen der Verdacht der 
Täterschaft eines Dritten nicht von der Hand zu weisen ist, 
ungesäumt die gerichtliche Sektion zu beantragen und aus¬ 
zuführen ist, wäre dringend von Nöten. Dies auch aus dem 
Grunde, weil unmöglich ein Gerichtsarzt auf der Höhe wissen¬ 
schaftlichen Könnens bleiben kann, der selten frische und fast 
stets nur mehr oder weniger zersetzte Leichen obduziert. 

Die Beurteilung der Leichenzersetzung (Fäulnis- und Ver¬ 
wesungserscheinungen, autolytische Veränderungen) bleibt wie 
bisher Sache der obduzierenden Aerzte. Die besondere Be¬ 
achtung dieser Erscheinungen wird ihnen im § 9 zur Pflicht 
gemacht. Eine Bemerkung sei hier eingeschaltet: Wenig zweck¬ 
mäßig ist es, wenn in den Protokollen von „blutiger Durch¬ 
tränkung der Gewebe“ gesprochen wird, wenn „frei ausgetretenes 
Blut“ festgestellt wurde, weil hierdurch leicht Verwechslungen 



bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. MaI 1922. 469 


von Zersetzungstranssudation mit vitalen Blutergüssen ein- 
treten können, so daß eine Nachprüfung der Befunde nur schwer 
möglich ist. Sind Zweifel bei dem Obduzenten vorhanden, ob 
frei ausgetretenes Blut oder Zersetzungstranssudat vorliegt, 
dann muß die mikroskopische Untersuchung bei der Obduktion 
fixierter Stücke lehren, welcher Zustand vorhanden ist. 

Es wird von den lokalen Verhältnissen abhängen, ob der 
Gerichtsarzt diese mikroskopischen Untersuchungen 
selbst macht oder von irgendeinem gerichtlich-medizinischen 
oder pathologisch-anatomischen Institut machen läßt, wenn er 
nicht über ein eigenes Laboratorium verfügt. Es ist notwendig, 
daß die gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute bei diesen 
Untersuchungen von den obduzierenden Aerzten in erster Linie 
herangezogen werden. 

Unter den Instrumenten, die bei der Sektion vorhanden 
sein müssen, ist, abgesehen von einem schmalem, spitzen Messer 
zur Eröffnung des Brustbein-Schlüsselbeingelenks*) als neu zu 
verzeichnen: „wenn möglich ein Taschenspektroskop 
mit 2 Untersuchungsgefäßen“. Als letztere können 
naturgemäß Reagenzgläser dienen. Auch ein Fläschchen mit 

S ilbern Schwefelammonium muß natürlich zur Verfügung stehen. 

ie Beschaffung eines Taschenspektroskops, das heutzutage 
etwa 1000 M. kostet, erweist sich jedenfalls als notwendig. 
Es ist durchaus zu billigen, wenn im § 21 die Blutuntersuchung 
auf Kohlenoxyd-Hämoglobin den Gerichtsärzten 
übertragen wird. Es handelt sich hierbei um eine Unter¬ 
suchung, die in einfachen Fällen schon während der Obduktion 
ausgeführt werden kann; liegt der Fall nicht vollkommen klar, 
dann soll bei Verdacht auf CO-Vergiftung nur Blut und nichts 
anderes zur nachträglichen Untersuchung zurückbehalten, und 
die Untersuchung soll dann, wie gesagt, von den Gerichts¬ 
ärzten selbst vorgenommen werden. 

Daß nach § 6 für die Leichenöffnung in der kalten Jahres¬ 
zeit ein geheizter Raum beschafft werden soll, ist durchaus 
zu billigen. Die Obduzenten werden bei ländlichen Obduktionen 
das anordnende Gericht auf diesen Punkt hinzuweisen haben. 

Was nun die Ausführung der Obduktion anbetrifft, 
so wird als Hauptregel hingestellt: entweder muß die Heraus¬ 
nahme der Organsysteme unter Wahrung der natürlichen Zu¬ 
sammenhänge erfolgen, oder, wenn die Organe, was für viele 
Fälle vorzuziehen ist, einzeln herausgenommen werden, so darf 
die Herausnahme erst dann erfolgen, nachdem die natürlichen 
Zusammenhänge genau geprüft sind und festgestellt ist, daß 
keine Abweichungen von der Norm vorliegen. Es soll also 
individualisiert werden. Die Herausnahme der Nieren soll erst 
erfolgen, nachdem Nieren- und Nebennierengefäße, Spermaticae 
und Harnleiter freigelegt sind. Die Ablösung der Därme vom 


*) Der Ausdruck Brustbein-Schldsselgelenk § 18 ist ein Druckfehler, auch 
der Ausdruck Pfortegang in § 20 ist hier wohl zu nennen. 



470 Dr. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte 


Gekröse soll erst dann vorgenommen werden, nachdem die Be¬ 
ziehungen der Blut- und Lymphgefäße des Darmes zu denen 
des Gekröses untersucht sind. 

Bei der äußeren Besichtigung ist neu die Vorschrift, 
daß Proben der Haare einer unbekannten Leiche 
zurückzubehalten sind, auch bei bekannten Leichen sind Haare 
zurückzubehalten, wenn ein Verbrechen vorliegt und wenn 
eine Vergleichung der Haare des Getöteten mit etwa bei dem 
Verdächtigen oder an einem Instrument aufgefundenen Haaren 
notwendig werden sollte. Neu ist auch die Vorschrift, wenn 
möglich, eine photographische Aufnahme zu machen. 
Neu ist ferner, daß, wenn es sich um Steckschüsse handelt, 
wenn möglich zur Erleichterung des Auffindens des Geschosses 
vor der Leichenöffnung eine Röntgenaufnahme zu ver¬ 
anlassen ist. Neu ist weiter, daß bei Starkstromverletzungen 
Teile der verletzten Haut auf Korkplatten aufgespannt zur 
mikroskopischen Untersuchung sofort einzulegen sind; auch 
Gehirnteile, besonders Brücke, verlängertes Mark und große 
Ganglien sollen dann nach Konservierung in absolutem 
Alkohol mikroskopisch untersucht werden. Spuren von Ein¬ 
spritzungen unter die Haut sollen gesammelt und für eine 
etwaige chemische Untersuchung aufbewahrt werden. 

Vielleicht wäre es zweckmäßig gewesen, bei der Fest¬ 
stellung einer unbekannten Persönlichkeit auch der Daktyloskopie 
zu gedenken, die sich verhältnismäßig leicht mit den durch 
Tinte geschwärzten Fingern der Leiche ausführen läßt. 

Sehr wesentlich ist nunmehr hinsichtlich der inneren 
Besichtigung die Bestimmung, daß von der Reihenfolge 
Kopf-, Brust- und Bauchhöhle nur in ganz beson¬ 
deren Fällen abgewichen werden kann. Nämlich dann, 
wenn feststeht, oder wenn vermutet werden kann, daß die Blut¬ 
füllung der einzelnen Organe und der Körperhöhlen für die 
Beurteilung des Falles bedeutungslos ist. Neugeborene sind 
nach wie vor in der Weise zu obduzieren, daß zuerst 
Brust- und Bauchhöhle und dann die Kopfhöhle 
untersucht wird. Bei Vergiftungen kann die Unter¬ 
suchung der Brust- und Bauchhöhle vor der Untersuchung der 
Kopfhöhle erfolgen; letztere muß aber zuerst untersucht werden, 
wenn es sich um Blausäurevergiftungen handelt, weil der Geruch 
des Giftes besonders an der Kopfhöhle, insbesondere nach dem 
ersten Abheben des Schädeldaches mit charakteristischer Rein¬ 
heit festzustellen ist. 

Bei der Obduktion der KQpfhöhle ist nunmehr auch die 
altbekannte Regel in den Vorschriften enthalten, daß, wenn 
schwer trennbare Verwachsungen zwischen Schädeldach und 
harter Hirnhaut vorhanden sind, die Herausnahme des Gehirns 
im Zusammenhang mit harter Hirnhaut und Schädeldach er¬ 
folgen muß. Ein Einschneiden und Abziehen der weichen 
Hirnhaut von der Gehirnrinde soll unterlassen 
werden. Bei der Gehirnsektion wird es als zweckmäßig an- 



bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. Mai 1922. 471 


erkannt, das Gehirn mit einem großen Gehimmesser von der 
Spitze nach dem Hinterhaupte zu in Frontalschnitte zu zer¬ 
legen. Ich würde es sogar für richtig halten, wenn ein Ob¬ 
duzent das ganze Gehirn, zumal, wenn es eine weiche Konsistenz 
hat, /erst in toto härtet und dann später die Zerlegung vor¬ 
nimmt; er muß sich dann sein abschließendes Gutachten am 
Ende der Leichenöffnung Vorbehalten. Selbstverständlich ist 
auch die Obduktion nach der alten V i r c h o w sehen Methode 
zugelassen, aber es ist ausdrücklich bemerkt, daß die Schnitte 
nicht zu tief geführt werden sollen, so daß der Zusammenhang 
der Teile nicht zu stark gelockert wird. Daß durch diese Vor¬ 
schrift, die durch die Notwendigkeit etwaiger mikroskopischer 
Untersuchungen diktiert ist, wichtige Befunde unentdeckt bleiben, 
ist eine Befürchtung, der ich Ausdruck geben möchte. Man 
wird sich doch zu sagen haben, daß nach wie vor die makro¬ 
skopische Untersuchung die Regel und die mikroskopische Unter¬ 
suchung die Ausnahme bilden wird. 

Bei der Untersuchung der Brust- und Bauchhöhle 
ist darauf hinzu weisen, daß die Vorschriften bei der Feststellung 
der Lage der Bauchorgane eine Untersuchung des Wurm¬ 
fortsatzes und der Bruchpforten verlangen. Finden sich 
in der Bauchhöhle fremde Bestandteile, Blut-, Magen¬ 
oder Darrainhalt, so ist sofort eine genaue Untersuchung der 
in Betracht kommenden Bauchorgane vorzunehmen, um mög¬ 
lichst gleich die Durchbruchstelle feststellen zu können. Diese 
neuen Vorschriften beziehen sioh insbesondere auf Fälle von 
Schuß- und Stichverletzung, in denen, wie es ja wohl meist 
geschehen ist, bei der Betrachtung der Bauchhöhle und vor der 
Obduktion ihrer Organe, Lage, Richtung und, wenn möglich, 
auch Tiefe der Verletzungen festgestellt werden soll. 

Neu ist bei der Untersuchung der Brust höhle die Forde¬ 
rung, die Pneumothoraxprobe anzustellen, wenn diesbezüg¬ 
liche Befunde zu erwarten sind. Diese sollen so angestellt 
werden, daß man die abgelösten Weichteile am Rippenbogen 
umschlägt, in die Höhe hebt und in die so gebildete Tasche 
zwischen Haut und Brustkorb Wasser hineingießt; dann wird 
in einen oder mehrere Rippenzwischenräume im Gebiete der 
Wasseransammlung vorsichtig und wenig tief hineingeschnitten 
und ein weicher Druck auf die betreffende Brustkorbhälfte aus¬ 
geübt, wobei dann Blasen im Wasser, aufsteigen, wenn sich 
Luft oder Gas im Brustkörbe befindet. 

Sind nunmehr die Knorpel der 2., 3. usw. Rippe durch¬ 
schnitten, dann wird dasBrustbeinende mit denRippen- 
knorpeln empor gehoben, und es muß jetzt fest¬ 
gestellt werden, ob fremder Inhalt in der Brust¬ 
höhle vorhanden ist, und welcher Art derselbe ist. 
Erst nach dieser Feststellung soll das Brustbein- 
Schlüsselbeingelenk eröffnet und die erste Rippe 
durchschnitten werden. Diese Bestimmung ist neu, wesent¬ 
lich und, wie mir scheint, auch unschwer auszuführen. Sie be- 



172 Dt. Pappe: Die oeaen Vorschrillen aber das Verfahren der Geriebisim 

zweckt die Prüfung der Befunde vor Hineinfließen von Blut in 
die Brugtfellhöhle durch Verletzung der Schlüsselbeingefäße bei 
der Eröffnung des erwähnten Gelenks oder der Durchtrennung 
der ersten Rippe. 

Bei Verdacht auf Luftembolie soll nun ebenfalls vor 
Eröffnung des Brustbein-Schlüsselbeingelenks der Herzbeutel 
eröffnet und mit Wasser angefüllt werden, damit dann unter 
Wasser die Eröffnungsschnitte des Herzens vorgenommen werden 
können. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß in solchen 
Fällen nicht mit der Eröffnung der Schädelhöhle 
begonnen werden soll (z. B. plötzlicher Tod bei 
Fruchtabtreibung, Tod durch Stich verletz ung in 
den Hals und ähnliches mehr). Ferner ist des Umstandes 
zu gedenken, daß sich für die Feststellung der Luftembolie 
ganz besonders der rechte Vorhof zur genauen Untersuchung 
empfiehlt, der häufig schon makroskopisch, aber auch perku¬ 
torisch die entsprechenden Veränderungen erkennen lassen 
wird. Entwicklung von Gasen aus dem Blute durch Leichen¬ 
zersetzung muß ausgeschlossen werden können. Ein derartiger 
Ausschluß wird aber nicht möglich sein, wenn es sich um eine 
Leiche handelt, die als solche älter wie 24 Stunden ist. 

Nachdem nunmehr die Brusthöhle vollkommen freigelegt 
ist, sollen entweder die gesamten Brust- und Hals¬ 
organe nach vorheriger Unterbindung der Aorta 
und der Speiseröhre dicht über dem Zwerchfell im 
Zusammenhang herausgenommen werden, oder es 
sollen nach Eröffnung der Brusthöhle die Brustdrüse*) und 
die Lungen entfernt, und dann die Halsorgane mit 
dem Herzen, abermals nach Unterbindung der Aorta 
und der Speiser Öhre dicht über dem Zwerchfell ent¬ 
fernt werden. Die alte Prüfung auf Schlußfähigkeit 
der Schlagaderklappen durch Eingießen von Wasser 
ist als unzuverlässig nicht mehr auszuführen. Doch 
ist auch die bekannte Herausnahme des Herzens je nach den 
Einzelheiten des Falles in Zukunft nicht etwa als verpönt an¬ 
zusehen. Es wird sich aber w’ohl in den meisten Fällen empfehlen, 
Halsorgane mit Herz und Speiseröhre und Brustschlagader im 
Zusammenhang herauszunehmen, nachdem die Lungen entfernt 
sind. Es sei denn, daß man auf eine Lungenarterienembolie 
fahndet, die man naturgemäß am besten nach Entfernung der 

? ranzen Brustorgane im Zusammenhang auffinden kann. Jeden- 
alls sind die seitlichen Einschnitte in die Vorhöfe und Kammern 
noch in situ anzubringen, ebenso wie Größe, Gestalt, Farbe, 
Konsistenz und Inhalt des Herzens in situ festzustellen sind. 
Nach Herausnahme des Herzens mit den Halsorganen erfolgt 
die Eröffnung der rechten Kammer, ebenso wie die der linken 
Kammer in der bisher üblichen Weise. An letztere schließt 
sich unmittelbar die Eröffnung der ganzen Aorta bis zum ab- 


*) Thymus ist Brustdrüse, Mamma ist Milchdrüse. 



bei geriehtlicheu Untersuchungen menschlicher Leichen vom 81. Mai 1982. 473 

steigenden Brustteil an. Dann werden mit einer geknöpften 
Schere (Bronchialschere) die vom Aortenbogen abgehenden 
großen Schlagadern aufgeschoitten und daran anschließend die 
Kranzgefäße des Herzens eröffnet. Es ist zu wünschen, daß 
die Obduzenten bei der Wiedergabe der Befunde der letzteren 
Unterschiede zwischen Kranzblutadern und Kranzschlagadern 
machen; denn im wesentlichen sind es ja Erkrankungen der 
Kranzschlagadern, die gerichtsärztliches Interesse haben. Erst 
nunmehr werden die Verbindungsschnitte zwischen Vorhöfen 
und Kammern angelegt und vom rechten Vorhof aus wird 
noch die obere Hohlvene und die Azygos auf¬ 
geschnitten. Schließlich folgen noch Schnitte in die Herz¬ 
muskulatur (Hinterwand, Septum, Papillarmuskel) sowie in den 
linken Schenkel des Reizleitungssystems (His-Tawarasches 
Bündel), das dreiteilig sich verzweigend etwas unterhalb der 
rechten Aortenklappe beginnt*), und das sich vielfach mit dem 
bloßen Auge verfolgen läßt. Hierbei ist auf Narben, Blutungen 
und Geschwülste usw. zu achten. Die Dicke der Wand ist zu 
messen usw. 

Die Untersuchung der Lungen hat im übrigen keine 
Aenderung erfahren. Dagegen ist eine Aenderung in der Unter¬ 
suchung der Halsorgane insofern vorgeschrieben, als nun¬ 
mehr die Darmschere zwischen Zunge und Rachen¬ 
wand einzuführen und um die linke Gaumenmandel 
herum in die Speiseröhre vorzuschieben ist. Letztere 
ist dann in der Mitte aufzuschneiden. Gaumenmandeln 
und Zäpfchen bleiben so in ihrem natürlichen Zu¬ 
sammenhang. 

Die Untersuchung der Milz hat sich nicht verändert. 
Hinsichtlich derNieren- und Nebennierenuntersuchung 
wurde oben bereits auf die Notwendigkeit der Untersuchung 
der zuführenden Arterien und des Harnleiters hingewiesen, bevor 
die Nieren aus dem Zusammenhang entfernt werden. Bei der 
Herausnahme der rechten Nebenniere und Niere soll das Zwerch¬ 
fell in vertikaler Richtung eingeschnitten und die Leber nach 
links herüber präpariert werden, bis dann die Nebenniere und 
die Pfortader freigelegt sind. 

Die Untersuchung der Beckenorgane**) hat keine Aende¬ 
rung erfahren. Magen und Zwölffingerdarm werden wie bisher 
eröffnet, dann wird die Durchgängigkeit des Gallenganges er¬ 
mittelt, dann soll der Gallengang bis zur Leberpforte auf¬ 
geschnitten werden, wie es bisher erfolgt ist, dann aber wird 
die Leber besichtigt und herausgeschniten, um nun¬ 
mehr genauer untersucht zu werden. Dann soll die Gallen¬ 
blase aus ihrem Bette entfernt und über einem 


*) Abgebildet u. a. inNauwerck: Sektionstechnik (Jena, QastavF i s c b e r 
1921) and in L. Aschoff: Pathologische Anatomie, Band II, S. 7. (Jena, 
Gustav Fischer 1921). 

**) Gewiß hätte wohl mancher gern den Ausdruck Trompeten durch 
Eileiter ersetzt gesehen (§ 20). 



474 Dt. Pappe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte 

reinen Gefäß aufgeschnitten werden, um gleich 
wieder in die Leiche zurückgelegt zu werden. Nun 
erst werden Magen, Zwölffingerdarm, Bauch¬ 
speicheldrüse, Bauchaorta und Gekröse — der Darm 
kann schon vorher, nach Herausnahme der Milz oder der Neben¬ 
nieren oder Nieren entfernt werden — im Zusammenhang 
herausgenommen und Magen und Zwölffingerdarm nach 
Abspülen und Entfernen etwaiger Schleimmassen genau unter¬ 
sucht. Dann wird ein Schnitt durch die Bauchspeicheldrüse 
vom Kopf bis zum Schwanz gelegt, und die Bauchaorta wird 
mit der Darmschere aufgeschnitten. 

Jetzt erfolgt die Untersuchung des Gekröses, des Dünn- 
und Dickdarms in der üblichen Weise. Ob sich die neue Vor¬ 
schrift, daß das Aufschneiden der Därme auf dem Sektionstisch 
nicht mehr vorzunehmen ist, sondern über einem entfernt 
stehenden Behälter (Eimer, Kübel, Ausguß) wird allgemein 
durchführen lassen, wage ich zu bezweifeln. Die Vorschrift ist 
offenbar durch Erfahrungen, wie sie in gut eingerichteten 
Sektionsräumen gemacht worden sind, veranlaßt, entspricht 
aber kaum den Verhältnissen, wie sie bei der Mehrzahl der 
gerichtlichen Sektionen herrschen werden. 

Hinsichtlich des Verfahrens bei Vergiftungen sei auf 
die oben gemachten Bemerkungen hinsichtlich der Blausäure¬ 
vergiftung, wie auch hinsichtlich der Reihenfolge der Körper¬ 
höhlen hingewiesen. Die Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle 
an erster Stelle der inneren Besichtigung ist, wie ich wieder¬ 
holen möchte, eine Kannvorschrift. Gefordert wird eine Bereit¬ 
stellung folgender Organe zur chemischen Untersuchung: Gefäß 
A. Blut, Gefäß B. Magen, Mageninhalt, Gefäß C. Dünndarm und 
Duodenum, nebst Inhalt, Gefäß D. Dickdarm, nebst Inhalt, Ge¬ 
fäß E. Nieren, Gefäß F. Harn, Gefäß G. Leber und Gallenblase, 
Gefäß H. Gehirn (nur bei narkotischen Giften), Gefäß J. ein 
handtellergroßes Stück Bauch- oder Brusthaut und 5 g Haare 
(nur bei Verdacht einer Arsen Vergiftung). Hinsichtlich der Ent¬ 
nahme der Erdproben und des Mittelstücks des Sargbodens bei 
Enterdigungen unter Vergiftungsverdacht bleiben die bisherigen 
Bestimmungen in Kraft (§ 4). 

Ein besonderes Verfahren zur Bereitstellung von Organeu 
bei Verdacht einer Vergiftung durch Einatmung, wie es bisher 
vorgeschrieben war, wird in den neuen Vorschriften nicht ge¬ 
fordert. Auch die Bereitstellung von Teilen des Herzens, der 
Lungen und der Milz zur chemischen Untersuchung ist nicht 
mehr erforderlich. Aus welchen Gründen diese Forderung unter¬ 
blieben ist, geht aus den Vorschriften nicht hervor. 

Was die Technik der Untersuchung anbetrifft, so ergibt 
sich gegenüber dem bisherigen Verfahren keine Aenderung. 
Es bleibt also dabei, daß zunächst die Brusthöhle untersucht 
wird, und daß dann die Halsorgane nach Unterbindung der 
Speiseröhre oberhalb des Magenmundes aus dem Zusammen¬ 
hang entfernt, aber nicht oberhalb des Zwerchfelles durchtrennt 



bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. Mai 1922. 475 

werden. Dann erfolgt die Untersuchung der Milz und der 
Nieren sowie Nebennieren nach doppelter Unterbindung des 
Zwölffingerdarms im oberen Drittel. Doppelte Unterbindung 
zwischen Dünn- und Dickdarm und doppelte Unterbindung 
oberhalb des Mastdarms. Es sind also insgesamt 7 Unterbin¬ 
dungen anzulegen. Finden sich ungelöste amorphe oder kristalli¬ 
nische Teilchen im Magen, dann sind diese nach Möglichkeit 
zu sammeln und für die chemische Untersuchung aufzubewahren. 

Bei Verdacht auf Trichinose soll die mikroskopische 
Untersuchung des Magens und oberen Dünndarminhaltes an¬ 
gestellt werden. Ferner soll ein Teil der Zwerchfell-, Hais¬ 
und Brustmuskulatur zur weiteren Prüfung zurückgelegt werden. 

Bei Fleischvergiftungen (Paratyphus B, Botulismus u. a.) 
sind Proben zur bakteriologischen Untersuchung in der üb¬ 
lichen Form zu entnehmen. Ebenso sind auch bei Verdacht 
auf Botulismus kleine Scheiben vom Gehirn, Brücke und ver¬ 
längertem Mark, sowie Rückenmark zur mikroskopischen Unter¬ 
suchung in absolutem Alkohol zu konservieren. 

Die Obduktion von Leichen Neugeborener hat nach 
2 Richtungen hin längst erwartete Neuerungen erfahren. Einmal 
bringt der § 23 letzter Absatz die Vorschrift: „ergibt sich aus 
der Beschaffenheit der Frucht, daß sie vor Vollendung der 
26. Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Ab¬ 
stand genommen werden, wenn sie nicht von dem Richter 
ausdrücklich gefordert wird“. Hiermit haben sich die Vor¬ 
schriften auf denselben Boden gestellt, wie das Bürgerliche 
Gesetzbuch, in dem der 181. Tag als Beginn der Empfängniszeit 
genannt ist, und wie das Hebammenlehrbuch, das mit 32 cm 
Körperlänge eine standesamtliche Meldung verlangt. Es wird 
hiernach in einschlägigen Fällen das vorläufige Gutachten dahin 
abzugeben sein, daß das untersuchte Kind die Grenze der 
Lebensfähigkeit erreicht (oder überschritten) hat, daß es neu¬ 
geboren war, und daß es ein Fruchtalter von so und soviel 
Wochen erreicht hat. Dann wird in Nummer II des Gut¬ 
achtens auszusprechen sein, ob es gelebt hat und unter 
Nummer III woran es gestorben ist. 

Sodann ist eine zweite wichtige Neuerung, daß die 
Magendarmschwimmprobe bei negativem oder zweifel¬ 
haftem Resultat der Lungenschwimmprobe angestellt werden 
soll. Es wäre wohl zweckmäßig gewesen, ihre Anstellung in 
allen Fällen zu fordern, insofern, als sie uns doch über die 
Dauer des Lebens des Kindes nicht zu unterschätzende Auf¬ 
schlüsse zu geben imstande ist. Die neuen Vorschriften ent¬ 
halten die Magendarmschwimmprobe als Soll-Vorschrift nur 
bei negativem oder zweifelhaftem Ausfall der Lungenschwimm¬ 
probe. Bei ihrer Anstellung sind, abgesehen von der Unter¬ 
bindung der Speiseröhre oberhalb des Zwerchfells wie bisher 
2 Unterbindungen am Duodenum anzulegen und 2 Unterbin¬ 
dungen am Mastdarm. Es ist zu prüfen, ob eine fortgesetzte 
Luftanfüllung von Magen und Darm vorhanden ist. Würden 



476 Dr. Puppe: Die neuen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsirzte 


nur einzelne Luftblasen hie und da vorhanden sein, so würde 
das ein Befund sein, der für Gas bildende Leichenzersetzung 
spräche. Ein Befund von Luft im Magen und in den oberen 
20 cm des Zwölffingerdarms und des Dünndarms würde die 
Annahme rechtfertigen können, daß das Kind länger, als nur 
ein paar Augenblicke gelebt hat. Ich weiß sehr wohl, daß Er¬ 
fahrungen vorhanden sind, die dafür sprechen, daß eine kurze 
Lebensdauer auch mit mehr oder weniger erheblicher Füllung 
des Dünndarms vereinbar ist, muß aber bezweifeln, daß diese 
Erfahrungen der Regel entsprechen. 

Hinsichtlich der Lungenschwimmprobe sind 2 Aende- 
rungen gegenüber dem bisherigen Verfahren zu verzeichnen. 
Die Eröfmung der Luftröhre in situ oberhalb der Unterbindung 
(bisher § 23 f) soll nicht mehr stattfinden. Ebenso soll auch 
nicht mehr eine Durchschneidung der Luftröhre oberhalb der 
Unterbindung und eine Entfernung der Luftröhre mit den ge¬ 
samten Brustorganen von dieser durchschnittenen Stelle aus 
stattfinden (bisher § 23g) Vielmehr soll nach Unter¬ 
bindung der Luftröhre, die auch in den neuen Vor¬ 
schriften gefordert wird, die Brusthöhle eröffnet, der Zu¬ 
stand der Lungen, insbesondere ihre Lage ermittelt, der Herz¬ 
beutel und ebenso die einzelnen Herzabschnitte eröffnet und 
ihr Inhalt bestimmt werden — alles wie bisher — dann aber 
sind die Brustorgane im Zusammenhang mit den Halsorganen 
herauszunehmen. Jetzt werden die Lungen abgeschnitten, 
ihre Schwimmfähigkeit geprüft, dann erfolgt das Aufschneiden 
des Herzens und der großen Gefäße, wobei auf die Durch¬ 
gängigkeit des Botanischen Ganges und des eiförmigen Loches 
zu achten ist, und dann findet die Sektion der Lungen statt, 
wie bei jeder anderen Leichenöffnung. Nunmehr erfolgt das 
Einschneiden der Lungen unterhalb des Wasserspiegels, es wird 
dann jeder Lappen auf Schwimmfähigkeit geprüft, und es findet 
die weitere Fortsetzung der Lungenschwimmprobe in der bis¬ 
herigen Weise statt. Daß die Brustdrüse nicht erwähnt ist, 
möchte ich nicht für zweckmäßig erachten. Diese Untersuchung 
findet natürlich vor der Untersuchung des Herzens statt. Die 
Feststellung ihres Gewichtes ist mir nicht nur bei Neugeborenen, 
sondern auch bei Leichen von Kindern und gegebenfalls auch 
von Erwachsenen, immer wertvoll erschienen (am besten mittels 
Briefwage). 

Die Notwendigkeit einer Untersuchung der Lungen bei 
Verdacht auf Ertrinken in Flüssigkeit, Kot oder bei Verdacht 
von Aspiration von Kindsschleim besteht naturgemäß nach 
wie vor. 

Daß die Vorschriften hinsichtlich der Untersuchung der 
Kopf höhle eines Neugeborenen meinen Vorschlag, den 
ich auf der letzten Hauptversammlung des Preußischen Medizinal¬ 
beamtenvereins in Magdeburg machte, und der sich auf eine 
besondere Untersuchung der Hirnsichel und des Kleinhirnzeltes 
bezieht, nicht enthalten, bedauere ich. Ich nehme wohl an, 



bei gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 81. Mai 1922. 477 

daß meine Anregung zu spät erfolgte, um noch Aufnahme in 
die Vorschriften finden zu können. Hierbei weise ich noch darauf 
hin, daß in der bekannten Sektionstechnik von Nauwerck 
in ihrer neuesten Auflage (Jena, G. Fischer 1921) auf Seite 175 
die Abbildung eines ganz ähnlichen, von 6. F i s c h e r empfohlenen 
Verfahrens zu finden ist, und daß sonach auch mein Vorschlag 
Anspruch auf die Beachtung weiterer Kreise haben dürfte. 
Die Tatsache, daß die Vorschriften dieses Verfahren nicht ent¬ 
halten, wird den, der sich desselben einmal bedient hat, gewiß 
nicht abhalten, auch in Zukunft nach meiner Empfehlung zu 
arbeiten, wenn er die Untersuchung der Kopf höhle der Leiche 
eines Neugeborenen vornimmt. Ich bin überzeugt, daß die Er¬ 
gebnisse die etwas größere Mühe rechtfertigen werden. 

Hinsichtlich der Abfassung der Protokolle über die 
Leichenöffnung, sowie der Begutachtung ist zunächst festzu¬ 
stellen, daß die Vorschriften im § 26, 27 usw. an dem Ausdruck 
Protokoll festhalten, während im § 9 das Protokoll als „Befund¬ 
bericht“ bezeichnet wird. Wir werden uns wohl nach wie vor 
der alten eingebürgerten Bezeichnung Protokoll bedienen wollen. 
Ausdrücklich ist hervorgehoben, daß stereotype Wendungen zu 
vermeiden sind. Der Bericht muß ein durch den Einzelfall 
bedingtes möglichst bestimmtes Gepräge haben. Angaben über 
negative Befunde (keine Auflagerungen, keine Flüssigkeits¬ 
ansammlungen, unverändert und unverletzt) sind nur dann zu¬ 
lässig, wenn nach der Lage des ganzen Falles oder nach den 
bereits erhobenen Befunden derartige Veränderungen erwartet 
werden konnten, sich aber nicht fanden. Zeigen sich in mehreren 
Organen oder Organabschnitten dieselben Veränderungen, dann 
soll nur das Abweichende von der ersten genauen Beschreibung 
hervorgehoben werden. Befunde, die als nebensächlich an¬ 
gesehen werden, sind kürzer, aber ebenfalls genau zu beschreiben. 

Die Vorschriften wiederholen die Mahnung der früheren 
Vorschriften in § 26 drittletzter Absatz, daß über die technische 
Ausführung der Leichenöffnung in ihren einzelnen Teilen nur 
dann Angaben zu machen sind, wenn man von der vor¬ 
geschriebenen Form abweicht. Ich weise auf diese Bestimmung 
ausdrücklich hin, weil häufig dagegen verstoßen wird. Daß 
man die Untersuchung der Kopfhöhle im allgemeinen nicht 
anders machen kann, als nachdem man einen von einem Ohr 
bis zum anderen Ohr ziehenden Schnitt angelegt hat, ist ebenso 
selbsverständlich, wie es klar ist, daß der Untersuchung der 
Brust- upd Bauchhöhle eine Eröffnung dieser Höhlen durch 
einen langen Schnitt durch Brust- und Bauchhaut vorangehen 
muß. Ich zweifele nicht daran, daß diese sich in vielen Proto¬ 
kollen findenden Angaben Reminiszenzen anVirchows Muster- 
Protokolle sind, die er im Anschluß an seine Erläuterungen 
zum Regulativ von 1875 (Die Sektionstechnik im Leichenhause 
des Charitdkrankenhauses mit besonderer Rücksicht auf gerichts¬ 
ärztliche Praxis, Berlin-Hirschwald) veröffentlicht hat, weil sich 
hier derartige, durch die damalige Zeit wohl erklärliche An- 



478 Dr. Pappe: Die neaen Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte asw. 

gaben finden. Mittlerweile wissen wir aber, wie Kopf-, Brust- 
und Bauchöhle zu eröffnen sind, und es erübrigt sich ein dies¬ 
bezüglicher Hinweis im Protokoll. Nur z. B. dann, wenn die 
Freilegung der Halsorgane durch eine Verlängerung des Schnittes 
durch die Weichteile des Kopfes (unter „ weichenKopfBedeckungen“, 
die sich ebenso, wie in dem ersten der erwähnten V i r c h o w sehen 
Musterprotokolle, auch jetzt noch im § 14 der Vorschriften 
finden, versteht man heute wohl allgemein etwas anderes), nach 
unten zu bis zur Drosselgrube erfolgt, würde das in einem 
Protokoll besonders erwähnt werden können (§ 19 Absatz 7). 
Der in § 19 Absatz 8 angegebenen Methode der Anlegung des 
Hautschnittes bis in die Unterlippe hinein mit Abpräparieren 
der Wangen von den Unterkiefern und Durchkneifen der hori¬ 
zontalen Unterkieferäste nahe den Unterkieferwinkeln mit der 
Rippenschere bediene ich mich wegen der Wichtigkeit von 
Rachenverletzungen bei Neugeborenen in allen Fällen — ohne 
das jemals im Protokoll zu erwähnen. 

Wichtige Aenderungen enthält der § 28 der Vorschriften 
hinsichtlich des vorläufigen Gutachtens und der er¬ 
gänzenden Untersuchungen. Letztere werden ihrer Be¬ 
deutung entsprechend ausdrücklich der alten Ueberschrift des 
betreffenden Paragraphen (Vorläufiges Gutachten) angefügt. 
Das Gutachten soll sich zuerst auf die Todesursache und zwar 
nach Maßgabe desjenigen, was sich aus dem objektiven Be¬ 
funde ergiBt, nächstdem aber auf die Frage der verbrecherischen 
Veranlassung richten. Allgemeine Bezeichnungen wie Herz¬ 
schwäche, Herzschlag, Lebensch wäche, Altersschwäche sindzu ver¬ 
meiden, vielmehr sind die anatomischen Veränderungen anzugeben, 
die für den Eintritt des Todes verantwortlich gemacht werden 
sollen. Ist die Todesursache in dem Zusammenwirken mehrerer 
Organveränderungen zu sehen, so ist möglichst das Abhängig¬ 
keitsverhältnis der verschiedenen Veränderungen anzugeben. 

Ist es nun aber nicht möglich gewesen, zu einem sicheren 
Urteil über die Todesursache zu kommen, so haben das die 
Gerichtsärzte wie bisher anzugeben, aber auch anzuführen, 
welche Todesursachen etwa in Betracht kommen, und was zur 
weiteren Aufklärung zu geschehen hat. Dabei sind in erster 
Linie von den Gerichtsärzten ergänzende Untersuchungen 
(mikroskopische, bakteriologische, serologische, experimentelle 
und chemische) in Betracht zu ziehen und in zweiter Linie das 
Aktenstudium und die weiteren Ermittlungen. Die Vorschriften 
fordern in allen Fällen, in denen über wichtige Fragen eine 
Aufklärung aus dem groben Leichenbefunde nicht zu erhalten 
war, die Vornahme von ergänzenden Untersuchungen. Es ge¬ 
nügt auch nicht, yrenn der Verdacht auf eine Vergiftung aus¬ 
gesprochen wird, sondern es muß die Art der in Betracht 
kommenden Vergiftung angegeben werden, oder wenigstens 
müssen diejenigen Vergiftungen bezeichnet werden, die nach 
dem Leichenbefund mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlich¬ 
keit ausgeschlossen werden können. 



.Sommerversammlung des Medizinalbeamtenvereins der Provinz Sachsen. 479 

Wenn die Untersuchungen von den Gerichtsärzten nicht 
selbst vorgenommen werden können, dann soll den mit der 
Untersuchung betrauten Stellen ein genauer Bericht über die 
bisher erhobenen Befunde gegeben und bestimmt bezeichnet 
werden, worauf sich die Untersuchung erstrecken soll. Bei den 
bakteriologischen Untersuchungen ist an die kulturelle stets 
eine bakterioskopische der betreffenden Teile anzuschließen. Es 
wird auch empfohlen, sämtliche Leichenteile zunächst auf Eis 
oder in mit dünner Formalinlösung oder Chloralhydratlösung 
getränkten Tüchern aufzubewahren, da durch weitere Er¬ 
hebungen noch Anhaltspunkte für neue Untersuchungen ge¬ 
geben werden können. In Fällen, wo derartige Untersuchungen 
nötig sind, oder wo zweifelhafte Verhältnisse vorliegen, ist ein 
begründetes Gutachten ausdrücklich vorzubehalten. 

Finden sich Verletzungen an der Leiche, so haben 
sich die Gerichtsärzte über die Eignung in Frage kommender 
Werkzeuge zur Zufügung dieser Verletzungen zu äußern. 
Ebenso auch über die Art, wie der Täter, und über die Kraft, 
mit der er verfahren ist. Werden bestimmte Werkzeuge nicht 
vorgelegt, so haben sich die Gerichtsärzte, so weit das zu er¬ 
möglichen ist, über die Art der Entstehung der Verletzung zu 
äußern. 

Hinsichtlich der Erstattung des begründeten Gutachtens 
bleibt es bei den bisherigen Vorschriften. 

Die Vorschriften über das Verfahren bei der Leichen¬ 
schau enthalten im § 31 als Soll-Vorschrift, daß die Ein¬ 
schnitte in die Umgebung von Wunden zu unterlassen sind. 
Ebenso wie das Einschneiden von Totenflecken, wenn eine 
Verwechslung mit Blutaustretungen möglich wäre, das bei der 
Sektion vorgeschrieben ist. 

Die Untersuchung eines Menschen auf den Geisteszustand 
kann wiederholt werden, so lange der Betreffende zur Unter¬ 
suchung zur Verfügung steht. Ebenso ist es mit Untersuchungen 
auf Erwerbsfähigkeit bestellt. Eine schlecht ausgeführte Ob¬ 
duktion aber läßt sich nicht wiederholen; die Befunde werden 
in der Regel — auch abgesehen von der Leichenzersetzung — 
namentlich in verwickelteren Fällen so verwischt sein, daß eine 
Wiederherstellung des Befundes beim Tode unmöglich wird. 
Mit Recht sind deshalb die neuen Vorschriften für das Ver¬ 
fahren der Gerichtsärzte mit vielen Einzelvorschriften versehen 
worden. Ich zweifele nicht daran, daß sie sehr schnell Gemein¬ 
gut der obduzierenden Gerichtsärzte sein werden — zum besten 
der Rechtspflege! _ 

Aus Versammlungen und Vereinen. 

Sommer-Versammlung des Medlzlnalbeamten-Verelns der 
Provinz Sachsen am 9. Joll 1999 ln Blanmbnrg a. 8. 

Es beteiligten sich an der Zusammenkunft 17 Medizinalbeamte; der 
Bezirk Merseburg war gut, die Bezirke Magdeburg und Erfurt leider nur in 
beschränkter Zahl vertreten; die Versammlung wurde an Stelle des durch 



480 Sommer-Versammlung des Medixin&lbeamtenvereins der Provinz Sachsen 

Krankheit in der Familie behinderten Herrn Pr. Klage -Wolmirstedt von Herrn 
Hillenberg - Halle a. 8. geleitet. 

Zar Tagesordnung sprach in einem eingehenden, recht beifällig auf¬ 
genommenen Referat Herr Hühnlein - Merseburg über das Thema: Kreisarzt 
und Rassenhygiene. 

Der Vortrag soll demnächst in der Medizinalbeamten-Zeitschrift oder in 
den „Veröffentlichungen aus der Medizinalverwaltung" erscheinen, so daß von 
der eingehenden Wiedergabe hier Abstand genommen werden kann. Es sei 
aus dem Vortrag nur andeutungsweise hervorgehoben: Die große Bedeutung 
der „Mendelschen Vererbungsgesetze“ wird in ihrer Gültigkeit auch für den 
Menschen noch immer nicht ausreichend für die rassenhygienischen Bestrebungen 
gewürdigt. Die Auswirkungen der schweren Keimschädigungen, wie sie be¬ 
sonders Tuberkulose, Syphilis und Alkohol bewirken, werden sich schwer noch 
in der Zukunft zeigen; diese Zukunftsaussicht muß uns Medizinalbeamte auf 
den Plan rufen zu tatkräftiger Mitarbeit bei einer gut durchdachten Eugenik; 
die Arbeitsgebiete der Sozialhygiene, zu denen ja letzten Endes auch die 
Eogenik gehört, sind weiter auszubauen. Die praktische Arbeit rassenbygieni- 
scher Art darf nicht nur eine negative sein, sondern sie muß auch positiv sein; 
es sind Ehe - Beratungsstellen einzurichten, die auf Grund sorglich geführter 
Familientafeln ihre Tätigkeit ausüben; erfolgreiche Arbeit ist aber nur dann 
zu leisten, wenn die Bevölkerung aufgeklärt ist; die Bedeutung der Ver¬ 
erbungsgesetze muß in ihren Grundlagen schon durch die Schule der Jugend 
vermittelt werden. Verantwortung- und Gemeinschaftssinn muß wieder zur 
vollen Geltung gelangen. Beschränkung der Kinderzahl ist, da ja erst im 
reichen Kindersegen die Erbwerte sich auswirken können, abzulehnen; die Früh- 
Ehe ist zu begünstigen, weil sie allein Aussicht auf Erfolg im Kampfe gegen 
die Geschlechtskrankheiten verbürgt. Die Pflege des Menschenlebens ist min¬ 
destens mit derselben Sorgfalt durchzuführen, wie solche bei der Viehzucht in 
Geltung ist. Die Steuer- und Lohnverhältnisse, die Lebens- und Wohn¬ 
bedingungen sind für unser Volk entsprechend den Artikeln 119—122, 161, 
166 und 168 der Weimarer Verfassung zu gestalten: ganz besonderer Wert 
im Interesse rassehygienischer Bestrebungen ist auf eine großzügige Boden¬ 
politik zu legen. In der Hauptsache werden wir auf Schaffung sozialwirt¬ 
schaftlicher Gesetze hinwirken müssen, die am meisten geeignet sind, den 
gesunden Erbeinheiten zum allmählichen Debergewicht zu verhelfen. 

In der Diskussion wurde u. a. von Herrn Bundt-Halle a. S. her¬ 
vorgehoben, daß vom Ausschuß für Rassenhygiene im Landesgesundheitsrat 
dem Staat die Schaffung eines eigenen Forschungsinstituts vorgeschlagen sei; 
von Herrn Jorns-Nordhausen wurde noch in eingehenden Darlegungen 
entwickelt, daß die rassehygienischen Schäden unseres Volkes besonders dem 
Hochkommen des Großstadtlebens auf Kosten des gesundheitlichen Landlebens 
zuzuschreiben sind. Erwähnenswert ist noch der Hinweis, daß für etwaige 
Vorträge zur Volksaufklärung auf diesem Gebiete Lichtbilder vom Hygiene- 
Museum in Dresden beschafft werden können. 

Ein weiterer Punkt der Tagesordnung betraf Besprechung der Leitsätze 
von Wollenweber und Franz zu dem Thema: Die Dienstanweisung für 
die Kreis- und Gerichtsärzte. 

Herr Kühn lein wünschte, daß in der neuen Dienstanweisung eine 
größere Selbständigkeit des Mediziaalbeamten bei gewerbehygienischer und 
ähnlicher Tätigkeit klar zum Ausdruck komme; er müsse auch in der Lage 
sein, die hygienischen Schuluntersuchungen ohne vorherige Benachrichtigung 
des Schulrats zu machen, auch die Revisionen der Drogen- und Gifthandlangen 
ohne Inanspruchnahme der Polizei vorzunehmen. 

Herr Bundt-Halle a. 8., der als Vorsitzender des Preußischen Medizinal- 
Beamten-Vereins am nächsten Tage zu einer Besprechung im Ministerium ein¬ 
geladen war, betonte nochmal die Notwendigkeit, daß in jedem Fall der Kreis¬ 
arzt die Uebersicht und Aufsicht über' die Fürsorgearbeit in seinem Kreise 
behalten müsse; für die Schwestern ist eine Meldepflicht beim Kreisarzt zu 
fordern. 

Herr Hillenberg-Halle a. 8. macht gewisse Bedenken in bezug anf 
die volle Selbständigkeit des Kreisarztes in der Gewerbehygiene geltend; es 
genüge eine Verpflichtung für den Gewerbe -Aufsichts • Beamten, auch wirklich 
bei allen hygienischen Fragen den Kreisarzt zuzuziehen. 



Besprechungen. 


481 


Weiter wurde von Hillenberg die Schwierigkeit der Ausbildung aller 
Gemeindeschwestern in der Desinfektion betont; weiter von ihm hervorgehoben, 
daß es nicht möglich sei, regelmäßig Amts- oder Gemeindevorsteher zu den 
Ortsbesichtignngen znznziehen. 

Unter Sonstiges kam noch zur Besprechung: 

Ein neuer Ministerial- Erlaß vom 26. Juni 1922 setzt neue erhöhte Ge¬ 
bühren für öffentliche Impfungen fest; die Bestimmung konnte nicht gleich¬ 
mäßig ansgelegt werden, so daß Klarstellung abgewartet werden muß. Als 
eine außerordentliche Benachteiligung muß auch jetzt noch empfunden werden, 
daß die Tagegelder bei gerichtsärztlichen Verrichtungen noch immer 20. bezw. 
28 M. betragen. Es wurde weiter Kenntnis genommen von der Heranfsetzung 
der Gebühren durch die Reichs-Versicherungs-Anstalt für Angestellte, die be¬ 
vorstehende Heranfsetzung der Gebühren für die Landes-Versicherungs-Anstalt 
und die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft der Provinz; die Gebühr für 
die vortrauensärztliche Atteste für die L.V. A. Sachsen-Anhalt ist ab 1. Juli d. J. 
mit 60 M. in Aussicht genommen. 

Am Nachmittag des Sonntags der Zusammenkunft unternahmen die Teil¬ 
nehmer mit ihren Damen einen Ausflug über Bad Cösen zur Rudelsburg. Mittag 
hatten wir gemeinsam im Bürgergarteu in Naumburg zu uns genommen. 

Dr. Kraemer-Calbe a. S. 


Besprechungen. 

Prof. Dr. H. Többen, Nervenarzt in Münster i. Westf.: Die Jugendverwabr- 
losung und ihre Bekämpfung. Münster i. Westf. Aschen dörfische 
Verlagsbuchhandlung. 1922. 246 8. Geh. Preis 36 M., geb. 44 M. 

An der Hand eines außerordentlich reichhaltigen Materials bespricht Ver¬ 
fasser anschaulichst die Ursachen der Jagendverwahrlosung, die begründet 
sind zum Teil in Anlageschäden, die von früher Jugend an nachweisbar sind, 
oder auch in späteren Jahren erst hervortreten, zum Teil in Schädigungen 
durch die Umwelt. Folgerichtig muß die Bekämpfung der Verwahrlosung er¬ 
setzen bei den Anlageschäden. Verfasser bespricht hier die Vorbeugungs¬ 
maßnahmen: Verhinderung der Fortpflanzung der Minderwertigen, Bekämpfung 
des Alkoholismus und der Geschlechtskrankheiten, Schutz des keimenden 
Lebens und Leibesübungen — und die Behandlung der Anlageschäden bei den 
schwachsinnigen, epileptischen, psychopathischen, nervösen und geisteskranken 
Kindern. Um die Umweltsch&den zu bekämpfen, gilt es vor allem eine Besserung 
der WohnungsVerhältnisse herbeizuführen und Jugendpflege und Jugendschutz 
in jeder Weise anszubauen. Ein fest verankertes Familienleben bleibt jeder¬ 
zeit der Angelpunkt für eine sittliche Erneuerung unseres Volkes, aber bei den 
Massenschäden unserer Zeit müssen soziale Hygiene und soziale Psychologie, 
soziales Recht und soziale Wirtschaft den Kampf mit auf nehmen. 

Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins batte am 
17. März d. J. bei dem Herrn Minister für Volks Wohlfahrt beantragt, allen 
Mitgliodern der gerichtsärztlichen Ausschüsse' eine besondere Vergütung für 
die Teilnahme an den Sitzungen zu gewähren. Darauf ist unter Bezug¬ 
nahme auf einen Erlaß, nach dem den „auswärtigen Mitgliedern der gerichts¬ 
ärztlichen Ausschüsse, soweit sie nicht Beamte sind, neben den bestimmungs¬ 
mäßigen Fahrkosten und Tagegeldern eine (Sachverständigen-) Vergütung in 
Höhe des für die einheimischen Mitglieder zuständigen Anwesenheitsgeldes 
von 50 Mark für jeden Sitznngstag gewährt wird“, von dem Herrn Minister 
unter dem 26. Juli geantwortet, daß „die Gewährung dieser Vergütung an die 
beamteten Mitglieder der gerichtsärztlichen Ausschüsse, welche durch die Teil¬ 
nahme an den Sitzungen keine Einbuße an ihrem Diensteinkommen erleiden, 
sich nicht hat ermöglichen lassen.“ 

Hierzu ist zu sagen, daß es nach wie vor unbillig empfunden werden 
muß, wenn die Vorsitzenden der gerichtsärztlichen Ausschüsse für ihre Mehr¬ 
arbeit keinerlei Entschädigung erhalten, während die Mitglieder, die doch zum 



482 


Tagesnachrichten 


Teil gleichfalls yollbesoldete Beamte (Universitätsprofessoren) sind, für jede 
Einzelleistang entschädigt werden. 


Der Torsitzende des Preußischen Medizinalbeamtenrereins hatte Ge¬ 
legenheit, am 3. August dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt persönlich die 
Wünsche im Sinne seiner Ausführungen in Nr. 15 dieser Zeitschrift vorzutragen 
und ihn über die Stimmung unter den Medizinalbeamten zu unterrichten. 
Wir dürfen zu unserm Vorsitzenden volles Vertrauen haben, daß er auch 
hierbei in rechter Weise vorgegangen ist, und wollen hoffen, daß unsere be¬ 
rechtigten Wünsche in Erfüllung gehen. 


Die neue Erhöhung der Beamtenbezüge in Preußen. Das Staats- 
miuisterinm hat am 28. Juli d. J. in Uebereinstimmung mit dem Ständigen Aus¬ 
schuß des Landtags eine Erhöhung der Beamtenbezüge in der Weise vor- 
genommen, daß der Ausgleichszuschlag für Grundgehalt, Ortszuscblag 
und Kinderbeihilfen für den Monat Juli auf 160 v. H. und vom 1. August ab 
bis auf weiteres auf 185 v. H. erhöbt wird. Der Sonderzuschlag für die ersten 
10 000 M. im Betrage von 5500 M. bleibt, wie bisher bestehen. (Die Nachricht 
in dieser Zeitschrift Nr. 13, S. 420, wonach der Sonderzuschlag für die ersten 
10000 M. von 55 auf 95 v. H. erhöht wird, ist also.nicht richtig.) 

Hiernach kann sich jeder auf Grund der in Nr. 12 mitgeteilten Zahlen¬ 
übersichten leicht berechnen, wie sich von jetzt an seine Einkommensverhält¬ 
nisse gestalten. 

Daß mit dieser Aufbesserung auf längere Zeit geholfen sein wird, ist 
leider bei dem in letzter Zeit unheimlich vor sich gehenden Sinken des Geld¬ 
wertes bei uns nicht zu erwarten. 

In den Tageszeitungen liest man, daß im Beichsünanzministerium Ver¬ 
handlungen mit den Spitzenorganisationen der Beamtenschaft stattgefunden 
haben, wobei es sich um Ergänzungen zu den bisherigen Besoldungsvorschriften 
handeln soll. Hoffentlich führen diese Verhandlungen zu einem guten, die 
Beamtenschaft einigermaßen befriedigenden Ende; denn auch die jetzt durch¬ 
geführten Aufbesserungen können leider nicht als ausreichende, der Mark¬ 
entwertung entsprechende Entlohnung angesehen werden. 


Eine durch die rapide fortschreitende Geldentwertung notwendig ge¬ 
wordene Erhöhung der Gebühren — auch bei der R.V. A.f.A. — wird vom 
Vorstand betrieben. 


Todesfall. Am 16. Mai 1922 ist der Vorsitzende unseres Bezirksvereins, 
Kreis Med.-Rat Dr. Katluhn in Insterburg, plötzlich durch den Tod aus unserer 
Mitte gerissen worden. Ein Vorbild von Pflichttreue in seinem Beruf, von 
Lauterkeit des Charakters und Freundestreue — so wird er unauslöschlich in 
uns fortleben. 

I. A. des Bez.-Vereins Gumbinnen Dr. Rehberg, Schriftführer. 


Am 29. Juli und am 5. August fanden im Ministerium für Volks Wohlfahrt 
Beratungen Uber die Ausflibrnngsbestlnunungen zum neuen Hebammen- 
gesetz statt. 

In der ersten Sitzung handelte es sich vor allem um die Gebühren¬ 
ordnung, die Bestimmungen über Einkommen und Ruhegehalt, die Ab¬ 
grenzung der Niederlassangsgebiete für freipraktizierende und der Bezirke 
für Bezirks-Hebammen, die Alters-, Invaliditäts- und Krankenversicherung, die 
Wahlen zur Kreis- und Provinzialhebammenstelie. Es wurde endlich über die 
Versorgung der alten und schon jetzt nicht mehr berufsfäbigen Hebammen 
und über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes verhandelt. Zugezogen 
waren Vertreter der Stadt- und Landgemeinden, Aerzte, Hebammen und Ver¬ 
treter der Versicherungskörperschaften. Für den Preußischen Medizinalbeamten¬ 
verein nahm der Vorsitzende auf Einladung des Herrn Ministers teil. 

Am 3. August kam die Aufnahme und Ausbildung der Hebammen¬ 
schülerinnen in die Hebammenlehranstalten, die Verlängerung und Gestaltung 
des Unterrichts und die durch § IId des neuen Hebammengesetzes, welcher 

i 



TägesnacbrlchtOB. 48$ 

den Hebammen unter gewissen BödhigungÖn auch die „Mitwirkung bei der 
Säoglingafärsorgo nach Maßgabe dör Milch en ßedftrlniase^ zur Pflicht macht, 
nötig gewordene Ausbildung in der S'äuglingspllego und Säuglingafflrsorge zur 
Verhandlung. Hier «rare» in erster Linie 4 Leitet von Hebammenlehraostaiten, 
aber auch ein Kinderarzt und ein ProvinzialveFtrct^t die Mitberater, mit denen 
•wiederum der Vorsitzende unseres Verein* Ä’agezogen war. 

Die Beratungen waren durchaus geeignet, die Meduioalabteilung über 
die Anschauungen der sachverständigen Kreise satäukiären, und f(Hirten last 
durchweg zu eihtbjf üe^areinntiiunimig bber ih |iiizednejo Punkte. Sie werden 
ihren NjedcrechJvtg in den zu erwArtemk» ÄnatuUrnngsbosümmungeu finden 

Bei dem iJatlafig der zu trojßFendeti VerberoitungcB und vier Verschieden- 
Leit dev Verhältnisse i» den einzelnen Landrsreileivwud das Gesetz trotz aller 
liftstrÄoguagen der ve.antwort,ticben Behörden nacJt Ühereinatiiamender Änaicbt 
der Mitberütoi nicht vor dem l.Aprii 1323 iu Kraft treieu können. 

Geiegwitlicb der 43 Jahresversammlung »i«a. Deutschen' VgtidnÄ für 
V-ffen.tli.cbe »resnsdheitaptfege zn Frankfurt h, M. fiudeiv die tersatnmlnog der 
Vv-rvlulgiusg riet KommnuaWrzf»’ iu leitender fUeTl.ung statt. Näheres wird jkpiW 
durch Anschlag Tuitgeteilt. 

ftas abue preußische Hebajnmengvsetz wird spätestens am i. AprU 1923 . 

in Kraft treten. Die Landratsimier sind bereits mit de» Vorarbeiten — Bin' 
teilung der Bezirke bezw. Niedeflaasangsbezirka usw. — beauftragt. Ea t£f.»etbst~ 
verstand lieb, daß hierbei dte Kreisärzte witwrrken müsse», wenn sie auch dvw 
. in Hettechi kommenden KnluÖ nicht Ar halten haben, Gegcbenenfaila iat Anfrage 
beim Landrat Äögezeigt. 

Dfu Ausfdhningsbeätihtmang^n wordcn orst hfe&rbtdiet. holfcntiicb in 
öinetn Sinne, der den Uvrecbtigton W önschen der sachre fstäadigfen Kreisärzte 
Rechnung trägt. Würde des kreiaa rxt in der KreishePanrotenrtfuI« etwa zum 
„BtaatäähWüil“ geinioht, so wäre Mae schwere Schadlghdig de* ffebammeB- 
wesens d3e : mjAsföbltdblidie Folge. ' ’ 

Seit dohresfdßi etwa erseiirunt hei dein großen medizinischen Verlage 
von B p r i n g er« Berlin als ,2tachfolgersn der Vierteljahrsschriit für gericht¬ 
liche Modutln die „Deutsche Zeitschrift #ör die gesamte gerichtliche Medizin**. 

Den Mitgliedern der Deutschen öseeiiscbstfi, für gcrtchtiicb*? und soziale Medizin 
ist ein nicht unerheblicher Erlaß im Bezugspreise dieser mastergilt,igen zentral- 
blattarllgen Monatsschrift tojn Verlage gewähfloifltet. Die große Mehrzahl 
der Kreis- und Beairksärzte bat sich pflichtgemäß mit gerichtsarztücheu 
Dingen zu befassen. Ich erlaube mir dafier al* Bchatzmeiater der Deutschen 
Gesellschaft ffi rgert eh t liehe «hd; 6q*fk)<S: Medizin die Herren beamteten Kollegen 
aufrniördetn, die MitgLedscb&ffc der Deutschen Dftselischsft für gerichtlich«; 
und soziale Medizin and damit die Anwartschaft auf den Wesentlich verbilligten 
Bezug der genannten Monatsschrift zu emerbeD. Actuei,düngen werden er¬ 
beten an den Schriftführer Prot. Kv.i Rester-Hsinborg. Hafeukrankenbaii«. 
oder ain micli, Königsbctg i. P?., ObeHftak 10. 

Prof. Kippe-Königsberg i Pr, 

Stozlaihjgloniscbe Akademie Lharloltonburg* Der laufende Lehrgang 
hat mit einer TeiloabmerzaM vor, 33 Yoltfcörern die Grenze der BelesziÖer 
erreicht ; außerdem werden die ihm ungegliederten KreiaarztscMerknrsA, welche 
den. Bedingungen der PröfiingsonlnÜDg unter S 4 Ziffe-r 5 geongen, von 26 
Hörern besucht. Die starke PVeyuCnz beweist, daß sich die Erkennüiis der 
Bedeutung des .soziaj-hjgr^lschöb und M>tiHUmedizitii$cbca DntemehlB in der 
Aerzteschadft immer wetb* nosbveHet. Für die Kreisarztprufung ist die Teil- 
nahino Ah einem soziALhygicMiacheh Lehrgang Vorbedlogang. Aber auch die 
kömmurialen Behörden bevor* ag*o Auf Grund d,e3 ministeriellen Erlasses vom 
28. - Bö»fc!t*hfc£ der beamteten Arztstellen solche Be¬ 

werber, die Uber die Öfgariiwätimo dbr Gesundheitsfürsorge eine beaenders sorg¬ 
fältige Ausbildung, wie sie die Akademie gewährleistet, nachweisen können. — 

Dar 5. Lehrgang beginnt am 6. November 1932 und dauert bis zum 11. Februar 
1923 mit Einschluß von 14 Tagen Weibnachtsferien. Der neue 






484 


Sprechsaal. 


schien Ende Juli and ist gegen Voreioscndang von 6,60 iL oder gegen Nach¬ 
nahme durch das Sekretariat Charlottenburg, Krankenhaus Westend, Spandauer¬ 
berg 15/16 erhältlich. Anmeldungen und Anfragen sind ebendorthin an Prof. 
Vers6 zu richten. Wohnungen werden auf Wunsch vermittelt. 


Spreclisaal. 

Zu der Anfrage und Antwort in Nr. 12 über ein Verfahren zur Vernich¬ 
tung von Kopfläusen macht Kreisarzt B. in E. darauf aufmerksam, daß in 
Nr. 39, 1920 der Münchener med. Wochenschrift aus der Dermatologischen 
Klinik in München über ein „neues Verfahren zur Bekämpfung der Kopfläuse 
mit schwefliger San re“ berichtet ist; das Verfahren wird dort wegen seiner 
Sicherheit und Billigkeit warm empfohlen. 

Die 8. Zeit erteilte Antwort wurde erteilt auf Qrund einer Auskunft des 
Breslauer Hygienischen Instituts, das auch nach erneuter Anfrage keine Er¬ 
fahrungen mit schwefliger Säure zu dem genannten Zweck gemacht hat. 


Anfrage des Kreis • Med.. Kats Br. B. in Dr. : Ich werde telephonisch 
zu einer gerichtlichen Leichenöffnung bestellt und aufgefordert, Instrumente pp. 
mitzubringeD. Zum Zweck ev. näherer Untersuchung nehme ich Formalinlösung 
mit, in der für ev. weitere Nachfrage Stücke von Lunge, Niere pp. aufbewahrt 
worden sind. Zum Tragen von Instrumenten n. s. f. nehme ich einen Diener mit 

An Ort und Stelle erfahre ich, daß es sich um die Leiche eines 4 Monate 
alten Kindes handelt. 

Das Gericht will 1. die Auslagen für Formalinlösung nicht erstatten; 
2. es will ferner die Gebühr für Zu- und Abgang der Eisenb ahnfahr t, nicht 
bezahlen, da „die Fahrt mit Wagen über Land teuerer als die gesetzlichen 
Fahrkosten sind" (den Wagen batte ichQoicht bestellt und teilte ihn mit drei 
Herren); 8. will es Reisekosten und Gebühr für den Gehilfen nicht bezahlen, 
weil es sich um die Sektion eines 4 Monate alten Kindes handelte. Ist das 
Gericht zu diesen Abzügen berechtigt? Brauche ich nicht für konservierende 
Flüssigkeit zu sorgen? Muß ich die Auslagen tragen? Muß ich Instrumente u. s.f. 
an Ort und Stelle schaffen und von und zur Bahn tragen mit allen Gläsern pp., 
die vorgeschrieben sind? 

Antwort: 1. Die Auslagen für Formalinlösung sind, da diese gebraucht 
wurde, vom Gericht zu erstatten; 

2. Der für die Staatskasse billigste Reiseweg wird berechnet und da¬ 
nach bezahlt (bei Landweg vom Wohnort kein Ab- und Zugang, bei Eisen¬ 
bahnfahrt Ab- und Zngang); 

3. Auslagen für Beförderung von Instrumenten und dergl. müssen be¬ 
zahlt werden (§ 27 der Ausf.-Beat. d. Reisekostengesetzes; Beschluß des Land¬ 
gerichts Neuwied vom 27. 2. 14, — diese Zeitschrift Beilage 1914 S. 81 —). 
Die Aufwendungen für den Gehilfen sind zu erstatten unter der Voraussetzung, 
daß am Ort keine geeignete oder keine billigere Hilfskraft zu haben war. 


Anfrage des Kreis-Med.-Rats Dr. K.-B. in R.: Sind Zink-, Bor- und 
Bleisalben in Blechdosen mit der Aufschrift „Ein Kosmetikum für den Haus¬ 
gebrauch" bezw. „Zink-Toiletten - Creme“ oder nur einfach „Zinksalbe“ in 
Drogerien frei verkäuflich? Gleichzeitig bitte ich mir einige der neuesten 
Gerichts-Entscheidungen darüber anzugeben. 

M. E. unterliegen dieselben dem Apothekenzwang und sind nur als „zum 
Gebrauch für Tiere“ freigegeben. 

Antwort: Kosmetische Mittel sind auch als Heilmittel dem freien Ver¬ 
kehr überlassen (0. L. G. Düsseldorf v. 4. 4.1908 und Hamm v. 16. 6. 1908). 
Auch Salben, z. B. Borsalbe, köonen zu kosmetischen Zwecken außerhalb der 
Apotheken abgegeben werden (K. G. v. 9.1. 1909 u. 0. L. G. Köln vom 24.2.1911). 
In dem Urteil vom 24. 2.1911 des O.L. G. Köln ist Zinksalbe als Kosmetikum 
angesehen. In der Regel gelten jedoch Bleisalbe und Zinksalbe als Heilmittel 
(K. G. vom 15. 6.1909 und 0. L. G. Köln (Str.- 8. vom 8.10.1909). 


Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Kat In BresUn 
Breslau V, Rehdlgerstrafie 34. — Druck von J. O. C. Brnos, Minden 1. W. 





35 Jabrfl. Nr.i7 


ZEITSCHRIFT 


5, Sept 1022 


FÜR 



I.H88 mitbeqründel u»u von 1882 Ins 1922 tisrausgegeben voir Geb. Med.-Rai Prbktjf. RAPMUHDi 

Zenfralblaf I 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des Staate 
tictien und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und 
öffentliche Gesundheitswesen, «InscjÖ* der firaktlschen usd soziale» Hygiene. 

Hrraus^^flrctü von 

51 t'ilUrit Pr. üiimlt -ffulh a. Ob6r*Rt*sr.-Ki»fc Dr, • Frivk-hiniriMv-Mfincben, 
Pwjf* Pr. Iv^ui^Ailindton* <U L Me«!.- Rat. Prof .IV CrV .MoL 



i ? rof. I)r. Straß fimmi - lU»f Hu, <>!>. -Dx. Wwiter-Dr^lea und Kreisarzt 

l>ortjnatind^ 




Offizielles Organ des üeutschen. Preusslschen. Bayerischen Slehsischen. 
WürtteiBtiörgisChen. Badiscöeo. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen 
und Sraunsehwsioisclien Medlzinafbeaintenveretns. ,:y-- 

Eins Beilage; R8Ghtspnich«nq uod Mediziua^ßsetzpbuog. 

$chrittleitun£: Verlag: 

fipij. Mel*8ai Or Solörtg, Flsctiür's raeö. llucfihandliing H. Kornleld, 

Reg.-«. Med.-Rat lo tirolai». Berlin W. 62» Heiitisrraßa *>. 

Bezugspreis für das Jahr: tot» M.. durch die Pust bezogen: 103 M. 

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nuti!i»<|»raparrit. \velch^ ri»>T> K'rft« (<- 
beiiao^rd gleich g$!(itf vm melin'rcn 
Seirew »ngfarft, mn di« Wirkung dbr 
«»ri4**liw»» K' ini'<i:.<'uten Ärt |h• *.< 
KiUlgn. ryftilt nur m kumulier««, 
ludikuriomm: 

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dt*» : IJjjjstwtirciK yertjq:»den %f., 

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icbieiieni! &.n. 

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0/y’: u" '»iriiJndsr In'rb'ein. 


ICn.sseii zqt \-Vrtixdt»i%«g' »»->«***#?; ^ 


% OoeilecfeeÜli Ciieio. Fabrik, Berlio N 4,«»Leipzig 



34. Jab rer. 


Zeitschrift für Medizinalbeamle, 


Nr, 17. 


INHALT. 


Abhandlungen: 

Zur neuen Ib'^infrkiionsordnuiis. Von Di . 

Hallenborgor.. . . 4&5 

Do tfwulfrhr Re^eiaiig der ,Xa«humer- 
jmchawifen 4 beim Typhös- »bdontln&Jb. 

Von r>r. Gerhard Wagner .... 490 

UV&äf Vacoinola der Koiijunktit». Von T»r. 

Meyer. \ m 

Zur Frag** <b*r Noch prÜfiing der Protokolle 
von L«deh<*tiofTiilinken und der Dufachf»'U 
'in Enimundi»*ung«*ücben durch die gc- 
rtrbr?>Ärzf.Üeben Aw^Bcfru^^. Vou Prof. 

Nljijic ..49S 

Luftcijihoiiv bei fcri mindlem Abort Von 

dk Möller ....... 

Nci-vöfcc Erseht» p.fimcr- und Zurechnungiifiihig- 
keit- Von Ur. W Horst manu . . . 504 
Xur Besoldun<fkfragfe. Vom Schriftleiter 505 

Au* Versammlungen irnd Vereinen, 

Vors*xnm!itngr des Bc/Ji-k*vi n lns Potsdam 
der j>rt;Ußi>oin';n Medifclniilbeainbni in 
Berlin Balserla Frledrirbluiu* Dir fingt- 
liehe Fortbiidubg am 13* JuÜ 1022 , 

Kl 3inere Mitteilungen und Referate aus 
Zeitschriften. 

Gewerbehygiene. 

DK Schoenfeld: Zur Frühdiagnose dej- 

Bleivor^iruing ......... 5i»7 P^rvcnälVo, 


PHv.-Doä, Dr. Schwarz: Zur Blotonter 
itH buogr 1» dicken Tropfen bei Bi*ikraok- 
beiWverdacht , *. . . , . v 

Dr Schoenfeid: l>*s drohende Bhiw. iü- 
▼erböi und dte Methode der ßlutunf^j— 
Wbuug 4 )$ Abwehrnjitrel .... 

Dtp}.-lag. tieydrlch Tödlicher i Y nfal! *0 
einer Sißdcidi’uikapaonun^^MriUg-e . r> 0 > 
Dr. Krunsc: Vergiftung.-mit „Montaum’ . 
l'rof. Dr. Holtzniauo: Utwerhliehe Ver«rif- 

lungcii dtirr-h gasförmige Blaus*ui> beim 
Vergolden und V» Bibern . . . , ßjg 

Dr« Opitz ’ Urber LuugenenirßbduTnriiTi bei 
Thomas-rbla^krnnieljlarbelterD . . =,<ig 

Dr. Bvirkhardt: Handel* #*« sieh M den 

M»‘werbekrttnkbeHen der Stein kohlen - 

brlkeD-fulvriken am chromsebe Ar^ii- 
vrrgiDüUg-* ........ 

Besprechungen . . , . . 

Tagesnaohriehten . . . / 

Spreohsaal. 

Finlüdunge rt zu Versammlungen 

Beilage 

M»*di*iuölj;o>ot3{g«>bünj: . , 

Umschlag: 


r-)»i 

- 5 i l. 

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Geschäftsstelle und Versand für die Mitglieder des Medizinalbeamten- 
vereins durch 3, C. C. BRUNS, Buchdrucker ti. MINDEN i. WESTE. 

Anzeigen-Annahme und verantwortlich für den Anzeigenteil- 
HANS PUSCH, BERLIN SW. 48, Wilhelmstraße 28 

Außerdem werden von sämtlichen Anzeigen-Anuabmestellen des J n - und Auslandes 
Anzeigen angenommen. Die durchgehende Petitzeile kostet M. 2,50. 


















H5. Jahre:. 


Zeitschrift, fhr Medizioalbeamte. 


Nr. 17. 


Personalien. 

Deutsches Reich und Preunn. 

Ernannt: Dr. med. Mallwitz zom Beg.-Bat beim Ministerium für 
Volkswohlfabrt; Kreisassistenz&rzi Dr. 8 c h u r i a n zom komm. Kreismedizinalrat 
in Langensalza; Dr. Gundelach zom Kreisassistenzarzt in Cassel-Stadt. 

Erledigte Stellen. 

Prenssan. 

Za besetzen: Die dnrch den Staatshaushalt neogeschaffenen Stellen eines 
Strafanstaltsarztes für das Untersuchungsgefängnis Berlin • Moabit und 
die Strafgef&ngnisse in Berlin-Tegel und Plötzensee. Der Arzt beim Unter- 
suchungsg« fängni8 Berlin-Moabit wird der Besoldungsgruppe 11 und die beiden 
übrigen der Besoldungsgruppe lu eiugereibt. Die Ausübung vor Privatpraxis oder 
sonstiger ärztlicher Nebentätitjkeit wird nicht gestattet werden. Bewerbungen 
sind unter Beifügung eines Lebenslaufes bis zum 15. September 1P22 nur an 
den Herrn Generalstaatsanwalt des Kammergerichts in Berlin W. 57, Elßholz- 
straße 82 schriftlich einznreichen. 


Toramin 

(Trichlorbutylmalonsaures Ammonium D. R. P.) 

wirkt stark herabsetzend auf die Erregbarkeit 
des Atmungs« und Verdauungsapparates, 

ohne den Blutdruck zu beeinflussen. 

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währt gegen AA115* IC Am sowie gegen nervöse Störun« 

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odbrennen, Magen- nnd Darmnenralgien, Uebelkeit, Erbrechen 
(auch Hyperemesis gravidarum). 

TnPUItlin ist frei von narkotischer u. drasti 
A VA alftlAAl scher Nebenwirkung, daher auch bei 
Schwächlichen, Kindern und älteren Leuten in wirksamer 
Gabe gefahrlos anwendbar. 

Zu verordnen in Tabletten (1 Originalröhrchen mit 
25 Tabletten 4 0,1 g M. 4.80) oder als Mixturen mit 
aromat. Wasser oder Sirup, vorteilhaft auch ver¬ 
bunden mit Expectorantien oder Guajacolpräparaten. 

Ausf&hrliche Prospekte, Literatur, Bezeptformeln 
sowie Proben kostenfrei durch 

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ist auf dem Gebiete der UngOziefervertllgung unerreicht durch seine 
Billigkeit, Handlichkeit, einfachste Handhabung ohne Vorkenntnisse, stets absolut 
sichere Wirkung, Betriebssicherheit, völlige Unschädlichkeit auf Wohnungs¬ 
einrichtungen, Stoffe, Metalle, Nahrungs- und Futtermittel, und sollte wegen 
dieser Vorzüge in keiner Desinfektionsabteilung von Kreisen und Kommunen, 
Krankenanstalten, Kliniken, Heil- und Kuranstalten fehlen. Die Sanierung 
von Bäumen jeder Art bis zur völligen Wiederbewohnbarkeit nimmt 8—4 8tunden 
in Anspruch, ln kurzer Zeit ist HTA bei kommunalen und staatlichen Be¬ 
hörden, bei der Eisenbahn und in Strafanstalten, in der Industrie und bei 
Hausbesitzern hundertfach eingeführt. 

Man verlange kostenlos Prospekte nnd Beferenzen. 

Chemische Industrie« und Handelsgesellschaft m. b. H. 






3?>. Jahrg, 


Jtebsehtift fMeü»2!{ai{be&tüfc& 


Kr. 17. 


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postopw&tiveti akuten Dnrm1Uh«tmm*n« ■££ . ; , ■ 


||» I HPhPPlfifr -Swh vbrbeMer' 
int yyVullui Iljtj * im Verfahren. 

■ svpruft. Kar tons m. S, 6 , 13 Aiop. von 


MjfetÖf*. Jt. 



















486 


Dr. Hallenberger. 


Der erste und grundlegende Mangel der neuen Vorschriften, 
den wir Kreisärzte, an denen die Verhandlungen mit den 
Gemeindebehörden doch letzten Endes hängen geblieben sind, 
in den letzten Monaten recht zu fühlen bekommen haben, liegt 
darin, daß mit dem Erlassen der neuen Desinfektionsordnung 
nicht auch den Gemeindebehörden die Bereitstellung des zu 
ihrer Durchführung nötigen Personals auf gesetzlichem Wege 
zur Pflicht gemacht worden ist. Ein Anheimstellen oder 
Empfehlen hat bei der durch die schlechte Finanzlage bedingten 
Voreingenommenheit der Gemeindebehörden gegen jede mit 
Mehrausgaben verknüpften Neuerung nicht den gewünschten 
Erfolg. Daß die Personalkosten unter Umständen recht er¬ 
hebliche sein werden, ist zweifellos, wird in den neuen Vor¬ 
schriften auch zugegeben mit der Bemerkung, daß die vor¬ 
handenen Desinfektoren zur Durchführung der laufenden Des¬ 
infektion nicht ausreichen werden, wobei gleichzeitig die 
Heranziehung der vorhandenen Kiankenpflegepersonen, in der 
Hauptsache der Krankenschwestern, zur Verminderung der 
Kosten empfohlen wird. Das ist leichter gesagt als getan. 
Zunächst gibt es doch sicher noch recht viele Gemeinden ohne 
Schwestern, andererseits ist es verfehlt, zu glauben, daß die 
vorhandenen Schwestern ohne weiteres einem eventuellen An¬ 
suchen der Gemeindebehörden auf Uebernahme der laufenden 
Desinfektion für die Allgemeinheit entsprechen werden. Die Ge¬ 
meindekrankenpflege wird meist durch konfessionelle Schwestern 
der Kirchengemeinden ausgeübt, und deshalb haben die Schwestern 
mit der politischen Gemeinde vielfach gar nichts zu tun. Wenn 
sich solche Schwestern bereit finden, ist es freier, guter Wille, 
und der ist, wie ich erfahren mußte, nicht immer vorhanden, 
und ist er vorhanden, dann scheitert die Bereitschaft der 
Schwestern gar nicht selten am Gegenwillen des Publikums. 
Der Katholik will keine evangelische Schwester, der Evangelische 
keine katholische Schwester, und der Religionslose, deren 
Zahl gerade in den Bevölkerungskreisen, in denen eine scharfe 
Ueberwachung der laufenden Desinfektion am nötigsten ist, 
dauernd zunimmt, will keine konfessionelle Schwester bei sich 
sehen. 

In allen Fällen, wo eine Desinfektionsschwester nicht vor¬ 
handen ist oder nicht gewünscht wird, muß der dann hoffentlich 
noch vorhandene Desinfektor die Ausführung und Kontrolle 
der laufenden Desinfektion übernehmen, nota bene; wenn er . 
kann. Dafür, daß er häufig nicht können wird, haben die neuen 
Vorschriften gesorgt, dadurch, daß den Haushaltungsvorständen 
das Recht gegeben wird, dem Desinfektor die Tür des Kranken¬ 
zimmers zu verschließen. Seine Tätigkeit wird darin bestehen, 
daß er alle paar Tage hingeht, die Desinfektionslösungen her¬ 
richtet und belehrt; eine Kontrolle, ob die Belehrungen auch 
befolgt werden, und was aus den Desinfektionsmitteln wird, 
ist ihm unmöglich gemacht, wenn er das Krankenzimmer nicht 





Zar neuen Desinfektionsordnung. 


<87 


betreten darf. Da genügt es auch, wenn der Gemeindevorsteher 
die Desinfektionsmittel mit gedruokter Anweisung durch den 
Gemeindediener hinschickt, ein Verfahren, das die neue Vor¬ 
schrift ja vorsorglicherweise für die Orte ohne jegliches Des¬ 
infektionspersonal vorgesehen hat. 

Wenn Herr Geheimrat Lentz schreibt, daß naoh seinen 
Erfahrungen die Bevölkerung im allgemeinen bestrebt sei, dem 
Desinfektor seine Aufgabe nach Möglichkeit zu erleichtern, so 
trifft das nur bedingt zu, aber er widerspricht sich auch solbst, 
denn im Absatz vorher ist zu lesen, daß leider auoh heute 
noch die Desinfektion sich keiner besonderen Beliebtheit bei 
der Bevölkerung erfreue und daß diese Abneigung naturgemäß 
auch diejenigen treffe, die von Amtswegen diese Desinfektion nus- 
führen müssen. Das letztere ist richtig und trifft gerade wieder bei 
den Bevölkerungsschichten zu, bei denen eine gründliche Des¬ 
infektion am allernötigsten wäre. Wenn in diesen Preisen erst die 
Tatsache bekannt ist, und das wird sehr rasch der Fall sein, daß 
dem Desinfektor der Zutritt zum Krankenzimmer verwehrt 
werden darf, dann wird von diesem Recht sehr ausgiebig Ge¬ 
brauch gemacht werden. Es bleibt dann bei der Unmöglichkeit, 
die laufende Desinfektion zu kontrollieren, gar nichts anderes 
übrig, als auf die alte Schlußdesinfektion zurückzugreifen, von 
der man dann nur hoffen kann, daß sie nicht mehr so oft wie 
bisher zur Komödie wird, weil der Desinfektor den Zeitpunkt 
der Genesung, des Todes oder der Ueberweisung in ein Kranken¬ 
haus etwas rechtzeitiger erfahren wird. Eine Gewißheit, daß 
die Schlußdesinfektion rechtzeitig ausgeführt wird, ist bei der 
Neigung vieler Leute, diese Desinfektion mit allen Mitteln zu 
hintertreiben, aber auch dann noch nicht gegeben. 

Mehr, wenn auch nicht vollen Erfolg, verspreche ich mir 
von der m. E. mit Recht von Engelsraann geforderten Melde¬ 
pflicht der erfolgten Genesung seitens der behandelnden Aerzto. 
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß dieselbe Abneigung, 
die gegen die Desinfektion bei weiten Bevölkerungskreisen in 
Erscheinung tritt, bei der Aerzteschaft gegen das Meldewesen 
wie gegen jeden obrigkeitlichen Zwang besteht. Ohne gesetz¬ 
liche Handhabe kommt man aber nicht aus, denn wenn man 
beim Studium der, in Nr. 6 der Volks Wohlfahrt veröffentlichten 
Nachweisungderl920sanitätspolizeilichgemeldetenErkrankungen 
und Todesfälle an ansteckenden Krankheiten festgestellt, daß, 
um nur einige Beispiele herauszugreifen, 42°/ 0 Diphtherietodes¬ 
fälle, 26 °/ 0 Tuberkulosetodesfälle und 22 °/ 0 Typhustodesfälle 
sanitätspolzeilich nicht gemeldet worden sind, obwohl hierfür 
die Anzeigepflicht besteht, dann wird man einen Rückschluß 
machen können, wieviel Genesungen bei nur persönlicher Ver¬ 
ständigung mit den praktischen Aerzten nicht zur Meldung 
gelangen werden. Ich habe mir die erdenklichste Mühe ge¬ 
geben, auf dem Wege der Verständigung zu einer lückenlosen 
Meldung der ansteckenden Krankheiten zu gelangen, erst auf 



Dy. fftllf ber g cr . 


m 

dev letzten Versammlung des hiesigen Aerzteverems hab«? ich 
wieder Ober das Thema gesprochen mit dem Erfolg, daß m ier 
darauffolgenden Woche 2 Tuberkulosetodesfälle und 1 Si-harlacfe- 
todesfall nicht gemeldet wurden. Den Optimismus des Ham 
Lentz, der sich soviel von der verständnisvollen Mitarbeit der 
praktischen Aerzte verspricht, kann ich nicht teilen; es müßte 
denn die neue Desinlektionsordnung, die ja den behandelndes 
Aerzten mehr Aufgaben zuweist als den staatlichen Medizinal¬ 
beamten, eine tiefgreifende Aenderung in dieser Hinsicht bei 
vielen praktischen Aerzten hervorrufen. 

Gewiß gibt es viele Aerzte, die uns treue Helfer sind und 
weiter sein werden, andere aber sind uns nicht nur nicht Helfer, 
sondern sie durchkreuzen unsere Anordnungen, nicht aus bösem 
Willen, sondern, und das ist besonders in der jetzigen Zeit 
menschlich verständlich, aus Rücksicht auf ihre Praxis. Ich 
habe es gerade noch in den letzten Wochen erfahren müssen, 
wie bei zwei Diphtheriefällen meine Anordnungen durch haus- 
ärztliche Gefälligkeitsatteste unwirksam gemacht werden sollten, 
und ein Arzt hat Scharlacherkrankungen, wie er selbst zu- 

f egoben hat, nicht angezeigt, um den Leuten die Kosten und 
'nannehmlichkeiten der Desinfektion zu ersparen. So handelnde 
Aerzte werden uns keine verständnisvollen Mitarbeiter sein; 
glücklicherweise stehen diese vereinzelt da, sie aber sind es, 
für die ein gesetzlicher Zwang vorhanden sein muH. 

Der Ansicht des Herrn Lentz, daß die neuen Vorschriften 
bei den Desinfektoren keine Beunruhigung hervorrufen könnten, 
da kein Desinfektor entlassen zu werden braucht, muß ich 
widersprechen, denn in der Tat haben sie Beunruhigung hervor¬ 
gerufen und m. E. mit Recht, denn da, wo die neue Desinfektions¬ 
ordnung wirklich eingeführt wird, wird ein Teil der Desinfek¬ 
toren überflüssig sein. Die Beruhigungspille, die mit dem 
Hinweis auf die Absicht, geeignete Desinfektoren durch eine 
besondere Ausbildung zu fördern und, um ihnen den Aufstieg 
in höhere Gehaltsstufen zu ermöglichen, ihre Anstellung als 
Gesundheitsaufseher den Kreisen und Gemeinden zu empfehlen, 
gegeben werden soll, verfehlt ihre Wirkung bei Leuten, die, 
wie die Desinfektoren, dauernd mit Widerständen bei den Kreis- 
und Gemeindebehörden zu kämpfen haben. Jedenfalls ist mein 
eingehend begründeter Antrag, den Kreisdesinfektor als haupt¬ 
amtlichen Kreisgesundheitsaufseher anzustellen und mir als 
Hilfskraft beizuordnen, vom Kreisausschuß damit sofort ab- 

f jelehnt worden, daß das eine zu starke finanzielle Belastung 
ür den Kreis sein würde, und von diesem Gesichtspunkt aus 
werden auch die Gemeinden sich ihrer Desinfektoren zu ent¬ 
ledigen suchen, sobald sie Krankenschwestern für die laofende 
Desinfektion zur Verfügung haben. 

Viel wichtiger als die Frage der Entlassung oder Nicht¬ 
en tlassung einer Anzahl von Desinfektoren ist m. E. die Frage 



Zur neuen Desinfektionsordnung. 


489 


nach der Entlohnung, die den verbleibenden nebenamtlichen 
Desinfektoren für die Ausführung und Kontrolle der laufenden 
Desinfektion gezahlt werden soll; das wird bei der Neigung der 
Kreise und Gemeinden, den Desinfektoren nicht einmal den 
Lohn eines Straßenkehrers zuzubilligen, noch harte Kämpfe 
kosten. Deshalb wäre auch hier eine Regelung von staats- 
wegen am Platze gewesen. 

Und was bleibt uns zu tun übrig? Der Verfasser der 
neuen Vorschriften meint zwar, daß den Kreisärzten durch die 
Neuordnung des Desinfektionswesens eine größere Verantwortung 
auf dem Gebiete der Bekämpfung der übertragbaren Krank¬ 
heiten erwächst, ich habe mir aber über das „Inwiefern“ in 
Anbetracht der nicht weg zu disputierenden Tatsache, daß durch 
die neuen Vorschriften die Anordnung und damit die Verant¬ 
wortung für die Desinfektionsmaßnahmen mehr und mehr auf 
die behandelnden Aerzte übergeht, vergeblich den Kopf zer¬ 
brochen. Oder soll etwa diese größere Verantwortung dadurch 
bedingt sein, daß wir uns in jedem Falle rechtzeitig ein Urteil 
darüber zu bilden haben, ob die Vornahme einer Schlußdes¬ 
infektion durch einen Desinfektor nötig ist, daß wir eine ein¬ 
gehende Kontrolle der Desinfektionen durchführen und uns 
dauernd über die Zuverlässigkeit der Desinfektoren und der 
Desinfektionsschwestern unterrichten müssen? Das haben wir 
doch bisher auch schon getan; wenn aber der Verfasser der 
neuen Vorschriften gemeint hat, daß wir uns an Ort und Stelle 
orientieren sollen, dann hätte er uns auch verraten müssen, 
wo ein Kreisarzt, der sein eigener Sekretär, Schreiber und 
Aktenhefter ist, dem dienstlich weder ein Fernsprecher noch 
ein Fahrzeug zur Verfügung steht, die Zeit zur Ausführung 
dieser Kontrollen hernehmen soll, die einen der empfohlenen, 
aber leider noch in unbestimmten Fernen befindlichen Kreis¬ 
gesundheitsaufseher voll beschäftigen würden. 

Wie ich schon eingangs erwähnte, ist mir der Grund¬ 
gedanke der neuen Desinfektionsordnung sympathisch, bei ihrer 
jetzigen Fassung stehen aber ihrer Ein- und Durchführung 
Schwierigkeiten entgegen, die nur der Medizinalbeamte draußen 
zu erkennen vermag, und es wäre wohl richtig gewesen, wenn 
erfahrene Kreisärzte aus Stadt- und Landkreisen zu der Be¬ 
arbeitung mit herangezogen worden Wären. Aber das kann ja 
noch geschehen, da eine Neufassung der zudem vielfach recht 
unklaren Vorschriften kommen muß und wird; die Anfänge 
sehen wir ja schon im Erlaß I M III 2629 vom 7. 1. 22. Aber 
auch dann wird die Ein- und Durchführung der neuen Des¬ 
infektionsordnung nur mit Hilfe einer straffen Organisation 
möglich sein, und die kann heute mehr denn je nur auf dem 
Wege des Gesetzes und nicht durch Vereinbaren und Empfehlen 
erreicht werden. 



490 


Dr. Gerhard Wagner: Die gesetzliche Regelung 


Die gesetzliche Regelung der »Nachuntersuchungen 4 
beim Typhus abdominalis. 

Von Dr. Gerhard Wagner, Direktor des Medizinaluntersnchungsamtes 

der Freien Stadt Danzig. 

Als ein wichtiges Mittel zur Verhütung der Weiter¬ 
verbreitung des Typhus abdominalis haben sich im Verlaufe 
des letzten Jahrzentes die Nachuntersuchungen bewährt, d. h. 
bakteriologische Untersuchungen des Stuhles und Harnes der 
Erkrankten nach erfolgter klinischer Genesung. Sie fußen auf 
der Beobachtung, daß auch nach Abklingen der Krankheits¬ 
erscheinungen noch Typhuskeime in den Ausscheidungen vor¬ 
handen sein können, ja daß zuweilen die Keime nach Beendigung 
der Krankheit häufiger in den Ausscheidungen gefunden werden, 
als es während der Krankheit der Fall war. Die Erkenntnis, 
daß der Zeitpunkt der Genesung im klinischen und im bak¬ 
teriologischen Sinne nicht zusammenfällt, ist für die Seuchen¬ 
bekämpfung naturgemäß sehr wichtig, da die Gefahr der Ueber- 
tragung erst nach Eintritt der letzteren als beseitigt angesehen 
werden kann. Dementsprechend würde nach epidemiologischen 
Gesichtspunkten die Absonderung des Kranken erst dann auf¬ 
zuheben sein, wenn die bakteriologische Genesung festgestellt 
ist; von den ja glücklicherweise verhältnismäßig seltenen Fällen, 
in denen die Ausscheidung der Keime infolge ihrer Dauer- 
ansiedlung im Körper (zumeist und hauptsächlich in der Gallen¬ 
blase) lebenslänglich erfolgt und in denen aus humanitären 
Gründen auf die Absonderung verzichtet werden muß, soll hier 
nicht die Rede sein. 

In der Tat hat sich in der Seuchenbekämpfung eine ent¬ 
sprechende Praxis eingebürgert; es werden nach erfolgter Ge¬ 
nesung, aber vor Aufhebung der Absonderung, mehrfach Stuhl- 
und Harnproben der bakteriologischen Untersuchung zugeführt, 
bis die Abwesenheit von Typhuskeimen durch mehrmaligen 
negativen Ausfall sichergestellt scheint. Daß es sich hier nur 
um eine scheinbare Sicherung handelt, liegt einmal in der 
methodologischen Unmöglichkeit, aus einer Stuhlprobe mit 
Sicherheit jeden einzelnen Typhuskeim aus der Riesenzahl der 
normalerweise vorhandenen Darmkeime herauszuzüchten, und 
anderseits daran, daß die Ausscheidung nicht gleichmäßig, son¬ 
dern schubweise erfolgt. Mit anderen Worten: je mehr Nach¬ 
untersuchungen vorgenommen werden, umso größer wird bei 
negativem Ausfall die Wahrscheinlichkeit, daß die bakterio¬ 
logische Genesung tatsächlich erfolgt ist. Die Militär- und 
Marinebehörde hatte daher während des Krieges angeordnet, 
daß nach Beendigung der Krankheit noch 10 im Abstande von 
je einer Woche erzielte negative bakteriologische Befunde vor¬ 
liegen mußten, ehe Entlassung aus dem Lazarett erfolgen durfte. 
Ich habe es mehrfach erlebt, daß, nachdem bereits 8 oder 9 
negative Ergebnisse Vorlagen, der Rekonvaleszent also seiner 
baldigen Lazarettentlassung entgegensehen durfte, die zehnte 



der „Nachuntersuchungen“ beim Typhus abdominalis. 


491 


Untersuchung durch positiven Ausfall diese Hoffnung zunichte 
machte und nunmehr das Spiel wieder von vorne begann, da 
ja 10 aufeinanderfolgende Ergebnisse verlangt wurden. Daraus 
ergibt sich, daß die bakteriologische Rekonvaleszenz sich sehr 
lange hinziehen kann — sie braucht deswegen durchaus noch 
nicht zur lebenslänglichen Keimträgerschaft zu werden —, so- 
daß selbst die zehnmalige, negative Untersuchung keine voll¬ 
kommene Sicherheit für Keimfreiheit bietet. Immerhin war 
damit aber doch eine weitgehende Vorsichtsmaßnahme ge¬ 
schaffen; jedenfalls entsinne ich mich keines Palles, in dem 
von einem so gründlich Nachuntersuchten weitere Infektionen 
ausgingen. Leider ist dieses Verfahren nur unter militärischen 
Verhältnissen durchführbar, denn eine mindestens zehnwöchige, 
oft aber erheblich längere Ausdehnung der Absperrung über 
den eigentlichen Genesungstag hinaus ist im bürgerlichen 
Leben — schon wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen 
Nachteile — nicht möglich. 

In Preußen ist in dieser Hinsicht in § 18 der Ausführungs¬ 
anweisung zum Gesetz betreffend die übertragbaren Krank¬ 
heiten vom 28. 8. 1905 bekanntlich vorgeschrieben: 

„Geht die Krankheit in Genesung über, so ist die Absonderung nicht 
eher aulzuheben, als bis sich Ausleerungen des Kranken bei zwei, durch 
den Zeitraum einer Woche von einander getrennten bakteriologischen Unter¬ 
suchungen als frei von Typhusbakterien erwiesen haben.“ 

Diese Vorschrift ist in mehrfacher Hinsicht zu bemängeln. 
Zunächst ist nicht oder zum mindesten nicht mit ausreichender 
Genauigkeit der Zeitpunkt festgesetzt, von dem ab die Unter¬ 
suchungen als Nachuntersuchungen zu gelten haben, d. h. von 
dem ab der zweimalige, im Abstand einer Woche erfolgte 
negative Ausfall den Anspruch auf Aufhebung der Absonderung 
begründet. Die landläufige Auffassung, daß der Vordersatz: 
„Geht die Krankheit in Genesung über“ eine zeitliche Be¬ 
deutung habe, also gleichbedeutend sei mit: „Nachdem die 
Krankheit in Genesung übergegangen ist“ erscheint — zum 
mindesten formalrechtlich — nicht als stichhaltig. Im Zu¬ 
sammenhang mit den vorangehenden Absätzen des § 18 be¬ 
trachtet, ist dieser Vordersatz vielmehr als rein konditionell 
zu bewerten; sollte ihm eine zeitliche Bedeutung zukommen, 
so müßte man erwarten: „Ist die Krankheit in Genesung 
übergegangen, so ist usw.“, auch müßte dann im Nachsatz 
nicht von Ausleerungen des „Kranken“, sondern des „Gene¬ 
senen“ gesprochen werden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes 
ist der Untersuchungspflicht genügt, wenn zwei negative, durch 
den Zeitraum von einer Woche von einander getrennten Unter¬ 
suchungsergebnisse vorliegen, gleichgültig, ob diese Unter¬ 
suchungen während oder erst nach Beendigung der Krankheit 
veranlaßt wurden. In der Tat ist mir diese Auffassung während 
meiner Tätigkeit in der „Planmäßigen Typhusbekämpfung in 
Mitteldeutschland“ mehrfach, u. a. auch bei einem Medizinalbeamten 
begegnet, der die bakteriologische Genesung als eingetreten 



492 


Dr. Gerhard Wagner: Die gesetzliche Regelung 


ans&h, wenn überhaupt zwei aufeinander folgende Stuhl- bezw. 
Harnuntersuchungen negativ ausgefallen waren einschließlich 
der im Laufe der Krankheit — vielleicht sogar zur Sicherung 
der Diagnose — veranlaßten. Dieses Verfahren ist epidemio¬ 
logisch sicher falsch, man kann ihm aber nicht entgegenhalten, 
daß es im Widerspruch mit dem Wortlaut des Gesetzes stände — 
höchstens könnte man einwenden, daß es sich dann eben nicht 
mehr um „Nachuntersuchungen“ handeln könne; indessen 
diesen Begriff kennt das Gesetz nicht. Vielmehr spricht der 
Umstand, daß im folgenden Satz des gleichen Paragraphen der 
Anfangstermin der zehnwöchigen Frist, nach der der Kranke 
bei fortdauernden Bazillenfunden als Bazillenträger anzusehen 
ist, ausdrücklich auf den Beginn der Krankheit verlegt wird, 
eher dafür, daß dem Gesetzgeber mit dem Vordersatz: „Geht 
die Krankheit als Genesung über usw.“ die Absicht, den Zeit¬ 
punkt der Genesung als Stichtermin für die Nachuntersuchungen 
festzusetzen, tatsächlich ferngelegen hat; denn er würde dann 
vermutlich für den Beginn der zehnwöchigen Frist nicht noch 
ausdrücklich einen andern Stichtermin eingeführt haben. Jeden¬ 
falls erscheint der Wortlaut des § 18 Abs. 5 vom heutigen 
Standpunkt als keineswegs eindeutig und als einer dem heutigen 
Stande unserer Erfahrungen entsprechenden Interpretation drin¬ 
gend bedürftig. Will man mit mir annehmen, daß der Vorder¬ 
satz: „Geht die Krankheit in Genesung über usw.“ überhaupt 
keine zeitliche Bedeutung hat, so könnte man vielleicht sagen, 
daß im Gesetz zwar überhaupt nichts darüber steht, von 
welchem Termin ab die Nachuntersuchungen als wirksam für 
eine Aufhebung der Absonderung zu betrachten sind, daß aber 
das Gesetz in dieser "Hinsicht nach dem jeweiligen Stande der 
epidemiologischen Erfahrungen auszulegen ist — ist doch der 
Interpretation eines jeden Gesetzes die Fiktion der höchstmög¬ 
lichen Vollkommenheit der betreffenden Vorschrift zu Grunde 
zu legen. 

Vorzuziehen wäre zweifellos bei einer Neuregelung des 
Gesetzes vom 28. 8. 1905 eine schärfere Fassung dieser Vor¬ 
schrift, indem die zeitliche Bedingtheit der Nachuntersuchungen 
von dem Eintritt der klinischen Genesung zweifelsfrei zum 
Ausdruck gebracht würde, ja es würde sich meines Erachtens 
empfehlen, auch diesen Termin objektiv festzulegen und viel¬ 
leicht die endgültige Entfieberung als Kriterium für den Beginn 
der Rekonvaleszenz zu wählen. 

Weiterhin ist in der jetzigen Vorschrift die geringe Zahl 
der zur Aufhebung der Absonderung berechtigenden Nach¬ 
untersuchungen zu bemängeln. Zwei derartige Ergebnise, auch 
wenn sie im Abstande von einer Woche aufeinander folgen, 
und selbst wenn sie erst in der Rekonvaleszenz gewonnen 
werden, geben so gut wie keine Sicherheit dafür, daß nicht 
später noch weitere Ausscheidung erfolgt. So habe ich im 
Bezirk Jena der Typhusbekämpfung in Mitteldeutschland im 
Verlaufe eines Jahres nicht weniger als drei Y ontaktfälle erlebt, 



der „Nachuntersuchungen“ beim Typhus abdominalis. 498 

die von zweimal regelrecht nachuntersuchten Genesenen aus- 
gingen. In richtiger Würdigung dieses Uebelstandes ist durch 
Rundschreiben des Reichskanzlers (Reichsamt des Innern) vom 
14. 5. 1900 eine dritte, ebenfalls im Abstande von einer Woche 
vorzunehmende Nachuntersuchung für ratsam erklärt worden. 
Aber auch das bedeutet nur einen weiteren Sicherheits¬ 
koeffizienten, abgesehen davon, daß eine gesetzliche Pflicht zur 
dritten Nachuntersuchung damit nicht begründet wird. 

Mithin sind die gesetzlichen Bestimmungen über die Nach¬ 
untersuchungen, auch wenn man sie auf den Tag der Genesung 
bezieht, als unzureichend zu bezeichnen. Ja es liegt eine ge¬ 
wisse Gefahr in ihnen, insofern ihre Einhaltung eine Sicherheit 
vortäuscht, die in Wirklichkeit nicht besteht. 

Eine Abhilfe in dieser Hinsicht ist nur auf dem Wege 
der gesetzlichen Neuregelung bezw. durch Abänderung der zur¬ 
zeit geltenden Ausführungsanweisungen möglich. Eine Aus¬ 
dehnung der Absonderung etwa in dem Maße, wie die Militär¬ 
behörde es mit der zehnmaligen Nachuntersuchung bezweckte, 
erscheint, wie schon oben betont, undurchführbar. Die für die 
Dauerausscheider getroffene Bestimmung, daß zehn s Wochen 
nach Beginn der Krankheit auch bei positivem Befund die Ab¬ 
sonderung aufgehoben werden darf, zeigt, daß der Gesetzgeber 
sich der praktisch durchführbaren Grenzen einer Absonderung 
wohl bewußt ist; nimmt man an, daß die typhöse Erkrankung 
im Durchschnitt 4 Wochen in Anspruch nimmt, die Rekon¬ 
valeszenz weitere 2—3 Wochen, so ergibt sich als die Ansicht 
des Gesetzgebers, daß man einen klinisch Gesunden aus Rück¬ 
sichten auf seine Umgebung allerhöchstens 3 bis 4 Wochen von 
der Oeffentlichkeit absperren darf. Die Vermehrung der Nach¬ 
untersuchungen, die an sich unumgänglich notwendig ist, kann 
mithin nicht in der Weise vorgenommen werden, daß sie eine 
Verlängerung der Absonderung mit sich bringt. Vielmehr wird 
man auf die letztere verzichten und sich mit einer medizinal- 
polizeilichen Aufsicht begnügen müssen, ebenso wie das Gesetz 
das für die Dauerausscheider bereits getan hat. Es wäre also 
zu fordern, daß jeder Typhusrekonvaleszent für längere Zeit, 
etwa für 12 Wochen nach eingetretener entgültiger Entfieberung, 
einer medizinalpolizeilichen Beobachtung zu unterstellen wäre, 
die sich neben der Durchführung der notwendigsten Vorsichts¬ 
maßnahmen auf dem Gebiete der persönlichen Sauberkeit und 
der laufenden Desinfektion, vor allem auf die Durchführung der 
mindestens einmal in jeder Woche vorzunehmenden Nachunter¬ 
suchungen der Ausleerungen (Stuhl und Harn) zu erstreoken 
hätte. Die Beobachtungszeit wäre entsprechend zu verlängern, 
falls innerhalb der erwähnten 12 Wochen positive Befunde er¬ 
hoben werden. Ob daneben die Verlängerung der Absonderung 
bis zum Vorliegen zweier negativer Befunde im bisherigen Sinn 
noch aufrechtzuerhalten wäre, mag dahingestellt bleiben. Der 
durch sie gewährleistete Schutz ist nach meiner Erfahrung 
fragwürdig, um so mehr, als die Absonderung im Privathaushalt 



494 


Dr. Meyer. 


stets nur eine mehr oder weniger lückenhafte ist. Als Nach¬ 
teil der hier angeregten Neuregelung kann es erscheinen, daß 
die längerdauernde medizinalpolizeiliche Beobachtung von den 
verantwortlichen Medizinalbeamten eine höhere Arbeitsleistung 
fordert, als es bei der kurzfristigen Absonderung wenigstens 
dann der Fall war, wenn sie im Krankenhaus vor sich ging. 
Sollte sich indessen, wie zu erwarten, in Zukunft aus dem Des¬ 
infektor der Gesundheitsaufseher entwickeln, so wäre hier für 
diesen ein passendes Arbeitsfeld gegeben. Aber auch durch 
Heranziehung der Gemeindeschwestern kann sich der Kreisarzt 
in dieser Hinsicht entlasten. 

Ich möchte daher empfehlen, dem § 18 der Ausführungs- 
anweisung etwa folgende Fasssung zu geben: 

„Geht die Krankheit in Genesung über, so wird der Genesene vom Tage 
der endgültigen Entfieberung noch für 12 Wochen der Beobachtung des zu¬ 
ständigen Kreisarztes unterstellt, ln dieser Zeit ist mindestens einmal 
wöchentlich durch bakteriologische Untersuchung der Ausscheidungen (StoJü 
und Harn) festzustellen, ob der Genesene bereits frei von Krankheitskeimen 
ist. Ist das nicht der Fall, so wird die Beobachtungszeit entsprechend ver¬ 
längert.“ 

Den in einer derartigen Neuordnung liegenden Gewinn 
sehe ich — meine obigen Ausführungen zusammenfassend — 
darin, daß erstens dem bisher zum mindesten sehr auslegungs¬ 
bedürftigen § 18 ein eindeutiger Wortlaut gegeben wird. Weiter 
aber würde dem genannten Paragraphen das für eine gesetz¬ 
liche Vorschrift besonders peinliche Odium eines Versuches der 
Seuchenbekämpfung mit unzulänglichen Mitteln genommen 
werden, durch den noch dazu in der Umgebung des Kranken 
ein Gefühl der Sicherheit hervorgerufen wird, das sachlich nicht 
begründet ist. _ 


Uefoer Vaccinola der Konjunktiva. 

Von Geh. Med.-Bat Dr.‘Meyer, Kreisarzt in Göttingen. f 

Im Band IX, Heft 7 der Veröffentlichungen aus dem Ge¬ 
biete der Medizinalverwaltung (1919) kommt Med.-Rat Prof. Dr. 
Meder, der Vorsteher der Preuß. Impfanstalt in Köln, .zu dem 
Schlüsse, daß die echten (originären) Kuhpocken, von denen die 
Jennersehe Schutzpockenimpfung ihren Ausgang nahm, heute 
bei uns als eine äußerst seltene Erkrankung angesehen werden 
müssen. Er führt eine Reihe von Uebertragungen, namentlich 
auf Stallpersonal an aus der Literatur, aus denen hervorgeht, 
daß die Kuhpocken doch immer wieder bei uns Vorkommen, 
namentlich wenn man bedenkt, daß eine Reihe leichter Er¬ 
krankungen gar nicht zur Kenntnis des Arztes kommt. Da¬ 
gegen hat er bis zum 21. November 1913, an welchem Tage 
ihm durch einen Augenarzt in Köln ein derartiger Fall vor¬ 
gestellt wurde, keinen Fall von Uebertragung echter Kuhpocken 
vom Tiere auf das menschliche Auge gesehen oder in der 
Literatur beschrieben gefunden, während Infektionen des Auges 
mit Schutzpockenlymphe dagegen eine ganze Anzahl ver- 



üeber Yaccinola der Koojanktrva. 


496 


öffentlicht sind. Meder hebt hervor, daß die Vaccineinfektion 
des Auges meist am Lidrande beobachtet wird, während Er¬ 
krankungen der Bindehaut und der Hornhaut nur seltener be¬ 
schrieben worden sind Im Handbuche der gesamten Augen¬ 
heilkunde von G r a e i e - Saemisch (1904: 84.—90. Lieferung) 
wird darauf hingewiesen, daß die Vaccinola (Impfpustel), auf 
deren Vorkommen zuerst Hirschberg hingewiesen hat, (Impf¬ 
bläschen an den Lidern: Archiv für Augenheilkunde VIII, S. 187, 
vom Jahre 1879), fast ausschließlich am Lidrande oder in seiner 
nächsten Umgebung sich findet, da der Lidrand die geeig¬ 
netste Stelle für die Haftung des Impfstoffes bildet, weil 
die Epitheldecke hier zart und durchfeuchtet ist und leicht 
defekt wird. Die Entwicklung der Impfpustel ist nun folgende: 
auf einer leicht geröteten und geschwellten Stelle des Lidrandes 
oder der Lidfläche bildet sich eine Papel mit durchscheinender 
Stelle, die sich in der weiteren Form eines Bläschens ungefähr 
bis zum Umfange einer kleinen Erbse vergrößert. Das Bläschen 
ist perlmutterartig grau gefärbt mit einer dellenartigen zen¬ 
tralen Einziehung und entwickelt sich ungefähr am 8.—10. Tage, 
unter Zunahme der entzündlichen Schwellung, zu einer eitrigen 
Pustel, die aber nicht, wie an anderen Stellen, vertrocknet. 
Der Grund hierfür muß darin gesucht werden, daß die Lid¬ 
ränder beständig mit Bindehautflüssigkeit benetzt und dadurch 
eine Vertrocknung unmöglich gemacht wird. Zur Nedden 
meint, daß infolge der schon früh eintretenden Lidschwellung 
die Lidränder voneinander gedrückt, und dadurch die in der 
Entwicklung begriffenen Bläschen zum Platzen gebracht würden. 
Der Grund eines solchen Impfgeschwüres ist mit einem pseudo¬ 
diphtherischen Belage bedeckt, häufig besteht eine Neigung 
zur Vergrößerung, teils durch Necrose der die erkrankte Stelle 
umgebenden Haut, teils, weil in der nächsten Nähe des pri¬ 
mären Geschwürs sekundäre Infekte stattfinden. Gehen die 
Geschwüre ineinander über, so kann die ganze laterale Hälfte 
des Lidrandes in ein einziges Geschwür verwandelt werden, 
oder es bestehen mehrere Infekte isoliert, und der Lidrand er¬ 
scheint mit einer größeren Zahl nebeneinander gereihter Impf¬ 
pusteln besetzt. Selten greift ein Geschwür des Lidrandes auf 
die Tarsalbindehaut über, häufiger erfolgt auf dem Wege 
des Kontaktes ein Infekt der Skleralbindehaut, und zwar an 
der Stelle, die der erkrankten Stelle des Lidrandes gegenüber¬ 
liegt und bei der Lidbewegung auf der Oberfläche der Skleral¬ 
bindehaut scheuert. Der Heilungsverlauf erfordert 3—4 Wochen. 
Von 38 bekannten Erkrankungen des Lidrandes wurde nur ein¬ 
mal die Hornhaut, dreimal die Bindehaut befallen. Bei der 
Entwicklung von Impfpusteln auf der Bindehaut sind die Reiz¬ 
erscheinungen wie die Schwellung, die Infektion der Bindehaut, 
die Chemosis noch ausgesprochener als bei den Erkrankungen 
des Lidrandes, regelmäßig entwickelt sich auch bei dieser 
Lokalisation eine typische Schwellung der Präaurikulardrüse 
und nicht selten ein fieberhafter Zustand. Es bilden sich flache 



496 


Dr. Meyer. 


Substanzverluste mit weißlich-grauem, leicht abziehbarem 
Belage, die in kurzer Zeit ohne Närbenbildung verheilen. 
Eine eigentliche Pustelbildung auf der Bindehaut wird nur selten 
beobachtet. Die Prognose dieser Bindehauterkrankungen wird 
dadurch getrübt, daß in ihrer Folge nicht selten eine sekun¬ 
däre Erkrankung der Hornhaut auftritt. — Differentialdiagnostisch 
kommt in Betracht in erster Linie Diphtherie; dagegen spricht 
die Erfahrung, daß Diphtherie am Lidrande nur ganz ausnahms¬ 
weise vorkommt, in der Regel sich damit eine Diphtherie der 
Bindehaut verbindet. Ferner kommt noch der weiche und 
harte Schanker in Betracht. Der weiche Schanker ist äußerst 
selten an den Lidern anzutreffen, zeigt scharfe Ränder und 
einen speckigen Belag und hat die Neigung, in der Länge und 
in der Tiefe fortzuschreiten. Beim harten Schanker erscheint 
der Grund speckig und graugelb, die Umgebung ist hart in¬ 
filtriert, der Belag läßt sich nicht abwischen. In zweifelhaften 
Fällen muß man in erster Linie nach geimpften Kindern suchen, 
bei hartem Schanker käme der Nachweis von Spirochaeten in 
Betracht. 

Ich habe geglaubt, diese kurze Schilderung der Vaccinola, 
welche der Beschreibung in Graefe-Saemisch entnommen ist, 
aufführen zu müssen, um den Impfärzten das Bild derselben 
ins Gedächtnis zurückzurufen. Ich glaube nicht fehlzugehen 
in der Annahme, daß den meisten Impfärzten die Vaccinola 
ein unbekanntes Gebiet ist, daß viele dieselbe überhaupt noch 
nicht gesehen haben. Ich impfe nunmehr bereits fast 40 Jahre, 
seit einer Reihe von Jahren 2000 Kinder, und habe sie in 
2—3 Fällen gesehen. Ich will mit Meder gern glauben, daß 
viele Fälle von Impfpusteln dem Impfarzte überhaupt nicht zur 
Kenntnis kommen. 

Wie kommt nun die Uebertragung des Impfstoffes auf das 
Auge zustande? Ohne Zweifel in manchen Fällen durch Selbst¬ 
infektion. Die Kinder kratzen sich an den geimpften Stellen 
des Arms und reiben mit den infizierten Händen an den 
Augen oder an anderen Körperstellen. Die Haftung des Impf¬ 
stoffes erfolgt leicht an solchen Stellen, wo die Haut mazeriert 
oder eine ekzematöse Erkrankung vorhanden ist, was besonders 
für den Lidrand zutrifft. Nach Pi hl waren unter 50 Fällen 
von Lidvaccine 8 durch Selbstinfekt entstanden. Gewöhnlich 
aber entwickelt sich die Erkrankung durch Uebertragung des 
Impfstoffes von Geimpften auf andere durch mit Lymphe ver¬ 
unreinigte Finger, durch gemeinschaftlichen Gebrauch, von Hand¬ 
tüchern, Badewannen und ähnlichen Gegenständen; bei Kindern 
erfolgt die Uebertragung oft schon durch Umgang mit geimpften 
Geschwistern, bei Müttern und Pflegerinnen durch die Wartung 
geimpfter Kinder, vielleicht auch durch mittelbare Berührung 
z. B. beim Anlehnen mit der Gesichtsfläche. Infektion von 
Aerzten beim Impfgeschäfte erfolgt unmittelbar oder durch 
Uebertragung des Impfstoffes, wahrscheinlich durch die ver¬ 
unreinigten Hände. Eigenartig ist der Fall E 4 n g 1 e t o n, den 



Ueber Vaccinol» der Konjunktiv». 


497 


auch Meder erwähnt, in dem einem Arzte beim Impfen ein 
abgesprungenes Stück Tube mit etwas Kuhpockenlymphe in 
das Auge geflogen war. 

Wenn man die Literatur der Vaccinola betrachtet, so 
werden von den einzelnen Autoren stets nur vereinzelt beob¬ 
achtete Fälle erwähnt. In der Denkschrift zur Beurteilung des 
Impfgesetzes „Blattern und Schutzpockenimpfung vom Jahre 
1896“ heißt es über die Uebertragung von Impfstoff auf das 
Auge: „Fälle solcher Art sind selten und durch geeignete Auf¬ 
sicht der Kinder leicht zu vermeiden, wie denn auch die vom 
Bundesrate herausgegebenen VerwaltungsVorschriften für die 
Angehörigen der Impflinge verordnen, daß die Impfstellen mit 
größter Sorgfalt vor dem Aufreiben und Zerkratzen zu bewahren 
sind.“ Kirchner führt in seinem Hefte „Schutzpockenimpfung 
und Impfgesetz“ vom Jahre 1911 die Uebertragung von Vaccine 
auf die Lidränder, die Bindehaut und Hornhaut des Auges nur 
kurz an, indem er hinzufügt, daß letzteres zuweilen zu einem 
Hornhautfleck führen könne mit dauernder Herabsetzung des 
Sehvermögens. Bei diesem seltenen Auftreten der Vaccinola 
muß es aulfällig erscheinen, daß während der Impfperiode des 
verflossenen Jahres 1921, und zwar in den Monaten Mai und 
Juni, in der Universitäts-Augenklinik in Göttingen 6 Fälle von 
Vaccinola beobachtet wurden: 

1. Walter Fiacher-Göttingen, 6. J. Der Bruder dieses Knaben war 
von mir am 18. Mai geimpft worden; beide Brüder haben in einem Bette ge¬ 
schlafen. Beginn der Liderkrankung am 1. Juni. Heilung ohne Komplikation. 

2. Hans Romanowsky, 1‘/» J., aus Adelebsen. Kind, war bisher 
nicht geimpft, war auch angeblich mit geimpften Kindern nicht in Berührung 
gekommen, so daß der Zusammenhang unklar ist. 

8. August Voßmer, 6 Jahre, Landwirtskind, Gottstreu (Kr.Hofgeismar) 
14 Tage nach der Impfang eines 8 Monate alten Geschwisters Entzündung auf¬ 
getreten. Erkrankung doppelseitig, günstiger Verlauf ohne Hornhautkomplikation. 

4. Helene Bartels, 27 J, Katzenstein. Das Kind der Patientin wurde 
Ende AprU geimpft, Erkrankung der Mutter am 7. oder 8. Mai. Günstiger 
Verlauf. 

6. Frida Grote, Landwirtsfrau, Sehlem (Kr. Alfeld) hat ein geimpftes 
Kind, bei dem die Impfstellen sehr stark angegangen waren, bei sich im Bette 
gehabt. Verlauf ohne Komplikation. 

6. Luise Hillebrand, 83 J., Landwirtsfrau, Dinkelhausen. 10 Tage 
vor der Erkrankung war das Kind mit starkem Erfolge geimpft worden. Ver¬ 
lauf ohne Komplikation. 

Wir sehen auch hier, daß bei allen Fällen der Verlauf ein 
günstiger ohne Hornhautkomplikation war, daß in 5 Fällen ein 
Zusammenhang mit einem geimpften Kinde nachzuweisen war. 
Man muß annehmen, daß auch im Falle 2 ein solcher statt¬ 
gefunden hat. 

Ich möchte zum Schlüsse nun die Frage aufwerfen, wie 
kommt es, daß gerade im Jahre 1921 ein so häufiges Auftreten 
der Vaccinola beobachtet wurde. Die Patienten stammen aus 
den verschiedensten Kreisen des Reg.-Bez. Hildesheim, ein Fall 
aus dem Reg.-Bez. Cassel. Die Impfung selbst kann natürlich 
nicht in Frage kommen, ebensowenig die Lymphe, oder gerade 
eine besondere Unvorsichtigkeit der Angehörigen der Impflinge. 



498 Nippe: Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen 

9 

Meiner Ansicht nach kann nur ein Grund in Frage kommen, 
nämlich die überaus starke Hitze, welche bereits ira April, Mai 
und Juni 1921 überall herrschte. Nicht umsonst heißt es in den 
Beschlüssen des Bundesrats zur Ausführung des Impfgesetzes vom 
22.März 1917, A. § 1, Abs. 5: es empfiehlt sich, öffentliche Impf uogen 
während der Zeit der größten Sommerhitze zu vermeiden; diese 
Meinung ist sicher deshalb ausgesprochen, weil bei starker Hitze 
die Impfstellen, wie jeder erfahrene Impfarzt weiß, eine stärkere 
entzündliche Reaktion zeigen als bei kühler Witterung. Die 
Entzündungsränder sind stärker ausgeprägt, meist ist das ganze 
Impffeld eine stark gerötete Fläche, die Impfschnitte erscheinen 
breiter und länger, die Bläschen sind größer und stärker ge- 
gefüllt. Ich führe dies darauf zurück, daß infolge der Hitze 
und des Schweißes eine Infektion der Impfstellen durch ver¬ 
unreinigten Schweiß stattfindet. Dementsprechend ist auch die 
Sekretion aus den geöffneten Impfstellen eine stärkere und hier¬ 
durch eine leichtere Uebertragung auf die Hände der pflegenden 
oder mit dem Impfling in Berührung kommenden Personen er¬ 
möglicht. Daß in dieser Beziehung in erster Linie die Mütter 
gefährdet sind, zeigt, daß von den 6 Erkrankungen die Hälfte 
Mütter von Impflingen betraf. In 2 Fällen betraf es ältere Ge¬ 
schwister, die nicht selten die Impfstellen der Geschwister be¬ 
rühren oder mit denselben, wie in einem Falle sicher nach¬ 
gewiesen, in einem Bette schlafen. Welche Schlüsse sollen 
wir aus diesen Fällen ziehen? — Die Impfärzte müssen an¬ 
gewiesen werden, im Impftermine die Angehörigen besonders 
streng darauf aufmerksam zu machen, daß 

1. jede Berührung der Impfpusteln mit dem Finger streng 
verboten ist; 

2. daß bei jeder Berührung, z. B. Anlegen von Verbänden 
bei starker Entzündung die Hände sofort zu reinigen sind; 

3. daß während der ersten 14 Tage nach der Impfung ge¬ 
impfte Kinder mit anderen nicht in einem Bette schlafen dürfen, 
überhaupt, wenn kein Verband getragen wird, mit diesen mög¬ 
lichst nicht in nähere Berührung kommen. 

Es wäre für mich von Interesse, zu erfahren, ob auch in 
anderen Bezirken im Jahre 1921 ein stärkeres Vorkommen von 
Vaccinola beobachtet worden ist. 


Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle 
yon Leichenöffnungen und der Gutachten 
in Entmündigungssachen durch die 
gerichtsärztlichen Ausschüsse. 

Von Prof. Nippe, Königsberg i. Pr. 

Der Antrag von Rapmund jun. (Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte, 1922, S. 259) betr. Beseitigung der Ueberprüfung der 
in der Ueberschrift genannten Protokolle und Gutachten gibt 
mir als Gerichtsarzt Gelegenheit, auf einzelne Punkte dieser 



u. der Qat&chten io Entmündigungssachen durch gerichtsärztl. Ausschüsse. 499 


Fragen einzugehen. Ich gehörte dem gerichtsärztlichen Aus¬ 
schuß der Provinz Pommern seit seiner Gründung bis 1. April 
1922 an und bin ebenfalls ständiges Mitglied als Gerichtsarzt 
des gerichtsärztlichen Ausschusses der Provinz Ostpreußen seit 
dem genannten Termine. Ich habe also, wenn auch noch nicht 
sehr viel Erfahrungen, so doch immerhin schon einen Ueberblick 
über die Aufgaben, welche dem Gerichtsarzt als ständigem 
Mitglied des gerichtsärztlichen Ausschusses einer Provinz zu¬ 
fallen und ein Urteil darüber, ob diese Aufgaben zweckmäßig 
gestellt und lösbar sind. 

Was die Ueberprüfung der Gutachten in Entmündigungs¬ 
sachen anlangt, so habe ich wiederholt in solchen Fällen ein¬ 
gegriffen und habe auch stets das Einverständnis meines Herrn 
Mitberichterstatters, in diesem Falle eines Fachpsychiaters, 
Anstaltsdirektors oder Klinikleiters, erhalten, wenn es sich um 
Entmündigungen handelte, wo ein ausführliches Gutachten nicht 
Vorgelegen hatte. Ich halte Entmündigungen und Wieder¬ 
bemündigungen ohne das Vorliegen eines schriftlichen' ausführ¬ 
lichen Gutachtens für durchaus unrichtig. In der großen Mehr¬ 
zahl der Fälle liegen die Dinge nicht so einfach, daß in einem 
mündlichen Terrain eine Bemündigung oder Entmündigung aus¬ 
gesprochen werden kann, und doch haben eine Reihe Amts¬ 
gerichte diese Gepflogenheit, wie ich aus eigener Erfahrung 
weiß. Schon aus diesem Grunde also ist die Anwesenheit einer 
überprüfenden Instanz, wie sie der gerichtsärztliche Ausschuß 
darstellt, bei diesen Ent- und Bemündigungsgutachten bezw. 
Terminen unbedingt notwendig. 

Noch viel ernster liegen die Verhältnisse bei der Ueber¬ 
prüfung der Sektionsprotokolle. Es ist eine nicht von mir, 
sondern Jahr um Jahr immer wieder vorgebrachte Klage, daß 
diese Protokolle ungenügend sind. Ich sehe dabei von formalen 
Fehlern vollkommen ab. Ich habe selbst persönlich aus formalen 
Gründen noch nie ein Protokoll gerügt und werde das auch 
nie tun. Aber es gibt doch auch rein formal betrachtet eine 
Reihe Dinge, die imbedingt beachtet werden müssen. Es ist 
z. B. nicht angängig, auch im Einverständnis aller Beteiligten, 
also auch des Richters, von der Sektion der Kopfhöhle etwa 
abzusehen. Die Kopfhöhle muß unter allen Umständen viel¬ 
mehr miteröffnet werden. Ferner ist es notwendig, die Ob¬ 
duzenten immer wieder darauf hinzuweisen, daß im vorläufigen 
Gutachten unter allen Umständen zur Schuldfrage Stellung ge¬ 
nommen werden muß. Auch dagegen wird immer wieder ver¬ 
stoßen. 

Es war meines Erachtens hohe Zeit, daß die alten Provinzial- 
Medizinalkollegien durch eine Neuerung, wie das die Schaffung 
der gerichtsärztlichen Ausschüsse der Provinzen darstellt, ab¬ 
gelöst wurden. Allerdings ist die Handhabung der Sektions- 
protokoll-Ueberprüfung, wie sie jetzt anscheinend überall durch¬ 
geführt wird, noch nicht ideal und es ist an der Zeit, daß einige 
Aenderungen darin vorgenommen werden. Solche Aenderung 



600 Nippe: Zur Frage der Nachprüfung der Protokolle von Leichenöffnungen 

könnte ohne weiteres so geschehen, daß in die Dienstanweisung 
für die Amtsärzte, die ja auch in Zukunft gleichermaßen für 
die Kreis- und Qerichtsärzte gelten soll, folgende Bestimmung 
aufgenommen wird: Der die Abschrift des Protokolles über¬ 
prüfende Amtsarzt hat dem Vermerk, daß die Abschrift mit 
der Urschrift übereinstimmt und daß vorhandene Schreibfehler 
verbessert wurden, noch einen kurzen Hinweis auf den Sach¬ 
verhalt hinzuzufügen. Solche Tatbestandsfeststellungen könnten 
ganz kurz gemacht werden und würden den Amtsarzt gar nicht 
belasten. Es würde vollkommen genügen, wenn es etwa heißt: 
Es handelt sich um eine unbekannte Leiche, die dann und dann 
aufgeschwemrat wurde; oder: Die Sektion wurde aus dem und 
dem Grunde so lange verzögert; oder: Es war zu entscheiden, 
ob die Schußverletzung von einer bestimmten Waffe her¬ 
rührte und dergl. mehr. Die gerichtlichen Sektionen unter¬ 
scheiden sich von den pathologisch-anatomischen nicht nur da¬ 
durch bekanntlich, daß sie auf die Schuld irgendeines Dritten 
am Tode des Sezierten besonders eingehen sollen, sondern auch 
daß sie, wie man mit Hecht gesagt hat, häufig eine Sektion ohne 
Anamnese sind. DerUeberprüfer eines solchen Sektionsprotokolles 
ist jetzt, wo er lediglich das Protokoll als solches mit den Namen 
des Toten, der Obduzenten, des Richters und Gerichtsschreibers 
übermittelt erhält, wieder in der imangenehmen Lage, die Be¬ 
urteilung einer Handlung vornehmen zu müssen, für die eine 
Vorgeschichte fehlt und das diesmal ohne zwingenden Grund. 
Es besteht nach meinen Erfahrungen aber gar kein Zweifel, 
daß der oder die betreffenden Amtsärzte in der Mehrzahl der 
Fälle in der Lage sind, dem gerichtsärztlichen Ausschuß und 
damit in der Regel dem Gerichtsarzt als ständigem Mitglied 
dieses Ausschusses, wenn sie die Zweitschrift des Leichen- 
protokolles durchsehen, solche, nennen wir sie katamnestische 
oder sonstigen Angaben über den Verlauf des Falles machen 
zu können. Irgendeine Mehrbelastung — ich habe ja gezeigt, 
daß ein ganz kurzer Satz diesem Zwecke genügen würde — 
ist damit den obduzierenden Amtsärzten nicht auferlegt. 

Sodann aber muß vor allem der Geschäftsgang weit weniger 
schleppend gehandhabt werden, als es bisher geschieht, d. h. 
die Abschriften der Protokolle müssen seitens der Gerichte 
schneller in die Hand der Vorsitzenden der gerichtsärztlichen 
Ausschüsse gelangen, damit diese sie schneller den Gerichts¬ 
ärzten etc. als Ueberprüfern zugehen lassen. Rein sachlich habe 
ich wiederholt bei der Ueberprüfung eines Sektionsprotokolles 
gefunden, daß die oder jene wichtige Untersuchung nicht vor- 

§ enommen war, und wenn dann zwischen der Vornahme der 
ektion und der Ueberprüfung ein monatelanger Zwischenraum 
liegt, hat die nachträgliche Anordnung etwa einer Untersuchung 
von Leichenteilen auf Gift z. B. gar keinen Zweck mehr in den 
meisten Fällen. Weiter ist es notwendig, daß der Abschrift 
des Sektionsprotokolles, die der Ueberprüfer bekommt, das 
Aktenzeichen des betreffenden Falles beigefügt wird, damit, 



n. der Gatachten in Entmttndigangasachen durch gerichtsärztl. Ausschüsse. 501 

wenn es notwendig ist, umgehend die Akten angefordert werden 
können. 

Es liegt im Belang der Hebung .des Ansehens aller Medizinal¬ 
beamten, daß die Leichenöffnung möglichst häufig mit dem 
gewünschten Erfolge, d. h. mit der Aufklärung der Todesursache 
und der Schuld am Tode beendet werden. In vielen Fällen 
verhindert das ohne Verschulden der betreffenden Obduzenten 
die ja sattsam bekannte Tatsache, daß die Gerichte zufolge 
eines überaus schleppenden Geschäftsganges, der mindestens 
3 Instanzen durchlaufen muß, die Sektionen zu spät anordnen, 
so daß infolge Leichenfäulnis subtilere Befunde einfach nicht 
mehr zu erheben sind. Weiter liegt doch aber manchmal bei 
dem ja gar nicht weiter besonders zu entschuldigenden Fehlen 
der notwendigen Kenntnisse der gerichtsärztlichen und patho- 
logisch-anatomisch.en Tatsachen seitens der Amtsärzte eine 
mißverständliche Deutung von Befunden vor. Und auch da ist 
der Ueberprüfer der Protokolle, der geübte Gerichtsarzt also, 
durchaus in der Lage, wenn die oben formulierten Bedingungen 
nur erfüllt werden, noch im Sinne der Rechtslage verbessernd 
einzugreifen. Er kann z. B. durch den gerichtsärztlichen Aus¬ 
schuß auffordem lassen, die Organe, bei denen ein Befund un¬ 
klar bleibt, dem nächsten gerichtsärztlichen Institut zur weiteren 
histologischen Untersuchung einzusenden, was in den bekannten 
Sputumgefäßen mit Brennspiritus- oder Formalinfixierung mit 
wenig Mühe geschehen kann, oder er kann, wenn er das Akten¬ 
zeichen weiß, sich die betreffenden Akten ausbitten, um einen 
offenbar falsch gedeuteten Sachverhalt eben wieder durch den 
gerichtsärztlichen Ausschuß zur Klärung zu bringen. Solche 
Mißdeutungen seitens der Obduzenten kommen bei einer ganzen 
Reihe von Fällen immer wieder vor. Erst kürzlich, um nur 
ein Beispiel anzuführen, hatten die Obduzenten angenommen, 
daß ein Schuß aus großer Nähe Vorgelegen habe, bei dem in¬ 
folge der Kraft der Pulvergase die Halsorgane und Wirbelsäule 
völlig zertrümmert worden waren, während die übrige Be¬ 
schreibung des Protokolles Pulvereinsprengungen am Halse 
und dem ganzen Gesicht feststellte, so daß es sich also bei der 
starken Zerstörung ganz sicherlich nicht um einen Nahschuß 
mit Wirkung der Pulvergase, sondern um einen Mantelreißer 
aus einer Entfernung gehandelt hatte, für welche fremdes Ver¬ 
schulden schon durchaus in Frage kam. Besonders häufig werden 
dann auch Befunde an den Lungen mißdeutet, die sich durch 
eine mikroskopische Untersuchung im nächsten gerichtsärzt¬ 
lichen Institut ohne weiteres aufklären lassen würden. 

Jeder beamtete Arzt kann überzeugt sein, daß der Ge¬ 
richtsarzt, der als ständiges Mitglied mit der Ueberprüfung 
dieser Protokolle betraut ist, diese im kollegialen Sinne aus¬ 
führen wird; ist er doch selbst ein Mitgled des Standes, dem 
anzugehören wir alle stolz sind. Bei den jetzt bestehenden 
Mißständen, die offenbar zu dem eingangs des Artikels an¬ 
geführten Anträge geführt haben, wäre es grundfalsch, eine Ein- 



502 


Di. MOller. 


richtung, die noch gar nicht lange besteht und die sich also 
erst noch bewähren muß, einfach wieder abzuschaffen. Es wäre 
vielmehr richtiger, diese Einrichtung, deren Notwendigkeit ich 
mit diesen Zeilen wohl bewiesen habe, zu ergänzen. 

Diese Ergänzungen fasse ich noch einmal in folgenden 
Punkten zusammen: 

1. Der Amtsarzt, der die Richtigkeit der Abschrift eines 
Protokolls dadurch überprüft, daß er dieses durchlesen muß 
und auf Schreibfehler verbessert, muß dienstlich angehalten 
werden, eine kurze Tatbestandsschilderung des ganzen Falles 
miteinzureichen. 

2. Es muß dafür Sorge getragen werden — das ist im 
wesentlichen Sache der Gerichte —, daß die Protokollabschriften 
den obduzierenden Aerzten schneller zugehen und mit dem 
Aktenzeichen des Falles versehen sind, damit der gerichtsärzt- 
liehe Ausschuß auch scheller ih der Lage ist, die Ueberprüfung 
vorzunehmen. 

Die Notwendigkeit der Beibehaltung der Ueberprüfung so¬ 
wohl von Ent- und Beraündigungsprotokollen sowie von Sektions¬ 
protokollen halte ich für durchaus gegeben; selbstverständlich 
müssen die Protokolle des Gerichtsarztes, der ständiges Mitglied 
des gerichtsärztlichen Ausschusses ist, nicht auch von ihm selbst, 
sondern andererseits geprüft werden. 


Luftembolie bei kriminellem Abort. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Möller in Peine. 

ln seiner gerichtsärztlichen Diagnostik bezeichnet Richter 
den Tod durch Luftembolie beim kriminellen Abort als ein sehr 
seltenes Ereignis, weil die Fruchtabtreibungen meist in den 
ersten Schwangerschaftsmonaten vorgenomraen würden, in 
welchen eine ausgiebige Aufnahme von Luft in die Gebärmutter 
nicht stattfinden könne. Bei der großen Verbreitung, welche 
gerade in den letzten Jahren die Fruchtabtreibungen genommen 
haben, dürfte diese Annahme aber wohl kaum noch zutreffen. 
Man liest doch nicht selten in den Tageszeitungen, daß eine 
Schwangere in der Wohnung einer Abtreiberin plötzlich ver¬ 
storben ist. Viele von diesen Todesfällen dürften wohl auf 
eine Luftembolie zurückzuführen sein. Neidfeardt beschreibt 
aus seiner eigenen gerichtsärztlichen Tätigkeit 5 Fälle, von 
denen 3 tödlich endeten und 2 zur Heilung kamen. Er sieht 
es als wahrscheinlich an, daß die klinischen Erscheinungen 
selten auf Luftembolie zurückgeführt werden. Die Mehrzahl 
der Todesfälle dürfte seiner Meinung nach durch die Bezeich¬ 
nung der Todesursache mit „Krämpfen, Herzschlag etc.“ in die 
Versenkung verschwinden. 

Wie Ahlfeld in seinem geburtshilflichen Lehrbuche an¬ 
gibt, tritt der Tod durch Luftembolie in der Regel unter einem 




Luftembolie bei kriminellem Abort 


603 


jähen Aufschrei oder auch ohne daß die Frau einen Laut von 
sich gibt, sofort ein. Es sind aber genug Fälle beschrieben 
worden, in denen der Tod erst nach mehreren Stunden oder 
selbst Tagen eingetreten. Gerade diese atypisch verlaufenden 
Fälle mögen öfters zu Fehldiagnosen Veranlassung geben. 

Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, die Leichenöffnung bei einem 
25 jährigen, im 7. Monat schwangeren Mädchen vorzunehmen, dessen Tod durch 
Luftembolie bei einer Abtreibnng erfolgt war. Die Abtreibung war mit einer 
Clyso-Spritze vorgenommen, als Spülflüssigkeit diente Seifenwasser. Der Gummi* 
ball der Clyso-Spritze hatte einen Biß, der beim Einspritzen von der Abtreiberin 
mit beiden Händen zugehalten wurde. Dadurch erklärt sich wohl das er¬ 
leichterte Eintreten von Luft in die Spülflüssigkeit. 

Da die Abtreiberin geständig war, und die Schwangere auch noch lebend 
ins Krankenhaus eingeliefert wurde, so war es in diesem Falle möglich, Näheres 
über die Krankheitserscheinungen zu erfahren, die dem Tode voran gingen. 
Nach den Angaben der Abtreiberin bot die Schwangere während der Ein¬ 
spritzung keine Krankheitserscheinungen. Sie setzte sich danach auf das Sofa. 
Nach 10 Minuten sagte sie: „Es wird mir schlecht, geben Sie mir etwas 
Wasser.“ Gleich nach dem Wassertrinken wurde sie bewußtlos und bekam 
Krämpfe. Sie schlug mit Händen und Fußen, krampfte die Finger fest zu¬ 
sammen, den Daumen hatte sie so fest eingeschlagen, daß er nicht los zu 
kriegen war. Die Abtreiberin vergleicht die Krämpfe mit epileptischen, sie 
kenne das, weil ihre Schwester an epileptischen Krämpfen leide. Bald darauf 
wurde sie in bewußtlosem Zustande ins Krankenhaus eingeliefert, sie schrie 
durchs ganze Haus und hatte so starke Krämpfe, daß sie von 2 Personen 
dauernd gehalten werden mußte. Am anderen Tage morgens um 7 Uhr ging 
die Frucht ab, und um 2 Uhr nachmittags (28 Stunden nach der Einspritzung) 
erfolgte der Tod. 

Der behandelnde Arzt stellte die Diagnose auf Luftembolie nicht, glaubte 
vielmehr an eine Vergiftung und nahm eine Magenspülung vor, fand den 
Magen aber leer. 

Durch die Obduktion wurde zweifelsfrei Luftembolie als Todesursache 
festgestellt. 

Bemerkenswert war, daß die Hauptmasse der Luft im 
linken Ventrikel gefunden wurde, der durch die Luft prall 
aufgetrieben war. Neidhardt erwähnt, er habe einmal zu 
Unrecht zu einem Obduktionsprotokoll eine Erinnerung erhalten, 
daß bei Nachweis von Luft im linken Herzen die Aufnahme 
einer Bemerkung über das Offenbleiben des Foramen ovale 
notwendig gewesen. Wie aber Neidthardt mit Recht hervor¬ 
hebt, und der vorliegende Fall auch bestätigt, muß die Durch¬ 
gängigkeit des kleinen Kreislaufes für Luftembolien unbedingt 
bejaht werden. Das Eindringen von Luft in das linke Herz 
wurde auf Grund von Tierexperimenten schon 1823 von Leroy 
(zitiert nach H. Fischer) behauptet. Die Möglichkeit des 
Eindringens von Luft in das linke Herz finde ich auch bei 
König (Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie, 1905) angegeben. 

Literatur. 

H. Fischer: Ueber die Gefahren des Lofteintrittes in die Venen während einer 

Operation. Velkmanns klinische Vorträge. Nr. 118; 1877. 

Neidhardt: Ueber Lnftembolie bei Aborten. Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte; 1916. 



504 Dr. W. Horstmann: Nervöse Erschöpfung und Zurechnungsfähigkeit- 

Nervöse Erschöpfung and Zurechnungsfähigkeit. 

Von Sanitätsrat Dr. W. Horstmann, Direktor der Provinzialheilanstalt Stralsund. 

Der ärztliche Nachweis eines nervösen Zustandes wird so 
leicht nicht die Zuerkennung des Schutzes des § 51 Str. G. B. 
nach sich ziehen. Die in der nervösen Erschöpfung begründete 
Neigung von Zerstreutheit und Unachtsamkeit kann jedoch 
ausnahmsweise die Zurechnungsfähigkeit für den Moment der 
Straftat in Frage stellen. Dies trifft namentlich auf Fahrlässig¬ 
keitsdelikte zu. Ich bringe im folgenden einen hierher ge¬ 
hörigen Fall: 

14 jähriger Obertertianer, guter Schüler, braver, gewissenhafter Junge, 
psyohisch in keiner Weise auffällig. In seinen Adern rollt ererbtes Jägerblut 
Von klein auf Treiber bei Jagden und später selbsttätiger Jäger. In der 
Handhabung von Schußwaffen immer äußerst vorsichtig. Geht eines Tages in 
das Schreibzimmer des Vaters mit einer Doppelflinte. Der eine Lauf ist ab¬ 
geschossen, im andern steckt noch eine geladene Schrotpatrone. Er hält den 
Lauf der Flinte über seinem Knie mit der linken Hand, während die rechte 
den Schaft und zugleich einen Patronenzieher umspannt. Er sitzt dabei vor¬ 
wärts gebückt vor dem Schreibtisch des Vaters. Das 19 jährige Dienstmädchen 
tritt von hinten an ihn heran, beugt sich über ihn, um von unten her an die 
Schublade des Schreibtisches zu fassen. Dabei wird der Knabe wohl zu einer 
Wendung des Körpers in der Weise gebracht, daß sich die Laufmündung aof 
den Leib des Mädchens richtet und die rechte Hand, die in ihrer Aktions¬ 
fähigkeit durch den darin liegenden Patronenzieher behindert wird, muß dem 
Hahn zunahe gekommen sein. Schoß in den Unterleib. Im Krankenhause 
Bauchschnitt. Nach zwei Tagen tot. Das Mädchen bat inständigst darum, 
daß der Knabe nicht bestraft werden sollte. 

Der Knabe hatte acht Wochen vor^dem Unglücksfall 
meinen Rat eingeholt. Es handelte sich damals um einen ner¬ 
vösen Erschöpfungszustand mit Neigung zu nervösem Stottern 
und Schwindelgefühl. Ich brachte diesen Zustand in Zusammen¬ 
hang mit Blutarmut, starkem Wachstum und mit organischen 
Vorgängen, wie sie die Pubertätsjahre physiologischerweise mit 
sich bringen. Ich verordnete Arsen mit Eisen und gab Ver¬ 
haltungsmaßregeln mit der Wirkung, daß eine wesentliche 
Besserung eintrat bis zu dem Tage des unglücklichen Ereig¬ 
nisses. Ich begutachtete schließlich dahin: Es liegt weder 
Geisteskrankheit, noch geistige Minderwertigkeit und daher auch 
keine Beschränkung der Zurechnungsfähigkeit im engeren Sinne 
vor. Bei meiner Sachverständigenaussage in der Strafkammer¬ 
sitzung ging ich etwa von folgenden Ueberlegungen aus, bezw. 
brachte ich sie zum Ausdruck: Eine Verkettung von unglück¬ 
lichen Umständen führte das Ereignis herbei. Zugleich mit dem 
als Sachverständigen geladenen Oberförster erklärte ich den 
betrübenden Unglücksfall als einen solchen, der jedem vorsich¬ 
tigen, erwachsenen Menschen ebenso gut hätte passieren können. 

Das, was der Richter hier als Schuld bezeichnen könnte, 
oder als Fahrlässigkeit oder als Mangel an der nötigen Sorgfalt, 
fällt psychologisch zusammen mit einer Herabsetzung der Kon¬ 
zentrierung, mit einer Entspannung der Aufmerksamkeit. Körper¬ 
liche Indispositionen setzen nun aber gegen unseren Willen die 
Konzentrierungsfähigkeit herab und entspannen die Aufmerk- 



Pr. Solbrig: Zar Besotyungsfrage. 


605 


samkeit. Die nervöse Erschöpfung, namentlich diejenige 
höheren Grades wie hier (kompliziert durch Blutarmut und 
schnelles Wachsen, Stottern, Schwindel) erzeugt solche 
körperliche Indispositionen. Ich könnte nicht mit Bestimmt¬ 
heit das Vorliegen einer solchen Indisposition ausschließen, 
welche eine Entspannung der Aufmerksamkeit nach sich ge¬ 
zogen habe, die sich zwingend und gegen den Willen des 
Knaben eingestellt habe. Es lägen in unserem Falle zwei Zu¬ 
stände vor, für die beide die mangelnde Konzentrierungsfähig¬ 
keit und das ungewollte Nachlassen der Aufmerksamkeit die 
hervorstechendsten Kennzeichen bilden. Das sei einmal die 
durch ihre Labilität ausgezeichnete Pubertät und des weiteren 
die von mir festgestellte nervöse Erschöpfung. 

Es erfolgte Freispruch, hauptsächlich auf meine Aussage hin. 


Zar Besoldungsfrage. 

Vom Schriftleiter. 

Die Ausführungen über „Besoldungsfragen“ in Nr. 12 dieses 
Jahrgangs der Zeitschrift bedürfen hinsichtlich der Besoldung 
der Kreisassistenzärzte einer Richtigstellung, worauf ich 
von befreundeter Seite aufmerksam gemacht wurde. 

Es ist richtig, daß die Kreisassistenzärzte nach den Be¬ 
soldungsgesetzen als Stellenanwärter für die vollbesoldeten Kreis¬ 
arztstellen gelten. Es sind aber je nach dem Anwärterdienst¬ 
alter folgende Besoldungsstufen vorgesehen: 


im 1. 

2. 

3. 

4. 

5. , 

Anwärterdienstjahr 

70 

80 

85 

90 

1 

95 j 

v. H. der Besoldungsgruppe 10. 


Daneben wird der volle Ortszuschlag gewährt, berechnet 
nach dem Anfangsgehalt der Gruppe 10. 


Dazu erhalten die Kreisassistenzärzte zur Grundvergütung 
nebst Ausgleichszuschlägen einen Notzuschlag in der Höhe, daß 
Grundvergütung, Ausgleichszuschläge und Notzuschlag betragen: 


im 1. 

2. 

3. 

1 

5. 

Anwärterdienstjahr 

95 

96 

98 

: i 

100 

100 

v. H. des Anfangsgehalts nebst Aus¬ 
gleichszuschlägen der Gruppe 10. 


Das Beispiel, Ortsklasse A, muß daher lauten, wenn es 
sich um das 1. Anwärterdienstjahr handelt: 


Grandvergtttung. 19 600 M. 

Ausgleichszuschlag. 12740 „ 

Sonderzuschlag . 5 600 „ 

Notzuschlag. 11275 „ 

Ortszuschlag. 7 200 „ 


Ausgleichszuschlag zum Ortszusch lag .... 4680 , 

zusammen 60996 M. 








506 Versammlung 3es Bez.-Vereins Potsdam der preuß. Medizinalbeamten. 


Berechnung hierzu: 

Ein planmäßiger Beamter der Gruppe 10 erhält: 

Grundgehalt 28000 M. 

Ausgleicbsznschlag 18 200 „ 
und Sonderzus chlag 5 500 „ 

zus. 5t 700 M. 

96 v. H. hiervon = 49115 M. 

Ein KrelsasBistenzarzt erhält: 

19 600 M. Grundvergütung (70°/o von 28000) 

jjjji; 

zns. 87 840 M. 

49116 — 87 840 M. = 11276 M. 

Da mit dem 1. Juli bezw. 1. August die Ausgleichszuschläge 
erhöht sind, wie in Nr. 16 unter „Tagesnachrichten“ mitgeteilt 
wurde, würde sich die Gesamtvergütung des Kreisassistenz¬ 
arztes entsprechend erhöhen. , 

Hierzu ist nun zu bemerken, daß gegenüber den theore¬ 
tischen Berechnungen, wie sie/ vorstehend angegeben sind, 
praktisch die Sache für die Kreisassistenzärzte so liegt, daß 
sie fast sämtlich schon bei ihrem Dienstantritt das volle Gehalt 
der Gruppe 10 erhalten, da bei Berechnung ihres Anwärter¬ 
dienstalters in Ansatz zu bringen sind: 5 Jahre Hochschul¬ 
studium, 1 praktisches Jahr, 1 Jahr für ärztliche und kreis¬ 
ärztliche Prüfung, 3 Jahre praktische Tätigkeit, zusammen 
10 Jahre, wovon 6 Jahre auf das Anwärterdienstalter an¬ 
gerechnet werden (vgl. die Ausführungen in Nr. 10 dieses Jahr¬ 
gangs S. 269ff.). Wie in den maßgebenden Bestimmungen*) 
ausgeführt ist, erhält der Kreisassistenzarzt, wenn er hiernach 
ein Anwärterdienstalter von mehr als 5 Jahren erreicht hat, 
vom Beginn des 6. Anwärterdienstjahres, nach Dienstalters¬ 
stufen mit zweijähriger Aufrückungsfrist steigend, eine Grund¬ 
vergütung in der Höne des Grundgehalts derjenigen Besoldungs¬ 
gruppe, in der er bei regelmäßigem Verlauf seiner Dienstzeit 
zuerst planmäßig angestellt wird. 

Danach beziehen die Kreisassistenzärzte in der Regel so¬ 
gleich das Gehalt mit Zuschlägen des vollbesoldeten Kreis¬ 
arztes der Gruppe 10 im Anfangsgehalt und können noch während 
ihrer weiteren Dienstzeit in die folgenden Gehaltsstufen aufrücken. 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Versammlung des Bezirksvereins Potsdam der preußischen 
Medizinal beamten in Berlin Kaiserin Fried richhaus 
ttkr Ärztliche Fortbildung am 13. Juli 1922. 

Anwesend: Reg.-and Med.-RatDr. Rathmann,Geh.R&tDr.Mejcn 
Reg.- and Med.-Rat a. D. sowie die Kreisärzte Schatz, Aast, Geisseler 
Schneider, Wilhelm, Heinze, Gattwein, Mantey and Tietz. 


*) Siehe Beamten-Diensteinkommengesetz vom 17.12. 20. (§ 18, Abs. 2), 
and Aasführangsbestimmnngen des Finanzministers dazu (§§ 20, 127, 137 
Abs. 3 and 159, Finanzminist. Bl. 1921, Nr. 14). 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


607 


Tagesordnung: 

1. Kassenangelegenheiten. Es wird an die Abführung der aaf ins¬ 
gesamt 275 M. erhöhten Beiträge für 1922 erinnert. 

Die Erhöhung ist die Folge der allgemeinen Teuerung, wobei die Zeit¬ 
schrift den Löwenanteil erfordert. 

2. Bericht über die Magdeburger Hauptversammlung. An den Bericht 
Manteys schließt sich eine lebhafte Aussprache über Dienstanweisung, Amts¬ 
bezeichnung, Besoldungs- und Gebührenfragen, sowie Dienstaufwandentschädigung 
nebst Telefongebühren an. Mantey berichtet über den Stand der diesbezüg¬ 
lichen Verhandlungen, die bisher einen befriedigenden Verlauf genommen hätten. 
Es wird folgender Beschluß gefaßt: 

Die seinerzeit auf Anfordern der des Bundes höherer Verwaltungsbeamten 
von Gatt wein verfaßte Begründung für die Forderung der Eingruppierung 
eines Teiles der Kreismedizinalbeamten in die Gehaltsgruppe XII soll dem Vor¬ 
stand des Preußischen Medizinalbeamlenvereins mit der Bitte überwiesen werden, 
nochmals mit allem Nachdruck bei der Zentralinstanz vorstellig zu werden. 

3. Gehaltszahlungen. Die Tatsache, daß Gehaltszahlungen an die 
Medizinalbeamten des Bezirks Potsdam bisher mit größter Verspätung erfolgten, 
führte zu dem Beschluß, ein Gesuch um Aenderung an den Regierungspräsidenten 
zu richten. Diese Aenderung sei bei den fortwährenden Gehaltserhöhungen 
zur Vermeidung eines allgemeinen Chaos dringend erforderlich. 

4. Verschiedenes. Es kommt u. a. zur Besprechung die Stellungnahme 

der Kreisärzte und Impfärzte zu den sich in manchen Gegenden wieder stark 
regenden Impfgegnern. Es wird vor allen Dingen davor gewarnt, die von 
vielen Impfgegnern vor der Impfung geforderten Bescheinigungen^ daß der 
Impfling zurzeit der Impfung gesund sei, auszastellen. Die Bestrafung der 
Impfentziehung und die zwangsweise Vorführung der Impflinge sei lediglich 
Polizeisache. Dr. Aust- Nauen. 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

Gewerbehygiene. 

Zur Frühdiagnose der Bleivergiftung. Von Dr. S c b o e n f e 1 d-Leipzig. 
Zentraiblatt für Gewerbehygiene, 1921, Heft 1. 

Durch die Blutuntersuchung ist das größte Stück in der Bekämpfung 
der Bleigefahr zurückgelegt worden. Die Bleierkrankungsgefahr im Betriebe 
wird noch weiter eingeschränkt werden, wenn es gelangen sein wird, das eigene 
Verantwortungsgefühl des Arbeiters zu wecken und zu erhalten. Eine Gefahr 
für die Volksgesundheit besteht nicht in der Bleiindustrie, wenn die allgemeinen 
Leitsätze der Gewerbehygiene befolgt werden. Dr. Wolf-Cassel. 


Zur Blutuntersuebung ln dicken Tropfen bei Blelkrankheitsverdacht. 
Von Priv.-Doz. Dr. Schwarz-Hamburg. Zentralblatt für Gewerbehygiene, 
1921, Nr. 9. 

Bei einer Durchuntersuchung der bleigefährdeten Arbeiter eines größeren 
Betriebes wurden mittels der dicken Tropfenmethode die Bleikranken bezw. 
Bleiträger ermittelt. Es ist Erfahrungssache, die Befunde im dicken Tropfen 
annähernd richtig einzuschätzen. Die zahlenmäßige Auswertung der verdächtigen 
Präparate erfolgt nach der Ausstrichmethode. Dr. Wolf -Cassel. 


Bas drohende Bleiweißverbot und die Methode der Blutnntersuchung 
als Abwehrmittel. VonDr. Schoenfeld - Leipzig. Zentralblatt für Gewerbe- 
bygiene, 1921, Heft 11. 

Die Bleierkrankungen sind als Berufsunfallkrankheiten gesetzlich zu 
werten, Schiedsrichter ist auch hier das Mikroskop. Schwere, komplizierende 
Erkrankufa gsformen dürfen aber auf Grund der Ausführungen nicht mehr Vor¬ 
kommen. Denn die Blutnntersuchung hat sie zu verhüten und somit die 
schweren Gefahren der Bleiindustrie vom gewerbetreibenden Volke fernzuhalten. 
Das Bleiweiß, und schließlich das Blei überhaupt, wegen der Vergiftungsgefahr 
aus der Industrie zu verbannen, ist somit unnötig und unberechtigt. 

Dr. Wolf-Cassel. 



508 


Kleinere Mitteilangen and Referate ana Zeitschriften. 


Tödlicher Unfall an einer Nlederdruckapannungsanlage. Von DipL- 
Ing. Heydrich-Augsburg. Zentralblatt für Gewerbebygiene, 1920, Heft 12. 

Der Unfall beweist von neuem, wie wenig berechtigt die heate noch so 
häufig anzutreffende Meinung auch vieler „Fachleute“ ist, daß Niederspannung 
ganz ungefährlich sei. Das Maßgebende ist eben nicht die Spannung des 
Stromes, sondern die Stromstärke, die beim Stromdurchgang im menschlichen 
Körper aufiritt, und diese ist nach dem Ohmschen Gesetz außer von der 
Spannung auch noch abhängig vom Widerstand der betreffenden Person, der, 
nnter normalen Verhältnissen ca. 12000 Ohm betragend, je nach Konstitution, 
feuchtem Zastand der Haut und des Bodens, auf dem die Füße stehen usw. 
unter Umständen soweit erniedrigt sein kann, daß die tödliche Stromstärke 
erreicht wird, wie es auch bei dem geschilderten Unfall der Fall gewesen 
sein dürfte. Dr. Wolf- Cassel. 

Vergiftung mit „Montanin“. Von Kreisarzt Dr. Krause-Glogau. 
Zentralblatt für Gewerbehygiene; 1921, Nr. 7. 

Ein 13jähriger Junge hatte etwa 50 ccm Montanin (Kieselflaßwasser¬ 
stoffsäure) aus Versehen getrunken und starb bald darauf. (HirnöJem und 
starke Veränderungen der Magendarmschleimhaut im Sinne eines überaus 
heftigen und frischen Katarrhs). Dr. W o 1 f • Cassel. 

Gewerbliche Vergiftungen durch gasförmige Blausäure beim Vergolden 
und Versilbern. Von Prof. Dr. Holtzmann-Karlsruhe. Zentralblatt für 
Gewerbebygiene, 1921, Heft 2. 

Einwirkungen von gasförmiger Blausäure beim galvanischen Versilbern 
und Vergolden sind meist leichter Art Das Vergolden und Elektroplattierea 
in heißen Bädern ist hinsichtlich der Blausäuregefahr gefährlicher als in kalten 
Bädern. Die Gefährlichkeit steigt mit zunehmender Stromdichte und Spannung. 
Bei anodischer Goldauflösung entsteht am meisten Blausäuregas; der Vorgang 
läßt sich aber durch geeignete Einrichtungen völlig gefahrlos machen und ist 
daher der Auflösung durch Säure vorzuziehen. Absaugung der an den Bädern 
entstehenden Dämpfe, mindestens gute Durchlüftung der Arbeitsräume ist su 
verlangen. _ Dr. Wolf-Cassel. 

Ueber Lungenentzündungen bei Thomasschlackenmehlarbeitern. Von 
Kreisarzt Dr. Opitz-Bonn. Zeitschrift für Gewerbebygiene, 1920, Nr. 12. 

Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß die gefürchtete Lungenentzündung 
der Thomasschlackenarbeiter keine spezifische Krankheit, sondern eine gewöhn¬ 
liche Lungenentzündung darstellt; sie ist verursacht durch die bekannten 
Erreger, die auch bei den aus irgendeiner anderen Veranlassung Erkrankten 
zu finden sind, vor allem durch Pneumokokken. Auf jeden Fall würde es 
angezeigt sein, bei einer Häufung katarrhalischer Erkrankungen, sei es bei der 
Bevölkerung überhaupt, sei es bei dem Kreise der gefährdeten Arbeiter, su 
vorbeugender Optochinbehandlung zu schreiten. Dr. Wolf- Cassel. 

Handelt es sich bei den Gewerbekrankheiten der Steinkohlenbrikett¬ 
fabriken um chronische Arsenvergiflung? Von Geh. Rat Dr. Burkhardt- 
Berlin. Zeitschrift für Gewerbebygiene, 1920, Nr. 12. 

Verfasser spricht sich dagegen aus, daß die Gewerbekrankheiten der 
Steinkohlenbrikettarbeiter auf chronischer Arsen Vergiftung beruhen. Dagegen 
wird es angesichts der Erfahrungen, die neuerdings mit der Entstehung der 
Blasengeschwülste bei Anilinarbeitern gemacht worden sind, näher liegen, die 
Bildung der Warzen bei Steinkohlenbrikettarbeitern mit ihrer auffälligen Neigung, 
gleichfalls in Krebs überzugehen, auf diese Einwirkung gewisser bisher noch 
völlig unbekannter im Steinkohlenpech enthaltener organischer chemischer Stoffe 
in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Freilich wird beim Suchen nach 
diesen Stoffen auf ganz andere chemische Verbindungen zu fahnden sein ala 
diejenigen sind, die sich nach den neuesten Untersuchungen hierüber bei Anilin¬ 
arbeitern als Blasengeschwulst erzeugend erwiesen haben. Dr. Wolf-Cassel. 



Besprechungen. 


509 


Besprechungen. 

Dr. B. Llhmuis, Reg.» und Med.-Eat a. D. in Düsseldorf: Leitfaden snr 
Einführung in das Gesundheitsturnen in Kinderheilstätten, Waldes* 
heimen, Hospizen, Krankenanstalten, Familie und Hans. Mit 53 Ab¬ 
bildungen. Düsseldorf 1922. Verlag yon L. Schwann. 54 S. Preis: 
brosch. 20 M. 

Ein zeitgemäßes Büchlein, entstanden ans dem Bedürfnis, für Heilstätten 
und dergl. eine Richtschnur zu schaffen, nach der bei den yon der Landes- 
yersicherungsanBtalt Rheinprovinz nntergebrachten Kindern und Erwachsenen 
Leibesübungen als Heilfaktor Verwendung finden sollen. Sämtliche Uebungen 
hat Verfasser an sich selbst und an vielen anderen Personen durebgeprobt. 
Es ist Wert darauf gelegt, nur einfache und nicht zuviel Uebungen zu bringen. 
Den Kriechübungen nach Klapp ist ein besonderer kurzer Abschnitt gewidmet. 

Es ist zu wünschen, daß der Leitfaden eine rechte Verbreitung in An¬ 
stalten, Schule und Haus findet. Solbrig. 


Bandaller and Boepke: Lehrbuoh der spezifischen Diagnostik und 

Therapie der Tuberkulose. 11.—13. Auflage. Leipzig(Kabitzsch) 1922. 

681 8. 180 M. 

Die erste Auflage des rühmilchst bekannten Buches ist 1907 erschienen. 
Man sieht daraus, wie rasch die Verbreitung gewesen ist. Und sie ist ver¬ 
dient; denn das Buch verarbeitet nicht nur die Literatur bis in die neuste 
Zeit in sorgfältigster Weise, so daß es als Wegweiser für die beachtlichen 
Schriften über Tuberkulose dienen kann, sondern es nimmt auch einen kritischen 
Standpunkt gegenüber allen Neuerscheinungen ein, der sich in der Regel auf 
eigne Nachprüfung stützt. Das Kapitel über Immunität bei Tuberkulose ist 
entsprechend den Kongreßvorträgen von Neufeld, Uhlenhuth modern um¬ 
gestaltet. In die Diagnostik und Therapie sind namentlich dje kutanen 
Methoden aufgenommen; es ist in hohem Maße anzuerkennen, daß die Ver¬ 
fasser fast jede Methode selbst ausprobiert haben. Als zweckmäßigster Weg 
der Einverleibung des Tuberkulins erscheint ihnen aber noch immer der sub¬ 
kutane. Sie wollen die praktischen Aerzte mehr als bisher für die praktische 
Anwendung des Tuberkulins, namentlich zu Nachkuren nach Heilstätten¬ 
aufenthalt, gewinnen, die diätetischen Kuren sollen darum aber nicht beein¬ 
trächtigt werden. Dr. Gumprecht - Weimar. 


Dr. Christian Brnhn, Lungenarzt in Hamburg-Reinbeck: Vom gesunden 
and vom kranken Tuberkulösen. 2. Auflage. Hamburg 1922. Verlag 
von Parus. 31 S. Preis brosch. 7,60 M. 

In knapper, außerordentlich anschaulicher und eindringlicher Weise be¬ 
tont Verfasser die Heilbarkeit der Tuberkulose, wenn der Kranke von den 
ersten Anzeichen an sich unter ärztliche Aufsicht stellt und jede eigenmächtige 
Maßnahme unterläßt. Der Hauptwert wird auf körperliche Ruhe (Bettruhe) 
und Schonung gelegt, weil nur im Ruhezustand der Körper imstande ist, 
die Abwehrkräfte zu sammeln. Es werden 5 „Schonungsklassen“ unterschieden 
vom fieberhaften bis zum wieder arbeitsfähigen Tuberkulösen. Verfasser wendet 
sich vor allem an den Kranken selbst, zeigt ihm den Ernst der Krankheit, 
aber auch die Aussicht auf Heilung, wobei er seine am eigenen Körper ge¬ 
sammelten Erfahrungen zum Besten der Kranken mitteilt. Solbrig. 


J. Sohwalbe; Diagnostisch« and therapeutische Irrtttmer. Heft 1 und 8. 
Leipzig (Thieme) 1922. 

Brftggemann-Gießen : Krankheiten des äusseren und mittleren Ohres. 

86 8., 33 M. 

F.Krause-Bonn: Erkrankungen der Bewegungsorgane und Tronoxen. 

79 8., 30 M. 

Zwei neue Hefte der rühmlichst bekannten Sammlung, die wegen der 
eingehend behandelten Differentialdiagnose nicht nur für die Praktiker, sondern 
auch für die Gutachten der Medizinalbeamten sehr brauchbar sind. 

Dr. Gumprecht-Weimar. 



510 Tagesnachrichten. 

C. Brnek- Altona: Rexepttasehenbuch für Dermatologen. Berlin (Springer) 
1922. 156 8. 48 M. 

Ein handliches Bach in Taschenformat, sehr vollständig, bis auf die 
neueste Zeit ergänzt, für die Praxis aasgezeichnet geeignet, da es auch einen 
großen Teil der Medikamente für die innere Medizin enthält. 

_Dr. Gumprecht-Weimar. 


Dr. Philalethen Kahn, ord. Professor and Direktor des Hygienischen In¬ 
stituts an der Technischen Hochschale Dresden: „Gedenke, dass Dn ein 
deutscher Ahnherr bist.“ 2. Auflage. Verlag von Theod. Stein kopff, 
Dresden und Leipzig 1921. 

Aus einer Gegenüberstellung von Zunahme und Abnahme der Volks¬ 
seuchen in Deutschland während der letzten Jahre zeigt Verfasser, daß trotz 
der Schädigungen durch die Unterernährung während der Hungerblockade 
unser Volk durchaus nicht so krank sei, am die häßlichen, sittlichen Er¬ 
scheinungen darauf zurückzuführen. Aber doch zeigen diese, daß die Schar 
der seelisch Angekränkelten, der Psychopathen, groß sei im Volke, und darum 
die Gefahr des Bassenanterganges nicht leicht zu nehmen sei. Darum ist es 
an der Zeit, Auslese zu treiben, um zur Erneuerung des Volkskörpers zu 
kommen. Als wichtigste rassenbygienische Maßnahme bespricht Verfasser die 
Frühehe, die vom Staat, von den Elteru, von der Jugend mit allen Mitteln 
anzustreben sei. __ Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

In einer Klage auf Versorgungsanspruch wegen Lähmung beider Beine 
infolge einer Salvarsanbehandlnng stellte sich das Versorgungsgericht in 
Danzig auf den Standpunkt des Gutachters Dr. Dreuw in Berlin, daß in 
diesem Fall die Lähmung durch Salvarsan entstanden und der Staat ver¬ 
sorgungspflichtig sei. (Nach Pharmaz. Zeitung, 1922, Nr. 65.) 

Skorbut. In jüngster Zeit sind, wie die Tageszeitungen melden, in 
Berlin und anderen Orten Deutschlands mehrfach Erkrankungen an Skorbut 
aufgetreten. Prof. Horstmann aus St. Blasien äußert sich hierzu im Berliner 
Tageblatt (Nr. 861 vom 15. August), indem er die „ Avitaminosen“, zu denen 
Beri-Beri, Skorbut, Barlowsche Krankheit, Pellagra zu rechnen sind, als 
Krankheitszustände bezeichnet, die auf den Mangel an den Vitaminen, jenen 
eigenartigen, lebenswichtigen Zusatzstoffen zur Ernährung, zurückzuführen sind, 
und damit zugleich den Weg zeigt, der insofern zur Beseitigung solcher 
Krankheitszustände führt: Vermeidung jeder längere Zeit fortgesetzten ein¬ 
seitigen Kost, namentlich für Kinder. Zu lange fortgesetzte Milchkost bei 
Kindern ist ebenso ungeeignet, wie eine Kost ans Fleisch, Fetten, feinen 
Mehlen auf die Dauer ungenügend ist, auch wenn die nach ihrem Eiweiß-, Fett- 
und Kohlehydratgehalt garantierte Menge vorhanden ist, weil wichtige für den 
Zellbestand nötige Zusatzstoffe fehlen. Oft sind es achtlos fortgeworfene oder 
zu,minderen Zwecken benutzte Abfallstofte wie Kleie, Gemüsebrühe und dergL, 
durch die man als Zusatz zur Ernährung schnell Heilung odei Besserung der 
Avitaminosen erzielen kann. 


Im Interesse der Volksgesundheit iBt ein bemerkenswertes Gesetz in 
Preußen unter dem 29. Jali d. J. vom Landtag beschlossen, das vorschreibt, 
daß Baumbestände, Grünflächen und Uferwege in der Nähe von Großstädten, 
in der Nähe von Bade- und Kurorten oder in Industriegebieten aus Rücksicht 
auf die Volksgesundheit oder als Erholungsstätten der Bevölkerung zu er¬ 
halten sind bezw. dem Fußgängerverkehr freigegeben werden. Nähere Be¬ 
stimmungen hat der Provinzialausschuß (in Berlin der Magistrat) nach An¬ 
hörung der amtlichen Vertretungen von Industrie und Landwirtschaft und der 
Gemeinden zu treffen. (Preuß. Ges. Sammlg., 1922, Nr. 38.) 


Die Teuerungsiu8ehlftge der Beamten. Der Ueberwachungs- 
ausschuß des Reichstags stimmte kürzlich den Vereinbarungen 
über die Teuerungszulagen für die Bereiten zu. Damit sollen 



SprechsaaL 


611 


die Teuerungszuscbläge vom 1. August 1922 ab zu dem Grundgehalt, den 
Diäten und dem Ortszuschlage, soweit diese Bezüge den Betrag von insgesamt 
10000 Mark nicht übersteigen, dreihundertsechzig, im übrigen drei* 
hondertfünf v. H. betragen. Die Teuerungszuschläge zu den Einderzuschlägen 
sollen dreihundert fünf v. H. betragen. 

Es ist mit Bestimmtheit zu erwarten, wenn es nicht schon angeordnet 
ist, daß die preußischen Beamten in gleicher Weise in ihren Bezügen erhöht 
werden und aisbald in den Besitz dieser neuen Teuerungszuscbläge gelangen. 
Und doch ist bei der neuerlichen katastrophalen Markentwertung und ungeheuer¬ 
lichen allgemeinen Teuerungszunahine alles dies eine unzulängliche Entlohnung 
der Beamten. Jedenfalls bedarf es für die Medizinalbeamten einer Erhöhung der 
Gebührensätze, die hoffentlich recht bald kommen wird! 


Sprechsaal. 

Herr Kreisarzt Dr. S. in N. regt an, die Schriftleitung möge den aus¬ 
geschriebenen Stellen gleich hinzufügen, ob eine Wohnung für den künftigen 
Stelleninhaber vorhanden ist oder in absehbarer Zeit frei wird, und meint, es 
werde der Schriftleitung durch Umfrage bei den Bezirksvereinen möglich sein, 
die betr. Angaben hierüber zu machen. 

Hierauf die Antwort, daß dem Wunsch, so begreiflich er ist, von hier 
aus nicht entsprochen werden kann. Die Mitteilungen über frei werdende und 
zur Ausschreibung gelangende Stellen gehen der Geschäftsstelle in Minden 
direkt zu und werden alsdann sogleich in der nächsten Nummer bekanntgegeben. 
Es würde zuviel Zeit vergehen, wenn die gewünschte Auskunft über eine 
Wohnung erst noch eingeholt würde. Jeder Bewerber wird sich selbst zu 
unterrichten suchen müssen, wie es mit der Wohnung steht. 


Anfrage des Kreis• Med.«Kats Dr. v. L. in G.: Gehört Uspulun 
(Saatbeizmittel) als Chlor-Phenol-Quecksilberpräparat unter die Giftpolizei¬ 
verordnung oder nicht? Der Fabrikant, Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer 
in Leverkusen, versendet Uspulun an die landwirtschaftlichen Ein- und Ver¬ 
kaufs-Genossenschaften, die das Mittel an ihre Mitglieder vertreiben. Einsender 
ist der Ansicht, daß das Mittel als zur Abt. 1 der Gifte gehörend nur in Apo¬ 
theken und Drogerien mit Giftkonzession abgegeben werden darf und nur auf 
Giftschein. 

Antwort: Quecksilberpräparate gehören zu den unter Abt. I _ in der 
Giftpolizeiverordnung aufgeführten Giften. Sie dürfen demnach nur in Apo¬ 
theken und Handlungen mit Giftkonzession und nur gegen Giftschein abgegeben 
werden. 


Anfrage des Kreis-Med.-Kats K. in B.: Ist es angängig, daß seitens 
eines Amtsgerichts mehrere (4) zu Entmündigende in einer Verhandlung ver¬ 
nommen werden, so daß infolgedessen für den Sachverständigen nur eine 
Terminsgebühr zuständig ist? Wenn nicht, auf Grund welcher Bestimmungen 
nicht? Was muß dagegen geschehen? 

Antwort: Eine Verhandlung gleichzeitig für vier Entmündigungsverfahren 
dürfte nur unter besonderen Verhältnissen zulässig sein, (z. B. eine gemeinsame 
Handlung, deretwegen Entmündigung erfolgen soll). Der Gerichtsarzt hätte 
jn diesem Falle Anspruch nur auf einfache Terminsgebühr. 

Zur Beurteilung sind ausführlichere Angaben notwendig. Gegebenenfalls 
ist Beschwerde beim zuständigen Landgericht angezeigt. 


Die Vereinigung Deutscher Schul- und Fürsorge-Aerzte ladet den 
Deutschen Medizinalbeamtenverein zu ihrer diesjährigen 

10. Versammlung in Frankfurt a. M. 

am 10. September d. J. 

ein nnd teilt folgende Tagesordnung mit: 

Geschäftsführer: Med.-Bat Dr. Stephani-Mannheim. 
Ortsausschuß: Leitung: Geh. San.-Bat König. Geh. San.-Bat 
Seuffort, Vorsitzender des ärztlichen Vereins. Dr. Knoblauch, 




512 


Einladungen zu Versammlungen. 


Schriftführer der Schulärzte. Stadienrat Dr. Sandmann, Vertreter 
der Ortsgruppe des Preußischen Philologenvereins. Lehrer Oars, 
Frankfurter Lehrerverein. Stadienrat Frl. Auguste Barth, Lehre¬ 
rinnenverein. Dr. Lade. 

Ankunft: Samstag, den 9. September nachm.: Unterkunft durch 
die Geschäftsstelle des Verkehrsvereins. Begrüßung 8 Uhr abends im 
Thomasbräu. 

Sonntag, den 10. September ab 9 Uhr: Sitzung in der Ge¬ 
schlechterstube. Im Vorraum Vereinsgeschäftsstelle, daselbst gedruckte Themen 
gegen Entgelt. 

9 —12 7 * Uhr: Wissenschaftliche Sitzung. „Die Aufgaben und 
Grenzen der fürsorgeärztlichen und schulärztlichen Tätig¬ 
keit.“ 1. Berichterstatter: Städtischer Kinderarzt Dr. Th. H o f f a - Barmen. 
2. Berichterstatter: Schularzt Prof. Dr. Alfred Lewandowski-Berlin. 3. Be¬ 
richterstatter : Stadt-Med.-Bat Dr. 0 x e n i u s - Frankfurt a. M. 

Damen besichtigen die Stadt. 

Ab 1 Uhr: Zwangloses Mittagessen. 

A b 3 */» U h r: Mitgliederversammlung, geschäftliche Sitzung. 1. D e r- 
zeitiger Stand der Honorarverhältnisse der neben-und haupt¬ 
amtlichen Schul-und Fürsorgeärzte. Stadtschularzt Dr. Bothfeid. 
2. Tätigkeitsbericht des Geschäftsführers. 3. Kassenbericht des Schatz¬ 
meisters. 4. Satzungsänderungen. 5. Wahlen. 6. Verschiedenes. 

Damen nachmittags im Palmengarten. 

Abends 8 Uhr: Gesellschaftsabend im Börner zusammen mit dem 
Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 

Montag, den 11. September: Führungen. Liebfrauenschule mit 
Vorführung orthopädischen Turnens. Jugendsichtungsstelle. 

Abends: Theater usw. 

Ferner findet im Anschluß daran die 

18. Jahresversammlung des Deutschen Vereins 
für Schulgesundheitspflege 

am 13. September 1922 statt 

Vorstandsmitglied: Med.-Bat Dr. Stephani-Mannheim. 

Ortsausschuß: wie bei Tagung 1. 

Ankunft: Dienstag, den 12. September, nachmittags: Unter¬ 
kunft duroh den Verkehrsverein und Lehrerverein. 

Abends 8 Uhr: Begrüßung im „Steinernen Haus“ mit lokal¬ 
gefärbten Darbietungen aus Lehrerkreisen. 

Mittwoch, den 13. September, 8 1 /* Uhr: Mltgllederversamm* 
lang in der Geschlechterstube. 1. Eröffnung durch den Vorsitzenden. 2. Tätig¬ 
keitsbericht des Geschäftsführers. 3. Kassenbericht des Schatzmeisters. 4. Wahlen. 
5. Verschiedenes. 

Im Vorraum Ausstellung: Berufsamt usw. 

10 Uhr: Hauptversammlung. „Wie weit läßt sich die auf 
kulturellem Gebiete erfordern che Sparsamkeit mit den Forde¬ 
rungen der Schulgesundheitspflege in Einklang bringen.“ 
1. Berichterstatter: Proi. Dr. Selter-Königsberg i. Pr. 2. Berichterstatter: 
Geh. Baurat Dr. Hane-Berlin. 3. Berichterstatter: Lehrer Garz-Frank¬ 
furt a. M. 

Damen besichtigen die Stadt. 

Ab 1 */» Uhr zwangloses Mittagesssen. 

Nachmittags: Besichtigungen. Seminarschule mit orthop. Turnen. 
Hundswiese 8pielnachmittag. 

Abends: Theater usw. 

Donnerstag, den 14. September: Besichtigungen: Hilfs¬ 
schulen. Beformschulen. Jugendgericht; oder Besuch der Wegscheide. 


Verantwortlich fllr die SchriftleUtmg: Geh. Xed.-Bat Dr. 8 o 1 b r I g, Beg.- u. Med.-Bat in Breslau 
Breslau T, BehdlgerstraAe 84. Druck tob J. C. O. Braus, Minden l. W. 





35. Jahro. Nr. 18 ZEITSCHRIFT 20. SePt. 1922 

MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegrOndet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.*Rat Prot. Or. RAPMU NO. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des Staat- 
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie fOr das Medizinal- und 
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene. 

Herausgegeben von 

Med.-Rat Dr. Bundt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München, 
Prof. Dr. K&up-Miinchen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat 
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof. 
Dr. Sleveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig - Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg,-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber- Dortmund. 

Offizielles Organ des Deutschen. Preusslscben. Bayerischen. Sächsischen.' 
Wfirttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen 
und Braunsshwelgtschen Medizlnalbeamtenverelns. 

Eins Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebnng. 

Schriftleitung: Verlag: 

Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Flscber’s med. Bocbhandlong H. Kornfeld, 

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86. Jahrg 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


Nr. 18 


Personalien. 

Deutsohes Reich und Prousaen. 

Ernannt: Eeg.-ßat Dr.Beyer beim Ministerium für Volkswohlfahrt 
zom Ober-Regiernngs-Rat. 

Berufen: Dr. P. U h 1 e n b u t h, Direktor des Instituts für experimentelle 
Therapie Behring in Marburg und Honorarprofessor in der medizinischen Fakul¬ 
tät daselbst, als Nachfolger von Prof. R. 0. Naumann zum Professor der 
Hygiene und Bakteriologie an der Universität Bonn. 

Bayern. 

Gestorben: Obermedizinalrat Dr. E n t r e s, Landgerichtsarzt in Weiden. 

Anhalt- 

Ernannt: Beg.- u. Med.«Bat Dr. Schaeche zum Oberregierungs* und 
Medizinalrat. 

Sonstige Familiennaohrichtsn. 

Ereismedizinalrat Dr. Ascher in Frankfurt a. M. zeigt die Vermählung 
seiner Tochter Mathilde mit Herrn Dr. Walter Eliassow in Berlin an. 


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OOO <(5»-ÜÜO<«5 0» - QQ o < O 





ßassehygiene und Kreisarzt.*) 

Von Kreismedizinalrat Dr. Kübnleln-Merseburg. 

Am 22. Juli d. Js. wurden es hundert Jahre, daß ein Mann, 
dessen Lehren lange in Vergessenheit geraten waren und erst 
um die Wende des Jahrhunderts wieder aufgenommen wurden, 
der Prälat Gregor Mendel, geboren wurde. Daß im Kreise 
der verantwortlichen staatlichen Gesundheitsbeamten dieses 
Tages gedacht werden muß, bedarf keines besonderen Hinweises. 
Von jeher ist der Kreisarzt Sozialhygieniker gewesen. Als 
solcher hat er die Pflicht, sich stets über alles unterrichtet zu 
halten, was die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete 
der Sozialhygiene an Leistungen hervorbringt. Einen Kreis¬ 
arzt, der die Vererbungsgesetze Mendels nicht kennt, gibt es 
nicht. Ob diese Gesetze in ihrer ganzen Tragweite auch für 
die Menschheit heute schon genügend gewertet werden, ist 
allerdings fraglich. 

Bekanntlich waren es Stadien zar expet imenteilen Botanik, welche in 
dem klaren Kopfe Mendels die Erkenntnis strengster Gesetzmäßigkeit der 
Vererbung reifen ließen. Er brachte das Ergebnis seiner Forschungen in zwei 
Abhandlungen „Versuche über Pflanzenhybriden“ — 1865 und „Ueber einige 

*) Nach einem Vortrag auf der Tagung der Medizinalbeamten der Provinz 
Sachsen zu Naumburg am 9. Juli 1922. 


J 










614 


Dr. Kühnlein. 


ans künstlicher Befrachtung gewonnene Hieraciumbastarde“ — 1869 aa die 
Oeffentlichkeit. Wenn auch zunächst den Mendelschen Stadien nicht die 
gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde, so begannen sie doch sehr bald — 
wie schon erwähnt, etwa um die Wende des Jahrhunderts — den Mittelpunkt 
des Interesses nicht nur der Forschungen der Botaniker und Zoologen, sondern 
auch der Mediziner zu bilden. Am meisten zurückhaltend waren die Mediziner. 
Und das ist durchaus nicht verwunderlich. Was bei Pflanzen, bei Einzellen, 
bei Tieren, nachdem die Darwinschen Lehren gewaltige Umwälzungen in der 
Erkenntnis der Entwicklung der Lebewesen gebracht hatten, leicht zu verstehen 
war, mußte in bezug auf die menschliche Entwicklung, die in der Hauptsache 
seit sehr lange sozialer und kultureller Art ist, auf vielfache Widersprüche 
und Schwierigkeiten stoßen. Was für die menschliche Entwicklung im all¬ 
gemeinen gilt, das trifft in erhöhtem Maße auf die Yererbung innerhalb des 
Menschengeschlechts zu. Und wenn nun auch ein einzelnes Volk, z. B. das 
deutsche, zweifellos als eine Blutsgemeinschaft aufzufassen ist, so handelt es 
sich bei dem Begriff „Volk“ doch um einen anderen Begriff als den Begriff 
„Rasse“. Volk ist wachstumgeeintes Blut. Eine Volksgemeinschaft können 
wir nur unter gewissen gleichmäßigen geographischen, klimatischen, kultnrellea 
nnd wirtschaftlichen Verhältnissen antreffen. Bezüglich der europäischen 
Völker, besonders der mitteleuropäischen, zu denen das deutsche Volk gehört, 
werden die Abstammungsverhältnisse besonders schwierig zu erkennen sein, 
weil die engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Völker unter¬ 
einander, die Kriege, das Ab- und Zuströmen Fremder dem an sich wachstum¬ 
geeinten Blute immer wieder neues Blut beigemischt haben und auch weiterhin 
beimischen werden. Schon die Indogermanen gaben den Ureinwohnern unseres 
Landes neues andersgeartetes Blut. Die Völkerwanderung, die Kriege, der 
Zuzug aus anderen Ländern bedingt und bedingen dauernd Aenderangen der 
ßiutmi8chung. Die so entstandenen neuen Wesen wachsen aber unter im großen 
und ganzen einheitlichen Lebensbedingungen mit den Stammeshaltern auf dem¬ 
selben Boden auf und passen sich dem pulsierenden Leben an. So kann niemand 
bei wissenschaftlichem Denken vom deutschen Volke als von einer Basse reden, wie 
überhaupt festgestellt ist, daß es reine Rassen nicht gibt. Deshalb kann auch 
RaSsebygiene in dem Zusammenhänge, in dem wir sie heute behandeln wollen, 
nicht die Lehre derjenigen Maßnahmen bedeuten, die geeignet wären, einen 
reinrassigen germanischen Typ zu erhalten. Und znm andern zeigen schon 
diese ganz allgemein gehaltenen Ausführungen, auf wieviel Schwierigkeiten 
bei so hochgradigen Blutmischnngen die Lehre von der Vererbung stoßen muß. 
Wir müssen den anthropologischen Begriff der Rasse völlig bei unsern Be¬ 
trachtungen ausschließen. Es kann sich, wenn wir auch nur einigermaßen klar 
sehen wollen, für uns nur um Familiengemeinschaften und Erweiterung dieser, 
das Volk, handeln. In diesem Zusammenhänge werden wir sehen, daß auch 
für das Einzelindividuum die Mendelschen Vererbungsgesetze vielfach Gültig¬ 
keit haben, für den Bestand der Familie und des Volkes von hohem Wert 
sind. Das Individuum ist im Bestände eines Volkes niemals als Einzelwert 
zu betrachten. Es ist der Durchgangspunkt von Generationen als Sproß der Vor¬ 
fahren und Ursprung späterer Geschlechter, wie Gottstein es klar bezeichnet. 

Diese Bedeutung des Einzelindividuums hat der Mediziner 
als Forscher und als Helfer in Krankheit und in besonders inten¬ 
siver Weise der Gesundheitsbeamte ins Auge zu fassen. Dies 
ist erforderlich zur Erhaltung des Rüstzeugs, das zur Bekämpfung 
von Krankheiten im allgemeinen und zur Verhinderung einer 
Entartung und des Volkstodes im besonderen benötigt wird. 
Das Erfordernis erscheint heute als ganz besonders dringlich. 
Wohl kannten wir alle die Rechnung, die uns der letzte Krieg 
aufgemacht hat. Etwa 2 Millionen der Besten im tüchtigsten 
Mannesalter, erstklassige Keimträger, ließen wir auf den Schlacht¬ 
feldern und dem stehen 4 Millionen an Geburtenausfall gegen¬ 
über. 800000 raffte die Hungerblockade unserer Feinde im 
Innern dahin. Mit den Abtretungen von Land beträgt der 
BevölkerungsVerlust über 12 Millionen. Was noch Unter- 



Rassehygiene and Kreisarzt. 


515 


nehmergeist, Tatendrang und Kraft hat, strömt über die 
Grenzen, will hinaus, um sich irgendwo in der Fremde eine 
neue Heimat(zu bauen. Die weniger Leistungsfähigen, die 
Krüppel, die Nervösen, die Kranken und Siechen bleiben zurück. 
Nicht ohne Absicht war zu der vorjährigen Tagung des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege als einziger Verhand¬ 
lungsgegenstand die „Deutsche Jugendnot“ gewählt. Wen gibt 
es unter den Teilnehmern, der sich nicht noch lebendig der 
Mitleid und Sorge erregenden Lichtbilder von elenden Schul¬ 
kindern, die v. ürigalski vorführte, erinnern würde. Wer 
kann Polligkeits Ausführungen über die seelischen Schäden 
vergessen haben? Und welche Hoffnungen erweckte Kühn 
mit seinem Vortrage „Die Zukunft unserer Rasse!“ Tages¬ 
zeitungen, Wochenschriften, populäre naturwissenschaftliche 
Schriften wie der Kosmos, medizinische Fachzeitungen, Ver¬ 
waltungsblätter, Bücher verschiedenster Art — sie alle bringen 
immer wieder und wieder Aufsätze über die ernsten Zeichen 
der Verelendung unseres Volkes und sind starke Mahnungen 
für Politiker, Verwaltungsbeamte, Volkswirte, Mediziner, Ge- 
sundheitsbearate und nicht zuletzt für das Volk selbst. Gerade¬ 
zu als aufsehenerregend ist der Aufsatz über hygienische Koloni¬ 
sation und Volkserneuerung von Prof. Dr. Paul Lazarus-Berlin 
im II. Heft des 18. Bandes des Jahrbuchs der Bodenreform zu 
bezeichnen. Uebersichtlich und für jedermann verständlich 
zeigt Lazarus unter zahlenmäßiger Belegung die Schäden, 
die schon vor dem Kriege unsere Erbwerte verschlechterten, und 
den weiteren Abstieg nach dem Kriege. Er weist darauf hin, 
daß heute Vs unseres Volkes geistig oder körperlich irgendwie 
minderwertig ist. Ich könnte den Kreis derer, die in Wort 
und Schrift vor Fachleuten und Laien den Begriff der Eugenik, 
der Erhaltung und Verbesserung der gesunden Erbgruudlagen 
unseres Volkes, seit geraumer Zeit erörtern, beliebig erweitern, 
beschränke mich aber, indem ich nur noch auf Faßbenders 
im Kriege erschienenes Buch: „Des deutschen Volkes Wille 
zum Leben“ hinweise wegen seiner klaren und sittlich be¬ 
deutenden Darstellungsweise. Gewiß* wären die Zustände viel 
schlimmer, wenn nicht durch die praktische Hygiene die Lebens¬ 
bedingungen seit Jahrzehnten verbessert wären: Durch die 
Reinhaltung der Ortschaften, die Regelung der Wasserversorgung, 
die Beschaffung von einwandfreiem Trinkwasser, die Kontrolle 
der Lebensmittel, die Fürsorge für die Arzneimittelbeschaffung, 
die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten und Bearbeitung 
einer Reihe von in die Hygiene' gehörenden anderen Gebieten. 
Es ist nicht abzusehen, wie es um uns stünde, wenn nicht die 
soziale Hygiene mit ihren Fürsorgebestrebungen für Schwangere, 
Wöchnerinnen, Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder, Tuberkulose, 
Geschlechtskranke, Kriegsverletzte und Kriegerhinterbliebene, 
das werktätige Volk und wie sie alle sonst noch heißen und im 
Gange sind, gute Arbeit leistete. Eins muß aber hervorgehoben 
werden: praktische Arbeit rassehygienischer, d. h. eugenischer 
Art, ist bisher in nennenswerter Weise nicht geleistet worden. 



516 


Dr. Kühnlein. 


Die Magdeburger Heiratsverraittlung, die inzwischen leider wieder 
eingegangen ist, und die durch unsemKollegenWollenweber 
in Gemeinschaft mit K öttgen und der Aerztesch&tin Dortmund 
ins Leben gerufene Beratungsstelle für solche, die eine Ehe zu 
schließen gedenken, spielen gegenüber den bestehenden Schäden 
überhaupt keine Rolle. Um so bedeutender sind die theore¬ 
tischen Fortschritte, die seit Mendels botanischem Studium 
die Erforschung der Vererbungsgesetze und der Mittel zur Er¬ 
haltung und Verbesserung des Erbbestandes eines Volkes er¬ 
fahren haben. Klarer und klarer treten die biologischen Ewig¬ 
keitsgesetze, an deren Auswirkung wir im positiven und nega¬ 
tiven Sinne interessiert sind, hervor. Zu diesen Gesetzen gehört 
auch das, was wir über die Vererbung wissen. 

Wenn wir den anthropologischen Begriff der Rasse, den Phänotypus, 
das ist die Aehnlichkeit der äußeren Erscheinungsform, wie sie in Schädel- 
bildung, Gliedmaßenbau, Farbe und Form der Haare, Farbe der Haut, Stellung 
der Augen und Farbe ihrer Eegenbogenhant und anderen von unseren Be¬ 
trachtungen als kaum wesentlich ausschalteten, so müssen wir als um so be¬ 
deutungsvoller den Rassebegriff im biologischen Sinne,- das ist der Genotypus, 
die innere Lebens- und Erbgrundlage, betrachten. Die sichtbaren Träger des 
Genotypus sind die Fortpflanzungszellen, der Samen und das Ei. Alle Lebens- 
gestaltung eines Volkes von seiner Geburt bis zu seinem Tode geht in ewigem 
Kreislauf unter bestimmten Gesetzen von ihnen aus, wobei die Lebensbedingungen 
nicht ohne Einfluß bleiben. In der Kopulation des Eikerns und des Samen¬ 
kopfes findet eine Ehe ihre folgenschwerste Auswirkung, was 0. Hertwig 
wohl am klarsten zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: „Sie bestehen aus 
Erbmasse, d. h. aus einer Substanz, welche eine so eigentümliche spezifische 
Organisation besitzt, daß durch sie die Eigenart des aus dem befruchteten Ei 
entstehenden Geschöpfes mit seinen spezifischen Merkmalen bestimmt wird. 8 
Die von Hertwjg und Strasburger unabhängig voneinander aufgestellte 
Kernidioplasmatheorie verdient die größte Beachtung. Das wird uns besonders 
deutlich, wenn wir bedenken, daß ein Kind sehr wohl einmal nur Merkmale 
des Vaters zeigen kann, obwohl es an sich von der Mutter viel mehr erhält 
als vom Vater. Und doch ist es nicht gesagt, daß es auch nur ein einziges 
erkennbares Merkmal der Mutter zu zeigen braucht. 

Die mikroskopischen Studien haben diese Vorgänge geklärt. Nicht lange 
steht der ins Ei eingedrungene Kopf des Samens dem Kernbläschen gegen¬ 
über. Beide Gebilde nähern sich einander. Ein eigentümlicher netzartiger 
Bau wird erkennbar, der sich bald in eine bestimmte Anzahl hakenförmiger 
Gebilde auflöst, die für jede Tierart eine spezifische ist. Man nennt diese Ge¬ 
bilde Chromosomen. Die Keimzellen der Säugetiere und des Menschen weisen 
ihrer 24 auf, von denen 12 vom Kopf des Samens und 12 vom Eikern her¬ 
rühren. Sie haben eine große Gier, gewisse künstliche Farbstoffe, z. B. Eisen- 
hämatoxylin, aufzunehmen, und sind aus aneinander gereihten Teilen (Chromo- 
meren) aufgebaut. Die Chromosomen sind die wichtigsten Gebilde des Organismus. 
Sie stellen in der befruchteten Eizelle die einzigen nachweisbaren stofflichen 
Elemente dar, die zur Hälfte vom Vater und zur Hälfte von der Mutter im 
Kinde und Kindeskinde, wie Muckermann sagt, den Stamm fortsetzen und 
alle Nachkommen und Vorfahren miteinander verbinden. „Die Einzelwesen 
sterben durch Krankheit. Verfall oder Alter ab. Sie aber sind die über¬ 
dauernden Träger von Leben und Erbanlagen in der Abfolge der Geschlechter.“ 
Zwei Bahnen der Entwicklung sehen wir in der befrachteten Eizelle entstehen, 
die Keimzellen einer neuen Generation — Keimbahn und die Körperzellen des 
neuen Wesens — Somabahn. Das Keimplasma wird in ununterbrochener Linie 
von Generation auf Generation übertragen. Das Soma, das Einzelindividuum, ist 
sterblich. Die 24 Chromosomen spalten sich bald in der Längsrichtung, so daß 
wir 48 vor uns haben, von denen 24 nach dem einen, 24 nach dem anderen 
Pol der Zelle wandern. Gleichzeitig beginnt diese sich im Aequator einzu¬ 
schnüren und zerfallt in zwei Tochterzellen, von denen jede wieder 24 Chromo- 



Rossebygiene und Kreisarzt. 


517 


somen enthält. Die 1. Zellteilung des neaen Organismus, vorbildlich für alle 
weiteren, ist vor sich gegangen. Gleichwertige Hälften der Chromosomen sind 
den Tochterzellen, die sich nun weiter teilen, übermittelt. Sehr frühzeitig tritt 
eine Trennung zwischen Fortpflanzungs- und Körperzellen ein, wie als erster 
Boveri beim Pferdespulwurm nachwies. Bei der Bildung der ersteren nehmen 
wir zunächst die Entstehung der Urgeschlechtszellen wahr, aus denen die Ge¬ 
schlechtsdrüsen entstehen, dann die Bildung der Urei- und Ursamenzellen ans 
den Urgeschlechtszellen und schließlich geht in der Reifungsphase eine Re¬ 
duktion der Chromosomen auf 12 vor sich. Bei der Oogenese erfolgt die 
Reduktion bei der Bildung der Polzellen, bei der Spermiogenese dadurch, daß die 
Chromosomenzahl der Spermatogonien anstatt auf 2 gleich auf 4 Zellen, auf die 
Spermatika, die sich zu Spermatozoen umgestalten, verteilt wird(0.Hertwig). 
Würde diese Reduktion nicht erfolgen, se würden wir sehr bald zn unglaub¬ 
lichen Zeligebilden kommen. 

Schon an dieser Stelle möchte ich zwei Bemerkungen 
machen, die praktische Bedeutung für die Rassehygiene haben. 
Zunächst: Wir werden bei der Besprechung des Mendelismus 
noch näher sehen, daß die Chromosomen als Träger selbst¬ 
ständiger Erbfaktoren anzusehen sind. Deshalb müssen bei der 
Reduktion jedesmal gewisse Erbfaktoren ausgeschaltet werden 
und das muß bei den neuen Einzelwesen erkennbar werden. 
Und das zweite ist: Man muß annehmen, daß die Längsspaltung 
der Chromosomen mit einer gleichen oder imgleichen, gesetz¬ 
mäßig festgelegten Verteilung von Eigenschaftsanlagen ver¬ 
bunden ist. Für uns ist aus diesen Vorgängen zu entnehmen, 
daß es für den Fortbestand eines Volkes von höchster Wichtig¬ 
keit ist, die Fortpflanzungszellen in ihrer Fülle nicht zu schwächen 
und nicht krank zu machen. Daß der Einfluß der Außenwelt 
nicht ohne Bedeutung für die Nachkommen ist, lehren Ver¬ 
suche von Hertwig, Guthrie u. a. Bisher nimmt man aber 
an, daß erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Die 
Vererbung hängt vielmehr lediglich* von der Keimbahn ab, 
und zwar ist hier stets der Faktor ein spezifischer. Daß 
es aber auch eine Möglichkeit der Vererbung durch äußere 
Umstände erworbener Eigenschaft gibt, zeigen die Versuche 
Towers an seinen Koloradokäfern, die uns eine Aufklärung 
darüber geben, wie wichtig für den gesunden Fortbestand eines 
Volkes die Erziehung ist. Der Haupt wert ist jedoch auf den 
Genotypus legen. Wenn schon das bisher Besprochene die 
Richtigkeit dieses letzten Satzes andeutet, so liegt der Haupt¬ 
beweis in den Mendelschen Regeln, die wieder hervorgeholt 
zu haben, ein Hauptverdienst Correns ist. 

Während Gal ton das Ahnenerbe anf die Formel gebracht hatte 
2 ( l /* + (VO* + (V *) 3 + • • • .),-also dem Kinde die Hälfte der elterlicheu, 
ein Viertel der großelterlichen usw. Eigenschaften zasprach, wobei es unklar 
blieb, weshalb z. B. gesunde Eltern plötzlich Kinder auf wiesen mit vererbbaren 
Krankheiten, bringen die 3 Regeln Mendels: 1. Die der Prävalenz (Kreuzungs¬ 
generation), 2. die der Spaltung (Spaltungsgeneration) und 3. die der Selbst¬ 
ständigkeit der Merkmale (Prüfungsgeneration) uns eine Klärung, die durch 
ihre Selbstverständlichkeit verblüffend wirkt. Er unterscheidet zwischen 
dominierenden und rezessiven Anlagen. Jede Geschlechtszelle — Gamet — 
ist rein. Verbindet sich eine Geschlechtszelle mit dominierender Anlage mit 
einer solchen mit rezessiver Anlage, so bildet sich ein befruchteter Keim 
(Zygote), in dem die beiden Anlagen vereinigt sind. Das Wesen, das nun 
aus diesem Keim zur Entstehung kommt, hat in allen seinen Zellen beide An- 



518 


Dr. Kühnlein. 


lagen, nar tritt die rezessive Anlage nicht in die Erscheinung. Der neue 
Organismus bildet 2 Arten von Gewebe — dominierender und rezessiver Art 
Geht er eine Verbindung mit einem ebensolchen Organismus ein, so ergeben sich 
für die Nachkommen dieser Ehe 4 Möglichkeiten, entweder sie bilden Keime 
mit dominierenden Anlagen oder mit rezessiven oder mit dominierend rezessiven 
oder rezessiv dominierenden, wobei die beiden letzteren praktisch dasselbe be¬ 
deuten. Die ersteren beiden nennen wir homozygot (rezessiv oder dominierend), 
die letzteren heterozygot. Während die ersteren rein weiterzüchten, haben die 
letzteren immer wieder 2 Arten Gameten und spalten sich weiter auf im Ver¬ 
hältnis 3 : 1. Für die intermediäre Form der Vererbung gilt im wesentlichen 
dieselbe Regel. Was hat nun der Mendelismus praktisch für den Menschen 
zu bedeuten? Verhältnismäßig einfache Schlüsse ergeben sich für die Erb¬ 
lichkeitsverhältnisse in Familien, in denen eine Krankheitsanlage dominant geht. 
TrittT da ein Gesunder auf, so ist er auch mit Bezug auf das Leiden keim¬ 
gesund — Homozygot — rezessiv. Das Merkmal der Gesundheit ist selbst¬ 
ständig. Und so lange dieses Individuum sich mit Gesunden paart, wird es 
auch nur gesunde Nachkommen haben. Aber niemals wird es gelingen, eine 
Anomalie, welche dominiert, durch Kreuzung mit gesundem Blute auszuschalten. 
Ist das Individaum homozygot-dominant, so wird es lauter kranke Nachkommen 
haben, ist es heterozygot-dominant, so muß Spaltung cintreten im Verhältnis 
von 1 : 1. Nur wenn in einer solchen Familie die Ausschaltung des Krank¬ 
heitsträgers von der Fortpflanzung erfolgt, kann Regeneration eintreten. Viel 
schwieriger gestaltet sich die Frage für Abnormitäten rezessiven Charakters. 
In solchen Familien sind die Homozygot-Rezessiven manifest krank, die Homo¬ 
zygot-Dominanten gesund und die Heterozygot-Rezessiven zwar manifest ge¬ 
sund, aber latent krank. Da kommt es denn vor, daß Generationen gesund 
erscheinen und plötzlich das alte Familienerbübel wieder erscheint. Es wird 
also darauf ankommen, die Heterozygoten bei rezessiv sich vererbenden Krank¬ 
heitsanlagen zu erkennen. Sie sind von der Fortpflanzung auszuschließen. 
Nach Strohmayer erscheinen in diesem Zusammenhänge folgende Wahr- 
scbeinlichkeitsschlüsse berechtigt: 

„1. Auch gesunde Kinder aus der Ehe eines gesund und eines kranken 
Elters sind zur Paarung riskant, da sie alle heterozygot sind und das latente 
R. tragen. 

2. Haben zwei gesunde Eltern manifest gesunde Kinder, so ist nur dann 
einige Garantie geboten, daß diese auch keimgesund sind, wenn das Fehlen 
von Fällen der rezessiven Anömalie in der kollateralen Verwandtschaft der 
Eltern (Geschwister!) wahrscheinlich macht, daß beide Eltern DD-Individuen sind. 

3. Haben zwei gesunde Eltern neben gesunden Kindern ein krankes, so 
sind sie Heterozygotem und es ist gewagt, auch unter ihren gesunden Kindern 
zu wählen, da die überwiegende Zahl davon Heterozygoten sind, die beim 
Zusammentreffen mit heterozygoten Partnern wieder kranke Kinder liefern.“ 

Hieran knüpfen sich drei Schlußfolgerungen: 

1. Es ist kaum zu erwarten, daß eine dominante Krankheitsanlage durch 
Zuführung gesunden Blutes überwunden werden kann. 

2. Dagegen wird das allmählich bei rezessiver Krankheitsanlage mög¬ 
lich sein. 

3. Die geringste Aussicht auf Erfolg bietet daB Verfahren bei Paarung 
mit Blutsverwandten, da es hier am leichtesten zum Zusammentreffen mit 
ähnlich veranlagten DD-Individuen kommen kann. 

Dies is das einzige gefährliche Moment der Inzucht. Sowohl dominant 
als rezessiv gehende Krankheiten sind uns in großer Zahl bekannt. Zu den 
ersteren rechnet man unter anderen die Huntington sehe Chorea, das here¬ 
ditäre Zittern, die hereditäre Ataxie, den progressiven Muskelschwund, den 
grauen und Schichtstar, den Diabetes mellitus und insipidus, den Spaltfuß, die 
multiplen Exostosen, zu den letzteren den Albinismus, die Retinitis pigmentosa, 
die Taubstummheit, Psychosen und Psychoneurosen in der Mehrzahl, die Epilepsie. 
Zu gedenken ist auch der Anomalien, die bei Männern dominant, bei Frauen 
rezessiv gehen. Wir kennen den gynephoren Vererbungstyp, bei dem die 
Frauen Ueberträger der Krankheit sind, ohne selbst zu erkranken, für die 
Hämophilie, die Farbenblindheit, die pstudobypertrophische Muskelatropbie, 
die erbliche Sehnervenatrophie, den Albinismus mit Nystagmus. Die geistvolle 



Rassehygiene and Kreisarzt. 


519 


Faktorenhypothese P1 a t e s hierzu, die eine wichtige Ergänzung der M e n d e 1 sehen 
lehren bildet, behauptet, daß der Faktor der Weiblichkeit Ober den Krank* 
heitsfaktor dominiert und ein Samenfaden mit Krankheitsfaktor ein gesundes, 
männlich veranlagtes Ei nicht zur Entwicklung bringen kann, wohl aber ein 
weiblich veranlagtes, weil der Faktor der Weiblichkeit über den Krankheits¬ 
faktor domioiert. 

So einfach, wie die Dinge sich nun anhören, liegen sie 
beim Menschen natürlich nicht. Es besteht an sich keine Mög¬ 
lichkeit, die so gefährlichen Heterozygoten bei rezessiver Ver¬ 
erbung zu erkennen. Die Erkennung ist nur dann gegeben, 
wenn mindestens ein Kind sich rezessiv zeigt oder die Eltern 
aus der Ehe mit einem rezessiven Homozygoten hervorgegangen 
sind. Strohmayer hebt hervor, daß in der Psychiatrie ein 
R. R. Individuum selbst klinisoh und sozial gesund bleiben kann 
und im Erbgange doch sein verhängnisvolles R. in die Wag¬ 
schale wirft. Nicht gar selten liegen überhaupt keine reinen 
Erblichkeitswirkungen, sondern Keimschädigungen der Eltern 
vor der Befruchtung— wie z. B. durch Syphilis, Alkohol, Blei — 
oder intrauterine Schädlichkeiten vor. Das geistesschwache 
Kind eines syphilitischen Vaters spielt selbstverständlich auf 
der Familien erb tafel eine andere Rolle als ein ebensolches in 
einer Familie, die in ihrer Ahnenreihe abnorme Charaktere, 
Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder ähnliche Zustände immer 
wieder in die Erscheinung treten ließ. Auch darf man nicht 
vergessen, die willkürliche Beschränkung der Kinderzahl und 
des Ausbleibens einer bestimmten Zahl von Kindern durch 
irgendwelche andere Ursachen mit in Rechnung zu stellen. 
Und schließlich erscheinen die Erbfaktoren in der Reihe der 
Kinder nicht nach einer vorauszubestimmenden Reihenfolge. 
Es kann das Kind R. R., das die rezessiven Krankheitsanlagen 
beider Eltern trägt, also manifest krank ist, zuerst geboren 
werden. Ebenso besteht aber auch die Möglichkeit, daß die 
Dominanten zuerst das Licht der Welt erblicken und das vorher 
genannte Individuum gar nicht geboren wird. Und schließlich 
stirbt auch einmal ein Krankheitsträger früher als die Anlage 
äußerlich erkennbar hervortrat.. Ganz besonders scheint die 
Feststellung im Erbgange der Neurosen und Psychosen auf 
Schwierigkeit zu stoßen. Wir wissen es alle, daß wir da nicht 
selten neben dem normalen und intelligenten Taugenichts den 
Hebephreniker, den Trinker, den Epileptiker usw. finden können. 
Vielleicht ist da noch eine Klärung im Sinne Rüdins durch die 
zweifellos bestehende Korrellation zu gewissen körperlichen 
Merkmalen — wie Asymmetrie, Fingerabdruck — und ähnlichem 
zu erwarten. 

Wir Medizinalbeamten müssen uns mit den Vererbungs¬ 
gesetzen beschäftigen, um die so dringend erforderliche Familien¬ 
forschung fördern zu helfen und zu den Fragen des Eheverbots 
und der Unfruchtbarmachung für bestimmte Individuen Stellung 
zu nehmen. Wollen wir unsere Stellung als Sozialhygieniker 
behaupten — und das scheint mir bei der heutigen Not unseres 
Volkes, die die Anstellung von Kommunalärzten immer mehr 



620 


Dr. Ktthnlein. 


erschwert, unerläßlich, vor allen Dingen aber auch unsere vor¬ 
nehmste Pflicht —, so müssen wir uns aktiv an der Lösung 
der Aufgaben der Sozialhygiene beteiligen. Der Staat wird 
nicht umhin können, sich selbst der Familienforschung anzu¬ 
nehmen. Jedenfalls bringen gerade die Aufstellungen von 
Familienstammbäumen mit den beobachteten wiederkehrenden 
Krankheiten in der Familie mancherlei Aufklärung im Sinne 
meiner heutigen Ausführungen. Hierbei wird es darauf an¬ 
kommen, daß die Seitenverwandtschaften nicht vernachlässigt 
werden, was Crzellitzer in seinen Sippschaftstafeln schon 
bedacht hat. Auf Grund der Forschungsergebnisse wird mancher 
gute Rat durch eigens dazu eingerichtete Stellen, deren Mit¬ 
helfer der Amtsarzt nach Möglichkeit wird sein müssen, erteilt 
werden können. Ich denke mir das Wort „Rat“ in diesem 
Zusammenhänge sowohl positiv als negativ. Auf Grund der 
Familienforschung wird man, meine ich, unzweckmäßige Ehen 
zu verhindern und Ehen zwischen hochwertigen Partnern zu 
fördern versuchen können. Ein Gebot der Stunde scheint mir 
die Unfruchtbarmachung von Geisteskranken, Geistesschwachen, 
Gewohnheitsverbrechern und chronischen Alkoholikern, deren 
Krankheit auf vererbter Grundlage beruht. Ich stimme .aber 
gleichzeitig nach dieser Hinsicht Westenhöfer zu, der da 
verlangt, daß zu dieser negativen Maßnahme auch positive 
Leistungen kommen müssen. Als negative Maßnahme ist auch 
das Eheverbot, von dem ich mir allerdings nicht sonderlich viel 
verspreche, zu betrachten. Wir wissen, daß z. B. Schweden 
1915 ein Eheverbot für Geisteskranke, Schwachsinnige, Epi¬ 
leptiker und Geisteskranke im akuten Stadium eingeführt hat. 
Wenn unser Volk in seiner Gesamtheit in hygienischer Hinsicht 
aufgeklärter wäre, dann bedürfte es eines solchen Verbotes nicht. 
Andererseits kann ich aber auch bei der hochgradigen Unwissen¬ 
heit, der man in allen Kreisen unseres Volkes gerade auf 
hygienischem Gebiete und besonders bei Fragen der Vererbung 
begegnet, die Einführung des kurzen Ehezeugnisses nach Ab e 1 
nicht als ausreichend betrachten. Zur Verhütung der Keim¬ 
vergiftung und Keimschädigung sind alle bestehenden Einrich¬ 
tungen der öffentlichen Hygiene und Sozialhygiene, vor allem 
die Beratung und Kontrolle der Geschlechtskranken, die Für¬ 
sorgestellen für Schwangere, Wöchnerinnen, Mütter, für Tuber¬ 
kulöse, für Trinker, die Gewerbehygiene und ähnliche nicht 
nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen. Rücksichtslos muß 
unserm Volke klar gemacht werden, wie abschüssig die Bahn 
ist, auf der wir uns zurzeit bewegen. Erst nach Jahren werden 
die Keimschädigungen durch Typhus, Tuberkulose und Alkohol 
sich voll auswirken. Eine weit umfassende Aufklärungsarbeit 
über die Ursachen der Entartung und die Möglichkeit der Auf¬ 
artung hat einzusetzen. Hierzu ist natürlich in erster Linie 
erforderlich, daß der Mediziner auf der Universität besonders 
in der Lehre von der Vererbung und ihren Zusammenhängen 
mit dem Bestände eines Volkes unterrichtet wird. Auch die 



B&ssehygiene und Kreisarzt 


521 


Lehrerschaft ist mit diesem Gebiet eingehend vertraut zu machen. 
Vielleicht naht dann auch einmal die Zeit, in der unsere Staats¬ 
männer und Verwaltungsbeamten, unsere Politiker und unser 
Volk selbst nicht blos dem Augenblicke leben, sondern den 
Blick in die Zukunft richten werden, in der mit Sicherheit die 
volkseugenischen Bestrebungen unermeßliche Vorteile bringen 
werden, von denen zu Beginn der Arbeit sich kaum etwas be¬ 
merkbar machen kann. Allerdings wird in Deutschland eine 
Umstellung der geltenden Anschauungen im Sinne steter Rück¬ 
sichtnahme auf den Mitmenschen, größtem persönlichem Ver- 
antwortlichkeits- und allgemeinem Gemeinschaftsgefühls erforder¬ 
lich sein, wenn wir wieder hochkommen wollen. Hierin dürfen 
wir Medizinalbeamten von niemandem uns übertreffen lassen. Wir 
müssen aber auch laut überall diese Umstelluug verlangen. 
Wirtschaft, Verwaltung und Regierung, Familie und Einzel¬ 
wesen haben diese Umstellungsbestrebungen sich zu eigen zu 
machen. Es kann doch nicht Sache der Wirtschaft sein, billig 
herzustellen und teuer abzusetzen. Jeder Nutzen muß mit ge¬ 
nügst möglichem Arbeitsaufwand und geringst möglichen Opfern 
erzielt werden. Die Pflege des Menschenlebens muß zum min¬ 
desten ebenso sorgfältig durchgeführt werden, wie die der Vieh¬ 
zucht. Hierher gehört in erster Linie die Schaffung menschen¬ 
würdiger Lebens- und Wohnbedingungen für kinderreiche 
Familien. Gerade wir Kreisärzte müssen immer mit dem Finger 
deutend hinweisen auf die Verfassung, die in den Artikeln 119 
bis 122 (Gemeinschaftsleben — Ehe — Förderung der Familie — 
Erziehung — uneheliches Kind), 151 (Wirtschaftsleben — 
menschenwürdiges Dasein), 155 (Wohnung — Bodenreform), 
163 (Betätigung der geistigen und körperlichen Kräfte) wesent¬ 
liche Hilfsmittel für eine Volkseugenik enthält. Wir müssen 
aber auch betonen, daß der Weg, den wir beschritten haben 
in der Schulpolitik, der Steuerpolitik nicht geeignet ist, den 
Familiensinn zu fördern. Die Steuerpolitik hat sich im be¬ 
sonderen im Sinne Schloßmanns zu bewegen, d. h. jedes 
Einkommen und jedes Vermögen ist bei jeder Steuerveranlagung 
in so viel gleichen Teilen zu veranlagen als Personen davon 
leben müssen. Da uns die Schäden der Großstadt in rassen- 
hvgienischer Hinsicht bekannt sind, so ist es an uns, immer 
wieder daran zu erinnern, daß eine Besiedlung des flachen 
Landes mit Kleinwohnungen nebst Nährgärten stattfindet. Bei 
Erhaltung der achtstündigen durchgehenden Arbeitszeit wird 
der Arbeiter und Beamte Zeit und Uust gewinnen, sich einen 
Teil seiner Ackernahrung selbst zu sdhaffen. Er wird so gleich¬ 
zeitig wieder natürlicher werden, im besonderen wächst dann 
die Jugend in engerer Berührung mit der Natur auf und die 
Schäden der Großstadt werden weniger Angriffspunkte finden. 
Auch der Besuch von Fortbildungskursen wird dadurch ge¬ 
fördert. Die Durchführung des Siedlungsgesetzes muß von uns 
betont werden zur Schaffung und Vermehrung des Kleinbauer¬ 
standes, der eine Quelle der Krafterneuerung für unser Volk 



522 


Dr. Ktthnlein: Bassehygiene and Kreisarzt.. 


ist. Einen Kreisarzt, der nicht Bodenreformer ist, der nicht 
den seit Jahrzehnten üblichen Bodenwucher verurteilt, darf es 
nicht geben. Kultur, Sitte, Gesundheit können in den durch 
den Bodenwucher hervorgebrachten Massenkasemen der Städte 
keinen Sitz haben. Wo die Industrie Acker, Wald und Wiesen 
mit Beschlag belegt, um sie auszuwerten, ist sie zu verpflichten, 
entsprechendes Oedland zu kultivieren, damit unsere Acker¬ 
nahrung nicht vermindert, unsere Wohnungsnot nicht vergrößert 
wird. Bequeme und billige Verkehrsmittel müssen es dem 
Beamten, Angestellten und Arbeiter ermöglichen, den Weg von 
dem Amte, Büro, der Arbeitsstätte täglich nach dem Heim zu¬ 
rückzulegen. Allen Bestrebungen zur Beschränkung der Kinder¬ 
zahl ist entgegenzutreten. Nur in der kinderreichen Familie 
können alle Erbwerte zur Auswirkung kommen, wie das Mi¬ 
nister a. D. 0 e s e r in seinem vorzüglichen kleinen Schriftchen 
„Mehr Kinder, mehr Erbe!“ so ausgezeichnet dargetan hat. 
Wenn das Familienbewußtsein steigt, so wird dadurch ein ge¬ 
nügend langes Intervall zwischen den einzelnen Geburten ge¬ 
währleistet. Dieses Intervall wird durch das Selbststillen der 
Mütter begünstigt. Wo aber eine Mutter lange und ausreichend 
stillt, da haben wir eine gute Konstitution vor uns, die als 
Erbfaktor wesentlich ist. Zur Verhütung der Geschlechtskrank¬ 
heiten und das Familienleben untergrabender Sittenlosigkeit ist 
die Frühehe zu propagieren. Ich verweise auf die Ausführungen 
Westenhöfers über die Sexualordnung, die er empfiehlt, 
da die Westenhöf ersehe Abhandlung # über „Die Aufgaben 
der Rassenhygiene im neuen Deutschland“ 1920 in den Ver¬ 
öffentlichungen der Medizinalverwaltung erschienen ist, erspare 
ich mir ein näheres Eingehen darauf in der Annahme, daß 
jeder sie gelesen hat. Ich möchte dazu sagen, daß ich seine 
Vorschläge zum mindesten für diskutabel erachte. Jedenfalls 
ist es klar, daß die Begriffe der Ein- und Zweikinderehe, der 
Mammons- und Standesehe uns immer weiter auf der Keim¬ 
bahn abwärts gleiten lassen. Bezüglich der Ein- und Zwei¬ 
kinderehe hat sich ja auch Grotjahn deutlich geäußert. Liebe 
zum Kinde, Verantwortlichkeitsgefühl, Gemeinschaftssinn da¬ 
gegen werden uns hochbringen. Ein hervorragendes Beispiel von 
Verantwortlichkeit und Gemeinschaftsgefühl zeigten die Frauen 
der Bluterfamilien des Dorfes Tenna in Graubünden, indem sie 
die Fortpflanzung ablehnten. Das Verantwortlichkeitsgefühl, 
schon in der Jugend mit der erforderlichen Aufklärung gro߬ 
gezogen, bei der wir Kreisärzte an erster Stelle mitzuwirken 
naben, wird sich bei der Gattenwahl, auf die ja v. Grub er 
besonders hindeutet, günstig bemerkbar machen und in der 
Zukunft für unser Volk sich zum Segen auswachsen. Lenz 
hat Recht, wenn er sagt: „Eine wirklich durchgreifende Rasse¬ 
hygiene ist weder durch Kreuzung noch durch Eheverbot und 
Sterilisierungen zu erreichen, sondern einzig und allein durch 
positive Selektion der gesunden Idioplasmastämme, d. h. dadurch, 
daß man durch sozialwirtschaftliche Gesetze den wirklich ge- 



Prof. E. Ungar: Die Magendarmprobe usw. bei gerichtl. Untersuchung. 623 

sunden Erbeinheiten zur Sammlung und Vermehrung hilft, 
so daß sie im Laufe der Generationen an die Stelle der Kranken 
treten.“ 


Die Magendarmprobe und die Vorschriften über das 
Verfahren der Gerichtsärzte bei gerichtlicher Unter¬ 
suchung menschlicher Leichen vom 31. M&i 1922. 

Von Prof. E.Ungar-Bonn. 

ln den neuen Vorschriften heißt es im § 24 unter 2.: 

„Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe soll die 
Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden. In ihrer Ausführung ist bei 
der Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre am unteren Ende einfach, 
vor Herausnahme des Magens der Zwölffingerdarm im oberen Abschnitte doppelt 
zu unlerbinden. Der herausgenommene Magen ist wie die Lungen auf Schwimm¬ 
fähigkeit zu prüfen und darauf unter Wasser zu eröffnen. Ebenso wird nachher 
der gesamte Darm, nachdem er oberhalb des Mastdarms nochmals unterbunden 
und dann in der üblichen Weise herausgenommen worden ist, auf Wasser 
gelegt und festgestellt, ob und welche Teile schwimmfähig sind.“ 

Diese Fassung unterscheidet sich von der der alten Vor¬ 
schriften vom 4. Januar 1905 nur dadurch, daß es jetzt heißt, 
bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe 
soll die Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden, 
während es in den alten Bestimmungen hieß, kann die Magen¬ 
darmprobe ergänzend herangezogen werden. Damit ist die 
Magendarmprobe auch jetzt nicht in allen Fällen von Leichen¬ 
öffnung Neugeborener für obligatorisch erklärt. Auch die neuen 
Vorschriften haben es demnach ganz unberücksichtigt gelassen, 
daß die Bedeutung der Magendarmprobe nicht allein darauf 
beruht, daß sie in Fällen, in welchen die Lungenprobe ein 
negatives oder zweifelhaftes Resultat ergibt, das Gelebthaben 
des Neugeborenen nachweisen kann, sie haben nicht berück¬ 
sichtigt, daß die Hauptbedeutung dieser Lebensprobe darin zu 
suchen ist, daß sie — und nur sie allein — uns über die Dauer 
des Lebens wertvolle Aufschlüsse zu geben vermag in den 
Fällen, in welchen es sich nicht um eine Lebensdauer von 
vielen Stunden oder gar von Tagen handelt. Wie ich in 
meiner in dieser Zeitschrift veröffentlichten kleinen Abhand¬ 
lung „Nochmals die Magendarmprobe“*) besonders betont habe, 
läßt uns die Lungenprobe hier völlig im Stich. Völlig auf- 

§ eblähte Lungen beweisen nicht, daß das Kind länger als 
ekunden gelebt hat; nur in geringem Grade aufgeblähte, ja 
luftleere Lungen schließen ein längeres, ja stundenlanges 
Leben nicht aus. Die anderen, allenfalls für die Bestimmung 
der Lebensdauer verwertbaren Feststellungen, wie das Ver¬ 
halten der Nabelschnur und des Nabels, die Beschaffenheit der 
fötalen Kreislaufwege, die Veränderungen an einer Kopf¬ 
geschwulst, das Verhalten des Knochenkems in der Epiphyse 
des Oberschenkels, der Mekonsumgehalt des Dickdarmes können 


*) Zeitschrift für Medizinalbeamte, 1920, H. 16. 



524 Prof. Ungar: Die tfagendarmprobe usw. bei gerichtL Untersuchung. 


nur in einer sehr beschränkten Anzahl von Fällen Aufschluß 
geben und dann auch nur dort, wo es sich um eine längere 
Lebensdauer handelt. So bleibt für die Bestimmung der Dauer 
eines kürzeren Lebens, also für jene Fälle, in denen es auf die 
Feststellung ankommt, ob der Tod unmittelbar nach der Geburt 
eintrat, oder ob das Kind immerhin noch Minuten, ja selbst 
stundenlang lebte, nur noch die Magendarmprobe übrig. 

Wie wichtig der durch die Magendarmprobe erbrachte 
Nachweis sein kann, daß ein Kind eine gewisse Zeit und zwar 
bei freiem Luftzutritt zu den Atmungsöffnungen gelebt haben 
müsse, liegt auf der Hand. In meinen früheren Abhandlungen 
über die Magendarmprobe habe ich Fälle mitgeteilt, die dies 
zur Genüge dartun. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß 
das Fehlen eines Luftgehalts des Magens und des Darmes, oder 
eine nur geringfügige Luftfüllung des Magens, wenn auch mit 
Vorsicht für die Beurteilung der Lebensdauer verwertet werden 
können. 

Die obduzierenden Aerzte können aber bei der Vornahme 
der Leichenöffnung eines Neugeborenen in der Regel nicht 
wissen, ob nicht in dem betreffenden Falle die Feststellung der 
Dauer des Gelebthabens für die Beurteilung des Falles von 
größter Bedeutung ist. Aus diesem Grunde sollte die Magen- 
darraprobe in keinem Falle unterbleiben. 

Die Vorschriften sprechen nicht nur von einem negativen, 
sondern auch von einem „zweifelhaften“ Resultat der 
Lungenprobe. Zweifelhaft kann doch das Ergebnis der Lungen¬ 
probe für den richtig vorgebildeten und erfahrenen Gerichts¬ 
arzt nicht sein! Selbst bei vorgeschrittener Fäulnis wird der 
sachkundige Gerichtsarzt, der die Kriterien der Lungenprobe 
genügend berücksichtigt, kaum jemals über das Ergebnis der 
Lungenprobe im Zweifel sein. Es gibt freilich Fälle, in denen 
durch die Lungenprobe zwar ein Luftgehalt der Lungen nach¬ 
gewiesen wurde, immerhin aber Zweifel auftreten können, ob 
der Luftgehalt auch auf Atmen des lebenden Kindes zurück¬ 
zuführen ist. Die Zweifel an der Beweiskraft der Lungenprobe 
kommen dann aber meist erst nachher, sie kommen erst, wenn 
später Tatsachen ermittelt werden, die den Gerichtsärzten bei 
der Leichenöffnung nicht bekannt waren, während ihnen zur Zeit 
der Obduktion das Ergebnis der Lungenprobe nicht zweifelhaft 
erschien, wie z. B. in dem von mir in der oben erwähnten 
Abhandlung mitgeteilten Falle, in welchem eine Hebamme 
Wiederbelebungsversuche durch Schultz sehe Schwingungen 
gemacht hatte, was erst später bekannt wurde. In diesem Falle 
konnte nur der Nachweis des Gelebthabens später als erbracht 
angesehen werden, weil auch der Dünndarm als lufthaltig be¬ 
funden worden war. 

Das Gesagte genügt wohl, um zu zeigen, wie 
bedauerlich es ist, daß die neuen Vorschriften un¬ 
bekümmert um anerkannte Lehren der gerichtlichen 



Dr. Gasters: Vorläufiger Bericht über eine nicht aufgeklärte Erkrankung. 525 

Medizin derMagendarmprobe wiederum die erforder¬ 
liche Berücksichtigung versagt haben. Dafür haben 
sie in § 24 (sub. 9) die Bestimmung, daß die Durch- 

E ängigkeit des Botanischen Ganges und des eiförmigen 
loches geprüft werden muß, beibehalten, obschon, wie schon 
Caspar ausgesprochen und namentlich Hab er da dargetan 
hat, die Obliteration der fötalen Kreislaufwege zu spät nach 
der Geburt erfolgt, als daß ihr Nachweis als Lebensprobe irgend¬ 
welchen Wert hätte, obschon ihre Bedeutung für den Nachweis 
der Dauer des Lebens eine nur untergeordnete ist, um so mehr, 
als ja doch der Ductus Botalli und das Foramen ovale das 
ganze Leben hindurch offen bleiben können. 

Den Herren Kollegen kann ich nur dringend anempfehlen, 
die Magendarmprobe in allen Fällen von Leichenöffnungen Neu¬ 
geborener anzustellen. Dabei empfiehlt es sich aber, nicht nur, 
wie die Vorschriften anordnen, die Speiseröhre am unteren 
Ende einfach und den Zwölffingerdarm im oberen Abschnitt 
doppelt zu unterbinden, sondern auch, wie ich vorgeschlagen 
habe, schon bei Beginn der Obduktion der Bauchhöhle eine 
Unterbindung namentlich dort vorzunehmen, wo sich die Grenze 
der Aufblähung des Darmes erkennen läßt, damit nicht bei dem 
Manipulieren mit dem Darm eine Verschiebung der Luftsäule 
erfolgt. 


Vorläufiger Bericht über eine nicht aufgeklärte 
Erkrankung (26 Erkrankungs- = 12 Todesfälle) 
im St. Josefshaus in Mülheim a. d. Ruhr. 

Von Med.-Kat Dr. Gastera, Kreis- and Stadtarzt in Mülheim a. d. Kahr. 

Ara 27./6. 22 meldete Dr. J., Facharzt für innere und 
Nervenkrankheiten, leitender Arzt des Marienhospitals hier, 
der nebenamtlich die ärztliche Oberleitung im St. Josefshaus 
hat, daß unter den dort untergebrachten Mädchen eine eigen¬ 
artige Erkrankung aufgetreten sei, die in 3 Fällen bereits zum 
Tode geführt habe, Diagnose und Erkrankungsursache habe 
er noch nicht sicher feststellen können. Das St. Josefshaus — 
das frühere Garnisonlazarett — besteht aus 4 vollständig, weit 
(10—30 m) voneinander getrennten, in 10 Morgen großem park- 
artigen Garten auf der Kahlenberghöhe gelegenen, massiven, 
hygienisch einwandfreien Häusern. Der Kath. Frauen verein 
betreibt seit Ostern 1922 darin ein Fürsorgeheim für Säuglinge, 
für schwer erziehbare junge Mädchen, für Schwangere, für 
jugendliche weibliche Geschlechtskranke und unterhält eine 
Wäscherei, Bügelanstalt und ein Nähzimmer. Wirtschaft und 
Pflege wird von Ordensschwestern besorgt. Das Haus war vor 
der Eröffnung des Fürsorgeheims in allen seinen Teilen gründlich 
gereinigt und neu gestrichen. 



526 Dr. Gasters: Vorläufiger Bericht Ober eine nicht aufgeklärte Erkrankung 

loh stellte am 27. 6. 22 vormittags fest: 

das Haus war belegt mit 1 Hausgeistlichen, 

14 Schwestern, 

6 Schwangeren, 

5 frisch entbundenen Mädchen, 

27 Säuglingen, 

8 Kinder von 1—3 Jahren, 

31 Mädchen (schwer erziehbar), 

_ 7 geschlechtskranken Mädchen, 

also 100 Personen insgesamt. 

Erkrankungen waren nur bei den gefährdeten Mädchen, 
die im Hauptlazarettgebäude untergebracht waren und bei den 
diese betreuenden Schwestern vorgekommen. Gestorben waren 
in den letzten 24 Stunden 3 Mädchen, krank lagen 7 Mädchen 
und 3 Schwestern. Dr. J. und sein Assistenzarzt Dr. St. schil¬ 
derten das Krankheitsbild mit folgenden nacheinander auf¬ 
tretenden Erscheinungen: a) subjektive Klagen: Kopf¬ 
schmerzen über den Augen, brandartiges schmerzhaftes Gefühl 
im Halse, Schwindelgefühl, Druckgefühl unter dem Brustbein, 
Doppelsehen, Unfähigkeit zum Schlucken, aufsteigende Be¬ 
klemmung in der Brust; b) objektiver Befund: Keine er¬ 
höhte Temperatur, keine Magendarmerscheinungen, erschwertes 
Schlucken, vereinzelt Nystagmus und weite, träge oder fast 
reaktionslose Pupillen, (Lichtstarre nur ante exitum) Puls gut 
gespannt, voll, regelmäßig, bis 100 Schläge in der Minute, 
keine erhebliche Störung des Sensoriums, Gaumensegellähmung, 
verwaschene (bulbäre) Sprache, Doppelsehen, vereinzelt Babinski, 
zunehmende Cyanose, Exitus. Das Blutbild zeigt bei allen Er¬ 
krankten eine mäßig starke Verschiebung nach links. Das 
Dicktropfenpräparat zeigt bei allen Netzchenbildung mit baso¬ 
philer Punktierung der Erytrocyten. (Schädigung der Erytro- 
cyten.) 

Bei einer Sterbenden und den Erkrankten konnte ich den 
geschilderten Befund bestätigen. Ich dachte zunächst an Botu¬ 
lismus. Fleisch war nur in Form von Blut- und Leberwurst 
(aus eigner Schlachtung in Gläsern eingeweckt) zuletzt am Sonn¬ 
tagabend, also etwa 36—40 Stunden vor meinem Eintreffen, verab¬ 
folgt, Gemüekonserven waren gar nicht, Fisch und Fischgerichte 
nur als Salzhering gegeben, die Wurst hatte keinen auffallenden 
Geruch und Geschmack, sie sah sauber und appetitlich aus, sie 
war auf Brot gestrichen an alle rund 70 Erwachsene und Kinder 
ohne besondere Verteilung nach Stationen, Arten der Pfleg¬ 
linge usw. verteilt und hat allen gut geschmeckt. Niemand hat 
über Magenschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen, Durchfall geklagt. 
Trotz des negativen Ergebnisses der Untersuchung verbot ich 
die weitere Ausgabe von W urst, Fleisch und Gemüsekonserven, 
Fisch und Fischgerichten, ordnete aber, da ich auch an eine 
übertragbare Krankheitsursache denken mußte, strenge Absonde¬ 
rung der Erkrankten, und der mit diesen in Gemeinschaft ge¬ 
wesenen Ansteckungsverdächtigen und des Pflegepersonals an 




(26 Erkrankungs- = 12 Todesfälle) im St Josefsbaas in Mülheim &. d. Rohr. 527 

und traf Desinfektionsmaßregeln wie bei Scharlach, Genick¬ 
starre, Typhus usw. 

Am 26./6. verstarb ein Mädchen. Am 27-/6. verstürben 
& Mädchen, am 28./6. 3, am 30./6. 1 Mädchen, am 2./7. eine 
Ordensschwester und ein Mädchen, insgesamt vom 26./Ö—2-/7. 
verstarben 11 Mädchen und 1 Schwester, im Alter von 14 bis 
35 Jahren. Die Zahl der Erkrankten beträgt bis jetzt 26. 

Nach und nach wurden nun folgende Einzelheiten fest¬ 
gestellt : 

Ordensschwester M. bat schon am Mittwoch, den 21./6. über Kopf¬ 
schmerzen über beiden Augen, Müdigkeit, Halsschmerzen and Schwindel ge¬ 
klagt sich aber trotzdem aafrechterhalten and ist nicht bettlägerig geworden, 
die Beschwerden verschwanden langsam nach einigen Tagen. Oie Oberin N. 
und die Schwester P. hatten dieselben Erscheinungen seit etwa 22-/6-, worden 
aber erst am 27-/6. bettlägerig. Die erstere Hegt noch mit völHger Ganmen- 
segelläbmung and großer allgemeiner Schwäche za Bett and Schwester P. ist 
am 2-/7. unter denselben Erscheinungen, wie die Mädchen, verstorben. Es 
lassen sich folgende Erkrankungsreiben anfatellen: 

vom 21./6.—25/6. erkrankten 3 Schwestern, 

„ 26./6.—28-/6. „ 14 Mädchen, 

„ 29./6.—30./6. „ 1 Schwester, 

n 1./7.— 2./7. „ 4 Mädchen, 

„ 2-/7-— 4-/7. „ 1 Arzt (Dr. J.) 8 Mädchen. 

Mit größter Wahrscheinlichkeit hat auch der behandelnde A. A. Dr. St. 
in den Tagen vom 27.—29./6. einen leichten Krankheitsfall überstanden. 

Von der Regierung nahm an den Ermittlungen teil Med.- 
Rat Dr. Schürmeyer-Düsseldorf, zur Beratung wurden zu¬ 
gezogen: Prof. Dr. R i n d f 1 e i s c h - Dortmund, Prof. Dr.Beitzke- 
Düsseldorf (27./6.) 2 Obduktionen, Geh. Med.-Rat Paul Dr. Krause- 
Bonn (2./7.), Prof. Dr. Dietrich-Cöln (5./7.) 1 Obduktion, 
Prof. Dr. Eduard Müller-Marburg (12./7 und 26./7J, Geheimrat 
Uhlenhuth-Marburg 24./7.). 

Die Obduktionen ergaben keinen für Intoxikation und In¬ 
fektion verwertbaren makroskopischen Befund lind auch mikro¬ 
skopisch bis jetzt keine entzündliche Ursache beweisenden 
reaktiven Veränderungen, so daß die gefundenen Kerndegene¬ 
rationen vielmehr dafür sprechen, „daß irgendein toxischer 
Einfluß die Veränderungen der Zellen und somit auch die ge¬ 
samten Krankheitserscheinungen bedingt hat“. (Dietrich.) 

Die Mehrzahl der beteiligten und befragten Aerzte glaubte 
in Uebereinstimmung mit mir mit allergrößter Wahrscheinlich¬ 
keit Botulismus ablehnen und eine in das bisherige Lehrbuch¬ 
bild nicht ganz passende Abart der Heine-Med in sehen 
Krankheit (?) annehmen zu können. Paul Krause und Eduard 
Müller kamen zu einem fast gleichen Urteil, das letzterer so 
fixierte: „Toxisch-infektiöse Bulbärlähmung durch ein hoch 
virulentes, wahrscheinlich von Person zu Person übertragbares, 
wohl im Nasenrachenraum sich aufhaltendes, möglicherweise 
durch Tropfeninfektion weiter verbreitendes Virus von besonders 
intensiver Toxinbildung und Affinität für Medulla oblongata.*)“ 

*) Die inzwischen fortgeführten pathologisch-anatomischen (Beitzke, 
Dietrich) and bakteriologischen Untersuchungen haben eine Klärang noch 
nicht gebracht. 



528 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


Im Herbst 1909 konnte ich in Heit 17 der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte, wohl als Erster, auf das epidemische Auf¬ 
treten der Heine-Medinsehen Krankheit im rheinisch-west¬ 
fälischen Industriebezirk aufmerksam machen, ich will gerne 
hoffen, daß es diesmal anders kommt und zu allem unserem 
Elend nicht auch noch dieser böse, heimtückische Feind unserer 
Volksgesundheit in verändertem Gewände verheerend durch 
unseren schon so vielseitig bedrohten Bezirk zieht. 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten. 

1. Fleckfieber. 

Die Weil-Fellxsche Reaktion (mit Proteas-Stamm X 19) wird seit 
Februar 1920 in einer praktisch vereinfachten Foim als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel fttr Flecktyphus auf der Newyorker Quarantänestation an¬ 
gewendet. Positiver Aasfall selbst in klinisch sonst zweifelhaften Fällen gik 
als sicheres Kennzeichen, negatives Ergebnis umgekehrt Das Verfahren bat 
sich zur rascheren Abwicklung des Quarantänedienstes, der für Handel and 
Verkehr lebenswichtig ist, bewährt. (Publ. Health Rep. 14./7.1922, Bd. 37.) 

Dr. Sieveking-Hamburg. 


2. Tuberkulose. 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika erfaßt die 
Statistik zurzeit etwa 82,2 °/o der Gesamtbevölkerung, also rand 87,6 Millionen 
der 107 Millionen Einwohner. 

Die Pablic Heatb Reports vom 13. Janaar 1922 geben für diesen Teil 
der Bevölkerung die Tuberkulose-Sterblichkeit (alle Formen) wie 
folgt an: 

Zahl der Todesfälle 1918: 122040 = 1,60 °/oo, 

1919: 106986 = 1,26°/««, 

1920': 99916 = 1,14 °/oo. 

Im aUgemeinen ist überall ein stetiges Absinken der Sterblichkeitskurve 
zu vermerken. Die höchste Sterblichkeit hatte 1920 der Staat Colorado mit 
2,15°/oo, die niedrigste der Nachbarstaat Utah mit 0,4*/o«. Die Unterschiede in 
der Sterblichkeit der weißen und schwarzen Bevölkerung sind sinnfällig. Im 
Staat Kentucky war die höchste Ziffer für jene 1,30 °/«o, fttr diese 3,64 °/«o. 
Die niedrigste Todeszahl der Weißen hatte der Staat Missisippi mit 0,54 •/#», 
die niedrigste der Farbigen der Staat Florida mit 1,95 */oo. 

Dr. Sieveking-Hamburg. 


Schweizerischer Gesetzentwurf betreffend Maßnahmen gegen die 
Tuberkulose. Im Aufträge des Bandesrats hat eine von diesem eingesetzte 
Sachverständigenkommission einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, durch den 
eine Neuregelung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose erfolgen 
soU. Dieser Entwurf liegt jetzt vor und dürfte die Leser der Zeitschrift 
um so mehr interessieren, als bekanntlich auch im Deutschen Reiche eine solche 
Neuregelung beabsichtigt ist. Nach Art. 2 soll die Tuberkulose anzeige- 
pfli chtig sein, „insofern der Kranke eine Ansteckungsgefahr für die Mit¬ 
menschen bildet". Die zur Durchführung dieser Pflicht von den Kantonen 
anzuwendenden Maßnahmen werden durch Verordnung des Bandesrats be¬ 
stimmt; die Amtsstellen, an die die Anzeigen zu richten Bind, haben darüber 
Schweigepflicht zu beobachten. Den tuberkulösen und tuberkuloseverdächtigen 
Personen soll.Gelegenheit zur Untersuchung und Behandlung geboten 
werden. Dabei haben sie sich den zum Schutze der Allgemeinheit getroffenen 
Maßnahmen zu fügen; tun sie dies nicht und gefährden sie die Personen ihrer 
Umgebung, so sind sie in eine Anstalt zu verlegen oder die gefährdeten 
Personen, namentlich Kinder anderweit unterzubringen (Art. 3). Weüj^p 
sieht der Entwurf eine regelmäßige Ueberwachung von sol ' 



Besprechungen. 


629 


kulösen Personen vor, deren Beschäftigung die Weiteryerbreitang der Krank¬ 
heit begttnstigt; erforderlichenfalls Verbot der Ausübung des Berafes 
mit Anspruch auf Entschädigung (Art. 4). Die zur Durchführung der in 
Art. 3 und 4 vorgesehenen Maßnahmen bestimmt der Bundesrat im Ver- 
ordnuDgswege (Art. & u. 6). Alle Kinder in Schulen, Erziehungs- 
nsv. Anstalten sind nach Art. 7 einer regelmäßigen ärztlichen Aufsicht 
zu unterwerfen, tuberkuloseverdächtige zu beobachten und tuberkulosekranke 
zu behandeln und die Umgebung gefährdende Taberkulöse auszuschließen. 
Die Kantone haben Einrichtungen zur bakteriologischen Unter¬ 
suchung des verdächtigen Auswurfs und zur Unschädlichmachung 
aller tuberkuloseverdächtiger Ausscheidungen zu treffen; die Untersuchungen 
und Desinfektionen sind auf Verlangen des Arztes unentgeltlich vorzunehmen 
(Art. 8 u. 9). Das Spucken auf den Boden in Öffentlichen Lokalen, 
Transportmitteln, Fabriken, Werkstätten usw. ist verboten. Für Kurorte 
und Sommerfrischen können die Kantone in dieser Hinsicht (Art.9 u. 10) 
weitergehende Maßnahmen anordnen (Art. 11). Sie haben außerdem für die 
Errichtung und den Betrieb von Anstalten zur Verhütung der Tuber¬ 
kulose (Erholungsstellen, Ferienheime, FreilufthOfe usw.), von Fürsorge- 
steilen zur Ermittelung, Beratung, Ueberwachung und Unterstützung von 
Tuberkulosen sowie von Anstalten zur P fl ege, Behandlung und Wieder- 
beschäftigung Tuberkulöser (Heilstätten, Tuberkulosespitäler, Arbeiter- 
Genesungsheime usw.), für angemessene Belehrung über Wesen, Gefahren und 
Verhütung der Tuberkulose zu sorgen und der Wohnungsbygiene alle Auf¬ 
merksamkeit zu widmen (Art. 12, 13 u. 14). Dem Bund liegt die Forderung 
der wissenschaftlichen Erforschung der Tuberkulose ob (Art. 15). Zur Durch¬ 
führung der in Art. 2—4, 7—9 und 12—14 vorgesehenen Maßnahmen leistet 
er den Kantonen und auf deren Vermittlung auch Gemeinden, Trägern der 
Sozialversicherung und gemeinnützigen Vereinen einen Zuschuß von 25°/* der 
Gesamtausgaben, der bis 50°/o erhöht werden kann, jedoch soll die Gesamt¬ 
ausgabe dafür 4 Millionen Fr. jährlich nicht übersteigen. Der Landesbeitrag 
kann sogar rückwirkend bis 4. Mai 1913 zuerkannt werden (Art. 16). Endlich sieht 
der Entwurf noch ein Verbot der Ankündigung und des Verkehrs von Geheim¬ 
mitteln zur Behandlung von Tuberkulose vor. Die Ueberwachung der 
Vollziehung des Gesetzes liegt dem Bundesrat ob, der die dazu erforderlichen 
Maßnahmen im Verordnungswege erläßt, während die Kantone für die Aus¬ 
führung zu sorgen und die dazu nötigen Bestimmungen zn treffen haben, die 
aber der Genehmigung durch den Bundesrat bedürfen. Nichtbeachtung der 
Vorschriften des Gesetzes oder der zugehörigen Verordnungen, Ausführungs¬ 
bestimmungen und sonstigen behördlichen Anordnungen solle mit Geldstrafe 
bis auf 1000 Fr. bestraft werden. 

Ob der Gesetzentwurf in der ausgearbeiteten Form die Zustimmung der 
gesetzgebenden Körperschaften finden wird, ist allerdings noch zweifelhaft; 
vielleicht geschieht dies aber in der Schweiz schneller als im Deutschen Reich, 
wo bekanntlich Bchon seit Jahren ein solches Gesetz beabsichtigt ist, aber 
vorläufig noch nicht einmal ein Entwurf an den Reichstag gelangt ist. Rpd. 


3. Kleine Mitteilungen. 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika meldeten 1921 56 Städte 
mit zusammen 26 661000 Einwohnern 
17 203 Pockenfälle, 

49 Milzbrandfälle, davon starben 10 Fälle, 

462 Tierwutfälle, 

12 Menschenwutfälle, die alle tödlich endigten. 

Dr. Sieveking -Hamburg. 


Besprechungen. 

Dr. Dornblflth: Arzneimittel der heutigen Medizin mit therapeuti¬ 
schen Notizen. 13. Auflage; bearbeitet von Prof. Dr. Bachem in Bonn. 
Leipzig 1922. Verlag von Curt Kabitzsch. 12°; 507 S. Preis: geb. 48 M. 
Das zum Gebrauch für praktische Aerzte und Studierende der Medizin 
zusammengestellte und in den beteiligten Kreisen mit Recht ungemein beliebte 



680 


Tageanachrichten. 


Bach erscheint schon nach zwei Jahren in einer neuen Bearbeitung, die infolge¬ 
dessen auch verhältnismäßig wenig Aendernngen gegenüber der vornergenenden 
Anflage aufweist. Wenn Verfasser auch diesmal die bekannteren Spezialitäten 
berücksichtigt schon allein, nm dem Arzte die Möglichkeit zn geben, das 
Publikum über ihren Wert und Unwert aufzuklären, so kann man ihm dafür 
vom Standpunkte des Praktikers aus nur dankbar sein; dasselbe gilt betreffs 
der mannigfachen Verbesserungen und Nachträge, die die „Therapeutischen 
Notizen" erfahren haben und betreffs der erstmaligen Aufnahme eines für den 
praktischen Gebrauch recht wertvollen Sachregisters. Die neue- Auflage wird 
deshalb sicherlich ebenso wie die vorhergehenden die wohlverdiente große 
Verbreitung finden, zumal der von der Verlagsbuchhandlung dafür festgesetzte 
Preis unter den heutigen Verhältnissen als ein sehr mäßiger bezeichnet 
werden muß. __ Bpd. sen. 

Tagesnachrichten. 

Den Beamten sind entsprechend der ungeheuren Teuerungszunahme 
der letzten Zeit erneut erhöhte Teuernngszuschl&ge bewilligt worden, und 
zwar betragen diese mit Wirkung vom 1. September: für die ersten 10000 M.: 
492 v. H., für die folgenden (Grundgehalt nebst Ortszuscblag): 487 v. H. Dies 
bedeutet eine Erhöhung der Gesamtbezüge von etwa 80 v. H. Mit der Aus¬ 
zahlung ist, nachdem die letzte Nachzahlung für AuguBt (s. diese Zeitschrift, 
Nr. 17, S. 511) schnell vor sich gegangen ist, auch sofort begonnen. 

Die Deutsche Arzneitaxe, die in früheren Jahren alljährlich einmal neu 
herauskam, wobei die jeweiligen Arzneipreise berücksichtigt wurden, bedarf 
schon Beit Jahren fortgesetzter Abänderungen im Laufe eines und desselben 
Jahres, da die Einkaufspreise der Arzneimittel Schwankungen unterliegen, die 
heutzutage oft täglich neue sind — mit der Neigung, fortgesetzt in die Höhe 
zu gehen — und da auch die Bedarfsartikel der Apotheken, namentlich Gläser 
und andere Gegenstände, täglich teurer werden, schließlich auch die allgemeine 
Verteuerung der Lebenshaltung, Steigen der Gehälter und Löhne berücksichtigt 
werden muß. Diese fortwährende Aenderung der Arzneitaxe — deren Preise 
übrigens doch meist bei ihrem Bekanntgeben schon wieder von den Gro߬ 
handelspreisen überholt sind — ist an sich höchst unerfreulich; der Apotheker 
mnß fortgesetzt bei der Austaxierung umlernen, der Arzt weiß auch nicht an¬ 
nähernd mehr ungefähr zu sagen, was diese oder jene Arznei kostet, der 
Patient ist unwirsch, wenn er fortwährend erhöhte Preise zahlen muß. — All¬ 
monatlich erscheint eine neue Taxe, außerdem sind im Laufe dieses Jahres 
bereits 9 Nachträge erschienen, der letzte am 7. September. Während es sich 
bei den bisherigen Nachträgen darum handelte, für die einzelnen Arzneimittel 
je nach der Aenderung der Einkaufspreise (fast stets Erhöhung) Preisände¬ 
rungen (meist Erhöhungen) eintreten zu lassen, für Gläser, Schachteln u. dgl. 
erhöhte Sätze vorzusehen, schließlich auch die Arbeitspreise zur Herstellung 
von Arzneien zu erhöhen, bringt der letzte Nachtrag generelle Zuschläge zu 
den Preisen für Spiritus, spiritushaltige Arzneimittel, Zucker und Sirupe, die 
durch die Preiserhöhung der beiden Grundstoffe bedingt sind. Teuerungs- 
Zuschläge, wie sie eine Zeitlang allgemein für alle abgegebenen Arzneien vor¬ 
gesehen waren, sind seit der August-Taxe nicht mehr zulässig. 

Um einige Beispiele von den jetzt gültigen Arzneipreisen zu geben, 
seien die Preise folgender Berliner Magistralformen angegeben (für je */1 Dosis): 


Liniment. Chloroform. 

66,20 

M. 

4- 

12 

M. i 


Mixt, solvens 

18,20 

7) 

-j- 

18 

n 

für die Flasche, 

Pulv. stomachic. 

104,30 

rt 

-- 

7 

n 

Schachtel 

Ungt. Jodi 

148,80 

n 

-- 

6 

71 

oder Kruke. 

8ol. Morph, hydrochlor. 0,1: 10 

89,60 

n 


8 

n 



(bezw. -j- 24 M.) 


Es wird von mehreren Kollegen auf einen Erlaß des Reichsarheits* 
minlsteriums vom 6. M a i d. J. aufmerksam gemacht, in dem der Herr Reichs- 
arbeitsminister im Einvernehmen mit dem Herrn Reichs-Finanz-, Schatz- und 
Postminister den Versorgungsärzten von Amtswegen veranlaßt« Unter- 



Tagesnachrichten. 


631 


suchungen von Beamten oder Vertragsangestellten des Reichsarbeitsministeriums 
and der nachgeordneten Behörden grundsätzlich übertragen werden and dem 
Brsachen der Reichsfinanz-, Reichsschatz- and Beichspostverwaltang anf Untcr- 
snchungen von Beamten and Angestellten durch Versorgungsärzte stattzageben ist. 
Es wird außerdem die Verfügung einer Oberpostdirektion mitgeteilt, nach 
der keine Bedenken dagegen bestehen, daß die bisher vom Postvertrauensarzt oder 
Staatsmedizinalbeamten auszustellenden ärztlichen Zeugnisse über die körperliche 
Tauglichkeit der Bewerber durch die Versorgnngsärzte aasgestellt werden. 

An diese Mitteilungen wird dann die Befürchtung geknüpft, daß den 
Staatsmedizinalbeamten mehr und mehr die Gutachtertätigkeit zu gunsten der 
Versorgungsärzte entzogen wird, was ihrer Stelluug abträglich sei und zugleich 
ihre Einnahmen schmälere. Es wird dabei darauf aufmerksam gemacht, daß 
die Kreisärzte doch bisher allein zur Abgabe von Zeugnissen von behördlich¬ 
rechtlichem Charakter befugt waren und diese Aufgabe in jahrzehntelanger 
unparteiischer Tätigkeit einwandsfrei erfüllt haben. 

Was soll nun aber dagegen geschehen ? Von Eingaben und Entschließungen 
ist nichts zu erwarten. Ein Recht für die Staatsmedizinalbeamten, auch für 
die Reichsbehörden amtliche Atteste auszustellen, kann nicht in Anspruch ge¬ 
nommen werden. Soweit die fraglichen Gutachten von den Versorgungsärzten 
kostenlos ausgestellt werden — und das soll nach dem Erlaß des Reichs¬ 
arbeitsministers die Regel sein — wird man sogar anerkennen müssen, daß das 
Vorgehen aus fiskalischen Gründen begreiflich ist, da ja die Kreisärzte für 
alle solche Tätigkeit, da sie als vertrauensärztlich gilt, zu liquidieren berechtigt 
sind. Wenn es sich dagegen um Atteste handelt, für die die Untersuchten 
selbst die Kosten zu tragen haben, dürfte es durchaus nicht unbillig sein, 
wenn wenigstens die Staatamedizinalbeamten in gleicher Weise wie die Ver- 
sorgungsärzte auch weiterhin ausdrücklich als Attestaussteller anerkannt würden. 
Aber das ist wohl bisher auch noch der Fall und wird hoffentlich so bleiben! 


Der Sozialpolitische Ausschuß de» Reichstags setzte die Höchstgrenze der 
Krankenversicherung, der Angestelltenversicherung und der Unfallversicherung 
auf 800 000 M. fest. Die Regierungsvorlage hatte nur 200 000 M. vorgesehen. 

Gegen den Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses ist Zeitungs¬ 
nachrichten zufolge seitens der V ereinigung der leitenden Angestellten Protest 
bei der Reichsregierung eingelegt.*) 

In der „Voss. Ztg.“ wird dazu geschrieben, daß einer solchen Erweiterung 
der Versicherungsgrenze sich wohl zu verstehende Widerstände entgegensetzen, 
da schon heute viele Tausende von Mitgliedern der Krankenkassen den Privat¬ 
arzt vor den Kassenarzt vorziehen, weil bekannt sei, daß die Kassenärzte bei 
unzureichender Bezahlung und bei der geforderten Rücksichtnahme auf die 
Kasse (bei Verschreibung von Arzneien) sich nicht so der Kranken annehmen 
können, wie es notwendig wäre. 

Nach Zeitungsnachrichten wird geplant für das Reich ein Institut für 
Gewerbehygiene zu schaffen. Dafür ist die Kaiser-Wilhelm-Akademie für 
ärztlich-soziales Versorgungswesen in Aussicht genommen, in dem alle Vor¬ 
bedingungen für ein solches Institut hinsichtlich Räumlichkeiten, Unterrichts¬ 
mitteln und Sammlungen gegeben sind. 

Man wird Dr. M am lock, der hierüber im Berliner Tageblatt (Nr. 385) 
berichtet, beipfiiehten, wenn er die Gründung eines derartigen Reichsinstituts 
begrüßt, da es sich um ein Gebiet handle, we tatsächlich Einheitlichkeit un¬ 
erläßlich sei, und wenn er meint, daß die bisher auf diesem Gebiet bereits 
vorliegenden wissenschaftlichen und praktischen Ergebnisse in einem zweck¬ 
mäßig geleiteten Reichsinstitnt unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammen¬ 
gefaßt werden könnten, ohne die zum Teil befriedigend arbeitenden Sonder¬ 
einrichtungen zu gefährden. 

Die preußischen Pläne, die nach dieser Nachricht darauf abzielen, ein 
staatliches Institut für Arbeitswissenschaft und Gewerbehygiene zu schaffen, 
würden dann hinfällig sein. 

*) Nachträglich wird bekannt, daß auch der Reichsrat Einspruch erhoben 
hat und daraufhin die Versicherungsgrenze auf 204000 M. Jahreseinkommen 
festgesetzt worden ist _ 



532 


Tagesnachrichten, 


Landesanstalt für Lufthygiene. Mit der industriellen Entwicklung 
eines Staates sind Schädlichkeiten auf dem Gebiete der Wasserversorgung und 
Abwasserbeseitigung und Verunreinigung der Luft untrennbar verbunden. 
Während für das Studium der Schädigungen, die der Wasserversorgung durch 
die Industrie drohen, seit über 20 Jahren die LandesanBtalt für Wasserhygiene 
besteht, die Prüfungen anstellt, um den Zentralbehörden Auskunft zu erteilen 
und einschlägige Gutachten im öffentlichen Interesse zu erstatten hat, fehlt 
es auf dem Gebiete der Lnfthygiene an einer solchen Zentralstelle. Und doch 
ist diese ebenso notwendig, da die Verunreinigung der Luft durch Abgase und 
Staub für Menschen, Tiere und Pflanzen überaus schädlich wirkt. Um so 
erfreulicher ist es, dafl, wie Geh. Medizinalrat Dr. B e n i n d e, der Leiter der 
Landesanstalt für Wasserhygiene, in der „Klinischen Wochenschrift“ mitteilt, 
die preußische Staatsregierung die Landesanstalt für Wasserhygiene in den 
Stand gesetzt hat, vorbereitende wissenschaftliche Arbeiten in Angriff zu 
nehmen, um einen Ausbau der Anstalt in eine solche für Wasser- und Luft¬ 
hygiene zu ermöglichen. Mit den gleichen Fragen beschäftigt sich der Verein 
für Wasser- und Gastwirtschaft in ausgedehntem Maße. 

(Wasser und Gas, 1922, Nr. 89). 

Die Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft hat anläßlich der 
Ueberseewocüe in Hamburg zum ersten Male seit 1914 im Institut für 
Schiffs- und Tropenkrankheiten ihre Tagung abgehalten. Es waren Vertreter 
der Bcicbsregierung, Mitglieder .von Ministerien, befreundete Vertreter aus 
Südamerika, Holland, Niederländisch-Indien und der Türkei anwesend. 


Ueber die Kinderspeisung in Deutschland, die von dem Deutschen 
Zentralausschuß für die Auslandshilfe in Fortsetzung der Quäkerspeisung fort¬ 
geführt wird, entnehmen wir aus dem Korrespondenzblatt des Zentralausschusses 
folgendes: 

Im ersten Halbjahr 1922 wurden 68,5 Millionen Mahlzeiten, durchschnittlich 
täglich 490000 verabreicht. Von den an der 8peisung teilnehmenden Personen 
waren: 93 v. H. Schulkinder, 4,3 Kleinkinder, 1 Mütter, 1,7 Jugendliche. Durch¬ 
schnittlich waren 1560 Ortschaften mit 2500 Küchen und 7600 Speisestellen 
beteiligt. An Lebensmitteln wurden verbraucht 11882 Tonnen (etwa 50 v. H. 
aus Amerika), deren Versicherungswert 334,6 Millionen Mark betrug. 

Die Herstellung einer Mahlzeit kostete durchschnittlich fast 6 M. 

Die Einrichtungen der Kinderspeisung wurden in den vergangenen 
Monaten häufig von amerikanischen Freunden und Förderern des Hilfswerks 
besichtigt. Prof. Dr. Schiedt, der die verschiedenen'Gebiete Deutschlands 
bereist und sich eingehend über die Notstände unterrichtet hat, betonte in 
einem an den Vorsitzenden des Zentralausschusses gerichteten Schreiben, daß 
er sich davon überzeugt habe, daß die Speisungen für wenigstens 400 000 Kinder 
noch für ein weiteres Jahr fortgesetzt werden müssen, und daß es durchaus irrig 
sei, wenn Deutsch-Amerikaner in englischen Zeitungen erklären, daß die Not 
in Deutschland nicht so groß sei, als daß die Kinderspeisung noch weiter not¬ 
wendig sei. 

Es ist erfreulich, festzustellen, daß weiterhin aus dem Auslande Spenden, 
teils von Nahrungsmitteln, teils in bar eingegangen sind, es wird aber auch 
von dem Zentralausschuß darauf aufmerksam gemacht, daß es der Würde und 
dem Ansehen Deutschlands im Auslande nicht entspricht, wenn deutsche 
Propagandareisende und Sammler im Auslande eine „wilde Sammelei“ betreiben, 
wodurch außerdem auch noch die Vereinheitlichung und Konzentration der 
Hilfsaktion beeinträchtigt wird. _ 

Spinale Kinderlähmung. Wie die Tageszeitungen berichten, ist im 
Kreise Marburg a. d. Lahn die spinale Kinderlähmung epidemisch aufgetreten, 
so daß sämtliche Schulen in Marburg geschlossen wurden. Auch sind die 
städtischen Spielplätze, Turnhallen usw. bis auf weiteres der öffentlichen Be¬ 
nutzung entzogen worden. Alle sonst erforderlichen Maßnahmen gegen die 
Ausbreitung der Krankheit sind getroffen. 


Verantwortlich für die 8chrlftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig, Reg.- u. Med.-Rat in Brealaa 
Brealan V, Rehdigeretraße 84. Druck ton J. O. O. Bram, Minden i. W. 





'/' I ’ 

35. Jahrg.Nr.l9. 


ZEITSCHRIFT 


5. Ott. 1922. 


FÜR 


MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prol.dr.RAPM UND. 

Zentralblatt 


fBr das gesamte Gebiet der gerichtllehen Medizin and Psychiatrie, des Staat' 
liehen and privaten Versicherungswesens, sowie fOr das Medizinal' and 
öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene. 

Herausgegeben von 

Med.-Bat Dr. Bandt-Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München, 
Prof. Dr. Raup-München, Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.« 
Bat Prof. Dr. Poppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Bat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rät Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof. 
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Bat 
Prot Dr. Straßmaiul-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollen weher-Dortmund. 


Offizielles Organ des Deutschen. Preusslschen. Bayerischen. Slchslschen. 
Wttrttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen 
und Braunschweigischen Medlzlnalbeamtenverelns. 

Eine Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung. 

Schriftleitung: Verlag: 

Jeh. Med.* Rat Dr. Solbrig, Fischer’s med. Bnchhandlnog H. Kornfeld, 

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35. Jahrg. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


Nr. 19. 


INHALT. 


Abhandlungen: 

Vor» der T^ig-unkr des Vereins' für ÖtfenUteUe 

<»«y°fl Dr. ßnudt . . 533 

Die Kiofi’tbrun^ eines ia den 

bayrischen rrtfatisiftlien. Von Dr. 

Tb. Vi^PfjÄtciu . . . . - .538 

Kleinere Mitteilungren und Referate aua 
Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin. 

F. Xeureitcr uud G. Strassmann: Deber 
die Notwendigkeit <i*r KinfbhjMjrtg' von 
YerwÄltuttg-Mibdukiloin n mit BvrücUsh h- 

Htrung 1 dea lutorpSftDs (irr Ueehts>ptJj;g , e. .553 
F. Straasmaiili. Veher dir Notwendigkeit 
der Kixtfdbrü&g von Vt*t wolmn^i-ek- 


Molltort 5 t; IV her die XotWendigkeit der 

FinfitbeSidg von V erwultung-ssektfoni-n. 554 

Dt. öttf . Viftle; Dildunc von Hilm Atta lü 
den Lunten bei der akuten Asj/byxir 
dmrli Dbofigren.554 

Djt% Pl’OÄj». Mino: Ueb» r die Bextebuticco 

zwUcfrtiAnüetMi« pernivio«.'! ondTrenruu. 554 


Tageanaohriohten . . 

Sprechaaal . 

Beilage 

Me£niiiiftlije^etrZ^ebum*‘ 

Umschlag: 


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Preis : M. 21. 


















36» Jahrg. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


Nr. 19. 


Personalien. 

Deutsches Reich und Preossea. 

Enuits zu Reg.- and Med.-Räten ia Köslin Dr. Licdke, bisher 
ständiger Hillsarbeiter in Arnsberg, in Stade Dr. Mennicke, bisher Kr.-Med.- 
Rat in Oppeln, in Anrich der Kreismedizinalrat Dr. Qeorg Lemke; — snm 
komm. Reg.- and Med.-Rat in Oppeln Dr. Pasch, bisher ständiger Hilfsarbeiter 
in Breslau; — zu Kreismedizinalräten Kreisassistenzarzt Dr. Schnrian in 
Langensalza, Kreisassistenzarzt Dr. Jeske in Wolmirstedt; — zu Kreis¬ 
assistenzärzten in Breelan der Assistenzarzt Dr. Alexander Brntzer and in 
Arnsberg unter Ueberweisang an die dortige Regierung der praktische Arzt 
Dr. Barten. 

Beauftragt mit der Verwaltung der Gerichtsarztstelle in Hannover der 
Privatdozent Dr. Schonkwitz. 

Versetzt: Die Kreismedizinalrite Dr.Speiser in Königsberg in die 
Kreisarztstelle Königsberg Land, Dr. Wildenrath von Daun nach Soest, 
Dr. Geißler von Herzberg nach Insterburg, sowie die Kreisassistenzärste 
Dr.Plenske von Dortmund nach Hattingen und Dr.Steinebach von Köln 
nach Daun. 

In den Ruhestand getreten: Der Reg.- und Med.-Rat Dr. von Decker 
in Köslin, sowie die Kreismedizinalräte Dr. Forstreuter in Königsberg, 
Dr. Paffrath in Cleve, Dr. Meyer in Lennep und Dr. Kluge in Wolmir¬ 
stedt und der Gerichtsmedizinalrat Dr. Brandt in Hannover. 

Bayern. 

Gestorben: Bez.-Arzt Dr. Nothaas in Roding. 

Württemberg. 

Uebertragen: die Stelle des Oberamtsarztes — mit ärztlicher Praxis — 
n Ravensburg dem praktischen Arzt Dr. Heribert Müller in Rottenburg a. N. 

■eoklenburg - Sohwerln. 

Ernannt: zum Kreisarzt in Waren Dr. Kötzow. 


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des Atmung»- und Verdauungsapparates, 

ohne den Blutdruck zu beeinflussen. 

Praktisch be- VVniG#g>n j*der Art und Entstehung 
währt gegen DlI91vH sowie gegen nervöse Störun¬ 
gen der Magen- und Darmtfttlgkelt wie Aufstoßen, 
Sodbrennen, Magen- und Darmneuralgien, Uebelkeit, Erbrechen 
(auch Hyperetnesis gravidarum). 

TftfOmin ist fre * von narkotischer u. drastl- 
1 Ml «Willi scher Nebenwirkung, daher auch bei 
Schwächlichen, Kindern und älteren Leuten ln wirksamer 
Gabe gefahrlos anwendbar. 

Zu verordnen in Tabletten (1 Originalröhrchen mit 
25 Tabletten ä 0,1 g) oder als Mixturen mit aromat. 

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Expectorantien oder Gu&jacolpräparaten. 

Ausführliche Prospekte, Literatur, Re zeptformeln 
sowie Proben kostenfrei durch 

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Gegen Enteritis etc.; evtl, unter Beigabe vor« Tricalcoi 














584 


Dr. Bundt. 


pflege läßt von jeder Tagung eine Niederschrift in ausführlicher 
Breite im Druck erscheinen. So wird es auch diesmal geschehen. 

Ich will heute nur einzelne Eindrücke wiedergeben. Die 
Schilderung des Standes der Wohnungsnot durch Professor 
Morgenrot-München brachte uns nichts Neues. Die Fest¬ 
stellung, daß sie heute im Gegensatz zu früher noch in höherem 
Grade durch das Fehlen von Wohnungsraum und die dadurch 
bedingte Ueberfüllung der vorhandenen Wohnungen hervor¬ 
gebracht ist, als durch die üble Beschaffenheit der Wohnungen, 
war uns als Aerzten bekannt. Das zusammengebrachte Zahlen¬ 
material war trotzdem erschreckend und überzeugend. Wir 
Kreisärzte wissen alle, wie groß die Zahl der Wohnungs¬ 
suchenden in den Großstädten ist, wir wissen aber auch, wie 
viele Menschen immer noch in hygienisch durchaus unzu¬ 
reichenden, feuchten, luft- und lichtlosen Wohnungen hausen, 
ohne nahe Hoffnung auf Wechsel und Besserung. Wir wissen 
ferner, daß dies nicht nur in Großstädten, sondern auch in 
kleinen Orten und selbst auf dem platten Lande der Fall ist. 
So waren uns auch die Tabellen und Bilder des Greifswalder 
Hygienikers Prof. Friedberger, die er in der Aussprache 
brachte, nicht übermäßig überraschend, wenn sie auch einen 
besonders krassen Beleg dafür brachten, wie weit das Wohnungs¬ 
elend bei plötzlichem Anstieg der Bevölkerungsziffer — sie ist 
in Greifswald meines Wissens durch Vergrößerung einer Eisen¬ 
bahnzentralwerkstätte in wenigen Jahren um über 50 °/ 0 ge¬ 
stiegen — und Erschwerung bezw. Verhinderung der Bau¬ 
tätigkeit durch den Krieg und den sogenannten Frieden 
kommen kann. 

Daß auch auf dem platten Lande Wohnungsnot besteht, 
kann ich aus eigener Erfahrung in meinen Ferien in Pommern 
berichten, wo zahlreiche durchaus nicht übermäßig große Guts¬ 
häuser mit Zwangseinquartierung belegt sind. 

Wir wissen endlich aber auch, wieviele an und für sich 
brauchbare Wohnungen durch die unhygienische Art der Be¬ 
wohnung, Absperrung von Luft und Licht, Schmutz und Un¬ 
geziefer unbrauchbar geworden sind und noch gemacht werden. 
Hier ist noch ein weiter Raum für Belehrung in Vorträgen und 
Kursen und pflichtmäßigem Unterricht in der Gesundheitslehre 
in allen Schulen. 

Wenn Prof. Krautwig zugeben mußte, daß es an einer 
schlüssigen Statistik für den Einfluß enger und sohlechter Woh¬ 
nungen auf die Verbreitung von Infektionskrankheiten, vor allem 
der Tuberkulose, ebenso wie auf die Entstehung von Kon¬ 
stitutionskrankheiten fehlt, und wenn Professor Abel dies für 
feuchte Wohnungen bestätigte, so haben beide -diesen Einfluß 
keineswegs geleugnet. Für jeden, der die Art der Uebertragung 
ansteckender Krankheiten, in erster Linie wiederum der Tuber¬ 
kulose kennt, ist es von vornherein klar und selbstverständlich, 
daß die Enge der Wohnungen mit dem dichten Aneinander¬ 
pferchen der Familienmitglieder oft noch mit fremden Unter- 



Von der Tagung des Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege. 535 

mietem, daß Mangel an Luft und Licht, daß Schmutz und 
Ungeziefer die Ansteckungsgelegenheiten fördern, zumal in allen 
diesen Schädlichkeiten konstitutionsmindernde, widerstand- 
schwächende Kräfte liegen. So wird durch sie auch noch die 
Wirkung der Infektion verderblicher, die Heilung der Infizierten 
schwieriger und langwieriger, die Zahl und Giftigkeit der In¬ 
fektionserreger größer. 

Und <nese Schädigungen finden keineswegs ihre Grenze 
bei dem lebenden Geschlecht Sie wirken unter Umständen 
auch über dieses hinaus, verderben das Keimplasma und können 
so zu einer Entartung der Rasse mit beitragen. Solche Töne 
und Mahnungen klangen auch durch die Ausführungen von 
Professor Kaup-München und Professor Kuhn-Dresden. 
Beide haben in kurzen Strichen auch die sittliche Not fast besser 
gekennzeichnet, als Frau Dr. Marie Baum-Karlsruhe, die in 
einem erschöpfenden Referat eine breite Kasuistik brachte. 

Doch ich muß erst zu den Vorschlägen des Bürgermeisters 
Sembritzki-Steglitz kommen. Seinen Standpunkt, daß Bauen 
und immer nur Bauen das einzig wirksame Mittel zu einer 
Bekämpfung der Wohnungsnot ist, teile ich in vollem Umfange. 
Alle anderen Mittel, vor allem Zwangswirtschaft und Zwangs¬ 
einquartierung, sind nur wie ein Pflästerchen auf eine das 
Leben bedrohende Wunde. Sie vermögen keine Heilung zu 
bringen. Sie schaden nur, auch darin stimme ich dem Redner 
bei, dadurch, daß sie den Blick ablenken von dem einzig rich¬ 
tigen Heilmittel der Beschaffung neuer Wohnungen um jeden 
Preis, wie ein Kurpfuscher, der durch seine falschen Heilmittel 
den vertrauenden Kranken abhält, sich rechtzeitig dem Arzt 
und seiner wirksamen, wenn auch öfters radikalen Heilmethode 
anzuvertrauen. Auch Sembritzkis Vorschlag ist radikal. Er 
will eine Wohnungssteuer bis zu 1000 °/ 0 der Friedensmiete er¬ 
heben, um die nötigen Baugelder aufzubringen. Das ist freilich 
hart. Hart für die Mieter, insonderheit die Rentner und die 
Festbesoldeten, die nicht ohne weiteres die Möglichkeit haben, 
ihre Einnahmen entsprechend dem neuen Zwängsaufwand für 
das Wohnen zu steigern. Diese werden mit neuen berechtigten 
Ansprüchen auf Erhöhung des Gehaltes und Lohnes kommen 
und den Rentnern wird man Erleichterungen bezw. Befreiungen 
gewähren müssen. Der Staat wird aufs neue in den Säckel 
greifen und einen Teil der Mietssteuer wiederum für Erhöhung 
der Gehälter drangeben müssen. Bedenken genug, aber es 
geht wohl nicht anders, nachdem man es versäumt hat, von 
vornherein großzügige Wohnungspolitik zu treiben. Die Mög¬ 
lichkeit der Zwangseinquartierung ist nach Angabe derer, die es 
wissen müssen, ausgeschöpft und als beamteter Arzt hat man 
sie mit allen ihren hygienischen und ethischen Nachteilen von 
vornherein nur in ganz beschränktem Umfange als einen kümmer¬ 
lichen Notbehelf empfehlen können. 

Wie wird es nun aber mit den kinderreichen Familien? 
Will man sie, wie schon so oft, auch jetzt bei der hohen 



536 


Dr. Bundt. 


Wohnungssteuer wiederum für ihre treue Pflichterfüllung gegen 
Staat und Rasse bestrafen? Will man die Erzeugung und die 
Aufzucht zahlreicher Kinder, die uns zur Erhaltung unserer 
Volkskraft so dringend not tut, gering achten und nicht unter¬ 
stützen in einer Zeit, wo die soziale Fürsorge sich nicht nur 
der körperlich und geistig wertvollen Glieder unseres Volkes, 
sondern auch der Minderwertigen in unermüdlicher Arbeit an¬ 
nimmt? Die Kinderreichen brauchen notgedrungen die größeren 
und teureren Wohnungen, sie zahlten und zahlen die höheren 
Mieten und werden nun die höheren Steuern zahlen müssen, 
wenn ihr Steuersoll nicht in einer mit der Kinderzahl steigenden 
Höhe verringert wird. Das ist eine dringende hygienische 
Forderung, die wir hiermit erheben. 

Alle diese Bedenken hat auch wohl Professor Kaup ge¬ 
habt, wenn er eine die Wohnungsnot schnell und ausreichend 
beseitigende Bautätigkeit nicht von vornherein für sicher hält. 
Er will für die in engen Wohnungen Zusammengeschlossenen 
die nötige Bewegung, Luft und Licht und den Zusammenhang 
mit der Natur durch ausreichende Sport-, Spiel- und Erholungs¬ 
plätze gesichert wissen. Er weist dabei auf das Vorbild von 
England hin, das, trotz seiner geringen Wohnungsdichte durch 
das Vor wiegen des Einfamilienhauses in seinen Städten, das 
5—10 fache an freien Plätzen hat wie Deutschland. 

Aber ich meine, wir sind hier nicht so gut daran wie das 
reiche England, das genügend Nahrungsmittel aus dem Aus¬ 
lande kaufen kann. Mit der Sorge für Sport und Spiel tritt 
bei uns die Sorge für die Ernährung in Wettbewerb, die keine 
ungemessene Entziehung von Kulturland duldet. 

Auch die Besprechung der Nützlichkeit der Schreber¬ 
gärten, der städtischen, halbstädtischen und ländlichen Sied¬ 
lungen, des Flachbaues und Hochbaues fand hier ihre Stätte. 

In der Schlußbesprechung trat ziemlich zuletzt noch ein 
städtischer Baubeamter auf, den Namen verstand ich leider 
nicht. Er ging von der Erwägung aus, daß ein verarmtes Volk 
im Elend nicht weniger, sondern mehr, als früher im Wohl¬ 
stand, arbeiten müsse, um wieder hochzukommen. Es dürfe 
seine Arbeitszeit daher nicht allgemein auf 8 Stunden festlegen. 
Er empfahl zur Aufbringung der nötigen Baukosten bis zur 
Abstellung des Wohnungselendes und bis zum Beginn des Auf¬ 
stieges überhaupt eine Verlängerung der gesetzlichen Arbeits¬ 
zeit auf 10 Stunden. Er berechnete, daß hierdurch die nötige 
Summe aufgebracht werden könne, um j ährlich200000Wohnungen 
zu bauen, für welche auch die Möglichkeit der Beschaffung der 
nötigen Baustoffe bestände. 

Einem lebhaften Beifall untermischte sich von einzelnen 
Seiten ein lebhafter Widerspruch. 

Die Frage des Achtstundentages ist ja von dem gesund¬ 
heitlichen Gebiet fast völlig auf das politische gerückt. 

Aber ihr Geist ist die hygienische Bedeutung für uns 
wenigstens, die wir politische Fragen aus aller Gesundheitspflege 



Von der Tagung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. 537 

ausgeschaltet wissen wollen, nicht genommen. Ohne Zweifel hat 
sie gesundheitliche Wichtigkeit nicht nur für das zurzeit lebende, 
sondern auch für das kommende Geschlecht, ist also auch eine 
rassenhygienische Frage, wie einer der unsrigen, Kollege Kühn- 
1 ein-Merseburg, in einer kollegialen Nachsitzung mit Recht be¬ 
tonte. Ein gesundheitsfördernder Einfluß der verkürzten Arbeits¬ 
zeit an und für sich ist unzweifelhaft. Aber so einfach ist die Frage¬ 
stellung für den Hygieniker, der allein hier zu Worte kommen 
soll, in diesem Augenblicke und in diesem Zusammenhänge 
nicht. Man muß hier doch in vorsichtiger Abwägung alles Für 
und Wider die Frage so stellen: 

Liegt der größere gesundheitliche Vorteil in einer ver¬ 
kürzten Arbeitszeit oder in der Beschaffung einwandfreier 
Wohnungen und ausreichender Ernährung bei längerer Arbeits¬ 
zeit, wenn diese den Bezug von Nahrungsmitteln aus dem Aus¬ 
land und die Herstellung von genügendem Wohnraum ermög¬ 
licht? Oder anders herum, was schädigt mehr, eine vorüber¬ 
gehende nicht übermäßige Erhöhung der Arbeitszeit, oder ihangel- 
hafte Ernährung und unhygienisches Wohnen? 

Es würde zu weit führen, wenn ich jetzt versuchte, diese 
Frage erschöpfend zu behandeln, aber ich muß doch sagen, daß 
ich von einer vorübergehenden stärkeren Belastung mit körper¬ 
licher oder geistiger Arbeit, wenn es sich nicht gerade um 
Giftwirkungen handelt, keine Verschlechterung der Volkskraft 
im weitesten Sinne befürchte. 

Die Verhandlungen haben uns keine fertigen Pläne ge¬ 
bracht, aber sie gaben mancherlei Anregungen und zeigten die 
Bereitwilligkeit der verschiedensten Sachverständigen, dieKeichs- 
und Landesregierungen bei ihrem Kampfe gegen Wohnungsnot 
und Wohnungelend zu unterstützen. Möge ihr Rat und ihre 
Arbeitswilligkeit bei diesen freudige Aufnahme zum Besten 
unseres Volkes und Vaterlandes finden. 

Neben der Arbeit für das Allgemeinwohl kamen auch 
Standesbelange in den Frankfurter Tagen zu ihrem Rechte. 

Die Kommunal-, Fürsorge- und Schulärzte haben sich zu 
einem Verbände zusammenschlossen. Wir haben in Ausführung 
von Beschlüssen der Hauptversammlungen in Nürnberg und 
Magdeburg unsere Bereitwilligkeit erklärt, mit ihnen in eine 
Interessengemeinschaft zu treten zu gemeinsamer Abwehr von 
Angriffen auf die Stellung und die Arbeitsgebiete der angestellten 
und beamteten Aerzte und zur Vermeidung und Schlichtung 
von Streitigkeiten, natürlich unter Wahrung der vollen Selbst¬ 
ständigkeit beider Teile. 

Die Versammlung, an der auch eine beträchtliche Anzahl 
von staatlichen Medizinalbeamten teilnahm, gab uns eine hoch¬ 
willkommene Gelegenheit zur Aussprache über manche amt¬ 
lich^ wirtschaftliche und wissenschaftliche Fragen. Wir sind 
außerhalb der Sitzungen mittags und abends fast stets zusammen 
gewesen und haben das Band des Zusammenhaltes nicht nur 
unter den Standesgenossen, sondern auch unter den Menschen 



638 


Dr. Tb. Viernstein. 


enger geknüpft. Die Frankfurter Kollegen waren uns dabei 
bereitwillige Führer. Dafür danken wir ihnen. Sie haben viel 
dazu beigetragen, daß uns die Stunden in Frankfurt trotz der 
Regenfluten, die in den Tagen der Versammlung fast dauernd 
über die schöne, an prächtigen Bauten und geschichtlicher Er¬ 
innerung so reiche Stadt herunterströmten, in gutem Andenken 
und in lieber Erinnerung bleiben werden. 


Die Einführung eines Stnfensystems in den 
bayrischen Strafanstalten. 

Von Dr. Th. Viernstein^ b&yr. Medizinalrat, Leiter der Kranken- und Irren- 
abteilang beim Zachtbaase Straubing. 

Das bayrische Staatsministerium der Justiz verwirklicht 
den schon länger erwogenen Gedanken, in den Strafanstalten 
ein „StufenSystem“ derart einzuführen, daß die zur Straf¬ 
verbüßung Zugehenden zunächst der untersten, durch Strenge, 
Mangel an Vergünstigung gekennzeichneten Stufe zugeteilt 
werden, dann bei Anzeichen günstiger Strafeinwirkung in eine 
durch Ge Währung, von Vergünstigungen erleichterte Mittelstufe 
vorrücken, und bei weiterer Bewährung in die, eine Ueber- 
leitung zur nahenden Freiheit darstellende oberste Stufe ein¬ 
gereiht werden können. 

Die Durchführung im einzelnen kann vorerst unerörtert 
bleiben gegenüber dem Prinzip, mit dem ein Novum ge¬ 
schaffen werden wird für Bayern. 

Im Verfolge dieser Absicht waren von Seite des Staats¬ 
ministeriums zunächst Anregungen ergangen, zu welchen gut¬ 
achtlich die Oberbeamten der Strafanstalten gehört worden 
waren. 

Das angesaramelte Material von Stellungnahmen hat sich 
nunmehr zu einer Entschließung des Justizministeriums vom 
2. August 1922 verdichtet, laut welcher bis zum 1. Oktober — 
„nach allgemeinen Richtlinien und ohne Einzel Vorschriften“ — 
ein „sehr begrenzter Versuch“ zur praktischen Durchführung 
gemacht werden solle, um „langsam, schrittweise, allmählich 
eine tragfähige Grundlage für den Aufbau des Systems zu ge¬ 
winnen“. 

Wir stehen damit vor einem Wendepunkt in der Ge¬ 
schichte des bayrischen Strafvollzuges. 

Bei der Tragweite der beabsichtigten Maßnahme für die 
ihr Unterworfenen bedarf es für den Strafanstaltsarzt keiner 
Begründung, wenn er die Erfahrungen seiner Wissenschaft in 
die Wagschale zu werfen sich verpflichtet fühlt in einer An¬ 
gelegenheit, welche sich mindestens in erheblichem Maße auf 
Erwägungen gründet, die ins biologische und psychiatrische 
Gebiet einschlagen. 

Da ein Interesse an dieser Frage für die Amtsärzte vor¬ 
liegt, möchte ich die nachstehenden persönlichen An- 



Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 589 

Behauungen über bestimmte unerläßliche Voraussetzungen 
und Grundlagen des Stufensystems dem Leserkreise der Zeit¬ 
schrift für Medizinalbeamte unterbreiten. 


I. 

Um die Definierung des Verbrechens und des Verbrechers, 
der Entstehung und Verursachung kriminellen Geschehens inner¬ 
halb des Gemeinschaftslebens war von jeher ein nach dem 
augenblicklichen Stand des objektiven Wissens und der zeit- 
strömigen subjektiven, moralisch-ethischen, religiösen, juristischen 
Einstellungen wechselvoller Streit im Gang. 

Die neuere Zeit hat unter Abgang von veralteten Theorien 
zwei Richtungen herauskristallisiert: die durch v. Liszt ver¬ 
tretene sozialökonomische Theorie einerseits, die biologisch¬ 
psychiatrische Theorie andererseits. 

Erstere leitet das Verbrechen von sozialen Bedingungen ab, besonders 
von der schweren ökonomischen Lage der Bevölkerung: Große soziale Um¬ 
wälzungen, revolutionäre Bewegungen führen zu einem Anstieg des Ver¬ 
brechens; zwischen Marktpreisen und Eigentumsdelikten besteht ein Paralle¬ 
lismus; endlich tritt beim Verbrechen die Beteiligung niedriger und armer 
Volksschichten, der Einfluß des Alkoholismus, des Kumas und der meteoro¬ 
logischen Verhältnisse klar zu Tage. 

Bei dieser Betrachtungsweise werden die Milieufaktoren, exogene Ein¬ 
flüsse, von der Umwelt stammend und auf das individuelle Ich wirkend, der 
ausschließlichen Ursächlickkeit bezichtigt. 

Die zweite, biologisch-psychiatrische Bichtung verschließt sich der Beweis¬ 
kraft der von der sozialökonomischen Schule vorgebraebten Tatsachen nicht, 
hält sie aber für unzulänglich zur befriedigenden Klärung so verwickelt 
liegender Zusammenhänge. 

Mit Becht bemängelt von Bechterew 1 ), der Petersburger Gerichts¬ 
psychiater, daß Liszt und seine Schule innerhalb all dieser einwirkenden 
äußeren Momente die Person des Verbrechers nicht berücksichtige, und daß 
sie übersehe, daß der verbrecherische Mensch keineswegs als ein „willenloser 
Automat im allgemein determinierten Erscheinungswechsel“ betrachtet werden 
könne. Eine subjektive Betrachtungsweise, welche das Verbrechen auch als 
einen Willensakt ansehe, sei nötig. Zu den äußeren Faktoren trete 
das subjektive Ich des Verbrechers, und erst dadurch würde 
er ein solcher. 

Er führt weiter in seiner Kritik der Lisztschen Schule an: 

Not und Alkoholismus führen trotz der Mitwirkung der sozialökonomischen 
Faktoren nicht immer zum Verbrechen: es gibt Menschen, welche in der 
äußersten Not lieber von Almosen leben oder Hungertod und Selbstmord 
vorziehen. 

Die genannten Faktoren erklären auch nicht das Vorkommen von Ver¬ 
brechen in wohlhabenden Kreisen, Verbrechen, welche durch „leichtsinnige und 
geringschätzige Beziehung zum fremden Eigentum bedingt sind“. Auch werden 
Affektverbrechen, die der Gewinnsucht ermangeln, nicht erklärt, noch auch 
jene Verbrechen, welche als „Akte eines Kampfes mit einer offenbaren Un¬ 
gerechtigkeit oder eines Protestes gegen dieselbe“ aufznfassen sind. Weiter¬ 
hin finden durch sozialökonomische Faktoren keine Aufklärung die infolge 
„Suggestion oder Nachahmung“ begangenen Verbrechen, schließlich kann uns 
die Statistik nicht sagen, warum ein ökonomischer Notstand in einem Falle 
einen Diebstahl, im andern einen Mord hervorruft. Die sozialökonomischen 
Verhältnisse allein bestimmen also auch den Charakter des Verbrechens nicht. 


*) v. Bechterew: Das Verbrechertum im Lichte der objektiven 
Psychologie, Wiesbaden 1913. 



540 


Dr. Tb. Viernstein. 


Die allgemeinen Faktoren sind daher, wie v. Bechterew 
sich ausdrückt, nur disponierend, nicht bestimmend. 

Bei dieser Anschauung gelangt er zur Forderung, außer 
der Umgebung auch die individuellen Besonderheiten 
der Verbrecherpersönlichkeit in streng objektiver Weise 
zu untersuchen. 

Er legt Gewicht auf Feststellung folgender Momente: 

a) Mißverhältnis zwischen den Lebensbedingungen und 
den notwendigsten Bedürfnissen. 

b) Beseitigung der hemmenden Familien- und Gesell¬ 
schaftseinflüsse. 

c) Einfluß von Verführung und einer günstigen Umgebung. 

d) Störung des persönlichen Verhältnisses zur Umgebung. 

e) Beeinflussung durch Tat und Wort, Beispiel, Nach¬ 
ahmung, Rat, Ueberredung, Suggestion, Verweilen im Gefängnis. 

f) Akute Berauschtheit. 

g) Einfluß der Gesetzgebung (Prävention): Angst vor 
Strafe ist untauglich zur Herabsetzung des Verbrechertums, 
weil der Täter bei überlegter Tat zuerst daran denkt, den Ma߬ 
nahmen der Justiz zu entgehen, während bei imüberlegter Tat 
der Täter im Moment der Vollziehung an die Strafandrohung 
gar nicht denken kann. 

h) Die geistige Entwicklung des Verbrechers: unzweifel¬ 
hafte Häufigkeit deutlicher Abweichungen bei Verbrechern von 
der mittleren menschlichen Norm im Sinne der Debilität und 
irgendwelcher anderer Störungen der neuropsychischen Sphäre, 
welche das Verbrechen begünstigen. 

i) Mangel der sittlichen Erziehung: Erziehungseinflüsse 
bedingen hervorragend auch die individuellen Besonderheiten. 

k) Erbliche Degeneration: unter den Verbrechern gibt es 
Degenerierte im wahren Sinne, welche mehr dem Gebiete der 
Psychiatrie als der Justiz angehören, obwohl sie keine Geistes¬ 
kranke sind. 

l) Pathologische Zustände der neuropsychischen Sphäre: 
Epilepsie, Geisteskrankheiten. 

m) Körperliche Gesundheitsschwäche: Aehnlich der geistigen 
Debilität verursachen körperliche Schwäche, Krankheit, Greisen- 
alter, Geburten etc. Arbeitsunfähigkeit und dadurch Pauperismus, 
welch letzterer „als die soziale Form der körperlichen Degene¬ 
ration“ bezeichnet werden kann. 

Diese Thesen decken sich mit dem Standpunkt der erb¬ 
biologischen Wissenschaft, welche, allgemein ausgedrückt, den 
Phänotyp des Menschen als eine Verflechtung der genotypischen 
Erbkonstitution mit konstellativen, erworbenen Eigenschaften 
auffaßt und ihn zum Milieu in Beziehung setzt. 

Kahn 1 ) sagt: „Der Organismus lebt in seiner erbkonstitutioaeU-kons teils* 
tiven Gesamtverfassung (phänotypische Konstitution Siemens) dauernd unter 
den Einfl&88en des Milieus, der Milieufaktoren.* 


*) Zeitschr. f. d. gee. NeuroL u. Psjck, Bd. 74, S. 70: „Ueber die Bedeutung 
der Erbkonstitution etc*. 



Die Einführung eines Stutensystems in den bayrischen Strafanstalten. 541 


Derselbe*) präzisiert den gleichen Gedanken an anderer Stelle folgender* 
maßen: .Jeder Organismus hat einen durch Vererbung überkommenen Fundus 
▼on „endogenen“, konstitutionellen (erbkonstitutionellen) Reaktionsmöglich¬ 
keiten, deren Summe wir mit Johannsen als genotypische Reak¬ 
tionshorm bezeichnen. Alle Eigenschaften oder weiter ge¬ 
faßt alle Lebensäußerungen des Organismus sind im Grunde 
genommen irgendwie an seine genotypische Reaktionsnorm 
geknüpft: sind Antworten, Reaktionen dieserNorm im weite¬ 
sten Sinne. Nach Johannsens Begriffsfassungen sind alle Erscheinungs¬ 
formen, alle Phänotypen, milieubedingte Realisationen der genotypischen Reak¬ 
tionsnorm“. 

Da diese Wechselwirkung zwischen „Ich“ und „Außen¬ 
welt“ wie für jeden, so auch für den kriminellen Volksgenossen 
gilt, werden wir dessen Persönlichkeit offenbar nur durch eine 
subtile Untersuchung beider Faktorenreihen auf dem Wege der 
Einzelanalyse zu klären versuchen können. 

Mit anderen Worten: Das Verbrecherproblem ist 
im eigentlichsten Sinne des Wortes eine biologische, 
und zwar hauptsächlich erbbiologische Frage. 

Darin liegt nach ärztlichem Ermessen die zentrale Stellung 
begründet, welche dem naturwissenschaftlich orientierten Denken 
bei der Betrachtung des Verbrechens zukommt. 

Wir wissen weiterhin, daß die normale psychische Organisation des 
Menschen „als unverkennbares Grundphänomen“, wie Birnbaum 4 ) sich aus- 
drückt, die Tendenz zeigt, „daß sie mit ihren Verrichtungen neben individuellen, 
der Icherhaltung und -Förderung dienenden Funktionen auch solche über¬ 
individueller Art: gemeinschaftserhaltende und -fördernde ausübt“. Zu diesen 
die allgemeinen Beziehungen zur Gmgebungjim Sinne der Adaption kontrollierenden, 
regulierenden und dirigierenden allgemeinen seelischen Verrichtungen treten 
noch bestimmte psychische Spezialfunktionen hinzu, die man geradezu als 
exquisit und spezifisch „sozialpsychische“ ansprechen darf, in¬ 
sofern ihnen direkt und unmittelbar soziale Aufgaben zukommen: „die sogenannten 
höheren, ethischen, altruistischen, sozialen usw. Gefühlselemente mit ihren 
charakteristischen, lediglich im Gemeinschaftsinteresse wirksamen psychischen 
Tendenzen“. 

„So deckt sich die natürlich aufgebaute, normal an- 

f elegte Psyche in gewissem Sinne mit einer sozialadaptions- 
ähigen seelischen Konstitution.“ 

Auf der anderen Seite steht fe s t, daß bei ganz großen und wichtigen 
pathologischen Formkreisen dieser psychische Oberbau mit seinen sozial¬ 
psychischen Direktiven Not leidet entweder primär durch Stehenbleiben auf 
sozialpsychisch minderwertiger Stufe oder sekundär, nachträglich, durch Ab¬ 
bau und Rückgang einer ursprünglich vollwertigen psychischen Organisation 
auf ein tieferes sozialpsychisches Niveau. 

Birnbaum sagt im Verfolge dieser Feststellung: „Allgemeine und 
enge Beziehungen zwischen sozialer Unzulänglichkeit bezw. 
sozialem Versagen und psychischen Anomalien sind grund¬ 
sätzlich anzunehmen.“ 

Wenn nun Jehring 5 ) sagt: „Verbrechen ist die von 
Seite der .Gesetzgebung konstatierte, nur durch Strafe abzu¬ 
wehrende Gefährdung der Lebensbedingungen der Gesellschaft“ 


*) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych., Bd. 76, S. 2T6: „Zur Frage des 
schizophr. Reaktionstypus“. 

*) Krimin.-Psychopathol., 1921, Berlin, beiSpringer, S. 14/15. 

B ) Zit. nach Kaufmann: Psychologie des Verbrechens,Berlin, 1912, S. 1. 



542 


Dr. Th. Viernsteiu. 


oder wenn Joly 1 ) als Verbrecher einen Menschen anspricht, 
„der sein Verhalten zu anderen Personen von seinen Leiden¬ 
schaften bestimmen läßt und dabei weder Mut noch Geduld 
zum gesetzlichen und ehrlichen Kampf besitzt,“ so sind wir 
durch diese Begriffsumschreibung von Juristen im Zusammen¬ 
halt mit dem dargelegten Phänomen der sozialpsychischen Voll- 
bezw. Minderwertigkeit bereits mitten im ureigensten 
Gebiete der Psychologie bez w. Psychiatrie 4 angelangt. 

Nicht nur der Erbbiologe, das ist die logische Schlu߬ 
folgerung, sondern, noch enger, der Psychiater ist es, dem also 
nach Definitionen rechtswissenschaftlicher Größen doch minde¬ 
stens ein erheblicher Anteil an der Bewertung kriminellen Ge¬ 
schehens zusteht. 

In der Tat wächst die Wertschätzung psychiatrischer Mit¬ 
arbeit auf forensem Gebiete, wenn freilich die Furcht vor 
„Pychiatrisierung“ insbesondere des Strafvollzuges nicht völlig 
gebannt erscheint. Nicht Psychiatrisierung ist angestrebt, 
sondern eine den kriminellen Menschen als biologisches und 
biopathologisches Wesen tunlichst klärende Aufsuchung und 
Zusammenfassung von Einzeltatsachen und Tatsachenkomplexen, 
deren weitere formale, strafrechtliche bezw. strafvollzugliche 
Verarbeitung nicht Sache des Arztes, sondern des Juristen ist! 

Zusammenfassend ist zu sagen: 

1. Das Verbrechen ist eine biopathologische Erscheinung; 
es kommt zustaude durch Wechselwirkungen zwischen erb- 
konstitutionell-konstellativ bestimmt gearteten Elementen und 
deren Milieufaktoren. 

2. Dem biologischen Denken gebührt ein maßgebender 
Einfluß auf die Auffindung und Klärung der in jedem Einzel¬ 
falle gegebenen besonderen Verhältnisse. 

II. 

Die erbbiologisch und individualpsychologisch definierte 
grundsätzliche Einschätzung der Rechtsbrecher hat nichts mit 
den engeren Begriffen der Psychopathie bezw. Geisteskrankheit 
im klinischen Sinne zu tun, für deren Gegebensein Zustands¬ 
bilder bereits erheblicher pathologischer Ausprägung zu fordern 
sind. Der Einwurf, die Aerzte gefährdeten durch Zubilligung 
nicht zurechnungsfähiger Geistesverfassungen die Rechtsgrund¬ 
lagen, ist schon aus pathognostischen Ueberlegungen ab- 
wegig, abgesehen davon, daß Arzt wie Jurist in der Erkenntnis 
der Notwendigkeit einer ahndenden Beeinflussung von Rechts¬ 
brechern aus psychologischen, erzieherischen und sichernden 
Gründen einig gehen. 

Aber selbst unbeschadet der Einsicht, daß ein — wohl 
größerer — Bruchteil der Rechtsbrecher nicht zu den psyeho- 
pathologischen Elementen im eigentlich klinischen Sprach¬ 
gebrauch zählt, erkennt der Sachverständige in allen Straf- 

Bei v. Bechterew. 



Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 543 

anstalten eine Menge Persönlichkeiten auoh der zweiten Art: 
Psychopathen aller Formen und Geisteskranke. 

Das gleiche Bild ergibt die psychiatrische Untersuchung 
einzelner Verbrecherkategorien für sich. 

Unter Verzicht auf Wiedergabe von älteren Ziffern aus 
den seit Jahrzehnten vorliegenden Massenstatistiken möchte 
ich, zum Teil aus bayrischen Anstalten schöpfend, bloß folgendes 
anführen: 

E. r. Nemeth®) fand u. a., daß ein Fünftel der Verurteilten in der 
Detention diszipliniert werden mußte, und hiervon die Mehrzahl degeneriert war. 

Nach Morel®) waren von 496 Bückfälligen 174 Trinkerabkömmlinge, 125 
zeigten 8puren angeborener oder vererbter Degeneration, nur 98 wiesen nichts 
Abnormes auf. Die Mehrzahl der Büchfälligen bestand aus Entarteten bezw. 
geistig Zurückgebliebenen. 

Im Zuchthause Kaisheim zählte ich unter rückfälligen Eigentums¬ 
verbrechern 1910 13'/° Irr« and 12,5 */• Psychopathen ausgeprägter Typen, 
ungerechnet die „leichteren“ Fälle. 

In der gleichen Anstalt fanden sich 1911 7 ) unter 215 Zugängen 40,46 °/o 
erblich Belastete, 82 Mann waren chronische Alkoholisten, 65 hatten körper¬ 
liche Degenerationszeichen. 

Ebendort befanden sich 1914®) von 40 Mördern 12 im Zustand fort¬ 
schreitender Haftverödung, 9 waren geisteskrank, 12 ausgesprochen psycho¬ 
pathisch und nur 7 „normal“. 

Unter 112 während des Krieges kriminell gewordenen ehemaligen Heeres¬ 
angehörigen im Zuchthause Straubing *) fanden sich 51 mit Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten familiär Belastete, 35 Trinkerabkömmlinge, 85 mit familiärer 
Kriminalität, 3 Kopftraumatiker (aus der Jugendzeit), 18 Neurastheniker, 8 Epi¬ 
leptiker, 2 geisteskrank Gewordene, 23 Debile bezw. Imbezille. 

Bixen 10 ) sagt: „Die kriminelle Physiognomie der Gegenwart erhält 
durch die zahlreichen psychopathischen Persönlichkeiten unter den Verbrechern 
da wesentliches und charakteristisches Gepräge, und nach meinen Erfahrungen 
hat unter dem Einflasse des Krieges und seiner Folgen die Zahl der psycho¬ 
pathischen Verbrecher noch ganz erheblich zugenommen, so daß dieselbe 
mindestens 80°/o unter sämtlichen Gefangenen beträgt.“ 

Zusammenfassend ist festzustellen: 

1. In allen Strafanstalten ist mit einem bedeutenden 
Prozentsatz psychopathologischer Insassen aller Formen und 
Grade zu rechnen. 

2. Erkennung und Typisierung derselben ist die wichtigste 
ärztliche Aufgabe im Strafanstaltsdienst. 

III. 

Die 8trafvollzugliche Behandlung verurteilter Rechtsbrecher 
ist umschrieben durch die vom Strafgesetz beabsichtigten 
„Strafzwecke“: Vergeltung, Unschädlichmachung, Abschreckung, 
Besserung. 

Die klassische Strafrechtsschule hält nun daran fest, für 


®) Zit. nach Birnbaum: Die psychopath. Verbr., Berlin 1914, S. 20. 

7 ) Viernstein: Aerztliche Untersuchungen an Kaish. Gefangenen, 
Münch, med. Wochenschrift, 1911. 

®) Viernstein: Eigenschaften und Schicksale usw., Zeitschrift für 
Medizinalbeamte, 1914. 

*) Viernstein: Ueber kriminell gewordene Heeresangehörige, Blätt. 
für Gefängnis künde, 1920. 

**) Bixen: Die gemeingefährlichen Geisteskranken, Berlin, 1921, bei 
Springer, 8.120. 



544 


Dr. Th. Viernstein. 


Strafmaß und Strafart lediglich die Eigenart der Straftat 
in Betracht zu ziehen, so daß die Aufgabe des Gesetzes in der 
Vergeltung bestehe. 

Die jungdeutsche Kriminalistenschule fordert dagegen, daß 
sich die Rechtssprechung der Eigenart der Verbrecher¬ 
gruppen anpasse :Abschreckung der Augenblicks Verbrecher, 
Besserung der Besserungsfähigen, Unschädlichmachung 
der unverbesserlichen Zustands Verbrecher. 

Heute und künftighin beherrscht jedenfalls der Besse¬ 
rungs- und Sicherungsgedanke das Feld. 

Ihm vermag sich auch das medizinische, psychologisch- 
psychiatrische Denken anzupassen. 

Wir Aerzte werden daher jede strafvollzugliche Neuerung 
fördern, welche den Angriffspunkt in dem uns geläufigen bio¬ 
logischen Erkenntnisbereich hat, also von kriminalpsychologischen 
bezw. kriminalpsychopathologischen Erwägungen ausgeht. 

Und dies ist der Fall beim „Stufensystem“. Unsere aller¬ 
dings vorsichtig abzuwägenden Erwartungen werden nur er¬ 
füllt werden, wenn entsprechend der gegebenen und begrün¬ 
deten Darlegung das „Stufensystem“ auf die einzig richtige 
und einzig mögliche, nämlich die naturwissenschaft¬ 
liche Basis gestellt und aus ihr herausgebaut wird. 

IV. 

Das „Stufensystem“ verkörpert psychologisch, indem es 
durch selbsterziehliche Möglichkeiten den eigenen Resöziali- 
sierungswillen des Rechtsbrechers in den Brennpunkt der straf¬ 
häuslichen Einwirkungen stellt, ausschließlich den Strafzweck 
der Besserung. 

Die Erkenntnis der bescheidenen Erfolge der bisherigen 
Strafvollzugsmethoden hinsichtlich Dauerresozialisierung — die 
Rückfallziffern in den Straflisten zerstören jeden Optimismus — 
mag zum „Stufensystem“ mit hingedrängt haben. 

Auch von ihm aber wird eine Aenderung des kriminellen 
Bildes angesichts der kompliziert gelagerten inneren und äußeren 
Verhältnisse in der Genese der Kriminalität nur mit Reserve 
zu erwarten sein. 

üeber das Pro und Kontra des Progressivsystems, das sich in England, 
Amerika, von deutschen Staaten in Sachsen vornehmlich eingebürgert hat, 
weiterhin über die Art der technischen Durchführung im einzelnen zu reden, 
ist der Rahmen der vorwürfigen Arbeit zu knapp. Ich verweise auf die 
kritischen Darlegungen Kriegsmanns n ), ferner auf den Aufsatz Gablers'*), 
endlich auf jenenHartwigs '*), um nur einiges aus der einschlägigen Literatur 
zu erwähnen. 


u ) Kriegsmann: Einführung in die Gefängniskunde, b. Winter, 
Heidelberg, 1912, S. 197 u. ff. 

'*) Gabler: Begriff des progressiven Strafvollzugs, Blätter für Ge¬ 
fängniskunde, Bd. 64, S. 147. 

M ) Hartwig: Eine neue Zuchthaus-Ordnung in Argentinien. Blätter 
für Gefängniskunde, Bd. 49, S. 98 ff. 



Oie Einführung eines Stofensjstems in den bayrischen Strafanstalten. 545 


Y. 

Für den bayrischen Strafvollzug, der die ersten Schritte 
zum Stufensystem zu tun sich anschickt, ist augenblicklich d i e 
Stellungnahme zu prinzipiellen Vorfragen das wich¬ 
tigste, nachher erst die praktische Durchführung. 

Eine der Vorfragen, die Hauptfrage sozusagen, habe ich 
vom Gesichtskreis des Arztes aus in obigen Darlegungen zu 
erörtern versucht: die Notwendigkeit, die Neuerung biologisch¬ 
psychologisch zu orientieren. 

Dem Arzt drängt sich als logische Voraussetzung fürs 
Stufensystem noch eine zweite Vorfrage auf, jene nämlich, im 
Strafvollzüge die durch das Progressivsystem Besserungs¬ 
fähigen von den Unverbesserlichen zu trennen. Auch 
die ministerielle Anordnung verlangt diese Scheidung voran¬ 
gängig weiteren Schritten. 

Schon Ovid kennzeichnet den Widerstreit des Ich mit der 
Umgebung, oder, wie wir Mbdemen sagen, den Kampf der 
individuellen, der Ichförderung dienenden Funktionen mit den 
überindividuellen, „sozialpsychischen“, durch das Wort: Nitimur 
in vetitum semper cupimusque negata, und deutet dabei die 
schwache Position der letzteren Gruppe seelischer Grundeigen¬ 
schaften an. 

Insofern der Rechtsbruch sich auf der einen Seite aus der 
ewig unausschöpfbaren Quelle gesellschaftlicher und wirtschaft¬ 
licher Reibungen heraus speist — auch der Kommunismus 
würde hieran nichts Grundsätzliches ändern —, und insofern 
der Rechtsbruch die Uebertretung des Minimums der gesetz¬ 
lich festgelegten Gemeinwesensnormen auf Grund der indivi¬ 
duellen psychischen Verfassung darstellt, ist absolute Besserung 
eine utopische Vorstellung. 

Der Besserungsgedanke kann vielmehr nur den relativen 
Wert eines moralisch-ethischen Idealpostulates haben, dessen 
die nach Vervollkommnung strebende Kultur nicht zu entraten 
vermag. 

Die Antwort auf die Frage, wer ist im Strafvollzüge und 
durch ihn „besserungsfähig“, wer „unverbesserlich“, birgt nach 
meiner Ueberzeugung große Schwierigkeiten bei ob¬ 
jektiv wissenschaftlicher Behandlung unter Aus¬ 
schaltung rein gefühlsmäßiger Abschätzung. 

Das juristische Kriterium der Vorstrafenliste und des ge¬ 
gebenen Rückfalles zunächst ist um so mehr nur mit Vorsicht 
als beweisend für Unverbesserlichkeit anzusehen, als die bis¬ 
herigen strafhäuslichen Behandlungsmethoden in ihrer erzieh¬ 
lichen Wirkung relativ insuffizient sind. 

Die sozialen Faktoren, das Milieu, erklären bloß einseitig 
eine, nämlich die exogene Komponente im Zustandekommen 
der rechtsbrecherischen Persönlichkeit. Was Anklageschrift, 
Urteil, Heimat- und Polizeibericht, Briefwechsel usw. bieten, ist 
wertvoll, aber nicht schlechthin ausschlaggebend. 


A 



546 


Dr. Th. Viernstoin. 


Nach ärztlicher Ueberlegung bleibt auch in der Frage 
der Besserungsfähigkeit nur übrig, jeden Rechtsbrecher wiederum 
als biologisches Wesen zu betrachten und durch Heranziehung 
aller in Betracht kommenden Momente über die Wahrschein¬ 
lichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Besserung ein vor¬ 
sichtiges prognostisches Urteil zu gewinnen. 

Ich bin mir bewußt, mit diesem Satze das Schwergewicht 
aller Arbeit auf die ärztlichen Schultern zu legen; allein der 
Arzt ist, wie ich darzutun bemüht sein werde, die gegebene 
Persönlichkeit, dieser Frage exakt wissenschaftlich näher zu 
treten, soweit sie überhaupt nach dem jetzigenStande 
unserer Kenntnisse lösbar ist. 

Der Strafvollzug, der sich berufsmäßig mit der Verbrecher- 
persönlichkeit befaßt im Gegensatz zu den in der Haupt¬ 
sache das Verbrechen als solches wertenden Gerichten, 
kommt durch das progressive System in einen erhöht einflu߬ 
reichen Konnex mit der gesamten Rechtspflege und dokumen¬ 
tiert eine gesteigerte kulturelle und soziologische Bedeutung. 

Den Strafanstaltsärzten aber erblüht eine Betätigung, 
durch die sie als gutachtliche Berater ihren Anstaltsleitern, 
und, im ferneren Sinne, der Rechtspflege, grundlegende Dienste 
zu leisten berufen sein werden. 

VI. 

Wenn, wie dem Arzte sich aufzwingt, das Stufensystem 
und die strafvollzu^liche Würdigung des Rechtsbrechers über¬ 
haupt auf biologisches Fundament gestellt gehört, wenn 
weiter die Teilfrage der Besserungsfähigkeit bezw. Unverbesser¬ 
lichkeit nach gleichen Gesichtspunkten betrachtet gehört, so 
wird der Arzt zur Weisung aller Wege verpflichtet sein, 
auf welchen er sein Ziel zu erreichen vermeint. 

Unter Beachtung der dargelegten, wichtigsten einschlägigen 
Ergebnisse der erbbiologischen, kriminalpsychologischen und 
-psychiatrischen Forschung hat nach meinem Ermessen der 
Strafanstaltsarzt künftig bei jedem Zugang ins Strafhaus 
folgendermaßen vorzugehen: 

1. Der Rahmen des bisherigen ärztlichen Zugangsberichtes 
wird erweitert nach der anamnestischen Seite wie auch hin¬ 
sichtlich der am Gefangenen selbst somatisch und psychisch 
festzustellenden Befunde. 

2. Aus der Summe der Erhebungen und Befunde wird 
eine Typisierung nach psychischer Normalität bezw. bestimmt 
gerichteter Abnormalität vorgenommen. 

3. Es wird aus allen Faktoren — Anamnese, Status, 
psychischem Typ — die Frage der Besserungsfähigkeit ab¬ 
gewogen und in einem vorläufigen Gutachten fixiert. 

Im einzelnen bemerke ich zu den vorstehenden Thesen: 

ad 1: Die herkömmliche Anamnese ist bei ihrem höchstens 
durchschnittlichen Aufwand an Befragung ungenügend für be¬ 
langreiche wissenschaftliche Schlüsse. 



Die Einführung eines Sfcafensystems in den bayrischen Strafanstalten. 547 

Aus dem Gefangenen zunächst ist vielmehr bei gesprächs¬ 
weiser Exploration restlos alles herauszupressen, was er 
über seine Familie, id est Großeltern, Eltern, deren sämtliche 
Geschwister, über seine sämtlichen Geschwister, seine Frau 
und seine sämtlichen Kinder an Lebensdaten, Sterbedaten, 
Todesursachen, Wohnorten, sozialer Lage (Pauperismus), sozialer 
Führung (Kriminalität), erblichen Krankheiten, Geistes- und 
Nervenstörungen, Trunksucht, endlich an charakterologischer 
Veranlagung und Färbung (gemütliche Reaktionsform nach 
Kretschmer) anzugeben weiß. 

Auskunftpersonen sind zu bezeichnen. 

Anschließend an das Bild des Stammes ist der eigene 
Lebensgang des Gefangenen zu erheben: Jugendentwick¬ 
lung (Laufen, Sprechen, Enuresis, Pavor, Krämpfe, ansteckende 
Kinderkrankheiten); Schulbesuch und -erfolg; Erziehung (Ver¬ 
wahrlosung, Bettel); Lehrzeit, Berufswahl und-Wechsel; familiäre 
Bindung bezw. Entwurzelung; Wanderschaft; Militär (Anteil 
am Krieg, Führung, Auszeichnung, Verwundung, Verschüttung, 
Rente); Einsetzen und Wiederholung krimineller Entgleisung 
nach Zeit, Delikt und Ursache; soziale Lage als selbständiger 
Mann (Einkommen, Arbeitslosigkeit, ArbeitsWechsel); Verheiratung 
(Jahr, Qualität der Frau in sozialer und somatisch-psychischer 
Hinsicht); Kinder (nach Zahl, Alter, Geburtsdaten, Sterbedaten, 
sozialer Lage und Führung, sowie psychischer Qualität und 
affektiver Reaktionsweise im Sinne Kretschmers); über¬ 
standene Krankheiten, insbesondere Geschlechtskrankheiten und 
Tuberkulose, Kriegsschädigungen, Trunksucht, Nerven- und 
Geisteskrankheiten; Krämpfe und Anfälle (Kriegszittern); Aufent¬ 
halte in Heilanstalten (nach Zeit, Ort und Grund); Stellung des 
Gefangenen zur jetzigen Straftat (Geständnis, Unschuldsbehaup¬ 
tung, Motivierung, Beschönigung). 

Die Befragung ist damit zunächst beendet. 

Das Gesamtergebnis der ganzen Reihe ist natürlich wech¬ 
selnd; es hängt insbesondere vom Grade bestehender familiärer 
Fühlung ab; Versager, etwa bei Aiamiliären oder außerehelich 
Geborenen sind möglich. 

Fehlerquellen aus absichtlicher Falschangabe oder schuld¬ 
loser Erinnerungsverfälschung des Exploranden sind prinzipiell 
zuzugeben. Sie sind indes sehr gering und jedenfalls nicht 
ärger als bei Statistiken überhaupt. 

Die Berechtigung der mir von juristischer Seite entgegen- 

f gehaltenen Meinung, daß der Gefangene aus persönlichem 
nteresse bei der Befragung „lüge oder färbe“, kann ich nicht 
anerkennen. Die grundsätzliche Gleichstellung des Kriminellen 
mit dem Lügner entbehrt der psychologischen Begründung. 

Der Explorand wird ferner durch die ihm bisher fast stets 
zum ersten Male im Leben begegnende Befragung, deren Ab¬ 
sichten und Ziele er nicht ermessen kann, überrascht; seine 
Prozeßlage ist durch Rechtskraft des Urteils meist endgültig, 



648 


Or. Tb. Viernstein. 


mindestens vorerst beendet, wodurch wiederum ein aktuelles 
Interesse an Lüge und Färbung psychologisch fehlt. 

Zu diesen auf Seiten des Untersuchten liegenden, für 
durchschnittlich richtige Bekundungen sprechenden Voraus¬ 
setzungen und Motiven tritt die Kunst des explorierenden Arztes: 
er hat vor allem suggestionsfreie Fragestellung — was wissen 
Sie? — zd wählen, um beim referierenden Gefangenen einen 
unvoreingenommenen Seelenzustand zu sichern; alternative 
Fragesteltung — ist es so oder so? — ist wegen des darin 
liegenden Urteils an die Intelligenz des Befragten geknüpft und 
nur im kritischsten Zusammenhalt mit allen anderen Aussagen 
rätlich; passive Suggestionsfragen, welche die Antwort in den 
Mund legen, aber alternativ noch frei lassen — sind Sie Trinker?, 
waren Sie geschlechtskrank?, in Irrenanstalt? — sind gewöhn¬ 
lich unverfänglich; aktive Suggestionsfragen, welche eine be¬ 
stimmte Antwort präsumieren, — Sie sind doch geisteskrank? — 
empfehlen sich nicht. 

Mehr kann über diese für den Erfolg sehr bedeutsame 
Art des Vorgehens im vorliegenden Zusammenhang nicht gesagt 
werden: ärztliche Erfahrung und Uebung, Beherrschung von 
Stoff und Form, Individualisierung von Fall zu Fall wird das 
Richtige treffen helfen. 

Eine große Kette von Einzeltatsachen läßt sich so 
schmieden: vererbungsbiologische, soziologische, kriminologische, 
Bomatologische und psychiatrische Einzelheiten mannigfachster 
Art treten vor uns auf, kurz, die biologische Struktur des Ge¬ 
fangenen und seines Stammes. 

Ich möchte herausheben, was mir hievon, selbstverständ¬ 
lich im engsten organischen Zusammenhang mit dem Gesamt¬ 
bilde, das Wesentlichste dünkt: 

Von den soziologischen Erfahrungsreihen zunächst die 
wirtschaftliche und ethische Verfassung des Stammes. Aus ihr 
geht der Milieueinfluß der Erziehung bezw. Verwahrlosung 
hervor. 

Hierüber bat Gregor“) ein an Fürsorgezöglingen gefördertes Werk 
geschrieben, dessen Kenntnis dem Strafanstaltsarzt hauptsächlich für seine hier 
nereinspielenden Aufgaben Behr wünschenswert ist 

Aus dem eigenen Leben des Gefangenen interessiert, ab¬ 
gesehen von den anamnestisch schon immer herkömmlichen 
Fragen die Tatsache des familiären Zusammenhanges bezw. der 
von Anbeginn an gegebenen oder später aus bestimmten Ur¬ 
sachen eingetretenen familiären Zusammenhangstrennung. 

Kraepelin 1 *) hat die psychiatrische Bedeutung der Entwurzelung in 
einer seiner jüngsten Arbeiten gezeichnet. Ich möchte auch auf diese, gerade 
für uns Strafanstaltsärzte so instruktive 8tudie hinweisen. 

Aus der psychiatrisch-erbbiologischen Berichtsreihe ist von 
fundamentalster Bedeutung der Nachweis der Vererbung und 
des Besitzes bestimmter charakterologischer Qualitäten. 

u ) Gregor: Die Verwahrlosung; Berlin, 1918 bei Karger. 

“) Kraepelin: Deber Entwurzelung; Zeitschrift für die ges. Neur. 
und Psych., Bd. 68. 



Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 549 

Kretschmer, 1 *) auf den ich mich stütze, hat bezüglich affektiver 
Verarbeitungsweise des Inhaltes der Vorstellungen die zwei großen Reaktions¬ 
typen der cyklothymen and schizothymen seelischen Anlage anfgedeckt, 
geklärt und beschrieben und diese charakterologischen Grundqualitäten mit 
korrespondierenden Erscheinnngen am körperlichen Habitus der Individuen in 
Beziehung gebracht. 

Hoffmann 17 ) hat den cyklothymen Reaktionstyp noch gesondert 
bearbeitet 

Auf beide Publikationen hinzuweisen ist um so größeres 
Bedürfnis, als die Kretschmer’schen Typen, am kriminellen 
Material bei zwei bis drei Generationen (Großeltern — Eltern — 
Gefangener oder Eltern — Gefangener — Kinder) Iieraus- 
gearbeit, nach meiner Erfahrung und Ueberzeugung den wert¬ 
vollsten, zuverlässigsten Anhaltspunkt bieten zur 
Beantwortung der Frage der Besserungsfähigkeit oder 
Unverbesserlichkeit. 

Denn bei dieser für unser Stufensystem grundlegend ent¬ 
scheidenden Frage ist mit bloßen klinischen Diagnosen und 
Schlagworten, etwa Hysterie, Debilität, erregbare Psychopathie, 
geistige Krankheit oder Normalität, nichts gesagt; der Re¬ 
aktionstypus, wie er vererbt am Individuum rein 
oder in mannigfacher Legierung auftaucht, ist aus¬ 
schlaggebend gerade für die soziale Prognose des 
Detenten. 

Wie sich nämlich allgemein die individuellen Beziehungen 
zur Umgebung nach der gemütlichen Einstellung und Abtönung, 
dem „Reaktionstypus“ regeln, so gewinnt man im besonderen 
bei Betrachtung großer Serien von Verbrechern den Eindruck, daß 
gerade der Aufbau und Ablauf krimineller Lebensgestaltungen, 
unbeschadet vieler anderer Verursachungen, wesentlich durch 
die Gefühlssphäre bestimmt ist, die sich aus dem Erbgut ihres 
Trägers herleitet. Für das Verständnis und die Prognose des 
kriminellen Menschen, des normalen wie psychopathologischen, 
ist daher eine auf die charakterologischen Qualitäten gerichtete 
Untersuchung, die Bestimmung seiner affektiven Erbformel, von 
größerem Werte als die rein klinische Diagnose irgendeiner 
Anomalie ohne Bedachtnahme auf vorliegende Vererbungs¬ 
zusammenhänge. 

Die körperliche Untersuchung des Gefangenen weiterhin 
hat vor allem nach dem optischen Gesamteindruck und ohne 
in Einzelmessungen sich zu ergehen, die ihrerseits Spezial¬ 
zwecken Vorbehalten sind, die Kretschmerschen Körpertypen 
„asthenisch, athletisch, pyknisch“ und deren Mischungen fest¬ 
zustellen als-wichtiges Korrelat zu den affektiven Reaktionstypen. 

In neurologischer Hinsicht sind ausnahmslos die Pupillen 
und die Patellarreflexe als Mindestmaß zu prüfen. Wasser¬ 
mann sehe Reaktion ist in sämtlichen auch bloß verdächtigen 


‘^Kretschmer: Körperbau u. Charakter; Berlin 1921, bei Springer 
w) Hoffmann: Die Nachkommenschaft bei endog. Psychosen, Monogr. 
aus dem Ges. Gebiet der Neur. und Psych., 1921. 



650 


Dr. Th. Viernsteln. 


Fällen zu veranlassen. Im übrigen bleibt der gewohnte klini¬ 
sche Untersuchungsgang bestehen. 

ad 2: In psychiatrischer Hinsicht wird au! Grund aller 
bisher gemachten Einzelerfahrungen am Gefangenen dessen 
genereller Typ „normal“ oder „psychopathisch“ festgelegt; 
im letzteren Falle das Zustandsbild mit herkömmlicher Diagnose 
bezeichnet (Hysterie, Epilepsie, Debilität, Demenz, Querulantis¬ 
mus, reizbare Psychopathie usw.). 

Ich weiß, daß „Anhiebsdiagnosen“ in der Psychiatrie be¬ 
denklich sind; allein bei Beachtung einer so intensiven Ex¬ 
plorationsmethode wird kein Arzt vorschnellen oder fahrlässigen 
Urteils geziehen werden dürfen; man muß sich einmal schlüssig 
werden! 

ad 3: Nur so kann die Basis gefunden werden, auf welcher 
die Frage besserungsfähig oder unverbesserlich nach 
exakt wissenschaftlichen Grundsätzen vorbereitet zu werden 
vermag. 

Der Arzt wird den Entscheid nicht ausschließlich sich bei¬ 
messen dürfen: juristische und theologische, auch schulpädago¬ 
gische Mitwirkung werden nach der bestehenden Organisation 
des Strafvollzuges sich in die Verantwortung dieses Dictums 
mit teilen. 

Anklageschrift, Urteil, Heimat- und Polizeibericht, Brief¬ 
wechsel, Vorstrafenliste, frühere Führung in Strafanstalten, be¬ 
vorzugte Deliktskategorie in juristischer Hinsicht, moralisch¬ 
ethische Ansprechbarkeit und religiöser Wissensschatz vor dem 
Theologen, Schulbildungshöhe vor dem Anstaltslehrer werden 
mit in die Wagschale fallen. 

Was zur Lösung der Frage in jedem einzelnen Falle der 
Arzt beizutragen hat, ist nach meiner Ueberzeugung und nach 
allen obigen Ausführungen aber das Wichtigste und schlechthin 
Unerläßliche: Die Aufdeckung der genotypischen Verfassung, 
die Klärung des Phänotypus und seiner im Charakter ver¬ 
ankerten gemütlichen Einstellung und Beziehungen zum Milieu. 

Es ergibt sich dabei nach vorläufigem Eindruck, um nur 
einiges herauszugreifen, etwa folgendes: 

1. Der schizothyme Reaktionstyp ist unter normalen 
wie psychopathischen Rechtsbrechern seltener der Resoziali¬ 
sierung zugänglich als der cyklothyme. 

Ersterer ist bei habituellen Eigentumsverbrechern der 
häufigere Typ. 

2. Die ebenfalls häufig sehizothymen Mörder erweisen sich 
im Laufe langer Haft teils durch Nachreife, teils durch Stumpf¬ 
werden oft als nicht mehr gefährlich und zählen erfahrungs¬ 
gemäß nicht selten zu den disziplinär guten und fleißigen Ele¬ 
menten der Anstalt. Manchen von ihneu sollte durch das 
Stufensystera eine angebrachte Aufmunterung ihres hoffnungs¬ 
losen Daseins zuteil werden! 

3. Der mehr cyklothyme Affektverbrecher mit teils noch 
jugendlich ungereifter, teils entwicklungsgehemmter Intelligenz, 



Die Einführung eines Stufensystems in den bayrischen Strafanstalten. 551 

bei dessen Handlungsweise der Erlebnisreiz nicht die ver¬ 
schlungenen Wege der Erfahrungen, Abwägungen u. Hemmungen 
geht, sondern blitzartig in die psychomotorische Sphäre über¬ 
springt und impulsive Handlungen nach Art des Kindes oder 
des primitiven Menschen sehen läßt, ist durchschnittlich er¬ 
ziehungsfähig. 

4. Die Ausreifung der Persönlichkeit und damit ihre Besse¬ 
rungsfähigkeit im sozialen Sinn ist eine in Strafanstalten häufige, 
m. E. nicht immer genügend beachtete Tatsache. 

6. Sittlichkeitsverbrecher sind wegen ihrer zumeist ge¬ 
gebenen, von Jugend auf defekten Triebanlage oder durch Alter 
bedingten psychopathischen Konstitution im allgemeinen als 
unverbesserlich zu bezeichnen. 

6. Die ärztliche Antwort auf die Frage der Besserungs¬ 
fähigkeit wird man zweckmäßig so formulieren, daß man sich 
auf den Nachweis oder das Fehlen von sicheren biologischen 
Kriterien, welche für Unverbesserlichkeit sprechen, beschränkt. 

Alles andere muß ärztlich beim heutigen Stand unserer 
Kenntnisse — wir sind erst in den Anfängen — als besserungs¬ 
fähig bezeichnet werden. 

VH. Schlußbemerkungen. 

Ich glaube nachgewiesen zu haben, einerseits, welche nicht 
zu unterschätzende Schwierigkeiten im Problem des progressiven 
Strafvollzuges begründet liegen, andererseits, daß nur die bio¬ 
logische Methode dieser Schwierigkeiten Herr zu werden vermag. 

In Straubing werden seit Jahren — aus der Absicht einer 
einstigen anderweitigen Verarbeitung des Materials heraus — 
die Zugänge im Zuchthaus nach der geschilderten, immer mehr 
ausgebauten Art untersucht. Das Material liegt im Rohzustand 
vor; es, wie für jene anderen Zwecke nötig, systematisch durch 
Rückfragen zu ergänzen und zu kontrollieren, fehlte bislang 
die Möglichkeit. 

Zur Exploration eines Zuganges benötigt man nach meiner 
Erfahrung im Durchschnitt einen Zeitaufwand von 40 Minuten 
bei Vertrautsein mit dem Untersuchungsschema. 

In dem Augenblick, da das Stufensystem Aufgaben be¬ 
sonderer Verantwortlichkeit und Tragweite bringt, ist es mir 
Gewissenspflicht, den Weg zu beschreiben, der in Zukunft in 
allen Fällen vom Arzte begangen werden muß. 

Ohne diese wesentliche und weitgreifende ärzt¬ 
liche Mitarbeit ist nach meiner Ueberzeugung das 
Stufensystem nicht zu verwirklichen. Es steht und 
fällt mit der Annahme, Anordnung und Ermöglichung dieses 
ärztlichen Arbeitsprogrammes. 

Wo für die zu fordernde erhöhte ärztliche Arbeitsleistung 
eine einzige Kraft nicht ausreicht — es wird dies an großen 
Strafanstalten oder solchen mit lebhafter Fluktuation der Haft¬ 
bevölkerung der Fall sein — müssen im Interesse der bedeut¬ 
samen Sache Hilfsärzte bestellt werden. Ich wüßte keine 



662 Dr. Th. Viornstein: Die Binftthrung eines Stnfensystems usw. 


empfehlenswertere, selbstverständlichere und rentierlichere Per¬ 
sonalmehrung in Strafanstalten dem Wohlwollen und dem über¬ 
schauenden Blick der höchsten Stelle anheimzustellen. 

Mit der in der geschilderten Weise notwendigen und durch 
gemeinsame Betätigung aller berufenen Faktoren erfolgten Ana- 
lysierung der Persönlichkeit des ins Strafhaus eintretenden 
Rechtsbrechers ist, darüber muß Klarheit herrschen, nur ein 
vorerstiges Wahrscheinlichkeitsurteil, dagegen kein endgültig 
abschließendes über Unverbesserlichkeit oder Besserungsfähig¬ 
keit erstattet. 

Erst die weitere Beobachtung des Rechtsbrechers, der in 
der Strafverbüßung das Stufensystem zu durchlaufen hat, wird 
früher oder später einen Entscheid zulassen, ob der beim Zu¬ 
gang Explorierte, aber nur vorläufig Prognostizierte zu den 
Strafrefraktären oder Strafindifferenten auf der einen Seite, oder 
aber zu den Straf empfänglichen auf der anderen 
Seite gehört, und in letzterem Falle der durch das 
Stufensystem angestrebten sozialpsychischen Wand¬ 
lung zugänglich ist 

Auf alle andere Elemente hat nach biologischem Ermessen 
lediglich der Strafzweck der Sicherung des Gesellschaftslebens 
Platz zu greifen, wobei Ausnutzung der Arbeitskraft unter Ge¬ 
währung des Existenzminimums bei dauernder Verwahrung die 
gerade durch die heutige nationale Notlage diktierten Richt¬ 
linien sein müssen. 

In Zusammenfassung meiner sämtlichen Aus¬ 
führungen stelle ich als meine persönliche An¬ 
schauung fest: 

1. Das Verbrecherproblem kann nur mittels der durch die 
biologische Wissenschaft an die Hand gegebenen Erfahrungen 
in seinen Ursachen und Erscheinungen einer befriedigenden 
Klärung entgegengeführt werden. 

2. Die Verbrechensbekämpfung in dem dem Rechtsspruche 
folgenden Strafvollzüge hat sich der gleichen biologischen Be- 
trachtungs- und Untersuchungsraethoden als Grundlage für die 
Beurteilung des Einzelfalles zu bedienen, und dies vor allem 
beim Stufensystem. 

3. Die Frage der Besserungsfähigkeit oder Unverbesser¬ 
lichkeit ist wesentlich an die Reaktionsweise des Individuums, 
d. i. an seine auf vererbter Grundlage beruhende gemütliche 
Gesaratabstimmung und Einstellung gebunden; diese ist daher 
in jedem Einzelfalle durch tunlichst erschöpfende Analyse der 
persönlichen und familiären Struktur des Rechtsbrechers im 
Sinne der Kr et schmer sehen Leitsätze zu ermitteln; 

4. Vor Ueberschätzung unseres Wissens und unserer bis¬ 
herigen Einblicke ist zu warnen. 

5. Nur objektiv wissenschaftliche, exakte Erforschungs¬ 
methoden dürfen zur Lösung befugt erachtet werden; jede ge¬ 
fühlsmäßige Beurteilung ist als insbesondere den Wert des Stufen¬ 
systems gefährdend und laienhaft abzulehnen. 



Kleinere Mitteilungen und Beferate auB Zeitschriften. 558 

6. Dem Arzte kommt die grundlegende, und notwendig 
vorauszuschickende Arbeit zu, auf welcher erst andere berufene 
Faktoren weiter bauen können. 

7. Den Aerzten des Strafvollzuges ist diese künftig be¬ 
deutendste ihrer Aufgaben nötigenfalls durch Personalmehrung 
möglich zu machen. 

Nur so wird ein moderner Strafvollzug erstehen mit Aus¬ 
sicht auf Verwirklichung des ihm lange vorschwebenden, aber 
dank Unvollkommenheit der Methoden zum Erfolge nicht aus¬ 
gereiften Besserungsgedankens, und wird über dem Straf¬ 
hause mit Recht das Wort stehen: 

„Perditis adolescentibus corrigendis instituendisque, 
ut qui inertes oberant, instructi reipublicae serviant.“ 


Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

Gorlohtliohe Medizin. 

Ueber die Notwendigkeit der Einführung von Verwaltungsobduktionen 
mit Berücksichtigung des Interesses der Rechtspflege. Von F. .Neureiter 
und G. Strassmann. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche 
Medizin, I, 1, 1922. 

In Oesterreich werden seit 1867 sanitätspolizeiliche Obduktionen vor- 
genommen. Sie werden dort ohne Bezahlung (die Prosektoren erhalten nur 
einen geringen Ehrensold) von den gerichtlich - medizinischen Instituten oder 
yon den Amtsärzten bei allen plötzlichen Todesfällen anscheinend yorher ge¬ 
sunder Personen, die nicht als durch eine strafbare Handlang yerursacht ver¬ 
dächtig erscheinen und deshalb nicht zur gerichtlichen Sektion kommen, aus¬ 
geführt. Sie geschehen im Interesse der Institute, da sie reiches wissen¬ 
schaftliches Material bringen, und im Interesse der Justizbehörden, da häufig 
erst durch sie strafbare Handlungen aufgedeckt werden, so in Wien in den 
Jahren 1912—1921 bei 10385 Fällen sanitätspolizeilich Obduzierter in 268 
Fällen, d. i. in 2,6%. Wenn in Oesterreich bei einer Sektion Anzeichen eines 
gewaltsamen Todes bemerkbar werden, wird diese als sanitätspolizeiliche ab¬ 
gebrochen und die gerichtliche Leichenöffnung nach Anzeige an die Staats¬ 
anwaltschaft yorgenommen. Verfasser erachten die Einführung sanitätspolizei¬ 
licher Leichenöffnungen in Deutschland wegen ihrer kriminalistischen Wichtig¬ 
keit, ebenso wie wegen ihrer Bedeutung für die Zivilgerichte und für die Ver¬ 
sicherungsbehörden, ferner aber auch znr Bekämpfung einer event. drohenden 
Seuchengefahr als unbedingt erforderlich. Zu betrauen sind mit ihrer Aus¬ 
führung die gerichtlich-medizinischen Universitätsinstitute, bezw. die Ge¬ 
richtsärzte. Dr. Herwart Fischer- Breslau. 


Ueber die Notwendigkeit der Einführung von Terwaltungssektionen. 
Von F. Strassmann. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche 
Medizin I, 1, 1922. 

F. Strassmann empfiehlt, daß die Regelung der zu erstrebenden Ver¬ 
waltungssektionen auf reichsgesetzlichem Weee und nicht auf dem der Landes¬ 
gesetzgebung geschieht. Die Polizeibehörden sollen entsprechend den zu treffenden 
reichsministeriellen Bestimmungen Leichenöffnungen anzuordnen haben. Und zwar 
sollen sie diese 

1. in besonders festzulegenden Fällen unbeschadet der Hechte der Staats¬ 
anwaltschaft veranlassen können; 

2. in wieder anderen, sehr eiligen Fällen ohne Rücksicht auf die sonst 
gemäß der Strafprozeßordnung zutreffende Entscheidung des Staatsanwalts. 

Bei den zu 2 zählenden Fällen sei in erster Linie an die Todesfälle zu 
denken, bei denen in der Regel nur eine möglichst frische Leichenuntersuchung 



554 


Kleinere Mitteilnngen and Beferate aas Zeitschriften. 


eine Klärung wichtiger Fragen bringen kann (z. B. beim Tod durch elektrischen 
Unfall, beim Tod darch gewerbliche Vergiftung etc.). Unter den za 1 ge* 
hörenden Fällen (nnbeschadet der Hechte der Staatsanwaltschaft) seien z. B. 
die in Straf- and Untersuchungsgefängnissen verstorbenen Gefangenen za nennen. 
Die Landesregierangen haben Aasftihrungsbestimmangen za den reichsmini¬ 
steriellen Anordnungen za erlassen. Dr. Herwart Fischer-Breslau. 


Ueber die Notwendigkeit and Einführung von Verwaltungssektionen. 
Von Molitoris. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin, 
I, 1, 1922. 

Die gegenwärtig bestehenden Bestimmungen über die Feststellung der 
Todesarsache Verstorbener and das Leichenwesen bedürfen — soweit solche 
überhaupt zurzeit vorhanden sind; das Deutsche Beich hat kein einheitlich ge¬ 
regeltes Leichenwesen; in einzelnen Teilen des Beiches ist die Leichenschau 
obligatorisch, in anderen überhaupt nicht eingeftthrt — dringend einer Aenderang 
and Ergänzung. Während früher für die Begelung der Leichenschau neben 
den Forderungen der Bechtspflege (Klärung, ob natürlicher oder durch fremdes 
Verschulden bedingter gewaltsamer Tod vorliegt), besonders sanitäre Gesicht» 
punkte (Infektionsgefahr, Scheintod? etc.) maßgebend waren, sind wir heute 
infolge des Ausbaues unserer sozialen Gesetzgebung betreffs Leichenschau and 
Feststellung der Todesursache vor Fragen gestellt, zu deren sorgfältiger Be¬ 
antwortung die wissenschaftliche Erforschung der Todesursache unerläßlich 
ist. Diese kann aber nur durch eine Leichenöffnung geschehen. Es ist des¬ 
halb die Einführung verwaltungsbehördlicher Leichenöffnungen zu fordern, ganz 
abgesehen von den darch die Strafprozeßordnung bedingten gerichtlichen 
Sektionen : 

I. bei allen plötzlich oder ohne unmittelbar vorausgegange ärztliche Be¬ 
handlung Verstorbenen. Dazu in allen Fällen, bei welchen trotz ärzt¬ 
licher Behandlung das Krankheitsbild ungeklärt geblieben ist; 

II. bei allen gewaltsam oder unter Vergiftungserscheinungen Gestorbenen 
(einschL Selbstmord und Narkosentod); 

III. bei Tod nach übertragbarer Krankheit; 

IV. bei allen identifizierten oder nicht identifizierten aufgefondenen Leichen; 

V. bei allen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten, doch wieder frei¬ 
gegebenen Leichen; 

VI. bei allen — auch ärztlich behandelten — verstorbenen Schwangeren, 
falls deren Erkrankung mit dem Genitaltrakt zusammenhing. 

VII. bei allen in oder gleich nach einer Entbindung verstorbenen Franen; 

VIII. bei allen Frühgeburten und allen in oder gleich nach der Geburt ge¬ 
storbenen Kindern, auch wenn ärztliche Hilfe zur Entbindung hinzu¬ 
gezogen war. Dr. Herwart Fischer -Breslau. 


Bildung von Hämatin ln den Lungen bei der akuten Asphyxie durch 
Phosgen. Von Dr. Gaet Viale-Turin. Archivio di Antropologia criminale, 
Psyduatria e medicina legale, 1921, H. 6. 

Phosgen gehört zu den starken Giften; Luft mit einem Gehalt von 
0,2°/oo davon ist nicht mehr einzuatmen, bei stärkerer Konzentration tritt un¬ 
mittelbar der Tod ein. Aus Tierversuchen, die Verfasser ansteUte, ergab sich, daß 
durch die Einwirkung des Wasserdampfs auf das Phosgen Acid. hydrochlor. 
gebildet wird, wodurch akuteste Asphyxie entsteht. Die Lunge nimmt dabei 
eine durch Umbildung des Oxyhämoglobin in Hämatin entstehende mahagoni- 
braunrote Farbe an. Das Spektrum entspricht dem des Hämatin. 

_ Solbrig. 


Ueber die Beziehungen zwischen Anaemla perniciosa und Trauma. 
Von Dr. Prosp. Mino-Turin. Archivio di Antropologia criminale, Paichiatria 
e medicina legale, 1921, H. 5. 

Die Literatur über die traumatische Entstehung der perniziösen Anämie 
ist nicht groß. An der Hand der wenigen, bisher bekannt gewordenen Fälle 
und gestützt auf die Theorie von dieser Krankheit kommt Verfasser za dem 
Ergebnis, daß die Möglicheit des aetiologischen Zusammenhangs zwischen 



Besprechungen. 


656 


Trauma und Anaemia perniciosa nicht von der Hand zu weisen ist. Es müssen 
aber vorsichtig alle näheren Umstände geprüft werden, ehe man einen solchen 
Zusammenhang annimmt, namentlich gilt es, den Grad und Sitz des Traumas, 
die Kontinuität der Krankheitserscheinungen ins Auge zu fassen, die Frage 
der Heredität zu prüfen u. dgl. m., ehe man mit einiger Wahrscheinlichkeit 
annimmt, daß im Einzelfall die Anaemia perniciosa traumatischen Ursprungs 
ist. ln anderen Fällen ist auch ein Zusammenhang im Sinne der Verschlimme¬ 
rung eines schon bestehenden Leidens möglich und anzunehmen. Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

Die Teuerung schreitet mit Biesenschritten weiter. Beamtenorganisationen 
haben im Beichsfinanzministerium entsprechende Schritte getan und verständ¬ 
nisvolles Entgegenkommen für die nur zu berechtigten Wünsche der Beamten 
gefunden. Es ist für das Beich — und alsbald auch für Preußen — folgende 
Regelung betreffs Aufbesserung der Beamtenbesoldung mit Wirkung vom 
1. September angenommen: 

Der allgemeine Teuerungszuschlag für die ersten 10000 M. wird auf • 
777 v. H., für den Best und die Kinderzaschläge auf 677 v. H. erhöht. 

Zu der bereits für September bewilligten und ausgezahlten Erhöhung, 
über die in Nr. 18 berichtet wurde, tritt also ein neuer Zuschlag, mit dessen 
Auszahlung zum Teil schon begonnen ist. 

Wie ferner berichtet wird, sollen in allernächster Zeit Beratungen über 
die Erhöhung der Grundgehälter und Ortszuschläge stattfinden, und zwar sollen 
die neuen Grundgehälter und Ortszuschläge mit Wirkung vom 1. Oktober in 
Kraft treten. 

Diese durchaus nötige Erhöhung wird von den Beamten freudig begrüßt 
werden. Dank gebührt aber vor allem auch den Organisationen, die unermüd¬ 
lich tätig sind, um den Beamten das zu verschaffen*, dessen sie dringend bedürfen. 

Für die Medizinalbeamten kommt zugleich eine andere erfreuliche Mit¬ 
teilung, nämlich die Erhöhung der Gebühren um das 30 fache der ursprüng¬ 
lichen, also das 8 fache der zurzeit gültige Sätze, und zwar mit Wirkung vom 
1 8eptember. 

Wird es nun aber nicht auch Zeit, die Gebühren für die staatlichen 
Prüfungen (pharmazeutische Vorprüfung, Prüfung von Krankenpflegerinnen, 
Säuglingspflegerinnen) angemessen zu erhöhen ? Das 2 1 /»—3 fache des ursprüng¬ 
lichen Satzes, wie es jetzt noch gilt, ist doch wirklich nicht zeitgemäß! Auen 
wirkt es doch geradezu komisch, daß für Apothekenbesichtigungen am Orte 
dem Beg.- und Med.-Bat noch immer 6 M. gezahlt werden — eine einfache 
Btraßenbahnfahrt in der Großstadt kostet 8—10 M.! Eine Erhöhung der Tage¬ 
gelder für amtliche Beisen ist auch unumgänglich nötig. Der Satz von 3 bezw. 
o M. für Ab* und Zugang kann doch unmöglich beibehalten werden. 

So bleiben doch noch mancherlei berechtigte Wünsche zu erfüllen, ob¬ 
wohl anzuerkennen ist, daß das wichtigste, die Aufbesserung der Besoldung, 
ständig in Fluß ist. _ 


Neue Sätze für die Wochenhilfe. Der Haushaltsausschuß des Reichs¬ 
tages setzte kürzlich die einmalig zu gewährende Beihilfe zu den Kosten der 
Entbindung auf 500 M. und das Wochengeld auf 15 M. täglich für 71 Tage 
fest. Außerdem werden an Stillgeld 25 M. für den Tag auf die Dauer von 
85 Tagen bezahlt. Diesen Beschlüssen trat alsdann auch noch der Reichstags¬ 
ausschuß für Soziale Angelegenheiten, der schleunigst von neuem zusammen¬ 
berufen wurde, bei _ 


ln der Zeit vom 2.—9. Oktober d. J. findet ein Lehrgang zur Ein* 
führung ln den Unterricht über Gesundheitslehre für Lehrer und Lehre¬ 
rinnen in Berlin, im Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche Fortbildungs¬ 
wesen, statt, der vom Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung in 
Preußen f. V. und dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht mit Unter- 



656 


Sprechsaal. 


Stützung der Ministerien veranstaltet wird. Namhafte Vertreter der medi¬ 
zinischen Wissenschaft and praktische Schalmänner sind als Vortragende ge¬ 
wonnen; neben Vorträgen and Probelektionen sind Vorführungen von Licht¬ 
bildern and Lehrfilmen, aach Besichtigungen vorgesehen. 

Näheres ist in der Geschäftsstelle des Landesaasschusses für Volks¬ 
belehrung Berlin N. W. 6, Luisenplatz 2—4 zu erfahren. 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kreisarztes L. ln L.: Wenn jetzt nach Aufhebung der 
kreisärztlichen Erlaubnis zur Leichenüberführung das Landratsamt um Ver¬ 
haltungsvorschriften bei einer Leichenfiberführung eines an einer ansteckenden 
Krankheit Gestorbenen bittet, kann hierfür nach B 6 liquidiert werden? 

Kann liquidiert werden, wenn der Kreisarzt von sich aus Anordnungen 
für nötig hält und entsprechend dem Landratsamt berichtet? 

Antwort: Der Kreisarzt ist nach dem Gesetz vom 16. September 1899 
der technische Berater des Landrats. Er wird für diese Tätigkeit besoldet. 
Eine Beanspruchung von Gebühren für Beratung in gesundheitlichen Fragen, 
erscheint demnach unzulässig. 

Natürlich ist für jede Leichenüberführung das Vorliegen eines ärztlichen 
Leichentransportscheines Vorbedingung. 


Zu der im Sprechsaal in Nr. 17 S. 611 über Uspulun erteilten Antwort 
teilt das Hessische Ministerium des Innern, Abteilung für Öffentliche Gesund¬ 
heitspflege freundlichst folgendes mit: 

Im Sprechsaal der Zeitschrift für Medizinalbeamte Nr. 17 d. Js., S. 511, 
wird angegeben, daß Uspulun, eine 20°/oige Mischung von Chlorphenol-Queck- 
silber mit Aetzkali und Soda, das zum Beizen des Getreides gebraucht wird, 
zur Abteilung I der Gifte gehört und nur gegen Giftschein abgegeben werden 
darf. Uspulun ist jedoch kein Quecksilberpräparat, sondern eine queck¬ 
silberhaltige „Zubereitung“. Von solchen ist in der Glftordnung nicht die 
Bede. Wir haben beim Reichsgesundheitsamt seine Aufnahme, (jedoch nicht 
in Abteilung I), beantragt 

Außerdem wird hierzu von den Farbenfabriken Friedr. Bayer & Co. 
gleichfalls darauf hingewiesen, daß das Uspulun kein Quecksilber präparat, 
sondern lediglich eine Quecksilber z u b e r e i t u n g darstellt und als solche nicht 
der Giftverordnung unterliegt, wie auch kürzlich auf ein Gutachten des 
Gerichtschemikers Dr. Jeserich vom Schöffengericht in Labes entschieden 
worden sei. Von diesem Sachverständigen wird darauf hingewiesen, daß die 
Giftpolizeiverordnung in der Abt. I des Verzeichnisses der Gifte genau angibt, 
welche chemischen Präparate und Zubereitungen vom freien Verkehr auszu¬ 
schließen sind. Von Quecksilber seien nur die Präparate (und Farben), nicht 
aber Zabereitungen aafgeführt. Als Präparat sieht Dr. Jeserich Verbin¬ 
dungen, als Zubereitungen die Mischungen an. Da Uspulun eine Zubereitung 
mit Quecksilberverbindung darstelle (mit 20°io von einem Qaecksilberpraparat), 
biete die Giftverordnuhg keine Handhabe, das Mittel dem freien Verkehr zu 
entziehen. 

Hiernach scheint allerdings zurzeit keine Handhabe gegeben zu sein, das 
Mittel, obwohl es zweifellos giftig ist, dem freien Verkehr zu entziehen. Die 
Tatsache, daß es sieb um eine „Zubereitung“, nicht um eine chemische Ver¬ 
bindung, ein „Präparat“, handelt, ist dem Wortlaut der Giftverordnung zufolge 
ein Hindernis es zu beanstanden, wobei es dahin gestellt sein mag, ob der 
Sinn der Verordnung nicht dahin geht, neben den Präparaten auch die Zu¬ 
bereitungen von Quecksilber als Giftstoffe dem freien Verkehr zu entziehen. 
Es ist nach der Mitteilung des Hessischen Ministeriums ja eine Klärung der 
Angelegenheit zu erwarten. 

Die seinerzeit im Sprechsaal gegebene Antwort kann mithin nicht auf¬ 
rechterhalten werden. 


Verantwortlich für die 8chrlfUeltnnf: Geh« Med.-Bet Dr. 8 o 1 b r J f, Heg.- u. Med. -Bet ln Bretlen 
Breslau T, Bafcdlferttrefte 84. Druck tob J. O. 0. Bruns, Minden L W. 






ZEITSCHRIFT 


MEDIZINALBEAMTE 


1888 fru.töBgfündet urtti »on !88E bis i822 herausgeguben von Gen. Med.-Rat Pitii. Dr. R APMUNQ. 

Zenfralblatt 

I8p das gesamte Gebiat der gerichtlichen Medizin nntf Psychiatrie, des staat¬ 
lichen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und 
öffentlich« ßasuodiselJsweseu. einschl. der praktischen und sozialen ivglsne. 

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Prof. Mr, Kanp-Miioehen, (»oh. MtiL- R*t Prof t>>- Ph-iffefe-Jiitädtt* -ßf'Jiv 
Bat Vt6l br. l%jVpT-Bresiau, Kn'iRarzt ßr. jß. Itajwunstiil Med.-twat 

tfi Kns'«rv>\skf-ft«rftif<. Cfßb AI..■<!.-Hat Prof. i»r. ProjL 

Dr Sievefe hv# - üumbnr«r, (>'eb M t-.i - !?;* t Dr.’.SöJbriiar-ttr'&slau, ötfe. 'Med - lütt 
Jfftrf.-,t»r. StraßilinHH"Btrri 0 j 7 ucb. Beg.-ftat Dr. Weber-Dresden üod Kreisarzt 

Dr, W •>Hfcntt’«sbK!'» Dortioitiyd. 

Offizielles flryan öks Deutschen Pfaussischen Bayerischen. Stcfislschen 
Württentbcrflischen. Badisclm Hessischen, Meckienliurglschen Thüringische!» 
und Srauflsehwßlffjscäeä Meflizissilieaffltßavereins. 

Eine Beilage: Hecbisprecfcung und Medizinalgesetzgebung. 

Schriftlettung: Verlag: 

fielt. Mei' lat Or, Solbrlg, Fischer s med, ßucbrmndiang % Kornfeld, 

leg.- u. Med^ftaf Ui SresUu. Bsriio f. 62; HeithsiraBe 5- 

Be? aflsprnisf&r das IV.Vierteijabr durch die Post bezogen:53M. 


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Knochenbiidend Nervenstärkend 

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von Tricalcol 


Gegen;Enteritis etc.: evtl, unter Beigabe 

HÜI probe« und liiemur vom tecnwerK &mmi 




B5. Jahrs:. Zeitschrift für Medizinalbeamte. Nr. 20 


INHALT. 


Abhandlungen: 

Entgegnung auf den Artikel: „Mit Volldampf 
voraus — gegen den Krei§ar/.t“ in 
Nr 16/192*2 dieser Zeitschrift. Von Dr. 

Jaukowski . .557 

Selbstmord durch Trinken von Salpeter¬ 
säure. Von ln*. Fritz Strass manu . 659 
Die Maximaldosen d«r Arzneimittel. Von 
Apotheker Max Rehwald . . . .661 

Ueber Kurpfuschertum u. seine Bekämpfung. 

Von Dr. Haha .565 


Ana Versammlungen und Vereinen. 

Dritte Sitzung des Besirkaferelns derAfedi- 
ziuttl-Bcamtcn des Regierungsbezirks 
LJrgnltz am 16. September 1922 ln Sagau, 


Bahnhofswirtschaft.575 

Besprechungen. 5*6 

Tageeu&ohr lohten. 5? 7 

Beilage / 

Madlslnalgesctzgcbung.»9 


XJmeohlag: Personalien. 


Geschäftsstelle und Versand für die Mitglieder des Medizinaibeamtei)- 
Vereins durch i. C. C. BRUNS, Buchdruckerti, MINDEN i. WESTF. 

Anzel gen - A n na hine und verantwortlich fflr den Anzeigenteil: 
fl ANS PUSCtf, BERLIN SW. 48, Wilhelmstraße 28. 

Außerdem werden von sämtlichen Anzeigeu-Annahmestellen des In- und Anslandcs 
Anzeigen angenommen, üi&vdurchgebende Petitzeile kostet M. 2,50. 


H. HEBZOG, 


Inhaber 

E. LAUTER 

Berlin W. 62, l^ettelbeckstr. 21 

Amt Lat&ow 

Erd- u. Feuerbestattung 


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Besorgung aller Beerdigungsangelegenlhöiten. 




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Kompemfium der sozialen Hygiei 


von 


Professor Dr. B. Chajes, Berlin 

Arzt u. Dozent an der Technischen Hochschule in Charlottenburg 


V 


Mit zahlreichen statistischen Tabellen und Kurven 

Preis gebunden M. 122.50 

















86. Jahrg. 


Zeitschrift für Medizin&lbe&mte. 


Nr. 20. 


Personalien. 

Deutaohea Reich und Preusaen. 

Ernannt: zum Kreismedizinalrat Kreisassistenzarzt Dr. Ohm in PlSn. 

Württemberg. 

Ernannt: zum Oberamtsarzt in Ravensberg Dr. M tt 11 e r ans Rottenburg. 

laohien. 

Ernannt: znm Bezirksamt für den nengebildeten Medizinalbezirk Werdau 
Reg.-Med.-Rat Dr. L eh n e r t 


Erledigte Stellen. 

Preusaen. 

Zu besetzen sind alsbald die Kreisassistenzarztstellen in Oppeln, Re¬ 
gierungsbezirk Oppeln und Dortmund, Regierungsbezirk Arnsberg. Bewerbungen 
sind an das Ministerium für Volkswohlfahrt in Berlin W. 66, Leipzigerstr. 8 
durch Vermittelung des für den Wohnort des Bewerbern zuständigen Herrn 
Regierungspräsidenten (in Berlin des Herrn Polizeipräsidenten) einzureichen. 


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Steigerung der unspezifischen Immunität, als Aus¬ 
druck der natürlichen Abwehrkräfte des Organismus 
bei Krankheitsangriffen aller Art. 

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Grippe, Grippe- und Broncho-Pnenmonie. Puer¬ 
peralfieber, Pyelitis Sepsis, Venenentzündung, 
Erysipel, Typblltis usw. 

Anwendung : 1 Ampulle lntrammknlir. Wiederholung nach Bedarf, 
Originalpackung: Schachtel enthaltend 1 Ampulle in 2 ccm. 
Krankenhaugpackung : 8chachtel enthaltend l2Ampnllen in 2 ccm. 

Ausführliche Literatur durch: 

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Entgegnung auf den Artikel: 

„Mit Volldampf voraus — gegen den Kreisarzt“ 
in Nr. 15/1922 dieser Zeitschrift. 

Von Stadtmedizinalrat Dr. Janbowski-Königsberg i. Pr. 

Der Artikel des Kreismedizinalrats Dr. Hahn ist zu sehr 
geeignet, über die hiesigen Verhältnisse Fernerstehenden ein 
ganz falsches Bild zu geben, weshalb ich, zuraal meine Person 
mehrmals genannt ist, mich verpflichtet sehe, hierzu Stellung 
zu nehmen. 

Die zu Beginn des Jahres 1919 ausgeschriebene, neu ge¬ 
schaffene Stadtarztstelle in Königsberg wurde vom Magistrat 
dem damaligen Stadtkreisarzt — Nord, der sich um die Stelle 
gar nicht beworben hatte, übertragen. Der Kreisarzt bat seine 
Vorgesetzte Dienstbehörde um die Genehmigung zur Annahme 
dieser Stelle im Nebenamte, erhielt aber einen ablehnenden 
Bescheid mit der Begründung: die kreisärztlichen Dienstgeschäfte 
wären zu umfangreich, als daß daneben noch das Amt eines 
Stadtarztes wahrgenommen werden könnte. Der Kreisarzt kün¬ 
digte hierauf dem Magistrat die Stadtarztstelle auf. 

Im Oktober desselben Jahres erhielt der Kreisarzt vom 
Magistrat die Anfrage, ob er, nachdem die Stadtverordneten- 










658 Dr. J&nkowski: Entgegnung auf den Artikel: „Mit Volldampf voraus—usw. 

Versammlung ihn zum besoldeten Magistratsmitgliede gewählt, 
diese Wahl annehme. Jeder, der die Amtstätigkeit des Kreis¬ 
arztes einer Großstadt wirklich kennt, wird es verstehen, daß 
der Stadtkreisarzt auf die praktische Bearbeitung der sozial¬ 
hygienischen Aufgaben seines Amtsbereiches gezwungener¬ 
maßen nicht verzichten, vielmehr lieber in der erfolgreichen Aus¬ 
wirkung der gesundheitsfürsorgerischen Maßnahmen als dem 
bedeutsameren Teil der Amtsgeschäfte eines Gesundheitsbeamten 
sich betätigen wollte — auch trotz pekuniärer Einbuße. Des¬ 
halb erbat er seine Entlassung aus dem Staatsdienste gleich¬ 
zeitig unter Bereiterklärung, die Dienstgeschäfte des Kreisarztes 
weiter führen zu wollen; in kurzem erfolgte die nachgesuchte 
Dienstentlassung, ohne daß die erstrebte Vereinigung der Kreis¬ 
arzt- mit der Stadtarztstelle auch nur erwähnt wurde. 

Auf den leidigen Streit, ob besser eine Kreisarzt- mit der 
Stadtarztstelle oder umgekehrt zu verbinden ist, will ich mit 
keinem Worte eingehen, weil meines Erachtens die Lösung 
dieser Frage niemals auf dem Papier ausgefochten werden 
kann, und im Widerstreit der Meinungen, besonders wenn man 
Ausdrücke wie „Illustration der Machtbestrebungen einer Gro߬ 
stadt“, „Expansionsdrang der Kommune“, „Machthunger“, 
„Kampf um die Herrschaft“ und dergl. mehr gebraucht, ganz 
unnötige Schärfen hineingetragen werden. Die Entwicklung 
unaufhaltbarer Dinge geht unbeirrt ihren Weg weiter. 

Jeder Sachkundige wird mir ohne weiteres darin bei¬ 
stimmen, daß es im Interesse der Sache gegeben ist, das ge¬ 
samte Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege in einem Bezirk, 
solange es sich noch von einer Stelle überblicken läßt, von 
einem streng zentralisierten Amte aus zu leiten, die Arbeit auf 
diesem Gebiete aber weitgehendst zu dezentralisieren. Das ist 
meine aus Jahrzehnte langer praktischer Erfahrung heraus ge¬ 
wonnene Ueberzeugung, der ich als Stadtkreisarzt, solange und 
soweit ich es vermocht, Geltung zu verschaffen bemüht gewesen, 
und für die ich als Stadtmedizinalrat naturgemäß einzutreten 
verpflichtet bin. 

Wie gestaltet sich nun — und das ist ja schließlich die 
Hauptsache — die im öffentlichen Interesse notwendige, ein¬ 
heitliche Arbeit auf dem gesundheitlichen Gebiete bei uns in 
Königsberg? Herr Kollege Hahn kommt zum Schluß seines 
Artikels auf die vor kurzem überstandene Paratyphus-Epidemie 
zu sprechen: „Gerade mit Bezug auf das öffentliche Gesund¬ 
heitswesen ist unbeeinflußtes Urteil, gelegentlich von jeder 
Rücksichtnahme freie Entschließung — wie noch jüngst hier 
eine wahrscheinlich mit der Zentralwasserleitung in ursäch¬ 
lichem Zusammenhang stehende Paratyphus-Epidemie erwiesen 
hat — geboten.“ Kein staatlicher Medizinalbeamter Königs¬ 
bergs hat es im Interesse des Volksganzen weder zu Beginn 
noch im Verlaufe der Epidemie für notwendig gehalten, sich 
mit dem Gesundheitsamte der Stadt überhaupt in Verbindung 
zu setzen. Trotz Richtigstellung in der lokalen Presse und 



Dr. Fritz Strassmauh: Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. 659 

trotz wissenschaftlicher Begründung in der Fachpresse (Deutsche 
medizinische Wochenschrift Nr. 31/1922), wonach die Annahme: 
„die Seuche sei durch das Trinkwasser verbreitet, als recht 
unwahrscheinlich abzulehnen und auch durch den Gang der 
Epidemie widerlegt ist“, hält Herr Kollege Hahn sich für be¬ 
rechtigt, an seiner gegenteiligen Ansicht festzuhalten und sie 
öffentlich weiter zu verbreiten! Falls dieses die von ihm selbst 
betonte „Erhaltung der uneingeschränkten Amtsbefugnisse des 
Kreisarztes“ bedeuten sollte, dürfte er wohl allseitiger Zu¬ 
stimmung sich nicht erfreuen. 

Sapienti sat! _ 


Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. 

Von Geb. Med.-Bat Prof. Dr. Fritz Strassmann - Berlin. 

Todesfälle durch Trinken von Salpetersäure gelten mit 
Recht allgemein als sehr selten. Mir ist nicht bekannt, daß 
seit den entsprechenden Mitteilungen von A. Les8er und von 
C. Ipsen, die nahezu 30 oder gar 40 Jahre zurückliegen, weitere 
Veröffentlichungen erfolgt sind. Ich halte es daher für ange¬ 
bracht, den nachfolgenden kürzlich beobachteten Fall, der auch 
manches Eigenartige bietet, ausführlich mitzuteilen: 

„Der Kaufmann B. P., geboren am 22. Angast 1890, holte sieb nach 
Angabe der Matter am 23. März 1922 aas der L.-Apotheke eine Flasche Salz¬ 
säure and trank diese in Gegenwart der Matter, die ihn nicht verhindern 
konnte, mit den Worten aas: „Herunter von der Welt, so ein Mensch, der keine 
Arbeit bekommt, ist za nichts nütze.“ Er legte sich dann anfs Sofa, die Matter 
holte einen Arzt, der ihn sofort dem Krankenhanse am Urban fiberwies. 

Nach der Krankengeschichte hat P. als Junge alle 3—4 Jahre Krampf¬ 
anfälle gehabt. Mit 16 Jahren traten epileptische Anfälle in Abständen von 
zwei Tagen aaf, die bis zam Lebensende andauerten. Seit dem Alter von 
16 Jahren war er infolgedessen stellungslos. Schon vor 10 Jahren versuchte 
er sich in seiner Verzweiflung zu ertränken. Nach der Giftaufnahme soll er 
alsbald gespien haben. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus klagte er über 
starke Schmerzen im Mond and Bachen, war anch benommen. — Seine Mntter 
gab noch an, ihr Sohn sei peinlich saaber, umständlich, schwerfällig im Be¬ 
greifen geworden. Er war stets gedrückter Stimmang, gelegentlich traten 
religiöse Gedankengänge stärker bei ihm hervor. 

P. zeigte blutigen Speichel vor dem Monde, die Schleimhaat der ganzen 
Mundhöhle war mit einem weißen Schorf bedeckt, stellenweise blatig, vom 
Zäpfchen die Spitze weggeätzt. Der Pals war klein, weich and beschleanigt. 
Die Temperatur 37,2. Er erhielt ausgiebige Magenspülungen mit Natron- 
Bicarbonatlösung und nachher reichlich Milch zu trinken. Eine Untersuchung 
des Mageninhalts aaf Salzsäure ergab keine erhöhte Salzsäure, die Gesamt¬ 
azidität 29,5. Das Befinden besserte sich, doch redete der Kranke wirres 
Zeug durcheinander. In der Mundhöhle waren starke Zerstörungen sichtbar. 
Das blieb so bis zum 28. März, da trat eine plötzliche Verschlechterung im 
Befinden mit Temperatarsteigerung bis 38,1 und unfühlbarem Puls auf. Trotz 
Koffein blieb der Puls auch am nächsten Tage unregelmäßig, klein und sehr 
frequent, der Patient war bewußtlos, zyanotisch, in diesem Zustande trat am 
29. der Tod ein. 

Am 8. April wurde die gerichtliche Leichenöffnung von mir und Prof. 
Strauch ausgeführt. Sie ergab an wichtigen Punkten: an der vordersten 
Spitze des rechten Stirnlappens eine orangefarbene Verfärbung und Erweichung 
von etwa Haselnußgröße im Gehirngewebe unmittelbar unter der weichen Ge¬ 
hirnhaut. In den Gehirnkammern etwas vermehrte Flüssigkeit. Feste Ver¬ 
wachsungen der linken Lunge in ihrer unteren Hälfte mit der Brustwand. 



560 Dr. Fritz Strassmann: Selbstmord durch Trinken von Salpetersäure. 

Reichliche Fettbewachsung des Herzens, das viel geronnenes dunkles Blut 
enthält Herzgewicht 820 g. 

Die Speiseröhre war in ihrem ganzen Umfange mißfarben und von eitrigen 
Hassen belegt. Auch in Kehlkopf und Luftröhre fanden sich schleimig eitrige 
Massen, die Schleimhaut daruntei sammetartig glänzend, graurot. Der linke Unter¬ 
lappen der Lunge ist fest, dunkelrot, brüchig mit eingesprengten kleinen Herden. 
In den großen Luftwegen lag eitrige Flüssigkeit. Rechts waren sowohl Ober* 
wie Unterlappen in ihren hinteren Abschnitten von zahlreichen grauroten derben 
Herden durchsetzt Der lohalt der Luftröhre war auch hier eitrig, auf dem 
Ueberzug der Lunge fanden sich einige hautartige Beschläge. 

Der Magen war leer. Seine Schleimhaut zeigte eine durchgehende 
gelbgrüne Färbung. Auch der unterste Abschnitt der Speiseröhre ist voll* 
kommen hellgelb gefärbt. Das Epithel löst sich leicht ab. In der linken 
Hälfte des Magens zeigt die Schleimhaut zum Teil höckrige schwarzgrüne 
Erhebungen. Diese Veränderung reicht bis an den Pförtner. Die Schleimhaut 
des Zwölffingerdarms ist nicht verdickt, zeigt aber gleichmäßige hellgelbe bis 
gelbgrüne Verfärbung, die im oberen Dünndarm aufhört. 

Die übrigen Organe boten nichts Bemerkenswertes. 

Die mikroskopische Untersuchung der Lunge ergab eine ausgedehnte 
zellige Infiltration. Am Magen fand sich das typische Bild der Vergiftung 
durch Mineralsäure, die Schleimhaut war znm größten Teile weggeschmolzen, 
nur vereinzelt zeigten sich noch die Stümpfe der Drüsen, die an ihrer Form 
deutlich erkennbar waren, im übrigen aber ausschließlich aus bräunlich ver¬ 
färbter Biutmasse bestanden. Die oberen Schichten der Unterschleimhaut zeigten 
znm großen Teil mangelhafte Kernfärbung. Die Gefäße waren strotzend ge¬ 
füllt, auch hier zeigte sich vielfach das Blut zu braunen scholligen Massen 
umgewandelt. In den tieferen Schichten der Unterschleimhaut und in der 
Muskelschicht war der Befund ein im wesentlichen normaler. Entzündliche 
Zellanhäufung fand sich nur wenig. An den Partien, die den Erhebungen ent¬ 
sprachen, fanden sich in der Unterschleimhaut Austritte roter Blutkörperchen, 
die in ihrer Form unverändert erschienen. Sie waren verhältnismäßig nicht sehr 
umfangreich, der größere Teil der Schwellung war offenbar durch Oedem bedingt. 

Die Untersuchung der Gehirngeschwulst ergab, daß es sich um ein Gliom 
mit älteren und frischeren Blutungen und zum Teil verkalkten Nekrosen 
handelte. 

Obwohl die gelbe Färbung der Schorfe eine unzweifel¬ 
hafte Salpetersäurereaktion darstellte, haben wir noch nach¬ 
träglich an dem im ganzen konservierten Präparat diese chemisch 
festzustellen gesucht. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen 
mit anderen üblichen Proben (Diphenylaminprobe) gelang meinem 
Assistenten Dr. Kipper dieser Nachweis auf folgende Art: 

Ein kleines Stückchen des gelbgefärbten Gewebes wurde in ein Reagens¬ 
glas gebracht, 5 ccm reine Schwefelsäure hinzugefügt und gelinde erwärmt, 
bis die Zerstörung der organischen Substanz begann. Dann wurde das Er¬ 
wärmen unterbrochen und gewartet, bis eine vollkommen klare hellbraune 
Lösung entstand. Diese wurde noch heiß mit Ferrosnlfatlösung überschüttet. 
Es bildete sich an der Grenzschicht ein schwarzer Ring, der sich deutlich ab¬ 
hob, d. h. eine Stickoxydferrosulfatverbindung, die für die Anwesenheit von 
Nitraten beweisend ist. 

Zur Kontrolle wurde ein Stück Haut mit Salpetersäure verätzt, ab¬ 
gespült, 3 Stunden mit destilliertem WaBser gewaschen und über Nacht 
mazeriert. In der Mazerationsflüssigkeit ließ sich jetzt ebenso wie in der 
Mazerationsflüssigkeit unseres Präparates keine Salpetersäure mehr nachweisen. 
Das Hautstückchen gab aber deutlich positive Diphenylaminreaktion, indem 
blaue Streifen von dem Objekt fortzogeo, das selber blau verfärbt wurde. Die 
Schwefelsäareferrosulfatprobe war deutlich positiv. Es entstand ein intensiv 
schwarzer Ring an der ßeriihrungsstelle beider Flüssigkeiten. 

Die Befürchtung, daß das Gewebe an sich Stickstoff-(eiweiß) haltig für 
sich ebenfalls ein positives Ergebnis bei der Probe liefern könne, hat sich bei 
der gleichen Vereuchsanordnung mit nicht verfitzten Teilen nicht bestätigt 



Max RehwaM: Die Maxlmaldosen der Arzneimittel. 


561 


Freilich zeigte sich dabei, daß die Probe eine graduelle ist, es ist notwendig, 
von frischem einwandfreien Gewebe nnd dem verdächtigen, mit Salpetersäure 
verätzten gleich große bezw. gleich schwere Stückchen za nehmen, Bie in der 
gleichen Menge Schwefelsäure nnd zwar soviel zu lösen, daß die Lösung hell¬ 
braun wird, durch Erwärmen die Zerstörung nur einzuleiten, diese selber dann 
aber abzuwarten und die noch heiße Lösung zu überschicbten. Bei ungefähr 
12 Kontrollversnchen entstand auf diese Weise eine vielleicht etwas dunklere 
breite Zone, die nach oben ins violett überging, aber nie ein scharf abgesetzter 
tiefschwarzer Ring, wie ihn die verätzte Haut und der fragliche Magen gaben. 

Es ist danach nicht zu bezweifeln, daß im vorliegenden 
Falle eine Aetzung durch Salpetersäure Vorgelegen hat. Zweifel¬ 
haft kann sein, ob reine Salpetersäure vorlag oder eine Mischung 
von Salpeter- und Salzsäure (Königswasser). Vielleicht würde 
sich dadurch die Angabe des Getöteten erklären, daß er sich 
mit Salzsäure vergiftet hat. 

Bemerkenswert ist in diesem Falle das Fehlen der Gelb¬ 
färbung an den Schorfen im Mund und Rachen, deren weiße 
Farbe im Krankenhaus festgestellt worden ist. Auch in der 
Speiseröhre war im Gegensatz zum Magen und Darm bei der 
Sektion die charakteristische Xanthoproteinreaktion nicht fest¬ 
zustellen. Das steht im Gegensatz zu den oben erwähnten 
älteren Fällen, in denen die Reaktion von oben nach unten 
an Stärke abnahm. Die Abweichung läßt sich erklären unter 
Berücksichtigung des bereits von Kunkel hervorgehobenen 
Umstandes, daß es einiger Zeit bedarf, bis die gelbe Farbe er¬ 
scheint. In jenen Fällen waren neutralisierende Gegenmittel 
nicht gereicht worden bezw. nicht beizubringen gewesen. In 
unserem Falle war das alsbald in ausgiebigem Maße geschehen. 
Man kann sich wohl vorstellen, daß ihre Wirkung in den oberen 
Abschnitten des Verdauungsapparates eine stärkere war und 
daß daher hier die Reaktion ausblieb. Die sonstigen Ab¬ 
weichungen unserer Befunde erklären sich aus dem erheblich 
längeren Leben dieses Vergifteten, bei dem dann die sekun¬ 
dären Folgeerscheinungen der Mineralsäurevergiftung sich ent¬ 
wickeln konnten. 

Ein gewisses Interesse hat auch die vor Zeugen erfolgte 
Ausführung des Selbstmordes mit ausdrücklicher Begründung. 
Wir erleben solches ja nicht so häufig. Ueber einen in dieser 
Beziehung ähnlichen Fall von Cyankalivergiftung wird mein 
Assistent, Dr. v. Neureiter, demnächst in der deutschen Zeit¬ 
schrift für gerichtliche Medizin berichten, einen anderen, in 
dem eine ausführliche schriftliche Begründung vorlag, hat 
Lochte an derselben Stelle in diesem Jahre bereits ver¬ 
öffentlicht. 


Die Maxlmaldosen der Arzneimittel. 

Von Apotheker Max Rehwald-Berlin. 

Die Maximaldosen sind in den letzten Jahren des öfteren 
Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen. So führte Ober¬ 
apotheker Dr. Rapp in Nr. 4 der Münchener Medizinischen 



662 


Max Rehwald. 


Wochenschrift 1922 u. a. aus, daß der Arzt nach der Deutschen 
Gesetzgebung, insbesondere infolge der Haftpflicht, nicht nach¬ 
drücklich genug auf die Gefahr hinge wiese» werden kann, die 
eine fehlerhafte Verschreib weise nicht nur für den Patienten, 
sondern auch für den haftpflichtigen Arzt selbst zur Folge 
haben kann. Es wird nach Rapp immer noch zu wenig be¬ 
achtet, daß die ärztlichen Verordnungen nach der Entscheidung 
des Reichsgerichts vom 12. Oktober 1888 als Privaturkunden 
gelten und bestimmt sind, als Belege rechtserheblicher Tat¬ 
sachen zu dienen. Der Arzt haftet nicht nur für den Schaden 
bei ungenau gegebener Gebrauchsanweisung. Natürlich kann 
diese Haftpflicht, von pekuniäreq. Opfern ganz abgesehen, dem 
Arzt große Unannehmlichkeiten bereiten. 

Bei der großen Wichtigkeit dieser Materie muß es nur in 
Erstaunen setzen, daß in ärztlichen und pharmazeutischen 
Kreisen über die Bedeutung der Maximaldosen recht verschiedene 
Ansichten vertreten wurden. Ich will hier nur kurz auf die 
Arbeiten von Dührsen (Deutsche Medizinische Wochenschrift, 
1919, Nr. 10), von Joachimoglu (Deutsche Medizinische 
Wochenschrift, 1919, Nr. 14) sowie auf die Ausführungen des 
in Apothekerkreisen gelesensten Fachblattes, der Pharmazeu¬ 
tischen Zeitung, 1919, Nr. 47/48, hinweisen und dazu bemerken, 
daß man nach H eff ters Veröffentlichung (Berichte der Deutschen 
Pharmazeutischen Gesellschaft, 1919, Heft 6) wohl über eins klar 
geworden ist. Die Maximaldosen sind auf Grund klinischer Er¬ 
fahrungen festgelegte Werte stark wirkender Arzneimittel, deren 
alleiniger Zweck ist, zu verhindern, daß durch Schreibfehler oder 
sonstige Zufälligkeitenvergiftungen entstehen. Der Natur derSache 
nach können sie nicht als Index oder Einschränkung des ärzt¬ 
lichen Handelns dienen, da die Wirkung der Arzneimittel auf 
den einzelnen Menschen großen Schwankungen unterliegt. Aus 
demselben Grunde dürfen die Maximaldosen auch nicht als Grenz¬ 
werte aufgefaßt werden, jenseits deren Vergiftungserscheinungen 
auftreten müssen. Will der Arzt die Maximaldosen überschreiten, 
so hat er nur nötig, dies durch ein Ausrufungszeichen (1) zu 
erkennen zu geben; ohne dieses ist es dem Apotheker nicht 
gestattet, die Arznei zu verabfolgen. 

Wenn aber im Deutschen Arzneibuch das Verzeichnis der 
Maximaldosen überschrieben wird: „Tabelle A, enthaltend die 
größten Gaben (Maximaldosen) einiger Arzneimittel für einen 
erwachsenen Menschen,“ so kann man logischer weise folgern, 
daß jenseits dieser Grenze die toxische Dosis beginnt. Da das 
nach den unwidersprochenen Ausführungen Heffters nicht der 
Fall ist, muß die Ausdrucksweise des Arzneibuches als irre¬ 
führend angesehen werden. Man sollte daher bei der bevor¬ 
stehenden Neuausgabe' die Bezeichnungen größte Gaben und 
Maximaldosen fallen lassen und sie durch die Worte: Medizinale 
Gaben oder Dosis medicinalis ersetzen, denn um diese handelt 



JDie Maximaldosen der Arzneimittel. 


663 


es sich. Nach der erwähnten Ueberschrift folgt im Arzneibuch 
der folgende Text: Ist eins der nachstehenden Mittel in einer 
Arznei zum inneren Gebrauch (zum Einnehmen) in 
solchen Mengen enthalten, daß bei dem vorgeschriebenen Ge¬ 
brauche die nachstehende größte Einzelgabe oder größte Tages¬ 
gabe, d. h. die sich auf 24 Stunden verteilende Menge, über¬ 
schritten wird, so darf der Apotheker die Arznei nur dann 
abgeben, wenn der Arzt durch ein der Mengenabgabe des be¬ 
treffenden Mittels beigefügt'es Ausrufungszeichen (!) zu erkennen 
gegeben hat, daß die Ueberschreitung der größten Gaben be¬ 
absichtigt ist. Dies gilt auch für die Verordnung der nach¬ 
stehenden Mittel in Form von Augen wässern, Einat¬ 
mungen, Einspritzungen unter dieHaut, Klistieren 
und Suppositorien. 

An dieser Fassung, die übrigens älteren Ausgaben des 
Arzneibuches gegenüber schon wesentlich verbessert ist, bleibt 
noch immer manches auszusetzen. Nehmen wir den folgenden 
praktischen Fall: Ein gewohnheitsmäßiger Kokainschnupfer 
kommt in die ärztliche Sprechstunde und die Lage der Dinge 
erfordert es, daß der Patient 0,5 oder 1,0 Kokain mur. er¬ 
hält. Der Arzt verschreibt nach dieser Feststellung das 
folgende Rezept: Kokain mur. 1,0 S. Schnupfpulver. Da nun 
nach den obigen Ausführungen des Arzneibuches Schnupfpulver 
als äußerliche Arzneimittel anzusehen sind, deren Neuanfertigung 
nichts im Wege steht, ist der Apotheker nicht nur berechtigt, 
Bondern sogar verpflichtet, das Rezept anzufertigen, so oft es 
der Kranke wünscht. Diesem ganz unhaltbaren Zu¬ 
stande muß sobald wie möglich ein Ende gemacht 
werden Verordnet dagegen der Arzt eine Zinksulfatlösung 
und läßt ihr etwas Kokain zusetzen, so ist die erneute An¬ 
fertigung nur nach jedesmaliger mit Datum und Unterschrift 
versehener Anweisung gestattet. Dieser Unsinn — ein milderer 
Ausdruck ist hier wirklich nicht am Platze — ist nur möglich, 
weil im Deutschen Arzneibuche die sehr wichtige Angabe fehlt, 
daß die „Maximaldosen“ Geltung haben für die Anwendung der 
Medikamente von allen Körperstellen aus, an denen ihr Eintritt 
in die Säftemasse sich vollziehen kann. Diesen Worten könnte 
eine kurze Erklärung folgen. 

Wichtig wäre es auch, die Frage der Maximaldosen in 
dem neuen Arzneibuch gründlicher zu behandeln und nicht, 
wie es bisher geschah, für jede Art innerlicher Verordnung eine 
Maximaldosis festzusetzen. Das widerspricht nach Morgenrot 
den elementarsten dosiologischen Erwägungen. Eine wirklich 
ernstgemeinte Maximaldosis kann nicht für intravenöse und 
intramuskuläre Applikation einerseits, für subkutane und sto- 
machale Darreichung andererseits die gleiche sein. Bei der 
Lösung dieser Frage könnte man sich vielleicht die folgende 
Erfahrung zu Nutze machen: Setzen wir bei interner An- 



564 Max Behwald: Die Maximaldoeen der Arzneimittel. 

Wendung die medizinale Dosis = 1, so ist diese bei direkter 
Einführung ins Blut = Vs — Vs» hei epidennatischer Applikation 
= 3—6, überall entsprechend der vermehrten oder verringerten 
Aufsaugung. Bei der Subkutaninjektion gleicht die beschleunigte 
Elimination wieder die beschleunigte Resorption aus, so daß in¬ 
terne und subkutane Dosen so ziemlich identisch sind. 

Eine weitere Frage, die uns das Arzneibuch bisher schuldig 
blieb, ist die folgende: Wie verhält sich der Apotheker, wenn 
der Arzt die üblichen Dosen bei Arzneimitteln überschreitet, 
für die das Arzneibuch eine „Maximaldosis“ nicht vorschreibt. 
Wenn er Aconitin, Colchicin, Nitroglycerin in Mengen ver¬ 
ordnet, die nach der vorhandenen Literatur abnorm hoch sind? 
Ein Recht des Apothekers, vom Arzt das! zu verlangen, be¬ 
steht hier nicht, obgleich gerade diese Fälle in der Praxis nicht 
zu selten sind. Dazu kommt, daß beschäftigte Aerzte auf An¬ 
fragen, die ihrer Ansicht nach überflüssig sind, nicht immer in 
liebenswürdigster Form erwidern und die Apotheker daher ge¬ 
neigt sein könnten, da, wo es sich irgendwie verantworten 
läßt, Rückfragen zu unterlassen. Hier müßte, um Weiterungen 
zu vermeiden, eine für Aerzte und Apotheker gültige Maximal¬ 
dosentabelle aller gebräuchlichen Mittel ausgearbeitet und be¬ 
ständig ergänzt werden. In Fällen, wo der Arzt die festgelegten 
Dosen überschreitet, hätte er dann auch bei diesen Mitteln 
seine Absicht durch ein! klarzulegen. Das wäre wohl die ein¬ 
fachste und beste Lösung. 

Bereits vorhandene Tabellen könnten als Grundlage dienen, 
müßten aber vorher von erfahrenen Pharmakologen nachgeprüft 
werden, da sie zurzeit recht bedeutende Unterschiede aufweisen, 
durch die sehr leicht Verwirrung in die Kreise der Aerzte und 
Apotheker getragen wird. Zum Beispiel ist in einer von 
Prof. L. Levin aufgestellten Maximaldosentabelle für das Nitro¬ 
glycerin als größte Einzelgabe 0,002 angegeben, während nach 
Boerners Reichsmedizinalkalender bis 10 Tropfen, also un¬ 
gefähr die doppelte Menge gegeben werden kann. 

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Berech¬ 
nung der Einzeldosis durch den Apotheker zwar bei abgeteilten 
Pulvern und Pillen keinerlei Schwierigkeiten macht, wohl aber 
bei Pulvergemischen, von denen der Patient messerspitzenweise 
einnimmt. Wieviel Gramm rechnet man auf eine Messerspitze? 
Das ist eine offene Frage, die jeder Apotheker beantworten 
kann wie er will. Bei den heute überall auftretenden Be¬ 
strebungen, Normen aufzustellen, könnten wir es nur mit Freuden 
begrüßen, wenn das neue Arzneibuch auch hier bestimmte 
Richtlinien angeben würde. Für flüssige Arzneien hat sich ja 
bereits die allgemein anerkannte Regel eingebürgert, für einen 
Teelöffel = 4,0, einen Kinderlöffel = 10,0, einen Eßlöffel = 15,0 
anzunehmen. 



Dr. Hahn: Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 


665 


Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung.*) 

Von Kreismedizinalrat Dr. Hahn«K5nigsberg i. Pr. 

Es ist ein unerfreuliches und für den Medizinalbeamten 
wenig dankbares Kapitel, worüber ich auf Anreguog von 
Kollegen referieren werde. Die in unserem Sinne geringe Frucht¬ 
barkeit der Kurpfuschereibekämpfung ist Ihnen allen aus Ihrer 
amtlichen Tätigkeit bekannt und ich bitte Sie, sich nicht zu 
sehr in Ihren Erwartungen getäuscht zu fühlen, wenn ich 
wesentlich Neues kaum Vorbringen werde. Aber ich hoffe, 
auch allein mit der Zusammenstellung des uns zurzeit zur Ver¬ 
fügung stehenden Rüstzeuges im Kampfe gegen die Kurpfuscherei, 
die immer dreister sich breit macht — des Interesses wegen 

bemerke ich, daß wir hier in Königsberg Herrn G. 

in sechsmaliger Auflage haben — manchem Kollegen einen Ge¬ 
fallen zu tun. 

Das, was der Bevölkerung und uns Kreisärzten allein 
helfen könnte, wäre ein straffes Kurpfuschereigesetz und eine 
Verordnung, die in klaren Worten, welche nicht alle möglichen 
Auslegungen zulassen und überall Hintertüren haben, den Arznei¬ 
mittelverkehr außerhalb der Apotheken regelt. Indes wird dieser 
Wunsch, wie die Verhältnisse und Zeiten nun mal sind, wohl 
lange noch unerfüllt bleiben. 

Die Kurpfuscher haben es zwar nicht nötig, sich persönlich 
beim Kreisarzt zu melden, aber ich lege darauf Wert, daß sie 
es tun, und ich habe noch in jedem Falle den Vorzug gehabt, 
die Herren Konkurrenten im Heilgewerbe in Person bei mir 
zu sehen, wobei ich sie genau über Vorbildung und Anlaß des 
Wechsels ihres bisherigen Berufs befragen konnte. Die Vor¬ 
bildung ist stets = 0. Die Heilkünstler haben das Kurieren 
entweder aus sich, aus einem Buch, oder aus Büchern, im 
Verein usw. gelernt. Als Veranlassung zu dem Entschluß der 
Ausübung des Heilgewerbes ist mir in letzter Zeit einigemal 
gesagt worden, daß man, „so“, das heißt, vom Gehalt, von 
Zinsen, von dem Einkommen aus anderer Beschäftigung bei 
der Teuerung nicht leben könne und sich nach Nebenverdienst 

umsehen müsse. Nur die Herren Biochemiker, G.und 

seine Jünger haben ungewöhnliche Gaben von der Natur mit¬ 
bekommen und fühlen sich zum Kurieren „berufen“. Sie lesen 
die Krankheiten von den Augen ab. — Wir leben eben im 
Zeitalter der Mystik. — Auch ein hiesiger Arzt soll nach mir 
unlängst gewordener Mitteilung seitens eines Kollegen geäußert 
haben, daß die Akten über den Wert der Augendiagnose noch 
nicht geschlossen seien. 

Ich möchte hier gleich bemerken, daß allein die An¬ 
kündigung der „Heihätigkeit auf Grund der Augen¬ 
diagnose“ uns keine Handhabe zum Strafantrag, etwa wegen 


*) Nach einem Vortrag auf der Versammlung der Medizinal beamten des 
Regierungsbezirks Königsberg am 24. Juni 1922. 





666 


Dr. Haha. 


Betruges, bietet. Man müßte vielleicht aus schriftlichen Er¬ 
klärungen des Pfuschers beweisen können, daß dieser selbst 
die Sache für Humbug hält. Wenn aber jemand, z. B. G., mit 
dem ich mich einmal zwei Stunden unterhalten habe, aus so- 

S mannter „innerster Ueberzeugung“ sich berufen fühlt, der 
enschheit und natürlich auch seinem Portemonnaie zu helfen, 
dann dürfte das Gericht auf Antrag des Kreisarztes ein be¬ 
jahendes Urteil bezügl. offenbaren Betruges voraussichtlich nicht 
fällen. 

Die lebende Maschine „Mensch 0 kann jeder ohne Vor¬ 
bildung auf seine Art reparieren. Jede sonstige Maschine aber 
reparieren nur die, welche etwas davon verstehen, die vielleicht 
sogar einen Befähigungsnachweis haben müssen. 

Ich beginne sogleich mit dem, was uns Medizinalbeamten 
als Paragraphendienern Fundament und Wegweiser auf dem 
Gebiet der Kurpfuschereibekämpfung ist, wobei ich auch die 
Bestimmungen einbeziehe, welche sich gegen die Handlungen 
abwegiger Aerzte anwenden lassen. 

Eines schicke ich kurz voraus. Wir Medizinalbeamte sind 
vielleicht nicht alle in gleicher Situation, was unsere Energie¬ 
entfaltung gegenüber der Kurpfuscherei anbetrifft. Derjenige, 
dem staatliche Polizei, wie in Königsberg, zur Seite steht, wird 
eher etwas unternehmen wollen und können wie derjenige, der 
sich auf kommunale Polizei stützen muß. Hier dürfte die 
Polizei, wenn mal ein Mißerfolg eintritt, weniger Lust zum 
Einschreiten zeigen und der Kreisarzt ist dadurch und wegen 
der Unsicherheit der Rechtsprechung entschieden behinderter. 
Die Reichs-Gewerbe-Ordnung bestimmt folgendes: 

§ 1. Der Betrieb eines Gewerbes ist jedermann gestattet, 
soweit nicht durch dies Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen 
vorgeschrieben oder zugelassen werden. 

§ 6 lautet: Das gegenwärtige Gesetz findet keine An¬ 
wendung auf .... das Unterrichtswesen, die advokatorische 
und notarielle Praxis (also schreiben, lesen, rechnen = Lehren, 
ist nicht jedermann ohne weiteres gestattet, die Gesundheit des 
Menschen zu betreuen, aber einem jeden). 

Auf die Ausübung der Heilkunde, den Verkauf von Arznei¬ 
mitteln, findet das Gesetz nur insoweit Anwendung, als das¬ 
selbe ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält. 

§ 29: Eine Approbation bedürfen diejenigen Personen, 
welche sich als Aerzte bezeichnen. 

§§ 147 und 148 der R.G.O. sagt zu Ziffer 3: Be¬ 
straft wird, wer ohne hierzu approbiert zu sein, sich als Arzt 
bezeichnet, oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den 
der Glaube erweckt wird, der Inhaber sei eine geprüfte Medizinal¬ 
person. Verbotene Titelführungen sind z. B. — wir haben die 
Bestrafung der unberechtigten Titelführungen „Homöopath 8 , 
„Gerichtlicher Sachverständiger 8 , beantragt und erreicht und 
es schwebt jetzt ein Verfahren gegen jemand, der sioh „Spezialist 
für Fußleiden 8 nennt — außer den genannten nach den bis- 



Ueber Kurpfuschegrtum and seine Bekämpfung. 


667 


herigen gerichtlichen Entscheidungen, „praktische und geprüfte 
Vertreter der arzneilosen Heil weise“, „Autorität 1. Ranges für 
Wurmkrankheiten“, „Spezialist für Kopfleiden“, „praktischer 
Naturheilkundiger“, „Naturarzt“, homöopathisches Institut“, 
„praktische Magnethopathie“, „Natur-Spezialist für Lungen¬ 
tuberkulose“, „Naturärztliche Sprechstunden“. 

Polizeiverordnung vom 31. 12. 1876. § 1: 

Aerzte müssen sich vor Beginn ihrer Tätigkeit beim zu¬ 
ständigen Kreisarzt melden. Dazu die Strafbestimmungen. 

Wii sind hier im verflossenen halben Jahr einige Male in 

den Tageszeitungen durch die Ankündigung eines Dr. J.- 

Berlin beglückt worden, welcher mit einem angeblichen Bruch¬ 
heilinstitut von Dr. L .. .-Berlin in Verbindung steht. Besagter 
Dr. L ... machte zuvor in „Asthmaheilung in 6 Wochen“, hat 
sich jetzt aber auf die vielleicht zu höherem Ruhme führende 
Bruchheilufig ohne Operation gelegt. 

>4 Din Arzt kann, wenn pr sich in einem Orte außerhalb 
seiner Praxis zum Besuch aufhält, auch ohne Anmeldung beim 
Kreisarzt Praxis treiben. Er kann auch, was den flicht appro¬ 
bierten Heilgewerbetreibenden nicht gestattet ist — denn § 60 a 
Ziffer 1 der R. G. O. sagt: „Ausgeschlossen vom Gewerbebetrieb 
im Umherziehen ist die Ausübung der Heilkunde, insofern 
der Ausübende für dieselbe nicht approbiert ist — Praxis im 
Umherziehen treiben.“ Aber wenn der in Berlin ansässige Arzt 
in Königsberg Sprechstunde — die er öffentlich in der Lokal¬ 
zeitung ankündigt — abhalten will, d. h. nicht während eines 
besuchsweisen Aufenthalts, um dann von hieraus in andere 
Städte zu weiteren Sprechstunden zu fahren, so muß er sich 

beim Kreisarzt anmelden. Das hatte Dr. J.nicht getan. 

Wir konnten also der Polizei sagen: „wenn der Mann kommt, 
so wird gefragt, ob er sich beim Kreisarzt angemeldet hat; 
falls nicht, ist die Abhaltung der Sprechstunden zu verhindern.“ 
Als nun besagter Arzt einen angeblich früher in Rußland 
approbierten Arzt sandte, war für diesen natürlich erst recht 
nichts zu machen, denn er war in Deutschland nicht approbiert. 
Im übrigen darf auch der Arzt Bruchbänder im Umherziehen 
nicht feilbieten, da nach § 56 Ziff. 9 der R. G.O. vom Verkauf 
^ oder Peilbieten im Umherziehen durch jedermann Gifte, 
Arzneimittel, Geheimmittel, sowie Bruchbänder ausgeschlossen 
sind. Etwaige Ausreden der Bruchheiler oder bruchheilenden 
Aerzte, daß sie nur Bestellungen entgegennehmen, wobei sie 
doch immerhin Maßproben für die Bänder nehmen müßten, sind 
gegenstandslos, denn nach einer Entscheidung des Reichsgerichts 
vom 10. 8. 1910 ist die „Entgegennahme von Bestellungen im 
Umherziehen dem Handel im Umherziehen gleich zu achten.“ 
Als wir beim Besuch des Bruchheilers feststellen konnten, daß 
er für seine Bruchbänder 300 bis 600 M. nimmt, während nach 
der von uns bei den einschlägigen Fabrikationsstätten ein¬ 
geholten Auskunft für diese Artikel in Königsberg höchstens 
150 M. gefordert werden, haben wir das Berliner Polizei-Präsidium 





568 


Dr. Hahn. 


durch das hiesige für den Mann interessiert, da nach dein Votum 
der Königsberger Preisprüfungsstelle darin Preiswucher zu er¬ 
blicken wäre. Dr. L . .. bezw. Dr. J.haben mittlerweile 

wohl eingesehen, daß Königsberg kein geeigneter Platz für sie 
ist. Sie annoncieren hier nicht mehr und wir haben vor einem 
ärztlichen Außenseiter Ruhe. Angeblich erscheinen jetzt die 
Annoncen in den Provinzialzeitungen mit dem Hinweis auf eine 
„Sprechstunde* in Königsberg. Ein anderer Bruchheiler, meiner 
Erinnerung nach von Mannheim her, heilt die Brüche mit 
Bändern, die geradezu lächerlich waren, aber ihre geringe Güte 
durch das in den Leinenbeuteln angeblich enthaltene Radium 
ersetzen sollten. Wir sind dem Geschäftsvertreter ähnlich un¬ 
freundlich begegnet, wie der Firma Dr. L .... und Dr. J.. 

und scheinen auch vor ihm Ruhe zu haben. Das Nachspiel 
für den tüchtigen Geschäftsmann findet wohl in Mannheim statt. 

Strafverfolgung kann ferner in solchen Fällen wie den 
letztgenannten auch wegen Betruges eintreten, auf Grund des 
§ 263 des Str. G. B. d. h.: „Wenn jemand unter Ausbeutung der 
Leichtgläubigkeit und Beschränktheit seiner Kunden bei Ver¬ 
abreichung der Mittel die ihm bekannte Wertlosigkeit der 
letzteren verschweigt oder unangemessene Preise für wertlose 
Mittel fordert (R.G.E. vom 10. 7. 06, 6. 6. 10, 3. 10. 10, 11. 5. 11, 
23. 2. 11).* Der Medizinalbeamte wird in jedem Falle ver¬ 
suchen müssen, sich durch eingehende Feststellung davon zu 
überzeugen, ob er den Pfuscher dessen überführen kann, was 
dem Geist dieses Paragraphen entspricht. Es ist dringend not¬ 
wendig, vor allen Dingen die Tageszeitungen und die Kur¬ 
pfuscher-Annoncen zu „studieren“, dann kommt man schon 
zu den Erwägungen, was in jedem Falle am zweckmäßigsten 
zu unternehmen sein wird, ob § 3 der P.V.O. vom 3. 2.03: 
„Oeffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen, welche 
die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, sind verboten, sofern sie 
über Vorbildung, Befähigung und Erfolge dieser Personen zu 
täuschen geeignet sind oder prahlerische Versprechungen ent¬ 
halten“ — oder ob § 4 „die öffentliche Ankündigung von 
Gegenständen, Verrichtungen, Methoden oder Mitteln, welche 
zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Menschenkrank¬ 
heiten bestimmt sind, ist verboten, wenn den Gegenständen usw. 
besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen 
beigelegt werden, oder das Publikum durch die Art ihrer An¬ 
preisung irregeführt oder belästigt wird, oder wenn die Gegen¬ 
stände usw. geeignet sind, Gesundheitsschädigungen hervor¬ 
zurufen oder ob Ziffer 3 des Gesetzes über deu unlauteren 
Wettbewerb vom 7. 6. 09“, wer in der Absicht, den Anschein 
eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffent¬ 
lichen Bekanntmachungen usw. über die Beschaffenheit von 
gewerblichen Leistungen usw. wissentlich unwahre oder zur 

Irreführung geeignete Angaben macht, wird.bestraft“ 

zutrifft und Anwendung finden muß. Zurzeit haben wir hier 
ein Verfahren gegen eine Heilperson beantragt, welche „sichere 

s. 





Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 


569 


Heilung von Nervosität“ durch gewisse Methoden angekündigt 
hatte. Dem Mann ist unsere unfreundliche Stellungnahme 
nicht bequem. Er bat vor kurzem, den Strafantrag zurückzu- 
aiehen; „er würde nichts Verbotenes mehr annoncieren, beab¬ 
sichtige sogar, von Königsberg fortzuziehen, denn so streng, 
wie hier, sei es aa anderen Orten nicht“, wie auch eine die 
Atem-Gymnastik treibende Heilkünstlerin erklärt hätte. 

Dafi der beamtete Arzt von sich aus befugt ist, Straf¬ 
antrag zu stellen, wo er es für geboten hält, ist bekannt. Des 
Interesses wegen erwähne ich hier noch, daß das 0. V.G. am 
9. 11. 06 entschieden hat, daß „ein Beamter, der prahlerische 
Anpreisungen eines Heilkundigen als — Schwindel — bezeichnet, 
keine Beleidigung begeht (Retzlaffs Polizeihandbuch 1920 
S. 250).“ 

Wie ich schon vorher anführte, ist vom Gewerbebetriebe 
im Umherziehen die Ausübung der Heilkunde durch nicht 
approbierte Personen ausgeschlossen. Es unterliegt natürlich 
richterlicher Entscheidung, in welchem Geiste der Begriff 
„Kurieren im Umherziehen“ aufgefaßt wird, ln Königsberg 
existiert ein Beinheiler, der zweimal wöchentlich tagsüber in 
zwei Städten der Provinz Sprechstunde abhält. Wir sehen der¬ 
artige Heiltätigkeit als „Kurieren im Umherziehen“ an und 
wollen seine Bestrafung erreichen und ihm das Handwerk be¬ 
schneiden. Gelingt es, so dürften wir dem Mann inbezug auf 
seine wirtschaftliche Existenz in erheblichem Maße abträglich 
sein und er sieht sich vielleicht nach einem anderen Beruf oder 
Ort für seine Tätigkeit um. Wenn allerdings ein Kurpfuscher 
von Patienten über Land etc. gerufen wird, wird man „ein 
Kurieren im Umherziehen“ nicht annehmen können, es sei 
denn, der Pfuscher geht in den Dörfern usw., wohin er gerufen 
ist, von Haus zu Haus. 

Hierbei möchte ich, wenn’s auch nicht ganz in den Rahmen 
des Referats hineinpaßt, bemerken, daß im Umherziehen auch 
sogenannte zu unzüchtigem Gebrauch bestimmte Gegenstände 
vertrieben werden. Dabei einzuschreiten gibt uns § 184 Abs. 1 
Ziff. 3 Str.G.B. eine Handhabe: „Bestraft wird, wer Gegen¬ 
stände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten, 
welche dem Publikum zugängig sind, ausstellt oder solche 
Gegenstände dem Publikum ankündigt oder an preist.“ Wir 
haben auf Grund dieser Strafbestimmung im letzten Halbjahr 
eine Reihe von Verurteilungen erlebt. Als Kuriosum, welches 
so recht die Unsicherheit in der Rechtssprechung kennzeichnet, 
möchte ich dabei erwähnen, daß unlängst in derselben Materie 
(Ausstellung im Schaufenster) durch das Schöffengericht hier 
einige Urteile ergingen, die teils im positiven, teils im nega¬ 
tiven Sinne lauteten. Bezüglich der negativen sind wir in die 
Berufungsinstanz gegangen. 

Nach § 327 Str. G. B. wird bestraft, „wer die Absperungs- 
oder Aufsichtsmaßregeln, welche zur Verhütung des Einführens 
oder der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit angeordnet 



570 


Dr. Hahn. 


sind, wissentlich verletzt. Ist infolge dieser Verletzung ein 
Mensch von der ansteckenden Krankheit ergriffen worden, so 
tritt Gefängnisstrafe usw. ein.“ Der Haken liegt hier bei dem 
Wort „wissentlich“. Die Beurteilung, ob der Pfuscher etwas 
von der Ansteckungsfähigkeit eines Leidens gewußt hat, unter¬ 
liegt letzten Endes der Entscheidung des Richters. Man wird 
gegebenenfalls Zusehen müssen, von den Behandelten heraus 
zu bekommen, welche Diagnose der Heilkünstler gestellt hatte 
und ob man schriftlicher Mitteilungen des Pfuschers mit Bezug 
auf das Leiden habhaft werden kann. 

Die §§ 222 und folgende des Str. G. B. beziehen sich auf 
die Körperverletzungen durch Fahrlässigkeit. Sie können in 
der Kurpfuschereifrage eine große Rolle spielen. 

In Absatz 2 § 222 (bezw. § 230) heißt es bezüglich Todes¬ 
erfolges durch Fahrlässigkeit: „Wenn der Täter zu der Auf¬ 
merksamkeit, welche er aus den Augen setzt,. vermöge seines 
Amtes, Berufes oder Gewerbes, besonders verpflichtet war, 
so kann die Strafe . . . erhöht werden.“ Dazu bemerkt Illings 
Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte X. Auflage 
3. Band — siehe auch 01 sh au sen-Kommentar zum Straf¬ 
gesetzbuch 1912 Seite 867: „Wer die Heilkunde gewerbsmäßig 
betreibt, hat Fehler gegen die anerkannte Heilkunde ebenso 
zu vertreten, wie eine geprüfte und approbierte Medizinal- 
Person. Hat ein Kurpfuscher die besondere Aufmerksamkeit, 
zu welcher er vermöge seines Gewerbes verpflichtet ist, nicht 
beachtet, ist er nicht nur scharf zu bestrafen, sondern die 
Strafverfolgung muß auch von Amts wegen ein treten und 
ist nicht von einem Antrag des Verletzten abhängig, wie es 
sonst (siehe § 232) bei allen durch Fahrlässigkeit verursachten 
Körperverletzungen vorgeschrieben ist.“ 

Sehr wichtig ist (Illing 3. Band S. 78), daß Fahrlässigkeit 
im einzelnen Falle schon darin erblickt werden kann, daß 
jemand „trotz mangelnder Ausbildung die Behandlung einer 
Krankheit übernimmt, ohne sorgfältig zu prüfen, wie weit er 
nach seinen individuellen Fähigkeiten sachgemäße Hilfe leisten 
kann“. (R.G.E. vom 10. 4. 06, 15. 10. 06, 16.6.08). Dieses 
bezieht sich auch nach R. G. E. vom 30. 9. 10, 7. 2. und 20. 6. 
1911 auf die Unterlassung der Zuziehung eines Arztes und 
nach R.G.E. vom 29. 9. 05 auf Behandlung mit elektrischer 
Lichtbestrahlung. Diese Entscheidungen sind sicherlich Fund¬ 
gruben mit Bezug auf die Beaufsichtigung und evtl. Bestrafung 
oder Kaltstellung der Kurpfuscher, gesetzt, daß wir Medizinal¬ 
beamte etwas bezüglich derartiger Verfehlungen erfahren. 
Hier in Königsberg glaube ich die Beobachtung machen zu 
können, daß gerade diejenigen, deren wirtschaftliches Interesse 
durch die Kurpfuscherei am empfindlichsten berührt wird, und 
die auch tatsächlich das Anwachsen der Kurpfuscher peinlich 
empfinden, die Aerzte, der Frage im großen ganzen verhältnis¬ 
mäßig müssig gegenüberstehen; und ohne Anzeige, ohne daß 
dem Medizinalbeamten irgendwelche Tips an die Hand ge- 



Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 671 

geben werden, ist selbstverständlich noch weniger, als ohnehin, 
zu maohen. Die Aerzte müssen versuchen, hinter die Praktiken 
und evtl, schriftlichen und mündlichen Aeußerungen der Kur¬ 
pfuscher zu kommen, dann wäre der Kampf aussichtsreicher. 

Die P. V.O. vom 6. 2. 03 betreffend die Regelung des Ver¬ 
kehrs mit Arzneimitteln außerhalb der Apotheke sagt in § 1: 
„Wer den Verkauf von Arzneimitteln außerhalb der Apotheke 
betreiben will, hat zugleich mit der vorgeschriebenen Anzeige 
eine genaue Angabe der Betriebsräume einschließlich des Ge¬ 
schäftszimmers zu den Akten der Ortspolizeibehörde einzu¬ 
reichen. 0 Gemäß Ministerial-Erlaß betreffend Beaufsichtigung 
des Verkehrs mit Arzneimitteln vom 22. 12. 02 sind Verkaufs¬ 
stellen, in denen Arzneimittel und Drogen feilgehalten werden, 
nebst den zugehörigen Vorrats- und Arbeitsräumen, sowie dem 
Geschäftszimmer des Inhabers der Handlung unvermuteten Be¬ 
sichtigungen zu unterziehen, und nach § 35 Abs. 4 der R. G. 0. 
ist der Handel mit Drogen und chemischen Präparaten, welche 
zu Heilzwecken dienen, zu untersagen, wenn die Handhabung 
des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit des Menschen ge- 
. fährdet“ und die Bekanntmachung über den Handel mit Arznei¬ 
mittel vom 22. 3. 17 sagt: „Der Handel mit Arzneimitteln ist 
ab 16. 4. 1917 nur solchen Personen gestattet, denen eine be¬ 
sondere Erlaubnis zum Betreiben dieses Handels erteilt ist. 0 
Letzteres wäre eine genügende Handhabe, um den Kurpfuschern 
vollständig die Abgabe von Arzneimitteln, womit ihrer ganzen 
Tätigkeit ein erheblicher Schlag versetzt werden würde, zu 
unterbinden. Leider heißt es in derselben Bekanntmachung 
weiter: „Diese Vorschrift findet keine Anwendung 1. auf Per¬ 
sonen, die vor dem 1. 8. 1914 Handel mit Arzneimitteln ge¬ 
trieben haben, 3. auf sonstige Kleinhandelsbetriebe, in denen 
Arzneimittel nur unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden. 0 
Hier ist wieder mal der Pferdefuß. Der Kurpfuscher kann also, 
wenn er nur der polizeilichen Anzeigepflicht nachkommt, 
Arzneimittel gegen Entgelt abgeben. Aber — darauf weise ich 
nochmals hin —, er unterliegt auch bezüglich seiner Arznei¬ 
mittel der Aufsicht durch die Polizei und indirekt durch die 
Medizinalbeamten. Ich habe hier die Nr. 6 der Dr. Schüßler¬ 
sehen Zeitschrift — „Mitteilungen über Biochemie 0 —, in welcher 
ein Artikel vom biochemischen Verein „Groß-Berlin 0 unter der 
Ueberschrift „Behördliche Uebergriffe 0 veröffentlicht wird. Es 
wird dort über einen Berliner Kreisarzt unter Drohung hergezogen, 
der mit einem Apotheker bei einem Biochemiker oder wie es dort 
heißt, bei einem der „Vorratshalter von biochemischen Punktions¬ 
mitteln 0 erschienen ist und die Weiterabgabe der Mittel verbot, 
weil deren Abgabe nur durch die Apotheken zulässig sei. Ich 
bin der Ansicht, der Kreisarzt durfte dorthin nur mit einem 
Vertreter der Polizeibehörde gehen, um Feststellungen vorzu¬ 
nehmen, dann wäre nichts dagegen zu sagen gewesen. Im 
übrigen ist es zweckmäßiger, da die Biochemiker in einem Verein 
zusammengeschlossen sind und sogenannte Funktionsmittel- 



572 


Dr. Hahn. 


bewahrer die Mittel au! Anordnung abgeben, erst mal von der 
Polizei feststellen zu lassen — wobei man der Polizei ziffern¬ 
mäßig aufgibt, was sie feststellen soll, damit exakte Antworten 
erfolgen —, ob die Arzneimittel von den Funktionsmittelhaltern 
feilgehalten und verkauft oder nur an Vereinsmitglieder ohne 
Entgelt abgegeben werden, da das Entgelt gewissermaßen der 
Vereinsbeitrag ist. Der biochemische Kurpfuscher, welcher 
jedermann behandelt und ihn mit seinen Funktionsmitteln be¬ 
denkt, ist natürlich aufsichtsbedürftig und beaufsichtigungs¬ 
pflichtig. 

Das Strafmaß für unerlaubten Arzneimittelhandel richtet 
sich nach § 367 Str.G.B. bezw. nach dem Strafparagraphen in 
der Bekanntmachung vom 22. März 1917. 

Ueber den Verkauf von Opiaten sind besondere Bestim¬ 
mungen ergangen (siehe Verordnung vom 30. 12. 20). 

Grundlegend für weiteres Einschreiten der Medizinalbeamten 
ist, ob der Kurpfuscher etwaige vom Verkehr außerhalb 
der Apotheken ausgeschlossene Heilmittel führt und 
feilhält, und falls nein, ob er eventuell mit einer Apotheke in 
Verbindung steht, die auf seine Verordnung hin die Arzneimittel 
abgibt, die nur auf Rezept eines Arztes abgegeben werden 
können. Die Kaiserl. Verordnung vom 22. 10. 01 sagt im § 1: 
„Die in dem angeschlossenen Verzeichnis A. aufgeführten Zu¬ 
bereitungen dürfen ohne Unterschied, ob sie heilkräftige Stoffe 
enthalten oder nicht, als Heilmittel ausserhalb der Apotheken 
nicht feilgehalten oder verkauft werden.“ Hier ist es das Wort 
„Heilmittel“, welches zum Stein des Anstoßes für den Medi¬ 
zinalbeamten werden kann. Aber wenn man ganz genau zu¬ 
sieht, kommt man doch vielleicht auf den richtigen Weg und 
ich habe gegen eine Fabrik, in deren Dienst sich ein ehe¬ 
maliger Arzt, welcher im Kriege schwerhörig geworden war, 
und der alsdann Heilmittelagenturen, bezw. den Verkauf von 
Arzneimitteln übernommen hatte, obgesiegt. Das Mittel wurde 
in der Zeitung als „Vorbeugungsmittel“ gegen Erkältungen 
und zwar als „deren Produkte leicht lösend“ angepriesen. Das 
Produkt einer Erkältung ist eben ein krankhafter Zustand und 
wenn dieser gelöst, d. h. beseitigt werden soll, so ist das Unter¬ 
nehmen keine Vorbeugung mehr usw., kurz und gut, die Fabrik 
zog den Kürzeren und die auf das Mittel bezüglichen Annoncen 
unterblieben. Dem Arzt wurde polizeilich aufgegeben — er 
hatte sich (auch ein Zeichen der Zeit) über die Zusammen¬ 
setzung des Mittels, welches 5 verschiedene Substanzen enthielt, 
überhaupt nicht orientiert, deckte aber die ausgezeichneten 
Heileigenschaften des Mittels dennoch mit seinem Namen — 
bei Androhung der Bestrafung und der vorläufigen Beschlag¬ 
nahme durch die Polizei das Mittel an Drogerien nicht mehr 
abzusetzen. Zu dem Verzeichnis A der Kaiserl. Verordnung noch 
ein kurzes Wort. Sie kennen die Frage der Destillate aus ihren 
Drogenbehandlungsbesichtigungen her. Man darf vor ihr nicht 
zurücksohrecken, oft sind es Gemisohe, und, wenn sie gefärbt 



Ueber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 


673 


sind, ziemlich sicher. Im übrigen hat das Reichsgesundheits¬ 
amt in einem Gutachten 1908 Nr. 92 entschieden, daü auch 
„Destillate“ nicht unter allen Umständen frei gegeben sind. 
Es heißt in diesem Gutachten: „Zubereitungen, bei denen nach 
erfolgter Mischung oder Lösung eine Destillation erfolgt ist, 
müssen, wenn mehr als ein Bestandteil der Mischung oder 
Lösung flüchtig ist, als flüssiges Gemisch oder Lösung in phar¬ 
mazeutischem Sinne der Kaiserl. Verordnung vom 22. 10. 01 
angesehen werden, da durch eine Destillation an dem Charak¬ 
ter der Flüssigkeit als Mischung oder Lösung nichts ge¬ 
ändert wird. 

§2 der Kaiserlichen Verordnung lautet: „Die in dem an¬ 
geschlossenen Verzeichnis B aufgeführten Stoffe dürfen außer¬ 
halb der Apotheke nicht feilgehalten oder verkauft werden. 
Allerdings werden von diesem Verbot nach einer Entscheidung 
des Kammergerichts vom 6. 9. 07 nicht die Zubereitungen dieser 
Mittel betroffen, soweit sie nicht unter Verzeichnis A fallen; 
also der Kurpfuscher darf die Mittel des Verzeichnisses B über¬ 
haupt nicht feilhalten und abgeben, sofern es sich nicht etwa 
um eine Zubereitung der Mittel handelt. Sind diese Zube¬ 
reitungen aber Gemische und Auszüge usw., so darf sie der 
Kurpfuscher dennoch nicht abgeben. Mithin kann z. B. G ..., 
und Genossen einfache Mittel, wenn überhaupt das Ge¬ 
werbe polizeilich angemeldet ist, wie die sogenannten 12 „bio¬ 
chemischen Funktionsmittel“, die angeblich Aufbausubstanzen 
des Körpers sind, feilhalten, aber nicht deren Gemische, über¬ 
haupt nicht irgendwelche Zubereitungen aus ihnen. Kann ich 
mithin nachweisen, daß der Pfuscher nicht nur einfache Mittel 
abgibt, sondern deren „Zubereitungen“, so kann ich zugreifen. 
Aber dieses bleibt immerhin festzustellen, durch Chemiker oder 
Apotheker, welch’ letztere sich wohl dazu bereit finden dürften, 
da die Pfuscher ihnen zum Teil auch ihr Wasser abgraben. 

Kann man nun noch nachweisen, (ich beschäftige mich 
zurzeit mit einem derartigen Fall, wo ich wenigstens eine 
gewisse schriftliche Unterlage besitze, leider aber bereits er¬ 
fahren habe, daß die Polizei zunächst die Sache sehr wenig 
intelligent angefaßt hat), daß das Mittel zu unangemessenem 
Preise abgegeben ist, so wäre vielleicht was zu machen. Ab¬ 
warten ! Schließlich ist noch zu erforschen, ob etwa der Kur¬ 
pfuscher, wenn er schon selbst ein gewisses Mittel nicht abgibt, 
dieses aus der Apotheke verordnet und ob das Mittel auf An¬ 
ordnung eines Nichtarztes überhaupt abgabefähig ist. Die Vor¬ 
schriften betreffend die Abgabe stark wirkender Arzneimittel 
(Bundesratsbeschluß vom 13. 6.96 und22.3.98) lauten: „§ 1. Die 
in dem beiliegenden Verzeichnis aufgeführten Drogen und Prä¬ 
parate, sowie die solche Drogen und Präparate enthaltenden 
Zubereitungen, dürfen nur auf schriftlicher mit Datum und Unter¬ 
schrift versehener Anweisung eines Arztes als Heilmittel an das 
Publikum abgegeben werden. § 2. Die Bestimmungen des § 1 



574 


Or. Hahn: Üeber Kurpfuschertum und seine Bekämpfung. 


finden nicht Anwendung auf solche Zubereitungen, yrelche nach 
den auf Grund des § 6 Abs. 2 der Gewerbeordnung erlassenen 
Kaiserlichen Verordnung auch außerhalb der Apotheke feil¬ 
gehalten und verkauft werden dürfen.“ ■ 

Bei uns schwebt zurzeit folgender Fall: Es tut sich ein 
Asthraaheilinstitut mit dem Toko-Marah-Präparat „Olpenapneu“ 
auf, das „im spagirischen Gärverfähren“ gewonnen sein sollte. 
Für die Lizenz, dieses Präparat zu vertreiben und das Verfahren 
in Königsberg anzuwenden, zahlten zwei Damen, von denen die 
eine Arztwitwe ist, 60000 M. an die herstellende Firma. Pflicht¬ 
gemäß haben wir uns für die Sache interessiert und die Düssel¬ 
dorfer Firma sandte auf Ersuchen eine Probe des Mittels und 
eine Reihe von Chemiker-Gutachten und Beweisführungen, daß 
gegen den Vertrieb dieses Mittels nach den bestehenden Be¬ 
stimmungen nichts einzuwenden wäre. Ich bemerke, der Mund 
wird stets voll genommen, aber wir dürfen uns nicht bange 
machen lassen. Wir ließen in Königsberg gleichzeitig bei der 
Lizenzinhaberin eine Probe „Olpenapneu“ beschlagnahmen und 
die Untersuchung beider Proben übernahm in liebenswürdigster, 
entgegenkommender Weise ein Apotheker und ein pharmazeuti¬ 
scher Chemiker der Universität. Die Untersuchung ergab, daß 
erstens mal beide Proben sich erheblich voneinander unter¬ 
schieden, indem die hier beschlagnahmte 5mal so viel Mineral¬ 
bestandteile ergab, als die von Düsseldorf übersandte; ferner, 
daß in dem Präparat Jod und Kalium enthalten war, über dessen 
Vorhandensein in der Mineralsubstanz das Gutachten dahin 
lautete, daß es bei dem Fehlen von Natrium nicht etwa im 
Gärverfahren aus Algen gewonnen sein könnte, weil sonst 
auch die Natriumsalze von Brom und Jod vorhanden ge¬ 
wesen sein müßten, sondern daß es zugesetzt wäre. Jod 
gehört zu Verzeichnis B der Kaiserlichen Verordnung von 1901, 
dürfte mithin außerhalb der Apotheke nicht feilgehalten werden. 
Da hier indeß eine Zubereitung vorlag, konnte es feilgehalten 
werden, sofern nicht die Zubereitung unter Verzeichnis A fiel. 
Letzteres war aber der Fall, da entweder ein Gemisch oder 
eine Auflösung vorgenommen sein mußte. Mithin konnte ge¬ 
sagt werden, daß die Heilinstitutsinhaberin das Mittel selbst 
nicht feilhalten durfte. Sie übergab, um weiteren polizeilichen 
Schritten zu entgehen, ihre Bestände einem hiesigen Apotheker. 
Aber sie verordnete das Mittel schriftlich weiter. Hiergegen 
schritten wir ein, da nach den Vorschriften, betreffend die Ab¬ 
gabe stark wirkender Arzneimittel, Jod nach dem anliegenden 
Verzeichnis zu den Mitteln gehört, deren Zubereitung nur von 
einem Arzt verordnet werden kann. Dieses wurde der Apotheke 
raitgeteilt und gleichzeitig auch der Polizei, behufs Anordnung 
an die Apotheke. Wenn sich jetzt nicht ein Arzt bereit findet, 
der mit der Lizenzinhaberin gemeinsame Sache macht, würden 
wir voraussichtlich auch in diesem Falle Ruhe haben, sofern 
nicht die Lizenzinhabern! oder ihre Hinterleute, die Düsseldorfer 
Firma, einen Prozeß gegen uns anstrengen. Diesen warten wir 



Dritte Sitzung des Bezirksvereina der Med.-Beamten des Beg.-Bez. Liegnitz. 575 

ab. Der Staat und die staatliche Polizei haben immerhin einen 
langen Atem. 

Als Anhang füge ich schließlich noch hinzu, daß die Kur¬ 
pfuscher, die sich dann „Psychologen“ oder „Phrenologen“ 
nennen, auch das Gebiet der Sugestion und Hypnose zur Be¬ 
tätigung küren. Dagegen ist nichts zu machen, wenn derartige 
Heilverfahren nur zwischen Heilpersonen und Objekt zu Hause 
sich abspielen und sofern nicht Gesundheitsschädigungen oder 
Körperverletzungen entstehen. Aber wenn zu Reklaraezwecken 
öffentliche Vorstellungen erfolgen, so kann sofort die Polizei 
dagegen gemäß Ministerialerlaß vom 2. Juli 1903 einschreiten. 
Wir haben in dieser Beziehung glänzende Erfolge gezeitigt, 
nachdem zunächst im Falle „Bert-Astron“ mit der Polizei nicht 
vorwärts zu kommen war und Oberpräsident, Regierungspräsident 
und Polizeipräsident erst persönlich die Sache abnehmen wollten. 
Später wurden wir noch von vier Herrschaften derselben Art 
beehrt, die vom Polizeipräsidium stets erst an die Medizinal¬ 
beamten gewiesen wurden und die uns, wenn wir bezüglich 
ihres Auftretens — hier unerbittlich blieben, als sphr rückständig 
bezeichneten, aber doch den Staub Königsbergs von ihren Füßen 
schüttelten und sich nicht wieder sehen ließen. 

Ich bin am Schluß meines Referats. Es ist im großen 
ganzen nur Kleinigkeitskram, der die Medizinalbeamten im 
Kampf gegen die Kurpfuscherei beschäftigt und ziemlich intensiv 
beschäftigt, weil die Materie soviel „wenn“ und „aber“ zuläßt. 
Ich weise indes auf die Aufforderung des Herrn Regierungs- und 
f Medizinalrats auf der Sitzung der Aerztekammer vom 19. 3 22 
hin, „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das 
Kurpfuschertum vorzugehen“. Es ist dringend notwendig, auch 
Kleinigkeitskram nicht achtlos, etwa aus „Großzügigkeits¬ 
stimmung“ beiseite zu lassen. Hoffentlich haben wir doch mal 
bessere und dauernde Erfolge, wenn wir alle gleichmäßig 
intensiv dahinter sind. Ratsam ist selbstverständlich, nur vor¬ 
zugehen, wenn man einigermaßen dessen sicher ist, die Kur¬ 
pfuscher zu fassen, d. h. man soll bis ins eingehendste Beweise 
zu beschaffen suchen und das Material unter Hinweis auf event. 
ergangene Entscheidungen und unter ausführlichen Darlegungen 
— denn der Polizei und den Richtern sind diese Dinge meiner 
Erfahrung nach ziemlich fremd — aller Einzelheiten und Ver¬ 
stöße mit dem Antrag auf Bestrafung dem Gericht übergaben. 
Denn hat man keinen Erfolg, so benutzt der Pfuscher die Frei¬ 
sprechung noch zur Reklame. 

Aus Versammlungen und Vereinen. 

Dritte Sitzung des Bezirksvereias der Medizinal-Beamten 
des Regierungsbezirks Li^gnltz am 16. September 1928 
ln Sagau, BaüuhofWwirtschaft. 

Anwesend: Regierangs- and Medizinalrat Dr. Willftihr and die Kreis¬ 
ärzte Ban i k-Sagan, Dietrich-Hoyerswerda, Fenkner-Sprottao,Kraase- 
Glogau, Klimm - Freystadt, Lange-Lüben, Meyer-Grünberg, Meyer- 
Mnsk&a, Winkelmann-J&aer. 



576 


Besprechungen. 


Verlesen und genehmigt wird das Protokoll der vorigen Sitzung. 

1. Regierangs* and Medizinalrat Will führ weist im Aufträge des 
Regierungspräsidenten die Mitglieder des Vereins aaf die darch das Gesetz 
zum Schutze der Republik veränderte politische Lage hin. 

2. Telephongebuhr: Der Bezirksverein Liegnitz stellt bei dem Medizinal¬ 
beamten-Verein den Antrag, zu bewirken, daß der Fernsprecher der Kreisärzte 
vom ßtaate übernommen wird. 

Falls der Staat die Kosten restlos zu übernehmen sich bis 1. Januar 
1923 nicht bereit erklärt, werden die Mitglieder des Bezirksvereins Liegnitz 
ihre Fernsprecher zum 1. April 1923 kündigen, soweit die Kosten nicht bereits 
von anderer Seite getragen werden. 

Der Beschloß wird den sämtlichen anderen Bezirksvereinen mitgeteilt, 
mit der Aufforderung, sich dem Vorgehen des Liegnitzer Bezirksvereins recht¬ 
zeitig anzuschließen. 

3. Amtsunkostenentschädigung: Beim Preußischen Medizinalbeamten- 
Verein ist der Antrag zu stellen: „auf Einführung einer gleitenden Amts- 
nnkostenentschädigung, die mit den wechselnden Teuerungsverhältnissen jeweils 
Schritt hält entsprechend dem Reichsteuerungsindex, ist eindringlich hinzu wirken.“ 

4. Reisekosten: Bezirksverein Liegnitz lehnt die vom Herrn Minister für 
Dienstreisen festgesetzten Entschädigungen als völlig unzureichend ab und 
beantragt, ohne Rücksicht auf das benutzte Beförderungsmittel die ortsüb¬ 
lichen Fahrpreise zu gewähren, die durch polizeiliche Bescheinigung zu be¬ 
legen sind. 

5. Es erfolgt Aussprache über Vollbesoldungs- und Aufrückestelien. 

6. Regierungs- und Medizinalrat Willführ legt ein Schreiben des 
Geheimrats Schlüter, betreffend die Jubilänmsstiftnng, vor und stellt den An¬ 
trag: der Bezirksverein Liegnitz wolle der Jnbiläumsstiftung mit einem Jahres¬ 
beitrag von je 80 M. beitreten, wie es andere Bezirksvereine bereits getan haben. 

Der Antrag wird angenommen. 

7. Dietrich-Hoyerswerda beantragt, die Gebühren für Atteste usw. 
zu erhöhen. Der Bezirksverein Liegnitz stellt, da dies ohne gesetzliche Tax- 
änderung nicht möglich ist, beim Preußischen Medizinalbeamten-Verein den 
Antrag dahin zu wirken, daß die Gebührenordnung alsbald zeitgemäß geändert« 
und auch hierbei eine gleitende 8kala eingeführt werde. 

8. Es wird beschlossen, den Sitzungsbericht jeder Sitzung an die Zeit¬ 
schrift für Medizinalbeamte und an den Preußischen Medizinalbeamten-Verein 
zu senden. 

Die nächste Sitzung soll im Dezember 1922 stattfinden. 

Dr. W i 11 f ü h r - Liegnitz. 


Besprechungen. 

Veröffentlichungen au dem Gebiete der Medisinalverwaltung. 

XIV. Bd., Heft 10 und XV. Bd., Heft 1 nnd 3 (Heft 148, 149 und 151 der 
ganzen Sammlung). Berlin 1922. Verlagsbuchhandlung von Rieb. Schoetz. 
Gr. 8®. ' 

Von den vorliegenden Heften bringt das 148. Heft (92 S., Preis 9 M.) 
die Abhandlungen von Med.-Rat Dr. Sandbop - Stettin: „Die Bedeutung der 
Hygiene für die Volks Wohlfahrt und die Stellung des Kreisarztes im 
und zum Kr eis Wohlfahrtsamt" nnd von Kreisarzt Dr. Hillenberg in Halle a.8.: 
„Die Organisation der Krelswohlfahrtsämter in der Provinz Sachsen 
nebst Bemerkungen über den weiteren Ausbau der Wohlfahrtspflege. 
Beide Abhandlungen behandeln die z. Z. noch immer brennende Frage der 
Kreiswobifahrtsämter in sachgemäßer auf Grund eigener Erfahrungen bereuender 
Weise und geben für die Errichtung dieser Aemter manchen beachtenswerten 
Beitrag. 

Heft 149 (118 S-, Preis 22,50 M.) enthält einen höchst interessanten Be¬ 
richt des Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich: „Das Bäderwessn im 
besetzten Rheinland" auf Grund der vom Verfasser bei Gelegenheit der 
24. Reise des Deutschen Zentralkomitees für ärztliche Studienreisen gemachten 
Beobachtungen. Hoffentlich trägt sein Inhalt dazu bei, den Besuch der ge* 



Tagesnachrichten. 677 

schilderten, und durch die fremdländische Besatzung sehr geschädigten Bäder 
wieder wesentlich zu heben. 

Heft 161 (851 Seiten, Preis 60 M.). Wirkt. Geh. Ob.-Med.-Bat Prof. 
Dr. Dietrich: „Baineologische Wissenschaft und Praxis." Das unter Mit¬ 
wirkung. yon zahlreichen, auf dem Gebiete der Balneologie besonders Sach¬ 
kundigen fertiggestellte Heft ist als Festschrift für den um das deutsche 
Badewesen hochverdienten Geh. San.-Rat Dr. Röchling in Misdroy zur Feier 
seines 70. Geburtstags (27. März d. J.) gedacht, ln einem vom Herausgeber 
▼erfaßten Vorwort wird ein kurzer Lebenslauf des Jubilars gegeben und dabei 
seiner hervorragenden Verdienste um die balneologische Wissenschaft und 
Praxis in ehrender und anerkennender Weise gedacht. Es folgen dann 19 Ab¬ 
handlungen, in denen von autoritativer Hand die neuen Forschungsergebnisse 
auf den verschiedenen Arbeitsgebieten dieser Wissenschaft geschildert werden. 
Das Heft wird deshalb nicht blos Balneologen und Badeärzten, sondern allen 
Aerzten höchst willkommen sein. Bpd. sen. 


Tagesnachrichten. 

Die Besoldungsvorlage. In der Kabinettssitzung vom 10. Oktober wurde 
die vom Reichsfinanzministerium ausgearbeitete Besoldnngsvorlage beraten und 
angenommen. 

In der Vorlage sind die bisherigen Teuerungszulagen in die Grundgehälter 
und Ortszuschläge eingebaut. Die Ortszuschläge sind mit Bücksicht auf 
das inzwischen in Kraft getretene Beichsmietengesetz und als Ersatz für die 
bisherigen widerruflichen Wirtschaftsbeihilfen entsprechend erhöht worden. 

Dem wiederholten Wunsche des Reichstages nach vermehrter Berück¬ 
sichtigung der sozialen Besoldnngsbestandteile gemäß sind die Kind er Zu¬ 
schläge stärker erhöht als die Grundgehälter, und außerdem ist für die 
verheirateten Beamten die Gewährung eines um 3 v. H. höheren TeuerungB- 
zuschlags vom Grundgehalt und Ortszuschlag in Aussicht genommen. Die 
Kinderznschläge bleiben nach wie vor für alle Beamtengruppen gleichmäßig 
hoch, für die Pensionäre sind die entsprechenden Folgerungen gezogen 
worden. Das gesetzliche Witwengeld soll von vier Zehntel des Buhegehaltes 
des Mannes erhöht werden, dafür sollen die Witwen in Zukunft nur den all¬ 
gemeinen Teuerungszuschlag zu ihrem Witwengeld erhalten. 

Die Vorlage soll dem Reichstag bei seinem Zusammentritt am 17. d. M. 
bereits vorliegen. _ (Nach Voss. Zeitung.) 


Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft 
hat eine Verordnung Aber Lebensmittel erlassen, der wir folgendes entnehmen: 
Die Verwendung von inländischem Zucker zur gewerblichen Herstellung von 
Schokolade, Süßigkeiten, Branntwein und branntweinhaltigen Getränken aller 
Art, insbesondere Likör und Schaumwein, sowie die Lieferung und der Erwerb 
von inländischem Zacker für diese Zwecke ist verboten. Der vor Inkrafttreten 
dieser Verordnung gelieferte Zucker darf noch verwendet werden; neue Liefe¬ 
rungen dürfen auch auf Grund von vor diesem Zeitpunkt abge¬ 
schlossenen Verträgen nicht mehr erfolgen. 

Die Herstellung von Starkbier ist ebenfalls verboten; soweit mit der 
Herstellung schon begonnen worden ist, darf sie bis spätestens 1. November 
noch zu Ende geführt werden. Es darf nur Einfachbier, Schankbier und Voll¬ 
bier hergestellt werden. Vollbier mit einem höheren Stammwürzgehalt als 
10 v. H. dürfen die Brauereien nur bis zur Höchstmenge von 25 v. H. des von 
ihnen in der Zeit vom 1. September 1922 bis 31. August 1923 im Inland ins¬ 
gesamt abgesetzten Bieres herstellen. 

Die Herstellung von Branntwein aus Obst ist verboten. Die Landes¬ 
zentralbehörden können nur lür Obst, das zur menschlichen Ernährung nicht 
geeignet ist oder in anderer Weise nicht verwertet werden kann, die Ver¬ 
arbeitung auf Branntwein znlassen. 

Wer den obigen Vorschriften zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu 
einem Jahr und mit Geldstrafe bis zu einhundertausend Mark oder mit einer 
dieser Strafen bestraft. _ (Nach Voss. Ztg.) 



578 


Tagesnachrichten. 


Tuberkulosegesetz. Der Landtag beriet am 28. September in erster 
Lesung den Entwurf des Tuberkulosegesetzes, das die Meldepflicht für die Kranken 
vorsieht. Von sozialdemokratischer und kommunistischer Seite wurde bemängelt, 
daß diese polizeilichen Bestimmungen unzulänglich seien, der Tuberkulose 
könne wirksam nur begegnet werden, wenn man den Lebensmittelwucher 
unterbinde. 

Woblfahrtsminister Hirtsiefer erkannte die Berechtigung solcher 
Wünsche an, bezweifelt aber ihre Erfüllbarkeit. Die Meldepflicht könne für 
die Bekämpfang der Krankheit sehr nützlich seia. Die Beseitigung der Krank¬ 
heitsursachen, die im Wohnungs- und Ernährungswesen liegen, sei notwendig, 
aber schwer zu lösen, und deshalb müsse sofort wenigstens der Ausbreitung 
der Kraukheit Einhalt getan werden. 

Die Vertreter des Zentrums und der Deutschnationalen begrüßten die 
Vorlage als einen Anfang. Der Entwarf ging an den Ausschuß für Bevölke¬ 
rungspolitik. _ 


Der preußische Landesgesundheitsrat, der kürzlich tagte, hat mit 
erheblicher Mehrheit eine größere Anzahl von Thesen deB sozialdemokratischen 
Reichstagsabgeordneten und Universitätsprofessors Dr. Grotian angenommen, 
die sich in der Richtung öffentlicher Bewirtschaftung der Lebensmittel zur 
Abwehr schwerer gesundheitlicher Schäden bewegen und insbesondere Bereit¬ 
schaft fordern für die Einrichtung und Ausdehnung der Massen- und 
Schulspeisungen. _ (Nach Voss. Ztg.) 


Von der Vereinigung deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorge- 
ärzte geht uns folgende Mitteilung zu: 

Die Vereinigung Deutscher Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte hat 
auf ihrer diesjährigen Jahresversammlung in Frankfurt a. M. am 13. September 
1922 bezüglich der Besoldung der haupt- und nebenamtlichen Aerzte im 
Kommunalaienst folgende Beschlüsse gefaßt: 

1. Die Besoldung der Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte ist einheit¬ 
lich für das ganze Reich zu regeln. 

2. Einheitliche Regelung der Besoldung setzt'eine gewisse Einheitlich¬ 
keit in der Ausgestaltung des kommunal-, schul- und fürsorgeärztlichen Dienstes 
voraus. Die Abgrenzung des Gescbäftsumfsnges bedarf besonders bei der 
städl. Schalarzttätigkeit einer gewissen Einheitlichkeit. Dem hauptamtlichen 
Schularzt sollen etwa 8 bis 10000, dem nebenamtlichen etwa 1000 bis 2000 
Kinder unterstellt werden. 

3. Nur Aerzte in assistierender unselbständiger Tätigkeit 
sind nach Gruppe X zu besolden mit AufstiegmögÜcbkeit nach Gruppe XL 

Versehen S<bul- oder Fürsorgeassistenzärzte im Hauptamt selbständig 
und in vollem Umfange schul- oder fürsorgeärztlichen Dienst, so sind sie, wie 
hauptamtliche Schul- oder Fürsorgeärzte nach Gruppe XI zu besolden. 

Selbständig tätige Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte im Haupt¬ 
amts Bind mindestens nach Gehaltsgruppe XI zu besolden bei Aufstieg- 
möglichkeit nach Guippe XII. 

Leitende Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte in größeren Ge¬ 
meinden und örtliche Leiter von Gesundheitsämtern sind in Grnppe XII oder 
XIII einzureihen. Sie sind jedenfalls den auf Grund einer besonderen fach¬ 
technischen Vorbildung oder Bewährung berufenen Dezernenten oder Vorständen 
der technischen Aemter gleichzustellen. 

4. Für den Beginn des Besoldungsdienstalters ist die Approbation 
maßgebend. 

5. Die Besoldung der nebenamtlichen Kommunal-, Schul- und 
Fürsorgeärzte steigt 

a) entsprechend den Dienstalterszulagen der hauptamtlichen Aerzte, 

b) entsprechend den jeweiligen Teuerungszuschlagen für die Beamten. 

Die Besoldung der nebenamtlichen Kommunal-, 8chul- und Fürsorgeänte 
soll entsprechend der Tätigkeit der hauptamtlich angestellten Aerzte bewertet 
werden. 



Tagesnachrichten. 


579 


Die Besoldung findet anteilig in Anlehnung an das jeweilige Gesamt¬ 
einkommen der Gruppe XI der staatlichen Besoldungsordnung statt und zwar 
in einer Höhe, die dem Verhältnis der tatsächlich im Jahre anfznwendenden 
Arbeitszeit za der gesamten Arbeitszeit (bei gesetzlichem achtstündigen Arbeits¬ 
tag) entspricht. Hat also z. B. ein Schalarzt im Nebenamt '/* = 25% seiner 
Gesamttätigkeit auf seinen schalärztlichen Dienst za verwenden, so erhält er 
25% des jeweiligen Gesamteinkommens der Grappe XI beginnend mit, der 
nntersten Stufe and steigend nach den staatlichen Bestimmungen. 

Wird beim nebenamtlichen schulärztlichen Dienst eine Berechnung nach 
Kopfzahl beliebt, so soll diese in ihrer Höhe der aas obiger Berechnung sich 
ergebenden Zahl gleich sein. 

6. Für genügend aasgebildete Schalzahn-Assistenzärzte and Schulzabn- 
ärzte finden obige Grundsätze gleiche sinngemäße Anwendung. 


Auf dem in Augsburg abgehaltenen Sozialdemokratischen Parteitag wurde 
nach einem Bericht von Prof. Dr. Grotjahn eine Entschließung angenommen, 
die für das sozialistische Gesundheitsprogramm folgende Forderungen 
aufstellt: 

„Uebernabme des gesamten Heil- und Gesundheitswesens in den Gemeinde¬ 
betrieb. Vereinheitlichung des sozialen Versicherungswesens und dessen Aus¬ 
dehnung auf alle Volksangehörigen. Planmäßige Verteilnng aller der Gesund¬ 
heitspflege dienenden Einrichtungen auf Stadt nnd Land. Ausbau der Kranken¬ 
anstalten und aller gesundheitlichen Heil- und Fürsorgeeinrichtungen. Eltern- 
fceratungsstellen zwecks Heranbildung eines an Körper und Geist gesunden 
Nachwuchses. Eingliederung der Aerzte, Hebammen und des übrigen Heil¬ 
and Krankenpflegepersonals in die Gesamtorganisation des Heil- und Gesund¬ 
heitswesens. Gemeinwirtschaftlicher Betrieb der Apotheken 
und aller Stätten der Herstellung des Handels und des Ver¬ 
triebs von Heilmitteln und Sanitätswaren. Durchgreifende Ge¬ 
werbehygiene und Unfallverhütung unter Erweiterung der ärztlichen Mitarbeit. 
Regelung der Irren- und Minderwertigenfürsorge. Sorgfältiger Gesundheits¬ 
dienst in Stadt und Land durch von den Selbstverwaltungskörpern gewählte 
Amtsärzte. Gipfelung des gesamten Gesundheitswesens in eine Reichszentral¬ 
behörde für Volksgesundheit, soziale Versicherungs- und Bevölkerungspolitik." 

(Nach Pharmaz. Zeitung, 1922, Nr. 78.) 

Mit Grotjahn werden wir Medizinalbeamten dafür sein, daß das Ge¬ 
sundheitswesen in einer Reichszentralbehörde gipfeln soll, werden auch für eine 
Erweiterung der ärztlichen Mitarbeit auf dem Gebiete der Gewerbebygiene 
eintreten, eine Kommunalisierung des Gesundheitswesens und der staatlichen 
Gesundheitsbeamten halten wir im InterBase des Volkswohls für einen Fehler. 


Medizinisch - literarische Zentralstelle. Der bisherige Leiter, Herr 
Oberstabsarzt a. D. Berger, hat aus Gesundheitsrücksichten die Leitung der 
„Medizin.-literar. Zentralstelle“ niedergelegt. An seine Stelle ist deren lang- 
järiger Mitarbeiter, Herr Dr. M. Schwab, Berlin, getreten, der auch die Ver¬ 
waltung der „Sonderdruckzentrale“ übernommen hat. — Alle Zuschriften nur 
an: Dr. M. Schwab, Berlin W. 16, Pariserstraße 3. 


Zar Apothekengewerbefrage. In jüngster Zeit haben die beiden großen 
Vereinigungen der Apotheker, der Deuts cheApothekervere in (Besitzer) 
auf der einen, der Verband Deutscher Apotheker (die Angestellten) 
auf der anderen Seite, ihre Hauptversammlungen abgebalten, auf denen die 
Gewerbefrage einen breiten Raum einnabm. Das Ergebnis war beim Apotheker¬ 
verein die einstimmige Annahme der Entschließung, daß für die endgültige 
Regelung des Apothekenwesens nur die Einführung der beschränkten 
Niederlassungsfreiheit in Frage kommen kann. Der V erband Deutscher 
Apotheker kam bei seiner, gleichfalls einmütig gefaßten Entschließung nicht 
dazu, ein System als das einzig erstrebenswerte hinzustellen, vielmehr wurde 
grundsätzlich zwar die Personalkonzession als die geeignetste Grnndlage für 
ein Reichsapothekengesetz erklärt, aber dann weiter betont, daß bei der 
Schwierigkeit, heute die Errichtung und Cebernahme von Apotheken zu finanzieren, 



580 


Tagesnachrichten. 


anch die Verpachtung znznlassen sei, daß im Übrigen als erstrebenswerteste 
Reform vom Standpunkt des angestellten Apothekers die Verstaatlichung der 
Apotheken, die auch der Volks Wohlfahrt am besten dienen, zu fordern sei. 
Schließlich wird aber auch im Falle der Undurchführbarkeit des Konzessions- 
Systems oder der Staatsapotheke der Niederlassungsfreiheit zugestimmt. 

Es ist nicht bekannt, wie weit die Entschließungen der Staats* und Reichs* 
behörden über die Apothekenreform gediehen sind. • 


Lichtbilder über Gesundheitspflege. Immer größer wird erfreulicher¬ 
weise die Zahl der Aerzte, nicht zuletzt der beamteten Aerzte, die durch Vor¬ 
träge über die verschiedensten Fragen der Gesundheitspflege, über Körperbau 
und Lebens Vorgänge, über Leibesübungen, Schulgesundheitspflege, Säuglings¬ 
pflege, Kleidung, Wohnung, über Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und 
andere Infektionskrankheiten, über soziale und R&ssenbygiene zur Aufklärung 
und Erziehung des Volkes beitragen. Bei der Kostspieligkeit der meisten An¬ 
schauungsmittel findet das Lichtbild (Diapositiv) immer häufiger Ver¬ 
wendung, zumal geeignete Vorführungsapparate heute in den meisten, auch in 
den kleinen Orten vorhanden sind. 

Da vielfach noch Unkenntnis darüber besteht, wo solche Lichtbilder zu 
haben sind, werden die Herren Kollegen hierdurch auf die Lichtbild¬ 
zentrale des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden-N.ß, Großen- 
heinerstr. 9 aufmerksam gemacht, die Bilder aus fast allen Gebieten der Hygiene 
leihweise gegen mäßige Gebühr abgibt, und zwar sowohl einzeln, als auch in 
zusammengestellten Reihen. Auf Anfrage, der Rückporto beigefügt werden 
möchte, werden die Leihbedingungen, das Verzeichnis sämtlicher verfügbaren 
Vortragsreihen, wie auch Einzelverzeichnisse dieser Reihen zugesandt. Obwohl 
reichlich Lichtbilder vorrätig sind, empfiehlt sich doch in Anbetracht des großen 
Bedarfs im Winterhalbjahr baldige Bestellung. Ueber sonstige Lehrmittel wird 
ebenfalls gern Auskunft erteilt. 


Mitteilang and Bitte an die Leser and Mitarbeiter. 

Die Herstellungs- pp. Kosten unserer Zeitschrift steigen fortgesetzt Ba 
soll aber daran festgehalten werden, sie wie bisher monatlich zweimal erscheinen 
zu lassen. Um den Preis nicht gar zu hoch werden zu lassen, muß auf größte 
Sparsamkeit Bedacht genommen werden. Für die Folge wird die einzelne 
Nummer — einschließlich der Beilage Rechtsprechung und Medizinalgesetz¬ 
gebung — nicht stärker als 1 ’/* Bogen sein können. Die Herren Mitarbeiter 
werden freundlichst gebeten, sich möglichster Kürze bei der Einreichung von 
Beiträgen, sei es als Originalartikel, sei es als Besprechungen und Referate, 
zu befleißigen. Die noch vorliegenden Beiträge werden vielleicht nicht sämtlich 
zum Abdruck kommen können, zum wenigsten muß damit gerechnet werden, 
daß bis zum Erscheinen noch einige Zeit vergeht. „Entgegnungen" und per¬ 
sönliche Bemerkungen würden nur in aller Kürze gebracht werden können. 

Wenn dies freundUche Beachtung findet, werden wir in der Lage sein, 
die Zeitschrift weiter im Sinne der Gründer und zum Besten unserer Be¬ 
strebungen fortzuführen. _ 

Es muß wiederholt gebeten werden, den Anfragen die Briefmarken 
für die Antwort beizufügen. Die hohen Portogebühren machen dies erforderlich. 
Andernfalls kann auf Antwort nicht gerechnet werden. 

Die Schriftleitong. 


Verantwortlich für die Schriftleitong: Geh. Med.-Rot Pr. 8olbrlg, Reg.« o. Med.-Rat ln BrtflUe 
BreeUn T, Behdlgeretraße 84* Prack Ton J. 0. O. Braue, Mi nd en 1. W. 





35. JahfQ.Nr.2i. 


ZEITSCHRIFT 

FÜR 


5. NOV. 1922. 


MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rai Pro!. Or. RAPMUND. 

Zentralblatt 

tflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des Staat' 
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal' und 
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschi. der praktischen und sozialen Hygiene. 

Heraasgegeben Ton 

Med.-Bat Dr. Band t-Halle a. S., Ober-Heg.-Bat Dr. Frickhlnger-München, 
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer - Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Qaerfurt, Med.-Rat 
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze - Göttingen, Prof. 
Dr. Sieyeking-Hamborg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 

Offizielles Organ des Deutschen. Preusslschen. Bayerischen. Sächsischen, 
Wfirttemberglscben. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen 
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Zeitschrift für Medizinalbeamte, 


Abhandlungen: 

TubcrkUlömv^bri'jiHOir urüt »ogiuJc M»fl- 

siäßti» , Vo» Pr. K. pftrjier .... 581 

Hygiene und soziale Mi^dl«in im Volka- 
brt»»biQfighfilm. Von Pr. Curt Tbo* 
malla ..589 

Sind wir mH der Tuberku 1 o*»; f»r^orge auf 

den» rieht i gen Wege? Von Pr Borge ">93 

Aus Veraammlang-eu und Vereinen. 

Bericht über dH* Tilgung de* Bezirkfeverrin* 

Ariiibvrg am. 7. Oktober in Hage» , . 598 

Kleinere Mitteilungen und Referate ans 
Zeitaohriften, 

Bakteriologie und Bekämpfung der 
übertrag Haren Krank betten. 

1. Ge»<‘h1iK!htakra»k beiten. Proatitiition. 

Vr. Koracb ; lieber die Ko»inni»oli.MHirur»g 
der IVoHt hu irrte nfürjiorj*e in Berlin . 697 
2. Infektionskrankheiten 

Prof. Pr. Roepkei Pie »eueren Präparat«* 
and Methoden in der »pt'gittoeheti Tuber¬ 
kulös*behandlung ........ 597 


Tageunaobrlohten . , 

Spreohsaai «... 
Beilage 

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Geschäftsstelle und Versand fUr die Mitglieder des Medizinalbeamten¬ 
vereins durch 3. C. C. BRUNS, Buchdrucberti, MINDEN i. WESTF 


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Anzeigen angenommen. 


D*\ Hanauer: Pie KrAhkenordnani: der 
R. V. Q* und die fHkärapfuiig ß*. 
»chlerhukraukheiten ........ 597 

Pr. Pom. Falteroul; PH MeWH* in Trift»; 
tapui) und dH Bedetmtui* der Haustier** 
ln der Abwehr gegen dH- Ma-Uria . . 

8. Typhus. 

Dr. lckert: CVber den ‘Werl d«*r Typha*- 
Schutzimpfung, crme>#cn an deat Tjphu* 69S 

Typhus-K *4 nnrfiger au Nordemenk« . . 598 

4. Zootioueo. 

Pr. J Caeftar: U«*ber die Verbreit«»# der 
Trichinose In Deutschland wabrebd der 
Jahre liiip—iyu». 599 

G. 0. Lake: Tetruchlorkoltlcn-uoff geg*-n 

Aiic'hild*romla*i>.. 599 

5 Lepra 

Lepraherd ln Brasilien . . , » , 


Nr. 21. 


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86. Jahrg. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


Nr. 21. 


Personalien. 

Deutsohns Reich and Preussen. 

Ernannt: Begierangsrat Dr. Zeller vom Reichsgeaundheitsamt zom 
Oberregierungsrat, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter Chemiker Dr. Reif znm 
Begierangsrat im Beichsgesnndheitsamt, Kreismedizinalrat Dr. Pnsch znm 
Beg.- and Med.-Rat in Oppeln, Kreismedizinalrat Dr. Richter in Httnsterberg 
znm ständigen med. Hilfsarbeiter bei der Begierang in Breslaa. 

Baden. 

Ernannt: Bez.-Assistenzarzt Dr. W en tz el znm Bezirksarzt in Villingen. 

Sonstige Fandliennaohriohten. 

'■ Kreismedizinalrat Dr. Wilhelm in Kyritz zeigt die Verlobung seiner 
Tochter Hildegard mit Herrn Dr. phil. Karl 0. Müller in Berlin-Dahlem an. 

Erledigte Stellen. 

Preuasen. 

Zn besetzen alsbald dio vollbesoldete Krelsarztstelle in Geilenkirchen, 
Begierangsbezirk Aachen und die nicht vollbesoldete Kreisarztstelle in 
Münsterberg) Begierangsbezirk Breslaa, sowie die KreiBasslstenzarztstelle 
in Bochum, Begierangsbezirk Arnsberg. Bewerbungen sind an das Ministerium 
für Volks Wohlfahrt in Berlin W. 66, Leipzigerstr. 3 durch Vermittelung des für 
den Wohnort des Bewerbers zuständigen Herrn Regierungspräsidenten (in Berlin 
des Herrn Polizeipräsidenten) einzureichen. 




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86. Jahrg. 


Zeitschrift für Medizinalbeamte. 


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die hohe Sterblichkeit fort, es sterben immer noch jährlich über 
100000 Menschen an dieser Krankheit im Reiche, abgesehen 
von der Sterblichkeit der Kinder im 1. Lebensjahre steht die 
Tuberkulose in bezug au! Häufigkeit der Todesursachen immer 
noch an erster Stelle. 

Robert Koch entdeckte im Jahre 1SS2 den Tuberkel¬ 
bazillus und man glaubte nunmehr durch Ausschaltung der 
Infektion die Krankheit bekämpfen zu können, heute wissen 
wir jedoch, daß etwa mit dem 20. Lebensjahre jeder Mensch 
eine Tuberkuloseinfektion in sich aufgenommen hat. diese aber 
in den weitaus meisten Fällen vollkommen zur Ausheilung 
kommt. Andererseits wissen wir aber auch, daß der Körper, 
sobald seine Widerstandsfähigkeit geschwächt ist, der Infektion 
allmählich erliegt. — Die Hungerblockade, Not und Sorge, ein 
Uebermaß von Arbeit, verbunden mit Unterernährung, das 
waren die Ursachen der Tuberkulosezunahme während der 
Kriegszeit. Es wird niemand behaupten wollen, daß die Tuber¬ 
kulose während des Krieges deshalb häufiger zum Tode ge¬ 
führt habe, weil die Infektionen häufiger stattgefunden hätten. 
Ein großer Teil der Bevölkerung war an der Front und im 
besetzten Oebiete, die Infektionsmöglichkeiten waren bei der 
geringeren Wohnungsdichtigkeit zweifellos sogar geringer. — 
Die Schäden, die während des Krieges den ganzen 
Volkskörper trafen, sie schädigen auch zu normalen 
Zeiten infolge der sozialen Mißstände einen großen 
Teil der Bevölkerung und tragen hier zu einer ver¬ 
mehrten Tuberkulosesterblichkeit bei. 

Wenn wir die Tuberkulose als Volkskrankheit bekämpfen 
wollen, so müssen wir die Schäden feststellen, die die Wider¬ 
standskraft des Körpers herabsetzen, der Einfluß der Wohnung, 
der Beschäftigung und der Ernährung auf die Tuberkulose¬ 
verbreitung muß untersucht werden. — Wir müssen prophy¬ 
laktisch gegen das Manifestwerden der Tuberkulose wirken oder 
mit andern Worten möglichst gesunde Lebensbedingungen für 
sämtliche Schichten der Bevölkerung schaffen. 

In der Absicht, die Zusammenhänge zwischen Tuberkulose¬ 
verbreitung und sozialer Lage statistisch zu erfassen, habe ich 
zwei Bezirke in Baden statistisch miteinander verglichen. Es 
schien mir wichtig, die Untersuchung an zwei begrenzten Be¬ 
völkerungsgruppen vorzunehmen, um mit Hilfe der Aufzeich¬ 
nungen des statistischen Landesamtes einen Vergleich nicht 
nur zwischen den beiden Bezirken, sondern auch zwischen früher 
und heute in demselben Bezirke vornehmen zu können, um 
festzustellen, wie sich die Sterblichkeitsverhältnisse unter dem 
Einfluß der veränderten Lebenshaltung geändert haben. 

Der Bezirk I setzt sich aus 10 Landgemeinden der Kehler 
und Bezirk II aus 10 der Schwetzinger Gegend zusammen. — 
Im Bezirk I haben sich die Verhältnisse im Laufe der letzten 
Jahrzehnte nicht wesentlich geändert, es handelt sioh um einen 



Taberkaloseverbreitang and soziale Miflstände. 


588 


Iyanäwirtschaft treibenden Bezirk, während im Bezirk II die 
Iodustriearbeit immer mehr zugenommen hat. 

Trotzdem im Bezirk II die Industrie im Jahre 1895 schon 
erheblich entwickelt (28,6 °/„), hat sich die Bevölkerung im 
Laufe der nächsten Jahre bis 1907 noch zunehmend an der 
Industriearbeit beteiligt (31,06 °/o), die Beteiligung an der Land¬ 
wirtschaft ist dagegen zurückgegangen (von 29,13 °/o auf 22,6 °/ 0 ). 
Annähernd umgekehrt liegen die Verhältnisse im Bezirk 1. 
Entsprechend der vermehrten Arbeitsgelegenheit hat die Be¬ 
völkerungszahl im Bezirk II erheblich zugenoramen. Besonders 
bei einem Vergleich der Durchschnittswerte der Volkszählungen 
für die Zeit 1852—1861 mit der Zeit 1902—1911 fällt der Unter¬ 
schied in beiden Bezirken auf. Im Bezirk I hat die Einwohner¬ 
zahl nur etwa um den 7. Teil zugenommen, im Bezirk II da¬ 
gegen hat sie sich mehr als verdoppelt. Die Wohnungsverhält- 
nisse haben sich im Bezirk II insofern wesentlich verschlechtert, 
als jetzt wesentlich mehr Bewohner auf eine Behausung ent¬ 
fallen im Vergleich zu früher, da die Bautätigkeit mit der Be¬ 
völkerungszunahme nicht Schritt gehalten hat. Vielfach wohnen 
in einem Hause jetzt zwei und mehr Familien, wo früher nur 
eine wohnte. — Als Beispiel für die durchaus ungünstigen 
WohnungsVerhältnisse kann ich das Ergebnis der bei der orts- 
analytiscnenUntersuchungderGemeindeL.gemachtenErhebungen 
anführen. Ueber die Hälfte der Wohnungen in dieser Gemeinde 
haben nur einen Wohnraum, der in vielen Fällen durch einen 
Schrank oder Vorhang in zwei Teile geteilt ist. In diesem 
Raume hält sich die ganze Familie Tag und Nacht auf. Ein 
besonderer Schlafraum war nur in 37,9 °/ 0 der Wohnungen vor¬ 
handen, die Bettenzahl entsprach längst nicht der Anzahl der 
Bewohner, besonders an Kinderbetten war großer Mangel, die 
Kinder schliefen meist bei den Eltern, oder mehrere in einem 
Bette zusammen. — Es ist ganz selbstverständlich, daß ein an 
Tuberkulose Erkrankter nicht von der Familie abgesondert 
werden kann, an dieser Tatsache kann auch keine Fürsorge¬ 
tätigkeit etwas ändern. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß in 
einer derartig raumbeschränkten Wohnung die Kinder, wenn 
sie heranwachsen, Unterkunft finden können. Kommen sie in 
ein Alter, in dem ihre Arbeitskraft der Landwirtschaft nutzbar 
gemacht werden könnte, dann werden sie durch die enge 
Wohnung geradezu aus dem Hause getrieben, vor allem, weil 
eine geeignete Schlafstelle fehlt. Die Erwachsenen suchen sich 
anderwärts Arbeit, meist ziehen sie in die nahe Stadt in der 
falschen Meinung, hier sich wirtschaftlich besser stellen zu 
können. Für die Wohnung kann auch hier nicht viel von dem 
Verdienst geopfert werden, das Wohnungselend in den Städten 
wird dadurch nur vergrößert. — Verhängnisvoll für die Volks¬ 
gesundheit ist es aber, daß durch dieses Abwandern zu wenig 
brauchbare Arbeitskräfte vorhanden sind, um die oft ausgedehnte 
Landwirtschaft zu besorgen. Besteht aber einMißvernältnis 
zwischen Arbeit, Ernährung und Ruhe, dann wird 



684 


Dr. K. Dörner. 


der Körper geschädigt, er erkrankt leichter an 
Tuberkulose. 

Bei einem Vergleich der Sterblichkeitsverhältnisse in den 
beiden untersuchten Bezirken finden wir in dem dicht be¬ 
völkerten, in der Nähe großer Industriezentren gelegenen Be¬ 
zirk II sowohl die Gesamtsterblichkeit als auch die Tuberkulose¬ 
sterblichkeit höher als in Bezirk I. In den 30 Jahren nach 
1881 haben wir im Bezirk II einen noch höheren Durchschnitts¬ 
wert für die Tuberkulosesterblichkeit als in den Jahren vorher, 
dabei ist der Durchschnittswert so hoch, daß er niemals vom 
Landesdurchschnitt erreicht worden ist. Obgleich nun in 
beiden Bezirken die Durchschnittswerte derZeiten 
vor und nach 1881 nicht sehr wesentlich vonein¬ 
ander verschieden sind, erhalten wir doch ein ganz 
verschiedenes Bild, wenn wir die Tuberkulosetodes¬ 
fälle nachAltersklassenundGeschlecht miteinander 
vergleichen. (Siehe nebenstehende Kurven.) 

Diese Kurveh stellen scheinbar etwas ganz Verschiedenes 
dar und doch handelt es sich um dasselbe, nämlich einen Ver¬ 
gleich der Tuberkulosesterblichkeit in beiden Bezirken nach 
Altersklassen und Geschlecht. Die ausgezogene Linie ent¬ 
spricht der Zeit 1882—1911, die abgesetzte der Zeit 1852 bis 
1881 jedesmal 10000 Lebende in den einzelnen Altersklassen 
berechnet. — Vor allem fällt die ganz bedeutende Zunahme 
der Tuberkulosesterblichkeit der Frau im erwerbs¬ 
fähigen Alter im Bezirk II auf, die mehr als doppelt so groß 
wie früher und etwa dreimal so groß wie im Bezirk I. Auch 
im Bezirk I ist eine geringe Zunahme der Sterblichkeit bei der 
Frau im erwerbsfähigen Alter feststellbar. Auch die Sterblich¬ 
keitsverhältnisse bei der männlichen Bevölkerung liegen etwas 
ungünstiger im erwerbsfähigen Alter wie früher. — Allen 
Kurven gemeinsam ist aber das Sinken unter die Werte 
von früher für das vorgeschrittene Alter. — Der Gipfel 
der Sterblichkeit ist also, im Gegensatz zu den früher, z. B. 
von Cornet angegebenen Statistiken, in das erwerbsfähige 
Alter gerückt. - Inzwischen ist diese Tatsache wiederholt, auch 
an großen Statistiken, bestätigt worden, so von Dresel, Orth 
und anderen. In dem industriereichen Sachsen starben z. B. im 
Jahre 1910 in der Altersklasse 10—20 von 10000 Lebenden 
3,85 männliche und 7,24 weibliche Personen an Tuberkulose. 

Da sich der Gipfel der Tuberkulosesterblichkeit in das er¬ 
werbsfähige Alter verschoben und sich in beiden Bezirken sogar 
eine Zunahme der Tuberkulosesterblicheit gegen früher im 
erwerbsfähigen Alter nachweisen läßt, scheint mir die Frage 
berechtigt, ob die Tuberkulose wirklich in dem Maße 
zurückgegangen ist, als wir seither aus dem Er¬ 
gebnis des Landesdurchschnitts angenommen? —- 
Wenn die Tuberkulose im vorgeschrittenen Alter abgenommen, 
so ist das nur scheinbar und kommt daher, daß die Krankheits¬ 
fälle infolge des Fortschritts der klinischen Diagnostik und der 







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585 



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686 


Dr. E. Döraer. 


Verbesserung der Untersuchungsmethoden besser erkannt werden. 
Die Krebsfälle werden häufiger festgestellt, schon deshalb, weil 
sie klinisch wegen der Behandlungsmöglichkeit mehr Bedeutung 
bekommen haben, früher wurden sie als Auszehrung in die 
Sterbscheine eingetragen und kamen für die Tuberkulose zur 
Verrechnung. — Gerade in dem Alter, in dem uns die Tuber¬ 
kulose in Form der Phthise am deutlichsten vor Augen tritt, 
ist eine Verwechselung mit anderen Krankheitsformen nicht 
anzunehmen, auch in früheren Zeiten wurde die Krankheit hier 
am sichersten erkannt, deshalb ist auch in diesen Altersklassen 
ein Vergleich mit früher am ersten zulässig. — Wenn wir daher 
auf Grund der Zahlen des Landesdurchschnitts von einem Rück¬ 
gang der Tuberkulosesterblichkeit sprechen und hiermit den 
Erfolg unserer seitherigen Bekämpfungsmethoden rechtfertigen 
wollen, so halte ich das für vollkommen irreführend 
und unberechtigt. Die Werte des Landesdurchschnittes 
wurden noch dadurch beeinflußt, daß wir bei dem Einträgen 
der Sterbefälle seit dem Jahre 1905 das vom Reichsgesundheits¬ 
amte neue Verzeichnis zu Grunde legen, während vorher das 
von Virchov aufgestellte benutzt wurde. Das neue Verzeichnis 
enthält aber wesentlich mehr Krankheitsbezeichnungen, be¬ 
sonders auch für die Tuberkulose allein 14 Unterabteilungen, 
von denen nur eine, die Z. 31, a zum Landesdurchschnitt ver¬ 
wendet wird. Dieser Einfluß geht mit Sicherheit schon daraus 
hervor, daß mit Einführung des neuen Systems der Landes¬ 
durchschnitt in Baden zum ersten Male unter 2,0 
sinkt und dann auch stets bis zum Beginn des Welt¬ 
krieges, d. h. lOJahre lang, darunter bleibt, während 
in derZeit vorher, solange der Landesdurchschnitt 
berechnet wird, das ist seit dem Jahre 1877, dies 
niemals der Fall war. 

Ganz besondere Bedeutung bekommt die hohe Sterblich¬ 
keit der Frau im erwerbsfähigen Alter noch dadurch, daß, wie 
ich dies bei der mit Hilfe der genealogischen Untersuchungs¬ 
methoden vorgenommenen Familienuntersuchung der Gemeinde 
L. feststellen konnte, der Einfluß der kranken Mutter auf das 
Leben der Kinder im 1. und 2. Lebensjahre sehr ungünstig ist. 
Bei Tuberkulose der Mutter betrug die Sterblichkeit der Kinder 
im 1. und 2. Lebensjahre 40°/ 0 , ein ähnlicher Wert wird von 
Weinberg angegeben. 

Entsprechend sind die Werte der Kindersterblichkeit für 
Bezirk II durchweg ungünstiger als die für Bezirk I. In der 
Decade 1862/71 übertrifft die Kindersterblichkeit die des Be¬ 
zirkes I um 20°/o> 1882/91 sogar um 68,7°/ 0 und 1902/11 um 
34,7 °/ 0 . In einzelnen Orten finden wir, gerade wie dies bei 
der Tuberkulosesterblichkeit der Fall ist, eine ganz erhebliche 
Zunahme der Kindersterblichkeit bei einem Vergleich mit der 
Zeit, die 40 Jahre zurückliegt. Bezeichnend ist das Zusammen¬ 
fallen des ungünstigsten Wertes der Tuberkulosesterblichkeit 
mit dem der Kindersterblichkeit. So betrug in der Gemeinde 



TnberbaloseYerbreitoDg and soziale Mißstände. 


687 


N. in der Zeit 1882—1891 der Durchschnittswert für Tuberku¬ 
losesterblichkeit — 7,6 au! 1000 Lebende, in der gleichen Zeit 
starben durchschnittlich 40 °/ 0 aller Lebendgeborenen im 1. Lebens¬ 
jahre, eine Zahl, die von keiner anderen Gemeinde jemals er¬ 
reicht worden ist. — Der Zusammenhang zwischen Tuberku¬ 
lose und Kindersterblichkeit ist teils ein direkter, teils ein in¬ 
direkter. Einmal sind die kleinen Kinder bei Tuberkulose der 
Mutter einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt, andererseits 
kommen für die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des Kindes 
alle die Momente in Betracht, die die Gesundheit überhaupt 
schädigen, so vor allem die durchaus ungenügenden 
Wohnungsverhält nissemitMangel an Lüft undLicht. 
Unter dem Einfluß der raumbeschränkten Wohnung ist jede 
Empfindung für Reinlichkeit verloren gegangen, das Kind wie 
der Erwachsene hat darunter zu leiden. Gute Ratschläge und 
Belehrungen nutzen nichts, da die Leute von früh auf an die 
Unsauberkeit gewöhnt sind. 

Die auffallend hohe Sterblichkeit der Frau im 
erwerbsfähigen Alter entspricht der durchaus un¬ 
günstigen sozialen Stellung, in die die Frau unter 
dem Einfluß der wirtschaftlichen Entwicklung 
immer mehr gekommen ist. — Die Arbeitskräfte, die früher 
der Landwirtschaft oder dem häuslichen Betriebe zugute kamen, 
werden mehr oder weniger durch die Industrie absorhiert, viel¬ 
fach geht der Mann in die Fabrik, die erwachsenen Kinder 
ebenfalls oder sie sind unter dem Einfluß der ungünstigen 
Wohnung in die Stadt abgewandert. Fremde Arbeitskräfte ein¬ 
zustellen ist zu teuer im Gegensatz zu früher. — Die Frau 
muß nicht nur für die Kinder sorgen, sie soll womöglich ihr 
Kind stillen, muß für die Landwirtschaft sorgen und sich noch 
in der Hauswirtschaft betätigen. Dazu kommt, daß die Er¬ 
nährung vielfach sehr unzureichend ist. Ein großer 
Teil der Lebensmittel, die früher auf dem Lande aufgebraucht 
wurden, wandert heute nach der Stadt, so vor allem die Milch 
und ihre Produkte. An Stelle von Nahrungsmitteln sind Ge¬ 
nußmittel getreten. Die Ernährung entspricht nicht der zu 
leistenden Arbeit. Nachteilig für die Volksernährung ist ferner, 
daß die Zahnpflege bei der Landbevölkerung durchaus mangel¬ 
haft ist. 

Ich will keineswegs behaupten, daß die Industrie ohne 
weiteres eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeute. Es 
werden durch den erhöhten Verdienst auch Werte geschaffen, 
die, richtig angewandt, sehr zum Vorteil der Bevölkerung ge¬ 
reichen können. Bei einem Vergleich der Tuberkulosesterblich¬ 
keit im Bezirk Karlsruhe Land konnte ich vielmehr feststellen, 
daß die Tuberkulosesterblichkeit in Orten, die nahe an dem 
Industriezentrum liegen, wo ein günstiger Ausgleich zwischen 
Industriearbeit und landwirtschaftlicher Beschäftigung besteht, 
vorausgesetzt, daß der Feldbau nicht zu groß und auch nicht 
zu klein und unrentabel ist, die Tuberkulose zurückgegangen 



588 Dr. K. Döruer: Tuberkuloseverbreitung and soziale Mißstände. 

ist. Für die vom Industrieplatz entfernt liegenden Orte ist es 
sicherlich von Nachteil, daß die Arbeiter die Arbeitsstätte täglich, 
trotz der großen Entfernung, aufsuchen. — Sie müssen oft mit 
dem Fahrrad bei Wind und Wetter zunächst zur Bahn fahren, 
um zur Arbeitsstätte zu gelangen. Abends kommen sie erst 
spät in die schlechte Wohnung zurück. Zeit, Geld und Ge¬ 
sundheit müssen diese Arbeiter im Vergleich zu denen opfern, 
die nahe der Arbeitsstätte wohnen. — Sicherlich ist für die 
große Masse der Arbeiterbevölkerung die Fürsorge 
für Wohnungsverhältnisse vernachlässigt, es sind 
nur wenige Unternehmer, die in dieser Hinsicht vorbildlich für 
ihre Arbeiter gesorgt haben. 

Wenn wir die Tuberkulose als Volkskrankheit bekämpfen 
wollen, dann müssen wir uns vor allem gegen die Mißstände 
wenden, die zur Verbreitung der Krankheit beitragen. Ich 
bin der Ansicht, daß wir mit unseren seitherigen 
Methoden, vor allem durch Fördern des Heilstätte¬ 
wesens,, auf dem falschen Wege sind. Schon zu Beginn 
der Heilstättenbewegung wurde vor einer Ueberschätzung des 
Erfolges gewarnt. Selbst RobertKoch hat darauf hingewiesen, 
daß die Abnahme der Tuberkulosesterblichkeeit nicht, wie viel¬ 
fach behauptet wird, auf die deutsche Sozialversicherung und 
hiermit die Heilstättenbehandlung zurückzuführen ist, da die 
Verminderung der Sterblichkeit schon vorher eingesetzt hat 
und sich über dies auch in anderen Staaten (England) bereits 
zeigte, obwohl dort eine weit verbreitete Sozialversicherung 
fehlte. — Abgesehen davon, daß die Heilstätte enorme Geld¬ 
mittel aufgebraucht hat — nach Angaben Dresels wurden 
z. B. in den 38 den Landesversicherungsanstalten gehörigen 
Heilstätten während der Jahre 1897—1910 rund nur 318000 Ver¬ 
sicherte mit einem Kostenaufwand von 117 Millionen behandelt —, 
sie hat vor allem dadurch direkt großen Schaden 
gestiftet, daß sie vom richtigen Wege abgelenkt 
hat. — Wenn wir die gewaltigen Geldmittel, die wir für die 
Heilstätte geopfert haben, zur Förderung des Baues von Wohnung 
vernünftig angewandt hätten, dann hätten wir zur Bekämpfung 
der Tuberkulose viel mehr geleistet. — Die Heilstättenbewegung 
wurde vor allem durch Kliniker gefördert und hochgehalten. 
Das scheint mir insofern ganz verständlich, als der Kliniker 
sich mit dem einzelnen Fall beschäftigt und sich fragt, wie 
bekomme ich diesen gesund. Das wäre natürlich in der Heil¬ 
stätte möglich, wenn dem Kranken die nötige Zeit zur Ver¬ 
fügung stünde und er vor allem nicht wieder in die ungesunden, 
krankmachenden Verhältnisse, zurück müßte. Der Praktiker 
dagegen, der täglich mit den am meisten betroffenen Kreisen 
zu tun hat, sieht immer wieder die Mißstände, die krankmachend 
wirken, er sagt sich mit Recht, in erster Linie müssen die 
Mißstände beseitigt werderi, es hat gar keinen Zweck, auB 
diesen Kreisen jemand in die Heilstätte zu schicken. Aus Er¬ 
fahrung weiß er auch ganz genau, daß es sich bei Kranken 



Dr. Cart Thomalla: Hygiene and soziale Medizin im Volksbelebrangsfilm 689 


die mit großer Gewichtszunahme aus der Heilstätte kommen, 
doch nur um einen Scheinerfolg handelt. — Ich halte die Bereit¬ 
stellung öffentlicher Mittel für Heilstättenzwecke für durchaus 
ungerechtfertigt, ganz besonders in der jetzigen Zeit, wo die 
Heilstätten Unsummen für Kohlen, Löhne für Angestellte usw. 
aufbrauchen, wo auf der anderen Seite die Not so groß ist. 

Ich betrachte es als eine der wichtigsten Aufgaben für 
die Tuberkulosebekämpfung, die Beschaffung gesünderer Woh¬ 
nungen für die arbeitende Bevölkerung, denn die Wohnung 
ist dieGrundlage nicht nur für die gesundheitliche, 
sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung 
der Bewohner. Die Bauplatzfrage bedarf einer gesetzlichen 
Regelung, besonders die kleinen Gemeinden müssen gezwungen 
werden, Land für Bauzwecke zu enteignen und hiernach die 
Ortsbaupläne einzurichten, es ist ein Fehler, den Gemeinde¬ 
verwaltungen die Initiative hierzu zu überlassen, es bleibt sonst 
alles beim alten. — Ferner muß alles, was die Produktion an 
Lebensmitteln steigern kann und zur Verbilligung der Volks¬ 
ernährung beiträgt, vom Staate gefördert werden. Bei dem 
Mangel an Arbeitskräften in ländlichen Bezirken ist ein Ersatz 
der menschlichen Arbeitskraft durch Elektrizität, erzeugt durch 
die natürlichen Kraftquellen des Landes, anzustreben. — Es ist 
gänzlich verfehlt, die kapitalistische Wirtschaftsordnung durch 
einseitige Entwicklung von Industrie und Handel, besonders 
jetzt, nachdem man uns unsere Kolonien genommen hat und 
wir mehr denn je vom Auslande abhängig sind, zu forcieren. 
Es kommt darauf an, soziale Hygiene zu treiben, die sich zur 
Aufgabe macht, alle Bevölkerungsschichten aus Handel, Industrie 
und Landwirtschaft, lebenskräftig zu erhalten. 


Hygiene und soziale Medizin imYolksbelelmingsfilm. 

Von Dr. Cnrt Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei der Kaltar- 
abteilang der Universum-Füm A.G. 

I. Entwicklung des medizinischen Lehrfllms von 1918—1922. 

Der Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
25. Februar 1922 — I. M. I. 260. H Ang. — an die Herren Ober¬ 
präsidenten (siehe Zeitschrift für Medizinalbeamte vom 20. Mai 
1922, Rechtsprechung und Medizinal-Gesetzgebung S. 51) hat 
die Aufmerksamkeit der Kreis-, Kommunal- und Wohlfahrts¬ 
ärzte in so hohem Maße auf die hygienischen Volksbelehrungs¬ 
filme gelenkt, daß ich den Anregungen verschiedener Stellen 
gern folge und einen Ueberblick über Entwicklung und Stand 
der medizinischen Lehrfilmfrage sowie Auszüge aus der in 
obigem Erlaß erwähnten Denkschrift gebe. Für die freundliche 
Genehmigung des Schriftleiters Herrn Geh. Med.-Rat Dr. So lbrig 
erlaube ich mir verbindlichst zu danken, ebenso für das rege 
praktische Interesse, das Herr Geheimrat So lbrig bereits lange 
vor der „offiziellen“ Anerkennung den populären Volksbelehrungs¬ 
filmen des Medizinischen Filmarchivs stets entgegen brachte. 



590 


Dr. Cart Tbom&lla. 


Als ich im Frühjahr 1918 der soeben gegründeten Ufa 
ein Exposd einreichte (veröffentlicht: Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1918 Nr. 44 und Zeitschrift für die gesamte Neurologie 
und Psychiatrie Band 45, Heft 12), das zur Gründung eines 
wissenschaftlich-medizinischen Filmarchivs aufforderte, war die 
erste Aufgabe, für den Unterricht an Universitäten, in Aerzte- 
Vereinen usw. sachliches, wissenschaftliches Anschauungsmaterial 
zu schaffen. Es wurden seltene, schnell vorübergehende, im Hör¬ 
saal schwer demonstrierbare Krankheitsfälle usw. aufgenommen. 
Ein mit den vollkommensten Einrichtungen der modernen Mikro¬ 
technik ausgestattetes Laboratorium sorgte für lebendige Auf¬ 
nahmen aus der Welt der kleinsten Lebewesen, in Zusammen¬ 
arbeit mit wissenschaftlichen Instituten wurden die schwierigen 
Röntgenkinematogramme hergestellt, die Bewegung der Stimm¬ 
bänder in direkter Aufnahme auf dem Filmband festgelegt, die 
inneren Geburtsvorgänge in schematischen Querschnittszeich¬ 
nungen in Serien von Tausenden unter sich minimal verschie¬ 
dener Einzelbilder von jedem Bewegungsvorgang veranschaulicht 
und in zusammenhängender, sonst unmöglicher Deutlichkeit auf¬ 
genommen. Döderlein, Kräpelin-München, Hiss, Kraus, 
Bonnhöffer, Krückmann, Greef, Hefter u. v. a.-Berlin, 
Panconcelli-Calzis-Hamburg, Walt har dt-Frankfurt a.M. 
(jetzt Zürich) usw. waren die Namen von Weltruf aus der 
deutschen Wissenschaft, die fördernd und mitarbeitend die Ent¬ 
stehung des Medizinischen Lehrfilms ermöglichten. 

Für die wissenschaftlich einwandfreie Darstellung des sach¬ 
lichen Inhalts dieser Lehrfilme sorgte eine freiwillige Zensur, 
der das medizinische Filmarchiv alle seine Erzeugnisse vor 
Herausgabe unterbreitete. Unter Vorsitz des Herrn Geh. Ober- 
Med.-Rats Prof. Dr. Dietrich begutachtete der medizinische 
Ausschuß der amtlichen Bildstelle (Erlaß des Ministers für 
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 3. April 1919 U. IV 
6643 U. I) jeden Film, derart, daß für jedes Spezialgebiet ein 
besonderer Unterausschuß mit dem entsprechenden ordentlichen 
Professor der Universität als Leiter tätig war. Die Internatio¬ 
nalität der Wissenschaft, verbunden mit der absoluten Inter¬ 
nationalität des Bildes ermöglichte, daß das so entstandene 
medizinische Filmarchiv bald in kaum einem Kulturlande un¬ 
bekannt blieb und wissenschaftliche Institute der ganzen Welt 
mit seinen hochwertigen Lehrfilmen versorgte. 

In Deutschland freilich blieb der erwartete praktische 
Erfolg trotz großenteils begeisterter theoretischer Zustimmung 
der Hochschullehrer aus, zumal die von Monat zu Monat steigenden 
Herstellungs- und Materialkosten Lehrfilme für deutsche Kliniken 
und Institute immer unerschwinglicher machten. 

Das Arbeitsgebiet war bald ein zu beschränktes und eine 
Rentabilität des letzten Endes doch kaufmännischen Unter¬ 
nehmens erschien selbst in Zukunft ausgeschlossen, so daß bald 
neben dem streng wissenschaftlichen klinischen Lehrfilm der 
populär-wissenschaftliche Volksbelehrungsfilm in Erscheinung 



Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrangsfllm. 


691 


trat. Tatkräftig gefördert von dem Wohlfahrtsministerium, dem 
Reichs- und Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung, 
insbesondere von Herrn Professor Dr. C. Adam, dem Direktor 
des Kaiserin Friedrich-Hauses für das ärztliche Fortbildungs¬ 
wesen und Generalsekretär des Landesausschusses, entstanden 
die medizinischen Großfilme, die mit begleitendem ärztlichen 
Vortrag Wissen und Auflärung über alle hygienischen und 
sozialmedizinischen Fragen in die breitesten Volkskreise, in die 
letzte Hütte tragen können. In Zusammenarbeit mit den ersten 
Kapazitäten jedes Spezialgebietes, gleichzeitig aber in enger An¬ 
lehnung an die berufenen amtlichen und halbamtlichen Organi¬ 
sationen (Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten, Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der 
Tuberkulose, Organisationsamt für Säuglings- und Kleinkinder 
schütz, Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge, Staatliche 
Impfanstalt, Institut für Infektionskrankheiten „Robert 
Koch“ usw.) wurde der Hauptwert neben der sachlich ein¬ 
wandfreien Wissenschaftlichkeit auf spielend leichte Verständ¬ 
lichkeit für jeden, selbst den Ungebildeten, gelegt. Selbst 
großzügig angelegte und durchgeführte, in den Rahmen des 
Ganzen gehörige gestellte Szenen, wie z. B. die historische Ein¬ 
führung in die Geschichte der Pockenimpfung von den indischen 
Brahminen über die türkische Inokulation, Jenners Entdeckung 
der Kuhpockenimpfung bis zur modernen Impftechnik, wurden 
nicht gescheut, um das Laienpublikum nicht nur trocken sachlich 
zu belehren, sondern auch zu fesseln und anzuregen. Ja, sogar 
ein sehr dezenter und taktvoller Humor kommt in diesen Filmen, 
da, wo es angebracht und möglich ist, vorsichtig zur Geltung. 
Auch diese Volksbelehrungsfilme haben sich in einem großen 
Siegeslauf die ganze Welt erobert und es ist ein ehrendes 
Zeugnis für die Produktion des Medizinischen Filmarchivs, daß 
amtliche und offizielle Körperschaften, Ministerien und Behörden 
von etwa der Hälfte aller Staaten sämtlicher Erdteile diese 
Volksbelehrungsfilme offiziell eingeführt haben. Es sei aus¬ 
drücklich erwähnt, daß nicht nur als geschlossene Vorführung 
besonders von Krankenkassen, Gewerkschaften, Berufsorgani¬ 
sationen diese Filme ebenso wie in öffentlichen Vorführungen 
weitgehendst ausgenützt werden, sondern daß auch die Päda¬ 
gogen in gemeinsamer Arbeit mit dem Mediziner, speziell dem 
Schularzt, diese bequeme und wirkungsvolle Aufklärungsarbeit 
in die offiziellen Unterrichtsstunden aufgenommen haben. 

Wer einen derartigen medizinischen Volksbelehrungsfilm 
fertig an seinem Auge vorübergleiten läßt, kann sich meist 
keinen Begriff davon machen, welche Schwierigkeiten bei diesen 
Aufnahmen zu überwinden sind. Denn im Gegensatz zu allen 
anderen Gebieten, bei denen man nach festgelegtem Aufnahme- 
plan und an geeigneten Oertlichkeiten arbeiten kann, ist der 
Mediziner auf das stets wechselnde, schwer erreichbare, dauernd 
sich verändernde Krankenmaterial der Kliniken und Kranken¬ 
häuser angewiesen, seine Aufnahmen müssen, oft fast ohne Vor- 



592 Dr. Curt Thomalla: Hygiene and soziale Medizin im Volksbelebmngsfilia. 


bereitung, in Operationssälen, in dunklen Laboratoriumsräumen, 
in ungeeigneten Krankenzimmern hergestellt werden. Und am 
schwierigsten ist die Verdeutlichung innerer Vorgänge und 
Veränderungen, die Einwanderung von Krankheitserregern, 
Schrumpfungen und Vergrößerungen von Organen, Entstehung 
von Krankeitsherden usw. darzustellen. Für diese Veranschau¬ 
lichungen mußten ganz neue Methoden schematischer Zeichen¬ 
filme erprobt und ausgearbeitet werden, bis das sachlich Rich¬ 
tige mit selbstverständlicher Faßlichkeit in höchster Vervoll¬ 
kommnung sich vereinte. 

Schließlich ist in der Jahresproduktion 1921/22 ein ganz 
neuer Weg beschritten worden. Der wissenschaftliche Theater¬ 
publikumsfilm ohne Vortrag. Das gewaltige Problem der 
Stein ach sehen Forschungen stellte so vielfältige und ver¬ 
schiedenartige Anforderungen, daß sie sämtlich in einem Film 
nicht in Einklang gebracht werden konnten. Neben dem in 
bisheriger Art hergestellten wissenschaftlichen Vortragsfilm ist 
daher eine freie, populär-verständliche Bearbeitung dieses Themas 
in einer zweiten Fassung erfolgt. Vielleicht weist dieser Ver¬ 
such der ganzen zukünftigen medizinischen Kinematographie 
neue Wege, ohne daß die alten bewährten Gebiete des wissen¬ 
schaftlichen Lehrfilms und des populär-wissenschaftlichen Vor¬ 
tragsfilms darunter leiden. 

V on verschiedenen Seiten, besonders von Dr. med. Schweis¬ 
heim er in München, war ja seit langem die Forderung auf¬ 
gestellt, man solle die Volksaufklärung nicht durch Lehrfilme, 
sondern indirekt durch den alltäglichen Kino - Spielfilm in 
Detektiv- und Liebesgeschichten unmerklioh eingeschaltet, 
in die breiten Massen hineintragen. So weit sind wir freilich 
noch nicht und dazu wird es kaum jemals kommen; denn die 
urteillose Masse, die das Kino heutzutage großenteils allein 
füllt, meidet alles, was auch nur eine Spur geistiger Arbeit 
voraussetzt. Und der Gebildete hält ja den Kino-Besuch für 
entwürdigend, so daß alle Versuche der Filmindustrie, Besseres 
als kitschige Unterhaltungsware zu produzieren, an der Un¬ 
rentabilität jedes „guten“ Filmes scheitern. Der einzige Aus¬ 
weg ist der sreng-sachliche Lehrfilm ohne Spielhandlung, den 
sich auch der Gebildete ansieht und der durch sein Thema 
auch auf breitere Schichten anziehend wirkt. Gerade das 
Thema der Steinachsehen Altersbekämpfung war zu diesem 
Experiment sehr geeignet, wenn auch dieser demnächst er¬ 
scheinende Film weniger der Neugier des Laien Sensationen 
bringen, als vielmehr die Operetten- und possenhaften An¬ 
schauungen weiter Kreise über diese Probleme klären und die 
phantastischen Begriffe über „Verjüngung“ auf das richtige Maß 
zurückschrauben soll. Immerhin mußte, da der Steinach- 
Film in seiner populären Fassung im Abendprogramm der Kino- 
theater ohne Vortrag laufen soll, dem Geschmack und den 
Wünschen des Zuschauers insofern Rechnung getragen werden, 
als ästhetisch schöne, interessante und sogar aufregende oder 



Dr. Boege: Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem richtigen Wege i 593 

erheiternde Bilder zwischen die rein sachlich belehrenden, 
manchmal natürlich trocken wissenschaftlichen Erörterungen 
eingeschaltet sind. Auf diese Weise sind gewissermaßen Ruhe¬ 
punkte gegeben, die ein williges und freudiges Folgen des Zu¬ 
schauers ermöglichen und ihn zum Erfassen und geistigen Ver¬ 
dauen des überreichen Lehrmaterials erst befähigen. Auch das 
Wohlfahrtsministeriura hatte übrigens in einem ausführlichen 
Bericht über die Erfahrungen mit den hygienischen Lehrfilmen 
ein weitherziges Entgegenkommen den Instinkten der Kino- 
Besucher gegenüber im Interesse des guten Endzieles spontan 
dringend empfohlen. — Wenn dieser Versuch glückt, werden 
wir im Laufe der nächsten Jahre vermutlich mehr und mehr 
wissenschaftliche Lehrfilme in den Kinotheatern erleben, die 
im Programm ohne ärztlichen Begleitvortrag abrollen. Es gibt 
ja genug Themata, die weiteste Volkskreise in aller Welt 
brennend interessieren und die, geschickt und mit bewußtem 
Eingehen auf die Psyche der Massen filmmäßig verarbeitet, 
zweifellos „ziehen“. Der Schwindel der Pseudo-Okkultisten, 
die abergläubische Furcht des Laien vor dem Irrenhaus, der 
Alkoholismus und viele andere Schäden können nicht wirk¬ 
samer bekämpft, gesunde Körperkultur, vernünftige Bevölkerungs¬ 
politik u. a. nicht einfacher propagiert werden, als durch den 
Film im Kinotheater. Große Gebiete werden zu abendfüllenden 
Programm-Filmen, kleinere zu den sogenannten Beiprogramm- 
Filmen verarbeitet werden. Auf diese Weise wird an die breite, 
träge Masse, die spielend und ohne Anstrengung lernen und 
dabei ihr Schau-Bedürfnis befriedigen will, heranzukommen sein. 
Für den richtigen Unterricht, und sei er noch so populär ge¬ 
halten, wird natürlich nach wie vor der Vortragsfilm, zu dem 
der Arzt und zwar möglichst der in sozialer Arbeit stehende 
Mediziner erläuternd und ergänzend spricht, erforderlich sein. 
Um aber diese wichtigen Volksbelehrungsmittel rentabel zu 
gestalten und damit ihre Herstellung für die Zukunft sicher zu 
stellen, muß die richtige Ausnutzung und Verwertung der be¬ 
stehenden durch geeignete Organisation des Vortragswesens 
endlich auch in Deutschland in die richtigen Bahnen gelenkt 
werden. 


Sind wir mit der Tuberkulosefürsorge auf dem 

richtigen Wege? 

Von Kreismedizinalrat Dr. Boege* öeckennünde. 

Unter dieser Ueberschrift zerpflückt Dr. Paetsch meinen 
im Heft 13 des Jahrgangs 1921 dieser Zeitschrift erschienenen 
Aufsatz über Tuberkulosefürsorge. Paetsch hält seinen Weg 
für den richtigen und hat sicher auch durchaus recht, soweit 
es sich um Tuberkulosefürge in großen Gemeinwesen handelt. 
Er hat jedoch, behaupte ich und meinen mit mir sehr viele 
Sozialhygieniker in ländlichen Bezirken, unrecht, wenn er Gro߬ 
stadteinrichtungen ohne weiteres auf Landkreise übertragen will. 



694 


Dr. Boege. 


Ich hatte ausdrücklich betont, dafi ich von der Fürsorge 
in einem ländlichen Bezirk sprechen wollte, und das scheint 
Paetsch ganz übersehen zu haben. Darum brauchte Paetsch 
mir auch gar nicht zu empfehlen, mir einmal die großstädische 
Stettiner Fürsorgestelle anzusehen. Ich weiß, daß Bräuning 
in Stettin Großes und Gutes leistet, und glaube auch ohne 
weiteres, daß Paetsch in Bielefeld Großes und Gutes leistet. 

Landkreise, die ganz nach dem Muster der Großstadt 
zu arbeiten versucht haben, sind nicht recht vorwärts ge¬ 
kommen, so auch mein Kreis. Nachdem wir uns umgestellt 
haben, sind wir zufrieden, wir glauben auf dem richtigen Wege 
zu sein. Allerdings ist der Weg, den.wir gehen, ein anderer 
als der, auf den uns Paetsch drängen will. Obgleich be¬ 
kanntlich statistische Zahlen sehr vorsichtig zu werten sind, 
so kann ich mich doch nicht enthalten mitzuteilen, daß wir im 
letzten Jahre nicht wie Paetsch 68,04 °/ 0 der offnen Tuberku¬ 
losen, sondern 95°/ 0 *) der offnen Tuberkulosen gekannt haben 
(auf Grund der Totenscheine berechnet), d. h. die Fürsorge kannte 
mehr Tuberkulöse als polizeilich und fast ebensoviel wie standes¬ 
amtlich gemeldet waren. 

Aus der Beweisführung Paetsch will ich nur auf einen 
Punkt, den wichtigsten, näher eingehen. Paetsch meint, das 
beste Werbemittel für die Fürsorge müßte die diagnostische 
Tüchtigkeit des Fürsorgearztes sein. Er müßte für die prak¬ 
tischen Aerzte gewissermaßen die diagnostische Autorität sein, 
der sie ihre unklaren Fälle zuschickten. Für die Großstadt hat 
P. sicher recht. Es wäre traurig, wenn hier der hauptamtlich 
angestellte Fürsorgearzt, der sich nur mit Tuberkulose be¬ 
schäftigt, der täglich Sprechstunden abhält, der Röntgenapparat 
und ähnliche Hilfsmittel zur Verfügung hat, nicht ein allseits 
anerkanntes diagnostisches Uebergewicht hätte. Aber jetzt 
empfehle ich Paetsch sich einmal den Betrieb in den Fürsorge¬ 
stellen eines Landkreises anzusehen, von denen und für die ich 
sprach. Unsere 28 pommerschen Landkreise haben im all¬ 
gemeinen eine Bevölkerungszahl von 30—60000 Einwohnern. 
Mein Kreis mit 56000 Einwohnern ist bereits der fünftgrößte. 
Von einem Ort aus können diese 30—60000 Einwohner der 
großen Entfernungen wegen selbstverständlich nicht befürsorgt 
werden. Will man es jedem Kreisinsassen möglich machen, 
die Fürsorgesprechstunden aufzusuchen, so muß man den Kreis 
in mehrere Fürsorgebezirke teilen. Mein Kreis z. B. ist in 
4 Bezirke eingeteilt und an 5 Orten werden Sprechstunden 
abgehalten. Für die ärzliche Versorgung kommen 2 Möglich¬ 
keiten in Frage. Jeder der 3 oder 4 oder 5 Fürsorgebezirke 
hat seinen eigenen Fürsorgearzt (so hatten wir es bis vor 
l 1 /* Jahren). Einer der 4 oder 6 praktischen Aerzte des Be- 


*) Bei Außerachtlassung der in der hiesigen Irrenanstalt verstorbenen 
Tuberkulösen, auf die sich unsere Fürsorge natürlich nicht erstreckte, waren 
es sogar 97 °/#. 



Sind wir mit dor Tuberkulosefürsorge anf dem richtigen Wege? 696 


zirks oder des Landstädtchens bekommt die Fürsorge. Er mag 
als praktischer Arzt noch so tüchtig sein, noch so große Uebung 
in Perkussion und Aukultation haben, als diagnostische Autorität 
wird er weder vom Publikum noch von seinen Kollegen, deren 
Konkurrent er ist, anerkannt. Einen Röntgenapparat hat er 
als Fürsorgearzt auch nicht; wenn er privat einen besitzt, darf 
er ihn für die Fürsorge selbstverständlich nicht benutzen. Wie 
will er diagnostisch Tuberkulin impfen, wenn er den Geimpften 
frühestens in 8 Tagen Wiedersehen kann? Er muß den Haus¬ 
arzt bitten, diese Impfungen vorzunehmen. — Die andere Mög¬ 
lichkeit ist, daß für alle Fürsorgebezirke des Kreises ein Für¬ 
sorgearzt bestellt wird. (Diesen zweiten Weg gehen wir jetzt.) 
Den Luxus eines Tuberkulose-Facharztes können sich nun in 
heutigen Zeiten die Landkreise nicht leisten; er müßte natürlich 
voll besoldet werden und müßte zudem erhebliche Reisegelder 
bekommen. Es bleibt also nur der Ausweg, einem Arzte des 
Kreises die Fürsorge zu übertragen. Auch dieser eine Für¬ 
sorgearzt wird sich schwerlich bei seinen Kollegen als Autorität 
durchsetzen. Die Hilfsmittel des Röntgenapparats und der 
Tuberkulinimpfungen hat er noch weniger als der bodenständige 
Arzt zur Verfügung. Er wird den Patienten nicht einmal 
wöchentlich sehen, sondern noch seltener. Wollte er wöchentlich 
an jedem der 5 Orte Sprechstunden abhalten, so wäre er voll 
beschäftigt, nicht mehr nebenamtlich tätig. 

Mit der Unmöglichkeit zum Tuberkulosefürsorgearzt in 
kleinen Landkreisen eine diagnostische Autorität zu gewinnen, fällt 
aber die ganze so schöne Beweisführung Paetschs zusammen. 

Zur Diagnosestellung muß die ländliche Fürsorge in großem 
Umfange die praktischen Aerzte heranziehen. Tut sie das, so 
werden sie sich auch für die Fürsorge interessieren, viel eher, 
als wenn in der Fürsorge ein Arzt tätig ist, der ihr Konkurrent 
in der allgemeinen Praxis ist, der da vorgibt, mehr leisten zu 
können als sie, aber tatsächlich, wenigstens auf diagnostischem 
Gebiet, nicht mehr leisten kann. Die Vermittlerin zwischen 
Fürsorgearzt und praktischem Arzt ist die Fürsorgeschwester, 
die darum noch lange nicht den praktischen Aerzten unterstellt 
zu sein braucht. 

Selbstverständlich wird auch der Fürsorgearzt in solch 
ländlicher Fürsorgestelle untersuchen, z. B. wenn er den Antrag 
auf ein Heilverfahren stellen will, wenn er Kranke für ein Ge¬ 
nesungsheim, gefährdete Kinder für einen Erholungsaufenthalt 
oder eine Tageskolonie aussuchen soll, aber seine Hauptaufgabe 
liegt nicht auf diagnostischem Gebiet. Er soll viel mehr die 
Fürsorge zentralisieren, die Aufklärung organisieren und soll 
durch seine Tätigkeit weiteren Erkrankungen Vorbeugen, indem 
seine Organe, die Schwestern, Hygiene lehren und zeigen. 

Mit vollem Recht hatte ich behauptet, daß die Fürsorge 
in kleinen ländlichen Kreisen der zweiten Forderung der vier 
allseits als ihre Aufgaben anerkannten Forderungen, nämlich 
Tuberkulose zu diagnostizieren, nicht gerecht geworden ist und 



596 


Bericht über die Tagung des Bezirksvereins Arnsberg. 


vorläufig auch nicht gerecht werden kann. Wohl aber kann 
sie die anderen drei Forderungen schon jetzt erfüllen, nämlich 
alle Tuberkulösen zu erfassen, die unbemittelten Kranken wirt¬ 
schaftlich zu unterstützen und der weiteren Verbreitung der 
Krankheit vorzubeugen. 

Man soll sich aber auf das schon jetzt Erreichbare be¬ 
schränken, vielleicht ist später einmal das Geld dazu da, einen 
Tuberkulosefacharzt anzustellen und damit das erstrebenswerte 
Ziel zu erreichen, auch zu diagnostizieren und zu behandeln. 

Zuletzt noch ein Wort der Abwehr und eine Bitte. Wir 
ländlichen Sozialhygieniker erkennen die Leistungen und Erfolge 
der Großstadtsozialhygieniker neidlos an, aber wir sträuben uns 
dagegen, daß wir von ihnen alles übernehmen sollen, was sie 
in den Städten für gut befunden haben. Sozialhygiene ist eine 
schöne und notwendige Sache, aber ist sie schon in der Gro߬ 
stadt schwer und teuer, auf dem Lande ist sie noch sehr viel 
schwerer und sehr viel teurer, ganz gleich, ob es sich um 
Krüppelfürsorge oder Geschlechtskrankenfürsorge, Tuberkulose¬ 
oder Säuglingsfürsorge, um Zahnschulpflege, hygienische Volks¬ 
belehrung oder andere Dinge handelt. 

Erst nach Abschluß dieser Zeilen lese ich in Heft 13/22 
dieser Zeitschrift Hillenbergs Aufsatz, den ich wohl als 
Zustimmung nehmen darf. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Uber die Tagung des Bezirksvereins Arnsberg 
an 7 . Oktober ln Hagen. 

1. Bliesener gedenkt als Vorsitzender des verstorbenen Kollegen 
Schaeffer - Altena. 

2. Der Vereinsbeitrag wird für 1923 auf M. 60.—, für pensionierte, Kreis* 
assistenzärzte and prakt. Aerzte auf M. 60.— festgesetzt. 

3. Die Vereinsmitglieder treten ohne Zwang für den einzelnen der 
Jabüäamsstiftang bei. 

4. Wollenweber berichtet über Frankfurt. 

Der Verein begrüßt die dort erfolgte Annäherung der Vereinigung der 
Kommunal-, Schul- und Fürsorgeärzte mit dem Pr. M. B. V. Seine Mitglieder 
treten, soweit sie kommunalärztlich tätig sind, der Vereinigung bei. 

Broeckerhoff wünscht Ausgestaltung der Vereinigung durch Bildung 
von Bezirksvereinen nach dem Muster des Pr. M.B. V. Wollenweber wird 
als Vorstandsmitglied der Vereinigung gebeten und übernimmt, diese Ausge¬ 
staltung anzuregen (ist geschehen!) und mit Köttgen und Wendenburg 
(Bochum) für den Arnsberger Bezirk in die Wege zu leiten. 

5. Die in Frankfurt aufgestellten Grundsätze für die Honorierung der 
nebenamtlichen Schul- und Fürsorgeärzte sollen möglichst im Bezirk durcfc- 
geführt werden. 

6. Wollenweber wird beauftragt die unerledigten Wünsche bez. Dienst¬ 
bezeichnung, Buhegehälter der Pensionierten, DienstaufwandsentBchädigung, 
Besoldungsdienstalter (bei Stadtärzten rechnet es z. T. ab 26. Lebensjahr!), 
Erhöhung der Gebühren automatisch mit der Steigerung der Gehälter in ge¬ 
eigneter Weise zur Geltung zu bringen und die Interessen der Medizinal¬ 
beamten gegenüber der durch Pauschalierung der EeichBgebühren drohenden 
Schädigung nachdrücklich zu vertreten. Jeder muß aber an seinem Teile 
mithelfen. 

7. Bruns - Gelsenkirchen berichtet über die Absicht des Instituts Gelsen¬ 
kirchen Einzelgebühren für bakteriologische Untersuchungen infolge Finanz- 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


597 


Schwierigkeiten za erheben. Die Versammlung ist der Ueberzeugung, daß durch 
ein derartiges Verfahren die Seuchenbekämpfung im Rohrkohlenbexirk auf’s 
schwerste gefährdet werden würde. 

Noch der Tagung fand zum ersten Mal eine gemütliche Versammlung 
mit den Damen der Mitglieder statt. Dr. Wollenweber. 


Kleinere Mitteilungen u. Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten. 

1. Geschlechtskrankheiten, Prostitution. 

(Jeher die Kommunalisieraog der ProsUtaiertenfBrsorge in Berlin. 
Von Stadtarzt Dr. Korach-Berlin. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der 
Medizinalverwaltung, XV. Bd., 6. Heft. 

Die Stadtgemeinde Berlin hat einen Organisations- and Geschäftsplan 
des Jugendamts bekannt gegeben, wonach ein Prostituiertenpflegeamt in das 
Berliner Jugendamt eingegliedert werden soll. Verfasser wendet sich mit 
durchaus überzeugenden Gründen gegen diese Angliederung. Er fordert aus 
Gründen sozialbygienischer, sozialpsychologischer und soziologisch-ökonomischer 
Art die Angliederung des Prostituiertenpflegeamts an das Hauptgesundheits¬ 
amt, wobei durchaus eine Mitarbeit des Jugendamts erwünscht ist. Aus ver¬ 
schiedenen Gründen, unter denen auch die Wünsche der Prostituierten eine 
Rolle spielen, kommt als Leiter eines Prostituiertenpflegeamtes ein geeigneter 
Arzt, unterstützt von Fürsorgerinnen, in Frage, ob männlich oder weiblich, ist 
nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Ueber die Einzelheiten einer sach¬ 
gemäßen Fürsorge werden weitere Angaben gemacht, wobei der Standpunkt 
vertreten wird, daß eine Loslö3ung von der Polizei geboten ist. Trotz mancherlei 
Schwierigkeiten ist es dringend not, in Berlin eine großzügige Prostituierten¬ 
fürsorge ins Leben zu rufen. Solbrig. 


2. Infektionskrankheiten. 

Die neueren Präparate und Methoden in der spezifischen Tuberku- 
losebehandlung. Von Prof. Dr. Roepke-Melsungen. Zeitschrift für Bahn¬ 
ärzte, 1921, Nr 10. 

Die heutigen spezifischen Tuberkulosemittel haben keine Bedeutung für 
die Prophylaxe der Tuberkulose, üben aber bei bereits bestehender Tuberkulose 
ausgesprochen heilungsfördernde Wirkungen aus. 

1. Dem Friedmannschen Mittel kommt bei der Lungentuberkulose 
keine Heilkraft za; auch die Dey cke-Muck sehe Partialantigentherapie be¬ 
deutet keinen Fortschritt in der spezifischen Therapie. 

2. Die perkutane Tuberkolinmethode kann wohl als prophylaktisches 

Verfahren angewandt werden, aber der Beweis für die therapeutische Leistungs¬ 
fähigkeit ist noch nicht erbracht; auch das Tonndorf sehe Verfahren ist kein 
Verfahren für alle Tuberkuloseformen und kann nur in geeigneten Fällen an¬ 
gewandt werden. < _ Dr. Wolf-Cassel. 

Die Krankenordnung der R.V.O. und die Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Von San.-Rat Dr.Hanauer, Priv.-Doz. für soziale 
Medizin an der Universität Frankfurt a. M. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 
1921, Nr. 21. 

Verfasser beanstandet den Beschluß des R.V.A. in rechtlicher Hinsicht, 
Indem nämlich der Krankenordnung einer Krankenkasse die Bestimmung an¬ 
gefügt worden ist, daß geschlechtskranke Mitglieder ihre Krankheit und die 
ihrer Angehörigen der Kasse zu melden haben und verpflichtet sind, auf Vor¬ 
ladung die Beratungsstelle für Geschlechtskranke aufzusuchen. Außerdem aber 
hält Verfasser einen solchen Beschloß für undurchführbar und erfolglos. Einzig 
und allein sei die ganze Sache aof reichsgesetzliche Art zu regeln. 

_ Solbrig. 



598 Klesnere Mitteilungen und Beiente aas Zeüsehriften. 

Dk Malaria ia Triaitapoll aad die Bedentung der Hamstiere ia der 
Abwehr gegen die Malaria. V ob Dr. Dom. Falleroai, Obersanititsuispektor 
ia Rom. L’igieoe modern*, 1921. Kr. 7—9, Sonderabdruck. 

Besehreibang einer Malariaepidemie ia der südittlienisehen Stadt Triaitapoli 
mit etwas über 13000 Einwohner, die wiederholt tob dieser Sen che befallen 
wurde, aber ia dea Jahres 1915 oad 1916 stärker als je darunter litt; die Zahl 
der Todesopfer im Jahre 1916 betrag 178. Als wichtigste Maßnahmen im 
Kampfe gegen die Malaria werden bezeichnet: Sanierung der Sumpfgegenden, 
Urbarmachung des Bodens, Kolonisation, besonders aber das Halten Ton Haus¬ 
tieren, weil letztere die Mücken anziehen und danach auffressen. Solbrig. 


3. Typhus. 

lieber des Wert der Typhusschntzimpfnmg, erneuern an dem Tjphns 

ia dea Regierungsbezirken Stettin und Köslin. Von Kreismedizinalrat Dr. 
I c k e r t - Mansfeld. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwal- 
tung, XV. Bd., 4. Heft 

An einem großen Untersuchungsmaterial aus zwei Regierungsbezirken 
wird der Wert der Typhusscbutzimpfung ermessen. Als Ergebnis ist die 
Schutzimpfung trotz aller Einwände als recht bedeutend für die Typhus* 
bekämpfang anzusehen. Die Typhusschntzimpfung mnß in das Rüstzeug des 
praktischen Arztes neben allen bisherigen Maßnahmen zur Typhusbekämpfnng 
übergeben. Mit Marx hält Verfasser es nicht für übertrieben, daß es mittels 
der Schutzimpfung gelingen könne, den Typhus rollig zu beseitigen — eine 
Ansicht, die Referent kürzlich auch in einem französischen Artikel aus¬ 
gesprochen fand. _ Solbrig. 


8treoger als bei uns scheint man in den Vereinigten Staaten Nordamerikas 
den Keimträgern aufzupassen. Eine Chicagoerin, die nie krank gewesen war, 
unterhielt dort ein Boardinghouse. Verschiedene ihrer Einlogierer erkrankten 
an Abdominaltyphus, daraufhin wurde ihr Stuhlgang untersucht und dabei 
fanden sich zahlreiche Typhusbazillen. Nun wurde ihr verboten, ihr Haus zu 
verlassen, außer für ihren Ehemann Speisen für irgend jemanden zuzubereiten 
und Einlogierer aufznnehmen, es sei denn daß diese vorher gegen Typhus 
schatzgeimpft wären. In dem von ihr angestrengten gerichtlichen Verfahren 
wurde die Berechtigung der behördlichen Auflage bestätigt. Solche Bazillen¬ 
ausscheider gefährdeten die öffentliche Gesundheit, die Gesnndheitsbehörden 
dürften nicht warten, bis sie tatsächlich andere angesteckt hätten. Die Be¬ 
rufung wurde verworfen (PnbL Health Rep. 26. V. 1922, Bd. 37, Nr. 21). 

_ Dr. Sieveking-Hambnrg. 


4. Zoonosen. 

lieber die Terbreltnng der Trichinose in Deutschland während der 
Jahre 1910—1919, getrennt nach Stadt und Land, mit besonderer Berück« 
sicbtigung der durch den Krieg bedingten Veränderungen der Fleisch« 
Versorgung. Von Dr. J. Caesar-Dortmund. Veröffentlichungen aus dem 
Gebiete der Medizinalverwaltnng, XV. Bd., 4. Heft. 

Im ganzen sind während der Berichtszeit 550 Erkrankungen an Trichinose 
mit einer Mortalität von 7,6 °/o in Deutschland bekannt geworden. Während 
des Krieges Btieg die Erkranknngsziffer auf das Doppelte der Friedensz&hlen. 
Epidemien waren in den Kriegsjahren 36 gegenüber 8 vor dem Kriege. Die 
größte Epidemie war in Dresden 1919 mit fast 50 Erkrankungen. Die Ver¬ 
breitung der Trichinose, nach Stadt und Land getrennt, zeigt während des 
Krieges fast das umgekehrte Bild wie in Friedenszeiten: 80°/o aller Fälle 
während des Krieges in den Städten, auf die in den 5 Jahren vor 1914 nur 
5 Erkrankungen entfielen; Rückgang der Erkrankungen auf dem Lande gegen 
die Vorkriegszeit auf weniger als die Hälfte. Die meisten Erkrankungennatte 
der Regierungsbezirk Posen mit 110 Fällen. Solbrig. 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


599 


O. C. Lake empfiehlt in Pabl. Health Reports Nr. 19 am 12. 5. 1922 
Tetrachlorkohlenstoff gegen Anchylostomiasls nach Versuchen an Händen, 
Affen and an sich selbst in der Dosis von 3,0 bis 10,0 za nehmen nach vor* 
herigem Fasten, früh morgens in Gelatinekapseln, die aaf alle Fälle glatt za 
schlacken sind. Abführmittel wie Rizinusöl oder andere erübrigen sich, da das 
Mittel an sich leicht abführt. Die Gaben können mehrmals innerhalb von 8 Tagen 
wiederholt werden, doch mit entsprechenden Zwischenräumen (48 Std.). Hell 
hat Händen bis za 300 g Einzeldosis ohne Schaden gegeben. Im Lancet 
25. 2. 1922 S. 391 ist über einen mit Tetrachlorkohlenstoff erzielten Heileffekt 
von 98 °/ 0 bei Kalis, die mit Anchylostomiasis behaftet waren, berichtet. 

_ Dr. Sieveking-Hamburg. 


|5. Lepra. 

Ein gefährlicher Lepraherd ist in Parä (Brasilien) aufgedeckt, wo im 
März 1922 in der Stadt Parä 1135 Leprafälle, im Innern des gleichnamigen 
Staatsgebiets weitere 104 Fälle gezählt worden. Die Feststellungen sind erst 
nach Einrichtung einer Beobachtungsstation im Leprahospital zu Tocundaba, 
einer Vorstadt Par äs, durch das neuerrichtete Gesundheitsamt möglich ge¬ 
worden. Die amtliche Meldepflicht mit folgender Ueberwachung ist für jeden 
Leprafall nunmehr eingeführt. Im genannten Hospital sind 255 Fälle streng 
isoliert, in ihren Wohnungen 66, die übrigen bewegen sich frei. Die Behänd- 
lang mit Chaulmogra-Oel wird in jedem Falle durchgeführt. Die Erbauung 
eines größeren Hospitals zur Isolierung aller Fälle ist in Vorbereitung. (Pabl. 
Health Rep., 2. VI. 1922, Bd. 37, Nr. 22.) Sieveking-Hamburg. 


Tagesnachrichten. 

Am 24. Oktober feierte die Berliner Gesellschaft für öffentliche 
Gesundheitspflege ihr 60jähriges Bestehen durch eine Festsitzung. Als Ver¬ 
treter staatlicher Behörden waren erschienen der Minister für Volkswohlfahrt 
Hirtsiefer, der Generalstabsarzt Dr. Schalzen, der Präsident des Reichs- 
versicherungsamts, Geh. Reg.-Rat Dr. Hamei Tom Reichsministerium des 
Innern. Der Vorsitzende der Gesellschaft Ministerialrat Prof. Dr. Lentz be¬ 
tonte in seiner Begrüßungsansprache die Gefahr, daß die Errungenschaften 
der Gesundheitspflege der letzten 50 Jahre wieder verloren gehen könnten. 
Prof. Dr. Hahn, der neue Ordinarius der Hygiene, stellte fest, daß die öffent¬ 
liche Reinlichkeit in Berlin nachgelassen habe and hinter anderen deutschen 
Großstädten zurückgeblieben sei. Der Schriftführer Prof. Dr. Seligmann 
gab einen Rückblick auf das vergangene Halbjahrhundert der Gesellschaft and 
Ministerialdirektor Prof. Dr. Gottstein warf einen Aasblick in die Zukunfts- 
aafgaben, nnter denen die Fortführung des Kampfes gegen die Volksseuchen 
weiterhin nötig sei and ferner die Eingliederang der sozialen Hygiene in die 
öffentliche Gesundheitspflege and eine Vertiefung des Begriffs der Vorbeugung 
durch biologische Methodik notwendig seien. 


Die ärztliche Gebührenordnung hat mit Wirkung vom 1. Oktober ab 
eine weitere Erhöhung erfahren, indem der Teuerungszuschlag, der am 1. Juli 
45 v. H. betrug, nunmehr auf 350 v. H. festgesetzt ist. Ferner soll eine Rege¬ 
lung des Zuschlags von jetzt ab nicht mehr vierteljährlich, sondern monatlich 
erfolgen. (Nach Deutsche med. Wochenschr. Nr. 43). 


Nach den Nachrichten in den Tageszeitungen ist mit Wirkung vom 
1. Oktober im Reiche und in Preußen eine neue Beamtenbesoldnng eingeführt 
worden, bei der die Grundgehälter, Ortszulagen und Frauenbeihilfen eine 
wesentliche Erhöhung erfahren haben und die dazu kommenden Teuerungs- 
Zuschläge eine untergeordnete Bedeutung haben. Im ganzen bedeutet die 
Neuordnung eine nicht unwesentliche Erhöhung der Bezüge. Näheres wird, 
sobald die amtliche Bestätigung vorliegt, in der Zeitschrift mitgeteilt werden. 

Inzwischen soll bereits eine neue Aktion von Beamtenverbänden im 
Gange sein, wonach weitere Erhöhungen der Gehälter gefordert werden. 



600 


Sprechsaal. 


Der sozialpolitische Ausschuß des Reichstages genehmigte kftrzlich eine 
Verordnung der Regierung, nach der die Versicherungsgrenze für die An- 
gestelltenverslcherung erstmalig auf 840 000 M. festgesetzt wird. 


Nach der Pharmaz. Ztg. wird zurzeit eine Neuregelung des ärztlichen 
Dispensierrechtes in Preußen erwogen. Die Frage gelangte in der Sitzung 
des Landtages vom 25. Oktober zur ersten Beratung. Nach dem Gesetzentwurf 
soll der Minister für Volkswohlfahrt ermächtigt werden, über das Dispensier¬ 
recht homöopathischer Aerzte und das Halten ärztlicher Hausapotheken neue 
Bestimmungen zu erlassen. Der Abgeordnete Dr. Weil (Soz.) äußerte Be¬ 
denken gegen den Entwurf, er Bprach sich für die Schaffung eines Reichs¬ 
apothekengesetzes aus. Seinem Antrag entsprechend gelangte der Entwurf an 
den Ausschuß für Bevölkerungspolitik. 


Auf Anregung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wurden 
vom 18.—21. Oktober dieses Jahres wiederum wie alljährlich in München 
Fortbildungskurse auf dem Gebiet der Gerichtlichen Medizin für Bayerische 
Amtsärzte abgehalten. Sie waren von 45 Herren besucht (Landgerichtsärzte, 
Bezirksärzte und praktische Aerzte, die landgerichtsärztliche Stellen anstreben) 
und umfaßten die Gebiete der Gerichtlichen Medizin (Universitätsprofessor 
Obermedizinalrat Merkel), der Gerichtlichen Psychiatrie (Universitätsprofessor 
RUdin), der Gerichtlichen Chemie (Dr. Sedlmeyer) und der forensischen 
Begutachtung von Hirnverletzten (Universitätsprofessor Iserlin); diese Ein¬ 
richtung, die dem Bedürfnis der praktischen Gerichtsärzte nach technischer und 
wissenschaftlicher Fortbildung Rechnung trägt, hat sich sehr bewährt. 


Die Pharmazeutische Zeitung berichtet, daß in der Sitzung des Reichs¬ 
rates vom 12. Oktober eine Erhöhung der Gebühren für die pharmazeutische 
Vorprüfung von 75 auf 200 M. beschlossen wurde. 

Hiermit würde gegenüber den Sätzen der Vorkriegszeit eine Erhöhung 
um etwas mehr als das 8 fache eintreten — gewiß noch keine Anpassung an 
die heutige Entwertung des Geldes, aber gegenüber den noch ganz rück¬ 
ständigen Gebühren für andere Prüfungen, wie Desinfektoren-, Krankenpflege-, 
Säuglingspflegeprüfungen u. a. ein Fortschritt. Es wird dringend Zeit, auch 
die übrigen Prüfungsgebühren angemessen zu erhöhen, wie es ja kürzlich mit 
den amtlichen Gebührensätzen geschehen ist! 


Sprechsaal. 

Anfrage des Kr.-Med.-Rats Dr. T. ln L. : Für ein großes Gutachten 
beim Landgericht habe ich 60 M. für 8 Seiten Schreibgebühr liquidiert und 
zwar nach den mir selbst durch die Abschrift entstandenen Kosten (Barauslage). 
Der Untersuchungsrichter setzte 44 M. von meiner Rechnung ab. Ist das 
gerechtfertigt P 

Antwort: Die Höbe der gerichtlichen Schreibgebühren beträgt 2 M. für 
die Seite (Gerichtskostengesetz vom 1. August 1921, R. G. Bl. S. 797). Gemäß 
Geb.-Tarif A IV 18 haben Sie auch nur diesen Satz zu beanspruchen. Es ist 
aber zu empfehlen, einen Antrag beim Landgericht zu stellen, die baren Aus¬ 
lagen zu ersetzen, und dabei Anheim zu geben, die Aeußerung des Regierungs¬ 
präsidenten einzuholen. So ist kürzlich in einem Fall im Reg.-Bezirk Breslau 
verfahren worden. 


Auf die Anfrage des Med.-Rats Dr. K. ln M., ob die Gebühren für ein 
amtsärztliches Zeugnis für die Zulassung zu einem Desinfektorenkursus ab¬ 
geführt werden müssen, falls es sich um Personen handelt, die die Prüfung 
machen, sich aber nicht an9tellen lassen wollen, ist zu erwidern, daß zweifel¬ 
los eine Abführungspflicht besteht, da es sich um amtliche und nicht 
um vertrauensärztliche Verrichtungen handelt. 


Verantwortlich fSr die Sehrt Wellung: Och. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- n. Med.-Bet 1 b BmUi 
Breiten V, Rehdlgerrtreße 84. — Druck tob J. 0. C. Bruna, Minden L W. 






ZEITSCHRIFT 


U 588 milbtfqfündet und von 1 SS 2 bis 592 ? iiorgitsgegoeen von Geh. Mefl.-Rat Piöf.Of.RAPWÜhö. 

Zentralblatl 

für das cesamte ßehlei der ßerichttiehe» Medizin and Psychiatrie, des Staat« 
liehen »nd prSvateo Verskheraapweseiis, sowie für das Medizinal- and 
ftffentHche Gesundheitswesen, elnsehi. der praktischen död sozialen firstene. 

Mf rau 1 iivgvl‘»*H vot» 

Mi:d.-Uat t>r.. Bafldt-Katta a. S.„ Obar - Re;'.-Kat Br.. Fn^-klvjjJger-Äliinche'H, 
Prof. Br..KaWp-Mu»cb'.-n. Ueh. JUR.-Rat Prof Dr. Fftiffw-Bretluu, Geh: Med.» 
Rat .Pro’t • JÜ»v.P«ppe - BreMau, EreisorctaBiv & HaiMUiuul 'Qwerftfrti MeiL-Rat 
l)r Ro^owskPBerlin, Geb, Mßd> Rat fest Di. BdinJtz«? ~ v>t}|. tiöjEjcn, Prol. 
Br Stsveklner-Hamburg Geb. M>4.»ßat Br. Soifer%»BreSlafl, Geh. MOilt-Rat 
j*r6{. Br, Strxiflinawii-Berlin, Geh. lieg.- Bat -Bta ^1-lM^Brc^dön bid tfreo?atzt 
’v Br. Wf>Uenvveber-Buri;riiitaR. .■ 

8 fÜ 2 l«]les örpan des deutschen. Prewsstschß«, Bayerischen. SSchsiscßen. 
WörtleinöerBischeii. Badischen. Hessischen. Meskifintwrolsehea* ThOrißaisshsa 
and SraansßhweiaNchen Meöizinaibeafflteovßrelna, 

Eine Beilage: Rechtsprechung und Medizinaigeset^gebunQ. 

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Personalien. 

Deutsches Reich und Preussen. 

Ernannt: Zum Kreismedizinalrat in Guttentag Kreisassisteuzarzt 
Dr. B a l z e r. 

Gestorben: Medizinalrat Dr. Knuth, früher Kreisarzt in Apenrade 
(bis zur Abtretung des Kreises an Dänemark), in Flensburg, wo er nachher 
als Sohalarzt tätig war. 

Bayern. 

Ernannt: Zum Bezirksarzt in Roding Dr. BaiiHewein. 

Mecklenburg - Schwerin. 

Ernannt: Kreisarzt Dr. Kölzow in Waren zum Hilfsrefereoten im 
Ministerium für Medizinalangelegenheiten mit der Amtsbezeichnung Be- 
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1M8 mitbegrOndet und von 1882 bii 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rai Prot. Or. RAPMUND. 


Zentralblatt 

fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
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u. flffentliohe Gesundheitswesen, einschl. der prakL u. sozialen Hygiene 

Heransgegeben von 

Med.*Bat Dr. Bnndt-Halle a. 8., Ober-Beg.-Rat Dr. Frickhlnger-München, 
Prof. Dr. Kaop-München, Gab. Med.-Bat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Bat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund-Qucrfurt, Med.-Bat 
Dr. Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Güttingen, Prot 
Dr. Siereking-Hamburg, Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig- Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prot Dr. Strohmann-Berlin, Geh. Reg.-Bat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber- Dortmund. \ 

Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
Wflrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 

Schriftleitung: Verlag: 

Geh. MeiL-Rat Dr. Solbrig, flscber’s med. Bocbbandlong B. Kornfeld, 

»eg.- 1. lad.- lat li Bmlau. Barth V. 6t KellhstraBa 5. 

Bezugspreis fflr das IV. Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 Mark. 


Nr. 22. 


Erscheint am 5. und 20. jeden Monate 


20. Nov. 


Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt. 

Von Oberregierungsmedizinalrat Dr. Oppelt, Dresden. 

Der Ausdruck „Wohlfahrt“ in der Richtung der Ausübung 
einer „Wohlfahrtspflege“ wird in zunehmender Häufigkeit in 
dem Sinne der „gesundheitlichen“ Wohlfahrt benutzt, obgleich 
zu dieser engeren Auslegung im Worte und seiner allgemeinen 
Bedeutung selbst kein genügender Anlaß vorhanden ist. Neben 
einer Wohlfart im gesundheitlichen Sinne kann man ebensogut 
von einer solchen im wirtschaftlichen, im pädagogischen, im 
rechtlichen, im finanziellen Sinne u. a. mehr sprechen. Klar 
ist die Bezeichnung: Reichsjugend wohlfahrtsgesetz. Dagegen 
haben sich nach meiner Ueberzeugung die Ausdrücke Wohl¬ 
fahrt und Wohlfahrtspflege in einem geradezu irreführenden 
Sinne und Umfange auf dem Gebiet der Gesundheit und der 
Gesundheitspflege eingebürgert, und es ist höchste Zeit, daß 
wir Aerzte, vor allem aber wir beamteten Aerzte, uns hierüber 
klar und einig werden und Urteil und Handlungsweise danach 
richten. 

Es würde zu weit führen, das ganze Gebiet der Gesund¬ 
heitspflege daraufhin zu bearbeiten. Beispielsweise sei aber zu- 











602 


Dr. Oppelt. 


nächst angeführt, daß ein Buch, welches sich „Handbuch der 
Arbeiterwohlfahrt“ betitelt, diesen Titel nicht verdient, wenn 
es nur die hygienische Seite dieser Frage enthält. Dieser 
Denkfehler bezw. Gedankensprung, diese Unterschlagung, wenn 
auch ohne Absicht, wiederholt sich aber auf" vielen anderen 
Gebieten. Am auffälligsten und zugleich am bedenklichsten 
tritt er zu Tage in der praktischen Betätigung der gesundheit¬ 
lichen Wohlfahrtspflege in Form von Aemtem der Bezirke und 
der Länder. 

Wenn das preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt, wie 
ich höre, sich in die Abteilungen I (Medizinalwesen), H (die 
Wohnungs- und Siedelungsfragen) und III (die allgemeinen 
Wohlfahrtsangelegenheiten) gliedert, und wenn es nach dem 
Beschluß der preußischen Staatsregierung vom 7. November 
1919 (VolksWohlfahrt Nr. 1 vom 1. April 1920, S. 3) die dort 
aufgeführten Arbeitsgebiete zugewiesen erhalten hat, so be¬ 
kommt es damit ebenso viele gesundheitliche Fragen (ob alle, 
lasse ich als Fernstehender offen) zur praktischen Betätigung 
zugewiesen, daß es sich mit demselben Recht als Gesundheits¬ 
ministerium bezeichnen könnte, indem es der Volkswohlfahrt 
weit überwiegend in der gesundheitlichen Richtung Rechnung 
trägt. Der allgemeinen wird es niemals entsprechen können, 
Volkswohlfahrt im allgemeinen zu treiben, ist eben Pflicht eines 
jeden Ministeriums, welchen Namen es auch führen mag. 

Sodann ist im Freistaat Sachsen auf Grund des Gesetzes 
über die Wohlfahrtspflege vom 30. Mai 1918 (G. u. V.B1. 1918, 
S. 145), dessen § 1 lautet: „Als Wohlfahrtspflege im Sinne 
dieses Gesetzes gelten die Säuglings- und Kleinkinderpflege 
einschließlich des Mutterschutzes, die Wohnungspflege, die 
Krüppelhilfe und die Bekämpfung der Tuberkulose“, ein Landes¬ 
wohlfahrtsamt errichtet worden, dem wieder die Fachausschüsse 
für Säuglings- und Kleinkinderpflege, zur Bekämpfung der 
Tuberkulose, für Krüppelfürsorge und zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten angegliedert worden sind. Die Bekämpfung 
der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten betrifft fast 
rein ärztliche Gebiete, die Krüppelhilfe zum größten Teil und 
die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge mit dem Mutterschutz, 
sowie die Wohnungspflege mindestens zur Hälfte. Der Name 
Landeswohlfahrtsamt schießt also ebenfalls über das im Namen 
liegende Ziel hinaus, indem es sich jetzt zum größten Teil nur 
um eine gesundheitliche Wohlfahrtspflege handelt, nicht um eine 
allgemeine. Daß im sächsischen Landeswohlfahrtsamt neben 
den gesundheitlichen auch sehr wichtige wirtschaftliche und 
auch andere Fragen noch mitspielen, soll nicht bestritten werden. 
Sie stehen aber den gesundheitlichen gegenwärtig noch weit nach. 

Liegt aber die Entscheidung für Einrichtungen zentraler 
Art in den Landesregierungen mehr bei Instanzen und Personen, 
welche der Mehrzahl der beamteten Aerzte sehr fernstehen, 
eine Sache, die ich nicht für entscheidend halte, nur hier nicht 
weiter erörtern kann, so gibt es ein anderes Beispiel, an dessen 



Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt. 


603 


Ausgestaltung wir Aerzte fast alle und fast täglich raitarbeiten. 
Das sind die Wohlfahrts- bezw. die Gesundheitsämter in den 
Städten und Kreisen, sei es staatlicher, sei es kommunaler Art. 

Durchblättert man die Literatur der letzten Jahre, so stößt 
man wohl auf sehr viele fleißige Arbeiten über die Organisation 
der Wohlfahrtsämter und der Gesundheitsämter; es ist in ihnen 
auch oft sehr ausführlich die Rede davon, welche Stellung der 
beamtete Arzt des Kreises ihnen gegenüber bei Leistung der 
praktischen Arbeit eingenommen oder einzunehmen habe. Aber 
es ist m. E. nicht klar und bestimmt genug bisher zum Aus¬ 
druck gebracht worden, welche Stellung wir beamteten Aerzte 
den Wohlfahrtsämtern gegenüber im allgemeinen einnehmen 
sollen. Bezüglich der Gesundheitsämter erübrigt sich diese 
Frage in dem Sinne, wie ich sie hier meine. 

In den Abhandlungen wird immer von den Wohlfahrtsämtern 
fast durchweg als von einer Einrichtung gesprochen, gegen die 
wir Aerzte als solche gar nichts einzuwenden hätten. Aber 
müssen denn wir Aerzte, beamtet oder nicht, ihre Einrichtung 
gutheißen, sie nach Möglichkeit fördern ? Entscheidend kann hier¬ 
bei nicht etwa das Standesinteresse von uns beamteten Aerzten 
sein, auch nicht des ärztlichen Berufes im allgemeinen, sondern 
nur dasjenige der Allgemeinheit. Ist es richtig und zweckmäßig, 
der Allgemeinheit eine Einrichtung zur Benutzung anzubieten, 
sie zu fördern, von welcher wir Aerzte sagen müssen: das 
wirklich ausgeübte Geschäft deckt sich nicht mit der von ihm 
geführten Firma? Kann sich niemals mit ihr decken? Müssen 
gerade wir beamteten Aerzte nicht auf diese Lücke in der Be¬ 
zeichnung immer wieder und wieder hinweisen? Machen wir 
uns nicht zu Mitschuldigen, wenn wir schweigen, ja, wenn wir 
die Wohlfahrtsämter unter diesem allgemeinen Namen und in 
ihrer jetzigen Gestalt als etwas Selbstverständliches behandeln 
und sie damit von unserem Standpunkte anerkennen? 

Man mißverstehe mich nicht. Ich wünsche nicht den 
Wert der Wohlfahrtspflege in gesundheitlicher Beziehung gering 
einzuschätzen. Die Not der Zeit hat endlich auch der Be¬ 
völkerung in breitem Umfange die Augen über den Wert der 
Gesundheit geöffnet. Auch kann alle gesundheitliche Wohl¬ 
fahrtspflege nicht vom Arzt allein ausgeübt werden. Sie muß 
aber, soweit sie eben eine Wohlfahrt der Gesundheit ist, nach 
ärztlichen Gesichtspunkten geübt und geleitet werden. 

Ist letzteres aber unter den jetzigen landläufigen Ein¬ 
richtungen eines Wohlfahrtsamtes möglich? Wer arbeitet denn 
in einem solchen Wohlfahrtsamt? Es ist nicht ganz aus- 
gesschlossen, daß in ihm auch ein Arzt tätig ist, sei es ein 
sog. Fürsorgearzt, sei es der zuständige beamtete Arzt. Beide 
aber nehmen immer noch sehr oft eine nebensächliche Stelle 
ein; an der entscheidenden Stelle haben andere es verstanden, 
sich einen Platz zu schaffen. Für jeden mit der Wirklichkeit 
Vertrauten genügt dieser allgemeine Hinweis. Ein in der Haupt- 



804 


Dr. Oppelt. 


sache von Nichtärzten bedientes Wohlfahrtsamt „gesundheit¬ 
licher Wohlfahrtspflege“ kann aber niemals seinen Zweck richtig 
erfüllen, es kann keine Einrichtung von Dauer sein, es wird 
eines Tages von anderen, richtigen Maßnahmen abgelöst werden, 
mögen wir und andere es wollen oder nicht. 

Wie ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn statt 
eines Wohlfahrtsamtes ein Gesundheitsamt errichtet wird. 
Welche Belange zur öffentlichen Gesundheitspflege gehören, 
ist nie unklar gewesen; streitig nur, ob und inwieweit sie ärzt¬ 
licher Entscheidung wirklich überlassen worden sind. Ich sollte 
aber meinen, daß Mäßigung und Klugheit von beiden Seiten 
auch hier zu einer befriedigenden Lösung führen müßten und 
wenn es für streitige Gebiete nur ein Zusammenarbeiten wäre. 
Nur ein Gesundheitsamt kann verantwortlich gemacht werden 
für den Zustand der allgemeinen Volksgesundheit und für alle 
Einrichtungen einer gesundheitlichen Wohlfahrtspflege. Ein in 
der Hand von Nichtärzten befindliches Wohlfahrtsamt muß 
dilettantische Arbeit leisten. Die gesundheitliche Wohlfahrts¬ 
pflege muß bezüglich ihrer Richtlinien und entscheidenden 
Handlungen in einem Gesundheitsamt bearbeitet werden. Bleibt 
daneben ein so großer Kreis wirtschaftlicher Fragen zu er¬ 
ledigen oder sprechen noch andere Zweckmäßigkeitsgründe 
dafür, daß von diesem Standpunkte aus ein besonderes Wohl¬ 
fahrtsamt zu unterhalten ist, so ist letzteres nur zu begrüßen. 
In der Ausübung der Wohlfahrtspflege in dem Sinne, wie sie 
jetzt allgemein und kurz bezeichnet wird, muß das Gesund¬ 
heitsamt die entscheidende Arbeit leisten; das Wohlfahrtsamt 
darf nicht das Gesundheitsamt verdrängen, es nicht unter sich 
nehmen wollen. Dabei gehe ich absichtlich auf die Gestalt des 
Gesundheitsamtes selbst nicht näher ein. Ich setze nur voraus, 
daß es unter ärztlicher Leitung steht. 

Diesen klaren Standpunkt für den Medizinalbeamten und 
eigentlich den Arzt im allgemeinen den Wohlfahrtsämtern 
gegenüber vermißt man fast stets in der Literatur und daher 
wohl zumeist in der Praxis. Gerade wir beamteten Aerzte 
haben nicht nur alle Ursache, sondern geradezu die Pflicht, mit 
aller Energie und allen Gründen darauf hinzuwirken, daß für 
die Ausübung der gesundheitlichen Wohlfahrtspflege nicht 
Wohlfahrtsämter, sondern Gesundheitsämter befugt und nur 
imstande sind. Zu dieser Erkenntnis drängen vor allem die 
Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft selbst, neben ihnen 
aber auch wichtige Wirtschaftsfragen, u. a. die Gründe einer 
Ersparnis von unnötiger Doppelarbeit. Die in den Wohlfahrts¬ 
ämtern der jetzigen Form geleistete Arbeit entspricht vielfach 
nicht dem nach den Kosten zu erwartenden Nutzen. 

Ich wünsche hier aber weniger für die Richtigkeit dieser 
eben von mir geäußerten Auffassung einzutreten, da sie längst 
allgemein anerkannt ist. Es kommt mir mehr darauf an, das 
Gewissen eines jeden einzelnen von uns zu schärfen, ihn an 
seine Pflicht der Oeffentlichkeit gegenüber zu erinnern, die 

\ 

s 



Gesundheitsamt — Wohlfahrtsamt. 


605 


Säumigen und Lassen aufzurütteln, die Schwankenden zu stützen, 
diejenigen, welche sich mit der Präge wenig beschäftigt haben, 
zum Nachdenken anzuregen. Wir Aerzte und besonders wir 
beamteten Aerzte müssen immer wieder betonen: die sog. Wohl¬ 
fahrtsämter sind zumeist in Wirklichkeit Gesundheitsämter! 
Daher ist es richtiger, sie werden von vornherein so benannt, 
so eingerichtet, so geleitet 1 

Bei der großen Zahl von Wohlfahrtsämtern, die bereits 
vorhanden sind, entsteht von selbst die Frage, ob es für den 
Arzt und besonders für den beamteten Arzt noch Zeit sei, hier 
im Sinne des oben Ausgeführten zu handeln Im größten 
Bundesstaat, in Preußen, bestehen bisher weder offizielle Wohl- 
fahrts-, noch Kreisgesundheitsämter. Wohl aber ist es dort 
ministerieller Anregungen zufolge vielfach zur Bildung von Kreis- 
und Stadtwohlfahrtsämtern gekommen. Soweit sie einem Arzt 
unterstellt worden sind, ist zunächst nichts einzuwenden. Nur 
darf man dabei nicht vergessen, daß die Errichtung eines Kreis- 

§ esundheitsamtes in irgendeiner Form hierdurch nicht über- 
üssig wird und nicht gehindert werden darf. 

Die Verwirklichung wird am leichtesten gelegentlich einer 
allgemeinen Verwaltungsreform sich ermöglichen lassen. Hier 
ist sie unbedingt anzustreben. Aber auch ohne eine solche 
ist sie möglich. Nur ist erforderlich, daß wir beamteten Aerzte 
das Ziel stes im Auge behalten, alle unsere Maßnahmen hier¬ 
für einstellen, die Gelegenheiten nützen. Die Verhältnisse lassen 
sich noch so gestalten, wie es eben vom Zweckmäßigkeits¬ 
standpunkte aus erforderlich sein wird, und an uns beamteten 
Aerzten liegt es, die öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen von 
vornherein den richtigen Weg gehen zu lassen. Dieser Weg 
führt aber nicht durch das Bezirkswohlfahrtsamt, sondern durch 
das Bezirksgesundheitsamt! 

Die Not der Zeit gestattet es nicht länger, daß zur 
Leistung „einer“ Arbeit stets zwei Beamte, hier ein nicht¬ 
ärztlicher und ein ärztlicher Verwaltungsbeamter, zur Ver¬ 
fügung stehen. Ohne den Arzt können die gesundheitlichen 
Belange in der öffentlichen Wohlfahrtspflege nicht erledigt 
werden, also wird sie der ärztliche Verwaltungsbeamte nach 
Möglichkeit allein erledigen müssen. Gerade hierzu aber fehlt 
es ihm sehr vielfach noch an der erforderlichen Selbständigkeit 
und zwar in allen Instanzen. Sorgen wir beamteten Aerzte 
dafür, daß der Arzt überall bei den Fragen der Gesundheit zum 
Wohle der Allgemeinheit die ihm als Fachmann gebührende 
Stelle erhält! Bei richtiger Begründung kann sie ihm nicht 
versagt werden. Denn seine weitgehendste Mitarbeit ist un¬ 
erläßlich bei dem Recht auf Gesundheit, welches der einzelne 
der Allgemeinheit gegenüber hat, und der Pflicht der Allgemein¬ 
heit dem einzelnen gegenüber, sie ihm zu erhalten. 


I 

i 





606 


Dr. Cart Tbom&lla. 


Hygiene undsozialeMedizinimYolksbelehrungsfllm. 

Von Dr. Cart Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei der Koltnr- 
abteilnng der Universum-Film A.G. 

II. Die populären Vortragsfllme. 

Wenn in Kreisen von Gebildeten, vor allem auch von 
Aerzten und Pädagogen, über populäre medizinische Filme ge¬ 
sprochen wird, stellt sich meist heraus, daß die Mehrzahl keine 
Ahnung von dem Vorhandensein eines derartigen Volksbelehrungs- 
mittels hat. Und wenn dann obendrein herauskommt, daß diese 
Filme vielfach in Kinotheatern vorgeführt werden, ist die 
Skepsis oder gar höhnische Ablehnung meist groß. — Mit allem, 
was vom Film kommt oder sich auch nur der technischen Er¬ 
fordernisse der heutigen Kinematographie bedient, wird in 
weitesten Kreisen der Gebildeten ein rücksichtsloses Vorurteil 
verbunden, das unbesehen und ungeprüft verdammt. Mit dem¬ 
selben Recht könnte man die gesamte Buchdruckerei und Presse 
in Acht und Bann tun, denn auch da gibt es Schmutzliteratur 
und Revolverjournalismus. 

Diese prinzipielle Ablehnung weiter Volkskreise gegen 
Film und Kino, verbunden mit der Tatsache, daß die Lehr¬ 
film-Industrie noch sehr jung, in der Entwicklung begriffen und 
daher in ihren Leistungen noch nicht immer auf der Höhe war, 
haben bewirkt, daß gerade in den Kreisen, die einer Kino¬ 
reform an sich sympathisch gegenüberstehen müßten, die großen 
Vortragsfilme über Hygiene und soziale Medizin so gut wie 
unbekannt geblieben sind. Hinzu kommt, daß die Tageszeitungen 
über diese Lehrfilme stets in der Rubrik „Kino und Varietd“ 
berichten, die von den in Betracht kommenden Kreisen natürlich 
nicht gelesen wird. Ein Berliner Kreisarzt erzählte mir z. B. 
kürzlich, daß er bei den Schulbesichtigungen in sämtlichen 
Gymnasien und höheren Knaben- und Mädchenschulen seines 
Bezirks festgestellt habe, daß weder die Direktoren noch die 
Lehrer bisher vom Vorhandensein derartiger bequemer Lehr¬ 
mittel etwas wußten. Im Gegensatz dazu wird von den Volks¬ 
schulen eifrig und reichlich nach medizinischer Belehrung der 
Schüler durch den Film, besonders vor Schulentlassungen ver¬ 
langt. — Diesen Erfahrungen entspricht es, daß in typischen 
Industrie-Städten mehr Erfolge mit den medizinischen Volks¬ 
belehrungsfilmen erzielt wurden, als in anderen Großstädten, 
daß andererseits in Arbeitervierteln derartige Vorführungen 
mehr Zulauf hatten, als in guten „Wohngegenden“. Gewerk¬ 
schaften und Krankenkassen sind bis jetzt die besten und ver¬ 
ständnisvollsten Abnehmer der hygienischen Lehrfilme, 

Diese Tatsachen sind einerseits erfreulich, denn sie zeigen, 
daß die große Masse des Volkes derartige Darbietungen dank¬ 
bar begrüßt, andererseits rechtfertigen sie eine intensive Propa¬ 
gierung dieser für Volkswohlfahrt und -Gesundheit so wichtigen 
Lehrmittel in den Kreisen, von denen derartige Veranstaltungen 
auszugehen pflegen. Es sei daher gestattet, daß im folgenden 



Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrungsfilm. 


607 


eine kurze Aufzählung und Charakterisierung der einzelnen 
Filme, die bisher zur Verfügung stehen, erfolgt: 

Der Film „Die Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen" dürfte von 
allen hygienischen Volksbelehrungsfilmen des medizinischen Filmarchivs am 
bekanntesten geworden sein. Sind doch von ihm über vierzig Kopien allein 
in Deutschland verbreitet and nachdem die Zensor der Filmprüfstelle anch 
die Vorführong vor Jugendlichen genehmigt hat, ist hoffentlich mit noch 
steigender Aosnotzong dieses Aofklärnngsmittels zu rechnen. Der unstreitige 
Erfolg dieses Films ermöglichte seinerzeit überhaupt nur die Weiterführung 
der auf diesem Gebiet liegenden Arbeiten. Der Film ist aufgenommen ge¬ 
meinsam mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten, der verstorbene Geheimrat Blaschko hatte regen Anteil an 
dieser Arbeit. Die Vorführungsdauer ist ein und eine Viertelstunde bei 1200 m 
Filmlänge in vier Teilen. Je nach der Ausdehnung des Begleitvortrages kann 
also die Vorführung in der angegebenen Zeit oder beliebig bis zu zwei Stunden 
Dauer ausgedehnt werden. Der mit dem Film gedruckt mitgelief rte Vortrag 
enthält die einführenden Worte, die Herr Professor Adam als Vertreter des 
Landesausschosses für hygienische Volksbelehrung und Dr. Böschmann für 
die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten fei der 
ersten Vorführung des Films sprachen. Der Film schildert die Krankheits¬ 
erscheinungen bei Gonorrhoe und Syphilis, teils an Patienten, teils an patho¬ 
logischen Präparaten, teils auch an belebten schematischen Zeichnungen. Die 
Erreger werden im mikroskopischen Bilde gezeigt, ferner die Wege, die sie 
bei der Ansteckung vom Kranken zum Gesunden und im Körper des Ver¬ 
seuchten nehmen. Die zur Heilung und Verhütung wissenswerten Tatsachen 
werden in faßlicher und für Laien angemessener Form gezeigt. Der Vortrag 
betont, bei aller Abschreckung, die Heilungsmöglichkeiten nnd die Notwendig¬ 
keit rechtzeitiger Inanspruchnahme des Arztes. — Trotz der oben erwähnten 
reichlichen Benutzung dieses Filmes kann wohl gesagt werden, daß seine 
systematische Auswertung erst teilweise begonnen hat. Denn die gelegentliche 
Vorführung hier einmal vor Hunderten, dort vielleicht gar vor Tausenden er¬ 
faßt immer nur ganz kleine Bruchteile der Bevölkerung und zwar meist 
gerade die, die es nicht so dringend nötig haben. Erst wenn auf allen 
Schulen vor jeder Schulentlassung diese Belehrung Selbstverständlichkeit ge¬ 
worden ist, können Erfolge erzielt werden. Und niemand wird leugnen, daß 
in Großstädten eine Aufklärung über dieses Thema kurze Zeit nach der Schul¬ 
entlassung meist schon erheblich zu spät kommt. — Bemerkt sei, daß dieser 
Film die Erstlingsarbeit des medizinischen Filmarchivs ist und somit natürlich 
noch eine überholte Technik der Aufnahmen und Anordnung des Stoffes aufweist. 

Gleichfalls ein Film älteren Datnms ist der „Säuglingspflege“-Film. 
Dieser wurde in einer Länge von mehr als 2000 m, also über zwei Stunden 
Vorführungsdauer im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus zur Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit hergestellt. Er sollte ursprünglich sowohl für die Aus¬ 
bildung von Säuglingspflegerinnen, als auch für populäre Zwecke dienen. Die 
einzelnen Teile zeigen die Vorbereitungen vor der Geburt, die Pflege des Neu¬ 
geborenen, des gesunden Säuglings, des Kleinkindes, die Ernährung, die 
Milchküche, die Pflege der Frühgeburt, des erkrankten Säuglings und Klein¬ 
kindes, Umschläge und Bandagen, allgemeine Ratschläge und schließlich ärzt¬ 
liche Eingriffe. Der sechste Teil (Milcbküche) und der letzte waren von vorn¬ 
herein nur für Säuglingspflegerinnen bestimmt. Allmählich stellte sich jedoch 
die Notwendigkeit einer besonderen und kürzeren Fassung für Laien, z. B. 
Mütterkarse, Schalvorführungen asw. heräus, so daß der Film jetzt haupt¬ 
sächlich in einer achtteiligen gekürzten Fassung benutzt wird. Der gedruckt 
vorliegende Vortrag muß den jedesmaligen Bedürfnissen unbedingt angepaßt 
werden, je nach dem ob in der Stadt oder auf dem Lande, vor Back Aschen 
oder reifen Frauen, vor Krankenschwestern oder Fabrikarbeiterinnen gesprochen 
wird. — Wenn auch die Vorführung des ganzen Films auf einmal vielfach mit 
großem Erfolg durchgeführt wurde, ist es doch ratsam, die Fülle des Materials 
auf mehrere Kursständen zu verteilen und jedesmal nur zwei oder höchstens 
drei Teile vorzuführen, so daß zu Frage und Antwort, sowie zu Wieder¬ 
holungen Zeit genug bleibt. Auch dieser Film soüte vor jeder Schulentlassung 



606 


Dr. Curt Thomalla. 


in Mädchenschulen and Lyceen regelmäßig gezeigt werden, was bisher leider 
nur an einer kleinen Anzahl Berliner Scholen geschieht. 

Hanptsächlich eignet sich dieser Film zu Wiederbolungskoreen für Säug¬ 
lingspflegerinnen, Hebammen osw. sowie zur Unterweisung tob Schwestern, 
die nur in allgemeiner Krankenpflege ausgebildet sind. Diese bequeme Art, un¬ 
abhängig von allem lebenden und toten Demonstrationsmaterial auch abseits 
der großen Zentren, selbst in der kleinsten Stadt, derartige Unterrichtsstunden 
abzuhalten, wird noch viel zu wenig ausgentttzt. Das Gleiche gilt für ähn¬ 
liche Ausbildungsfilme, z. B. „Vorbereitungen zur Operation“, „Die Wasser¬ 
mann sehe Beaktion“, die physiologischen Filme über Herztätigkeit, Blut¬ 
umlauf, Darmperistaltik usw., die pharmakologischen und viele andere, sowie 
besonders auch für die natürlichen und schematischen geburtshilflichen Filme 
Geheimrat DÖderleins, die für Wiederholungskurse für Hebammen sicher 
bessere Lehrmittel darstellen, als die üblichen Phantome. Derartige Folgen 
rein sachlicher BelehTungsfilme können dann einen freundlichen Abschluß finden 
durch Filme, die neben oberflächlicher Belehrung auch Interessantes und Erfreu¬ 
liches zeigen, z. B. „Werden und Wirken des Boten Kreuzes“, botanische oder 
zoologische Lehrfilme usw. 

üeberhaupt lassen sich aus dem reichhaltigen Material des medizinischen 
Filmarchivs, auch abgesehen von den großen Vortragsfilmen, leicht Beihen 
kleinerer Filme zusammenstellen, die zum gleichen Thema gehören. So be¬ 
steht beispielsweise ein Lehrfilm über die Hypnose, der im ersten Teil Moti- 
litäts- nnd Sensibilitätsverso che, im zweiten Ueberempfindlicbkeit des Gesichts¬ 
und Tastsinnes und suggerierte Affekte, im dritten schließlich posthypnotische 
Suggestion demonstriert. Dieser Film in Verbindung mit einem zoologischen 
Lehrfilm „Tierhypnose“ und mit einer vorsichtigen Answahl psychiatrischer 
Filme wurde vielfach angefordert, wo eine wissenschaftlich-ernste Gegenaktion 
gegen spiritistischen und pseudo-okkultistischen Schwindel erwünscht war. Diese 
Finne sind auch mit einem umrahmenden Begleitvortrag bearbeitet. 

Ferner sei auf einen Film „Die Wirkungen der Hungerblockade auf die 
Volksgesundheit“ verwiesen. Wenn er auch hauptsächlich für Auslands¬ 
propaganda auf wissenschaftlicher Basis hergestellt war, so sind doch leider 
zurzeit die gleichen Erscheinungen wieder akut. Und die Unwissenheit weiter 
Kreise über richtige Ernährung und die verheerenden Folgen falscher oder 
einseitiger Nahrung sind fast unbekannt. Daher dürfte der Film auch in 
Deutschland auch zu anderen Zwecken als nur Wohltätigkeits Vorführungen 
erwünscht sein. Der erste Teil zeigt die Uebelstände der Unterernährung für 
den einzelnen und die Gesamtheit auch in Form bewegter Statistiken, der zweite 
typische Unterernährungs-Krankheiten, wie Oedem, Knochenerweichung usw. 
sowie die Zunahme von Bachitis, Tuberkulose usw. und besonderer Wert ist 
im dritten Teil auf die Schilderung des Kinderelends gelegt. 

Bei Inkrafttreten des Krüppelfürsorgegesetzes wurde ferner gemeinsam 
mit dem Oskar-Helen-Heim mit Herrn Professor Biesalskiein Film „Krüppeloot 
und Krüppelhilfe“ hergestellt. Er soll nicht nur den zahlreichen Laien, die 
auf Grund der neuen Gesetzgebung in Fürsorgeämtern, auf Magistraten und 
in Landgemeinden sich mit der Krüppelfürsorge beruflich oder ehrenamtlich 
befassen, die notwendigen Einblicke in die Möglichkeiten und Aussichten der 
Krüppelfürsorge geben, sondern auch weite Kreise der Allgemeinheit für diese 
dringenden Fragen interessieren. So sind denn neben den rein belehrenden, 
dabei aber durch die überraschenden Fähigkeiten und Fertigkeiten der Krüppel 
anregenden Teilen, die sich mit der Entstehung des Krüppeltums, mit medi¬ 
zinischen und sozialen Fragen, mty orthopädischer und Uebungsbehandlung be¬ 
fassen, in den letzten drei Teilen des Films der Schulbetrieb im Krüppelheim, 
die Handwerksschule und allerhand freundlich-lustige Bilder aus dem alltäg¬ 
lichen Leben im Krüppelheim festgelegt. Der Film umfaßt bei rund 1000 m 
Länge mit Vortrag eine Vorführungsdauer von ca. 1 Stunde. 

Vom Landesausschuß für hygienische Volksbelehrung, Herrn Professor 
Dr. Adam, ging die Anregung aus, zur Bekämpfung der Impfgegner einen 
Film „Die Pocken, ihre Gefahren und deren Bekämpfung“ herzustellen. Mit 
der Staatlichen Impfanstalt, Herrn Dr. Gins, wurde diese Aufgabe so gelöst, 
daß auch hier ein Film entstand, der nicht nur belehrend, sondern auch 
interessierend wirkt. Der erste Teil zeigt die historische Entwicklung der 



Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrnngsfilm. 


609 


Pockenimpfang in gestellten Bildern, die gen&a nach überlieferten Veröffent¬ 
lichungen and Bildern festgehalten worden. Von den Gebräuchen der indischen 
Br&hminen an, über die türkische Inokulation and die mittelalterliche Sitte 
des „Pockenkanfens“, weiter über die Jenner sehe Entdeckung der Kubpocken- 
Uebertragbarkeit, die direkte Ueberimpfang vom Kranken aaf den Gesanden, 
vom Kalb aaf den Menschen gelangen wir bis zar modernen Impftechnik. Der 
zweite Teil zeigt nur Statistisches. In bewegter, belebter, zum Teil sogar 
humoristischer Form. Der dritte Teil zeigt in aller Ausführlichkeit die moderne 
Lymphgewinnnng, Zubereitung and Prüfung der Lymphe, am dem Laien Ge¬ 
legenheit and Möglichkeit za genauester eigener Kontrolle zu geben. Und 
schließlich wird die Impftechnik bei Einzelimpfung and bei Massen-Impfterminen 
in ihren verschiedenen Spielarten demonstriert. — Die beste Empfehlung für 
diesen Film dürfte wohl sein, daß bei einer Vorführung vor Bänderten von 
Vertrauensleuten der Berliner Lehrerschaft, die vor der ersten Schülervorführang 
dieses Films stattfand, ein als fanatischer Impfgegner bekannter Bektor sich 
erhob and in der Diskassion seine völlige Bekehrung vom impfgegnerischen 
Standpunkte öffentlich bekannte. Eine großzügige Organisation, die während 
der Impftermine den Film allen Wiederimpflingen and ihren Eltern in Sonder¬ 
vorführungen zugänglich machen sollte, ist in Groß-Berlin bei den letzten 
Impfterminen nar deswegen noch nicht zur Ausführung gelangt, weil die Um¬ 
legung der Bezirke, Polizeiämter usw. die rechtzeitige Benachrichtigung aller 
8c|ralen usw. unmöglich machte. Vom nächsten Jahre an wird dieser Plan in 
Zusammenarbeit des Landesaasschusses für hygienische Volksbelehrang, mit der 
staatlichen Impfanstalt, dem Gesundheitsamt der Stadt Berlin and dem Polizei¬ 
präsidium alljährlich zur Durchführung gelangen. 

Schließlich wurde als letzter and wohl technisch and inhaltlich voll¬ 
kommenster großer Vortragsfilm des medizinischen Filmarchivs der Tuber- 
kalose-Film „Die weiße Seuche" fertiggestellt. In enger Zusammenarbeit mit 
dem Zentralkomitee zar Bekämpfung der Tuberkulose, mit Spezialisten der 
Taberkulose-Fürsorge and -Bekämpfung aus dem Beichsgesundheitsamt, der 
Landesversichcrungsanstalt usw. wurde in mehr als einem Jahr dauernder Arbeit 
dieser umfassende and bei dem aogehearen Material dennoch aaf das Not¬ 
wendigste zusammengedrängte Film hergestellt. In seinen 6 Teilen von rand 
1300 m Länge, also gnt eineinviertel Standen Vorfübrangsdauer zeigt er zu¬ 
nächst wieder darch die sogenannte Trickfilm-Methode die Verbreitung der 
Taberkulose in der Welt and in einzelnen Ländern, der zweite Teil macht 
mit dem Erreger and seiner Eigenart bekannt and zeigt die Wege, die er be¬ 
netzt, am in den menschlichen Organismus einzudringen, der dritte Teil er¬ 
örtert die klinischen Erscheinungen der verschiedenen Tu berkaloseformen, 
soweit es für Laien angängig ist, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß er 
gerade aaf die leichten, harmlos erscheinenden Krankheitsbilder rechtzeitig 
achten lernt, der vierte Teil erläutert die Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnose¬ 
stellung and schildert die wichtigsten diagnostischen Methoden, anter be¬ 
sonderem Hinweis auf Fürsorgestellen and sonstige Erleichterungen für Er¬ 
langung rechtzeitiger Behandlung. Im fünften Teil werden die Behandlungs¬ 
methoden geschildert and hierbei ist auch ästhetisch schön wirkenden Bildern 
schön gelegener Kurorte und Heilanstalten in Gebirge and Ebene breiterer 
Spielraum gelassen. Der sechste Teil beschäftigt sich als der wichtigste, ein¬ 
gehend mit der Prophylaxe. An instruktiven Beispielen aus dem täglichen 
Leben werden die Verbreitungsmöglichkeiten der Taberkulose erläutert und 
die hieraus sich ergebenden hygienischen Forderungen abgeleitet. Als Anhang 
kann schließlich noch ein besonderer Teil, „Die Tuberkulose and ansere 
Sünder", angefügt werden. 

Zu diesem Taberkalose-Film verweise ich nar aaf die verschiedenen Ver¬ 
öffentlichungen des Herrn Dr. Bornstein, Generalsekretärs des Landesaas- 
schasses für hygienische Volksbelehrang, der selbst eine Bundreise in etwa 
50 8tädte unternahm und die zam Teil geradezu begeisterten Urteile der 
Aerzte-Vereine, Tagespresse usw. in seinen Veröffentlichungen zasammenfaßte. 
(Siehe z. B. Aerztliches Vereinsblatt Nr. 12&7 vom 9. Mai 1922.) 

Schließlich sei noch aaf die mit Herrn Dr. Tagend reich, dem Sozial¬ 
hygieniker der Stadt Berlin, hergestellten Filme „Hygiene des häuslichen 
Lebens" and „Hygiene der Feierstunden" hingewiesen, die vernünftige Lebens- 



610 


Dr. Klaholt. 


weise im Berufs« und häuslichen Leben, sowie vor allem eine vernünftige sport¬ 
liche Betätigung propagieren. Sie eignen sich allerdings weniger zu Vor¬ 
tragszwecken als abgeschlossenes Programm, vielmehr besser zur Ergänzung 
und Abrundung sonstiger sachlicher Vorführungen, zumal sie einen kräftigen 
humoristischen Einschlag enthalten. 

Abschließend sei bemerkt, <jaß zu jedem der oben genannten 
Filme ein Vortrag besteht, der Entleihern mitgeliefert wird. 
Wer unter genauer oder loser Anlehnung an diese gedruckten 
Vortragstexte die Begleitworte zu einem dieser Filme halten 
will, muß sich dessen bewußt sein, daß dies eine nicht zu 
unterschätzende Aufgabe ist. Es bedarf mindestens ein- bis 
zweimaliger vorheriger Durchsicht des Filmes an Hand des 
Vortragstextes. Natürlich wird wohl nie ein Vortragender den 
Vortrag wörtlich mit der Vorlage gleichlautend halten, der ge¬ 
lieferte Text soll ja nur Anregung und Handhabe zu eigener 
Gestaltung sein. Denn vor pommerschen Landarbeitern wird 
man doch anders sprechen müssen, als in einer westfälischen 
Industriestadt, vor Krankenschwestern anders als im Haus¬ 
frauenverein. Jeder Redner hat das Gelingen einer solchen 
Filmvorführung und damit den Erfolg der beabsichtigten Auf¬ 
klärungsarbeit in der Hand. Bei einem geschickt und in leben¬ 
diger Fühlung mit den Hörern gehaltenen Vortrag wird der 
Film nur wie eine angenehme Illustrierung und Belebung des 
gesprochenen Wortes wirken, steht aber der Film im Vorder¬ 
grund und ist der Vortrag nur umrahmendes Beiwerk, so geht 
ein großer Teil der erwünschten Wirksamkeit verloren. 

Selbstverständlich wird der mit amtlicher Berufsarbeit 
überlastete Medizinalbeamte in den seltensten Fällen selbst Zeit 
und Lust haben, sich, derart in diese neue Aufklärungsarbeit 
einzuleben. Wenn trotzdem an dieser Stelle eine so ausführ¬ 
liche Aufzählung der vorhandenen Lehr- und Aufklärungsmittel 
gegeben wurde, so geschah dies hauptsächlich darum, weil der 
Medizinalbeamte die Persönlichkeit ist, die in Stadt und Land 
in engster Fühlung und regstem Gedankenaustausch mit den¬ 
jenigen Stellen steht, die für solche Veranstaltungen in Frage 
kommen. An ihn wenden sich ratsuchend Behörden und Organi¬ 
sationen, er revidiert Schulen, Fabriken usw., er verhandelt 
mit Krankenkassen, Gewerkschaften, sitzt in Ausschüssen, 
Komitees, ist Vorsitzender oder Vorstandsmitglied vonDutzenden 
von Vereinen. Ueberall kann er Vorschläge machen, Anregungen 
geben, Ratschläge erteilen. Wenn die obige Aufstellung als ge¬ 
legentliches Nachschlage Verzeichnis auf dem Schreibtisch liegen 
bleibt, hat es schon seinen Zweck erfüllt. 


lieber Prostitution und Dirnentum in Crefeld. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Klaholt in Crefeld. 

Die in den letzten Jahren ganz besonders heftig gewor¬ 
denen Angriffe der Abolitionisten gegen die Reglementierung, 
sowie die Bestrebungen, ein wirksames Gesetz zur Verhütung 
und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten zu schaffen, haben 



Ueber Prostitution und Dirnentum in Crefeld. 


611 


die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die öffentliche und ge¬ 
heime Prostitution, sowie auf den ungezügelten, sogenannten 
wilden Geschlechtsverkehr gelenkt. Um auch in der hiesigen 
Stadt alle einflußreichen Kreise, besonders die karitativen Ver¬ 
eine zur Mitarbeit an der sittlichen und gesundheitlichen Für¬ 
sorge zu gewinnen, habe ich vor einem geladenen Publikum 
einen längeren Vortrag über die Prostitution und ihre Vor¬ 
stufen gehalten. 

Vielleicht werden Kollegen sich für den Teil meines Vor¬ 
trages interessieren, der Zahlenangaben über die hiesigen Ver¬ 
hältnisse bringt, die ich als Polizeiarzt und als Leiter der Be¬ 
ratungsstelle Crefeld gewonnen habe. Meines Erachtens wird 
es gut sein, wenn die Medizinalbeamten auch auf dem Gebiete 
des Prostitutionswesens und der Bekämpfung der schweren sitt¬ 
lichen und gesundheitlichen Folgen, die der ungezügelte Ge¬ 
schlechtsverkehr mit sich bringt, tatkräftig mitarbeiten. 

Wir haben in Crefeld das System der Kasernierung. Frei 
wohnende öffentliche Dirnen werden nicht zugelassen. In einer 
kleinen Verbindungstraße, nicht weit von einer im Zentrum 
gelegen Hauptgeschäftsstraße sind eine Anzahl Häuser für 
Prostituierte vorhanden. Vom Standpunkt der Dirnen mag 
die Straße gut gewählt sein, ira öffentlichen Interesse liegt es 
aber sicher nicht, daß diese der Venus geweihte Straße so 
mitten in verkehrsreicher Stadtgegend liegt. Einige Häuser 
gehören noch zu einem Fuhrgeschäft, in welchem ziemlich viel 
Betrieb ist, und an beiden Enden der Straße sieht man nicht 
selten Kinder und halbwüchsige Burschen neugierig in die 
Straße hineinsehen. In jedem Hause wohnen 2—3 Dirnen, die 
je ein Wohn- und Schlafzimmer und Küche haben. Dafür be¬ 
zahlen sie jetzt täglich 80 M. — ohne die Nebenausgaben für 
Heizung usw. Eine jede Dirne darf sich eine Putzfrau halten, 
die abends das Haus verlassen muß. Diese Frau soll unbescholten 
sein. Es kommt aber auch vor, daß sie nicht viel besser ist, 
als ihre Herrin. 

Wie vielfach in den Kasernierungen gehört auch hier die 
Mehrzahl der Dirnen den älteren Semestern an. Von den 
62 Prostituierten waren alt: 

20—25, 25—30, 30—35, 35—40, 40-45, 45—50, über 50 J. 

4 10 22 20 4 1 1 

Dem Alter entsprechend ist auch die Zeit, in der sie unter 
Kontrolle standen: 

bis 1 J., 1-5, 5—10, 10—15, 15-20, 20—25 Jahre. 

1 26 3 16 14 2 

Von Bedeutung ist auch die Länge der Zeit, die die Dirnen 
bereits in der hiesigen Kasernierung zugebracht haben. Im 
gesundheitlichen Interesse ist es natürlich besser, daß die Dirnen 
älter und seßhafter sind, da bei diesen die Ueberwachung auf 
Geschlechtskrankheiten leichter ist, als wenn ein ständiger 
Wechsel stattfindet. Daß ältere Dirnen in bezug auf Ansteckung 



612 


Dr. Klabolt. 


mit Syphilis viel ungefährlicher sind, als die Anfängerinnen, 
ist ja allbekannt. Die Zahl der nur kurze Zeit in der hiesigen 
Bordellstraße verbleibenden und dann weiterziehenden Dirnen 
ist in den letzten 10 Jahren immer mehr zurückgegangen. 
Wir haben jetzt eine verhältnismäßig seßhafte Gesellschaft. Die 
Dauer des Aufenthaltes in der hiesigen Straße beträgt: 

bis 1 J., 1-6, 6-10, 10-16, 16—18 Jahre. 

7 32 14 6 3 

33 standen schon vor dem Kriege unter Kontrolle, 23 
waren erst nach dem Kriege unter Kontrolle gekommen. Was 
die Familienverhältnisse anbelangt, so ist folgendes bemerkens¬ 
wert: die Eltern* waren tot in 26 Fällen, der Vater tot in 18, 
die Mutter tot in 6. Katholischer Konfession sind 43, evangelischer 
Konfession 18, 1 jüdischer. 

Aus Arbeiterfamilien stammen 31 Prostituierte, aus Hand¬ 
werkerfamilien 22, aus Beamtenfamilien 6, aus Händlerfamilien 3 
und aus landwirtschaftlichen Familien 1. Es bestätigt das 
also wieder, daß die Bauernkreise am wenigsten der Prostitution 
anheimfallen. Die überwiegende Mehrzahl stammt aus der 
arbeitenden Bevölkerung, und hier sind es nicht die gehobenen 
Kreise, die Familien der ständigen und gelernten Arbeiter, 
sondern die der ungelernten Arbeiter, die vielfach infolge körper¬ 
licher und geistiger Minderwertigkeit zur Hefe des Volkes ge¬ 
hören. Von den Prostituierten sind verheiratet 14, geschieden 17, 
verwitwet 2. Von denVerheirateten und Geschiedenen gaben als 
Stand ihres Mannes an: 4 Unterbeamter, 2Kaufmann, 2Händler, 
die übrigen Arbeiter. Nach ihren früheren Berufen geordnet 
waren 16 Dienstmädchen gewesen, 10 Verkäuferinnen, resp. 
Modistinnen, 9 Näherinnen, 16 Arbeiterinnen, 1 Artistin, 1 Büg¬ 
lerin, 2 Kellnerinnen, 8 bezeichneten sich als berufslos. 

Gibt es auch raffinierte, geistig durchaus vollwertige Per¬ 
sonen, die die Prostitutiertenlaufbahn nur als ein Mittel zu 
einem materiellen Aufstieg benutzen wollen, so ist die über¬ 
wiegende Mehrzahl doch intellektuell tiefstehend. (Es wird 
auf die Zahlenangabe in der Literatur verwiesen.) Auch mit 
unseren hiesigen Prostituierten ist es nicht anders. Es hat mir 
an Zeit gemangelt, bei den einzelnen Personen Intelligenz¬ 
prüfungen vorzunehmen, soviel kann ich aber doch nach zum 
Teil mehrjähriger Kenntnis der Charaktere sagen, daß es sich 
vielfach um geistig recht minderwertige Personen handelt. Das 
hat mir auch der Gefängnisarzt — ein Psychiater — erklärt, 
der die Dirnen recht häufig zu sehen bekommt und sich für 
diese Frage besonders interessiert. 

Das Leben der Dirnen in den Kasernierungen spielt sich 
ab, wie wohl überall in diesen Häusern. Nur wenige wissen 
sich etwas mit Handarbeiten zu beschäftigen. Die Mehrzahl 
geht einer Arbeit aus dem Wege. Leider steht auch hier der 
Alkoholismus in Blüte. Sinnlose Trunkenheit ist bei manchen 
gar nicht so selten. Bei den Trinkgelagen helfen gute Freunde 



Uebtr Prostitution and Dirnantam in Crefeld. 


613 


fleißig palt, das leicht verdiente Geld zu verprassen. Auch hier 
spielt, wie überall, die schmachvolle Zunft der Zuhälter eine 
große Holle. 

Natürlich leben die Dirnen sämtlich mit den Polizei¬ 
vorschriften auf gespanntem Fuße. Die Folgen sind häufige 
Anzeigen, die immer zu gerichtlichen Strafen führen. Es gibt 
keine einzige Dirne, die einige Zeit in der Mühlenstraße wohnt, 
welche nicht eine Anzahl Haftstrafen wegen Uebertretung der 
Vorschriften aufzuweisen hat. Mit den Jahren nimmt die Zahl 
dieser Strafen ganz erheblich zu. 13 sind über 50 mal bestraft, 
und von 2 Veteraninnen hat es eine auf 113, die andere sogar 
auf 126 Strafen gebracht. 

Von den 62 Dirnen sind nicht weniger als 24 gerichtlich 
vorbestraft wegen Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei, 
18 mehr als lmal, einige sogar 5—8 mal. Diese Zahlen be¬ 
leuchten so recht den Charakter der Prostituierten, die Gier 
nach Geld. Und diese Sucht läßt sie auch die Männer, die 
ihnen ins Netz gehen, vielfach in raffinierter Weise ausbeuten. 
Namentlich für Zechgelage werden den Opfern horrende Preise 
abgefordert. So sind die Einnahmen einer Prostituierten im 
allgemeinen recht hoch, sie wechseln, wie alles heute, je nach 
dem Stande der Valuta. Die besten Zeiten hatten die Dirnen, 
als das Schiebertum auf der Höhe seiner Macht war, da müssen 
sie geradezu fabelhafte Einnahmen gehabt haben. Aber auch 
jetzt noch finden sich alltäglich oder besser allnächtlich bei 
den meisten Dirnen durchschnittlich 3—4 Besucher ein, nicht 
wenige von diesen sind verheiratet. Perversitäten sollen nicht 
selten gefordert und gewährt werden, einige Dirnen scheinen 
sich hierzu als „Spezialistinnen“ ausgebildet zu haben. 

Durch den regelmäßigen Verkehr mit einer Anzahl von 
Männern sind die Prostituierten in hohem Maße der Gefahr der 
Geschlechtskrankheiten ausgesetzt. Andererseits kann die kranke 
Dirne die Quelle der Verseuchung für eine große Anzahl von 
Männern sein. Es gibt Laien und Aerzte, unter letzteren be¬ 
deutende Autoritäten, die den Wert einer ärztlichen Kontrolle 
der Prostituierten bestreiten und bezweifeln. Ich kann mich 
ihnen nicht anschließen und bin der Meinung, daß eine wirksam 
betriebene Kontrolle doch ein nicht zu unterschätzendes Maß 
von Schutz gegen die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 
bietet. Meine Behauptung gründet sich nicht nur auf meine 
Erfahrung als Polizeiarzt und leitender Arzt der Beratungs¬ 
stelle für Geschlechtskrankheiten, sondern auch auf die An¬ 
gaben der praktizierenden Kollegen. Nur ein Spezialarzt hat 
mir gegenüber die Behauptung aufgestellt, daß 76 °/ 0 seiner 
Kranken sich bei Prostituierten infiziert habe. Er hat mir aber 
in den 4 Wochen, die nach seiner Aeußerung vergangen sind, 
noch von keinem derartigen Fall Mitteilung gemacht. Selbst¬ 
verständlich schützt auch eine gewissenhaft ausgeführte Kon¬ 
trolle nicht vor Infektion, und ich hätte nichts dagegen, wenn 
auf einer Tafel vor jedem Bordell-Haus auf diese Tatsachen 



614 


Dr. Klabolt. 


hingewiesen würde, um allzu vertrauensselige Männer abzu¬ 
schrecken. 

Am schwierigsten ist es, eine Infektion mit Tripper zu 
vermeiden. Im vorigen Jahre wurden 16 Dirnen wegen Tripper, 
resp. Tripperverdachtes zur Beobachtung dem Krankenhause 
überwiesen. Es handelte sich in allen Fällen um chronischen 
Tripper, nur bei einem Teil derselben waren Ansteckungen ge¬ 
meldet. Das Auffinden der Gonokokken ist oft mit Schwierig¬ 
keiten verbunden, am meisten Glück hat man noch nach den 
Menses. Kürzlich wurde mir von einem Kollegen gemeldet, 
daß einer seiner Patienten von einer Dirne mit Tripper an¬ 
gesteckt sei. Ich untersuchte an zwei aufeinanderfolgenden 
Tagen Zervix- und Urethralsekret, ohne Gonokokken zu finden. 
Da die Angabe des Erkrankten mit aller Bestimmtheit auf die 
betreffende Dirne hinwies, hielt ich es trotz des negativen Aus¬ 
falles der bakteriologischen Untersuchung doch für meine Pflicht, 
das Mädchen dem Krankenhause zu überweisen. Auch hier 
fand man an den ersten 2 Tagen nichts, erst nach mehrfachen 
provokatorischen Eingriffen wurden Gonokokken festgestellt. 
Solche Infektionsquellen werden wir wohl nie ganz ausschalten 
können. Die Gefahr braucht nun meines Erachtens auch nicht 
überschätzt zu werden; denn wenn man überhaupt erst nach 
mehrtägigen provokatorischen Maßnahmen Gonokokken findet, 
wird die Ansteckungsfähigkeit wohl nicht allzu groß sein. Dies 
wird ja auch bestätigt durch die praktische Erfahrung, daß von 
einer Mehrzahl von Männern, die an einem Tage mit einer 
Prostituierten verkehrt haben, nicht selten nur einer erkrankt. 
Peinlichste Sauberkeit wird manches zur Verhütung des Trippers 
beitragen können; daß gerade die regelmäßig und scharf kon¬ 
trollierten Prostituierten in dieser Hinsicht mustergültig sind, 
werden alle Polizeiärzte bestätigen. 

Wegen Syphilis wurde im vorigen Jahre eine Dirne dem 
Krankenhaus überwiesen. Sie hatte ein kleines Ulkus in den 
Falten der Scheide. Im Jahre vorher mußten noch 7 Dirnen 
wegen luetischer Erscheinungen abgesondert werden. Ich führe 
das günstige Ergebnis auf die regelmäßigen prophylaktischen 
Kuren zurück, die ich seit einem Jahre eingeführt habe. Alle 
Dirnen werden von Zeit zu Zeit (wechselnd je nach dem Alter) 
auf Wasser mann-Reaktion untersucht, und müssen bei posi¬ 
tivem Ausfall sich einer Kur unterziehen. Abstand davon 
nehme ich nur bei älteren Dirnen, von denen ich weiß, daß sie 
eine ganze Reihe von Kuren gemacht haben. Zur Kontrolle der 
Kuren werden besondere Zettel ausgegeben, auf denen die 
Aerzte jede Spritze verzeichnen müssen. 

Mehr als die öffentlichen Prostituierten sind m. E. die ge¬ 
legentlich von der Polizei aufgegriffenen Mädchen schuld an 
der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten. Schon deshalb 
müssen wir sie hier kurz besprechen, aber auch aus dem Grunde, 
weil dieser sogenannte wilde Geschlechtsverkehr einen geradezu 
erschreckenden Umfang angenommen hat. 



(Jeber Prostitution und Dirnentum in Crefeld. 


615 


Ein Teil dieser aufgegriffenen Mädchen und Frauen unter¬ 
scheidet sich in nichts von den Prostituierten. Sie lassen sich 
wie diese für ihre Gunst bezahlen, wissen aber ihr Treiben 
einigermaßen vor der Polizei zu verbergen, indem sie noch 
irgendeine Beschäftigung treiben. Zeitweise hat die belgische 
Behörde verlangt, daß auch diese Personen regelmäßig unter¬ 
sucht würden, und es kamen von ihnen im ganzen 30, durch¬ 
schnittlich 18 wöchentlich einmal zur Kontrolle. Diese Unter¬ 
suchungen sind jetzt aufgehoben, weil wir nach den preußischen 
Gesetzen nicht dazu berechtigt sind. 

Ich bin überzeugt, daß weit mehr als diese 30 der ge¬ 
heimen Prostitution zuzurechnen sind, aber es ist natürlich 
schwer, hierfür Beweise zu erbringen. So muß die Polizei sie 
laufen lassen, und kann sie nur gelegentlich zur ärztlichen 
Untersuchung vorführen, wenn sie zufällig nachts aufgegriffen 
werden oder wenn Anzeige wegen Ansteckung erfolgt. 

Es ist die besondere Aufgabe der Sittenpolizei, gegen den 
ungezügelten unsittlichen Verkehr vorzugehen, nicht nur im 
Interesse der guten Sitten, sondern auch zur energischen Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten. Der Sittenpolizei stehen 
zu diesem Zweck eine Reihe von Beamten zur Verfügung, die 
besonders in den Abendstunden Kontrollgänge machen und 
liederliche Weibspersonen zur Festnahme bringen. Stellen, die 
mit Vorliebe von diesen Personen auf gesucht werden, sind vor 
allem die Plätze und Anlagen in der Peripherie der Stadt, wo 
sie nicht selten „in flagranti“ ertappt werden, dann auch der 
Hauptbahnhof und gewisse übel beleumundete Wirtschaften. 
Man kann unseren Beamten wohl das Zeugnis ausstellen, daß 
sie nicht wahllos alles aufgreifen, was ihnen unter die Finger 
kommt, sondern daß sie durchaus mit der nötigen Vorsicht Vor¬ 
gehen. Davon kann man sich überzeugen, wenn man sich die 
Akten ansieht, die über jeden Fall angelegt werden. Vielfach 
sind die Aufgegriffenen alte Bekannte der Polizei, über die 
schon eine Menge Vorstücke bei den Akten vorhanden sind, 
andere wieder sind obdachlos sich umhertreibende Mädchen, 
die sich dem ersten besten preisgeben. Dann hat die Sitten¬ 
polizei aber auch die Verpflichtung, sich diejenigen Mädchen 
anzusehen, gegen die eine begründete Anzeige wegen Ver¬ 
breitung von Geschlechtskrankheiten vorliegt oder diejenigen, 
deren Untersuchung die belgische Behörde verlangt. 

Bedauerlicherweise hat die Zahl dieser mit der Sittenpolizei 
in Berührung gekommenen Mädchen in hohem Maße zugenommen. 
Im Jahre 1913 wurden 90 Personen aufgegriffen, im Jahre 
1916 waren es berits 169, 1916: 167, 1917: 189, 1918: 169, 
1919 : 483, 1920 : 649, 1921: 638. Leider war immer eine große 
Anzahl dieser Mädchen noch sehr jung. Im Jahre 1913 waren 
36 Minderjährige darunter, 1920: 216, 1921: 171. 

Von den 638 im vergangenen Jahre aufgegriffenen Per¬ 
sonen stammten 487 aus Arbeiterkreisen, 196 aus Handwerker¬ 
kreisen, 24 aus Händler-, 21 aus Beamten-, 10 aus landwirt- 



616 


Dr. KLüsolt 


schaftlichen Kreisen. In 203 Fällen waren beide Eltern tot, 
in 156 Fällen der Vater, in 165 Fällen die Mutter tot; katho¬ 
lischer Konfession waren 434, evangelischer Konfession 203, 
israelitischer 1. Dem Stande nach waren 129 Arbeiterinnen, 
130 Dienstmädchen, andere Berufe waren nur gering beteiligt, 
aber 284 gaben sich als berufslos aus. Gerade die letzteren 
gaben zu Bedenken Anlaß. Es sind nicht nur solche, denen durch 
die Arbeit ihrer Eltern und Brüder ein arbeitsloses und leicht¬ 
sinniges Leben ermöglicht wird, sondern auch solche, die den 
unsittlichen Verkehr als eine Einnahmequelle betrachten, die mit 
anderen Worten nichts anderes als heimliche Prostituierte sind. 

Es ist klar, daß diese Mädchen, die sich, wenn auch nicht 
gewerbsmäßig, so doch gewohnheitsmäßig, einem unzüchtigen 
Verkehr hingeben, verseucht sein müssen. Die Gefahr wird 
noch vergrößert dadurch, daß diese Personen schon an und für 
sich sehr unsauber sind und leichtsinnig die ausgebrochene 
Krankheit vernachlässigen, ohne sich in die Behandlung eines 
Arztes zu begeben. 

Von den schon erwähnten auf Verfügung der belgischen 
Behörde untersuchten 30 sogenannten clandestinen Prosti¬ 
tuierten litten 7 an Syphilis, 17 an Tripper, 2 an Schanker. 
Unter den 638 aufgegriffenen Personen des Jahres 1921 be¬ 
fanden sich 131 mit Krankheitszeichen, davon eine mit Schanker, 
58 mit Tripper, und 72 mit zum Teil sehr schwerer Syphilis. 
Im Jahre 1920 wurden 649 Personen untersucht, davon waren 
krank: 41 an Syphilis, 113 an Tripper, 16 an Schanker. Aus 
anderen Städten werden höhere Prozentzahlenangaben von Er¬ 
krankten gemeldet. Es liegt das wohl daran, daß hier auf 
Betreiben der belgischen Behörden eine Anzahl Mädchen unter¬ 
sucht wurde, die sonst vielleicht nicht zur polizeilichen Unter¬ 
suchung gekommen wären. (So bei einer Razzia 105 auf einmal.) 

Wie verheerend der sog. wilde Geschlechtsverkehr ist, auch 
wenn er sich nicht in einer Form bewegt, die die Polizei mobil 
macht, wie bei den bisher beschriebenen Fällen, das habe ich 
als leitender Arzt der Beratungsstelle der Landesversicherungs¬ 
anstalt gesehen. Die hiesige Beratungsstelle umfaßt den Bezirk 
der Kreise Crefeld, Kempen, Cleve, Mörs, Gladbach, Rheydt, 
zum Teil auch Erkelenz und ein großer Teil der versicherten 
Geschlechtskranken geht durch meine Hand. Im Vorjahre 
kamen erstmalig zur Beratung: 1448 Geschlecktskranke, außer¬ 
dem noch 2020 Kranke, die bereits früher unsere Hilfe aufgesucht 
hatten. Es ist interessant, einmal näher auf diese Zahlen ein¬ 
zugehen. Von den die Beratungsstelle aufsuchenden Männern 
war die Mehrzahl in dem Alter zwischen 20—30 Jahren, immer¬ 
hin kamen aber auch eine Anzahl jüngerer Leute in Betracht, 
die das 20. Jahr noch nicht erreicht hatten, ebenso solche, die 
schon das 50. Jahr überschritten hatten, 2 waren sogar 60 Jahre 
alt. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Männer gehörte 
dem Arbeiterstande an. Ich bitte daraus keine Folgerungen 
zu ziehen, da ja die Beratungsstellen in erster Linie von Ver- 



Ueber Prostitution and Dirnen tarn in Crefeld. 


617 


sicherten, also in der Mehrzahl von Arbeitern besucht werden. 
Immerhin ist meine Ueberzeugung, daß der Arbeiterstand, der 
vor dem Kriege in bezug auf Geschlechtskrankheiten verhältnis¬ 
mäßig günstig dastand, heute prozentual viel stärker an den 
Geschlechtskrankheiten beteiligt ist. 

Als Arzt war es besondere wichtig für mich, zu erfahren, 
wo sich die Männer angesteckt haben. In der weitaus größten 
Zahl war es einmaliger Verkehr, wie ich im 2. Halbjahr 1921 
zusammengestellt habe, in 442 Fällen 312 mal,*) der das Un¬ 
glück verschuldet hat. Man sieht daraus, mit welchem un¬ 
glaublichen Leichtsinn, um nicht zu sagen, mit welcher Frivo¬ 
lität heute manche Männer sich der Gefahr, eine Geschlechts¬ 
krankheit zu erwerben, aussetzen. In den meisten Fällen ist 
das Mädchen dem Manne bis dahin ganz unbekannt gewesen, 
woher es kam und was es war, kümmerte ihn nicht, die zu¬ 
fällige Bekanntschaft auf der Straße, in der Wirtschaft oder im 
Kino genügte, um sich geschlechtlich mit dem Mädchen ein¬ 
zulassen (und zwar 50°/ 8 im Freien). Eine gefährliche Rolle 
spielt der Alkohol. In einem erheblichen Prozentsatz erklärten 
diie Männer, angetrunken gewesen zu sein. (Im ersten Halb¬ 
jahr 1922 von 264 Fällen 137). Etwa 26 °/ 0 der Geschlechts¬ 
kranken gaben an, sich die Krankheit durch Verkehr mit einer 
Prostituierten geholt zu haben, (wieviel auf öffentliche und wie¬ 
viel auf geheime Prostituierte kommt, ist nicht sicher festzu¬ 
stellen), davon fällt nur ein,geringer Teil auf Crefelder Prosti¬ 
tuierte, die überwiegende Mehrzahl auf auswärtige. Es ist 
aber dabei zu beachten, daß die den Vereicherungskreisen an¬ 
gehörenden Personen nur verhältnismäßig wenig Verkehr in 
Bordellen oder Kasernierungen pflegen. Vielmehr handelt es sich 
in der Mehrzahl der Fälle um Arbeiterinnen, dann kommen 
Dienstmädchen. 

Unter den 1448 Geschlechtskranken waren 696 Frauen. 
Es ist nun interessant, daß die weiblichen Personen, die die 
Beratungsstelle aufsuchten, doch bedeutend vorsichtiger gewesen 
- sind, als die Männer. Nur in etwa einem Drittel der Fälle Tim 
ersten Halbjahr 1922, nur in etwa 1 j i ) haben sie sich durch den 
einmaligen Verkehr mit einem bekannten oder unbekannten 
Manne angesteckt, in der Mehrzahl der Fälle handelte es sioh 
um Infektion durch den Ehemann oder durch kürzer oder 
länger dauernde Verhältnisse. Länger dauernd ist cum grano 
salis zu verstehen, ich habe dahin gerechnet Verhältnisse, die über 
3 Monate dauern, es gibt allerdings auch einige, die an 2 Jahre 
anhielten, aber dann war es meistens aus. 

Leider ist auch die Zahl der Frauen groß, die durch den 
Ehemann infiziert worden sind. Im ersten Halbjahr 1922 waren 
es von 189 verheirateten Frauen 114. Ein trauriges Zeichen 


*) Im ersten Halbjahr 1922 von 399 Fällen 264 mal, davon 215 Frauens¬ 
personen, die bis dahin dem betr. Hanne ganz unbekannt waren. 



618 


Or. Klaholt. 


der Zeit! Von 110 verheirateten Männern wurden dagegen 
nur 30 durch ihre Frauen angesteckt! 

Zum Schluß möchte ich kurz au! die Maßnahmen zur 
Bekämpfung der Prostitution eingehen. Bekannt ist die scharfe 
Stellungnahme der Abolitionisten gegen das heutige Dirnen¬ 
wesen, mannigfach sind die Gründe, die sie gegen die Reglemen¬ 
tierung der Prostitution anführen: es sei imsittlich, wenn der 
Staat das Laster konzessioniere; die Reglementierung sei eine 
sittenpolizeiliche Ausnahmemaßregel gegen das weibliche Ge¬ 
schlecht und deshalb ungerecht; die Reglementierung reize 
die Männer geradezu zum Prostituiertenverkehr, da sie den 
jungen Leuten eine Sicherung gegen Ansteckungsgefahren vor¬ 
spiegele, die nicht bestehe. 

Die deutsche Vereinigung der Abolitionisten will die Prosti¬ 
tution durch ethische und soziale Reformen überwinden. Das 
verdient gewiß unseren Beifall. Aber können wir wirklich die 
Maßnahmen der ärztlichen Kontrolluntersuchungen entbehren? 
Gewiß ist es ein Eingriff in die persönliche Freiheit, wenn wir 
verlangen, daß diese Personen sich zweimal wöchentlich dem 
Arzt vorstellen; aber haben sie sich nicht selbst in einen Aus¬ 
nahmezustand versetzt, indem sie ihren Körper gleichsam als 
eine Ware einem jeden anbieten, der sie bezahlt? Sollen wir 
denn lieber diese Frauen krank herumlaufen lassen und Zu¬ 
sehen, wie ihre Opfer verseucht werden? Keiner, der die Ver¬ 
hältnisse kennt, wird glauben, daß die Prostituierte auf ihren 
Erwerb verzichtet, um die sie begehrenden Männer vor Krank¬ 
heiten zu bewahren. Mögen wir diejenigen verurteilen, die 
sich dem lasterhaften Verkehr mit den Prostituierten ergeben, 
wir haben aber kein Recht, gleichgültig zu bleiben gegen die 
Gefahr der Verseuchung so vieler Männer, die nun ihrerseits 
wieder das Gift auf andere, vielleicht auf ihre Ehefrauen über¬ 
tragen. So erkläre ich mich denn als ein Anhänger der ärzt¬ 
lichen Kontrolle der Prostitution. Das soll nicht heißen, daß 
nicht manches in unserem ganzen Prostitutionswesen reform¬ 
bedürftig wäre. Da ist zuerst die Frage der Bordelle. Ich 
möchte wünschen, daß sie sobald als möglich von der Bildfläche 
verschwänden. In ihnen findet ja eine schamlose Ausbeutung 
der Mädchen statt, da ein großer Teil, wenn nicht der größte, 
ihres Sündengeldes einem habgierigen Wirte abgeliefert werden 
muß. Damit bekämpfen wir auch am besten den Mädchen¬ 
handel, diesen Schandfleck unserer Zivilisation. Etwas anderes 
ist es mit der sogenannten Kasernierung der Prostituierten, 
wie wir sie z. B. in Crefeld haben. Gewiß ist auch hier die 
Gelegenheit zur Ausbeutung der Prostituierten gegeben. Im 
allgemeinen aber ist jedoch ein jedes Mädchen selbständig in 
seiner Wohnung, und es hängt von ihm ab, welche Ausgaben 
es machen will. Man mag ein wenden, es heiße den Weg zum 
Laster den Männern sehr bequem machen, wenn man die Prosti¬ 
tuierten in eine nur allzubekannte Straße zwänge, es mag zu¬ 
gegeben werden, daß in diesen verrufenen Häusern der Trunk- 



Ueber Prostitution and Dirnentam in Crefeld. 


619 


sucht und allerhand perversen Lastern gefrönt wird, aber glaubt 
man, die Verführung wäre weniger groß und weniger bequem, 
wenn die Prostituierten sich auf allen Straßen breit machen 
und die jungen Leute abfangen, die angeheitert und klaren 
Denkens beraubt in später Abendstunde aus den Wirtschaften 
kommen? Man stelle sich einmal vor, die 60 Prostituierten, 
die zurzeit in der Mühlenstraße kaserniert sind, würden dort 
vertrieben, und müßten sich irgendwo in der Stadt ansiedeln. 
Es ist ja Vorschrift, daß sie nicht in Häusern mit Kindern 
wohnen dürfen, aber läßt sich das überhaupt durchführen? 
Würde die Gefahr der Verführung für die Kinder und für 
manches leichtsinnige jugendliche Mädchen nicht viel größer 
sein? Und würde es nicht einen recht unangenehmen Ein¬ 
druck machen, wenn diese 60 Mädchen nun Abend für Abend 
durch einige mehr oder weniger belebte Straßen strichen oder 
die Cafds bevölkerten? Ob die sogenannten Absteigequartiere, 
die es jetzt namentlich in Wien und Budapest geben soll, dazu 
berufen sind, die Bordelle zu ersetzen, erscheint mir auch noch 
sehr fraglich. Sie haben ja allerdings den Vorteil, daß die 
Wohnung der Prostituierten frei bleibt von dem unsittlichen 
Treiben. Ob die Uebervorteilung der Dirnen, (und erst recht 
der mit ihnen verkehrenden Männer) geringer ist, als in den 
Bordellen, kann ich nicht entscheiden. Vielfach sollen die Be¬ 
sitzer dieser Absteigequartiere feste Abmachungen mit einer 
Anzahl von Dirnen getroffen haben, damit sie ihnen möglichst 
viele „Hotelgäste“ zuführen. Der Terminus technicus dafür 
soll lauten: „X. läßt so und so viele Rennpferde laufen“. 

Nun hat man gesagt, daß auch die kasernierte Prostitution 
die Straßen nicht säubere, da immer noch die geheime Prosti¬ 
tution die Straßen unsicher mache; die trüge ihren Namen mit 
Unrecht, da sie keinem, selbst der Polizei nicht geheim blieben. 
Ich glaube aber, daß diese geheime Prostitution in den mittleren 
Städten wie Crefeld, doch in verhältnismäßig engem Rahmen 
bleibt; jedenfalls ist es hier möglich, wenigstens einigermaßen 
die Straßen zu überwachen. Für größere Städte gebe ich zu, 
wird man die Straßenprostitution schwerlich durch Kasernierung 
beseitigen können. Aber diese frei wohnenden Dirnen zu fassen 
und auf ihren Gesundheitszustand genau zu überwachen, ist 
eine Aufgabe, der wir im Interesse der Gesundheit unseres 
Volkes gar nicht entraten können. Bis jetzt war die Polizei 
damit betraut. Schon seit langem ist man dagegen Sturm ge¬ 
laufen und hat der Polizei vorgeworfen, daß sie so ungeeignet 
wie möglich für diese Aufgabe sei. Ich will zugeben, daß man 
nicht selten von groben Mißgriffen liest, die sich Beamte haben 
zu Schulden kommen lassen. Zu verwerfen ist der bürokra¬ 
tische Geist, mit dem vielfach gegen die Prostituierten vor¬ 
gegangen wird. Aber man soll nicht ungerecht sein, man soll 
auch anerkennen, was so manche Beamte der Sittenpolizei auf 
diesem Gebiete geleistet haben. Es ist ganz gewiß keine leichte 
Aufgabe, die großes Verantwortungsgefühl erfordert. 



620 IV. Jahresvers. des Bezirksvereins Münster der prenß. Med.-Beamten. 


Auch ich bin der Ansicht, daß es sich empfiehlt, alle die 
Aufgaben, die jetzt der Sittenpolizei zufallen, von der Polizei los¬ 
zulösen, und ein eigenes Pflege- oder Gesundheits-, Sittenamt 
oder wie man es sonst nennen will, zu schaffen. Ob an der 
Spitze dieses Amtes ein aus der Polizeikarriere hervorgegan¬ 
gener Beamter steht, oder ein Arzt oder eine Frau, das ist 
schließlich alles einerlei, wenn nur diese leitende Persönlichkeit 
das nötige Interesse und das Herz auf dem rechten Fleck hat. 
Allerdings wird man ohne die Hilfe der Polizei nie auskommen, 
man kann auch gar nicht ihre in langen Jahren gesammelten 
Erfahrungen entbehren, aber man möge mehr Wert legen auf 
Sitten — Gesundheits- und wirtschaftliche Fürsorge und sich 
von überstrengen Maßnahmen fernhalten. Diesem Pflegeamt 
würde nicht nur die Prostitutions-Abteilung unterstehen, bei 
der man* wohl männliche Beamte gar nicht entbehren kann, 
sondern es würde sich gerade der aufgegriffenen und gefähr¬ 
deten Mädchen annehmen müssen. Dieses Amt soll auftreten 
nicht als Rächerin der verletzten Sittlichkeit, sondern, bei aller 
Energie gegen die sittlich verwahrlosten Mädchen, als eine 
gütige Fürsorgerin für die leichtsinnig Gefallenen, die kranken 
Mädchen wieder zur Gesundheit verhilft, die den Obdachlosen 


ein Heim, den Arbeitslosen Arbeit verschafft und die alle wohl¬ 
tätigen Vereine vor ihren Wagen spannt, um die unglücklichen 
Geschöpfe aus dem Sumpfe zu ziehen. Und dieses Pflegeamt 
soll auch den Vorwurf beseitigen, den die Abolitionisten unserer 
jetzigen Sittenpolizei machen, nämlich, daß sie die geschlechts- 
kranken Männer ruhig laufen läßt, während die Frauen fest¬ 
gehalten werden. Hier sollen sich auch die Männer verant¬ 
worten, gegen die begründete Anzeige vorliegt, daß sie ein 
weibliches Wesen mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt 
haben, und wenn sich herausstellt, daß diese Leute trotz 
Kenntnis von ihrer Krankheit in frivoler Weise Leben und 
Gesundheit einer Frauensperson aufs Spiel gesetzt haben, dann 
soll sie auch die ganze Schwere des Gesetzes treffen. 

Ein solches Amt wird freilich Geld kosten, aber ich glaube, 
wenig Geld wird so gut angelegt sein, wie dieses. Jedenfalls 
müssen alle Stände und alle Parteien unseres Vaterlandes das 
größte Interesse an der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
und an der sittlichen Hebung unseres Volkes haben. 


IV. Jahresversammlung des Beslrksverelns Münster der 
Preussischen Hedlsl mal beamten im Zivllklub au Münster 
• am 7. Oktober 1928. 

Anwesend: Heg.- and Med.-Rat Dr. Engels, die Kreisärzte Isfort, 
Jacobi, Gtith, Althoff, Bahrs, Herne, Wolters, Wengel, 
Schlaatmann, der Leiter des Medizinalnntersachangsamtes Prof. Or. 
Besserer and dessen Assistent Med.-Rat Dr. Kersten. 

Tagesordnung: 

1. Besprechung des Entwurfs zn einem Tuberknlosegesetz. Der Vor¬ 
sitzende trägt den Inhalt des Entwurfs vor, woran sich eine sehr lebhafte and 
eingehende Aassprache anschließt. Insbesondere die Frage, wann die Br- 



Besprechungen. 


621 


krankung als ansteckend anzusehen, daher anzeigepflichtig ist, wurde aus¬ 
giebig besprochen und in vielen Fällen recht schwierig zu entscheiden be¬ 
funden. Auch die §§ 6 und 8 betreffend die vorgesehenen Maßnahmen gaben 
zu längeren Erörterungen Anlaß, stellen sie doch für unsern tuberkulosereichen 
Bezirk wesentliche und wohl recht schwierige VerA ehrung der amtlichen 
Tätigkeit in Aussicht. 

2. Besprechung Aber Familien« oder Sonderfflrsorgerlnnen mit be¬ 
sonderer Rücksicht auf die Tuberkulosefürsorge. Nach gründlicher Aus¬ 
sprache einigte man sich auf folgendes Ergebnis: 

a) Die Tuberkulosefürsorge ist der wichtigste Teil der Gesamtfürsorge¬ 
tätigkeit des Kreisarztes. 

b) Nach Möglichkeit soll die Tuberkulosefürsorge von der Familienfürsorge 
getrennt werden, jedoch regelt sich das Verfahren im Einzelfalle nach 
der Notwendigkeit in Stadt und Land. 

8. Besprechung des neuen Hebammengesetzes und der neuen Ge« 
blhrenordnnng für Hebammen. Es wurde namentlich auf die eigenartigen 
Verhältnisse unseres Bezirkes hingewiesen, die weite Entfernung und die zer¬ 
streute Lage der Wohnungen lassen in vielen Fällen die freie Hebammenwahl 
nicht zu. 

4. Schreiben des Bezirksvereins der Medizinalbeamten des Regierungs¬ 
bezirks Liegnitz betr. Uebernahme der Kosten des Fernsprechers auf die 
Staatskasse. Es wird beschlossen: Bezirksverein Münster bittet den Vorstand 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins schleunigst und nachdrücklichst er¬ 
neut den Antrag zn stellen an den Herrn Minister auf umgehende, den Teuerungs¬ 
verhältnissen entsprechende und rückwirkende Erhöhung der Amtsnnkosten- 
enschädigung sowie auf Uebernahme der Kosten des Fernsprechers auf die 
Staatskasse, soweit sie dem Dienstbetrieb znr Last fallen. 

5. Schreiben des Kassenführers der Jnbiläumsstiftung des Preußischen 

Medizinalbeamtenvereins betr. Beitragszahlung. Es wird beschlossen: Jedes 
noch im Dienst befindliche Mitglied tritt der Stiftung als Mitglied bei mit 
einem Jahresbeitrag von 50 M., die der Kassenführer des Bezirksvereins im 
Januar einzieht und an die Stiftung abführt Wie üblich fand die Versamm¬ 
lung ihren Abschluß in einem einfachen Mittagessen und längerem, gemüt¬ 
lichem Zusammensein im Zivilklub. Dr. Schlau t mann-Münster. 


Besprechungen. 

Dm Gorundboltawesen dos Preusslsohen Staates in den Jahren 

1910/20. Im Aufträge des Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt bearbeitet 
in der Abteilung für Volksgesundheit des Ministeriums. Berlin 1922. Verlag 
von Rieh. Schoetz. Gr. 8°, 177 Seiten. 

Der soeben erschienene Bericht umfaßt die Jahre 1919 und 1920. Spar¬ 
samkeitsrücksichten waren es, die wie beim vorherigen Bericht über die Jahre 
1914—1918 (s. die Besprechung in dieser Zeitschrift, 1921, S. 229) eine Ein¬ 
schränkung des Inhalts nötig machten und leider auch wieder die früheren, so 
wertvollen Tabellen vermissen ließen. Hoffentlich werden künftig die Berichte 
wieder alljährlich und im alten Umfange erscheinen können. 

Der Bericht enthält vieles, was Zeugnis ablegt von der guten Hand¬ 
habung unserer Medizinalgesetzgebung auch unter den Schwierigkeiten der 
Jetztzeit. Wir wollen nur kurz folgendes hervorbeben. Die Sterblichkeits¬ 
ziffer (auf 1000 Einwohner berechnet) betrag 15,8 im Jahre 1919, 15,4 i. J. 
1920 und ist damit dem bisher niedrigsten Stand deB Jahres 1913 mit 14,9 
wieder nahe gerückt.« Die Säuglingssterblicbkeit zeigte im Jahre 1919 mit 
13,4 Todesfällen im ersten Lebensjahr auf 100 Lebendgeborene den günstigsten, 
je in Preußen erreichten Stand; sie stieg im Jahre 1920 auf 14,4. Unter¬ 
schiede zwischen Stadt und Land waren kaum festzustellen. Die Geburten¬ 
ziffer erfahr in den beiden Jabren der Berichtszeit ein erhebliches Ansteigen 
nach dem außerordentlichen Geburtenrückgang der Kriegsjahre; es kamen 
1919 auf 1000 Einwohner 20,9 und 1920 etwa 26 Geburten, womit aber der 
günstige Stand der Jahre 1913 und 1914 mit 29 bezw. 28,5 Geburten noch 
nicht wieder erreicht ist 



Besprechungen. 


Die Seuchenbekämpfung bewegt sich in den altbewähren Bahnen mit 
bestem Erfolge. Trotz der schwierigen Verhältnisse im ganzen Lande konnten 
die Seuchen eingedämmt werden, und fanden namentlich Fleckfieber und Pocken 
allen Befürchtungen zum Trotz keine stärkere Ausbreitung. 

Im besetzten Qebiet wurde auf Anordnung der Besatzungsbehörden die 
Anzeigepflicht auch auf bei uns nicht meldepflichtige Krankheiten (Masern, 
Mumps, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose) ausgedehnt; auch wurden aus« 
gedehnte Zwangsimpfungen gegen Typhus durchgesetzt. Cholera kam gar 
nicht vor. Fleckfieberfälle wurden 2989 (376 -J-) bezw. 470 (58-4-) bekannt, 
das sind immerhin verhältnismäßig viel Fälle gegenüber der Vorkriegszeit und 
auch gegenüber den letzten Kriegsjahren. Pockenfälle kamen 2805 bezw. 2083 
zur Anmeldung, die Sterblichkeit war etwa 15%; auch diese Ziffer erhebt sich 
Aber den Durchschnitt der letzten Jahre. Die Pocken waren im Bezirk Oppeln 
aus leicht erklärlichen Gründen besonders verbreitet; im Jahre 1920 kamen 
hier allein 1260 Fälle vor. Von den einheimischen Seuchen erfuhr Diphtherie 
eine merkliche Abnahme gegenüber den Kriegsjabren (78643 bezw. 53112 
gegenüber weit über 10 )000 in den Jahren 1915—1918), ebenso Buhr, obwohl 
diese noch erheblich häufiger war als in den Vorkriegsjahren (1919: 17201, 
1920: 19846 Fälle, dagegen 1917 : 57503 Fälle). Der Typbus nahm wenigstens 
im Jahre 1920 merklich ab. Scharlach war häufiger als im Jahre 1918, hat 
aber doch im Vergleich zu den Jahren 1914—16 erheblich abgenommen. Die 
Tuberkulosesterblichkeit erfuhr während der Berichtszeit einen nicht unbe¬ 
trächtlichen Rückgang (1919: 85996 Todesfälle = 21,9 auf 10000 Einwohner, 
1920 : 59788 Todesfälle = 16,3 auf 10000 Einwohner. 

Sehr im argen liegt das Wohnungswesen. Die Bautätigkeit bat zwar 
zugenommen, aber der Wohnungsmangel ist beträchtlich und hat vielfach be¬ 
denkliche Formen angenommen. 

Die Nahrungsmittelknappheit nebst dem hohen PreiB dafür hat die Zahl 
der Verfälschungen erneblich steigen lassen. Erkrankungen infolge Genusses 
verdorbener Nahrungsmittel kamen nicht selten, verschiedentlich epidemieartig 
vor. Der Alkoholmißbrauch ist leider wieder in der Zunahme begriffen. 

Die Jugend im schulpflichtigen Alter leidet noch immer stark unter der 
ungenügenden Ernährung, wenn auch — dank der Quäkerspeisungen — eine 
gewisse Besserung eingetreten ist. 

Die Kurpfuscher stehen „in bisher nie dagewesener Blüte“. 

So sind es teils erfreuliche, teils aber auch betrübende Bilder, die hier 
vor Augen geführt werden. S o 1 b r i g. 


Prot Dr. Q. Grober in Jena: Das deutsche Krankenhaus. Unter Mit¬ 
wirkung von Prof. Dr. E. Dietrich, Wirkl. Geh. Med.-Rat nnd Ministerial¬ 
rat in Berlin und zahlreichen Mitarbeitern herausgegeben. Zweite Auflage. 
Mit 380 teilweise farbigen Abbildungen im Text, einer lithographischen Tadel 
und einer Beilage. Jena 1922. Gr. 8°, 932 Seiten. Preis: 300M., geb. 360M. 

Die zweite Auflage des schon Beit Jabren vergriffenen Werkes soll neben 
seiner bisherigen Aufgabe einer Darstellung des deutschen Krankenhauswesens 
und seiner Entwicklung dem Ausland den Beweis erbringen, daß sich unser 
Vaterland trotz der traurigen augenblicklichen Verhältnisse bemüht hat, sich 
auch weiterhin den Vorrang auf diesem Gebiete zu sichern. Gegenüber der 
ersten Auflage hat deshalb das Werk mancherlei Verbesserungen und Umände¬ 
rungen erfahren, ohne daß sich sein Umfang selbst vergrößert hat. Insbesondere 
ist der zweite Abschnitt über die Bauausführung der Krankenhäuser, der jetzt 
von dem Stadtbaurat Winterstein in Charlottcnburg bearbeitet ist, voll¬ 
ständig umgearbeitet; an Stelle des fortgefalienen Abschnittes über militärische 
Krankenanstalten ist ein neuer Abschnitt über Krankenhäuser für Leicht- und 
Chronischkranke getreten, der von Ministerialdirektor Prof. Dr. A. Gottstein- 
Charlottenburg verfaßt ist. Vollständig neubearbeitet ist endlich der Abschnitt: 
„Behördliche Bestimmungen über Anlage, Bau, Einrichtung und Betrieb von 
Krankenanstalten“ (Geh. Ob.-Mcd.-Rat Dr. K r o h n e - Berlin). Alle übrigen Ab¬ 
schnitte haben von den bisherigen Verfassern zeitgemäße Umänderungen erfahren; 
einige der Verfasser haben sich dabei noch in anerkennenswerter Weise bemüht, 
alle Fremdwörter zu vermeiden. Dem Werke würde es bei einer künftigen Neu* 



Tagesnachrichten. 


auflage zum Vorteil gereichen, wenn dies in «llen Abschnitten geschehen 
wGrde; desgleichen sollten der größeren Einheitlichkeit wegen bei allen Ab* 
schnitten and nicht blos bei einigen Literaturverzeichnisse beigelügt and diese 
einheitlich alphabetisch geordnet werden. In einem Werke, das mit Recht den 
Titel „Das deutsche Krankenhaus" führt, berührt es übrigens eigentümlich, 
wenn unter den Beispielen von Bauplänen auch ausländische, nicht einmal 
besonders hervorragende Krankenanstalten in Abbildung mitgeteilt werden; sie 
können unseres Erachtens recht gut entbehrt und durch einheimische Muster¬ 
beispiele ersetzt werden. Das im übrigen vortreffliche und auch von dem 
Verlag gut ausgestattete Werk wird dann noch in erhöhtem Maße den Wunsch 
des Verfassers erfüllen, daß es „bei uns Nutzen stiften und draußen für Deutsch¬ 
land werben möge“. _ Rpd. sen. 


Kedinlnalrat Dr. Blume: Der Samariter. I. Leitfaden für die erste Hilfe 
bei Unglücksfällen. II. Abbildungen dazu. 6. Auflage. Karlsruhe 1922. 
Verlag von G. Braun. Kl. 8. 5S S. Preis: 18 M. 

Der kleine Leitfaden, dessen 3. Auflage in dieser Zeitschrift 1914 S. 486 
besprochen wurde, hat seitdem verschiedene weitere Auflagen erlebt, ohne daß 
wesentliche Aenderungen daran vorgenommen sind. Der Text ist so eingeteilt, 
daß der Arzt danach in 5 Doppelstunden den Unterricht in der ersten Hilfe 
erteilen kann. Die Abbildungen ergänzen den Text. Dem Notheifer soll zu- 

{ gleich damit ein Ratgeber in die Hand gegeben werden. Die mehrfachen Anl¬ 
agen sprechen von selbst für die Zweckmäßigkeit des Dargebotenen. 

_ Solbrig. 


Tagesnachrichten. 

In einer Denkschrift, die bereits im Sommer dem Landtag überreicht 
wurde, hat das Preußische Woblfahrtsministerium den gesetzlichen Austausch 
von Gesnndheitszengnissen vor der Ehe warm befürwortet. 

Jetzt hat der bevölkerungspolitische Ausschuß des Landtages folgende 
Anträge angenommen: 

1. Das Staatsministerium wird ersucht, dem Landtag möglichst bald 
eine Gesetzesvorlage zugehen zu lassen, durch die vor Eingehung einer Ehe 
der Austausch von Gesundheitszeugnissen vorgeschrieben wird mit der Maßgabe, 
daß daraus nicht die Folgerung eines Eheverbots gezogen wird; 

2. an allen Universitäten öffentliche Vorlesungen über Vererbungslehre 
vornehmlich für die angehenden Aerzte halten zu lassen; 

8. in den Schulen und Fortbildungsschulen in einer dem Verständnis 
der Jugend angepaßten Form Belehrung über die gesundheitlichen Grundlagen 
der Ehe erteilen zu lassen. (Deutsche med. Wochenschrift, 1922, Nr. 46.) 


Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten hat in ihrer letzten Ausschußsitzung den durch den Tod ihres lang¬ 
jährigen Vorsitzenden Bla sch ko frei gewordenen Posten des Vorsitzenden 
dem Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Jadassohn in Breslau übertragen. 

In den Ausschuß ist neu berufen der Reg.- und Geh. Med.- Rat 
Dr. Solbrig in Breslau. _ 


Ein Fortbildnngslehrgang für Kreisärzte ln Preußen findet in Berlin 
in der Zeit vom 13. November bis 2. Dezember statt. 24 Teilnehmer waren aus 
den verschiedenen Regierungsbezirken dazu einberufen, außerdem 3 nicht¬ 
preußische Medizinalbeamte (aus Arolsen, Danzig und Zerbst). 

Nach der vorliegenden Zeiteinteilung sind Vorträge und Uebungen im 
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“, im Institut für Staatsarznei- 
künde, im hygienischen Institut der Universität, im Oskar-Helenenheim in 
Dahlem, im Institut für angewandte Psychologie, in der Staatlichen Nahrungs- 
mitteluntersuchungsanstalt, ferner Vorträge in der Landesanstalt für Wasser¬ 
hygiene, im Pathologischen Institut des Krankenhauses Westend, in der Landes¬ 
versicherungsanstalt Berlin, im Kaiserin Auguste Viktoriahaus und im 
Ministerium (über Seuchenvorschriften, Medizinalstatistik und Leibesübungen) 
vorgesehen. — Wie man sieht ein reiches, abwechslungsvolles Programm, das 



634 Tagesn&chrichten. < 

gewiß nicht verfehlt haben' wird, die Teilnehmer in hohem Maße za fesseln 
and za fördern! 


Aas Bayern wird über neuerdings dort wieder eingeführte Titel* 
Verleihungen folgendes geschrieben (Münch, med. Wochenschrift): 

„Die seit längerer Zeit angekündigte Ernennung einer größeren Zahl 
bayerischer Aerzte zu Sanitätsräten and Geheimen Sanitätsräten ist jetzt er¬ 
folgt. Man kann es bedauern, daß die durch die neue deutsche Verfassung 
ausgesprochene Abschaffung der Titel auf dem Papier stehen geblieben ist; 
nachdem aber einmal mit der Verleihung aller möglichen anderen Titel, ins¬ 
besondere des Jastizrattitels an Bechtsanwälte und Notare, der Verfassungs- 
paragraph durchlöchert war, war es begreiflich, daß auch die Aerzte die 
Wiedereinführung des beliebten Titels forderten. Die Regierung konnte sich 
der Berechtigung dieser Forderung nicht entziehen. Für die Abschaffung der 
Titel scheint das deutsche Volk noch nicht reif zu sein. Das haben unsere 
Begierungen selbst bewiesen, die mit Hilfe einer weiten Auslegung des Be- 

? >riffe8 ,Dienstbezeichnung 1 eine Flat neuer Titel geschaffen und dadurch auch 
n nichtbeamten Kreisen den Wunsch nach den alten eingebürgerten Titeln 
wieder erweckt haben.“ 

Man wird kaum in der Annahme fehlgehen, daß auch in anderen Ländern 
die Wiedereinführung der Verleihung des „8anitätsrats“ oder „Geheimen 
Sanitäterats“ in Aerztekreisen nicht ungern gesehen werden würde! 


Gerichtliche LelchenSffnongen Unter Zuziehung eines Pathologen in 
Sachsen. 

Das Sächsische Landesgesundheitsamt hat angesichts der für die Zwecke 
der Rechtspflege nicht allenthalben befriedigenden Sektionsberichte angeregt, 
daß künfiig zu jeder gerichtlichen Leichenöffnung neben dem Gerichtsarzt in 
der Regel ein Facharzt für pathologische Anatomie zugezogen werde (§ 87 
8LP.OA 

Das Justizministerium stimmt mit dem Ministerium des Innern darin 
überein, daß der Zuziehung eines pathologischen Anatomen in jedem einzelnen 
Falle zurzeit im Hinblick auf die hierdurch zu erwartenden Mehrkosten über¬ 
wiegende Bedenken entgegenstehen. Von der Zuziehung eines solchen Arztes 
wird insbesondere dann abgesehen werden können, wenn der Fall eine dadarch 
bedingte Verzögerung nicht verträgt oder wenn aus besonderen Gründen, deren 
Beurteilung im einzelnen Falle dem pflichtgemäßen richterlichen Ermessen über¬ 
lassen bleiben muß, der entstehende Mehraufwand nicht gerechtfertigt erscheint 

Diesen Erlaß hat das Sächsische Ministerium der Justiz kürzlich heraus¬ 
gegeben und dazu bemerkt, daß der Generalstaatsanwalt die Staatsanwalt¬ 
schaften veranlassen wolle, diesen Gesichtspunkten vorkommendenfalls Rech¬ 
nung za tragen. Das Ministerium des Innern veröffentlicht diesen Erlaß unter 
dem 15. September 1922. 

Dieses Vorgehen bedeutet ein Novum in der Obduktionspraxis. Es will 
ans scheinen, daß zum mindesten da, wo besondere Geriehtsärzte tätig sind, 
die Zuziehung eines pathologischen Anatomen entbehrlich sein dürfte! 


Mitteilung der Schriftleitung. 

Die Herausgabe dieser Nummer hat sich leider verzögert. Sebald daran 
war, daß eine Sendang an die Druckerei nicht angekommen ist, wovon der 
Schriftleiter erst im letzten Augenblick Kenntnis erhielt. Einige Manuskripte 
und Mitteilungen sind auf diese Weise verloren gegangen. Unter anderen 
soUte diese Nummer Mitteilungen des Vorstandes und Näheres 
über die neueBesoldang bringen. Dies wird alsbald nachgeholt werden. 
Die betr. Autoren, deren Beiträge leider abhanden gekommen sind, werden be* 
sonders benachrichtigt werden. 


Verantwortlich für die Behrlftieitung: Geh. Med.-Rat Dr. Bolbrlf, Heg.- n. Med.-Rat ln Breelaa 
Breslau V, RehdlgerstraAe 84. — Druck tob J. 0. O. Bruns, Minden L W. 






3. Dez. 1922. 


35. Jahrii.Nr.33. 


ZEITSCHRIFT 


FÜR 


MEDIZINALBEAMTE 


1888 mitbegründet und von 1882 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prol. Dr. RAPMUND. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin nnd Psychiatrie, des sfoat- 
liehen und privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und 
Öffentliche Gesundheitswesen, elnschl. der praktischen und sozialen Hygiene. 

Her&nsgegeben von 

Med.-Rat Dr. Bnndt- Halle a. S., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger- München, 
Prof. Dr. Kaup-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat 
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schultze- Göttingen, Prot 
Dr. Sleveklng-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straflmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 


Offizielles Organ des Deutschen. Preusslscben. Bayerischen. Sächsischen, 
Wfirttemberglscben. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischem. Thüringischen 
und Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins. 

Eine Beilage: Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung. 

Schriftleitung: Verlag: 

Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Flscber’s med. Mhandluug H. Hornleid, 

leg.- h. Med.- Rat in Breslau. Berlin W. 62 . KeittistraBe 5 . 

Bezugspreis für das IV.Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 M. 


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Proben und Literatur vom Le ein werk Hannover. 







Zeitschrift für MedizinalbeaiiiLe, 


Kleinere Mitteilungen and Referat* au« 
Zeltsohriften. 

Dr. Ascher: ZwauKsimplun« und Blattern- 

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Dr. J. R Spinner: A**r/te al* Uiffm^ehcr. 6i5 

Besprechungen > . . - > . . 645 

Tagesnaohrtohten..646 

Ofhubreo und Dito»Uufw&ud.04? 

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Bekanntmachung d»*i Vor*(«nde* drsPrfäö. 

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Beilage: 

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ModizUial^p^etz^nbao^ » . i . . t<tt 

Umschlag-: FVrson*Jien. 

Personalien. , 

Deutschen Reich und Preussen. 

Dem Privutdozent Dr. Hilgers an der Universität Königsberg ist ein 
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Bericht übor di« 3. Vornan» tu Lu Dg d»> Mtoil- 
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MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegrQndet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.- Rai Prot. Dr. RAPMUNO. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene 

Heraasgegeben Ton 

Med.-R&t Dr. Bandt- Halle a. 8., Ober-Reg.- Rat Dr. Frickhlnger-München, 
Prot. Dr. Kanp-München, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Pappe-Breslao, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Qucrfurt, Med.-Rat 
Dr. Rogowski- Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Göttingen, Prof. 
Dr. Sieveking- Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann- Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden and Kreisarzt 

Dr. Wollenweber- Dortmund. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
WOrttembergischen, Badischen, Hessischen, Mecklenburgischen, 
Thüringischen u. Braunschweigischen Medizinalbeamtenvereins 

Schriftleitung: Verlag: 

Geh. Med.-Rat Dr, Solbrlg, Flscber’s raed. Buchbandlang fl. Kornfeld, 

Big.- 1 . lad.-Bat In Breslaa. Berlin V. 62, KeltbstraBa 5. 

Bezugspreis für das IV. Vierteljahr durch die Post bezogen: 53 Mark. 


Nr. 23. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monats 


5. 


Dez. 


Ein Schlusswort. 

Von Eireismedizinalrat Dr. Hahn - Königsberg i. Pr. 

Die „Entgegnung des Stadtmedizinalrats Dr. Jankowski“ 
in Nr. 20 dieser Zeitschrift geht um den Kern meines Artikels 
„Gegen den Kreisarzt“ herum. 

Ob Dr. J. im übrigen die Aufgabe der „Zentralisation 
des Gesundheitswesens in einem Bezirk mit folgender weitest¬ 
gehender Dezentralisation“ in der Weise gelöst sehen will, daß 
der historisch ältere — und im speziellen Fall auch bezüglich 
Lebens- und Dienstalter ältere — „Kreisarzt“ Zentralstelle 
werden soll? 

Dr. J. spricht von „unnötiger Schärfe“! Nun — wenn 
die „Arbeitsgemeinschafts-Bestrebungen“ der Kommune und 
ihres ärztlichen Beraters schließlich darin gipfeln, daß das Amt 
des Staatsmedizinalbeamten zu einem Torso verstümmelt werden 
soll — nämlich wenn diesem gütigst noch „die Ueberwachung 
des Meldewesens der Medizinalpersonen, des Heilgewerbes und 
der Prostitution gestattet wird“, ist’s da zu verwundern, daß 
der Kreisarzt sich mit aller Schärfe zur Wehr setzt, zumal es 









626 


Dr. Aust. 


sicherlich nicht dem Gesundheitswesen zum Heil gereichen 
wird, wenn das kreisärztlichg Amt — auch nur teilweise — in 
kommunale Hände übergeht. 

Vielleicht und — hoffentlich — setzt kommunalerseits 
ein freundlicherer und befriedigenderer Geschäftsverkehr ein, 
sobald die Zentralbehörde endgiltig ihren Standpunkt dahin be¬ 
kannt gibt, daß die bisherigen Befugnisse des Kreisarztes voll 
bei dem Staatsbeamten bleiben. 

Was die Ausführungen zu der Paratyphusepidemie an¬ 
betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß das Wasserwerk zu den 
„Städtischen Werken G. m. b. H.“ gehört und daß die Kreis¬ 
ärzte korrekt mit dieser „Firma“ und dem Hygienischen Institut 
gearbeitet haben. Bezüglich der „Richtigstellung in der Presse“ 
muß ich auf Detaillierung verzichten; sie käme auf eine 
Polemik hinaus. Ich kann es mir aber nicht versagen, zu be¬ 
merken, daß der Herr Minister auf Grund der von seinen 
Fachreferenten getroffenen Feststellungen den bei der Be¬ 
kämpfung der Paratyphus-Wasserleitungsepidemie beteiligten 
Beamten seine volle Anerkennung ausgesprochen hat, und daß 
das Vorgehen des Herrn Polizeipräsidenten (dessen technischer 
Berater ja der Kreisarzt ist) als „korrekt und, wie auch der 
Erfolg gelehrt habe, als durchaus zweckmäßig“ anerkannt 
worden ist. 

Sapienti sat — schließe auch ich. 


Die Amtsun kosten 
der preussischen Medizinalbeamten. 

Von Med.-Rat Dr. Aust in N&aen. 

Die preußische Regierung hat bereits in der Vorkriegszeit 
wiederholt anerkannt, daß die Teilbesoldung der Kreisärzte nicht 
mehr den an sie gestellten Dienstanforderungen entspricht. Im 
Verfolg der in dieser Richtung seit langen Jahren gepflogenen 
Verhandlungen ist die Absicht des zuständigen Ministeriums 
und der Staatsregierung, die Durchführung der allgemeinen 
Vollbesoldung der Kreisärzte zu beschleunigen, nachdrücklich 
betont worden. Als Erfolg der diesbezüglichen Bestrebungen 
des Wohlfahrtsministeriums ist zu buchen, daß gegenwärtig 
43 °/ 0 aller Kreisärzte vollbesoldet sind. 

Daß die Kreismedizinalbeamten in ihrer überwiegenden 
Mehrzahl vollbeschäftigt sind, bedarf in diesen Blättern und an 
den maßgebenden Stellen des zuständigen Ministeriums keiner 
Begründung mehr, und wenn noch viele Kreisärzte bei völliger 
Unmöglichkeit der Ausübung von Privatpraxis seit Jahren 
der Vollbesoldung harren, so kann der Grund nur in der 
Richtung der staatlichen Sparsamkeitsbestrebungen zu suchen 
sein, da andere Gründe nicht ersichtlich sind. Wiewohl sich 
gegen diese Art Sparsamkeitsbetätigung zu Lasten einer be- 



Die Amtsankosten der preußischen Medizinalbeamten. 


627 


stimmten Beamtengruppe sehr viel einwenden läßt, haben sich 
die in Frage kommenden Kreisärzte doch mit der Versicherung 
einer schnelleren Durchführung der allgemeinen Vollbesoldung 
zunächst abgefunden. Ob aber ein solcher Zustand von halber 
Hoffnung und halber Entsagung noch lange anhalten wird, 
erscheint bei der unheimlich steigenden Teuerung und der Un¬ 
möglichkeit vieler Med.-Beamten, nennenswerte Nebeneinnahmen 
zu erzielen und sich dadurch wirtschaftlich über Wasser zu 
halten, mehr als fraglich. Das um so mehr, als die meisten 
voll- und halbbesoldeten Kreisärzte infolge der gänzlich un¬ 
zureichenden Amtsunkostenentschädigung gezwun¬ 
gen sind, den größten Teil der Nebeneinnahraen auf die tat¬ 
sächlichen Aratsunkosten zu verwenden. Bei den vielbeschäf¬ 
tigten vollbesoldeten Kreisärzten verschlingen die Amts¬ 
unkosten schon jetzt fast alle Nebeneinnahmen. Der 
Betrag der 1921 festgesetzten und seitdem trotz der Teuerung 
imveränderten Aratsuükostenentschädigung von 3600 bezw. 
2400 Mk. ist ein so winzig niedriger, daß er heute nicht einmal 
mehr zur Beschaffung der allernotwendigsten Copialien aus¬ 
reicht. So mußte z. B. ein Kreisarzt kürzlich berichten, daß 
er nicht mehr in der Lage sei, ein Tagebuch zu führen, 
da der Neuanschaffungspreis eines solchen die Summe seiner 
gesamten Amtsunkostenentschädigung übersteige. Wenn man 
bedenkt, daß die tatsächlichen Amtsunkosten genau in dem 
Maße gestiegen sind, wie die Preise für Papier, Formulare, 
Tinte, Feuerung, Beleuchtung, Wohnungsmiete, Handwerker¬ 
preise, Bedienung, Gehalt für Schreibhilfe usw. — nämlich um 
das 800 bis 1000 fache —, so ist aus der Bemessung einer Amts- 
unkostenentschädigung von 3600 Mk. für den vollbesoldeten 
und von 2400 Mk. für den nicht vollbesoldeten Kreisarzt, also 
auf das Drei- bis Vierfache, zu schließen, daß die Staatsregierung 
von den Kreisärzten verlangt, sie sollen die an den tatsächlichen 
Unkosten fehlenden großen Summen aus eignen Mitteln be¬ 
streiten. ln der Tat ist ihnen auch bisher nichts anderes übrig 
geblieben, und da die nur auf den 30 fachen Friedenswert fest¬ 
gesetzten Gebühren gegenüber den mit der bisher 800 bis 
1000 fachen Markentwertung stetig steigenden Amtsunkosten 
trotz aller Weisheit der Finanzmänner immer geringer werden 
müssen und für die Deckung der Amtsunkosten bald nicht 
mehr ausreichen können, so ist mit mathematischer Sicherheit 
damit zu rechnen, daß die meisten Kreisärzte nunmehr ge¬ 
zwungen sein werden, die Unkosten für den Staat auch noch 
von der Substanz ihres Gehalts zu ergänzen. 

In der Vorkriegszeit wurde den vollbesoldeten Kreisärzten 
eine Amtsunkostenentschädigung von 1200 Mk., den nicht voll¬ 
besoldeten von 450—600 Mk. gewährt. 

Daß mit dieser Entschädigung die meisten Kreisärzte sich 
zufrieden gaben, obwohl sie auch damals für die Bürobedürf¬ 
nisse nicht ausreichte, lag daran, daß Frau oder Tochter im 
Büro halfen, die Instandhaltung der Büroräume, ihre Heizung 



628 


Dr. Aast. 


und Beleuchtung usw. au! allgemeine Haushaltungskosten mit 
übernommen wurden und die Kreisärzte noch meist in der 
Lage waren, einen großen Teil ihrer schriftlichen Büroarbeiten 
selbst zu erledigen. Das ist heute, nachdem die Arbeitslast 
vielfach auf das Doppelte gestiegen ist und die Kraft der Haus¬ 
frau oder Tochter bei den Riesenlöhnen der Dienstboten und 
deren „Mentalität“ mehr als voll im Haushalt ausgenützt werden 
muß, einfach unmöglich. Es muß unbedingt bestritten werden, 
daß ein vollbeschäftigter Kreisarzt heute noch physisch in der 
Lage ist, neben seiner hochwertigen geistigen Amtsarbeit 2 bis 
3 Stunden täglich sich mit Journaleintragungen, Registratur¬ 
arbeiten und Abschriften oder Maschinenschreiben zu beschäf¬ 
tigen, ohne in kurzer Zeit unter solcher Last zusammenzubrechen. 
Diese Frage muß heute als ganz indiskutabel ausscheiden. 

Der Med.-Beamte ist, wie jeder vollbesoldete Staatsbeamte, 
berechtigt, vom Staate zu verlangen, daß die für die Durchführung 
seiner amtlichen Tätigkeit nötigen Geldmittel vom ersteren 
voll zur Verfügung gestellt werden. Die Flut der Erlasse und 
Verfügungen, die die Forderungen an rein büromäßige Arbeit 
der Kreisärzte in steigendem Maße erhöht hat, setzt, so not¬ 
wendig sie sein mag, mit logischer Folge die Zuwendung 
der für die technische Durchführung aller dieser Forderungen 
notwendigen Einrichtungen und Anschaffungen voraus. Bisher 
haben die Kreisärzte sich nicht nur mit der winzigen Amts¬ 
unkostenentschädigung begnügt, sondern sogar noch die ledig¬ 
lich für die Amtstätigkeit nötigen Büroeinrichtungen auf 
eigene Kosten angeschafft und unterhalten und dadurch dem 
Staate große Summen erspart. Sie waren sozusagen halb im Ehren¬ 
amt tätig. Die gegenwärtigen Verhältnisse mit ihren hohen 
Ansprüchen an die Med.-Beamten fordern nunmehr aber gebie¬ 
terisch eine Lösung auch dieser Frage in dem einen oder andern 
Sinne. Entweder stelle der Staat jedem Medizinalbeamten ein 
voll ausgerüstetes Büro mit allen Gebrauchsmitteln nebst den 
tatsächlichen Unterhaltungskosten zur Verfügung, wie jedem 
anderen Beamten von gleichem Dienstbetriebe, oder er gewähre 
ihm eine Dienstaufwandentschädigung, die dem tatsächlichen 
Aufwande entspricht. Eine Berechnung der notwendigen Summen 
ist durch Vergleich mit anderen Beamtenkategorien z. B. den 
Gewerbeaufsichtsbeamten, den Oberförstern, den Bauräten u. a. m., 
denen ihre Amtsunkosten restlos wiedererstattet werden, durch¬ 
aus einfach. Sie werden jedenfalls eine ganz andere Höhe 
erreichen, als die von uns bisher vergeblich geforderte Amts¬ 
unkostenentschädigung und dem Staate vor Augen führen, 
welche gewaltigen Summen ihm die Med.-Beamten durch die 
bisherige Methode zum Schaden der ihnen zustehenden Ein¬ 
künfte und ihrer Gesundheit gespart haben. Der Zustand, daß 
der Staat noch länger sozusagen Kostgänger bei einer durch 
Art, Gefahr und Umfang ihrer Tätigkeit und durch geringe 
Aufstiegsmöglichkeit ohnehin besonders benachteiligten Beamten¬ 
gruppe sein könne, ist unhaltbar. 



Die Amtsankosten der preußischen Medizinalbeamten. 


629 


Die Einwendungen gegen eine volle Aratsunkostenent- 
schädigung sind ebenso bekannt wie unbegründet. Die beiden 
Hauptbedenken, nämlich die Höhe der kreisärztlichen Neben¬ 
einnahmen und die Mitbenutzung der Büroräume und -einrich- 
tungen zu privaten Zwecken sind leicht zu widerlegen. Man 
mahnt nicht selten in den Kreisen der Med.-Beamten selbst, 
mit den Forderungen zurückzuhalten, da die Nebeneinnahmen 
doch nun einmal tatsächlich vorhanden seien und eine Ent¬ 
ziehung derselben durch den Ersatz der vollen Amtsunkosten 
nicht ausgeglichen werden könnte. Ich bin ganz entgegenge¬ 
setzter Ansicht. Wir brauchen mit unseren Nebenein künlten 
durchaus nicht hinter dem Berg zu halten und können uns mit 
vollem Recht au! andere Beamtengruppen berufen. 

Ich kenne heute nur wenige höhere und mittlere Beamte, 
die nicht eine Nebenbeschäftigung mit Nebeneinkünften hätten, 
ohne daß die Vorgesetzte Behörde bisher auf den Gedanken 
verfallen wäre, ihnen diese etwa zu verbieten oder auf ihr 
Gehalt anzurechnen. Hat man den staatlichen Studienräten je 
Privatunterricht oder fortlaufende literarische Tätigkeit verboten 
und die aus dieser Tätigkeit gewonnenen Einkünfte ihnen nach¬ 
gerechnet oder gar von ihrem Gehalt abgezogen? Erhalten 
nicht die staatlichen Richter für ihre Tätigkeit an den Versor- 

f ungsgerichten und an den Mieteinigungsämtern entsprechende 
Intschädigungen, ohne daß ihnen diese auf das Gehalt ange¬ 
rechnet werden, obwohl sie während dieser Nebentätigkeit 
dem Staatsdienst entzogen werden? Oder will man etwa 
behaupten, daß die Landräte, die Bauräte, Regierungs- und 
Med.-Räte und selbst die höheren Verwaltungsbeamten der 
Ministerien ausnahmslos trotz ihrer meist weit höheren Gehäl¬ 
ter ohne Nebenämter und Nebeneinkünfte seien? Die meisten 
Beamten der Gruppen VII—XII sind, da trotz aller Aufbesserungen 
das hundertfache Gehalt gegenüber einer 800 bis 1000 fachen 
Teuerung mit mathematischer Bestimmtheit durchaus unzu¬ 
reichend ist, einfach zu Nebenverdiensten gezwungen, um nicht 
zu hungern. Weshalb hält man ausgerechnet den Med.-Beamten 
ständig ihre Nebeneinkünfte vor und verlangt nur von ihnen 
allein, diese zur Deckung der staatlichen Dienstunkosten zu 
verwenden? Die Versorgungsärzte sind vollbesoldet, rangieren, 
obwohl sie keine besondere staatsärztliche Prüfung zu absol¬ 
vieren brauchen, in den Gehaltsgruppen X— XII, besitzen ihre 
staatlichen Büros und reichliche Bürohilfe, ohne auch nur einen 
Pfennig dafür aufwenden zu brauchen und sind durch keine 
Bestimmung an der Ausübung von Privatpraxis gehindert, die 
den nur in Gruppe X— XI rangierenden Kreisärzten untersagt 
ist und zu deren Ausübung sie infolge ihrer dienstlichen Inan¬ 
spruchnahme auch gar keine Zeit hätten. 

Es scheint nicht überflüssig zu sein, darauf hinzuweisen, 
daß die Kreisärzte, wie keine andere Beamtengruppe, einer 
besonders langen und kostspieligen Vorbildung bedürfen, daß 
sie die nur für sie besonders vorgeschriebene staatsärztlichc 



680 


Dr. Aast. 


Prüfung in einem Alter ablegen müssen, in dem andere Beamte 
längst in Amt und Würden sind, daß sie die staatliche An¬ 
stellung durchschnittlich erst im 35. Lebensjahre erhalten und 
daß ihr Beruf sie, wie z. B. bei der Seuchenbekämpfung und 
bei Leichenöffnungen, mehr als jeden anderen Beamten in 
Gefahr bringt. Sie glauben, in der gleichen Gefahrenklasse, 
wie beispielsweise die Beamten der Schutzpolizei und des Eisen¬ 
bahnfahrdienstes zu sein und das gleiche ihnen bisher hartnäckig 
verweigerte Anrecht auf „besondere Stellung“ mit entsprechend 
höherer Gehaltsgruppierung, wie jene, zu besitzen.*) Es scheint 
nach allen bisherigen Erfahrungen sich nicht zu erübrigen, 
darauf hinzuweisen, welche Opfer in dieser Hinsicht die Med.- 
Beamten der Allgemeinheit bereits gebracht haben, wie die 
22°/o Verluste an Seuchen allein in Polen beweisen, nicht zum 
Zweck der Selbstbeweihräucherung, sondern um uns selbst die 
schier unverständliche und meist missverstandene Bescheiden¬ 
heit endlich einmal abzugewöhnen. Wir haben nicht nötig, mit 
unseren Leistungen gegenüber anderen Beamten zurückzuhalten, 
mit Entsagung die winzige Amtsunkostenentschädigung als etwas 
Gottgewolltes hinzunehmen und unsere Nebeneinkünfte etwa 
als außergewöhnliche vom Staate mit stillschweigendem Wohl¬ 
wollen genehmigte Zuwendungen schamhaft zu verschweigen 
und froh zu sein, wenn wir mit ihnen die staatlichen Amts¬ 
unkosten decken können. 

Tatsächlich liegen die Verhältnisse heute doch so, daß 
die Nebeneinnahmen meist unter ausnehmend niedriger Fest¬ 
setzung der Entschädigung in außerdienstlicher Überstunden¬ 
arbeit verdient werden müssen und die Nebenämter nur in 
ganz geringem Maße die Mitbenutzung der selbstangeschafften 
Büroeinrichtungen erfordern. Und wenn die Kreisärzte auf den 
Erlaß des Min. f. Volks Wohlfahrt vom 13. März d. J. auf Ehre 
und Gewissen ihre tatsächlichen Amtsunkosten berechnen 
mußten und von diesen etwa ein Drittel als für private Zwecke 
verwendet abzogen, was weit über die wirklichen Summen hinaus¬ 
geht, so haben sie ein Anrecht darauf, daß solche Berichte in der 
Richtung Verwendung finden, in der sie gefordert wurden, 
nämlich zu der endlichen Festsetzung und Nachzahlung einer 
den Zeitverhältnissen entsprechenden Amtsunkostenentschädi¬ 
gung. Das soll nicht als Almosen aus Mitleid für ihre Lage 
betrachtet werden, sondern eine Rückerstattung der 
Summen sein, die sie seit Jahr und Tag für den 
Staat verauslagt haben. 

In anderen Bundesstaaten hat man besondere Gerichts¬ 
ärzte. In Preußen versehen trotz des unleugbar gleichen Be¬ 
dürfnisses die vollbesoldeten und meist ohnehm schwer arbeits- 


*) Nach der Statistik der Gothaer Bank über einen 78 jährigen Zeitraum 
betrag die Sterblichkeitsziffer a) für Gymnasiallehrer 83, b) für Geistlicüe 86, 
c) für Forstbeamte 88, d) für Aerzte 110. Die hohe Sterblichkeit der Aerate 
wird mit Becht auf die berufliche Ansteckungsgefahr zurückgeführt, was für 
die Medizinalbeamten natürlich erst recht zutrifft. 



Hygiene und soziale Medizin im Volksbelehrongsfilm. 


631 


belastenden Kreisärzte die wahrlich nicht leichte und angenehme 
gerichtsärztliche Tätigkeit vorwiegend in außerdienstlicher Zeit, 
wodurch sie dem Staate Millionen von Gehältern für die beson¬ 
deren Gerichtsärzte sparen. Daß sie die gerichtsärztlichen 
Gebühren für diese Mehrarbeit obendrein noch der Staatskasse 
zuführen müssen, ist eine unbillige Ausnahmebestimmung, deren 
Beseitigung ebenfalls seit Jahr und Tag vergeblich angestrebt wird. 

Mit dem Ablieferungszwang für die gesamten sogenann¬ 
ten amtsärztlichen Gebühren befinden sich die vollbesoldeten 
Kreisärzte bereits in einer nachteiligen Ausnahmestellung, eine 
solche ist ihnen weiter mit der Beschränkung auf die Gehalts¬ 
gruppen X—XI und mit der ihnen auf gezwungenen Amtsbe¬ 
zeichnung zugewiesen, man verlange nicht noch von ihnen, 
daß sie dem Staate durch Überstundenarbeit die Kosten für 
die Amtsführung verdienen oder gar aus dem Gehalte ergänzen. 
Man befreie sie endlich von der dauernden wirtschaftlichen 
Bevormundung, deren sie ebensowenig bedürfen, wie andere 
Beamtengruppen, stelle sie diesen gleich und nehme die dies¬ 
bezüglichen Vorschläge des Ministeriums für Volks Wohlfahrt, 
dem ihre Lage wohl bekannt ist, endlich an, sonst müßten sie 
schließlich zu dem niederdrückenden Glauben gelangen, ihre 
berechtigten Forderungen fänden nur deshalb kein Gehör, weil 
hinter ihnen nicht die große Masse steht. 

Nicht nur die historische Sparsamkeit hat Preußen hoch 
gebracht, sondern auch das nicht minder bedeutungsvolle „suum 
cuique“. _ 

Hygiene undsozialeMedizinimYolksbelehrnngsfllm. 

Von Dr. Curt Thomalla, Leiter des medizinischen Filmarchivs bei derKultur- 
abteilnng der Universum-Film A.G. 

(Schluß.) 

III. Die gegenwärtige Lage der Lehrfilm-Industrie. 

Die Kämpfe und Nöte der Film-Firmen, die das gewaltige 
Risiko der Lehrfilm-Produktion als nobile officium übernommen 
hatten, wird am besten illustriert, wenn die dem Volkswohl- 
fahrtsministerium, dem medizinischen Ausschuß an der Bildstelle 
des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht, der Reichs¬ 
filmstelle im Ministerium des Innern usw. eingereichte Denk¬ 
schrift auszugsweise im Wortlaut wiedergegeben wird: 

Die Eulturabteilung der Universum-Film-Aktiengesellschaft war auf Be¬ 
treiben verschiedener Behörden ins Leben gerufen worden, die in der Produktion 
hochwertiger, wissenschaftlich-einwandfreier Lehrfilme das beste Gegenmittel 
gegen Auswüchse des Kinowesens zu sehen glaubten. Leider ist nach der 
Gründung der Kulturabteilung nnd nach Einsetzen einer äußerst umfangreichen' 
und sehr kostspieligen, mit zahllosen vergeblichen Experimenten und Versuchen 
verbundenen Produktion das praktische Interesse bei den gleichen Behörden, 
die am dringendsten eine Lehr- oder Kulturfilm-Produktion forderten, nicht 
erhalten geblieben. Während im Auslande, vor allem in Amerika, die Lehrfilm¬ 
industrie derartige unrentable und schwer auszuwertende Belehrungsfilme nie 
auf eigenes Risiko herstellt, sondern sie vom Staat oder großen halbamtlichen 
Wohlfahrtsorganisationen in Auftrag erhält, war dies in Deutschland nicht zu 
erreichen; vielmehr bat die Universum-Film A.G. das Risiko für ihr Lehr- 



632 


Or. Curt Thomalla. 


filmunternehmen selbst tragen müssen and bat es als ihre Ehrenpflicht ange¬ 
sehen, trotz zahlloser Enttäuschungen bisher auf dem beschrittenen Wege 
fortzugehen. Aber wenn auch von einer „Kulturabteilung“ keine Ueberschüsse 
erwartet werden, so ist es doch selbst dem kapitalkräftigsten Unternehmen 
unmöglich, eine gemeinnützigen Bestrebungen dienende Abteilung aufrecht zu 
erhalten, die Jahr um Jahr Zuschüsse fordert, von denen ein selbständiges 
Unternehmen leben könnte. Wir glauben mit voller Berechtigung die dem 
Lehrfilmgedanken allgemein dienenden Bestrebungen unserer Kulturabteilang 
und speziell die populär-wissenschaftlichen Arbeiten unseres medizinischen 
Filmarchivs als gemeinnützige und dem Allgemeinwohl dienende bezeichnen 
zu können. 

Sowohl bei der Herstellung dieser hygienischen und sozial-medizinischen 
Lehrfilme, wie vor allem beim Vertrieb und der Auswertung des so entstan¬ 
denen Beiebrungsmatcrials sind der Kulturabteilung jedoch dauernd wachsende 
Schwierigkeiten und Hindernisse entstanden, die eine gesunde geschäftliche 
Basis des ganzen Unternehmens nicht aufkommen ließen und die auf gänzlich 
irrigen Voraussetzungen der beteiligten Kreise, vor allem auf einer gewaltigen 
Unterschätzung der für derartige Lehrfilme notwendigen Zeit-, Arbeits- und 
Geldauf Wendungen beruhte. Die Vertriebsabteilung der Kulturabteilung der 
Ufa wurde geradezu als ein Wohlfabrtsuntemehmen angesehen, das mehr oder 
weniger verpflichtet sei, ohne jeden Nutzen zu arbeiten. Aus allgemeinen 
Propagandagründen wurde diesem Verlangen von der Leitung der Kultur- 
abteilung in so hohem Maße Rechnung getragen, daß geradezu mit nachweis¬ 
barem Verlast die Filmkopien leihweise abgegeben wurden, derart, daß selbst 
die Kosten der Vervielfältigungen unserer Filme durch die Verleihungen nicht 
einmal eingebracht worden, ganz zu schweigen von den Herstellungskosten 
des Negativs, den allgemeinen Unkosten für Gehälter, Löhne, Mieten, Versiche¬ 
rungen, Lichtverbrauch, Transporte usw. usw. Das Entgegenkommen der Kultur- 
abteilung ging sogar so weit, daß z. B. einer gemeinnützigen Organisation ein 
hoher Prozentsatz aus den Einnahmen an einem bestimmten Film zugebilligt 
wurde, obwohl feststeht, daß diese Einnahmen nicht einmal die eigenen Un¬ 
kosten deckten. 

Auf der geschilderten Grundlage weiter zu arbeiten, ist ausgeschlossen. 
Die weitere Entwicklung muß unbedingt in Kürze denBeweis 
erbringen, daß bei geschäftlich richtiger Kalkulation und 
Auswertung des Lehrfilmmaterials ein solches Unternehmen 
lebensfähig zu gestalten ist, andernfalls maß die Lebrfilmproduktion 
eingestellt werden. Die zuständigen Behörden und Organisationen, bei denen 
im Hinblick auf die bereits geleistete und noch zu erwartende hygienische 
Volksaufklärung wohl ein erhebliches Interesse am weiteren Bestehen eines 
derartigen Lehrfilmunternehmens vorausgesetzt werden kann, würden durch 
eine nachdrückliche Bekundung und Anerkennung der den Zeitumständen 
augepaßten Notwendigkeit rein kaufmännisch-geschäftsmäßiger Auswertung 
auch dem Gedanken des Lehrfilms und damit ihren eigenen Zielen bedeutende 
Förderung angedeihen lassen. 

Die Veranstaltungen unserer Kulturabteilung sollen und können alao 
nicht mehr, wie bisher oft, als billige oder kostenlose Wohlfahrtsveranstaltungen 
vorgenommen werden, vielmehr muß die Allgemeinheit und das breite Publikum, 
denen ja auch letzten Endes der Erfolg dieser Aufklärungsarbeit allein zugute 
kommt, zu den Kosten der Herstellung und Verbreitung dieser Filme durch 
Eintrittsgelder beitragen, die den gegebenen Notwendigkeiten entsprechen. 
Hierbei hat die Kulturabteilung von ganz bestimmten Stellen heftige Wider¬ 
stände zu erwarten und es wäre daher mit Freuden zu begrüßen, wenn die 
interessierten Stellen die Berechtigung dieser Notwendigkeit anerkennen und 
den für sie zuständigen, hierfür in Betracht kommenden Behörden, Organi¬ 
sationen und Einzelpersonen gegenüber vertreten und befürworten würden. 

Die an hygienischer Volksaufklärung interessierten Stellen könnten dem 
Verständnis für die hier angeschnittenen Fragen in den in Betracht kommenden 
Kreisen außerordentlich dienen, wenn folgender Vorschlag, den wir uns ganz 
ergebenst zu machen erlauben, durchgeführt wird: Ein Abdruck dieser Denkschrift, 
bezw. ihrer wichtigsten Stellen, müßte an sämtliche Regierungen, Kreisärzte, 
Kommunen, Wohlfahrtsämter und dergl. verteilt werden und an alle diese 




Hygiene and soziale Medizin im Volksbelehrnngsfilm. 


688 


8teilen von autorisierter 8telle ans die Anregung ergehen, die za erwartenden 
Veranstaltungen hygienischer and sozial-medizinischer Volksbelehrangs-Filme 
nach Kräften zu unterstützen, möglichst aus eigener Initiative heraus der¬ 
artige Volksbelehrungsabcnde hygienischer und sozial-medizinischer Art herbei- 
Zufuhren, und hierbei auf die gesunde geschäftliche Qrundlage derartiger 
Unternehmungen besonderes Augenmerk zu richten. Ein Hinweis darauf, daß 
an verschiedenen Stellen des Reiches bereits praktische Erfahrungen dafür vor¬ 
liegen, daß ein solches Unternehmen auch auf rein kaufmännischer Basis 
dnrch&us im Charakter ernsthaftester, dem Allgemeinwohl dienender Veran¬ 
staltungen denkbar ist, würde den Eifer und den Unternehmungsgeist wohl 
auch in bisher tatenlos beiseite stehenden Kreisen wecken. Als derartige 
Körperschaften, die sicher gern auch über ihre geschäftlichen Erfahrungen 
Auskunft erteilen, wären beispielsweise der Ausschuß für Kinematographie 
der Oberschulbebörde Hamburg, die Urania in Wien, der Provinzialausscbnß 
für hygienische Volksbelehrung in Hannover and der „Verein für Sän^lings- 
fürsorge und Wohlfahrtspflege“ im Regierungsbezirk Düsseldorf (Geh. Rat 
Prof. Dr. Schlossmann) anzuführen. 

Als Antwort au! diese Eingabe erfolgte der bekannte 
Runderlaß des Ministers für Volks Wohlfahrt vom 25. Februar 
1922 — I. M. I. 260 II ang. — an die Herren Oberpräsidenten, 
der der Ausführlichkeit halber hier nochmals angeführt sei: 

Die Kulturabteilung der Universum-Film-Aktiengesellschaft Berlin, 
Köthenerstraße 48, hat eine Denkschrift über die Lage der Lehrfilm-Industrie 
vorgelegt, aus der hervorgeht, daß die Fortführung der Lehrfilmproduktion 
finanziell nur dann weiter möglich ist, wenn ihr eine nachhaltigere Unter¬ 
stützung als bisher seitens der Behörden und Organisationen zuteil wird, die 
an der gesundheitlichen und sozialbygienischen Volksbelebrung und Aufklärung 
arbeiten. Ich ersuche ergebenst alle beteiligten Stellen, insbesondere die 
Provinzial-, Kreis- und Ortsausschüsse für hygieuische Volksbelehrung sowie die 
Kreismedizinalräte nochmals auf die Wichtigkeit der Lehrfilmvorführungen für 
ihre Bestrebungen hinzuweisen. Bei den Verhandlungen mit den Lehrfilm- 
firmen — sei es, daß Filme zur Vorführung benötigt werden, sei es, daß die 
betreffende Firma für die von ihr in Aussicht genommenen Veranstaltungen 
Verbindung mit den örtlichen Organisationen sucht — darf nicht unberück¬ 
sichtigt bleiben, daß diese Firmen genötigt sind, die Selbstkosten, die bei den 
heutigen Verhältnissen nicht gering sind, wieder einzubringen. Es würde für 
die Aufklärungsarbeit einen bedauerlichen Rückschritt bedeuten, wenn die 
Produktion von Lehr- und Aufklärungsfilmen einen Rückgang erleiden würde. 

In der Tages- und Fachpresse erregte dieser Erlaß einige 
Aufmerksamkeit und seien zwei Stellungnahmen hier wieder¬ 
gegeben : 

„Diese Denkschrift ist im Dezember vorigen Jahres eingereicht, also zu 
einer Zeit, in der die Teuerungswelle, deren Höhe wir sicher noch nicht er¬ 
reicht haben, eben erst begann. Inzwischen ist die Lage für den Lehrfilm- 
Verleih in Deutschland geradezu katastrophal geworden und hat zur fast 
völligen Lahmlegung jeder Produktion an Schulfilmen — also eines ganz neuen 
und sehr aussichtsreichen Zweiges der Lehrfilm-Industrie geführt. Die großen 
Kultur- und Lehrfilmfirmen gehen mehr und mehr zum Theatcr-Beiprogramm- 
Film und zum abendfüllenden, mehr oberflächlich-belehrenden Publikumsfilm 
über. Angesichts der Tatsachen, die man aus obiger Denkschrift ersieht, kann 
es ihnen freilich nicht verdacht werden, wenn sie als Geschäftsunternehmen 
der Rolle von selbstlosen Wohlfahrtseinrichtungcn satt sind.“ 

„Der mitgeteilte Erlaß des Volkswohlfahrtsministeriums ist nun — neben 
dem Entgegenkommen der Filmprüfstelle bei Berechnung der Zensurgebühren — 
der erste amtliche Schritt, der den Wert des Lehrfilms anerkennt und sich mit 
bemerkenswerter Freundlichkeit auch der geschäftlichen Seite der Sache an- 
nimmt. Vielleicht bedeutet dies endlich einen Schritt vorwärts, nachdem die¬ 
selben Behörden uod die Kreise der Lehrerschaft und sonstigen Kinogegner, 
die einst mit großem Geschrei den Lehrfilm forderten, ihn schmählich im Stich 
ließen, als er da war.“ 



634 


Dr. Cart Thom&lla. 


Zum Schluß seien noch einige Zahlen mitgeteilt, die ganz 
grob die Lage charakterisieren: Ein Meter Rohfilmmaterial 
kostete noch vor drei Jahren etwa 50 Pfennig, bei größeren Ab¬ 
schlüssen war er noch billiger. Jetzt kommt ein Meter Film¬ 
aufnahme auf 68 Mark. (Anmerkung bei der Korrektur: In¬ 
zwischen 260 Mark, bei 14 tägigem automatischem Steigen 
der Preise.) Die Kosten für gute Aufnahme - Operateure, 
die damals 50 bis 100 Mark pro Tag erhielten, sind auf 
5000 bis 10000 Mark gestiegen. Die Miete eines Filmateliers 
kostet 24000 bis 30000 Mark pro Tag und entsprechend son¬ 
stige Nebenunkosten wie Transporte, Licht, Personal, Lagerung, 
Versicherung usw. Als ein Meter Rohfilm 50 Pfennig kostete, 
betrug die Leihmiete 5 Pfennig pro Meter, entsprechend müßte 
heute die Entleihung eines 1000 Meter-Films ca. 7000 Mark 
pro Tag einbringen. Tatsächlich sind die Leihmieten natürlich 
nur Bruchteile dieser Summe. Und auch alle hier angegebenen 
Preise sind wahrscheinlich, wenn diese Zeilen gedruckt er¬ 
scheinen, längst überholt. 

Eine andere Rechnung: Die Lebensdauer einer Filmkopie 
beträgt ca. 300 Vorführungen, vorausgesetzt, daß sie in tadel¬ 
losen Vorführungsapparaten sachverständig behandelt wird. Da 
die Filrakopien aber nicht für einzelne Vorführungen, sondern 
für ganze Tage vermietet werden, erfolgt mit den notwendigen 
Vorbesichtigungen oft vier- bis fünfmalige Vorführung des 
Films bei jeder Verleihung. Dazu kommt die Beschädigung 
des Films durch die zahlreichen Transporte. Vor allem die 
übermäßige Beanspruchung durch veraltete und schlecht instand 
gehaltene Vorführungsapparate, wie sie leider meist noch in 
Vortragssälen, Kliniken usw. vorhanden sind. So ist es schon vor- 
gekomraen, daß eine Filmkopie von 2000 Metern Länge nach 
20 Verleihungen unbrauchbar weggeworfen werden mußte, ob¬ 
wohl sie noch nicht den zehnten Teil ihres eigenen Herstellungs¬ 
wertes, geschweige denn einen bescheidenen Prozentsatz der 
zu amortisierenden Herstellungskosten des Negativs eingebracht 
hatte. 

Aus diesen Beispielen erhellt wohl zur Genüge, daß die 
Lehrfilm-Verleihung kein gutes Geschäft an sich ist. Sie wird, 
nachdem sie einmal begonnen war und gewaltige Kapitalien in 
diesen Filmen investiert sind, notgedrungen fortgesetzt. Natürlich 
bringen Geschäftsunternehmungen, zu denen ja auch die Lehr¬ 
film-Firmen gehören, auf die Dauer nicht so viel Idealismus 
auf, um eine an sich aussichtslose Angelegenheit nur aus All- 
gemeininteresse zu verfolgen. Es liegt vielmehr eine sehr gro߬ 
zügige und wohl sicher richtige Berechnung zu Grunde, wenn 
die populären Vortragsfilrae nicht verschwinden, wenn vielmehr 
für sie in den beteiligten Kreisen mit äußerstem Nachdruck 
geworben wird. Man hofft für die Zukunft auf erhöhten Absatz 
dieser Produkte deutscher Geistesarbeit und deutscher Technik 
im Ausland. Ein großzügiger Auslandsabsatz ist jedoch nur 
möglich, wenn die populär-medizinischen Vortragsfilrae in ihrer 



Hygiene nnd soziale Medizin im Volkabelehrungsfllm. 


685 


Heimat so selbstverständlich eingeführt sind, daß sie als fester 
Bestandteil des Lehrplanes unserer Schulen, Volkshochschulen, 
Volksbildungsvereine usw. selbstverständlich und überall be¬ 
kannt sind. Um zu diesem Ziel zu gelangen, bedarf es der 
intensiven Mitarbeit aller beteiligten Kreise. Und in dieser 
Zwischenzeit muß der deutsche Markt zum mindesten die 
direkten Unkosten einbringen, wenn auch Ueberschüsse nicht 
erwartet werden. 

Wenn die Behörden, die amtlichen und halbamtlichen 
Organisationen usw. dieser jungen, aufstrebenden Industrie 
Förderung angedeihen lassen,*) so handeln sie nicht nur im 
Interesse der beteiligten Firmen, nicht nur im Interesse der 
Volks Wohlfahrt, der hygienischen und sozial-medizinischen Volks- 
aufkläruog, sondern auch im volkswirtschaftlichen Interesse der 
Gesamtheit des Volkes. Denn der Film ist ein Landesprodukt 
im wahrsten Sinne des Wortes, das aus deutschem Rohmaterial, 
mit deutschen Maschinen, mit deutscher Hand- und Geistes¬ 
arbeit hergestellt wird und einen hochwertigen Exportartikel 
darstellt. Die Spielfilmindustrie steht heute schon an dritter 
oder vierter Stelle unter sämtlichen deutschen Industrien, so¬ 
wohl nach der Höhe des investierten Kapitals, als auch nach 
der Menge der in ihr beschäftigten Menschen. Wenn die Lehr- 
fümindustrie über die Krise der nächsten Jahre hinwegkommt, 
wird sie die Spielfilmindustrie zum mindesten an Ausdehnung 
erreichen, wenn nicht überflügeln. Denn deutsche Lehrmittel 
jeder Art sind bisher stets in die ganze Welt gegangen, haben 
überall jede Konkurrenz geschlagen und Millionen-, ja Milliarden¬ 
werte der deutschen Heimat zugeführt. 

Das Wort vom „Wiederaufbau“ ist fast schon zur Phrase 
geworden. Hier zeigt sich aber ein Weg zur praktischen Mit¬ 
arbeit, der letzten Endes vielleicht nicht unwesentlichen Anteil 
an dem ersehnten Wiederaufbau haben kann. Und jeder kann 
an seiner Stelle dazu helfen. — Der preußische Schulmeister 
hat, so sagt man, früher Kriege gewonnen. Möge der deutsche 
Schulmeister im aller weitesten Sinne des Wortes auch den 
„Frieden“ von Versailles doch überwinden helfen 1 

*) Anmerkung bei der Korrektor: Soeben geht mir ein Schreiben des 
Herrn Ministers für Volks Wohlfahrt an den Landesausschuß für hygienische 
Volksbelehrung zur Kenntnisnahme za, in dem unter Bezugnahme auf ein 
Schreiben des Reichsgesundheitsamtes auf die notwendige Förderung der Vor¬ 
führung speziell des „PockenfUmea“ hingewiesen wird. Herr Prof. Adam 
vom Landesausschuß erteilte mir die Erlaubnis, hieraus einige Teile wieder¬ 
zugeben: 

Das Schreiben des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes (Gosch. 
Nr. 2508/22 vom 18. 8. 22) enthält folgende Sätze: 

„Das Impfgesetz kann auf die Dauer nur dann wirksam sein, wenn es 
getragen ist von dem aufgeklärten Bewußtsein einer in gesundheitlichen Fragen 
wohlunterrichteten Bevölkerung. Daher ist es notwendig^, der planmäßigen 
Agitation der Impfgegner immer wieder in der Oeffentlichkeit mit allen Mitteln 
der eindringlichen Belehrung entgegenzutreten.“ .„Eines regen Be¬ 

suches erfreute sich bis vor kurzem die Vorführung eines von der „Ufa“ 




636 


Tom Schriftleiter. 


Die neuen BesoldnngsTorschriften. 

Vom Schriftleiter. 

Die Beamtenbesoldung ist mit Wirkung vom 1. Oktober 
1922 sowohl im Reich wie in Preußen (für letzteres durch 
Runderlaß des Finanzministers namens des Ministerpräsidenten 
und sämtlicher Staatsminister vom 25. Oktober 1922, abgedruckt 
in Nr. 20 des Finanz-Ministerial-Blattes 1922) einer Aenderung 
unterzogen. Entsprechend der zunehmenden Teuerung ist eine 
nicht imbeträchtliche Aufbesserung vorgenommen. Das grund¬ 
sätzlich Neue in diesem Gesetz ist, daß die Grundgehälter, 
Ortszuschläge, Kinderbeihilfen und Frauenbeihilfen in Monats¬ 
beträgen festgesetzt sind. Dadurch ist aber an den Be¬ 
stimmungen über die vierteljährliche bezw. monatliche Zahlung 
des Diensteinkommens nichts geändert; Vierteljahrsempfänger, 
wie die Beamten regelmäßig sind, erhalten also auch künftig 
ihre Dienstbezüge vierteljährlich. Alle diese Bezüge sind 
wesentlich erhöht. Im Laufe der Zeit waren ja die besonderen 
Ausgleichszuschläge so hoch geworden, daß sie die Grund¬ 
gehälter um das mehrfache übertrafen (zuletzt war bekanntlich 
ein Teuerungszuschlag von 777 v. H. für die ersten 10000 M. 
und von 677 v. H. für den Rest und die Kinderzuschläge ge¬ 
währt worden). Dies ist nun insofern geändert, als der bisher 
gewährte Sonderzuschlag auf die ersten 10000 M. des Dienst¬ 
einkommens in vollem Umfang fortfällt und ein gleichmäßiger, 
aber gegen früher erheblich verringerter Ausgleichszuschlag 
für Grundgehalt -f- Ortszuschlag gewährt wird. Die Grund¬ 
sätze, nach denen die Frauenbeihilfe und die Kinderbeihilfe 
bisher gewährt wurden, bleiben im allgemeinen unverändert. 
Die Frauenbeihilfe beträgt gleichmäßig für alle Beamte monatlich 
1000 M., sie soll Zeitungsnachrichten zufolge von Mitte No¬ 
vember ab auf 2000 M. monatlich erhöht sein.*) Für die Frauen¬ 
beihilfe kommen Ausgleichszuschläge nicht in Betracht. Der 
Satz für das anrechnungsfreie Einkommen der Kinder ist von 
4000 M. jährlich auf 2000 M. monatlich erhöht. Die Wirtschafts¬ 
beihilfen, die in Orten mit besonders schwierigen wirtschaft¬ 
lichen Verhältnissen gewährt wurden, kommen in Fortfall. Da- 

(Universum- Film -Aktiengesellschaft, Berlin W. 9) hergestellten Pockenfilmes. 
Dieser Lichtbildstreifen ist unter Mitwirkung hervorragender Sachverständiger 
ausgearbeitet, kommt durch die Art seiner belehrenden Unterhaltung dem Ue- 
schmack des Publikums sehr entgegen und hat sich als ein gutes Mittel zur 

volksgesundheitlichen Aufklärung erwiesen.“ .„Daher sollte der 

Vertrieb des Lichtbildstreifens durch behördliche Unterstützung gefördert 
werden. Bei der erwähnten großen Bedeutung, die einer sachliohen Aufklärung 
weiter Volksschichten über das Wesen und die Bedeutung der Pockenschutz¬ 
impfung beizumessen ist, halte ich die Anregung der Kulturabteilung für be¬ 
rechtigt. gez. Bumm.“ 

Die im Schlußsatz erwähnte Anregung der Kulturabteilung lautete: „Es 
ist im allerhöchsten Maße bedauerlich, und unserer Ansicht nach ein gar nicht 
zu verstehender Fehler der Behörde, daß sie die Initiative der Ufa, solche 
Filme herzustellen, dadurch zur Nutzlosigkeit verdammt, daß sie den Vertrieb 
dieser Filme nicht behördlicherseits regelt.“ 

*) Anm. Inzwischen amtlich bestätigt! 




Die neuen Besoldungsvorschriften. 


687 


gegen bleiben die Bestimmungen über die Wirtschaftsbeihilfe 
in den besetzten Gebieten (Besatzungszulage) durch die neuen 
Gesetze unberührt; die widerrufliche laufende Beihilfe in den 
von Bntentetruppen besetzten Gebieten fällt dagegen ebenfalls 
mit Wirkung vom 1. Oktober 1922 fort. 

Der Ausgleichszuschlag ist nun für die erste Hälfte 
des Oktober auf 3 v. H., für die zweite Hälfte des Oktober auf 
11 v. H., d. h. also für den Oktober zusammen auf 7 v. H. be¬ 
messen. Für November ist bereits durch Beschluß des Staats¬ 
rats dieser Zuschlag auf 49 v. H. erhöht worden. Wie man 
hört, haben Verhandlungen über weitere Erhöhung entsprechend 
der zunehmenden Teuerung stattgefunden mit dem Ergebnis, 
daß dieser Zuschlag vom 16. November ab auf 120 v. H. be¬ 
messen ist.*) 

Die Kinderbeihilfe ist in folgender Höhe festgesetzt 
worden: 


Kinderbeihilfe j 

' Ansgleichsznschl&g 
zur Kinderbeihife 

Kinderbeihilfe samt 
Aasgleichszaschlag 

für ein Kind im Alter 
von .... Jahren 

monatlich 

für Okt. 

1922 
(7 v. H.) 

vom 1. 
Nov. 1922 
monatlich 
(49 v. H.) 

für Okt. 
1922 

vom 1. 
Nov. 1922 
monatlich 

bis za 6 

2000 

140 

980 

2140 

2980 

mehr als 6 bis za 14 

2500 

175 

1225 

2675 

3725 

mehr als 14 bis za 21 

3000 

210 

1470 

3210 

4470 


Diese Kinderbeihilfe würde nach den neuesten Bestim¬ 
mungen vom 16. November ab weiter, auf 120 v. H. erhöht 
werden. 


Uebrigens ist nach einem Erlaß des Finanzministers vom 
24. August 1922 (abgedruckt in Nr. 17 der des Finanz-Ministerial- 
Blatts 1922) die Gewährung von Kinderzulagen auch an über 
21 Jahre alte Kinder unter Umständen möglich, indem nämlich 
im Falle der Bedürfnisse auf Antrag eine widerrufliche Kinder¬ 
zulage für Kinder im Alter von mehr als 21 bis 24 Jahren be¬ 
willigt werden kann, wenn sie 

a) sich noch in der Schulausbildung oder in der Ausbildung 
für einen künftig gegen Entgelt auszuübenden Lebens¬ 
beruf befinden und 

b) kein eigenes Einkommen von mehr als 4000 M. jährlich 
(nach dem neuen Erlaß vom 25. Oktober von mehr als 
2000 M. monatlich) haben; übersteigt das eigene Ein¬ 
kommen des Kindes diesen Betrag um weniger als den 
Betrag der bewilligten Kinderbeihilfe, so kann diese ge¬ 
währt werden, jedoch mindestens gekürzt um den Betrag, 
um den das eigene Einkommen des Kindes den Betrag 
von 2000 M. monatlich übersteigt. 


*) Anm. Inzwischen amtlich bestätigt! 





638 


Vom Schriftleiter. 


Dabei gilt als Höchstbetrag der zu gewährenden Kinder¬ 
zulage die für Kinder bis zum vollendeten 21. Lebensjahre je¬ 
weils gesetzlich zustehende Kinderbeihilfe einschließlich des 
jeweiligen Ausgleichszuschlags. Ein Rechtsanspruch auf die 
Kinderzulage besteht indes nicht. 

Zur Vermeidung von Härten kann außerdem in Fällen, in 
denen nach den früheren Grundsätzen eine Kinderzulage ge¬ 
währt worden ist an über 21 Jahre alte, wegen Gebrechen 
erwerbsunfähige Kinder oder an über 24 Jahre alte, in der 
Schul- oder Berufsausbildung befindliche Kinder, nach den 
neuen Grundsätzen aber eine Kinderbeihilfe oder Kinderzulage 
nicht mehr gewährt werden darf, ein Betrag von monatlich 
50 M. vorläufig weitergewährt werden. 

Hiernach beziffert sich der Monatsbetrag des Grund¬ 
gehalts nebst Ortszuschlag und Ausgleichszuschlag in den Gehalts¬ 
gruppen 10—13 (ohne Frauenbeihilfe und Kinderbeihilfen) fol¬ 
gendermaßen : 


I. Besoldungsgruppe 10. 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 

2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 

nach 

4 

Jahren 

nach 

6 

Jahren 





A 

Grundgehalt 

Ortszaschlag 

24400 

6400 

25S00 

6400 

27200 

5400 

28600 

5400 

130000 
6400 

31400 

5400 

32700 

5400 

34000 

6000 

Zus. 

29800 

I 

| 31200 | 32600 I 
)azu der Ausg 

| 340001 354001 
leich8zuschlag. 

36800 

38100 j 40000 

B 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

24400 

4100 

25800 

4100 

27200 

4100 

28600 

4100 

30000 

4100 

31400 

4100 

32700 

4100 

34000 

4500 

Zus. 

28500| 
I 

29900 
)azu de 

313001 32700 j 34100 | 
r Ausgleichszuschlag. 

86600 

36800 

38500 

C 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

24400 

8400 

26800 

3400 

27200 

3400 

28600 

3400 

30000 

3400 

31400 

3400 

82700 

3400 

34000 

3800 

Zus. 

27800 | 
1 

29200 | 30600 j 32000 | 33400 
dazu der Ausgleichszuschlag 

34800 

| 36100 

|37800 

D 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

24400 

2700 

26800 

2700 

27200 

2700 

28600 

27l'0 

30000 

2700 

31400 

2700 

82700 

2700 

34000 

3000 

Zus. 

27100 

I 

| 286001 299001 31300 | 32700 
dazu der Ausgleichszuscblag 

34100 

|35400 

! 37000 

£ 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

24400 

2000 

26800 

2000 

27200 

2000 

28600 

2000 

30000 

2000 

31400 

2000 

32700 

2000 

84000 

2300 

Zus. 

26400 

1 

| 27800 | 29200 j 30600 
dazu der Ausgleiches 

82000 

uscblag 

33400 

134700 

36300 













Die neuen Besoldungsvorschriften. 6B9 


II. Besoldungsgruppe 11. 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 
2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 

l 

1H 

nach 

6 

Jahren 

nach 

8 

Jahren 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

nach 

14 

Jahren 

A 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

Zus. 

27600 

5400 

29300 

5400 

31100 

5400 

32800 

5400 

34500 

6000 

36200 

6000 

37900 

6000 

39600 

6000 

32900 

I 

34700 

)azu de 

36500 | 38200 | 
r Ausgleichszn 

[40500 

ischlag. 

142200 | 43900 [ 

46600 

B 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

27500 

4100 

29300 

4100 

81100 

4100 

32800 

4100 

34500 

4500 

36200 

4500 

37900 

4500 

39600 

4600 

Zus. 

31600 

I 

33400 

)azu de 

|35200 
sr Ausg 

36900 

;leichszi 

39000 

aschlag 

40700 

42400 

44100 

C 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

27500 

3400 

29300 

8400 

31100 

3400 

32800 

3400 

34600 

3800 

36200 

3800 

37900 

3800 

39600 

3800 

Zus. 

30900| 

I 

| 32700 | 
)azu de 

34500| 
ir Ausg 

| 362001 38300 
leichszuschlag 

40000 

41700 

43400 

D 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

27600 

270J 

29300 

2700 

31100 

2700 

32800 

2700 

34500 

3000 

36200 

3000 

37900 

3000 

39600 

3000 

Zus. 

30200, 

1 

| 32000 | 33800 
Dazu der Ausj 

| 35500 | 37500 
;leichszuschlag 

39200 

40900 

| 42600 

£ 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

27500 

2000 

29800 

2000 

31100 

2000 

32800 

2000 

34500 

2300 

36200 

2300 

37900 

2300 

39600 

2300 

Zus. 

29600 

I 

31300 

)azu de 

83100 
:r Ausg 

34800 

'leichszi 

| 36800 | 38500 
aschlag. 

40200 

141900 


111. Besoldungsgruppe 12. 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 
2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 

nach 

4 

Jahren 

nach 

6 

Jahren 

nach 

8 

Jahren 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

A 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

32500 

5400 

35000 

6000 

37500 

6000 

40000 

6000 

42600 

6000 

45000 

6000 

47500 

6000 

Zus. 

1 

37900 

[)azn d; 

41000 
ir Ausg 

43500 

;leichszi 

46000 

aschlag 

48500 

51000 

63500 

B 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

32500 

4100 

35000 

4500 

37500 

4600 

40000 

4500 

42500 

4500 

45000 

4600 

47600 

4500 

Zus. 

1 

136600 | 395001 420001 
)azu der Ausgleiokszi 

44500 

aschlag 

47000 

49500 

52000 



















640 


Vom Schriftleiter. 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 
2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 

nach 

4 

Jahren 

i 

nach 

6 

Jahren 

nach 

8 

Jahren 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

C 

Grundgehalt 

Ortsznschlag 

32500 

3400 

135000 
| 3800 

37500 

3800 

40000 

38001 

! 

42500 

3800 

1 

45000 

3800 

47500 

3800 

Zns. 

135900 j 38300 | 41300 | 43800 i 46300 j 
Dazu der Ausgleichszuschlag. 

! 48800 | 51300 

D 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

32500 

2700 

35000 

3000 

37500 

3000 

40000 

3000 

42500 

3000 

45000 

3000 

47500 

3000 

Zus. 

135200 ! 38000 ! 40500 | 43000 ! 45500 j 48000 | 
Dazu der Ausgleichsznscblag. 

50500 

E 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

32500 

2000 

1 35000 
2300 

37500 

2300 

40000 

2300 

42500 

2300 

45000 

2300 

47500 

2300 

Zus. 

134500 | 37300 | 39800 j 42300 | 
Dazu der Ausgleichszaschlag 

44800 

| 47300 

149800 


IT. Besoldungsgruppe 18. 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 

2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 

nach 

4 

Jahren 

nach 

6 

Jahren 

nach 

8 

Jahren 

A 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

42000 

6000 

47000 

6000 

52000 

6000 

57000 

6000 

62000 

6000 

Zus. 

48000 
Dazu der 

| 53000 | 58000 
Ausgleichszuschlag. 

63000 

68000 

B 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

42000 

4500 

47000 

4500 

52000 

4500 

67000 

4500 

62000 

4500 

Zus. 

46500 | 51500 
Dazu der Ausgleich 

56500 

iszuschlag. 

61600 

66500 

C 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

42000 

3800 

47000 

3800 

52000 

3800 

67000 

3800 

62000 

3800 

Zus. 

45800 | 50800 | 55800 
Dazu der Ausgleichszuschlag. 

60800 | 

65800 

D 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

42000 

8000 

47000 

3000 

52000 

8000 

67000 

8000 

62000 

3000 

Zus. 

45000 
Dazu der 

50000 

Ausgleich 

65000 

iszuschlag. 

| 60000 

| 65000 

E 

Grundgehalt 

Ortsznschlag 

42000 

2300 

47000 

2300 

52000 

2300 

67000 

2800 

62000 

2800 

Zus. 

44300 | 49800 | 54300 
Dazu der Ausgleichszuschlag. 

59300 

64800 





















Di« neuen Besoldungsrorschriften. 


641 


T. Besoldung für die nicht Tollbesoldeten Kreisärzte 

(Besoldungsgruppe 10 mit 25°/o Abzug). 


Orts¬ 

klasse 


in den 
ersten 
2 

Jahren 

nach 

2 

Jahren 


nach 

6 

Jahren 

w 

nach 

10 

Jahren 

nach 

12 

Jahren 

nach 

14 

Jahren 

A 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

18800 

4800 




22500 

4800 

23660 

6400 

24525 

6400 

25500 

6400 

Zus. 

23100 

1 

24160 
)azu de 

25200 
r Ausg 

26250 

leichszi 

27300 

ischlag 

28960 

29925 

80900 

B 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

18300 

8600 

19360 

3600 

20400 

3600 

21460 

3600 

22500 

3600 

23660 

4100 

24525 

4100 

25500 

4100 

Zus. 

21900 

I 

22960 
)azu de 

24000 
r Ausg 

25060 

Leichszi 

26100 

ischlag. 

27650 

28625 

29600 

C 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

18300 

3000 

19360 

3000 

20400 

3000 

21460 

3000 

22500 

3000 

28560 

3400 

24525 

3400 

25600 

3400 

Zus. 

21300 

I 

22360 
)azu de 

23400 
r Ausg 

24450 

leichszi 

25500 

ischlag. 

26960 

27926 

28900 

D 

Grundgehalt 

Ortszuschlag 

18300 

2400 

19360 

2400 

20400 

2400 

21460 

2400 

22600 

2400 

23560 

2700 

24525 

2700 

25500 

2700 

Zus. 

20700 

1 

21750 
)azu de 

22800 
>r Ausg 

j23850 
leichszi 

|24900 

aschlag 

26250 

27225 

28200 

E 

Grundgehalt 

OrtszuBchlag 

18300 

1800 

19350 

1800 

20400 

1800 

21450 

1800 

22600 

1800 

23560 

2000 

24625 

2000 

25500 

2000 

Zus. 

20100| 
I 

21160| 
)azu de 

22200 
ir Ausg 

23250| 
leichszi 

24300| 
ischlag. 

26560] 

26625 

27500 


Für die Kreisassistenzärzte (die als nicht planmäßige 
Beamte angesehen werden) gelten die aufgestellten Grundsätze, 
wie sie früher hier mitgeteilt wurden, weiter. Der Ausgleichs¬ 
zuschlag wird für sie in derselben Weise berechnet wie bei 
den planmäßigen Beamten. 

Alle Beamten, auch die Kreisassistenzärzte, erhalten zu 
den oben mitgeteilten Besoldungssätzen gegebenenfalls in gleicher 
Weise die Frauenbeihilfe in Höhe von monatlich 1000 M. (bezw. 
2000 M.) und die Kinderbeihilfen in der angegebenen Höhe. 

Versorgung der Beamten im Ruhestände 
nnd der Hinterbliebenen. 

Die Ruhegehälter, Witwengelder und Weisengelder werden 
nunmehr ebenso wie die Gehälter auf Monatsbeträge fest- 

f esetzt. Die Umrechnungen erfolgen bei den Regierungen. 

18 findet stets eine Abrundung auf volle Mark nach oben statt. 
Der Ortszuschlag wird von jetzt ab nach dem Satze der 
Ortsklasse B angereohnet — nicht, wie bisher, nach einem ge- 





















642 


Aas Veraaunlnngcn ad Veraa. 


setzlich festgestellten Durchschnittssatz. Das Witwengeld 
hat erfreulicher Weise eine wesentliche Erhöhung dadurch er¬ 
fahren, daß es nun an Stelle von 40 v. H. mit 60 v. H. des 
Ruhegehalts berechnet wird. Der Mindestbetrag des Witwen¬ 
geldes ist jetzt auf monatlich 3000, der Höchstbetrag monatlich 
25000 M. festgesetzt. Danach beträgt der Mindestsatz bei 
einer Vollwaise monatlich 1000, der Höchstsatz monatlich 
8334 M., bei einer Halbwaise der Mindestsatz monatlich 600, 
der Höchstsatz monatlich 5000 M. 

Die Bestimmungen über den Versorgungszuschlag 
der Ruhegehaltsempfänger, Wartegeldempfänger und Witwen 
sind grundlegend geändert worden. Es wird von jetzt ab der 
Versorgungszuschlag mit dem gleichen Prozentsatz, wie der 
Ausgleichszuschlag der im Dienst befindlichen Beamten von 
deren Grundgehalt und Ortszuschlag berechnet wird, bei sämt¬ 
lichen Ruhegehaltsempfängern, Wartegeldempfängem und 
Witwen von deren Ruhegehalt, Wartegeld oder Witwengeld 
berechnet. Dabei können zum Ausgleich von Härten — bei 
Ruhegehaltsempfängern von wenig Dienstjahren und bei Witwen, 
bei denen sich Minderbeträge ergeben — Zuschlüsse zum Ver¬ 
sorgungszuschlag gewährt werden. Die Versorgungszuschl&ge 
werden gleichfalls monatlich auf volle Mark abgerundet. 

Die Frauen- und Kinderbeihilfen werden wie bei den im 
Dienst befindlichen Beamten gewährt. 

Dies sind die wichtigsten Bestimmungen der neuen Be¬ 
soldungsvorschriften. Jeder Kollege wird nun leicht berechnen 
können, wie hoch sich seine Gebührnisse stellen und in welcher 
Weise für ihn im Falle der Pensionierung und im Falle seines 
Todes für seine Hinterbliebenen gesorgt werden wird. 

Die Umrechnungen erfordern naturgemäß mancherlei Arbeit 
Es wird aber in dem angezogenen Erlaß des Finanzministers 
besonders auf eine Beschleunigung der Umrechnungs- und 
Zahlungsarbeiten hingewiesen und den betr. Behördenleitern 
zur besonderen Pflicht gemacht, die Maßnahmen zu treffen, 
damit künftig die Erhöhungen ihrer Bezüge den Versorgungs¬ 
berechtigten innerhalb weniger Tage gezahlt werden. Somit 
ist zu hoffen, daß künftig die bisher noch so häufigen Klagen 
über verzögerte Auszahlung verstummen werden und jeder 
rechtzeitig in den Besitz der ihm zukommenden Bezüge ge¬ 
langen wird. 


Ans Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 8. Versammlung des 91 ed tat nal beamten- 
Vereins ihr den Begiernngsbestrh Stade am 7. Oktober 1988 

ln Stade, lnselbans. 

Anwesend waren: Der Vorsitzende: Med.-Rat Pr dies, Reg.- and Med.- 
Rat Mennicke, Qeh. Med.-Rat Reck, Med.-Rat Onttm&nn, Med.-Rat 
Menke, Qeb. Med.-Rat Elten, Med.-Rat Tinscbert 

1. Za der Medizinal Verfügung vom 28. 8. 22 Nr. 1805 Qber Unterlagen 
zur Festsetzung einer Paoschvergötong für die Reisekosten der Kreisärzte gibt 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


643 


Reg.- a. Med.-Bat Mennicke Erklärungen ab. Danach wird empfohlen, alle sach¬ 
lichen Unkosten, die aal den künftigen Dienstreisen erwachsen, genau aufzuführen, 
insonderheit aach die Unkosten für Benutzung von Fahrrad und die tätsich- 
liehen Ausgaben für Wegzehrung etc. Er gibt aach die Erklärung ab, daß 
wirklich entstandene and notwendige Unkosten für Fahrwerk and Automobil, 
wenn diese liquidiert werden, ersetzt werden. 

2. Ein schriftlicher Antrag des Med.-Bats Müller-Geestemünde, wird 
angenommen. Der Antrag lautet: 

„Beim Preußischen Medizinalbeamten-Verein solle angeregt werden, das 
Ministerium für Volkswohlfahrt za ersuchen, in jetziger Zeit von einer 
Paaschalisierang der Reisekosten abzusehen, weil die unsicheren Geldverhält¬ 
nisse jetzt za möglichster Einschränkung der Dienstreisen nötigen and weil 
die jetzt gegebenen Geldwerte durchaus unsichere sind.“ 

3. Die statistischen Unterlagen, die zar Erstattung der Jahresberichte 
nötig werden, können, wie aas der Aassprache hervorgeht, am besten von den 
Lanaratsämtern oder Amtsgerichten gegeben werden, aa sie in dem Besitz des 
statistischen Materials der Standesämter sind. 

4. Es wird beschlossen, zar Jabiläamsstiftang des Preußischen Medizinal¬ 
beamten-Vereins geschlossen beizutreten, wie dieses aach schon in anderen Medi- 
zinalbeamten-Vereinen beschlossen ist. 

Der Jahresbeitrag von M. 30.— ist vom Vorsitzenden einzaziehen and 
abzaführen. 

6. Ueber die Uebernahme der Telefonkosten durch die Regierungskasse 
schweben Verhandlungen. Ueber diese referiert der Vorsitzende. 

6. Der Beschloß der Aerztekammer über Ausschluß vollbesoldeter Kreis¬ 
ärzte von der Meldung za Kassen-, Schal- and Impfärztestellangen wird be¬ 
sprochen. Kas8enarztstellaogen sind den vollbesoldeten Kreisärzten überhaupt 
untersagt. Von anderen Stellungen der sozialen Fürsorge können sie keines¬ 
falls ausgeschlossen werden, sondern müssen in erster Linie Berücksichtigung 
finden. 

7. Aus einer Besprechung der Dienstaufwandsentschädigung geht hervor, 
daß es sich nicht empfiehlt, deren volle Vergrößerung zu erstreben, weil dann 
andere Nebeneinnahmen der Kreisärzte in Wegfall kommen würden. 

8. Als Ort der nächsten Versammlung wird Bremervörde bestimmt 

Außerdem soll, einem Wunsche des Regierungspräsidenten entsprechend, eine 
Zusammenkunft stattfinden, auf welcher derselbe Gelegenheit findet, die Medizinal¬ 
beamten kennen zu lernen, und zwar wahrscheinlich in Stade. Es soll dann 
eine Besprechung der künftigen Hebammenstellung stattfinden. Referenten: 
Tinschert und Prölss. Med.-Rat Prölss. 


Ans dem Preussisehen Hedlzinalbeamten verein. 

Auf die Bitte des Preußischen Medizinalbeamtenvereins an den Herrn 
Minister für Volkswohlfahrt, ihm noch einmal eine Unterredung zum Vortrag 
seiner Wünsche zu gewähren, warde dem Vorsitzenden durch Erlaß vom 
23. Oktober mitgeteilt, daß der Herr Minister bereit sei, den Vorstand des 
Vereins am Donnerstag, den 26. Oktober vormittags 11 Uhr im Ministerium zu 
empfangen. Um Kosten zu ersparen berief der Vorsitzende im Anschluß an 
diese Unterredung auf denselben Tag telegrafisch eine Vorstandssitzung, an 
der außer ihm der stellvertretende Vorsitzende Medizinalrat Dr. Wollen- 
weber-Dortmund und Medizinalrat Dr. Franz-Loetzen teilnahmen. Das 
fünfte Vorstandsmitglied, Herr Regierangs- und Geheimer Medizinalrat Dr.Sol- 
brig-Breslau war leider amtlich verhindert. 

Ueber die Vorstandssitzung wird der Schriftführer in der Zeitung aus¬ 
führlicher in einer Verbandlungsniederschrift berichten. 

Aus der Besprechung mit dem Herrn Minister will ich an dieser Stelle 
nur-kurz mitteilen, daß wir ihm unsere Wünsche für die Amtsbezeichnung, 
Dienstaufwand, Gebühren und für die Berechnung des Besoldungs- und Ruhe¬ 
gehaltsdienstalters vorgetragen haben. Wir haben uns zuletzt noch einmal 
mit allen verfügbaren Gründen gegen die Kommunalisierung der Kreisärzte 
gewandt und haben den Eindruck mit uns genommen, bei dem Herrn Minister 
und den anwesenden Mitgliedern seines Ministeriums ein volles Verständnis 



644 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


für unsere Beweisführung und die Absicht nachhaltigster Unterstützung unserer 
Wünsche gefunden zu haben. 

Dann kam am Nachmittage die Vorstandssitzung, auf deren Vorhand* 
lungen ich hier nur insoweit eingebe, um auf die nachstehende Bekanntmachung 
des Vorstandes betreffend die Boitragsfestsetzung hin weisen zu können. Wir 
haben in dieser Sitzung über den Beitrag beschließen müssen, obwohl dies 
nach § 6 der neuen Satzungen Sache des Vertretertages ist. Die zunehmende 
Teurung und Geldentwertung haben unsere Kasse vorzeitig geleert und zwangen 
zur Eile. Die leere Kasse verbot die Berufung einer Vertreterversammlung 
noch in diesem Jahre. Wir hoffen auf unsere Entlastung durch Umfrage bei 
den Vertretern oder in einer Vertreter-Tagung vor der nächstjährigen Haupt¬ 
versammlung. Wir müssen noch 1922 eine höhere Bezugsgebühr für die 
Medizinalbeamtenzeitung und einen höheren Beitrag zum Berufsverein höherer 
Verwaltungsbeamten aufbringen, als wir sie in unsere Berechnung anf der 
Magdeburger Hauptversammlung eingesetzt haben. So kommen wir zu einer 
Nachforderung von 100 Mark noch für 1922. 

Diese Nachforderung, von der 60.— M. auf den Berufsverein höherer 
Verwaltungsbeamten und 40.— M. auf die Zeitung bezw. auf den Beitrag zum 
Deutschen Medizinalbeamten-Verein kommen, ermäßigt sich bei Kreisassistenz- 
Aerzten auf 70.— M. und bei im Ruhestand befindlichen und nicht beamteten 
Mitgliedern auf 40.— M. 

Von dem Jahresbeitrag für 1923, den wir auf 650.— M. festsetzen 
mußten, kommen 250.— M. auf den Beitrag zum Berufsrerein höherer Ver¬ 
waltungsbeamten, 200.— M. auf die Zeitung bezw. den Deutschen Mcdizinal- 
beamtenverein und 200 M. für die Bestreitung der Geschäftsunkosten des Vereins. 
Da Kreisassistenz-Aerzte nur die Hälfte des Beitrages an den Berufsverein 
höherer Verwaltungsbeamter zahlen, so erniedrigt sich bei ihnen der Bsitrag 
auf 525.— M., bei den keinen Beitrag zum Berufsverein höherer Beamter 
zahlenden Pensionären und nicht beamteten Mitgliedern auf 400.— M. und, wenn 
diese auf den Bezug der Zeitung verzichten, auf 200.— M. 

Wie schon gesagt, wir werden uns nachträglich die Genehmigung unserer 
Vertreter für unser notwendiges und unaufschiebbares Handeln einholen müssen. 
Wir bitten aber auch heute schon alle unsere Mitglieder sich in den Sitzungen 
der Bezirksvereine mit diesen unseren Beschlüssen einverstanden zu erklären, 
und durch freudige Mitarbeit und Opferwilligkcit die Arbeiten des Vorstandes 
stützen und förderh zu helfen. 

Die Beiträge sind hoch gemessen an der wirtschaftlichen Not eines 
Teiles unserer Mitglieder, sie sind gering gemessen an der Höhe der Geld¬ 
entwertung und Teurung und im Verhältnis zum Friedensbetrage. Sie sollen 
dazu beitragen, uns und unseren Stand aus der Not emporzuheben und unsern 
Anschauungen für den Ausbau und die Neugestaltung des Gesundheitswesens 
zum Besten unseres Standes und 8taates Förderung und Fortgang zu geben. 
Das sind große Ziele, und große Ziele erfordern große Mittel. 

-Dr. Bundt, Vorsitzender. 

Kleinere Mitteilungen n. Referate ans Zeitschriften. 

Zwangsimpfung und Blatternschutz. Von Kreismedizinalrat Dr. Ascher 
in Frankfurt a. M. 

Ende März v. J. (1921) wurde von Basel aus gemeldet, daß durch einen 
hiesigen Bahnpostsekretär dort einige Ansteckungen von Pocken erfolgt seien. 
Sofort angestellte Ermittlungen ergaben, daß dieser Beamte einige Wochen 
vorher an einem fieberhaften Ausschlag gelitten, dem der Arzt keine Bedeutung 
beigelegt hatte, so daß der Beamte gleich nach seiner Genesung wieder 
nach Basel gefahren war; dort hatte er erfahren, daß die Familie, bei der er 
zu nächtigen pflegte, an einer unbekannten Krankheit leide. — Nebenbei sei 
bemerkt, daß erst eine von dieser Familie ausgehende Erkrankung richtig als 
Pocken erkannt wurde. — Inzwischen waren hier in Frankfurt in seiner FamiUie 
die Ehefrau, ein 17 jähriger Sohn und eine 27jährige Tochter erkrankt, von 
denen die letztere nach einer Woche Btarb; der Fall wurde als Scharlach 
gemeldet. 

Die nunmehr einsetzende Bekämpfung hatte zur Folge, daß hier in 
Frankfurt keine Neuansteckungen auftraten, und daß außer den erwähnten 



Besprechungen. 


646 


Füllen nur noch 7 zur Meldung kamen, die sämtlich schon vorher sich bei dem 
betreffenden Postbeamten angesteckt haben mußten. Nach einigen Wochen 
war die Seuche erloschen und ist es bis jetzt, 1 '/* Jahre später, geblieben. 

Qanz anders das Bild in der Schweiz. Obgleich nach dem Bekannt* 
werden der Diagnose und den Warnungen der Amtsärzte die Bevölkerung zu 
Tausenden zu den Aerzten strömte, hat in diesem Lande, dessen einzelne 
Kantone die Impfung sehr verschieden regeln, die Seuche noch heute nicht auf¬ 
gehört. Es kamen in einzelnen Wochen über 50 Erkrankungen zur Anzeige, 
und noch in der Woche vom 27. August bis 9. Sept. 1922 betrug diese Zahl 45. 

Zusammenfassend kann man sagen, daß hier der Zufall ein ganz merk¬ 
würdiges Experiment im großen mit dem gleichen Ansteckungsstoff gemacht hat. 

Bei uns eine unterernährte, aber durch Zwangsimpfung geschützte 
Großstadtbevölkerung, bei der die Seuche auf die Ausgangsstelle be¬ 
schränkt blieb; in der Schweiz bei sicherlich gleich tüchtigen Hygienikern 
und, wie wir wissen, sehr energischen Abwehrmaßnahmen eine noch heute mit 
unverminderter Stärke fortbestehende Seuche, trotz inzwischen erfolgter Massen¬ 
impfungen. 

Der Vorsprung, der durch die Zwangsimpfung gleichmäßig und früh¬ 
zeitig geschützten Bevölkerung war eben nicht mehr einzuholen. 


Aerzte als Giftmischer. Von Dr. J. E. Spinner in Zürich. H. 1 der 
Schriften aus dem kriminalistischen Spezialinstitut. KL 8 °, 24 Seiten. Iris 
Verlag in Zürich; 1921. 

Verfasser will in zwangslos erscheinenden Heften Fragen aus dem Ge¬ 
biete der Kriminalistik, der gerichtlichen Medizin, der gerichtlichen Chemie, 
der Toxikologie, der angewandten Strafrechtswissenschaften sowie des prakti¬ 
schen Polizeidienstes behandeln, die der speziellen Aufklärung und Orientierung 
der mit den einschlägigen Fragen beschäftigten Kreise (Richter, Aerzte usw.) 
dienen sollen. Das erste dieser Hefte behandelt die „Aerzte als Giftmörder“ 
und bringt in geschichtlicher Reihenfolge zunächst eine gedrängte kurze Ueber- 
sicht über die ärztlichen Giftmörder bis zum 19. Jahrhundert, der sich eine 
ausführliche Kasuistik der ärztlichen Giftmorde des 19. und 20. Jahrhunderts 
anschließt. Trotzdem diese Giftmörder auf Grand ihrer Facbkenntnisse, zunächst 
mit wenig bekannten, neu entdeckten Giften arbeiteten, lehren die mitgeteilten, 
auch in gerichtsärztlicher Hinsicht sehr interessanten Fälle, daß selbst der 
verbrecherische Arzt sogenannte Verbrecherdummheiten begeht, die zur Ent¬ 
larvung seines raffiniertesten Tons führten. Daneben sind unzweifelhaft eine 
Reihe derartiger ärztlicher Delikte unentdeckt geblieben und werden auch 
künftig tun so eher unentdeckt bleiben, je vorsichtiger der ärztliche Giftmörder 
auf Grund seines Studiums und Wissens sowie seiner Bewegungsfreiheit zu 
Werke geht und Verbrecherdummheiten vermeidet. Rpd. sen. 


Besprechungen. 

Graf 0. v. Klinkowstroem- München: Die Wünschelrute als wissen¬ 
schaftliches Problem. Mit Anhang: Geophysikalische Aufschlußmethoden. 
Stuttgart 1922. 40 S. 

Anschließend an die Notiz zur „Wünschelrutenfrage“ (in dieser Zeit¬ 
schrift S. 442) sei hiermit die Aufmerksamkeit auch ärztlicher Kreise auf das 
kürzlich erschienene, streng kritisch urteilende Büchlein des besten Kenners 
des Problems gelenkt. Zuverlässige, erfolgreiche Rutengänger (nicht zu ver¬ 
wechseln mit den Charlatanen und Phantasten, die sich auf diesem wie ja auch 
auf anderen Gebieten breit machen) sollten m. E. fachärztlich auch auf ihre 
sonstigen Fähigkeiten wie psychischen und somatischen Eigenschaften hin ge¬ 
prüft werden. Vielleicht gelänge es, auf diesem Wege tiefer in das Geheimnis 
der sog. „Rutengabe“ einzudringen. F. Kanngiesser. 


Dr. phiL K. Greimer, Leiter der Landes-Desinfektionsschule für Sachsen. 
Handbuch des praktischen Desinfektors. Mit 8 Tafeln und 20 Ab¬ 
bildungen im Texte. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Verlag von 



646 Tagesnachrichten. 

Theod. Steinkopf(. Dresden and Leipzig 1922. 197 8. Preis: kart. 

50 Hark. 

Das Handbach, aaf das in dieser Zeitschrift bei seinem ersten Erscheinen 
lobend hingewiesen wurde (s. Jahrg. 1919, S. 374, liegt nnn in zweiter Auflage 
vor. Bei der Neabearbeitong warde namentlich die neae preußische Des* 
infektionsordnang, die auch in Sachsen zam Vorbild genommen ist, berück¬ 
sichtigt. In dem Bach wird in großgedruckten Abschnitten in Frage und 
Antwort das, was beim Unterricht der Desinfektoren gelehrt wird, ausführlich 
und allgemeinverständlich dargestellt; dazu treten im Kleindruck Bemerkungen 
über Gegenstände, die im Unterricht nur flüchtiger berührt werden konnten 
oder die für die Belehrung und Weiterbildung des Desinfektors dienlich sind. 

Als Nachschlagebuch und für die Weiterbildung der Desinfektoren auch 
über die Grenzen Sachsens hinaus wird das Bach gute Dienste leisten. 

_ Solbrig. 


A. Sopp-Frankfurt a. H.: Suggestion und Hypnose. Leipzig (K a b i t z s c h) 
1922. 3. Aufl. 75 S. 21 Mk. 

Schon die Tatsache der dritten Auflage seit 1913 spricht für das Buch. 
In der Tat gibt es eine, aaf ausgedehnter persönlicher Erfahrung und ver¬ 
ständiger Beurteilung basierende umfassende Darstellung des Themas. Neben 
der dem Verfasser am Herzen liegenden therapeutischen Bedeutung der Hypnose 
ist aach deren für den Gerichtsarzt wichtige strafrechtliche Bedeutung voll 
gewürdigt. Das Buch kann, wie es beabsichtigt, ohne Bedenken dem Laien 
zur Ergänzung der Sprechstunde in die Hand gegeben werden. 

Gu mp recht- Weimar. 


Tagesnachrichten. 

Todesfall* Prof. H. Gutzmann, der bekannte verdienstvolle Forscher 
auf dem Gebiete der Sprachheilkunde, ist kürzlich im Alter von 57 Jahren in 
in Berlin gestorben. _ 


Zur Unterstützung gemeinnütziger Anstalten wurde im Haushaltungs¬ 
ausschuß des Reichstages auf Antrag des sozialpolitischen Reichstagsaus- 
Schusses ein Betrag von 1 Milliarde Mark zur Verfügung gestellt. 


Die „Umschau“, Wochenschrift über die Fortschritte in Wissenschaft 
und Technik (Herausgeber Prof. Dr. B e c h h o 1 d in Frankfurt a. M.) erläßt ein 
Preisausschreiben über das Thema: „Die Wahl des Gatten“. Forscher 
nnd Wissenschaftler werden zur Mitarbeit aufgefordert. Zar Verteilung ge¬ 
langen namhafte Preise, die bis jetzt einen Gesamtbetrag von 40000 M. er¬ 
reicht haben. 

Verlangt wird ein Aufsatz von 8—4 Druckseiten Umfang. Die näheren 
Bedingungen werden mitgeteilt vom Verlag der „Umschau“, Frankfurt a. M., 
Niddastr. 81. 


Zu den Sätzen der Gebührenordnung für approbierte Aerzte und 
Zahnärzte vom 15. März 1922 ist gemäß Bekanntmachung deB preußischen 
Ministers für Volkswohlfahrt vom i. Oktober 1922 ein Teuerungszaschlag von 
860 v. H., vom 1. November d. J. ein solcher von 900 v. H. getreten. Diese Zu¬ 
schläge beziehen sich auf die Abschnitte II A und B (Gebühren für Aerzte) 
und Öl (Gebühren für Zahnärzte). 


Die Reform der ärztlichen Prüfungsordnung. Die Beratungen über 
die Neuregelung der ärztlichen Prüfungsordnung beginnen am 80. November 
im Beichsministerium des Innern. Für die Beratungen ist außer der Neu¬ 
regelung der Prüfungsordnung, die seit Jahren in der Schwebe ist, auch eine 
grundsätzliche Aussprache über alle hier in Betracht kommenden Ausländer¬ 
fragen in Aussicht genommen, namentlich zur Herbeiführung von Gegenseitig¬ 
keitsabkommen mit fremden Staaten zur Anerkennung der Approbation. 



Tagesnachrichten. 


647 


Zar Bekämpfung des Branntwelngennsses. Das Ueberhandnehmen 
des Genusses von Spirituosen, namentlich in Form des Schnapses, erfüllt alle 
wahren Volksfreunde und die Hiiter der Gesundheit mit banger Sorge. Wie 
Pilse aus der Erde schießen, tun sich in den Großstädten Likörstuben aller¬ 
hand Art, oft unter hochtrabenden Bezeichnungen und mit reklamehafter 
Kenntlichmachung der Häuser massenhaft auf und an Besuchern dieser Stätten 
fehlt es durchaus nicht, mag der Spiritus auch noch so hoch im Preise steigen. 
Die Folgen für das Volkswohl machen sich deutlich bemerkbar. Die Zahl der 
Betrunkenen, die auf der Straße anzutreffen sind, wächst, die Irrenanstalten 
füllen sich von neuem mit Alkoholpsychosen usw. Vielen Volksgenossen 
scheint der Ernst unserer Lage noch nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein. 
Aufklärung und Belehrung nützen offenbar wenig. Da gut es mit polizei¬ 
lichen Maßnahmen streng vorzugehen. In der Provinz Niederschlesien hat der 
Oberpräsident einen wahrhaft erfreuenden Vorstoß gegen den Schnapsteufel 
unternommen, indem er unter dem 18. Oktober eine Polizeiverordnung erlassen 
hat, wonach der Ausschank von Branntwein oder Spiritus in allen Cafds, 
Gast-, Speise- und Schankwirtschaften in der Zeit von 9 Uhr abends bis 8 Uhr 
morgens verboten ist Die Gastwirte toben und drohen mit Schließung ihrer 
Lokale. 

Hoffentlich findet das Vorgehen in unserer Provinz Nachahmung in den 
übrigen Provinzen I _ 


Abänderung der Relchsgebührenordnnng für Zeugen und Sach¬ 
verständige. Die Beichsgebührenordnung ist durch Beichsgesetz vom 24. Ok¬ 
tober 1922 der Geldentwertung entsprechend abgeändert worden. Die Ent¬ 
schädigung der Zeugen für Zeitversäumnis ist von 1 bis 15 auf 5 bis 180 M. 
für jede angefangene Stunde erhöht worden (§ 2). Die Stundengebühr für 
Sachverständige, bisher bis 20 M., ist erhöht worden auf bis 180 M, bei be¬ 
sonders schwierigen Leistungen bis 240 M. (§ 3). Die Aufwandsentschädigung 
darf 860 M., für besonders teure Orte 480 M. betragen. Die Kosten für Nacht¬ 
quartier sollen angemessen entschädigt werden; ein bestimmter 8atz ist nicht 
genannt. 

Der nicht beamtete Arzt ist, wie bekannt, befugt, nach diesem Gesetz 
oder nach dem Gesetz über die Gebühren der Medizinalbeamten zu liquidieren. 
Für Leistungen, die nach Stunden berechnet werden (besonders bei auswärtigen 
Terminen) sind die Gebühren nach dem Beichsgesetz erheblich höher als nach 
dem preußischen Gesetz, wie dies in der Aerztuchen Sachverständigen-Zeitung 
(Nr. 22, 1922) näher ausgeführt wird. 


Gebühren nnd Dienstanfwand. 

Der Vorstand hat mündlich bei den Beratungen am 26. Oktober bei dem 
Herrn Minister erneut schriftlich beantragt: 

1. Die Gebühren werden entsprechend und gleichzeitig mit der ärztlichen 
Gebührenordnung, oder aber unter Zugrundelegung des fünfzigfachen Be¬ 
trages der Vorkriegszeit für den 1. Oktober 1922 gleichzeitig und prozentual 
entsprechend der Steigerung der Beamtengehälter aus Gruppe X erhöht. 

2. Die Dienstaufwandsentschädigung beträgt ab 1. April 1922 10000 bis 
20000 M., ab 1. Oktober 20000—40000 M. und Bteigt ab 1. Oktober gleich¬ 
zeitig und prozentual entsprechend der Steigerung der Beamtengehälter. 

Auf das Unerträgliche des derzeitigen Zustandes und die engen Wechsel¬ 
beziehungen zwischen Gebühren und Dienstaufwandsentschädigung ist ein¬ 
gehend Mngewiesen. Dr. Wollenweber. 


Berichtigungen. 

Bereits auf S. 101 der Zeitschriften für Medizinalbeamte vom 20. Februar 
1922 mußte ich berichtigen, daß es bei der Wiedergabe des Entwurfes zu 
einem Gesundheitsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im 
ersten Satze „in den Gern ein betrieb 0 , nicht Gemein de betrieb, wie auf 8.675 




648 


Tagesnachrichten. 


der Nnmmer vom 20. November 1921 zn lesen war, heißen maß, daß selbst¬ 
verständlich die Sozialdemokratische Partei nicht daran denkt, Beich, Staat 
und Versicherungstrager von der Gesundheitspflege auszuschließen. 

Diese Berichtigung mnß ich wiederholen, da auf S. 679 der Nummer 
vom 20. Oktober 1922 bei der Mitteilung des Wortlautes der endgiltig dem 
Görlitzer Programm einverleibten Sätze — anscheinend im Nachdruck einer 
anderen Zeitschrift, die schon den Druckfehler enthielt, wiederum Gemeinde¬ 
betrieb steht, wo es Gern ein betrieb heißen muß. 

Prof. Dr. med. A. Grotjahn, M. d. R. 


Kreismedizinalrat Dr. Hahn •Königsberg teilt berichtigend mit: 

Auf S. 567, Nr. 20 dieses Jahrgangs achte Zeile von unten muß es 
heißen: Entscheidung des Kammergerichts (nicht Reichgerichts). 



Prenssischer Medizinalbeamtenyerein. 

Bekanntmachung des Vorstandes. 

Der Vorstand des Preußischen Medizinalbeamtenvereins hat in seiner 
Sitzung am Donnerstag, den 26. Oktober zu Berlin den Jahresbeitrag für 
1923 auf 

650 Mark für aktive Medizinalbeamte, 

525 Mark für Kreisassistenzärzte, 

400 Mark für ini Ruhestand befindliche Medizinalbeamte und nicht be¬ 
amtete Mitglieder mit Bezug der Zeitung, 

200 Mark für letztere ohne Bezug der Zeitung festgesetzt. 

Er hat ferner zur Deckung der noch in diesem Jahre aufzubringenden 
Kosten für Erhöhung des Zeitungsbezugsgeldes und des Beitrages zum Berufs¬ 
verein höherer Verwaltungsbeamter beschließen müssen, für 1922 noch einen 
Nachbeitrag von 100 Mark zu erheben, der sich bei Kreisassistenzärzten auf 
70 Mark, bei im Ruhestand befindlichen und nicht beamteten Mitgliedern auf 
40 Mark ermäßigt. 

Die Herren Geschäftsführer der Bezirksvereine werden gebeten, diesen 
Nachbeitrag für 1922 bis zum 20. Dezember dg. Js. und den Jahresbeitrag 
für 1923 bis spätestens zum 1. April 1923 einzureichen und an das Bankhaus 
H. F. Lehmann, Postscheckkonto Leipzig Nr. 1095 auf das Konto des 
Preußischen Medizinalbeamtenvereins einzusenden. 


Dr. Bundt, Vorsitzender. 



TmitvtitUth für dli SchrlftleUung: Geb. Med.- Bel Dr. Solbrig, Beg.- n. Med.-Bel ln Breslen 
Breiten V, BehdlfentreSe M. — Druck von J. O. C. Brun*, Minden L W. 






35. Jahrg. Nr. 24. ZEITSCHRIFT 20. Dez. 1922. 

MEDIZINALBEAMTE 

1888 mitbegründet und von 1892 bis 1922 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prot. Dr. RAPMUND. 

Zentralblatt 

für das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des staat¬ 
lichen and privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- and 
Öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der praktischen and sozialen Hygiene. 

Herausgegeben von 

Iled.-Rat Dr. Bundt-Halle a. 8., Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München, 
Prof. Dr. Kaup-Miinchen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer-Breslau, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Puppe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund -Querfurt, Med.-Rat 
Dr Rogowski-Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze-Göttingen, Prof. 
Dr. Sieveking-Hamburg, Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig-Breslau, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden und Kreisarzt 

Dr. Wollenweber- Dortmund. 

Offizielles Organ des Deutschen. Prensslschen. Bayerischen. Sächsischen. 
Wfirttemberglschen. Badischen. Hessischen. Mecklenburgischen. Thüringischen 
and Braansshwefglschen Medizinalbeamtenvereins. 

Eine Beilage: Recbtsprecbong und Medizinalgesetzgebung. 

Schriftleitung: Verlag: 

Geb. Med.» Rat Dr. Solbrig, flscher’s med. Buchhandlung H. Kornfeld, 

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•88 mitbegrOote «ad von 1882 bis 1822 herausgegeben von Geh. Med.-Rai Prot. Dr. RAPMUNO. 

Zentralblatt 

fflr das gesamte Gebiet der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, des 
staatlichen u. privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- 
u. öffentliche Gesundheitswesen, einschl. der prakt. u. sozialen Hygiene 

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Med.-Bat Dr. Bundt - Halle a. S M Ober-Reg.-Rat Dr. Frickhinger-München, 
Prof. Dr, Kanp-München, Geh. Med.-Rn t Prof. Dr. Pfeiffer-Bresl&n, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Pappe-Breslau, Kreisarzt Dr. E. Rapmund - Querfurt, Med.-Rat 
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Prot Dr. Strafimann-Berlin, Geh. Reg.-Rat Dr. Weber-Dresden and Kreisarzt 

Dr. Wollenweber-Dortmund. 


Offizielles Organ d. Deutschen, Preußischen, Bayerischen, Sächsischen, 
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Bezugspreis für das IT. Vierteljahr durch die Post bezogen: 33 Mark 


Nr. 24. 


Erscheint am 5. and 20. jeden Monate 


20. Dez. 


Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes 
betr. die öffentliche Krüppelfürsorge 
vom 6. Mai 1920. 

Nach einem Vortrag, gehalten aaf der 84. Konferenz der Medizinalbeamten 
des Regierangsbezirks Düsseldorf am 27. Mai 1922.) 

Von Dr. Kriege, Kreisarzt and Stadtarzt and Dr. Pfabei, Stadtassistenzarzt 

in Barmen. 

Nachdem das Krüppelfürsorgegesetz am 1. April l 1 /» Jahre 
in Wirksamkeit war, lohnt es sich für den Medizinalbeamten 
wohl, einmal zu sehen, was bisher auf diesem Gebiete in seinem 
Kreise geleistet worden ist. Vielleicht werden die Erfahrungen, 
die wir bei der Durchführung des Gesetzes in Barmen gemacht 
haben, auch für solche Kreise, in denen die Verhältnisse anders 
liegen, nicht ganz ohne Wert sein. 

Dem Kreisarzt in Barmen wurde gleich zu Beginn seiner 
amtlichen Tätigkeit im Jahre 1901 das Nebenamt emes Stadt¬ 
arztes übertragen. Als solchem stehen ihm zweckmäßige, mit 
den notwendigen diagnostischen Hilfsmitteln ausgestattete Büro¬ 
räume, 2 Stadtassistenzärzte, von denen mindestens einer kreis¬ 
ärztlich geprüft ist, und 2 weibliche Hilfskräfte für die Er¬ 
ledigung der Büroarbeiten zur Verfügung. Die Stadtassistenz- 












650 


Dr. Kriege und Dr. PfabeL 


ärzte sind als Schulärzte und daneben auch in anderen Zweiten 
der sozialen Fürsorge beschäftigt. Außerdem ist ein städtischer 
Kinderarzt angestellt, dem die Fürsorge für die Säuglinge und 
Kleinkinder obliegt. Er ist leitender Arzt des Säuglingsheims 
und der Kinderabteilung des städtischen Krankenhauses, ihm 
sind jetzt ein Sekundärarzt, 3 Assistenzärzte und mehrere 
Volontärärzte unterstellt. Bisher betrieben 7 Wohlfahrtspflege¬ 
gerinnen in den ihnen zugewiesenen Stadtbezirken die gesund¬ 
heitliche Familienfürsorge nach Anweisung der genannten Aerzte, 
ihre Zahl ist jetzt auf 12 gebracht worden, (da zu ihren Auf¬ 
gaben die Tuberkulosenfürsorge, für die noch ein besonderer 
Arzt angestellt werden soll, hinzukommt). 

Bei dieser Organisation lag es nahe, den Kreis- und Stadt¬ 
arzt gemäß einer Ausführungsbestimmung zum Krüppelfürsorge¬ 
gesetz (VI. E. 5.) mit der Leitung der Krüppelfürsorgestelle zu 
betrauen, zumal da die meisten Krüppel, für die gesorgt werden 
muß, im schulpflichtigen Alter stehen. Für die Begutachtung 
der verkrüppelten Säuglinge und Kleinkinder wurde die Mit¬ 
wirkung des städtischen Kinderarztes Herrn Dr. Hoffa und 
seiner Assistenten gewonnen, die in den von ihnen abgehaltenen 
Mutterberatungsstunden die beste Gelegenheit dazu hatten. 
Außerdem war von vornherein ins Auge gefaßt, zur Feststellung 
der Diagnose und des Heilplanes einen geeigneten Facharzt 
hinzuzuziehen, und wir betrachteten es als ein großes Glück, 
daß sich der in der Orthopädie besonders erfahrene Oberarzt 
der chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses, 
Herr Professor Röpke, dazu bereit erklärte.*) Im übrigen 
wurde die Fürsorgestelle zuerst dem Kinderfürsorgeamt an¬ 
gegliedert. Seit kurzem werden die Anträge auf Uebemahme 
oder Unterstützung des Heilverfahrens von der Zentralstelle 
des Wohlfahrtsamts bearbeitet. 

Bevor wir in die Arbeit eintraten, übernahm es der Stadt¬ 
arzt als ärztlicher Leiter der Krüppelfürsorgestelle, die prak¬ 
tischen Aerzte in einer Sitzung des Aerztevereins mit den 
wichtigsten Bestimmungen des Krüppelfürsorgegesetzes bekannt 
zu machen und um ihre Mitarbeit zu bitten. Der vorgetragene 
Plan wurde ohne erheblichen Widerspruch gutgeheißen, die 
Unterstützung zugesagt. Meldekarten zur Anzeige der Fälle 
wurden den Aerzten übersandt, ebenso den Hebammen, denen 
vom Kreisarzt die neuen Pflichten, insbesondere die Anzeige¬ 
pflicht, an der Hand ihres Lehrbuches eingeschärft wurden. 
Die Fürsorgeschwestern und Lehrpersonen wurden entsprechend 
belehrt und angewiesen, in ihrem Bereiche alles zu tun, um 
die Krüppel und die von der Verkrüppelung bedrohten Kinder 

*) Seinem Wunsche, nach und nach s&mtliche Krüppel gemeinsam mit 
uns anzusehen, sind wir tunlichst nachgekommen. Nur in 72 von 881 Fällen 
wurde von dieser Vorstellung abgesehen, weil sie überflüssig erschien (51 Fälle), 
weil sie von den Eltern der Kinder nicht gewünscht wurde (18 Fälle) oder 
weil sich die betreffenden Patienten in der Behandlung anderer Fachärzte be¬ 
fanden (8 Fälle). 



Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes betr. Krüppelfürsorge. 651 


und Jugendlichen unter 18 Jahren möglichst vollzählig zu er¬ 
mitteln und zur Anzeige zu bringen. 

Der Erfolg dieser Maßregeln ist recht befriedigend gewesen. 
Aus der nach § 103 a der Dienstanweisung für die Kreisärzte 
geführten Krüppelliste, die im wesentlichen auf den Meldungen 
der Schulärzte beruhte, wurden 113 Personen in die Fürsorge 
übernommen. 

Auf Grand des «Krüppelfürsorgegesetzes wurden dann bis zum 1. Mai 
dieses Jahres gemeldet: 


von Schulärzten. 

„ Lehrpersonen. 

„ Eltern der Schulkinder. 

„ praktischen Aerzten. 

„ Kinderärzten und Wohlfahrtspflegerinnen . 

„ Hebammen. 

„ Wohlfahrtsamt. 

dazu alte Krüppelliste.. . . . 


140 Kinder und Jugendliche, 

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80 „ 

66 „ 

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113 n 


Insgesamt: 381 Krüppel. 

Nicht berücksichtigt sind bei dieser Aufstellung alle diejenigen Meldungen, 
die sich bei näherer Prüfung als irrtümlich erwiesen, weil sie Fälle betrafen, 
die nicht unter das Krüppelfürsorgegesetz fielen. So schickte eine Volksschule 
eine große Liste von Kindern, die alle verkrüppelt sein sollten. Wir hätten 
damit einen guten Teil des kreisärztlichen Tagebuches anfüllen können, wenn 
wir sie nach Vorschrift alle eingetragen hätten. Bei der Untersuchung der Kinder 
zeigte es sich, daß eB sich fast nur um habituelle Skoliosen handelte, die von den 
Schulärzten als nebensächliche Befunde in den Gesundheitsbogen vermerkt waren. 

In der Äusführungsanweisung zum Gesetz wird angenommen, 
dafi „die Gesamtzahl aller Krüppel etwa nur eins pro Tausend 
der Bevölkerung beträgt“. Es hat sich gezeigt, daß diese 
Schätzung für eine große Industriestadt wie Barmen viel zu 
niedrig ist, denn wir hätten danach nur mit 160 Krüppeln zu 
rechnen brauchen. Andererseits läßt sie den Schluß zu, daß 
wir die hier vorhandenen verkrüppelten Kinder und Jugend¬ 
lichen nahezu vollständig ermittelt haben. 

Wir verfuhren nun in der Weise, daß wir die gemeldeten, 
schulpflichtigen Kinder und die Jugendlichen in Begleitung 
ihrer Mütter in kleinen Gruppen vorluden und in unseren Büro¬ 
räumen — gewöhnlich im Anschluß an die Schulsprechstunde — 
untersuchten. Personalien, Anamnese und Befund wurden in 
einen einfachen Fragebogen eingetragen, der auch genügenden 
Raum für die Bemerkungen des Facharztes enthielt. Die als 
Krüppel gemeldeten Säuglinge und Kleinkinder untersuchte der 
städtische Kinderarzt mit seinen Assistenten in derselben Weise. 
Außerdem wurde von dem Facharzt, Herrn Professor Röpke, 
im städtischen Krankenhause jede Woche eine Krüppelsprech¬ 
stunde abgehalten, zu der je 10 bis 12 der voruntersuchten Kinder, 
möglichst aus dem Amtsbezirk einer bestimmten Fürsorge¬ 
schwester, bestellt wurden. Die letztere und der Schularzt, der die 
betreffenden Kinder untersucht hatte, waren dabei stets zugegen. 

Der im Fragebogen niedergeschriebene Befund wurde nach 
den Angaben des Facharztes nötigenfalls ergänzt. Auch wurden 
sogleich im Anschluß an die Sprechstunde, soweit erforderlich, 
Röntgenaufnahmen gemacht. — Nachdem das ganze Material 










652 


Dr. Kriege und I>r, PFabel. 

in dieser Weise untersucht war, sind wir seit Oktober 1921 
alle 3 Wochen mit einer Sprechstunde im städtischen Kranken* 
haus ausgekommen. 

Diejenigen schulentlassenen Krüppel, die noch keinen be* 
stimmten Beruf ergriffen hatten, wurden der für die Kriegs¬ 
beschädigten eingerichteten Berufsberatungsstelle überwiesen. 
Die bis «um 1, Mai ds. Js. untersuchten und in Fürsorge 
genommenen 381 Fälle lassen sich — nach dem Vorgänge von 
Rehberg*)) der ähnlich einteilt — zwanglos in die”folgenden' 
14 Orappen bringen : 

Grs.ppe 1, RachitischeWacbatumsstörungea derExiremHiten:76Fälle. 
-Öf ttppe :M<: Schwere Skoliosen * 63 Fälle. (56 durch Rachitis, 4 durch 
SpätrackUis,. 1 durch Empjötnu 1 durch. spinale Kinderlähmung, 1 durch Unfall) 
Gruppe XU. übrooische Eatxüodungeu der Knochen und Gelenke 
(außer Tuberkulose): 10 Falle. (8 Osteomyelitis, l chro», Oeleekrheuiniittamas. 
1 Oelenkeiterang aas unbekannter Ursache.) 

G tttnph IV* Tüb&fMiose der Knochen and Geleafce(ander der Wirbel* 
aäuld) ; 24 Fälle. , v ‘ ’ ' . . • . •• • 

' Grappe V. TaberkinlöSd der Wirbels&nlerV Fille. 

Gruppe VI, Schlaffe Läbwtt«geia; 7S-.Fälle, (68 nach spinaler Klader* 
lähmung» 8 «ach Unfall, 1 nach Dipbtbem, 1 nach ÖawckstHrra,) 

Gruppe Vfi. Spaatrischei XiäliTflooge«7 Fälle (9 nach Littleadbcr 
Krankheit» 3 nach zerebraler Kinderlähmung, l nach Oebartstraumad 

Grupp* VULV Äbgebotene Hdftgcieufesrerrenkäng-: 46 Fälle (26 ein¬ 
seitig. 22 doppelseitig). .* 

Grupp« XX; ■ Ganzes oder teüweises FeWeu der oberen Extremitäten: 

6 .Fälle 

Gf d pp« X. Gaazes ä)d«r teiiweisea Feblea der uateren Extremitäten: 
10 fftüs (6 infolge Unfall, S infolge Blfttverglftdng). 

Sirnppß KI. Verkräppelebgeo • ff«r oberen Extremitäten; 17 Fälle 
{9 »ogftbaireo, 8 öÄcb Unfällen). n.Hh : 

V4ro|>pt> XII. Verkrüppelungen de? aotaren Extremitäten: 27 Ffills 
(18 KluajpfQöe, Ö andere angeborene Ätißbtldüngen, 3 nach tlnfkU). 

Geoppe XIII. Angeborene Mißbildungen des Kopfes and Rumple»: 

7 Fälle (4 Gaumenspalten, 2 Meningocuieu, 3 Athyreoidiansns). 

Gruppe XIV. Schiefhals: 3 Fähe(l angeboren, 1 erworben), 

Ueber d*s Lebensalter, in dem das betreffende Krüppel¬ 
leid« o entstand, gibt die folgende Tabelle (I) Auskunft. 

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*) Zum Ausbau der Krüppelfßrsorge. Diese Zeitschrift, 1921, 8,80 ff. 







Brt&bnuigen hei dej lOgrcl^fcjrfrag des CpBeizes betr. &fßpj>elil}r$«rge. 653 

Daraus Versteht maa» daß das Leidet* io 95 Fällen aogeboren war (darunter 
48 Fälle! van Httftgeienk9TenraaJka.ng und IS Fä^le yon KlainpfulJ), während 
es in 252 Fällen in» KiejafctadaaaUor (davon die überwiegende Mehrzahl durch 
Rachitis oder spluale Kindarlühiävangt und uar in 34 Fällen iru scbulphichtigcn 
oder daraut folgendest Jiigendalter (darunter 9 Fälle von Tuberkulose und 
13 Fälle durch t'ofnngliiekang} entstand, 

*2^Ätr©JJio 11* 

Zahl äsr Fäll# und lah&nsaH&r. in dem die Krüpsslförnorgö elostme. 

Es standen beim Eintritt in die Eriippelfftrsorge 


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7 Fällen 


Tabelle IX zeigt, daß die Krüppelfürsorge nur in 8 
im Säuglings- bezw. Eieinkindesalter einsetzte, während 204 Fälle 
erst ira schulpflichtigen Alter oder noch später in die Fürsorge 
übernommen werden konnten. Diese« Verhältnis wird sich hei 
längerem Bestehen der Fürsorgesteile allmählich günstiger ge¬ 
stalten, zumal da m mit Hilfe der 12 AVohllahrtspßegerinnen, 
über die wir in Barmen bald Verfügen werden, immer besser 
gelingen wird, die Kleinkinder in die Mutterberätüöjgsstelleo 
au bringen und damit unter die Beobachtung des Städtischen 
Kinderarztes zu stehen. Praktisch wichtig ist dies besonders 
für die ängeborenen HftftgelenksverrenkiJtigeri, die beim K1^3 b* 
kinde eo schwer zu erkennen sind, und für die Kinderlähmungen, 
doch auch für viele FälleVon rachitischen Verkrümmungen 
der Extremitäten und der Wirbelsäule, sowie von Tuberkulose 
der Knochen und Gelenke. 

Eine Uebersinht über das, was bisher io der Krüppel- 
fürsorgestölle angeordnet und erreicht worden Ist, geben wir 
in der .folgenden Tabelle PfJ. Auch die Schwere des KrüppeP 
leidens ist in der 8- Spalte „Grad der »u örwartenden Erwerbs- 
beschränkung“ für '%e.' '^i^ei^adeaäii Gruppen zum Ausdruck 
gebracht. 


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7,. Moria Beobachtung- 


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Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes betr. Krüppelfürsorge. 655 

Zunächst ergibt sich, daß nur in wenig mehr als der Hälfte der Fälle 
eine Behandlung als notwendig oder Erfolg versprechend angesehen wurde: 
186 von 381 Fällen sind in der 6. Spalte als „nur in Beobachtung“ aufgeführt. 
Darunter überwiegen die rachitischen Verkrümmungen der Wirbelsäule, die 
schlaffen Lähmungen und die angeborenen Hüftgelenksverrenkungen, die 
sämtlich zu spät (nach dem 6. Lebensjahre) in die Fürsorge kamen, ln 
31 weiteren Fällen wurde die vorgeschlagene blutige, bezw. unblutige Operation 
verweigert oder aus anderen Gründen nicht ausgeführt (Spalte 1 und 2 der 
Tabelle). Besonders blutige Operationen, z. B. die Osteotomie bei rachitischen 
Verkrümmungen der unteren Extremitäten, werden von den Angehörigen oft 
nicht zugelassen, während unblutige Geradericbtung, wie sie Röpke*) für 
manche Fälle zuerst empfohlen hat, meist ohne Schwierigkeiten zu erreichen 
ist. Im übrigen sind sämtliche, aus der Tabelle (Spalte 1, 2 und 8) ersicht¬ 
lichen Operationen im städtischen Krankenhause ausgefübrt, auch die rein 
orthopädische Behandlung (Spalte 3) fand im städtischen Krankenhause oder 
doch unter Aufsicht des Facharztes statt. — Der Erfolg war in den meisten 
Fällen recht befriedigend. 82 Kinder wurden von ihrem Leiden befreit, so daß 
eine Erwerbsbeschränkung bei ihnen nicht zu erwarten ist (Spalte 9), aber 
auch in vielen anderen Fällen ist eine erhebliche Besserung erzielt worden, 
z. B. bei einem 17 jährigen völlig erwerbsunfähigen Jüngling mit einer fistelnden 
Spondylitis, der durch die Operation etwa zur Hälfte wieder erwerbsfähig ge¬ 
worden ist, ferner in 4 Fällen von schlaffer Lähmung, in denen gleichfalls 
durch Operationen geholfen werden konnte. 

Wieweit das Krüppelleiden durch die Allgemeinbehandlung in der Mütter¬ 
beratungsstelle, im Kinderkrankenhaus oder in auswärtigen Kurorten (Spalte 4 
der Tabelle) günstig beeinflnßt wurde, wird die weitere Beobachtung ergeben. 

ln 146 Fällen war das Leiden so schwer, daß die zu erwartende Erwerbs¬ 
beschränkung auf über 50 °/o geschätzt werden mußte. (Spalte 9 der Tabelle). 
Der Zahl nach überwiegen hier die rachitischen Verkrümmungen der Wirbel¬ 
säule und die schlaffen Lähmungen, doch stellt auch die Tuberkulose der 
Knochen und Gelenke ein erhebliches Kontingent dazu. 

In 4 Fällen wurde die Aufnahme in ein Krüppelheim veranlaßt (Spalte 5 
der Tabelle).**) In dem ersten Fall handelte es sich um ein 14 jähriges Kind 
das wegen Lähmung des rechten Beins mit hochgradiger Kypho-Skoliose die 
Schule nicht besuchen konnte. Zwei weitere Fälle betrafen schulentlassene 
Kinder mit schlaffen Lähmungen der unteren Extremitäten, die ohne Anstalts¬ 
behandlung keinem geeigneten Beruf zugeführt werden konnten. Der vierte 
Fall betraf einen jetzt 15jährigen Knaben, der durch eine Verunglückung 
beide Unterschenkel verloren hatte und auch an beiden Händen schwer be¬ 
schädigt war. An Schulbesuch war nicht zu denken, er wurde eine Zeitlang 
zu Hause von einer Lehrerin unterrichtet, doch stellte sich heraus, daß er 
ohne Ausbildung in einem Krüppelbeim zu einem bestimmten Beruf nicht vor¬ 
zubereiten war. — Außerdem sind 6 Kinder schon vor dem Erlaß des Krüppel¬ 
fürsorgegesetzes in Krüppelheimen (die meisten in Volmarstein) untergebracht 
worden, so daß wir sie nicht untersucht haben. Im übrigen haben wir uns 
mit Anträgen auf Ueberweisung in solche Vollheime möglichste Beschränkung 
auferlegt, einmal wegen des Platzmangels, zweitens wegen der Kosten und 
drittens, weil wir nicht ohne zwingenden Grund ein verkrüppeltes Kind für 
längere Zeit — vielleicht für Jahre — aus seiner Familie entfernen wollten.***) 
Konnten wir doch darüber beruhigt sein, daß die chirurgisch-orthopädische 
Behandlung in unserem schönen Krankenhause — das auch vom Landarmen- 


*) „Die Behandlung rachitischer Verkrümmungen der Unterschenkel.“ 
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, 
8. Kongreß 1909. 

**) 2 Fälle, in denen diese Maßregel wegen des Widerstands der Eltern 
noch nicht durchgesetzt werden konnte, sind in der Tabelle nicht berück¬ 
sichtigt. Die beiden, nicht schulbesuchsfähigen Kinder werden vorläufig zu 
Hause unterrichtet. 

***) Dieser Gesichtspunkt scheint uns in der Ausführungsanweisung zum 
Krttppelfürsorgegesetz zu wenig berücksichtigt worden zu sein. 



666 


Dr. Sorge. 


verband als Anstalt im Sinne des § 1 des Gesetzes anerkannt worden ist — 
in vollkommener Weise geleistet werden würde. 

Endlich wurden 2 hochgradig schwachsinnige Kinder, deren Krüppel¬ 
leiden (X-Beine bezw. angeborene Knochenverkrümmnngen der Unterarme) 
nebensächlich erschien, einer Idiotenanstalt überwiesen (Spalte 6 der Tabelle). 

Die Kosten, die der Stadt und dem Landarmenverband 
aus der Durchführung des Gesetzes erwachsen sind, hatten wir 
uns weit höher vorgestellt. Sie betrugen bis zum 1. April d. Js. 
insgesamt 31188 M., wovon der Landarmenverband nur 2982 M. 
übernommen hat. Dazu kommt noch 1 Pall mit einem Kosten- 
aufwande von 8162 M., in dem ein Ortsarmenverband neben 
dem Landarmenverband zahlungspflichtig ist. — Die Kosten 
für die Unterbringung der Krüppel in den eigentlichen Krüppel¬ 
heimen sind hier aber nicht mitgerechnet: 6 Fälle wurden 
schon vor dem Erlaß des Krüppelfürsorgegesetzes in Anstalten 
behandelt, und die von uns beantragten 4 Fälle konnten bisher 
noch keine Aufnahme finden. — Unterstützt wurden je 16 Fälle 
in der geschlossenen und offenen Krüppelfürsorge, wozu be¬ 
merkt sei, daß von dem System der sog. gemischten Behand¬ 
lung möglichst ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, indem kein 
operiertes Kind länger im Krankenhause verweilte, als unbedingt 
nötig war. Die Kosten sind dadurch wesentlich verringert 
worden. — Die Errichtung der Krüppelfürsorgestelle hat keine 
nennenswerten Kosten verursacht, weil die daran beteiligten 
Aerzte keine besondere Vergütung beanspruchten. 

Nach unseren Erfahrungen ist die Krüppelfürsorge ein be¬ 
sonders lohnendes und dankbares Gebiet, auf dem sich der 
Kreisarzt nach Möglichkeit selbst betätigen sollte. 

Was der Landarmen verband seit dem Inkrafttreten des 
Krüppelfürsorgegesetzes auf diesem Gebiete getan und geleistet 
hat, ist uns nicht bekannt. Ein enges Hand in Handarbeiten 
zwischen der Krüppelfürsorgestelle und dem Landarmenverband, 
wie es die Ausführungsanweisung (unter VI B 4) vorsieht, würde 
uns sehr zweckmäßig erscheinen. 


Znr Hebammenfrage. 

Von Kreisarzt Dr. Sorge - Gelle. 

Die Wichtigkeit der Frage der Auswahl der Hebammen 
gerade jetzt wieder, kurz vor Inkrafttreten des neuen Hebammen¬ 
gesetzes, wird es rechtfertigen, wenn diese Frage noch weiter 
erörtert wird. 

Meines Erachtens kann derjenige, der die körperliche und 
geistige Tauglichkeit zum Hebammenberuf bei einer Person ent¬ 
scheiden soll, dieses in vielen Fällen nicht auf Grund einer ein¬ 
maligen Untersuchung und Prüfung während einiger Minuten oder 
einer halben Stunde für eine Bezahlung von 3 oder jetzt 30 M.*) tun. 

Die Art, wie eine Hebamme zu ihrem Beruf kommt, muß 
geändert werden 1 Man bedenke, welches Material sich oft 
meldet, welche Schwierigkeiten es oft macht, eine auch nur 


*) Anm. Inzwischen aal 800 tf. erhöht! D. Schriftl. 



Zar Hebammenfrage. 


667 


einigermaßen geeignete Person dazu zu bestimmen, sich zur 
Hebamme ausbilden zu lassen, welche Momente in einer Ge¬ 
meinde mitsprechen, wenn die Frauen zur Hebammenwahl 
schreiten. Eine Besserung wird in dieser Hinsicht möglich 
sein, wenn ein Kommunalarzt angestellt ist, der die Hebammen¬ 
sache beim Kreisausschuß mit bearbeitet und es wird am besten 
gehen, wenn der Kreiskommunalarzt zugleich der Kreisarzt ist, 
der Einfluß in den Gemeinden besitzt und der in einer Ver¬ 
sammlung dann die von ihm ausgesuchten Personen zur Wahl 
vorschlägt. Besteht keine Personalunion zwischen Kreis- und 
Kommunalarzt, dann müssen beide Hand in Hand arbeiten. 

Wer häufiger Hebammen vorprüf ungen vorgenommen hat, 
weiß, daß die beigebrachten Leumundszeugnisse durchaus nicht 
immer der Wirklichkeit entsprechen, daß die zur Hebamme vor¬ 
geschlagenen Personen aus allen möglichen, nur nicht aus ob¬ 
jektiven Gründen gewählt wurden. Die Schulzeugnisse brauchen 
nicht beigebracht zu werden. Der selbstgeschriebene Lebens¬ 
lauf verschweigt nur zu häufig das wichtigste! Bei der Unter¬ 
suchung ist die Betreffende befangen, andererseits imponiert eine 
gewisse Ungeniertheit auch mal als Gewecktheit; über Zuver¬ 
lässigkeit und Wahrheitsliebe erfährt man nichts. Ueber alle 
diese Dinge kann meines Erachtens der Kreisarzt in seinem 
begrenzten Kreise viel eher etwas erfahren, wie der Hebammen¬ 
lehrer in seinem viel größeren Bezirk, aus dem ihm die Schüle¬ 
rinnen zugehen. Eine Einwirkung des Hebammenlehrers vor 
der Auswahl einer Anwärterin ist überhaupt unmöglich. Hat 
der Kreisarzt diese Vorarbeit geleistet, dann soll er auch das 
Zeugnis über die Befähigung ausstellen. — Ob die Bewerberin 
höchstens 30 oder 35 Jahre alt sein darf, ist wohl weniger 
wichtig, doch erscheint es wenigstens zweckmäßig, wenn die 
Altersgrenze einheitlich im Staat festgesetzt wird und nicht 
wie jetzt, von dem Kreisarzt nach seiner Dienstanweisung 
30 Jahre angenommen werden müssen, während die Provinzial¬ 
verwaltung die Bewerberinnen bis zu 36 Jahren zuläßt. 

Trete ich dafür ein, dem staatlichen Medizinalbeamten die 
Hebammenvorprüfung zu belassen, weil er am ersten etwas über 
die Vorgeschichte der Bewerberinnen erfahren und die Prüfung 
nötigenfalls mit geringem Kostenaufwand auf mehrere Unter¬ 
suchungen verteilen kann, so empfehle ich andererseits, daß 
der Kreisarzt sein Gutachten über das Ergebnis seiner Unter¬ 
suchungen ausführlicher wie bisher üblich begründet und kritisch 
würdigt. Sein Gutachten sollte dann der Kreisarzt der Heb¬ 
ammenlehranstalt zuschicken, die sich darüber schlüssig werden 
muß, ob sie die Bewerberin zum Kursus zulassen will, sie gibt 
die begründete Entscheidung dem Kreisarzt bekannt, der dann 
das Weitere veranlaßt unter Benachrichtigung des Magistrats 
oder Landrats. Auf diese Weise, glaube ich, würden sich die 
Wünsche sowohl der Hebammenlehranstalt nach besserer Aus¬ 
wahl als auch des Kreisarztes nach besseren Unterlagen und 
geeigneteren Kandidatinnen erfüllen lassen. 



658 


Dr. Sorge: Zar Hebammenfrage. 


Wir dürfen uns doch auch darüber nicht täuschen, daß 
auch die sorgfältigste Auswahl der Schülerinnen Fehlschüsse 
nicht verhüten kann. Ich erinnere mich jedenfalls, daß sowohl 
Hebammen, die mit recht guten Prüfungszeugnissen von der 
Anstalt entlassen waren, im praktischen Beruf völlig versagt 
haben, als auch, daß Bewerberinnen, denen ich mit Bedenken 
das Fähigkeitszeugnis ausgestellt hatte, im späteren Leben sich 
sehr gut bewährt haben, so daß also auch das gute Bestehen 
der Prüfung und der gute Eindruck während des Kursus durch¬ 
aus keine sichere Gewähr bietet. Ich muß gestehen, daß ich 
diejenigen Hebammen am meisten bewährt gefunden habe, die 
vorsichtig und gewissenhaft in ihrem Berufe waren, und es 
waren durchaus nicht immer die geistig am höchsten stehenden. 
Sie hatten die theoretische Grundlage ihres Berufes ge¬ 
lernt, hatten einen richtigen Begriff von ihrer Verantwortlich¬ 
keit und vor allem, sie konnten sich im praktischen Leben 
infolge ihrer natürlichen Begabung zum Beruf auch in schwie¬ 
rigeren Lagen gut zurechtfiuden, sie hatten einen gesunden 
Menschenverstand. Das jetzige vielfache Streben nach mög¬ 
lichst gebildeten Hebammen — so will man den Stand heben! — 
paßt meines Erachtens gar nicht für das Land und auch nicht 
für die Mehrzahl in der Stadt. Immer wieder habe ich Frauen 
und Mädchen aus dem Mittel-, vor allem dem Handwerkerstand, 
am meisten zum Beruf geeignet gefunden, wenn sie nur die 
durchschnittliche Volksschulbildung und dazu Lust und Liebe 
zum Beruf hatten und die Verhältnisse ihrer Umgebung mit 
offenen Augen ansahen und wußten, wie und wo sie zu helfen 
hatten und was ihres Amtes war. — In diesem Zusammenhang 
möchte ich auch den Punkt berühren, der jetzt viel diskutiert 
wird, die Dauer der Ausbildung. Ich bin nicht so sehr für eine 
Verlängerung der Ausbildungszeit, sondern für häufige Wieder¬ 
holungskurse. Wenn die Hebamme erst einmal 1 oder 2 Jahre 
eigene Erfahrungen draußen in der Praxis gesammelt hat, wird 
sie sich selbst nach Aufklärung in manchen Punkten sehnen, 
denen sie während der Ausbildung nicht die Aufmerksamkeit 
geschenkt hat und sie wird mit größerem Nutzen an dem 
4 wöchigen Wiederholungskursus teilnehmen, als ihr noch ein 
Jahr Ausbildung gebracht hätte. Dazu kommt die Kostenfrage 
und die lange Abwesenheit vom Haus. Alle 3 Jahre können 
aber alle Hebammen einmal 4 Wochen zu einem Wiederholungs¬ 
kursus abkommen und sie werden so immer auf dem Laufenden 
erhalten bleiben können. Wenn dann noch zwischen die 3 Jahre 
eine Nachprüfung durch den Kreisarzt eingeschoben wird, dann 
geschieht meines Erachtens genug, zumal, wenn der Kreisarzt 
sich ein reges Vereinsleben mit Vorträgen pp. angelegen sein läßt. 

Wir brauchen praktisch tüchtige Hebammen, nicht nur 
theoretisch vorgebildete Alleswisserinnen. Die Hebamme muß 
die Wirklichkeit kennen und muß sich in der Wirklichkeit zu¬ 
rechtfinden, sie muß auch den Mut haben, im Notfall gegen 
die theoretischen Regeln der Kunst einmal zu verstoßen, muß 



Dr. Schräder: Zar Bekämpfung des Kurpfuschertums. 669 

es aber auch eingestehen und ihr Verhalten begründen können. 
Sie mufi wahrhaftig sein und nicht in das Tagebuch Ein¬ 
tragungen machen, für die keine tatsächlichen Unterlagen vor¬ 
liegen. Wie in allen praktischen Berufen, erfordert auch der 
Hebammenberuf einen gefestigten inneren Menschen, der sich 
im praktischen Leben bewährt. 


Zur Bekämpfung des Kurpfuschertums. 

Von Kreismedizinalrat Dr. Schräder -Gerdauen. 

Oie Ankündigungen über Mittel gegen Regelstörungen, Blut¬ 
stockungen usw. häufen sich in den Zeitungen. Namentlich die 
kleinen Provinzblätter werden mit ihnen reichlich bedacht, weil 
der Kurpfuscher mit Recht anniramt, daß die Leser dieser Zeitungen 
ganz besonders prompt auf solchen Schwindel hereinfallen. 

Hat man das „corpus delicti“ wie z. B. den berüchtigten 
„Obstavit“-Apparat in der Hand, dann ist es leicht die Anzeige 
bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu begründen. Ebenso, 
wenn die Annonce von einem Kurpfuscher ausgeht, mit dem 
man sich schon so manches Mal vor den Schranken des Ge¬ 
richtes traf. 

Anders jedoch, wenn man nicht weiß, woraus das ange¬ 
priesene Heilmittel besteht. Man muß es kennen, um der Staats¬ 
anwaltschaft alle Gesetzesparagraphen aufführen zu können, 
gegen die das Mittel verstößt. Und es verstößt gegen eine 
ganze Anzahl von gesetzlichen Bestimmungen und Paragraphen, 
auch wenn das Mittel an sich harm — und wertlos, dann aber 
meist um so teurer ist. 

Das einfachste ist, man läßt sich das Mittel unter einer 
Deckadresse kommen und schickt es dann dem Oberstaats¬ 
anwalt ein. Nur muß dann die Nachnahme zunächst eingelöst 
werden. Die Dienstaufwandsentschädigung verträgt dies Ver¬ 
fahren nicht oft, denn sie ist klein und die Mittel sind teuer. 

Man kann sich nun aber auch das Mittel auf andere 
Weise verschaffen. Ich ging einmal folgendermaßen vor: Auf 
die Annonce hin bestellt unter ihrem Namen eine Verwandte 
das Mittel und bittet Zusendung per Nachnahme. Meist kommt 
erst ein Schreiben des Kurpfuschers, in dem er die baldige 
Ankunft der Bestellung ankündigt, bei Verweigerung der An¬ 
nahme der Nachnahme um Rücksendung bittet und eine Anzahl 
von Empfehlungsschreiben beilegt, die die Güte des Mittels 
loben. Diese Empfehlungsschreiben lassen deutlich erkennen, 
wofür das Mittel gut sein soll. Stets fast für Abtreibungs¬ 
zwecke, mögen diese auch noch so vorsichtig angedeutet sein. 
Auf Grund der Empfehlungsschreiben ist es dann eine Leichtig¬ 
keit, die Anzeige bei dem Oberstaatsanwalt zu begründen. Mit 
der Anzeige beantragt man auf Grund des § 99 der Strafproze߬ 
ordnung die Beschlagnahme. Nach einigen Tagen kommt das 
Mittel an. Man verweigert zunächst die Annahme, bittet aber 
das Paket 7 Tage lagern zu lassen. Nach dieser Zeit werde 



660 


Dr. Rogowski: Zur Zahlung des Vereinsbeitrags. 


man sich endgültig entschließen, ob man die Nachnahme ein¬ 
lösen werde. Das Postamt muß diesem Ersuchen stattgeben. 
Noch vor Ablauf der 7 Tage fällt auf Antrag der Staatsanwalt¬ 
schaft das Amtsgericht den Beschlagnahmebeschluß. Hiermit 
hat man seinen Zweck erreicht, ohne auch nur einen Pfennig 
Ausgaben gehabt zu haben. Zur Nachahmung empfohlen. 

Zur Zahluug unserer Vereinsbeiträge. 

Von Dr. Rogowski-Berlin. 

Wie aus der Mitteilung des Herrn Vorsitzenden unseres 
Vereins im letzten Heft unserer Zeitschrift bekannt geworden 
ist, hat der Vorstand im Oktober d. Js. beschlossen, für das 
laufende Jahr eine Nachtragsumlage zum Vereinsbeitrag zu 
erheben, und den Grundbeitrag für das Jahr 1923 auf 650 Mark 
festgesetzt. Nach der Entwicklung, die die allgemeinen wirt¬ 
schaftlichen Verhältnisse seither genommen haben, kann schon 

{ ‘etzt gesagt werden, daß wir mit diesem für 1923 vorgesehenen 
leitrag nicht durchkommen werden. Die Kosten für die Zeit¬ 
schrift wachsen mit jedem Heft, die Aufwendungen für Porti, 
Schreibwaren, Reisen im Interesse unserer Mitglieder u. a. nehmen 
mit jeder Monatshälfte zu, und es ist unmöglich, am Anfang 
eines Jahres vorauszusehen, welche Aufwendungen das kommende 
Jahr unserem Verein bringen wird. Es ist deshalb eine Selbst¬ 
täuschung, wenn der Vorstand beschließt, der Jahresbeitrag 
für das folgende Jahr soll 650 M.*) betragen. Die Einziehung 
von nachträglichen Umlagen hat immer etwas Mißliches und 
erschwert außerdem die Kassenführung bei den Bezirksvereinen 
und beim Hauptverein. Es wird deshalb ein anderer W eg der 
Beitragszahlung, der automatisch dem wechselnden Geldwert 
parallel geht, gesucht werden müssen. Man könnte daran 
denken, den Beitrag in Goldmark oder deren Aequivalent zu 
erheben. Dieser Weg ist aber ungangbar, weil in Wirklichkeit 
in Gold nicht gezahlt werden kann und der Papierwert der 
Goldmark beständig wechselt, der tatsächlich in Papiermark 

B ezahlte Beitrag demnach bei jedem Mitglied je nach dem 
'ag der Zahlung verschieden wäre. Eine solche Einrichtung 
ist bei einem Verein wie dem unseren nicht durchführbar. Es 
bleibt deshalb nur eine zweite Art der Beitragsberechnung 
übrig, die selbsttätig dem wechselnden Geldwert folgt, das ist 
die Beitragszahlung mit einem bestimmten, für alle beamteten 
Aerzte gleichen Teil des Grundgehaltes und der Ortszulage 
sowie der Teuerungszulagen zu diesen beiden Einkommens¬ 
teilen. Die Beiträge würden danach vierteljährlich mit der 
Gehaltszahlung für jeden beamteten Arzt feststehen, und wenn 
mit zunehmender allgemeiner Teuerung die Aufwendungen, die 
der Verein zu machen hat, wachsen, so würden, da gleichzeitig 
die Teuerungszulagen steigen, auch die Mitgliedsbeiträge und 
damit die Einkünfte unserer Vereinskasse steigen. Bis zum 

*j Siehe 8. 664! D. Schriftl. 



Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 661 

Beginn der zunehmenden Teuerung haben wir etwa 3 vom 
Tausend des Gehaltes plus Wohnungsgeldzuschuß als Bei¬ 
trag für unseren Verein erhoben, und dieser Anteil an Grund¬ 
gehalt, Ortszuschlag und der an jedem Vierteljanrsersten hier¬ 
zu gezahlten Teuerungszuschläge (ohne Frauen- und Kinder¬ 
zulage) würde voraussichtlich auch dauernd zur Bestreitung 
aller Ausgaben des Vereins ausreichen, einschließlich der Bei¬ 
träge an den Berufs verein höherer Verwaltungsbeamten, der 
gleichfalls damit umgeht, seine Beiträge nach einem Tausendsatz 
von Gehalt, Ortszulage und Teuerungszulage zu beiden zu erheben. 

Mit dieser Aenderung der Beitragshöhe müßte gleich¬ 
zeitig eine andere Art der Beitragseinziehung in Kraft treten. 
Es geht nicht an, daß einzelne Bezirksvereine oder einzelne 
Mitglieder auch jetzt, Ende November, ihren Jahresbeitrag 
noch nicht geleistet haben. Der Verein hat laufende Ausgaben, 
aber keine Rücklagen und keinen Kredit, und müßte deshalb 
notwendigerweise stets einen beträchtlichen Kassenbestand 
haben. Jedes Heft unserer Zeitschrift soll bei Erscheinen bar 
bezahlt werden und erfordert jetzt schon fünfstellige Zahlen. 
Daneben alle anderen, unaufschieblichen, beständig wachsenden 
Ausgaben des Vereins! Ohne Geld in der Kasse ist aber kein 
Betrieb möglich. Der Finanzminister hat nun allgemein die 
ihm unterstehenden Kassen ermächtigt, auf Antrag von Beamten¬ 
organisationen für diese bei der vierteljährlichen Gehaltszahlung 
einen bestimmten Satz der gezahlten Besoldung einzubehalten 
und an die Organisation abzuführen. Es bedarf dazu eines 
Antrages des Beamtenverbandes — in unserem Falle des 
Bezirksvereins an die Regierungshauptkasse — und einer Ein¬ 
verständniserklärung jedes einzelnen Beamten. Auf diesem 
Wege würden wir erreichen, daß unserem Verein die laufenden * 
Betriebsmittel dauernd zur Verfügung stehen. 

Den im Ruhestand befindlichen ehemaligen Medizinal¬ 
beamten, soweit sie nicht freiwillig den vorgeschlagenen Ver¬ 
hältnisbeitrag zahlen wollen, sowie den nicht staatlich be¬ 
amteten Aerzten wird man einen festen mäßigen Jahresbeitrag 
wie bisher zubilligen können. 

Es ist erwünscht, daß die Bezirks vereine zu diesem Vor¬ 
schlag Stellung nehmen und dem Vorsitzenden unseres Ver¬ 
eins — wenn möglich, bis Ende des Jahres — von ihrer Ent¬ 
schließung Kenntnis geben, da die Zeit drängt. Den Bezirks¬ 
vereinen würde es freistehen, für ihre eigenen Zwecke noch 
ein halbes oder ganzes pro Mille gleichzeitig zu erheben. 


Kleinere Mitteilungen u. Beferate ans Zeitschriften. 

Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen. 

1. Wohnnngshygiene. 

Zar Hygiene der künstlichen Beleuchtung. Von Kreismedizinalrat 
Dr. Grimm-Berlin. Wasser and Gas, 1922, Nr. 24. 

Die verschiedenen künstlichen Beleuchtungsarten werden kurs nach 
ihrem Wert, besonders vom hygienischen Standpunkt, skizziert. Bei uns wird 



662 


Besprechungen. 


mehr als je auf die Wirtschaftlichkeit der Beleuchtungsanlagen der größte Wert 
zu legen sein, doch soll dabei die Hygiene nicht Not leiden. Deshalb soll mehr 
als bipber bei allen Lichtanlagen im Hause, auf der Straße und bei Industrie¬ 
anlagen der Lichttechniker zu Bäte gezogen werden. Nach dem Vorbild von 
Amerika wird die Ausbildung und Anwendung einfacher und leichttransportabler 
Beleuchtungsmesser nötig sein. Von allen Beleuchtungsarten erfüllt das „Moore¬ 
licht“, eine mit Hochspannung betriebene Glasröhre mit Kohlensäurefüllung die 
Bedingung, dem Tageslicht an Farbe gleich zu kommen, am ehesten, doch ist es 
zu teuer; es hat neuerdings den gasgefüllten Metalldrahtlampen Platz gemacht. 

_ Solbrig. 


2. Kurorte, Badewesen. 

Ansgewählte Kur* und Badeorte Oesterreichs und Bayerns. Bericht 
über die 25. Studienreise des Deutschen Zentralkomitees für ärztliche Studien¬ 
reisen. Von Prof. Dr. Dietrich, Wirhl. Geh. Ob.-Med.-Bat und Prof. Dr. 
Lennhoff, Ob.-Beg.-Med.-Bat. Veröffentlichungen aus dem Gebiete der 
Medizinalverwaltung, XV. Bd., 5. Heft. 

Die ärztlicüen Studienreisen in Kur- und Badeorte haben sich von jeher 
großer Beliebtheit erfreut und sich, wie man sagen kann, zu einem Bedürfnis 
entwickelt. Der Andrang zu dieser 25. Studienreise war besonders groß, so 
daß weit über 100 Kollegen zurückgewiesen werden mußten. Die letzte Beise 
ging nach Bayern und Oesterreich. Es wurden hauptsächlich die folgenden 
Kur- und Badeorte besucht: Ischl, Hall, Gmündeu, Reichenhall, Gastein. Aus 
dem interessanten Bericht geht hervor, daß viel Schönes gezeigt und besichtigt 
wurde, die Teilnehmer mit den für die einzelnen Kurorte spezifischen Heil¬ 
anzeigen und Eigentümlichkeiten bekannt gemacht wurden und dabei Gelegen¬ 
heit hatten, in Naturgenüssen zu schwelgen und geselligen Verkehr zu pflegen. 

Solbrig. 


3. Soziale Hygiene. 

Ueber geschäftsmäßige und amtliche Ehevermittelung. Von Dr 
Fe ts eher -Dresden. Oeffentliche Gesundheitspflege, 1922, H. 6. 

Bei einer Beihe von konzessionierten Heiratsvermittlern wurden Um¬ 
fragen veranstaltet; sie waren ziemlich kostspielig; die Antworten betonten 
häufig die Vermögeusseite der Frage, nirgends war von Gesundheit die Bede. 
8°/o aller Heiratsanzeigen in politischen Zeitungen wird von der Vermittelung 
* aus eigener Beklame bestritten. Besser sind die Heiratszeitungen, die in der 
Begel alle 14 Tage erscheinen und eine Briefliste bringen, auf die man 
abonniert; die Interessenten treten dann miteinander durch Vermittelung des 
Unternehmers in Brief Verbindung. Die auf diese WeiBe vom Verfasser ein- 
gezogenen Heiratsangebote waren wesentlich feiner als die der Vermittler und 
betonten mehr die Gemüts- als die geschäftlichen Seiten. Die 5 Heirats¬ 
zeitungen in Deutschland bringen jährlich etwa 6000 Angebote; nach Schätzung 
der Bedaktion ist bei 90°/o auf Erfolg zu rechnen. — Auf Grund aller dieser 
Erfahrungen wird eine behördliche Heiratsvermittelung gefordert, die sich zu¬ 
nächst einer der bestehenden Heiratszeitungen zu bedienen hätte und auf den 
Austausch amtlicher Gesundheitsatteste vor der Ehe hinwirken müßte. 

Dr. Gumprecht-Weimar. 


Besprechungen. 

Kaup: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. (Konstitutions- 
Dienstpflicht). Verlag von J. F. Lehmann. München 1922. Preis geh. 44M. 

Verfasser hat mit viel Sorgfalt zusammengetragenes Material mit vor¬ 
bildlicher Gründlichkeit bearbeitet. Die eingehenden Erörterungen über die 
Methodik werden besonders willkommen sein, wenn auch zu bedauern ist, daß 
sich in den mathematischen Darstellungen einige Druckfehler eingeschlichen 
haben. Nach Kaup findet eine körperliche Auslese bei der Berufswahl nur 
in sehr geringem Umfange statt. Der Begründung wird im allgemeinen zu¬ 
zustimmen sein, doch scheint die Angabe, daß 16—62 °/o den Beruf des Vaters 
ergreifen, nicht ohne weiteres in diesem 8inne zu sprechen, da eine familiäre 
Auswahl nach körperlicher Eignung durchaus möglich erscheint. Die Frage 



Tagesnachrichten. 


«68 


bedurfte noch der genaueren Bearbeitung. Der Beruf hat auf die körperliche 
Entwicklung deutlichen Einfluß. Verfasser gibt eine Zahl wertvoller Mittel¬ 
werte, die Unterschiede nach der rassenmäßigen Zusammensetzung der Be¬ 
völkerung erkennen lassen. Durch planmäßige Körperübungen ist eine Besse¬ 
rung der Körperverfassung zu erreichen. Es wird daher eine „Konstitutions¬ 
dienstpflicht" gefordert, deren Organisation dargestellt wird. Es wäre xu 
wünschen, daß die exakt begründeten Forderungen recht bald in die Tat ein¬ 
gesetzt würden. Sicher wird die schöne Arbeit dazu beitragen, daß das Ver¬ 
ständnis für vorbeugende Gesundheitspflege in weite Kreise getragen wird. 

Fetscher-Dresden. 


Handbuch der Hygiene. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute heraus¬ 
gegeben von Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Bubner-Berlin, Ober-Med.-Bat 
Prof. Dr. ▼. Gruber-Mttnchen und Geh. Med.-Rat Dr. Ficker-Berlin. 
V. Band : Nahrungsmittel. Mit 44 Abbildungen und einer Tafel. Leipzig 1922. 
Verlag von S. Hirzel. Gr. 4. 320 S. Preis geh. 200 M. 

Nach einer längeren Pause ist von diesem hervorragenden Werk dieser 
Band herausgegeben. Er reibt sich in jeder Hinsicht würdig an die voran¬ 
gehenden an, sowohl dem Inhalt nach als was die Ausstattung anbelangt. 
Es werden darin abgehandelt: Fleischhygiene von E. Kallert und R. Stand- 
fnss, Milch und Milchprodukte von W. Ernst, Hygiene der pflanzlichen 
Nahrungs- und Genußmittel von der Gewinnung bis zum Verbrauch von 
H. Serger, Märkte und Markthallen von M. Schindowski, Kühlanlagen 
von H. Schindowski, Gesetzliche Regelung des Lebensmittelverkehrs von 
F. Auerbach. 

Es darf genügen, auf die Fortsetzung des Handbuchs mit dem vor¬ 
liegenden Bande hinzuweisen, woran sich die Erwartung knüpft, daß die 
Vollendung des Werks nicht mehr allzulange auf sich warten lassen wird. 

- Solbrig. 

Dr. H. O. Stein-Wien: Geschlechtskrankheiten. Mit 52 Farbdrucktafeln 
nach 74 Moulagen und 15 Textabbildungen. München 1922. Verlag von 
J. F. Lehmann. Gr. 8°; 191 Seiten. Preis: 90 Mark, geb. 110 Mark. 

Das vorliegende Werk bildet den LU. Band von Lehmanns medizini¬ 
schen Lehrbüchern und gibt eine kurz gefaßte, aber vortrefflich ausgeführte 
Darstellung der Geschlechtskrankheiten in Wort und Bild, Und zwar nicht nur 
der Geschlechtskrankheiten im engeren Sinne (Ulcus molle, Syphilis und Go¬ 
norrhoe), sondern auch derjenigen im weiteren Sinne (Balanitis und Phimosis 
Paraphimosis, Phthirii pubis und Maculae coeruleae, Condyloma acuminatum, 
Herpes genitalis, Molluscum contagiosum und Ulcus acutum vulvae). Bei jeder 
einzelnen Erkrankung sind ihre Aetiologie, Diagnose, Klinik und Therapie ein¬ 
gehend berücksichtigt, besonders ist dies bei den Hauptabschnitten über Ulcus 
molle, Syphilis und Gonorrhoe der Fall. Ganz hervorragend ist die Aus¬ 
stattung des Werkes, namentlich gilt dies in bezug auf die ihm beigegebenen, 
von Künstlern nach Moulagen angefertigten Farbdrucktafeln. Das Lehrbuch 
kann deshalb den beteiligten Kreisen nur aufs wärmste empfohlen werden. 

_ Bpd. sen. 


Tagesnachrichten. 

Im Preußischen Landtag wurde in der Sitzung vom 1. Dezember von 
sozialdemokratischer Seite (Abg. Dr. Weyl) erneut die Sozialisierung des 
Gesundheitswesens gefordert und ein Antrag eingebracht und von Dr. Weyl 
begründet, wonach die Gemeinden und Krankenkassen berechtigt sein sollen, 
Apotheken zu errichten. Der Bevölkerungsausschuß hatte den Antrag ab- 
gelehnt. In der Aussprache sprachen sich Abgeordnete der Deutschen Volks¬ 
partei, des Zentrums und der Demokratischen Partei gegen eine Sozialisierung 
der Apotheken aus; man habe mit sozialistischen Betrieben schlechte Er¬ 
fahrungen gemacht. Die Anträge der Sozialdemokraten wurden dem Aus- 
schuß&ntrage entsprechend abgelehnt. 


Auf eine Aufforderung der Hygiene-Sektion des Yölkerbaades wird 
Geh. Bat Prof. Dr. Abel aus Jena bei Gelegenheit von Fortbildungskursen für 



664 


Bekanntmachung des Vorstandes. 


Seuchenbekämpfung, die für osteuropäische Aerzte in Warschau, Charkow nnd 
Moskau abgehalten werden, eine Reihe von Vorträgen übernehmen. 


Es sind neuerdings folgende Aenderungen der Gebühren eingetreten: 
1. Die Sätze des Gebührentarifs sind auf das 100 fache der Vorkriegszeit er¬ 
höht (mit Wirkung vom 1. Dezember). 2. Die Gebühren für die staatliche 
Krankenpfiegeprüfung sind auf 800 M. festgesetzt. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 

Mitteilungen des Vorstandes. 

Vom 1. Januar 1923 ab geben wir unsere Zeitschrift zusammen mit dem 
Verein der Krankenhausärzte heraus. Aussehen und Inhalt werden für uns 
dabei keine wesentliche Veränderung erfahren. In die Schriftleitung tritt Herr 
Professor L o en in g- Halle mit ein, als Mitherausgeber werden vom Verein der 
Kassenärzte zeichnen Prof. B r aue r- Hamburg, Prof. Dreesmann-Cöln, 
dazu kommen Geheimrat Dr. Pütt er-Berlin nnd Stadtbaurat J o st-Halle a. 8. 

Wir freuen uns, daß es uns auf diese Weise gelungen ist, unsere Zeit¬ 
schrift, die uns durch jahrzehntelangen Umgang lieb geworden ist, zu er¬ 
halten. Sie wird uns auch in Zukunft eine kräftige Hilfe bei allen unseres 
Bestrebungen für das Gesundheitswesen und unseren Stand sein. 

Ich will in dieser Stunde nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, mit 
welcher aufopfernder Mühe und Sorgfalt die Bachdruckerei des Hern 
J. C. C. Brun8 in Minden d6n Druck und den Versand zu unser aller Zu¬ 
friedenheit besorgt hat. Ihr gebührt hierfür unsere volle Anerkennung und 
unser bester Dank. 

Möge nnsere Zeitung auch in ihrer neuen Form unsere Fortbildung und 
unsere amtlichen Belange fördern und damit der allgemeinen Volksgesandheit 
dienen. Das sei unser Geleitwort. Wir aber wollen ihr die Treue bewahren. 

Im Aufträge des Vorstandes des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. 

Dr. Hundt, Vorsitzender. 


Zn unserer Bekanntmachung in voriger Nummer und io Abänderung 
dieser müssen wir noch mitteilen, daß die Nachzahlung für 1921 auf 200 M. 
erhöht werden mußte, weil der Berufsverein höherer Verwaltungsbeamten and 
anch unser Zeitungsverlag noch für dieses Jahr eine erhöhte Nachzahlung fordere. 

Wir bitten diesen Betrag bis znm 20. Dezember einzuziehen. 

Für 1928 konnten wir in Rücksicht auf die zunehmende Unsicherheit 
der wirtschaftlichen Verhältnisse den Gesamtjahresbeitrag nicht schon jetzt 
festsetzen. Wir sind daher dabin übereingekommen, vorerst eine Jahresrate in 
Höhe von 675 Mark für aktive Medizinalbeamte zu erheben, die sich bei Kreis¬ 
assistenzärzten dnreh Abzug des halben Beitrages an den B. H. V. auf 
550 Mark, bei Pensionären durch Abzug des ganzen Beitrages auf 425 Mark 
mit Bezug der Zeitung, ohne diesen auf 125 M. ermäßigt. 

Diese Beträge bitten wir von den Mitgliedern der Bezirksvereine be¬ 
stimmt im Monat Januar 1923 einzuziehen und an das Bankhans H. F. Lehmann 
zu Halle a. 8. Postscheckkonto Leipzig 1905 für den Preußischen Medizinal¬ 
beamtenverein abzoführen. 

Wir hatten schon berichtet , darch welche Umstände die wesentliche Er¬ 
höhung der Beiträge, die ja durch unsere heutigen Ausführungen schon wieder 
überholt werden, bedingt ist. Wir bitten auch heute unsere Herrn Kollegen 
noch einmal, uns bei unseren Bestrebungen für das Wohl unseres Standes ihre 
freudige und schnelle Hilfe nicht zu versagen. Es ist nnr möglich, für uu 
etwas zu leisten, wenn wir auf die Unterstützung aller unserer Mitglieder 
rechnen können. Wir branchen die Spitzenorganisation, den Berufsverein 
höherer Verwaltungsbeamten, wir brauchen unsere Zeitung. Ein Abbau unseres 
Zusammenschlusses wäre unser eigener Schade. Dr. Bundt. 


Verantwortlich ffir die Schrlftleifong: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Bef.- u. Med.-Bat In Bredas 
Breslau V, Behdlfentrafie 84 Druck von J. O. 0. Bruns, Minden L W. 







ZEITSCHRIFT 

FÜR 

MEDIZINALBEAMTE 

Zentralblalt 

für das gesamte ßeblet der gerichtlichen Medizin and Psychiatrie, des Staat' 
liehen and privaten Versicherungswesens, sowie für das Medizinal- und 
Öffentliche Gesundheitswesen, einschließlich der prakt. u. sozialen Hyglone. 

Herausgegeben 

von 

Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, 

Re;, und Med.-Rat in Breslau. 


Offizielles Organ des Deutschen, Preussischen, Bayerischen, 
Sächsischen, Württembergisohen, Badischen, Hessischen, 
Mecklenburgischen, Thüringischen und Braunschweigischen 
Medizinalbeamtenvereins. 


XXXV* Jahrgang. 1022. 


Beilage: 



«ERLAB VOR FISCHER S HIEDIZIH. BUCHHAHBLUHR H. HORHFELD, 

Um*|l. Bayer. Hof« nd K. n. K. Kammtr • Bachhlfldl.r. 

Berlin W. 62, KelthstraBe 5. 





Inhalt 

I. Rechtsprechung. 

l. Entscheidungen des Reichsgerichts. *>!« 

1921. — Zuckerkrankheit, schwere Krankheit in versicherungsrecht¬ 
lichem Sinne. 57 

„ 3. Juni Haftung des Arztes.21 

„ 30. Sept. Warenumsatz.21 

„ 25. Okt. Kündigung für Kassenärzte.22 

„ 4. Nov. Röntgenverbrennung.23 

2. Entscheidungen von Oberlandes' und Landgerichten. 

1920. 9. März Verursachung von Lärm eines Gewerbebetriebes als Tat¬ 

bestand des § 360, Nr. 11, R.-Str.-G.-B. (Bayr. Oberstes 
Landgericht. 66 

1921. 14. Jan. Handel mit Arzneimitteln (Kammergericht).62 

„ 21. Juni Rad-Jo, ein berüchtigtes Geheimmittel (Landger. Hamburg) 33 

„ 8. Juli Bezeichnung „Approbierter Dentist“ erweckt den falschen 

Schein einer geprüften Medizinalperson.61 

„ 8. Nov. üebertretung der Verordnung über den Handel mit Arznei¬ 
mitteln [Salvarsan] (Kammergericht).29 

1922. 19. Jan. ' Rad-Jo ^Landgericht Chemnitz).62 

„ 31. März Beschäftigung von Helferinnen und Drogisten in Apotheken 

(Kammergericht).101 

„ 14. Juli Tod durch Einspritzung von Cocain statt Novocain in 

einem Krankenhause (Landgericht Frankfurt a. M.) . . 101 

3. Entscheidungen von Verwaltungsgerichten. 

1915. 11. Jan. Untersagte Aufbewahrung und Lagerung von rohen 
Schweinehaaren wegen gesundheitsschädlicher Gerüche 
(0. V. G.).29 

1919. 28. März Abtreibungsversuch einer Hebamme mit untauglichen 

Mitteln. Unzuverlässigkeitsgrund (0. V. G.).65 

1920. 10. Juni Entziehung des Prüfungszeugnisses einer Hebamme wegen 

Unzuverlässigkeit (0. V. G.).62 

„ 10. Juni Polizeiliches Einschreiten gegen den Betrieb eines Musik¬ 
automaten wegen Gesundheitsstörung (0. V. G.) ... 66 

1921. 24. Febr. Versagung der Konzession für eine Privatkrankenanstalt 

wegen Unzuverlässigkeit (0. V. G.).65 

II. Medizinalgesetzgebung. 

A. Deutsches Reich. 

1921. 10. Dez. Aenderung der Bezeichnung „Lehrling“ und „Gehilfe“ in 

der Prüfungsordn ung für Apotheker. 9 

„ 28. Dez. Wochenhilfe und Wochenfürsorge.24 

— Maßnahmen zum Schutze der in Krankenanstalten beschäf¬ 
tigten Krankenpflegepersonen gegen Tuberkulose ... 41 

1922. 2. Febr. Beförderung von Personen, die an Genickstarre und Rotz 

leiden, auf der Eisenbahn.38 

„ 4. März Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum Gebrauche 

des Roten Kreuzes.58 





















Inhalt. 


III 

Seite 


1922. 20. April Wochenhille and Wochenfürsorge.58 

„ 20. April Aerztliche Versorgung bei den Krankenkassen .... 69 

„ 20. April Beschäftigung von Arbeiterinnen und Jugendlichen in Glas¬ 
hütten usw.69 

— Abgabe von Quellstiften in Apotheken in verschiedenen 

Ländern.73 

„ 2. Juni Beschäftigung von Arbeiterinnen und Jugendlichen inWalz- 

und Hammerwerken . . ..73 

„ 16. Juni Zum Begriff „Geheimmittel“.77 

„ 17. Juni Aeußere Kennzeichnung der mit Dienstmarken freige- 

gemachten Sendungen.89 

„ 17. Juli Arbeitszeit im Bergbau unter Tage.89 

„ 6. Sept. Aufhebung der zur Abwehr gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten erlassenen Einfuhrverbote.97 


B. Preußen. 

1921. 26. Aug. Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an 


medizinischen Instituten. 9 

„ 9. Sept. Anstellang und Tätigkeit der Gewerbeäfzte.17 

„ 5. Okt. Außerkrafttreten der Abänderung des § 12 der Giftpolizei¬ 
verordnung .69 

„ 31. Okt. Medizinische Volksbelehrungsfflme. 6 

„ 31. Okt. Zahnärztliche Versorgun g i n Krankenanstalten .... 6 

8. Nov. Beratung innerhalb der Wohnungsämter auf dem Gebiete 

der Schulzahnpflege. 5 

„ 17. Nov. Telegrammgebühren in gerichtlichen Angelegenheiten für 

Kreismedizinalräte. 4 

„ 18. Nov. Anzeige der spinalen Kinderlähmung. 5 

„ 19. Nov. Tagegelder für mehrtägige Dienstreisen der Staatsbeamten 4 

„ 21. Nov. Befugnis der Kreismedizinalräte zur Besichtigung der Ver¬ 
sorgungslazarette . 1 

„ 23. Nov. Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an 

medizinischen Instituten. 4 


„ 23. Nov. Amtsärztliche Bescheinigung für Feuerbestattung ... 5 

„ 28. Nov. Benachrichtigung der Kreismedizinalräte durch die Standes¬ 
ämter über Bevölkerungsbewegung u. Gesundheitsstatistik 15 

„ 30. Nov. Vergütungen für Dienstreisen nach nahe gelegenen Orten 29 

„ 3. Dez. Jahresgesundheitsberichte der Kreismedizinalräte ... 31 

„ 9. Dez. Gegenseitige Anerkennung der Ansbildung bezw. Prüfung 

der Aerzte, Apotheker usw. zwischen Preußen u. Memel- 


■ gebiet.34 

„ 13. Dez. Dienstreisen nach nahegelegenen Orten. 2 

„ 14. Dez. Sozialhygienische Akademien in Charlottenburg, Breslau 

und Düsseldorf. 6 

„ 14. Dez. Ausbildung von Kommunal- und Fürsorgeärzten ... 36 

„ 17. Dez. Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten für Dienstreisen . . 3 

„ 27. Dez. Anstellung von Gewerbemedizinalräten.25 

„ 29. Dez. Tuberkulose-Statistik.27 

_ 31. Dez. Prüfungsgebühren für Desinfektoren.25 

22. 3. Jan. Aerztliche Bescheinigungen über die Todesursache für die 

Ausstellung von Leichenpässen.17 

„ 7. Jan. Neue Desinfektionsordnung.26 

„ 12. Jan. Erhöhung der Gebühren für Ausstellung eines wiederholten 

Impfscheins.34 

„ 17. Jan. Tätigkeit der Desinfektoren nach der neuen Desinfektions¬ 
ordnung .32 

„ 18. Jan. Abgabe von Quellstiften in Apotheken.40 

„ 20. Jan. Bericht über Grippeausbreitung.39 

„ 26. Jan. Herstellung und Vertrieb von Kunstmilch und Kunstsahne 37 

„ 28. Jan. Erysipel als Impfschädigung.39 

„ 30. Jan. Eisenbahnfahrkosten bei Dienstreisen.31 

„ 4. Febr. Gebühren f. Feuerbestattungszeugnisse abführungspflichtig 34 


































IV 


Inhalt. 


1922. 8. Febr. 

„ 10. Febr. 

„ 11. Febr. 

„ 22. Febr. 

23. Febr. 
„ 25. Febr. 

„ 3. Harz 

.. 3. März 

„ 6. März 

„ 7. März 

„ 9. März 

„ 9. März 

15. März 

„ 15. März 

„ 15. März 

„ 16. März 

„ 20. März 

r 25. März 

„ 30. März 

, 12. April 

„ 14. April 

„ 18. April 

„ 19. April 

,, 19. April 

27. April 

„ 27. April 

„ 6. Mai 

„ 11. Mai 

„ 12. Mai 

„ 18. Mai 

„ 15. Mai 

„ 16. Mai 

„ 16. Mai 

„ 16. Mai 

16. Mai 

„ 19. Mai 

„ 27. Mai 

„ 80. Mai 

* 31. Mai 

, 31. Mai 

, 7. Juni 

, 10. Juni 

„ 13. Juni 

„ 14. Juni 

„ 16. Juni 

„ 26. Juni 

„ 28. Juni 

„ 29. Juni 

„ 30. Juni 

,. 1. Juli 


Uebereinkommen wegen gegenseitiger Anerkennung der 

Wohlfahrtspflegerinnen nut Braunschweig. 

Borsäurezusatz zur Butter. 

Alte, unbrauchbare Schulbänke. 

Versetzungen von Beamten. 

Nichtpharmazeutisches Hilfspersonal in Apotheken . . . 

Lehrfilme. 

Gebühren der Medizinalbeamten. 

Gebühren für Teilnahme an Desinfektionslehrgängen . . 
Atlas über die Hygiene des Säuglings und Kleinkindes . 

Dienstanweisung für die Stadtärzte .. 

Pockengefahr durch zureisende Personen aus Rußland usw. 

Speiseeigelb. 

Teuerungszuschlag zur ärztlichen Gebührenordnung . . 

Beihilfen zur Bekämpfung der Tuberkulose. 

Staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen .... 

Margarinegesetz. 

Anwärter- u. Besoldungsdienstalter der Medizinalbeamten 
Kosten für die von den Kreismedizinalräten zu führenden 

Krüppelstammlisten und Nachweisungen. 

Mitteilung negativer bakteriologischer Untersuchungsergeb¬ 
nisse der Med. Untersuchungs-Anstalten. 

Anwendung von Salvarsan. 

Befreiung von Anstaltsbehandlung der Krüppel .... 
Ueberwachung der Abgabe von Heilmitteln seitens der 

Dentaldepots. 

Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte .... 
Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an 

medizinischen Instituten. 

Erhöhung der Gebühren für die staatliche Prüfung von 

Wohlfahrtspflegerinnen. 

Staatliche Anerkennung von Wohlfahrtspflegerinnen . . 

Kanalisationsprojekte. 

Schreibgebühren (von Privaten zu erstattende) .... 

Benutzung von Lysol durch die Hebammen. 

Erlaubnis zum Gebrauch des Roten Kreuzes. 

Tagegelder für Dienstreisen, Erweiterung der Liste be¬ 
sonders teurer Orte. 

Vergütung für Massenimpfungen. 

Prüfung von Impfstoffen und Sera. 

Hitzemerkblatt und andere Aufklärungsblätter betr. Säug¬ 
lingssterblichkeit . •. . . . 

Prüfungsgebühren für Nahrungsmittelchemiker . . . . 
Staatliche Anerkennung als Technische Assistentin . . . 
Aufbewahrung amtsärztlicher Bescheinigungen für Feuer¬ 
bestattung . 

Ventox- und Cyklon-Entwesungsverfahren. 

Neue Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei 
den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leidien . 
Schulwissenschaftliche Vorbildung d.Wohlfahrtspflegerinnen 

Gebühr für die Ausführung der Wa. R.. 

Verwendung von Talk und schwefliger Säure bei Müllerei¬ 
erzeugnissen . 

Reisekosten der Kreismedizinalräte in gerichtlichen An¬ 
gelegenheiten . 

Berufsschulung bei der Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen 
Richtlinien für Errichtung von Provinzialausschüssen für 

hygienische Volksbelehrung. 

Aerztliche Vergütung für Wahrnehmung von Impfterminen 

Verwendung von Dienstmarken. 

Seuchenbekämpfung bei der kasernierten Schutzpolizei 

Abwässerbeseitigung von Siedlungen. 

Gebühren für staatliehe Prüfung der Zahntechniker . . 


Seite 

34 

35 
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103 

98 

103 

82 

105 

104 
90 
85 
98 

































Inhalt V 

Seite 

1922. 13. Juli Leitsätze über die Stellung der leitenden Krankenhaus« 

ärzte.105 

21. Juli Rad-Jo und die Hebammen.104 

. 26. Juli Vergütung an auswärtige Mitglieder der Gerichtsärztlichen 

Ausschüsse.90 

„ 28. Juli Uebereinkommen mit Baden, Hamburg, Mecklenburg- 

Schwerin bez. Wohlfahrtspflegerinnen.98 

„ 4. Aug. Schreibgebühren, von Privaten zu erstattende .... 88 

„ 7. Aug. Tagegelder und Dienstreisen der Staatsbeamten ... 98 

7. Aug. Unterstützung von Wohlfahrtsschulen.107 

„ 7. Aug. Bestrebungen der Bünde zur Vertretung der Interessen 

kinderreicher Familien. 107 

, 9. Aug. Verbreitung der tropischen Malaria 107 

„ 10. Aug. Auftreten von Skorbut..108 

„ 11. Aug. Tuberkulosebekämpfung.90 

„ 25. Aug. Honorar für Massenimpfungen.98 

28. Aug. Fahrkosten der Kreismedizinalräte.100 

„ 16. u. 23. Sept. Reisekosten und Tagegelder der Staatsbeamten . . 99 

4. Okt. Erhöhung der Fahrkosten für Dienstreisen.100 

. 29. Nov. Gefäße zur Versendung bakteriologischen Untersuchungs¬ 
materials .105 

C. Bauern. 

1922. 7. Jan. Gebühren für die ärztlichen Dienstleistungen bei Behörden 17 

„ 30. März Leichenschaugebühren.43 

D. Sachsen. 

1921. 13. Juni Amtliche Nahrungsmittelüberwachung.53 

„ 12. Okt. Aenderung der Vorschriften über Wahlen zum Landes¬ 
gesundheitsamt . 7 

1922. 22. Febr. Entschädigung für Impfungen.43 

„ 8. April Impfgebühren.64 

,. 19. Juni Geschäftsordnung für das Landesgesundheitsamt ... 88 

10. Aug. Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte.96 

B. Württemberg. 

1921. 30. Nov. Beförderung von Leichen . . *.18 

„ 28. Dez. Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 40 

1922. 20. Jan. Bekämpfung der Tuberkulose.75 

„ 28. Jan. Aufhebung der Verfügung betr. Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums .40 

„ 15. Febr. Staatliche Prüfung von Dentisten.59 

, 15. Febr. Aenderung der Vollzugsverfügung zum Oberamtsgesetz 

hinsichtlich der Zahntechniker.59 

, 15. Febr. Zahntechniker.60 

28. März Gebühren der Aerzte, Zahnärzte, Hebammen .... 79, 80 

„ 1. April Aerztliche Gebührenordnung.96 

15. April Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 76 

P. Thüringen. 

1921. 31. Aug. Desinfektionsanweisung. 8 

„ 4. Nov. Impfarztgebühren.19 

„ 10. Nov. Prüfung von Zahntechnikern.18 

1922. 15. Mai Verbot öffentlicher hypnotischer Vorführungen .... 80 

G. Baden. 

1921. 3. Nov. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.19 

1922. 6. Juni Wagen und Gewichte in Apotheken. 88 

22. Sept. Gebühren der Gesundheitsbeamten.100 

































VI Sachregister. 

Seite 


H. Mecklenburg«SchwerIn. 

1921. 27. Sept. Gebührenordnung für die staatlichen Untersuchungs¬ 

anstalten .20 

„ 15. Dez. Hebammenwesen.44 

„ 15. Dez. Hebammenwesen.80 

1922 12. April Pharmazeutische Vorprüfung.60 

J. Anhalt. 

1922. 1. Mai Gebühren der Medizinalbeamten.60 

K. Lippe. 

1921. 30. Dez. Bekämpfung der Grippe.36 

1922. 22. Febr. Aufhebung der Verordnung betr. Bekämpfung der Grippe 48 

L. Braunschwelg. 

1922. 12. Jan. Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen .... 48 

M. Hamburg. 

1921. 28. Dez. Staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen.48 

1922. 5. April Prüfung von Zahntechnikern. 76 

„ 31. Juli Gebühren der Medizinalpersonen. 76 

N. Bremen. 

1921. 15. Nov. Alters- nnd Invalidenunterstützung der Hebammen . . 56 


* 


Sachregister. 

AbwKsserbeseitigung bei Siedelungen 85 

Apotheken, Wagen und Gewichte (Baden) 88, Helferinnen (Bspr.) 101, nicht 
pharmazeutisches Hilfspersonal 52. 

Apotheker, dienstliche Bezeichnung 9, Vorprüfung (Mecklenburg-Schwerin) 60. 
Arbeiterschutz, Glashütten 69, Walz- und Hammerwerke 73. 

Aerzte, Haftung (Bspr.) 21, Kündigung von Kassenärzten (Hspr.) 22, Aner¬ 
kennung über Prüfung (Memelgebiet) 34, ärztliche Versorgung bei Kranken¬ 
kassen 69, Gebührenordnung 74, (Sachsen) 96, (Württemberg) 96. 
Arzneimittel, Handel (Bspr.) 29, 62. 

Assistentinnen, technische 74, 81 

Bakteriologisches Untersuchungsmaterial, Gefäße 105. 

Beamte, Versetzung 63. 

Bergbau, Arbeitszeit 89. 

Borsäure, Butter 35. 

Cocain, Tod durch (Bspr.) 101. 

Dentaldepots 68. 

Dentist (Bspr.) 61. 

Desinfektoren, Prüfung 25, Tätigkeit 32, Desinfektionsordnung 26, Desinfek¬ 
tionsanweisung (Thüringen) 8, Gebühren 43. 

Dienstmarken 90, 104. 

Dienstreisen 2, 3, 4, 29, 31, 72, 98, 99, 100. 

Eisenbahn, Beförderung Infektionskranker 33, Fahrkosten bei Dienstreisen 3, 31. 
Entwesungsverfahren (Ventox und Cyklon) 81. 

Erysipel als Impfschädigung. 39. 












Sachregister. VII 

Fahrkos teil der Kreismedizinal rate 100. 

Feuerbestattung 5, 84, 81. 

Film, Lehr- 61. 

Gebühren, ärztliche (Bayern) 17, (Hamburg) 76, der Medizinalbeamten (Preußen) 
37, (Anhalt) 60, für die staatlichen Untersuchungsanstalten (Mecklenburg- 
Schwerin) 20. 

Geheimmittel (Rspr.) 77 
Gerichlsärztliche Ausschüsse 90. 

Gerichtsärztliche Votschriften für Untersuchung menschlicher Leichen 82. 
Gifte, Handel 69. 

Grippe (Preußen) 39, (Lippe) 36, 48. 

Hebammen, Entziehung des Prüfnngazeugnisses (Rspr.) 62, 66, Hebammen¬ 
wesen (Mecklenburg-Schwerin) 44, 80, (Bremen) 66. 

Hitzemerkblatt 78. 

Hygienische Volksbelehrung, Provinzialausschüsse 82. 

Hypnotische Vorführung (Thüringen) 80. 

Jahresgesundheitsberichte (Preußen) 31. 

Impfung, Gebühren (Preußen) 73, 98, 106, (Thüringen) 19, (Sachsen) 43, 64, 
Impfscheine 34, Impfschaden 89, 

Impfstoffo und Sera, Prüfung 78. 

Irrenpflegepersonen, Prüfung (Hamburg) 48. 

Kanalisationsprojekte (Preußen) 102. 

Kinderlähmung, Anzeige 6. 

Kinderreiche Familien, Bünde 107. 

Kommunal- und Fürsorgeärzte 36. 

Krankenhausärzte, Stellung 106. 

Krankenpfleger, Schutz vor Tuberkulose (Deutsches Reich) 41, staatliche 
Prüfung (Württemberg) 40, 76, (Braunschweig) 48. 

Krankheiten, übertragbare (Baden) 19, gemeingefährliche 97. 
Kreismedizinalräte, Benachrichtigt] ng durch die Standesämter 16, Jahresgesund¬ 
heitsberichte 31, Fahrkosten 100, Reisekosten in gerichtlichen Angelegen¬ 
heiten 98. 

Krüppelfürsorge 61, 69. 

Kunstmilch, Kunstsahne 37. 

Kurpfuscher (Württemberg) 40. 

Landesgesnndheltsamt (Sachsen) 7, 88. 

Lärm (Rspr.) 66. 

Leichenpässe 17, Leichenbeförderung (Württemberg) 18, Leichenschangebühr 
(Bayern) 43, 64. 

Lysol für Hebammen (Preußen) 70. 

Malaria, tropische 107. 

Margarinegesetz 60. 

Medlzinalbeamte, Dienstalter (Preußen) 43, Fahrkosten 100, Medizinalpersonen, 
Gebühren (Württemberg) 79, 80, (Baden) 100. 

Medizinaluntersuchungsämter, Mitteilung negativer Ergebnisse 60. 
Müllereierzeugnisse, Talk und schweflige Säure bei ihrer Herstellung 103. 
Musikautomat, Einschreiten wegen Gesundheitsstörung (Rspr.) 66. 

Nahruagsmlttelüberwachnng (Sachsen) 63, Nahrungsmittelchemiker, Prüfungs¬ 
gebühr (Preußen) 78. 

Pockengefahr 42. 

Privatkrankenanstalt, Konzession (Rspr.) 66. 

Qnellstifte in Apotheken 40, 74. 

Rad-Jo (Rspr.) 88, 62, und Hebammen 104. 

Reisekosten und Tagegelder 98, 99, in gerichtlichen Angelegenheiten 103. 



vin 


Sachregister. 


Röntgenverbrennung (Rspr.) 23. 

Rotes Kreuz, Gebrauch 58, 70. 

Salvarsan 77. 

Säugling, Atlas über die Hygiene 50. 

Schreibgebühren 70, 88. 

Schulbänke 39. 

Schulzahnpflege 5. 

Schutzpolizei, Seuchenbekämpfung 90. 

Schweinehaare, Lagerung (Rspr.) 29. 

Skorbut 108. 

Sozialhygienische Akademien 6. 

Speiseeigelb 49. 

Stadtärzte, Dienstanweisung 68. 

Standesämter, Benachrichtigung über Bevölkerungsbewegung 15. 

Tagegelder (Preußen) 4, 72, 98, 99. 

Technische Assistentinnen an medizinischen Instituten, Prüfung 4. 9. 
Telegrammgebühren in gerichtlichtlichen Angelegenheiten 4. 

Tuberkulose, Statistik 27, Maßnahmen zum Schutz der Krankenpflegepersonen 41. 
Beihilfe zur Bekämpfung (Preußen) 41, Bekämpfung (Württemberg) 75. 
(Preußen) 90. 

Versorgangalazarette, Besichtigung durch die Kreismedizinalräte 1. 
Volksbelehrungsfilm 6. 

Warenumsatz (Rspr.) 21. 

Wassermann-Reaktion, Gebühren 97. 

Wochenhilfe 24, 58. 

Wohlfahrtspflegerinnen, Uebereinkommen zwischen Preußen und anderen Län¬ 
dern 34, 98, Prüfung (Preußen) 51, Gebühren 73, Anerkennung 74, Schul¬ 
wissenschaftliche Vorbildung 74, Fachliche Berufsschulung 103, Fnteretützung 
von Wohlfahrtsschulen 107. 

Zahnärztliche Versorgung in Krankenanstalten 6. 

Zahntechniker, Prüfung (Thüringen) 18, (Württemberg) 59, 60, (Hamburg) 76, 
Prüfungsgebühren (Preußen) 98. 

Zuckerkrankheit, schwere Krankheit (Rspr.) 57. 


J. C. c'. Bruns, Buchdruckerei. Minden i. Westf 







2 


Medizinal gesetzge b oug. 


Entsprechendes gilt bezüglich eines Versorgungskrankenhauses, von dem 
der Kreismedizüj&lrat erfährt, daß darin besonders schwere gesundheitspolizei- 
liche Mängel aafgetreten seien. 

In beiden vorgenannten Fällen muß eine vorherige Benachrichtigung des 
Hauptversorgungsamts nach Ziffer lb erfolgen. Die Benachrichtigung” darf 
nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn eine besondere Dringlichkeit vorliegt. 
Der Kreismedizinalrat muß alsdann Ton seiner Besuchsabsicbt den Chefarzt des 
Versorgungskrankenhauses oder dessen Vertreter seinerseits benachrichtigen 
und dem Hanptversorgungsamt nachträglich den erfolgten Besuch und die 
Gründe, aus denen die vorherige Benachrichtigung dieser Behörde unterblieben 
ist, unmittelbar mitteilen. Die Gründe, aus deneo die vorherige Benach¬ 
richtigung des Hauptversorgungsamts unterlassen wurde, sind außerdem in 
dem nach Ziffer 6 zu erstattenden Bericht anzugeben. 

3. Bei seinem Besuch hat der Kreismedizinalrat sein Augenmerk nur 
auf den gesundheitspolizeilichen Zustand des Versorgungskranken¬ 
hauses zu richten, nicht also auf Einrichtungen, die lediglich mit der Ver¬ 
waltung des Krankenhauses Zusammenhängen. 

Er hat Anspruch darauf, daß ihm während seines Besuchs alle Kranken¬ 
räume und sonstigen mit der Behandlung der Kranken im Zasammenb&ng 
stehenden Einrichtungen des Krankenhauses (Räume für ansteckende Kranke, 
DesinfvktK- ^meinrichtungen, Kanalisations- und Wassmersorgungsanlagen usw.) 
gezeigt werden. 

4. Der Kreisiaedizinalrat ist nicht berechtigt, unmittelbare Anordnungen 
für das Versorgungskrankenhaus zu geben oder dessen Aerzten wegen etwa 
vorhandener Mängel Vorhaltungen zu machen. 

5. Am Schloß des Besuchs besprechen der Kreismedizinalrat, der Ver¬ 
treter des Hauptversorgungsamts und der Chefarzt des Versorgungskrankeo- 
bauses die einzelnen auf gesundheitlichem Gebiet etwa festgestellten Mängel 
und die Frage, wie diesen Mängeln am einfachsten abgeholfen werden kann. 

6. Geber die Veranlassung und den Verlauf des Besuchs, insbesondere 
über die bei dem Besuch gemachten Wahrnehmungen sowie über das Ergebnis 
der Scklußbesprecbung hat der Kreismediziaalrat seiner vorgesetzton Behörde 
einen Bericht za erstatten. Eine Abschrift dieses Berichts ist von ihm gleich¬ 
zeitig dem Hauptversorgungsamt zu übersenden. 


jg Dienstreise» nach nahegelegeneu Orten. Ru n de rl aß d es Ministers 
Cur Volks Wohlfahrt vom 13. Dezember 1921 — A.3. Nr. 468. W. M. — 
für das Siaatsministerium, an die naebgeordneten Behörden. 

Auf Grund des § 9 des Gesetzes, betr, die Reisekosten der Staats¬ 
beamten, vom 26. Jali 1910 (Ges.-Sammlung S. 150) wird unter Aufhebung der 
Allgemeinen Verfügung des SUatsministeriums vom 13. Oktober 1911 (G.-S. 
S. 213) sowie der Aendernngen vom 2. November 1918 (G.-8. 8.177) und 
16. Dezember 1919 (G.-S. 1920 S. 3/4) folgendes bestimmt: 

§ 1. Für Dienstreisen nach nahegelegenen Orten und zurück, die mit 
der Eisenbahn, der Kleinbahn oder dem Schiffe ausgefübrt werden und an 
demselben Tage angetreten und beendet werden können, werden an Stelle der 
in dem Reisekostengesetz vom 26. Juli 1910 uud den Ausführungsbestimmungen 
vom 24. September 1910 vorgesehenen Reisekosten die im § 2 festgesetzten 
Vergütungen gewährt. 

Als nahegelegen im Sinne dieser Verfügung gilt, eiu Ort, wenn die bei 
einer Berechnung der Fabrkosten maßgebende Entfernung zwischen ihm and 
dem Wohnorte (Reisen, die am Urlaubsorte angetreten und beendet werden, 
zwischen ihm und dem Urlanbsortc) nicht mehr als 30 km beträgt und wenn 
zwischen beiden Orten ein Vorort-, Stadt-, Ring- oder Straßenbahnverkehr be¬ 
steht oder in sonstiger Weise mit den im Absatz i genanuten Verkehrsmitteln 
täglich von 6 Uhr morgens ab in jeder der beiden Reise rieh taugen eine 
mindestens achtmalige fahrplanmäßige Verbindnng vorhanden ist. Werden 
auf einer Reise mehrere Geschäftsorte berührt, so gelten sie als o&liegelegen, 
wenn jeder einzelne Geschäftsort von dem Wohnorte (Urlaubsort) wenigstens 
in einer Reiserichtnng nicht mehr als 30 km entfernt liegt, and wenn zwischen 




Medizinalgesetzgebung. 


3 


den einzelnen Orten in beiden Reiserichtungen die im vorstehenden Satze an¬ 
gegebenen günstigen Verkehrsbedingungen bestehen. 

Die Vergütung nach § 2 wird auch gewährt, wenn die Dienstgeschäfte 
an einem nahegelegenen Orte nicht an einem Tage beendet werden uud der 
täglichen Rückkehr des Beamten nichts entgegensteht. 

§ 2. Als Vergütung für allgemeine Kosten erhalten die Beamten 
in Stufe I 10 M. in 8tufe III 15 M. in Stufe V 20 M. 

» » n 13 „ „ , IV 18 „ 

Es gehören von den in der Besoldungsordnung zum Beamtendienstein¬ 
kommengesetz vom 17. Dezember 1920 (Q.-S. 1921 S. 135) aufgeführten Beamten: 


zur Stufe 

ff 71 . 

n n 
n ji 
* n 


Die Beamten mit 


festen Grundgehalts- 
Sätzen in Gruppe 
I 1 bis 5 

II 6 „ 8 

III 9 „ 12 

IV 13 

V - 


Mindestgrundgehalts¬ 
sätzen in Gruppe 


1 u. 2 

n 

5 


3 , 4 


Einzelgehältern 
in Gruppe 


1 bis 3 
4 u. 5 


Neben der Vergütung sind dem Beamten die wirklich erwachsenen Fahrt¬ 
auslagen für die benutzte und ihm nach § 3 des Reisekostengesetzes zuge¬ 
billigte Wagen- oder SchifFsklasse zu erstatten 

Eine besondere Vergütung für Zu- und Abgang wird nicht gewährt. 

Debersteigen die hiernach festgesetzten Vergütungen einschließlich Fahrt¬ 
auslagen diejenigen Beträge, welche den Beamten nach den sonst anzuwendenden 
Vorschriften zustehen würden, so erhalten sie nur die geringeren Beträge. 

§ 3. Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten, 
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäfts bedarf, sowie 
Schnellzugszuschläge werden gesondert erstattet. 

Hat der Beamte auf der Dienstreise höhere Beträge aufwenden müssen, 
als die Vergütung, welche nach den sonst anzuwendenden Vorschriften zu ge¬ 
währen wäre, so werden dieselben erstattet. Der Beamte hat zu diesem 
Zwecke seine Auslagen nach den einzelnen Arten summarisch geordnet anzu¬ 
geben, eine Belegung ist nicht erforderlich. 

§ 4. Diese Vergütung gilt nicht für Reisen, für welche an Ställe der 
in dem Reisekostengesetz und den Ausführungsbestimmungen vom 24. Sep¬ 
tember 1910 vorgesehenen Vergütungen gemäß § 17 oder § 8 Abs. a. Satz 1 
oder § 9 des Reisekostengesetzes anderweite Beträge in anderer als der in 
dieser Verfügung vorgesehenen Weise festgesetzt sind oder festgesetzt werden. 

§ 5. Diese Vergütung gilt nicht für Reisen, die zum Zwecke der Er¬ 
ledigung von Dienstgeschäften im Auslande ganz oder teilweise außerhalb 
des Reichsgebiets ausgeführt werden. 

§ 6. Diese Verfügung tritt mit Wirkung vom 1. Dezember 1921 ab 
in Kraft. 


/ t Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten für Dienstreisen. Runderlaß 

es Ministers für Volkswohlfahrt vom 17. Dezember 1921 
- A. 8 477 — an die nachgeordneten Behörden. 

Im Anschluß an die Rundverfügung vom 8. Juni 1921 — A. 3. Nr. 244. 
Durch die Verordnung über Erhöhung der Eisenbahnfahrkosten bei 
Dienstreisen der Staatsbeamten vom 30. November 1921 — G. S. S. 550 — ist 
der Fahrkosten - Kilometersatz des Reisekostengesetzes vom 26 Juli 1910 
— G. S. S. 150 — in der Fassung der Verordnung vom 31. Mai 1921 — G. S. 
S. 377 — für Wegestrecken, die nach dem 30. November 1921 auf Eisenbahnen 
oder Schiffen zurückgelegt werden können, neu festgesetzt, und zwar erhalten: 
a) Die im § 1 des Reisekostengesetzes unter I—IV genannten Beamten 81 Pf., 
wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse gezahlt ist, sonst 47 Pf., 

b) die unter V—VI genannten Beamten.47 Pf., 

wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste 

Schiffsklasse gezahlt ist, sonst.30 Pf., 

c) die unter VII genannten Beamten.. . 30 Pf., 

d) die unter I bis II genannten Beamten im Falle des § 3 Absatz 4 30 Pf.. 






4 


Medizin algetzgebung. 


Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Dezember 1921 angetreten, aber nicht 
beendigt werden, gilt das gleiche für die Eisenbahn- oder Schiffsfahrten, die 
an diesem Tage and später zarückgelcgt werden. 

Die neben den obigen Sätzen zar Erstattung gelangenden Schnellzugs- 
zuschläge betragen vom 1. Dezember 1921 ab: 

I./II. Klasse 

Entfernungen bis 75 km.10 M. 


über 75 
150 


bis 150 km 


20 

30 


111. Klasse 
8 M. 

10 „ 

15 „ 


Tagegelder für mehrtägige Dienstreisen der Staatsbeamten. E u n d - 
erlaß des Finanzministers und Ministers des Innern vom 
19. November 1921 — IC 2, 8423, UI 2.596. M.d.I. Ia 11415 — an die 
nacbgeordneten Behörden. 

In Aenderung des Runderlasses vom 6. April 1921 — Fin.-Min. Bl. S. 216 — 
genehmigen wir auf Grund des § 8 Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 
1910 für den Bereich der allgemeinen Kreiskassen-, Kataster- und Hochbau- 
verwaltung sowie der inneren Verwaltung einschließlich der staatlichen Polizei¬ 
verwaltungen, der Landjägerei und der Schutzpolizei, daß mit Wirkung vom 
1. November 1921 ab den Staatsbeamten bei mehl tägigen Dienstreisen 
anstelle der bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu den gesetz¬ 
mäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die mit den Tagegeldern zusammen 
folgende Beträge nicht überschreiten dürfen. 

a) für teure Städte b) im übrigen 

Stufe I 70,00 Mark Stufe I 45,(X) Mark 

„ II 82,00 „ „ n 54,00 „ 

„ III 94,00 „ „ in 68,00 „ 

„ IV 106,00 „ „ IV 72,00 „ 

* V 120,00 „ „ V 85,00 „ 

lm übrigen bleiben die bisherigen Vorschriften für die Abfindung der 
Beamten bei Dienstreisen in Geltung. 


Telegrammgebühren in gerichtlichen Angelegenheiten für die Kreis* 
yluedizinalräle. Runderlaß des Ministers für Volks Wohlfahrt 
vom 17. November 1921 — IMI 2392 — an sämtliche Herren Regierungs¬ 
präsidenten. 

Die den Kreismedizinalräten in gerichtlichen Angelegenheiten erwachsen¬ 
den Telegrammgebühren können bei den Mitteln der Verwaltung für Volks¬ 
wohlfahrt nicht verrechnet werden; ihre Erstatattung ist vielmehr auf Grund 
des § 12 a der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (Reichs- 
Gesetzbl. 1914 S. 214) bei den Gerichten zu beantragen. 

Ich ersuche ergebenst, hiernach das Weitere zu veranlassen. Der Herr 
Justizminister wird die mit der Festsetzung der Zeugen- und Sachverständigen¬ 
gebühren betrauten Beamten mit einem entsprechenden Hinweise versehen. 



Staatliche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen 
Instituten. Runderlaß deB Ministers für Volks Wohlfahrt vom 
23. November 1921 — IM. IV. 2301 — an sämtliche Herren Regierungs¬ 
präsidenten. 

Im Einvernehmen mit den Herren Ministern für Handel und Gewerbe 
und für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bestimme ich in Ergänzung 
des Erlasses vom 26. August d, J. — I M IV 1579 II —, betreffend Durch¬ 
führung der Vorschriften für die staatliche Prüfung von technischen Assisten¬ 
tinnen an medizinischen Instituten, daß der Regierungspräsident auch die Auf¬ 
sicht über die der Ausbildung technischer Assistentinnen für medizinische In¬ 
stitute dienenden Fachschulen auszuüben hat, Für die Zulassung und Beauf¬ 
sichtigung dieser Schulen finden die Bestimmungen des Erlasses des Herrn 
Ministers für Handel und Gewerbe vom 1. Mai 1917 — IV 2657 — (Ministerial¬ 
blatt der Handels* und Gcwerbeverwaltung 1917 8.159 ff.), soweit nicht in 
meinem Erlaß vom 26. August d. J. ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, 
sinngemäße Anwendung mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Schulaufsichts¬ 
behörde der Regierungspräsident tritt. 





Medizinalgesetzgebung. 


5 


Anzeige der spinalen Kinderl&hmung (Poliomyelitis). Bunderlaß 
des Ministers fttr Volkswohlfahrt vom 18. November 1921 
— I M. III 2898 — an sämtliche Herren Begiernngspräsidenten. 

Die spinale Kinderlähmung — Poliomyelitis — gewinnt neuerdings wieder 
an Ausdehnung, sodaß möglicherweise die Einführung der Anzeigepflicht' für 
diese Krankheit notwendig werden kann. Bevor ich jedoch hierzu Stellung 
nehme, ist es mir erwünscht, Uber den Umfang der Erkrankungen und Todes¬ 
fälle noch nähere Mitteilungen zu erhalten. Ich ersuche daher ergebenst, die 
Kreisärzte zu veranlassen, in geeigneter Weise auf die praktischen Aerzte ein¬ 
zuwirken, daß sie ihnen die erforderlichen Mitteilungen regelmäßig zukommen 
lassen. Die eingehenden Meldungen bitte ich in die Wochennachweisungen mit 
aufzunehmen. lieber das Wesen der Krankheit und ihre Bekämpfung enthalten 
die im Beichsgesundheitsamte bearbeiteten und im Ministerialblatt für Medizinal¬ 
angelegenheiten von 1918 auf S. 335 ff. abgedruckten Batschlägo an Aerzte 
das Wissenswerte. Besonderes Augenmerk ist hiernach auch den Haushalts¬ 
angehörigen oder den sonstigen Personen der Umgebung der Erkrankten zu 
widmen, da bei diesen häufig katarrhalische Erkrankungen der Luftwege sowie des 
Magens und des Darmes auftreten. Diese Katarrhe bleiben zumeist der einzige 
Ausdruck der erfolgten Infektion, während die eigentliche Poliomyelitiserkrankung 
nur in einer verhältnismäßig kleinen Zahl der Fälle auftritt. Es empfiehlt sich 
deshalb, die im letzten Absätze der oben erwähnten Batschläge empfohlene 
Desinfektion nicht auf den Kranken zu beschränken, sondern auch in der Um¬ 
gebung von an Kinderlähmung erkrankten Personen die Ausscheidungen aller 
an Katarrhen der Luft- und Verdauungswege Erkrankten regelmäßig zu des¬ 
infizieren, um zu verhüten, daß durch diese die Poliomyelitis weiter ver¬ 
breitet wird. 

Gefälligem, durch den Herrn Oberpräsidenten einzureichenden Berichte 
darüber, ob für den dortigen Bezirk die vorübergehende Anordnung der Anzeige¬ 
pflicht bei spinaler Kinderlähmung notwendig ist, oder über sonstige in dieser 
Beziehung gemachte beachtenswerte Wahrnehmungen sehe ich bestimmt zum 
15. Januar 1922 entgegen. 


Beratung innerhalb der Wohlfahrtsämter auf dem Gebiete der Schul¬ 
zahnpflege. Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
8 . November 1921 — IM. IV. 1113 — an die Herren Oberpräsidenten und 
Begiernngspräsidenten. 

Aus den Geschäftsberichten der Landesversicberungsanstaltcn ersehe ich, 
daß die vorbeugende Schulzahnpflege trotz des in weiten Kreisen gestiegenen 
Interesses im allgemeinen noch sehr wenig ausgeübt wird. Leider muß darauf 
hingewiesen werden, daß die Masse der Schulkinder schwer an Zahnkaries 
(Zahnfäule) leidet. Kranke Zähne bilden oft eiue Ursache von allgemeinen 
Leiden, sie können unter Umständen auch die Heilung bestehender Krankheiten 
erschweren. 

Bechtzeitige Zahnbehandlung der Schulkinder würde einen erheblichen 
Einfluß auf die Volksgesundheit ausüben. Es erscheint mir dabei von Wichtig¬ 
keit, daß innerhalb der Wohlfahrtsämter Gelegenheit geboten wird, sich von 
Fachleuten auf dem Gebiete der Schulzahnpflege beraten zu lassen. Deshalb 
sind Zahnärzte zur planmäßigen Mitarbeit in den Wohlfahrtsämtern hinzu- 
zuzieben. 

Im Einvernehmen mit dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volks¬ 
bildung ersuche ich, hiernach das Weitere zu veranlassen. Auf eine Zusammen¬ 
arbeit mit den Ausschüssen für hygienische Volksbelehrung, mit dem Deutschen 
Zentralkomitee für Zahnpflege in den Schulen, mit den Vertretern der Landes¬ 
versicherungsanstalten und den Prorinzialschulkollegien ist hinzuwirken. 

In drei Monaten sehe ich einem Bericht über die Durchführung dieses 
Erlasses entgegen. 


r Amtsärztliche Bescheinigung zum Zwecke der Feuerbestattung. 
Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 23. Novem¬ 
ber 1921 — IM. IV. 2472 — an sämtliche Herren Begiernngspräsidenten. 

Um die Beibringung der amtsärztlichen Bescheinigung zum Zwecke der 
Feuerbestattung (§§ 7 und 8 des Gesetzes vom 14. September 1911) zu er- 



6 


Medizinalgesetzgebung. 


leichtern, wird auter Aufhebung meines Erlasses vom 9. September 1920 
— IMIV 1698 — bestimmt, daß die Anweisung vom 29. September 1911 
bezw. 5. Juni 1919 zur Ausführung des Gesetzes vom 14. September 1911 
bezüglich des Absatz 1 io I 2 der Anlage 2 dahin ausznlegen ist, daß in 
Bezirken, für die ein besonderer Gcrichtsmedizinalrat bestellt, ist, neben diesem 
der zuständige Kreismedizinalrat bezw. die übrigen dort erwähnten Aerzte zur 
Ausstellung der Bescheinigungen berechtigt sind. 

Medizinische Volksbelehrungsflime. Bunderlaß des Ministers 
für Volkswohlfahrt vom 31, Oktober 1921 — I M. IV. 2058 — an 
sämtliche Berreu Regierungspräsidenten. 

Die Univiersum-Film-Aktiengesellschaft Berlin, Kötbener Straße 1-4 (Ufa), 
hat unter Benutzung amtlicheu Materials eine Reihe weiterer medizinischer 
Volksbelehrungsfllme herausgegeben. Es sind erschienen bezw. stehen vor der 
Vollendung die Filme: Säuglingspflege; Krüppelnot und Krüppelbilfe; die 
Pocken, ihre Gefahren und deren Bekämpfung; die Wirkung der Hunger¬ 
blockade auf die Volksgesundheit; ein Tuberkulosefilm; Hygiene des häuslichen 
Lebens. Andere Filme gleicher Art sind in Vorbereitung. 

Ich cr&nchc ergebenst, die Vorführung auch dieser Volksbelehrungsfilme 
nach Möglichkeit zu fördern, insbesondere auch die Kreismedizinalräte auf die 
Filme aufmerksam zu machen und ihnen ihre Verwertung für Vortragszwecke 
zu empfehlen. 


Zahnärztliche Vevsorgung in Krankenanstalten« Runder!aß des 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 31. Oktober 1921 — I M. 
II. 2215 — an sämtliche Herren Regierungspräsidenten. 

Es bat sieb als ein Mangel herausgcstellt, daß Patienten, die sich in 
Krankenanstalten befinden, zahnärztlich nicht immer genügend und rechtzeitig 
versorgt werden. Ist es schon eine Lücke in der Versorgung der Kranken, 
wenn eine selbständig auftretende erhebliche Zahnerkraoknng nicht behandelt 
werden kann, so wird die Lage noch erschwert, falls der Erfolg der Allgemein- 
behandung von einer nebenhergehenden zahnärztlichen Behandlung abhängig 
ist, ganz besonders aber dann, wenn C3 sich dabei uid bettlägerige Patienten — 
wie es recht häufig der Fall ist — handelt;, die das Gebiet der Anstalt nicht 
verlassen können. Ich lege daher großen Wert darauf, daß die zahnärztliche 
Versorgung der Krankenbaasinsassen innerhalb der Räume des Krankenhauses 
ermöglicht wird. Die Errichtung einer selbständigen zahnärztlichen Station 
ist nur in den größeren allgemeinen Krankenhäusern möglich. Soweit diese 
Einrichtung nicht getroffen werden kann, sollte bei jedem Krankenhaus 
wenigstens dafür Sorge getragen werden, daß den Patienten bei Zahn- und 
Kiefererkrankungen fachmännische zahnärztliche Hilfe zur Verfügung steht. 

In einigen großen Städten, wie z. B. Hamburg und Essen, haben sich die 
bei den dortigen Krankenhäusern eingerichteten zahnärztlichen Stationen bereits 
seit Jahren gut bewährt und werden dort als eine unumgängliche Notwendig¬ 
keit bezeichnet. 

Ich ersuche ergebenst, hiernach die erforderlichen Verhandlungen ge¬ 
fälligst alsbald einzulciten. 

Abdrucke für die Landräte, die Kreisärzte, die KreiBassistenz&rzte und 
die Magistrate der kreisfreien Städte liegen bei. Die Herren Oberpräsidenten 
sind von mir gebeten worden, mit den Provinzialverwaltungen wegen der 
diesen unterstellten Krankenanstalten zu verhandeln. 

Nach sechs Monaten sehe ich gefälligem Bericht Über die Durchführung 
dieses Erlasses ergebenst entgegen. 


Sozialhygienische Akademien in Cbariottenburg, Breslau nnd Düssel¬ 
dorf. Runderlaß desMinisters fürVolk sw obifahrt vom 14. De¬ 
zember 1921 — I M. L 3491 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Unter Bezugnahme anf den Runderlaß vom 31. März d. Js. — I M. I. 
Nr 737 — mache ich nochmals auf die bei den sozialbygienischen Anstalten 
in Berlin-Charlottenburg, Brcslaa und Düsseldorf Btattfindenden Lehrgänge zur 
Ausbildung von Kommuualärzten aufmerksam. Bei den bedeutenden Vorteilen, 
die eiue gute sozialbygienische Ausbildung der Kommunal- und Fürsorgeärzte 




Medizinalgese tzgeb ung. 


7 


der Allgemeinheit, insbesondere den betreffenden Kommunolverbänden bietet, 
und angesichts der wirtschaftlichen Nachteile, die bei einer schlecht geleiteten 
ärztlichen Fürsorge eintreten, halte ich es für außerordentlich wünschenswert, 
daß nur solche Aerzte als Kommunal- und Fürsorgeärzte. angestellt werden, 
die durch einen viermonatigen Lehrgang an einer der drei sozialbjgienischen 
Anstalten über die Zusammenhänge zwischen Gesundheitspflege und Wirt¬ 
schaftsleben genügend aufgeklärt sind. 

Ich ersuche daher ergebenst, in diesem Sinne bei allen sich bietenden 
geeigneten Gelegenheiten auf die nacbgeordneten Stellen einzuwirken, damit 
die Anstellung Ton Kommunal- und Fürsorgeärzten, die für ihre Aufgaben 
durchaus ungenügend vorbereitet sind, nicht mehr in dem bisherigen Umfange 
erfolgt. _ 


B. Sachsen. 

Aenderung der Vorschriften über Wahlen znm Landesgesundheits¬ 
amt. Bekanntmachung des Ministers des Innern vom ^.Ok¬ 
tober 1921. 

I. 

Die Verordnung über die Wahlen zum Landesgesundheitsamt vom 
21. Mai 1912 wird abgeändert wie folgt: 

1 . § 1 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut: 

§ 1. Die Zahnärzte wählen in die I. Abteilung ein ao. Mitglied und 
einen Stellvertreter, die Tierärzte in die II. Abteilung fünf ao. Mitglieder 
und ebensoviele Stellvertreter und die nicht selbständigen als Apotheker Appro¬ 
bierten (A p o t b e k e r g e h i 1 f e n) in die III. Abteilung des Landesgesnndbeits- 
amtes fünf ao. Mitglieder und ebensoviele Stellvertreter. 

Von don fünf ao. tierärztlichen Mitgliedern und ihren Stellvertretern 
und den fünf ao. Mitgliedern der nicht selbständigen als Apotheker Appro¬ 
bierten (Apotbekergehilfen) und ihren Stellvertretern wird in jeder Kreis¬ 
hauptmannschaft ein ao. Mitglied und ein Stellvertreter gewählt. 

2. § 2, Absatz 3 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut: 

Die Tierärzte und die nicht selbständigen als Apotheker Approbierten 
(Apothekergehilfen) sind nur in der Kreishauptmannschaft, in deren Bezirke 
sie wohnen, wahlberechtigt und wählbar. 

3. § 6, Absatz 2 der Ziffer II ist zu streichen. 

4. § 9, Absatz 1 der Ziffer II erhält folgenden Wortlaut: 

§ 9. Zum Zwecke der Wahl erläßt die betreffende Abteilung oder der 
veterinärmedizinische Oberrat bei der Kreishauptmannschaft eine die Wahl¬ 
berechtigten zur Beteiligung an der Wahl auffordernde Bekanntmachung in 
der Sächsischen Staatszeitung. 

II. 

Die Wahl der fünf ao. Mitglieder der nicht selbständigen als Apotheker 
Approbierten (Apothekergehilfen) und ihrer Stellvertreter ist erstmalig bis 
31. Dezember 1921 vorzunehmen. Zum gleichen Zeitpunkte erledigt sich die 
Wahlzeit des bisherigen ao. Mitglieds und seiner zwei Stellvertreter. 

Von den gewählten ao. Mitgliedern der nicht selbständigen als Apotheker 
Approbierten (Apothekergehilfen) scheidet Ende 1922 und an jedem künftigen 
Jahresschluß ein Mitglied mit seinem Stellvertreter aus. Die Reihenfolge dieses 
Ausscheidens wird in den ersten fünf Jahren durch das Los bestimmt, das der 
Vorsitzende der LU. Abteilung oder sein Stellvertreter zieht. 

IV. 

§ 8, Absatz 2 und 3 der Verordnung, die pharmazeutischen Kreisvereine 
und die Wahl von ao. pharmazeutischen Mitgliedern des Landesmedizinal¬ 
kollegiums betr., vom 15. August 1904 erhalten folgenden Wortlaut: 

„Zu diesem Zweck erläßt der nach § 7 zur Leitung des Wahlgeschäfts 
Berufene eine die Kreisvereinsmitglieder zur Beteiligung an der Wahl auf¬ 
fordernde Bekanntmachung in der Sächsischen Staatszeitung. In der Bekannt¬ 
machung ist der für die Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahl¬ 
ergebnisses bestimmte Tag genau und mit dem Bemerken zu bezeichnen, daß 
alle erst nach Ablauf dieses Zeitpunktes eingehenden Stimmzettel unberück¬ 
sichtigt bleiben und vernichtet werden.* 



Medizinalgesetzgebung, 


8 

C. Thüringen. 

Deslnfektlonsanweismig. Bekanntmachung des Wirtschafts¬ 
ministeriums vom 31. August 1921. (Gesetz?, f. Thüringen S. 240.) 

In Ausführung des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900, betreffend die Be¬ 
kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten (Eeicbsgesetzblatt S. 306) wird für 
das Land Thüringen folgende Desinfektionsanweisung bei Tuberkulose, Diph¬ 
therie, Scharlach' Genickstarre, Typhus, Ruhr und Körnerkrankheit erlassen: 

1. Zur technischen Beratung über die Art und den Umfang der Desin- 
fektionsmaßnahmen gegenüber Tuberkulose, Diphtherie, Scharlach, Genick¬ 
starre, Typhus, Ruhr und Körnerkrankheit sind die Preuß. amtlichen Desin¬ 
fektionsanweisungen (Erlaß des PreaO. Ministers für Volks wohl fahrt vom 
8 . Februar 1921 Amtsblatt „Volkswohlfahrt“ S. 191; Veröffentlichungen des 
Reichsgesundheitsamts 1921, S 414 ff.) von den Gemeindevorständen und Kreia- 
(Bezirks-) Aerzten anzuwenden. 

Die Desinfektionsanweisnngen sind erhältlich in der Druckerei des 
Zellengefäiignisses Berlin-Moabit, NW. 40, Lchrterstr. 8. Erstmalig werden 
die Desinfektionsanweisnngen darch das Thüringische Wirtschaftsministerinm 
verteilt werden. 

2. Der Hauptwert ist auf die laufende Desinfektion während der Krank¬ 
heit zu legen. 

Die laufende Desinfektion ist durch eine entsprechend ausgebildete 
Person zu überwachen. Diese Uebenvacbung hat zunächst darin zu bestehen, 
daß bei regelmäßigen, wenn möglich in 2- bis 3 tägigen Abständen auszuführenden 
Besuchen die zur Desinfektion notwendigen chemischen Lösungen hergerichtet 
und die deu Kranken pflegenden Personen über die Verwendung der Lösungen 
sowie die zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln eingehend belehrt werden. 
Den Angehörigen ist das entsprechende Merkblatt des Reichsgesundheitsamts 1 ) 
Ausznhöudigen und die Beobachtung der notwendigen Maßnahmen zu empfehlen. 
Bei Wiederholung der Besuche sind die Vorräte an Lösungen zu ergänzen und 
durch Augenscheinnahme oder Befragen festzustellen, ob die Desinfektion vor¬ 
schriftsmäßig ausgeführt wird; auch sind die beim ersten Besuch erteilten 
Belehrungen zu wiederholen. Wo es der behandelnde Arzt für notwendig hält, 
hat auch die Schwester oder der Desinfektor die Desinfektion der Abgänge 
der Kranken — nötigenfalls am Krankenbett selbst — auszufnhrcn, voraus¬ 
gesetzt das Einverständnis des II aushaltungs Vorstandes. 

3. Die mit der Ausführung der Desinfektion betrauten Desinfektoren 
nnd Schwestern unterstehen in bezug auf ihre Berufstätigkeit der Aufsicht des 
Kreis-(Bezirks-) Arztes, doch sollen sie, soweit möglich, auch den Wünschen 
des behandelnden Arztes Rechnung tragen. 

4. Unter allen Umständen haben sich die Desinfektoren und Schwestern 
bei ihren Besuchen in den Häusern der Kranken jeglicher Eingriffe in die Be¬ 
handlung und jeglicher Kritik der ärztlichen Anordnungen zu enthalten. Sie 
sind insonderheit nicht befugt, ärztlich aDgeordoete Deainfektionsmaßnabmen 
selbständig abzuändern. 

5. Soweit eine Scblußdesinfektion sich noch als notig erweist, ist diese 
tunlichst bald auszufübron. Ist in Abweichung hiervon die Schlußdesinfektion 
einen Monat seit ihrer Fälligkeit unterblieben, so ist in der Regel daraaf zu 
verzichten. 

6 . Die Ausbildungsstellen für Desinfektoren, Krankenpflegerinnen haben 
die oben erwähnten Desinfektionsanweisnngen dem Unterricht zu Grunde zu 
legen und den Prüflingen Abdrücke auszuhandigen. Die Lehren der An¬ 
weisungen sind in der Abschlußprüfung zu berücksichtigen. 

7. Diese Aaweisung tritt mit ihrer Veröffentlichung in Kraft. 


*) Erhältlich im Verlag von Julius Springer, Berlin W. 9, Link- 
straße 23/24. 


Verantwortlich für die Scliriftleituo^ Prof. Pr. Uapuiuuti, Geh. Med.-Hat in 
Druck, ton J, 0. I.'. ilruu**, Minden i. \Y. 









Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 2. 20. Januar. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 






A. Deutsches Reich 

Aenderung der Bezeichnung „Lehrling“ und „Gehilfe“ ln der 
Prüfungsordnung für Apotheker. Bekanntmachung des Reichs¬ 
ministers des Innern vom 10. Dezember 1921. 


Auf Grund des § 29 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich wird 
die Prüfungsordnung für Apotheker vom 18. Mai 1904 mit Zustimmung des 
Reichsrats geändert wie folgt: 

I. In den § 3 Abs. 5, § 4, § 6 Ziffer 2 und 3, § 7, § 9 Abs 1 und 2, § 10 

Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 39, § 41 sowie in Muster 1 (zu § 6) werden die 

Worte „Lehrling, Apothekerlehrling, Lehrlings, Lehrlinge, Lehrlingen bezw. 
Lehrzeit, Lehrlingszeit“ durch die Bezeichnungen „Praktikant, Praktikan¬ 
ten bezw. Praktikantenzeit“ ersetzt 

n. In den § 2 Abs. 1, § 6 Ziffer 3, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 17 Abs. 4 

Ziffer 1, § 35 Abs. 1, 3 und 4, § 36 Abs. 1, § 39 sowie in den Mustern 4 

(zu § 35) und 5 (zu § 86) werden die Worte „Gehilfe, Apothekergehilfe, 
Gehilfen bezw. Gehilfenzeit, Gehilfenjahre“ durch die Bezeichnungen 
„Assistent, Assistenten bezw. Assistentenzeit, Assistentenjahre“ ersetzt. 


B. Preußen. 

Staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medizinischen 
./ Instituten. Rnnderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
26. August 1921 — IM. IV. 1579 I — an sämtliche Herren Regierungs¬ 
präsidenten. 

Im Einvernehmen mit den Herren Ministern für Handel und Gewerbe 
und für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung erlasse ich die beiliegenden 
Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen an medi¬ 
zinischen Instituten, denen ein Plan für die Ausbildung dieser Assistentinnen 
und zwei Vorlagen für die ihnen zu erteilenden Ausweise beigefügt wird. 

Ich ersuche ergebenst, den im dortigen Bezirk vorhandenen Lehranstalten 
für Technische Assistentinnen Kenntnis von diesem Erlaß und den Vorschriften 
zu geben, dabei aber ausdrücklich zu betonen, daß diese Mitteilung weder die 
Anerkennung der betreffenden Anstalt als Lehranstalt für Technische Assistentinnen 
an medizinischen Instituten in sich schließt, noch ohne weiteres die Anwart¬ 
schaft hierauf gewährleistet; um die Anerkennung zu erhalten, bedarf es viel¬ 
mehr eines Antrages dieser Lehranstalten an Euer Hochwohlgeboren und einer 
eingehenden Prüfung dieser Anträge durch Euer Hochwohlgeboren. 

Ich ersuche ferner, soweit Bedarf vorhanden ist, die Bildung von 
Prüfungsausschüssen so rechtzeitig zu veranlassen, daß gegebenenfalls zu 
Ostern 1922 eine Prüfung nach den neuen Vorschriften aS^ehalten werden 
kann, einen Ausschuß aber sogleich zu bilden, der bei der Prüfung von An¬ 
trägen nach § 19 der Vorschriften mitwirken kann. 

Vorschriften für die staatliche Prüfung von Technischen Assistentinnen 

an medizinischen Instituten. 

§ 1. Die Prüfung findet statt behufs Erteilung der staatlichen An¬ 
erkennung als Technische Assistentin an medizinischen Instituten. 

Die folgenden Vorschriften bilden im Verein mit dem anliegenden Ans¬ 
bildungsplan die Grundlage für diese Prüfung. 

§ 2. Die Prüfung wird in einem staatlichen Institut oder in einer 




10 


Medizinalgesetzgebung. 


staatlich anerkanntes Lehranstalt für Technische Assistentinnen an wissen¬ 
schaftlichen Instituten abgehalten. 

§ 3. Die Prüfung findet vor einem Prüfungsausschuß statt, welchem 
als Mitglieder angehören: 

1. der zuständige Regierungs- und Medizinalrat oder sein Stellvertreter als 
Vorsitzender, 

2 . der Leiter derjenigen Anstalt, in welcher die Prüfung stattfindet, oder sein 
Stellvertreter sowie 

3. für jedes einzelne Prüfungsfach ein für dieses von der Leitung der An¬ 
stalt, in welcher die Prüfung stattfindet, besonders benannter Sachverstän¬ 
diger. Als solche können auch die Lehrer der Lehranstalt, in welcher die 
Prüfung stattfindet, benannt werden, soweit sie eine staatliche Approbation 
auf Grund eines Studiums an einer Universität oder technischen Hoch¬ 
schule besitzen. 

Die zu 2 und 3 genannten Mitglieder des Prüfungsausschusses sind am 
Beginn jedes Jahres vom Vorsitzenden des Ausschusses anzuzeigen und vom 
Regierungspräsidenten zu bestätigen. Ebenso ist während des Schuljahres bei 
einem Wechsel in der Person eines der Ausschußmitglieder zu verfahren. 

Zu den Prüfungen ist auch der zuständige Regierungs- und Gewerbe- 
schnlrat einzuladen. 

§ 4. Prüfungen finden nach Bedarf im Frühjahr (Ostern) und Herbst 
(Michaeli) statt, wenn wenigstens 5 Meldungen vorliegen. 

§ 5. Die Zulassungsgesuche sind dem zuständigen Regierungs- und 
Medizinalrat als dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses unter Beifügung der 
erforderlichen Nachweise (§6) bis zum 1. Februar bezw. 1. August einzureichen. 

Bewerberinnen, deren Znlassungsgesuche später eingehen, haben keinen 
Anspruch auf Berücksichtigung in dem laufenden Prüfungsabschnitt. 

In dem Zulassungsgesuch ist auch anzugeben, in welchen Wahlfächern 
(s. Anlage 1 Abschnitt C) die Prüfung abgelegt werden soll. 

§ 6. Dem Zulassungsgesuch sind beizufügen: 

1. der Nachweis der Vollendung des 20. Lebensjahres, 

2. ein behördliches Leumundszeugnis, 

3. der Nachweis einer erfolgreich zum Abschluß gebrachten Ausbildung an 
einem staatlich anerkannten Lyzeum oder einer gleichwertigen Bildung, 

4. ein selbstverfaßter und eigenhändig geschriebener Lebenslauf, 

&. der Nachweis, daß die Bewerberin wenigstens 2 Jahre lang an den Lehr¬ 
gängen in staatlichen oder staatlich anerkannten Lehranstalten und dabei 
an dem Unterricht in allen Hauptfächern (s. Anlage 1 C) ordnungsmäßig 
(s. Anlage 1A) und erfolgreich teilgenommen hat. 

Der Nachweis der ordnungsmäßigen und erfolgreichen Teilnahme an dem 
Unterricht wird durch die Zeugnisse der Leiter derjenigen Lehranstalten er¬ 
bracht, an welchen die Ausbildung erfolgt ist. 1 ) 

Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses entscheidet über die Zulassung. 

g 7. Bewerberinnen, welche die im § 6 Nr. 5 vorgeschriebene Ausbildung 
nicht erhalten haben, können ausnahmsweise zur Prüfung zugelassen werden, 
wenn sie den Nachweis einer wenigstens gleichwertigen Ausbildung beibringen. 

§ 8. Die Gebühren für die Prüfung in den Hauptunterrichtsfächern 
(s. Anlage 1 C) betragen, einschließlich einer Schreibgebühr von 12 M., 84 M., 
für jedes Wahlfach 12 M. mehr. 

Die Gebühren für die Wiederholung einer Prüfung betragen 12 M. 
Schreibgebühr und für jedes Fach, für welches die Wiederholung der Prüfung 
notwendig ist, weitere 12 M. 

Die Prüfungsgebühren sind nach dem Empfang der Zulassung zur Prüfung 
alsbald, jedenfalls vor Beginn der Prüfung, an das Büro des Regierungs- und 
Medizinalrats zu entrichten. 

Wer von der Prüfung spätestens 2 Tage vor ihrem Beginn zurücktritt, 
erhält die bereits entrichteten Prüfungsgebühren abzüglich der Schreibgebflhr 
von 12 M. zurückerstattet. 


‘) Um zu verhüten, daß ungeeignete Elemente sich zur Prüfung melden, 
steht den Leitern der Lehranstalten das Recht zu, solche gar nicht erst die 
Lehrgänge durchmachen zu lassen, sondern schon möglichst frühzeitig aus¬ 
zumerzen. 



Medizin algesetzgebnng. 


11 


§ 9. Der Vorsitzende des Prüfungsauschusses setzt Zeit and Ort der 
Prüfung fest, verfügt die L&dnng der Prüflinge, and zwar so rechtzeitig, daß 
sie etwa 14 Tage vor der Prüfung erfolgt, and gibt spätestens 8 Tage vorher 
aach den Mitgliedern des Prüfangsaasschasses davon Kenntnis, damit der Leiter 
der Lehranstalt, in welcher die Prüfung stattfindet, die nötigen Prüfongsräume 
und sächlichen Hilfsmittel bereitstellen kann. 

§ 10. Der Vorsitzende leitet die Prüfung, bestellt bei Behinderung eines 
Mitgliedes des Prüfungsausschusses einen Vertreter und verteilt die Prüfungs¬ 
gegenstände unter die Prüfenden. 

§ 11. Die Prüfung ist eine mündliche und eine praktische und erstreckt 
sich auf die in Anlage 1 unter A aufgeführten Unterrichtsgegenstände. 

§ 12 Jeder Prüfling hat sich der Prüfung in sämtlichen Hauptfächern 
zu unterziehen. Unbenommen ist ihm dabei die Wahl der Wahlfächer. 

§ 18. Die Gegenstände und das Ergebnis der Prüfung werden für jeden 
Prüfling in einer Niederschrift vermerkt, welche von dem Vorsitzenden und dem 
Leiter der Anstalt, in der die Prüfung stattflndet, bezw. seinem Stellvertreter 
zu unterzeichnen ist. 

§ 14. Für jedes Prüfungsfach geben der Vorsitzende, der Leiter der 
Anstalt bezw. sein Stellvertreter und der Sachverständige fhr das betreffende 
Fach ihr Urteil über die Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings gesondert 
ab unter ausschließlicher Verwendung der Wertungen „sehr gut“ (1), „gut“ (2), 
„genügend“ (3), „ungenügend“ (4). Sie tragen diesen Vermerk unter Beifügung 
ihrer Unterschriften der betreffenden Stelle der Niederschrift ein. 

§ 15. Hat der Prüfling in einem Prüfungsfache von zwei Mitgliedern 
der Prüfungskommission die Wertung „ungenügend“ (4) erhalten, so gilt die 
Prüfung in diesem Fache als nicht bestanden und ist zu wiederholen. 

Von dem Urteil des Prüfungsausschusses hängt es ab, ob die Wieder¬ 
holung einer nicht bestandenen Prüfung nach 6 oder 12 Monaten stattfinden soll. 

Im übrigen hat der Vorsitzende am Schlüsse der Prüfung die Prüfungs¬ 
werte für jedes Prüfungsfach gesondert zusammenzureciinen und die Summe 
behufs Ermittelung der Gesamtwertung durch 3 zu teilen; ergeben sich dabei 
Drittel, so werden ein Drittel nicht, zwei Drittel als voll gerechnet. 

In entsprechender Weise sind nach beendeter Prüfung die Gesamtwertungen 
für alle Hauptfächer zusammenzurechnen und die Summe behufs Ermittelung 
der Gesamtwertung durch 6 zu teilen. Teile unter 0,5 bleiben dabei unberück¬ 
sichtigt, Teile über 0,5 werden als voll gerechnet. Die Wertungen für die 
Wahlfächer werden für die Ermittelung der GeBamtwertung für die ganze 
Prüfung nicht berücksichtigt. 

§ 16. Tritt ein Prüfling ohne eine nach dem Urteil der Prüfungs¬ 
kommission genügende Entschuldigung im Laufe der Prüfung zurück, so hat 
er sie vollständig zu wiederholen. Die bereits gezahlten Prüfungsgebühren (§ 8) 
werden in diesem Falle weder zurückgezahlt noch für eine , spätere Prüfung 
verrechnet. 

Liegt nach dem Urteil des Prüfungsausschusses eine genügende Ent 
schuldigung für den Rücktritt vor, so unterliegt esjder Entscheidung des Aus¬ 
schusses, ob die Prüfung ganz oder teilweise als noch nicht begonnen zu be¬ 
trachten und dem Prüfling zu gestatten ist, die Prüfung durch eine spätere 
Nachprüfung in demselben oder einem späteren Prüfungsabschnitt zu vollenden. 
Eine Nachzahlung von Gebühren ist in diesem Falle nicht erforderlich. 

§ 17. Die Wiederholung einer n^cht bestandenen oder ohne Entschuldi¬ 
gung nicht vollendeten Prüfung ist nicht öfter als zweimal, und zwar spätestens 
bis zum Ablauf von 3 Jahren, zulässig; sie muß vor demjenigen Prüfungsaus¬ 
schuß stattfinden, vor welchem die frühere Prüfung stattgefunden hat. 

Ueber Ausnahmen behalte ich mir die Entscheidung bis auf weiteres 
selbst vor. 

§ 18. Der Prüfling wird, falls er die Prüfung ganz oder teilweise nicht 
bestanden hat, vom Vorsitzenden davon benachrichtigt und erhält auf seinen 
Antrag die eingereichten Zeugnisse zurück, nachdem auf den Zeugnissen über 
die Teilnahme an dem Unterricht in den nicht bestandenen Fächern (§ 6 Nr. 6) 
ein Vermerk über den Ausfall der Prüfung gemacht worden ist. 

Wenn die Prüfung bestanden ist, reicht der Vorsitzende die Prüfungs¬ 
verhandlungen unter Beifügung der Wertungen (§ 15) an den Regierungs- 



12 


Medizinal geaetzgcbung. 


Präsidenten, im Ortspolizeibezirk Berlin an den Polizeipräsidenten in Berlin, 
behnis staatlicher Anerkennung als Technische Assistentin ein. 

Ueber die Anerkennung wird ein Ausweis nach anliegendem Muster A 
(Anlage 2) erteilt. Die Gesamtwertungen für die einzelnen Fächer, auch die 
der geprüften Wahlfächer sind ia diesen Ausweis einzutragen. Hat jedoch der 
Prüfling in einem Wahlfach die Wertung „ungenügend“ erhalten, so ist diese 
Wertung nicht in das Zeugnis aufzunehmen; er gilt dann als in diesem Fache 
nicht ausgebildet. 

§ 19. Personen, welche schon vor dein Erlaß dieser Prüfungsvorschriften 
eine Ausbildung als Technische Assistentin für medizinische Institute erhalten 
haben oder sich zurzeit in der Ausbildung befinden, kann während der nächsten 
6 Jahre nach einer wenigstens 3 Jahre langen praktischen Tätigkeit die staat¬ 
liche Anerkennung ohne vorherige Prüfung erteilt werden. 

Ein entsprechender Antrag auf staatliche Anerkennung muß spätestens bis 
zum 31. Dez. 1927 beijdem für ihren Wohnsitz zuständigen Reg.-Präsidenten — im 
OrtspoÜzeibezirk Berlin bei dem Polizeipräsidenten in Berlin — gestellt werden. 

Dem Antrag ist beizufügen: 

1. eine Bescheinigung über die erfolgte Ausbildung, 

2. die Belege dafür, daß die Antragstellerin wenigstens 3 volle Jahre lang 
als Technische Assistentin an medizinischen Instituten mit Erfolg tätig 
gewesen ist, 

3. ein behördliches Leumundszeugnis. 

Der Regierungspräsident (Polizeipräsident in Berlin) entscheidet über die 
Erteilung der Anerkennung nach Prüfung der Anträge durch einen ihm unter¬ 
stehenden Prüfungsausschuß. In Zweifelsfällen behalte ich mir die Entscheidung 
im Benehmen mit je 2 Fachgelehrten vor. 

Auf Befürwortung des Prüfungsausschusses kann auch, wenn besondere 
Gründe vorliegen, ausnahmsweise der Nachweis der Teilnahme an einem be¬ 
sonderen Ausbildungslehrgang erlassen werden. Ueber die Erteilung der staat¬ 
lichen Anerkennung in diesen Fällen behalte ich mir die Entscheidung bis auf 
weiteres selbst vor. 

Nach dem 31. Dezember 1927 kann die staatliche Anerkennung ohne 
vorherige Prüfung nur in besonderen Ansnahmefällen (Ausbildung und mehr¬ 
jährige praktische Betätigung in einer Anstalt von anerkanntem wissenschaft¬ 
lichen Ruf) erteilt werden. In allen diesen Fällen behalte ich mir die Ent¬ 
scheidung vor. 

§ 20. In den Fällen des § 19 ist ein Ausweis nach beiliegendem 
Muster B (Anlage 3) zu erteilen. 

§ 21. Die in einem anderen Lande des Reiches auf Grund gleicher 
Anforderungen erfolgte Anerkennung als Technische Assistentin an medizinischen 
Instituten gilt auch für das preußische Staatsgebiet. 

Ueber die Erteilung der staatlichen Anerkennung auf Grund des Zeug¬ 
nisses einer außerpreußischen Lehranstalt, auf welche die Voraussetzung des ersten 
Absatzes nicht zutrifft, behalte ich mir die Entscheidung bis auf weiteres selbst vor. 

§ 22. Die staatliche Anerkennung als Technische Assistentin an medi¬ 
zinischen Instituten kann von dem für den Wohnsitz zuständigen Regierungs¬ 
präsidenten, für den Ortspolizeibezirk Berlin von dem Polizeipräsidenten in 
Berlin, zurückgenommen werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche den Mangel 
derjenigen Eigenschaften dartun, die für die Ausübung des Berufs als Tech¬ 
nische Assistentin erforderlich sind, oder wenn die Technische Assistentin den 
in Ausübung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zu¬ 
widerhandelt. 

Einer in einem anderen Bundesstaat erfolgten Anerkennung kann unter 
denselben Voraussetzungen von dem für den Wohn- und Aufenthaltsort zu¬ 
ständigen Regierungspräsidenten (Polizeipräsident in Berlin) die Wirksamkeit 
für das preußische Staatsgebiet entzogen werden. Die Entziehung ist der 
Behörde, welche die Anerkennung erteilt hat, zur Kenntnis zu bringen. 

Anlage 1. Plan 

fflr die Ausbildung von Technischen Assistentinnen 
an medizinischen Instituten. 

Die Ausbildung der Technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten 
ist zum Teil eine theoretische, vorwiegend aber eine praktische. Als 



Medizinalgesetzgebung. 


13 


A. Ausbildungsflcher 

kommen folgende in Betracht: 

I. Chemie und Physik. 

1. Theoretisch: Grundzttge der anorganischen und organischen Chemie und 

die für die Analyse wichtigen Reaktionen und Grundlagen der Physik: 

4 Monate lang wöchentlich 8 = (insgesamt rund) 140 Stunden. 

2. Praktisch: Technisches Rechnen, Erlernen der wichtigsten Methoden zur 

qualitativen und quantitativen Analyse anorganischer und der wichtigsten 
organischen Körper, insbesondere auch Herstellung und Prüfung der 
Reagenzien und der Lösungen zur Maßanalyse: 

4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden. 

II. Anatomie, Physiologie und Biologie und mikroskopisch¬ 
anatomische Technik. 

1. Theoretisch: Bau des menschlichen Skeletts und das Wichtigste aus 

der Muskel-, Nerven-, Gefäß- und Eingeweidelehre: 

4 Monate lang wöchentlich 19 = 170 Stunden. 

2. Praktisch: Optik des Mikroskops, Methoden der Konservierung, Härtung 

und Eiubettung von Organteilen. Schnittmethoden, die wichtigsten Färbe¬ 
methoden. Studien der Gewebe und des feineren Baues der Zellen, Gewebe 
und Organe: 

4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden. 

III. Parasitologie und Serologie. 

1. Theoretisch: Grundzüge der Verbreitung und Bekämpfung übertrag¬ 

barer Krankheiten, der Morphologie und Biologie der Kleinlebewesen, der 
Infektionskrankheiten einschließlich ihrer Aetiologie: 

4 Monate lang wöchentlich 4 = 70 Stunden. 

2. Praktisch: Herstellung der einfachen und komplizierteren Nährböden für 

Bakterienkulturen. Erlernung und Uebung der Verfahren zum mikroskopi¬ 
schen und kulturellen Nachweis der Mikroparasiten, Hebungen in der 
serologischen Diagnostik: 

4 Monate lang wöchentlich 20 = 340 Stunden. 

IV. Klinische Chemie und Mikroskopie. 

Praktisch: Chemische und mikroskopische Untersuchung von Harn, Sputum, 
Magensaft, Fäces, Zerebrospinalflüssigkeit und Blut: 

4 Monate lang wöchentlich 6 = 110 Stunden. 

V. Photographie. 

a) Photographische Technik: 

4 Monate lang wöchentlich 18 = 300 Stunden. 

b) Makro-, Mikro- und Farbenphotographie. 

4 Monate lang wöchentlich 54 = 920 Stunden. 

c) Röntgenologie: 

4 Monate lang wöchentlich 48 = 820 Stunden. 

VI. Zeichnen. 

Makro- und mikroskopisch, schwarz nnd farbig, Aquarellieren: 

4 Monate lang wöchentlich 12 = 200 Stunden. 

VH. Schreibmaschine und Stenographie. 

4 Monate lang wöchentlich 6 = 100 Standen. 

Es ist den Schulleitern unbenommen, die im vorhergehenden errechnetcn 
Stundenzahlen, die als Mindestmaß der Ansbildungszeit in den einzelnen 
Fächern anzusehen sind, zu erhöhen oder auch auf 2, 3, 6 oder 12 Monate zu 
verteilen. Die Verteilung auf 4 Monate ist mit Rücksicht auf die Lage der 
Oster- und Sommerferien erfolgt. Im allgemeinen werden die Osterferien auf 3, 
die Pfingstferien auf 1, die Sommerferien auf 5 und die Weihnachtsferien auf 
3 Wochen zu bemessen sein, so daß das Höchstmaß der jährlichen Ferien 
12 Wochen beträgt. 

Aufstellung des Stundenplanes. 

Bei der Verteilung der Lehrfächer ist darauf Bedacht zu nehmen, daß 
auch genügend Zeit für häusliches Lernen und Uebungsarbeiten verbleibt. 



14 


Medizinalgesetzgebung. 


B. Wichtigkeit der Fächer. 

Die Chemie and Physik (I) bilden die unentbehrliche Grundlage für 
die Fächer II—Vc. 

Gute Kenntnisse in der Anatomie (III), Physiologie und Biologie 
sind {&r die mikroskopische Technik, die klinische Chemie und für die Rönt¬ 
genologie unerläßlich, auch als Grundlage für das Zeichnen wichtig. 

Die mikroskopische Technik (II 2) nimmt als Sonderfach eine 
selbständige Stellung ein, ist aber auch als Hilfsfach für die Bakteriologie 
unentbehrlich; auch als Ergänzung der Röntgenologie ist sie wichtig, damit 
Röntgenassistentinnen in einer Klinik auch die Anfertigung der histologischen 
Präparate mitübernehmen können. 

Die Parasitologie und Serologie (III) nehmen als Sonderfach 
eine selbständige Stellung ein, sind aber auch als Ergänzung der klinischen 
Chemie und Röntgenologie wichtig. 

Die klinische Chemie und Mikroskopie (IV) nehmen als Sonder¬ 
fach eine selbständige Stellung ein, sind aber auch als Ergänzung der Rönt¬ 
genologie nicht zu entbehren. 

Photographische Technik(Va) sowie die Makro-, Mikro-und 
Farbenphotographie (Vb) sind als Ergänzung für histologisch und bak¬ 
teriologisch tätige Assistentinnen wichtig. Erstere bildet auch die Grundlage 
für die Röntgenphotographie. Vb ist Wahlfach. 

Die Röntgenologie (Vc) nimmt als Sonderfach eine selbständige 
Stellung ein. 

Zeichnen (VI) ist Wahlfach. 

Gutes Zeichnen hat besondere künstlerische Veranlagung zur Voraus¬ 
setzung. Doch sollte jede Technische Assistentin imstande sein, wenigstens 
eine Skizze des im Mikroskop gesehenen Bildes zu entwerfen. (Im Zeugnis 
wird dies durch das Prädikat III („genügend“) ausgedrückt.) 

Schreibmaschine und Stenographie (VII) ist als Wahlfach 
stets zu empfehlen. 

C. Die Prüfung muß demnach berücksichtigen: 

Als Hauptfächer: I, II, m, IV, Va, Vc. 

Als Wahlfächer: Vb, VI, VH. 

Anlage 2. Ausweis Muster A. 

für staatlich anerkannte Technische Assistentinnen 
an medizinischen Instituten. 

.aus.hat 

vor der staatlichen Prüfungskommission in.die Prüfung in folgenden 

Fächern und mit den danebengesetzten Wertungen bestanden: 

Chemie und Physik:. 

Anatomie, Physiologie und Biologie:. 

Mikroskopisch-anatomische Technik:. 

Parasitologie nnd Serologie:. 

Klinische Chemie und Mikroskopie:. 

Photographische Technik:. 

Makro-, Mikro- und Farbenphotographie (Wahlfach):. 

Röntgenologie:. 

Zeichnen (Wahlfach):. 

Stenographie und Schreibmaschine (Wahlfach):. 

Ihr ist die Gesamtwertung.erteilt worden. 

Sie erhält daher, da Rie auch die zur Ausübung des Berufs als Technische 
Assistentin erforderlichen Eigenschaften besitzt, hiermit die Anerkennung als 
staatlich geprüfte Technische Assistentin 
an medizinischen Instituten. 

Für den Fall, daß Tatsachen bekannt werden, welche den Mangel der¬ 
jenigen Eigenschaften dartun, die zur Ausübung des Berufs als Technische 
Assistentin erforderlich sind, oder daß die Technische Assistentin den in Aus¬ 
übung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zuwider¬ 
handelt, bleibt die Zurücknahme der Anerkennung Vorbehalten. 

.. den.19 . . 

(Dienststempel.) Unterschrift:. 




















Medizinalgesetzgebung. 


15 


Ausweis 


Muster B. 


für staatlich anerkannte Technische Assistentinnen 
an medizinischen Instituten. 

.ans., welche 

den Nachweis der Ausbildung als Technische Assistentin an medizinischen 
Instituten erbracht und bereits . . . Jahre praktisch gearbeitet hat, auch 
die für die Ausübung dieses Berufs erforderlichen Eigenschaften besitzt, erhält 
hiermit die staatliche Anerkennung als 

Technische Assistentin an medizinischen Instituten. 

Für den Fall, daß Tatsachen bekannt werden, welche den Mangel der¬ 
jenigen Eigenschaften dartun, die zur Ausübung des Berufs als Technische 
Assistentin erforderlich sind, oder daß die Technische Assistentin den in Aus¬ 
übung der staatlichen Aufsicht erlassenen Vorschriften beharrlich zuwider¬ 
handelt, bleibt die Zurücknahme der Anerkennung Vorbehalten. 

., den.19 . . 

(Dienststempel.) Unterschrift: . .. 


Xab 

S Mi 


Benachrichtigung der Kreisniediiinalrite durch die Standesimter 
über Bevölkerungsbewegung und Gesundheitsstatistik. Bunderlaß des 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 28. November 1921 — IM. 
IV. 2568 — an sämtliche Herren Oberpräsidenten. 

Aus den letztjährigen Gesundheitsberichten der Begierungspräsidenlen 
geht hervor, daß die Ereismedizinalräte großenteils über die Bevölkerungs¬ 
bewegung und die gesundheitsstatistischen Daten ihrer Kreise nicht genügend 
unterrichtet sind und oft auch bei gutem Willen die notwendigen Unterlagen 
nicht rechtzeitig erhalten können. In den einzelnen Provinzen, Regierungs¬ 
bezirken und Kreisen ist Art und Umfang des von den Standesbeamten den 
Kreismedizinaliäten übermittelten statistischen Materials sehr verschieden, oft 
findet überhaupt keinerlei Benachrichtigung statt Der Kreismedizinalrat muß 
aber, um seinen Aufgaben als Gesundheitsbeamter des Kreises auf sanitäts¬ 
polizeilichem und sozialhygienischem Gebiet genügen zu können, an allererster 
Stelle über die gesundheitsstatistischen Daten seines Kreises unterrichtet sein. 
Es braucht dies nicht im einzelnen dargelegt zu werden, nur darauf sei hin- 

S ewiesen, daß zur Durchführung und Kontrolle einer sachgemäßen Bekämpfung 
er übertragbaren Krankheiten sowie zur planmäßigen Handhabung der Säug- 
längs- und Tuberkulosefürsorge die Geburts- und Sterbefallzählkarten schnell 
zu seiner Kenntnis kommen müssen. Aus diesen Karten wird der Kreis¬ 
medizinalrat einerseits den erforderlichen allgemeinen Ueberblick über Ge¬ 
burtenzahl, Sterblichkeit, Säuglings- und Tuberkulosesterblichkeit des Kreises 
und der einzelnen Gemeinden gewinnen und anderseits auch die für die Für¬ 
sorgetätigkeit und Krankheitsbekämpfung erforderlichen Einzelheiten entnehmen 
können. Er wird z. B. feststellen, in welchen Gemeinden und auf welchem 
Gebiete fürsorgerische Maßnahmen besonders driogend erforderlich sind; er 
wird die einzelnen Geburten und Tuberkulosetodesfälle den betreffenden Für¬ 
sorgestellen bekanntgeben und er wird hinsichtlich der Todesfälle an an¬ 
steckenden Krankheiten die Vollständigkeit der polizeilichen Meldungen prüfen, 
sowie auch Kenntnis von gehäuften Todesfällen an nicht jpolizeilich melde¬ 
pflichtigen Krankheiten erhalten und das Erforderliche veranlassen. 

Die Standesbeamten haben die Zählkarten — es kommen hier nur die 
Karten A und C in Frage — in dreifacher Ausfertigung herzustellen. Eine 
Ausfertigung senden sie vierteljährlich an das Statistische Landes amt in Berlin, 
die zweite an die betreffende Kirchengemeinde und die dritte bleibt bei ihnen. 
Es kann daher keine Schwierigkeit machen, den Kreismedizinalräten, ohne daß 
eine weitere Ausfertigung hergestellt wird, die Karten etwa alle 14 Tage zur 
Kenntnisnahme gegen Rückgabe zuzustellen. Ich ersuche daher ergebenst, in 
diesem Sinne das Erforderliche zu veranlassen. Die näheren Einzelheiten der 
Durchführung, insbesondere] in Großstädten mit eigenem, kommunalem statisti¬ 
schem Amt und in solchen mit mehreren Kreismedizinalrats bezirken, wie anoh 
das Bestehenlassen der jetzt bisher üblichen Art der Zustellung des fraglichen 
Materials an die Kreismedizinalräte, sofern sie nach den obigen Ausführungen 









Mertlzinttlgesetzgebung, 


den Zweck erfüllt hnd dte «bteo jrogeöT<inefe Weitermeldung dea Zahlen¬ 
materials möglich macht, steile ich anheim. Stet« wird darauf za achten 3«ia, 
daß keine ttberftiissignu Boppdfseidangeti erfolgen; t. ß. werden etwaige Mel¬ 
dungen der Hebammen an BäagUflgsfjdrsdrgestd^ß fortUUen, wenn di? -Standes* 
amtÖcben Gebartsineldnogen durch den Kreisrnediziflalrnt dort zur Kenntnis 
kommen. 

Bie KreisroedizitialrÄte ersuche ich aozawviVn, den EegieruogspräsidfeiHen 
bis sum 5.5. j. Mts. eine Naehweisun^ in fügender Form Über den vorans- 
gbgangenen Monat, erstmalig bia znro lö; Fehruacr 5922 fÄr Januar 1922 ein- 


znreicben 


itreia 


Zahl 

der im «raten 
Lebensjahr 
Verstorbenen 


Zahl der Zahl der 
Lebend- Tat- 
geborenen geborenen 


Zahl der 
Tuberkulöse 
todesf&Ue 


Einwoh¬ 

nerzahl 


Städte 


Landge¬ 

meinden 


Kreis Sa.'}' i I i 1 1 

Diese Meldungen sind sodann von den Eegierun^präsideutcn viert«! 
jährlich i» Form, nachstehender t'ebersicht bis zwio 2&, j^iieö ersten Qu&rtal' 
moBötä, örsLmvlfg bis «uui 25. April 1922 an mich wdteczTigebea; 

:L?'- u-L V'.v .•vvL'-'L ■i 




Zahl der \ 
Geeanit- 
Uidesffilk- 
(Ohne Tote 
gebnrteh) 


V*r*ntw*rt1tefc <$t» i v «n», J>». RupmooC, Öjib. M«db-R»t ln Lippfprinj;» 

: '■, Urartr-wi 3. C. 0 BrUn«, Mtmlfltt 4.. W 


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1 

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*) Die von den KreismediaittÄjräteti angegebenen Finwbhnetzahleo sind 
nachzuprufen und gfgebenenlaUB zu berichtigen. 


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Lt-btrt&jakt 
V’Mlovbojien 

h* Zalit «äÄr’ '. 
TaberkrokrSs*- 
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18 


Medi xin algesetz gebu ng. 


des Vertreters eines Amtsarztes oder .des Verwesers einer,Amtsstell« bemtftt 
sich nach § 9 Abs 2 der Bekanntmachung Tom 23. L.1912 über den bezirks¬ 
ärztlichen Dienst und § 8 Abs. 8 der Bekanntmachung Tom 22. III. 1915 über 
den landyeäclit!-är/.tlicben Dienst nach Maßgabe der für die Teuerung be¬ 
stimmten Erl öhnngen. Die entgegenstehenden Vorschriften des § 10 der Ver¬ 
ordnung vom 17. XI. 1902 sind aufgehoben. 

2. Die Vergütungen nach der Gebührenordnung (Beilage nur Verordnung 
▼om 17. XI. 1902) sind bei Ziffer 1. 4, 10 and 14 unter Zugrundelegung des 
Sech-fachen, bei Ziffer 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 12 ui>d 13 unter Zugrundelegung des 
Vierfachen, bei Ziffer 11 unter Zugrandelegung des Zweifachen zu berechnen. 

Diese Verordnung tritt am 16. Januar 1922 in Kraft und die Verordnung 
vom 14. August 1920 an demselben Tage außer Kraft. 


C. Württemberg. 

Beförderung von Leichen. Verfügung des Ministers des 
Innern vom 30. November 1921. 

Die Verfügung des Ministeriums des Innern betreffend die Beförderung 
von Leichen, vom 7. August 1907 wird folgendermaßen abgeändert: 

I. § 9 Abs. 3 erhält die Fassung: 

„Tra übrigen verbleibt es bezüglich der Beförderung solcher Leichen bei 
den Bestimmungen der Ministerialverfü.ung vom 4 Juni 1862 mit der Maßgabe^ 
daß bei der Bet'ö derung auf der Eisenbahn unter Begleitung der Laiche nach 
Ausstellung eines Leichenpasses erforderlich ist, die absendende Behörde jedoch 
in sochcin Fall die notwendigen Angaben über die Person des Verstorbenen 
sowie über Tag und Ursache des Todes der anatomischen Austalt brieflich in 
machen hat.“ 

II. Gegenwärtige Verfügung tritt mit dem Tag ihrer Verkündung 
in Kraft. 


D. Thüringen. 

Vorschriften über die Prüfung von Zahntechnikern. Verordnung 
des Wirtschaftsministeriums vom 10. November 1921. 

Allgemeine Bestimmungen. 

I. 1. Als Zahntechniker im Sinne des § 123 der Reicbsversichernngs- 
ordnung sind solche Männer oder Frauen anzusehen, die das Gewerbe des Zahn¬ 
technikers im Hauptberufe ausüben, die vorgeschriebene Prüfung (Anlage A) 
bestanden haben uud sich im Boaitz eines hierüber ausgestellten Ausweises 
befinden. Für das Land Thüringen wi d ein Prüfungsausschuß in Gotha ge« 
bildet. Für solche Zahntechniker, dio in einem anderen deutschen Laude die 
Prüfung abgelegt haben und später ihren Wohnsitz nach Thüringen verlegen, 
wird die Prüfung anerkan t. 

2—6 decken sich im allgemeinen mit den Preußischen Bestimmungen 
(vergl. diese Zeitschrift 1920, Beil. 8. 149 ff.). 

II. Die Krankenkasse hat die Namen der Zahntechniker, die zur Be¬ 
handlung der Versiehe'ten zugclassen werden sollen, dem Versioherungsamt 
unter Mitteilung des Prüfung-ausweises anzugeben. Erheben sich Bedenken 
gegen die Zulassung, so entscheidet das Ober versicherungsamt und auf Be¬ 
schwerde der Krankenkassen das Thüringische Wirtschaftsmiuisterium über die 
Zulassung. 

III. Ohne Zustimmung der Versicherten können Zahntechniker fftr 
Rechnung einer Krankenkasse selbständig Hilfe leisten, wenn 

1 . nach der Enscheidung des Direktors des Oberveraieherungsamts die Veraua- 
setznngen, die nach § 30 Ziffer 1 der R.V.O. vorgesehen sind, hinsichtlich 
der Zahnärzte vorliegen, oder wenn 

2. nach der Entscheidung des Versicherungsamtoe die zahnärztliche Ver¬ 
sorgung der Ver.-ic erten durch den Mangel an Zahnärzten so erschwert, 
ist, daß die Beschränkung auf die Zahnärzte den berechtigten Ansprüchen 
der Versicherten nicht genügen wurde. 

Das Versicherungsamt hat vor seiner Entscheidung den Kreisarzt uni 
in .der Regel die Landesvertretung der Zahnärzte und der Zahntechniker- 
Vereinigung zu hören. 



AejümgwJL 

Thüringische Prüfungsordnung föx Zahntechniker jaf Grund des § 128 
der B.V.O. 

Die Bestimmungen stimmen in der Hauptsache, hiinsichtlieh der Bedin¬ 
gungen für Zulassung, den Anforderungen an die Prüfung (p taktischer und 
mündlicher Teil) uud des Faches der Prüfung wörtlich mit den:für Preußen 
ergangenen Bestimmungen überein. 

Der Prüfungsausschuß besteht aus einem beamteten Arzt als Vorsitzenden, 
einem Zahnarzt und einem Zahntechniker. 

. Die Prüfungsgebühren betragen 200 M., wozu ein Betrag tob fiO Jf. für 
Benutzung der Instrumente, Apparate usw. kommt. 


Impfarzt gebühren. Verordnung de« Wir taohaitaminkiterifims 
vom 4. November 1921. 

In Ao'führang des Reichs - Impfgesesetzes vom 8. April 1874 ( Bwato » 
gesetzblatt S. 31 > wird für das Land Thüringen bestimmt: 

1. Die Gebühr des Impfarztes für das öffentliche Impfgeschäft wird 
nach der Zuhl der Impfungen bemessen und betragt, soweit sie nicht in der 
Besoldung des Impfarztes einbegriffen oder durch ein besonderes Abkommen 
mit dem Impfarzt vereinbart ist, für jeden Geimpften 

a) am Wohnorte des Impfarztes. . . 1,60 M. 

b) a'iswälts.3,— „ 

Für auswärtige Impfungen werden 

insgesamt mindestens.30,— M. gewährt. 

I-t der Impfranm am Wohnorte des Impfarztee von dessen 
Wohnung weiter als 6 km entfernt, so steht dem Impfacnt die 
Gebühr für auswärtige Impfangen za. 

Die Gebühr unter a and b wird ancb für dkjeugee Impflinge «awäkft, 
die auf G und der Untersuchung des Impfarztes im Impftermine -von dar 
Impfang befreit werden. 

2. Tage- oder Nachtgelder werden nicht gewährt. D ageg en werden die 
Auslagen für Eisenbahn, Straßenbahn, Geschirr oder sonstige Verirnhr—ifrtel' 
beso ders vergütet. Die Benutzung von Kraftwagen sowie die etwaige 
Panschaliernng der Fuhrkosten ist durch besondere Vereinbarung des Impf¬ 
arztes mit den nach G< bietsrecht zuständigen Stellen zu regeln. 

Die Auslagen für die technischen Hilfsmittel der Impfling, die Ver- 
gütung für die Nachschau, für die Listenführung (die Sehreibfciife ist tan das 
Gemeinde za stellen), für die Ausfüllung der Impfscheine, für die Bericht¬ 
erstattung sowie für etwa geforderte allgemeine gesundheitliche Belehrung fan 
Impftermin (Verteilung von Merkblättern and dergleichen) sind in den fljtoau 
der Ziffer I einbegriffen. 

3. Der erforderliche Impfstoff wird auf Staatskosten zur Verfügmag 
gestellt. 

4. Der dnreh die Impfung entstehende Kostenaufwand ist nach Ma߬ 
gabe des Gebietorecbts von den dort bestimmten Stellen zu tragen. 

6. Diese Verordnung betritt nnr die auf Grund des Befails-ImpfgaMtzes 
vom 8 . April 1874 vorgenommenen Impfangen. Wie weit für sonstige Impfungen 
Vergütungen gewährt werden, richtet sieb naeh Gebiets recht. 

6. Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1928 io Kraft, 
stehende Bestimmungen weiden aufgehoben. 


B. Baden. 

Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Verordnung des Mi¬ 
nisteriums des Innern vom 8. November 1921. 

Auf Grund der g§ 86 nnd 87a des Polizeistrafgeeetzbuehs wird ungeordnet: 
§ 1. Die Vorschriften des Abschnitts I i Anzeigepflicht» der Verordnung 
vom 9. Mai 1911 ‘), die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten betreffend. 


*) Abdruck in dieser Zeitschrift 1911, Beilage: Bechtapaechmg-ond Mair 
Gesetzgebung, S. 90 ff. 





20 Medizinalgesetzgebung. 

finden auch bei Erkrankungs- and Todesfällen an Wechselfieber (Malaria) 
Anwendung. 

g 2. Die Anlage I zu der Verordnung rom 9. Mai 1911 in der durch 
g 8 der Verordnung vom 80. August 1918 und durch § 8 der Verordnung Tom 
5. August 1920 ergänzten Fassung erhält am Eingang folgenden Zusatz: 

,25. Wechselfieber (Malaria**. 

§ 8. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verktkndung in Kraft. 


P. Mecklenburg «Schwerin. 

Gebührenordnung für die staatlichen Untersuchungsanstalten (zur 
Zeit fiandesgesundheitsaiut zu Schwerin und Uu tersuch nngsstelle beim 
hygienischen Iustitut zu Rostock). Bekanntmachung des Ministeriums 
für Medizinalangelegenheiten rom 27. September 1921. 

Für die Erhebung ron Gebühren für Gutachten und Untersuchungen 
seitens der staatlichen Untersuchungsanstalten gilt Tom 1. Oktober 1921 ab 
die nachstehende Ordnung. 

Abschnitt I. Allgemeine Bestimmungen. 

1 . Für Gutachten und Untersuchungen werden Gebühren entweder nach 
dem Zeityerbrauchc oder nach den io Abschnitt II aufgeführten Gebühren* 
Sätzen erhoben. Ausnahmen siehe Ziffer 2 und 3. In die Gebührensätze sind 
die regelmäßigen Aufwendungen für die Untersuchungen (Stoffverbrauch, Aus¬ 
fertigungen der Befundberichte) eingeschlossen. Die Postgebühren für die 
Zustellung der Gutachten und Befundberichte werden dagegen wieder ein¬ 
gezogen. Ungewöhnliche Aufwendungen dürfen besonders berechnet werden. 
Die Antragsteller sind von deren Notwendigkeit vorher zu verständigen. 

Bei Berechnungen nach dem Zeitverbrauche (je Stunde 12 M.) mindestens 
aber 15 M.), die einzutreten haben, wenn Gebührensätze nicht vorgesehen und 
wenn Gutachten ohne Untersuchungen abzugeben sind, sowie wenn Besichti¬ 
gungen und Probeentnahmen der Angestellten am Orte nötig waren, sind die 
Aufwendungen stets besonders zu berechnen. 

Bei Untersuchungen mit Hilfe von Tierversuchen sind die Kosten des 
Ankaufs der Tiere und ihres Unterhaltes während des Versuches in Rechnung 
zu setzen. 

Erfordert die Erledigung von Aufträgen Reisen der Angestellten zum 
Zwecke örtlicher Besichtigungen oder zur Entnahme von Proben und zur Vor¬ 
bereitung von Untersuchungen an Ort und Stelle, so sind die jenen zustehenden 
Reiseentschädigungen zu erstatten. 

2. Gemeinden und Gemeindeverbände, Behörden, öffentliche Anstalten 
und Träger der Reichsversicherungen können die Gebührenpflicht durch die 
Zahlung jährlicher Bauschvergütnngen ablösen. Jedoch fallen bei rechts¬ 
kräftigen kostenpflichtigen Verurteilungen auf Grund von Untersuchungen von 
Proben, die seitens der Behörden im Verfolge der Ueberwachung des Verkehrs 
mit Lebensmitteln eingesandt wurden, die Vergünstigungen etwa bestehender 
Verträge fort. Die Behörden haben in diesen Fällen von den Verurteilten die 
vollen Gebühren einznziehen und an die Untersuchungsstelle abzuführen. 

8 . Gebührenfrei sind alle Untersuchungen, die den Aerzten bezw. Tier¬ 
ärzten zur Erfüllung ihrer öffentlichrechtlichen Anzeigepflicht dienen, sowie in 
der Regel die Untersuchungen, die von öffentlichen Dienststellen im unmittel¬ 
baren Gebote der öffentlichen Gesundheitspflege beantragt werden. 

Die Gebühren können abgemindert und ganz erlassen werden bei nach- 
gewiesener Mittellosigkeit der Antragsteller, ferner wenn die Untersuchung dem 
Allgemeinwohl zugute kommt. 

Abschnitt II 

enthält die einzelnen Gebührensätze für die Untersuchungen zum Nachweise 
von Krankheitserregern, für die Untersuchung von Wasser- nnd Abwasser- 
proben usw. 


Y«raatwo*tU«h Mr dl« SchrtlUettmn«: Prof. Dr. B»p*«»d, 0«h. M«d.-B«t ta Lippaprioc«. 
Draek tw J- C. C. Bnu, Mlndan 1. W. 











22 


Rechtsprechung 


Leiter eine Heil* und Pflegeanstalt für Nerven- and Gemütskranke. Ans diesem 
Anla ß sind von ihm dnrcb das Landesfinanzamt zu Köln verschiedene Beträge 
als Warenumsatzstempel erhoben worden. Mit der Klage erforderte er Rück¬ 
zahlung dieser Beträge in Höhe von 1152 Mark, da sein Unternehmen kein 
«werblicher Betrieb im Sinne des Warenumsatzstempelgesetzes sei. Das 
Landgericht Köln wies die Klage ganz ab, das Oberlandesgericht 
daselbst gab ihr in der Hauptsache statt. Das Reichsgericht stellte 
das landgerichtliche Urteil wieder her. 

Eine aaf Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit, wie sie für die 
Anwendung der Gewerbeordnung notwendig ist, ist nicht erforderlich. Vielmehr 
entsteht die Steuerpflicht schon aus einer auf Erzielung von Einnahmen 
aus Warenumsätzen gerichteten geschäftlichen Tätigkeit, auch wenn diese 
Tätigkeit nicht auf Erzielung von Gewinn abgestellt ist. Der Kläger hat in 
seiner Anstalt den Pfleglingen Beköstigung — nur hierfür hat der Beklagte 
die Abgabe beansprucht — zur Erzielung von Einnahmen, wenn auch, wie er 
behauptet, ohne die Absicht, aus diesem Umsatz einen Gewinn zu erlangen, 
dauernd, also geschäftlich gewährt. Damit ist der Tatbestand des § 76 des 
Warenumsatzstempelgesetzes gegeben. Es bleibt nur zu erörtern, ob die Steuer* 
pfticht dadurch ausgeschlossen ist, daß der Kläger die Krankenanstalt, in deren 
Betriebe die Beköstigung gewährt wird, in Ausübung seines ärztlichen Berufes 
unterhält. Das ist zu verneinen. Zwar unterliegt die Tätigkeit des Arztes, 
soweit sie unmittelbar in der Behandlung und Heilung kranker Personen besteht, 
als solche der Abgabe des Warenumsatzstempelgesetzes schon deshalb nicht, 
weil sie einen Umsatz von Waren nicht darstellt Soweit aber darüber hin¬ 
aus der Arzt an seine Kranken Waren gegen Entgelt geschäftlich absetzt, 
fällt seine Tätigkeit unter den § 76 a. a. 0. Der Berufungsricbter hält dis 
Umsatzsteuerpflicbt hier schon deshalb für ausgeschlossen, weil der ganze 
Betrieb der Anstalt des Klägers ein einheitlich ärztlicher sei und deshalb nicht 
in zwei selbständige Teile aufgelöst werden könne. Allein das Warenumsatz- 
steuergesetz besteuert nicht den Gewerbebetrieb als solchen, d. h. nicht die als 
Einheit zusammengefaßte gewerbliche Tätigkeit, macht zum Gegenstände der 
Besteuerung vielmehr die einzelnen Leistungen, die als Ausfluß gewerblicher 
Tätigkeit im 8inne des WUStG. erscheinen. Hilfstätigkeiten, die an sich die 
Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des WUSiG. enthalten, bleiben 
steuerpflichtig. Daß es sich hier etwa bei der Gewährung der Beköstigung um 
eine unmittelbare Ausübung des ärztlichen Berufs handele, kann nicht aner¬ 
kannt werden. Zwar kann die Behandlung und Pflege Geisteskranker zweck¬ 
mäßig nur in geschlossenen Anstalten erfolgen und es ist auch zugegeben, daß 
zur Erreichung des Pflege- und Heilzwecks auch die Art der Beköstigung der 
Kranken in solchen Anstalten der Anordnung und ständigen Aufsicht des 
leitenden Arztes unterstehen muß. Daraus folgt jedoch nicht, daß der Arzt 
selbst auch die Herstellung und Lieferung der Beköstigungsmittel für eigene 
Rechnung in die Hand nehmen muß. Ein solches Vorgehen mag wirtschaftlich 
zweckmäßig sein, geht aber über den Begriff der ärztlichen Tätigkeit hinaus. 
Der Pflege- und Heilungszweck kann in gleicher Weise erreicht werden, wenn 
— wie es öfter vorkommt — der leitende Arzt die Beköstigung der Kranken 
im ganzen an einen Dritten (Unternehmer) vergibt und die Art der Beköstigung 
regelt und dauernd überwacht. (Aktenzeichen Vll. 45/21). 

(Sächsische Korrespondenz. Nachdruck nicht gestattet). 


Die Erhöhung der Etnkommensgrenze der Ortskrankenkassenmit¬ 
glieder berechtigter Kündignngsgrund für die Kassenärzte. Urteil des 
Reichsgerichts vom 25. Oktober 1921. 

Der Sanitätsrat Dr. C. in Göttingen und 8 Genossen waren Kassenärzte 
der Allgemeinen Ortskrankenkasse daselbst. Sie hatten sich vertraglich ver- 

8 flicht«t, deren Mitgliedern bis zum 81. Dezember 1920 gegen ein bestimmtes 
intgelt ärztliche Dienste zu leisten. Nach Erlaß der Verordnungen vom 
l./ßO. April 1920 erklärten die Beklagten am 23. April und 22. Mai 1920 den 
Vertrag für aufgehoben und behandelten vom 26. Mai ab alle Kassenmitglieder 
nur noch als Privatkranke. Die Kasse verlangte daher klagend in erster Reibe 
Erfüllung des kassenärztlichen Vertrages und Schadenersatz wegen Nicht¬ 
erfüllung, hilfweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und 



Rechtsprechung 


28 


des Fortbestehens des genannten Vertrages. Das Landgericht Göttingen 
eskannte-nach dem Hauptantrag, das 0berlandesgerlcht Köln wies die 
Klage ab. Das Reichsgericht wies die Revision der Kasse znrttck. 

Die Verträge, welche die Aerzte mit den Krankenkassen schließen, sind 
privatrechtliche Dienstverträge, welche den Kassen zwar die Durchführung 
ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, minderbemittelten Angehörigen bestimmter 
Berufe ausreichende ärztliche Hilfe zusichern, ermöglichen, zufHeich aber den 
Aerzten im Rahmen dieses sozialen Zweckes ein angemessenes Entgelt für ihre 
Tätigkeit gewährleisten sollen. In dem Nachtragsvertrage vom 26. Uärz 1920 
war die Vergütung der Beklagten in der Weise geregelt worden, daß sie ohne 
Rücksicht auf den Umfang ihrer Tätigkeit für jedes Kassenmitglied eine 
Jahrespauschalsumme von 9 Mark, für den Fall der Einführung der Familien¬ 
versicherung eine solche von 13 Mark erhielten. Damals war, wenn man von 
den Arbeitern und denen, die ihnen gleichstehen, absiebt, die Versicherungs¬ 
pflicht der in dem § 1 der Verordnung vom 22. November 1918 genannten 
Personen auf diejenigen beschränkt, deren Jahresarbeitsverdienst 6000 Mark 
nicht überstieg. Nunmehr werden aber die Grenzen der Versicherungspflicht 
durch die Verordnung vom 1. April 1920 bis zu einem Jahresarbeitsverdienst 
von 20000 Mark und durch die Verordnung vom 26. April 1920 immer noch 
bis zu einem solchen von 16000 Mark erweitert. Damit hatten sich die wirt¬ 
schaftlichen Grundlagen, auf denen der Vertrag vom 26. März 1920 beruhte 
und die Voraussetzungen, von denen die Parteien bei Festsetzung des Arzt¬ 
honorars notwendiger Weise hatten ausgehen müssen und ausgegangen waren, 
völlig verschoben. Da die Klägerin gleichzeitig die Familienversicherung ein¬ 
führte und da schon nach der Verordnung vom 22. November 1918 diejenigen, 
welche nach ihrem Ausscheiden aus einem versicherungspflichtigen Betriebe 
von dem Rechte der Weiterversicherung Gebrauch machten, ihre KasBenmit- 
gliedscbaft ohne Rücksicht auf die Höhe ihres späteren Einkommens dauernd 
beihehalten durften, so mußte die Verordnung vom 1. nud 30. April 1920 
naturgemäß auch den Kreis der versicherten Familienmitglieder und der zur 
Weiterversicherung Berecntigten zu ungunsten der Beklagten beeinflussen. 
Es war daher zur Zeit des Erlasses der beiden Verordnungen gar nicht abzu¬ 
sehen, in welchem Umfange die Leistungen der Beklagten, die sie im sozialen 
Interesse gegen ein weil unter der ärztlichen Taxe bleibendes Entgelt über¬ 
nommen hatten, sich steigern und die Möglichkeit und Gelegenheit zur Aus¬ 
übung von Privatpraxis und zum Aufgleiche der zugunsten minderbemittelter 
Volksteile gebrachten wirtschaftlichen Opfer sich mindern würden. Gerade 
diese Ungewißheit und die naheliegende Gefahr einer erheblichen Schädigung 
ihrer wirtschaftlichen Interessen haben den Beklagten nach der Auffassung 
des Oberlandesgerichts das Recht gegeben, den Vertrag ohne Rücksicht auf 
die Kürze der Zeit, die er noch zu laufen hatte, sofort aufzurufen. Diese 
Entscheidung und ihre Begründung enthalten weder einen Recbtsirrtum, noch 
nach Lage des Falles eine Unbilligkeit. Das Bestreben der Aerzte, aus der 
Tätigkeit ihrer Berufsausbildung entsprechende wirtschaftliche Vorteile zu ziehen, 
ist sozial berechtigt, nnd der Vorwurf unsozialen Verhaltens trifft sie hier 
um so weniger, als die durch die Verordnung vom 30. April eingeführte Er¬ 
höhung des Grundlohnes in Verbindung mit der zu erwartenden Vermehrung 
der Kassenmitglieder die Leistungsfähigkeit der Kassen voraussichtlich steigern 
mußte. Zudem hatten die Unterzeichner des Kündigungsschreibens vom 
23. April 1920 in der Erwartung, daß die Parteien zu einem der neuen Sach¬ 
lage entsprechenden Honorarabkommen gelangen würden, sich bereit erklärt, 
die Behandlung der Kassenmitglieder zunächst in der bisherigen Weise fort¬ 
zusetzen. Erst als die Verhandlungen sich zerschlugen, sind die Beklagten nach 
vorheriger Anzeige vom 22. Mai dazu übergegangen, vom 26. des genannten 
Monats ab für die Kassenmitglieder dieselben Sätze wie für Privatkranke zu 
berechnen. (Aktenzeichen III 106/21. — Wert des Streitgegenstandes in der 
Revisionsinstanz: 62000 bis 64000 Mark). 

(Sächsische Korrespondenz. Nachdruck nicht gestattet). 


Röntgenverbrennung infolge ärztlichen Verschuldens. Urteil des 
Reichsgerichts vom 4.November 1921. 

Der Philograph M. in J. begab sich im Jahre 1911 wegen einer chronischen 



Medimnalgenetngebun g. 


84 

Hautentzündung bei dem Dr. med. N. in A. in Röntgenbehandlung, die eine so 
erhebliche Verbrennung seines rechten Fußes zur Folge hatte, daß dieser 
schließlich abgenommen werden mußte. M. führte die Verbrennung auf fehler¬ 
hafte ärztliche Behandlung zurück und verlangte mit der im Dezember 1918 
erhobenen Klage vom Beklagten Schadenersatz, insbesondere Zahlung von 
4844 M. Heilungskosten, 7500 M. Erwerbsverlust, ferner 30000 H. Schmerzens¬ 
geld und eine vierteijährliche Rente von 1000 M. vom 1. Dezember 1913 an bis 
zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit. Während die erste Instanz den 
Anspruch nur zu einem Drittel für berechtigt anerkannte und zu zwei Dritteln 
die Klage abwies, erklärte das Berufungsgericht den ziffermäßigen Anspruch 
dem Grunde nach für völlig gerechtfertigt und stellte weiter fest, daß der Be¬ 
klagte verpflichtet sei, dem Kläger allen aus der Röntgenbehandlung entstandenen 
und noch entgehenden Schaden zu ersetzen. Das Reichsgericht wies die 
Revision des Beklagten zurück. 

Das Berufungsgericht, das die eigenen Angaben des Beklagten über die 
Art und Weise der technischen Anordnungen als richtig unterstellt, kommt auf 
Grund der Sachverständigengutachten zu dem Ergebnisse, daß sich im Heil¬ 
verfahren des Beklagten nach drei Richtungen Mängel gezeigt hätten, die ihm 
als schuldhafte Versehen anzurechnen seien: Ueberdosierung infolge zu großer 
Annäherung der bestrahlten Glieder, Unterlassung einer neuen Ausdosierung 
der Röhre beim Unterbrechungswechsel und fehlende Kontrolle bei vorüber¬ 
gehender Abwesenheit des Heilgehilfen, für dessen Verschulden der Beklagte 
nach § 278 B. G. B. einzustehen habe. Gegenüber dieser positiven Feststellung 
kommt es auf die Frage der Beweislast nicht an. Das Berufungsgericht stellt 
auch fets, daß der ersterwähnte Kunstfehler unter allen Umständen eine schäd¬ 
liche Wirkung gehabt habe, während die beiden anderen wenigstens geeignet 
gewesen seien, den Bestrahlungsprozeß ungünstig zu beeinflussen, da sie zu 
einer übermäßigen Wirkung führen konnten. Unter diesen Umständen durfte 
das Berufungsgericht bis zum Beweise des Gegenteils einen ursächlichen Zu¬ 
sammenhang auch zwischen den beiden anderen Fehlem und dem eingetretenen 
8chaden annehmen. Man kann auch nicht, wie die Revision will, sagen, daß 
das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Aerzte über¬ 
spanne. Es befindet sich durchaus in Uebereinstimmung mit dem Gutachten 
der ärztlichen Sachverständigen. Das gilt auch für das Fehlen einer Kontrolle 
bei Abwesenheit des Heilgehilfen. Wenn, wie die Revision hervorhebt, die Be¬ 
handlung eines anderen Kranken durch den Heilgehilfen unvorhergesehenerweise 
längere Zeit in Anspruch nahm, dann mußte diese Behandlung eben solange 
unterbrochen oder verschoben werden, bis für den Kläger gesorgt war. Darum, 
daß jede Schädigung eines Kranken ohne weiteres dem Arzt als Fahrlässigkeit 
angerechnet werde, handelte es sich im vorliegenden Falle keineswegs. Was 
endlich die Verneinung eines mitwirkenden Verschuldens des Klägers betrifft, 
so rechtfertigt sich dies durch die Feststellung des Berufungsgerichts, die dahin 
gehen: es sei möglich und wahrscheinlich, daß eine Annäherung des rechten 
Fußes an die Röntgenröhre für den Schaden des Klägers mit ursächlich ge¬ 
wesen sei, aber es sei nicht bewiesen, daß der Kläger diese Annäherung vor¬ 
sätzlich oder auch nnr fahrlässig bewirkt habe; es könne sich auch um unwill¬ 
kürliche Veränderung der Lage des Fußes gehandelt haben, die nicht auf eine 
Schuld des Klägers, vielmehr auf die Schuld des Beklagten zurückzuführen 
seien, insofern dieser den Kläger längere Zeit unbeaufsichtigt gelassen habe. 
Die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist nicht nachznprüfen. Auch sonst ist 
ein Rechtsirrtum nicht ersichtlich. (Aktenzeichen: 111 518/21. — Wert des 
Streitgegenstandes in der Revisionsinstanz: 70000—72000 M.). 

(Sächsische Korrespondenz; Nachdruck nicht gestattet.) 




Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich 

Wochenhilfe und Wochenfürsorge. Gesetz vom 28.Dezember 1921. 
* Artikel 1. 

A. 1. § 195 a der Reichsversicherungsordnung Abs. 1 Ziffer 4 erhält nach¬ 
stehende Fassung: 



Medlsinalgeeetsgebung. 


26 


.solange sie ihre Neugeborenen stillen, ein Stillgeld in Höhe des halben 
Kr&skengeldes, jedoch mindestens viernndeinehalbe Mark täglich, bis zum 
Ablauf der zwölften Woche nach der Niederkunft. ‘ 

2. § 206 a der Reichsversicberungsordnung Abs. 2 Satz 1 erhält folgende 
Fassung: 

» Als Wochenhilfe werden die im § 195 a bezeichneten Leistungen ge¬ 
währt; dabei beträgt das Wochengeld drei Mark und das Stillgeld vier- 
undeinehalbe Mark täglich." 

B. § 19 Satz 2 der Bekanntmachung über Wochenhilfe und Wochen- 
fürsorge vom 22. Mai 1920 erhält folgende Fassung: 

„Dabei beträgt das Wochengeld drei Mark und das Stillgeld vierund- 
einehalbe Mark täglich." 

C. Im Artikel IH Ziffer 2 Abs. 8 des Gesetzes vom 23. Juli 1921 werden 
die Worte „zehntausend Mark" ersetzt durch die Worte „fünfzehntausend Mark". 

Artikel 2. 

Das Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. 


B. Preußen. 

/ Anstellung von Gewerbemedizinalräten. Bunderlaß des Mi¬ 
nisters für Volkswohlfahrt und des Ministers für Handel und 
Gewerbe vom 27. Dezember 1921 — IM. IV, 2162, III. 13481 M. f. 
H. u. G. — an sämtliche Herren Regierungspräsidenten. 

Der Preußische Staat hat unter dem 9. September 1921 einen Beschluß 
über die Anstellung von Gewerbeärzten zur Mitarbeit und zum Ausbau der 
Hygiene in gewerblichen Betrieben erlassen. Der Beschluß wird in einer der 
nächsten Nummern der Gesetzsammlung veröffentlicht werden. Die nach diesem 
Beschlüsse anzustellenden Gewerbeärzte führen die Amtsbezeichnung „Gewerbe¬ 
medizinalrat". 

Eine Aufstellung über die Einteilung der Aufsichtsbezirke der Gewerbe¬ 
medizinalräte in Preußen ist beigefügt. Die Dienstanweisung für die Gewerbe¬ 
medizinalräte wird Ihnen demnächst zugehen. 

Einteilung der Aufsichtsbezirke der Gewerbemedizinalräte in Preußen. 

1. Der Aufsichtsbezirk Düsseldorf umfaßt von der Bhein- 
provinz die Begierungsbezirke Aachen, Köln und Düsseldorf und von der 
Provinz Westfalen den Regierungsbezirk Münster. 

2. Der Aufsichtsbezirk Arnsberg umfaßt von der Provinz West¬ 
falen die Regierungsbezirke Arnsberg und Minden und von der Provinz Hannover 
die Begierungsbezirke Auricb, Stade, Lüneburg, Osnabrück und Hannover. 

3. Der Aufsichtsbezirk Wiesbaden umfaßt die Provinz Hessen- 
Nassau, die Hohenzollernschen Lande, von der Rheinprovinz die Begierungs¬ 
bezirke Coblenz und Trier, von der Provinz Hannover den Regierungsbezirk 
Hildesheim, sowie die Provinz Schleswig-Holstein. 

4. Der Aufsichtsbezirk Magdeburg umfaßt die Provinz Sachsen, 
von der Provinz Brandenburg die Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt a. 0., 
sowie von der Provinz Pommern die Begierungsbezirke Stettin und Stralsund. 

5. Der Aufsichtsbezirk Breslau umfaßt die Provinz Schlesien, 
die Begierungsbezirke Schneidemühl und Marienwerder, die Provinz Ostpreußen 
und von der Provinz Pommern den Regierungsbezirk Köslin. 

6. Der Sonderbezirk Groß-Berlin umfaßt die Stadtgemeinde 

Berlin. 


Prüfungsgebühren für Ausbildung«- und Wiederholungslehrgänge 
für die Desinfektoren und Schwestern. Bunderlaß des Ministers für 
Volkswohlfahrt vom 31. Dezember 1921 — I M. IV. 2802 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

Um für die beteiligten Gemeinden und für die Desinfektoren die Kosten 
für die Teilnahme an Wiederholunaskursen nach Möglichkeit einzuschränken, 
genehmige ich hierdurch, verschiedenen hierher gerichteten Anträgen ent- 



26 


Medizinalgesetzgebung. 


sprechend, daß für die Wiederholungskurse, soweit sie durch die neuen 
Desinf ektionsanWeisungen (vergl. Banderlaß vom 8. Februar 1921 — 
I. M. III. Nr 64 „Volswohlfahrt“ S. 191) bedingt werden, bis Ende Dezember 
1922 von einer Gebührenerhebung abgesehen wird. 

Dagegen bestimme ich, daß vom 1. Januar 1922 ab znr Vergütung des 
Knrsleiters und des die praktische Ausbildung durchführenden Oberdesinfektors 
sowie zur Beschaffung und Erneuerung der Lehrmittel für den Ausbildnngs- 
lehrgang von Desinfektoren einschließlich der Prüfung von jedem männlichen 
Teilnehmer eine Gebühr von 100 M. und von jeder Schwester eine solche von 
60 M. und für den Wiederholungslehrgang eine Gebühr in halber Höhe der 
vorstehenden Sätze erhoben wird. 

Von dieser Gebühr sind bestimmt: 

a) für die Ausbildung 
von männlichen Kursteilnehmern: 

für den Kursleiter 80 M., für den Oberdesinfektor 20 M., 

für die Lehrmittel 10 M., — zusammen. 

von Schwestern: 

für don Kursleiter 15 M., für den Oberdesinfektor 10 M., 
für die Lehrmittel 6 M., = zusammen. 

b) für die Prüfung 
von männlichen Kursteilnehmern: 

für den Begierungs- und Medizinalrat 10 M., für den Kursleiter . . 
für den Oberdesinfektor 10 M., für Lehrmittel 10 M. =» zusammen 
von Schwestern: 

für den Begierungs* und Medizinalrat 6 M., für den Kursleiter 5 M., 
für den Oberdesinfektor 6 M., für Lehrmittel 6 U. = zusammen . . 

c) für den Wiederholungslehrgang 
von männlichen Kursteilnehmern: 

für den Kursleiter 20 M., für den Oberdesinfektor 20 M., 

für Lehrmittel 10 M. = zusammen.50 M., 

von Schwestern * 

für den Kursleiter 10 M., für den Oberdesinfektor 10 M., 

für Lehrmittel 6 M. = zusammen .25 M. 

Neue Desinfektionsordnung. Bunderlaß des Ministers für 
Tolkswohlf ahrt vom 7. Januar 1922 — I. M. Ul. 2629/21 — an sämt¬ 
liche Herren Begierungspräsidenten. 

Wie ich aus den Besprechungen der neuen Desinfektionsordnung vom 
8. Februar 1921') — I. M. III. Nr. 64 — entnehme, ist bei manchen Stellen die 
Auffassung entstanden, daß durch die neue Desinfektionsordnung eine Ein¬ 
schränkung oder gar Beseitigung der Schlußdesinfektion angestrebt wird. Diese 
Auffassung ist offenbar durch den Schlußsatz des Absatzes 14 meines Erlasses 
hervorgerufen worden, in welchem gesagt ist, daß die Bevölkerung darüber 
aufzuklären sei, „daß die von ihr oft als unbedingter Gesundheitsschutz be¬ 
trachtete Schlußdesinfektion durch die rechtzeitige und zweckmäßige laufende 
Desinfektion wirksam ersetzt wird.“ Durch diese Fassung sollte die in den 
neuen Desinfektionsanweisungen angeordnete Vereinfachung der Schlußdesinfektion 
begründet werden; sie muß sinnentsprechend dahin geändert werden, daß die 
Bevölkerung darüber aufzuklären ist, „daß sowohl die laufende als auch die 
Schlußdesinfektion je ihre besondere wertvolle Aufgabe hat, und daß die erstere, 
wenn sie rechtzeitig und zweckmäßig durchgeführt wird, der letzteren wirksam 
Vorarbeiten kann.“ In dem Schlußsätze des Abs. 11 a. a. 0. wird klar aus¬ 
gesprochen, daß in jedem Falle eine Schlußdesinfektion nach den in der Des¬ 
infektionsanweisung gegebenen Vorschriften durchzuführen ist. 

Vielfach wird auch darauf hingewiesen, daß in der Desinfektions¬ 
anweisung für Tuberkulose die in den übrigen Desinfektionsnnweisungen vor* 


10 M., 
40 M., 

20 M., 


60 M., 
30 M., 


*) s. diese Zeischrift; 1921, Beilage S. 49 ff. 







Medizin algesetzgebung. 


27 


geschriebene Desinfektion für Krankentransportmittel fortgelassen worden ist. 
Die Ansicht vertraten die meisten Mitglieder der zur Beratung der neuen An* 
Weisungen einberufenen Kommission. Da aber auch in dieser Kommission bereits 
einige Mitglieder eine Desinfektion der Krankentransportmittel auch bei Tuber* 
kulose für notwendig erachteten und die Berechtigung einer solchen Forderung 
zugegeben ist, bestimme ich, daß in der Desinfektionsanweisung für Tuberku¬ 
lose hinter Absatz A eingeschoben wird: 

B. Desinfektion der Krankentransportmittel. 

Krankenwagen und Krankentragen sind durch waschbare Tücher vor 
der Verunreinigung mit Absonderungen des Kranken nach Möglichkeit zu 
schützen. Ist eine Beschmutzung erfolgt, so sind die beschmutzten Stellen 
mit Kresolwasser oder Kt rbolsäurelösung abzuwaschen. Decken, Kissen 
und Polster, soweit sie nicht mit Leder überzogen sind, sind mit Wasser- 
dampf zu desinfizieren. Nach jedem Transport eines Kranken sind die da¬ 
bei benutzten Tücher und Kissenbezüge durch Auskochen oder Dampf, 
sowie Decken und Kissen, die nicht durch Tücher oder Bezüge vor einer 
Verunreinigung geschützt waren, in Dampf zu desinfizieren. Ferner ist 
der Fußboden des Wagens mit Lappen, die mit Kresolwasser oder Karbol¬ 
säurelösung getränkt sind, aufzuwischen. Droschken und andere 
Personenfahrzeuge, soweit sie ausnahmsweise benutzt wurden, sind 
in gleicher Weise zu behandeln. 

Die Abschnitte B und C der Desinfektionsanweisung für Tuberkulose 
erhalten die Bezeichnung C bezw. D. 

Mehrfach ist auch darauf aufmerksam gemacht worden, daß die in den 
Desinfektionsanweisungen vorgeschriebene 8ublimatlösung (1 bezw. 6°oo) von 
manchen Desinfektoren schlecht vertragen wird, und es wird gefordert, die 
Sublimatlösung durch andere Desinfektionsmittel zu ersetzen. 

Demgegenüber mache ich darauf aufmerksam, daß bereits in meinem 
Erlaß vom 8. Februar 1921 — I. M. III. 64 — in Abs. 3 ausdrücklich gesagt 
ist, daß an Stelle der in den Desinfektionsanweisungen genannten Desinfektions¬ 
mittel auch andere in Bezug auf ihre desinfizierende Wirksamkeit und prak¬ 
tische Brauchbarkeit erprobte Mittel angewendet werden dürfen, jedoch müssen 
ihre Miachungs- und Lösungsverhältnisse, sowie ihre Verwendungswei.se so ge¬ 
wählt werden, daß nach dem Gutachten des beamteten Arztes der Erfolg ihrer 
Anwendung einer Desinfektion mit den in den Desinfektionsanweisungen be- 
zeichneten Mitteln nicht nachsteht. Wenn hinzugefügt wurde, daß die Wirk¬ 
samkeit einer 5°/ooigen Sublimatlösung gegenüber den Tuberkelbazillen bisher 
nur von einer 2°/oigen Phobrol-Lösung erreicht worden ist, so kann dieser 
Zusatz auf Grund neuester Untersuchungen dahin erweitert worden, daß auch 
eine 4°/oige Lösung von Alkalilysol und eine 3 bis 5°/oige Parmetollösung 
die gleiche Wirkung hat. 


Tuberkulose-Statistik. Bunderlaß des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt vom 29. Dezember 1921 — IM. in. 2779/21 — an sämt¬ 
liche Herren Begierungspräsidenten. " 

Die auf den Erlaß vom 10. Mai d. Js. — I. M. HL 1062/21 — einge¬ 
reichten Berichte lassen erkennen, daß die Zahl der Erkrankungsfälle an Tuber¬ 
kulose bei abfallender Sterblichkeitsziffer auch von 1919 zu 1920 noch zu- 
genommen hat. 

Pie Ungleichmäßigkeit der Berichte nötigt mich, die Zahlenangaben 
fortan auf Formbogen nach anliegendem Muster zu erbitten. 

Da die Fortführung der Umfragen bei Krankenhäusern, Krankenkassen, 
Schulärzten und Tuberknlosefürsorgestellen nach der Häufigkeit der Tuberku¬ 
loseerkrankungen für mich von Wichtigkeit ist, ersuche ich ergebenst, die an¬ 
liegenden Muster zwecks Ausfüllung den nachgeordneten Behörden zugeben 
und deren Berichtsergebnisse auf entsprechendem nur einseitig zu beschreibenden 
Formbogen zusammenstellen zu lassen. Diese sind mir alljäh rlich für das ab- 

J elaufene zum 1. März, erstmalig für die Jahre 1919, 1920 und 1921 zum 
. März 1922 pünktlich einzureichen. 



23 


Medizinalgesetzgebung. 


Nachträge sind g. F. nachzureichen. 

Die Krankenkassen dürften am besten dnrch Vermittlung der Ober¬ 
versicherungsämter befragt werden. 

Muste r: 

Kreis. .. den.1922 

T uberhuloseerbrankungen. 

1. Krankenhäuser. 


Jahr 

vorhandenen 

Krankenhaus¬ 

betten 

Betten der 
berichtenden 
Kranken¬ 
häuser 

Zahl 

aufge¬ 

nomme¬ 

nen 

Kr 

1 der 

aufgenomme¬ 
nen tuberku¬ 
lösen 
anken 

in den Kran¬ 
kenhäusern 
gestorbenen 
Tuberkulösen 

Bemer¬ 

kungen 

1919 

1920 

1921 

I 

i 

1 

i 

! 

1 




2. Krankenkassen. 


Jahr 

Mitglieder der berich¬ 
tenden Krankenkassen 

; 

Zahl der 

an Tuberkulose 1 an Tuberkulose 
erkrankten | verstorbenen 

Mitglieder 

1919 

' 

! 

1920 



1921 


i 


3. Schülern. 


Jahr 

vorhandenen 

Zahl 

untersuchten 

Schul 

der 

tuberkulös 
befundenen 
c i n d e r 

an Tuberkulose 
gestorbenen 

1919 

1920 

1921 






4. Tuberkulosefürsorgestellen. 


Jahr 

Tuberkulose- 
fürsorges teilen 

Zahl 

Untersuchten 

der 

tuberkulös 

Befundenen 

an Tuberkulose 
verstorbenen 
Pfleglinge der 
Fürsorgestelle. 

1919 

1920 

1921 






YenatwoitUoh für die Sehrlftleltong: Prof. Dr. Ropmnnd, Geh. Mod»*Rai In Lippepriof*. 
Drnok Ton J. 0. C. Bruno, Minden I. V. 


















80 


Medizinalgesetzgebung. 


26. Juli 1910 (Qes. Samml. 8.150) wird unter Aufhebung der Allgemeinen Ver¬ 
fügung des Staatsministeriums vom 13. Oktober 1911 (Äs. Samml. S. 218) sowie 
der Aenderungen vom 2. November 1918 (Ges. Samml. S. 177) und 16. Dezember 
1919 (Ges.Samml. 1920 S. 3/4) folgendes bestimmt: 

§ 1. Für Dienstreisen nach nahegelegenen Orten und zurück, die mit 
der Eisenbahn, der Kleinbahn oder dem Schiffe ausgeführt und an demselben 
Tage angetreten und beendet werden können, werden an 8telle der in dem 
Reisekostengesetz vom 26. Juli 1910 und den Ausführungsbestimmungen vom 
24. September 1910 vorgesehenen Reisekosten die im § 2 festgesetzten Ver¬ 
gütungen gewährt. 

Als nahegelegen im Sinne dieser Verfügung gilt ein Ort, wenn die bei 
einer Berechnung der Fahrkosten maßgebende Entfernung zwischen ihm and 
dem Wohnorte (bei Reisen, die am Urlaubsort angetreten und beendet werden, 
zwischen ihm und dem Urlaubsorte) nicht mehr als bO km beträgt und wenn 
zwischen beiden Orten ein Vorort-, Stadt-, Bing- oder Straßenbahnverkehr be¬ 
steht oder in sonstiger Weise mit dem im Abs. 1 genannten Verkehrsmitteln 
täglich von 6 Uhr morgens ab in jeder der beiden Beiserichtungen eine min¬ 
destens achtmalige fahrplanmäßige Verbindung vorhanden ist. Werden anf 
einer Beise mehrere Geschäftsorte berührt, so gelten sie als nahe gelegen, 
wenn jeder einzelne Geschäftsort von dem Wohnorte (Urlaubsorte) wenigstens 
in einer Beiserichtung nicht mehr als 30 km entfernt liegt, und wenn zwischen 
den einzelnen Orten in beiden Beiserichtungen die im vorstehenden Satze an¬ 
gegebenen günsiigen Verkehrsverbindungen bestehen. 

Die Vergütung nach § 2 wird auch gewährt, wenn die Dienstgeschäfte 
an einem nabegelegenen Orte nicht an einem Tage beendet werden und der 
täglichen Rückkehr des Beamten nichts entgegensteht. 

§ 2. Als Vergütung für allgemeine Kosten erhalten die Beamten 


in Stufe IV 18 M. 
„ „ V 20 , 


and 


in Stufe I 10 M. 

„ „ II 13 „ . _ 

” ” , 15 

Es gehören von in der Besoldungsordnung zum Beamtendienst¬ 
einkommensgesetz vom 17. Dezember 1920 (Ges. Samml. 1921 S. 135) auf- 
gefübrten Beamten. 



die Beamten mit 



festen Grandgehalts¬ 
sätzen in Groppe 

Minaesgrund- 
gehaltssätzen 
in Groppe 

Einzelgehältern 
in (irnppe 

zur Stufe I 

1 bis 5 


. 

B B II 

6 „ 8 • 

1 und 2 

— 

„ „ III 

9 „ 12 

3 „ 4 

— 

B B IV 

13 

5 

I bis m 

B B V 

— 

— 

IV und V 


( Neben der Vergütung sind den Beamten die wirklich erwachsenen 
Fahrtauslagen für die benutzte und ihm nach § 3 des Reisekostengesetzes 
zugebilligte Wagen- oder Schiffsklasse zu erstatten. 

Eine besondere Vergütung für Zu- und Abgang wird nicht gewährt. 
Uebersteigen die hiernach festgesetzten Vergütungen einschließlich Fahrt¬ 
auslagen diejenigen Beträge, welche den Beamten nach den sonst anzuwendenden 
Vorschriften znstehen würden, so erhalten Bie nur die geringeren Beträge. 

§ 3. Auslagen des Beamten für die Beförderung von Akten, Karten, 
Geräten usw., deren er zur Erledigung des Dienstgeschäfts bedarf, sowie 
Schnellzugszuschläge werden gesondert erstattet. 

Hat der Beamte auf der Dienstreise höhere Beträge aufwenden müssen, 
als die Vergütung beträgt, so werden ihm die Mehrauslagen bis zur Höhe der 
Vergütung, welche nach den sonst anzuwendenden Vorschriften zu gewähren 
wäre, erstattet. Der Beamte hat zu diesem Zwecke seine Auslagen nach den 








Medizinalgeeetzgebung. 


81 


einzelnen Arten summarisch geordnet anzugeben, eine Belegung ist nicht er* 
forderlich. 

§ 4. Diese Verfügung gilt nicht für Reisen, für welche an Stelle der 
in dem Reisekostengesetz nnd den Ansfttbrnngsbestimmangen vom 24. September 
1910 vorgesehenen Vergütungen gemäß § 17 oder § 8 Abs. 2 Satz 1 oder § 9 
des Reisekostengesetzes anderweite Beträge in anderer als der in dieser Ver¬ 
fügung vorgesehenen Weise festgesetzt sind oder festgesetzt werden. 

§ 5. Diese Verfügung gilt nicht für Reisen, die zum Zwecke der Er¬ 
ledigung von Dienstgeschäften im Aaslande ganz oder teilweise außerhalb des 
Reichsgebiets ausgeführt werden. 

J : 6 . Diese Verfügung tritt mit Wirkung vom 1. Dezember 1921 ab 
t. 



Elsenbahnfahrkosten bei Dienstreisen der Staatsbeamten. Gesetz 
om 80. Januar 1922. 

An die Stelle des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 des Reisekostengesetzes 
vom 26. Juli 1910 in der Fassung der Verordnung vom 80. November 1921 
treten folgende Vorschriften: 

§ 8. (1) Bei Dienstreisen erhalten an Fahrkosten für das Kilometer, 
einschließlich der Kosten der Gepäckbeförderung, 

1. für Reisestrecken, die auf Eisenbahnen oder Schiffen zurückgelegt werden 

können, 

a) die im § 1 unter 1 bis IV genannten Beamten.14<JbPf. 

wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse bezahlt ist, 

sonst.80 „ 

b) die unter V und VI genannten Beamten .80 , 

wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste 
Schiffsklasse bezahlt ist, sonst.60 „ 

c) die unter VII genannten Beamten.50 , 

(4) Hat in den Fällen der Abs. 1 Nr. 1 einer der unter I und II ge¬ 
nannten Beamten einen Diener mitgenommen, so erhält er für diesen 50 Pf. 
für das Kilometer. 


Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Februar 1922 angetreten, aber an diesem 
Tage oder später beendet worden sind, fallen diejenigen Eisenbahn- und Schiffs¬ 
fahrten, die an diesem Tage oder später zurttckgelegt werden, unter die vor¬ 
stehenden Bestimmungen. 


Jabresgesundheltsberichte der Kreismedizinalräte. Runderlaß 
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 8. Dezember 1921 — 
I M. IV. 2707 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Ich habe das durch § 117 der Dienstanweisung für die Jahresgesund¬ 
heitsberichte der Kreismedizinalräte vorgesehene Master einer Umarbeitung 
unterziehen lassen. Der Kostenersparnis halber wird ein Abdruck des neuen 
Musters nicht beigefügt, es wird in einer Beilage der „Volkswohlfahrt“ ab¬ 
gedruckt werden') 

Ich ersuche ergebenst, zu veranlassen, daß dem zum 1. März 1922 von 
den Kreismedizinalräten zu erstattenden Jabresgesundheitsbericble das neue 
Muster zugrunde gelegt wird. Soweit für die Berichte Unterlagen erforderlich 
sind, die den Kreismedizinalräten nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen, 
ist es ihre Pflicht, sie sich durch ständiges Zusammenarbeiten mit den frag¬ 
lichen Behörden und sonstigen Stellen zu verschaffen. Es ist nicht angängig, 
daß aus einzelnen Kreisen immer wieder berichtet wird, daß Angaben nicht 
vorliegen. Die Beschaffung und Bearbeitung solcher Unterlagen erfolgt nicht 
in der Hauptsache zur Herstellung des Jahresberichtes, sondern es wird in 
dem Berichte nur die Beibringung des Tatsachenmaterials verlangt, in dessen 
Besitz der Gesundheitsbeamte des Kreises sein muß, wenn er seinen Dienst- 
obliegenhenheiten gerecht werden will. 


') 1922, Nr. 2, S. 40 f. abgedruckt. 








88 


Medizinalgesetzgebung. 


Bei der Bearbeitung der Kreisberichte durch die BegierungB- and Medi¬ 
zinalräte wird za beachten sein, daß die einfache Aneinanderreihung des ans 
den einzelnen Kreisen Berichteten die weitere Bearbeitung hier außerordentlich 
erschwert. Das gesamte Material der Kreisberichte ist znsammenfassend za 
Verwerten, Besonderheiten aas einzelnen Kreisen sind anzufugen. Dies gilt 
insbesondere anch hinsichtlich des in den Kreisberichten enthaltenen Zahlen¬ 
materials ; z. B. werden die Geburts- and Sterblichkeitszahlen dem Master ent¬ 
sprechend für die Gesamtheit der Städte and die der Landgemeinden jedes 
Kreises za bringen, besonders hohe oder niedrige Zahlen für einzelne Städte 
oder Landgemeinden anzafttgen sein. Entsprechend ist bei den weiteren 
tabellarischen Uebersichten za verfahren; es brauchen z. B. nicht alle Kranken¬ 
anstalten namentlich anfgeführt za werden, doch müssen die in dem für die 
Kreis-Medizinalr&te vorgeschriebenen Master enthaltenen Zahlen gebracht 
werden. Selbstverständlich maß erwartet werden, daß alle Zahlenübersichten 
auch die Aufrechnung für den ganzen Bezirk enthalten. 

Bei der Wichtigkeit einer möglichst schnellen zasammenfassenden Be¬ 
arbeitung des ganzen Materials kann eine Fristverlängerung für die Ein¬ 
reichung der Berichte unter keinen Umständen gewährt werden. Sowohl die 
Kreis- wie anch die Bezirksberichte sind pünktlich zam 1. März beziehungs¬ 
weise 1. Juni einzuieichen, ausnahmsweise fehlende Einzelheiten sind als Nach¬ 
trag zu liefern. _ 


/ Tätigkeit der Desinfektoren nach der neuen Destnfektlonsordnung* 
Bescheid des Ministers für Volkswohlfahrt vom 17. Januar 
1 vs 2 — I. M. III. 2389 — an den Vorsitzenden des Desinfektorenbundes E. V. 
Herrn Desinfektor Schildt in Berlin-Lichterfelde. 

Auf die mir mit Schreiben vom 15. Oktober v. J. vorgelegte Entschließung 
erwidere ich, daß die meisten Punkte der Entschließung von der falschen Vor¬ 
aussetzung aasgehen, daß durch die neue Desinfektionsordnung vom 8. Februar 
1921 die Tätigkeit der Desinfektoren eingeschränkt werden soll. Das ist aber 
nicht der Fall; es soll vielmehr nur die Schiaßdesinfektion, entsprechend dem 
Stande der Wissenschaft, soweit angängig, vereinfacht werden. Die hierdurch 
bedingte Verminderung der Tätigkeit der Desinfektoren wird aber mehr als 
aufgewogen durch die Erweiterung ihrer Mitwirkung bei der laufenden Des¬ 
infektion. Die von den Desinfektoren ganz besonders gefürchtete Mitarbeit, 
nicht Konkurrenz, der Schwestern ist durchaus notwendig, wenn überhaupt die 
laufende Desinfektion in dem beabsichtigten Umfange einigermaßen zuverlässig 
erledigt werden soll. 

Ich verweise in diesem Zusammenhänge auf eine Abhandlung, die mein 
Fachreferent in einer der nächsten Nummern der Zeitschrift für Medizinalbeamte 
veröffentlichen wird. 

Der Pankt 5 der Entschließung geht über die Zuständigkeit der Des¬ 
infektoren hinaus. Das hier berührte Meldewesen ist gesetzlich geregelt; 
seine Aenderung gehört zur Zuständigkeit der gesetzgebenden Körperschuten. 

Zu den übrigen Punkten bemerke ich folgendes: 

Zu 1. Dieser Punkt geböFt zur Zuständigkeit der Gemeinden, denen in 
der Desinfektionsordnung nur Richtlinien an die Hand gegeben worden sind. 

Zu 2. Dieser Punkt ist in den allgemeinen einleitenden Bemerkungen 
bereits erledigt worden. 

Za 8. Die Schaffang von Lehrgängen für Gesundheitsaufseher wird er¬ 
folgen können, sobald die von mir beim Herrn Beichsminister des Innern an¬ 
geregte Schaffung einer Prüfungsordnung für Gesundheitsaufseher für das 
ganze Beich erfolgt ist. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht ab¬ 
geschlossen. 

Zu 4. Die Möglichkeit des Ersatzes von Sublimat durch andere Des¬ 
infektionsmittel behandelt mein Erlaß vom 7. Januar 1922, J. M. m. 2629, auf 
den ich deshalb verweise. (Nach „Der praktische Desinfektor*, 1922, H. 1.) 


Verantwortlich für die 8chrlfUeltnng: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat tn Breslau, 
Breslau V, Rehdlgerstrafie 84» — Drnek von J. 0. G. Br ans, Minden 1. VT. 










34 


Medizin algesetzgeb ao g. 


B. Preußen. 

Gegenseitige Anerkennung der Ausbildung bezw. Prüfung der Aerste, 
Apotheker, Krankenpflegerinnen zwischen Preußen und MemelgebleL 
Bekanntmachung vom 9. Dezember 1921 — I M. V. gen. 5 M. f. V. 

Zwischen dem Vertreter der alliierten Mächte im Memelgebiet, Ober¬ 
kommissar Petisne, und dem deutschen Reichs- und Staatskommissar, Grafen 
von Lambsdorff, wird über die Anerkennung der Ausbildung bezw. Prüfung 
der Aerzte, Apotheker und des Krankenpflegepersonals folgendes Abkommen 
getroffen: 

1. Preußen ist bereit, bis auf weiteres die im Städtischen Krankenhaus 
zu Memel absolvierte Zeit als Medizinalpraktikant auf das praktische Jahr als 
Mediziner anzureebnen, solange das Städtische Krankenhaus von einem in 
Deutschland approbierten Arzt geleitet wird und die Annahme und Ausbildung 
der Medizinalpraktikanten nach den in Preußen geltenden Grundsätzen und 
Besstimmungen erfolgt. 

2. Preußen ist bereit, die Lehr- und Gehilfenzeit des pharmazeutischen 
Personals und die praktische Ausbildung nach dem pharmazeutischen Staats¬ 
examen in den Apotheken des Memelgebietes anzuerkennen, solange die An¬ 
nahme und Ansbildung nach den in Preußen geltenden Bestimmungen und 
Grundsätzen erfolgt. 

3. Preußen erkennt die von dem Landesdirektorium des Memelgebiets 
ausgestellten Ausweise Uber die staatliche Prüfung für Krankenpflegerinnen 
an, solange die Zulassung zu dieser Prüfung und die Prüfung selbst nach den 
für Preußen geltenden Vorschriften über die staatliche Prüfung von Kranken¬ 
pflegerinnen erfolgt. 


Ueberetnkommen mit dem Staatsministerium in Brannschwelg wegen 
gegenseitiger Anerkennung der staatlich anerkannten Wohlfahrt spfiege- 
rinnen. Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
8. Februar 1922 — III G. 119/1 M. — an die Herren Regierungspräsidenten 
und Provinzialschulkollegien. 

Mit dem Staatsininisterium in Braunschweig habe ich ein bis zum 31. Ok¬ 
tober 1923 geltendes Uebereinkommen abgeschlossen wegen gegenseitiger An¬ 
erkennung der staatlich anerkannten Wohlfabrtspflegerinnen auf Grund der 
Preußischen Vorschriften vom 22. Oktober 1920 über die staatliche Prüfung 
von Wohlfahrtspflegerinnen, die auch für den Freistaat Braunschweig ver¬ 
bindlich erklärt werden. 

Die Prüfung der Nachweise der Wohlfahrtspflegerinnen in Braunschweig 
erfolgt durch das Landesmedizinalkollegium in Braunschweig und durch den 
Prüfungsausschuß einer von mir zu benennenden in Preußen gelegenen an¬ 
erkannten Wohlfahrtsschule. 


ErhShnng der Gebühren für Ausstellung eines wiederholten Impf¬ 
scheines. Erlaß desMinisters für Volkswohlfahrt vom 12. Januar 
1922 — I M. HL 2855 an den Herrn Regierungspräsidenten in Cassel. 

Gegen die zeitgemäße Erhöhung der durch Bunderlaß vom 23. Juni 
1875 — II. 4939 M. d. J. M. 3088 M. d. g. A. — auf 25 Pf. bemessenen Gebühr 
für Ausstellung eines wiederholten Impfscheines auf 1 M. habe ich Bedenken 
nicht geltend zu machen. __ 


> Gebühren für Fenerbestattungszeugnlsse der beamteten Aerste sind 
an die Sinaiskasse abznführen. Verfügung desMinisters für Volks¬ 
wohlfahrt vom 4. Februar 1922 — I M. IV. 215. 22 — an den Herrn 
Polizeipräsidenten in Berlin. 

Ich trete Ihrer Auffassung bei, daß die Ausstellung der Feuer¬ 
bestattungszeugnisse als eine mit dem Amt des Kreis- oder Gerichtsmedizinal¬ 
rates verbundene dienstliche Obliegenheit anzuseben ist und daher die von 
den beamteten Aerzten dafür vereinnahmten Gebühren an die Staatskasse 
abzuführen sind. 



Medizinalgesetzgebung. 


85 


Bezüglioh der Ausstellung von Leichentransportattesten muß die Ab* 
führungspflicht für diejenigen Fälle bestehen bleiben, in denen ein amtsärzt* 
liches Zeugnis weiter allgemein vorgeschrieben bleibt. 


jv Borsänrezusatz mr Butter. Bunderlaß des Ministers für Land* 
^Wirtschaft, Domänen und Forsten vom 10. Februar 1922 — 
M. f. V. 1. M. II, 377, M. f. L. D. und F. I A. III e. 4206 — an sämtliche Herren 
Regierungspräsidenten. 

Unter Berücksichtigung der vom Beichsministerium für Ernährung und 
Landwirtschaft nachdrUcklichst hervorgehobenen Ernährungsscbwierigkeiten hat 
der Herr Reichminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsgesund¬ 
heitsamt die in dieser Sache liegenden gesundheitlichen Bedenken zurückgestellt 
und zugelassen, daß bis zu einem genauer zu bestimmenden Zeitpunkt mit Bor¬ 
säure behandelte Butter eingeführt werden darf, sofern der Borsäurezusatz 
die Höchst menge von 0,33 °/o nicht wesentlich übersteigt und die Butter genu߬ 
tauglich ist sowie auch zu sonstigen Beanstandungen keinen Anlaß bietet. 
Die Butter gelangt in Kisten mit etwa 25 kg Inhalt und mit der äußeren 
Kennzeichnung auf jeder Kiste „Borhaltige Auslandsbutter. Untersucht in 
Hamburg“ als Backbuttcr oder Eßbutter in den Handel. Sie ist voraussichtlich 
erheblich billiger als die borsäut ef reie ausländische sowie die inländische Butter, 
steht aber als ältere Kühlbausware im Qenußwert der frischen Butter nach. 
Jedoch soll ihre allgemeine Beschaffenheit einwandfrei sein. 

Wir ersuchen ergebenst, den an Ueberwachung des Verkehrs an Lebens¬ 
mitteln beteiligten öffentlichen NahruDgsmittel-Untersuchungsanstalten unver¬ 
züglich hiervon Kenntnis zu geben und ihnen nahezulegen, aus den angegebenen 
volkswirtschaftlichen Gründen von einer Beanstandung der mit Borsäure be¬ 
handelten ausländischen Butter, die über Hamburg zur Einfuhr gelangt, ab¬ 
zusehen, sofern der Borsäuregehalt 0,33 °/o nicht wesentlich übersteigt, und die 
Butter im übrigen zu Beanstandungen keinen Anlaß gibt, auch für Genu߬ 
zwecke geeignet ist. 

Für die Untersuchung der Butter auf ihren Gehalt an Borsäure empfiehlt 
es sich, nach der anliegenden, vom Beichsgesundheitsamt ausgearbeiteten An¬ 
weisung zu verfahren. 

Anweisung zur Untersuchung von Butter auf einen Gebalt von Borsinre. 

Zur Prüfung, ob die Butter überhaupt Borsäure enthält, wird das Ver¬ 
fahren angewandt, das in den vom Beichsgesundheitsamt herausgegebenen 
„Entwürfen zu Festsetzungen über Lebensmittel“ Heft 2: „Speisefette und 
Speiseöle“ Seite 45 (Berlin, Verlag von Julius Springer 1912) an¬ 
gegeben ist. Die Flammenprobe braucht nicht vorgenommen zu werden. Nur 
wenn die Kurkumareaktion zweifelsfrei positiv ausfällt, ist die quantitative Be¬ 
stimmung der Borsäure nach nachstehender Vorschrift auszuführen. 

25 g Butter werden in einer Platin- oder Quarzschale von etwa 150 ccm 
Inhalt nach Zusatz von 1 g wasserfreier Soda auf dem Wasserbade unter Um¬ 
rühren geschmolzen, sodann im Trockenschrank bei etwa 110° vom größten 
Teil des Wassers befreit. Nach dem Erkalten werden etwa 50 ccm Aether 
zugegeben, die Fettlösung durch ein aschenarmes Filter filtriert und der Rück¬ 
stand einmal mit Aether nachgewachsen. Filter samt Inhalt und der in der 
Schale verbliebene Rückstand werden sodann verkohlt, die Kohle wiederholt 
mit möglichst kleinen Mengen heißen Wassers ausgezogen, der Auszug durch 
ein kleines, aschenarmes Filter filtriert und das Filter samt der Kohle in der 
Schale verascht; die Asche wird mit etwa 2,5 ccm 25°/uiger Salzsäure und 
einigen ccm Wasser aufgenommen und diese Lösung zu dem Filtrat gegeben. 

Die saure, durch kurzes Aufkochen von Kohlendioxyd befreite, nicht 
mehr als etwa 25 ccm betragende Aschenlösung wird mit 25 ccm 40°;o iger Tri- 
natriumcitratlösung, 1 Tropfen 1 % iger Phenolphthaleinlösung und soviel nor¬ 
maler, zuletzt '/io normaler Alkalilause versetzt, bis die Lösung eben deutlich 
gerötet ist. Hierauf gibt man etwa 6 g reinen Mannit zu und titriert die da¬ 
durch entfärbte Lösung mit l /io normaler Alkalilauge, bis die Flüssigkeit 
2 Minuten lang deutlich gerötet bleibt, läßt 10 bis 20 Minuten stehen und 
titriert die etwa wieder entfärbte Flüssigkeit nach Bei der Neutralisation 
vor dem Mannitzusatz und bei den Titrationen soll die Lösung annähernd die 
gleiche, 20* nicht übersteigende Temperatur haben. 



36 


Medizin algesetzgebang. 


Die Alkalilauge ist auf Mineralsaure unter Anwendung von Phenolphthalein 
als Indikator einzustellen. Die nach dem Mannitznsatz yerbrauchte Anzahl 
von >/i« normaler Lauge mit 6,2 multipliziert (62 = Molekulargewicht von 
B Os Ha) ergibt die Milligramme Borsäure, die in 25 g Butter enthalten sind. 


Ausbildung von Kommunal« und Fflrsorgelrzten. Bunderlaß des 
Ministers fttr Volkswohlfahrt vom 14. Dezember 1921 — IM.L 
3491 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Unter Bezugnahme auf den Bunderlaß yom 81. März d. Js. — LAI, 
787 —*) mache ich nochmals auf die bei den sozialhygienischen Anstalten in 
Berlin-Charlottenburg, Breslau und Düsseldorf stattfindenden Lehrgänge zur 
Ausbildung von Kommunalärzten aufmerksam. Bei den bedeutenden Vorteilen, 
die eine gute sozialhygienische Ausbildung der Kommunal* und Fürsorgeärate 
der Allgemeinheit, insbesondere den betreffenden Kommunalverbänden bietet, 
und angesichts der wirtschaftlichen Nachteile, die bei einer schlecht geleiteten 
ärztlichen Fürsorge eintreten, halte ich es für außerordentlich wünschenswert, 
daß nur solche Aerzte als Kommunal- und Fürsorgeärzte angestellt werden, 
die durch einen viermonatigen Lehrgang an einer der drei sozialhygienischen 
Anstalten über die Zusammenhänge zwischen Gesundheitspflege und Wirt¬ 
schaftsleben genügend aufgeklärt sind. 

Ich ersuche daher ergebenst, in diesem Sinne bei allen sich bietenden 
geeigneten Gelegenheiten auf die nachgeordneten Stellen einzuwirken, damit 
die Anstellung von Kommunal- und Furaorgeärzten, die für ihre Aufgaben 
durchaus ungenügend vorbereitet sind, nicht mehr in dem bisherigen Umfange 
erfolgt. _ 


C. Lippe. 

Bekämpfung der Grippe. Verordnung des Landesamts für 
Volkswohlfahrt und Volksgesundheit vom 80. Dezember 1921. 

Auf Grund des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Beicbsgesetzes 
über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900, sowie 
die Bekämpfung anderer übertragbarer Krankheiten vom 12. April 1920, §§ 5 
und 21 wird fügendes verordnet: 

Die Bestimmungen des Gesetzes vom 12. April 1920 gelten auch für die 
„Grippe* genannte Krankheit. Die Anmeldungen haben in Krankheitsfällen in 
jedem Falle unverzüglich an das Landeswohlfahrtsamt zu erfolgen. Die bisher 
beobachteten Fälle sind gesammelt zu melden. Die Herren Aerzte werden er¬ 
sucht, auf den Anmeldeformularen kurz anzugeben, wenn einzelne Organe be¬ 
sonders betroffen sind (Gehirn, Lungen, Herz, Darm). 

Todesfälle sind zu melden, auch wenn die Krankheit bereits gemeldet war. 

Die Kreisärzte haben am Montag jeder Woche über den Stand der Grippe 
in ihrem Bezirke dem Landeswohlfahrtsamte zu berichten. Außergewöhnliche 
Vorkommnisse sind sofort fernmündlich zu melden und schriftlich zu be¬ 
stätigen. (Fernsprecher Nr. 616.) 

Bei gehäuftem Auftreten in einem Bezirke sind Schulschließungen im 
Einvernehmen mit den betreffenden Schulleitern zu beantragen und zwar im 
allgemeinen durch das Landeswohlfahrtsamt, in dringenden Fällen direkt bet 
don unteren Verwaltungsbehörden. Das Landeswohlfanrtsamt ist von jeder er¬ 
folgten Schulschließung umgehend zu benachrichtigen. 

Die Polizeibehörden werden auf § 8 des Gesetzes vom 12. April 1920 
besonders aufmerksam gemacht. 

Der Bevölkerung wird empfohlen, auch in anscheinend leichten Fällen 
sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

Auf Grund des § 21 des Gesetzes vom 12. April 1920 wird die Behand¬ 
lung von Personen, die an Grippe erkrankt sind, durch andere Personen als 
approbierte Aerzte verboten. 

') s. diese Zeitschr.; Beil. 1921, Nr. 10, 8 . 65. 


Yerantwortlieh fftr die Sehrlftleituif: Geh.Med.-Set Dr. 8olbrlf, Bef.- u. Med. -Bel In Breslau 
Breslau V, Rehdiferstrafle 84* Druck tob J. C. 0. Brams, Mindern 1. W. 





Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 7. 5. April. 1922. 


Medizinal - Gesetzgebung. 

Z A. Preußen. 

Gebühren der Medfifnalbeamten. Erlaß des Ministers für 
:swohlfahrt vom 3. März 1922 — I. M. I. 400 — an die Herren 
Begierungspräs denten. 

Anf Grand des § 8 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Gebühren der 
Medizinal beamten, vom 14. Jnli 1909 (Gesetzsamml. 8. 625) werden im Ein¬ 
vernehmen mit dem Herrn Finanzminister nnd dem Herrn Jnstizminister die in 
den Anlagen I nnd II des Gesetzes angegebenen Sätze des Tarifs für die Ge¬ 
bühren der Kreisärzte sowie des Tarifs für die Gebühren der Chemiker für ge¬ 
richtliche nnd medizinalpolizeiliche Verrichtungen mit Wirkung vom 1. März 1922 
ab durchweg am 900 vom Hnndert erhöht. Der Erlaß vom 20. Dezember 1920 
(Geeetzsamml. 8. 542), betreffend Aendernng des Tarifs für die Gebühren der 
Kreisärzte nnd des Tarifs für die Gebühren der Chemiker für gerichtliche nnd 
medizin&lpolizeiliche Verrichtungen wird mit dem Ablauf des 28. Febraar 1922 
aufgehoben. _ 


Herstellung nnd Vertrieb von Knnstmllch nnd Knnstsahne. Band¬ 
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt, des Ministers für 
Landwirtschaft nnd des Ministers für Handel und Gewerbe 
vom 26. Januar 1922 — M. f. V. I. M., IT, 3767, M f. L. D. und F. I. A. 
UI e 4067, M. f. H. n. G. II b 414 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

In neuester Zeit scheint infolge des Mangels an Frischmilch seitens der 
Lebensmittelindustrie nnd des Lebensmilteihandels der Herstellung und dem 
Vertrieb von Kunstmilch nnd Knnstsahne erhöhte Beachtung beigemessen zu 
werden, wobei offenbar mit der Möglichkeit erheblicher Gewinne gerechnet 
wird. Damit Mißstände, deren Beseitigung später Schwierigkeiten verursachen 
würde, tunlichst von Anfang an verhüt-1 werden, haben über die Frage einer 
einheilich'-n Regelung des Verkehrs mit Kunstmilch nnd Knnstsahne vom Stand¬ 
punkte der Volk^ernährnng und der Ueberwachnng des Verkehrs mit Lebens¬ 
mitteln anf unsere Anregung hin im Beichsgesnndheitsamt unter Hinzuziehung 
von Vertretern der beteiligten Ministerien sowie sonst in Betracht kommender 
Stellen Beratungen stnttgefunden, wobei nachstehende Gruppen von Erzeug¬ 
nissen behandelt wurden: 

1. Wässerige Auflösungen von Trorkenvollmilch oder von Trockenmagermilch 
mit Zusatz von Milcbfett (sogenannte Emulsionsmilcb), 

2. Magermilch oder wässerige Auflösungen von Trockenmagermilch mit Zusatz 
von Fremdfetten (Kokosfett oder sonstigen in der Margarineindustrie ver¬ 
wendeten Fetten), 

3. Milebäbnliche Flüssigkeiten aus pflanzlichen Stoffen, wie Sojamilch, Erd¬ 
nußmilch, Mandelmilch. 

Von den u»ter 3 genannten Erzeugnissen soll bisher praktisch nur die 
Sojamilch in Frage kommen. Gegen diese wurden Bedenken nicht geltend ge¬ 
macht; sie wurde als zum Fcilhalten in Erfrischungsräumen, Selterwasser¬ 
ausschankstellen usw. geeignetes Erfrischungsgetränk bezeichnet. Da sie als 
Genußmittel für Erwachsene unschädlich und nach den bisher von Inter¬ 
essenten vorgelegten Proben zu wenig milcbähnlich ist, um zu Verwechselungen 
mit Milch oder zu deren Verfälschung Anlaß zu geben, wurde es für unnötig 

S chalten, sie etwa durch künstliche Färbung besonders kenntlich zu machen. 

ie versammelten Sachverständigen waren jedoch der Ansicht, daß die Ver¬ 
wendung des Wortes „Milch* als Wortbestandteil in der Bezeichnung dieser 






36 


Mediziaalgeeetzgebung 


Erzeugnis»e unerwünscht sei, und daß versucht werden solle, durch Einwiikaag 
auf & Hersteller diese Bezeichnung auszuschalten, um besondere Verkehrs¬ 
beschränkungen unuOtig zu machen. 

Die unter 2. bezeichneten Milchnachmachungen aus Magermilch und 
Fremdfetten wurden von den Aerzten unbedingt abgelehnt. Es wurde eia 
rolliges Verbot dieser Art von Kunst milch zum Schutze der Gesundheit, ins¬ 
besondere der Kinder, für nötig gehalten. 

Auch gegen die unter 1. genannten Erzeugnisse, von denen hauptsächlich 
die Emulsionsmilch aus Trockenmagermilch nnd ungesalzener Bntter in Frage 
kommt, warden von den Aerzten erhebliche Bedenken geltend gemacht, uad es 
wurde gefordert, einen etwaigen Milchmangel statt durch Verteflung von 
Emulsionsmilch durch Ausgabe von Trockenvollmilch als solcher zu begegnen. 
Die Beschaffung von hinreichenden Mengen guter deutscher Trockenvollmlleh 
wurde jedoch seitens des Beichsernäbrungsministeriums als unmöglich bezeichnet, 
aach liegen über deren Haltbarkeit zu wenig Erfahrungen ror. Da außerdem 
gute ausländische Trockenrollmilch, selbst wenn sie in ansreichendem Made 
beschafft werden könnte, jedenfalls zn teuer kommen würde, und ihre Ein¬ 
führung vermutlich bei einem größeren Teil;der Verbraucher, die an flne Ver¬ 
wendung nicht gewöhnt sind, einem gewissen Widerstand begegnen würde, so 
wnrde schließlich eine bedingte Zulassung der Emulsionsnulch, vorüber¬ 
gehend, alsNotbebelf für die Zeit des Mangels an Frischmilch, als duldbar 
angesehen, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sie nicht zur 
Säuglingsernährung verwendet wird. Es wurde für unerläßlich ge¬ 
halten, daß zum Schutze der Gesundheit die Zulassung der Emulsionsmfldi aa 
gewisse Bedingungen geknüpft wird, und eine einheitliche Regelung des Ver¬ 
kehrs mit Emmsionsmilch nach folgenden Richtlinien erfolg: 

„1. Tritt am Verteilungsort Mangel an Frischmilch ein, so maß dafür Sorge 
getragen werden, daß die jeweils dort angelieferte Frischmilch in erster 
Reihe den Kindern, unter Rationierung nach Altersklassen, und anderen 
friscbmilchbedürftigen Personen, über deren Auswahl im Benehmen mit 
den Aerzten Entscheidung zu treffen ist, zugute kommt (vergl. Verord¬ 
nung über den Verkehr mit Milch vom 30. April 1921, Reichs-GesetzbL 
9. 498). 


2. Bei Milchm&upel erscheint die vorübergehende Verteilung von Emulsions¬ 
milch als geeigneter Notbehelf. Die Emulsionsmilch muß jedoch in ihrer 
Zusammensetzung, inbesondere im Fettgehalt, der frischen Vollmilch ent¬ 
sprechen und aus einwandfreien Rohstoffen sauber hergestellt sein. Ein 
Vermischen mit Frischmilch muß ausgeschlossen werden. Die Herstellung 
von Emulsionsmilch darf nur den Stadtverwaltungen oder behördlich be¬ 
aufsichtigten Betrieben gestattet werden. 

H. Als Fett darf nur Milcnfett oder Butter zugesetzt werden. Der Znsatz 
von fremden Fetten muß ausgeschlossen sein. 

4. Der Emulsionsmilch muß bei der Herstellung ein leicht nachweisbares 
Erkennungsmittel zugesetzt werden. 

ü. Gefäße, die Emulsionsmilch enthalten oder zu ihrer Aufnahme bestimmt 
sind, müssen deutlich als solche gekennzeichnet sein. 

6. Die Öffentlichkeit muß in geeigneter Weise darüber aufgeklärt werden, 
daß Emulsionsmilch zwar wie Milch zum Trinken, Kochen usw. verwendet 
werden kann, daß sie jedoch kein vollwertiger Ersatz für Milch und Ins¬ 
besondere für die Ernährung von Kleinkindern ungeeignet ist.* 

Zn Nr. 4. der vorstehenden Richtlinien bemerken mir, daß die im Reichs- 
gesundheitsamte angestellten Versuche zur Ermittelung eines geeig n e t e n Er¬ 
kennungsmittels für Emulsionsmilch noch nicht vollständig abgeschlossen sind. 
Sobald dies der Fall ist, werden wir weitere Mitteilungen machen. 

Hinsichtlich der Regelung des Verkehrs mit Kunstsahne schweben noch 
Erörterungen, wir werden jedoch voraussichtlich schon in nächster Zeit in der 
Lage sein, auch nach dieser Richtung bestimmte Grundsätze für eine einheü- 
liche Verkehrsregelung aufzustellen und mitzuteilen. 

Hiernach Kommt vorläufig in Betracht, da, wo es erforderlich ist, durch 
Polizeiverordnungen den Verkehr mit Knnstmilch der ei n gan g s unter L und 2. 
erwähnten Art — vorbehaltlich der Gewährung von Ausnahmen nach Maßgabe 
der mitgeteilten Richtlini en für den Verkehr mit Emulahmaadlch — zn var- 



bieten, o4 hinskhlic k de* Verkehrs mit milchäknlkkeu nfisrigbritau ms 
■Anzbcfaeo Stoffen, wie mit sogenannter Sojamilch, dafür 9w|« su tu rnt, 
daß «ie nicht unter solchen Bezeichnungen in den Verkehr gebracht weiden, 

die dns Wort „Milch" enthalten. 

Bericht über Qrlppeausbreituug. Banderlaß des Ministers für 
Volkswohlfahrt vom 20. Januar 1922 — L M. Ql. 12&22 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

Dm ein Bild über den Gang and die Aasbreitung der erneut wieder¬ 
gekehrten Grippeepidemie zu erhalten, ersuche ich ergebenst, mir bie zum 
1. April d. Js. eine Uebersicht über ihr Auftreten im dortigen Bezirk vorzulegeu. 
Ss wird, soweit angängig, der Zeitpunkt des Ausbruches und des Erlöschens 
in den verschiedenen Teilen des Bezirks sowie der Umfang der Erkrankungen 
anzugeben und auch über Art und Schwere der Krankheit, über Sterblichkeit 
und häufige Komplikationen zn berichten sein. 

Ferner bitte ich schon jetzt, das Erforderliche zu veranlassen, um Ms 
zum 1. Februar 1923 über die Jahre 1921 und 1922 möglichst vollständiges 
Zahlenmaterial bringen zu können, soweit die Krankenkassen ia Frage kommen, 
entsprechend dem Erlaß vom 28. Jnni 1921 — I. M. III. 1174 —. Dabei sind 
auf dem im genannten Erlaß vorgeschriebenen Formbogen die Ergebnisse für 
den Bezirk nach den Jahren 1921 and 1922 getrennt zusammenzufassen, soweit 
diec bei vollständigen Berichten statistisch möglich ist. Die unvollständigen 
Berichte sind nach Möglichkeit zu vervollständigen, sonst mir einzeln ein¬ 
zureichen. 

Wegen der regelmäßig in die Wochennachweisungen Uber übertragbare 
Krankheiten anfzunehmenden Mitteilungen verweise ich ergebenst auf die Bo¬ 
stimmungen des Erlasses vom 17. Januar 1921 — I. M. IQ. 119 — Min.-Bl. 
„Volkswohlfahrt" 8. 66. 

f Brjripol als Impfschädigung. Runderlaß des Ministers für 
Volkswohlfahrt vom 28. Januar 1922 — I. M. QL 2716 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

Anf der im September 1921 in Schwerin abgehaltenen Versammlung der 
Vorsteher der deutschen staatlichen Impfanstalten ist darauf hingewiesen, daß 
in den Berichten der Impfärzte des öfteren über Erkrankungen an Erysipel bei 
Impflingen gesprochen wird, während lediglich eine stärkere RandrOtc, die für 
die Bildung einer Immunität von Bedeutung ist, vorliegt. Dieser Irrtum wird 
dadurch hervorgerufen, daß in dem vom Reichsgesundheitsamt aufgestellten 
„Fragebogen für die Erhebungen über besondere Vorkommnisse bei den öffent¬ 
lichen Impfangen* nach Erysipel (Früh- oder Späterysipel) gefragt wird, waa 
von einigen Impfärzten mißverständlich anfgefaßt ist. 

Ich ersuche daher ergebenst, die privaten Impfärzte durch die Kreis¬ 
medizinalbeamten in geeigneter Weise darauf aufmerksam zn machen, daß ab 
Erysipel lediglich die durch Eitererreger hervorgernfene, flächenhaft rieh aus¬ 
breitende, stark fieberhafte Hautentzündung anzusehen ist 


Alte, unbrauchbare Schulbänke. Runderlaß des Ministers für 
Volkswohlfahrt und des Ministers für Wissenschaft, Kunst 
und Volksbildung vom 11. Februar 1922 — I. M. IV. 2866 21 M. 1V., 
M. QI. E. 3225 M. f. W. K. u. V. — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Der „Verband Deutscher Schulmöbelfabrikanten* hat angeblich die Be¬ 
obachtung gemacht, daß die Gemeinde- und Stadtverwaltungen ans Ersparnis¬ 
gründen mehr and mehr dazu übergehen, alte, nicht mehr brauchbare Schul¬ 
bänke zur Ergänzung nnd Ausstattung der Schnlräome zu verwenden. Er weist 
darauf hin, daß diese alten, in früheren Zeiten ausrangierten Schulbänke bst 
ausschließlich deswegen außer Benutzung gestellt worden sind, weil ihre Bauart 
schwere gesundheitliche Schädigungen für die Schuljugend bei weiterer Be¬ 
nutzung hervorrief. Der Verband erlaubt daber verpflichtet zn sein, die ma߬ 
gebenden Stellen auf die große Gefahr aufmerksam zu machen, die dieses Vor¬ 
gehen der Gemeinde- und Stadtverwal langen für die heranwachseode Jugend 
in sich birgt 



40 


Medizin algesetzgebung. 


Wir erauchen ergebenst, den Kreismedizinalräten hiervon Kenntnis zu 
geben und sie anzuweisen, bei den periodischen Schulbesichtigungen ihr Augen¬ 
merk auf den behaupteten Mißstand zu richten and über ihre Beobachtaogen 
zu berichten. 

Ihrem gefälligen Berichte sehen wir innerhalb Jahresfrist ergebenst 
entgegen. _ 




Abgabe von Onellstiften in Apolheken. Bekanntmachang des 
Ministers für Volkswohlf ahrt vom 18. Januar 1922. 

Unter Hinweis anf § 367 Ziffer 5 des Strafgesetzbaches für das Deutsche 
Reich bestimme ich: 


§ 1. Stifte, Sonden oder Meißel aus Laminaria, Tapeloholz oder anderen 
quellfähigen Stoffen dürfen nur auf schriftliche, mit Datum und Unterschrift 
versehene Anweisung (Rezept) eines Arztes oder Tierarztes — in letzterem Falle 
jedoch nur zum Gebrauch in der Tierheilkunde — zu Heilzwecken abgegeben 
werden. 

§ 2. Ihre wiederholte Abgabe darf — außerhalb der Tierheilkande — 
nur auf jedesmal ernente, schriftliche, mit Datum und Unterschrift versehene 
Anweisung eines Arztes erfolgen. 

§ 3. Zuwiderhandlungen werden nach § 367,|5 Strafgesetzbuchs bestraft. 

§ 4. Diese Bestimmungen treten am 1. Februar 1922 in Kraft. 


Bern. Dieselbe Verordnung ist unter dem 13. Februar 1922 für Württem¬ 
berg, unter dem 22. Februar 1922 für Hamburg, nnter dem 24. Februar 1922 
für Bayern erlassen worden. _ 


B. Württemberg. 

Aufhebung der Verfügung betr. Bekämpfung des Kurpfuschertums. 

Durch Verfügung des Ministeriums des Innern vom 28. Januar 1922 wird 
die Verfügung betr. das Kurpfuschertum vom 10. Mai 1919 l ) mit sofortiger 
Wirkung aufgehoben. (Nach Pharmazeut. Zeitung; 1922, Nr. 13.) 


Vorschriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen. 
Bekanntmachung des Senats vom 28.Dezember 1921. 

Von dem Abdruck wird abgesehen, da im allgemeinen die Vorschriften 
den in Preußen erlassenen gleich oder ähnlich sind. Von wesentlicheren Ab¬ 
weichungen seien hervorgehoben: 

§ 2. Die Prüfungkommission besteht ans 3 Aerzten sowie einerimprak¬ 
tischen Dienst besonders erfahrenen, staatlich anerkannten 
Pflegeperson. 

§ 5. 1. Es wird gefordert, daß das 20. Lebensjahr vollendet und das 
35. Lebensjahr nicht überschritten ist, 

6. der Nachweis einer einjährigen praktischen Tätigkeit in 
der Krankenpflege vor Eintritt in den Lehrgang (von einjähriger 
Dauer). 

§ 7. Die PrUfung ist für Teilnehmer an den Ausbildungskarsen in den 
hamburgischen staatlichen Krankenanstalten gebührenfrei. 

Für das in den privaten Krankenanstalten ausgebildete Personal beträgt 
die Prüfungsgebühr 24 M. 

Für andere Personen, die anderweitig ausgebildet sind, wird eine Gebühr 
von 100 M. erhoben. 

g 13. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auch auf: 

o) Grundsätze für die Pflege Geisteskranker. 

§ 23 enthält einen besonderen Hinweis und Strafandrohung bei unerlaubter 
Beilegung der Bezeichnung als staatlich anerkannte Eirankenpflegeperson. 


*) VergL diese Zeitschrift; 1919, Beilage 8. 64. 


Yerantwortlleh für die Sehrt ftleitanf: Geh.Med.-Bat Dr. Solbrlf, Bef.- u* Med.-Bel ln Breslau 
Brealen V, Behdlferatrafie di.j yDruek ron J. 0. C. Brau*, Minden I. W. 



Rechtsprechung u. Medizinal* 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 8/9. 5. Mai. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich. 

Maßnahmen zum Schatze der ln Krankenanstalten beschäftigten 
Krankenpflegepersonen gegen Tuberkulose. 

Auf Grand des Rundschreibens des Reichsministers des Innern vom 
10. November 1920') sind im Laufe des letzten Jahres entsprechende Anord¬ 
nungen außer in Preußen in nachbezeichneten Ländern getroffen worden: in 
Bayern (25. Januar 1921), Baden (2. Dezember 1920), Sachsen (27. Juni 1921), 
Württemberg (30. November 1920), Hessen, Thüringen, Mecklenburg-Schwerin 
(22. November 1921), Mecklenburg-Strelitz, Braunschweig (20. Dezember 1920), 
Oldenburg (1. Dezember 1920), Anhalt (20. Dezember 1920), Lippe, Hamburg 
(31. Dezember 1920), Lübeck, Bremen, Waldeck, Schaumburg-Lippe. 


B. Preußen. 

Anträge auf Bewilligung von Beihilfen zur Bekämpfung der Tuber* 
kulose. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
15. März 1922 — I M III 593/22 — an die Herren Regierungspräsidenten 
(mit Bezug auf die Runderlasse vom 3. Juli 1918, 4. Juni*) und 12. September 1921). 

Um die Bearbeitung der Anträge auf Bewilligung von Beihilfen aus dem 
mir zur Verfügung stehenden Tuberkulosefonds zu erleichtern, habe ich an¬ 
liegenden Formbogen entwerfen lassen. Ich ersuche, in Zukunft zu solchen 
Anträgen nur noch diese Formbogen verwenden und Begleitberichte nur aus 
besonderer Veranlassung beifügen zu wollen. 

Da ich auf die Beurteilung der Anträge durch die Herren Kreismedizinal¬ 
räte besonderen Wert lege, bitte ich ergebenst, zu veranlassen, daß die Anträge 
von Vereinen und Gemeinden auch durch deren Hand an Sie eingereicht werden. 


Zu I M III 593/22. 

Antrag 

de. 

auf Bewilligung einer Beihilfe aus dem Tuberkulosefonds. 


Der Kreismedizinalrat. .. den.192 . 

Der Antrag wird.. befürwortet. 

Ich halte einen Betrag von . . . . M. für angemessen. 

(Vorstehende Spalten nur auszufüllen hei Anträgen von Vereinen und Gemeinden.) 

Der Regierungspräsident. .den ..... 192 . 

Der Antrag wird.befürwortet. 

Ich halte einen Betrag von .... M. für angemessen. 

An 

den Herrn Minister für Volkswohlfahrt 
in Berlin W 66. 


*) S. diese Zeitschrift, 1921, Beilage 8. 41. 
*) S. ebendaselbst Nr. 15/16. S. 79. 












42 


Medizinalgesetzgebung. 


Von 

wem 

(Rechts¬ 

träger) 

wird ( 

In 

welcher 

Höhe 

1er Antrag 

Für 

welchen 

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In 

Betracht 
kommende 
Ein¬ 
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zahl i* 

Wieviel 

a) im vergangen 
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b) für das laufet 
als Ausgabe 1 

für Wohlfahrts¬ 
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insgesamt? 

wurden 

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davon für 
Tuberkulose- 
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Pockengefahr durch zureisende Personen aus Rußland, Polen nsw. 
Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 9. März 
1922 — I M. UI 396 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Unter den aus Rußland und seinen ehemaligen Teilgebieten wie Polen, 
Litauen, Lettland suw. nach Deutschland schon zugereisten und weiterhin täg¬ 
lich noch ankommenden Personen befinden sich zahlreiche Kinder, darunter auch 
solche schulpflichtigen Alters, die deutsche Schulen besuchen oder in solche 
eintreten wollen. Bei der von jeher mangelhaften Handhabung der Schutz¬ 
pockenimpfung in Rußland ist anzunehmen, daß diese Kinder gegen die Pocken 
nicht oder wegen fehlender Wiederimpfung nicht genügend geschützt sind. Sie 
sind aber einer besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt, weil ihre Familien 
dauernd Verkehrsbeziehungen, besonders verwandtschaftlicher Art, mit Rußland 
bezw. mit ihren von dort neu zugereisten Landsleuten unterhalten, so daß der 
Ansteckungsstoff der Pocken in diese Familie und so in die deutsche Bevölke¬ 
rung verschleppt werden kann. Es empfiehlt sich daher, dem Impfzustande 
der aus Rußland zugezogenen Kinder eine besondere Aufmerksamkeit zuzu- 
wenden und erforderlichenfalls eine unterbliebene Impfung nachzuholen. Aber 
auch bei Erwachsenen ist eine Feststellung des Impfzustandes von Bedeutung. 
Es ist deshalb ratsam, bei zureisenden Ankömmlingen der eingangs erwähnten 
Art, die nicht glaubhaft nachzuweisen vermögen, daß sie die Pocken über¬ 
standen haben oder innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgreich geimpft sind, 
auf die Vornahme bezw. Wiederholung der Impfung hinzuwirken. 

Soweit es sich um Personen handelt, die als Flüchtlinge in einem Quaran¬ 
tänelager oder als Durchwanderer in Auswandererhallen Aufnahme gefunden 
haben, sind die entsprechenden Maßnahmen bereits in die Wege geleitet. 

Ich ersuche ergebenst, die Polizeiverwaltnngen und die Kreismedizinal¬ 
beamten gefälligst mit entsprechender Weisung zu versehen. Abdruck dieses 
Erlasses erfolgt im Ministerialblatt „Volkswohlfahrt“. 




















Medizin algesetzgebung. 


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Anwürter* und Besoldungzdlenstalter der Medirinalbeamten. Band* 
Erlaß des Ministers fttr Volkswohlfahrt yom 20. März 1922 

— I M I Nr. 178 — an die Herren Regierungspräsidenten.' 

Bei der Errechnaog des Anwärter* and Besoldungsdienstalters derjenigen 
Medizinalbeamten, die die Kreisarztprttfang nach der Prüfangsordnang vom 
80. März 1901 — Ministerialblatt fttr Medizinalangelegenheiten 1901 8. 71 ff. — 
abgelegt haben, ist anstatt der dreijährigen nar dann eine zweijährige prak* 
tische Beschäftigung in Ansatz za briogen, wenn die Beamten ihre Zulassung 
zur Kreisarztpriifung tatsächlich bereits nach zweijähriger Beschäftigung be¬ 
antragt haben. 

Gebühren für die Teilnehmer an Deslnfektlonslehrgüngen. Rund- 
Erlaß des Ministers für Yolkswohlfahrt vom 8. März 1922 

— I M IV 361 — an die Herren BegierungBpräsidenten. 

Die in meinem Bunderlasse vom 31. Dezember v. J. — I M. IV 2802— *) 
betreffend die Festsetzung der Gebühren fttr die Teilnehmer Ton Desinfektions- 
lehrgängen, kurz gebrauchte Bezeichnung „männliche Teilnehmer“ im Gegen¬ 
satz zu „Schwestern“ hat in einem Falle zu einer mißverständlichen Auf¬ 
fassung geführt. 

Ich weise daher ergänzend darauf hin, daß der Unterschied in der Höhe 
der Gebühren fttr die Teilnahme an den Lehrgängen in der Desinfektion nicht 
darin begründet ist, daß die Teilnehmer Männer oder Schwestern sind, sondern 
vielmehr dadurch bedingt ist, daß es sich einmal um voll-, auch am Dampf¬ 
apparat und Formalinapparat ausgebildete Desinfektoren (die auch in Aus- 
nabmefällen weiblichen Geschlechts sein können), zum andern aber um nur 
in der laufenden und vereinfachten Schlußdesinfektion (ohne Apparatdesinfektion) 
ausgebildete Pflegerinnen handelt. 


C. Bayern. 

Leichenschangebflbren. Verordnung des Staatsministeriums 
des Innern vom 30.März 1922. 

Mit Wirkung vom 1. April 1922 werden fttr die Leichenschau folgende 
Gebühren festgesetzt: 

1. für ärztliche Leichenschauer: 1 

a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohn¬ 
ortes: 20 M. 

b) Eutfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau vom 
Wohnorte des Leichenschauers mehr als 2 Kilometer beträgt, fttr jeden 
Kilometer des Hin- und Bückweges: 4 M.; 

2. für nichtärztliche Leichenschauer: 

a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohn¬ 
ortes: 13 M.; 

b) Entfernungsgebühr (wie unter 1 b): 2,60 M. 

Die Gebühren für eine außerhalb des Wohnorts vorgenommene Leichen¬ 
schau dürfen den Höchstbetrag von 60 M nicht überschreiten. 

Diese Sätze treten an die Stelle der entsprechenden Sätze der Verordnung 
vom 13. August 1920 über die Leichenschau, geändert durch die Verordnung 
vom 27. August 1921. 


D. Sachsen. 

Entschädigung für Impfungen. Verordnung des Ministeriums 
des Innern vom 22.Februar 1922. 

§ 4, Absatz 2 der Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichs¬ 
impfgesetzes betreffend, vom 14. Dezember 1899 (G.V.B1. S. 623) erhält folgende 
Fassung: 

Die Entschädigung beträgt fttr die Impfung jeder einzelnen Person, ein¬ 
schließlich der Nachschau, der Einträge in die Liste und der erstmaligen Aus¬ 
stellung des Impfscheines 

3 M. am Wohnort des Arztes, 

5 M. außerhalb desselben. 


*) Siehe diese Zeitschrift, Beilage, 1922, Nr. 4, S. 26. 



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Medizinalgesetzgebung. 


In diesen Sätzen sind die Entschädigungen für die impfärztlichen Ans* 
lagen für Watte, 70 prozentigen Alkohol oder andere gleichwertige Mittel zum 
Abreiben der Impfstelle bei öffentlichen Impfungen (§ 6 der Beilage B zur Ver¬ 
ordnung, die anderweite Ausführung des Beichsimpfgesetzes betreffend, vom 
28. September 1917, G.V.B1. S. 108) und für Fortkommen mit inbegriffen. 

E. Mecklenburg «Schwerin. 

Hebammenwesen. Gesetz vom 15. Dezember 1921. . 

Der Landtag des Freistaates Mecklenburg-Schwerin hat folgendes Gesetz 
beschlossen, das hiermit verkündet wird: 

§ 1. Jede Stadt- und Landgemeinde ist verpflichtet, Hebammen, die die 
Berechtigung zur Ausübung des Hebammenberufes im Freistaat Mecklenburg- 
Schwerin besitzen, in genügender Zahl anzustellen und im Bedarfsfälle ge¬ 
eignete Personen in der Hebammenlehranstalt in Bostock ausbilden zu lassen. 
Die Hebammen dürfen nicht weier als acht Kilometer von jedem Orte, für 
welche sie angestellt sind, entfernt wohnen. Für je 4000 Bewohner ist wenigstens 
eine Hebamme anzustellen. Mehrere Gemeinden können sich zur gemeinsamen 
Anstellung einer Hebamme zusammenschließen. 

Dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten bleibt es Vorbehalten, von 
der genauen Durchführung der vorstehenden Vorschriften in solchen Fällen Be¬ 
freiung zu erteilen, in denen sie zu besonderen Härten oder Unzuträglichkeiten 
führen würde. 

§ 2. Den angestellten Hebammen (Bezirkshebammen) ist von den An¬ 
stellungsgemeinden ein Jahreseinkommen im Werte von wenigstens zwei Dritteln 
des Anfangsgrundgehalts nebst Teuerungszuschlag eines Staatsbeamten der 
Gruppe I der jeweils geltenden Besoldungsordnung zu gewähren. Im Streit¬ 
fälle erfolgt die Festsetzung des Wertes der etwa gewährten Sachbezüge in 
selbständigen Stadtbezirken durch das Ministerium für Medizinalangelegen- 
heiten, im übrigen durch den Amtsausscbuß. Gegen die Entscheidung des 
Amtsausschusses führt die Beschwerde an das Ministerium für Medizinal¬ 
angelegenheiten, dessen Entscheidung endgültig ist. Eine Anrechnung der von 
der Bezirkshebamme vereinnahmten Hebammengebühren auf das Mindest¬ 
einkommen ist nicht zulässig. Das Ministerium für Medizinalangelegenheiten 
kann Entfreiung von den Vorschriften über die Höhe des Mindestjahreseinkommens 
nach Anhörung der von ihm als Berufsvertretung anerkannten Hebammen¬ 
organisationen des Landes erteilen, wenn ein ausreichendes Einkommen der 
Hebamme anderweitig gesichert ist. 

Bezirkshebammen, welche 

a) durch Alter, Krankheit oder andere Gebrechen zur Ausübung ihres Berufes 
dauernd unfähig geworden sind oder 

b) das 65. Lebensjahr vollendet haben und ihren Beruf aufzugeben wünschen, 
sind aus dem Vertragsverhältnis zu entlassen. Ueber das Vorliegen dieser Vor¬ 
aussetzungen entscheidet im Streitfälle der für den Wohnort der Hebamme zu¬ 
ständige Kreisarzt Dieser ist auch berechtigt, beim Vorliegen der Voraus¬ 
setzungen die Entlassung der Hebamme aus dem Vertragsverhältnis von Amts 
wegen von der Anstellungsgemeinde zu verlangen. Der Kreisarzt hat vor Ab¬ 
gabe der Entscheidung sowie bevor er die Entlassung verlangt, die vom Mini¬ 
sterium für Medizinalangelegenheiien als Berufsvertretung anerkannte Hebammen¬ 
organisation des Landes zu hören. 

Jede der im Absatz 2 genannten Hebammen, die 10 Jahre als Bezirks¬ 
hebamme im Freistaat Mecklenburg-Schwerin angestellt gewesen ist, hat An¬ 
spruch auf ein jährliches Buhegeld. Der Mindestbetrag dieses Buhegeldes be¬ 
steht in einem Hundertsatz des der Hebamme nach Absatz 1 zustehenden 
Mindestjahreseinkommens und steigt mit den von der Hebamme geleisteten 
Dienstjahren. Die Höhe des Hundertsatzes sowie das Maß der Steigerung ent¬ 
spricht dem jeweils für die staatlichen Verwaltnngsbeamten geltenden Buhe¬ 
gehaltsgesetz. Für die Berechnung des Mindestruhegeldes wird dem Mindest¬ 
einkommen für jede B*-zirkshebamme als ruhegehaltsf ähig e Gebühreneinnahme 
die Summe von 3000 M. hinzugerechnet. Ein angefangenes Dienstjabr wird für 
voll gerechnet, wenn es sich um mehr als ein Vierteljahr bandelt, andernfalls 
bleibt es außer Ansatz. Das Buhegeld ist von der letzten Aua teilungsgemeinde 
zu gewähren. Falls die Berufsunfähigkeit die Folge einer Krankheit oder Be¬ 
schädigung ist, die sich die Bezirkshebamme bei Ausübung oder Veranlassung 



Medizinalgesetzgebung. 


46 


der Ausübung ihres Bernfs ohne eigenes Verschulden zugezogen hat, so tritt 
der Anspruch auf Buhegeld bereits vor Ablauf von 10 Jahren ein. Als Bube¬ 
geld ist in diesem Falle mindestens der gleiche Betrag zu gewähren, wie er der 
Hebamme nach 10 Dienstjahren zugestanden hätte. 

Hebammen, denen auf Grund der Vorschrift im § 68 der Gewerbeord¬ 
nung die Befugnis zur Ausübung des Gewerbetriebes entzogen ist, oder welche 
zur Vermeidung dieses Verfahrens nach der Gewerbeordnung auf ihr Prüfung»- 
Zeugnis verzichten, verlieren den Anspruch auf Buhegeld, wenn ein eigenes 
Verschulden Anlaß zu dem Verfahren oder dem Verzicht gegeben hat. 

Eine Kündigung des Dienstverhältnisses von seiten der Anstellungs- 
gemeinde ist nach Ablauf von 2 Jahren nur beim Vorliegen eines wichtigen 
Grundes zulässig. Als ein wichtiger Grund ist das Entstehen eines Buhegeld¬ 
anspruchs der Hebamme nicht anzusehen, ebensowenig der Umstand, daß die 
Zahl der angestellten Hebammen größer ist, als durch § 1 dieses Gesetzes ge¬ 
fordert wird. 

Durch den Anstellungsvertrag darf die Hebamme nicht zu Neben¬ 
leistungen verpflichtet werden, die geeignet sind, die Gebrauchsfähigkeit ihrer 
Hände im Hebammenberuf zu beeinträchtigen oder durch Uebertragung an¬ 
steckender Stoffe eine Gefährdung der Gesundheit von Schwangeren, Gebärenden, 
Wöchnerinnen und Neugeborenen herbeizuführen. 

Eine Abschrift des Anstellungsvertrages ist dem für die Anstellungs¬ 
gemeinde zuständigen Kreisarzt und dem Amtsausschuß einzureichen. 

§ 8. Der Hebammenberuf darf im Freistaate Mecklenburg-Schwerin nur 
von solchen Personen ausgeübt werden, die die Hebammenprüfung vor der von 
dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten einzusetzenden Prüfungsbehörde 
bestanden haben oder von der Ablegung der Prüfung durch dieses Ministerium 
auf Grund einer in einem anderen deutschen Laude bestandenen Prüfung be¬ 
freit sind. 

Den in einem deutschen Lande wohnhaften und dort zur Ausübung des 
Hebammenberufes berechtigten Hebammen soll es gestattet sein, ihre Berufs¬ 
tätigkeit auf das hiesige Land zu erstrecken. Sie sind in diesem Falle allen 
für die Hebammen des Freistaates Mecklenburg-Schwerin geltenden Verord¬ 
nungen und Verwaltung»Vorschriften unterworfen. Von den Vorschriften dieser 
Verordnung finden auf sie jedoch diejenigen in §§ 4, 6 keine Anwendung. 

Verletzt eine der im Absatz 2 bezeichneten Hebammen die dort er¬ 
wähnten Verpflichtungen, so kann ihr von dem Ministerium für Medizinal¬ 
angelegenheiten die Befugnis zur ferneren Ausübung ihrer Berufstätigkeit im 
hiesigen Lande entzogen werden. 

§ 4. Die Hebammen sind verpflichtet, sich in zweijährigen Zwischen¬ 
räumen einer Nachprüfung durch den Kreisarzt zu unterziehen. Bei ungenügendem 
Ausfall ist die Prüfung nach einer vom Kreisarzt zu bestimmenden Frist zu 
wiederholen. Wenn die Hebamme auch in dieser wiederholten Prüfung keine 
genügenden Kenntnisse nachweisen kann, so ist sie verpflichtet, auf Verfügung 
des Kreisarztes an dem nächsten Fortbildnngslehrgang teilzunehmen, falls es 
nicht geboten erscheint, das Verfahren aus § 15 dieser Verordnung cinzuleiten. 

Hebammen, die zum Zwecke der Teilnahme an diesen regelmäßigen Nach¬ 
prüfungen eine B«-ise von mehr als 2 Kilometer von ihrem Wohnort zum Ort 
der Prüfung zurücklegen müssen, werden die Kosten der Beise und ein Zehrungs¬ 
geld nach näherer Bestimmung des Ministeriums für Medizinalangelegenheiten 
gezahlt (vergl. § 20). 

§ 5. Die Hebammen sind ferner verpflichtet, mindestens alle zehn Jahre, 
vom Tage der bestandenen Prüfung an gerechnet, an einem Fortbildungs¬ 
lehrgang in der Hebammenlehranstalt in Bostock teilzunehmen. Den außerhalb 
der Stadt Bostock wohnenden Hebammen werden die Kosten der Beise und ein 
Zehrungsgeld nach näherer Bestimmung des Ministeriums für Medizinalangelegen¬ 
heiten gezahlt (vergl. § 20). Die Teilnehmerinnen an dem regelmäßigen Fort¬ 
bildungslehrgang erhalten während der Dauer des Lehrganges freies Unter¬ 
kommen und freien Unterhalt in der Universitäts-Frauenklinik. 

§ 6. Die Hebammen haben sich vor dem Beginn ihrer Berufstätigkeit 
bei dem für ihren Wohnort zuständigen Kreisarzt zu melden und ihr Prüfungs¬ 
zeugnis, gegebenenfalls den Bescheid für die Befreiung von der Prüfung vor- 
zulegen. Vor dem Kreisarzt haben sie nachstehenden Eid körperlich abzuleisten: 



46 


Medizinalgesetzgebung 


„Ich, N. N. gelobe und schwöre, daß ich die Vorschriften, welche wegen 
der Ausübung des Hebammenberufes erlassen sind oder künftig erlassen werden, 
stets mit Treue, Pünktlichkeit und Eifer befolgen und überhaupt alles das¬ 
jenige beachten und leisten will, was einer gewissenhaften Hebamme zu tun 
gebührt.“ 

Außerdem haben sie sich bei dem zuständigen Hebammenaufsichtsarzt 
vor dem Beginn ihrer Berufstätigkeit persönlich zu melden. Dem Kreisarzt 
und dem Hebammenaufsichtsarzt sind bei dieser Meldung vorzulegen: 

a) das Prüfungszeugnis, gegebenenfalls der Bescheid über die Entfreiung der 
Prüfung, 

b) das vorgeschriebene Hebammenlehrbucb, 

c) die vorgeschriebenen Instrumente, Geräte, Arzneien und Verbandsmittel, 

d) von den Bezirkshebammen der Anstellungsvertrag. 

Beim Wechsel des Wohnortes haben-die Hebammen dem Kreisarzt bezw. 
dem für den neuen Wohnort zuständigen Aufsichtsarzt entsprechende Meldungen 
zu erstatten, dem Hebammenaufsichtsarzt auch das von ihnen bisher geführte 
Tagebuch vorzulegen. 

Stellt eine Hebamme ihre Berufsausübung ein, so hat sie auch hiervon 
dem Kreisarzt und dem Hebamm^naufsichtsarzt Meldung zu machen und vor 
dem Wiederbeginn der Berufsausübung die im Absatz 1 und 2 vorgeschriebenen 
Meldungen zu erstatten. 

§ 7. Hatte eine Hebamme ihren Beruf länger als 2 Jahre eingestellt, 
so muß sie sich vor der Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit einer Nach¬ 
prüfung durch den Kreisarzt unterziehen und bei ungenügendem Ausfall dieser 
Nachprüfung an einem Fortbildungslehrgang in der Hebammenlehranstalt in 
Bestock teilnehmen. Bei genügendem Ausfall der Nachprüfung oder nach er¬ 
folgter Teilnahme an diesem Fortbildungslehrgang hat der Kreisarzt ihr die 
Wiederaufnahme der Berufsausübung zu gestatten. 

§ 8. Die Bezirkshebammen sind verpflichtet, innerhalb des ihnen an¬ 
gewiesenen Dienstkreises allen, für welche ihr Beistand gefordert wird, bei 
Tag und bei Nacht willig zu Diensten zu sein, sofern sie ohne eigene Gefahr 
una ohne Verletzung ihrer Berufspflicht dazu in der Lage sind. 

In der gleichen Weise sind die nicht angestellten Hebammen zur Hilfe¬ 
leistung im Umkreis von acht Kilometern um ihren Wohnsitz verpflichtet. 

Die Bezirkshebammen sind verpflichtet, an Säuglingspflege und Mutter¬ 
schutz der Wohlfahrtsämter gegen eine von den Aemtern zu leistende Ver¬ 
gütung teilzunehmen. 

Die Hebammen haben für ihre Hilfeleistung Anspruch auf Zahlung der 
taxmäßigen Gebühren. 

§ 9. Bei Ausübung ihres Berufes haben die Hebammen die Vorschriften 
der für die von dem Ministerium für Medizinalangelegenheiten zu erlassenden 
Dienstanweisung zu beachten, insbesondere die Grenzen innezuhalten, welche 
ihrer Tätigkeit durch die Dienstanweisung gesteckt sind, 

§ 10. Hebammen dürfen eine Schwangere in ihrer Wohnung zur Ent¬ 
bindung nur aufnehmen, wenn der Kreisarzt ihnen dies gestattet hat, es sei 
denn, daß sie im Besitze der gewerbepolizeilichen Genehmigung zum Betriebe 
einer Privatentbindungsanstalt nach § 80 Absatz 1 der Gewerbeordnung — 
Rbl. 1900, Seite 871 — sind. 

§ 11. Die Hebammen unterliegen der Beaufsichtigung durch die Kreis¬ 
ärzte und die Hebammenaufsichtsärzte, auf deren Verlangen sie sich bei ihnen 
einzuflnden und denen sie in Beziehung auf ihren Beruf Auskunft zu geben 
haben. Auch haben sie sich diesen Aufsichtspersonen gegenüber über den Be¬ 
sitz der vorgeschriebenen Instrumente, Geräte, Arzneimittel und Verbandsstoffe 
sowie des Hebammenlehrbuchs und der Hebammenordnung nebst Ausführungs- 
anweisung und Dienstanweisung jederzeit auszuweisen. 

§ 12. Die Hebammenaufsichtsärzte werden durch das Ministerium für 
Medizinalangelegenheiten für je einen Hebammeu-Aufsichtsbezirk auf Widerruf 
und mit Vorbehalt einer etwaigen Aenderung des Bezirks bestellt. 

Die Aufsichtsbezirke werden durch das Ministerium für Medizinalangelegen¬ 
heiten gebildet. 

§ 13. Die Aerzte, die im Freistaat Mecklenburg-Schwerin ihren Beruf 
ausüben, sind verpflichtet, die zu ihrer Kenntnis kommenden Dienstverfehlungen 



Medizinalgesetzgebung. 


47 


der Hebammen dem zuständigen Kreisarzt mitzuteilen und die nach der Dienst¬ 
anweisung erforderlichen Kontrolleintragungen in die Tagebücher der Hebammen 
zu bewirken. 

§ 14. Unter den Voraussetzungen des § 53 der Gewerbeordnung kann 
den Hebammen durch die zuständige Bt-hörde die Befugnis zur Ausübung ihres 
Berufes unter Zurücknahme des Prüfungszeugnisses entzogen werden. Falls 
das Verfahren lediglich aus dem Grunde eingeleitet ist, weil die Hebamme nicht 
mt*hr diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die für ihren Beruf un¬ 
entbehrlich sind, so kann die Behörde der Hebamme die Ansübung ihres Be¬ 
rufes bis auf weiteres untersagen und ihr frei lassen, nach Teilnahme an einem 
erneuten Onterrichtskursus oder einem Fortbildungskursus in der Hebammen- 
Lehranstalt in Bostock durch eine Prüfung vor der Prüfungsbehörde nachzu- 
weisen, daß sie sich die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten wieder an¬ 
geeignet habe. 

§ 15. Bezirkshebammen, denen die Befugnis zur Ausübung ihres Berufes 
für immer oder auf Zeit entzogen ist, sind von den Anstellungsgemeinden so¬ 
fort zu entlassen. 

§ 16. Hebammen, die den in den §§ 6, 8, 10 enthaltenen Bestimmungen 
zuwiderhandeln, sich grober Verstöße gegen die Vorschriften der Dienstanweisung 
schuldig machen oder es unterlassen, den auf Grund des § 12 von den Kreis¬ 
ärzten oder Aufsichtsärzten an sie gerichteten Aufforderungen zu entsprechen, 
werden mit Geldstrafe bis zu 100 M. oder mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft. 
Außerdem kann auf Einziehung der im Besitze der Hebamme befindlichen oder 
ihr gehörenden, zur Begehung der strafbaren Handlung gebrauchten oder be¬ 
stimmten Gegenstände erkannt werden. 

§ 17. Hebammen, die den ihnen obliegenden Berufspflichten dergestalt 
zuwiderhandeln, daß hieraus Geiahr für Leben und Gesundheit von Wöchnerinnen 
oder deren Kinder entstehen kann, werden, sofern nicht eine Strafbestimmung 
des Strafgesetzbuches oder anderer Reichsgesetze verletzt ist, mit Geldstrafe 
bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft. 

§ 18. Die durch die beiden vorhergehenden Paragraphen angedrohten 
Strafen können durch polizeiliche Strafverfügung festgesetzt werden. 

§ 19. Zur Erfüllung der in dem § 12 festgestellten Pflichten sind die 
Hebammen nötigenfalls in den selbständigen Stadtbezirken durch den Rat, im 
übrigen durch den Amtshauptmann (§ 44 der Amtsordnung) anzuhaltön. 

Zu diesem Zweck sind auf Antrag des zuständigen Kreisarztes bezw. Auf¬ 
sichtsarztes Geldstrafen anzudrohen und festzusetzen. 

Die Androhung geschieht schriftlich und muß zugleich die Dauer der 
Haft bestimmen, weiche für den Fall des Unvermögens an die Stelle der Geld¬ 
strafe treten soll. Die Geldstrafe darf 100 Mark nicht übersteigen. Der Höchst- 
betrag der Haft ist 10 Tage. 

§ 20. Aus der Hauptstaatskasse werden bestritten. 

a) die Kosten, die durch den Druck und die Verteilung der Vordrucke zu 
den von den Hebammen nach ihrer Dienstanweisung zu führenden Tage¬ 
büchern sowie des ihnen unentgeltlich zu verabfolgenden Hebammengesetzes 
nebst Dienstanweisung entstehen, 

b) die nach der Vorschrift in §§ 4 und 5 den Hebammen zu zahlenden Reise¬ 
kosten und Zehrungsgelder. 

§ 21. Alle die Personen, die gegenwärtig zur Ausübung des Hebammen¬ 
berufes im Freistaat Mecklenburg-Schwerin berechtigt sind, bleiben auch ferner 
dazu befugt, unterliegen im übrigen jedoch den Vorschriften dieses Gesetzes. 

§ 22. An den Nachprüfungen und Fortbildungslehrgängen haben die 
Hebammen, die die Hebammenprüfung vor mehr als 2 bezw. 10 Jahren be¬ 
standen haben, erstmalig nach Bestimmung der Kreisärzte teilzunehmen. 

§ 23. Den Hebammen, die bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes nach 
der Vorschrift in § 1 der Verordnung vom 9. April 1885 von einer Obrigkeit 
oder Gemeinde angestellt oder vertraglich verpflichtet waren und nunmehr nach 
§ 1 des gegenwärtigen Gesetzes von einer Gemeinde angestellt werden, ist die 
bisherige Dienstzeit in Anrechnung zu bringen, insoweit es sich nm die Be¬ 
gründung ihres Anspruches auf Ruhegeld handelt. 

g 24. Den auf Grund der Verordnung vom 9. April 1885 angeetellten 
oder verpflichteten Hebammen, welche beim Inkrafttreten dieses Gesetzes be- 



48 


Kedizinalgseetxgebong. 


reit» aas dieser Stellung ansgeschieden sind, kann unter den Voraussetzungen 
und in dem Umfange der £§ 2 nnd 24 auf Antrag ein Ruhegeld gewährt 
werden, wenn sie erwerbsunfähig sind und in dürftigen Verhältnissen leben. 
Das Ruhegehalt wird von der Gemeinde gewährt, zu welcher der Bezirk gehört 
hat, in dem die Hebamme angestellt oder verpflichtet war. In diesem Falle 
soll das Ruhegeld nach dem in § 2 festgesetzten Mindesteinkommen zuzüglich 
der 3000 Mark berechnet werden. Ueber den Antrag entscheidet die Gemeinde. 
Im Falle der Ablehnung stehen den Hebammen die im § 2 genannten Rechts¬ 
mittel zu. 

Steht hiernach einer Hebamme ein Rnhegeldansprnch gegen mehrere 
Gemeinden zu, so ist jede dieser Gemeinden nur zur Gewährung eines Ruhe* 
geldanteils verpflichtet. Dieser Anteil wird von dem für den letzten dienst¬ 
lichen Wohnort der Hebamme zuständigen Amtsausschuß endgültig festgesetzt 
unter Zugrundelegung der nach der letzten allgemeinen Volkszählung er¬ 
mittelten Einwohnerzahl der Bezirke, für die die Hebamme verpflichtet oder 
angestellt war. 

§ 26. Das Ministerium für Medizinalangelegenheiten erläßt die zur Aus¬ 
führung dieses Gesetzes erforderlichen Anweisungen, in denen auch die An¬ 
hörung der von dem Ministerium für Medizinalaneelegenheiten anerkannten Be¬ 
rufsvertretung der Hebammen geregelt wird. Es bestimmt insbesondere die 
Voraussetzungen für die Zulassung zur Hebammenprüfung und erläßt die 
Prüfungsvorschriften. 

f 27. Gegen die Entscheidungen nnd Verfügungen der Kreisärzte auf 
Grand dieses Gesetzes ist die Beschwerde an das Ministerium für Medizinal¬ 
angelegenheiten zulässig. 

§ 28. Die Verordnungen vom 9. April 1885, 3. Februar 1886, 30. Januar 
1911, betreffend das Hebammenwesen — Rbl. 1886, Nr. 14, 1886, Nr. 6, 1911, 
Nr. 4 —, werden aufgeboten. _ 

P. Lippe. 

Aufhebung der Verordnung betr. Bekämpfung der Grippe. Verord¬ 
nung des Landesamts für Volkswohlfahrt vom 22.Febr 1922. 

Nachdem die Grippe in Lippe nahezu erloschen ist, wird die Verordnung 
vom 30. Dezember 1921, betreffend Bekämpfung der Grippe') aufgehoben. 

C. Braunschwelg. 

Staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen. Bekanntmachung 
des Staatsministeriums vom 12. Januar 1922. 

Die Vorschriften sind wie in anderen Ländern auf Grand des Be¬ 
schlusses des Bundesrats vom 22. März 1906') erlassen und schließen 
sich ebenso wie der „Plan für die Ausbildung in der Krankenpflege" und die 
„Ausführnngsanweisung zu den Vorschriften über die staatliche Prüfung von 
Krankenpflegepersonen“ eng an die für Preußen in der neuen Fassung berans- 
gegebenen Vorschriften*) an; es wird wie auch in Preußen eine zweijährige 
Ausbildungszeit verlangt. ______ 

H. Hamburg. 

Staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen. Bekanntmachung 
des Senats betr. Aenderung der Vorschriften vom 26. Angust 
1921 über die staatliche Prüfung von Irrenpflegepersonen in 
den hambnrgischcnStaatskrankenanstalten vom 28. Dez. 1921. 

Dem § 20 der genannten Vorschriften wird als Abs. 2 binzugefügt: 

„Personen, welche in Hambnrg die staatliche Anerkennung als Kranken¬ 
pfleger erhalten haben und in den Irrenpflegedienst übertreten wollen, können 
aie staatliche Anerkennung nach Muster B erhalten, wenn sie eine halbjährige 
praktische Tätigkeit in der Irrenpflege nach weisen.“ 

*) 8. diese Zeitschrift, Beilage 1922, Nr. 6, S. 36. 

*) 8. ebendaselbst 1906, 8. 61 ff. *) 8. ebendaselbst 1921, 8.107 ff. 


Y er antwortlich für die Bchrlftleitung: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihr lg, Reg.» o. Med. -Rat in BreaUn, 
Bmlta Y, BehdigcrrtraAe 84* Druck von J. C. 0* Bruns, Minden L W. 




Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 10. 20. Mai. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Preußen. 

Atlas Ober die Hygiene des Säuglings- nnd Kleinbinde». Rund- 
Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 6. März 1922 
— I M IV 414 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Unter Bezugnahme auf den Runderlaß vom 9. Februar 1917 — M. 3650 — 
mache ich darauf aufmerksam, daß der im Verlage von Julius Springer in 
Berlin erschienene Atlas über die Hygiene des Säuglings und Kleinkindes in 
einer Neuauflage von 1500 Stücken herausgegeben worden ist. Mit der Her¬ 
stellung der 2. Auflage konnte noch vor Einsetzen der größten Teuerung be¬ 
gonnen werden, so daß die Herstellungskosten für das Stück auf 680 Mark 
beschränkt werden konnten. Durch Beiträge von Spendern ist das 0 r g a n i - 
sationsamtfür Säuglingsschutz desKaiserin Auguste Victoria- 
Hauses in Berlin-Charlottenburg, Mollwitz-Privatstraße, weiter in 
die Lage versetzt, 200 Exemplare für nur 450 M. abzugeben. Das Hans hält 
sich allerdings nur bis zum 15. März d. J. an dieses Angebot gebunden. In 
beschränktem Umfange können die über die Zahl von 200 angeforderten Stücke 
noch zum Herstellungspreise von 680 M. von dem Hause abgegeben werden, 
da mit dem Verlage die Abmachung getroffen worden ist, vor Uebergabc des 
Werkes an den Buchhandel den Trägern der Säuglingsschutz-Organisationen 
diesen Atlas zu dem Vorzugspreise von 680 M. zu überlassen. Der Buch¬ 
handelspreis beträgt für den Atlas 960 M. Eine Neuauflage ist wegen der 
ungleich höheren Kosten voraussichtlich kaum zu erwarten. 

Indem ich auf die Vorzüge des Werkes nochmals hinweise, gebe ich 
anheim, etwaige Bestellungen unverzüglich an das Kaiserin Auguste Victoria- 
Hans, Berlin-Charlottenburg 5, Mollwitz-Privatstraße, zu richten. 


£ Speiseeigelb. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt 
jnnd des Ministers für Handel und Gewerbe vom 9. März 1922 
— IM. II. 620, II b 1514 M. f. H. u. G. — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Da in neuerer Zeit wieder flüssiges Eigelb (Speiseeigelb) zur Einfuhr 
nnd in den Verkehr gelangt, das mit Borsäure haltbar gemacht ist, war die 
Frage zu prüfen, ob und g. F. welche Maßnahmen hiergegen unter Berücksichti¬ 
gung der gegenwärtigen Verhältnisse zu ergreifen sind. 

Es ist nicht zu verkennen, daß insbesondere im Hinblick auf die großeu 
Ernährungsschwierigkeiten schon seit mehreren Jahren im Verkehr mit gewissen 
borsäurehaltigen Lebensmitteln wiederholt Erleichterungen gewährt worden sind. 
In Uebereinstimmung mit dem Reichsgesundheitsamt kann zurzeit vom gesund¬ 
heitlichen Standpunkt aus kein ernsthaftes Bedenken dagegen geltend gemacht 
werden, daß borsäurehaltige Eikonserven (Eigelb nnd Vollei) weiterhin verkauft 
und verwendet werden dürfen, wenn sie lediglich Feinbäckereien und Eierteig¬ 
warenbetrieben zugestellt werden, nicht in den allgemeinen Verkehr gelangen 
und weder in Apotheken, noch bei der Herstellung diätetischer Präparate Ver¬ 
wendung Anden. Die Eikonserven dürfen allerdings nicht mehr als 1,5% Bor¬ 
säure enthalten, zumal eine derartige Konzentration sich bei den im Reichs¬ 
gesundheitsamt ausgeführten Versuchen als ausreichend erwiesen hat, Eigelb 
sogar bei Temperaturen von 37® zu konservieren. Feiugebäcke und Eiornudeln 

f ehören weder jetzt noch voraussichtlich für geraume Zeit zu den Lebensmitteln, 
ie tätlich genossen werden. Der Preis der frischen Eier ist zurzeit so hoch, 
daß die Notlage die Verwendung des borsäurehaltigen Eigelbs in dem angc- 




50 


Medizinalgesetzgebung. 


gebenen Umfange bis auf weiteres gerechtfertigt erscheinen läßt. Weiter 
glauben wir annehmen zu dürfen, daß der Handel mit borsäurehaltigen Ei¬ 
konserven von der ihm gewährten Erleichterung nur in der oben angegebenen 
Weise hinsichtlich des Absatzes Gebrauch machen und dafür Sorge tragen wird, 
daß eine genaue Buchführung über Bezug und Abgabe der borsäurehaltigen 
Eikonserven Aufschluß gibt. Wir ersuchen ergebenst, den mit der üeber- 
wachung des Verkehrs mit Lebensmitteln betrauten Behörden und Sachver¬ 
ständigen, insbesondere den öffentlichen Nahrungsmittel-Untersuchungsanstalten 
hiervon Kenntnis zu geben und sie zu veranlassen, bis auf weiteres von Bean¬ 
standungen von Erzeugnissen der Feinbäckerei und der Eierteigwarenfabriken 
abzusehen, sofern diese Erzeugnisse borsäurehaltiges Eigelb enthalten, zumal 
in derartigen Fällen schon im Hinblick auf den Preis der Eikonserven der 
Borsäuregehalt nicht erheblich sein wird. 


Zum Margarinegesetz. Bunderlaß des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt, der Minister für Landwirtschaft pp. und fürHandel 
und Gewerbe vom 16. März 1922 — I M. H, 581, I A. III. 1, 4392 M. 
f. L. D. u. F., II b. 1800 M. f. H. u. G. — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Aus verschiedenen Anfragen geht hervor, daß vielfach Zweifel über die 
Tragweite der Ziffer 9 der zu dem Margarinegesetz erlassenen Ausführungs¬ 
bestimmungen vom 4. Juli 1897 (Reichs-Gesetzblatt S. 591) und vom 23. Ok¬ 
tober 1912 (Beichs-Gesetzblatt S. 526) bestehen. 

Hierzu ist folgendes zu bemerken: 

Absatz 1 der Ziffer 9 bezieht sich ganz allgemein auf den Einzelverkauf 
von Margarine, Margarinckäse und Kunstspeisefett, einerlei, ob die Ware in 
Würfelform feilgehaltcn oder lose aus den Gebinden herausgestochen wird. Die 
Durchführung dieser Vorschrift stieß beim Verkauf der kleinen Margarinewürfel 
von 0,25 und 0,5 kg auf praktische Schwierigkeiten, denen der durch die Be¬ 
kanntmachung vom 23. Okt. 1912 (Beichsgesetzblatt S. 526) neu aufgenommene 
Absatz 2 Rechnung tragen sollte, soweit die vor dem Kriege allgemein übliche 
Verpackung in Faltschachteln aus Pappe oder in anderen Umhüllungen aus 
festem Stoff in Betracht kommt. 

Auch diese Begelung scheint den Bedürfnissen des Handels nicht mehr 
zu genügen, seitdem die Margarinewürfel * allgemein nicht mehr in festen 
Packungen verkauft, sondern in einer Papierhülle abgegeben werden. 

Eine abermalige Aenderung der Ausführungsbestimmungen wird hiernach 
wohl nicht zu umgehen, aber zweckmäßigerweise bis zu der in absehbarer Zeit 
zu erwartenden Bevision des Margarinegesetzes zurückzustellen sein. 

Vorbehaltlich dieser endgültigen Begelung scheint es uns unbedenklich, 
schon jetzt die bestehenden Vorschriften mit einer den Bedürfnissen des prak¬ 
tischen Lebens angemessenen Nachsicht zu handhaben, indem die in Absatz 2 
der Ziffer 9 für den Verkauf der Margarinewürfel in Packungen aus festem 
Stoff gegebenen Sondervorschriften sinngemäß auch auf die Verwendung von 
Umhüllungen aus Pergamentpapier oder dergleichen angewendet werden. Solche 
Umhüllungen dürften auch dann nicht zu beanstanden sein, wenn sie die In¬ 
schrift „Margarine“ pp. nur auf einer beliebigen Seite tragen, sofern nur die 
Verpackung im übrigen den nach Ziffer 9 Abs. 2 zu stellenden Anforderungen 
genügt 

Wir ersuchen ergebenst, die für die Ueberwachung des Lebensapittel- 
verkehrs zuständigen Polizeibehörden und deren Sachverständige, insbesondere 
die öffentlichen Nahrungsmittol-Untersuchungsanstalten und die Auslandsfleisch- 
beschaustellen, anzuweisen, entsprechend zu verfahren. 


Mitteilung negativer bakteriologischer Untersuchnngsergebnisse 
seitens der Medizinaluntersuchungsanstalten an die Kreismedizinalräte. 
Bunderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 30. März 
1922 — I M. III. 2039/21 an die Herren Begierungspräsidenten. 

Die auf Grund meines Erlasses vom 15. Dezember 1919 — M. 13 767 — 
erstatteten Berichte lassen erkennen, daß die Mitteilungen negativer bakterio¬ 
logischer Untersnchungsergebnisse seitens der Medizinaluntersuchungsanstalten 
an die Kreismedizinalräte nur bei Typhus, Paratyphus und Ruhr praktischen 
Wert haben, während sie bei Diphtherie und Tuberkulose eine übergroße Be- 



Medizinalgesetzgebung. 


51 


lastung der Untennchangsämter mit Schreibarbeit ohne besonderen Wert be¬ 
deuten. 

■ Ich ordne daher an, daß in Zukunft von sämtlichen Medizinalunter¬ 
suchungsämtern nur die negativen bakteriologischen Untersucbungsergebnisse 
bei Typhus, Paratyphus und Ruhr den Kreismedizinalräten mitzuteilen sind. 
Die in einzelnen Fallen etwa wünschenswerte weitere Mitteilung negativer 
Untersuchungsergebnisse stelle ich dem freien Ermessen der Untersuchungs¬ 
amtleiter anheim. 


Kosten für die von den Krelsmedizin&lräten zu führenden Krüppel- 
Stimmlisten und Nachweisungen der Krüppel. Rund-ErlaßdesMinisters 
fürVolkswohlfahrtvom25. März 1922 — III. E. Nr. 724/1M. — an die 
Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten. 

Es ist bei mir angefragt worden, wer die Kosten für die von den Kreis¬ 
medizinalräten nach Abschnitt VI E. 5 c. und e. der Ausführungsanweisungen 
zum Krüppelfürsorgegesetz zu führenden „Krüppelstammliste“ und „Nach¬ 
weisung“ zu tragen habe. Ich bemerke hierzu, daß es sich bei Aufstellung der 
Krüppelstammliste und der Nachweisnng nicht so sehr um Maßnahmen zur Er¬ 
fassung der Krüppel und damit zur Vorbereitung für das Einsetzen der kom¬ 
munalen Krüppelfürsorgetätigkeit, sondern vielmehr um staatliche Maßnahmen 
handelt, die sowohl statistischen Zwecken wie der Ausübung staatlicher Auf¬ 
sicht dienen. Aus VI E. i. Abs. 2 der Ausführungsanweisung zum Krüppel¬ 
fürsorgegesetz geht auch einwandfrei hervor, daß die Führung der Krüppel¬ 
stammliste und der Nachweisnng eine staatsamtliche Tätigkeit des Kreis¬ 
medizinalrats ist. Er kann hierfür also weder Gebühren noch Erstattung 
etwaiger Unkosten beanspruchen. Diese sind aus der Amtskostenentschädigung 
zu bestreiten. 


Lehrfilme. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt 
vom 25. Februar 1922 — I. M. I. 260. II Ang. — an die Herren Ober¬ 
präsidenten. 

Die Kulturabteilang der Universum-Film-Aktiengesellschaft Berlin, 
Köthener Straße 43, hat eine Denkschrift über die Lage der Lehrfilm-Industrie 
vorgelegt, aus der hervorgeht, daß die Fortführung der Lehrfilmproduktion 
finanziell nur dann weiter möglich ist, wenn ihr eine nachhaltigere Unter¬ 
stützung als bisher seitens der Behörden und Organisationen zuteil wird, die 
an der gesundheitlichen und sozialhygienischen Volksbelehrung und Aufklärung 
arbeiten. Ich ersuche ergebenst, alle beteiligten Stellen, insbesondere die 
Provinzial-, Kreis- und Ortsausschüsse für hygienische Volksbelehrung sowie 
die Kreismedizinalräte nochmals auf die Wichtigkeit der Lehrfilm Vorführungen 
für. ihre Bestrebungen hinzuweisen. Bei den Verhandlungen mit den Lehr¬ 
filmfirmen — sei es, daß Filme zu Vorführungen benötigt werden, die von den 
örtlichen Stellen veranlaßt werden, sei es, daß die betreffende Firma für die 
von ihr in Aassicht genommenen Veranstaltungen Verbindung mit den örtlichen 
Organisationen sucht — darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß diese Firmen 
genötigt sind, die Selbstkosten, die bei den heutigen Verhältnissen nicht gering 
sind, wieder einzubringen. Es würde für die Aufklärungsarbeit einen bedauer¬ 
lichen Rückschritt bedeuten, wenn die Prodnktion von Lehr- und Aufklärungs¬ 
filmen einen Rückgang erleiden würde. 



Ergänzungen zu den Vorschriften über die staatliche Prüfung von 
Wohlfahrtspflegerlnnen. Rund-Erlaß des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt vom 15. März 1922 — III G. 458/22/1 — an die Herren Re¬ 
gierungspräsidenten. 

In Ergänzung und Erläuterung der Vorschriften vom 22. Oktober 1920 
über die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen bestimme ich hiermit 
folgendes: 

1. Schülerinnen von staatllich anerkannten Wohlfahrtsschalen, die eine fach¬ 
liche Berufsschuiung für das Hauptfach „Jugendwohlfahrtspflege“ oder 
„Allgemeine und wirtschaftliche Wohlfahrtspflege“ beim Eintritt in die 
Schule nachgewiesen haben, bei denen aber im ersten Jahre des vorschrifts¬ 
mäßigen Lehrganges durch die Schulleitung festgestellt worden ist, daß 



Med izinalgesetzgebung. 


f,2 


sie fC*r die Gesundheitsfürsorge besonders geeignet sind, kann ms- 
n & h rii a w e i s e g stauet werden, sich die für das Hauptfach „Gesundbeita- 
f n .r-orge* notwendige pflegerische Vorbildung nach Ablauf des ersten 
in besonders gearteten Einzelfällen und vor Eintritt in das 
zw* jr.v;La!j&Lr anzueigcen. Entsprechende Anträge sind mir von dem 
z-H-ändigea k-gieracgsprü^identen mit einer gutachtlichen Aeußerung des 
betr- Henden Prüfungsau—chusses zur Entscheidung vorzulegen, 

2. .Schülerinnen von staatlich anerkannten Woblfahrtsschulen, die eine fach¬ 
liche JPrruf-sckulung für das Hauptfach .Jugendwohlfahrtspflege* 1 beim 
Eintritt in die Schule nach gewiesen haben, kann ausnahmsweise die Ab¬ 
legung d^r staatlichen Prüfung für das Hauptfach ^Allgemeine und wirt- 

fliehe V/ohlfahrL-fipege 4 * und solchen Schülerinnen, die eine fachliche 
B rruf-^.-bulung für da-; Hauptfach „Allgemeine wirtschaftliche Wohlfahrts¬ 
pflege* h* sitzen, die Ablegung der staatlichen Prüfung für das Haupt¬ 
lach „JugendWohlfahrtspflege* gestattet werden, falls von der Leitung der 
Schule nachgewiesen wird, daß eich die Schülerinnen während des zwei* 
j-ihrigen zusammenhängenden Lehrjahres in der praktischen Arbeit des 
gewühlten Hauptfaches besonders bewährt haben und ihnen auch die be- 
:;or> lere theoretische Schulung dieses Hauptfaches vermittelt wurde, 

Hie staatliche Anerkennung als Wohlfahrtspflegerin kann diesen 
Schülerinnen erst nach zweijähriger praktischer Bewährung in dem be¬ 
treuenden Hauptfache erteilt werden. 

Aiisnahmefälle dieser Art sind mir von dem zuständigen Regierungs- 
pra.-:iu**nien nach Anhörung des Prüfungsausschusses und des Provinzial- 
schulkollegiums zur Entscheidung vorzulegen. 

3. Als vierjährige erfolgreiche Berufstätigkeit im Sinne des § 4 Ziff. 5c. HI 
<i<*r Vorschriften vom 22. Oktober 1920 über die staatliche Prüfung von 
Wohlfahrtspflegerinnen wird auch die berufsmäßig ausgeübte Arbeit im 
elterlichen Haushalt anerkannt, falls die betreffenden Schülerinnen vor 
dem Eintritt in die Wohlfahrtsschule die praktische Prüfang &n einer an¬ 
erkannten Haushaltungsschule abgelegt haben. 


Niclilpliarinnzeutisches Hilfspersonal in Apotheken« Bund-Erlaß 
den Ministers für Volkswohlfahrt vom 23. Februar 1922 
• I M II 410 — an den Herrn Regierungspräsidenten in Liegnitz. 

Gegen die Heranziehung von nichtpharmazeutischem Hilfspersonal zu 
gröberen, Fachkonntnisse nicht erfordernden Hilfsleistungen im Apotheken- 
!m‘ 1 riebe bestehen keine Bedenken, wenn die Beschäftigung unter Aufsicht und 
u l{einiger Verantwortung des pharmazeutischen Apothekenpersonals geschieht. 
Ebensowenig habe ich Einwendungen gegen die Beschäftigung derartigen Per¬ 
sonals mit den durch den Apothekenbetrieb bedingten, die Arzneiabgabe nicht 
berührende.» kaufmännischen Arbeiten zu erheben. Nach der Rechtsprechung 
kann es zw-ißdhaft sein, ob derartiges Personal auch beim Handverkauf, so 
weit sich dieser auf dem freien Verkehr überlassene Gegenstände erstreckt, in 
den Apotheken Verwendung Anden darf. Im vorliegenden Fall handelt es sich 
um eine Apotheke, in der neben dem Apothekenvorstande pharmazeutisches 
Personal nicht beschäftigt wird. Es ist daher m. E. ausgeschlossen, daß der 
I >rogisi, M., der Bruder der Frau des Apothekenbesitzers H., nach dem Um¬ 
fange des Apothokenbetricbes lediglich durch kaufmännische Arbeiten (Buch¬ 
führung, Aussclireibe» von Rechnungen und dcrgl.) sowie durch den Verkauf 
fruig«‘gi.bener Gegenstände voll beschäftigt werden könnte; vielmehr muß nach 
d»T ganzen Sachlage angenommen werden, daß er den Apothekenvorstand 
darüber hinaus und zwar bei der Erledigung von solchen Arbeiten, die dem 
pharmazeutische» Personal Vorbehalten sind, unterstützt sowie auch mehr oder 
weniger vertritt, lrn öffentlichen Interesse bin ich daher nicht in der Lage, 
di- Beschäftigung des M. zu dulden. Hinzu kommt, daß der Umsatz der 
Apotheke* nicht nur die Einstellung eines Assistenten gestattet, vielmehr ein 
derartiger ist, daß er ordnungsmäßig von nur einer pharmazeutischen Kraft, 
jcdinfalls dauernd nicht bewältigt werden kann. Weiter ist der Zugang zum 
Apoiln kt rbt rufe schon seit einigen Jahren ein so großer, daß geeignetes ph&r- 
em/euusclms Personal zu beschaffen ist. 



Medizinalgesetzgebung. 


68 


Hiernach ersnche ich ergebenst, das Erforderliche za veranlassen, indem 
ich zugleich bemerke, daß in Aassicht genommen ist, demnächst zar Helfe¬ 
rinnenfrage erneat Stellung za nehmen and soweit als möglich für das Reichs¬ 
gebiet einheitliche Grundsätze aufzustellen. 


B. Sachsen. 

Amtliche NahrnngsmlttelfibeVwachung. Verordnung des Mini¬ 
steriums des Innern betr. die amtliche Nahrungsmittelüber¬ 
wachung vom 13. Juni 1921. 

Eingehende Verhandlungen mit allen an der Nahrungsmittelüberwachung 
beteiligten Stellen haben ergeben, daß die derzeitige Entlohnung derNahrungs- 
mittelcbemiker und der die Untersuchung vorzunehmenden staatlichen Anstalten 
auch nach den letzten durch die Verordnungen vom 26. April 1918 und vom 
18. Februar 1920 bewilligten Erhöhungen in keiner Weise mehr der jetzigen 
Teuerung entsprechen. 

Die mit der Nahrungsmittelüberwachung verknüpften Unkosten, die Be¬ 
soldung der Hilfskräfte, Unterhaltung der Laboratorien und der Kanzleien, 
Reiseaufwand, Portis usw. sind vielmehr seit 1920 wiederum derart gestiegen, 
daß sich eine weitere Erhöhung der jetzigen Gebühren um 100°/o, d.n. von 10 
auf 20 Pfg. pro Kopf der Bevölkerung notwendig macht 

Das Ministerium des Innern erwartet, daß sich die Gemeinden der Berechtigung 
einer solchen Erhöhung nicht verschließen werden im Hinblick darauf, daß die nun¬ 
mehr an die Nahrungsmittelchemiker und staatlichen Anstalten für die Nahrungs- 
mittelüberwachung zu zahlende Entschädigung nur das Vierfache des Friedens¬ 
satzes beträgt während der den Untersuchungsstellen durch die Nahrungs¬ 
mitteluntersuchung entstehende Aufwand teilweise um das 10- und 20 fache 
gestiegen ist. 

Die mit den Nahrungsmittelchemikern und Untersuchungsanstalten ge¬ 
pflogenen Verhandlungen haben gleichzeitig ergeben, daß auch in anderen 
Punkten eine Abänderung der Verordnung vom 3. Mai 1901 nötig ist. Es wird 
deshalb die letzgenannte Verordnung aufgehoben und dgreh die aus der An¬ 
lage ersichtlichen Bestimmungen ersetzt. 

Die Kreishauptmannschaften wollen veranlassen, daß die Nahrungs¬ 
mittelüberwachung in sämtlichen Gemeinden gemäß dieser Verordnung ge¬ 
regelt wird. 

Sollte sich aber eine Gemeinde dessen weigern, so ist strenge Aufsicht 
darüber zu führen, daß in ihr jährlich ebenfalls mindestens 15 Untersuchungen 
verschiedener Art auf 1000 Köpfe der Bevölkerung von einem anderen geprüften 
Nahrungsmittelchemiker ausgeführt werden. 

Anlage. 

1. Die Tätigkeit der mitwirkenden Nahrungsmittelchemiker hat sich auf 
alle Gegenstände, die unter das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 und 
die zugehörigen Nebengesetze fallen, zu erstrecken, mit Ausnahme von Wasser. 

Bei der Untersuchung und Abgabe des Gutachtens ist im allgemeinen 
daran festzuhalten, daß der Nahrungsmittclchemiker die Begutachtung nicht 
nur auf Grund des Aussehens und Geschmacks, sonder auf Grund einer 
chemischen Untersuchung der Probe vorzunehmen hat. Das abzugebende Gut¬ 
achten bat sich dabei im allgemeinen auf die chemische Zusammensetzung des 
Gegenstandes und die Tatsache zu beschränken, ob er nachgemacht, verfälscht 
oder verdorben ist oder nicht, die Frage der Gesundheitsschädlichkeit dagegen 
unberücksichtigt zu lassen. 

Die Untersuchungen sind soweit durchzuführen, daß für die Zwecke der 
Polizeiverwaltung festgestellt wird, ob ein Grund zu vorläufigen Maßregeln 
und zur Bestrafung vorliegt. 

2. Die Nahrungsmittelchemiker sind verpflichtet, in denjenigen Gemeinden, 
die ihnen die Ausübung der Nahrungsmittelüberwachung übertragen, jährlich 
mindestens 15 Untersuchungen auf 1000 Köpfe der Bevölkerung auszuführen. 

Den Nahrungsmittelchmemikern soll jedoch freigestellt sein, in einzelnen 
Gemeinden im Einvernehmen mit den beteiligten Ortsbehörden die nach derBe- 
völkerungszahl erforderliche Probenzahl mit Rücksicht auf die Zahl und Be- 



54 


Medizinalgesetzgebung. 


deutung der vorhandenen Verkaufsstellen herabzusetzen and dafür in anderen 
benachbarten Gemeinden entsprechend za erhöhen. 

' 3. Die Prüfung aller Verkaufsstellen soll tunlichst jährlich mindestens 
einmal erfolgen, doch soll nachgelassen sein, kleine unwichtigere Verkaufs* 
stellen unter Umständen nur alle 2 Jahre aufzusuchen. 

4. Bei der Entnahme der Proben soll besonders darauf geachtet werden, 
daß vor allem auch wirklich verdächtige Proben entnommen werden. 

Proben in Originalpackungen sind in erster Linie nar am Ursprungsorte 
zu untersuchen. 

Die Nahrungsmittelchemiker haben ihre Tätigkeit deshalb in enger 
Fühlungnahme mit den Polizeibehörden auszuüben. Es ist dringend erwünscht, 
daß die Polizeibehörden auch von sich aus die Nahrungsmittelchemiker auf 
verdächtige Nahrungsmittel hinweisen und ihnen Proben davon unaufgefordert 
einsenden. 

Anträgen von Privaten auf Untersuchung verdächtiger Nahrungsmittel 
haben die Nahrungsmittelchemiker zu ensprechen, wenn die Untersuchung im 
öffentlichen Interesse liegt 

5. Die Nahrungsmittelchemiker haben die Proben in der Regel an Ort 
und Stelle und persönlich zu entnehmen. 

Die Ortspolizeibehörden haben ihnen auf Wunsch einen Polizeibeamten 
zur Unterstützung mitzugeben. 

In geeigneten Fällen kann die Probeentnahme auch durch Vermittelung 
vertrauenswürdiger dritter Personen, insbesondere auch durch Polizeibeamte 
erfolgen, die in besonderen Lehrgängen hierzu eigens vorgebildet sind. 

6. Bei der Prüfung der Verkaufsstellen durch die Nahrungsmittel¬ 
chemiker ist zwar die allgemeine hygienische Seite (Reinlichkeit, Ordnung, 
geeignete Aufbewahrung der Lebensmittel usw.) nicht außer acht zu lassen; 
doch besteht die Hauptaufgabe der Nahrungsmittelchemiker im Untersuchen der 
entnommenen Proben. 

Geben die Geschäftsräume in gesundheitlicher Beziehung Grund zur Be¬ 
anstandung, so haben die Nahrungsmittelchemiker dem Bezirksarzt entsprechende 
Mitteilung zu machen. 

7. Die Nahrungsmittelchemiker sind zur strengen Geheimhaltung aller 
ihnen bei Ausübung der Nahrungsmittelüberwachung bekannt werdenden Um¬ 
stände verpflichtet. 

8. Die Gemeinden zahlen für die Untersuchungen der Probe eine Pausch- 
gebühr von 20 Pfg. auf den Kopf der Bevölkerung, ohne daß ihnen daneben — 
außer den etwa für die Proben zu zahlenden Kaufpreis — andere Vergütungen, 
insbesondere für Reiseaufwand der Nahrungsmittelchemiker angesonnen werden 
dürfen. 

9. Die Beauftragung der Nahrangmittelchemiker mit. der Ausübung der 
Nahrungsmittelüberwachung vermittelt in den Landgemeinden und in Städten 
mit Städteordnung für mittlere und kleine Städte die zuständige Amtshäupt- 
mannschaft, ebenso die Bezahlung. 

Letztere erfolgt am Schlüsse jeden Vierteljahres in der Weise, daß die 
einzelnen Gemeinden, die den Nahrungsmittelchemikern zu zahlenden Beträge 
rechtzeitig an die Amtshauptmannschaft einsenden, die die Gesamtsumme dem 
Nahrnngsmittelchemiker auszahlt. Die durch Schriftwechsel und Probenversand 
entstehenden Postgeldunkosten hat, wenn die Gemeinde die Absenderin ist, 
diese zu tragen ist, anderenfalls der Nahrungsmittelchemiker. 

Sind in einem Jahre bereits 15 Untersuchungen auf HXK) Einwohner für 
eine Gemeinde vorgenommen worden und macht sich eine weitere Untersuchung 
nötig, so ist sie unentgeltlich ausznführen, wenn die Probe dem Nahrangs¬ 
mittelchemiker von der Gemeinde zugeschickt wird. Wünscht die Gemeinde 
dagegen die Probeentnahme an Ort und Stelle durch den Nahrungsmittel¬ 
chemiker selbst, so bat zwar die eigentliche Untersuchung ebenfalls unentgeltlich 
zu erfolgen, der Reiseaufwand des Nahrangsmittelchemikers ist dagegen von 
der Gemeinde besonders zu vergüten. 

Die Städte mit revidierter Städteordnung bewirken die Beauftragung der 
einzelnen Nahrungsmittelchemiker mit der Nahrungsmittelüberwachung inner¬ 
halb ihres Bezirkes selbständig. 



Medizinalgesetzgebung 


65 


10. Vertreter des Nahrungsmittelchemikers darf nur ein geprüfter 
Nahrungsmittelchemiker sein, der entweder selbst ein Laboratorium besitzt oder 
bereits mindestens Vs Jahr im Bezirk des ersteren praktisch gearbeitet hat. 

Der Vertreter ist der Amtshauptmannschaft oder dem Stadtrat recht« 
zeitig namhaft zu machen. 

Das Hilfspersonal braucht nicht aus geprüften Nahrungsmittelchemikern 
zu bestehen, der Inhaber des Laboratoriums trägt aber die volle Verantwortung 
für seine Hilfskräfte. 

11. Die Vornahme von Nahrungsmitteluntersuchungen für Privatpersonen 
aus dem einem Nahrungsmittelchemiker zugewiesenen Bezirke ist den Nahrungs* 
mittelchemikern untersagt. Ausnahmen sind nur von Fall zu Fall mit Ge¬ 
nehmigung der Amtshauptmannschaft oder des Stadtrates zulässig. 

Soweit hiernach solche Privatuntersuchungen gestattet sind, haben sich 
die Nahrungsmittelchemiker dabei jeder Bezugnahme auf ihre Tätigkeit als 
amtliche Sachverständige zu enthalten. 

12. Die Nahrungsmittelchemiker haben folgende Bücher zu führen: 

1. ein Eingangstagebuch, in das alle Eingänge unter fortlaufenden Nummern 
einzutragen sind; 

2. ein Arbeitstagebuch zur Aufnahme einer genauen Beschreibung der Unter¬ 
suchung ; 

3. ein Tagebuch, in das die Gutachten einzutragen sind. 

Außerdem kann die Anlegung von besonderen Auszügen für jeden ein¬ 
zelnen Händler unter entsprechender Geheimhaltung des Inhaltes erfolgen. 

18. Die mitwirkenden Nahrungsmittelchemiker haben über ihre Tätigkeit 
bis zum 31. März jeden Jahres Jahresberichte bei den Amtshauptmannschaften 
einzureichen zur Weitergabe an das Ministerium des Innern. Diese Jahres¬ 
berichte haben sich auch auf die in den Städten mit revidierter Städteordnung 
vorgenommenen Untersuchungen zu erstrecken. 

14. Für die Untersuchung sollen die „Vereinbarungen zur einheitlichen 
Untersuchung und Beurteilung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie von 
Gebrauchsgegenständen für das Deutsche Eeich“ oder die sonstigen einschlägigen 
amtlichen Prüfungs Vorschriften maßgebend sein. 

15. Die an der amtlichen NahrungsmittelüberwacLung beteiligten privaten 
Nahrungsmittelchemiker unterliegen einer fortlaufenden Ueberwachung durch 
die Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden, Abteilung für 
Nahrungsmittelchemie. 

Machen sich infolge Beanstandungen Nachprüfungen erforderlich, so 
fallen die hierdurch entstehenden Kosten dem betreffenden Nahrungsmittel¬ 
chemiker zur Last. 

Etwaige auf Grund dieser Ueberwachung als erforderlich bezeichneten Er¬ 
weiterungen und Ergänzungen der Laboratorien sowie die Abstellung von Mi߬ 
ständen irgendwelcher Art sind vorzunehmen. 

Neuanstellung von Nahrungsmittelchemikern, Neueinrichtung von Labora¬ 
torien oder sonstige wesentliche Veränderungen sind dem Ministerium des Innern 
anzuzeigen. 

16. Um eine bessere Fühlungnahme aller an der Nahrungsmittelüber¬ 
wachung beteiligten Stellen und einen Austausch der gegenseitigen Erfahrungen 
zu ermöglichen, wird die Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu 
Dresden, Abteilung für Nahrungsmittelchemie als Zentrale für alle die Nahrungs¬ 
mittelüberwachung betreffenden Fragen bestimmt. Ihr sind alle Untersuchungs¬ 
ergebnisse unverzüglich und unmittelbar mitzuteilen, soweit sie allgemeineres 
Interesse für die an den Untersuchungen beteiligten Stellen bieten, insbesondere 
auch alle Beanstandungen von Proben, die in Originalpackungen verkauft werden. 

Die Zentrale wird in gleicher Weise auch von sich aus allen Unter- 
suchungsstellen entsprechende Mitteilungen zugehen lassen, insbesondere auch 
über Beanstandungen von Proben der letztgenannten Art, damit die Doppel- 
untenpchungen vermieden werden. 

17. Der Zentrale liegt auch die Fortbildung der an der amtlichen 
Nahrungsmittelüberwachung beteiligten privaten Nahrungsmittelchemiker ob. 




56 


Medizinalgesetzgebung. 


18. Das Auftragsverhältnis zwischen Gemeinden nnd Nahrungsmittel¬ 
chemikern soll beiderseits halbjährlich für den 1. Januar und 1. Juli gekündigt 
werden können. 

19. Die vorstehenden Bestimmungen gelten sinngemäß auch für die 
Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden, Abteilung für 
Nahrungsmittelchemie und die Staatliche Untersuchungsanstalt für Lebensmittel 
beim Hygienischen Institut Leipzig. 

20. Diese Verordnung tritt am 1. Juli 1921 in Kraft. 


C. Bremen. 

Alters- und Invalidennntergtütznng der Hebammen. DurchGeseti 
vom 16. November 1921 ist das bisher gültige vom 29. April 1911 ab¬ 
geändert mit folgender Fassung: 

Der Senat verkündet das nachstehende, von der Bürgerschaft beschlossene 
Gesetz: 

§ 1. Eine Hebamme, die mindestens fünf Jahre ununterbrochen im 
bremischen Staatsgebiete ihren Beruf ausgeübt hat, hat Anspruch anf eine 
fortlaufende Rente aus der Staatskasse, wenn sie nach vollendetem 65. Lebens¬ 
jahre auf die Ausübung ihres Berufs dauernd verzichtet oder ihre Konzession 
gemäß § 37 Abs. 3 der Medizinalverordnung vom 2. Juni 1901 für erloschen 
erklärt ist. 

Der Hebamme steht ein Anspruch auf Rente nicht zu, wenn ihre Kon¬ 
zession zurückgenommen oder wenn sie wegen eines Verbrechens, wegen dessen 
auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, rechtskräftig 
zu einer Freiheitsstrafe verurteilt ist. 

Der Anspruch wird auch dann verwirkt, wenn die Hebamme ihre Berufs¬ 
tätigkeit noch ausübt, während sie die Unterstützung aus der Staatskasse 
bezieht. * 

§ 2. Die Rente beträgt jährlich mindestens 2500 M. nnd steigt von Be¬ 
endigung des sechsten Dienstjahres an jährlich nm 60 M. bis zum Höchst¬ 
betrage von 4000 M. Sie wird vierteljährlich im voraus gezahlt. 

§ 3. Jede zugelassene Hebamme hat für jede Entbindung, bei der sie 
Beistand geleistet hat, 3,50 M. an die Staatskasse zu zahlen. 

Die Beiträge sind wöchentlich bei Erstattung der nach § 38 der Medi¬ 
zinalordnung vom 2. Juni 1901 vorgeschriebenen schriftlichen Anzeige über die 
Geburten bei dem für den Ort der Entbindung zuständigen Standesbeamten 
abzuliefern. 

Rückständige Beiträge können auf Ersuchen der Medizinalkommission 
durch die zuständige Polizeibehörde durch Zwangsvollstreckung im Verwaltungs¬ 
wege beigetrieben und von der Rente (§ 1) abgezogen werden. 

Die bei den Standesbeamten abgelieferten und die durch Zwangs¬ 
vollstreckung im Verwaltungswege beigetriebenen Beiträge werden der Depu¬ 
tation für das Gesundheitswesen überwiesen. 

§ 4. Die Deputation für das Gesundheitswesen setzt die Höhe der zu 
gewährenden Renten nach Maßgabe des § 2 fest und weist deren Zahlung an. 

§ 5. Denjenigen Hebammen, die am 1. Mai 1911 im Besitze der Kon¬ 
zession waren, wird die bisherige Zeit der Ausübung ihres Berufs im bremischen 
Staatsgebiete auf die im § 1 bestimmte fünfjährige Wartezeit angerechnet 

Soweit die ihnen zustehende Rente für ihren eigenen Unterhalt nicht 
genügt auch ausreichende sonstige Mittel nicht vorhanden sind, kann die 
Deputation für das Gesundheitswesen die Rente bis auf 3500 M. erhöhen. 

§ 6. Auf Hebammen, die ausschließlich in Kranken und Entbindungs¬ 
anstalten tätig sind, findet dieses Gesetz keine Anwendung; doch kann die 
Deputation für das Gesundheilswesen auch solche Hebammen zulassen und die 
näheren Bedingungen in jedem einzelnen Falle vereinbaren. 

§ 7. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1921 in Kraft. 


Verantwortlich für die Schriftleitung: Geh. Med.-Rot Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Rat ln Breslau, 
Breslau V, Rehdlgcrstrafie 84. Druck von J. 0. 0. Bruns, Minden L W. 





Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 11/12. 20. Juni. 1922. 


Rechtsprechung. 

Die Zuckerkrankheit als schwere Krankheit ln verslcherungsrecht* 
Hohem Sinne. Urteil des Reichsgerichts A. Z. VII. 504/21. 

Der Geheime Sanitätsrat Prof. Dr. K. in H. war bei der Frankfurter All¬ 
gemeinen Versicherungs A.-G. unfallversichert, und zwar gegen die Folgen, die 
„durch körperliche Beschädigung allein, ohne Mitwirkung anderer Umstände“, 
insbesondere auch durch Blutvergiftung als Folge äußerer Verletzungen, so 
bei Operationen und Sezierungen der Aerzte herbeigeführt werden würden. 
Für den Todesfall sollten die Erben 20000 M. ausgezahlt erhalten. Ausgeschlossen 
von der Versicherung sollten nach § 2 der allgemeinen Bedingungen u. a. mit 
schweren Krankheiten Behaftete sein. Nach § 3 sollte die Versicherung 
ohne weiteres ungültig werden, wenn eine Aenderung in dem körperlichen Zu- 
' stand des Versicherten eintritt, welche die Versicherung ausgeschlossen haben 
würde. Nach § 9 sollte die Gesellschaft in Todesfällen innerhalb 24 Stunden 
telegraphisch benachrichtigt werden. Am 9. Mai 1916 verletzte sich Dr. K. bei 
einer Operation durch einen Nadelstich am linken Daumen und starb am 
20. Mai in einer Berliner Klinik. Am 25. oder 26. Mai 1916 teilte die Witwe 
den Tod der Gesellschaft telegraphisch mit, worauf diese zurücktelegraphierte: 
„Verlangen sofortige Sektion durch beamteten Arzt“. Am 1. Juni 1916 erhielt 
sie die Nachricht, daß eine Sektion wegen der vorgenommenen Feuerbestattung 
nicht mehr möglich sei, und verweigerte darauf die Zahlung der Versicherungs¬ 
summe. Sie berief sich auf die Verspätung der Todesnachricht, 
machte aber auch geltend, daß der Verstorbene an Zuckerkrankheit gelitten 
habe, die zu den schweren Krankheiten zu rechnen sei. Die Erben erhoben 
Klage auf Zahlung der Versicherungssumme. Landgericht und Ober¬ 
landesgericht Frankfurt wiesen die Klage ab, das Beichsgericht 
wies die Revision der Eiläger zurück. 

Die Entscheidungsgründe der höchsten Instanz. 

Das Landgericht hatte die Klage für hinfällig erachtet, weil die fest¬ 
gestellte Zuckerkrankheit nach dem Gutachten des Professors von N. bei der 
Unfallversicherung stets als eine schwere Krankheit im Sinne des § 2 der allg. 
Vers.-Bed. aufzufassen sei, die die Versicherung ausschließe, oder wenn sie 
später sich zeige, ungültig mache. Denn sie schaffe im Falle einer Infektion 
stets sofort eine sehr gefährliche Lage, da sie den Körper auch im Falle einer 
leichten Erkrankung und eines geringen Prozentsatzes von Zucker für 
Ansteckungen empfänglicher mache und die Widerstandsfähigkeit der Gewebe, 
namentlich bei älteren Personen, herabsetze so daß sie zu den schwersten Folge¬ 
zuständen und selbst zum Tode führen könne. Das Oberlandesgcricht bat die 
Ausführung des Landgerichts zwar gebilligt, in erster Reihe aber den Klage¬ 
anspruch gegen Versäumung rechtzeitiger Todesanzeige für verwirkt erachtet. 
Eine Entschuldigung sei nach Art. 3 des Einf -Ges. zwar zulässig, aber mit den 
allgemeinen, von den Klägern vorgebrachten Gründen, der Bestürzung und 
Aufregung über den Todesfall, der darch die Einäscherung eingetretenen Ueber- 
häufung mit Geschäften und der Unerfahrenbeit der Witwe, bei dem Bildungs¬ 
grade der Kläger und ihrer Kenntnis der Versicherung nicht anzuerkennen. 
Eine grobe Fahrlässigkeit bleibe immerhin bestehen. 

Die Angriffe, die die Revision hiergegen erhebt, können nicht als durch¬ 
greifend erachtet werden. Auf die subjektiven Beschwerden und das subjektive 
Empfinden der Versicherten kommt es nicht an. Vielmehr ist für die Annahme 
einer schweren Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen die 






58 


Medizinalgesetzgebung. 


objektive Natur der Krankheit maßgebend. Im übrigen war dem Versicherten 
die Stellungnahme der Beklagten inbetreff der Zuckerkrankheit bekannt. Er 
hätte aber, nachdem er das Vorhandensein der Krankheit festgestellt, sich mit 
dem Beklagten in Verbindung setzen müssen. 

(Nach dem sächsischen Korrespondenzblatt.) 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich. 

Abänderung der Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum 
Gebrauche des Boten Krenzes. Bekanntmachung des Kommissars 
der freiwilligen Krankenpflege vom 4. März 1922 an die Herren 
Territorialdelegierten der freiwilligen Krankenpflege. 

Der Herr Reichsminister des Innern hat im Einvernehmen sämtlicher 
Landesregierungen angeordnet, daß Ziffer 1 der Bekanntmachung des Reichs¬ 
kanzlers vom 7. Mai 1903') — betreff, die Grundsätze für die Erteilung der 
Erlaubnis zum Gebrauche des Roten Kreuzes — künftig in nachstehender 
Fassung zur Anwendung gelangt: 

1. Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich 
der Ritterorden sowie der Geistlichen Orden und Kongregationen zu 
erteilen, welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und 
durch eine Bescheinigung des Reichsministeriums des Innern nachweisen, 
daß sie zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen 
Notständen und bei inneren Unruhen zugelassen sind. 

Auf Grund dieser Anordnung hat der Herr Reichsminister des Innern 
die nachfolgenden Grundsätze für die Entscheidung über die Zulassung von 
Vereinigungen usw. zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffent¬ 
lichen Notständen und bei inneren Unruhen aufgestellt. 

1. Die in Betracht kommende Vereinigung hat sich zu verpflichten, im 
Bedarfsfälle zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes mindestens die 
Hälfte ihres Personals zur Verfügung zu stellen und den Gesamtpersonal- 
bestand zum 1. Januar d. Js. hierher zu melden. 

2. Die Vereinigung muß mindestens 10 Mitglieder haben, satzungsmäßig 
von einem Vorstand geleitet und nach dem Urteil der zuständigen Ortspolizei¬ 
behörde und des zuständigen beamteten Arztes in Bezug auf Verhalten und 
Geschäftsgebahren einwandsfrei sein. 

3. Die Satzung der Vereinigung muß gewährleisten, daß als Mitglieder 
nur unbescholtene Persönlichkeiten aufgenommen werden. 

4. Das Personal muß körperlich leistungsfähig sein und sich über die 
erforderliche technische Vorbildung im Sanitätsdienst ausweisen können, und 
zwar Pfleger und Pflegerinnen durch mindestens einjährige Pflegetätigkeit in 
einem Krankenhaus sowie durch Ablegung einer besonderen Prüfung. 

5. Die Vereinigung hat sich zn verpflichten, für die Erhaltung der 
praktischen Kenntnisse des zur Verfügung gestellten Pflegepersonals durch 
Abhaltung von Wiederholungskursen in höchstens dreijährigen Zwischenräumen 
oder in anderer Weise Sorge zu tragen. 

6. Die Vereinigung muß gewillt und imstande sein, für das zur Ver¬ 
fügung gestellte Personal für die freiwillige Krankenpflege vorgeschriebene 
Dienstkleidung zu stellen. 

Dea Herren Territorialdelegierten beehre ich mich vorstehendes ergebenst 
mit dem Hinzufügen zu übersenden, daß der Herr Reichsminister des Innern 
sich vorbehält, die erteilte Zulassuugsgenehmigung zusückzuziehen, wenn be¬ 
kannt wird, daß die vorstehenden Voraussetzungen nicht mehr als erfüllt 
anzusehen sind. 


Wochenhilfe und Wochenffirsorge. Bekanntmachung des 
Reichspräsidenten vom 20. April 1922. 

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung 
des Reichsrats hiermit verkündet wird: 


') S. diese Zeitschrift, Beilage 1903, S. 117. 



Medizinalgoeetzgebung. 


59 


§ 1. Wöchnerinnen, die vor dem 6. Angast 1921 entbanden worden sind, 
erhalten von diesem Tage ab für den Best der Bezugszeit das Wochen- and 
Stillgeld in dem durch das Gesetz, betreibend Wochenhilfe und Wochenfürsorge, 
vom 29. Juli 1921 (Reichsgesetzbl. 8.1189) erhöhten Betrage. 

Wöchnerinnen, die erst nach der Vorschrift des im Abs. 1 genannten 
Gesetzes als minderbemittelt zu gelten haben, erhalten vom 6. August 1921 ab 
für den Best der Bezugszeit die Leistungen der Wochenfürsorge an Wochengeld 
und Stillgeld. 

§ 2. Wöchnerinnen, die vor dem 5. Januar 1922 entbunden worden sind, 
erhalten von diesem Tage ab für den Best der Bezugszeit das Stillgeld in dem 
durch das Gesetz, betreffend Wochenhilfe und Wochenfürsorge, vom 28. De¬ 
zember 1921 (Beichsgesetzbl. 1922 S. 7) erhöhten Betrage. 

Wöchnerinnen, die erst nach der Vorschrift des im Abs. 1 genannten 
Gesetzes als minderbemittelt zu gelten haben, erhalten vom 5. Januar 1922 ab 
für den Best der Bezugszeit die Leistungen der Wochenfürsorge an Wochen¬ 
geld und Stillgeld. 

§ 3. Ansprüche, über die das Feststellungsverfahren am Tage der Ver¬ 
kündung dieses Gesetzes schwebt, unterliegen dessen Vorschriften. Ihre Nicht¬ 
anwendung gilt, soweit Revision nach § 1695 der Beichsversicherungsordnnng 
zulässig ist, auch dann als Revisionsgrund, wenn das Oberversicherungsamt 
sie noch nicht anwenden konnte. 

Sind Ansprüche, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes begründet 
sind, bereits rechtskräftig abgewiesen worden, so hat die Krankenkasse auf 
Antrag des Berechtigten einen neuen Bescheid zu erteilen. 

§ 4. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. 


B. Württemberg. 

Staatliche Prüfung von Dentisten zwecks Zulassung zur Kranken¬ 
kassenbehandlung. Verfügung des Ministeriums des Innern und 
des Amtsministeriums vom lö.Februar 1922. 

Die Vorschriften decken sich in der Hauptsache mit den für Preußen 
unter dem 14. Oktober 1920 erlassenen*) (vielfach wörtlich übereinstimmend). 
Abweichungen sind nur folgende: 

Württemberg wählt die Bezeichnung „Dentist“, (Preußen „Zahntechniker“). 
Die Prüfungsgebühren betragen in Württemberg 200 M., wozu eine Vergütung 
von 50 M. für Benutzung von Werkzeugen pp. kommt (in Preußen 150 -f- 30 M.). 


Aenderung der Yollzugsverfüguug zum Oberamtssgesetz hinsichtlich 
der Zahntechniker. Verf ügung des Ministeriums des Innern betr. 
Aenderung der Vollzugsverfügung zum Oberamtsgesetz vom 
15. Februar 1922. 

I. § 21 der Vollzugsverfügung zum Oberamtsarztgesetz vom 17. März 1913 
(Reg.-Bl. S. 82)**) erhält folgende Fassung: 

§ 21. (1) Ausschließlich die Zahnheilkunde selbständig ausübende Zahn¬ 
techniker werden vom Buchführungszwang des Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes 
befreit, 

1. wenn sie das 25. Lebensjahr vollendet und die Prüfung zwecks Zu¬ 
lassung zur Krankenkassenbehandlung (Verfügung de3 Ministeriums des Innern 
und des Arbeitsministeriums vom 15. Februar 1922, Reg.-Bl. S. 87) oder eine 
gleichwertige Prüfung in einem andern deutschen Lande erstanden haben, so¬ 
lange ihnen der hierüber ausgestellte Ausweis nicht rechtskräftig entzogen ist; 

2. wenn sie am 1. März 1922 Mitglieder der „Vereinigung Württem¬ 
bergs eher Dentisten e. V.“ waren, vorausgesetzt, daß diese Vereinigung zu 
Aenderungen ihrer Satzung die Genehmigung des Ministeriums des Innern ein¬ 
holt. Diese Befreiung ist stets widerruflich. 

(2) Wenn sonstige ausschließlich die Zahnheilkunde selbständig aus¬ 
übende Zahntechniker um Entbindung von der Verpflichtung zur Führung von 
Geschäftsbüchern nachsuchen wollen, haben sie ihr Gesuch unter Anschluß von 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1920, Beil. 8.149 ff. 

**) Siehe diese Zeitschrift, Beilage Rechtsprechung, 1913, S. 102 ff. 



60 


Medizinalgesetzgebung. 


Belegen über ihre Ausbildung und ihre praktische Tätigkeit beim zuständigen 
Oberaintsarzt oder Oberamt anzubringen; mit den Aeußerungen dieser beiden 
Stellen ist es dem Ministerium des Innern vorzulegen. 

(3) Das gleiche Verfahren (Abs. 2) ist einzuhalten, wenn eine im Aus¬ 
land zur Ausübung der Heilkunde öffentlich ermächtigte Person um Befreiung 
vom Buchführungszwang nachsucht. 

IL Gegenwärtige Verfügung tritt am 1. März 1922 in Kraft. 


Zahntechniker. Verfügung des Ministeriums des Innern 
und des Arbeitsministeriums zum Vollzug des § 123 der 
Reichsversicherungsordnung vom lö.Februar 1922. 

Auf Grund des § 123 Satz 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung vom 
19. Juli 1911 (Reichs-Gesetzbl. S. 509) wird verfügt: 

§ 1. Als Zahntechniker im Sinne der Reichsversichcrungsordnung ist 
anznsehen, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat und 

1. die Prüfung zwecks Zulassung zur Kassenkrankcnbehandlung (Verfügung 
des Ministeriums des Innern und des Arbeitsministcriums vom 15. Februar 1922, 
Reg.-Bl. S. 87) oder eine gleic hwertige Prüfung in einem anderen deutschen 
Lande bestanden hat, im Besitz des hierüber ausgestellten Ausweises ist 
und den Beruf als Dentist (Zahntechniker ohne Nebenberuf ausübt oder 

2. am 1. März 1922 nach den bisherigen Bestimmungen (Abs. 1 der Verfügung 
des Ministeriums des Innern vom 20. September 1913, Reg.-Bl. S. 239) als 
Zahntechniker im Sinne der Reichsversicherungsordnung anzusehen war und 
im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte ist. 

§ 2. Bei Zahnkrankheiten mit Ausschluß von Mund- und Kieferkrank¬ 
heiten können Dentisten (Zahntechniker) auch ohne Zustimmung der Versicherten 
selbständige Hilfe leisten, soweit nicht das Arbeitsministerium im Benehmen 
mit dem Ministerium des Innern ein Bedürfnis hierfür in einzelnen Versicherungs¬ 
bezirken verneint hat. Das Bedürfnis kann für solche Bezirke verneint werden, 
in denen eine genügende Zahl von Zahnärzten vorhanden ist, die zu angemessenen 
Bedingungen die zahnärztliche Behandlung der Versicherten zu übernehmen 
bereit sind. Die Entscheidung über die Verneinung des Bedürfnisses erfolgt 
nach Anhörung des Oberversicherungsamtes und Versicherungsamtes (Beschlu߬ 
ausschuß) des Oberamtsarztes, d» s Vereins württembergischer Zahnärzte e. V. 
und der Vereinigung württembergischer Dentisten e. V.; sie wird dem Vorstand 
der Landesversicherungsanstalt Württemberg sowie dem Versicherungsamt mit¬ 
geteilt, daß sie im Bezirksamtsblatt bekannt zu machen und den beteiligten 
Krankenkassen zu eröffnen hat. 

§ 3. Gegenwärtige Verfügung tritt am 1. März 1922 in Kraft. Mit 
demselben Tage tritt die Verfügung des Ministeriums des Innern zum Vollzug 
des § 123 der Reichsversicherungsordnung vom 20. September 1913 (Reg.-BL 
S. 239) vorbehaltlich der Bestimmungen in § 1 Ziff. 2 außer Wirksamkeit. 


C. Mecklenburg«Schwerin. 

Pharmazeutische Vorprüfung. Das Mecklenburg-Schwerinsche Ministerium 
für Medizinalangelegenheiten gibt unter dem 12. April bekannt: 

„Solange der Kreisarzt zu Rostock den Vorsitz in der Prüfungskommission 
für die pharmazeutische Vorprüfung führt, übt er auch die Befugnisse der Auf¬ 
sichtsbehörde aus § 5 der Prüfungsordnung für Apotheker. Zulassungsgesuche 
zur pharmazeutischen Vorprüfung sind deshalb, solange obige Voraussetzung 
zutrifft, an ihn, nicht an das Ministerium zu richten." 


D. Anhalt. 

Gebühren der Medtzinalbearoten. Auch in Anhalt sind nunmehr die 
in § 4 — Anlagen I und II — des Gesetzes betr. die Gebühren der Medizinal¬ 
beamten, vom 22. März 1912 festgesetzten Gebühren mit Wirkung vom 1. Mai 
1922 ab um 900 p. c. erhöht worden. 


Ye ran tw örtlich für die Schrlftlcitung: Geh. Med.-Bot Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Bat in Breslau 
Breslau Y, Rebdlgerstraße 84. — Druck von J. G. C. Bruns, Minden i. W. 



Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 13. 5. Juli. 1922. 


Rechtsprechung. 

Die Bezeichnung als „Approbierter Dentist“ erweckt den falschen 
Schein einer geprüften Medisinalpersou. Entscheidung des Ober¬ 
landesgerichts Hamburg (Strafsenats) vom 8. Juli 1921 — Bll 
84/21 — (Leipziger Ztg., Jahrg. XV, Sp. 696). 

Der Angeklagte, der Dentist ist und als solcher, in Straßburg i. E. eine 
staatliche Prüfung bestanden hat, hat sich in einer Zeitungsanzeige als „Dentist 
i.. E. approbiert“ bezeichnet; er hat diese Prüfung nur zum Zwecke der Zu¬ 
lassung als Zahntechniker im Sinne der Beichsyersicherungsordnung abgelegt 
und diese Zulassung erhalten. Ohne Bechtsirrtum hat die Strafkammer daraus 
gefolgert, daß sich der Angeklagte, ohne approbiert zu sein, einen zahnärzt¬ 
lichen Titel beigelegt habe, durch den der Glaube erweckt werde, dessen In¬ 
haber sei eine geprüfte Medizinalperson, und hat ihn nach § 147 Abs. 1 Ziff. 3 
G. 0. verurteilt. Die Angriffe der Bevision sind unbegründet. 

Gründe: 

Daß der Angeklagte sich in Straßburg einer Prüfung unterzogen hatte, 
gab ihm noch nicht das Rocht, sich als „approbiert“ zu bezeichnen. „Approbiert“ 
und „geprüft“ sind keineswegs gleichbedeutend. Die Approbation, die in der 
Gesetzgebung und namentlich in der Gewerbeordnung (§§ 29, 147 Abs. 1 Ziff. 3) 
lediglich als technischer Ausdruck gebraucht wird, ist ein staatlicher Akt und 
wird den in § 29 G. 0. bezeichneten Personen erteilt, zu denen auch die Zahn¬ 
ärzte gehören, wenn der Bewerber einen Befähigungsnachweis erbracht hat, der 
durch eine staatliche Prüfung nach besonderen vom Bundesrat erlassenen Vor¬ 
schriften darzutun ist. Ganz davon abgesehen, daß die Ablegung einer solchen 
Prüfung allein noch keine Approbation bedeutet, die sie vielmehr noch durch 
die zuständige Behörde besonders zu erteilen ist, hat der Angeklagte keine 
solche Prüfung abgelegt. Entgegen der Annahme der Bevision werden die 
Bezeichnungen „approbiert“ und „geprüft“ auch nicht als gleichbedeutend an¬ 
gesehen, vielmehr ist allgemein bekannt, daß nicht jede Prüfung zu einer 
Approbation berechtigt, selbst wenn Unklarheit darüber herrschen sollte, daß 
die Ablegung der Prüfung noch nicht Erteilung der Approbation bedeutet. Da 
von den Personen, die sich mit Zahnheilkunde befassen, nur Aerzten eine 
Approbation erteilt wird, ist die Bezeichnung „Dentist i. E. approbiert“ als arzt- 
ähnlicher Titel anzusehen, durch den der Anschein erweckt wird, dessen Inhaber 
sei eine geprüfte Medizinalperson. Das Publikum ist leicht geneigt, allein auf 
„approbiert“ entscheidendes Gewicht zu legen, ohne zu beachten, daß Dentisten 
keine Approbation erhalten. Ob im Auslande approbierte Zahntechniker, den 
durch die ausländische Approbation erworbenen Titel im Inlande führen dürfen, 
wenn auf den ausländischen Ursprung der Approbation ausdrücklich hingewiesen 
wird, ist hier ohne Bedeutung, da die Führung einer solchen Bezeichnung 
gegenüber § 147 Ziff. 3 G. 0. höchstens dadurch gerechtfertigt werden kann, 
daß hierdurch nicht der Glaube erweckt werde, der Betreffende sei im Inlande 
approbiert (Landmann, Anmerkung 5b zu § 147 G.0.), während hier die 
Worte „i. E. approbiert“ auf eine inländische Approbation hinweisen. Wer die 
Worte „i. E.“ überhaupt richtig als „im Elsaß“ deutet, nimmt zunächst an, 
die Approbation sei im Elsaß zu einer Zeit erteilt, als dieses noch zum Inlande 
gehörte. 







62 


Rechtsprechung 


Handel mit Arzneimitteln. Entscheidung des preußischen 
Kammergerichts (I. Strafs.) vom 14. Januar 1921 — S. 117/20 — 
(Strafrechts-Ztg. Jahrg. 8, Sp. 247). 

Nach § 1 der Bekanntmachung vom 22. März 1917 (R. G. BL 270) ist der 
Bändel mit Arzneimitteln vom 16. April 1917 ab nur solchen Personen ge¬ 
stattet, denen eine besondere Erlaubnis zum Betriebe dieses Handels erteilt ist. 
Die Fassung der Vorschrift ergibt, daß die Handelserlaubnis ein höchst persön¬ 
liches Recht des damit Bedachten bedeutet, also weder persönlich übertragbar, 
noch mit dem sonstigen Geschäftsbetrieb des Berechtigten dergestalt verbunden 
ist, daß mit einer Veräußerung oder Vererbung des Geschäfts auch dieHandels- 
crlaubnis auf den Erwerber übergeht. Jeder, der ein solches Geschäft unter 
Lebenden oder von Todes wegen erwirbt, bedarf daher, sofern er den Handel 
mit Arzneimitteln fortsetzen will, einer erneuten besonderen Erlaubnis; die 
seinem Rechtsvorgänger erteilte Erlaubnis übt keinerlei dingliche Wirkungen 
aus. Diese Grundsätze gelten auch für Apotheker, wenn sie eine Apotheke 
erwerben, mit deren Betriebe ein Großhandel mit Arzneimitteln verbunden ist 


Rad-Jo. Urteil des Landgerichts Chemnitz (5.Strafkammer) 
vom 19. Januar 1912. 

Das Landgericht Chemnitz, 5. Strafkammer, hat in der Sitzung vom 
19. Januar 1922 den Drogisten W. zu 100 M. Geldstrafe wegen Uebertretung 
der Bekanntmachung des Kgl. Sächs. Minist, vom 14. 7. 03 verurteilt, weil er 
folgende Reklame in der Zeitung veröffentlicht batte: „Rad-Jo für leichte 
schnelle Entbindung ein Segen für werdende Mütter“, in der dem Rad-Jo über 
seinen wahren Wert hinausgehende Wirkung zugelegt wird. 


Entziehung des Prüfungszeugnisses einer Hebamme wegen der aus 
Verstößen gegen ihre Berufspflichten (hier Fortsetzung der Tätigkeit trotz 
Trippererkrankung, Nichtmeldung beim Kreisärzte), sowie aus dem Ver¬ 
luste ihres guten Rufes zu folgernden Unzuverlässigkeit. Entscheidung 
des preußischen Oberverwaltungsgerichts (III. Senats) vom 
10. Jnni 1920 — III. B. 8/20 — (Original). 

Die von der Beklagten gegen* das Urteil des Bezirksausschusses zu M. 
vom 26. Februar 1920 eingelegte Berufung kann keinen Erfolg haben. 

Gründe. 

Die Beklagte hat, wie sich aus den Verhandlungen, insbesondere aus 
ihren eigenen Angaben ergibt, einer schweren Verletzung ihrer Berufspflichten 
sich schon dadurch schuldig gemacht, daß sie ihre Tätigkeit, wenn auch nach 
ihrer Behauptung nur in dringenden Fällen, fortgesetzt hat, nachdem sie an 
Tripper erkrankt war, wodurch sie, wie sie wissen mußte (vergl. Hebammen¬ 
lehrbuch §§ 602, 503 und Dienstanweisung für Hebammen §§ 20, 21) und sich 
auch wohl bewußt war, nicht nur die Wöchnerinnen, sondern auch die neu¬ 
geborenen Kinder schwerer Gesundheitsgefahr aussetzte. Schon diese Tatsache 
würde ausreichen, ihr wegen Mangels der Eigenschaften, die bei Erteilung des 
PrüfungszeugniBses vorausgesetzt werden mußten, nämlich der Zuverlässigkeit 
für den Beruf, dieses Zeugnis zu entziehen. § 474 Abs. 3 des Hebammen¬ 
lehrbuchs schreibt für den Fall derartiger krankhafter Ausflüsse nicht nur die 
Meldung beim Kreisärzte, sondern auch bis zu dessen Entscheidung Enthaltung 
von jeder Untersuchung in der Schwangerschaft und unter der Geburt vor, 
womit die Leitung und Vornahme einer Entbindung ohne weiteres ausgeschlossen 
ist. Daß die Beklagte aber auch die rechtzeitige Meldung von ihrer Krankheit 
bei dem Kreisarzt unterlassen hat, erhellt klar aus den Akten. Dem Kreisarzt 
ist die Erkrankung erst nachträglich durch die Anzeige desjenigen bekannt 
geworden, der sich bei der Beklagten angesteckt haben will. Die Beklagte hat 
aber auch ihren guten Ruf verloren und insbesondere gegen die Vorschrift des 
§ 6 der Dienstinstruktion verstoßen, nach welcher sie einen ehrbaren Lebens¬ 
wandel führen soll. Der Besitz unbescholtenen Rufes gehört, wie in ständiger 
Rechtsprechung anerkannt ist, zu den Eigenschaften, die bei der Erteilung des 
Hebammenzeugnisses vorausgesetzt werden müssen. Mit dem Vorderrichter ist 
der Gerichtshof der Ueberzeugung, daß die Beklagte sich mit verschiedenen 
Männern in außerehelichen Geschlechtsverkehr eingelassen hat und daß dies 



Medizinalgesetzgebung. 


63 


auch nicht geheim geblieben ist. Mag der anstößige Lebenswandel anch in der 
unmittelbaren Nachbarschaft und im Kreise der Torwiegenden Kundschaft der 
Beklagten, wie sie in der Berufung darzulegen versucht, nicht näher bekannt 
geworden sein oder kein besonderes Aergernis erregt haben, so hat doch jeden¬ 
falls der Kreisarzt von den Vorfällen Kenntnis erhalten, der auch amtlich be¬ 
zeugt hat, daß die Fehlschritte der Beklagten im Publikum bekannt geworden 
sind und sie des unbescholtenen Rufes beraubt haben. Das genügt aber, um 
die Zurücknahme des Prüfungszeugnisses zu rechtfertigen. Im Interesse des 
Ansehens des Hebammenstandes wie im Interesse der Bevölkerung ist es unter 
den obwaltenden Umständen geboten, die Beklagte aus ihrem bisherigen Berufe 
zu entfernen. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Preußen. 

Versetzungen von Beamten. Bunderlaß des Finanzministers 
und Ministers des Innern vom 22. Februar 1022 — I C. 2/3063. 
III 2. 626 M. d. I. Ia. I. 206 — an die nachgeordneten Behörden. 

In Anbetracht der außerordentlich hohen Ausgaben an Umzugskosten, 
die unter den zeitigen Verhältnissen bei Versetzungen von Beamten entstehen, 
sind zur Entlastung der Staatsfinanzen für die Zukunft bei Vornahme von Ver¬ 
setzungen nachstehende Bichtlinien zu berücksichtigen. 

Die Vorschriften für die Gewährung von Umzugskostenvergütungen bei 
Versetzungen von Staatsbeamten sehen eine unterschiedliche Behandlung einer 
auf Ansuchen gegenüber einer von Amts wegen erfolgenden Versetzung nicht 
vor. Es versteht sich jedoch von selbst, daß der Staat keine Veranlassung hat, 
die Kosten einer Versetzung, für die die persönlichen Wünsche eines Beamten 
ausschlaggebend waren, zu übernehmen. Hierzu ist der Staat vielmehr 
nur dann in der Lage, wenn das dienstliche Interesse an der Ver¬ 
setzung überwiegt. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muß daher, wenn 
ein Beamter unter Geltendmachung persönlicher Gründe seine Versetzung erbittet, 
stets geprüft werden. Ergibt sich hierbei, daß das dienstliche Interesse an der 
Versetzung nicht überwiegt, daß vielmehr für die Versetzung dieEücksicht- 
nahme auf die persönlichen Verhältnisse des Beamten bestimmend 
sein soll, so hat der Beamte eine schriftliche Erklärung dahin abzugeben, 
daß er bereit und imstande ist, die sämtlichen durch seinen Umzug ent¬ 
stehenden Kosten selbst zu tragen, und daß er für den Fall der Genehmigung 
seines Versetzungsgesuches auf eine Kostenerstattung, wie auch auf eine Ge¬ 
währung von Wohnungsbeihilfe und Unterstützungen verzichtet. Andernfalls 
wird dem Versetzungsgesuche nicht näher getreten werden können. Die 
vorbezeichnete Erklärung des Beamten ist zu den Akten zu nehmen. 

Hierzu wird bemerkt, daß nachträglichen Anträgen auf Gewährung 
von Unterstützungen anläßlich des Umzuges aus grundsätzlichen Erwägungen 
auch nicht ausnahmsweise wird entsprochen werden können. 


Dienstanweisung für die StadtSrste. Bekanntmachung der 
Deputation für das Gesundheitswesen der Stadtgemeinde 
Berlin. Vom 7. März 1922. 

§ 1. Der Stadtarzt ist hauptamtlich angestetellter Gemeindebeamter. 
Privatpraxis ist ihm nicht gestattet. 

§ 2. Er ist der Dienstvorgesetzte aller im Gesundheitsdienst des Ver¬ 
waltungsbezirkes tätigen Personen, soweit sie nicht unmittelbar dem Stadt¬ 
medizinalrat unterstehen. 

§ 3. Der Stadtarzt bearbeitet alle Angelegenheiten des Gesundheitswesens 
des Bezirks; hierher gehören auch die Anstalten, die nicht unmittelbar vom 
Magistrat verwaltet werden. Er hat dem Stadtmedizinalrat auf Verlangen 
jederzeit im Benehmen mit dem Dezernenten des Bezirksamtes schriftlich oder 
mündlich Bericht zu erstatten. Ueber wichtige Vorkommnisse hat er unauf¬ 
gefordert Mitteilung zu machen. 

§ 4. Er bearbeitet beim Bezirksamt nach den Bichtlinien des Magistrats 
die Angelegenheiten der Sozial-Hygiene (§ 2 e und § 6 der Satzung der Depu¬ 
tation für aas Gesundheitswesen vom 3. Juni 1921). Ausgenommen sind in den 



Bezirkes I—VI diejenigen Einrichtungen der Sozialhygiene, die in den Betrieb 
der zentral verwalteten Krankenhäuser eingegliedert sind and das Ambulatorium 
aal dem Exerzierplatz an der Ebers walder Straße. 

§ 5. Zn seinem Tätigkeitsbereich gehört die Aufsicht über die Rettungs¬ 
stellen und die Ueberwachung der Ton der Zentrale angeordneten Maßnahmen 
zur Seuchenbekämpfung. In dringenden Fällen hat er selbst die erforderlichen 
Anordnungen zu treffen und sodann sofort dem Hauptgesundheitsamte Mitteilung 
zu machen. 

g 6. Er bearbeitet ferner alle Angelegenheiten gesundheitlicher Art, die 
zn der Zuständigkeit anderer Deputationen gehören gemäß §§ 2e und 4 der 
Satzung der Deputation für das Gesundheitswesen der Stadt Berlin vom 
3. Juni 1922. 

$ 7. Soweit seine Tätigkeit es znläßt, hat er sieh an der praktischen 
Durchführung der gesundbeitsfürsorglichen Arbeiten (siehe § 4) ärztlich zu be¬ 
teiligen und rertrauens&rztliche Tätigkeit zu übernehmen. 


B. Bagern. 

LelcheaschangebBhren. Verordnung des Staatsministeriums 
des Innern vom 30. März 1922. 

Mit Wirkung ab 1. April 1922 werden für die Leichenschau folgende 
Gebühren festgesetzt: 

1. für ärztliche Leichenschauer 

a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohnortes 20 M., 

b) Entfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau Tom 
Wohnorte des Leichenschauers mehr als 2 Kilometer beträgt, für jeden 
Kilometer des Hin- und Rückweges 4 M., 

2. für nichtärztliche Leichenschauer 

a) Gebühr für die Verrichtung am Wohnort und außerhalb des Wohnortes 13 M., 

b) Entfernungsgebühr, wenn die Entfernung des Ortes der Leichenschau vom 
Wohnorte des Leichenschaners mehr als 2 Kilometer beträgt, für jeden 
Kilometer des Hin- und Rückweges 2,50 M.. 

Die Gebühren für eine außerßalb des Wohnortes vorgenommene Leichen¬ 
schau dürfen den Höchstbetrag von 60 M. nicht übersteigen. 

Diese Sätze treten an die Stelle der entsprechenden Sätze Sätze der 
Verordnung vom 13. August 1920 über die Leichenschau, GVBL S. 140, StA. 
Nr. 190, geändert durch die Verordnung vom 27. Augast 1921 gleichen Betreffs, 
GVB1. 8. 407, StA. Nr. 200. _ 


C. Sachsen. 

Impfgebühren. Verordnung des Ministeriums des Innern 
über anderweitige Ausführung des Reichsimpfgesetzes vom 
8. April 1922. 

§ 4, Abs. 2 der Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichsimpf¬ 
gesetzes betreffend, vom 14. Dezember 1899 (GVB1.8.623) erhält folgende Fassung: 

Die Entschädigung beträgt für die Impfung jeder einzelnen Person am 
Wohnort des Arztes 4 M. Die Entschädigung für die Impfung außerhalb des 
Wohnortes des Arztes beträgt für die ersten 20 Impflinge in jedem Impftermin 
für jeden Impfling 8 M., für jeden weiteren Impfling 6 M. 

Die gleichen Sätze werden bei Impfbefreiungen gewährt. 

In diesen Sätzen sind die Entschädigungen für das Fortkommen, für die 
impfärztlichen Auslagen für Watte, 70 prozentigen Alkohol oder andere gleich¬ 
wertige Mittel zum Abreiben der Impfstelle bei öffentlichen Impfungen (§ 6 der 
Beilage B zur Verordnung, die anderweite Ausführung des Reichsimpfgesetzes 
betreffend, vom 28. September 1917, GVBl. S. 108), für die Nachschau, Einträge 
in die Liste und erstmalige Ausstellung des Impf- oder lmpfbefreiungsscheins 
mit einbegriffen. 


Verantwortlich für die Sehr! Weitung: Geh. Xed.-Kat Dr. 80 Ihrig, Reg.- u. Med.-Rat la Breslau 
Breslau V, Rehdlgerttrafie 84« — Druck tob J. O. 0. Bruna, Minden 1. W. 





Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 14./15. 5. August. 1922. 


Rechtsprechung. 

Abtrelbnngsversuch mit untauglichen Mitteln als Unzuverlässig- 
keltsgrund. Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungs¬ 
gerichts (III. Senats) vom 28. März 1919 — Hl. B. 25/19 — (Straf- 
rechtsz., Jahrg. 7, Sp. 251). 

Eine Hebamme zeigt sich unzuverlässig, wenn sie überhaupt auf Bitten 
um Gewährung von Abtreibungsmitteln eingeht, insbesondere wenn sie zwar 
selbst nicht die Absicht hat, eine Abtreibung vorzunehmen, aber dazu an sich 
ungeeignete Mittel verabreicht oder den die Abtreibung beabsichtigenden Per¬ 
sonen Handreichungen tut, die diese nach dem Verhalten der Hebamme als 
wirksam ansehen können und sollen (vgl. auch Gew. Arch. 8 S. 285 und 12, 642). 
Gleichzeitig liegt darin eine Täuschung der ihre Hilfe zum Zwecke der Ab¬ 
treibung in Anspruch nehmenden Personen und, wenn sie gegen Entgelt tätig 
wird, eine betrügerische Ausbeutung. Eine Hebamme, die dies tut, ist un¬ 
zuverlässig in Beziehung auf ihren Beruf. Werden also von einer Hebamme 
Abtreibungsmittel verlangt, so darf sie solche auch nicht zum Scheine oder um 
die Leute loszuwerden, abgeben, sondern sie muß die Bittsteller ohne weiteres 
abweisen und ihnen erklären, sich mit derartigen Dingen weder befassen zu 
dürfen, noch zu wollen. _ 


Versagung der Konzession zur Einrichtung nnd zum Betriebe einer 
Privatkrankenanstalt wegen Unzuverlässigkeit. Hierzu genügt nicht jede 
allgemeine Unzuverlässigkeit des Charakters, sondern nur eine solche, 
die einen Schluß anf die Art der Leitung oder Verwaltung der geplanten 
Anstalt znläßt. Entscheidung des Preuß. Oberverwaltungs¬ 
gerichts (III. Senat) vom 24. Februar 1921 (HI C. 18/20). 

Der Bezirksausschuß hatte dem Kläger, einem Arzt, die nachgesuchte 
Konzession zur Errichtung und zum Betriebe einer Privatkrankenanstalt in 
seinem Landhause versagt, und zwar wegen Unzuverlässigkeit. Diese letztere 
wurde darin gefunden, daß Kläger vor Stellung des Konzessionsantrages längere 
Zeit, mindestens */« Jahre lang, den bei ihm Bat und Behandlung nachsuchenden 
Kranken die Unterkunft in einem gegenüber liegenden Gasthause, wo regel¬ 
mäßig zwei Gasthauszimmer für Kranke bereit gehalten wurden, empfohlen und 
die Kranken dort behandelt, sogar in Eilfällen operiert habe, obwohl die Zimmer 
iu keiner Weise den Ansprüchen an Krankenräume genügten, besondere Ein¬ 
richtungen wie Bad und Aborte fehlten, die Zimmer auch zwischendurch an 
Gesunde vermietet, also Ansteckungsgefahren nicht ansgeschlossen gewesen 
seien. Ferner erblickte der Bezirksausschuß darin eine Unzuverlässigkeit des 
Klägers, daß er es unterlassen habe, den Gasthausbesitzer zur Einholung der 
Konzession zu bestimmen, obwohl es ihm hätte klar sein müssen, daß es sich 
um den Betrieb einer konzessionspflichtigen, aber nicht konzessionierten Kranken¬ 
anstalt handle. 

Das Oberverwaltungsgericht hielt die Sache nichtffür spruchreif und ver¬ 
wies die Sache an den Bezirksausschuß zurück. Nicht jede allgemeine Un¬ 
zuverlässigkeit des Charakters und nicht jede Verfehlung genügen,! um die 
Konzession zu versagen, sie tun es vielmehr nur dann ,% wenn sie einen Schluß 
auf die Art der Leitung oder Verwaltung der Anstalt),zulassen. Die Frage, 
ob bei Vorhandensein einer Notlage, die den Arzt etwa zwang, die fraglichen 
Bäume trotz angeblicher Ungeeigentheit und ohne eine Konzession zur Behand¬ 
lung seiner Patienten zu benutzen, noch eine Unzuverlässigkeit des Klägers in- 







66 


Medizinal geeetzgebung. 


bezog auf die Leitung oder Verwaltung seiner geplanten Anstalt aus der ihn 
zur Last gelegten Tatsache zu folgern sei, ist yom Bezirksausschuß nicht ge» 
würdigt. Wenn Kläger dabei geblieben ist, daß hier keine Privatkranken¬ 
anstalt vorlag, so kann, insbesondere bei der beschränkten Beteiligung an dem 
Unternehmen, wie sie von seiner Seite in Gestalt der bloßen Behandlung, in 
Notfällen der Operation seiner Kranken in den fraglichen Bäumen unstreitig 
nur stattgefunden hat, nach Lage der Sache kein besonderer Vorwurf aus der 
Unterlassung der Anregung der Konzessionserteilung gemacht werden. Ans 
allen diesen Gründen war die nicht spruchreife Sache an den Bezirksausschuß 
zurückzuverweisen. 


Polizeiliches Einschreiten gegen den Betrieb eines Musikautomaten 
wegen Gesundheitsstörung. Entscheidung des Preuß. Oberverwal¬ 
tungsgerichts (III. Senat) vom 10. Juni 1920 (III A. 21/19). 

Die Polizeidirektion von 0. hatte durch polizeilige Verfügung jegliches 
Spielen des Musikautomaten während der Dienststunden des im gleichen Hause 
untergebrachten städtischen Arbeitsnachweises von 8—1 und von 3—6 Uhr ver¬ 
boten, nachdem der Stadtarzt gutachtlich sich dahin geäußert hatte, daß durch 
die fragliche Musik nicht nur eine Belästigung und Störung, sondern auch eine 
Gesundheitsschädigung für die Angestellten des Arbeitsnachweises eintrete. 
Der Begierungspräsident wies die Beschwerde als verspätet und überdies sachlich 
unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage wegen Ver¬ 
säumnis der Frist ab. 


Verursachung eines mit einem erlaubten Gewerbetrieb verbundenen 
Lärmes kann den Tatbestand des § 360 Nr. 11 R.Str.G.B. erfüllen. Urteil 
des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9.März 1920. 

Ein über Fahrlässigkeitsverschulden hinausgellendes positives Bewußtsein 
der Ungebührlichkeit der Lärmerregung ist für die Bestrafung aus § 361, Nr. 11 
R.Str.G. B. nicht erforderlich. 

Durch von einem Wasserrade und einer Hobelmaschine ausgehende starke 
Geräusche waren die Bewohner der Nachbarhäuser fortgesetzt und jeweils in 
längerer Dauer in ihrer nächtlichen Buhe erheblich gestört; der Lärm war auch 
geeignet, die Allgemeinheit als solche zu belästigen. Die Strafkammer batte 
angenommen, daß der Angeklagte nicht im Zweifel sein konnte über die 
Wirkung seines Betriebes und daß er sich fortgesetzter Uebertretung des § 360, 
Nr. 11 B Str. G. B. (Erregung ruhestörenden Lärms ungebührlicher Weise) schuldig 
gemacht habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht trat der Strafkammer bei 
und verwarf die Revision. 


/ 


Medizinal-Gesetzgebung. 

Preußen. 

Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte. Zu dem Minicte- 
sterialerlaß vom 27. Dezember 1921*) ist von den beteiligten 
Ministern folgende Dienstanweisung für die Gewerbemedizinalräte unter dem 
19. April 1922 erlassen: 

§ 1. Die Gewerbemcdizinalräte sind Gewerbeanfsichtsbeamte im Sinne 
des § 139 b der Beichsgewerbeordnung und haben als solche sowohl das Recht 
der jederzeitigen Besichtigung aller der staatlichen Gewerbeaufsicht unter¬ 
stellten Betriebe ihres Amtsbezirks als auch die Pflicht zur Geheimhaltung der 
amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der 
ihrer Aufsicht unterliegenden Anlagen. 

Polizeiliche Anordnungs- und Strafbefugnisse besitzen die Gewerbe¬ 
medizinalräte nicht, doch haben sie bei Ausübung ihrer Amtstätigkeit in gleicher 
Weise wie die übrigen Gewerbeaufsichtsbeamten Anspruch auf die Unterstützung 
der Ort8polizeibebörden. 

Die Amtsbezirke und die dienstlichen Wohnsitze der Gewerbemedizinal¬ 
räte werden von dem Minister für Volkswohlfahrt im Einvernehmen mit dem 
Minister für Handel und Gewerbe und dem Finanzminister bestimmt. 


*) s. diese Zeitschr. 1922, Beil. 4, 8. 26. 



Medizinalgesetzgebung 


67 


§ 2. Die Gewerbemedizinalräte sind dem für ihren Amtssitz zuständigen 
Regierungspräsidenten (in Berlin: Polizeipräsidenten) nnd in höchster Instanz 
dem Minister für Volkswohlfahrt dienstlich unterstellt. Sie bearbeiten neben 
ihrer selbständigen Tätigkeit als Gewerbeaufsichtsbeamte die Angelegenheiten 
der Gewerbehygiene als Dezernenten in der für ihren Amtssitz zuständigen Re¬ 
gierung und zwar unter Mitwirkung der Regierungs- und Medizinalräte, sofern 
die Kreismedizinalräte beteiligt sind. Die Beteiligung der Kreismedizinalräte 
wird besonders geregelt. In ihrer selbständigen amtlichen Tätigkeit führen sie 
das ihnen verliehene Dienstsiegel. Amtliche Schriftstücke werden gezeichnet: 
„Der Gewerbemedizinalrat in.“ Die Gewerbemedizinalräte führen bei ihren 
Betriebsbesichtigungen den Nachweis ihrer amtlichen Eigenschaft durch Vor¬ 
zeigung einer ihnen von den örtlich zuständigen Regierungs- (Polizei-) Präsi¬ 
denten und Oberbergämtern auszustellenden Ausweiskarte. 

§ 3. Der Wirkungskreis der Gewerbemedizinalräte umfaßt: 

a) die Beratung und Unterstützung der Beamten der allgemeinen Gewerbeauf¬ 
sicht und der Bergaufsicht in gewerbehygienischen Fragen, 

b) die Vertiefung der Kenntnisse von krankhaften Veränderungen im Organismus 
der Arbeiter, die durch die gewerbliche Berufsarbeit bedingt sind und deren 
Vorbeugung und Beseitigung, 

c) d4n Ausbau allgemeiner gewerbehygienischer Aufgaben und Arbeitsgebiete 

Die Gewerbemedizinalräte haben die Beamten der allgemeinen Gewerbe- 
anfsicht und die Bergaufsichtsbeamteu bei der Durchführung der Arbeiterschutz- 
bestimmnngen, soweit gewerbehyaienische Fragen hierbei in Betracht kommen, 
zu unterstützen und zu beraten. Sie sollen dabei ihre Aufmerksamkeit namentlich 
der besonderen Fabrikhygiene (Umkleide-, Wasch- und Badceinricbtnngen, 
Bedürfnisanstalten, Reinhaltung und Entlüftung der Arbeitsräame, Beseitigung 
von Staub, Dämpfen und Gasen usw.) und der Fürsorge für erste Hilfe bei 
Unfä'len zuwenden. Weiter liegt ihnen ob die Mitwirkung bei der Zulassung 
und Ueberwacbung der zur Untersuchung der Arbeiter in gesundheitsschädlichen 
Betrieben berufenen Aerzte nnd bei der Unterbringung von Schwerbeschädigten. 
Sie können auch beteiligt werden bei Fragen der Wasser-, Luft- und Boden¬ 
verunreinigung und der Geräuschbelästigungen durch gewerbliche Betriebe. 

Zu den Aufgaben der Gewerbemedizinalräte gehört weiterhin die Bestä¬ 
tigung auf dem Gebiete der beruflichen Krankbeits- und Sterblichkeitsstatistik, 
sie werden im Einvernehmen mit den übrigen Gewerbeaufsichtsbeamten den 
Fabrikationsprozessen nnd den gewerblichen Erkrankungen nnd Vergiftungen 
in den Betrieben nacbgehen und in geeigneten Fällen die Arbeiterschaft ein¬ 
zelner Berufs- und Gewerbezweige systematisch, nötigenfalls unter Vornahme 
experimenteller Laboratoriumsarbeiten, zur Untersuchung ihres Gesundheitszu¬ 
standes bringen müssen; sie sollen auch bei der Feststellung der individuellen 
Eignung der Arbeiter und Angestellten sowie bei der Berufsberatung mitwirken. 
Die Gewerbemedizinalräte haben mit den Krankenkassen und Fabrikärzten 
Fühlung zu nehmen, mit den Orts- und Betriebskrankenkassen, mit den Standes¬ 
ämtern, Gemeindebehörden nnd mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereini¬ 
gungen in Verbindung zu treten sowie durch aufklärende Vorträge in den 
beteiligten Kreisen das Verständnis für die gewerbehygienischen Aufgaben nach 
Möglichkeit zu fördern. 

§ 4. Die Gewerbemedizinalräte haben die zuständigen Regierungs- und Ge¬ 
werberäte über alle von ihnen beabsichtigten Betriebsbesichtigungen zu unter¬ 
richten, damit diese die Beteiligung der Gewerberäte veranlassen und wegen ihrer 
eigenen Teilnahme Entschließung fassen können Von der beabsichtigten Be¬ 
sichtigung von Betrieben, die der Bergbehörde unterstehen, ist in gleicher Weise 
das zuständige Oberbergamt in Kenntnis zu setzen. Ist ausnahmsweise eine 
vorherige Benachrichtigung nicht möglich, so hat sie nachträglich zu geschehen. 
Die Vornahme der Besichtigung ist durch die Teilnahme des Gewcrbeaufsicbts- 
oder Bergaufsichtsbeamten nicht bedingt. Ueber besondere Erhebungen in den 
Betrieben ist eine vorherige Verständigung mit den Regierungs- und Gewerbe¬ 
räten, Regierungs- und Medizinalräten oder dem Oberbergamt herbeizuführen. 

§ 5. Finden die Gewerbemedizinalräte bei Besichtigungen, an denen der 
Gewerberat (Bergrevierbeamto) nicht teilnimmt, Gesetzwidrigkeiten oder Uebel- 
stände, so haben sie hiervon dem zuständigen Regierungs- und Gewerberat, dem 



88 


Medixinalgesetsgebug. 


Oberbergamt oder, wenn dies in besonderen Fällen erforderlich erscheint, dem 
Gewerbe rat oder Bergrevierbeamten unmittelbar Mitteilung zu machen. Selb¬ 
ständiger Anordnungen in den Betrieben haben sie sich zu enthalten, sofern es 
sich nicht um dringliche ärztliche Anordnungen handelt, die an Ort und Stelle 
Torznnehmen sind. In solchen Fällen ist der za ständige Gewerbeaufsichts- oder 
Bergrevierbeamte möglichst schnell unmittelbar zu verständigen. 

§ 6. Die Gewerbemedizinalräte haben über Ort, Zeit und Ergebnis sämt¬ 
licher Dienstreisen und Betriebsbesichtigungen ein Reise- und Revisionsnotizbuch 
zu führen und alle dienstlichen Schriftstücke einer nach behördlichen Gepflogen¬ 
heiten einzurichtenden Registratur einzuverleiben- 

§ 7. Werden die Gewerbemedizinalräte durch die Gerichte 1. als Sach¬ 
verständige, 2. al3 außerhalb des Wohnortes zu vernehmende Zeugen, 3. als Zeugen 
über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht* 
herangezo^en, so haben sie ihrer Vorgesetzten Dienstbehörde unter Angabe des 
Gegenstandes der Vernehmung und unter Darlegung der Gründe, welche etwa 
im Dienstinteresse die Vernehmung als unzulässig oder nachteilig erscheinen 
lassen, sofort Anzeige zu machen, damit die vorgetzte Behörde rechtzeitig, 
d. b. vor dem Termin, das ihr gesetzlich zustehende Einspruchsrecht wahren 
kann. Diese Anordnung erstreckt sich auch auf die Fälle, in denen die Be¬ 
amten durch einen Angeklagten unmittelbar vorgeladen werden sollten. 

§ 8. Die Ausübung von Privatpraxis und die Uebernahme von Neben¬ 
arbeiten gegen Vergütung irgendwelcher Art ist den Gewerbemedizinalräten 
untersagt. Auf Gutachten vor Gericht und vor den Spruchbehörden der Unfall¬ 
versicherung sowie auf wissenschaftliche Veröffentlichungen findet diese Be- 
stimmnng keine Anwendung. 

§ 9. Alljährlich haben die Gewerbemedizinalräte nach Maßgabe der 
darüber bestehenden besonderen Vorschriften einen das abgelaufene Kalender¬ 
jahr umfassenden Jahresbericht über ihre Tätigkeit zu erstatten, der bis zum 
1. März durch Vermittlung des Vorgesetzen Regierung- (Polizei-) Präsidenten 
in je einer Ausfertigung dem Minister für Volks Wohlfahrt und dem Minister 
für Handel und Gewerbe vorzulegen ist. 

§ 10. Der Erlaß weiterer und die Abänderung dieser, den Dienst der 
Gewerbemedizinalräte regelnden Bestimmungen bleibt Vorbehalten. 


/l 


f Ueberwachnng der Agabe von Heilmitteln seitens der Dentaldepots 
an Zahnärzte und Zahntechniker. Kunderlaß des Ministers für 
Volkswoulfahrt vom 18. April 1922 — I M. II 217 — an sämtliche 
Herren Regierungpräsidenten. 

Verschiedene Beobachtungen berechtigen zu der Annahme, daß die Vor¬ 
schriften über den Verkehr mit Arzneimitteln und insbesondere auch über den 


Verkehr mit den unter das Opiumgesetz vom 30. Dezeber 1920 fallenden Be¬ 
täubungsmitteln von den Dentaldepots nicht hinreichend beachtet werden. Die 
Abgabe von Arzneimitteln an Zahnärzte und Zahntechniker ist als Abgabe an 
Verbraucher anzusehen. Mithin kommen die im § 3 der Verordnung über den 
Verkehr mit Arzneimitteln vom 22. Oktober 1901 (Reichsgesetzbl. S. 380) für 
den Großhandel vorgesehenen Ausnahmebestimmungen bei den Dentaldepots 
nicht zur Anwendung. Es dürfen also z. B. Lösungen von Heilmitteln seitens 
der Dentaldepots an Zahnärzte und Zahntechniker nicht verkauft werden. Im 
Hinblick auf die Vorschriften über die Abgabe von starkwirkenden Arzneien 
dürfen weiter Zubereitungen, die z. B. Kokain enthalten, an Aerzte und Zahn¬ 
ärzte nur auf schriftliche Anweisung seitens der Apotheken abgegeben werden. 
Da aus den angegebenen Gründen eine Ueberwachung des Arzneimittelverkehrs 
in den Dentaldepots dringend geboten erscheint, ersuche ich ergebenst, anf die 

f esetzlichen Bestimmungen über den Arzneimittelverkehr hinzuweisen und 
eren Befolgung überwachen zu lassen. 


Verantwortlich fftr die 6chriftle!tnng: Geh. Med.-Rat Dr. So Ihrig, Reg.- a. Med.-Rat ln B ree lau, 
Breslau V, RehdlgerstraSe 84• Druck ron J. O. O. Brams, Mi nden L W. 



Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 16. 20. August. 1922. 


Medizinal - Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich 

Sicherung der ärztlichen Versorgung bei den Krankenkassen. Gesetz 

vom 20. April 1922. 

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung 
des Reichsrats hiermit verkündet wird: 

§ 1. Der Reichsarbeitsminister kann im .Falle eines Bedürfnisses Be¬ 
stimmungen darüber treffen, wie über die Vorschriften der §§ 370, 371 der 
Reichsversicherungsordnung und des § 10 des Reichsversorgungsgesetzes hinaus 
die Krankenkassen ermächtigt werden, statt der Krankenpflege oder sonst er¬ 
forderlichen ärztlichen Behandlung eine bare Leistung zu gewähren. Diese 
Bestimmungen sind dem Reichstag alsbald zur Kenntnis zu bringen und auf sein 
Verlangen anfzuheben. 

§ 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft. 


^ Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern ln 
^Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien. 

Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 20. April 1922. 

Auf Grund der §§ 120 e und 139 a der Gewerbeordnung und des Artikels 179 
Abs. 2 der Reichsverfassung wird mit Zustimmung des Reichsrats folgendes 
bestimmt: 

In Abänderung der Bekanntmachungen und Verordnungen betr. die Be¬ 
schäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten. Glas¬ 
schleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien, vom 9. März 1913'), vom 
22. August 1917, vom 5. November 1918, vom 23. Januar 1920 und vom 
28. Januar 1921 wird die Gültigkeitsdauer der Bestimmungen bis zum 1. April 
1923 verlängert. _ 


B. Preußen. 

J Außerkrafttreten der Abänderung des § 12 der Pollzeiverordnung 
'über den Handel mit Giften vom 22. Februar 1906. Polizeiverord¬ 
nung der Minister für Handel und Gewerbe und des Innern vom 
5. Oktober 1921. 

Auf Grund des § 136 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Landes¬ 
verwaltung vom 30. Juli 1883 (G. S. S. 195 ff.) wird verordnet: 

Die Polizeiverordnung, betreffend Abänderung des § 12 der Polizeiverord¬ 
nung über den Handel mit Giften vom 22. Februar 1906, vom 10. August 1917*) 
tritt mit dem Tage der Verkündung dieser Polizeiverordnnng außer Kraft. 

Befreiung von Anstaltsbehandlung der Krüppel. Runderlaß des 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 14. April 1922 — m E. 1485 — 
an die Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten. 

Auf Grund des § 11 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die öffentliche 
Krüppelfürsorge vom 6, Mai 1920*) Gesetzsammlung S. 280, verlängere ich 
über den 31. März 1922 hinaus bis zum 31. März 1923 die den nach¬ 
stehend angeführten Landarmenverbänden bisher gewährten Befreiungen 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1913, Beil. Rechtspr. S. 84. 
*) Siehe diese Zeitschift, 1917, Beil. S. 119. 

*) Siehe diese Zeitschrift, 1920, Beil. S. 86. 




70 


Meriiainalgesetzgebiing. 


von der Verpflichtung zur Anstaltsunterbringung der Krüppel mit der Ma߬ 
gabe, daß diejenigen Krüppel erforderlichenfalls in Anstaltbehandlung zu 
nehmen sind, welche bis zum 31. März 1923 ihr 6. Lebensjahr vollendet oder 
ihr 14. Lebensjahr nicht überschritten haben werden. Diejenigen Krüppel, denen 
gegenüber nach den bisherigen Bestimmungen eine Behandlungspflicht bestand, 
sind weiter zu behandeln, auch wenn sie das vierzehnte Lebensjahr inzwischen 
überschritten haben. Die Befreiung wird folgenden Landarmenverbänden erteilt: 
1. Westpreußen (hinsichtlich der preußischen Teile), 2. Pommern, 3. Brandenburg, 
4. Schleswig-Holstein, 5. Sachsen, 6. Schlesien (für die Provinz Nieder- und 
Oberschlesien), 7. Westfalen, 8. Hessen, 9. Nassau. 

Ich erwarte, daß auch bei Krüppeln, denen gegenüber nach der vor¬ 
stehenden Befreiung eine Behandlungspflicht der Landarmenverbände nicht be¬ 
steht, namentlich in Fällen, wo das jugendliche Alter des Krüppels die Be¬ 
handlung besonders begünstigt, diese ausgeführt wird, wie dies z. B. von dem 
Landarmenverband Schlesien in dankenswerter Weise schon geschieht. 

Ob und in welchem Umfange staatliche Mittel im Rechnungsjahr 1922 
verfügbar werden, wird sich aus den kommenden Beratungen über den Staats¬ 
haushalt, insbesondere den Haushalt meines Ministeriums ergeben. 


>^rl 

X 258 


Hübe der von den Privaten zu erstattenden Schreibgebühren. Run d - 
rlaß des Ministers fürVokBWohlfahrt vom 11. Mai 1922 — A. 3. 
258 — an die nachgeordneten Dienststellen. 

In Abänderung des Runderlasses vom 31. März d. Js. A. 3. Nr. 175 wird 
bestimmt, daß für die auf Kosten von Privaten angefertigten Schreibarbeiten 
an Stelle des bisherigen Satzes von jetzt ab fünf Mark für die Seite zu er¬ 
heben sind. 


Al 

S an 


Benutzung von Lysol durch die Hebammen. Runderlaß des 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 12. Mai 1922 — I.M. 11.3130/21 — 
an die Herren Regierungspräsidenten. 

Von verschiedenen Seiten ist bei mir unter Hinweis auf die namentlich 
während des Krieges öfters festgestellte minderwertige Beschaffenheit der 
Kresolscifenpräparate angeregt worden, den Hebammen zu gestatten, bei Aus¬ 
übung ihres Berufes an Stelle der durch das Hebammenlehrbuch vorgeschriebenen 
Kresolseife das nach Ansicht mancher Sachverständigen wirksamere Lysol zu 
verwenden. Obwohl die besonders infolge Fettmangels bei der Herstellung der 
Kresolseife eingetretenen Mißstände in der Hauptsache jetzt behoben sind, will 
ich doch nach eingehender Prüfung der Sachlage jener Anregung stattgeben, 
da das Lysol ebenfalls eine Kresolseife ist, die in ihrer Zusammensetzung und 
Wirkung der Arzneibuchware im wesentlichen entspricht. 

Ich erkläre mich deshalb ausdrücklich damit einverstanden, daß die 
Hebammen künftig neben der ihnen durch die §§ 113 Ziffer 5, 116 und 194 
Ziffer 10 des Hebammenlehrbuchcs sowie durch den § 20 der Hebammendienst¬ 
anweisung vorgeschriebenen Kresolseife auch Lysol benutzen dürfen. Für die 
Zubereitung der unter Verwendung von Lysol herzustellenden Kresolseifen- 
lösungen bleiben die bisherigen Vorschriften des Hebammenlehrbuches unver¬ 
ändert in Geltung. 

Ich ersuche die Kreisärzte anzuweisen, die Hebammen hierüber ent¬ 
sprechend zu unterrichten. 

Erlaubnis zum Gebrauch des Roten Kreuzes. Runderlaß des 
Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Mai 1922 — III. G. 647 — 
an die Herren Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten. 

Nach § 1 des Gesetzes zum Schutze des Genfer Neutralitätszeichens vom 
22. März 1902 — Reichsgesetzbl. S. 125 — dürfen das in der Genfer Konvention 
zum Ncutralitätszeichen erklärte Rote Kreuz auf weißem Grunde sowie die 
Worte „Rotes Kreuz“ unbeschadet der Verwendung für Zwecke des militärischen 
Sanitätsdienstes zu geschäftlichen Zwecken sowie zur Bezeichnung von Vereinen 
oder Gesellschaften oder zur Kennzeichnung ihrer Tätigkeit nur auf Grund be¬ 
hördlicher Erlaubnis gebraucht werden. Für diese Erlaubnis, die mit Wirkung 
für das Reichsgebiet nur von den Landeszentralbehörden erteilt werden kann, 
waren bisher die in der Bekanntmachung des Reichskanzlers, betreffend die 



Medizinalgesetzgebung 


71 


Grundsätze für die Erteilung der Erlaubnis zum Gebrauch des Roteti Kreuzes 
vom 7. Mai 1903 — Reichsgesetzbl. S. 215 —, niedergelegten Grundsätze des 
Bundesrats maßgebend. Die genannte Bekanntmachung bestimmt unter Ziffer 1 
folgendes: 

Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich 
der Ritterorden sowie der geistlichen Orden und Kongregationen zu erteilen, 
welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und durch eine 
Bescheinigung des zuständigen Kriegsministeriums nachweisen, daß sie für den 
Kriegsfall zur Unterstützung des militärischen Sanitätsdienstes zugelassen sind. 

In Ergänzung hierzu wird in Ziffer 4 der Dienstvorschrift für die frei¬ 
willige Krankenpflege vom 12. März 1907 vorgeschrieben, daß die Zulassung 
zur Unterstützung des Kriegssanitätsdienstes in der Regel durch den Kom¬ 
missar und Militär-Inspekteur der freiwilligen Krankenpflege nachzusuchen ist. 

Diese Bestimmungen können gegenüber den Artikeln 177 und 178 des 
Vertrages von Versailles, nach denen Vereine, Gesellschaften und dergleichen 
in keinerlei Verbindung mit dem Kriegsministerium oder irdeiner anderen mili¬ 
tärischen Behörde stehen dürfen, und ferner als auf eine Mobilmachung ab- 
ziclende Maßnahme untersagt sind, nicht länger aufrechterhalten werden. 
Andererseits kann bei inneren Unruhen und bei öffentlichen Notständen auf die 
Unterstützung de» Heeressanitätsdienstes durch die Vereinigung der freiwilligen 
Krankenpflege nicht verzichtet werden. Auch muß Deutschland in der Lage 
bleiben, bei internationalen Hilfsexpeditionen mit Hilfe der Roten Kreuzverbände 
mit Personal oder Material helfend mitwirken zu können. 

Unter Zustimmung sämtlicher Landesregierungen soll daher die Ziffer 1 
der vorerwähnten Bekanntmachung des Reichskanzlers künftig folgende Fassung 
erhalten: 

Die Erlaubnis ist denjenigen Vereinen oder Gesellschaften einschließlich 
der Ritterorden sowie der geistlichen Orden und Kongregationen zu er¬ 
teilen, welche sich im Deutschen Reiche der Krankenpflege widmen und 
durch eine Bescheinigung des Reichsministcriums des Innern nachweisen, 
daß sie zur Unterstützung des amtllichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen 
Notständen und bei inneren Unruhen zugelassen sind. 

Die Ausstellung der entsprechenden Bescheinigung erfolgt daher auch 
nicht mehr durch den Herrn Reichswehrminister, sondern durch den Herrn Reichs¬ 
minister des Innern. Desgleichen ist auch mit Wirkung vom 1. Oktober 1921 
ab die Oberleitung der freiwilligen Krankenpflege (früherer Reichskommissar 
und Militär-Inspekteur der freiwilligen Krankenpflege) dem Reichsministerium 
des Innern angegliedert worden. 

Ich ersuche daher, dafür zu sorgen, daß etwaige Gesuche um Erteilung 
der fraglichen Bescheinigung nicht unmittelbar, sondern durch meine Vermitt¬ 
lung zur Vorlage gebracht werden. 

Die Entscheidung darüber, ob ein Verein oder eine Gesellschaft zur 
Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes bei öffentlichen Notständen und 
bei inneren Unruhen zuzulassen ist, wird von der Erfüllung der nachstehenden 
Bedingungen abhängig gemacht werden: 

1. Die in Betracht kommende Vereinigung hat sich zu verpflichten, im Be¬ 
darfsfälle zur Unterstützung des amtlichen Sanitätsdienstes mindestens die 
Hälfte ihres Personals zur Verfügung zu stellen und den Gesamtpersonal¬ 
bestand zum 1. Januar jeden Jahres dem Herrn Reichsminister des Innern 
zu melden; 

2. die Vereinigung mnß mindestens zehn Mitglieder haben, satzungsgemäß 
von einem Vorstand geleitet und nach dem Urteil der zuständigen Orts¬ 
polizeibehörde und des zuständigen beamteten Arztes in bezug auf Ver¬ 
halten und Geschäftsgebahren einwandfrei sein; 

3. die Satzung der Vereinigung muß gewährleisten, daß als Mitglieder nur 
unbescholtene Persönlichkeiten aufgenommen werden; 

4. das Personal muß körperlich leistungsfähig sein und sich über die er¬ 
forderliche technische Vorbildung im Sanitätsdienst ausweisen können, und 
zwar Pfleger und Pflegerinnen durch mindestens einjährige Pflegetätigkeit 
in einem Krankenhaus sowie durch Ablegung einer besonderen Prüfung; 

5 . die Vereinigung hat sich zu verpflichten, für die Erhaltung der prak¬ 
tischen Kenntnisse des zur Verfügung gestellten Pflegepersonals durch 



72 


Medizinalgeaetzgebung. 


Abhaltung von Wiederbolnngskursen in höchstens dreijährigen Zwischen 
räumen oder in anderer Weise Sorge zu tragen; 

6. die Vereinigung muß gewillt und imstande sein, für das zur Verfügung 
gestellte Personal die für die freiwillige Krankenpflege vorgeschriebene 
Dienstkleidung zu stellen. 


U Tagegelder für Dienstreisen der Staatsbeamten und Erweiterung 
mer Liste der besonders teuren Orte im Sinne der Vorschriften Aber die 
Bewährung von Dienstreisetagegeldern, Beschäftigungsgeldern and Woh¬ 
nungsbeihilfen. Runderlaß des Finanzministers vom 15.Mai 1922 — 
an die nachgeordneten Behörden. 

I. In Aenderung der Runderlasse vom 5 April 1921 ‘) — F. 31. Bl. Ö. 216 — 
und vom 19. November 1921 — F. M. Bl. S. 539 — genehmigen wir auf Grund 
des § 8 Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910 bezw. des § 8 Abs. 2 
der Reisekostenverordnung für Angehörige der Landjägerei vom 9. August 1913 
für den Bereich der allgemeinen Kreiskassen-, Kataster- und Hochbauverwaltung 
sowie der inneren Verwaltung einschließlich der staatlichen Polizeiverwaltungen, 
der Landjägerei und der Schutzpolizei, daß mit Wirkung vom 1. April 1922 
ab den Staatsbeamten bei Dienstreisen an Stelle der bisherigen Entschädigungen 
besondere Zuschläge zu den gesetzmäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die 
mit den Tagegeldern zusammen folgende Beträge nicht überschreiten dürfen ; 


Tagegeld¬ 

stufe 


bei Dien 

streisen 


nach nicht teuren Orten 

nach besonders teuren Orten 

mehrtägig 

UL 

eintägig 

UL 

mehrtägig 

UL 

eintägig 

UL 

I 

80 

35 

110 

50 

11 

90 

40 

120 

60 

111 

100 

45 

140 

80 

IV 

120 

55 

160 

100 

V 

140 

65 

180 

i 

120 


Als besonders teure Orte im Sinne der bisherigen Vorschriften sind be¬ 
züglich der 

a) Dienstreisetagstagegelder, 

b) Beschäftigungsgelder (vergl. Ziffer 8 Abs. 1 der Rundverfügung vom 
20. Juni 1921 — F. M. Bl. S. 278 — in der Fassung der Rundverfügung 
vom 14. Februar 1922 — F.M.B1. S. 85), 

c) Kommandozulagen für Landjägereibeamte (vergl. Rundverfügung des Mi¬ 
nisters des Innern vom 16. Februar 1922 — G. 1.144 —, M. Bl. f. d. i. V. 
8. 184), 

d) Wohnungsbeihilfen (vergl. Ziffer 18 der Rundverfügung vom 28. Februar 
1922 — F. M. Bl. S. 93), 

mit Wirkung vom 1. April 1922 ab anzusehen: 

Aachen, Altona, Berlin, (vergl. Gesetz vom 27. April 1920 — Ges. S. S. 123) 
Bremen. Breslau, Chemnitz, Coblenz, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Duisburg, 
Essen, Flensburg, Frankfurt a. M., Fürth, Hamburg, Hannover, Kiel, Köln, 
Königsberg i. Pr., Konstanz, Leipzig, Ludwigshafen, Magdeburg, Mainz, 
Mannheim, München, Oppeln, Stettin, Trier und Wiesbaden, die zur Ortsklasse A 
gehörigen Nordseeinscln, sowie ferner alle übrigen nach dem Ortsklassen¬ 
verzeichnis zur Ortsklasse A gehörigen Orte mit mehr als 100 000 Einwohnern. 
Maßgebend für die Einwohnerzahl ist das Ergebnis der letzten amtlichen 
Volkszählung. 

II. Im übrigen tritt an den bisherigen Grundsätzen der Abfindung der 
Beamten bei Dienstreisen keine Aenderung ein. 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1921, Beil. S. 61. 


Verantwortlich für die Schriftleitnng: Oeh.Med.-Bat Or. So Ihrig, Reg.- n. Med.-Rat in BreaUo, 
BreiUo V, Rehdlgentraße 34. Druck tob J. C. 0. Brun*, Minden i. W. 












Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 17. 5. September. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich 

Abgabe von ({uellstiften In Apotheken. Weitere Bekanntmachungen 
und Verordnungen im wesentlichen gleichen Inhalts wie in Preußen*) sind er¬ 
lassen in 

Bayern unter dem 24. Februar 1922 (Verordnung des Ges.Ministeriums), 
Sachsen durch Verordnung des Ministeriums des Innern vom 21 Jan. 1922, 
Baden durch Verordnung des Ministeriums des Innern vom 21. Febr. 1922, 
Hessen (Verordnung vom 19. Januar 1922), 

Hamburg (22. Februar 1922), Mecklenburg-Schwerin (6. Juni 
1922), Oldenburg, Landestoil Birkenfeld (9. Januar 1922), Bremen (24.Fe¬ 
bruar 1922), ferner: Anhalt, Lippe, Waldeck, Schaumburg-Lippe. 


^ Beschäftigung von Arbeiterinnen and jugendlichen Arbeitern ln 
Wale* und Hammerwerken. Verordnung des Reichsarbeitsministers 
vom 2. Juni 1922. 

Auf Grund des § 189 a der Gewerbeordnung und des Artikels 179 Abs. 2 
der Reichsverfassung wird mit Zustimmung des Reichsrats folgendes verordnet: 

Die Giltigkeitsdauer der Bestimmungen über die Beschäftigung von 
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Walz- und Hammerwerken (Ziffer I 
bis V der Bekanntmachung vom 20. Mai 1912 — Reichsgesetzbl. S. 311 —) 
wird bis zum 1. Juni 1928 mit der Maßgabe verlängert, daß sich die Dauer 
der Arbeitszeit und der Pausen nach den Vorschriften der Anordnung über 
die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918 
(Reichsgesetzbl. S. 1334)/17. Dezember 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1486) richtet. 


B. Preußen. 

Erhöhung der GebHhren für die staatliche Prfifnng von Wohlfahrts- 
Pflegerinnen. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
27. April 1922 — m G. I M. 131 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Mit Rücksicht auf die fortschreitende Geldentwertung setze ich unter 
entsprechender Abänderung der Bestimmung im § 6 der Vorschriften über die 
staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom 22. Oktober 1920 den Betrag 
der für die Prüfung zu entrichtenden Gebühren auf 100 Mark fest. 

Die Erhöhung tritt mit dem Tage der Veröffentlichung dieses Erlasses 
in der „VolksWohlfahrt“ in Kraft. 

Die in Betracht kommenden Wohlfahrtsschulen sind durch die zuständigen 
Herren Regierungspräsidenten zu benachrichtigen. 


Vergütung für Massenimpfungon. Runderlaß des Ministers für 
Volkswohlfahrt vom 16.Mail922 — IM. III Nr. 1073 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

In Abänderung meiner Verfügung vom 4. März 1921 — I. M. HL Nr. 61 — 
Volkswohlfahrt, Seite 160 —, wird für Massenimpfungen im Sinne der Erlasse 
vom 2. Juni 1917 und 8. Juni 1920 — M. 12132, I. M. HI. 1229/20 - Minist.- 
Blatt für Medizinalangelegenheiten 1917, Seite 226, Volkswohlfahrt 1920, 
Seite 124 —, im Hinblick auf die inzwischen weiter eingetretene Teuerung eine 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1922, Beil. 7, S. 40. 




74 


Medizinalgesetxgebung. 


Erhöhung der bisherigen Vergütung yon 2H. anf 6 M. für jede geimpfte Per¬ 
son (mindestens jedoch insgesamt 125 M. für einen Termin) ab angemessen 
erachtet. Für Fahrten über Land sind die Fnhrkosten besonders zu erstatten. 


Teuerungszuschlag zu den Sätzen der Gebührenordnung für Aerzte 
und Zahnärzte Tom 15. März 1922 and Abänderung einiger Bestimmungen 
dieser Gebührenordnung. Bekanntmachung des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt vom 20. Juli 1922. 

1. Vom 1. Juli 1922 tritt zu den Sätzen der Gebührenordnung (II A u. B 
sowie III) ein Teuerungszuschlag von 45 v. H. 

2. Abs. 2 des § 13 erhält folgende Fassung: 

In jedem Vierteljahr wird durch einen Ausschuß geprüft, ob die Gebühren¬ 
sätze dem jeweiligen Teuerungsstand entsprechen. Der Ausschuß setzt sich 
zusammen aus einem vom Minister zu bestimmenden Vorsitzenden, aus 4 von 
den großen Hauptverbänden zu benennenden Vertretern der Reicbsversicherungs- 
träger (darunter 2 Vertreter der Krankenkassen) und einem vom Minister zu 
bestimmenden fünften Mitglied einerseits, ferner aus 5 von dem Aerztekammer- 
ausschuß für Preußen zu benennenden Aerzten, soweit die Gebühren für Aerzte, 
und 5 von der Preußischen Zahnärztekammer zu benennenden Zahnärzten, soweit 
die Gebühren für Zahnärzte in Betracht kommen, andererseits. 

3. Die übrigen Abänderungen beziehen sich lediglich auf Gebühren für 
zahnärztliche Verrichtungen, von deren Abdruck hier abgesehen wird. 



Staatliche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen 
Instituten. Erlaß des Ministers fürVokswohlfahrt vom 19. Apri 1 
1922 an die Herren Regierungspräsidenten. 

Sofern ein Prüfungsausschuß gemäß § 3 der Vorschriften für die staat¬ 
liche Prüfung von technischen Assistentinnen an medizinischen Instituten vom 
26. August 1921 *) nicht gebildet werden kann, ersuche ich die Prüfung von 
Bewerberinnen von dem Regierungs- und Medizinalrat oder seinem Vertreter 
und zwei Fachmännern vornehmen zu lassen, deren Wahl ihnen überlassen bleibt 
und von denen einer der Direktor des zuständigen Medizinaluntersuchungsamts 
sein kann. 

ln gleicher Weise ist der fehlende Prüfungsausschuß bei der Prüfung 
der Anträge auf Erteilung der staatlichen Anerkennung ohne vorherige Prüfung 
(§ 19, Abs. 4 a. a. 0.) zu ersetzen_ 


r Staatliche Anerkennung von Wbhlfabrtspflegerlnnen In der Geber« 
gangszeit. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 27. Ap ril 
1922 an die Herren Regierungspräsidenten. 

Diejenigen Herren Regierungspräsidenten, in deren Bezirken sich Staat« 
lieh anerkannte Wohlfahrtsschulen und Wohlfahrtsschulen mit staatlich an¬ 
erkanntem Prüfungsausschuß befinden, ermächtige ich unter entsprechender 
Abänderung der Bestimmung in § 19 Abs. 2 der Vorschriften über die staat¬ 
liche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom 22. Oktober 1920*), über Anträge 
von Wohlfanrtspflegerinnen auf Erteilung der staatlichen Anerkennung gemäß 
dem für die Uebergangszeit erlassenen Ausnabmevorschriften nach Anhörung 
des betreffenden Prüfungsausschusses selbständig zu entscheiden, wenn die Aus¬ 
bildung der Bewerberinnen den im § 19 Abs. 1 der genannten Vorschriften ge¬ 
stellten Anforderungen in jeder Weise entspricht. 

Bezüglich der zweifelhaften Fälle und der abzulehnenden Gesuche ver¬ 
bleibt es bei der bisherigen Uebung. 


Schulwissenschaftliche Vorbildung der Wohlfahrtspllegerinnen. Rund¬ 
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt und desMinisters für 
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 31. Mai 1922 — 
III. G. 509/22. I. M. ü. III. B. 10 773 M. f. W. K. u. V. — an die Herren Re¬ 
gierungspräsidenten und die Provinzialschulkollegien. 

Die staatlich anerkannten Wohlfahrtsschulen haben künftig vor jeder 
Aufnahme einer Schülerin dem zuständigen Provinzialschulkollegium durch Ver- 


*) 8. diese Zeitschrift 1921, Beilage 8.18. 



Medizinalgesetzgebung. 


76 


mittlung des Herrn Regierungspräsidenten unter Beifügung der in § 4, Ziffer 4 
der Vorschriften über die staatliche Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen vom 
22. Oktober 1920 vorgeschriebenen Nachweise über die schulwissensch&ftliche 
Vorbildung der Bewerberin Anzeige zu machen, damit das Provinzialschul¬ 
kollegium die schul wissenschaftliche Vorbildung der Schülerinnen 
nachprüfen und feststellen kann. 

Dieser Erlaß findet auch auf die zurzeit die staatlich anerkannten Wohl¬ 
fahrtsschulen schon besuchenden Bewerberinnen insoweit Anwendung, als eine 
Nachprüfung ihrer schulwissenschaftlichen Vorbildung durch das Provinzial¬ 
schulkollegium bisher nicht stattgefunden hat. 

Die Vorsitzenden der Prüfungsausschüsse ersuche ich, bei der Prüfung 
der Zulassungsgesuche darauf zu achten, daß den Bestimmungen dieses Er¬ 
lasses Rechnung getragen worden ist. 


C. Württemberg. 

Bekämpfung der Tuberkulose. Erlaß des Ministeriums de* 
Innern vom 20. Januar 1922. 

Schon in dem Erlaß vom 19. November 1904 und insbesondere in dem 
Erlaß vom 10. Juli 1909*) hat das Ministerium des Innern auf den unbefriedigenden 
Stand der Maßnahmen zur Verhütung der Tuberkulose hingewiesen und zn 
deren Bekämpfung aufgefordert. Die seither unternommenen Schritte haben 
zu einem allmählichen Sinken der Tuberkulosesterblichkeit bis zum Jahre 1914 
geführt. Während des Krieges ist diese jedoch erheblich in die Höhe gegangen, 
nnd wenn sie jetzt auch wieder abzunehmen beginnt, so ist doch kein Zweifel 
darüber, daß die Zahl der Erkrankungen an Tuberkulose erheblich zugenommen 
hat. Bei dem chronischen Verlauf der Krankheit ist eine Steigerung der Sterb¬ 
lichkeit in den kommenden Jahren in ziemlich sichere Aussicht zu nehmen. 

Nun hat im Laufe der vergangenen Jahre die wissenschaftliche Auf¬ 
fassung über das Zustandekommen der Lungentuberkulose sich dahin ge¬ 
ändert, daß nicht nur die Erwachsenen, wovon die früheren Erlasse ansgingen, 
hauptsächlich gegen die Ansteckung zn schützen sind, sondern daß die An¬ 
steckung fast bei der Mehrzahl der Fälle schon in früher Jugend erfolgt. Die 
Untersuchungen nach der Pirquetschen Methode — Hautimpfung mit Tuber¬ 
kulin — haben gezeigt, daß in Württemberg etwa ein Drittel aller Kinder 
schon in den ersten zehn Lebensjahren mit Tuberkelbazillen behaftet und tuber¬ 
kulosekrank ist. Von diesem Drittel, meist an innerer oder äußerer Drüsen¬ 
oder an Knochentuberkulose Erkrankten, können aber wenigstens drei Viertel 
geheilt und bei ihnen der spätere Ausbruch der Lungenschwindsucht verhütet 
werden, wenn die Krankheit rechtzeitig erkannt und einer zweckmäßigen Be¬ 
handlung zugeführt wird. Diese wichtige Aufgabe bei der Bekämpfung der 
Tuberkulose sollten neben der in dem Ministerialerlaß vom 10. Juli 1909 ge¬ 
forderten Fürsorge für frisch erkrankte Lungentuberkulose und für vorgeschrittene 
offene Tuberkulöse die Fürsorgestellen, die dazu fast allein befähigt sind, mit 
Nachdruck übernehmen. 

Da jedoch in wenigen Bezirken Fürsorgestellen errichtet sind, ergeht an 
die Oberämter nnd Oberamtsärzte hiermit die Weisung, eindringlichst darauf 
hinzuwirken, daß in jedem Bezirk wenigstens eine Tuberkulosefürsorgestelle 
errichtet wird, zu deren Einrichtung und Betrieb einen nennenswerter Staats¬ 
beitrag — durchschnittlich für den Bezirk etwa 10 000 M. in Aussicht gestellt 
werden kann. Um den Tuberkulosefürsorgestellen einen gesicherten Rückhalt 
zu geben, empfiehlt es sich, sie als eine Einrichtung der Amtskörperscnaft aus¬ 
zugestalten. Dabei kann jedoch dieser anheimgestellt bleiben, den Betrieb als 
einen selbständigen Eigenbetrieb auszugestalten pder ihn einem anderen Eigen¬ 
betrieb der Amtskörperschaft anzuschfießen oder ihn einem Verein oder einer 
städtischen Stelle zu überweisen, denn die Einrichtung der Tuberkulosefürsorge¬ 
stelle soll sich in den einzelnen Bezirken nach den bestehenden örtlichen Verhält¬ 
nissen richten. Im übrigen wird auf die nachfolgenden Richtlinien hingewiesen. 

Die Gesuche um Beiträge sind mit einem Bericht über die Tätigkeit der 
Tuberkulosefürsorgestellen des Bezirks alljährlich auf 1. Juli an das Ministerium 
des Innern einzureichen. 


*) Siehe diese Zeischrift, 1909, Beil. Rechtsprechung S. 180. 



76 


Medizin algesetzgebung. 


Dem vorstehenden, an die Oberämter and die Oberamtsärzte gerichteten 
Erlaß sind beigefügt: Richtlinien für die Einrichtung and den Betrieb von 
Tuberkalosefürsorgestellen and Ratschläge für Aerzte zur Erkennung und Be¬ 
handlung der Tuberkulose. Letztere enthalten eine Anleitung zur Erkennung 
und Behandlung der Bronchialdrüsen- und Lungentuberkulose bei Kindern 
(Diagnostik, Differentialdiagnostik, Verhütung, Behandlung) und eine Anleitung 
zur Erkennung und Behandlung der Lungentuberkulose bei Erwachsenen * 
(Diagnostik, Differentialdiagnostik, Ausdehnung und Form der Lungentuberku¬ 
lose, Grundsätze für die Versorgung der Kranken, Behandlung). 


Staatliche Prüfung von Kranken pffegepersonen. Bekanntmachung 
des Ministeriums des Innern vom 15. April 1922. 

Die Bekanntmachung des Ministeriums des Innern, betreffend die staat¬ 
liche Prüfung von Krankenpflegepersonen vom 23. Dezember 1908*) wird 
folgendermaßen geändert: 

I. § 7 Absatz 1 erhält die Fassung: 

„Die Gebühren für die Prüfung ausschließlich der Kosten für Verpflegung 
(§ 10 Abs. 2) betragen 60 M. und sind vor Beginn der Prüfung zu entrichten.“ 

II. § 16 erhält die Fassung: 

„Jeder Prüfende faßt sein Urteil über die Fähigkeit, Kenntnisse und 
Fertigkeiten der Geprüften zusammen unter ausschließlicher Verwendung der 
Zeugnisse „sehr gut“ (1), „gut“ (2), „befriedigend“ (3), „ungenügend“ (4) und 
„schlecht“ (5). Wer das Gesamtzeugnis ungenügend erhält, hat die Prüfung 
nicht bestanden. Ueber das Gesamtzeugnis entscheidet der Prüfungsausschuß 
mit Stimmenmehrheit.“ 

III. § 20 erhält die Fassung: 

„Ausnahmsweise kann Personen, die an einem Krankenpflegelehrgang von 
ausreichender Dauer teilgenommen haben und durch ein Zeugnis des zustän¬ 
digen beamteten Arztes oder Krankenhausarztes oder des Leiters einer vom 
Staat anerkannten geistlicheu oder weltlichen Krankenpflegegenossenschaft nach- 
weisen, daß sie mindestens 5 Jahre lang als Privatpfleger oder im Anstalts¬ 
oder Gemeindedienst Krankenpflege in befriedigender Weise ausgeüht und sich 
während dieser Zeit gründlich fortgebildet haben, die staatliche Anerkennung 
als Krankenpflegeperson ohne Prüfung erteilt werden, wenn sie bis spätestens 
30. September 1922 einen dahin gehenden Antrag beim Ministerium des Innern 
stellen und der gutachtlich gehörte Prüfungsausschuß sich dafür ausspricht.“ 


D. Hamburg. 

Prüfung von Zahntechnikern. Verordnung der Gesundheits¬ 
behörde in Hamburg vom ö.April 1922. 

Die Gesundheitsbehörde in Hamburg hat unter dem 5. April 1922 eine 
Verordnung betr. Prüfung von Zahntechnikern auf Grund Ziffer 1, Abs. e der 
hamburgischen Ausführungsbestimmungen vom 29. Dezember 1919, 20. März 1922 
zu § 123 der Reichsversicherungsordnung zwecks Zulassung zur Behandlung 
von Krankenkassenmitgliedern erlassen, die sich fast völlig, in den Hauptpunkten 
wörtlich, mit den für Preußen erlassenen Vorschriften (s. diese Zeitschrift 1920, 
Beilage S. 149 ff.) decken. Abweichend hiervon ist folgendes: 

Der Prüfungsausschuß hat unter seinen Mitgliedern nur einen Zahn¬ 
techniker (in Preußen zwei)); die Prüfungsgebühr beträgt 300 M. (in Preußen 
150 M.), wozu noch 50 M. (in Preußen 30 M.) für Benutzung von Instru¬ 
menten pp. kommen. _ 


Gebühren der Medlzinalpersoncn. Der Senat bestimmt unter dem 
34. Juli 1922, daß zu den Gebührensätzen der Gebührenordnung für 
Medizinalpersonen als Sachverständige bis auf weiteres ein Zuschlag von 
50 vom Hundert tritt. 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1909, Beil. Rechtspr. S. 24. 


Yfln&twortttoh fltr die Schriftlei tun#: Geh. Med.-Rat Dr. Solbrlg, Reg.- u. Med.-Rat in Breslau 
Breslau V, Reh (Uferstraße — Druck von J. C. C. Bruns, Minden 1. W. 










78 


Medizmalgesetzgebong. 


Prüfling Ton Impfstoffen nnd Sera. Randerlaß des Ministers 
für Volkswohlfahrt vom 16. Mai 1922 — I.M. DI. 936 IV — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

Znr Begegnung etwa entgegengesetzter Auffassungen mache ich darauf 
aufmerksam, daß die Bestimmungen und Vorschriften, nach denen bestimmte 
Impfstoffe und Sera der staatlichen Aufsicht und Prüfung unterliegen, sowohl 
für Präparate, die im Inland zu Ausfubrzwccken hergestellt werden, als auch 
für die entsprechenden aus dem Ausland zur Einführung gelangenden Präparate 
Gültigkeit haben, da sie ganz allgemein dahin gehen, daß die der staatlichen 
Aufsicht und Prüfung unterworfenen Präparate nicht in den Handel und Ver¬ 
kehr gebracht und nicht feilgehalten und verkauft werden dürfen, bevor sie 
nicht der staatlichen Prüfung unterworfen und für brauchbar befunden bezw. 
zum Verkauf zagelassen sind. 

8ollten also aus dem Ausland eingeführte ungeprüfte Impfstoffe und 
Sera im Verkehr sein, für die im Inlande eine staatliche Prüfung vorgeschrieben 
ist, so ersuche ich ergebenst, auf etwa derartige Vorkommnisse zu achten 
und für deren Abstellung in geeigneter Weise event. nach Benehmen mit dem 
Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. zu sorgen, gegebenen¬ 
falls hierher zu berichten. 


Hitzemerkblatt und andere Aufklärungsblätter für die Bekämpfung 
der Säuglingssterblichkeit. Runderlaß des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt vom 16. Mai 1922 — I.M. IV. 1070 — an die Herren Re¬ 
gierungspräsidenten. 

Mit Rücksicht auf die beginnende wärmere Jahreszeit mache ich, wie im 
vorigen Jahr auf das von der Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichsanstalt 
zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit Berlin-Charlotten- 
burg 5, Mollwitzstraße - Frankstraße, herausgegebene Hitzemerkblatt zur Ver¬ 
hütung der Sommersterblichkeit der Säuglinge aufmerksam. 

Von dem genannten Hause sind außerdem folgende Blätter zur Auf¬ 
klärung der Bevölkerung herausgegeben: 

a) Merkblatt für Schwangere und Wöchnerinnen, 

b) Flugblatt zum Schutze der Säuglinge, 

c) Merkblatt für die Ernährung und Pflege des Säuglings- und Kleinkindes, 

d) Merkblatt zur Verhütung der Tuberkulose im Kindesalter. 

Die Blätter erscheinen im Selbstverläge des Kaiserin Auguste Viktoria- 
Hauses. Auf dorthin zu richtende Anträge werden einzelne Stücke, auf denen 
auch die beim Bezüge größerer Mengen sehr mäßigen Preise angegeben sind, 
zur Ansicht abgegeben. _ 


Prüfungsgebühren für Nahrungsmlttelchemiker. Erlaß des Mi¬ 
nisters für Volkswohlf ahrt vom lß.Mai 1922. 

Auf Grund eines Beschlusses des Reicbsrats vom 4. Mai 1922 werden 
die Vorschriften, betreffend die Prüfung der Nahrungsmittelchemiker, mit 
Wirkung vom 15. Mai 1922 wie folgt geändert: 

1. § 13 Absatz 1 und 2 erhält folgenden Wortlaut: 

An Gebühren sind für die Vorprüfung vor Beginn derselben 100 M. zu 
entrichten. 

Für Prüflinge, welche das Befähigungszeugnis für das höhere Lehramt 
besitzen, betragen in den in § 7 Abs. 5 vorgesehenen Fällen die Gebühren 70 M. 
Dasselbe gilt für die Wiederholung der Prüfung in einzelnen Fächern (§ 9 Abs. 2). 

2. § 30 Abs. 1 bis 3 erhält folgenden Wortlaut: 

An Gebühren sind für die Hauptprüfung vor Beginn derselben 540 M. 
zu entrichten. Davon entfallen: 

I. auf den technischen Abschnitt: für jeden der ersten drei Teile 75 M., 

für den vierten Teil 45 M., 
ü. auf den wissenschaftlichen Abschnitt 90 M. 

III. auf allgemeine Kosten 180 M. 

Wer von der Prüfung zurücktritt oder zurückgestellt wird, erhält die 
Gebühren für die noch nicht begonnenen Prüfungsteile ganz, die allgemeinen 
Kosten zur Hälfte zurück, letztere jedoch nur dann, wenn der dritte Teil des 
technischen Abschnitts noch nicht begonnen war. 



Medizinalgesetzgebung. 


79 


Bei einer Wiederholung sind die Gebührensätze für diejenigen Prüfungs¬ 
teile, welche wiederholt werden, und außerdem je 46 M. für jeden zu wieder¬ 
holenden Prüfungsteil auf allgemeine Kosten zu entrichten. Für die Nachprüfung 
in einem Fache des wissenschaftlichen Abschnitts sind 45 M. zu zahlen. 

C. Württemberg. 

Gebühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrich¬ 
tungen. Verordnung des Staatsministeriums vom 28. März 1922. 

I. Die Anlage zu der Verordnung des Staatsministeriums, betreffend Ge¬ 
bühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrichtungen, vom 
9. Juni 1920 (Reg. Bl. S. 390) wird wie folgt geändert: 

1. In IA wird zwischen den Ziffern 3 und 4 eingeschaltet: 

„8 a. In den Fällen Ziff. 1 b, c, 2 und 3 b darf der Höchstsatz ausnahmsweise 
bis zum Dreifachen der Beträge überschritten werden, wenn die Be- 
Besichtigung oder Oeffnung der Leiche oder die Untersuchung einzelner 
Körperteile besonderer Umstände halber einen so außerordentlichen Auf¬ 
wand von Mühe und Zeit erfordert hat, daß sie auch dtirch den Höchst¬ 
satz nicht ausgeglichen wäre.“ 

2. In IA Ziffer 6 wird 

a) dem Absatz 2 folgender Satz angefügt: 

Erscheint auch diese Gebühr einschließlich etwaiger Teuerungszuschläge 
im einzelnen Fall nicht als ausreichend, so kann das Justizministerium 
eine höhere Gebühr festsetzen.“ 

b) nachstehender Absatz 3 beigefügt: 

„Vollbeeoldete beamtete Aerzte erhalten« für den Aufwand auf die 
Haltung und Anschaffung der erforderlichen wissenschaftlichen Zeit¬ 
schriften nnd Bücher neben der Gebühr für das Gutachten in jedem 
einzelnen Fall eine einmalige Pauschentschädigung von 5 M.“ 

3. In IA Ziffer 10 wird als letzter Absatz beigefügt: 

„Vollbesoldeten beamteten Aerzten steht an Stelle einer Versäumnis- 

f ebühr (Abs. la) die einmalige Pauschentschädigung nach Ziff. 6 
.bs. 3 zu.“ 

4. In I A Ziffer 11 Buchstabe b ß werden nach dem Wort 

„Kilometer“ die Worte „eine Pauschentschädigung von“ eingeschaltet. 

5. Die Ziffer 1 A 12 erhält folgende Fassung: 

12. „Bei Verrichtungen außerhalb des Wohnorts erhalten außer den 
etwaigen Gebühren für das Geschäft (Verrichtungsgebühr oder in den 
Fällen der Ziffer 10 Gebühr für die Mühewaltung und zutreffendenfalls 
Pauschenschädigung nach Ziff. 6 Abs. 3 und Ziff. 10 Abs. 5): 
a) die vollbesoldeten beamteten Aerzte Reiseaufwandsentscbädigungen 
nach den für sie als Staatsbeamte jeweils geltenden Bestimmungen; 
b) die nicht vollbesoldeten beamteten Aerzte Versäumnisgebühr und 
Reisekostenersatz nach Maßgabe der Bestimmungen in Ziff. 11.“ 

6. Die Ziffer 1 B 12 erhält folgende Fassung: 

12. „Bei Verrichtungen außerhalb des Wohnorts erhalten außer der 
Verrichtungsgebühr: 

a) die vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten beamteten Aerzte sowie 
die nichtbeamteten Stellvertreter der Oberamtsärzte, die für die 
Stellvertretung einen Pauschbetrag oder eine Gesamtbelohnung be¬ 
ziehen, Reiseaufwandsentschädigungen nach den jeweils für die Ober¬ 
amtsärzte als Staatsbeamte geltenden Bestimmungen, die nichtvoll¬ 
beamteten Aerzte und die vorstehend genannten Stellvertreter der 
Oberamtsärzte bei Verrichtungen außerhalb des Amtsbezirks außer¬ 
dem eine Entschädigung für Zeitversäumnis: 

für einen vollen Tag (8 bis 24 Stunden).24 M., 

für einen halben Tag (weniger als 8 und mehr als 2 Stunden 15 M., 
b) die nichtbeamten Stellvertreter der Oberamtsärzte, die für die ein-« 
einzelnen Geschäfte entlohnt werden, und sonstige im Einzelfall zu¬ 
gezogene Aerzte: 

a) Reiseaufwandsentscbädigungen nach den jeweils für die Oberamts¬ 
ärzte als Staatsbeamte geltenden Bestimmungen (derzeit Verord- 




80 


Medizinalgesetzgebung. 


nung, betreffend die Diäten und Reisekosten der Zivilstaatsdiener, 
vom 23. Juni 1873, Reg. Bl. S. 269, in der Fassung der Verord 
nun gen des Staatsministeriums vom 14. August 1920, Reg. Bl. S. 507, 
vom 22. März und 12. Dezember 1921, Reg. Bl. S. 138 und 550), 
ß) Entschädigung für Zeitversäumnis in der in Buchst a vorgesehenen 
Weise ohne Unterschied, ob der Ort der Dienstverrichtung inner¬ 
halb oder außerhalb des Bezirks liegt, für den sie als Stellvertreter 
aufgestellt oder im Einzelfall zugezogen sind." 

II. In § 3 der Verordnung vom 9. Juni 1920 werden nach dem Wort 
„Gebühren“ die Worte „und Pauschentschädigungen“ eingeschaltet. 

III. Die Bestimmungen in Ziff. I 1 bis 5 und Ziff. II treten mit Wirkung 

vom 1. Januar 1922 an, diejenigen in Ziff. I 6 am Tage der Verkündigung dieser 
Verordnung ip Kraft _ 


Gebühren der Aerzte, Zahnärzte nnd Hebammen für amtliche Ver¬ 
richtungen. Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern 
und der Finanzen vom 28. März 1922. 

Auf Grund des § 3 der Verordnung des Staatsministeriums, betreffend 
Gebühren der Aerzte, Zahnärzte und Hebammen für amtliche Verrichtungen, 
vom 9. Juni 1920 (Reg. Bl. 1920 8. 390) in der Fassung der Ziffer II der Ver¬ 
ordnung vom 28. März 1922 (Reg. Bl. S. 182) werden die Gebühren und Pausch- 
entschädigungen, die in der durch Ziffer I der letzteren Verordnung geänderten 
Anlage der Verordnung vom 9. Juni 1920 verzeichnet sind, mit Ausnahme der 
in der neuen Fassung von I B Ziffer 12 a und b, ß aufgeführten Versäumnis¬ 
gebühr mit Wirkung vom -1. Januar 1922 ab bis auf weiteres 

1. für die vollbesoldeten beamteten Aerzte verdoppelt, 

2. für die übrigen Aerzte sowie für die Zahnärzte und die Hebammen 
um 150 v. H. erhöht. Bruchteile einer Mark, die bei der Berechnung des er¬ 
höhten Beitrags einer Gebühr sich ergeben, dürfen auf volle Mark aufgerundet 
werden. 

Die Erhöhung Ziffer 2 findet auf Versäumnisgebühren, die nichtvollbesol¬ 
dete beamtete Aerzte, nichtbeamte Stellvertreter der Oberamtsärzte und im 
Einzelfall nach § 3 Abs. 2 der Vollzugsverfügung zum Oberamtsarztgesetz bei¬ 
gezogene Aerzte in der Zeit vom 1. Januar 1922 bis zum Inkrafttreten der 
Ziffer 16 der Verordnung vom 28. März 1922 noch gemäß IB Ziffer 12 und 
A Ziffer 11a der Anlage der Verordnung vom 9. Juni 1920 bezogen haben, 
keine Anwendung. * _ 


D. Thüringen. 

Verbot äffentlicher hypnotischer Vorführungen. Erlaß des Wirt¬ 
schaftsministeriums vom 15. Mai 1922, der sich inhaltlich mit den 
für die meisten übrigen Länder erlassenen diesbezüglichen Vorschriften deckt. 


B. Mecklenburg «Schwerin. 

Hebammenwesen. Anweisung der Ministerien für Unter¬ 
richt und Medizinalangelegenheiten und deslnnern vomlMai 
1922 zur Ausführung des Gesetzes betr. das Hebammenwesen 
vom 15. Dezember 1921.*) 

Die Ausführungsbestimmungen erstrecken sich auf die Hebammenausbildung, 
die Hebammenprüfung, die Nachprüfungen, die Fortbildungslehrgänge, die Be¬ 
aufsichtigung der Hebammen, den Verlust des Rechtes zur Ausübung des 
Hebammenbernfes und auf allgemeine Bestimmungen betr. die Benachrichtigungen 
zwischen Polizei, Gemeinde- und Kreisarzt zwecks Durchführung der vor¬ 
geschriebenen Beaufsichtigung. 

*) Siehe diese Zeitschrift, 1922, Beil. 8/9. S. 44. 


Verantwortlich für die 8 chiifUeitung: Geh. Med.-Rnt Dr. 80 Ihrig, Heg.- u. Med.-Rnt in BreiUa 
Breslnu V, Rehdlgerttreße 84. — Druck Ton J. C. C. Brune, Minden 1 . W. 



Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 

Nr. 19. 5. Oktober. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Preußen. 

fr Erteilung der staatlichen Anerkennung als technische Assistentin an 
nichtpreufilsche Bewerberinnen und für preußische Staatsangehörige mit 
Ansbildnng in uoßerprenßiBchen Instituten. Kunderlaß desMinisters 
für Volkswohlfahrt vom 19. Mai 1922 — I. M. IV. 603/22 — an 
die Herren Regierungspräsidenten. 

Bedingung für die Erteilung der staatlichen Anerkennung als technische 
Assistentin an medizinischen Instituten an Bewerberinnen, die die preußische 
Staatsangehörigkeit nicht besitzen, ist, abgesehen von den im § 21 der Prüfungs¬ 
ordnung vom 26. August 1921 genannten Fällen, die Ablegung der Priifuug 
und in Fällen des § 19 der angezogenen Prüfungsordnung die Ausbildung oler 
eine wenigstens dreijährige praktische Tätigkeit an einem preußischen Institut. 

Für preußische Staatsangehörige ist die Anerkennung nach § 19 der 
Prüfungsordnung auch dann möglich, wenn ihre Ausbildung an außerpreußischen 
wissenschaftlichen oder Lehr-Instituten erfolgte und wenigstens ein Jahr der 
vorgeschriebenen praktischen Tätigkeit an preußischen Instituten zugebracht ist. 


Aufbewahrung amtsärztlicher Bescheinigungen für Feuerbestattung. 
Runderlaß des Ministers des Innern vom 27. Mai 1922 — II. F. 
2016 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

In Abänderung meines Runderlasses vom 5. Mai 1919 — IID 2585*) 
bestimme ich im Einvernehmen mit dem Herrn Minister für Volkswohlfahrt, 
daß die für die Feuerbestattung nnd den Leichentransport ausznstellcnde ge¬ 
meinschaftliche amtsärztliche Bescheinigung fortan nicht mehr bei den Akten 
der den Leichenpaß ausfertigenden Polizeibehörde aufzubewahren, sondern den 
Antragstellern anszuh&ndigen ist zwecks Vorlage bei der Polizeibehörde des 
Verbrennungsortes gemäß § 7 des Feuerbestattungsgesetzes vom 14. September 
1911 (Gr. S. S. 193). Die den Leichenpaß ausfertigende Polizeibehörde hat nur 
einen Vermerk zn den Akten zu nehmen, daß der Leichenpaß anf Grand der 
von dem beamteten Arzt (Name) in (Ort) unter (Datum) ausgestellten Be¬ 
scheinigung ausgefertigt ist. _ 


Ventox- nnd Cyklon-Entwesnngsverfahren. Erlaß des Ministers 
für Volkswohlfahrt vom 30. Mai 1922 — I. M. IV. 1227 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

Von verschiedenen Betrieben werden jetzt Anträge gestellt anf Erteilung 
der Genehmigung zur Ausführung des Ventox- nnd Cyklon-Entwesungäverfahrens. 
Indem ich bemerke, daß das Ventoxverfahren nur für Mühlen zulässig ist, er¬ 
suche ich ergebenst, die Anträge zn prüfen und ungeeignete sogleich zurück¬ 
zuweisen. Im übrigen wollen Sie vor der befürworteten Weitergabe an mich 
feststellen, wer in den einzelnen Fällen die Ausgasung aasführt und von wem 
die betr. Personen in dem Aasgasungsverfahren ausgebildet worden sind. 

Falls Sie zu dem Schlüsse kommen sollten, daß die betr. Personen zu¬ 
verlässig arbeiten, das Gesuch also befürwortet werden kann, wollen Sie die 
Betreffenden auch weiterhin in ihrer Tätigkeit als Entweser durch den zu¬ 
ständigen Kreismedizinalrat fortlaufend beaufsichtigen lassen und falls Verstöße, 


*) Siehe diese Zeitschrift, 1919, Beilage S. 42. 




82 


Medizinalgesetzgebung. 


die zu einer Schädigung der menschlichen Gesundheit Anlaß geben können, 
bemerkt werden, die weitere Vornahme der Ausgasungen unterbinden, bis die 
Ausführung des Verfahrens durch gehörig ausgebildete und zuverlässige Personen 
gewährleistet ist. Ueber solche Fälle ist sogleich hierher zu berichten. 


X 

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Neue Vor Schriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. BunderlaßdesMinisters 
fürVolkswohlfahrt vom 31. Mai 1922 — I. M. 1.1254 — an die Herren 
Regierungspräsidenten. 

Die Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 4. Januar 1905 entsprechen 
nicht mehr in allen Bestimmungen dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft. 

Ich habe daher diese Vorschriften einer Umarbeitung unterziehen lassen 
und als deren Ergebnis „Die Vorschriften über das Verfahren der Gerichtsärzte 
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen" vom heutigen Tage 
erlassen, die am 1. Juli 1922 in Kraft treten. 


(Von einem Abdruck dieser Vorschriften muß hier abgesehen werden. 
Diese finden sich abgedruckt in der „Volkswohlfahrt" vom 15. Juni 1922 — 
Nr. 12 — als Beilage). 


Richtlinien für die Errichtung von Provinzialansschüssen für 
hygienische Volksbelehrnng. Erlaß des Ministers für Volkswohl¬ 
fahrt vom 16. Juni 1922 — IM IV 970 — an die Herren Oberpräsidenten. 

Unter Bezugnahme auf meinen Bunderlaß vom 29. November 1920 — 
I M IV 1799 — übersende ich ergebenst je einen Abdruck der vom Landes¬ 
ausschuß für hygienische Volksbelehrung abgeänderten Bichtlinien für die Er¬ 
richtung von Provinzialausschüssen sowie Orts- bezw. Kreisausschüssen für 
hygienische Volksbelehrung, mit denen ich mich einverstanden erkläre, mit dem 
ergebenen Ersuchen um Kenntnisnahme und um weitere Veranlassung. 

Richtlinien für die Errichtung von Provlnxlalausschüssen für hygienische 
Volkabelehrung (Provinzialgesundheitsausschuß). 

Zweckmäßig dürfte die Anlehnung an die Provinzialwohlfahrtsämter 
sein, wo solche bestehen. Wo sie nicht vorhanden sind, bedarf es der Initiative 
aller an der Volksgesundheit interessierten Persönlichkeiten, um den Provinzial- 
gesundheitsausschuß ins Leben zu rufen. Da bei der Gründung des Landes- 
ausschusses davon ausgegangen ist, daß die Selbständigkeit der auf dem Ge¬ 
biete der Volksbelehrung bereits tätigen Organisationen nicht gestört werden 
soll, ist es notwendig, diese Organisationen, soweit Bie eine provinzielle 
Gliederung haben, bei der Bildung der Provinzialausschüsse heranzuziehen. 
Aber über diese hinaus müssen alle diejenigen Kreise beteiligt werden, die 
Interesse an der hygienischen Volksbelehrung haben, sofern sie damit ein¬ 
verstanden sind, daß die Belehrung auf Grund der anerkannten Lehren der 
Wissenschaft erfolgt, unter ihnen vor allem Persönlichkeiten, die alB Vertreter 
der Vortragenden, als Vertreter der Hörer oder Förderer anzusehen sind. Die 
Zusammensetzung dürfte sich etwa folgendermaßen gestalten: 

Provinzialbehörden, einschließlich der Unterrichtsbehörden. 

Selbstverwaltung des Provinzial Verbandes. 

Vertreter der Beichsversicherungsträger. 

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. 

Aerztekammer, Zahnärztekammer. 

Aerztevereine, Zahnärztevereine. 

Lokalkomitee für ärztliches Fortbildungswesen. 

Medizinische Fakultät, Akademie für praktische Medizin. Medizinalunter- 
Buchungsamt, sonstige hierher gehörige Medizinalinstitute. 

Berufskammern. 

Die Provinzial verbände der großen Wohlfahrtsorganisationen, wie Deutsches 
Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, Deutsche Gesellschaft zu 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten u. a. 



Medizin algesetzgebung. 


83 


ProvinzialkrtippelauBSohuß. 

Provinzialvereinigung für Säuglings- und Eieinkinderschutz. 

Provinzialverein zur Bekämpfung des Alkoholismus. 

Die Provinzialvereine für Eieinwohnungswesen. 

Verein für Volks Wohlfahrt für die Provinz. 

Der Leiter eines städtischen Wohnungsamtes. 

Hausbesitzer- und Mietervereinigung, Bau- und Siedlungsgenossenschaft. 

Die Frauen- und Sozialbeamtinnenvereine und die Fürsorgerinnenvereine. 

Gesamtverband der Berufsarbeiter in der Wohlfahrtspflege. 

Geistlichkeit. 

Lehrervereine. 

Jugendpfleger. 

Die Provinzialvereine vom Boten Ereuz, besonders des Vaterländischen Frauen¬ 
vereins. 

Aufgaben. 

1. Schaffung einer geeigneten Organisation in der Provinz, insbesondere 
Gründung und Förderung der Gründung von Ereis- oder Ortsausschüssen unter 
Fühlungnahme mit allen in Betracht kommenden Organisationen und Behörden. 
Gute Vorarbeit auf dem Gebiete der Gründung von Ereis- und Ortsausschüssen 
für hygienische Volksbelehrung haben bereits die Organisationen der Deutschen 
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, des Deutschen 
Vereins für Volkshygiene usw. geleistet, die zweckmäßigerweise überall da 
als Mittelpunkt in Frage kommen, wo sie mit Ortsgruppen vertreten sind. 

2. Förderung der von den Zentralbehörden angeordneten Maßnahmen 
zur Einführung des hygienischen Unterrichts in den Volks- und Fortbildungs¬ 
schulen, Mitwirkung bei den Ausbildungskursen für amtierende Lehrer. Ver¬ 
anstaltung von Ausbildungskursen für Aerzte, Fürsorgerinnen, Gemeinde¬ 
schwestern, Eranken- und Säuglingspflegerinnen, Wohlfahrtspflegerinnen usw., 
die sich der hygienischen Volksbelehrung widmen wollen, ferner für Betriebs¬ 
räte der Beamten und Angestellten der Beichsversichernngsträger, desgleichen 
für Wohnnngsaufsichtsbeamte in hygienischen Fragen. Feststellung vonBicht- 
linien für die Orts- oder Ereisausschüsse. Einwirkung auf die in Betracht 
kommenden Anstalten des Gesundheits- und Heilwesens, wie Heil- und Pflege¬ 
anstalten, Lungenheilstätten, Erholungsheime, Hebammenlehranstalten, zum 
Zwecke der hygienischen Belehrung der Pfleglinge. 

3. Anlage einer Sammlung von Lehrmittteln, die an die örtlichen Aus¬ 
schüsse ausgeliehen werden können. Der Landesausschuß ist bereit, hierbei 
mit Batschlägen und Geldmitteln zu helfen. Die Fühlungnahme mit der Land¬ 
lichtbildgesellschaft und dem Landlichtspielausschuß des Deutschen Vereins 
für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege wird hier von Bedeutung sein. 
Die Beschaffung von hygienischen Ausstellungen, ihre planmäßige Verteilung 
und Begleitung durch sachkundige Personen in der Provinz, ferner die Er¬ 
richtung und Förderung von kleinen hygienischen Museen in Ereis und Stadt 
gehören nicht weniger zu den Aufgaben der Provinzialausschüsse. 

4. Förderung der hygienischen Volksbelehrung durch Beratung der 
Eireis- oder Ortsausschüsse, Weitergabe von Anregungen an diese, Beseitigung 
von Schwierigkeiten, mit denen diese Ausschüsse zu kämpfen haben, gegebenen¬ 
falls mit Hilfe der Provinzialbehörden. In der Zeitschrift des Landesaus¬ 
schusses „Blätter für Volkägesundheitspflege“ wird den Provinzialausschüssen 
ein ausreichender Platz für ihre Mitteilungen zur Verfügung gehalten. Auch 
die Weitergabe von Anregungen aus der Provinz an die Geschäftsleitung des 
L&ndesausschusses gehört zu den Aufgaben der Provinzialausschüsse. 

5. Beschaffung der Geldmittel. Es muß daran festgehalten werden, daß 
die Provinzialausschüsse finanziell auf eigenen Füßen stehen. Nur ausgleichend 
und unterstützend, besonders für die Zeit der ersten Einrichtung, kann der 
Landesausschuß mit seinen Mitteln eintreten. Zur Beschaffung der Geldmittel 
sind alle Stellen heranzuziehen, die Interesse an dieser Volksbelehrung haben 
(Provinzialverwaltung, Beichsversicherungsträger, Lebensversicherungsgesell¬ 
schaften, ärztliche und zahnärztliche Organisationen, Berufskammern, große 
industrielle Unternehmungen, die Provinzialvereinigungen der Wohlfahrts¬ 
verbände usw.). 



84 


Medizinalgesetzgebung. 


Richtlinien für die Einrichtung von Orts* und Kreisausschflssen für 
hygienische Volksbelehrung (Orts* oder Krelsgesundheltsausscbüsse). 

Zusammensetzung. 

Der gegebene Mittelpunkt für den Ortsausschuß ist das städtische Wohl* 
fahrtsamt, für die Kreisausschüsse das Kreiswohlfahrtsamt (vergl. Randerlaß 
3 G 291 des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 10. Juni 1920 — 
Volkswohlfahrt S. 130 —). Wo solche nicht vorhanden sind, ist der Orts¬ 
verein eines der größten Wohlfahrtsverbände, wie das Zentralkomitee zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose, die Deatsche Gesellschaft zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten, die Deutsche Vereinigung für Kleinkinder- und Säug- 
lingsschutz, für Krüppelfürsorge, der Deutsche Verein für Volksbygiene oder 
auch eine gut arbeitende Beratungs- oder Fürsorgestelle zum Ausgangspunkt 
der Bestrebungen zu machen. Immer aber ist der staatliche bezw. städtische 
Gesundheitsbeamte, Kreis- bezw. Stadtmedizinalrat zuvor um seine Mitwirkung 
anzugehen. 

Da bei der Gründung des Landesausschusses davon ausgegangen ist, 
daß die Selbständigkeit der auf diesem Gebiete bereits tätigen Organisationen 
nicht gestört werden soll, ist es notwendig, daß diese Organisationen, soweit 
sie Ortsausschüsse besitzen, bei der Bildung unserer Orts- oder Kreisausschüsse 
hinzugezogen werden. 

Darüber hinaus sollen aber alle diejenigen Kreise daran beteiligt werden, 
die Interesse an der hygienischen Volksbelehrung haben. Bei der Zusammen¬ 
setzung dürften je nach den lokalen Verhältnissen etwa folgende Persönlich¬ 
keiten bezw. Organisationen zu berücksichtigen sein: 

Das örtliche Wohlfahrtsamt oder das Kreiswohlfahrtsamt mit dem Kreis- 
medizinalrat und den Kommunalärzten, daneben auch die Jugendämter und 
die mit dem Schulwesen, der Volksbildung, der Jugend- und Wohlfahrts¬ 
pflege sonst betrauten Dezernate. 

Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung oder Kreistage. 

Aerztliche und zahnärztliche Vereine. 

Wo solche vorhanden, auch Vertreter der Lokalkomitees für das ärztliche 
Fortbildungswesen. 

Medizinaluntersuchungsamt und ähnliche Institute. 

Krankenkassen. 

Große Wohlfahrtsverbände. 

Kreisk/üppelausschüsse. Leiter des Wohnungsamtes. 

Hausbesitzer und Mietervereine. 

Bau- und Siedlungsgenossenschaften. 

Presse. 

Gewerkschaften. 

Bildungsausschüsse der politischen Parteien. 

Lehrerschaft. 

Geistlichkeit. 

Volkshochschule. 

Rotes Kreuz, insbesondere der Vaterländische Frauenverein. 

Samariterverein. 

Einzelpersonen. 

Im übrigen begrüßt der Landesausschuß alle, die mit ihm an der 
hygienischen Volksbelehrung mitarbeiten wollen, sofern sie damit einverstanden 
sind, daß die Belehrung nach den allgemein anerkannten Lehren der Gesund¬ 
heitswissenschaft erfolgt. Es sei noch besonders betont, daß der Landes- 
ausschuß sich nicht die Propagierung von Heilmethoden, sondern die Ver¬ 
breitung hygienischer, d. h. krankheitsverhütender Kenntnisse zur Aufgabe stellt 

G r ü n d u n g vo n 0 r t s au s s ch ü s s en. 

Die Gründung von Ortsausschüssen kann zweckmäßig im Anschluß an 
Vorträge über Hygiene und Vorführung von belehrenden Filmen Torgenommen 
werden oder im Anschluß an die von verschiedenen Stellen geschaffenen 
hygienischen oder Fürsorgeausstellungen (Ausstellung für Säuglingsfürsorge, 
für Krüppelfürsorge, zur Bekämpfung der Tuberkulose, der Geschlechtkrank- 
beiten). Denn zur Durchführung dieser Bestrebungen ist an sich schon eine 
Zusammenfassung der interessierten Kreise erforderlich. 



Medizinalgeaetzgebung 


86 


Aufgaben. 

Den 0rteau8schÜB8en fällt die eigentliche Aufgabe der hygienischen Be¬ 
lehrung zu, die sich nicht allein mit der Veranstaltung öffentlicher Vorträge 
erschöpfen soll. Die öffentlichen Vorträge sind notwendig, um die Aufmerk¬ 
samkeit auf die Bestrebungen des Ortsausschusses zu lenken und ihm dadurch 
Freunde zuzuführen. Ebenso wichtig aber sind auch die anderen Formen der 
Belehrung. Dahin rechnen wir Förderung des hygienischen Unterrichts in den 
Schulen und Fortbildungsschulen, Einflußnahme auf Elternabende, die Schul¬ 
gemeinde, Kirchengemeinde im Sinne der hygienischen Volksbildung, Vorträge 
in Gesellschaften, Sportvereinen, Vorträge in Fabriken, speziell über Gewerbe¬ 
hygiene, Vorträge vor Mietvereinen, Bau- und Siedlungsgenossenschaften über 

f eaundes Wohnen, besonders Unterweisungskurse für Geistliche, Lehrer, 
irankenschwestern, Fürsorgerinnen, Mütter, Jugendpfleger, Jugendpflegerinnen, 
für Beamte und Angestellte der Krankenkassen. 

Bei Gelegenheit der öffentlichen Impfungen kann der Impfarzt, bei der 
Einstellung von Schulrekruten kann der Schularzt auf die anwesenden Ver¬ 
wandten im Sinne der gesundheitlichen Volksbelehrung tätig sein. Sehr wirksam 
sind auch die Vorführungen von Filmen, Ausstellungen, Anschläge in Straßen¬ 
bahnen. Besonders ist die Anschaffung eines Projektionsapparates für die 
Unterstützung der mündlichen Vorträge von Bedeutung; Lichtbilder hierzu 
können von den Provinzialausschüssen oder der Geschäftsleitung ausgeliehen 
werden. 

Beschaffung der Geldmittel. 

Es muß im allgemeinen daran festgehalten werden, daß die Ortsaus¬ 
ausschüsse finanziell auf eigenen Füßen stehen. Nur ausgleichend und unter¬ 
stützend kann für die erste Zeit der Einrichtung der Landesausschuß zur 
Gewährung mäßiger Beihilfe in Frage kommen. Für die Beschaffung der Geld¬ 
mittel sind alle Stellen heranzuziehen, die Interesse an der hygienischen Volks¬ 
belehrung haben, wie die Kommunen, Krankenkassen, Kirchengemeinden, 
hygienische Verbände, die Bildungsausschüsse der politischen Parteien, Einzel¬ 
personen usw. Es ist auch bisher schon der Weg gewählt worden, daß bei 
öffentlichen Vorträgen ein Teil der Unkosten durch Eintrittsgelder gedeckt 
wird, oder daß bei den Vereins Vorträgen die Vereine die Kosten oder einen Teil 
der Unkosten tragen. 


jr Abwf 
Volks 
^ Nr. 617 — 
denten der 


Abwässerbeseitlgung von Siedlungen. Bunderlaß desMinisters 
' * ":sWohlfahrt vom 30. Juni 1922 - I M IV Nr. 1178/22 D 11 
an sämtliche Herren Begierungspräsidenten, den Herrn Oberpräsi- 
Provinz Brandenburg in Charlottenburg und den Herrn Verbands¬ 
präsidenten des Siedlungsverbandes Buhrkohlenbezirk in Essen. 

Es ist mehrfach beobachtet worden, daß bei der Anlage von Siedlungen 
den Fragen der Be- nnd Entwässerung nicht rechtzeitig die erforderliche Be¬ 
achtung geschenkt worden ist. So ist es nicht nur vorgekommen, daß man an 
diese Fragen erst nach Kauf des Geländes herangetreten ist, sondern sogar 
nach Ausführung der Baulichkeiten. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß 
unter gewissen Umständen sich für die Be- und Entwässerung ungünstige Ver¬ 
hältnisse herausstellten, deren Bezwingung auf die Wirtschaftlichkeit des Unter¬ 
nehmens nicht ohne ungünstigen Einfluß bleiben konnte. 

Um den in Betracht kommenden Kreisen das Verständnis für diese Fragen, 
namentlich für die Entwässerung, zu erleichtern und Anhaltspunkte für ein 
zweckmäßiges Vorgehen zu geben, hat die Landesanstalt für Wasserhygiene in 
Berlin-Dahlem, Ehrenbergstraße 38/42 „Bichtlinien für Abwässer¬ 
beseitigung von Siedlungen“ mit den erforderlichen „Erläute¬ 
rungen usw.“ ausgearbeitet. Die Frage der Wasserversorgung wurde dabei 
in dem notwendigen Ausmaß berührt 

Im übrigen verweise ich wegen der Anwendung größter Einfachheit und 
Kostenersparnis in den Leitungsanlagen auf meinen Erlaß vom 1. April 1922 — 
II. 11.193 — (siehe „Volkswohlfahrt“ S. 232). 

Wo die fraglichen Verhältnisse nicht einfach zu beurteilen sind, empfiehlt 
es sich, den Bat der Landesanstalt für Wasserhygiene einzuholen. Die hier¬ 
durch entstehenden Kosten werden nach einer ministeriell genehmigten Gebühren¬ 
ordnung, die von der genannten Anstalt jederzeit erhältlich ist, berechnet 



86 


Medizinalgesetzgebuug. 


Richtlinien für die Abwüsserbeseitigung von Siedlungen. 

1. Bei der Auswahl des Siedlungsgeländes ist von vornherein auf eine 
einfache und wirtschaftliche Wasserversorgungs- und Entwässerungsmöglichkeit 
(günstiges Geländegefälle, durchlässigen Boden, wasserreichen Vorfluter) zu 
achten. 

2. Für Siedlungen im Bereich der Städte sind, sofern vorhandene 
Leitungen benutzt oder leicht erreicht werden können — also der Bau neuer 
und weiter Hauptleiter nicht in Frage kommt, — zentrale Wasserversorgung 
und Kanalisation bezw. Ableitung und Behandlung der Abwässer (einschließlich 
Fäkalien), in hygienischer Hinsicht die vollkommensten Lösungen. 

8. Die Anwendung der Einzelkläranlagen für jedes Grundstück 
bedingt entweder, daß die geklärten Abflüsse auf kurzem Wege einem ge* 
eigneten Vorfluter zugeführt oder im Untergrund der einzelnen Grundstücke 
zur Versickerung gebracht werden können. 

Für Einzelkläranlagen sind nur Verfahren oder Konstruktionen zu 
wählen, die möglichst wenig Bedienung oder Sachkenntnis voraussetzen. Außer¬ 
dem ist eine zentrale Aufsicht einzurichten. 

Zu beachten ist ferner, daß Einzelkläranlagen eine spätere zentrale Ent¬ 
wässerung erschweren und zwar wegen der den Bewohnern erwachsenden 
doppelten Ausgaben. 

Geruchsbelästigungen werden am besten durch unterirdische Verrieselung 
der Abwässer bei entsprechend durchlässigem Untergrund (Untergrundberiese¬ 
lung) vermieden; sie setzt zur Erhaltung der Aufnahmefähigkeit des Bodens 
eine möglichst weitgehende Entschlammung der Abwässer durch geeignete Vor¬ 
behandlung, z. B. durch mehr- (mindestens zwei-) kammrige Faulraumanlagen 
voraus. Die erste größere Kammer dient der Zersetzung der Schmutzstoffe, 
die zweite kleinere zur Sedimentation des Abwassers. Zur Einführung der 
so vorbehandelten Abwässer in den Untergrund sind leicht kontrollierbare 
Sickerrohrstränge, zugängliche Versickerungsflächen (z. B. nach Art der Mist¬ 
beete mit Glasabdeckung) oder dergleichen zweckmäßig, die einen reichlichen 
Luftzutritt und eine gleichmäßige Verteilung der Abwässer ermöglichen; was 
z. B. durch stoßweise Einführung der Abwässer (mittels Heber oder Kipprinnen) 
begünstigt wird. 

Mit einer periodischen Aufdeckung, Reinigung und Erneuerung der 
Sickereinrichtung ist zu rechnen. Soll eine solche nur selten erforderlich werden, 
so sind entsprechend ausgedehnte Sickerstränge bezw. -flächen vorzusehen. Bei 
Versickerungsanlagen sollte immer eine zentrale Wasserversorgung vorhanden 
sein, wenn nicht die Trinkwasserentnahme aus tieferen, gegen die versickerten 
Abwässer geschützten Schichten oder in reichlicher Entfernung von den Ver- 
sickerungsstellcn möglich ist (vergl. 4 Abs. 4). 

4. Die Unterbringung der Fäkalien und Hausabwässer auf eigenem Ge¬ 
lände bedingt für jedes Anwesen genügend große Garten- oder Feldflächen. 
Je schwerer der Boden, desto weitläufiger muß die Bebauung sein. 

Bei rein ländlichen Siedlungen können die Fäkalien aus landwirtschaft¬ 
lichen Gründen auch auf weiter abliegende Felder abgefahren werden. 

Wo die offene Ableitung von Küchen- und Waschwässern (mit oder 
ohne Niederschlagsabwässer) sich nicht umgeben läßt, muß für solche Abwässer, 
die auch ohne Fäkalien als hygienisch bedenklich anzusehen sind, ein rascher 
Abfluß in befestigten Rinnen gesichert sein in der Weise, daß eine Berührung 
der Bevölkerung mit diesen Abflüssen möglichst ausgeschaltet wird. Dies be¬ 
dingt von vornherein eine entsprechende Gestaltung der Siedlung. Am gün¬ 
stigsten sind möglichst langgestreckte Siedlungen senkrecht zum Gefälle des 
Geländes (bezw. des Grundwassers) in der Weise, daß die Trinkwasserbrunnen 
oberhalb und die Sammelstellen und Ableitungen der Schmutzstoffe und Ab¬ 
wässer unterhalb des Baustreifens liegen, Eine in der Gefällsrichtung des Ge¬ 
ländes sowie des Grundwassers mehrmalige abwechselnde Aufeinanderfolge von 
Abortgruben und Trinkwasserbrunnen ist bei Neuanlagen grundsätzlich zu ver¬ 
meiden. Wo dies nicht zu umgehen ist, sollten Brunnen mindestens 10 m, 
besser aber weiter, von der nächsten Schmutzstelle entfernt sein. 

5. Bei jeder Siedlung ohne Kanalisation oder Einzelklär¬ 
anlage ist die allgemeine Einführung von Spülklosetts schwer durchführbar, 
weil durch die mehrfach größere Menge der Fäkalabwässer ihre Unterbringung 



Medizinalgesotzgebung. 


87 


oder Abfohr erschwert wird. In solchen Siedlungen empfiehlt sich eine Trennung 
der Fäkalien Ton den übrigen Abwässern. An Stelle der Spülklosetts können 
ohne gesundheitliche Nachteile auch Abortanlagen ohne Wasserspülung, Torf¬ 
streuklosetts und dergl. Anwendung finden. Sie sind nach hygienischen Gesichts- 

8 unkten so anzulegen, daß Gerüche oder Gase (auch bei der Entleerung der 
Gruben) in die- Wohnräume nicht gelangen können, und eine Verunreinigung 
der umgebenden Bodenfläcoe sowie des Untergrundes ausgeschlossen ist. 

Erlfiuterungen zu den Richtlinien für die Abwüsserbeseitigung 

von Siedlungen. 

Es ist notwendig, schon für die Auswahl eines Siedlungsgeländes einen 
Fachmann für Be- und Entwässerungsfragen und den zuständigen Gesundheits¬ 
beamten (Kreisarzt) zuzuziehen. Auf diese Weise wird auch erreicht, daß jeder 
einzelne Fall für sich beurteilt und ein nachteiliges Schematisieren vermieden wird. 

Zu 1: Die erwähnten Gesichtspunkte für die Auswahl des Geländes 
gelten für alle Fälle, gleichgültig, ob die Be- und Entwässerung zentral (durch 
Wasserleitung und Kanalisation) oder durch Einzelanlagen (Einzelbrnnnen, 
Grundstückskläranlagen, Gruben) erfolgen soll. 

Zu 2: Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich, daß man eine Siedlung 
mit den allereinfachsten Verhältnissen, also ohne Wasserleitung und Kanali¬ 
sation, nicht unmittelbar im Anschluß an städtische oder gar großstädtische 
Bebauung anlegen soll, weil eben in solchen Fällen mit den städtischen Be¬ 
dürfnissen der Siedler zu rechnen ist. Eine Siedlung kann um so einfacher in 
bezug auf Be- und Entwässerung gehalten werden, je weiter sie von städtischer 
Bebauung entfernt bleibt. Kanalisationsanlagen nur für Hansabwässer, mit ge¬ 
trennter Sammlung und Beseitigung der Fäkalien, sind insofern unwirtschaftlich, 
weil auch ohne die Fäkalien die übrigen Abwässer als hygienisch bedenklich 
anzusehen sind und ebenso behandelt und gereinigt werden müssen wie Ab¬ 
wässer mit Fäkalien. Wo landwirtschaftliche Interessen es erfordern, empfiehlt 
es sich, Einrichtungen vorzusehen, durch die Abwässer oder feste Stoffe der 
Kanalisation oder der Kläranlage entnommen werden können. 

Zu 8: Ein bestimmtes, bestes System für Einzelkläranlagen gibt es nicht, 
vielmehr muß diese Frage von Fall zu Fall entschieden werden. Es ist not¬ 
wendig, daß die Einzelkläranlagen einer Siedlung im Projekt, in der Aus¬ 
führung und im Betrieb nach einheitlichen Gesichtspunkten geprüft, überwacht 
und periodicch kontrolliert werden, womit eine entsprechend vorgebildete Kraft 
zu beauftragen ist. Bei Einzelkläranlagen empfiehlt es sich, die Begenwässer 
stets getrennt abzuleiten und zu behandeln. Sie können aber in gewissen Fällen 
zweckmäßig zur Verdünnung der Kläranlageabflüsse Verwendung finden. Die 
Abtrennung der Regenwässer ist besonders bei der Untergrundberieselung ge¬ 
boten, wobei überhaupt jedes schnelle Ablassen größerer Abwassermengen 
(z. B. Abflüsse aus Waschküchen) zu vermeiden oder durch entsprechend groß 
bemessene Faulkammern mit gewissem Aufspeicherungsvermögen bei ge¬ 
drosseltem Abfluß zu mildern ist. Faulräume sind ferner so zu gestalten, daß 
sie möglichst zugänglich sind (zwecks Entfernung zu stark gewordener Schwimm- 
decke oder zwecks Schlammentleerung) und so zu bemessen, daß der anfallende 
Schlamm z. B. 1 Jahr oder länger lagern kann, ohne den Wasserraum so zu 
verkleinern, daß der mechanische Effekt darunter leidet. Die einzelnen Kammern 
sollen für sich einzeln aasgeschaltet werden können, ohne daß der Betrieb der 
ganzen Anlage leidet oder unterbrochen wird. Für landwirtschaftliche Zwecke 
empfiehlt es sich, die Faulgruben mit Pumpen zur Entnahme von Schlamm oder 
Abwasser (zur Düngung) auszustatten. Dio Untergrundberieselung erfordert 
möglichst durchlässigen Sand- oder Kiesboden (u. U. auch Löß). Die Ver¬ 
sickerungszone muß vorher trocken sein, also hoch genug über dem höchsten 
Grundwasserspiegel liegen. Zwecks Belüftung und Vergrößerung der Eintritts¬ 
fläche in den gewachsenen Boden empfiehlt es sich, um den Versickerungskanal 
herum eine genügend starke Packung aus groben Stücken anzuordnen. Davon 
hängt auch die Belastungsmöglichkeit der Anlage ab, sowie der Zeitraum der 
Aufnahme, Erneuerung oder Wahl einer neuen Versickerungszone. Richtig 
angelegte, genügend groß bemessene und sachgemäß betriebene Versickerungs- 
anlagen können 10 Jahre und mehr ohne Aufnahme oder Erneuerung ausreichen. 
Aus diesen Gründen können bestimmte, allgemein gültige Belastungsziffern nicht 



88 


Medranalgesetzgebnng. 


aufgestellt werden. Die Versickerungsstränge sollen mit gerader Rohrachse 
verlegt und ihre Lage auf der Oberfläche bezeichnet werden, ihre frostfreie 
Tieflage ist nach den klimatischen Verhältnissen des Einzelfalles zu bestimmen. 
Versickerungen in klüftiges Gebirge usw. bedingen sachverständige, geologische 
Voruntersuchungen über den Abflußweg, den die Abwässer nehmen können. 

Zu 4 ist darauf hinzuweisen, daß man über den Charakter einer Sied¬ 
lung, ob städtisch oder ländlich, von vornherein im klaren sein muß. Wie 
groß die Garten- oder Feldflächen für jedes Anwesen zur Unterbringung der 
Fäkalien und Hausabwässer auf ihnen im Einzelfali sein müssen, läßt sich nur 
nach den örtlichen Verhältnissen von sachverständiger Seite feststellen. Bevor 
Ausnahmen von den baupolizeilichen Bestimmungen bezüglich der Lage von 
Schmutzstoffansammlungen und Einzelbrunnen zugelassen werden, müssen die 
Verhältnisse von dem zuständigen Gesundheitsbeamten (Kreisarzt) besonders 
geprüft werden. 

Zn 5: Bei schwerem Boden, mangelnder oberirdischer oder unterirdischer 
Ableitungsmöglichkeit, nicht genügend weitläufiger Bebauung, bleibt (außer der 
Kanalisation) schließlich kein anderer Weg übrig, als die Abfuhr, die bei den 
heutigen Verhältnissen selbstverständlich nur auf die Fäkalstoffe zu beschränken 
ist, weil die Abfuhr der mehrfach größeren Abwassermengen wirtschaftlich 
nicht durchzuführen ist. An die Stelle von Spülklosetts treten in solchen Fällen 
deshalb besser andere Einrichtungen bewährter Art. 

Auf Bäder braucht auch unter den einfachsten ländlichen Verhältnissen 
nicht verzichtet zu werden, nur ist es zweckmäßig, daß die Badegelegenheit 
(Wannenbäder und Brausen) an einer Stelle zusaramengelegt werden, wo die 
Entwässerung leicht durchführbar ist. 


t Hohe der von Privaten zu erstattenden Schreibgebiihren. E r 1 aß des 
Jfinisters für Volkswohlfahrt vom 4. August 1922 — A. 3. 416. 

Für jede Seite der auf Kosten von Privaten angefertigten Schreibarbeiten 
sind an Stelle des bisherigen Satzes von 5 M. von jetzt an 8,50 M. für die Seite 
zu erheben. 


B. Sachsen. 

Aenderung der Geschäftsordnung für das Landesgesundbeitsamt. 
Verordnung des Ministeriums des Innern vom 19. Juni 1922. 

§ 11 Abs. 3 der mit Verordnung vom 24. Juni 1913 (GVB1. S. 171)*) be¬ 
kannt gegebenen Geschäftsordnung des Landesgesundbeitsamtes erhält folgende 
Fassung: 

Den außerordentlichen Mitgliedern werden für die Teilnahme an einer 
Abteilungssitzung 75 M., auswärts wohnenden außerdem Tagegeld und Ver¬ 
gütung für Reisekosten vom Landesgesundheitsamt gewährt. 


C. Baden. 

Verordnung Ober die in den Apotheken zulässigen Wagen und Ge¬ 
wichte. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 6. Juni 1922. 

§ 5 der Verordnung vom 6. September 1913 (Gesetz- u. Verordnungsblatt, 
S. 421) wird aufgehoben. 

§ 6 dieser Verordnung erhält folgende abgeänderte Fassung: 

§ 6. Die Wagen und Gewichte der Apotheken unterliegen der Nacheichnng 
innerhalb zweijähriger Fristen. Wagen und Gewichte, an welchen sich Mängel 
zeigen, sind sofort entweder zur Reparatur und Neueichung zu bringen oder 
außer Gebrauch zu setzen und aus den Geschäftsräumen zu entfernen. 


*) S. diese Zeitschrift, 1913, Beil. Rechtsprechung; S. 220. 


Verantwortlich für die Schrlftieltong: Geh. Med.-Bat Dr. Solbrig, Reg.- n. Med.-Rat in Rreeiau, 
Brealan V, Rehdiferetrafie 84. — Druck von J. C. C. Broaa, Minden ft. W. 



Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift ffir Medizinal-Beamte 

Nr. 20. 20. Oktober. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

. A. Deutsches Reich. 

AeuSere Kennzeichnung der mit Dienstmarken freigemachteu Sen* 
Vnngen. Erlaß des Reichspostministers vom 17. Juni 1922 — 
M. f. V. A 3. 383 vom 18. Jnli 1922 —. 

Ziffer Vll,l der obengenannten Amtsblattverfügung schreibt vor, daß die 
mit Dienstmarken freigemachten Postsendungen and Paketkarten mit der Be¬ 
zeichnung und dem Stempelabdruck der absendenden Dienststelle versehen sein 
müssen. Diese doppelte Kennzeichnung soll auf Grund einer Vereinbarung mit 
den Zentralbehörden nicht mehr in Anspruch genommen werden. Es genügt 
künftig als Nachweis der Berechtigung zur Verwendung von Dienstmarken, 
wenn die Sendungen auf der Vorderseite die Bezeichnung und den Amtsort der 
absendenden Behörde darch Buchdruck oder Stmpelaofdruck tragen. Hand¬ 
schriftliche Ergänzungen oder Berichtigungen des Absendervermerks sind nicht 
zn beanstanden; von der besonderen Angabe des Amtsorts kann bei Zentral¬ 
behörden, deren Amtssitz allgemein bekannt ist, abgesehen werden. 

Die besondere Kennzeichnung mit dem amtlichen Siegel (Stempel, Siegel¬ 
marke) ist nur bei Briefumschlägen and Karten in Anspruch zu nehmen, die 
von Behörden im voraus mit Dienstmarken freigemacht und, mit ihrer Anschrift 
versehen, auskunftspüichtigen Personen zur Antworterteilung überlassen sind, 
es sei denn, daß der Absender ein Reichs- oder Staatsbeamter oder eine aktive 
Militärperson ist, sich nicht im Besitz eines amtlichen Siegels oder Stempels 
befindet und die „Ermangelung eines Dienstsiegels“ mit Unterschrift des Namens 
und Beisetzung der Amtsei>renschaft bescheinigt. Mit Dienstmarken freigemachte 
Sendungen, die den vorstehenden Anforderungen nicht entsprechen, sind als 
nicht freigemacht za behandeln. Wird nachträglich die rechtmäßige Verwen¬ 
dung von Dienstmarken nachgewiesen, so sind dem Empfänger die von ihm er¬ 
hobenen Gebühren za erstatten. 

Unberührt bleibt die Bestimmung, daß „gebührenpflichtige Dienstpostkarten 
and -briefe mit dem Abdrack des amtlichen Siegels (Stempel, Siegelmarke) zu 
versehen sind. 


^ Arbeitszeit im Bergban nnter Tage. Gesetz vom 17. Jnli 1922. 
^ Der Reichstag hat bis zur endgültigen gesetzlichen Regelung das folgende 
Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: 

§ 1. In Bergwerken ist die Schichtzeit für den einzelnen nnter Tage 
beschäftigten Arbeiter vom Betreten des Förderkorbes oder Stollenmundlochs 
bei der Einfahrt bis zom Verlassen des Förderkorbes oder Stollenmandlochs 
bei der Ansfahrt zn berechnen. 

§ 2. Als regelmäßige tägliche Arbeitszeit im Sinne der allgemeinen 
Vorschriften gilt die Schichtzeit (§ 1), die sich ans den am 1. Oktober 1921 
geltenden Tarifverträgen ergibt. 

Für Betriebe, die am 1. Oktober 1921 noch nicht bestanden haben, gilt 
diejenige regelmäßige tägliche Arbeitszeit, die in demselben Bergbanbezirke 
für Betriebe der gleichen Bergbauart maßgebend ist. Sind Betriebe der gleichen 
Bergbanart in dem Bergbaubezirke nicht vorhanden, oder liegt ein derartiger 
Betrieb nicht in einem geschlossenen Bergbaubezirke, so gilt die für die Mehr¬ 
zahl der Betriebe der gleichen Bergbanart maßgebende regelmäßige tägliche 
Arbeitszeit. 






90 


Medizinalgesetzgebung. 


War für einen Betrieb am 1. Oktober 1921 die Arbeitszeit nicht tarif- 
vertraglich geregelt, so gilt als regelmäßige tägliche Arbeitszeit die za diesem 
Zeitpunkt in dem Betrieb in Uebung gewesene Schichtzeit. 

§ 3. Durch allgemein verbindlichen Tarifvertrag können Ueberstnnden 
über die Vorschriften des § 2 hinaus vereinbart werden. Igt ein Antrag auf 
Erklärung der allgemeinen Verbindlichkeit eines solehen Tarifvertrags gestellt, 
so kann die zur Entscheidung zuständige Stelle auf Antrag eines der am Tarif¬ 
verträge beteiligten Verbände bis zur Entscheidung über die allgemeine Ver¬ 
bindlichkeit die tariflich vereinbarte Arbeitszeit für den Geltungsbereich des 
Tarifvertrages zulassen. 

§ 4. Für Betriebspspnnkte mit einer Wärme über 28 Grad Celsius ist 
in den Tarifverträgen eine Verkürzung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Kommt 
eine derartige Vereinbarung nicht zustande, so ordnet die nach Landesrecht 
zuständige Bergbehörde nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeberverbände 
und Arbeitnehmerverbände die Verkürzungen an. Weitergehende bergpolizei¬ 
liche Bestimmungen bleiben unberührt.' 

§ 5. 8oweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt, finden die all¬ 
gemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben An¬ 
wendung. _ 


B. Preußen. 

S Seuchenbekämpfung bei der kasernierten Schutzpolizei. Erlaß des 
ministers des Innern, zugleich mit dem Minister für Volks¬ 
wohlfahrt vom 29. Juni 1922 — II H. 3930 —. 

Die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei kasernierten Schutz¬ 
polizeibeamten erfolgt in engster Zusammenarbeit des Polizeiarztes mit dem 
Kreismedizinalrat als dem staatlichen’ Gesundheitsbeamten. Meldepfiicbtige 
übertragbare Krankheiten sind der zuständigen Polizeibehörde umgehend an¬ 
zuzeigen. Die Seuchenbekämpfung gehört zu den Aufgaben des Kreismedizinal¬ 
rates. Er kann sich im Rahmen seiner allgemeinen Vorschriften auf gemein¬ 
same Ermittelungen mit dem Polizeiarzt beschränken, diesem aber die Aus¬ 
führung der Seuchenbekämpfung innerhalb der Kaserne nach Maßgabe einer 
gemeinsamen Besprechung überlassen. 

Diese Seuchenbekämpfung hat nach den Bestimmungen der Gesetze betr. 
die Bekämpfung der gemeingefährlichen bezw. der übertragbaren Krankheiten 
vom 30.6.1900 (R. G. Bl. S. 306) bezw. 28.8.1905 (G. S. 8. 373) sowie der Erlasse 
des Minsters für Vo'kswohlfahrt vom 8. 2. 1921 — I M III 64 bezw. vom 7.1. 
1922 — I M HI 2623 (Volkswohlfahrt 1921 S 191 bezw. 1922 S. 59) zu erfolgen. 

Alle staatlichen Unterkünfte der Schutzpolizei sind im Sinne dieses Er¬ 
lasses als Kasernen anzusehen. Hierzu gehören mithin auch die Polizeischulen, 
aber nicht die Polizeireviere. 


Vergütung an auswärtige nlchtbeamiete Mitglieder der Gerichts¬ 
ärztlichen Ausschüsse. Rund-Erlaß des Ministers für Volkswohl¬ 
fahrt vom 26. Juli 1922 — I M I 2270 — an die Herren Oberpräsidenten. 

In Ergänzung der Ziffer 9 Absatz 2 der Ausführungsanweisung vom 
25. September 1921 zum Beschlüsse des Preußischen Staatsmiuisteriums über 
die Bildung Gericbtsärztlicher Ausschüsse in den Provinzen vom 30. April 
1921 (Beilage VI zur Volkswohlfahrt für 1921) genehmige ich im Einverständnis 
mit dem Herrn Finanzminister, daß bis auf weiteres den auswärtigen Mit¬ 
gliedern der Gerichtsärztlichen Ausschüsse, soweit sie nicht Beamte sind, neben 
den bt-stimmungsmäßigen Fahrkosten und Tagegeldern eine (Sachverständigen-) 
Vergütung in Höhe des für die einheimischen Mitglieder zuständigen Anwesen¬ 
heitsgeldes von 50 M. für jeden Sitzungstag gewährt wird. 


/’ 


Tuberkulosebekämpfung. Erlaß des Ministers für Volks wohl- 
ahrt vom 11. August 1922 — I. M. HI. Nr. 2047/22 — an die Herren 
Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten. 

In der Anlage lasse ich Ihnen die vom Deutschen Zentralkomitee zur 
Bekämpfung der Tuberkulose entworfenen „Richtlinien für die zurzeit 
dringlichsten Aufgaben der Tuberkulosebekämpfung* nebst 



Medizin algeeetzgebung.| 


91 


einer Denkschrift nur gefälligen Kenntnisnahme und mit dem Ersuchen er¬ 
gebenst um Bekanntgabe an alle in Betracht kommenden Stellen zugehen. 

Richtlinien ffir die zurzeit dringlichsten Aufgaben 
der Tuberkulosebekämpfung. 

Nach wie vor sollen die bewährten Grundsätze und Richtlinien, die bisher 
für die Tuberkulosebekämpfung in Deutschland maßgebend gewesen sind, ihre 
Geltung behalten. Die ernsten und betrübenden Erscheinungen aber, welche 
die Tuberkulose bald nach Au-bruch des Weltkrieges und bis in die neueste 
Zeit gezeigt hat, machen es notwendig, bei der Abwehr dieser Krankheit ganz 
besonders die nachstehenden Gesichtspunkte zu beachten 

1. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind als tuberkulosegefährdet 
alle Personen zu betrachten, die allgemein, insbesondere durch Unterernährung 
geschwächt sind, auch wenn eine Erkrankung noch nicht nachweisbar ist; dies 

f ilt namentlich für diejenigen Personen, in deren Umgebung sich ansteckende 
überknlöse befinden. 

2. Eine erhöhte Tuberkulosegefahr besteht für diejenigen Altersklassen, 
deren Kindheit und Jugend in die Kriegszeit und die ersten Nachkriegsjahre 
fällt. Aus diesem Grunde ist neben der Fürsorge für die Erwachsenen noch 
mehr als bisher die Bekämpfung der Tuberkulose im kindlichen und jugend¬ 
lichen Alter vornehmlich durch vorbeugende Maßnahmen zu betreiben. 

Als Träger aller Maßnahmen kommen in erster Linie die Selbstverwaltungs¬ 
körper der Gemeinden und der sozialen Versicherung in Betracht. Daneben 
ist angesichts der jeden einzelnen bedrohenden Gefahr die freiwillige Mitarbeit 
aller dazu berufenen Kreise im weitesten Sinne erforderlich. Nicht von dem 
Eingreifen des Staates ist der Erfolg zu erwarten, sondern es bedarf der Mit¬ 
hilfe der gesamten Bevölkerung. 

3. Behufs rechtzeitiger Vorbeugung sind möglichst weite Bevölkerungs¬ 
kreise, vornehmlich Kinder und Jugendliche, einer allgemeinen gesundheitlichen 
Durchmusterung zu unterziehen. Alle hierbei als gefährdet ermittelten Personen 
sollen einer gesundheitlichen Ueberwachung unterstellt werden, damit im Be¬ 
darfsfälle die Behandlung rechtzeitig eingeleitet werden kann. Dazu ist die 
allgemeine Einführung der schulärztlichen Tätigkeit in Stadt uud Land und 
ihre Ausdehnung auf alle Gemeinde- und höheren Schulen ebenso unentbehrlich 
wie die periodische Untersuchung aller Versicherten in den Betrieben. 

4. Im Vordergrund jeder Tuberkulosebebekämpfung muß die Sicher¬ 
stellung einer nach Menge und Zusammensetzung ausreichenden Ernährung 
stehen. Daneben sind alle Maßnahmen, die zur Gesundheitspflege und Kräftigung 
der Jugend dienen können, insbesondere Wohnungsfürsorge, Bereitstellung von 
Kleingärten, Beschaffung von Kleidung und Heizung, ferner Abhärtung, An¬ 
leitung zu Spiel und Sport, Zahnpflege usw. zu berücksichtigen. Hierbei muß 
auf die bisherigen Erfahrungen zurückgegriffen werden, z. B. auch auf die 
Maßnahmen der Versicherungsträger und der Fürsorgestellen in der Ernährungs¬ 
fürsorge und auf die mit so großem Erfolge durchgeführten Schulspeisungen. 

5. Für die Behandlung der tuberkulosekrank befundenen Erwachsenen 
und Kinder sind neben den bewährten und auch für die Zukunft unentbehr¬ 
lichen, aber durch schärfere Auswahl der Pfleglinge zu entlastenden Heilstätten 
auch sonstige wirksame Einrichtungen in verstärktem Maße heranzuziehen, 
z. B. Walderholungsstättcn, Waldstätten, Waldschulen, Liegeplätze, ambulante 
ärztliche Behandlung, geeignete Kurorte usw. 

6. Die schon wiederholt geforderten Einrichtungen für eine gesonderte 
Unterbringung und zweckmäßige Versorgung Tuberkulosekranker in den all¬ 
gemeinen Krankenhäusern sollten überall schleunigst geschaffen werden. Auf 
die Absonderung derjenigen Schwertuberkulösen, welche ihre Umgebung be¬ 
sonders gefährden, ist nach wie vor ein entscheidendes Gewicht zu legen. 

7. Die Belehrung und Aufklärung über die Tuberkulose soll bereits in 
der Schule beginnen und auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt werden. 
Hierbei ist von Wanderausstellungen, Lichtbilder- und Filmvorführungen in 
Verbindung mit ärztlichen Vorträgen reichlich Gebrauch zu machen. 

8. Bei der Ausbildung der Medizinstudierenden und der Fortbildung der 
Aerzte sind neben den klinischen auch die sozialen Gesichtspunkte der Tuber¬ 
kulosebekämpfung, insbesondere auch durch praktische Hebungen, gebührend 



V> Utim^älg^izgtbwbg. 

m b • Auch daa- K?a^*fnp£egcper^or-ü bedarf einer gründlichen 

Abbildung und dauernden FortfeMsng aqi dem Grbpete der Tuberkulose- 
teka&pfiüig« 

Denkschrift über die Toberkoloaebefelmpfung in Deutschland. 

Pri*Mlim des Deutsche* Zectr Jkoraitees rar B^Wimpfsnsr der 
Tuherkcb&* Iä? «ich — wie scb^n im i»tzerr.r.’tr 1/ ' ; im Jonasr :.«!& — 

-eit dem fferbafc voriges Jahren mit der Frage be-ehiftjigt, und inwieweit 
i,re A&n i-r.inz der bisher in der 1 •^v-rkalv^b < -kaapfacg r befolgter GmndüUze 
irfo J ire der Nach w if kurzen der Krin^zcit g*b-vea vIrrt An-chlab an die 
Ef^rterdng ein#! Vortrages. den der Mmktrrlidiirekt^r Prof. Dr.Gcm ? t vria 
in der Sitzung de* PrisidiaizLS am 5. Dezember 192t äfer die Tojt^rktifo**- 
politlk der nieteten Jahre gehalten h*t. wurden die in d-r Arlane b<Ü 2 efügt»*n 

nkn äTH worffn. in rnehrft^.hen Koirimi-G’.-ns- and YolUitrargen des 
Prä/m: ums durch beraten und eßdguki;: R-'u*'/./ 

EV wurde d.tbei von der Erwägung a<t*K*?$ng^nd daß trotz der in den 
Jabren }.£r2fj und läßt wieder eintetreten^n Abnahme der Ttxbr-fäile an Tuber¬ 
kulöse dfrfcb .mit starken Zunahme, der TulerkuiorfcanAxeckaseen wahrend 
der fetzten drei bis Tier Jahre zu rechnen Dt/ und daß diese zahlreichen An- 
^U^kungen, die h&upt-achheb Kinder betreffen, en?t in eher Kerbe von Jahren, 
beim oder n*ob dein Eintritt der BetrotfeüOß in das erwerbsfähige Alfer deutlich 
m die fersebeihöftg treten werden, .wenn nicht re^htjzertig vrr/ t .i^x wird, 
D.fese V^rfbeuguog für die Jugend m.ufi in der Taberkuio5vü>ekam|>fnng der 
Jetztzeit den br^iresteo Baum einnchment *ie muß neben allen andern bewahrten 
Maßnahmen der Tnberkalo^ebekämpfuo*: überall jnit besonderem Eifer und ttater 
Aufwendung aller verfügbaren Mittel betrieben werden. 

Selbstverständlich darf dabei niemals ver^e^ea werden, daß die Tuber¬ 
kulose durch Ansteckung übertragen wird und daß der kranke Mensch die 
HaiipUn-terknng^nrfllc damellt. Dekali ijaü$Sfr& auch alle auf die Erfassung 
und V n^chädlicbmachöng der Ansieckungsquellen gerichteten Maßnahmen, wie 
sic bisher Üblich waren und sich bewahrt haben, nicht nur fort geführt, sondern 
womöglich noch durch den Erlaß gesetzlicher Bestimmungen gefördert werden. 
Die Anzeigepflidit für die ansteckenden Formen der Tuberkulose ist bereits 
auf der Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees im Oktober 1920 
und erneut auf dem Deutschen Tuberkulose-Kongreß in Bad Elster im Mai 
* 1921 gefordert worden, Gleichzeitig bedarf es der Einführung gesetzlicher 
Bestimmungen zur Verhütung der Weiter Verbreitung der tuberkulösen An¬ 
steckung und zur Einleitung einer sachgemäßen Fürsorge für den Tuberkulösen 
und seine Familie. 

( i her dif-se $pfc Jahren erhobenen Forderungen hinaus erscheinen jedoch 
für die nächsten Jahre noch besondere Maßnahmen notwendig, die in den 
8 Punkten der Richtlinien einzeln ausgeführt sind. 

Zn I* Das Verhalten der Tuberkulose während des Krieges und in der 
Nachkriegszeit; hat mit erschreckender Deutlichkeit die Abhängigkeit des Aus¬ 
bruchs und der Vorlaufsweise dieser Krankheit von der Unterernährung be¬ 
wiesen, üleicbzeitig war schon während des Krieges durch das Zusammen- 
drängen mehrerer Familien in einer Wohnung, wie es teils ans Sparsamkeits- 
rüokaiehten, teils wegen der enormen Ausdehnung der Kriegsindustrie notwendig 
wurde, noch mehr aber in der Nachkriegszeit durch die sich immer mehr ver¬ 
schärfende< Wohnungsnot die Gefahr der Ansteckung mit Tuberkulose, besonders 
für die Kinder, gewaltig gmiegen. Wo nun Schwächung des Körpers durch 
Unterernährung 'und reichliche Gelegenheit zur Ansteckung mit Tuberkulose 
zuwutmuenfullcn, da besteht zweifellos eine ernsto TuberkulösereTährdung. 

Zu Von ganz besonderer Bedeutung ist diese Tuberkulosegefahr aber 
für diejenigen Altersklassen, deren Kindheit mul Jugend in die Zeit der Hunger¬ 
blockade und der Teuerung der ersten Nachkriegsjahre fallt. Wenn auch die 
idlenbaren Schaden der jahrelangen Unterernährung allmählich mehr und mehr 
zu ruck treten, so bleibt doch bei vielen eine verminderte Leis tungsfähigkeit und 
eine allgemeine Schwächung der Widerstaud.sfähigkeit des Körpers zurück, die 
auf die veränderte chemische Zusammensetzung der Körpergewebe zurück- 
geführt werden muß und zu deren Beseitigung nicht Wochen oder Monate, 
sondern Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte notwendig sein werden. Es ist des- 




Medizinalgesetzgebung 


93 


halb sehr an fürchten, daß diese jugendlichen Personen, auch wenn sie zurzeit 
noch keine deutlichen Zeichen der Erkrankung darbieten, zu einem späteren 
Zeitpunkt, nämlich dann, wenn ihre körperliche Entwicklung zum Abschluß 
kommt und die Berufstätigkeit größere Anforderungen an ihre Leistungsfähig¬ 
keit zu stellen beginnt, der tuberkulösen Erkrankung verfallen. Dieser Gefahr 
muß rechtzeitig vorgebeugt werden. 

Die Durchführung der hierfür erforderlichen Maßnahmen gehört zweifel¬ 
los in erster Linie zu den Obliegenheiten der Selbstverwaltungskörper der Ge¬ 
meinden und der Träger der sozialen Versicherung, die sich zweckmäßig zu 
Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen. Sie unterliegt der Aufsicht der 
Gesundheitsbehördan des Reichs und der Länder. Es wäre aber durchaus ver¬ 
fehlt, zu glauben, daß das Reich oder die Länder oder die Kommunen und die 
Versicherungsträger allein die erforderlichen Maßnahmen treffen und die dazu 
nötigen Mittel aufbringen können, wenn nicht alle Teile des Volkes mithelfen. 
Die Bekämpfung der Tuberkulose geht jeden einzelnen ans dem Volke an; es 

f ibt wohl kaum eine Familie, die von dieser Krankheit verschont bleibt. Des- 
alb muß auch jeder sie als seine Sache betrachten und bewußt in den Kampf 
mit eingreifen, sei es durch Bereitstellung von Geldmitteln oder Arbeitsleistung, 
sei es durch Ausübung von aufklärender oder fürsorgender Tätigkeit. 

Eine sehr wirksame Unterstützung bei der Fürsorge für Kinder und 
Jugendliche würde es auch bedeuten, we^n einerseits die Familienversicherung 
so schnell als möglich zur Einführung käme und anderseits die Leistungen, die 
von den Landesversicherungsanstalten schon seit Jahren in weitherziger Aus¬ 
legung des § 1274 R. V. 0. auf dem Gebiet der Kinderfürsorge freiwillig über¬ 
nommen worden sind, eine gesetzliche Stütze erhielten. Es ist hierfür vor¬ 
geschlagen worden, in dem § 1269 der Reichsversicherungsordnung ebenso wie 
in den § 36 Abs. 1 des Versicherungsgesetzes für Angestellte die Worte: „wie 
auch versicherungsfreier Familienmitglieder von Versicherten“ einzufügen. 

Zu 3. Als sicherstes Vorbeugungsmittel wird bei der großen Zahl der 
Unterernährten, die vermutlich mit Tuberkulose angesteckt sind, die gesund¬ 
heitliche Durchmusterung möglichst weiter Bevölkerungskreise angesehen. Die 
Durchmusterung wird zweckmäßig durch eine laufende Ueberwachung der als 
tuberkulosegefährdet Ermittelten ergänzt. 

Für die Kinder und Jugendlichen kann diese Aufgabe ohne weiteres von 
den Schulärzten übernommen werden. Es bedarf dazu allerdings einer all¬ 
gemeinen Regelung der Schularztfrage, womöglich auf dem Wege der Gesetz¬ 
gebung. Dabei ist zu fordern, daß für alle Gemeinde-, Mittel- und höheren 
Schulen sowie für die Fortbildungs- und Fachschulen Schulärzte angestellt 
werden. Bei den schulärztlichen Untersuchungen muß dann aber auch die 
Tuberkulose eine ihrer Bedeutung als Volkskrankheit entsprechende Berück¬ 
sichtigung finden, ferner muß auf die Feststellung konstitutioneller Minder¬ 
wertigkeit, erwiesen durch Körpermessung, einfache Blutuntersuchungen, zu¬ 
verlässige Methoden zur Ermittlung des Ernährungszustandes und der Gewebs- 
resistenz besonders Gewicht gelegt werden, wie es bereits bei der Auswahl der 
Kinder für die Quäkerspeisungen gesehen ist. 

Die bereits im Beruf Befindlichen werden am besten durch periodische 
Untersuchungen in den Betrieben erfaßt. Eine derartige Maßnahme wird sich 
freilich der hohen Kosten wegen erst ganz allmählich durchführen lassen. 
Leichter zu verwirklichen wäre eine Ueberwachung solcher Personen, bei denen 
wiederholte Erkrankungen an Bronchial- oder Kehlkopfkatarrhen, überstandene 
Brustfellentzündungen und dergl. den Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung 
erwecken. Hierzu wäre nur notwendig, daß die Krankenkassen besondere Listen 
für die Mitglieder führen und regelmäßig Nachuntersuchungen veranlassen. 

Auf alle Falle kommt es darauf an, durch die Durchmusterung und 
Ueberwachung die Kranken rechtzeitig einer sachgemäßen Behandlung zuzu- 
führen und Verschleppungen, wie sie gerade bei der Tuberkulose nur zu häufig 
sind, vorzubeugen, da durch die Frühbehandlung die Heilungsaussichten sehr 
erheblich verbessert und die Kosten des Heilverfahrens vermindert werden. 

Zu 4. Eine gute und ausreichende Ernährung ist für die Tuberkulose¬ 
gefährdeten als wichtigstes Schatz- und Vorbeugungsmittel zuerst und mit 
allem Nachdruck zu fordern. Senkung der Lcbensmittelpreise und Schutz vor 
Ueberteuerung, Sorge für die Bereitstellung hinreichender Mengen von Milch, 



94 


Medisinalgesetsgebung. 


Fleisch, Brot und Kartoffeln, sowie Abgabe von Lebensmitteln und Stärkungs¬ 
mitteln an Tuberkulöse nnd Tuberkulosegefährdete, wenn nicht unentgeltlich, 
so dooh zu einem ermäßigten und für sie erschwinglichen Preise, das sind 
Maßnahmen, die hierher gehören. 

Außerdem muß alles gepflegt und gefördert werden, was dem gesund¬ 
heitlichen Wohle der Bevölkerung und zumal der Kräftigung der Jugend dienen 
kann: Wohnnngsfürsorge, Kleingärten, Beschaffung von Kleidung und Heizung, 
Abhärtung, Spiel und Sport, Zahnpflege usw. 

Wertvolle Erfahrungen auf allen diesen Gebieten liegen bereits vor. 
Insbesondere haben einzelne Landesversicherungsanstalten schon seit Jahren 
vorbeugende Maßnahmen auf diesem Gebiete der allgemeinen Gesundheits¬ 
fürsorge betrieben. Auch eine große Zahl der Fürsorgestellen hat in den letzten 
Jahren sich auf dem Gebiete der Ernährungsfürsorge nicht nur für die tuber¬ 
kulösen Kranken, sondern auch für ihre gefährdete Umgebung erfolgreich be¬ 
tätigt. Hierher gehören auch die großenteils mit Auslandsmitteln durch- 
geführten Schulspeisungen und Verteilungen von Lebensmitteln an unterernährte 
Mütter und Kinder. Sie in geeigneter Weise weiterzuführen, ist durenaus 
notwendig. 

Zn 5. Alle Erwachsenen und Kinder, bei denen im Laufe der Ueber- 
wachung das Vorhandensein einer tuberkulösen Erkrankung festgestellt wird, 
müssen, wie schon zu Ziffer 3 ausgeführt wurde, unverzüglich in geeignete 
Behandlung genommen werden. Hierfür kommen zunächst die Heilstätten in 
Betracht; sie sind nach mehr als 30jähriger Erfahrung die besten Einrichtungen 
für die Behandlung der Tuberkulose und haben darüber hinaus noch einen 
großen erzieherischen Wert. Wir möchten deshalb ihre segensreiche Tätigkeit 
auch jetzt nicht entbehren, obwohl es bei der bestehenden Teuerang nicht 
immer leicht ist, die Kosten für diese Art von Behandlung aufzubringen. Die 
große Zahl der augenblicklich einer Heilstättenbehandlung Bedürftigen und die 
nahezu vollkommene Unmöglichkeit der Errichtung neuer Heilstätten macht 
allerdings eine sehr sorgfältige Auslese der Kranken notwendig; es kommt 
darauf an, nur wirklich geeignete Kranke der Heilstätte zuzuführen und die 
vorhandenen Betten richtig ausznnutzen und keine unnötigen Ausgaben zu ver¬ 
ursachen. Wenn keine behandlungsbedürftige Tuberkulose besteht, oder wenn 
die Krankheit schon soweit fortschritten ist, daß ein nennenswerter E'folg nicht 
mehr zu erwarten ist, darf eine Heilstättenkur keinesfalls durchgeführt werden. 
Anweisungen dieser Art sind bereits in den „Richtlinien für die Behandlung 
tuberkulöser Lungenkranker im Rahmen des Heilverfahrens der Invaliden- und 
Hinterbliebenenversicherung“ (Runderlaß des Reichs Versicherungsamts vom 
17. November 1919 II 6899 * **) ) nnd in dem Erlaß des Reichsarbeitsministers be¬ 
treffend Gesundheitsfürsorge für kriegsbeschädigte Tuberkulöse vom 18. März 
1922 — IX 2282/22 D 3 ••) enthalten. 

Neben der altbewährten Heilstättenbehandlung müssen aber für die zahl¬ 
reichen Tuberkulösen auch alle anderen Behandlungsmöglichkeiten in ver¬ 
stärktem Maße herangezogen werden. Hier sind besonders die Walderholungs- 
stätten und Waldschulen zu nennen, die in größter Einfachheit hergestellt 
werden können, bei deren Anlage aber stets auf bequeme Zogänglichkeit Be¬ 
dacht genommen werden sollte, da weite Entfernungen heute nur zu oft ein 
unüberwindliches Hindernis darstellcn. Auch durch Herrichtung von noch ein¬ 
facheren Gelegenheiten zu Liegekuren, durch Bereitstellung von ambulanter 
ärztlicher Behandlung, durch Benutzung geeigneter Kurorte kann und muß 
dem Tuberkulösen geholfen werden. 

Zu 6. Trotz oft wiederholter Anregungen nnd trotz des Erlasses ent¬ 
sprechender Verfügungen fehlen noch in den meisten allgemeinen Kranken¬ 
häusern geeignete Räume für die gesonderte Unterbringung und Versorgung 
Tuberkulöser. Solche Vorkehrungen köunen aber nicht entbehrt werden; sie 
sind vor allem für diejenigen Schwertuberkulösen nötig, die, sei es aus Un¬ 
achtsamkeit oder schlechtem Willen, sei es infolge großer körperlicher Schwäche 
oder allzu beengter Wohnungsverhältnisse, ihre Umgebung besonders gefährden. 

*) Abgedruckt im Geschäftsbericht des Deutschen Zentralkomitees, 1920, 
Seite n, 4. 

**) Desgl. 1922, 8eite II, 21. 



Medizinalgesetzgebung. 


96 


Die Kranbenhausräume oder Abteilungen für die Tuberkulösen werden zweck¬ 
mäßig mit Einrichtungen zur Durchführung der hygienisch-diätetischen Be¬ 
handlung vcrcehen, wie sie sich sonst in Heilstätten finden; sie werden da¬ 
durch für Kranke aller Stadien verwendbar, auch für solche Kranke, die auf 
die Zulassung znr Heilstätte warten, gleichzeitig wird vermieden, daß sie in 
den schlechten Ruf von Sterbezimmern kommen. Vorkehrungen dieser Art sind 
offene oder halbgeschlossene Balkons oder Liegehallen mit Liegestühlen, ferner 
Apparate für künstliche Bestrahlung an sonnenlosen Tagen, Solbäder und 
dergL mehr. 

Nach den bisherigen Erfahrungen werden behördliche Maßnahmen zur 
Schaffung von Tuberkuloseabteilungen oder -zimmern in den Krankenhäusern 
kaum zu entbehren sein Bisher liegen nur vereinzelt Nachrichten vor, aus 
denen hervorgeht, daß die Unterbringung von Tuberkulösen in Krankenhäusern 
zum Zwecke der Absonderung mit einer gewissen Regelmäßigkeit und in 
größerem Umfange durebgeführt wird, so z. B. aus dem Bereiche der Landes¬ 
versicherungsanstalt Rheinprovinz, wo es doch schon in einer nennenswerten 
Zahl von Fällen gelingt, tuberkulöse Rentenempfänger aus der Familie heraus- 
zunebmen und in Krankenhäusern, meist auf dem Lunde, unterzubringen. Hier¬ 
auf zielt auch der Runderlaß des Sächsischen Ministers des Innern betreffend 
Unterbringung schwerkranker Tuberkulöser vom 23. März 1921 — Nr. 426IV M — 
hin, der den Pflegebezirken und Kreishauptmannschaften entsprechende Ma߬ 
nahmen zur Pflicht macht.*) In gleichem Sinne hat sich neuerdings auch der 
Bayerische Landesverband zur Bekämpfung der Tuberkulose bemüht, geeignete 
Krankenhäuser zur Unterbringung der Tuberkulösen überall im Lande ausfiudig 
zu machen. Diese Beispiele sollten in allen Ländern und Provinzen Nach¬ 
ahmung finden. 

Zu 7. Nicht weniger wichtig als die bisher erwähnten Maßnahmen der 
Fürsorge, Behandlung und Absonderung Tuberkulöser ist die Belehrung und 
Aufklärung der gesamten Bevölkerung über die Entstehungsweise und die Art 
der Tuberkulose. Um wirklich ganze Arbeit zu machen, ist es nötig, schon in 
der Schule damit zu beginnen. Die in einigen größeren Städten (Dresden, 
Hannover, Stettin) gemachten Versuche haben gezeigt, daß die Durchführung 
möglich ist und daß die Kinder sehr wohl in der Lage sind, das Wichtige auf¬ 
zufassen und in sich aufzunehmen. 

Die Aufklärung und Belehrung kann wesentlich gefördert werden durch 
Wanderausstellungen, Vorführung von Licht bildern und Filmen und dergl. mehr. 
Dieser Aufgabe widmen sich außer dem Deutschen Zentral-Komitee zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose und in Zusammenarbeit mit ihm das Deutsche Hygiene¬ 
museum in Dresden und der Reichsausschuß für hygienische Volksbelehrung 
mit seinen Unterausschüssen in den einzelnen Ländern. 

Zu 8. Um in der Tuberkulosebekämpfung greifbare Erfolge zu erzielen, 
darf auch die Aus- und Fortbildung des dabei in erster Linie beteiligten ärzt¬ 
lichen und Krankenpflegepersonals nicht außer acht gelassen werden. Bei 
' Medizinstudierenden und Aerzten muß noch weit mehr, als dies bisher der Fall 
war, das Interesse für die Tuberkulose als Infektionskrankheit und als soziale 
Krankheit erweckt werden. Eine viel gründlichere Durchbildung in der Diagnostik 
und Prognose, wie auch in der Behandlung der tuberkulösen Erkrankungen ist 
für die große Masse der Aerzte, die in der Privat- oder Kassenpraxis zuerst 
mit den Tuberkulösen in Berührung kommen und sie bis zuletzt zu betreuen 
haben, nötig. Auch über die praktische Fürsorgetätigkeit sind viele Aerzte 
heute noch nicht genügend unterrichtet, daß der Hauptzweek der Fürsorge in 
dem Schutz der Gesunden besteht, muß erst noch Allgemeingut ärztlichen 
Wissens werden. Außer der Vervollkommnung der Ausbildung aller praktischen 
Aerzte hinsichtlich der Ziele und Wege der Tuberkulosebekämpfung ist aber 
auch eine vermehrte Bereitstellung von Ausbildungsangelegenheiten für Tuber¬ 
kulosefachärzte notwendig. Lehrgänge über Tuberkulose für praktische Aerzte 
und solche für Fachärzte sollten regelmäßig in allen Universitäten und an den¬ 
jenigen Orten, an denen sich größere Krankenanstalten und geeignete Lehr- 


*) Abgedruckt im Geschäftsbericht des Deutschen Zentralkomitees, 1922, 
Seite n 63. 



96 


Medizinalgeset,zgebnng. 


kräfte ftodcn, möglichst io Verbindung' mit gutarbeitenden Tuberkalosefürsorge- 
8teilen and Lungenheilstätten abgehalten werden. 

Auch das Krankeupflegepersonal und in der Fürsorge tätige Personen 
bedürfen einer gründlichen theoretischen und praktischen Aasbildung im Hin¬ 
blick auf die Bekämpfung der Tuberkulose; dieser Unterricht maß den Fort¬ 
schritten der Wissenschaft und den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit ent¬ 
sprechend, in gewissen Zeitabständen wiederholt werden. 


C. Sachsen, 

Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. Das Ministerium 
des Innern hat unter dem 10. August 1922 folgende Verfügung 
erlassen : 

Das unerwartet starke Sinken de 3 Geldwertes hat eine Nachprüfung der 
in der Sächsischen Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte vom 25. März 
1922 vorgesehenen Gebührensätze nach dem Vorgänge des Preußischen Mini¬ 
steriums für Volks Wohlfahrt schon vor dem in § 13 Abs. 2 der Gebührenord¬ 
nung festgesetzten Zeitpunkt notwendig gemacht. Auf Grand dieser Nach¬ 
prüfung wird bestimmt.. 

1. Mit rückwirkender Kraft vom 1. Juli 1922 au tritt zu den Sätzen der 
Abschnitte 11 A, B sowie HI ein Touerungszuscblag von 45 v. BL 

2—9. Die Aendernngen betreffen Leistungen der Zahnärzte, die gleich¬ 
falls eine entsprechende Erhöhung erfahren haben. (Vom Abdruck wird abgesehen.) 


O. Württemberg. 

Amtliche Gebührenordnung. Verordnung des Wiirtt. Staats¬ 
mini s t e r i u m s. 

Der Verordnung des Wttrtt. Btaatsministerinras über die ärztlichen Ge¬ 
bühren für amtliche Verrichtungen vom 28.März 1922*) ist nunmehr eine weitere 
Verordnung des Württ. Staatsministeriums tibor die Gebührenordnung der 
wiirttembergischen Aerzte für die Privatpraxis gefolgt. Die neue Ge¬ 
bührenordnung fiir die Privatpraxis bat rückwirkende Kraft vom 1. April 
1922. Wie die bisherigen nud dio übrigen deutschen Gebührenordnungen ent¬ 
hält sie für die einzelnen Verrichtungen Rahmensätze. Die Honorarsätze selbst 
sind die gleichen wie die der neaen Preußischen Gebührenordnung vom 1. April 
1922, so daß nunmehr eine einheitliche Regelung der ärztlichen Privatgebühren 
im Deutschen Reiche ungebahnt ist. 

Eine neue Fassung haben die einleitenden Paragraphen erhalten. Der 
alte Stroit um dtn § 3 der Württ. Gebührenordnung ist nun in einer die Aerzte 
und die Versicherungsträger voll befriedigenden und den Ansprüchen beider 
Teile gerecht werdenden Weise ans der Welt geschafft. Auf der einen Seite 
ist der verorduungsmäßige Zwang, daß die Aerzte für die Versicherungsträger 
zn den Mindestsätzen behandeln müssen, soweit nicht andere Vereinbarungen 
bestehen, beseitigt, auf der anderen Seite gibt die Gebührenordnung dem Württ. 
Arbeitsmioisterium im Beuehuieri mit dem Ministerium des Innern das Recht, 
eine Norm für die Bemessung von Barleistungen der Versicherungsträger auf- 
zusteüen, falls zwischen Aerzten und Versicherüngsträgern ein vertragloser 
Zustand einmal bestehen sollio. 

Bel Abfassung der Gebührenordnung war vorgesehen, daß erstmals im 
Herbst dieses Jabres durch einen paritätischen Ausschuß im Ministerium des 
Innern über etwaige Teuerungszulagen verhandelt werden sollte. Die Zeit- 
Verhältnisse haben diese Bestimmung überholt. Das Württ. Staatsministeriom 
bat. wio wir hören, in Aogleicbung an die Verordnung in Preußen bereits zu¬ 
gleich mit der Veröffentlichung der ucuen Gebührenordnung eine Teuerung?- f 
Zulage auf die neuen Sätze von 45 vom Hundert rückwirkend ab 1. Juli verfügt. 

(Med. Korrespondenzbl. für Württemberg.) 


*) Siehe diese Zeitschrift, Beilage, 20. Sept. 1922, Nr. 18, S. 78. 


Verantwortlich flr die Sehrlftfeltang: Geh. Med.-Hat Dr. Sölhrig:, ü. Med.-Rat Lu fir*«Ua 

Braalaa V, ttehdlgerttraßo $4. — Druck ?oo J. C. C. Braut, Hlüdcc L W. 













Rechtsprechung u. Medizinal* 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift für Medizinal-Beamte 
Nr. 21. 5. November. 1922. 


Medizinal-Gesetzgebung. 

A. Deutsches Reich. 

Aufhebung von zur Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten er¬ 
lassenen Einfuhrverboten. Verordnung des Eeichsministers des 
Innern vom 6. September 1922. 

Anf Grund des § 25 des Gesetzes betreffend die Bekämpfung gemein¬ 
gefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900 und der Bekanntmachung, betreffend 
die Ein- und Dnrchfuhrbeschränknngen zur Abwehr von Cholera- und Pest- 
gef&hr, vom 4. Juli 1900 (R. G. Bl. S. 555) wird folgendes bestimmt: 

§ 1. 1. Die Verordnung, betreffend Einschränkungen der Einfnhr aus 
Asien, vom 6. September 1897 (R. G. Bl. S. 725); 

2. die Verordnung, betreffend Beschränkungen der Einfuhr aus Ägypten, 
vom 13. Juli 1899 (ß.G. Bl. S. 369); 

3. die Verordnung, betreffend Beschränkungen der Einfuhr wegen Pest¬ 
gefahr vom 18. Dezember 1899 (R. G. Bl. S. 703); 

4. die Bekanntmachung, betreffend Beschränkungen der Ein- und Durch¬ 
fuhr aus der europäischen Türkei einschließlich aller türkischen Häfen des 
Ägäischen und Schwarzen Meeres, vom 24. August 1901 (R. G. Bl. S. 281); 

5. die Bekanntmachung, betreffend Beschränkungen der Ein- und Durch¬ 
fuhr aus China, vom 18. Februar 1911 (R. G. Bl. S. 57) werden aufgehoben. 

§ 2. Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft. 


B. Preußen. 

Gebühr für die Ausführung der Wassermann sehen Reaktion. Rund¬ 
erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 7. Juni 1922 — 
I. M. IV. 1343 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Die Gebühr für die Ausführung der Wassermannschen Reaktion in 
den Medizinaluntersuchungsanstalten wird hierdurch unter Aufhebung der bisher 
geltenden Bestimmungen auf 35 M. festgesetzt. Eine ermäßigte Gebühr von 
25 M. ist entsprechend dem Mindestsatz der Gebührenordnung für Aerzte pp. 
für solche Wassermann-Untersuchungen zu erheben, die für Rechnung der 
Reichskasse, der Staatskassen oder eines Armenverbandes ausgeführt werden. 
Unter anderem kommen hierbei Untersuchungen auf Antrag der zuständigen 
Dienststellen der Reichs-, Heeres- und Marineverwaltung, des Reichsversorgungs¬ 
wesens, der preußischen Schutzpolizeien, ferner Untersuchungen für Insassen 
von Gefängnissen, Erziehungs-, Fürsorge-, Heil- und Pflegeanstalten pp. in Be¬ 
tracht. Die ermäßigte Gebühr ist auch Krankenkassen und gemeinnützigen 
Beratungs- und Fürsorgestellen für Geschlechtskranke einzuräumen. 

Die vorstehenden Sätze treten sogleich in Kraft, sie Anden auch auf die 
seit dem 1. April d. Js. ausgeführten Wassermann-Untersuchungen An¬ 
wendung, für die den Auftraggebern Gebühren noch nicht in Rechnung gestellt 
sind. Soweit seit dem 1. April bereits Gebühren in der bisher geltenden Höhe 
erhoben sind, kann es dabei verbleiben. 

Ich ersuche das dortige Medizinaluntersuchungsamt hiernach gefl. mit 
Anweisung zu versehen. 

Sie wollen ferner veranlassen, daß den privaten Laboratorien pp., die 
die Genehmigung zur gewerbsmäßigen Ausführung der Wassermann sehen 
Reaktion besitzen oder erhalten, entsprechend den mit Erlaß vom 4. Oktober 




98 


Medizinalgesetzgebung. 


1920 (Ministerialblatt „VolksWohlfahrt“ 1920 S. 346) mitgeteilten Richtlinien 
die Verpflichtung zur Innehaltung der neuen Gebührensätze als amtlich vor* 
geschriebener Mmdestuntersuchungsgebühren auferlegt wird. 


Reisekosten der KrelsmedizinalrSte in gerichtlichen Angelegen* 
Veiten. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Juni 
1922 — I. M. I 985 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Im Einverständnis mit dem Herrn Einanzminister genehmige ich auf 
Grund des § 8, Abs. 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910, daß den 
Kreismedizinalräton bei Reisen in gerichtlichen Angelegenheiten bis auf weiteres 
Fahrkosten und Tagegelder nach den für Staatsdienstreisen geltenden Sätzen 
gewährt werden. _______ 


Gebühren für die staatliche Prüfung der Zahntechniker. Erlaß 
ües Ministers für Volkswohlfahrt vom 1. Juli 1922 — I. M. II. 
2896 II — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Die Gebühren für die staatliche Prüfung der Zahntechniker (auf Grund 
des § 1 Abs. e) der Ausführungsbestimmungen zu § 123 der R.V.O. vom 
2. Dezember 1913 /14. Oktober 1920 — bedürfen mit Rücksicht auf die gegen* 
wärtigen Verhältnisse einer wesentlichen Erhöhung. Unter Bezugnahme auf 
den Erlaß vom 14. Oktober 1920 — I. M. IL Nr. 2343 —, dem die Vorschriften 
über diese Prüfung als Anlage beigelegen haben, werden daher diese Vor¬ 
schriften dahin abgeändert, daß an Stelle der Gebühr von 150 M. im § 6 eine 
solche von 4 5 0 M. und an Stelle der Gebühr von 30 M. im § 13 eine solche 
von 75 M. tritt. 

Diese Bestimmungen treten mit dem Tage ihres Erlasses in Kraft, soweit 
die Prüfungsgebühren nicht schon eingezahlt sind. 


Uebereinkommen mit den Ländern Baden, Hamburg nnd Mecklen¬ 
burg-Schwerin bezüglich der Woblfahrtspflegerinnen. Bekanntmachung 
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 28. Juli 1922. 
jT Das Preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt einerseits und das 
^Badische Arbeitsministerium, die Senatskommission für die Reichs- und aus¬ 
wärtigen Angelegenheiten in Hamburg und das Mecklenburg-Schwerinsche Mini¬ 
sterium, Abteilung für Sozialpolitik, andererseits haben sich zur gegenseitigen 
Anerkennung der Vorschriften über die staatliche Prüfung von Wohlfahrts¬ 
pflegerinnen verpflichtet. _ 


AerztUches Honorar bei Massenimpfungen. Erlaß des Ministers 
für Volkswohlfahrt vom 25. AuguBt 1922 — I. M. ID. 2224 —. 

An sich ist jeder Impftermin als besondere Massenimpfung aufzufassen. 
Da jedoch zwischen Kreisausschüssen und Impfärzten besondere Vereinbarungen 
über die Impftermine getroffen zu werden pflegen, haben hier beide Parteien 
freien Spielraum, gegebenenfalls auch geringere Entschädigungen des Impf¬ 
arztes zu vereinbaren, als in meinem Runderlaß vom 26. Juni 1922 — I. ML 
III. 1484 — (V.M.B1. S. 338) festgesetzt ist. 


Jr. Tageg 

jri uinisters 
jr Innern — ! 


Tagegelder für Dienstreisen der Staatsbeamten. Erlaß desEinanz- 
vom 7. August 1922, zugleich für den Minister des 
I. C. 2. 3038 UL 2. 664 (Hochbauabtlg. — an das M. d. 1.1. a. 926. 

I. In Aenderung des Runderlasses vom 15. Mai 1922 — F. M. Bl. S. 296 — 
genehmigen wir auf Grund des § 8 Absatz 2 des Reisekostengesetzes vom 
26. Juli 1910 bezw. des § 8 Absatz 2 der Reisekostenverordnung für Angehörige 
der Landjägerei vom 9. August 1913 für den Bereich der allgemeinen Kreis¬ 
kassen-, Kataster- und Hochbauverwaltung sowie der inneren Verwaltung ein¬ 
schließlich der staatlichen Polizeiverwaltungen, der Landjägerei und der Schutz- 
dolizei, daß mit Wirkung vom 1. August 1922 ab den Staatsbeamten bei 
Dienstreisen an Stelle der bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu 
den gesetzmäßigen Tagegeldern bewilligt werden, die mit den Tagegeldern zu¬ 
sammen folgende Beträge nicht übersteigen dürfen: 



Mcdizinalgesetzgebuog. 


99 


Tagegeld: 

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R«l«*lwsU» nnd Tagegelder der Staatsbeamten., Euadferlaß dci; 
fäuunz’nnü'iffters und des JSt|'6liir.t4J'$f- / InsÄto #om 1$. 
temb er 1933* do.n Mi o is t er $ f 0 f .. V -j I ks w6 ii 1 i a,br t v oin äo, Hey 

teKober 1.922. . 

I; In Aenderung des Runäerlusses vom 7. August 1922 — IC* 3068, 
111 2. <564, M. d. I. I» 1 926 — . genehmigen wir aut Grund des § 8 Abs. 2 
des Eewekoatougesetzes vom 26 Joli 1910 — GlesetzsacauL S. 150 — hezw. 
des § 8 Abs. 2 de* Reisekostdoyerorduiiög für Ahgelidrige der .Landjägerei vom 
9. Anglist '.1010— Gfeset 2 stumnl. S. 372 -XDir den Bereich pp., daß mit Wirkung 
Tom T. September 1922 ab den Hfatusbeamten .bei Dienstreisen an Stelle d*r 
bisherigen Entschädigungen besondere Zuschläge zu den gesetzmäßigen Tage- 


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II. Mit Bikksicbt darauf, daß unter den heutigen VcrbäHuifiseH phöe, 
weiteres angenommen werden kann, daß die im § 3 Abs. 2 des IteiseMvratfca- 
gesetzes vwn 26. Juli 1910 and im |; S 'Abs?. 2 der Reisekestenveräiänang; für 
die L&iidjEgerei vom 9. Aagnsa 1913 für die Zurücklegang eines Xändwee- 
kilomtders vorgesehenen Vergütungen von 60, 40 «nd 30 Pf. die tatsächlichen 

.4 n + .u»!. ■ __J.. ü d o a t. .. 4 j«. i.-/• 



Sep temb t r 1922 ab ausgeiührteB 

Dienstreisen .'.bewilligt wird. .. ■ :; YYYYv:YYYYYVYYYiYyyYYrYYYy ; ' ; !' ; YYYX-Yv 

lil; Der Bünderläß vom ,20. Juni 1.922 — F. M, RL & 361, hptr. Sftsdsüsse 
oder Paasebvergiitongea zu dös IdeBstreisetagngelderil an£ Grund des $ .8 
Abs. 2 des Iteisekesfcenge$etZ;ej vom 26. Juli 1910 usw,, wird dabin ergänzt, ... 
daß bezüglich der vnin 1, September 1922 ab nüsgeliiftrten Dienstreisen 


iiiitfI 






100 


Medizinalgefietzgebang, 


von der Anrechnung häuslicher Ersparnisse abgesehen werden kann, falls sich 
die beantragtes Zuschüsse in angemessenen Grenzen halten und begründet er¬ 
scheinen. 

IV. Im übrigen tritt an den bisherigen Grundsätzen der Abfindung der 
Beamten bei Dienstreisen keine Aenderung ein. 



Falirkosten der Krelsroedlziualräte. Erlaß des Ministers für 


■wo 1 kswob 1 i ahr t voru 28. Angas t 1922 — I. M. I. 2518 —. 

Im Anschluß en den Hunderlaß vom 11. August 1920 — I M I 2091 — 
genehmige ich im Einverständnis mit dem Herrn Finanzministcr unter dem 
Vorbehalte des Widerrufs, daß im Hin Mick auf die weitere Preissteigerung 
für Gummi. Del, ßetmbsstoffe n>:W. den Kreismedizinalräten mit eigenem Kraft¬ 
wagen (Krafträderni au.-führen, un'er den Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 
der allgemeinen Verfügung des 81 antsmioisieriums vom 3. Oktober 1911 an 
Stelle der bestimmungsmäßigen Fabrkosten statt des bisherigen Höchstsatzes 
von vier Mark mit Wirkung vom 1. April 1922 ab Entschädigungen bis zur 
Höhe von .»ochs Mark für ein Kilometer gewährt werden. 

Glciehkeitig weise ich zur Beseitigung aufgetretener Zweifel darauf hin, 
daß bei Benützung von Pferdefuhrwerk bei Wegstrecken, die nicht auf Eisen¬ 
bahnen, Kleinbahnen oder Schiffen zurüeketiegt werden können, die Erstattung 
der Fahrkjosten nach Maßgabe des § 8 Absatz 1 des Reisekostengesetzes vom 
26. Jali 1910 zu erfolgen hat. Wird auf derartigen Strecken eigenes Pferde¬ 
fuhrwerk benutzt, ho können dafür in gleicher Weise wie bei Mietfuhrwerk 
die tatsächlichen Unkosten erstattet werden; jedoch dürfen die für eigenes 
Fuhrwerk in Rechnung gestellten Beträge die für Mietfuhrwerk ortsüblichen 
Sätze nicht überschreiten. 


Erhöhung der Fabrkosfen für Dienstreisen. Erlaß des Ministers 
für Volks Wohlfahrt, vom 4. Oktober 1922 — A. 3. Nr. 527 —. 



Durch die Verordnung über Erhöhung der Eisenhahnfahrkosten bei Dienst¬ 


reisen der Staatsbeamten vom 21. September 1922 — G.S. S, 295 — ist der 
pahrkosten-Kjh jjraetcf satz des Reisekostengesetzes vom 26. 7.1910 — G.S. 
H. 160 — in der Fassung der Verordnung vom 30.11.1921 •— G.S. S. 550 — 
lur Wegestrackeu, die nach dem 30. 9. 1922 auf Eisenbahnen oder Schiffen 
znrückgelegt werden können, neu festgesetzt und zwar erhalten: 
a j die in § 1 des Reisekostengesetzes unter I—IV genannten Beamten 210 Pf.« 
wenn der Fahrpreis für die erste Wagenklasse gezahlt ist, sonst 120 „ 

b) die unter V und VI genannten Beamten ...» .120 „ 

wenn der Fahrpreis für die zweite Wagenklasse oder die erste 

»Schiff- klas*e gezahlt ist, sonst.. 75 „ 

e) die unter VII genannten Beamten. 75 „ 

d) die unter I nud II genannten Beamten im Falle des § 3 Abs. 4 75 „ 

Bei Dienstreisen, die vor dem 1. Oktober angetreten, aber an diesem. 
Tage oder später beendet worden sind, fallen diejenigen Eisenbahn- und Schiffs¬ 
fahrten, die an diesem Tage oder später zurückgelegt werden, unter die vor¬ 
stehenden Bestimmungen. 

Die neben den vorstehenden Sätzen zur Erstattung gelangenden Schnell- 
zugszaschlage betragen vom 1. 10. 1922 ab: 


I./ILK1. III. Kl. 
75 km 30 M. 15 M. 


Bei Entfernungen bis zu 


über 75-150 „ 60 » 30 „ 

„ 150 km 90 „ 45 „ 


C. Baden 


Durch Ministerialbekanntmachung vom 22. September 1922 werden die 
Gel)Ulm*fi der üesuudheitabeaniten fiir amtliche Verrichtungen vom 1. August 
ab um 300 p. c. erhöht. Die Apothekenvisitatoren erhalten für Visitation einer 
Apotheke eine Geschaftsgebulir von 200 M. 


Verantwortlich für dir Schri ftlritung: Och. Mcd.-iUt Dr. Solbrig, Reg.- u. Med.-Bat to BrerUu 
Breslau V, lUhdigerslraße 34. Druck tob J. C. 0. Brun«, Minden l. W. 




















102 


Rechtsprechung 


„Ich habe es nirgendwo anders gelernt und in keiner der hiesigen Kliniken 
wird anders praktiziert, wie sollte ich als einfacher Arzt hier reformieren. Die 
Schwestern müssen doch ganz andere Leistungen ansführen. Sublimatverdün- 
nnngen nnd Karbolsänreverdönnnngen sollen die Schwestern machen dürfen. 
Novocainlösungen und Cocainlösungen aber nicht?“ 

Die nach der Zeugenvernehmung erstatteten Berichte der Sachverstän- 
digen hielten in der überwiegenden Mehrzahl es für sehr wahrscheinlich, d*ft 
der Tod durch Cocainvergiftung eingetreten wäre, denn wenn auch in Tieren, 
die man mit den bei der Operation verwendeten Lösungen vergiftet hätte, kein 
Cocain nachzuweisen gewesen wäre, so spräche das absolut nicht dagegen, daß 
hier eine Cocain Vergiftung Vorgelegen hätte. „Bei Tierversuchen trat bei lang¬ 
samer Injektion von Cocain der Tod nicht ein, als man aber das gleiche Quantum 
schnell injizierte, trat sofortiger Tod ein. Aus der Literatur habe sich ergeben, 
daß in zwei Fällen möglicherweise der Tod infolge einer Cocainpinselung eintrat.* 
Interessant war das Gutachten des Gerichtsarztes Dr. R., der über die 
Tätigkeit der Schwestern sich wie folgt äußerte: 

„Cocain ist ein gefährlicher Stoff und gehört der Oeffentlichkeit entzogen. 
Es liegt absolut kein Bedürfnis vor, daß Krankenhäuser dieses Mittel selbst 
herstellen. Schwestern aber sind nicht dazu da, solche Lösungen herzustellen, 
was allerdings zu einer allgemeinen Uebung geworden ist. Der Arzt bleibt 
moralisch verantwortlich, wenn er das Mittel aus der Hand gibt. Cocain ge¬ 
hört in den Giftschrank des Krankenhauses.“ 

Der Sachverständige hielt es für unzulässig, daß der Arzt der Schwester 
Pulver überließ, ohne zu wissen, wie viele solcher Pulver die Schwester hatte 
und ohne daß das Papier, in dem das Pulver war, die Aufschrift des In¬ 
halts trug. 

Ueber die Ausbildung der Krankenschwestern äußerte sich Geheimrat 
Dr. V. ausführlich. Die Ausbildung lasse viel zu wünschen übrig. Im Lehr¬ 
buch sei vorgeschrieben, daß die Schwester im Zubereiten von Lösungen unter¬ 
richtet werde. Er stebe auf dem Standpunkt des Gerichtsarztes Dr. B., 
daß, wenn richtig verfahren worden wäre, die Schwester die Lösungen nicht 
anfertigen durfte. Es gebe in Frankfurt nur im Marienkrankenhaus eine 
Schwester, die auf Grund ihrer Vorbildung solche Lösungen anfertigen dürfe. 
Wenn der Arzt durch eine Schwester eine Lösung bereiten lasse, so trage er 
die Verantwortung. Es sei zu hoffen und zu wünschen, daß der Prozeß dazu 
beitrage, das persönliche Verantwortungsgefühl sowohl des Arztes als auch 
der Krankenschwestern zu stärken. Auf eine Anfrage erklärte der Sach¬ 
verständige, daß es den Krankenschwestern erlaubt sei, Morphiuminjektionen 
zu machen. Nach seiner Ansicht habe Dr. M. seine Berufspflicht nicht ver¬ 
letzt Die Schwester war gut vorgebildet und er mußte sich sagen, daß er 
sich auf sie verlassen könne. 

Das Urteil lautete auf Freisprechung des Arztes Dr. M., da er sich nicht 
strafbar gemacht hätte. Denn die Sachverständigen hätten es nicht als Pflicht¬ 
verletzung angesehen, wenn der Arzt die Lösung selbst zubereitet bezw. an die 
Schwester diese Arbeit übertragen hätte. Das Verfahren gegen die Schwester 
wurde wegen weiterer Vernehmung Sachverständiger vertagt. 

(Pharmaz. Ztg. 1922, Nr. 55/56). 


Medizinal - Gesetzgebung. 

Preußen. 

Kanallsatlonsprojekte. Erlaß des Ministers für Volkswohl¬ 
fahrt vom 6. Mai 1922 — I M IV 541/22 — zugleich imNamendes 
Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und des 
Ministers für Handel und Gewerbe. 

In den Erlassen vom 13. Juli 1914 — M. d. I. II g 498, M. d. ö. A. IQ 
1877 A C, M. f. H. u. G. IQ 6270, M.f. L., d. u. F. IB Hb 5808 — und vom 
25. November 1916 — M. d. I. M. 11 896, M. f. H. u. G. HI 6907, M. d. ö. A. m 
2608, M. f. L., D. u. F. I B II b 4301 — ist angeordnet, daß Kanalisations¬ 
projekte anfänglicher Art, für welche eine wasserpolizeiliche Genehmigung oder 
die Verleihung des Rechts auf Einleitung der Abwässer in einen Wasserlauf 
nachgesucht wird, der Landeszentralinfctanz — nunmehr unter der äußeren 



Medizinalgesetzgebung 


108 


Adresse: Ministerium für Yolkswohlfahrt —'vorzulegen sind. Diese Erlasse 
bleiben in vollem Umfange aufrechterhalten und gelten daher auch für solche 
Kaaalisationprojekte, nach denen Abwässer unmittelbar einem Wasserlauf zu* 
geführt werden sollen, dessen Verwaltung auf das Reich übergegangen ist. 


i 



Jr Verwendung von Talk nnd schwefliger Sänre bei Herstellung von 
Müllerelerzengnissen. Runderlaß des Ministers für Volkswohl* 
fahrt, der Minister für Landwirtschaft pp., für Handel und 
Gewerbe und der Justiz vom 10. Juni 1922 — I. M. II 1801, M. f. 
L. pp. 1. A. III. J. 4895, M. f. H. u. G. II. b. 4265, Just. Min. 1.4424 — an die 
Herren Regierungspräsidenten. 

In neuerer Zeit ist zur Sprache gebracht worden, ob und unter welchen 
Voraussetzungen die Verwendung von Talk und von schwefliger Säure bei der 
Herstellung von Müllereierzeugnissen, insbesondere von Graupen, Grütze, Reis 
und Schälerbsen, als zulässig angesehen werden kann. Die hierüber im Reichs¬ 
gesundheitsamt unter Beteiligung von Vertretern der Industrie und der 
Nahrungsmittelchemie abgehaltenen Beratungen haben ergeben, daß bei sach¬ 
gemäßer Handhabung beider Verfahren der berechtigte Anspruch der Bevölkerung 
auf einwandfreie Lebensmittel in dem erforderlichen Maße gewahrt und zugleich 
den berechtigten Wünschen der Mühlenindustrie entsprochen werden kann. Als 
Voraussetzung für die Zulassung der beiden in Rede stehenden Verfahren für 
die Verarbeitung von Gerste, Reis und Erbsen muß die genaue Befolgung nach¬ 
stehender Bedingungen verlangt werden: 

1. Es dürfen nur einwandfreie Rohstoffe in Verarbeitung genommen 
werden; bereits verdorbene Rohstoffe oder ebensolche Fertigerzeugnisse sind 
von den Verfahren ausgeschlossen, weil ihnen durch die Behandlung mit Talk 
oder mit schwefliger Säure der Schein einer einwandfreien Beschaffenheit ver¬ 
liehen werden kann. 


2. Den verkaufsfertigen Erzeugnissen dürfen nicht solche Mengen von 
Talk und von schwefliger Sänre anhaflen, daß durch den Genuß der zubereiteten 
Speisen Gesundheitsschädigungen hervorgerufen werden können. Uebermäßig 
große Talkmengen müssen weitet auch deswegen vermieden werden, weil sie alseine 
für die Ernährung wertlose und deshalb unzulässige Belastung anzusehen sind. 

3. Die Bedingungen unter Ziffer 2 sind als erfüllt anzusehen, wenn in 
100 g der verkaufsfertigeu Ware nicht mehr als 20 Milligramm schweflige 
Säure und 1 g Talk enthalten sind. 

Unter diesen Voraussetzungen kann von einer Kennzeichnung des Gehalts 
der Waren an Talk und an schwefliger Säure Abstand genommen werden. 

Um eine im Interesse der Müblenindustrie gelegene gleichmäßige Be¬ 
urteilung ihrer Erzegnisse herbeizuführen, die zugleich auch eine für den Groß- 
und Kleinhandel wertvolle Verkehrssicherheit schaffen würde, ersuchen wir er¬ 
gebenst, die mit der amtlichen Ueberwachung des Lebensmittelverkehrs be¬ 
trauten öffentlichen Nahrungsmittel-Untersuchungsanstalten anzuweisen, bis auf 
weiteres eine Beanstandung von Graupen, Gerstengrütze, Reis und Schälerbsen — 
deren sonstige einwandfreie Beschaffenheit vorausgesetzt — dann nicht eintreten 
zu lassen, wenn ihr Gehalt an Talk und an schwefliger Säure innerhalb der 
vorgenannten Grenzen gelegen ist. 


/ 


# Reisekosten der Kreismedizinaliäte in gerichtlichen Angelegen¬ 
heiten. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
13. Juni 1922 — I. M.I. 985 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Im Einverständnis mit dem Herrn Finanzmmister genehmige ich auf 
Grund des § 8 Absatz 2 des Reisekostengesetzes vom 26. Juli 1910, daß den 
Kreismedizinalräten bei Reisen in gerichtlichen Angelegenheiten bis auf weiteres 
Fahrkosten und Tagegelder nach den für Staatsdienstreisen geltenden Sätzen 
gewährt werden. # _ 

f Fachliche Berufsschulung für das Hauptfach: „Gesundheitsfürsorge“ 
bei der staatlichen Prüfung von Wohlfahrtspflegerinnen. Runderlaß 
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 14. Juni 1922 — DI. G. 
910 I. M. — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Nachdem durch Erlaß vom 19. Juli 1921 — I. M. II. 2361 — die Vor¬ 
schriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen den Nachweis 




Rechtsprechung u. Medizinal- 
Gesetzgebung 

Beilage zur Zeitschrift Ifir Medizinal-Beamte 

Nr. 24. 20. Dezember. 1922. 


Medizinal -Gesetzgebung. 

Preußen. 

Gefftfte nr Versendung bakteriologischen Untersnchnngsmaterials. 
Erlaß des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 
29. November 1922 — I. M. III. 2856 — an die Herren Regierungspräsi¬ 
denten and den Herrn Polizeipräsidenten. 

Im Interesse der Kostenersparnis fttr die Staatskasse ist es notwendig, 
mit den Gefäßen znr Versendung bakteriologischen Untersuchongsmaterials, die 
bis jetzt kostenfrei in den Apotheken znr Ansgabe gelangen, sparsamer als 
bisher nmzngehen. Die Herstellungskosten dieser Gefäße betragen gegenüber 
den Friedenspreisen ein Vielfaches, außerdem gehen bei der jetzigen Hand¬ 
habung des Ausgabeverfahrens zahlreiche Gefäße verloren. Nach Anhörung 
des Ausschusses der Preußischen Aerztekammern und des Apothekerkammer- 
Ausschusses bestimme ich daher, wie dies im Freistaat Baden bereits seit 
längerem geschehen ist, daß vom 1. Januar 1923 ab die Apotheken die frag¬ 
lichen Versandgefäße nur noch auf schriftliche ärztliche Anweisung abgeben, 
und daß sie von den zuständigen Untersuchungsämtern in der Regel — 
Epidemiezeiten und Verluste durch Bruch sind angemessen zu berücksichtigen — 
nur soviel Gefäße ersetzt erhalten, als durch die einzureichenden ärztlichen An¬ 
weisungen als verausgabt nachgewiesen werden. 


Amtliche Vergütung für die Wahrnehmung von Impfterminen. 

Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 26. Juni 1922 — 
I M DI 1484 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Auf die gefl. Eingabe vom 3. Juni d. Js. erwidere ich ergebenst, daß bei 
Impfterminen, in denen mehr als 25 Impfungen vorzunehmen sind, eine ent¬ 
sprechende Erhöhung der Impfvergütung um je 5 M. für jede in einem solchen 
Termin geimpfte über die Zahl von 25 hinausgehende Person einzutreten hat. 

Nachschautermine gehören mit zur Impfung. Für sie sind nur die etwaigen 
Fahrkosten zu erstatten, sofern die Nachschau nicht gelegentlich anderer Ver¬ 
richtungen mit wahrgenommen wird. 

Abschrift zur gefl. Kenntnisnahme mit Bezug auf die Rundverfügung 
vom 15. Mai d. Js. - I M HI 1073 — *). 


Leitsätze über die Stellung der leitenden Krankenhansfirste. Erlaß 
des Ministers für Volkswohlfahrt vom 13. Juli 1922 — I M I 
1765 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Der Ausschuß der Preußischen Aerztekammern hat in seiner Sitzung am 
13. November 1921 nachstehende „Leitsätze über die Stellung der leitenden 
Krankenhausärzte“ angenommen, die eine beachtenswerte Ergänzung der durch 
die Erlasse vom 12. Oktober 1908 — M 8048 Gl, G II — und vom 2. Juni 
1910 — M 5784 G I, G H — mitgeteilten Grundsätze darstellen. Sofern hier¬ 
gegen nicht etwa besondere Bedenken bestehen sollten, ersuche ich, diesen Leit¬ 
sätzen für ihren Geschäftsbereich gefälligst Geltung zu verschaffen. Gegebenen¬ 
falls erwarte ich Bericht 

1. Der leitende Arzt wird durch schriftlichen Vertrag auf mindestens 
fünf Jahre angestellt. Während dieser Anstellungszeit darf eine Auflösung 
und nach Ablauf derselben eine Nichterneuerung des Vertragsverhältnisses nur 


*) Siehe diese Zeitschrift 1922, Beilage Nr. 17, 8.73. 






106 


Medizin algesetzgeb ung. 


aas wichtigen Gründen erfolgen. Ob solche Gründe vorliegen, entscheidet bei 
Meinungsverschiedenheiten ein 'za vereinbarendes Schiedsgericht oder die ordent¬ 
lichen Gerichte. 

2. Wo dem leitenden Arzte nicht auch die Oberleitung im wirtschaft¬ 
lichen Betriebe zusteht, ist er wenigstens für den ganzen Betrieb der Anstalt, 
soweit es sich um die Krankenfürsorge handelt, insbesondere für den allgemeinen 
Krankendienst und die gesundheitlichen Maßnahmen, verantwortlich. Ihm ist 
die nötige Selbständigkeit zu gewähren. 

S. Besteht für die Anstalt ein Vorstand (eine Verwaltung, Ausschuß), so 
gebührt dem leitenden Arzte bezw. seinem Stellvertreter darin Sitz und Stimme. 

4. Der leitende Arzt muß in allen baulichen und medizinischen wie 
bygieniscbnn Fragen vor Erlaß etwaiger Anordnungen gehört werden. Auch 
in wirtschaftlichen Angelegenheiten soll er der Anstaltsverwaltung zur Seite 
stehen. 

5. Er ist der Vorgesetzte des ärztlichen Hilfspersonals und Kranken¬ 
pflegepersonals sowie Wirtschafts- und Verwaltungspersonals in allen die 
Krankenfürsorge betreffenden Angelegenheiten. 

6. Alle vom Vorstande (von der Verwaltung, dem Ausschüsse) hinsichtlich 
des Personals in bezug auf die Krankenfürsorge (einschließlich Beköstigung der 
Kranken) zu erlassenden Anordnungen müssen durch seine Hand gehen und 
unterstehen seiner Aufsicht. 

Desgleichen sind ihm alle sonstigen die Hygiene des Krankenhauses oder 
die Krankenfürsorge betreffenden Schreiben, Verfügungen und Berichte, welche 
an den Vorstand (Verwaltung, Ausschuß) ergehen oder von diesem ausgehen, 
zur Kenntnis und zur Mitzeichnung vorzulegen. 

7. Der leitende Arzt hat auch Anspruch auf ausreichendes Hilfspersonal, 
insbesondere, daß ihm zu ärztlichen Leistungen (Narkose, Assistenz, Vertretung, 
fachärztliche Hilfeleistung usw.) die nötigen ärztlichen Hilfskräfte zur Ver¬ 
fügung gestellt werden. 

Die Berufung und Austeilung der in dem Krankenhause tätigen Assistenz¬ 
ärzte erfolgt durch die Verwaltung bezw. den Vorstand des Krankenhauses auf 
Vorschlag des leitenden Arztes des gesamten Krankenhauses oder des selbst¬ 
ständigen Oberarztes eiuer besonderen Abteilung, dem dieselben dann ärztlich 
und dienstlich unterstehen. 

8. Dem leitenden Arzte muß ferner der Wechsel und die Verteilung des 
ärztlichen Hilfspersonals und des Krankenpflcgepersonals auf die einzelnen Ab¬ 
teilungen wie die Regelung der sonstigen Tätigkeit dieses Personals unterstehen. 

Insoweit klösterliche Ordnung oder Stiftungssatzung die Verteilung des 
Pflegepersonals oder seine Versetzung auf andere Abteilungen etwa der Oberin 
zuweisen, muß Wert darauf gelegt werden, daß sich diese mit dem leitenden 
Arzte vorher ins Einvernehmen setzt. 

9. Von der Aufnahme eines Kranken ist dem leitenden Arzte, falls er 
sie nicht selbst angeordnet hat, sofort Mitteilung zu machen. Er hat die Unter¬ 
bringung und Verteilung der Kranken auf die einzelnen Abteilungen und Zimmer 
anznordnen und über ihre Entlassung zu entscheiden. Ohne Vorwissen des 
leitenden Arztes darf kein Kranker entlassen werden, auch nicht aus diszipli¬ 
nären Gründen. 

10. Der leitende Arzt erhält ein angemessenes festes Gehalt, das, wenn 
es die Haupteinnahmequelle des Arztes ist, pensionsfähig sein und mit dem 
Dienstalter steigen muß. Die übrigen Honorarforderungen unterliegen beson¬ 
deren vertraglichen Abmachungen. 

Die Grundsätze gelten für die leitenden Krankenhausärzte, sinngemäß 
sind sie aber auch für die leitenden Abteilungsärzte anzuwenden. 


/ Ueberelnkommen mit den Ländern Baden, Hamburg und Mecklen¬ 
burg-Schwerin bezüglich der Woblfabrtspflegerlnnen. Bunderlaß des 
Ministers fürVolkswohlfahrt vom 28. Juli 1922 — III. G. 1948II. 
I. M. — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Das Preußische Ministerium für Volks Wohlfahrt einerseits und das 
Badische Arbeitsministerium, die Senatskommission für die Reichs- und aus¬ 
wärtigen Angelegenheiten in Hamburg und das Mecklenburg-8chwerinsche Mini- 



Medizin algeeetzgebung. 


107 


■terinm, Abteilung für Sozialpolitik, andererseits haben sieh zur gegenseitigen 
Anerkennung der Vorschriften über die staatliche Prüfnng von Wohlfahrts¬ 
pflegerinnen verpflichtet. 


Unterstützung von Wohlfahrtsschnlen. RnnderlaBdesMinisters 
für Volkswohlfahrt vom 7. August 1922 — III. G. Nr. 2397 I. M. — 
an die Herren Regierungspräsidenten. 

Zur Unterstützung staatlich anerkannter Wohlfabrtsschulen stehen mir 
für das Rechnungsjahr 1922 in beschränktem Umfange Mittel zur Verfügung. 
Um für eine zweckentsprechende und gerechte Verteilung dieser Mittel die er¬ 
forderlichen Unterlagen zu gewinnen, ersuche ich ergebenst, von den staatlich 
anerkannten W ohlfahrtsschulen genau auf gestellte und ausführlich gehaltene 
Rechnungabschlüssse und Haushaltsanschläge für das abgclaufene und das laufende 
Geschäftsjahr einzufordern und mir spätestens bis zum 1. Oktober 1922 vorzulegen. 

Diese Aufstellungen müssen in übersichtlicher Form und Gliederung a 11 e 
Einnahmen und Ausgaben nachweisen und auch diejenigen sonstigen Angaben 
enthalten, die erforderlich sind, um ein zutreffendes Bild von der Finanzlage 
der Anstalten zu geben. Beispielweise sind folgende Punkte zu berücksichtigen: 

1. Zahl der Schülerinnen in jedem der vier Schulhalbjahre seit 1. Oktober 
1920 und zwar getrennt nach Unterstufe und Oberstufe. 

2. Schulgeld nach dem Gesamtaufkommen und dem Einheitssatz. 

3. Bezeichnung des Trägers der Unterhaltungskosten und Angabe der Zu¬ 
schüsse Dritter (Vereine, Gemeinden, Kreise, Provinzen, Landesversicherungs¬ 
anstalten usw.). 

4. Gehälter unter Angabe der Empfänger im einzelnen und der Besoldungs¬ 
gruppe bei etwaiger Anlehnung an die Beamtenbesoldungsordnung. 

5. Dozentengebühren unter Angabe der Empfänger im einzelnen. 

6. Sächliche Kosten nach Unterabschnitten, (Heizung, Beleuchtung, Reini¬ 
gung usw.). 

7. Ausgaben anderer Art (Freistellen usw.). 

8. Wenn mit der Schule ein Internat verbanden ist, ersuche ich, dies anzu¬ 
geben, die Kosten jedoch im Rechnungsabschluß und im Haushaltsanschlag 
nicht zu berücksichtigen. 


Bestrebungen der Bünde znr Vertretung der Interessen kinderreicher 
Familien. Runderlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 
7. August 1922 — I. M. IV Nr. 1750 — an die Herren Regierungspräsidenten. 

Der Ausschuß des Preußischen Landesgesundbeitsrates für das Be¬ 
völkerungswesen und die Rassenhygicne hat in einer kürzlich stattgefundenen 
Sitzung einstimmig folgende Entschließung angenommen: 

„Die Bestrebungen der Bünde zur Vertretung der Interessen kinder¬ 
reicher Familien sind entsprechend Artikel 109 der Reichsverfassung nach 
Möglichkeit zu begünstigen. Es erscheint wünschenswert, daß die Staats¬ 
regierung die nachgeordneten Behörden auf diese Bestrebungen aüfmerksam 
macht und sie zu nachdrücklichster Unterstützung derselben auffordert.“ 

Da ich dem Grundgedanken dieser, von dem Landesgesundheitsrat mir 
mit der Bitte um weitere Veranlassang vorgelegten Entschließung zustimme, 
ersuche ich mir zunächst darüber zu berichten, welche Vereinigungen zur Ver¬ 
tretung der Interessen kinderreicher Familien im dortigen Bezirk bestehen, 
welche Bestrebungen sie verfolgen, und ob und in welcher Weise eine amtliche 
Förderung oder eine Unterstützung ihrer Bestrebungen von dort empfohlen 
werden könnte. 

Nach Eingang der Berichte behalte ich mir eine grundsätzliche Stellung¬ 
nahme zu der angeregten Frage vor. 


Verbreitung der tropischen Malaria. Runderlaß des Ministers 
für Volkswohlfahrt vom 9. August 1922 — I. M. III. Nr. 2026 — an 
die Herren Regierungspräsidenten. 

In der Infektionsabteilung des Rudolf Virchow -Krankenhauses in Berlin 
sind in den letzten 3 Monaten 15 Fälle von tropischer Malaria beobachtet werden. 

Unter den Erkrankten fand sich eine größere Anzahl solcher Patienten, 
die Berlin nie verlassen haben, sich also hier infiziert haben müssen. Fast stets 



108 


Medizinalgesetzgebnng. 


(In 18 Fällen) wurde der Anfall durch eine Salvarsankur aasgelöst. Vereinzelt 
war der durch die Malariainfektion verursachte positive Ausfall der Wubs er¬ 
mann sehen .Reaktion der Anlaß für die Salvarsanbehandlung; 2 hoffnungslos 
eingelieferte Fälle endeten tödlich, auch sonst wurden Todesfälle beobachtet. 

Es besteht die Befürchtung, daß die tropische Malaria bereits eine weitere 
Verbreitung gefunden bat, ihr Vorhandensein aber den Aerzten vielfach un¬ 
bekannt geblieben ist. Von den hier beobachteten Fällen war vor der Ein- 
Lieferung ins Krankenhaus keiner als Malaria erkannt worden. 

Ich ersuche um Bericht bis zum 10. September d. Js., ob in Ihrem Bezirk, 
insbesondere in den Krankenhäusern, ähnliche Beobachtungen gemacht worden 
sind. Ich ersuche ferner in geeigneter Form dafür Sorge zu tragen, daß die 
Aerzte auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, in ernsteren Fällen unklarer 
Diagnose auf die Möglichkeit auch einer Infektion mit Malaria tropica zu denken. 


Auftreten von Skorbut* Bunderlaß des Ministers für Volks¬ 
wohlfahrt vom 10. August 1922 — I. M. IV. Nr. 1704/22 an die Herren 
Begierungspr&sidenten. 

In der letzten Zeit sind ans verschiedenen Teilen Preußens Meldungen 
über das Auftreten von Skorbut oder von skorbutähnlichen Erkrankungen er¬ 
stattet worden. Da diese Meldungen sich auf schwere Erkrankungen der ge¬ 
nannten Art bezogen und aus Krankenhäusern gemeldet wurden, so ist an- 
zunehmen, daß zahlreiche leichtere Fälle nicht zur Kenntnis gekommen, viel¬ 
leicht auch von Aerzten und Zahnärzten — Skorbut zeigt sich oft zunächst 
als Zahnfleischerkrankung — die Vorboten aber gelegentlich nur als Blutarmut, 
die nicht richtig erkannt worden sind. 

Das Auftreten von Skorbut, der selbst in den schwersten Hungerzeiten 
der letzten Jahre nicht zur Beobachtung gekommen ist, bedeutet deshalb für 
die Bevölkerung eine erhebliche Gefahr, die besonders deswegen nicht leicht 
genommen werden darf, weil sie möglicherweise im kommenden Winter eine 
ernstere Gestalt annehmen wird. 

Die Ursache des Skorbuts ist der Mangel an gewissen Zusatznährstoffen, 
den sogenannten Vitaminen in der menschlichen Nahrung. Bei genügender Auf¬ 
merksamkeit auf diesen Zusammenhang läßt sich verhältnismäßig leicht und 
sicher mit einfachen Mitteln der Skorbut verhüten oder seine ersten Anfänge 
beseitigen, nicht nur bei der Einzelernährung, sondern vor allem bei Massen¬ 
ernährungseinrichtungen, bei denen die Zubereitung frischer Gemüse an sich 
Schwierigkeiten macht. Diese Stoffe finden sich besonders in grünen Gemüsen. 
Salaten, insbesondere Tomaten, Obst und Fruchtsäften, Kartoffeln, gut ge¬ 
ronnener Milch und Eiern. Da die Vitamine erst in der letzten Zeit einer ein¬ 
gehenderen wissenschaftlichen Beachtung unterzogen worden und daher öfter 
noch Unkenntnis über ihre Wirksamkeit und über die Schäden besteht, die ihr 
Mangel hervorruft, ersuche ich die Verwaltungen der in ihrem Bezirk be¬ 
stehenden Anstalten und Einrichtungen, in denen ständig eine größere Anzahl 
von Personen verpflegt werden, auf einen Aufsatz aufmerksam zu machen, der 
in Nr. 16/17 der Volkswohlfahrt vom 1. September v. Js. unter dem Titel: „Ueber 
die Bedeutung der Vitamine für die Volksgesundheit“ erscheinen wird. Ich 
habe Sorge getragen, daß Sonderabdrucke dieses Aufsatzes hergestellt werden, 
die voraussichtlich zu einem geringen Preise von Carl Heymanns Verlag, 
Berlin, W. 8, Mauerstraße 43/44, auf Erfordern abgegeben werden. 

Weitere Mitteilungen besonders über die die Vitamine nicht schädigenden 
Zubereitungsverfahren der Nahrungsmittel behalte ich mir vor. 

Als in Ihrem Amtsbereich liegende Anstalten und Einrichtungen dürften 
besonders Kranken-, Siechen- und Waisenhäuser sowie Volksküchen und Ferien¬ 
heime wie Erholungsstätten für Kinder in Betracht kommen. 

Auch ersuche ich, die Aerzte und Zahnärzte Ihres Bezirks auf das jetzt 
häufigere Vorkommen des Skorbuts aufmerksam zu machen und die Kreis¬ 
medizinalräte zu veranlassen, etwaige in den Kreisen beobachtete Fälle von 
Skorbut Ihnen zahlenmäßig zu melden. 

Einen Bericht über das vonlhnen Veranlaßteund Ihre Beobachtungen über das 
Vorkommen von Skorbut in Ihrem Bezirk erwarte ich bis zum 20. Oktober d. Ja. 


Verantwortlich für die Schriftleltung: Geh. Med.-Kat T>r. S o 1 b r i g , Reg.- n. Med.-Rat in Broalati 
Breslau V f Rehdigerstraße 34. Druck von J. C. C. Bronn, Minden 1. W.