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Full text of "Zeitschrift für Medizinal-beamte 5.1892"

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IVGEORCE- BURCESS * MAGRATH 

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yv 0 OF^ LEGAL* MEDICINE 

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^ 1953 


Harvard Medical Library 
^ in the Francis A.Countway 
jLibraryof Medicine ^Boston 


ERITATEM PBRMEDICIUAM QJJ'^RAMUS 


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ZEITSCHRIFT 

für 

MEDIZINAL-BEAMTE. 

Herausgegeben 


Dr. H. Mittenzweig Dr. Otto Rapmund 

San.-Rath. u. gerichtl. Stadtphys. in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

Dr. Wilh. Sander 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


V. Jahrgang. 1892. 



Berlin NW. 

FISCHER’S MEDIZ. BUCHHANDLUNG. 

U. Kornfeld. 



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LIBRARY Cr LC3AL 


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V. . . t I w« U 

KLüiÜiNE 




Inhalt. 


I. Original-Mittheilungen. 

a. Oeriolitllolie Medislii. 

Eine merkwürdige Art von Selbstmord durch Spreiigi)nlvcr - Explosion. 

Ereiswnndarzt Dr. Hensgcn . 82 

Das vorläufige Gutachten. Kreisphysikus Dr. Richter .105 

Kunstfehler eines Arztes bei der Geburt. Fahrlässige Tödtung. Kr.-Phys. 

Dr. Rump .112 

Zur Reifebestimmung des Fötus aus dem Enocbenkem der Oberschenkel* 

cpiphyse. Ereiswnndarzt Dr. W. Hassenstein .129 

Erwiderung auf das Schlusswort des Herrn Kollegen Mittenzweig zu 
meinem Artikel über „das vorläufige Gutachten“. Kreisphysikus 

Dr. Richter .132 

Statistischer Bericht der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde zu Berlin 

vom 1. Februar 1890 bis Ende Dezember 1891. Dr.Strecker 209, 243 
Stellungnahme der Medizinalbcamten zu dem Wunsche des Berufsgenossen- 
scbafts-Verband es, die Abgabe von Obergntachteu und Einrichtung 
von Sachverständigen-KoUegien betreffend. Vortrag, gehalten im Ver¬ 
ein der Medizinalbeamten des Reg.-Bez. Stettin am 25. April 1892. 

Kreis-Phys. Dr. Freyer .•.237 

Beitrag zur Würdigung der Lungonschwimmprobe. Ereiswnndarzt Dr. 

R.£ckervogt .269 

Gegen Herrn Stöcker. Geh. San.-Rath u. Kr.-Phys. Dr. Wal lieh s . . 275 

Zur Kasuistik der Halswirbelbrüche. Oberstabsarzt Dr. Röhring. . . 336 

Trunkenheit, Kohlenoxydvergiftung, Erstickung. Kreisphys. Dr. Richter 361 
Bemerkungen zu dem Richter'sehen Gutachten „Trunkenheit, Kohlen¬ 
oxyd Vergiftung, Erstickung. Kreisphys. Dr. Blokusc wski 384, 467, 547 
Erwiderung a. d. vorstehenden Bemerkungen. Kr.-Phys. Dr. Bichter385,468,548 
Zur konträren Sexnalempfindung. Kreisphysikus Dr. Meyhoefer . . 413 

Eine Sarggeburt. Kreisphysikus Dr. Gottschalk .437 

B. Hygiene nnd SffentUcliee Sanltttsveeen. 

Der englische Gesundheitsbeamte. Kreis-Physikus Dr. Wodtke . . . 1 

Die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs nnd die Verwendbarkeit 

des Fleisches tuberkulöser Thiere. Ober-Medizinalrath Dr. Lorenz 25 
Die Hebammenverbältnissc an der Ostgrenze der Monarchie, insbesondere 

im Kreise Rosenberg, Ober-Schles. Kreis-Phys. Dr. Gottschalk 53 
Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Ober-Medizinalraths Dr. Lorenz 
in Darmstadt Uber die Bekämpfung der Tuberknlose des Rindviehs 
und die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere. Reg.- 
Rath Dr. Röckl. «3 













IV 


Inhalt. 


Seite. 

Die sogenannte Schlammkrankheit im Regierungs-Bezirk Oppeln während 

des Sommers 1891. Reg.- u. Med.-Rath Dr. Schmidtmann . . 77 

Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Rogierungsraths Röckl in 
Berlin zu meinem Artikel über die Bekämpfung der Tuberkulose 

des Rindviehs etc. Ober-Medizinalrath Dr. Lorenz . 87 

Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie in den Jahren 1890 und 

1891. Krcisphysikus Dr. Langerhans .125, 149 

Zur Frage der Rangerhöhung der Kreisphysiker. Reg.- u. Med.-Rath 

Dr. Peters . 133 

Amtsärztliche Atteste über Staatsbeamte. Kreisphysikiis Dr. G1 e i t s ni a n n 135 
Zur Frage der Rangerhöhung der Kreiswundärzte. Kreiswundarzt Dr. 

Möllmann .161 

Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses über 
den Medizinaletat: 

a) Apothekenwesen und Geheimmittelfrage.163 

b) Bessere Stellung und Rangerhöhung der Medizinalbeamten. 

Erweiterung der Disziplinargewalt der Aerztekammeru . 164 

c) Unterbringung von Geisteskranken in Privat-Irrenanstalten . 185 

d) Institut für Infektionskrankheiten.192 

Ueber die Dauer des Schutzes der ersten Impfung. KreL^wuiidarzt Dr. 

Glogowski .181 

Darf sich die Hebamme die Bezeiclmung (^eburt^helfL‘rin beilegen? Kr.- 

Physikus Geh. San.-Rath Dr. St muss .188 

Invalidengesetz und Arzt. Kreisphysikii.s Dr. Salomon .220 

Allgemeine Anzeige- und Desinfoktionspflicht bei luicunionischen Infek¬ 
tionen. Kreisphysikiis Dr. Ad. Kühn .242 

Beobachtungen über eine Infektionskrankheit d(?s UobiTschwemmungsge- 

bictes der schwarzen Elster. Krcisphysikus Dr. Dietrich . . . 205 

Invalidengesetz und Arzt. Krcisphysikus Dr. Hlokiiscwski . . . . 273 

Nachtrag zur „Stempelpflichtigkeit amtsärztlicher Atteste“. Derselbe . 274 

Ueber Theorie und Praxis der Hebammenbeaufsichtigung. Geh. Med.-Rath 

Prof. Dr. Schatz . . . . 293 

Weitere Beiträge zur Frage der Schutzdauer der Erstimi)fung. Kreis- 

wmndarzt Dr. Glogowski .29S 

Eine Stimme aus Ostpreiissen. Beitrag zur Hygiene auf dem ]datten 

Lande. Kreisphysikiis Dr. Salomon .325 

Zur Statistik der Mortalität im Wochenbett. Kreisphys. Dr. Blokusewski 349 

Die Aetiologie des Abd^uninaltyphus, namentlich seine Kontagiosität und 
die gegen die Verbreitung desselben zu ergreifenden sanitätspolizei- 

licheii Massregeln. Dr. P. Seliger . 873, 401, 443 

Zur Medizinalreform in Preussen. 421, 443 

Zur bakteriologischen Untersuchung choleravcrdächtiger Fälle. Kr.-Phys. 

Dr. MaxLangerhans .461 

Das preussische Medizinalwesen. Reichsgesetz zur Abwehr der Menscheu¬ 
seuchen .409 

Die Ursachen des Mangels an ländlichen Arbeitern in den östlichen Lan¬ 
desgebieten der Monarchie. Eine hygienische Betrachtung. Kreis- 

physikus Dr. Richter .485 

Die Durchlührung der Deftiiifcktiun bei Infektionskrankheiten in ländlichen 

Kreisen. Krcisphysikus Dr. 5Iatthes .4S9 

Die Aufgaben der Medizinalbeamten. III. Artikel. Krcisphysikus San.- 

Rath Dr. Kornfeld .492 

Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und die Bekämpfung 
der Tuberkulose des Rindvieh.s. Kreisphysikiis Geh. Sanitätsrath 

Dr. Müller ..5U9, 533, 561, 593 

Einige Taxfragen. 

a) Amtsärztliche Atteste für Staatsbeamte . ..517 

b) Gebühren für die äussere Besichtigung einer Leiche . . . 517 

c) Untersuehungen in der Wohnung des Gerichtsarzte.s und vor¬ 

heriges Aktenstudium l)ehnfs Abgabe eines mündlichen 

Gutachtens im Termin.518 

























Inhalt. 


V 


Seite. 


Rangverhältniss-Plauderei. Kreisphysikus San.-Rath Dr. Doeblin . , 542 

Einige Entscheidungen zum Taxgesetz.549 

lieber einige aus der Choleraepidemie gewonnene praktische Erfahrungen. 

Kreisphysikus Dr. M. Freyer .572 

Die Mitwirkung der Militär-Mediziualverwaltung bei Bekämpfung der 

Volksseuchen.578 

Entgegnung auf die vom Herrn Kreis-Physikus Dr. Richter veröffent¬ 
lichte Schilderung seines Bezirks. Dr. jur. v. Korn-Rudelsdorf 580 

Zur Frage der ärztlichen Obergutachten bei den Unfallverletzten. Bez.- 

Phys. Dr. Becker .606 

Bemerkungen zu der Rangverhältniss-Plauderei. Geh. San.-Rath Kr.- 

Phys. Dr. Wiener .610 

Typhus abdominalis, eine kontagiöse Krankheit. Kreisphys. Dr. Schilling 621 

Eine Ursache der Verbreitung des Abdorainaltyphus auf der bremischen 

Geest. Kreisphysikus San.-Rath Dr. Ritter .625 

Vorbereitende Choleramassregcln im Kreise Darkehmen. Kreisphysikus 

Dr. Salomou .627 

Leichenhallen auf dem Lande. Kreisphysikus Dr. Dyrenfurth . . . 630 


H. Berichte aus Versammluiigeii und Vereinen. 

Bericht über die Herbstversararaluug (1891) der Medizinalbeamten 
des Reg.-Bez. Minden (Berichterstatter: Geh. San.-Rath Kreisphys. 

Dr. Müller-Minden). 

a) Besprechung amtlicher Verfügungen. 12 

b) Ueber die Aufstellung einer neuen Hebammentaxe. Kreisphys. 

Dr. Georg . 14 

c) Anweisung für die Anlegung, Erweiterung und Unterhaltung 

von lb‘griii>nissplätzen. Kreisphysikus Dr. Kluge .... 14 

Bericht über die Herbstversamnilun-r (1891) der Medizinalbeamten 
des Reg.-Bez. Arnsberg (Berichterstatter: Kreiswundarzt Dr. 
Redecker - Bochum). 

a) Anzeigepflichl beim Auftreten von Infektionskrankheiten. 

Reg.- u. Med.-Rath Dr. Tenholt . 87 

b) Ueber Desinfektion in kleinen Städten und auf dem Lande. 

Kreisphysikus Dr. Spauken . 90 

Bericht über die Frühjahrsversammlung der Medizinalbeamten des 


Keg.-Bcz Magdeburg (Berichterstatter: Med.-Rath u. Kreisphys. 

Dr. Böhm- Magdeburg). 

a) Ueber die Fortbildungskurse der Medizinalbeamten. Kreis¬ 
physikus Dr. Bartsch .194 

b) Der Ministerialerlass vom 20. Januar 1892, betreffend die 
(iruudsätze für die Beurtheüung der Projekte zur Anlage 
oder Erweiterung von Begnäbnissidätzen u. s. w. Kreisphys. 

Dr. Jacobson.196 


Bericht über die Frühjabrsversammliing (1892) des Vereins der Medi- 
zinalbeamten des Reg.-Bez. Stettin (l^erichterstatter: Kreisphys. 

Dr. Freyer-Stettin). 

a) Ueber die Stellungnahme der Medizinalbeamten zu dem 

Wunsche des l^erufsgi nossensehafts-Verbandes, die Abgabe 
von Obcrgutacbteii und Einrichtung von Sachverständigen- 
Kollegicn bcttretlend. 237, 25 

b) lieber die Stellungnahme der Medizinalbeamten zu der 

Frage, betreffend die Erweiterung der Disziplinarbcfugniss 
der Aerztekammerii bezw. Einführung ehrengerichtlicher In¬ 
stitutionen. Kreis])hysikus Dr. Schulze . . 253 

c) Die InHuenza mit Bezug auf den zum 15. Mai erforderten 

Bericht. Kreisphysikus Dr. Hanow .255 

d) Hygienischer Kursus in Greifswald. Kreisphys. Dr. Voigt 255 
Bericht über die Frühjahrsvcrsammlung (1892) der Medizinalbeamten 


















VI 


Inhalt. 


Seite, 

des Reg.-Bez. Düsseldorf (Berichterstatter: Krcisphys. San.- 
Rath Dr. Al bers-Essen. 

a) Besprechung amtlicher .Verfttgangen.278 

h) Desinfektion der Wohnungen. Kreisphys. San.-Rarh Dr. 

Albers .279 

c) Freihändige Abgabe von Bandwunnmitteln. Apotheker B e 1 - 

lingrodt . 280 

Bericht über die am 6. November (1891) in Ro.stock abgehaltene V. Haupt¬ 
versammlung des Mecklenbnrgischen Medizinalbeamten- 
Vereins (Berichterstatter: Kreisphysikus Dr. Karsten-Waren.) 


ir UrUX VXVO T i/X Di ••••••••••• KjVftß 

b) Ueber Theorie und Praxis der Hebammenbeaufsichtigiing. 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Schatz (Vgl. Originalartikel) 293, 30.5 

c) Neuwahl des Vorstandes und Kassenrevision.305 

d) Ueber chromogene und phosphoreszirende Bakterien mit be¬ 

sonderer Berücksichtigung hygienisch wichtiger Formen. 
Krcisphys. Dr. Stephan . ..305 

c) Ueber Schnlrevision. Med.-Rath, Krcisphys. Dr. Griewank 307 

f) Mittheilnngen aus der Physikatspraxis.310 

Bericht über die Frühjahrsversammlung (1892) der M e d i z i n a 1 b e a m t c n 
des Reg.-Bez. AI inden (Berichterstatter: Geh. San.-Rath Krcisphys. 

Dr. Müll er-Minden). 

a) Hufeland’sche Stiftungen.424 

b) Besprechung amtlicher Verfügungen.424 

c) Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und die 
Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs. Geh. San.-Rath 
Krcisphys. Dr. Müller. (Vgl. auch Originalarlikel S. 509, 

533, 561 u. 593). 424 

Bericht über die Herbstversamnilnng (1892) der K rei.sphysiker des 
Reg.-Bez. Magdeburg (Berichterstatter: Med.-Rath Dr. Böhm- 
Magdeburg). 

a) Die Cholera und die Mittel zur Abwehr ansteckender Krank¬ 
heiten. Krcisphys. Dr. Kuntz und Krcisphys. Med.-Rath 

Dr. Böhm .582 

b) Ueber einen praktischen Versuch zur Durchführung der Des¬ 
infektion auf dem Lande. Kreisphys. Dr. Jacobson . . 583 

Bericht über die Hcrbstversammlung (1892) der Medizinalbeamten 
des Reg.-Bez. Düsseldorf (Berichterstatter: Kreisphys. San.- 
Rath Dr. Albers-Essen). 

a) Besprechung amtlicher Verfügungen.632 

b) Einige allgemeine Gesichtspunkte, betreffend die sanitätspoli¬ 
zeiliche Abwehr und Unterdrückung von Seuchen, speziell 

der Cholera asiatica. Kreisphys. San.-Rath Dr. Bauer . . 633 

c) Ueber die Verordnung betreffend Abgabe stark wirkender 

Arzneimittel. Apotheker Bellingrodt.635 


Zeitscliriften u. s. w.*) 

A. Oerichtllche Medizin. 

Zur Kasuistik der Kohlenoxyd - Vergiftungen. Prof. Dr. F. F a 1 k (Dütschke) 17 
Ueber einen bemerkenswerthen Fall von Salzsäurevergiftung. Dr. Wunsch¬ 
heim (Meyhöfer). 39 

Ein Fall von langer Lebensfähigkeit der Spernmtozoiden. Dr. Jäger (Rpd.) 66 
Zurechnungsfähigkeit und VerWecherthum. Prof. Dr. Pelm an u. Prof. 

Dr. Mendel (Siemens). 93 

Färbung der Spermatozoen. Kreisphysikus Dr. Bräutigam . . . . 117 

Uebersicht der in das Berliner Leichenschauhaus gelieferten Leicheu 138, 227, 

425 u. 587 

*) Die Namen der Referenten sind eingeklammert beigefügt. 


















Inhalt. 


VII 


Fahrlässige Tödtnng dnrch äussere Anwendung unverdünnter Karbolsäure 

Kr.-Phys. Dr. Bei mann (Mittenzweig). 

lieber Karbolgangrän. A. Frankenburger (Freyer). 

Bemerkungen zur Behandlung und Begutachtung der (Unfallverletzten. Dr. 

C. Thiem (Dütschke). 

Zur gerichtsärztlichen Beurtheilung von Vergiftungen mit Wurmfamex- 

trakt. Prof. Dr. Paltauf (Rpd.) .. 

lieber Blutgerinnung in den Körperhöhlen bei tödtlichen Verletztzungcn. 

Prof. Dr. C. Seydel (Dütschke). 

Fall von Sarggeburt. Kr.-Phys. Dr. Bl ei sch (Rump) . . . . . . . 
Forensisch wichtige Obduktionsbefunde Neugeborener. Dr. (t. Klein 

(Dütschke). 

lieber Insania moralis. Dr. Jelgersma (Kalischer) ....... 

Tastsinn und Degenerationszeichen bei normalen, verbrecherischen und 

irren Frauen. Prof. Dr. Lombroso (Ders). 

Les habitu6s des prisons de Paris. Dr. E. Laurent (Ders.) . . . . 

Psychische Epilepsie bei Verbrechern. S. Ottolenghi (Ders.) . . . . 

lieber eine eigenartige Wirkung des Blitzes. Prof. Dr. Kratter (Mit¬ 
tenzweig) .. . 

Ein Fall von Tod durch Einwirkung des elektrischen Stromes. Dr. F r i e - 

dinger (Rpd.)... 

Ueber die Zeit, in welcher nach Anwendung der verschiedenen Arznei¬ 
mittel die Ausstossung der Frucht erfolgt. Dr. Dölger (Rump) 
Frnchtabtreibung durch Injektion hdissen Wassers; plötzlicher Tod durch 

Lungenembolie. Prof. Dr. v. Hof mann (Rpd.). 

Zur Lebensdauer der SamenRhlen. Kr.-Phys. Dr. Räuber . 

La Suggestion hypnotique au point de vue m^dicol^gal. Prof. Dr. Ballet 

(Langerhans). 

Ueber Schädel Verletzungen. Kr.-Phys. Dr. Moritz (Rump) . . . . . 
Eine letal verlaufene akute Quecksilbervergiftung, entstanden durch Ein¬ 
reibung von grauer Salbe. Dr. Sackur (Dütschke). 

Einige Bemerkungen über den Tod durch Ertrinken. Prof. Dr. Paltauf 

(Overkamp).. . . . 

Untersuchungen über das Verhalten des Strychnins im Organismus. Dr. 

C. Ipsen (Dütschke). 

Untersuchungen über einige den Blutnachweis störende Einflüsse. Dr. H. 

Hamm er 1 (Ders.). . . . . 

Ueber den Werth des Hämatoporphyrinspektrnms für den forensischen 

Blutnachweis. Prof. Dr. Paltauf (Ders.). 

Die penetrirenden und nicht penetrirenden Schussverletzungen des Unter¬ 
leibes vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Dr. Seliger (Overkamp) 
Psychische Epidemie, Hysterie und Hypnotismus. Prof. Dr Rieger 

(Kalischer).. . 

Identitäts-Feststellnngen an Verbrechern (Bertillonnge) nnd ihr praktischer 

Werth für die Kriminalistik. Dr. Bnseban (Ders.). 

Psychische Störungen nach Wiederbelebung eines Erhängten. Prof. Dr. 

Wagner (Ders.). 

Epilepsie psycbiche. S. Ottolenghi (Ders.). 

Verbrechen und Wahnsinn beim Weibe. Dr. Naecke (D.ts.) . . . . 
Der Vollzug der Todesstrafe auf dem Wege der Elektrizität (Dütschke). 
Ueber die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei Anwendung 
des Chloroforms und anderer Inhalations - Anästbetika. Dr. Passet 

(Rpd.). 

Parto illegittimo e infanticidio. Dr. Guicciardi (Woltemas) . . . . 
L’obsession criminelle morbide. Prof. Dr. Magnan. Deutsch von Dr. 

Lewa Id (Ders.). 

Fin Fall von Erstickung durch Aspiration von Speisebrei. (Ders.) . . . 

Zur Frage der Entmündigung der Geisteskranken und die Aufnahmebe¬ 
dingungen in eine Irrenanstalt. Prof. Dr. Mendel (Dütschke). . 
Ueber Tetanie bei Kohlendnnstvergiftung. Dr. Voss Gsrael) .... 
Ueber die Obliteration der Nabelgefässe. A. Tomassia (Ders.) . . . 


Seitf. 

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139 

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201 

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227 

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447 
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495 

496 

497 
497 


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587 

587 

587 

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613 

614 






























vm 


Inhalt. 


Seite. 

Lässt sich an der abgegangenen Frucht die Fmchtabtreibung erweisen. 

Dr. Dölger (Rump).615 

Verlust des erkrankten Augapfels. Kr.-Phys. Dr. Kornfeld (Dnrs.) . 615 


b. Hygiene nnd SffentUcbee Sultäteweeen.*) 


Englische Lokalgesundheitsämter. Dr. H. Simon (Meyhöfer) .... 17 

Amerikanische Doktoren. Kr.-Phys. Dr. Mende .19, 175, 390 

Beitrag zur Behandlung tuberkulöser Meerschweinchen mit Tuberkulimim 

Kochii. Stabsarzt Prof. Dr. Pfuhl (Langerhans). 39 

Erkrankung in Folge Genusses ungekochter infektiöser Milch. Dr. Fol¬ 
le nius (Rpd.). 40 

Die Mnndseuche des Menschen (Stomatitis epidemica), deren Identität mit 
der Maul- u. Klauenseuche der Hausthiere und beider Krankheiten 

gemeinsamer Erreger. Dr. Siegel (Dtttschke). 41 

Verbreitung der Tollwuth im Deutschen Reiche während des Jahres 1890 

(Rpd.). 43 

Uebertragungen von Thierseuchen auf Menschen im Deutschen Reiche 

während des Jahres 1890 (Rpd.). 44 

Chemisch-bakteriologische Analysen einiger Wurstwaaren. A. Serafiiii 

(Langerhans). 45 

Die amerikanischen Trichinen. Prof. Dr. Krause (Ders.). 46 

Die angebliche Gesundheitsschädlichkeit des amerikanischen Schweine¬ 
fleisches. Prof. Dr. C. Fränkel (Dütschke). 47 

Die Aufgaben und die Organisation der obligatorischen Fleischschau unter 
Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und der Recht¬ 
sprechung. Kr.-Phys. Dr. Bl ei sch (Lustig). 50 

Die Gehaltsregulirung der bayerischen Staatsdiener und der amtlichen 

Aerzte. Hofrath Dr. Brauser (Rpd.) . .. 51 

Lieber den Bau der Bakterien. Prof. Dr. Zettnow (Langerhans). . . 66 

lieber den Bau und die Sporenbildung grüner Kaulquabbenbazillen. Prof. 

Job. Frenzei (Ders.). (i6 

Morphologische Beiträge zur Loichenfäulniss. Dr. Kuhn (Ders.) ... 67 

lieber die Behandlung diphterieinfizirter Meerschweinchen mit chemischen 

Präparaten. Dr. Bo er (Ders.). 67 

Vorläufige Mittheilungen über die Erreger der Influenza. Dr. Pfeiffer 

(Dütschke). 68 

Ueber den Influenzabacillus und sein Kulturverfahren. Dr. Kitasato 

(Ders.). 68 

Ueber einen Mikroorganismus im Blute von Influenzakranken. Dr. Canon 

(Ders.).. 

Beobachtungen über das Auftreten der Influenza im Jahre 1891. (Kpd.) 69 

Die Handhabung der Sanitätspolizei auf dem Lande in Preussen. Dr. 

Klos 8. (Meyhöfer). 71 

Ueber die hygienische und bautechnische Untersuchung des Bodens auf 
dem Grundstück der Charite und des sogenannten alten Charite¬ 
kirchhofes. Proskauer (Langerhans) . • .. 

Bakteriologische Untersuchung der Luft in Freiburg i. B. und Umgebung 

F. Welz (Ders.).. . 97 

Ueber die Selbstreinigung der Flüsse. Prof. Dr. v. Pettenkofer 

(Dütschke). 98 

Ueber die Reinigung der Abwässer durch Elektrizität. Dr. Claudio Fermi 

(Langerhans). 99 

Ueber die Bildung von Schwefelwasserstoff durch die krankheitserregenden 
Bakterien unter besonderer Berücksichtigung des Schweinerothlaufs. 

Dr. Petri u. Dr. A. Maassen (Langerhans).118 

Zur Desinfektion der Wohnungen. Dr. Cronberg (Ders.).119 

Ueber die Verhütung der Infektionskrankheiten in Schulen. Dr. Lay et 

(Meyhöfer). l‘^0 


*) Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt. 
























Inhalt. 


IX 


Seite. 

Maj^snahmen gegen Trachom in den Schulen. Prof. Panas .121 

Ueber die Taubstummheit bei Kindern und die Nothwendigkoit eines Heil¬ 
versuchs derselben. Dr. Pludcr (Meyhöfer).121 

Zur Statistik der Erkrankungen und Sterbcfälle im Wochenbett ans dem 
Grossherzogthum Hessen. Geh Ober-Med.-Rath Dr. Neid hart 

(Rpd.) . ..140 

Die ersten Wiedorholungslohrgäiige für Hebammen im Grossherzuglhum 

Hessen. Prof. Löh lein (Dütschke).141 

Neue Gesetzvorlagen: 1. der Verkehr mit Wein, weinhaltigen und w^cin- 
ähnlichen Getränken; 2. Abänderungen von Bestimmungen des 
Strafgesetzbuches und des Geriehtverfassungsgesetzes voiri ö. A])ril 
1888, betreffend die unter Ausschluss der Oeffentlichkeit stattfinden¬ 
den (lerichtsverhandlungen.141^ 

Die Apothekerfrage im Reichstage.147 

l'Dtersuchungen über das Choleragift. Dr. R. Pfeiffer (Langerhans) . 17H 

Zur Prophylaxis der lutluenza. Dr. Olli vier (Ders.).178 

Gewinnung von Reinkulturen der Tuberkelbazillen und anderer pathogener 

Organismen aus Sputum. Dr. Kitasato (Ders.).178 

Ueber Tripper und die zur Verhütung seiner Ausbreitung geeigneten 

sanitätspolizeilichen ilnssregeln. Stabsarzt Dr. Scho 1 z (Düt.schke) 174 
Zur Vernichtung des städtischen Unraths. Dr. Th. Weyl (I^ers.) . . . 175 • 

Ueber die Morbiditätsverhälinissi^ in Papierfabriken. Dr. Frem inert 

(Meyhöfer) . ..175 

Die Einrichtung von Kühlräumen überhaupt und als nothwendige Anlage 
in Sclilachthöfen. Kr.-Phys. Geh. San.-Rath Dr. Hage mann und 

Stadtbaumeister Schulz (Overkamp).202 

Die Infektionskrankheiten in Oesterreich während des Jahres 1890. (Rpd.) 205 
Ein wichtiger Fortschritt auf dem Gebiete der Wohnnngsbygiene in 

Oesterreich. (Rpd.).206 

Ueber die Wichtigkeit der Milz bei der experimentellen Immuni^irung 

gegen Tetanus. G. Tizzoui u. G. Cattani (Lang(U'hans) . . 228 

Zur Aetiulogie der Dysenterie. M. Ogata (Ders.).228 

Masembazilius. Dr. Canon u. Dr. Pielicke (Rpd.).229 

Zur Fürsorge für Epileptische. Dr. Wildermuth (Kalischer) . . . 229 
Ueber die öffentliche Fürsorge für Idioten. Dr. Kure 11a (Ders.) . . . 229 
Die Geburten, Eheschliessungen und Sterbefälle im preussischen Staate 

während des Jahres 1889. (Rpd.).280 

Ueber die Verwerthung des Fleisches von tuberkulr»som Schlachtvieli. Prof. 

Perronicito (Langerhans).255 

Das Fleischbeschauweseu im Deutschen Reiche nebst Vorschlägen für dessen 

ges(‘tzliche Regelung. Dr. Sc hnei d eni ü h 1 (Hpd.).256 

Die Blntserumtherapie bei Diphterie und Tetanus. Stabsarzt Dr. Behring 

(Langerhans).288 

l'eber Immunisirung und Heilung von Versiichsthieren bei der Di]ihterie. 

Stabsarzt Dr. Behring und Dr, Wer nicke (Ders.).2S8 

Ueber Iinmunisirung und Heilung von Versuehstliieren beim Träanus. 

Stabsarzt Dr. Behring (Ders.) . 288 

Versuche zur liniiuinisirung von IM’erden und Schafen gegen Tetanus. Prof. 

Dr. Schutz (Ders.).288 

Schützt die durch Milzbrandimpfung erlangte Immunität vor Tuberkulose? 

Prof. E. Perronicito (Ders.).284 

Ueber die Einwirkung des Ozons auf Bakterien. Reg.-Rath Dr. 0hl- 

müller (Ders.).284 

Einfluss der Influenza auf die Geburten und Sterbefälle des Jahres 1890. 

(Rpd.). 2S5 

Die Ergebnisse des Iinpfgeschäfts im Deutschen Reiche für das Jahr 1889. 

Reg.-Rath Dr. Rahts (Rpd.).812 

Ergebnisse der Schutz])Ockonimpfung im Königreich Bayern im Jahre 1890. 

Dr. Stumpf (Rpd.). 814 

Ergebnisse der Schlitzpockenimpfung im Grossherzogthnm Hessen im Jahre 
1891 und Thätigkeit der Grossherzoglicheu Landesimpfanstalt in 
Darmstadt. (Rpd.).815 
























X 


Inhalt. 


Seite. 

Zar Prostitntionsfrage. Dr. A. Blasehko (DUtschke).317 

Ueber die Prophylaxe der Syphilis.318 

Ein weiterer Beitrag zur Lehre von der Infektiosität des Fleisches pcrl- 

sUchtiger Rinder. Dr. Kästner (Rpd.).318 

Welche Bedeutung hat der Raumwiukel als Mass für die Helligkeit eines 

Platzes in einem Lehrraum? E. Gilbert (Langerhans) .... 33!) 

Experimental - Beiträge zur Myopie-Hygiene. Franz Poller (Ders.) . . 340 

Die städtischen unentgeltlichen Heilknrse für die stotternden Schulkinder 

Wiens. (Ders.).341 

Ueber Wasserfiltration durch Steinfilter. Dr. v. Esmarch (Ders.) . . 342 

Die Selbstreinigung der Flüsse mit besonderer Rücksicht auf Städtereiui- 

guug. Prof. Dr. Uffelmanu (Dütschke).342 

Arbeitsschutz und Unfallverhütung. Reg.- u. Med.-Rath Dr. Roth (Israel) 344 

luvaliditäts - Skala.345 

Die Bewegung der Bevölkerung iiu Gros-sherzogthmii Hessen während des 

Jahres 1890 mit besonderer Berücksichtigung der Sterblichkeit. (Rpd.) 345 
Die Bewegung der Bevölkerung in Oesterreich während des Jahres 1890. 

(Rpd.).347 

Weitere Mittheilungen über den Erreger der Influenza. Dr. R. Pfeiffer 

(Dütsekke).3G3 

Zur Aetiologie des primären Larynxeroup. Dr. Eug. Fränkel (Ders.) . 366 

Miliaria - Epidemie im politischen Kreise Guckfeld bei Krain. Prof. Dr. 

Dräsche und Prof. Dr. Weichselbaum (Rpd.).366 

Trachom und Conjunktivitis foUiculosa. Prof. Dr. Schmidt-Rimp 1er 

(Seemann).387 

Zur Frage des Einflusses der Gonorrhoe auf das Wochenbett und auf die 
Augenerkrankungen der Neugeborenen. Dr. v. Steinbüchel 

(Flatten).388 

Neuerliche Beobachtungen über das Vorkomtuen des Ankylostoina duodenale 

bei Bergleuten. Dr. J. Zappert (Ders.).388 

Ueber eine neue Methode zur Bestimmung der VVandfeuchtigkeit. Prof. 

Dr. Emmerich (Rpd.).389 

Zur Lehre von der Identität des Streptococcus pyogenes und Streptococcus 

erysipelatis. Stabsarzt Dr. M. Kirchner (Laugerhaus). . . . 426 

Sechste Heilung von Tetanus traumaticusdurch Antitoxin. Dr. J. Taruffi 

(Ders.).426 

Ueber künstliche Schutzimpfung gegen Cholera nsiatica. Prof. Dr. L. 

Brieger und Dr. A. Wassermann (Dütschke).448 

Ueber die Wirkung und Anwendbarkeit neuerer Desinfektionsmittel (Rpd ) 448 

Die Einführung des Lysol an Stelle des Kreolin als obligatorisches Des¬ 
infektionsmittel in die Hebamroenpraxis. Prof. Dr. Braun (Dütschke) 453 

Beiträge zur Desinfektionslehre und zur Kenntniss der Kresole. Dr. But¬ 
ter sack (Rpd.).454 

Die hygienische Beurtheilnng des Trinkwa.sser8. Prof. Dr. Kratter 

(Overkamp).478 

Einfluss der Steil- und Schiefschrift. Dr. Brunner und Oberstabsarzt 

Dr. Seggel (Rpd.).4SI 

Steilschrift gegen Schiefschrift. Dr. W. Mayer (Rpd.).481 

Ueber Messungen der Schreibhaltungen in den Volksschulen zu Nürnberg. 

Dr. P. Schubert (Rpd.).*.481 

Ueber die Möglichkeiten einer vom Brunnenwasser ausgehenden Hühncr- 

Cholera-Epizootie. Dr. Schönwerth (Langerhans) . . , . . 498 

Ausübung der Heilkunde in Bayern durch nicht approbirte Personen im 

Jahre 1891. Hofrath Prof. Dr. M. Braun (Rpd.).499 

Die Heilanstalten des Deutschen Reichs nach den Erhebungen der Jahre 

1886, 1887 und 1888. Rcg.-Rath Dr. Rahts (Israel) 500, 525, 554 
Ueber die Tuberkulin - Behandlung tuberkulöser Meerschweinchen. Dr. S. 

Kitasato (Langerhans).523 

Heilversuche an tetanuskranken Thieren. Dr. Kitasato (Ders.) . . . 523 

Zur Frage der Identität von Varizellen und Pocken. Dr. M. Frey er 
(Ders.). 


524 



























Inhalt. 


XI 


* Seite. 

Ueber die Nothwendigkeit and die beste Art der Spntom-Desinfektion 

bei Lnngentnberknlose. Stabsarzt Dr. Kirchner (Langerbans) . 524 

Die wichtigsten Grundsätze für den Betrieb von Wasserwerken mit Sand¬ 
filtration .524 

Ueber die intraperitonale Cholera - Injektion der Meerschweine. Prof. Dr. 

Gruber u. Dr. E. Wiener (Platten) . •.553 

Ueber das Verhalten der Cholerabazillen auf frischen Früchten, einigen 

Genuss- und Nahrungsmitteln.554 

Moderne wissenschaftliche Anforderungen in der Praxis. Dr. D* Heim 

(Dütschke).588 

Die gegenwärtige Verbreitung der Lepra in Europa und ihre soziale Be¬ 
deutung. Dr. E. Arning (Platten).588 

Ueber Immunität und Schutzimpfung. Dr. C. Lu bar sch (Langerbans). 589 
Ueber Cholera, mit Berücksichtigung der jüngsten Choleraepidemie in 

Hamburg. Geh. Bath Prof. Dr. v. Pettenkofer (Rpd.) . . . 615 

Verhalten der Cholerabazilien im Kaviar. Prof, Dr. C. Pränkel (Rpd.) 618 
Zum Vortrage von Pettenkofer: Ueber Cholera, mit Berücksichtigung der 
jüngsten Cholera-Epidemie in Hamburg. Prof. Dr. Pränkel 

(Dütschke).640 

Die englischen Schwindsuchtshospitäler und ihre Bedeutung für die deutsche 

Gesundheitspflege. Dr. H. Rosin (Meyhöfer).642 

Neue Untersuchungen über die Giftigkeit der Expirationsluft. Dr. S. 

Merkel (Langerbans).643 

ry. Besprecliungen.*) 

Arendt, Dr. Rud., Prof.: Technik der Experimentalchemie (Overkamp) 391 
Becker, Dr. L., San.-Rath u. Bezirksphysikns: Anleitung zur Bestim¬ 
mung der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nach Verletzungen 

(Dütschke).288 

Bcrnbeim, Dr. Hugo: Sind die Flnssvcrunreinigungen durch grosse 
Städte an einer erhöhten Sterbiiehkeitsintensität dicht unterhalb 

derselben statistisch nachweisbar? (Lustig).102 

Blaschke, Paul: Internationaler Lazareth - Sprachführer. I. Abtheilnng: 

Deutsch - Französisch (Israel).177 

Blasius, Dr. H.: Unfallversicherungsgesetz und Arzt (Dütschke) . . . 288 

Brockhaus Konversationslexikon (Rpd.).392 

Dicckerhoff, Dr. W.: Beiträge zur Benrthcilnng des Mallein (Israel). 503 
Elsner, Dr. Fritz: Die Praxis der Chemiker bei Untersuchung von 
Nahrungsmitteln und Gebranchsgegenständen u. s. w., bei bakterio¬ 
logischen Untersuchungen, sowie in der gerichtlichen und Harn¬ 
analyse. 4. Aufl. (Rpd.).103 

E m m e r ic h, Dr. Rud. und Dr. Herrn. T r i 11 i c h: Anleitung zu hygienischen 

Untersuchungen (Rpd.).455 

Feldbaus, J., pharmazeutischer Assessor: Ergänzung der Apotheker- 
gesetze in Preussen nebst einem Schema eines Revisionsprotokolles 

(Rpd.).319 

Gaertner, Dr. Aug., Prof.: Leitfaden der Hygiene (Overkamp) . . . 390 

Goldberg, Dr. BertWd: Der Einfluss des Witterungsganges auf vor¬ 
herrschende Krankheiten und Todesursachen (Lustig).1(X) 

Guttmann, Dr. H.: Arzneiverordnungen in der Kinderpraxis (Dütschke) 72 

Guttstadt, Dr. A., Prof.: Deutschlands Gesundheitswesen (Rpd.) . . 122 

Haukel, Dr. Ernst, Königl. Bezirksarzt: Handbuch der Inbalations- 
Anästhetika, Chloroform, Aether, StickstofToxydul und Aerhylbromid, 
mit Berücksichtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hoi 

Anwendung derselben (Dütschke).368 

He bammen-Lehr buch, P reu SS isch es, neues (Georg) .... 644 

Hebammen-Kalender, Deutscher, für das Jahr 1892 (Rump) . . . 207 

Henneberg, Dr. Rudolf, Ingenieur: Der Kafill - Desinfektor (Israel). . 176 


*) Die Namen der Referenten sind in Klammem beigefügt. 



















xn 


Inhalt. 


' Seite. 

Hirnträger, Karl, dipl. Architekt: Bau und Einrichtung von Pflege- 
und Erziehungs - Anstalten für die Jugend des versicherungspflich- 

Alters in den verschiedenen Ländern (Israel).504 

J olles, Dr. Adolf: lieber den gegenwärtigen Stand der hygienischen 

Wasserbegutachtung (Israel) . . *.201 

von Kerschensteiner, Dr. J., Geheimrath: Krankenhäuser für kleinere 

Städte und ländliche Kreise (Israel).2(U 

Kr onenberg, Dr. E.: Die Uebertragbarkeit geistiger Störungen (Lästig) 100 
Kühner, Dr. A., praktischer Arzt und Gerichtsarzt a. D.: üeber die 
strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei Anwendung des 
Chloroforms und anderer luhalations-Anäathetika (Dütschke) . . 206 

Langerhans, Dr. R.: Kompendium der pathologischen Anatomie 

(Mittenzweig). 20 

Las8er-Cohn, Dr., Privatdozent der Chemie an der Universität Königs¬ 
berg i. Pr.: Moderne Chemie (Grisar).261 

Leuchtmann, J.: Die Medizinalwcin-Frage vom wissenschaftlich-prak¬ 
tischen Standpunkte und die Stellungnahme der Deutschen Reichs¬ 
regierung (Israel).177 

Liebreich, Dr. Oskar: Anleitung zur Sparsamkeit beim Verordnen von 

Heilmitteln.591 

Lothes, Dr. R.: Beiträge zur Beurtheilung des Mallein (Israel) . . . oOJ 

Älagnan, V.: Psychiatrische Vorlesungen. Deutsch von S. Moebius. 

1. Heft: Ueber Delire chronique ä evolution syst(unati(|ue (Siemens) 21 

11. u. III. Heft: Die Geistesstörungen der Entarteten (Dersell)t^) 590 
Mair, Dr. Ignatz, Bayer. Bezirksarzt: Gerichtlich - medizinische Kasuistik 

der Kuustfehler (Israel).283 

M enger, Dr. Henry, Medizinal-Assessor: Das transportable Baracken- 

lazareth zu Tempelhof vom 1. Juli bis 31. Dezember 1891 (Israel) 320 
Page, W. Herbert. M. A.: Eisenbahn-Verletzungen in forensischer und 

klinischer Beziehung (Dütschke).455 

Praussnitz, Dr. W,, Privatdozeut an der Universität und technischen 

Hochschule in Münster: Grundzüge der Hygiene (Overkamp) . . 232 

Kapmund, Dr., Reg.- u. Med.-Rath: Polizei-Verordnung für den Keg.- 
Bez. Minden, betreffend Massrcgeln gegen die V'erljreituiig an¬ 
steckender Krankheiten vom 10. August 1891, nebst Ausführungs¬ 
anweisung vom 5. April 1892 und der darauf bezüglichen Mini¬ 
sterialerlasse, V'^erfügungen, Verordnungen u. s. >v. (8aloiiion) . . 590 

Kipperger, Dr. A.: Die Inffueuza. Ihre Gesclil-hte, Epidemiologie, Ae- 
tiologie, Symptometiologie und Therapie, sowie ihn*. Komplikationen 

und ^5ichkrankheiten (Overkamp)...233 

Rubner, Dr. Max, Prof, und Direktor des hygienischen Instituts: Lehr- 

Vueh der Hygiene (Hpd).286 

Sajous, M. D., Charles E.: Animal of the Universal ]\ledical Sciences. 

A ycarly report of the (Tcneral sanitary Sciences throiighout the 

World (Kalischer). 22 

Schaffer: Der Geburtsakt clargestellt in 98 Tatelii.617 

Scholl, Dr. Hermann, Assistent am hygienischen Institut der dcutscli'm 
Universität in Prag: Die ]\lilch, ihre häiitig«‘ren ZerMqzungeii und 
Verfälschungen mit spezieller Berücksichtigung ihrer Bezieliungm 

zur Hygiene (Overkamp).258 

Schreiber, Dr., praktischer Arzt: Arzneiverordnuiigcn für den ärztlichen 
Gebrauch mit besonderer Berücksichtigung billiger Versehreibungs¬ 
weise (Rump).207 

Schroeder, Dr., Kreisphysikus: 1. Flcisclischanweseii und die Nachprü¬ 
fungen der Fleischbeschaiier des Kreises WeissenfcLs im Jahre 1892 

(Dütschke).456 

2. Die Tagebücher der Hebammeu des Kreises Weisscnfels im 

Jahre 1891 (i)crselb(*).456 

Sperling, Dr. Arthur: Elcktrotheripeiitische Stinli^n (Israel) .... 177 

Schlockow, Dr.: Der preussische Pliysikus (Rpd.).287 

Shibata: Gcburtshülfliclie Tasclienphautome ((.)verkanip).647 

Sonderegger: Vorposten der Gesundheitspflege (Derselbe).647 






















Inhalt. 


XIU 


Seite. 

Staack, Reehnnu^srath: Das Mi*di?aual- und Gesinidb(*its\vesen mit be¬ 
sonderer BerücksichtitruiiK der Provinz Schleswi^^-Hulstein (Ri»d.) . 123 

Trillich, Dr. Hermann und Dr. Rud. Emmerich: Anleitung zu 

hygienischen Untersucliungen (Rpd.).455 

Weiss, Dr. Albert, Reg.- u. Med.-Rath: Lehrkursus der praktischen 
Trichinen- und i innen>chau für angehende und angestellte Fleisch- 

heschauer (Rpd.). 72 

Wesen er, Dr. F., Privatdozent: Medizinisch-klinische Diagnostik 

(Dverkanii)).. . . . . 301 

Wickersheiiner, J., Pra])arator: Anleitung zur Verwendung der Wickers- 

heiiner’schen Flüssigkeit für anatomische Präparate (Rpd.) . . . 310 


V. Tagesnacliricliten. 

Abfall-Verbrennungsanstalt 848. 

Aerzte, Organisation des ärztlichen Standes in Sachsen 24. 

^ Taxbestimrnuugen für dieselben 103, (>10. 

„ Desinfektionskurse für 508. 

^ weibliche, Amtsärzte in Rosnion und der Herzogewina 458. 

Aerztekaiumern, Erweiterung der Disziplinarbefugniss 76, 620. 

„ Gewährung des Stimmrechtes an die Vertreter der Aerztekammern in 
der wissenschaftlichen Deputation 457. 

Aerztetag, XX., 22, 369. 

Alvarcnga-Prcisaufgabe 180. 

Apotheken, Anweisung zur Revision derselben 104, 427, 502. 

Apothekenwesen, Reform desselben 371, 427, 592. 

Apotheker, Standesvertretung 303. 

Apothekerverein, deutscher, Generalversammlung 290. 

Arzneibuch, ständige Kommission für die Bearbeitung 23, 207. 

Arzneitaxe für 1802. 23. 

Atteste, amtsärztliche für Staatsbeamte 322. 

Barterzeugungsmittcl des Prof. Migargee; gerichtliches Erkenntniss 560. 

Bayern, Gehaltsaufbesserung der bayerischen Medizinalbeaniten 124. 

Chemiker, s. Nahrungsmittelchemiker. 

Cholera-Epidemien 372, 392, 428, 458, 483, 507, 530, 558, 592, 620, 648. 
Deputation, wissenschaftliche für das Mcdizinalwesen, Tagung derselben 508. 
Desinfektionskursus für Aerzte 508. 

Drogenhändler, s, Heilmittel bezw. Thierheilmittel. 

Drogeuhandhingen, Revisionen 304, 620. 

Ernennungen 73, 103. 

Feuerbestattung, Einführung der fakultativen 23, 290, 291. 

Fleischbeschauer, Prüfung derselben im Reg.-Bez. Posen 75, 234. 

Flüsse, Untersuchungen über die Selbstreinigung 457. 

Frauen, Zulassung zum medizinischen Studium 179, 619. 

Gebühren, Unzulänglichkeit der für gerichtsärztliche Geschäfte zugebilligten 395. 
Geburten, Abnahme derselben und des Geburtsüberschusses im Königreich Würt¬ 
temberg 76. 

Gehaltsaufbesserung, s. Medizinalbeamte. 

Gesundheitsamt, Kaiserliches, Neuorganisation 530. 

„ Neubau, 592, 619. 

Gewerbeanfsichtsbeamte, Dienstanweisung 234. 

Gifte, Regelung des Verkehrs 264. 

Heilmittel, Verkauf seitens der Drogenhändler 292. 

Impfgeschäft, gesetzliche Regelung in Oesterreich 321. 

Impfgesetz, ein neues für Italien 24. 

Impfung, Anwendung körperlicher Zwangsmittel 236, 619. 

Institut für Staatsarzneikuude 73. 

Irrengesetzgi^bung, Reform 370. 

Kersandt, (jeh. Uber-Medizinalrath, Ableben desselben 592. 

Körperverletzung, Bestrafung wegen vorsätzlicher 291. 

Kongress, II. internationaler dermatologischer 22, 427. 





XIV 


lukalt. 


Kongress, mtemationaler hygienischer 74. 

„ XI. fUr innere Medizin 74, 233. 

„ XXI., der deutschen Gesellschaft fUr Chirurgie 178. 

„ für Kriminal-Anthropolc^ie 208. 

„ Berichterstattung ttber medizinische Kongresse 233. 

„ rV. internationaler gegen Missbrauch alkoholartiger Getränke 298. 

„ internationaler medizinischer Kongress 482. 

Konserven, s. Kupfer. 

Krankenkassengesetz, Abänderung desselben 178, 236. 

Kupfer, hygienische Bedeutung desselben mit Rücksicht auf Konserven 458. 
Lamey - Stiftung, Preisaufgabe 52. 

Langenbeck-Eaus, Eröffnung 321. 

Mäuse-Typhusbazill. Verwendung zur Vernichtung der Feldmäuse 321. 
Medizinalbeamte, Gehaltsaufbesserung der bayerischen 124. 

Medizinalreform in Preussen 504. 

Medizinal wesen, prenssisches nach dem Staatshausbaltsetat für das Jahr 
1892/93. 73. 

Morphiumsncbt in Paris 24. 

Nahmngsmittelchemiker, Prüfung, Ausbildung und Stellung derselben 75, 321, 371. 
Naturforscberversammlung in Nürnberg 178, 208, 396, 458. 

Pharmazeutische technische Kommission, Tagung derselben 592. 

Pockenepidemien im Reg,-Bez. Oppeln 372, 400. 

Preisaufgabe für Lamey - Preisstiftung 52; Alvarenga - Preisaufgabe 180; für 
Zimmer • Kochofen 236. 

Preussen, Medizinalwesen im Staatshaushalt für das Jahr 1892/93. 73. 

„ Medizinalreform 504. 

Prüfung der Fleischbeschauer im Reg.-Bez. Posen 75, 234, 262. 

„ Einführung einer solchen für Chemiker, speziell für Nahrungscbemiker 
75, 371. 

Rangerhöhung der Medizinalbeamten 123. 

Rundschau, hygienische, Wechsel in der Redaktion 178, 

Sachsen, Organisation des ärztlichen Standes 24. 

Schulärzte 103. 

Seuchengesetz für das Deutsche Reich 504, 619. 

Speckseiten, s. Trichinen. 

Staatsarzneikunde, Institut für dieselbe in Berlin 73. 

Taxbestimmnngen für Aerzte 103, 619. 

Thermometer, amtliche Prüfung der ärztlichen 348. 

Thierheilmittel, Verkauf seitens der Drogenhändler 292. 

Tödtnng, fahrlässige durch Liquor Colchic. compos. 76, 292. 

Trichinen, lebende, in amerikanischen Speckseiten 234. 

Trichinose in Mühlrädlitz 148. 

Tnberkulinum Kochii, Darstellung und Verkauf 347. 

Tuberkulose, Statistik über das Vorkommen derselben beim Rindvieh in Oester¬ 
reich 23. 

„ Bekämpfung derselben unter dem Rindvieh 179. 

Unfallkrankenbaus in Halle a. S. 393. 

Verbrennnngsanstalt für Abfälle 348. 

Verein, Deutscher, für öffentliche Gesundheitspflege, diesjährige Versammlung 
208, 458. 

„ deutscher Apotheker-, Generalversammlung 290. 

Vivisektionsfrage 179. 

Wein, Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken 178, 264. 
Württemberg, Abnahme der Geburten und des Geburtsüberschnases 76. 
Zwangsimpfung 236, 619. _ 


YI. Verschiedenes. 

Anfragen und Benachrichtigungen 400, 620 u. 648, 

Berichtigung 264 u. 322. 

Preussischer Medizinal beamten verein 104, 124, 323, 400, 458 u, 560. 



Namen erzeichniss. 


Albers 279. 

Althoff 193. 

Arendt 391. 

Aming 588. 

Ballet 310. 

Bartsch (Minist.-Direktor) 
165, 167, 191. 

Bartsch (Kreisphys.) 194. 
Bauer 6^. 

Becker, 288, 606. 

Behring 283. 
Bellingrodt'280, 635. 
Bemheim 202. 

Birch - Hirschfeld 24. 
Blaschke 177. 

Blaschko 317. 

Blasius 288. 

Bleisch 49, 172 
Bloknsewski 274, .349,384, 
467, 547. 

Boehm 582. 

Boer 67. 

T. Boetticher 147. 
Brftutigam'<117. 
Brandenburg 170. 

Braun (Metz) 453. 

Braun (München) 499. 
Brauser 51. 

Brieger 448. 

Brockhaus 392. 

Broemel 192, 193. 
Brunner 481. 

Bnschan 495. 

Bntterssusk 454. 

Canon 68, 229. 

C’attani 288, 426. 
Cronberg 119. 

Dieckerhoif .503. 
Dietrich 265. 


Döblin 542. 

Dölger 280, 615. 

Dräsche 366. 

Dyrenfurth 630. 

Eckervogt 269. 

Elsner 103. 

Emmerich 389, 455. 

T. Esmarch 342. 

Falk 17. 

Feldhaus 319. 

Fermi 99. 

Flinzer 24. 

Follenins 40. 

Fraenkel, Carl 47,618,640. 
Fränkel, Eng. 366. 
Frankenburger 139. 
Fremmert 175. 

Frenzei 66. 

Freyer 237, 254,314,572. 
Friedinger 227. 

Gärtner 390. 

Georg 14. 

Gilbert 339. 

Gleitsmann 135. 
Glogowski 181, 298. 
Goldberg 100. 

Gottschalk 53, 437. 

Graf 164, 167, 169. 
Griewank 303, 307. 
Gruber 553, 619. 

Gruchot 93. 

Guicciardo 587. 

Gutsmuths 322. 

Gnttmann 72. 

Gnttstadt 122. 

Hagemann 93, 202. 
Haider 619. 

Hammerl 447. 


T. Hammerstein 179. 
Hankel 368. 

Hanow 255. 

Hassenstein 129. 
Havemann 305. 

Heim 588. 

Henneberg 166. 

Hensgen 82. 

Himträger 504. 

T. Hofmann 281. 

Jacobgon 196, 583. 
Jaeger 66. 

Jelgersma 201. 

Jolles 261. 

Ipsen 446. 

Karsten 305. 

Kästner 318. 

V. Kerschensteiner 261. 
Kirchner (Mart) 426,524. 
Kitasato 68, 174, 523. 
Klein 200. 

Kloss 71. 

Kluge 74. 

V. Korn 580. 

Kornfeld 492, 615. 
Kratter 217, 447, 478. 
Krause (Prof.) 46. 

Krause (Abgeordn.) 236. 
Kronenberg 100. 

Kühn 242. 

Kühner 206. 

Kuhn 67. 

Kuntz 582. 

Knrella 229. 

Langerlians (Kreisphys.) 

125, 149, 461. 
Langerhans (Abgeordn.) 
166, 186, 188. 
Langerhans, B. 20. 



XVI 


Namen - Verzeichniss. 


Lassar-Cohn 261. 

Lanrent 201. 

Layet 120. 

Leuchtmann 177. 

Lewald 587. 

Liebreich 591. 

V. Liszt 95. 

Löffler 321. 

Loeblein 141. 

Lohtes 50.3. 

Lombroso 201. 

Lorenz 25, 87. 

Lubarsch 589. 

Maassen 118. 

Magnan 21, 587, 590. 
Mair 233. 

Matthes 489. 

Mayer 481. 

Mende 19, 175, 390. 
Mendel 93, 611. 

Menger 320. 

Meyer 167. 

Meyhöfer 413. 

Merkel 643. 

Moebins 21, 590. 
Möllmann 161. 

Moritz 337. 

Müller (Minden) 424,509, 
533, 561, 593. 

Mylins 76, 292. 

Naecke 497. 

Neidhart 140. 

Ogata 228. 

Ohlmüller 284. 

Ollivier 173. 

Olzem 163. 

Orth 180. 

Ottolenghi 202, 496. 

Page 455. 

Paltanf 170, 425. 

Panas 121. 

Passet 522. 

Pelman 93. 

Perronicito 255, 284. 
Peters 133. 

Petri 118. 

V. Pettenkofer 98,615,641. 


Pfeiffer, R. 68, 173, 364. 
Pfuhl 39. 

Pielicke 229. 

V. Pilgrim 169. 

Pistor 164. 

Pluder 121. 

Poller 340. 

Praussnitz 232. 

Proskauer 95. 


Räuber 283. 

Rahts 312, 315,500, 525, 
554. 

Rapmund 590. 

Reimanu 138. 

Reinhard 24. 

Richter 105, 129, 361, 
384, 467, 485, 548. 
Rieger 494. 

Ripperger 233. 

Ritter 625. 

Roeckl 63. 

Roehring 336. 

Rosin 642. 

Roth 344. 

V. Rottenburg 75. 

Rubner 287. 

Rump 112. 


Sackur 363. 

Sajous 22. 

Salomon 220, 32^, 627. 
Schaffer 647. 

Schatz 293, 305. 
Schilling 621. 
Schlockow 287. 
Scbmidtmann 77. 
Schmidt • Rimpier 387. 
Schneidemübl 256. 
Schneider 179. 

Scholl 258. 

Scholz 174. 

Schreiber 207. 
Schrocder 455. 
Schuberth 481. 

Schütz 180, 283. 
Schulte 93. 

Schultze 202. 

Schulze - Barnim 253. 
Seggel 481. 


Seliger 373,401,429,476, 
477. 

Serafini 45. 

Seydel 171. 

Shibata 647. 

Siegel 41. 

Simon 17. 

Sonderegger 647. 

Spanken 90. 

Sperling 177. 

Staack 123. 

V. Steinbüchel 388. 
Stephan 305. 

Stöcker 187, 191. 

Strauss 183. 

Strecker 209, 243. 

Stumpf 314. 

Tarnffl 426. 

Tenholt 88. 

Terflotb 93. 

Thiem 139. 

Tizzoni 228. 

Tommassia 619. 

Trillich 455. 

üifelmann 342. 

Virchow 168, 189. 

Voigt 255. 

Voss 613. 

Wagner 495. 

Wallichs 273. 
Wassermann 448. 
Weichselbaum 366, 619. 
Weiss 72. 

Welz 97. 

Wernicke 283. 

Wesener 391. 

Weyl 175. 
Wieckersheimer 319. 
Wiederhold 291. 

Wiener (Wien) 553. 
Wiener (Graudenz) 610. 
Wildermuth 229. 

Wodtke 1. 

Wunschheim 39. 

Zappert 388. 

V. Zastrow 188. 

Zettnow 66. 



6. Jahrg. 


18«1 


Zeitsehrifb 

för 

MEDIZINALBEAMTE 


Heretisgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtl.Stadtphysilras inBerlin. Reg.- und Medizinalratb in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medi^inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin« 


Verlag von Fischer's mediz. Buchhdlg., Kornfeld d Go., Berlin NW. 6. 


Inierate, die darchUnfende Petitseile 46 Pf. nimmt die Y^rUgihandlani^ and Rnd. Moese 

entgegen. 


No. 1. 


KnehelBt um 1. and IB. Jeden Menate. 
Peel« JBlirUoli 10 Merk. 


1. Januar. 


Der englische Gesundheitsbeamte. 

Von Dr. Wodtke, Krei^hysikns in Diischan. 

Der englische Gesundheitsbeamte (medical ofßcer of health) 
ist im Vergleich zum preussischen Physikus eine junge Schöpfung. 
1847 wurde zum ersten Male in England auf Ginind eines für 
Liverpool erlassenen Sondergesetzes (local act) von der dortigen 
städtischen Verwaltung in der Person des Arztes Dr. William 
Henry Dune an ein Gesundheitsbeamter ernannt. Die City von 
London folgte auf Grund eines gleichen Sondergesetzes 1848 mit 
der Bestellung eines solchen Beamten und diese höchst erspriess* 
liehen Versuche veranlassten 1855 die Gemeindeverwaltungen 
aller Bezirke Londons zur Anstellung von etwa 50 ärztlichen Ge- 
sundheitsbeamten. Eine bedeutende Vermehrung dieser Beamten¬ 
klasse trat mit einem Schlage ein, als nach der Errichtung des 
Local Government Board 1871 und dem Erlass des Gesundheits¬ 
gesetzes von 1872 in ganz England jeder Ort der sanitären Beauf¬ 
sichtigung eines ärztlichen Gesundheitsbeamten unterstehen musste. 

Um die Organisation des englischen Gesundheitswesens rich¬ 
tig zu verstehen, muss man sich von vornherein davon frei machen, 
unsere einheitliche Gliederung der Verwaltung in Begierungsbe- 
zirke, Stadt- und Landkreise mit Staatsbeamten von der Befug^ss 
eines Regierungspräsidenten bezw. Landraths in England auch nur 
annähernd wiederfinden zu wollen. Vielmehr sind dort för die einzelnen 
Verwaltungsaufgaben sehr verschiedenartig gestaltete Verbände als 
Selbstverwaltungskörper gebildet, für welche von den eingesessenen 
Steuerzahlern nach einem möglichst bequemen Wahlverfahren (die 
Stimmzettel werden sogar von Amtswegen in das Haus gebracht 
und wieder abgeholt) Ausschüsse (boards) als Selbstverwaltungs¬ 
organe gewählt werden, die einer Bestätigung nicht bedürfen. Die 
Ausschüsse erwählen ihren Vorsitzenden und die nothwendigen Be- 










2 


Dr, Wodtke. 


rufsbeamten, insbesondere den Sekretär (clerk), gewöhnlich einen 
Advokaten niederer Ordnung, der die laufenden Geschäfte besorgt 
und die Stellung eines technischen Hilfsarbeiters, aber keineswegs 
die eines geborenen Vorsitzenden einnimmt. So giebt es für die 
Verwaltung des Arnienwesens. für die des Schulwesens, die der 
ülFentlichen Strassen besondere Verbände, welche sich aber nicht 
miteinander decken. In neuerer Zeit macht sich gegenüber der 
Vielgestaltigkeit ein Streben nach Vereinfachung geltend, indem man 
sowohl die verschiedenen Zweckverbände mehr und mehr räumlich 
zusammenfallen lässt, als auch etwaige neue Verwaltungsaufgaben_ 
den bereits bestehenden Verbänden zuweist. Alle Verbände jedoch 
und deren Ausschüsse unterliegen in ihrer Geschäftsführung ohne 
jede Zwischeniustanz der direkten staatlichen Beaufsichtigung des 
Ministeriums, gleichviel, ob es sich um die grossen Handels- und 
Fabrikstädte oder um ein Landstädtchen mit nur 697 Einwohnern 
oder auch um Landbezirke mit 647, ja mit 30 Einw’ohnern handelt. 

Die umfassende Organisation des englischen Gesundheitswesens 
im Jahre 1872 lehnte sich bei dem erwähnten Mangel von unsern 
Kreisen entsprechenden Verwaltungseinheiten, und um nicht die 
bereits vorhandenen verschiedenen Verbände noch beträchtlich zu 
vermehren, an die durch Gesetz von 1834 für die Zwecke des 
Armenwesens hervorgerufene Organisation an. Die Beziehungen 
zwischen der Armuth und der öffentlichen Gesundheit sind aller¬ 
dings recht nahe und auch ein gewisser historischer Zusammen¬ 
hang zwischen Armenwesen und Gesundheitswesen bestand in Eng¬ 
land insofern, als gerade die Berichte von Armenärzten im Jahre 
1838 zu einer Reform des Gesundheitswesens den Anstoss gege¬ 
ben hatten. 

Die Armenverbände (unions) hatten eine durchschnittliche 
Einwohnerzahl von etwa 25000 Seelen und standen unter einem 
gewählten Armenrath (board of guardians). Von den Armenräthen 
mussten ein oder mehrere Armenärzte (district medical officer oder 
poor law medical officer) angestellt und besoldet werden mit der 
Massgabe, dass die Bezirke derselben nicht grösser als etwa eine 
Quadratmeile sein und höchstens 15000 Seelen umfassen durften. 
Eine solche Bestimmung, welche die Ueberlastung der Aerzte ver¬ 
hinderte, lag im Interesse der hilfesuchenden Armen und man 
stellte im Einklänge mit der wohlwollenden Tendenz des Gesetzes 
möglichst viele Aimenärzte an, so dass die von ihnen zu versehen¬ 
den Unterbezirke klein und gewöhnlich nur 3000 bis 2000 Ein¬ 
wohner und weniger hatten. Im Jahre 1880 gab es z. B. 3344 
Armenärzte. 

Während nun bei der Organisation des Gesundheitswesens im 
Anfänge der siebziger Jahre in den Städten und in den Bezirken mit 
städtischer Verfassung die städtischen Verwaltungsbehörden auch 
als Sanitätsbehörden mit den Verpflichtungen solcher betraut wurden, 
wurden auf dem Lande die Armenräthe (boards of guardians) als 
Sanitätsbehörde (sanitary authority) mit der Verpflichtung bestellt, 
neben den Kosten des Armenwesens auch die für die Verwaltung 
des Gesundheitswesens aufzubringen. §.10 des Gesundheitsgesetzes 



Der englische Gesundheitsbcnnite. 


8 


von 1872 machte allen Sanitätsbehörden die Anstellung eines oder 
mehrerer Gesundheitsbeamten zur Pflicht, und durch den damaligen 
Eessortminister Stansfield wurde die Erfüllung dieser gesetz¬ 
lichen Bestimmung auf das Nachdrücklichste betrieben. Es war nur 
natürlich, dass den Kommunen, in unserm Sinne gesprochen, eine 
Vermehrung der Kommunalbeamteu unwillkommen war, und dass 
demnach die Sanitätsbehörden, die ohnehin der Anstellung eigent¬ 
licher Gesundheitsbeamten vielfach widerstrebten, ihre bisherigen 
Bezirksarmenärzte gleichzeitig zu Gesundheitsbeamten ernannten, 
zumal auf die Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens im Gesetz 
hingewiesen war. Ein solches Verfahren war für die das Interesse 
der Steuerzahler in erster Linie wahrenden Sanitätsbehörden nicht 
nur von vornherein weniger kostspielig, sondern liess auch hoffen, 
dass die neuen und doch alten Beamten in ihren kleinen Bezirken 
nicht durch intensives Hinwirken auf sanitäre Verbesserungen 
lästig fallen würden. Als 1873 vmi 1468 Sanitätsbehörden 1104 
ihre Gesundheitsbeamten ernannt hatten, waren für 81 kleinere 
Bezirke zusammen 360 Gesundheitsbeamte, d. h. alle Armen¬ 
ärzte als solche ernannt worden. Noch 1888 besassen von 1535 
Sanitätsbehörden 76 und zwar gerade solche von kleinen Bezirken 
mehr wie einen, ja 3 bis 4, insgesammt 221 Gesundheitsbeamte, 
und z. B. Newport mit 21776 Einwohnern hatte sogar 8 Gesundheits¬ 
beamte. In den ländlichen Bezirken trat die Neigung, dem Armen¬ 
ärzte in seinem kleinen Bezirke die nebenamtliche und darum auch 
nebensächliche Stellung des Gesundheitsbeamten zu übertiagen, 
ganz besonders zu Tage. Bald wui’de es aber klar, dass die Ge¬ 
sundheitsbeamten für die kleinen ländlichen Bezirke es an sich 
fehlen Hessen. Eine im Gesundheitswesen so unbestrittene Auto¬ 
rität wie Sir Lyon Play fair geisselte 1888 in einer Parlaments¬ 
debatte unter dem „Hört, Hört" des Hauses und unter Zustimmung 
des Unterstaatssekretärs diese Verhältnisse in folgender Weise: 
„Die ganze Organisation des Gesundheitsdienstes in den ländlichen 
Bezirken ist trotz der direkten Kontrole des Ministeriums zum 
Verzweifeln unwirksam; die Aerzte auf dem Lande widmen nur 
einen winzigen Theil ilu'er Zeit den Pflichten des Gesundheits¬ 
dienstes. Je weniger diese Beamten thun, um so besser gefallen 
sie den Ausschüssen (boards), sie werden besoldet, um Nichts zu 
thun, und sie thun Nichts.“ 

Es ist nothwendig, die englischen Ansichten und Erfahrungen 
über Gesundheitsbeamte für kleine ländliche Bezirke in das rechte 
Licht zu stellen, weil in Pi*eussen Stimmen laut geworden sind, 
die eine Vennehrung der Medizinalbeamten etwa in der Art for¬ 
derten, dass auf dem Lande thunlichst jeder Arzt in seinem Praxis¬ 
bezirke gleichzeitig sich als Medizinalbeamter bethätigen müsste. 
In rückhaltloser Anerkennung und Werthschätzung der gewaltigen, 
theilweise mustergiltigen Leistungen Englands glaubte man in den 
dort noch vorhandenen zahlreichen sehr kleinen ländlichen Sanitäts¬ 
bezirken das nachahmungswerthe Geheimniss der Erfolge der eng¬ 
lischen Gesundheitsverwaltung erkannt zu haben; ein schwerer 
Irrthura, der durch obige Auslassungen Sir Lyon Play fair s schon 



4 


Dr. Wodtke. 


genügend und mehr noch durch die ganze Politik der englischen 
Gesundheitsverwaltung widerlegt wird; denn diese hat unverkenn¬ 
bar als Endziel, die Anstellung von vollbeschäftigten 
Gesundheitsbeamten ohne Privatpraxis für grosse 
Bezirke, wobei es als selbstverständlich ausgesprochen wird, 
dass diese Beamten gewissermassen Spezialisten in der Hygiene 
sein müssen. 

Die Anfänge dieser Politik sind bereits in der Bestimmung 
des §.191 des konsolidirenden Gesundheitsgesetzes von 1875 zu 
suchen, wonach dieselbe Person unter Zustimmung des Ministers 
für 2 oder mehr Bezirke von den Sanitätsbehörden als Gesund¬ 
heitsbeamter ernannt werden konnte. Eine solche Personalunion 
mehrerer Bezirke erfreute sich einer gewissen Beliebtheit, und 
1888 hatten z. B. in einem Falle sogar 9 Bezirke denselben Ge¬ 
sundheitsbeamten; derselbe blieb aber jedem einzelnen Ausschüsse 
unterstellt, und musste demnach ganz besonders gewandt sein, 
wenn er der Zufriedenheit aller Ausschüsse sicher sein wollte. 
In höherem Masse entsprach es schon jener Politik, dass §. 286 des¬ 
selben Gesetzes dem Ministerium die Befugniss beilegte, mehi'ere 
Bezirke, auch städtische von weniger als 25000 Einwohnern mit 
ländlichen im öffentlichen Interesse zu vereinigen und von einer 
Vertreterversammlung den Gesundheitsbeamten für den ganzen 
vereinigten Bezirk anstellen und besolden zu lassen. Das Mini¬ 
sterium machte aber von diesem Recht einen vorsichtigen Ge¬ 
brauch; denn 1888 bestanden erst 37 grössere Vereinigungen von 
städtischen und ländlichen Bezirken, deren Einwohnerzahl sicli 
zwischen 7874 bis 149029 bewegte, während ausserdem noch 880 
Sanitätsbehörden in städtischen und 569 in ländlichen Bezirken be¬ 
standen. 

Die Ausübung der Privatpraxis hatten schon im Jahre 1873 
mehrere Sanitätsbehörden ihren Gesundheitsbeamten untereagt und 
1888 war es bei 50 städtischen, bei 14 ländlichen Sanitätsbehörden, 
bei 27 Vereinigungen obiger Art und bei 9 Sanitätsbehörden von 
Seehäfen, insgesammt bei 100 Verbänden geschehen. . 

Der Wegfall der Privatpraxis musste natürlich durch ein ge¬ 
nügendes Gehalt ausgeglichen werden: 7000—8000 Mark sind 
das Minimalgehalt, bei dem die Aufgabe der Privatpraxis verlangt 
wird, es sind aber Gehälter von 9000 bis hinauf zu 16000 Mark 
keine Seltenheit. Der Gesundheitsbeamte von Liverpool erhält für 
Stadt und Hafen über 20000 Mark. In den Fällen der Personal¬ 
union mehrerer Bezirke steigert sich das Einkommen der Gesund¬ 
heitsbeamten durch Addition der verschiedenen Gehälter erheblich, 
z. B. bezog der Gesundheitsbeamte in Salop 1888 durch üeber- 
nahme benachbarter Bezirke insgesammt ca. 21000 Mark. Neben 
den Gehältern werden mitunter noch Reisekosten gezahlt. 

Aber auch unter Beibehaltung der Privatpraxis werden noch 
Gehälter von 3000 bis 4000 Mark gezahlt. Nach einem ungefähren 
Durchschnitt zahlen in solchen Fällen Bezirke von 20—30 000 Ein¬ 
wohnern ca. 3000 Mark, Bezirke von einigen Tausenden Einwoh¬ 
nern 1000 Mark; aber es giebt auch kleine Stellen, allerdings 



Der eugLi2<clio GesumlLcitsbeainte. 


5 


wenige, in denen ca. 100 Mark, vereinzelte, in denen nur ca. 50 Mark 
gezahlt werden, und eine, in der der Gesundheitsbeamte für jeden 
vorkommenden Fall eine Gebühr von ca. 43 Mark erhält. Die 
Höhe der Gehälter unterliegt der Bestätigung des Ministeriums. 

Im Allgemeinen wird auch bezüglich der Anstellungs¬ 
dauer zwischen Beamten mit und ohne Privatpraxis unterschieden. 
Letztere werden gewöhnlich auf längere Zeiträume wie 3,5,10 Jahre, 
mitunter auch dauernd oder auf Lebenszeit angesteUt. Höhere Ge¬ 
hälter zahlende Bezirke pflegen auch die Privatpraxis treibenden 
Beamten auf mehrere Jahi’e anzustellen, während in kleinen Be¬ 
zirken die Anstellung auf 1 Jahr üblich ist. In London dürfen 
nach der am 1. Januar 1892 in Kraft tretenden Public Health 
(London) Act 1891 die Gesundheitsbeamten nicht mehr auf eine 
bestimmte Zeit angestellt und nur noch mit Zustimmung des Mi¬ 
nisteriums entlassen werden, so dass die Anstellungen der Londoner 
Gesundheitsbeamten in unserem Sinne definitive sind. Eine Pen¬ 
sionsberechtigung der Gesundheitsbeamten besteht nicht. 

Jene auf vollbeschäftigte Gesundheitsbeamte für grosse Be¬ 
zirke hinzielende Politik ist in den letzten Jahi’en durch die Ein¬ 
setzung von Grafschafts - Gesundheitsbeamten auf Grund der Local 
Government Act von 1888 ungemein gefördert worden. Die über¬ 
mässige Zentralisation aller Oberaufsicht im Ministerium hatte all¬ 
mählich das Bedürfiaiss einer gewissen Dezentralisation hervortreten 
lassen, und das Gesetz von 1888 schuf unter Anlehnung an die 
alte, fast nur noch historische Eintheilung des Landes in Graf¬ 
schaften (county) Verwaltungsgi’afschaften unter gewählten Graf- 
schaftsräthen (county councü), d. h. Selbstverwaltungskörper, die 
etwa unsem grösseren Kreisen oder kleineren Regierungsbezii'ken 
der Grösse nach entsprechen (Städte mit über 50000 Einwohnern 
bilden eigene Grafschaften), und die eine Reihe von Verwaltungs¬ 
befugnissen sowie Besteuerungsrecht besitzen. In §. 17 des er¬ 
wähnten Gesetzes ist den Grafschaftsräthen die Befugniss beige¬ 
legt, einen besonderen Grafschaftsgesundheitsbeamten (county 
medical officer of health) zu ernennen und zu besolden, ein Recht, 
von dem jetzt schon mehriach Gebrauch gemacht worden ist. Diese 
neuen Gesundheitsbeamten höherer Ordnung düi fen ohne ausdrück¬ 
liche schriftliche Zustimmung des Grafschaftsrathes weder ein 
Nebenamt übernehmen, noch Privatpraxis treiben, unterstehen dem 
Grafschaftsrath, aber nicht dem Ministerium, und bedürfen nicht 
einmal der Bestätigung des letzteren. Den Sanitätsbehörden der 
kleineren Bezirke wurde es dui-ch §.17 der Local Government Act 
nahe gelegt, die Grafschaftsgesundheitsbeamten gleichzeitig zu 
ihren nach dem Gesetz von 1875 erforderlichen Gesundheitsbeamten 
zu ernennen. Es läuft dies offenbar auf nichts Anderes hinaus, 
als auf eine Aufsaugung oder Verdrängung der Gesundheitsbeamten 
für kleinere Bezirke und sind denn auch bereits Klagen der im 
Gedränge befindlichen Beamten der kleineren Bezirke laut geworden. 

In dem Verhältniss eines Vorgesetzten gegenüber den Ge¬ 
sundheitsbeamten der kleinen Bezirke der Grafschaft stehen die 
Grafschaftsgesundheitsbeamten nicht. Weil aber jene die an das 



6 


Dr. Wodtke. 


Ministerium gesandten Berichte bei Strafe der Gehaltskürzung dem 
Grafschaftsrath übermitteln müssen, und weil dieser seinerseits 
bei dem Ministerium vorstellig werden kann, sofern ihm in einem 
zugehörigen Bezirk für die öffentliche Gesundheit nicht genügend 
gesorgt zu sein scheint, so bildet sich naturgemäss eine thatsäch- 
lich anerkannte Superiorität der technischen Berather der Graf- 
schaftsräthe heraus. Nach englischen Stimmen ist ein weiterer 
Ausbau dieser Kategorie von Gesundheitsbeamten und eine genaue 
Bestimmung des Kreises ihrer Pflichten und Befugnisse wahrschein¬ 
lich und man darf sie allen Anzeichen nach als die Gesundheits¬ 
beamten der Zukunft ansehen, denen nach Abschaffung der bis¬ 
herigen Gesundheitsbeamten unter Zuweisung von Assistenten die 
Sorge für die öffentliche Gesundheit anvertraut werden wird. 

Dem Zuge der englischen Politik, nur hygienisch durchge-* 
bildete Personen als Gesundheitsbeamte zuzulassen, trug die Local 
Government Act von 1888 gleichfalls Rechnung. Während bisher 
die Eigenschaft als praktischer Arzt zur Bekleidung eines Amtes 
als Gesundheitsbeamter genügte, darf vom 1. Januar 1892 ab nach 
§.18 des erwähnten Gesetzes in einer Grafschaft oder einem Be- 
zii’k mit über 50000 Einwohnern Niemand als Gesund¬ 
heitsbeamter ernannt werden, der nicht ein Di¬ 
plom in öffentlicher Gesundheitspflege (Staatsmedi¬ 
zin, Sanitätswissenschaft) erworben hat oder während der 
Jahre 1889, 1890, 1891 Gesundheitsbeamter in einem Bezirk von 
nicht weniger als 20000 Einwohnern oder aber auch 3 Jahre lang 
Gesundheitsbeamter oder Saiiitätsinspektor im Ministerium ge¬ 
wesen ist. 

Das Diplom für öffentliche Gesundheitspflege (Sa¬ 
nitätswissenschaft, Staatsmedizin) darf gemäss §.21 der Medi¬ 
cal Act von 1886 nur auf Grund einer besonderen, von der als 
Arzt getrennten Prüfung ertheilt werden, und die Anfordeningen 
sind nicht geringe. 

The Royal College of physicians of London and the Royal 
CoUege of Surgeons of England, eine massgebende höchst ange¬ 
sehene, nur aus Aerzten bestehende Körperschaft, ist nach der 
eigenartigen englischen Prüfungsordnung für Aerzte berechtigt, 
Diplome für öffentliche Gesundheitspflege zu verleihen und hat den 
Kandidaten für ein derartiges Diplom, die nach dem 1. Januar 
1891 als Aerzte in das Register eingetragen sind, beispielsweise 
folgende Bedingungen behufs Zulassung zur Prüfung bekannt 
gegeben: 

1. Approbation als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer vor 12 Monaten. 

2. Nach der Approbation eine sechsmonatliche praktische Thätigkeit in 
einem von der Körperschaft anerkannten Laboratorium. Es werden aber nur 
Laboratorien anerkannt, die einen von dieser medizinischen Körperschaft genau 
vorgeschriebenen Lehrplan über Physik, Chemie, Mikroskopie und Bakteriologie 
in ihren Beziehungen zur Hygiene innehalten. 

3. Ein Alter von mindestens 23 Jahren bei Zulassung zum 1. Theil der 
Prüfung und ein solches von 24 Jahren bei Zulassung zum 2. Theil. 

Die Prüfung zeidallt in zwei Theile und ist in jedem Theile 
mündlich, schriftlich und praktisch. 



Der englische Gesundheitsbeamte. 


7 


Im ersten Theil wird geprüft: 

1. Physik in ihren Beziehungen zur Gesundheit und zwar a) Heizung und 
Ventilation; b) Wasserversorgung und Kanalisation; c) sanitäre Bauten. 

2. Meteorologie in ihren Beziehungen zur Gesundheit. 

3. Chemie unter besonderer Berücksichtigung von Nahrungsmitteln, Luft, 
Boden und Wasser. 

4. Mikroskopische Untersuchungen von Luft, Nahrungsmitteln und Wasser. 

5. Geologie und Boden in ihren Beziehungen zur Drainage und Wasser* 
Versorgung. 

Erst nach bestandenem ersten Theile erfolgt die Zulassung 
zum zweiten und wird in diesem geprüft: 

1. Die Entstehung, Entwicklung und Verhütung der Krankheiten und zwar: 

a) spezielle Pathologie der epidemischen und endemischen Krankheiten, 

einschliesslich der Naturgeschichte der spezifischen Krankheitsor- 
gahismen; 

b) Einfiuss von Klima, Jahreszeit und Boden; 

c) Folgen von schlechtem Wasser, verdorbener Luft und Nahrung; 

d) Thierkrankheiten in Beziehung zur Gesundheit des Menschen; 

e) Einfluss von Gewerbe und Wohnung; 

f) Isolirnng, Quarantaine, Desinfektion, Impfung. 

2) Handhabung und Verwaltung des Gesundheitswesens und zwar: 

a) gesundheitliche Anforderungen an Häuser, Dörfer und Städte; 

b) die sanitäre Einrichtung von Haushaltungen, Anstalten und gewerb¬ 

lichen Anlagen, einschliesslich des Baues und der Einrichtung von 
Krankenhäusern; 

c) die Verhütung und üeberwachnng von epidemischen und endemischen 

Krankeiten. 

3. Gesnndheitsstatistik. 

4. Gesetze, Erlasse und Verordnungen, die sich auf die öffentliche Gesund¬ 
heit beziehen. 

5. Pflichten der Sanitätsbehörden und ihrer Beamten. 

Das praktische Examen des zweiten Theiles kann sich auf 
die Besichtigung und Begutachtung ausgewählter Häuser nebst 
Zubehör erstrecken. 

In Cambridge wird zur Erlangung eines gleichwerthigen Di¬ 
ploms im schriftlichen Examen an vier Tagen hintereinander die 
Beantwortung von je 6 keineswegs einfachen Fragen in der Zeit 
von 9—12 Uhr Vormittags verlangt. 

Aus derartigen Examensanfordeiningen müssen freilich prak¬ 
tische Hygieniker hervorgehen, die als Gesundheitsbeamte beföhigt 
sind, den ihnen durch die sanitäre Gesetzgebung Englands zuge¬ 
wiesenen vielen Aufgaben gerecht zu werden. 

Die Pflichten aller Gesundheitsbeamten, mit Ausnahme 
derjenigen von Grafschaften sind neuerdings in einer ministeriellen 
Instruktion vom 24. März 1891 unter Aufhebung der früheren 
Instruktionen vom 11. November 1872 und 8. März 1880 in fol¬ 
gender Weise festgesetzt worden: 

1. Er hat sich möglichst über Alles za unterrichten, was die öffentliche 
Gesundheit in seinem Bezirk angeht oder zu gefährden droht. 

2. Er hat mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die Ursachen, den 
Ausgangspunkt, die Verbreitung der Krankheiten in seinem Bezirk zu unter¬ 
suchen und festzustellen; auch klarznlegen, wie weit dieselben von Verhältnissen 
abhängen, welche beseitigt oder verbessert werden können. 

3. Er hat den Bezirk sowohl systematisch und regelmässig, als auch je 
nach Bedürfniss einer Besichtigung zu unterziehen, und sich dadurch über die 
der Gesundheit naciitheiligen Zustände in fortlaufender Kenntniss zu erhalten. 

4. Er muss im Stande sein, der Sanitätsbehörde in Allem, was die Ge¬ 
sundheit des Bezirks angeht, und bei allen sanitären Angelegenheiten ihres Ge- 



8 


Dr. Wodtke. 


schäftskreises geeignete Vorschläge zu machen. Auf Ersuchen hat er für die 
Sanitätsbehörde oder fOr den Friedensrichter jeden Fall zn begutachten, bezüg¬ 
lich dessen das Gutachten eines Gesundheitsbeamten oder eines Arztes in einem 
sanitären strafrechtlichen Verfahren erforderlich ist. 

5. Er bat die Sanitätsbehörde in jeder gesundheitlichen Frage zn berathen, 
die mit der Ausarbeitung und Wirksamkeit der Polizeirerordnnngen und Regle¬ 
ments zusammenhängt, zu deren Erlass ihr die Befngniss zusteht, und ebenso 
bezüglich der Annahme eines oder mehrerer Paragraphen oder des ganzen Ge¬ 
setzes zur Verhütung ansteckender Krankheiten von 1890. 

6. Sobald er vom Auftreten einer konta^ösen, infektiösen oder epide¬ 
mischen Krankheit mit gefährlichem Charakter in seinem Bezirk Kenntniss er^ 
hält, hat er unverzüglich die Stelle des Ausbruchs zn besuchen und genaue Un¬ 
tersuchungen über die Ursachen und näheren Umstände des Auftretens anzu- 
stelleu. Wenn seiner Ueberzeugung nach nicht alle gehörigen Massnahmen er¬ 
griffen sind, so hat er den zuständigen Personen über die erforderlich erschei¬ 
nenden Massnahmen Vorschläge zu machen, um die Ausbreitung der Krankheit 
zu verhindern, und selbst diejenigen Massregeln zur Verhütung der Krankheit 
zn ergreifen, zn denen er auf Grund eines im Bezirk in Kraft getretenen Gesetzes 
oder eines Beschlusses der Sanitätsbehörde befugt ist 

7. Unter Befolgung der Vorschriften der Sanitätsbehörde hat er die Thä- 
tigkeit des Uebelstandsinspektors in der von der Sanitätsbehörde genehmigen 
Weise und Ausdehnung zu leiten oder zn beaufsichtigen. Wenn er von dem 
Uebelstandsinspektor die Meldung empfängt, dass wegen eines bestehenden, der 
Gesundheit nachtheiligen Uebelstandes oder wegen einer in einem Hanse vorhan¬ 
denen Ueberfüllnng sein Einschreiten nothwenSg ist, so hat er möglichst bald 
diejenigen Schritte zu thnn, welche die besonderen Umstände des Falles recht- 
fertigen und erfordern, und zn denen er auf Grund eines im Bezirk in Kraft 
getretenen Gesetzes oder eines Beschlusses der Sanitätsbehörde gesetzlich 
befugt ist. 

8. Falls es ihm nothwendig oder räthlich erscheint oder er von der Sani¬ 
tätsbehörde dazu angewiesen wird, hat er einer Besichtigung oder Prüfung zu 
unterziehen jederlei lebendes oder geschlachtetes Vieh, Fleisch, Geflügel, Wild- 
pret, Fisch, Obst, Gemüse, Getreide, Brot, Mehl oder Milch, sowie alles Andere, 
worauf die Bestimmungen des Gesundheitsgesetzes von 1875 nach dieser Rich¬ 
tung hin Anwendung ^den, sofern es nämlich mit der Bestimmung, als mensch¬ 
liche Nahrung zu dienen, feilgeboten wird oder zum Zwecke des Verkaufs oder 
der Herstellung zum Verkauf anfbewabrt wird, und es verdächtig ist, krank, 
ungesund, verdorben oder ungeeignet zur menschlichen Nahrung zu sein. Wenn 
er aber ein Stück Vieh oder einen Gegenstand krank, ungesund, verdorben oder 
ungeeignet zur menschlichen Nahrung findet, so hat er £e nothwendigen Wei¬ 
sungen zn ertheilen, damit dasselbe gemäss den für den betreffenden Fall an¬ 
wendbaren gesetzlichen Bestinunungen zur Verhandlung vor dem Friedensrichter 
gelangt. 

9. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die ihm durch orduungsmässige, 
nöthigenfalls gehörig bestätigte Verordnungen und Reglements der Sanitätsbe¬ 
behörde auferlegt werden, und welche sich auf einen Gegenstand der öffentlichen 
Gesundheit erstrecken, sowie innerhalb des Verordnungsrechts der Behörde liegen. 

10. Er hat alle belästigende Gewerbebetriebe in seinem Bezirke zu unter¬ 
suchen und über die geeigneten Mittel zur Verhütung aller von ihnen herrüh¬ 
renden Uebelstände oder Nachtheile für die Gesundheit Bericht zn erstatten. 

11. Er hat im Amtszimmer der Sanitätsbehörde oder an einem andern 
ihm bestimmten Orte zu den von der Behörde festgesetzten Stunden anwesend zu sein. 

12. Er hat von Zeit zu Zeit der Sanitätsbehörde Uber seine Thätigkeit 
schriftlichen Bericht zu erstatten und ebenso über die zur Verbesserung oder 
zum Schutz der öffentlichen Gesundheit im Bezirk von ihm für erforderlich er¬ 
achteten Massregeln. Er hat in gleicher Weise über die Morbidität und Morta¬ 
lität im Bezirk, soweit er dieselbe ermitteln konnte, zu berichten. 

13. Er hat die ihm von der Sanitätsbehörde gelieferten Bücher zu führen, 
in welche er seine Besuche, Notizen über seine Beobachtungen und demnäch- 
stigen Vorschriften einzutragen hat, ebenso Datum und Gegenstand der an ihn 
gerichteten Ersuchen, Datum und Erfolg der sowohl hierauf, als auch in Verfolg 
von früheren Berichten entwickelten Thätigkeit; er hat die Bücher auf Ver¬ 
langen der Sanitätsbehörde vorzulegen. 



Der englische Gesondheitsbeamte. 


9 


14. Ferner bat er der Sanitätsbehörde za Ende Dezember jeden Jahres 
einen Jahresbericht zu erstatten, welcher eine kurze Uebersicht der von ihm 
während des Jahres zur Verhütung der Verbreitung von Krankheiten entwickel¬ 
ten oder der Sanitätsbehörde Torgeschlagenen Tbätigkeit umfasst, sowie eine 
allgemeine Darstellung des sanitären Zustandes seines Ilezirks am Jahresschlüsse 
enthält. Der Bericht hat eine Darstellung der Untersuchungen zu geben, welche 
er über die in seinem Bezirk vorhandenen, der Gesundheit nachtheiligen Ver¬ 
hältnisse angestellt hat, sowie eine solche der auf diese Verhältnisse bezüglichen 
Massnahmen, bei denen er betheiligt ist, oder die er auf Grund eines Gesetzes 
Torgeschlagen hat; ferner eine Uebersicht zu liefern, wie weit Plätze und Häuser, 
über welche die Sanitätsbehörde das Verordnungsrecht besitzt, von ihm selbst 
oder auf seine Anweisung hin sanitätspolizeilich beaufsichtigt worden sind, unter 
Angabe der Art und des Erfolges aller während dos Jahres erforderlich gewe¬ 
senen und ergriffenen Massnahmen. Der Bericht hat auch die Tbätigkeit anzu¬ 
geben, welche von ihm oder auf seinen Vorschlag während des Jahres in Bezug 
anf belästigende Gewerbe, Meiereien, Kuhställe und Milchläden, sowie auf Fa¬ 
briken und Werkstätten entwickelt ist. Der Bericht hat schliesslich über Mor¬ 
bidität und Mortalität im Bezirk tabellarische Aufstellungen nach Krankheiten, 
Altersstufen und Üertlichkeiten nach den vom Ministerium gelieferten oder 
gleichwerthigen Schematen zu enthalten. 

Wenn der Gesundheitsbeamte vor dem 31. Dezember eines Jahres sein 
Amt aufgeben sollte, so hat er selbstverständlich den gleichen Bericht für den 
bei Niederlegnng des Amts abgelaufenen Theil des Jahres zu liefern. 

Die aus Nr. 7 obiger Instruktion für die Gesundheitsbeamten 
sich ergebende allgemeine Vei*pflichtung, der Hygiene der Woh¬ 
nungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, erlangt eine beson¬ 
dere Wichtigkeit bei Ausführung des Arbeiterwohnungsgesetzes 
von 1890 (Housing of the Working Classes’ Act). Hiernach hat 
der Gesundheitsbeamte einer Stadt, sei es aus eigenem Antriebe, 
sei es auf Beschwerde von zwei Friedensrichtern oder von min¬ 
destens 12 eingesessenen Steuerzahlern an die zuständige Sanitäts¬ 
behörde in folgenden Fällen eine amtliche Denkschrift zu richten: 

1. »Wenn Häuser, Höfe oder Gässchen zum Bewohnen für 
Menschen ungeeignet sind und 

2. wenn die enge, dichte und schlechte Beschaffenheit von 
Strassen, Häusern und Häusergruppen oder Mangel an Licht, Luft, 
Ventilation und geeignetem Zubehör, oder andere sanitäre Mängel 
für die Einwohner gesundheitsgefahrlich oder nachtheilig sind, und 
wenn diesen üebelständen nicht anders als durch einen Verbesse¬ 
rungsplan wirksam abgeholfen werden kann.“ 

Die Ortsbehörde hat diese Denkschrift in Erwägung zu 
ziehen; lehnt sie es ab, mit einem Verbesserungsplan vorzugehen, 
so hat sie die Denkschrift mit ihren Ablehnungsgründen dem Mi¬ 
nisterium einzureichen. Sind Ortsbehörden oder Gesundheitsbeamte 
in Erfüllung dieser ihrer Pflicht lässig, so ist das Ministerium 
befugt, die Angelegenheit seinerseits in die Hand zu nehmen. 

In Stadt und Land hat der Gesundheitsbeamte nach dem¬ 
selben Gesetz die Pflicht, jedes der Gesundheit gefährliche oder 
nachtheilige oder für Menschen ungeeignete Wohnhaus der Behörde 
anzuzeigen, damit es entweder als geeignet zum Bewohntwerden 
hergestellt wird, oder aber gleichviel, ob es bewohnt oder unbe¬ 
wohnt ist, geschlossen und niedergerissen wird. Aber auch wenn 
ein Haus an und für sich zum Bewohntwerden nicht ungeeignet 
ist, jedoch andere Häuser in eine sanitär unzulässige Lage ver- 



10 


Dr. Wodtke. 


setzt, oder auch der Ausführung von anderen Häusern nothwendigen 
sanitären Massnahmen im Wege steht, muss der Gesundheitsbeamte 
bei der Ortsbehörde wegen der Niederreissung eines solchen Hauses 
vorstellig werden. 

Der Einfluss der Gesundheitsbeamten auf die Hygiene der 
Wohnungen ist ferner durch die Steueigesetzgebung der letzten 
Jahre vergrössert worden (Customs and Inland Revenue Act 1890 
sowie die von 1891). Nach diesen Gesetzen besteht für Häuser 
mit getrennten Wohnungen zu einem jährlichen Mieths «^erthe von 
höchstens 400 Mk. Steuerfreiheit, sofern das Attest des zuständigen 
ärztlichen Gesundheitsbeamten vorliegt, dass die Wohnung einer 
jeden Familie gehörig eingerichtet ist und allen sanitären Anforde¬ 
rungen entspricht. Untersuchung und Attest ist von den Gesund¬ 
heitsbeamten unentgeltlich zu leisten. 

Manche Gesetze Englands haben einen Optionellen Charakter, 
indem sie in den einzelnen Bezirken erst dann in Kraft treten, 
wenn ihre vollständige oder auch theilweise Einführung von der 
zuständigen Behörde des Bezirks ausdrücklich beschlossen wird. 
Derartige sich auf die öffentliche Gesundheitspflege beziehende 
Gesetze sind in den letzten Jahren mehrere erlassen worden, so 
das Gesetz über die Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten 
von 1889 (Infections Disease [Notification] Act 1889), das Gesetz 
zur Verhütung ansteckender I&ankheiten von 1890 (Intections Di¬ 
sease [Prevention] Act 1890) und das Gesetz von 1890 zur Ver¬ 
besserung der Gesundheitsgesetze (Public Health Acts’ Amendment 
Act 1890). Die ersten beiden Gesetze erfordern wiederum, wo sie 
eingeführt sind, eine gesteigerte Arbeitsleistung der Gesundheits¬ 
beamten. 

Das Gesetz über die Anzeigepflicht bei ansteckenden Krank¬ 
heiten trat für London ohne weitere Beschlussfassung der Kom¬ 
munalbehörden unmittelbar in Kraft, aber ist auch sonst bereits 
in von England angenommen worden. Es verpflichtet sowohl 
Familienhäupter u. s. w. als auch Aerzte jeden Fall von Pocken, 
Cholera, Diphtherie, Krupp, Erisypel, Scharlach, Typhus, Typhoid, 
gastrischem Fieber, Rekurrens, Kindbettfieber bezw. von andern, 
von der Ortsbehörde als anzeigepflichtig erachteten Krankheiten 
dem zuständigen Gesundheitsbeamten direkt auf dem vorge¬ 
schriebenen Formular mitzutheilen. 

Die Aerzte erhalten die Formulare von der Ortsbehörde 
umsonst, gewöhnlich in der praktischen Gestalt eines Checkbuchs 
zugestellt, ausserdem aber auch von ihr für jeden ordnungsmässig 
angezeigten Fall eine Entschädigung und zwar 2,60 Mark für 
einen Fall aus der Privatpraxis und 1 Mark für einen aus einer 
öffentlichen Anstalt, bei der der Anzeigende als angestellter Arzt 
fungirt. Wer seiner Verpflichtung zuwider eine Anzeige nicht er¬ 
stattet, wird mit einer Strafe bis zu 40 Mark belegt. 

Das Gesetz zur Verhütung ansteckender Kiankheiten trat 
in London am 4. Dezember 1890 in Kraft und scheint in den 
übrigen Theilen des Landes bei der kurzen Zeit seines Bestehens 
noch nicht wesentlich in Aufnahme gekommen zu sein. Es ver- 



Der eugÜBche QoäumlheitBbeamto. 


11 


pflichtet den Gesundheitsbeamten-, jede Milchwirthschaft innerhalb 
oder ausserhalb seines Bezirks und unter Begleitung eines Thier¬ 
arztes auch deren Viehstand zu besichtigen, sofern jemand im 
Bezirk an einer auf den Genuss von Milch zurückzuführenden 
ansteckenden Krankheit leidet. Auf seinen Bericht hin kann die 
Ortsbehörde der betreffenden Milchwirthschaft den Milchverkauf 
untersagen. Nach diesem Gesetz gehört es ferner zu den Oblie¬ 
genheiten der Gesundheitsbeamten über die auf Grund seines oder 
eines anderen Arztes Zeugnisses von der Ortsbehörde angeordnete 
Desinfektion ganzer Häuser oder einzelner Wohnungen, sowie 
von Bettzeug, Wäsche oder anderer Gegenstände die Oberaufsicht 
zu föhren. 

In der richtigen Erkenntniss, dass nicht Gesetze und Ver¬ 
ordnungen allein, sondern erst einethatsächliche fortwährende üeber- 
wachung der hygienischen Verhältnisse nutzbiingend ist, wurde 
in England für den niederen sanitären stetigen Aufsichtsdienst, 
der den höheren Gesundheitsbeamten nicht wohl zugemuthet werden 
konnte, dem Gesundheitsbeamten jedes Bezii'ks schon durch das 
Gesetz von 1872 mindestens einUebelstandsinspektor (inspector 
of nuisances) untergeordnet. In neuerer Zeit hat dieser Titel vielfech 
dem eines Sanitätsinspektors (sanitai^ inspector) Platz gemacht 
und ist der letztere in dem Gesundheitssondergesetz für London 
von 1891 zur Freude der Betheiligten offiziell geworden. Diese 
Beamtenklasse besteht aus Laien, die gewöhnlich eine gewisse 
hygienische Vorbildung genossen haben; wenigstens wii-d in den 
grösseren Städten und für die bessern Einkommen, das an einem 
„sanitären Institut“ abgelegte Examen zum Sanitätsinspektor ver¬ 
langt. Die „sanitären Institute“ lassen den Kandidaten über ^e 
Gioindzüge der öffentlichen Gesundheitspflege, die Grundbegr^e 
der Gesundheitstechnik und die auf das Gesundheitswesen bezüg¬ 
lichen Bestimmungen unter stetem Eingehen auf ihre spätere 
praktische Thätigkeit von einer aus ärztlichen Gesundheitsbeamten 
und praktischen Sanitätsinspektoren bestehenden Prüfungskom¬ 
mission schriftlich und mündlich examiniren. Die Sanitätsinspek¬ 
toren sind überwiegend vollbeschäftigte Beamte mit einem Gehalt 
von ca. 1200—1400 Mark, in einzelnen Fällen bis 5000 und 6000 
Mark, jedoch werden die hohen Gehälter nur den ersten Sanitäts¬ 
inspektoren (chief sanitaiy inspector) zu Theil, die in den grossen 
Städten einen ganzen Stab von Sanitätsinspektoren unterstellt haben 
und in einem solchen Ansehen stehen, dass gelegentlich auch junge 
Aerzte, welche sich der Gesundheitsverwaltung widmen wollen, 
diese Stellungen erstreben und einnehmen. 

Die staatliche Oberaufsicht über das ganze, sonst voll¬ 
ständig den Kommunen zugewiesene Gesundheitswesen und demnach 
mittelbar auch über die Kommunalgesundheitsbeamten führt der 
Local Government Board, nach Gneist ein zweites Ministerium 
des Innern, ein Ministerium für kommunale Angelegenheiten, 
welches Armenwesen, Gesundheitswesen, Volkschulwesen, Wege¬ 
verwaltung und das Standesregisterwesen in sich vereint. In ihm 
bilden die Angelegenheiten des Gesundheitswesens als Medical 



12 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


Department eine eigene Abtheilung unter einem Arzt, dem Medical 
Officer of the BoaM als Direktor. Ein eigenes Medizinalministe¬ 
rium giebt es eben auch in England nicht. Neben dem Medical- 
Officer of the Board, mit ca. 26 000 Mark, gehören zum Medical 
Department zwei ärztliche Assistenten mit je 20000 Mark Gehalt 
und neun ärztliche Inspektoren, mit je 10000 bis 20000 Mark 
Gehalt. Als ärztliche Inspektoren werden auch verhältnissmässig 
junge Männer in das Ministerium aufgenommen, z. B. war der 
kürzlich verstorbene Dr.Spear erst 40 Jahre alt und bereits 11 
Jahre in dieser Stellung. 

Die Machtbefugnisse des Ministeriums sind 
auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheitswesens im freien 
England so grosse, dass in Preussen nicht einmal an deren Dis¬ 
kussion, geschweige denn an deren Uebertragung gedacht werden 
kann. Eines der erstaunlichsten Beispiele hierfür ist der im Jahre 
1880 in Lincoln, einer Stadt von 37 000 Einwohnern, trotz des 
hartnäckigsten Widerstandes der städtischen Behörden und der 
Einwohnerschaft, vom Ministerium im Zwangswege verfügte Bau 
einer Kanalisation, welche der Stadt einen Kostenaufwand von 
2680000 Mark verursachte. 

Es würde zu weit führen, in dieser Skizze die Erfolge, die Eng¬ 
land seiner entwickelten Verwaltung des Gesundheitswesens und nicht 
zum Wenigsten seinen Gesundheitsbeamten verdankt, die geringere 
Verbreitung der Infektionskrankheiten, die Verminderung derGesammt- 
sterblichkeit und die Abnahme der Vergehen und Verbrechen, ziffer- 
mässig vorzuführen. Die Engländer sind jedenfalls der sich auf 
Zahlen stützenden Meinung, dass das im Gesundheitswesen ange¬ 
legte Kapital sich ausserordentlich rentirt. Es war aber auch 
ein englischer Staatsmann, Disraeli, der das Wort sprach: 
„Die öffentliche Gesundheit ist das Fundament, auf dem das Glück 
des Volkes und die Macht des Staates beruht. Das schönste 
Königreich mit intelligenten und arbeitsamen Bürgern, mit blühen¬ 
den Fabriken und ergiebiger Landwirthschaft, in dem die Künste 
blühen, die Architekten zahllose Tempel und Paläste errichten, 
und in dem zur Vertheidigung aller dieser Güter die besten Waffen 
und Flotten von Torpedoböten vorhanden sind — diese Nation 
muss untergehen, wenn ihre Bevölkerung stehen bleibt, wenn sie 
jedes Jahr an Lebensenergie abnimmt. Und deswegen meine 
ich, dass die Sorge für die öffentliche Gesundheit die erste Pflicht 
eines Staatsmannes ist.“ 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Rericlit über die am 31. Oktober 1801 in Rheda 
abgchaltene Versammlung der Redizinalbeamten des 

Reg.-Bez. Minden. 

Anwesend waren Herr Reg.- und Med.-Rath Dr. Rap man d (Vorsitzender)« 
die Kreisphysiker: Geh. San.-Rath Dr. Beckhaus (Bielefeld), Geh. San.-Rath 
Dr. MüllerJ(Minden), San.-Rath Dr. Georg (Paderborn), San.-Rath Dr. Krane.- 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


13 


fass (Halle), Dr. Bh einen (Herford), Dr. Kluge (Höxter), Dr. Sc hinter 
(Gütersloh); die Kreiswundärzte Dr.Sndhoelter(Ver8mold)und Zumwinkel 
(Gütersloh). 

Die Verhandlungen begannen Mittags 11 Va Ukr. Vor Eintritt in die 
Ta^sordnung begrüsste im Namen der Versammelten der Vorsitzende mit 
warmen Worten den Herrn Heg.-Präsid. v. Pilgrim, welcher die Versammlung 
mit seinem Besuche beehrte und brachte ihm den Dank aus für das Interesse, 
welches derselbe nicht nur den beamteten Aerzten des diesseitigen Beg.-Bezirks, 
sondern des ganzen prenssischen Landes seit Jahren entgegengebracht und deren 
Stellung er durch wiederholt im Abgeordnetenhause gestellte Anträge zu yer- 
bessem bemtiht gewesen sei. Der Herr Beg.-Präsident dankte für £e ihm ge¬ 
wordene Begrüssnng und versicherte, dass ihm das Wohl der beamteten Aerzte 
warm am Herzen liege und er auch fernerhin dasselbe zu fördern bestrebt 
sein werde. 

I. Den ersten Punkt der Tagesordnung bildete die eingehende Besprechung 
der letzten Erlasse. Es wurde die Diskussion eröffnet Uber: 

1. Das Abändernngsgesetz der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891. 
Hier interessirt den Medizinalbeamten bes. § 120a. 

2. Die Betheilignng der Medizinalbeamten bei Errichtung und 
Veränderung gewerblicher Anlagen (Min.>Erlas3 vom 10. Mai d. J.) Es ist zu 
wünschen, dass die Med.-Bcamten wieder wie früher zu diesem Zwecke heran¬ 
gezogen werden. 

8. Verf. des Kgl. Beg.-Präsid. vom 14. Juli 1891, betreffend den Bau 
und die Bevision von Krankenhäusern. 

4. Min.-Erl. betr. Einführung obligatorischer Leichenschau vom 
1. Sept. 1891. 

Es ist nicht uninteressant, dass dies Thema, welches bis dahin von ärzt¬ 
licher Seite zu wiederholten Anträgen Veranlassung gegeben, und zwar immer 
ohne den gewünschten Erfolg, nun von den Lebensversicherungsgesellschaften 
scheinbar mit besserem Erfolge wieder aufgenommen ist. Ausführbar würde eine 
derartige Bestimmung zweifellos sein für Städte über 20(X) Einwohner, in denen 
stetig ein Arzt ansässig ist. Jedenfalls müsse dann festgehalten werden, dass 
nur Aerzte die Todtenscheine ansstellen dürfen; ausserdem empfehle es sich, 
dass die ansgefüllten Todtenscheine nicht den Angehörigen des Verstorbenen, 
sondern den zuständigen Polizeibehörden direkt ausgehändigt würden. Ob, wie 
in ihrer Eingabe die Lebensversicherungsgesellscbaften fest annehinen, die Scheine 
von den Aerzten unentgeltlich ausgcstclit werden, dürfte doch sehr fraglich sein. 
Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass auch hier der leidige Kostenpunkt die 
Lösung der Frage erschweren, hinausschieben und vielleicht ganz verhindern wird. 

5. Bundesrathsbeschloss vom 2. Juli d. J. Entwurf zu Vor¬ 
schriften, betreffend die Abgabe starkwirkender Arzneimittel, sowie 
die Beschaffenheit und Bezeichnung der Arzneigläser und Standgefässe in den 
Apotheken. Grössere Uebersichtlichkeit und Vereinfachung der Vorschriften ist 
wünschenswerth. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn den Apothekern 
vorgeschrieben wird, äusserlich zu gebrauchende Arzneien nur in 6 eckigen, zum 
inneren Gebrauch bestimmte Arzneien nur in runden Gläsern zu verabfolgen, 
dass eine derartige Anordnung noch viel nothwendiger für die Drogisten sei, 
um Missgriffe und Unglück zu verhüten. 

6. Polizeiverordnnng des Kgl. Beg.-Präsid. vom lü. August d. J., betreffend 
Massregeln gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten. 
Zn § 4 derselben wird erwähnt, dass bei Neubauten von Schulen darauf Bück- 
sicht zu nehmen sei, dass die Lehrerwohnung ganz vom Schnllokale abgesondert 
und mit einem besonderen Eingänge versehen werde. Geschieht dies, dann 
braucht fernerhin nicht, wie es bei der bis dahin beliebten Bauart sehr häufig 
geschehen musste, bei jeder Erkrankung eines Mitgliedes der Lehrerfamilie an 
einer ansteckenden Krankheit die Schale geschlossen zu werden. 

7. Verwendung des Fleisches perlsüchtiger Thiere. Min.-Erl. 
vom 23. April 1891. Irrthümlich wird angenommen, dass dieser Erlass keine 
allgemeine, sondern nur für den Beg.-Bez. Minden geltende Vorschrift sei. Jeden¬ 
falls werde nicht überall im prenssischen Staate nach diesem Erlasse verfahren 
und, wo dies geschieht, wie im hiesigen Bezirke, sind Schädigungen der Schlachter 
und der Landwirthschaft unvermeidlich. Im gesundheitlichen Interes.se ist aber 
eine allgemeine strenge Durchführung des Erlasses unbedingt nöthig. Die Oeko- 



14 


Aus VersammluDgcii und Vereinen. 


nome und Schlachter künncu sich vor den Nachtheilen, welche ihnen Perlsucht 
unter dem Vieh in Folge des Erlasses verursacht, ebenso gut sichern durch Ein¬ 
führung einer Zwangsversicherung, wie es bei Finnen und Trichinen geschieht. 

Statt der im Erlass gemachten Unterschiede zwischen „vollwerthigem" und 
„minderwerthigora“ Fleische wird die Bezeichnung „bankfähig“ und „nicht bank¬ 
fähig“ für zweckentsprechender gehalten. Ferner wird es allseitig für wünschens- 
werth erachtet, dass das „nicht bankfähige“ Fleisch nur, nachdem es auf dem 
Schlachthofc gekocht worden, zum Verkauf zuzulasseii sei. 

II. Ueber die Aufstellung einer neuen Hebammentaxe. 

Herr Kreisphysikus, Sanitätsrath Dr. Georg, Direktor der Hebammen- 
Lohranstalt (Paderborn) führt aus, dass mit Rücksicht auf die allgemein ver- 
theuerten Lebensbedürfnisse und die grösseren an die Hebammen zu stellenden 
Anforderungen die alte Taxe für die Hebammen des Reg.-Bez. vom 18. Oktober 1871 
als nicht mehr zeitgemäss zu erachten sei und daher die Aufstellung einer neuen in den 
einzelnen Positionen zu erhöhenden Taxe nöthig erscheine. Die Versammlung stimmte 
dem bei, hielt auch die von dem Herrn Referenten vorgeschlagenen Positionen 
im Allgemeinen für angemessen und einigte sich dann, nachdem noch der Herr 
Vorsitzende sich dahin ausgesprochen hatte, dass die Taxe in ihren Positionen 
möglichst zu vereinfachen sei, dahin, dass eine neue Taxe in nachstehender 
Fassung vorzuschlagcn sei. 

1. Für eine leichte, natürliche und nicht länger als 12 Standen dauernde 
Entbindung 4 bis 8 Mark. 

2. Für eine über 12 Stunden dauernde Entbindung, sowie für eine Zwil- 
lingsgebnrt, Fuss- und Steissgebnrt oder regelwidrige Geburt (Querlage), eine 
Geburt, verbunden mit Lösung der Nachgeburt oder Wiederbelebung des Kindes 
6 bis 12 Mark. 

3. Für den Beistand bei einer Fehlgeburt oder das Abnehmen einer Mola je 
nach dem dabei erforderlich gewesenen Zeitaufwand die Hälfte der unter No. 1 
und 2 angegebenen Sätze. (Bei den Sätzen No. 1, 2 und 3 sind die Gebühren 
für den Besuch wie für die sonst erforderlichen Httlfeleistungen mit eingeschlossen.) 

4. Für kleinere Httlfeleistungen als: innere Untersuchung der Geburtstheile, 
Setzen von Blutegeln, Schröptköpfen oder Klystieren, Scheiden-Einspritzungen, 
Anlegen des Katheters, Zurückbringung eines Gebärmutter-, Scheiden- oder Mast¬ 
darmvorfalles, Verband eines Nabelbruches und dergleichen (den Besuch ein¬ 
geschlossen) 1 bis 2 Mark. 

(Werden diese Httlfeleistungen bei Nacht verlangt, so erhöht sich die hier 
vorgesehene Gebühr um die Hälfte, dagegen ermässigt sich diese um die Hälfte, 
wenn die Hülfeleistungen in der Wohnung der Hebamme oder innerhalb 24 
Stunden mehrmals verlangt werden). 

5. Für jeden verlangten Besuch bei Tage 0,50 bis 1 Mark, desgleichen 
bei Nacht 1 bis 2 Mark. 

6. Für eine Nachtwache (Besuch eingeschlossen) 2 bis 4 Mark, für eine 
Tag- und Nachtwache 3 bis 5 Mark. 

7. Bei Besuchen in einer Entfernung von über 2 Kilometer hat die Heb¬ 
amme Anspruch auf freie Hin- und Rückfahrt. Wird ihr diese nicht gestellt, 
so kann sie 20 Pfg. für jedes angefangene Kilometer des von ihr zu f^ss zu¬ 
rückgelegten Weges berechnen. Bei Eisenbahnfahrten sind ihr die gehabten 
Auslagen für die 3. Wagenklasse zu erstatten. 

Wird die Thätigkcit der Hebamme ausserhalb des ihr angewiesenen Heb¬ 
ammenbezirkes bei einer mehr als 2 Kilom. von ihrem Wohnorte betragenden 
Entfernung verlangt, so erhöhen sich ausserdem die unter No. 1 bis 6 vorge¬ 
sehenen Sätze um die Hälfte. 

Die niedrigsten Sätze der Hebammentaxe sind bei Personen von bekanntem, 
geringem Vermögenszustande, die mittleren für Personen mittleren Einkommens, 
die höchsten für Personen von grösserem Wohlstände in Anrechnung zu bringen. 

ni. Zum Schluss gelangte der von dem Kreisphysikus Dr, Kluge bereits 
in der Frühjahrs-Sitzung vorgclegte Entwurf zu einer neuen Anweisung für 
die Anlegung, Erweiterung und Unterhaltung von Begräbnissplätzen 
zur Berathung und Beschlussfassung. Derselbe fand die Zustimmung der Ver¬ 
sammlung und wurde von dieser nach einigen Abänderungen in folgender Fassung 
angenommen: 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


15 


1 . 

1. Die Entfernung neuanzulegender Begr&bnissplätze von bewohnten 
(Gebäuden muss im Allgemeinen mindestens 100 Meter betragen. Eine geringere 
Entfemnng ist nur ausnahmsweise gestattet. 

Bei der Answahl eines geeigneten Platzes ist in erster Linie diejenige 
Himmelsrichtung zu wählen, nach welcher sich die betreffende Ortschaft am 
wenigsten vergrössert. Desgleichen verdienen höher und der herrschenden Wind¬ 
richtung entgegengesetzt, also nach N oder 0, gelegene Plätze den Vorzug. 

2 Die beste Bodenart zur Anlegung von Begräbnissplatzen ist durch¬ 
lässiger Sand- und Kalkboden. Ausserdem muss der Boden trocken sein und das 
Orundwasser bei höchstem Stande so tief tehen, dass zwischen demselben 
und der Sohle der Gräber für Erwachsene wenigstens eine Erdschicht von ‘/» m 
bleibt. Bei höherem Grundwasserstande ist der betreffende Platz entsprechend 
zu erhöhen oder zu drainiren. 

3. Für die Grösse eines Begräbnissplatzcs ist die durchschnittliche Sterb¬ 
lichkeit der auf ihn angewiesenen Bevölkerung in den letzten 10 Jahren mit Be¬ 
rücksichtigung der voraussichtlichen Bevölkerungszunahme und des für den be¬ 
treffenden Boden festgestellten Begräbnissturnus massgebend. Für den letzteren ist in 
der Begel 25 Jahre und dabei die Grösse für ein Grab einschliesslich der erforderlichen 
Wege auf 4 Quadratmeter anzunehmen. Bei 1000 Einwohnern mit 3 ®/„ jährlicher 
Todesfölle und 25jähriger Verwesungsfrist ist also eine Fläche von 30 X 25 
X 4 = 3000 Quadratmetern oder 30 Ar erforderlich. 

4. Für die Form des Begräbnissplatzcs eignet sich am besten die¬ 
jenige des Quadrats oder des länglichen Bechteckes. 

5. Jeder Begräbnissplatz ist einzuebnen und mit mindestens 2 in einem 
rechten Winkel sich schneidenden Fahrwegen von 3 Meter Breite zu 
versehen, die eine möglichst feste Decke erhalten müssen. Desgleichen muss ein 
bequemer, bei jeder Witterung passirbarer Fahrweg zu dem Begräbnissplatze 
führen. 

6. Der Pflanzenwuchs ist auf den Begräbnissplätzen in geeigneter Weise 
zu fördern. Am besten eignen sich hierzu immergrüne Sträucher und Pflanzen, 
nur dürfen dadurch die Sonnenstrahlen von den Gräbern nicht allzusehr abge- 
haltcn werden. 

7. Jeder Begräbnissplatz muss mit einer schutzgewäbrenden, dichten Ein¬ 
friedigung und mit einer für einen Wagen passirbaren, verschliessbaren Pforte 
versehen sein. Bei lebenden Einfriedigungen genügt eine Höhe von 1 Meter; 
bei solchen aus Mauerwerk oder Holz ist die Höhe dagegen auf l‘/i Meter zu 
bemessen. 

8. Es ist thunlichst auf die Einrichtung eines Leichenhanseshinznwirken, 
in welchem auch Obduktionen vorgenommen werden können. 

9. Für jeden Begräbnissplatz ist eine Begräbnissordnung zu erlassen, 
in der folgende Bestimmungen enthalten sein müssen: 

a. Jedes Grab für Erwachsene ist 1,80 Meter tief, 2,30 Meter lang, 1 Meter 
breit anzulegen. Für die Gräber von Kindern unter 10 Jahren ge¬ 
nügt eine Tiefe von 1,20 Meter, bei 1,5 Meter Länge und 0,5 Meter 
Breite. 

In denjenigen Fällen, in denen ausnahmsweise eine Grabtiefe von 
1,80 Meter wegen felsiger Bodenbeschaffenheit oder wegen hohen 
Grandwasserstandes nicht möglich ist, kann eine geringere Tiefe ge¬ 
stattet werden unter der Bedingung, dass die obere Kante des Sarg¬ 
deckels mindestens 1 Meter unterhalb der Oberfläche des übergreifenden 
und entsprechend zu erhöhenden Grabhügels zu liegen kommt. 

b. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Gräbern muss '/« Meter, 
zwischen den einzelnen Gräberreihen 1 Meter und die Entfernung der 
letzteren von den Grenzen des Kirchhofes 1*/* Meter betragen. 

c. Jedes Grab ist mit einem Leichenstein oder einem 0,5 Meter hohen, 
übergreifenden Grabhügel und mit einer Nummer zu versehen. 

d. In jedem Grabe darf nur eine Leiche beerdigt werden. Ausnahmen 
können mit Genehmigung der Polizeibehörden stattflnden bei Beerdi¬ 
gung verstorbener Mütter mit ihren neugeborenen oder nicht über 
1 Jahr alten gleichzeitig verstorbenen Kindern, sowie bei Beerdigung 
gleichzeitig verstorbener Geschwister unter 5 Jahren, wenn die 
Beerdigung in einem gemeimschaftlichen Sarge erfolgt. 



16 


Aas Versammlnngen und Vereinen. 


e. Vor Ablanf von 26 Jahren darf in der Regel eine Grabstelle nicht 
wieder zur Beerdigung benntzt werden. Bei durchlässigem Sand- und 
Kalkboden kann die Frist bis auf 20 Jahre herabgesetzt, bei den für 
die Verwesung ungeeigneteren Bodenarten auf 30 Jahre erhöht werden. 

f. Einzelne Leichen- oder Sargtheile, welche sich beim Ausgraben eines 
Grabes vorfinden, müssen sofort wieder unter die Sohle des neuen 
Grabes vergraben werden. Werden beim Auswerfen eines Grabes noch 
nicht völlig verweste Leichen angetroifen, so ist das Grab sofort wieder 
zuzuwerfen. 

g. Für jeden Begräbnissplatz muss ein Grandplan aufgestellt werden und 
hat die Beerdigung der Leichen, wenn auch auf verschiedenen Feldern, 
auf jedem derselben in einer bestimmten Reihenfolge stattzufinden. Des¬ 
gleichen ist ein Register anzulcgen, welches den vollen Namen, Ge- 
burts-, Sterbetag und Beerdigungstag jeder begrabenen Person mit der 
Nummer ihres Grabes enthält. 

h. Die Anlage von GrabgrUften und Grabgewölben ist thnnlicbst zu ver¬ 
meiden und nur unter der Bedingung gestattet, dass dieselben gut 
ausgemauert und dicht verschlossen sind. Die Zahl der in denselben 
beiznsetzenden Leichen richtet sich nach der Zahl der für die Anlage 
erworbenen Grabsteilen und ist die Wiederbenutzung gefüllter Grab¬ 
gewölbe nicht vor Ablauf der für andere Gräber festgesetzten Ver¬ 
wesungsfrist gestattet. Ein Uebereinanderstellen der Särge ist nicht 
erlaubt. 

Das Betreten von Grüften und Grabgewölben darf erst dann er¬ 
folgen, wenn diese eine Zeitlang behufs Zutritts frischer Luft geöffnet 
gewesen sind und eine Anhäufung giftiger Gase nicht mehr zu be¬ 
fürchten steht. 

10. Für jeden Begräbnissplatz ist ein Todtengräber anzustellen, der auf 
die pünktliche Beachtung der vorgehenden, unter § 9 a bis h gegebenen Vor¬ 
schrift zu verpflichten ist. 

n. 

11. Bei jeder Erweiterung und Nenanlage eines Begräbnissplatzes ist von 
dem zuständigen Ereisphysikus ein auf Grund örtlicher Besichtigung zu erstat¬ 
tendes Gutachten einzuholen. Zu diesem Zwecke sind demselben amtlich be¬ 
glaubigt zuzustellen: 

a. ein Sitnationsplan des in Aussicht genommenen Grundstücks im Mass¬ 
stab von 1; 500 mit Einzeichnung aller Wasserläufe, benachbarter 
Brunnen, Wohngebäude, öffentlicher wie privater Wege und eines Nord¬ 
pfeiles, sowie 

b. eineUebersicht der Sterblichkeit und Bewegung der auf den Begräbniss¬ 
platz angewiesenen Bevölkerung während der letzten 10 Jahre. 

12. Bei der örtlichen Besichtigung hat der Physikus ausserdem fest¬ 
zustellen : 

a. Beschaffenheit des Bodens durch in seiner Gegenwart in der Mitte und 
an den 4 Ecken des Grundstückes vorzunehmende Bohrungen von 2*/« 
Meter Tiefe oder durch Gruben, die vorher in der gleichen Tiefe aus¬ 
geworfen sind; 

b. den Grundwasserstand (niedrigster und höchster Stand, Richtung des 
Grund Wasserstromes, etwaiger Zusammenhang mit Wasserentnahme- 
Stellen). 

13. Ebenso sind alle Begräbnissordnungen vor ihrer Genehmigung durch die 
Ortspolizeibehörde dem zuständigen Ereisphysikus mit dem aufgcstellten Grund- 
plan zur gutachtlichen Aeusserung vorzulegen. Bei etwaigen Meinungsver¬ 
schiedenheiten dieser beiden Behörden ist die Entscheidung des Eönigl. Reg.-Präs. 
einzuholen. 

m. 

14. Alle Begräbnissplätze unterstehen der sanitätspolizeilichen Aufsicht der 
zuständigen Ortspolizeibehörden und Kreisphysiker und müssen mindestens alle 
3 Jahre von den ersteren einer Besichtigung unterzogen werden. Zu dieser 
Besichtigung, über deren Ergebniss eine Verhandlung aufzunehmen ist, sind die 
Pfarrer der betheiligten Gemeinden einzuladen. 

Die anfgenommenen Verhandlungen sind spätestens bis zum 31. Dezember 



Kleinere Mittheilnngen and Beferate aus Zeitschriften. 


17 


jedes Jahres dem zuständigen Landrathe einzareichen, der sie wiederum dem be¬ 
treffenden Kreisphysikns bis zum 1. Februar des nächsten Jahres n. B. d. B. zur 
Kenntnissnabme und etwaiger weiteren Veranlassung mitzutheilen hat. — 

Nach Schluss der Verhandlongen vereinigte die Anwesenden ein fröhliches 
Mahl, an dem auch der Herr Begiernngspräsident von Pilgrim theilnabm. 

Geh. San.-Bath Dr. Müll er-Minden. 


Kleinere Mittlieilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Zur Kasuistik der Kohlenoxyd-Vergiftungen. Von Prof. Dr. F. Falk 
in Berlin. Viertelj. f. ger. Mediz., 'Jahrgang 1891, 4. Heft. 

Für die Fälle von Kohlenoxyd-Intoxikation, in denen das tödtlicho Gas im 
Blnte der Leichen nicht nachzuweisen geht, weil der Vergiftete nach der Einathmuug 
▼on Kohlenoxyd sein Leben in reiner Atmosphäre beschlossen hat und das Gas nach 
relativ kurzer Dauer der Sauerstoff-Zufuhr wieder aus dem Blute entschwunden ist, 
macht F a 1 k auf die besondere Affinität der Muskeln zu jenem Gase aufmerksam und 
schildert an der Hand eines Falles, wo die Blntuntersuchung chemisch wie 
spektroskopisch ein negatives Besultatbez. das Vorhandensein des Kohlenoxydgases 
ergab, während die „Spickgans-Muskeln“ der Thoraxmuskulatur die beiden Streifen 
des Kohlenoxydfarbstoffes zeigten, sein Verfahren zum Nachweis des Kohlen¬ 
oxydes. Falk bediente sich eines Kompressoriums, welches aus einer Hülse 
besteht, die auf den Spektral-Apparat leicht aufgesteckt werden kann; in ihr 
befindet sich als Grundplatte eine runde Glasscheibe, auf die das etwas dicke 
Muskel-Präparat aufgelegt wird, ein ebensolches Glas diente zur Bedeckung. 
Die Hülse ist mit einer Schraube versehen, auf die ein Deckel passt, welcher 
die beiden Glasplatten mit dem MuskelstUcke nach Bedürfniss zusammendrückt. 
Wenn man mit dieser Apparat-Herrichtung todtes BUeisch spektroskopirt, so 
kann man, auch wenn dasselbe an der Luft gelegen hat, den einen Absorp¬ 
tionsstreifen des reduzirten B'arbstoffes zu Gesicht bekommen; ist es in späterem 
Dekompositionszustande, so weist der Apparat Mcthämoglobin auf. Bringt man 
Fleisch, welches mit Kohlenoxyd bezw. Leuchtgas imprägnirt ist, vor den Appa¬ 
rat, so sieht man ebenso deutlich die beiden Streifen des Kohlenoxyd-Muskel¬ 
farbstoffes; der Muskel zeigt eben seine Affinität zum Kohlenoxyd, die noch 
grösser als zum Sauerstoff, und jene beiden Streifen bleiben deutlich, nicht blos, 
indem das mit dem Gas erfüllte Ifleisch der Fäulniss länger widersteht, sondern auch 
wenn merkliche Putrescenz-Erscheinungen am Fleische in Entwickelung sind. 
Wenn Falk nun Thiere durch Leuchtgas in schwere Asphyxie brachte, sic dann 
durch künstliche Bespiration wiedcrbelebte und nach einiger Zeit durch den 
Nackenstich tödtete, so vermochte er thatsächlich die beiden Streifen des Kohlen¬ 
oxyd-Farbstoffes im Muskel noch merklich lange nachznweisen, d. h. zu einer Zeit, 
wo das (frische) Blut (bei Natron-Probe und am Spektroskope) kein Kohlenoxyd 
mehr wahmehmen licss. Sonach hatte sich bei der Restitution des Thieres in 
normaler Atmosphäre das Kohlenoxyd dem Blute oder richtiger dem Nachweis 
im Blute früher entzogen, als in der Muskulatur. 

_ _ _ Dr. Dütschke-Aurich. 

B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Englische Lokalgesundheitsämter.*) Zur Reform des Anmeldewescns 
bei den anzeigepflichtigen Krankheiten. Von Dr. Hermann Simon (Breslau). 
Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; HI. Heft 1891, 
S. 365—884. 

Zu den fühlbarsten Mängeln in unserem öffentlichen Gesundheitswesen, 
die unter der Fessel veralteter Institutionen einer zeitgemässen Verbesserung 
sich nnzugänglich erweisen, gehört: 1. der Mangel einer zuverlässigen Morbi¬ 
ditätsstatistik; 2. die Form unseres Anmeldewesens anzeigepflichtiger Krank¬ 
heiten; 3. die gegen dieselben zu ergreifenden Massregeln, besonders die Durch¬ 
führung einer allgemeinen Desinfektionsordnung. Auf dem Lande darf der 
Medizinalbeamte nur auf Requisition des Landraths, in den Städten auf die der 

*) Vergleiche auch den Originalartikel im Eingang der heutigen Nummer. 



18 


Kleinere Mittheilungcn nnd Referate ans Zeitschriften. 


Pülizcivcrwaltnng vergehen; der Gang der Meldung ist ein schleppender, meist 
dauert der Instanzenzug vom Krankheitsherde bis zum Phjsikus nnd wieder 
zurück tagelang; vor allem aber fehlt es an jeder ärztlichen Zentralstelle, von 
welcher ans alle einlanfenden Krankheitsmeldnngen ihrer ätiologischen Bedeutung 
nach räumlich und zeitlich untersucht, verfolgt und bekämpft werden können.— 
In Breslau steht man unmittelbar vor der Frage einer lokalen Reform, dem Er¬ 
lass einer Desiufektionsordnung. Aber soll es nicht bei einer leeren Formalität 
bleiben, so müssen znförderst die Anmeldungen, mit möglichster Vermeidung 
jeder Zwischeninstanz, sof ort und zuverlässigerfolgen, damit die Desin¬ 
fektion rasch nnd gründlich vorgenommen werden kann. Hierzu bedarf es einer 
Zentralstelle. 

Verfasser kennt ans eigener Anschauung die vortrefflichen Einrichtungen 
der englischen städtischen Gesundheitsämter, die der Local Boards of Health oder 
Health Comitecs und die grosse Vollkommenheit, die sie in der praktischen 
und selbstständigen Stellung ihrer Gesundheitsmedizinalbeamten, der Medical 
Ofücers of Health erreicht haben, und kann ein Gefühl des Neides nnd den 
Wunsch nicht unterdrücken, auch bei uns wenigstens ähnliche Einrichtungen ein¬ 
geführt zu sehen. 

Das gesammte englische Mudizinalwesen wird durch das Gesetz vom Jahre 
1875 geregelt, abgesehen von London, welches seine besonderen gesetzlichen Be¬ 
stimmungen hat. Das englische Gesundheitswesen ist angelehnt an das Armen- 
wesen, welches durch die Refonnbill von 1834 den neueren Verhältnissen ange¬ 
passt worden war. Ausserdem war 1871 ein neues Ministerium gebildet worden, 
das Local Government Board, welchem die Statistik, das Armenwesen, das ge¬ 
sammte Medizinalwesen, incl. des Impfwesens, das Departement der Wege und 
Chausseen unterstellt war. 

Die Public Health Act von 1875 hat der Organisation im Wesentlichen 
folgende Gestalt gegeben; 

An der Spitze des Medizinaldetachements steht ein oberster Medical Officer 
of the Board (gegenwärtig Dr. Buchanan mit einem Gehalt von 26(KX)Mark), 
zwei Assistenten (mit je 20 000 Mark), neun Inspektoren mit je 10 000 bis 20 000 
Mark) und ein Spezialdezement nebst drei Inspektoren für das Impfwesen. 

Diese sechszehn Beamten sind die einzigen Regierungsmedizinal- 
beamten Englands, nnd zwar bildet das Inspektionspersonal einen Ersatz für 
die auf diesem Gebiete der Verwaltung fehlenden Provinzialzwischenbehörden. 
Daher sind diese Staatsinspektoren mit sehr umfassenden Amtsgewalten aus- 
gestattet. 

Dem Medizinaldepartement unmittelbar unterstellt sind die Lokalge- 
snndheitsämter, deren Bildung den Gemeinden überlassen bleibt und überall 
obligatorisch ist. Das ganze Land ist in Sanitätsdistrikte eingetheilt nnd zwar 
in städtische und ländliche, deren jeder unter einer lokalen Gesundhoitsbehörde 
steht. — Um dem Mangel an Personal abznhelfcn, wurden alle im Armenwesen 
angestollten Beamten für das Gesundheitswesen mit verpflichtet, ebenso „als ob 
dergleichen Geschäfte einen Theil der gesetzlichen Armenverwaltung bildeten.“ 
Hierdurch wurden gegen 4000 Armenärzte dem öffentlichen Gesundheitswesen 
erforderlichen Falles dienstbar gemacht. Da aber jedem Distrikt- nnd Lokal- 
gesundheitsbeamten ein besonderer, im Hauptamte anzustellender Gesundbeits- 
beamter (Medical Officer of Health) zugetheilt werden musste, auf dem Lande 
aber aus pekuniären oder lokalen Gründen die Gewinnung geeigneter Kräfte oft 
unmöglich sein musste, so war der Zentralbehörde die Befugniss Vorbehalten, 
auf Antrag der Gemeinden mehrere ländliche Bezirke zu vereinigen und in ihnen 
einen Bezirksgesundheitsarzt von Staatswegen und auf Staatskosten anzustellen, 
ihnen aber die Armenärzte als Assistenten beizugeben. Diese Staatszuschüsse 
an Ortsphysiker und Armenärzte betragen gegenwärtig über 6000000 Mark, fast 
das Vierfache von dem, was der prenssische Staat für sein ganzes Medizinalwesen 
aufwendet. 

Jedes Gesundheitsamt, deren es in England über 1500 giebt, besteht aus 
einem Arzt, einem oder mehreren Ge-sundheitsinspektoren (Inspector of nuisance, 
eigentlich Ucbelstandsinspektor) und einem Stabe von Unterinspektoren und 
Desinfektoren, aus einem Sekretär, mehreren Schreibern und einem Kassirer. 
Die Grenzen der Pflichten und Rechte des Gesundheitsarztes und des Inspektors 



Kleinere Mittheilongen und Beferate aus Zeitschriften. 


19 


sind durch das Gesetz festgesetzt, nebenbei ist er für seine Thätigkeit auf die 
ihm Ton der Lokalbehörde gegebene Instrnktion hingewiesen. 

Der Srztliche Gesondheitsbeamte muss seinen Bezirk öfters inspiziren, sich 
aller Qesnndheitsschädlichkciten vergewissern, die Krankheiten seines Bezirks 
stndiren und auf thunlichsto Entfernung der Krankheitsursachen hinwirken. Er 
ist der Batbgeber in allen hygienischen Fragen, besonders auch beim Erlass von 
Ortsstatuten (Bylaws) bezüglich der Desinfektion etc. Er muss regelm&ssige 
Berichte über seine Amtsthätigkeit und Wahrnehmung an seine Vorgesetzte 
Behörde einreichen und von jedem plötzlichen Ausbruch von Cholera, Flecktyphus 
and Pocken sofort an das Medizinaldepartement Meldung erstatten. Seine 
Rechte sind sehr weitgehende. So kann er die zwangsweise Ueberftthmng von 
infektiös Erkrankten in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen bewerkstelligen, 
bei Renitenz die Zwangsdesinfektion auf Kosten des Schuldigen ausführen lassen, 
ebenso die Hausbesitzer zur Beseitigung hygienischer Misstände durch die 
Lokalbehörde zwingen. 

Die Gesundheitsinspektoren sind eine überaus praktische und nachahmens- 
werthe Einrichtung. Sie erleichtern die Thätigkeit der Ortsphysiker dadurch, 
dass sie ihnen alle Arbeiten abnehmen, welche, ohne der Sache zu schaden, von 
einem Snbaltembeamten ausgefUhrt werden können, aber doch wichtig genug 
sind, sie den untersten Beamten nicht allein zu überlassen. — Pistor hat im 
Juliheft 1890 der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege (besprochen 
in Nr. 10 des Jahrgangs 1890 dieser Zeitung) eingehend über die Möglichkeit 
berichtet, dieses Institut der Inspektoren in Berlin einzuführen und hierdurch 
sowohl eine wesentliche Entlastung der Schutzleute, als auch eine Unterstützung 
der Polizeiphysiker zu erzielen. Er legt ganz besonderen Werth darauf, dass 
durch eine dauernde Ueberwachung der Wohnungsverhältnisse die rechtzeitige 
Erkenntniss hygienischer Uebelstände gewonnen werde, um Massregeln zu treffen, 
die das weitere Umsichgreifen solcher gesundheitswidrigen Zustände verhüten. 

Verfasser ist nicht der Meinung, dass wir die englischeu Einrichtungen in 
ihrer Gesammtheit auf unsem heimischen Boden verpflanzen können. Wohl aber 
könnten schon heute manche konkreten Fragen aus dem englischen Mcdizinal- 
wesen heransgegriffen und im Rahmen unserer heutigen Gesetzgebung unseren 
Verhältnissen angepasst werden. Ohne finanzielle Opfer werde dies sich freilich 
nicht erzielen lassen. Dr. Meyhoefer-Görlitz. 


Amerikanische Doktoren. Es sind in letzter Zeit wiederholt Fälle 
vorgekommen, wo sich Zahntechniker, um grösseres Ansehen zu erlangen, nach 
Amerika begaben, dort einige Monate in zahnärztlichen Schulen Unterricht nahmen, 
und von den zahntechnischen Lehrern dieser Anstalten geprüft und mit dem Doktor¬ 
titel geschmückt, als „Doktoren“ ins Vaterland zurückkehrten. So kam es im letzten 
Sommer in Braunschweig vor. Der Zahnkünstler X. führte sich kühn als „Doktor“ auf, 
den er sich aus Amerika geholt hatte. Er wurde angeklagt, vom Braun¬ 
schweiger Schöffengericht aber freigesprochen. Die aus kleinen Bürgern 
und Bauern bestehenden Schöffen haben keinen Begriff, mit welchen Mühen 
und Kosten die Erlangung des Doktortitels bei uns in Deutschland ver¬ 
knüpft ist, und dass dieser Titel hier von der Fakultät einer Universität ver¬ 
liehen wird, während in Amerika eine aus Aerzten und Badem zusammenge¬ 
würfelte Gesellschaft sich das Recht zur Verleihung desselben anmasst. Als die 
Sache wegen eingelegter Berufung nachher vor das Landgericht kam, wurde der 
Zahnkünsüer zu einer namhaften Geldstrafe verurtheilt und ihm die FUhrang 
des Doktortitels untersagt. 

Eine ähnliche Geschichte spielt noch jetzt bei uns in Einbeck. Hier Hess 
sich im Jahre 1883 ein Herr nieder, der zuerst in Nordhausen Barbiergeschäfte 
betrieben, dann Unterricht in der Zahnbehandlung in Berlin genommen und 
schliesslich in Brüssel eine Prüfung bestanden hatte. Er machte später noch 
einmal ein Examen in Luxemburg und nannte sich nun „Königlich belgischer 
Zahnarzt.“ Er blieb um so unbehelligter, als die Verwaltungsbehörden sich für 
inkompetent erklärten und mehrere Richter (privatim) erklärten, dass Sch. in 
seinem Rechte wäre und durchaus nicht gegen den § 147 der Gew.-O. verstiesse. 
Er hätte rahig seine Zähne weiter plombiren können, wenn nicht sein Hoch- 
muth ihn getrieben hätte, auch die Doktorwürde zu erwerben und dem Publikum 
zu zeigen, dass er mehf sei, wie andere Leute. Er ging nach Chicago und kam 



20 


Besprechougen. 


nach vier Monaten mit dem Doktortitel zorttck. Anfangs begnügte er sich mit 
dem HausthOrschilde „Dr. of dent sorg.", später machteer sich in den Zeitungen 
einfach als „Dr. C. Schumann, Eünigl. belgischer Zahnarzt" etc. bekannt. 
Ich reichte als Physikns die Anklage wegen Verletzung des § 147 der Qew.-O. 
beim Königl. Ersten Staatsanwalt zu Göttingen ein, wurde zum Zeugen ernannt 
und sollte als solcher am 9. September v. J. vor dem hiesigen Schöffengerichte 
erscheinen. Leider wurde ich Anfangs September ernstlich krank, der Termin 
fand trotz meiner Abwesenheit als Zeuge statt und Schumann wurde 
auf Grund eines vom deutschen Konsul zu Chicago unterstempelten Attestes 
freigesprochen. Ich erfuhr dies erst vier Wochen später, nachdem die Zeit 
des Einspruchs längst vergangen war, schickte aber trotzdem die Zeitung mit 
der Doktorannonce «tn das Königliche Landgericht. Die Sache wurde zum 
zveiten Male an das hiesige Schöffengericht verwiesen und Sch. nun vernrtheilt 
und in 10 Mk. Strafe genommen. Er will Berufung einlegen; ich habe den 
Amtsanwalt gebeten, wegen zu geringem Strafmaass, dasselbe zu thnn. Hoffent¬ 
lich wird die Sache bis zum Aeussersten getrieben, damit man endlich einmal 
erfährt, ob diese amerikanischen Gesellschaften wirklich das Recht haben, Titel 
zu verleihen, die unseren deutschen Gesetzen nach, nur von unseren altehr- 
würdigen Universitäten ausgegeben werden dürfen. 

Kr.-Phys. Dr. Mende-Einbcck. 


Besprechungen. 

Dr. R. Langerhans : Compendium der Pathologischen Ana¬ 
tomie. Berlin 1891. Verlag von S. Karger, Charitfestrasse 3. 

Unter den Widmungen, welche Virchow’s 70. Geburtstag veranlasst 
hat, nimmt das Compendium von R. Langerhans, seinem Schüler, Assistenten 
und Pathenkinde, eine wertbvoUe Stelle ein insbesondere dadurch, dass uns, den 
Verehrern des Altmeisters, ein Anhalt für die jetzigen Anschauungen Virchow’s 
geboten wird gegenüber denen, welche wir in der letzten Ausgabe derCellular- 
Pathologie von 1871 vertreten finden. Nur wer das Glück hat, Virchow’s 
Vorträge und insbesondere Virchow’s demonstrative Vorträge an der Leiche 
und an den Leichenorganen dauernd zu hören, ist auch in der Lage, uns seine 
jetzigen Anschauungen mit Gewähr wiederzugeben. Aus diesem Grunde war es 
ein glücklicher Griff von Langerhans, das Compendium jetzt ansznarbeiten, 
ebenso wie der glückliche Griff, den Orth, der damalige Assistent, im Jahre 
1876 gethan hat. 

„Das Büchlein", sagt Langerhans, „macht keinen Anspruch auf Origi¬ 
nalität." Dies ist meines Erachtens kein Nachtheil, sondern ein VortheU, da in 
Folge dieses Zurücktretens des Verfassers das Original Virchow’s in den 
Vordergrund getreten ist und zwar derartig, dass wir beim Lesen der einzelnen 
Artikel Virchow selbst sprechen zu hören vermeinen. Die Schärfe der Logik, 
die Kürze des Ausdrucks, das Packende der Darstellung, welche wir in dem Buche 
wiederfinden, kann nur der Schüler Virchow’s sich aneignen und wiedergeben, 
der ganz in seinem Meister aufgeht, und dass dies geschehen, beweist Langerhans 
auf jeder Seite seiner Schrift. 

Der allgemeine Theil führt uns in die Lehre der Cellular-Pathologie ein, in 
das Wesen der Krankheit und ihre Ursachen. Es folgen dann die Störungen 
des Kreislaufs und der Ernährung. Hieran schliessen sich die Missbildungen und 
die Geschwülste; sodann die Veränderungen, welche die Vergiftungen sowie die 
thierischen und pflanzlichen Organismen im menschlichen Körper bewirken. 

In der zweiten Hälfte schildert uns Langerhans die Krankheiten der 
einzelnen Organe, des Nervensystems, des Geiässsystems, des Blutes und der 
Lymphe, der haemutopoetischen Organe, des Respirationssystems, des Digestions¬ 
kanals und Bauchfelles, der Leber und der Speicheldrüsen, des uropoetischen 
Systems, der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane, der Knochen, Knorpel 
und Gelenke, der Muskeln, Sehnen, Sehnenscheiden und Schleimbentel und 
schliesslich die krankhaften Veränderungen der Haut. 



liesirfeclmiigcä. 




Öie Gestalt und Ausstattung des „Büchelchens“ von 475 Druckseiten ent¬ 
spricht dem in letzterer Zeit so beliebten und so praktischen Taschenformate, 
dem wir nur wünschen, dass die nicht seltenen Druckfehler aus der zweiten 
Ausgabe verschwinden mögen. 

Sein Studium sei jedem, der sich in der patholo^schen Anatomie auf dem 
Laufenden und namentlich auf dem Laufenden der Virchow’sehen Lehre er¬ 
halten will, warm empfohlen. 

Dr. Mittenzweig. 


V. Magnan: Psychiatrische Vorlesungen: 1) lieber Dfelire 
chronique a Evolution syst6matique. — Deutsch von P. J. 
Moebius. Leipzig 1891; Verlag von G. Thieme. 

Die Lehre von der Verrücktheit, Paranoia, von den Franzosen D61ire 
sjst^matiqne, D. de pers^cution genannt, ist noch verhältnissmässig jung. Zwar 
kannten auch die älteren Psychiater diese Form, aber erst in neuerer Zeit wurde 
Klarheit in die Sache gebracht, in Deutschland durch Snell, Sander, und 
besonders durch Westphal. ln Frankreich hatte 1852 Lasagne das Krank¬ 
heitsbild des D61ire de persöcution genauer gezeichnet, Legrand du Saulle, 
Morel, Magnan u. A. drangen tiefer ein in die Lehre. Während in Deutsch¬ 
land im Grossen und Ganzen Einigung erzielt ist, ist in Frankreich der Streit 
über die Systematik der Paranoia noch nicht beigelegt. 

Magnan, welcher im Allgemeinen den deutschen Anschauungen nahe 
steht, will die Paranoia in 2 scharf getrennte Gruppen nnterscheiden, je nach¬ 
dem sie auf dem Boden der erblichen Entartung oder auf einem erblich nicht 
verderbten Boden sich entwickelt. Die erblich Entarteten können nach Magnan 
in folgenden Formen psychischer Alteration erkranken: 

L Idiotie, Imbecillität, Schwachsinn. 

n. Geistige Instabilität (Mangel des Gleichgewichts in intellektueller und 
moralischer Beziehung). 

m. Vorübergehende Zufälle, wie Zweifel- und Grübelsucht, Platzangst, 
BerOhrungsfurcht, Namensneht, Zahlensncht, Zwangsvorstellungen und 
-Reden, perverse Triebe, geschlechtliche Abnormitäten, Willenlosigkeit 
u. s. w. 

rv. Irresein, theils in Form des moralischen Irrsinns, des Querulantenwahns, 
theils der Paranoia, mit wechselnden Grössen-, Verfolgungs-, hypochon¬ 
drischen oder religiösen Wahnideen, oder bloss mit einer fixen Idee 
ohne Weiterentwickelung, oder endlich als melancholische oder mania- 
kalische Zustände. — 

Speziell die Paranoiaformen der Entarteten haben nach Magnan das 
Gemeinsame, dass der Wahn unvermittelt auftritt, oft vielgestaltig ist, längere 
oder kürzere Zeit dauert, aber nie die Folge bestimmter Perioden 
durchläuft, wie sie Magnan für sein Dölire chronique ä Evolution systema- 
tique fordert. 

Diese letztere Krankheitsform, von welcher das vorliegende Heft handelt 
(Moebius sagt der Einfachheit wegen Paranoia completa) hat nach Magnan 
4 Perioden: 

1. Die Vorbereitungsperiode (Uebelbefinden, Unruhe, vager Verdacht, un¬ 
bestimmte Verfolgnngsideen; 

2. die Periode der Veiriolgnng mit dem Aiiftreten der Halluzinationen: 
Zischeln, Worte, Sätze, Gedankenlantwerden, Monolog, DMoge, Hallu¬ 
zinationen anderer Sinne; 

8. die Periode des Grössenwahns, endlich 

4. die Periode des Verfalls, der mehr oder minder ausgeprägten geisti¬ 
gen Schwäche. 

Praktisch wichtig ist diese Charakteristik für die Prognose, welche bei 
Paranoia compl. ungünstig ist Magnan giebt eine klare Darstellung, gute 
Krankengeschichten; werthvoll für den Gerichtsarzt ist die Nutzanwendung auf 
gerichtlich-medizinische Fälle. Die Uebersetzung ist eine gute, ebenso die Aus¬ 
stattung des Heftes. 

S i e m e n s - Lauenburg i. P. 



22 


Tagesnachrichten. 


Charles E. Sajous M. D., Annual of the Universal Medical Sciences. 
A yearly report of the Genei-al sanitary Sciences throughout the 
World. Philadelphia, New-York, Chicago, Atlanta and London. 
1891. F. A. Davos. 5 Bände. Gross 8®. 

üeber die Einrichtung und Eintheilung dieses 5 bändigen Werkes, das eine 
jährliche Uebersicht ttber die gcsammten medizinischen Wissenschaften und ihre 
Fortschritte enthält, ist bereits in der vorjährigen Ausgabe dieser Zeitschrift 
berichtet worden. Wenn wir aus dem reichen Inhalt des diesmaligen Jahresberichts 
Einzelnes hervorheben wollen, so sei Band lY mit dem Abschnitt J „Gerichtliche 
Medizin und Toxikologie“ erwähnt Derselbe ist von Frank Winthrop Drapes 
A. M., M. D. Boston bearbeitet und enthält einige Angaben resp. Auszüge aus 
der Literatur des vergangenen Jahres in Betreff der gesetzlichen Verantwortung 
der Aerzte in Puerperal-Fällen, ttber die gerichtlichen Beziehungen der Laparo¬ 
tomie, ttber die ärztliche Sachverständigenthätigkeit, ttber den Identitäts¬ 
nachweis, über den Nachweis des menschlichen Blutes, ttber Geburt, Abort und 
Kindesmord, ttber die Zeichen des Todes und postmortale Erscheinungen, ttber 
Bnptnr der Vagina, ttber den Ertrinkungstod, ttber den plötzlichen Tod durch 
natürliche Ursachen, ttber den Selbstmord, über die Hinrichtung durch Elek¬ 
trizität u. s. w. Wir sehen hier von einer ausführlichen Besprechung dieser 
Abschnitte ab, da sie nur eine Reproduktion der zumeist deutschen resp. euro¬ 
päischen Schriften auf diesem Gebiete enthalten. 

Die Ausstattung des Werkes in Bezug auf Druck, Papier, Einband ist 
ebenso wie bei den früheren Jahrgängen eine ganz vorzügliche; ein Gleiches gilt 
betreffs der dem Buche beigegebenen zahlreichen Abbildungen. 

Dr. S. Kalischer. 


Tagesnachrichten. 

Der nächste Aerztetag wird voraussichtlich am 27. und 28. Juni 1892 
in Leipzig stattfinden. FUr die Tagesordnung desselben sind vorläufig als Be- 
rathnngsgegenstände in Aussicht genommen: 1. Das Verhältniss der Aerzte zu 
den Berufsgenossenschaften und zur Invaliditätsversicherung. 2. Die Einrichtung 
einer besonderen Prüfung für Specialärzte. 


Der II. internationale dermatologische Kongress wird vom 5.—10. 
September 1892 in Wien abgehalten werden. Die vom Organisations-Komitö 
Präsident Prof. M. Kaposi, Generalsekretär Dozent Dr. Riehl anfgestellten 
Themata lauten: 

1. Lymphatische Erkrankungen der Haut, vom path.-anatom. Stand¬ 
punkte (Doc. R. Pal tauf-Wien). 2. Der gegenwärtige Stand der Lepra 
in Europa (Dr. Arning-Hamburg und Dr. Petersen-Petersbu^). 3. üeber 
Dermatomykosen, unter besonderer Berttcksichtigung der Verhältnisse in Frank¬ 
reich (Dr. Feulard -Paris). 4.Ueber tardive Syphilis (Prof. J. Neumann -Wien). 
5. Anatomie und Entwicklung des Oberhautpigments (Prof. J arisch-Inns¬ 
bruck). 6. Ueber Psorospermosen (Prof. Neisser-Breslau, Prof. C. Boeck- 
Christiania). 7. Die Principien der Gonorrhöebehandlnng (Prof. Neisser-Breslau). 
8. üeber Lupus erythematosus (Dr. Malcolm Morris - London, Dr. Th. V e i e 1- 
Canstatt). 

Weitere Vorträge sind angemeldet von den Herren Besnier-Paris, 
Fonrnier-Paris, Pick-Prag, Doutrelepont-Bonn, Schwimmer-Buda¬ 
pest und Riehl-Wien. 

Gleichzeitig mit dem ü. internationalen dermatologischen Kongresse ver¬ 
anstaltet das Organisations-Komit6 in den Räumen des neuen Universitäts-Ge¬ 
bäudes in Wien eine Ausstellung von die Pathologie und Therapie der 
Hautkrankheiten und der Syphilis, sowie der verwandten Fächer be¬ 
treffenden Gegenständen, als: Wissenschaftliche Werke, Abbildungen, 
Photographien, plastische Reproduktionen (Monlages), anatomi- 



Tagesnachrichten. 


23 


sehe, histologische, bakteriologische Präparate, Mikroskope 
und andere wissenschaftliche Apparate, alle zur Behandlung der Haut¬ 
krankheiten und der Syphilis dienenden Objekte, chirurgische Instrumente, 
Verbandstoffe, chemische und pharmazeutische Präparate etc. 

Alle die Ausstellung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Hans 
Heger in Wien, L, Stefansp latz 8a, zu adressiren. Derselbe hat die 
Vorarbeiten für die Ausstellung übernommen und ist erbötig, auf Verlangen An- 
meldnngsformulare zttzuschickeu und alle die Ausstellung butreffeuden Auskünfte 
zu ertheilen. 


Nach einer seitens des Beicbskanzlers dem Bundesrathe gemachten Mit- 
tbeilnng hat sich für die ständige Kommission für die Bearbeitung 
des Deutschen Arzneibuches das Bedürfniss einer Vermehrung ihrer bis¬ 
herigen Mitgliederzahl und zwar durch zwei Vertreter der bei der Fabrikation 
der Heilmittel betheiligten Grossindustriellen sowie einen Vertreter der thierärzt- 
lichen Pharmakologie herausgestellt. Es besteht daher die Absicht, die vom 
Reichskanzler zu ernennenden Mitglieder für die mit diesem Jahre beginnende 
neue Dienstderiode von 12 auf 15 zu erhüben. 


Nicht weniger als 632 Petitionen aus allen Theilen des Reiches, mit 
12 204 Unterschriften, sind bei der Petitionskommission des Reichstages eiuge- 
gangen, um die fakultative Feuerbentattong einzuführen. 


Durch Erlass des K. K. Ministeriums des Innern vom 23. No¬ 
vember 1891 ist jetzt in Oesterreich zunächst für 1892 eine Statistik über 
das Vorkommen der Tuberkulose unter dem Rindvieh bei allen geschlachteten 
Thieren in denjenigen Gemeinden angeordnet, in welchen die Vieh- und Fleisch¬ 
beschau Aerzten, Thierärzten oder Eursebmieden übertragen ist. Die Anordnung 
ist auf Veranlassung des Obersten Sanitätsraths getroffen, der in seiner Sitzung 
vom 11. Oktober 1890 eine derartige Nachweisung mit Rücksicht auf die Wechsel¬ 
beziehung der Tuberkulose der Rinder zu derjenigen der Menschen als wün- 
schenswerth bezeichnet hatte, um auf Grund der Ergebnisse die zur Beschränkung 
und Tilgung der Krankheit unter den Hausthieren zweckdienlichsten Maass¬ 
nahmen feststellen zu können. 


Die neue Arzneitaxe für 1892 bringt diesmal ausser verschiedenen 
Verordnungen der Taxansätze für die einzelnen Arzneistoffe (bei 55 Arzneimittel 
sind die Sätze erhöbt, bei 100 ermässigt; 28 Mittel neu aufgeuommen) auch 
mehrere Abänderungen in Bezug auf die allgemeinen Bestimmungen der Taxe 
So wird im §. 4 vorgeschrieben, dass auch bei dem Berechnen der Rezepte für 
Krankenkassen das Austaxiren auf den Pfennig — also ohne Abrundung 
nach oben — stattzufinden habe ebenso wie dies bisher für die Rezepte vor¬ 
geschrieben war, deren Kosten aus Staats- und Gcmeindemitteln gezahlt werden. 
Desgleichen ist bei allen diesen Rezepten die Verwendung von Kästchen für 
dispensirte Pulver verboten; eine Bestimmung, die unseres Erachtens durch den 
Znzatz „falls solche nicht ausdrücklich von dem betreffenden Arzte auf dem 
Rezepte angeordnet ist“ hätte eingeschränkt werden müssen. Ferner ist im §. 8 
der früher gemachte Unterschied zwischen künstlichen und nicht künstlichen 
neueren, in der Taxe nicht aufgeführten pharmazeutischen Präparaten fortge¬ 
lassen und heisst dieser Paragraph in seiner jetzigen Fassung: 

„Bei der Berechnung solcher Arzneimittel, die in der Taxe nicht aufgeführt 
sind, ist der Preis ähnlicher, in die Taxe aufgenommenen Arzneimittel zu 
Grunde zu legen. Das zu Grunde gelegte Arzneimittel ist auf dem Rezepte zu 
vermerken.“ 

Die Taxe der Arbeiten hat in sofern eine Abänderung erfahren, als der 
Preis für Mazeratorien von 13 Pfennig (die Hälfte des Preises für Infuse) auf 
15 Pfennig erhöht ist; dagegen darf für das Auflösen von Gummi zur Bereitung 
von Pillenmassen u s. w. künftighin ebenso wenig etwas in Anrechnung gebracht 
werden wie für das Auflösen von Salzen in diesem Falle. Endlich haben in der 
Taxe für Gefässc auch die sechseckigen Gläser Aufnahme gefunden. Die Preise 
derselben stellen sich 



24 


l'ageshaöhrichtell. 


für halbweissc weisse oder geerbte 


Gläser bis zu 15 gr. Inhalt 

15 Pf. 

20 Pf. 

von 15 bis 100 gr. „ 

20 „ 

25 „ 

„ 100 „ 200 „ „ 

25 „ 

35 „ 

„ 200 „ 300 „ „ 

35 „ 

45 „ 

„ 300 „ 400 „ „ 

40 „ 

55 „ 

„ 400 „ 500 „ „ 

50 „ 

65 „ 

über 500 gr. für je 500 gr. Inhalt 15 „ 

20 „ 


In Paris greift die Morphinmsncht derart um sich, dass jüngst daselbs) 
zwei Etablissements eröffnet sind, in welchen gegen entsprechender Entlohnung 
Morphinminjektionen Jedermann verabfolgt werden. Eines dieser öffentlichen 
Institute ist für Männer, das andere für Frauen bestimmt. Wiewohl die Polizei 
hiervon Eenntniss besitzt, schreitet sie nicht dagegen ein, da das Treiben in den 
Instituten angeblich ein dezentes und geordnete ist (?P). 

(Wiener Klinische Wochenschrift Nr. 51; 1890.) 


Ein Inenes Impfgesetz tritt mit diesem Jahre in Italien in Kraft, 
durch das nach deutschem Muster eine Verschärfung der seitherigen lückenhaften 
Bestimmnn^n über das Impfen bewirkt wird. Impfung und Wiederimpftang 
werden darin allerdings nicht direkt obligatorisch voigeschrieben, aber indirekt 
dadurch zu erreichen gesucht, dass die Aufnahme in Schulen, Fabriken, Werk¬ 
stätten, staatlichen Instituten aller Art, Wohlthätigkeitsanstalten etc. vom Nach¬ 
weise der vollzogenen Impftang bezw. Wiederimpftang abhängig gemacht wird. 


Organisation des ärztlichen Standes in Sachsen. In der am 30. 
November v. J. abgehaltenen Sitzung des sächsischen Landes-MedicinalkoUeginms 
fand eine eingehende Diskussion statt über nachstehenden Antrag des Vor¬ 
sitzenden des ärztlichen Kreisvereins-Ansschnsses zu Leipzig, Dr. Beinhard: 

„In Anbetracht: 

1. der Schäden, welche die durch die Gewerbeordnung zngelassene Curir- 
freiheit dem ärztlichen Stande sowohl in moralischer als in materieller Be¬ 


ziehung zugeftthrt hat, sowie in Anbetracht 

2. der immer schwieriger sich gestaltenden Stellung der Aerzte gegenüber 
den mächtigen Organisationen der Krankenkassen 

wolle das Königliche Landes-Medizinalkollegium befürworten, dass die Orga¬ 
nisation des ärztlichen Standes im Königreiche Sachsen in der Weise abgeändert 
werde, dass der Beitritt zu den ärztlichen Bezirksvereinen für alle im König¬ 
reiche Sachsen praktisirenden Aerzte obligatorisch gemacht und den Vereinen 
eine bestimmte Disciplinargewalt über ihre Mitglieder eingeräumt werde.“ 

In der Diskussion wurde der Antrag allseitig sympathisch begrüsst, jedoch 
wurde er in der vorliegenden Form für undurchführbar erklärt. Zur Beseitigung 
dieser Schwierigkeit brachte Prof. Birch-Hirschfeld-Leipzig folgenden 
Antrag ein: 

„Die Plenarversamnodung hält es in Rücksicht auf die heutige Lage des 
ärztlichen Standes und die aus derselben jetzt und in Zukunft in erhöhtem Maasse 
drohende GeAhrdnng des öffentlichen Wohles für dringend geboten, dass die 
ärztlichen Vereine mit gesetzlichen Berechtigungen au^estattet werden, die 
ihnen mehr als bisher eine Disciplinargewalt über sämmtliche Aerzte gewähren.“ 
Hierzu beantragt Med.-Rath Dr. Flinzer-Chemnitz den Zus^: 

„die Kreisvereins-Ausschüsse zu beauftragen, mit thunlichster Beschleum- 
gnng bestimmte Vorlagen in der im Antrag Birch-Hirschfeld ^zeichneten 
Richtung zu machen, dazu auch die Mitwirkung der mediclnischen Fakmtät zu 
erbitten und die gewonnenen Unterlagen sodann dem Landes-Medicmalkollegium 


zu unterbreiten.“ 

Die beiden letzteren An träge wurden einstimmig angenommen. 

Der Feiertage halber hat 
Tersp&tety welche» wtr »u eiit»chiild.igeii hittene 


Verantwortlicher Redakteur: Dr, Rapmund, Reg.- u. Med.-Rath i. Minden i. W 

J, C. C. Bruns, Buchdmekerei, Minden, 



6. Jatirg. 


Zeitschrift 

fiii' 


1892. 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMÜND 

San.-Ralh u. gcrichtl. Stndtphysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinaliath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darohlaufende PetitKeile 45 Pf. nimmt die Verlagshandiung und Rad. Mosse 

entgegen. 


No. 2. 


Brschelnt am 1. nnd 15. Jeden Monatfli. 
Preis J&hrlioh 10 Mark. 


15. Januar. 


Die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs und die 
Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere. 

Vortrag, gehalten in der am 21. November 1891 abgehaltenen Oeneralversammlnng 

des thierärztlichen Provinzialvereins des Grossherzogthums Hessen 

von 

Obermcdizinalratb Dr. Lorenz, 

Vortragender Rath im Grossherzogi. Hess. Ministerium des Innern and der 
Justiz (Abth. für öffentliche Gesondheitspflege). 

Hof- und Landesgestüts-Veterinär-Arzt in Darmstadt. 

Ich habe diesen Gegenstand zum Thema gewählt, weil er 
gegenwärtig eine Tagesfi’age ist und weil ich mit der Art und 
Weise, wie der grösste Theil der thierärztlichen Presse ihn behandelt, 
nicht einverstanden bin. 

Gerl ach*) behauptete bereits, ander gi*ossen Verbreitung der 
Tuberkulose unter dem Rindvieh trügen die Landwirthe selbst die 
Schuld. Er hielt die Tuberkulose nicht allein für eine erbliche, 
sondeiTi auch flir eine ansteckende Krankheit und verlangte wegen 
der letzteren Eigenschaft vollständige Unschädlichmachung der 
Kadaver aller tuberkulösen Thiere. Den Genuss des Fleisches 
von solchen wollte er untersagt wissen. Wie bekannt, folgte man 
ihm nicht. Man hielt die Forderung Gerlachs für zu weit¬ 
gehend. In erster Linie waren es die Landwirthe, welche sich 
dagegen aussprachen und so unterblieb bisher eine bestimmte 
Regelung der Angelegenheit. Die Rindertuberkulose aber hat 
seitdem stetig und scheinbar progressiv zugenommen. 

Angesichts der verschiedenen Auffassungen im Königreich 
Preussen liess im Mai 1886 der Vorstand des Niederrheinischen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege an den Kultusminister 


*) A. C. Ger lach. Die Fleischkost des Menschen vom sanitären and 
marktpolizeilichen Standpunkte aus. Berlin 1875. 








26 


Dr. Lorenz. 


von Gossler eine Petition gelangen, in der in erater Linie ltü‘ 
das Königreich Preussen eine gesetzliche Vorschrift dahin an¬ 
gestrebt wurde, dass — auch abgesehen von dem Vor¬ 
handensein eines öffentlichen, ausschliesslich zu 
benutzenden Schlachthauses — alles Schlachtvieh 
zur Feststellung seines Gesundheitszustandes so¬ 
wohl vor als nach dem Schlachten, einer Unter¬ 
suchung durch Sachverständige unterworfen werde. In 
zweiter Linie erörterte die Petition die ungleiche Behand¬ 
lung des tuberkulösen Schlachtviehs in den verschiedenen 
Städten, welche hierin in zwei Gruppen zerfielen: die eine Gruppe, 
an deren Spitze Berlin stehe, sei diejenige, welche nur die Alter¬ 
native keime: hochgradig tuberkulöses Fleisch wird verworfen; 
ist dagegen die Tuberkulose keine generelle, so wird das Fleisch 
nach Entfernung der infizirten Theile fi-eigegeben. Die andere 
Gruppe umfasse diejenigen Schlachthausverwaltungen, welche die — 
nach den Ministerialerlassen vom 22. Juli 1882 und 27. Juni 1885 den 
bisherigen Grundsätzen entsprechende — Pi-axis beobachten, dass bei 
einem gewissen niederen Grade der Erkrankung die ergriffenen Or¬ 
gane entfernt und vernichtet werden, das übrige Fleisch aber nicht 
freigegeben, sondern als minderwertliig unter öffentlicher Aufsicht 
verkauft wird mit der Bekanntgabe der Krankheit und der War¬ 
nung an jeden Käufer, das Fleisch anders, als gehörig durchge¬ 
kocht, zu geniessen. In dieser Gruppe sei jedoch noch auf eine 
Unterscheidung zu achten: eine Minderzahl von Verwaltungen gebe 
das Fleisch perlsüchtig befundener Binder, dem älteren Ministerial¬ 
erlasse vom 22. Juli 1882 gemäss*), auch wenn die Krankheit nur 
ganz lokal vorhanden und wenn das Fleisch noch so fett sei, nie¬ 
mals frei, sondern lasse es stets minderwerthig verkaufen. Die 
Mehrzahl in dieser Gruppe aber schreite in diesen Fällen nach 
Vernichtung der kranken Theile zur Freigabe. Gestützt auf 
weitere Ausführungen strebte die Petition an, es möchten für 
die Behandlung des Fleisches perlsüchtig befundener Rinder mög¬ 
lichst strikte, allgemein verbindliche Normen gegeben werden. 

Der Minister von Gossler sah sich zwar in seiner Ant¬ 
wort auf die Petition nicht veranlasst, derselben alsbald Folge zu 
geben, erUess jedoch im darauffolgenden Jahre, am 15. September 
1887, eine Verfügung, welche den zuletzt erörterten Punkten 
der Petition Rechnung trägt. Dieser generelle Erlass scheint auf 
ein von der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen 
unter dem 1. Dezbr. 1886 auf Veranlassung der Petition erstattetes 
und von dem Prof. Virchow als erstem Referenten verfasstes 
Gutachten **) begründet zu sein, in dem es unter Anderem heisst: 

„Der Erlass vom 27. Juni 1885 bestimmt: 

Eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit des Fleisches von perl- 


*) In diesem Erlasse ist ausdrücklich gesagt, dass das Fleisch eines 
jeden perlsUchtigen Bindes, auch wenn der Grad der Krankheit nur ein geringer 
und das Fleisch von gesunder Beschaffenheit sei, als minderwerthig erachtet 
.werden müsse. 

**) Eulenberg’s Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin u. s. w. Neue 
Folge; Bd. XLVII B, Heft 2. 1887. 



Die Bekämpfang der Tuberkulose des BiudTiehs u. die Verwendbarkeit etc. 27 

süchtigem Rindvieh ist in der Regel nur dann anzunehmen, wenn das 
Fleisch Perlknoten enthält oder das perlsüchtige Thier bereits Ab¬ 
magerung zeigt, auch ohne dass sich Perlknoten im Fleische vorfanden, 
während andererseits das Fleisch für geniessbar zu halten ist, wenn 
bei einem Thier ausschliesslich in einem Organ Porlknoten Vorkom¬ 
men, und dasselbe im Uebrigen noch gut genährt ist.'^ 

„Diese Bestimmung erscheint uns vollkommen klar und für die sanitäts- 
polizeilicheu Organe verständlich. Höchstens könnte vermisst werden, dass 
die Bestimmung ans dem Erlass vom 22. Juli 18S2 (s. Anm. auf S. 26) hier nicht 
wiederholt ist, und da in dieser Beziehung nach den Mittheilungen dor Petenten 
in der That eine verschiedenartige Praxis sich eingestellt hat, so dürfte es sich 
empfehlen, durch eine allgemeine Verfügung ein gleichmässiges Verfa^n ein- 
zuführen.“- 

„Dass unter Umständen Keime von Perlknoten aus in die 
Zirkulation gelangen, halten wir für sehr wahrscheinlich Aber 
für gänzlich unwahrscheinlich halten wir es, dass es je gelingen werde, den Augen¬ 
blick durch sichere Merkmale zu erkennen, wo ein solcher Uebergang stattfindet. 
Will man daher nicht zu dem radikalen Mittel greifen, jedes mit Perlknoten 
behaftete Thier von vornherein von dem menschlichen Genüsse ausznschliessen, 
so wird nichts übrig bleiben, als das Auftreten weiterer Sjrmptome abznwarten, 
and das sind eben Knoten in anderen Organen oder Abmagerung, sei es mit, sei 
es ohne Fieber.“ 

„Will man sieb,“ heisst es dann am Schluss des Gutachtens, „zu einem abso¬ 
luten Verbot, wozu in der That ein praktisches Bedürfniss nicht nachgewiesen ist, 
nicht entschliessen, so werden die schon erlassenen Bestimmungen, etwa mit der 
Ergänzung in Bezug auf die Minderwerthigkeit des Fleisches perlsüchtiger 
Thiere, genügen, um den Sanitätsbeamten als Masstab für ihr Handeln zu dienen. 
Weitergehende Bestimmungen vermögen wir Jetzt nicht zu befürworten.“ 

Diesen Ausführungen des Gutachtens der wissenschaftlichen 
Deputation Rechnung tragend, wird in dem vorgenannten Erlass 
vom 15. September 1887 hinsichtlich des beregten Punktes bestimmt: 

„Im Uebrigen bleibt es dem Ermessen des Sachverständigen im Einzelfalle 
überlassen, ob und inwiefern nach dem geringen Grade der Ausbildung der PerD 
sucht und der übrigens gesunden Besch^aö'enheit des Fleisches der Genuss des 
letzteren als eines nur minderwerthigen für statthaft zu erachten ist und dem¬ 
entsprechend der Verkauf desselben auf dem Schlachthof unter Aufsicht und unter 
namentlicher Angabe der kranken Beschaffenheit erfolgen darf.“ 

In Folge eingegangener Petitionen um einen Erlass, welcher 
in gleicher Weise, wie in Preussen, das Fleisch geringgradig 
perlsüchtiger Thiere dem freien Verkehr überweise, wandte sich 
das Grossherzoglich hessische Ministerium, nachdem sich heraus¬ 
gestellt, dass benachbarte preussische Behörden die erwähnte Ver- 
filgung in letztgedachtem Sinne auslegten, im Jahre 1888 an den 
preussischen Kultusminister mit einer bezüglichen Anfrage, und 
erhielt hierauf die Antwort, der Erlass vom 15. September 1887 
gehe dahin, dass das Fleisch der in Rede stehenden 
Thiere als vollwerthig niemals zu behandeln, sondern, 
sofern es überhaupt nicht vom Verkehr ausgeschlossen 
werde, stets nur unter Angabe der vorgelegenen Er¬ 
krankung des Thieres zum Verkauf zu bringen sei. 

Thatsache ist also, dass in Preussen durch Verfügung des 
Kultusministers bereits seit Juli 18 82 der Verkauf perlsüch¬ 
tiger Schlachtthiere in derselben Weise, wie durch die hessische 
Gesetzgebung, geregelt ist, nämlich unter Verbot der Freigabe 
des fraglichen Fleisches für den öffentlichen Verkehr. 
Der Erlass vom 27. Juni 1885 enthielt diese Bestimmung aller¬ 
dings nicht ausdrücklich; aber in demjenigen vom 15. Septembec 



i)r. Lorea^. 


1887 finden wir dieselbe bereits wieder und um so mehr muss 
dem gegenüber die Thatsache überraschen, dass von drei anderen 
preussischen Bessort-Ministem (den Ministem für Landwirthschaft, 
des Innern und für Handel und Gewerbe) unter dem 11. Februar 
1890 ein gegentheiliger Bescheid erlassen worden ist. Derselbe 
lautet: 

„Aaf den an den Herrn Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten ge¬ 
richteten und von diesem uns znr YerfBgfnng abgegebenen Bericht vom 21. Ok¬ 
tober 1889, betreffend die Verwert^ting des Fleisches perlsüchtiger Thiere, 
erwiedem wir £w. etc. ergebenst, dass nach unserer Ansicht keine hinreichende 
Veranlassung vorliegt, die Verwerthung minderwerthigen, aber der menschlichen 
Gesundheit nicht schädlichen Fleisches unter besondere polizeiliche Kontrole zu 
stellen. Es ist daher von dem Erlasse einer derartigen Anordnung umsomehr 
abzusehen, als dieselbe den Landwirthen die angemessene Verwerthung solchen 
Fleisches ohne einen genügenden Grund erschweren würde." 

In Preussen stehen also z. Z. die verschiedenen Minsterial- 
Verfügungen in Bezug auf die Behandlung des Fleisches perl¬ 
süchtiger Thiere unter sich im Widersprach, wenn auch die Be¬ 
zeichnung „minderwerthig“ von beiden Seiten anerkannt ist. 

Diese entgegengesetzte Anschauung tritt noch stärker her¬ 
vor in dem bereits viel besprochenen Erlass des Kultusministers 
vom 23. April 1891 an den Königl. Regierungspräsidenten zu 
Minden, in dem übereinstimmend mit dem vorher erwähnten Ant¬ 
wortschreiben an das Grossherzogi. hessische Ministerium bestimmt 
wird: 

„dass das Fleisch eines Schlachtthiercs, welches von einem Sachverstän¬ 
digen als mit PerUncht behaftet befunden worden ist, in keinem Falle als 
vollwerthig, sondern in jedem Falle, in welchem dasselbe als 
noch geniessbar festgestellt worden ist, als minderwerthig zu 
behandeln ist und nur unter polizeilicher Aufsicht und unter ausdrückbeher 
Angabe, dass dasselbe von einem mit Perlsncht behafteten Thiere herstammt, 
verkauft werden darf.“ 

Als dieser Erlass erschien, hat er bei einer Anzahl Thierärzte, 
namentlich in Preussen, fast Entsetzen erregt. Sch mal tz brachte 
in seiner thierärztlichen Wochenschrift (Nr. 93, 1891) einen Ar¬ 
tikel, in welchem er diesem Entsetzen Ausdruck gab. Erscheint 
demnach den Ministerialerlass vom 15. September 1887 nicht recht 
gekannt zu haben, sonst hätte er wohl schon früher sich dagegen 
geäussert. Unter Anderem fühlte er aus, dass die seither aus den 
Schlachthäusern gesammelte Tuberkulose-Statistik nicht zutreffe, 
dass die TuberkuloseföUe unter dem gechlachteten Rindvieh nicht 
4 bis 8 ®/o» sondern ein Drittel ausmachen würden, wenn genau ver¬ 
fahren würde. 

Die gi’össte Entiiistung legte Oster tag in der von ihm 
herausgegebenen Zeitschrift für Fleisch- und ÄÖchhygiene (Nr. 10, 
1891) an den Tag. Auch er scheint den Ministerialerlass vom 
15. September 1887 nicht gekannt zu haben. Er verlegt sich auf 
die List und macht seinen Kollegen den Vorschlag, nur Thiere, 
welche Tuberkulose der serösen Häute zeigten, als unter die er¬ 
wähnte Bestimmung fallend zu betrachten, da der Erlass von Perl¬ 
sucht spreche, die anderen Erkrankungen an Tuberkulose also 
nicht daranter fielen. Dieser Vorschlag hat jedoch keinen Anklang 



Die Bekämpfung der Tuberkolusu des Rindviehs u. die Verwendbarkeit etc. 29 


gefunden, was nach der Lage der Sache nicht anders zu er¬ 
warten war. 

Diese Angriffe auf den in Rede stehenden Ministerialerlass 
hat Med.-Rath Dr. Rapmund in Minden in der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte (14. Heft; 1891, S. 381) in einer längeren Arbeit 
beantwortet. Erweist namentlich die Befürchtung von Schmaltz 
und Ostertag, dass die fragliche Verordnung ungerechtfertigt 
sei, weil das Fleisch der mit lokaler Tuberkulose behafteten Thiere 
wissenschaftlich nicht als gesundheitssirhädlich angesehen werden 
könne, zurück mit den Worten, der Beweis der zweifelsfreien 
Richtigkeit dieser Behauptung wäre nicht erbracht. Ich möchte 
hierzu bemerken, dass diese Behauptung von Schmaltz und 
Oster tag auch dem oben angeführten Gutachten Virchow’s 
direkt widerspricht. 

Betrachten wir nun, wie sich seither die Wissenschaft dieser 
Frage gegenüber verhalten hat: 

Die Ansicht Gerlach’s ist in seinem Werk „die Fleischkost 
des Menschen“ dargelegt. Er giebt darin an, dass die Perlsucht 
früher für Venerie gehalten, und dass diese Ansicht die allgemeine 
Abscheu vor der Krankheit en’egt habe, so dass schon einige Knoten 
an den Rippen oder am Zwerchfell genügten, um das geschlachtete 
Rind dem Schinder zu überweisen. Kreisphysikus Heym in 
Spandau habe 1782 die Ansiclit über die syphilitische Natur der 
Perlsucht widerlegt und zwei Jahre später habe Graumann die 
Geniessbarkeit des Fleisches perlsüchtiger Thiere bestätigt, worauf 
die Verbote aufgehoben worden seien. Gerlach ist der Ansicht, 
dass der geringe Schaden, der in Folge der Aufhebung des Ver¬ 
bots den Landwirthen durch die Krankheit erwachsen sei, diese 
sorglos gemacht habe, und daraus die beträchtliche Zunahme 
der Krankheit abzuleiten sei. Er will deshalb und wegen der 
möglichen schädlichen Eigenschaft des fraglichen Fleisches das 
vollständige Verbot des Genusses von solchem. 

Auf dem internationalen thierärztlichen Kongress zu 
Brüssel im Jahre 1882 lagen zwei Anträge vor. Der eine 
von Lydtin gestellte lautete: 

„Das Fleisch and die Eingeweide perlsttchtiger Thiere dürfen zum Qe- 
nosse nur in dem Falle zagelassen werden, dass die Krankheit erst im Beginne 
gewesen, anf einen kleinen Theil des Körpers beschränkt war, die Lymphdrüsen 
von krankhaften Erscheinangen frei sind, eine Erweichnng des Taberkelherdes 
nicht stattgefanden hat, das Fleisch das Aassehen der ersten Qoalität besitzt 
and eine voraosgegangene Störang in dem Emähmngszastande des Thieres nicht 
bemerkbar ist. Das als geniessbar erkannte Fleisch darf aas dem Orte, an 
welchem das Thier geschlachtet wnrde, nicht aosgefübrt nnd in ordentlichen 
Fleischbänken nicht feilgehalten werden. 

Dasjenige Fleischviertel oder das Eingeweide, welches taberkolöse Ent- 
artangen zei^, sodann das Fleisch aller Thiere, bei welchen eine stärWe In¬ 
fektion als die oben beschriebene wabrgenommen wird, moss mit Petroleam oder 
mit anderen Stoffen denatnrirt and hieranf nnter polizeilicher Anfsicht verlocbt 
werden. Das Aassieden des Fettes and die Verwendang der Haat ist za ge¬ 
statten." 

Zui'Annahme gelangte die andere, von Bouley eingebrachte 
Resolution: 

„In Erwägang, dass die Taberknlose experimentell als eine Krankheit 



30 


Dr. Loreuz. 


anerkannt werden muss, welche vom Vordauungskaual ans und durch Impfung 
übertragbar ist, erklärt der Kongress: 

Von der Verwerthung für den Genuss des Menschen ist alles Fleiscli aus- 
zuschliessen, welches von tuberkulösen Thieren stammt, gleichviel, welche Be- 
schaifenheit das Fleisch besitzt.“ 

Auf dem zu Paris im Juli 1888 abgehaltenen Tu¬ 
berkulose-Kongress gelangte eine ähnliche Resolution zur 
Annahme • 

„— 2. Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln — die Schadloshaltung der 
Betroffenen mit einbegriffen — muss das Prinzip festgehalteu werden, dass das 
von tuberkTÜösen Thieren stammende Fleisch in Beschlag, zu nehmen und zu 
vernichten ist, gleichviel, ob die spezifischen Lokalbefunde am Thiere leichtere 
oder schwerere seien.“ 

In dem in London im Herbst 1891 abgehaltenen 
VIL internationalen Kongress für Hygiene hatte Arloing 
ein Gutachten erstattet, wonach das Fleisch tuberkulöser Ochsen 
und Kühe zum Schutz der öffentlichen Gesundheit durchaus als 
Nahrungsmittel auszuschliessen sei. Der Kongress hat jedoch die 
in diesem Gutachten vorgeschlagene Beschlagnahme jedes Flei¬ 
sches von tuberkulösen Thieren nach den bisherigen Erfahrun¬ 
gen fiir nicht gerechtfertigt gehalten, sich aber dahin ausgesprochen, 
dass ein genügendes Kochen des Fleisches von tuberkulösen 
Thieren stets nothwendig sei, weil eine präzise Diagnose, ob in 
den einzelnen Fällen Tuberkulose vorhanden ist oder nicht, sehr 
schwierig sei. 

Bald darauf hat in Paris der zweite dort abgehaltene Tu¬ 
berkulose-Kongress stattgefunden. Auf demselben wurden 
folgende Resolutionen angenommen: 

1. Arloing: 

a. „Ein Inspektionsdienst, betreffend die Fleischantcrsucbuug, wird mög¬ 
lichst bald über ganz Frankreich ausgedehnt. 

b. Das Fleisch von tuberkulösen Thieren wird unter allen Umständen be¬ 
zeichnet und wird niemals im frischen Zustand in den Gebrauch 
gebracht. 

c. Solches Fleisch wird vor dem Gebrauch einer Sterilisation oder einer 
Umgestaltung durch eine genügende Anwendung von Hitze uiiter- 
woifen oder gut gesalzen (?), je nach Umständen oder Oertlichkeiten. 

d. Der durch diese Behandlung entstehende Minderwerth des Fleisches 
wird durch Schadloshaltung kompensirt. 

e. Die Kosten dieser Schadloshaltung werden durch eine Taxe auf den 
Kopf des Viehes innerhalb der betreffenden Bezirke aufgebracht. 

2. M. Trasbot: 

„Alle privaten Schlächtereien in Orten von mehr als 5000 Einwohnern 
werden in kürzester Frist aufgehoben und durch öffentliche Schlachthäuser ersetzt.“ 

8. Buttel und Lahr: 

a. „So rasch wie möglich sind alle industriellen Kuhhaltcreien, welche die 
Versorgung der Städte oder ihrer Nachbarschaft mit frischer Milch be¬ 
treiben, einer sanitären Kontrole zu unterstellen. 

b. So eüig wie möglich haben alle Regierungen in ihren sanitären Ver¬ 
ordnungen die wirksamsten Mittel aufznnehmen, welche geeignet sind, 
die Ausbreitung der Tuberkulose beim Rindvieh zu verhindern.“ 

Derjenige, welcher sich am meisten mit der beregten Frage 
wissenschaftlich beschäftigt hat, ist wohl Bollinger. Von ihm 
liegt „über die Verwendbarkeit des an Infektionskrankheiten 
leidenden Schlachtviehs“ ein ausführlich und sorgfältig ausgear¬ 
beitetes Referat vor, welches er in der im September 1890 in Braun- 



Diu Bukäiupl'uug der Tuberkulutie des Rindviehs u. die Verwendbarkeit etc. 31 

schweig abgehaltenen Versammlung des deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege erstattet hat. Aus diesem Beferat 
mögen folgende Stellen hier Erwähnung Anden: 

„Was dos Fleisch tuberkulöser Tiere als menschliches Nahrungsmittel 
betrifft, so ist ein abschliessendes Urtheil nach dem gegenwärtigen Stande der 
Angelegenheit nicht möglich. 

In Bezug auf di« Infektiosität des Fleisches tuberkulöser Thlere haben die 
damit vorgenommenen impfversuebe zu dem Ergebniss geführt, dass derartiges 
Fleisch in gewissen Fällen, namentlich bei hochgradiger und generalisirter Tuber¬ 
kulose sicher pathogene Eigenschaften besitzt, die allerdings durch gründliches 
Kochen und länger einwirkende Siedehitze, nicht aber durch Einpökeln und 
Räuchern verloren gehen. Dass das Stadium und der Grad der Erkrankung dabei 
eine Bolle spielen, geht daraus hervor, dass bei Anwendung derselben Methode 
in einer grösseren Versuchsreihe bei Impfungen mit dem Fleischsaft tuberkulöser 
geschlachteter Rinder, die meist in einem relativ frühen Stadium der Tuber¬ 
kulose sich befanden, durchweg negative Resultate erhalten wurden,'liwährend 
der Fleischsaft von Phthisikern, die ihren Leiden erlegen', waren, ^konstant 
positive Resultate ergab. 

In einer neuerdings im pathologischen Institut zu München von Dr. 
Kästner (unter Bollingers Leitung) angestellten Versuchsreihe gelang es 
auch, den Nachweis zu führen, dass der Fleischsaft hochgradig tuberkulöser Thiere 
(Rinder) das Tnberkelgift in wirksamer Form enthält. 

Eine Infektionsgefahr von Seiten des Fleisches ist für den Menschen ent¬ 
schieden vorhanden (wahrscheinlich aber nicht gross), jedenfalls von geringerer 
Bedeutung als von Seiten der Milch tuberkulöser Thiere. Durch gründliche Zu¬ 
bereitung des Fleisches, Vermeiden des Genusses von rohem oder halbrohem 
Fleisch kann der Mensch gegen eventuelle Gefährdung der Gesundheit sich 
schützen.“ — 

„Mit Rücksicht auf die praktische Fleischbeschau bemerke ich^beifdieser 
Gelegenheit, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen lokalisirter und generali¬ 
sirter Tuberkulose, wie sie in Verordnungen über die Zulässigkeit des Fleisch¬ 
genusses präzisirt wird, häuüg nicht möglich ist, da zahlreiche Uebergänge 
Vorkommen. 

Der Tuberkulose der Haustbiere, namentlich der Rinder und Schweine, 
kommen zweifellos alle Charaktere einer gemeingefährlichen Thiersenche zu. 
Abgesehen von der Gefahr, welche vgn Seiten der Milch und des Fleisches der¬ 
artig erkrankter Thiere der menschlichen Gesundheit droht, ist die Tuberkulose 
der genannten Thiere wirthschaftlich ein grosser Schaden für die thierproduzirende 
Land wirthschaf t. “ 

„Es unterliegt keinem Zweifel, dass alle*Massregeln7der^Gesundheitspflege 
gegen diese Gefahren, mögen sie nun von der Milch oder *von dem Fleische 
drohen, wenig nützen werden, so lange man nicht das^Uebel an der Wurzel an¬ 
fasst und nicht direkt die Verbreitung der Tuberkulose bekämpft.“ 

Im Laufe der Diskussion über das Referat erwähnt Bo Hinger 
noch unter Anderem: 

„Der von einem Vorredner geäusserten Ansicht," dass“dieTHindemisse7fttr 
die obligatorische Fleischbeschau wesentlich in den Kreisen der Landwirthschaft 
zu suchen seien, stimme er vollkommen bei. Da Jeder zunächst seine eigenen 
Intere.ssen vertrete, könne man dies den Landwirthen nicht gerade übelnehmen, 
obgleich es doch kurzsichtige Interessen wären und die Landwirthschaft besser 
thnn würde, die sanitären Bestrebungen zu unterstützen, da sie so am besten 
Aussicht haben würde, die Tuberkulose los zu werden. Die Landwirthschaft 
sei aber mit der Tuberkulose noch sehr wenig vertraut, sic wisse nicht, wo die 
Ursache liege und warum die Tuberkulose so häufig sei. Nach allen neueren 
Erfahrungen habe die Tuberkulose bei den Schlachtthieren in den letzten Dezennien 
enorm zugenommen und zum Theil sei dies zu beseitigen. In Dänemark seien 
neuere eingehende Untersuchungen von Prof. Bang ungestellt worden, die eine 
bedeutende Zunahme der Tuberkulose gegen früher nachgewie.sen haben, nament¬ 
lich auch auf den Inseln, wo die Tuberkulose früher ganz gefehlt habe, und von 
Siebenbürgen habe Prof. Getier sich aus Klausenburg auf dem internationalen 
medizinischen Kongresse mitgetheilt, dass dort die Tuberkulose des Rindviehs 



32 


Dr. Lureuz. 


Tollkommen onbeksimt sei. Diese Tbatsache beweise doch, dass die Tuberkulose 
ein Uebel sei, das man mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen könne. Bei dem 
bayrischen Gebirgsvieh, das unter normalen Verhältnissen lebe, sei die Tuber¬ 
kulose selten; die Landwirthschaft habe die Tuberkulose durch einseitigen Molkerei- 
betrieb und durch unnatürliche Haltung der Thiere, wobei die Kühe eigentlich 
nur Hilchmaschinen seien, gross gezogen und sie müsse auch Mittel finden, die 
Seuche zu bekämpfen. Wenn gegen die Tuberkulose nichts geschehe, werde sie 
sicher ständig zunehmen, während die Fleischbeschau und die Bestrebungen der 
Oesnndheitspolizei der Landwirthschaft grosse Dienste leisten werden. Der 
Cholera verdanke man in gesundheitlicher Beziehung Vieles, den Trichinen auch 
Manches, nämlich die Anfänge der Fleischbeschau; so werde auch die Tuber¬ 
kulose noch viel nützen können, namentlich auch in volkswirthschaftlicher 
Beziehung.“ 

Die von der Versammlung des deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege s. Z. in Braun¬ 
schweig angenommenen Thesen in Bezug auf die Tuberku¬ 
lose lauten: 

— V. „Ueber die Verwendbarkeit des an Infektionskrankheiten leidenden 
Schlachtviehs, sowie des minderwerthigen Fleisches überhaupt, sind gesetzliche 
Bestimmungen — ähnlich denjenigen der Trichinose — erforderlich, wonach das 
Fleisch in bestimmten Fällen (z. B. bei Septico-Pyämie, bei allgemeiner Tuber¬ 
kulose, Fleisch von krepirten Thieren) zum Verkauf als menschliches Nahrungs¬ 
mittel nicht zuzulassen ist, während bei einer zweiten Grnppe von Infektions¬ 
krankheiten (z. B. bei Tuberkulose einzelner Organe, Maul- und Klauenseuche, 
Bothlauf der Schweine, Actinomykose, lokalen Entzündungen) je nach Aus¬ 
breitung, Stadium und Intensität der ursächlichen Krankheit auf Grund des thier- 
ärztlichen Gutachtens entweder der Ausschluss des Fleisches vom menschlichen 
Genüsse oder die Verwendung unter gewissen Bedingungen (vorheriges Kochen, 
Deklarationszwang) als minderwerthiges Fleisch gestattet w'erden kann,“ — 

— VIL »Bei der grossen Bedeutung und Häufigkeit der Bindertnberkulosc 
sind energische Massregeln zu ihrer Bekämpfung von Seiten des Staats dringend 
geboten.“ 

Schliesslich sei noch die Ansicht Kochs angeführt; derselbe 
äussert sich in einer seiner Abhandlungen: „Der Genuss von 
Fleisch perlsüchtiger Thiere ist ‘eine Infektionsgefahr für den 
Menschen, die, sei sie so gross oder so klein wie sie wolle, ver¬ 
mieden werden muss.“ 

Was die Behandlung der tuberkulösen Schlachtthiere anbe¬ 
langt, so besitzen wir in Hessen, wie bekannt, eine genügende 
gesetzliche Grundlage in dem Art. 318 des Polizeistrafgesetzes. 
Nicht so befriedigend sind vielleicht diejenigen polizeilichen Mass¬ 
nahmen, welche eine Garantie für die richtige Ausführung jener 
Gesetzesvorschrift bieten sollen. Es ist namentlich zu beklagen, 
dass hierin noch in den einzelnen Landestheilen eine sehr verschie¬ 
dene Praxis geübt wird. Auch bei uns in Hessen waren es in 
erster Linie die Landwirthe, welche nach milderen Voi*schriften 
hindrängten. So lag z. B. dem landw. Landesausschuss im Jahi*e 
1889 ein Antrag des Bezirksvereins Dieburg vor, welcher darauf 
hinausging, dass die Grossherzogi. Regierung die beamteten Thier¬ 
ärzte anweisen möge, geringgradig perlsüchtige Schlachtthiere 
nicht zu beanstanden. Man stützte diesen Antrag auf den Ge¬ 
brauch in Nachbarstaaten. Die Mehrheit des Landesausschusses 
hat nun eingesehen, dass dies wohl nicht angehe und den genann¬ 
ten Antrag nicht angenommen, aber an die Regierung das Er¬ 
suchen gerichtet, dass Einrichtungen getroffen werden miichtoii. 



Die Bck&mpfang der Taberkalose des Rindviehs o. die Verwendbarkeit etc. 33 

die den Eigenthämern den Verkauf des nicht ladenreinen Fleisches 
erleichtern. Hierin begegnen wir nun einer berechtigten Forde¬ 
rung der Landwii-the; denn so lange der Verkauf von solchem 
Fleisch unter gewissen Voraussetzungen gesetzlich gestattet ist, 
muss es als eine Ungerechtigkeit erscheinen, wenn derselbe durch 
Polizeimassnahmen ohne Noth erschwert und dadurch dem Vieh¬ 
besitzer Schaden zugefügt wird. Der Grund hiervon aber liegt in 
dem Einfluss der Metzger, welchen die Freibank ein Dorn im 
Auge ist, weil sie ihnen Konkurrenz bietet. So harrt nun die an¬ 
geregte Frage augenblicklich noch ihrer Entscheidung. 

Wie Sie wissen, ist beim Reichskanzler die Anregung zum 
Erlass eines Reichsgesetzes zui* Bekämpfung der Tuberkulose 
schon vor längerer Zeit gegeben worden. Darauf hin wurden vom 
Reichsamt des Innern für die Zeit vom 1. Oktober 1888 bis 
1889 Erhebungen über das Vorkommen der Tuberkulose ausge¬ 
schrieben und nachdem dieselben gesammelt waren, im Reichs¬ 
gesundheitsamt zusammengestellt. Ueber das Ergebniss liegt nun 
eine Arbeit des thierärztlichen Mitglieds letztgenannten Amtes vor. 
Leider sind die Erhebungen nicht der Art ausgefallen, dass die¬ 
selben als massgebende Grundlage für ein Reichsgesetz dienen 
könnten. Immerhin bieten sie recht viel Interessantes. Auf die 
Einzelheiten der umfangreichen Arbeit hier einzugehen, würde 
etwas weit führen. Ich will mich daher auf Weniges beschränken. 
Im Ganzen wurden während der angegebenen Frist in einem Jahre 
im deutschen Reich tuberkulös befunden: 51377 Stück Rindvieh. 
Hiervon entfallen nur 520 Fälle auf Thiere unter einem Jahr. 
Rechnet man diese ab, so kommt auf den Gesammtbestand von 
Rindvieh über einem Jahr (13 Millionen) ungefähr 0,4 ®/o Verlust 
an Tuberkulose. Auf die einzelnen Länder vertheilen sich die 
perlsüchtigen Thiere etwa wie folgt: Preussen0,35 «/o, Bayern 0,32®/» 
Achsen 1,0 ®/o, Wüi'ttemberg 0,42 ®/o, Baden 0,52 Hessen 0,63®/®. 
So berechnet sich der Prozentsatz wenigstens aus den ermittelten 
Zahlen der tuberkulös befundenen Thiere. Nach der Ai’beit des 
Kaiserl. Gesundheitsamts wird jedoch das Vorkommen der Tuber¬ 
kulose unter dem Rindvieh höher geschätzt, z. B. für Preussen 
auf 5 ®/o, für Sachsen 1 ®/o, für Baden 1,72®/®. Auf welche Weise 
man zu diesem Ergebniss gelangt ist, wird nicht angegeben. Wird 
die Zahl des geschlachteten Viehs zu Grunde gelegt, so berechnet 
sich der Prozentsatz der tuberkulösen Schlachtthiere in Sachsen 
auf 8,2 ®/®, in Baden auf 1,74 ®/®, in Hessen auf 1,59 ®/®. Die 
Arbeit des Reichsgesundheitsamts enthält eine Berechnung der 
Tuberkulosefalle aus einer Anzahl von Schlachthäusern, insbeson¬ 
dere von Städten Norddeutschlands, Sachsens und Elsass-Lothringens. 
In den Staaten, in denen eine allgemeine Fleischbeschau auch 
für das Land eingeführt ist, wie z. B. in Bayern, Württemberg, 
Baden und Hessen, ist das Ergebniss aus den Schlachthäusern im 
Gesammtergebniss enthalten. Füi* Preussen z. B., wo eine staat¬ 
lich geregelte Fleischbeschau nicht existirt, musste sie auf die 
einzelnen Städte mit Schlachthäusern und von der Stadtverwaltung 
angeordneten Fleischbeschau beschränkt werden. Das tabellarische 



u 


br. Loreus^. 


Verzeichniss über die Ergebnisse aus einer grösseren Anzahl von 
solchen ist nun namentlich interessant, weil es so überaus ver¬ 
schiedene Prozentsätze an tuberkulösem Schlachtvieh aufweist. Da 
ist z. B. das Berliner Polizeischlachthaus, dem allerdings nur verdäch¬ 
tiges oder krankes Vieh überwiesen wird, mit 24 ®/o des geschlach¬ 
teten Grossviehs (in dem öffentlichen Berliner Schlachthause beträgt 
diese Ziffer dagegen — die Kälber mit eingerechnet — nur 2,l“/o); 
dann kommt Goldberg mit 20 "/(„ Domach mit 16,9 ®/o, Leipzig mit 
15,6 ®/o, Zittau und Görlitz mit je 13,7 ®/o, Anklam mit 12,7 "/o, 
Stendal mit 12,8 '’/o, Hörde mit 12,2 *7o» Arnsberg mit 12,1 ®/o, Frank¬ 
furt a. M. mit 10 *7o> Kiel mit 10,2®/(,. Diesen hohen Prozent¬ 
sätzen stehen wieder gegenüber: Hannover mit 0,6®/o, Hersfeld 
mit 0,5®/o, Marburg mit 0,4”/^, auch Hamburg mit 0, 4 ^/ 0 , Elber¬ 
feld mit 0,7 *’/(,, Saarlouis mit 0,6 ‘7o) Aachen mit 0,7 “/„, Lippstadt 
mit 0,9 ®/o, Kassel mit 1,5% und andere. 

Aus dieser Zusammenstellung geht zur Genüge liervor, dass 
man sich auf die gemachten Angaben in Bezug auf die Häufigkeit 
des Vorkommens der Tuberkulose unter dem Schlachtvieh nicht 
verlassen kann; denn wenn auch im Allgemeinen diejenigen Städte, 
in denen eine geringere Qualität Schlachtvieh zur Verwendung 
kommt, regelmässig eine höhere Ziffer aufweisen, was auch in der 
aufgestellten Tabelle zum Ausdruck kommt, so unterliegt es doch 
wohl keinem Zweifel, dass, wenn überall eine gleich gute Kontrole 
eingefiilirt wäre, die Gesammtzahl eine viel liöhere sein würde. 
Aus diesem Grunde kann icli auch der in den Schlussbemerkungen 
des Reichsgesundheitsamts aufgestellten Vennutliung, dass bei den 
in Deutschland bestehenden Einrichtungen der Fleischbeschau vor¬ 
erst auf jälirlich 50,000 Fälle von Tuberkulose bei Schlachtthieren zu 
rechnen sei, nicht beipflicliten. Bei der scheinbar ständigen Zu¬ 
nahme der Tuberkulose dürfte namentlich dann, wenn durch die 
Gewährung einer Entschädigung der Grund zu Verheimlichungen 
in Wegfall kommt, auf bedeutend mehr zu zählen sein. 

Am wenigsten zu benutzen sind wohl die Angaben über das 
Vorkommen der Tuberkulose bei den Thieren der verschiedenen 
Rassen. Störend ist hier vor Allem, dass überall von Land schlagen 
die Rede ist, ohne Angabe, welchem Rassetj'^pus dieselben zu¬ 
kommen. Auffallen musste mir speziell, dass die Zusammenstellung 
nur 556 tuberkulöse Thiere der Simmenthaler, 558 der Schweizer 
Scheckenrasse, 135 geflecktes Gebirgsvieh überhaupt etc. aufführt, 
während aus Hessen allein 558 Simmenthaler einschliesslich der 
Kreuzungsprodukte mit ausgesprochenem Rasset 3 'pus verzeichnet 
wurden. Die 133 Vogelsberger scheinen ganz aus Hessen und von 
den 133 Glan-Donnersberger 111 aus Hessen angeführt zu sein. 
Da übrigens die Erhebungen über die Zahl der Thiere, welche in 
Deutschland auf die einzelnen Rassen entfallen, nicht stattgefunden 
haben, so ist es durchaus unmöglich, aus dem gesammelten Material 
zu schliessen, innerhalb welcher Rasse die Krankheit am häufig¬ 
sten ist. 

. Die von dem Reichskanzler in Aussicht genommenen Mass- 



Die Bekämpfung der Tubcrkuluae des Kindvielis u. die Verwendbarkeit etc. 35 


nahmen sollen nun nach dem Rundschreiben vom 24. August 1888 
etwa folgende sein: 

1. Die Anzeigepflicht für die bei der Schlachtung tuberkulös befundener 
Thiere. 

2. das Erfordemiss polizeilicher Genehmigung zur Verwerthung des 
Fleisches von perlsüchtigcn Thieren, und die Beseitigung der von der Krankheit 
ergriflfenen Fleischtheile; 

8. die Anzeige seitens der Behörde des Schlachtorts an die Behörde des 
Anfznehts- oder Herkunftsorts; letztere wäre zu ermächtigen, die Desinfektion 
der Stallungen etc. anzuordnen, die vorhandenen lebenden Tbiere untersuchen und 
im Falle des dringenden Seuchenverdachts tödten zu lassen, sowie sonstige Schutz- 
massregeln vorznschreiben; 

4. die Gewährung einer Entschädigung für jedes tuberkulös befundene 
Schlachtthier in Höhe von */s oder */* des gemeinen Werthes, abzüglich des 
Werthes der zur Nutzung freigegebenen Theile, sowie unter Anrechnung einer 
Quote der etwa aus Privaterträgen gezahlten Verpflichtungssumme. Die näheren 
Bestimmungen Uber die zur Ersatzleistung zu verpflichtenden Verbände, sowie 
die Aufbringung und Ermittelung der Entschädigungen bleiben nach Analogie 
der §§. 58 und ff. des Vichseuchengesetzes den Bundesstaaten überlassen. 

Was die unter 1—3 beabsichtigten Massnahmen betrifft, so 
lässt sich dagegen wohl nichts Vorbringen. Nicht hinreichend 
aber dürften die unter 4 angedeuteten sein. Die Gewährung einer 
Entschädigung hat neben der Wohlthat für den Viehbesitzer in 
erster Linie den Zweck, Verheimlichungen vorzubeugen. Bei 
Lungenseuche und Rotz sind die bestehenden Massnahmen aller¬ 
dings als genügend anzusehen; die Verhältnisse sind aber auch 
andere. So befallen diese Seuchen in der Regel nur einzelne Vieh¬ 
stände und der Besitzer solcher wii*d sich hüten, hier Ausbrüche 
zu verheimlichen. Er würde sonst leicht überführt werden können 
und dann der Entschädigung für seinen ganzen Bestand verlustig. 
Die Tuberkulose ist eine Weltseuche; sie kommt überall vor. 
Sichere Anhaltspunkte für vorausgegangene Verheimlichungen 
dürften sich kaum immer feststellen lassen. Da aber erreiclit 
werden soll, dass alle tuberkulös befundenen Thiere zur Anzeige 
kommen, so muss die Schadloshaltung der Einzelnen meines Er¬ 
achtens weiter ausgedehnt werden. Wenn z. B. bei der Schlach¬ 
tung ein Thier tuberkulös befunden wird, so beträgt der Verlust 
des Eigenthümers im Falle der Verheimlichung wohl gewöhnlich 
nicht den vierten Theil des gemeinen Werthes. Da aber nur 
vergütet werden soll, so würde die Verheimlichung j hier immer 
noch ganz einträglicli sein. Will man daher den Zweck voll¬ 
ständig erreichen, so muss vollständige Schadloshaltung eintreten. 
Auch mit der oben zuletzt genannten Massnahme, dass den Einzel¬ 
staaten die Aufbringung der für die Entschädigung nöthigen Geldmit¬ 
tel überlassen werden soll, dürfte wohl nicht der beste Weg betreten 
sein. Wie in den Schlussbemerkungen erwähnt, kommt die Tuber¬ 
kulose überall vor, aber die Entdeckung der einzelnen tuberkulösen 
Thiere erfolgt nicht überall in gleicher Weise. In bestimmten 
Städten, in denen geringwerthiges Vieh geschlachtet wird, werden 
auch künftighin noch die meisten Tuberkulosefalle ermittelt werden, 
und wenn man bedenkt, welche Wege oft das Schlachtvieh bis 
zum Ort der Schlachtung machen muss, so entsteht zunächst die 
Frage, wer soll die Entschädigung leisten, der Verband des 



36 


Dr. Lorenz. 


Schlacbtorts oder der der Heimatli des tuberkulös befundenen 
Thieres? Das Letztere kann wohl allein ins Auge zu fassen sein, 
denn das Erstere wäre ungerecht. Was würden z. B. die Land- 
wirthe der Provinz Brandenburg sagen, wenn sie den Verlust aller 
in Berlin tuberkulös befundenen Schlachtthiere decken sollten. 
Will man aber jedesmal den Verband heranziehen, dem der land- 
wirthscliaftliche Besitzer des betreifenden Thieres angehörte, was 
würde das für eine Unzahl von Abrechnungen geben, bei dem 
jetzigen Verkehi* mit Schlachtthieren. Wäre es da doch nicht 
besser, man liesse das Reich alles decken und vertheilte die Ver¬ 
luste dann auf den Gesammtbestand des Reiches? Es würde dies 
das Verfahren wesentlich erleichtern. 

Wir kommen nun noch auf einen Punkt zu sprechen, mit dem 
zu rechnen wir hoffen dürfen, nämlich die Erkennung der Tuberku¬ 
lose an lebenden Thieren mittels Anwendung des Tuberkulins. Es 
würde hier zu weit führen, wollte ich auch hierüber eingehendere 
Mittheilungen einfliessen lassen. Die Versuche sind auch noch 
nicht so weit gekommen, um einen sicheren Schluss daraus zu 
ziehen. So viel aber kann erwartet werden, dass, sei auch das Mittel 
nicht vollständig untrüglich, wir in ihm für die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose des Rindviehs immerhin wahrscheinlich ein in diagnostischer 
Hinsicht recht wohl zu verwerthendes Hülfsmittel besitzen, welches 
in allen Fällen zu versuchen wäre, wo die unter Ziffer 3 vom 
Reichskanzler in Betracht gezogenen Massnahmen zur Anwendung 
zu kommen haben werden. 

Lassen Sie mich zum Schlüsse nochmals auf die Frage der Ver¬ 
wendung des Fleisches tuberkulöser Thiere zurückkom¬ 
men. Sie haben gehört, dass die Männer, welche wirklich wissenschaft¬ 
lich in dieser Frage thätig waren, einstimmig gegen das Freigeben 
solches Fleisches sind. Die einfachste und zweifellos wichtigste 
Motivirung hierzu enthält das angeführte Virchow’sche Gutachten. 
Von Unkenntniss zeugt es daher, wenn ein thierärztliches Fach¬ 
blatt sich äussert, diese Ansicht beruhe auf unwissenschaftlichen 
Deduktionen. Ich habe aber, abgesehen von der Thatsache, dass 
das Freigeben des Fleisches tuberkulöser Thiere ein Betrug an 
dem Konsumenten ist, noch einen ganz besonderen Grund, mich da¬ 
gegen auszusprechen. Eine genaue Delinirung des Grades der 
Erkrankung, bei welcher die Freigabe erlaubt sein soll, lässt sich 
nicht geben. Die versuchsweise von einzelnen Fachmännern ge¬ 
gebenen Direktiven sind ganz willkürlich gegriffen. Zweifellos 
aber würde eine solche Bestimmung zu der grössten Ungleichheit 
führen und es würde in Folge dessen das, was durch das geplante 
Gesetz en’eicht werden soll, grösstentheils illusorisch; denn eine 
Garantie, dass nicht auch Fleisch, welches wirklich eine infektiöse 
Eigenschaft besitzt, in den freien Verkehr gelangt, gäbe es dann 
nicht. Es steht ja richtig, dass in der thierärztlichen Presse viel¬ 
leicht der gegentheilige Standpunkt vertreten wird; gehörig be¬ 
gründet habe ich ihn jedoch bis jetzt noch nicht gesehen. Ich 
kann und will auch nicht leugnen, dass ich in dieser Haltung der 
thierärztlichen Presse nur zu deutlich die Absicht sehe, Vorteil 



Die Bekämpfimg der Tuberkulose des Rindviehs u, die Verwendbarkeit etc. 37 

für sich zu gewinnen. So fordert ein Fachblatt gewissennassen 
die Kollegen zum offenen Kampf gegen den aus Anlass der Minde- 
ner Affaire ergangenen Erlass des preussischen Kultusministers 
mit den Worten auf: „Das Eintreten der Gesammtheit für die 
durch unwissenschaftliche Deduktionen betroffenen Standesver¬ 
treter wird dieselben hoffentlich bald von dem Uebel erlösen.“ Dem 
gegenüber halte ich es nun für zeitgemäss, dass die in Hessen mit 
der Ausübung der Fleischbeschau beschäftigten Kollegen, welche 
also schon so lange dem vermeintlichen Uebel ausgesetzt sind, 
auch ein Votum abgeben. 

Ich fasse meine Schlüsse in nachfolgenden Thesen zusammen: 

1 . Bei der ständigen im progressiven Zunehmen begriffenen 
Ausbreitung der Tuberkulose unter den Rindviehbeständen Deutsch¬ 
lands erscheint eine beschleunigte Unterdrückung dieser Seuche 
mit den energischsten gesetzlichen Massnahmen dringend geboten. 

2 . Um eine Garantie zu erlangen, dass alle Fälle von Tuber¬ 
kulose unter den Schlachtthieren zur Anzeige kommen, empfiehlt 
sich die volle Schadloshaltung der Viehbesitzer. 

3. Bei der allgemeinen Verbreitung der Tuberkulose erscheint 
es zweckmässig, wenn die Regelung der Schadensvertheilung nicht 
von den Einzelstaaten, sondern vom Reich ausgeht. 

4. Das Fleisch tuberkulöser Thiere ist, insofern es überhaupt 
zum menschlichen Genüsse zugelassen werden kann, stets vom 
freien Verkehr auszuschliessen, es sind jedoch Einrichtungen zu 
treffen, durch welche die Verwerthung des fragl. Fleisches mög¬ 
lichst erleichtert wird, unter Beobachtung derjenigen Bedingungen, 
welche erforderlich sind um zu verhüten, dass Unterschleife ver¬ 
kommen. Am meisten empfiehlt sich, dass Fleisch von tuberkulösen 
Thieren nur in gar gekochtem Zustande — etwa durch heissen 
Wasserdampf gehörig sterilisirt — an die Konsumenten verabfolgt 
wird. So lange dies nicht angänglich ist, muss mindestens der 
Deklarationszwang zur Durchführung kommen. 

5. Die in Hessen schon seit Jahren geübte Praxis, das Fleisch 
tuberkulöser Thiere stets vom freien Verkehr auszuscliliessen, hat 
zu Unzuträglichkeiten nie geführt. 


Sämmtliche Thesen wurden in der Versammlung widerspruchs¬ 
los angenommen, insbesondere auch die beiden letzten. Dieses 
Ergebniss dürfte insofern eine Bedeutung haben, als in Hessen 
schon eine geraume Zeit eine staatlich vorgeschriebene Fleisch¬ 
beschau besteht und die Behandlung des Fleisches tuberkulöser 
Thiere nie anders vorgeschrieben war, als oben angeführt ist. 


Soeben erhalte ich Kenntniss von der jüngsten in der be¬ 
sprochenen Mindener Angelegenheit gegebenen Verfügung des 
Königlichen Preussischen Kultusministers vom 31. Dezember v. J. 
Dieselbe lautet: 

„Nach eingehender Erwägung der in dem gefälligen Bericht vom 30. Juli 
d. J. betreffend die Benrtheilung des Fleisches von perlsüchtigem Eind- 
vieh, vorgetragenen Verhältnisse ersuche ich Ew. Hochwohlgeboren ergebonst, 
die in Folge meines Erlasses vom 23. April d. J. — M. Nr. 2743 — 



38 


Dr. Lorenz: Die Bekämpfong der Tuberkulose etc. 


getroffenen Bestimmungen gefölligst ausser Kraft zu setzen. Ich behalte mir 
vor, in Gemeinschaft mit dem Herrn Ressortminister demnächst gemeinverständ¬ 
liche Vorschriften über die Beurtheilung und Verwerthung von dem in Rede 
stehenden Fleisch zu erlassen.** 

Bei der im Könii^eich Preussen zur Zeit fast allenthalben 
eingehaltenen Praxis, welche den Ministerialerlass vom 15. Sep¬ 
tember 1887, sei es in Folge unrichtiger Auffassung, sei es ab¬ 
sichtlich, unbeachtet lässt, dürfte wohl der oben angeführten Ver¬ 
fügung vom 31. Dezember v. J. nur der Zweck untergeschoben 
werden, die Interessenten des Kegierungsbezirkes Minden den 
übrigen im Königreich Preussen vorerst gleichzustellen. Zu be¬ 
dauern wäre es offenbar, wenn bei der beabsichtigten Regelung 
der Angelegenheit es bei der seither geübten Praxis sein Bewenden 
behielte. 

Da nach der allgemeinen von den Männera der Wissenschaft, 
insbesondere auch von V i r c h o w ausgesprochenen Ansicht sich 
die grössere oder geringere Infektionsgefahr des Fleisches tuber¬ 
kulöser Thiere, auch wenn eine Generalisation der Krankheit nicht 
nachgewiesen ist, sich nicht ermessen lässt, so Messe, jede Freigabe 
fi’aglichen Fleisches dem Ermessen der Sachverständigen über¬ 
lassen, nichts anderes, als sie der Willkür derselben anheim¬ 
geben (vergl. die Ausf. Bollingers). 

Es mag ja wohl richtig stehen, dass mancherorts die Ai*t 
und Weise der Verwerthung des noch für geniessbar erkannten 
Fleisches perlsüchtiger TMere mehr zu Gunsten der Interessenten, 
insbesondere der Landwirthe, geregelt werden dürfte, allein das 
Auskunftsmittel, welches die jetzige Praxis in Preussen gewählt 
hat und welches ausser von den betheiligten Metzgerinnungen 
und Händlern namentlich auch von den interessirten Thierärzten 
gewünscht und verfochten wird, würde doch eigentlich nichts an¬ 
deres bedeuten, als den Konsumenten unter dem Schutze der Re¬ 
gierung betrügen, wird doch dabei vielen zugemuthet, eine 
Waare für gut zu kaufen und zu bezahlen, welche sie mit Recht 
nicht für gut zu halten braucht und welche mancher überhaupt 
gar nicht erwerben würde, wenn ihm die Eigenschaft derselben 
bekannt wäre. Was billiger Weise vom Konsumenten verlangt 
werden kann, ist der Deklarationszwang. Denselben durch 
Gesetz zu regeln, wäre zunächst die Aufgabe der Regierungen. 
Schwer dürfte dies durchaus nicht sein, wenn man nur den rechten 
Weg dabei einschlägt, und zwar einen Weg, der allenthalben 
durchführbar ist. Von der Freibankeinrichtung allein kann letz¬ 
teres allerdings nicht gerade gelten, wohl aber Hesse sich mehr 
erreichen, wenn neben der Einrichtung der amtlichen Freibänke, 
die Vorschrift zur Einführung gelangte, dass jeder Fleisch Verkäufer, 
welcher neben dem Fleisch gesunder Thiere auch solches von 
kranken Thieren feilhalten will, dies offen und namentlich auch 
an seinem Ladenschild ein für allemal deklarire. Die Fleisch¬ 
verkäufer würden Mernach in zwei Klassen zerfallen, in solche, 
welche nur tadellose Waare verkaufen und in solche, welche da¬ 
neben auch anstössiges Fleisch feilhalten. Eine entsprechende 



Kleinere Mittheilongen und Referate ans Zeitschriften. 


39 


Polizeikontrole über letztere würde natürlich geboten sein. Mag 
dieser Modus nun auch Manchen deshalb nicht einleuchten, weü 
er ihnen nicht die genügende Garantie für die richtige Ausführung 
bietet; bei der immer mehr zunehmenden Rindertuberkulose wird 
sich jedoch, wenn überhaupt etwas Sachgemässes geschehen soll, 
was allenthalben durchgeführt werden soll, kaum ein anderes 
Auskunftsmittel finden lassen. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A« Oerichtliche Medizin. 

Ueber einen bemerkenswerthen Fall von Salzsänrevergiftong be¬ 
richtet Dr. Wnnschheim, I. Assistent am pathologisch-anatomischen Institut 
an der deutschen Universität in Prag, in No. 52 der Prager Medizinischen Wochen¬ 
schrift 1891. 

In selbstmörderischer Absicht hatte ein 35 jähriger Mann etwa 25 ccm einer 
Flüssigkeit getrunken, welche bei der chemischen Untersuchung sich später als 
Salzsäure mit einer Spur von Schwefelsäure herausstellte, wie letztere als tech¬ 
nische Verunreinigung der rohen Salzsäure anzuhaften pflegt. Am 8. Tage nach 
der Vergiftung erfolgte der Tod unter den Erscheinungen zunehmender Prostra¬ 
tion an Peritonitis. Die Sektion ergab graugelbliche Verschorfungen am 
Gaumensegel und an der hinteren Wand des Schlundkopfes, gelbbraune, längs ge¬ 
stellte, streifige Schorfe in der Schleimhaut der Speiseröhre und eine umfang¬ 
reiche Anätzung der Magenschleimhaut. Die Hauptmasse der gelbbraunen, zotti¬ 
gen, im Wasser flottirendon Schorfe fand sich an der Cardia, zog dann an der 
kleinen Kurvatur nach rechts und nahm dort den ganzen Pylorus ein, dessen 
gesammte Mucosa in eine dunkle, lockere Pulpa verwandelt war. Der Pylorus 
zeigte nun weiter zwei thalergrosse Stellen, an welchen es zu einer totalen Nekrose 
der Magenwand in ihrer ganzen Dicke gekommen war. Im Darmkanal fand 
sich ausser einer geringen Anätzung im oberen Duodenalabschnitt aufi'älliger- 
weise nichts Bemerkens wer thes. — Die Säure hatte aber durch Fernwirkung 
auf die dem Magen benachbarten Organe einzuwirken Zeit und Gelegenheit ge¬ 
habt. Diese bestand in einer oberflächlichen „Gerbung“ der Leber, Milz, Flexura 
coli dextra und des dem Pylorus gegenüberliegenden Peritonäuras der vorderen 
Bauchwand. Die Leber zeigte in der Mitte ihrer Vorderfläche eine handteller¬ 
grosse Stelle von normaler brauner Farbe, während die ganze übrige Oberfläche 
• gelblich grau erschien. An ersterer Stelle zeigte sich ein dünner fibrinöser 
Ueberzug, während im Uebrigen keine Spur eines exsudativen Belages wahr¬ 
nehmbar war, ein Zeichen dafür, dass die von der Säure getroffenen Theile der 
Leberoberfläche abgetödtet und nicht im Stande waren auf den die Peritonitis 
verursachenden Reiz zu reagiren. — Als besonders interessant bezeichnet der 
Bericht die überall zu Tage tretende Gelbfärbung der Schorfe, welche zu¬ 
erst den Gedanken an eine Salpetersäurevergiftung aufkommen liess. Dieselbe 
kann nur gedeutet werden als eine Imbibition der Schorfe mit den Derivaten 
des Blutfarbstoffes, indem ja die Miucralsäuren das Hämoglobin sehr rasch zur 
Lösung bringen und in seine Derivate urawandcln. Es gelang auch spektros¬ 
kopisch die Absorptionsstreifen des Hämatins in mit Kalilauge behandelten Aetz- 
Bchorfen nachzuweisen — Es zeigt also dieser Fall, dass die für die Salpeter¬ 
säurevergiftung als charakteristisch angegebene gelbe Farbe auch vorhanden sein 
kann, ohne dass Salpetersäure eingewirkt hat. 

Dr. Meyhoefer-Görlitz. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Beitrag zur Behandlnng tuberkulöser Meerschweinchen mit Tnber- 
kulinum Koebii. Von Stabsarzt Professor E. Pfuhl, kommandirt zum In¬ 
stitut für Infektionskrankheiten. (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten). 
Zeitschrift lür Hygiene und Infektionskrankheiten XI. B. 1891. 

Es ist eine nicht gerade angenehme Aufgabe, an die Besprechung der 



40 Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

genannten, etwa 18 Seiten langen Arbeit heranzugehen, denn es lässt sich 
nicht leugnen, dass diese Publikation dieses Verfassers wohl allerwärts befrem¬ 
dend, ja geradezu peinlich berührt hat. Die Resultate, über welche Pfuhl 
berichtet, sind, um dies von vornherein festzustellen, recht herzlich schlechte, 
genau so schlecht, wie diejenigen anderer Forscher, welche das Tuberkulin am 
Meerschweinchen geprüft haben. Freilich — etwas länger haben die von Pfuhl 
mit grossen Tuberkulin dosen (täglich 0,001) behandelten Meerschweinchen durch¬ 
schnittlich gelebt, als ihre nicht behandelten Leidensgenossen; es sind ferner an 
Milz und Leber die Anzeichen beginnender Heilung vorhanden — aber die 
Tuberkulose schreitet trotz alledem unaufhaltsam fort, namentlich wird nach 
Pfuhl’s eigenem Eingeständniss die Entwicklung tuberkulöser Prozesse in der 
Lunge von Meerschweinchen nicht behindert. (Pfuhl fährt allerdings wörtlich 
fort: „Glücklicherweise verhalten sich die Meerschweinchenlungen in diesem Falle 
anders, als die des Menschen“ — eine Behauptung, welche nach den Erfahrungen 
des letzten Jahres Seitens der Kliniker und der pathologischen Anatomen wohl 
kaum ohne Weiteres zugestanden werden dürfte). Auf jeden Fall ist nicht ein 
einziges der mit Tuberkulin behandelten Meerschw^einchen wirklich geheilt worden, 
obgleich Pfuhl wiederholt von „sehr günstigen Wirkungen“ spricht, die er er¬ 
zielt habe und auch die „ihm bekannten sehr günstigen Erfolge“, die Koch mit 
grossen Dosen Tuberkulin erzielt habe, in der Einleitung seiner Arbeit aus¬ 
drücklich hervorhebt. Man kann nun ja allerdings die Verlängerung des Lebens 
der behandelten Meerschweinchen um einige Wochen und den an der Leiche 
nachweisbaren Rückgang der Tuberkulose an einigen Organen einen „günstigen 
Erfolg“ nennen, man kann auch zugestehen, dass wir einen derartigen Erfolg 
durch keine'andere Behandlungsweise erreichen können — auf jeden Fall hatte aber 
die medizinische Welt Koch’s historische W’orte auf dem internationalen Kon¬ 
gress ‘über die von ihm erzielten Heilungen anders gedeutet und musste sie 
auch anders deuten, und man wird allgemein die jetzt erfolgende Veröffent¬ 
lichung Pfuhl’s als einen Rückzug auliässen, dessen Form allerdings höchst 
ungewöhnlich ist. Fast noch aulfallender ist die lakonische Art, mit der Pfuhl 
in einer Anmerkung (!) sagt: „Eine Immunisirung durch das Tuberkulin findet 
nicht statt“, während doch Koch die imraunisirende Wirkung des Tuberkulins 
in erster Linie hervorgehoben hatte! 

Die Pfuhl’sche Arbeit ist ausdrücklich überschrieben: „Aus dem In¬ 
stitut für Infektionskrankheiten“, so dass die allgemeine Annahme, wonach die 
Arbeit nicht ohne Wissen und Willen Koch’s verölfeiitlicht sei, doch wohl das 
Richtige treffen dürfte. Dass unter diesen Umständen der anfänglich immer 
wieder zurückgedrängte Wunsch, Koch selbst infge zur Hauptfrage das Wort 
ergreifen, mehr und mehr hervortritt, ist um so erklärlicher, als nicht nur im 
Laienpublikum, sondern auch in der wissenschaftlichen Presse, und zwar von 
sehr beachtenswerter Seite dieser Wunsch zu Erörterungen geführt hat, welche 
wir im Interesse des Ansehens deutscher Wissenschaft und deutscher Forschung 
lieber vermieden sehen würden. Wir Medizinalbeamte, die wir stolz darauf sind, 
dass Koch aus unserem Stande hervorgegangen ist, wir, die wir bei der Be¬ 
schäftigung mit der Hygiene täglich und stündlich Koch’s unvergängliche 
Verdienste vor Augen haben, wir, die wir uns, wie jeder wissenschaftlich 
denkende Arzt bewusst sind, welche schwerwiegende Bedeutung Koch’s Ent¬ 
deckung trotz der praktischen Misserfolge in sich birgt, wir k^üinen nur mit 
tiefem Bedauern sehen, wie Koch, nicht zum Wenigsten durch die ungeschickta 
Thätigkeit einiger seiner Mitarbeiter, in eine etw-as isolirte Stellung gedrängt 
wwden ist und in der deutschen Hygiene nicht mehr so unbestritten die führende 
Rolle spielt, welche er Jahre lang mit so glänzendem Erfolg dnrehgeführt hat! 
Wir fürchten aber, und w^ohl mit Recht, dass durch diese Publikation die 
Stellung Kochs nicht erleichtert werden wird. 

Dr. Langerhans -Hankensbüttel. 


Erkrankungen in Folge Genusses ungekochter infektiöser Milch. 
Von Dr. Follenius. (Korrespondenzblatt der ärztlichen Vereine des Gross¬ 
herzogthums Hessen; Nr. 12, 1891), 

Im Oktober v. J. erkrankten an ein und demselben Tage plötzlich die 
beiden Assistenten wie der Diener des hygienischen Institutes in Giessen unter 
den gleichen, nur dem Grade nach verschiedenen Krankheitserscheinungen, die 



Eleiuere Mitthcilaiigeii nnd Beferate aus Zeitschriften. 


41 


in vieler Hinsicht mit den bei Fleischvergiftungen beobachteten übereinstimmten. 
Das gleichzeitige Auftreten der Erkrankungen deutete auf eine gemeinsame Entsteh¬ 
ungsursache und zwar auf Infektion von dem Verdauungskanal ans. Das einzige 
Nahrungsmittel, das alle Erkrankten mm nachweisbar gemeinschaftlich zu sich 
genommen hatten, war Milch, die sie wiederholt am Morgen vor ihrer Erkran¬ 
kung zum Frühstück in ungekochtem Zustande getrunken hatten. Die Möglich¬ 
keit einer Infektion dieser von einer Molkerei bezogenen Milch in dem Institute 
selbst konnte mit Sicherheit ausgeschlossen werden; es blieb daher nur die An¬ 
nahme übrig, dass die Milch bereits von der Molkerei in infektiösem Zustande 
geliefert worden war, eine Annahme, die durch die weiteren Ermittelungen be¬ 
stätigt wurde. Dnrch glückliche Umstände gelang es nämlich das kranke Thier 
festzustellen, von welchem die betreffende Milch herstammte. Die thierärztliche 
Untersuchung dieser Kuh ergab, dass dieselbe an einer schweren Form von 
Enteritis erkrankt war und konnten in dem wässerig blutigen, mit nur wenig 
Koth vermischten Darmabgange dnrch Kulturen und Thierversuche ein nnd der¬ 
selbe pathogene Mikroorganismus wie ans den dünnflüssigen Dannentleeningen 
der drei erkrankten Personen nachgewieseu werden. Es handelte sich um einen 
kurzen, lebhaft beweglichen Bacillus von ausserordentlicher Wachsthumsenergie, 
«1er bei subkutaner Injektion verhältnissmässig geringer Mengen die Versnehs- 
thiere in 1—2 Tagen tödtete nnd in der Begel in dieser kurzen Zeit bereits 
exsudative Peritonitis bezw. Pleuritis erzeugt hatte. Die anfänglich vermuthctc 
Identität dies Mikroorganismus mit dem früher von Qaffky bei zwei Fällen 
von Massenvergiftung inflzirter Fleischwaaren gefundenen Bacillus, hat sich bei 
den weiteren Untersuchungen nicht bestätigt. 

Da dnrch eine Untersuchung der von der betreffenden Kuh entnommenen 
Milchprobe in dieser keinerlei Mikroorganismen nachgewiesen werden konnten, 
scheint es sich im vorliegenden Falle nur um eine zufällige Verunreinigung der 
Milch bezw. des Enters dnrch die wässerig flüssigen Dejektionen der Kuh ge¬ 
handelt zu haben. Auf diese Weise erklärt sich auch, dass die Erkrankungen 
auf einen so kleinen Kreis beschränkt geblieben sind. 

Die Wirkung des mit der Milch eingeführten Infektionsstoffes war bei 
den Kranken dem genossenen Milchqnantnm proportional. Am heftigsten er¬ 
krankten die beiden Assistenten, von denen der eine '/« Liter, der andere halb 
so viel getrunken hatte. Der Verlauf der Krankheit war in diesen beiden 
schweren Fällen dem Typhns ähnlich (enthaltend hohes Fieber, Durchfall, Er¬ 
brechen, Darmblutung, ausserordentliche Schwäche, sehr langsame ^konvalescenz), 
während der dritte Erkranknngsfall mehr das Bild einer leichten Cholera nostras 
(Kopfschmerz, Mattigkeit, Dnriibfall mit Erbrechen, Fieber und Bekonvalescenz 
nach drei Tagen) darbot Bpd, 


Die Mnndsenche des Menschen (Stomatitis epidemica), deren Iden¬ 
tität mit der Slanl- nnd Klanensenche der Hansthiere und beider 
Krankheiten gemeinsamer Erreger. Von Dr. Siegel, prakt. Arzt in Britz 
bei Berlin. (Deutsche medizinische Wochenschrift; 1891, Nr. 49.) 

Der Verfasser berichtet über eine Epidemie, welche sich in dem Zeitraum 
von Herbst 1888 bis Mitte des Jahres 1891 in Rixdorf und Britz abspielte nnd 
wegen der Neuheit ihrer Erscheinungsform und ihrer Beziehung zur Maul- und 
Klauenseuche der Thiere allgemeines Interesse verdient. 

Das Krankheitsbild, welches sich bei fast der auf 9000 Ein¬ 
wohner berechneten Bevölkerung jener beiden Orte in nächster Nähe Berlins 
geltend machte, war ungefähr folgendes: Nach einer Incubation von 8—10 
Tagen, welche in 2 Fällen genau festgestellt werden konnte, in welchen fremde 
Familien von fremden Ortschaften gesund zugereist und in durchseuchte Häuser 
gezogen waren, traten mit heftigem Schüttelfrost die Vorläufer auf, bestehend 
in allgemeinem Unbehagen, Kreuzschmerzen und Schwiudelanfällen, Brechreizung 
und Schmerzhaftigkeit in der Leber- und Magengogend. Das Fieber erreichte 
39,5** nnd zeigten sich in diesem Stadium Racheukatarrhe und Heiserkeit. Nach 
3—8 Tagen trat die charakteristische Entzündung der Mundschleimhaut auf. 
Die Zunge war ödematös geschwollen und mit einem tiefschwarzen festanheften- 
den Belag bedeckt, das Zahnfleisch schwoll an, die Zähne lockerten sich, es ent¬ 
stand foetor ex ore. Daneben machte sich heftiges Ohrenstechen, Schmerzhaftig¬ 
keit der Kieferknochen geltend. In den meisten Fällen erschienen am Znngeurande 



42 


Kleiuere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


kleine Bläschen, ebenso an den Lippen und an den Mundwinkeln, welche bald 
platzten und nach Erguss einer klaren durchsichtigen Flüssigkeit seichte Ge¬ 
schwüre von der Grösse eines Stecknadelknopfes bis zu der eines 5 Pfennigstückes 
hinterliessen Mit dem Ausbruch der Mundentzündung ging meist das Auftreten 
eines häuüg auf den Unterschenkel oder Unterarm beschränkten Exanthems ein¬ 
her, welches sich bald als Petechien zeigte, bald als Bläschenbildung mit Serum 
oder auch blutigem Inhalte erschien. Sobald der Ausschlag zu Tage getreten, 
verschwand das Fieber, der Appetit kehrte zurück und nach entsprechender Be¬ 
handlung der Munderscheinungen, welche sich nach t—2 Wochen zurückbildeten, 
blieb nur noch ein allgemeines Schwächegefühl und rheumatoide Gliederschmerzen 
zurück, welche sich gewöhnlich erst nach 4—8 Wochen verloren. Zu diesem 
gewöhnlichen Verlauf gesellten sich in einem Viertel aller Fälle die schwersten 
Komplikationen, besonders führte die Erkrankung der Mundschleimhaut zu 
heftigen Formen von Gingivitis mit Schrumpfung des Zahnfleisches. 

Bei Ermittelung der Aetiologie konnte der Verfasser anfangs zu keinem 
Resultat kommen, bis ihm Gelegenheit geboten wurde, die Leichen von 7 der 
Krankheit Erlegenen zu seziren. Es gelang ihm aus Leber und Niere von 
sämmtlichen Leichen ein Bakterium zu züchten, das, weil es in sämmtlichen 
Ausstrich- und Schnittpräparaten nachweisbar war, von ihm als Erreger dieser 
Krankheit angesehen wird. Es ist ein 0,5 p langes, sehr zartes Bakterium, von 
ovoider Gestalt, einem gestreckten Coccus oder sehr kurzem Bacillus gleichend. 
Es wächst auf Agar und Gelatine ohne Verflüssigung; im Stich in Form von 
kleinen, sich aneinander reihenden Perlchen, welche in älteren Kulturen häufig 
wie die Härchen eines Federflanmes zur Seite answachsen; in Platten in Form 
von kleinen scharfrandigen, leicht gelblich .scheinenden Scheibchen. Auch auf 
Kartoffeln wächst dasselbe. Die Färbung gelingt leicht mit den üblichen Anilin¬ 
farbstoffen, nur in Schnittpräparaten nimmt dasselbe Farbe schwer an. Nachdem 
mit Reinkulturen dieser Bakterien 4 Schweine geimpft waren im Maule, starben 
die beiden ersten, die schwächlichsten, nach 48 Stunden, indem sie schon nach 
18—24 Stunden rothe Flecken und blutige Blasen an den Unterschenkeln be¬ 
kamen. Das Dritte lebte länger. Nach 18 Stunden zeigte es auch Röthe am Unter¬ 
schenkel mit Blasen und nach 8 Tagen Schwellung des Maules und Blasenbildung 
an der Zunge und Lippe. Das vierte Schwein Utt nach der Impfnng nur an 
Durchfall und Fressntüust, erholte sich aber nach einigen Tagen vollends. Die 
besprochenen Erscheinungen an den Schweinen wurden von Sachverständigen ids 
die bekannte Maul- und Klauenseuche erkannt und nunmehr Kälber durch 
Verreiben einer Reinkultur im Maule wie durch Einspritzung in die Bauchhöhle 
geimpft. Bei diesen zeigten sich im Maule und an der Nase Blasen- und Ge¬ 
schwürbildung, sowie starke Schwellung der gesummten Schleimhäute, am 14. 
Tage gingen sie ein. Die Sektion ergab bedeutende Leber- und Nierenan- 
schwellnng, Milz normal. Sänuntliche Ausstrich- und Schuittpräparate zeigten 
die spezifischen Bakterien und in derselben Anordnung beim Menschen. Züchtungen 
aus den innem Organen ergaben dieselben Reinkulturen wie beim Menschen. 

Der Umstand, dass unter sämmtlichen erkrankten Personen die mit Vieh 
in Berührung kommenden am leichtesten erkrankt waren und unter sämmtlichen 
TodcsRlllen auch nicht ein einziger war, bei dem eine direkte Berührung mit 
kranken Vieh nachzuweisen gewesen wäre, was auch in der diesbezüglichen 
Vetcrinär-Litteratur vermerkt wird, bringt den Verfasser zur Ueberzeugung, dass 
das Verbältniss zwischen Mundseuchebakterinm und Maulseuchebakterium ein 
ähnliches zu sein scheine, wie zwischen Variola- und Vaccineerreger. Diese An¬ 
sicht, dass Abschwächnng stattfindet, unterstützt Verfasser auch noch durch 
weitere bakteriologische Untersuchungen. Bei wegen Maulseuche getödteten 
Schafen und Pferden wurden dieselben Bilder in Ausstrichen gefunden wie bei 
dem Menschen und konnte in Kulturen gezüchtet werden. Die Kulturen infi- 
zirten wohl die Tauben, d. h. aus den Organen der Tauben konnten dieselben 
wiederum rein gezüchtet werden, jedoch tödteten sie die Tauben in keinem 
Fall. Diese Thatsache scheint die oben ausgesprochene Ansicht zu bestätigen, 
dass die Maulseuche der Hausthiere eine abgeschwächte Form der Mundseuche 
des Menschen ist. Die Infektion des Menschen mit der bösartigen Form könnte 
also nur vom Menschen auf den Menschen geschehen. 

Die Aphthenseuchc der Kinder hält Siegel nur für die leichteste Form 
ler Krankheit, während die als Scorbut beschricbemai Symptome sich nur im 



Itleinere Mittheilungen und fieferate aus Zeitschriften. 

ilölicstadimn einer gossen Epidemie entwickeln. SüdnisHlaud und Kumänieii 
sind als die klassischen Staaten des Seorbuts bekannt, auch die Maulseuche des 
Viehes wird immer wieder aus diesen Ländern nach Deutschland importirt. 

Dr. Dülschk e-Aurieli. 

Verbreitnng der Tollwuth im dentochen Reiche während de» 
Jahres 1890. Nach dem im Kaiserlichen Gesundheitsamte bearbeiteten, vor 
Kurzem erschienenen (Verlag von Julius Springer; Berlin 1891) fünften 
Jahresbericht über die Verbreitung von Thierseuchen im Deut¬ 
schen Reiche ist die Tollwuth unter den Thieren im Jahre 1890 bedeutend 
häufiger und auch die räumliche V^erbreitung der Seuche grösser als im Vorjahre*) 
gewesen. Ebenso sind mehr ansteckungsverdächtige und herrenlose wuthver- 
dächtige Hunde als sonst ermittelt und getödtet. 

An Tollwuth erkrankt und gefallen oder getödtet sind 714 Thiere 
gegenüber 493 im Vorjahre; das sind 41,8^/o mehr. Die Fälle vcrtheilen sich 
auf 590 Hunde (gegen 410 im Vorjahre), 11 Katzen (4), 4 Pferde (5), 98 Rinder 
(65), 2 Schafe (3) und 9 Schweine (6). 

Von der Seuche betroffen wurden ausser den auch im Vorjahre ver¬ 
seuchten Staaten Preussen, Bayern, Sachsen, Sachsen-Meiningen und Eisass- 
Lothringen noch die Staaten Sachsen-Weimar, Oldenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, 
Reuss j. L., Lippe und Hamburg, während Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Son- 
dershausen und Reuss ä. L. diesmal verschont geblieben sind. Die einzelnen 
Tollwuthsfälle vertheilen sich auf 40 Regierungsbezirke (darunter 23 in Preussen), 
178 Kreise (darunter 152 in Preussen); im Vergleich zu dem Vorjahre ist die 
Zahl der betreifenden Staaten um 3, diejenige der Regierungsbezirke um 5, die¬ 
jenige der Kreise um 26 gestiegen. Im Allgera<‘inen ist aber das Verbrei¬ 
tungsgebiet dasselbe geblieben: die östliche Grenzzone des Königreichs 
Preussen, wie die Grenzgebiete in Sachsen und Elsass-Lothringen. Dement¬ 
sprechend wurden ebenso wie im Vorjahre die meisten Tollwuthfälle in 
den Regierungsbezirken Marienwerder (97 gegen 66), Liegnitz (82 gegen 19), 
Posen (83 gegen 78), Breslau (78 gegen 48), Königsberg (56 gegen 38), Gum¬ 
binnen (53 gegen (54), Bromberg (52 gegen 35), Oberfranken (35 gegen 22), 
Oppeln (20 gegen 23), und in der Kreishauptmannschaft Bautzen (61 gegen 6) 
ermittelt, nur die im Vorjahre stark verseuchte Kreishauptmannschaft Zwickau 
ist diesmal nur schwach (3 gegen 25) betroffen. Von den einzelnen Kreisen 
u. 8. w. weisen verhältnissmässig viele Tollwuthfälle auf: Gumbinnen, Kronach 
imd Zittau (je 21), Lobau in Sachsen (20), Lauban und Beuthen (je 17), Thom 
und Schweidnitz (je 1(5), Briesen und Trebnitz (je 14), Strelno (13X Könitz (12), 
Fraustadt, Lissa und Loewenberg (je 11), AUenstein, Osterode in Ostpr., Birn¬ 
baum, Bromberg und Görlitz (je 10), während die im Vorjahre sehr stark be¬ 
troffenen Kreise Schroda (24), Lyck (18), Johannisberg (17), Tuchei (16), Rosen¬ 
berg in Westpr., Guhrau, Strassburg in Westpr. diesmal nur schwach bezw. gar 
nicht (Guhrau) betroffen sind. 

Nach den einzelnen Vierteljahren vertheilen sich die Tüllwuthfälle 
wie folgt: 

Es sind erkrankt und gefallen bezw. getödtet: 
im ersten Vierteljahre: 160 Thiere, darunter 139 Hunde und 12 Rinder. 


zweiten 

Ti 

: 238 „ 

Ti 

218 

» 12 

dritten 

V 

: 199 , 

Tt 

146 , 

. 46 

vierten 

V 

: 117 , 

Ti 

87 „ 

» 28 


Damarch erreichte die Seuche ihren höchsten Stand unter den Hunden 
während des zweiten, unter den Rindern dagegen während des dritten Viertel¬ 
jahres. 

Was die Verbreitung der Seuche speziell unter den Hunden anbetrifft, 
so hat dsts Berichtsjahr wiederum ergeben, dass die Grenzgebiete, insbesondere 
die östlichen, am meisten von der Tollwuth gefährdet sind und von diesen aus 
die Seuche mehr nach Westen vordringt. Von sämratlichen an Russland gren¬ 
zenden Kreisen sind nur drei (Oletzko, Wreschen und Schildberg) frei geblieben. 
Auch die an der böhmischen Grenze belegenen Kreise sind der Einschleppung 


*) Vergleiche das betreffende Referat in Nr. 1 dieser Zeitschrift; Jahrgang 
1891, S. 23. 




44 Kleinere Mittheilungen und Referate aus ZeitachrifteU. 


der Tollwuth von Böhmen her stark ausgesetzt und diesmal stärker als 
jahre betroffen gewesen. 

im Vor 

Von je 100 im Reiche an 

Tollwuth erkrankten Hunden 

entfielen 


1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

auf die Provinz Posen . . 

24,42 

21,04 

29,22 

18,29 

17,46 

„ Schlesien . 

21,23 

13,00 

9,57 

21,71 

28,14 

„ Ostpreussen 

21,00 

24,35 

24,43 

20,98 

11,69 

„ Westpreussen 

8,67 

r>,43 

13,35 

13,41 

12,03 

auf das Königreich Sachsen 

7,99 

7,56 

11,84 

7,80 

12,03 

„ Bayern 

2,74 

4,73 

0,25 

5,61 

10,34 

auf Elsass-Lothringen. . . 

0,23 

6,85 

2,02 

2,68 

1,53. 


Eine nennenswerthe Abnahme der Seuche ist also nur in Ostprenssen, eine 
geringere in Posen zu konstatiren; cs fragt sich aber, ob diese von Dauer sein 
wird. In den übrigen vorher genannten Gebieten ist eine zum Theil nicht uner¬ 
hebliche Zunahme der Tollwuth unter den Hunden bemerkbar. 

Auf je 1 von Tollwuth befallenen Hund kamen während des Jahres 1890 
im Reiche 3,67 auf polizeiliche Anordnung getödtete, ansteckungs¬ 
verdächtige Hunde gegen 3,80 im Vorjahre (in Preussen 4,06 [4,13], Bayern 
1,69 [3,61]. Sachsen 3,52 [1,63], Sachsen-Weimar 19,0 [0,0], Reuss j. L. 2,0 [0,0], 
Elsass-Lothringen 6,56 [3,09]). Die Schwankungen innerhalb der einzelnen Regie¬ 
rungsbezirke u. s. w. bewegen sich zwischen 19,00 ”/o (Sachsen-Weimar) u. 1,00 */„ 
(Merseburg, Düsseldorf, Leipzig und Zwickau); innerhalb der verseuchten Kreise 
wurden verhältnissmässig die meisten der Ansteckung verdächtigen Hunde ge- 
tödtet in Gebweiler (34,0 ®/(,), Lublinitz (29,0 ®/o), Meseritz (22,0 ®/o), Hirschberg 
und Gleiwitz (je 19,7 ®/„), Eisenach (19,0®/#), Pr. Stargard (18,0®/,), Grandenz 
(17,0*/,), Goldap (16,0®/,), Schönau 15,8"/,), Tuchei und Friedeberg (je 15,0®/,), 
^miegel (14,0®/,), Adelnauu Rosenbeig i. Ob.-Schl. (je 12,0®/,), Gels und Kosten 
(je 11,0®/,), Pless und Hersbmck in Mittelfranken (je 10,0®/,). 

144 ansteckungsverdächtige Hunde wurden unter polizei¬ 
liche Beobachtung gestellt gegen 230 im Vorjahre; also 37,4®/, weniger; 
dagegen wurden 12,4®/, mehr herrenlose wuthverdächtige Hunde als 
im Vorjahre getödtet (309 gegen 275). 

Die Verbreitung der Tollwuth in auswärtigen Staaten hat nach 
der in dem Bericht gegebenen Zusammenstellung in Belgien (182 gegen 254), 
in Frankreich (1221 gegen 1385), England (122 gegen 340), Rumänien (49 gegen 
54), Schweiz (5 gegen 7) abgenommen, in Italien und Oesterreich dagegen, wenig¬ 
stens in Bezug auf die Zahl der betroffenen Gemeinden, etwas zugenommen. 

Einschleppungen der Tollwuth aus dem Auslande sind nur verein¬ 
zelt nachgewiesen, indess lässt die beständige starke Verseuchung der östlichen 
Gebietstheile in Preussen auch für das Jahr 1890 annehmen, dass wiederholt 
wnthkranke Hunde aus dem Auslande Ubergetreten sind. Festgestellt ist, dass 
wuthkranke Hunde aus Russisch-Polen Ausbrüche der Tollwuth unter den Hunden 
in den Kreisen Stallupönen, Rosenberg in Westpr. und Kattowitz veranlasst 
haben. In den Kreisen Orteisburg, Stallupöuen tmd Strelno wurde je 1 aus 
Russisch-Polen über die Landesgrenze getretener, umherschweifender wuthkranker 
oder verdächtiger Hund und im Kreise Rosenberg in Ob.-Schl. drei solche, welche 
nachweislich 15 Hunde in Grenzorten gebissen hatten, getödtet. Durch herren¬ 
los umherschweifende Hunde aus Oesterreich-Ungam soll die Wuthkrankheit in 
zwei Orte des Kreises Neurode und in einen Ort des Kreises Pless eingcschleppt 
worden sein. Im Königreich Sachsen wurde sie an zwei aus Böhmen zugelau¬ 
fenen Hunden festestent. Ein Fall von Tollwuth im hamburgischen Staats¬ 
gebiet ist durch einen Hund aus England verursacht worden. 

Die Inkubationsdauer schwankte, so weit festgestellt werden konnte, 
bei den Hunden zwischen 8 Tagen und 10 Wochen, bei dem Rindvieh zwischen 
25 und 145 Tagen. 

Fälle von Uebertragung der Tollwuth auf Menschen sind 6 ge¬ 
meldet, welche sämmtlich tödtlich endigten und zwar je 22, 27, 52, 70 und 141 
Tage nach dem Bisse bezw. in einem Falle nach einigen Wochen. Rpd. 

Uebertragnngen von Thiersenchen anf Menschen im dentschen 
Reiche während des Jahres 1890. In dieser Beziehung enthält der vorher¬ 
erwähnte Jahresbericht noch folgende interessante Mittheilungen: 



Kleinere Mlttheilangen und Referate aus Zeitschriften. 


45 


a. Uebertragnngen des Milzbrandes auf Menschen sind 111 Fälle 
fgegen 44 im Vorjahre) gemeldet, von denen 11 tddtlich verliefen. Die häufigste 
Veranlassung bildete das Abschlachten milzbrandkranker Thiere bezw. das Oeff- 
nen und Abhänten der Kadaver von an Milzbrand verendeten Thiere; daher auch 
die verhältnissniässig grosse Anzahl (36) von Fleischern, Abdeckern und deren 
Gesellen unter den erkrankten Personen. Von Uebertragungen des Milzbrandes 
ans anderen Ursachen sind ferner ermittelt worden; drei Fälle von Infektion 
durch Wolle von an Milzbrand gefallenen Schafen; 2 Fälle durch Infektion bei 
der Desinfektion eines Stalles (angeblich durch Fliegenstich); 1 Fall durch den 
Genuss der Zunge einer nothgeschlachteten milzkranken Kuh; 1 Fall durch 
Ausräumen des Mastdarms einer an Milzbrand erkrankten Kuh; 1 Fall (Arzt) 
durch Infektion beim Spalten eines Karbunkels, sowie einige Fälle durch Be¬ 
schäftigung in der Gerberei bezw. mit amerikanischen oder russischen Bohhäuten. 

b. Eine Uebertragnng des Rotzes auf Menschen ist nur in einem Falle, 
bei einem 12 jährigen Knaben beobachtet, der sich an der Nase eine Rotzinfektion 
von dem erkrankten Pferde seines Vaters zugezogen hatte, die sich durch An¬ 
schwellung wie durch Gaschwüre auf und in der Nase kennzeichncte, durch 
energische Behandlung jedoch in einigen Wochen abheilte. 

c. Uebertragungen der Maul- und Klauenseuche auf Menschen: In 
Folge des Genusses ungekochter Milch von seuchekranken Thieren er¬ 
krankten in den Kreisen Gostyn: 2 Kinder im Alter von 1*/*—3 Jahren; Wirsitz: 
mehrere Frauen; Frankenstein,Witzenhausen, Lüdinghausen je ein Kind; Leer: 

3 Personen; ferner im Kreise Fulda, in Frankfurt a. M. und Schwarzburg-Rudol- 
stadt: mehrere Personen; in Bayern 20, in Schorndorf gegen 10, in Ehingen 

4 Personen. Nach dem Genüsse von Butter, die aus Milch senchekranker Kühe 

hergestellt war, hat ein Thierarzt bei seinen zwei eigenen Kindern eine An¬ 
steckung beobachtet; desgleichen wird ein ähnlicher, in der Zeitschrift für Fleisch- 
und Milchhygiene (1891., S. 55) bereits veröffentlichter Erkrankungsfall nachdem Ge¬ 
nüsse von Süssrahmbutter erwähnt. — Durch den Verkehr mit erkranktem 
Vieh wurden gleichfalls verschiedene Personen infizirt und zwar besonders solche, 
die Kühe mit kranken Eutern gemolken hatten. Rpd. 


Chemisch-bakteriologische Analysen einiger Wnrstwaaren. Ein 
Beitrag zum Studium der Nahrungsmittel-Konservirung. Von Alessandro 
Serafini, Assistenten am hygienischen Institut der Universität Rom. (Au.s 
dem hygienischen Institut zu München). Archiv für Hygiene, XIU, 2. 

Verfasser hat 21 der verschiedensten Wurstsorten, Bratwurst, frische 
Wurst, Leberwurst, Gothaer Cervelatwnrst, Mailänder Salami u. s. w. zu seinen 
Untersuchungen auserwählt; dementsprechend ist die chemische Zusammensetzung 
sehr verschieden, so dass beispielsweise der Wassergehalt von 13—61 Prozent, 
der Fettgehalt von 18—70 Prozent schwankt. Antiseptische Zusätze, auf welche 
jedesmal gefahndet wurde, fanden sich nur ein Mal, in Gestalt von 1 Proz. Bor¬ 
säure. Stärke fand sich einmal als 5 proz. Zusatz zu sehr gehaltloser Münchener 
frischen Wurst; dagegen enthielt fast die Hälfte der Würste Salpeter. 

Die Resultate der sehr fieissigen und umsichtigen bakteriologischen Unter¬ 
suchung sind in üblicher Weise in Tabellenform niedergelegt. Alle, auch die 
bereits über Jahresfrist in tadellosem Zustande konservirten Dauer-Wnrstsorten 
enthielten Bakterien. Dieselben waren in der Dauerwurst indessen in Sporen- 
Gestalt oder in „latentem Zustand“, während sie in den frischen Wurstsorten, 
Münchener Bratwurst, Regensburger Wurst u. s. w. in voller Aktivität vor¬ 
handen waren. Fast immer (in 20 von den 21 untersuchten Fällen) war ein und 
derselbe verflüssigende Bacillus vorhanden, und zwar offenbar in Sporenform, 
denn er fand sich auch noch nach Erhitzen der Proben auf 100 **, wodurch die 
anderen Bakterien gewöhnlich vernichtet wurden. Nach Verfasser ist dieser 
Bacillus identisch mit dem Bac. mesentericus vulgatus und stammt ans den zur 
Wurst verwendeten Schweinedärnien. 

Bei der Besprechung der Verhältnisse, welche die lange Haltbarkeit ge¬ 
wisser Wnrstsorten zur Folge haben, findet der Einfluss des Räucherns, über 
welchen eine speziellere Untersuchung des Verfassers in Aussicht gestellt wird, 
nur in einer Anmerkung eine kurze Würdigung. Der Einfluss des hohen Fett¬ 
gehaltes auf das Bakterienleben wird etwas summarisch behandelt. Nach Ver¬ 
fasser liegt die Ursache, weswegen die in der Wurst enthaltenen Bakterien 



46 Kleinere Mittheilungen und Referate au^ Zeitschriften. 

nicht zur Entwickelung gelangen, nicht in diesen Verhältnissen, sondern fast 
ausschliesslich in dem zu geringen Wassergehalt. Dementsprechend sind die wasser¬ 
reichen Wurstsorten zu längerer Konservirung nicht geeignet. Der Kochsalz¬ 
gehalt ist nur insofern von Einfluss, als er das Bakterieuwachsthum verzögert, 
bis die Austrocknung den nöthigen Grad erreicht hat. Zur dauernden Vernich¬ 
tung der Bakterienentwicklung ist dagegen das Kochsalz in denjenigen Mengen, 
wie es der Wurst zugesetzt wird, nicht im Stande. Dasselbe gilt von antisep¬ 
tischen Zusätzen, welche deshalb nicht nur überflüssig, sondern als gesundheits¬ 
schädlich zu verwerfen sind. Auch der Salpeter, welcher der Wurst hinzugesetzt 
wird, um die frische Fleischfarbe zu erhalten, ist nach Verfasser zu diesein 
Zwecke nicht erforderlich, wobei er sich auf salpeterfreie ungarische Salami 
beruft, welche bei sehr langer Konservirung eine tadellose Farbe beibehaltcn 
hatte. Der Salpeter wird in Mengen von 100—200 gr. auf 50 kg. Fleisch hin¬ 
zugesetzt, und ist in dieser Menge nach Verfasser bereits nicht unbedenklich. 
Indem nämlich Verfasser die gewöhuliche, auf einmal genossene Menge Salami¬ 
wurst — selbst für deutsche AppetitverhÜtnisse etwas reichlich — auf 250 gr. 
berechnet, kommt er zu dem Resultat, dass mit einer solchen Mahlzeit 1 gr. 
Salpeter genossen werde, eine Menge, welche bei täglicher Aufnahme wohl sehn¬ 
lich wirken könne. Im Allgemeinen ist Verfasser wohl beizustimmen, wenn er 
die allgemeine übliche Verwendung von Salpeter zur Fleischkonserviruug ver¬ 
boten wissim will. Ob dagegen die vom Verfasser vorgeschlagene Desintizirung 
der Därme vor der Verwendung praktisch ausführbar und ob sie geeignet ist, 
jegliche Quelle für den Bakterienzutritt zur Wurst zu verstopfen, erscheint dem 
Referenten mindestens zweifelhaft. Im Allgemeinen wird allerdings auch hierin 
etwas grössere Reinlichkeit und Sorgfalt, als häufig üblich, anzustreben sein. 

Dr. Langerhans -Hankensbttttel. 


Die amerikanischen Trichinen. Von Professor W. Kr ause in Oöttingen. 
Allg. Wiener mediz. Zeitung 1891 No. 51. 

Verfasser bringt in einem kurzen Aufsatz, ohne bestimmte Disposition eine 
Reihe, zum Theil recht interessanter Details über die Trichinen frage, welche 
durch die Wiedergestattung der Einfuhr amerikanischen Schweinefleisches neuer¬ 
dings zu einer brennenden geworden ist. Er weist zunächst auf die spezifische 
Verschiedenheit der Maulwurfstrichine (Trichina affinis) von der Trichina spiralis 
hin; er bespricht dann die grosse Häufigkeit der Trichinen in amerikanischem 
Schweinefleisch, wobei er eine vom November 1891 datirte Angabe von Bracke¬ 
busch anführt, wonach von 3000 untersuchten Schinken nicht weniger als 2^4 
Proz. trichinös waren. Wenn nun auch, trotzdem weder in Deutschland, noch 
in England und Frankreich, welche kein Einfuhrverbot erlassen haben, niemals 
eine Erkrankung durch amerikanisches Schweinefieiach mit Sicherheit konstatirt 
worden ist, so will Verfasser diese negativen Erfahrungen doch nicht als Beweis 
für die Ungefährlichkeit amerikanischen Schweinefleisches gelten lassen, sondern 
er beruft sich auf die Schwierigkeit der Diagnose in sporadischen Fällen. Aller¬ 
dings erscheint es nicht recht einleuchtend, warum das amerikanische Schweine¬ 
fleisch nur sporadische Fälle und keine Epidemien hervormfen soll und Krause’s 
Behauptung: „Ein einziger Schinken macht noch keine Epidemie‘‘ dürfte doch 
wohl auf berechtigten Widerspruch stossen. 

Interessant ist die Vorschrift, durch Anwendung warmen Wassers und 
durch Druck mit dem Deckglaae die Trichine aus ihrer Kapsel zu befreien und 
zu Bewegungen anzuregeu, wodurch ohne Fütterungsversuche ihre Lebensfähig¬ 
keit nachzuweisen sei. Auch die Angaben über die früher in Amerika gebräuch¬ 
liche Behandlung der Schinken mit Synij) und über die Fütterung der Schweine 
mit den Fleischabfällen aus den Schweineschlachtereien, wo<lurch mit mathema¬ 
tischer Gewissheit nach dem bekannten Beispiel von den Schachbrettfeldem der 
Prozentsatz der trichinenhaltigen Schweine in rat)idester Weise zu nehmen musste, 
verdienen alle Beachtung. Desgleichen kann man Krause's Ausführungen 
über die Verwerfiiehkeit der Sitte, Schweinefleisch, bezw. Schinken in rohem Zu¬ 
stande zu geniesseu, bereitwilligst zustimmen; indessen muss der Hygieniker mit 
dieser nun einmal vorhandenen und vorläufig unausrottbaren Sitte rechnen, er 
muss aber auch die Unentbehrlichkeit amerikanischen Schweinefleisches für eine 
g(‘nügend gehaltreiche Massencniährung im Auge behalten und kann daher auch 
aus Krauses Aufsatz nur eint? neue Bestätigung dafür entnehmen, wie noth- 



Kleinere Hittheilongen und Referate aus ZeiUchriftcu. 


47 


wendig es ist, dass diese hochwichtige Frage ohne jede Rücksicht auf die ver¬ 
schiedenen Wünsche politischer Parteien, lediglich vom wissenschaftlichen Stand¬ 
punkt aus, etwa im Reichsgesundheitsamt, durch umfassende Fütterungsversuche 
endlich zu einer einwandfreien Lösung geführt werden möge! Ders. 


Die angebliclie (icsnndheitsschädlichkeit des amerikanischen 
Schweinefleisches. Von Dr. Carl Fränkel, Professor der Hygiene an der 
Universität Marburg. Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 51; 1891. 

Nach Aufhebung des deutschen Einfuhrverbotes für amerikanisches 
Schweinefleisch wird der obige Aufsatz F r ä n k e 1’ s das allgemeine Interesse 
der Vertreter der Sanitätspolizei erregen, aber auch ebenso wegen der in ihm 
aufgestellten zwei Behauptungen vielfach Widerspruch begegnen. 

Der Verfasser behauptet einmal, dass die im amerikanischen 
Schweinefleisch cingeführten Trichinen bei ihrer Ankunft in 
Deutschland nicht mehr wirkungsfähig seien und zweitens, dass 
der sicherste Schutz gegen die Trichinose durch den Verzicht 
auf rohes Fleisch, d. h. also, durch Kochen und Braten des letzteren, 
gegeben werden. 

Zum Beweise dieser beiden Sätze führt Fränkel an, dass in denjenigen 
Ländern, in welchen niemals ein Einfuhrverbot für amerikanisches Schweinefleisch 
bestanden hat, auch eine besondere Untersuchung der sehr erheblich eingeführten 
und verzehrten Mengen dieses Nahrungsmittels nicht stattfindet, z. B. in Eng¬ 
land, Belgien und Holland, die menschliche Trichinose entweder zu den grössten 
Seltenheiten gehörte oder überhaupt nicht vorkommt. Ebenso sei es eine That- 
sache, dass in denjenigen Ländern, welche ein Einfuhrverbot besitzen, vor Erlass 
desselben Fälle von Trichinose beim Menschen, die mit Sicherheit dem Genuss 
von amerikanischem Schweinefleisch zur Last gelegt werden könnten, unter die 
sehr grossen Ausnahmen zu rechnen sind. Aus einer vom Verfasser zusammen¬ 
gestellten Tabelle, in welcher die in den Jahren 1878—83 in Hamburg getrennt 
von einander untersuchten amerikanischen und deutschen Waaren mit den er¬ 
haltenen Ergebnissen verzeichnet sind, erhellt, dass mindestens 2—3 % aller ein¬ 
geführten amerikanischen Fleischwaaren als trichinös angesehen werden müssen 
und dass das amerikanische Schweinefleisch sehr viel mehr Trichinen, als das 
deutsche, enthält. Fränkel sucht den augenscheinlichen Widerspruch, welcher 
zwischen der festgestellten Häufigkeit des Vorkommens der amerikanischen Tri¬ 
chinen und der geringen Zahl nach Genuss des amerikanischen Schweinefleisches 
auftretenden Gesundheitsschädignngen besteht, durch die Art der Zubereitung, 
d. h. durch die Einsalzung, Einpökelung und Räucherung des amerikanischen 
Schweinefleisches zu erklären, wodurch die Trichinen unschädlich gemacht wer¬ 
den, während er nach Ansicht des Referenten ganz ausser Acht zu lassen scheint, 
dass die als trichinös befundene amerikanische Waare doch aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach kassirt und somit gar nicht zur Verwendung gekommen ist, sich das 
eigentliche Verhältniss also schon sehr ändert. 

Nach den allgemeinen Erfahrungen, wie den Untersuchungen von Köhnc, 
Blasius, Esmann u. A. gilt als festgestellt, dass längere Einwirkung des 
Salzes die Trichine tödtet, in dünnen Stücken in spätestens 6 Wochen, in dickeren 
in 4 Monaten. Die amerikanischen Speckseiten werden nun nach Blasius durch¬ 
schnittlich 3 Monate und zwar weil sie für den Export berechnet sind, sehr 
stark gesalzen; demnach sei es theoretisch kaum denkbar, dass in ihnen noch 
lebende Trichinen enthalten sind. Fränkel führt nun weiter an, dass zwar 
von Dr. Hertwig, dem Direktor der städtischen Fleischschau in Berlin, den er 
selbst als eine Autorität ersten Ranges aut’ diesem ganzen Gebiete bezeichnet, 
jüngst eine erhebliche Anzahl von lebenden Trichinen iru amerikanischen Fleisch 
angetroffen worden sei, aber es komme doch hier nicht auf die Lebens-, 
sondern auf die Ansteckungsfähigkeit der Parasiten an, ob die durch 
Räuchern oder Einsalzen geschwächten lebenden Trichinen noch ira Stande seien, 
sich fortzupflanzen, sich zu vermehren und dadurch eine Infektion hervorzurufen, 
und diese Frage sei auf dem Wege des Thierversuches, durch Verfütternng 
trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches auf empfängliche Thiere, im ver¬ 
neinenden Sinne entschieden (y). Es sei damit nicht bewiesen und solle auch 
nicht bewiesen werden, dass das amerikanische Schwfänefleisch niemals, unt(T 
keinen Umständen, Trichinose veranlassen könne, es sei dies vielmelir eine M i’)g- 



48 


Kleinere Mittheilungen und Referate an« Zeitschriften. 


lichkeit (also doch, Bef.), die man immer im Ange behalten müsse, aber 
jedenfalls sei das amerikanische Schweinefleisch weit ungeföhrlicher, als das 
einheimische!? 

Zur zweiten Behauptung, dass lebende Trichinen durch Kochen und Braten 
unschädlich gemacht würden und diese Zubereitung des Fleisches deshalb einen 
Tüllig sicheren Schutz gegen Trichinose gewähre, bemerkte Fränkel, dass die 
zur Abtödtung der Trichinen erforderlichen höheren Wärmegrade, zwischen 60 
bis 70nicht überall im Haushalt beim Kochen und Braten, besonders umfang¬ 
reicherer Stücke erreicht würden; aber doch erfülle das Kochen seinen Zwed^, 
da schon durch die Erhitzung des Fleisches bis nahe an die Tödtungstemperatur 
der Parasiten, die letzteren in ihrer Lebensenergio wenigstens so geschwächt 
würden, dass sie nicht mehr infektiös zu werden vermöchten. Nicht ein 
einziger Todesfall an'Trichinose sei bekannt geworden, der sich 
nach dem Genüsse gekochten Fleisches ereignet hätte. Wollte 
man die „Geföhrlichkeit" des amerikanischen Schweinefleisches vollends aus der 
Welt schaffen, so sorge man dafür, dass dasselbe nicht im rohen Zustande'ge- 
nossen werde und warne öffentlich vor dieser Unsitte, man würde dadurch mehr 
erreichen, als durch eine nochmalige Trichinenschau der eingeführten amerika¬ 
nischen Waaren durch deutsche Beschauer. Wie unvollkommen die Trichinenschau 
fnnktionire, gehe am besten ans der Thatsache hervor, dass bei uns fast 
alle Erkrankungen an Trichinose — jährlich im Durchschnitt immer 
noch mehr als 100, — durch Genuss von Schweinefleisch veranlasst 
wurden, welches die Schau passirt habe, — wie Referent sich hinzu- 
zufügen erlaubt, aber wohl nur die von nachlässigen Fleischbeschauem. — 
Man dürfe nidit vergessen, dass die Trichinenschau nur ein kümmerlicher (?) 
Notbbehelf sei und dass jeder verständige Mensch die Pflicht habe, dahin zu 
wirken, dass der in jeder Hinsicht zu vemrtheilende Genuss von rohem Fleisch 
und namentlich rohem Schweinefleisch, amerikanischen wie einheimischen 
Ursprungs, unterbleibe. 

Referent wandte sich nach Durchsicht der Fränkel'sehen Arbeit direkt 
an Herrn Dr. Hertwig in Berlin um Auskunft nnd erhielt von diesem in be¬ 
kannter Liebenswürdigkeit umgehend Nr.96 der AllgemeinenFleischer- 
Zeitnng nnd Nr. 51 der deutschen Fleischerzeitnng zi^esandt, in 
welchen sich ein Artikel aus der Feder des ebengenannten Direktors der 
Berliner städtischen Fleischschau, „über den amerikanischen Fleisch¬ 
import und die Trichine“ befand, wie ein Aufsatz des Herrn H. L. J. 
Dunker-Berlin „praktische Erfahrungen über amerikanische 
Fleischwaaren.“ Beide Herren beschäftigen sich eingehend mit der Frän- 
kel’schen Arbeit nnd vertreten, wiewohl nicht anders zu erwarten stand, ganz 
entgegengesetzte Anschauung. Zunächst wird der Behauptung entgegengetreten, 
dass der Genuss trichinösen amerikanischen Schinkens nicht mit Gefahren ver¬ 
bunden sei, weil die Trichinen in demselben abgestorben sind. Bei 
der Untersuchung des amerikanischen Fleisches seien wiederholt lebende Trichinen 
gefunden, vormegend allerdings getödtete. Wurden nun in den angefertigten 
Präparaten Trichinen gefunden, so wurde nach den geltenden Bestimmungen 
das Fleisch konfiszirt, als zur menschlichen Nahrung ungeeignet. Mit der Fest¬ 
stellung der Trichinen war die Untersuchung beendet nnd der Fleischbe- 
schauer hatte keine Veranlassung nachzuforschen, ob im Innern des Fleisches 
noch lebende Trichinen vorhanden wären oder nicht; das Zahlenverhältniss 
zwischen gefundenen getödteten und lebenden Trichinen würde ohne Zweifel 
nach beiden Autoren bei weiteren Untersuchungen ein anderes geworden sein 
zu Gunsten der lebenden Trichinen. Dabei seien die Proben für die Unter¬ 
suchung in der Regel als feine Scheibe von den oberflächlich gelegenen Theilen 
des Fleisches, welche am nachhaltigsten mit dem Pökelsalz in Berührung ge¬ 
kommenwären, entnommen nnd es liege auf der Hand, dass die in diesen Theilen 
beflndlichen Trichinen auch am ehesten getödtet waren. Dunker führt an, 
dass die Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre nach Berlin gelangenden 
amerikanischen Schinken anfangs sehr gut durchgesalzen, durchgcräuchert nnd 
auch sonst von vorzüglicher Qualität gewesen seien, dass aber nach und nach 
die Schinken sich immer leichter gesalzen nnd geräuchert gezeigt hätten und 
dies zuletzt so weit gegangen sei, dass ganze Fässer Schinken konfiszirt werden 
mussten, weil das Innere der letzteren in Fäulniss übergegangen, 
die Schinken in Folge dessen aufgetrieben und auf der Schnittfläche übelriechend 



j^leinera IfitUwiliuigen nnd Referate ans Zeitschriften. 4ii 

waren. Ebenso h&tten in der ersten Zeit des Imports die Kapseln der Trichinen, 
wie auch diese selber, durch die Einwirkung; des Räucherns eine rotbbraune 
Färbung gehabt, später sei die Färbung immer blasser geworden. Die von 
solchen wenig geräucherten und gepökelten amerikanischen .Schinken entnommenen 
Trichinen wurden an Kaninchen verfüttert und erzielten Darmtrichinon. 
Die von Fränkel angeführten FUttemngsversuche mit negativem Erfolg linden 
nach Dnnker ihre Erklärung in der Verwerthnng ungeeigneten Materials und 
seien die Proben vor allem nicht ans der Mitte des Schinkens herausgenommen. 
Auch bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens der Trichinen bei amerikanischen 
Sdiweinen weichen die Ansichten der beiden Thierärzte wesentlich von der 
Fränkel’schen und anderer Autoren ab, welche die Ungefährlichkeit des ame> 
rikanischen Schweinefleisches hervorheben; so wurden z. B. am 15. Oktober 1880 
unter 95 Stück lebenden amerikanischen Schweinen in Dresden bei der mikrosko* 
pischen Untersuchung 14 Stück trichinös befunden. Ebenso war die Anzahl der 
in amerikanischen Fleischwaaren angctroffcnen Trichinen mitunter eine enorme 
und es war keine Seltenheit, dass man die Trichinen eines einzigen mikrosko* 
pischen Gesichtsfeldes nicht zu zählen vermochte, ‘'„sie lagen so dicht über und 
neben einander, dass kaum noch möglich war, einzelne Fleishhfascm dazwischen 
zu konstatiren.* 

Schliesslich wenden sich beide Herren energisch gegen die Behauptung 
Fränkel *s, dass die mikroskopische Trichinenschau nicht im Stande sei, das 
Vorhandensein der Trichinen stets mit Sicherheit festzustellen und dass dieselbe 
das Publikum in eine falsche Sicherheit wiege und daher mehr schädlich als 
nützlich wirke. Wäre Kochen und Braten wirklich das einzige Mittel, einer 
Infektion vorznbengen, so würde Dnnker den Vorschlag machen, an den Im¬ 
porthäfen die nöthige Anzahl Kocheinrichtnngen, z. B. grosse Rohrbeck’sche 
Fleisch-Desinfektoren aufzustellen und nur gekochte amerikanische Fleischwaaren 
in den Verkehr kommen zu lassen. Glücklicherweise sei aber dieses nicht nöthig; 
denn durch die mikroskopische Fleischschan sei man sehr wohl im Stande, 
Trichinenerkrankungen zu vermeiden, wenn sie nur richtig gehandhabt 
werde. Alljährlich werden nach Dr. Hertwig in Prenssen einige Tau¬ 
send trichinöse Schweine ermittelt und unter diesen eine grosse Anzahl, welche 
in einem sehr hohen Grade mit Trichinen behaftet sind, und in Folge dessen die 
Veranlassung zu Trichinenepidemien hätten werden können. Beide Autoren 
stimmen darin überein, dass trotz aller bisherigen gegentheiligen Behauptungen 
die vielgepriesene Sicherheit des amerikanischen Schweine¬ 
fleisches eine recht bedenkliche sei und die deutschen Behörden im 
gesundheitlichen Interesse der deutschen Konsumenten nur richtig handeln, 
wenn sie den Verkauf des amerikanischen Schweinefleisches 
in Deutschland von einer nochmaligen mikroskopischen Unter¬ 
suchung durch einen deutschen Fleischbeschauer abhängig machen. 

Dr. Dtttschke-Anrich. 


Die Aufgaben und die Organisation einer obligatorischen Fleisch¬ 
beschau unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und 
der Rechtsprechung. Von Dr. Max Bleisch, Kreisphysikus zu Kosel O.-S. 
Vierteljahrsschrift für ger. Med. und öfl'entl. San.-Wesen; 3. Folge II. 

Nach einem kurzen historischen Abriss Uber die Entwickelung der 
Fleischnahrungshygieno bespricht Verfasser die Aufgaben der Fleisch¬ 
beschau, die in dem Schutze des Publikums thcils gegen die Beschädigung 
seiner Gesundheit, theils gegen Uebervortheilung bestehen. Es werden die ein¬ 
schlägigen Gesetze (Strafgesetzbuch, Nahrungsmittel-, Rinderpest-, Viehseuchen¬ 
gesetz) dem Wortlaut nach wiedergoguben, und die Begriffe „gesnndheitsgefähr- 
Uch, verdorben, verfälscht, nachgemacht“ nach der Sprechpraxis des Reichsgerichts 
erläutert. Es folgt eine Besprechung der in der Beschaffenheit der Schlacbtthiere 
begründeten Mängel, je nachdem dieselben in Notblage geschlachtet, an Infektions¬ 
krankheiten erkrankt, chronisch leidend oder mit krankhaften Veränderungen 
lokaler Natur behaftet, durch medikamentöse Gifte minderwerthig gemacht sind, 
ferner die Erörterung der nach dem Tode der Thiere entstandenen Mängel des 
Fleisches, als da sind solche, die^ sich durch die Fäulniss, durch nachträgliche 
Infektion (z. B. durch Typhusgift), durch Vegetation pflanzlicher Organismen 
(rothgeflecktes, leuchtendes, verschimmeltes Fleisch), dnreh Maden, durch Ein- 



50 Kleinere Mittheilungeu und Eeferate ans Zeitschriften. 

Wirkung der Sonne oder des Regens entwickeln; die Veränderungen des Fleisches 
durch menschliches Znthmi: Aufblasen, Färben, Versetzen mit minderwerthigen 
Stoffen. 

Nach Lage der Gesetzgebung (Schlachthansgesetz) ist die obligatorische 
Fleischbeschau auf einzelne bevorzugte Ortschaften beschränkt, was nach Ver¬ 
fasser auf erhebliche Bedenken stösst, weil aus den mit Schlachthäusern ver¬ 
sehenen Orten das kranke Vieh in Bezirke, wo keine Fleischbeschau besteht, 
abgeschoben wird. Deshalb ist eine a llg emeine Fleischbeschau auch 
fOr diejenigen Bezirke, welche nicht in derLage sind, dieselbe 
nach Massgabe des Schlachthausgesetzes durch Ortsstatut ein- 
zuftthren, dringendes Bedürfniss. Letzterem könnte durch Polizei-Ver¬ 
ordnungen genügt werden, welche für möglichst grosse Distrikte (Regierungs¬ 
bezirke) zu erlassen wären und dreierlei: den Schlachtverkehr, den Fleischverkehr 
und die Fleischbeschau zu regeln hätten. 

Der Schlacht verkehr müsste räumlich und zeitlich konzentrirt werden, 
am besten mittels öffentlicher Schlachthäuser, die sich auch in kleineren Städten 
lebensfähig erwiesen haben, deren Einrichtung auch armen Gemeinden durch 
äusserste Beschränkung der Anforderungen seitens der Behörden ermöglicht 
werden sollte, und die um so nothwendiger sind, als in Orten ohne öffentliche 
Schlachtstätte die Fleischbeschau wegen der Vielheit der einzelnen Schlachtstätten 
nicht gehörig durchführbar ist. 

Hier geschieht die Konzentration des Schlachtbetriebes zunächst durch 
Beschränkung der Zahl der konzessionirten und zu überwachenden Schlacht¬ 
stätten. Das Schlachten zur Nachtzeit müsste verboten werden, um eine der 
Kontrole hinderliche Häufung des Schlachtmatcrials, namentlich gegen das Ende 
der Woche, zu verhüten. Mit der Schlachtung, mindestens aber mit der Zer¬ 
legung des Thieres, ist bis zur Ankunft des Fleischbeschaners zu warten. 

Minder wichtig als Schlachthäuser sind öffentliche Fleischverkaufs- 
stätten, die überhaupt in Orten ohne Schlachthaus (wegen der Verkehrser- 
schwemng sowie der Kosten) schwer einzuführen, dort aber, wo ein solches 
vorhanden, überflüssig sind, weil in letzterem Falle das von auswärts eingeführte 
Fleisch nnzerlegt oder bei grösseren (Thieren in nicht zu kleine Stücke zerlegt, 
zum Zweck der Untersuchung durch das Schlachthaus geleitet werden kann. 
In Orten ohne Schlachthaus ist alles zum Verkauf bestimmte Fleisch dem ein¬ 
heimischen Fleischbeschauer vorzulegen. Das beanstandete Fleisch ist je nach 
dem Grade seiner Minderwerthigkeit polizeilich zu behandeln. Nicht bank¬ 
würdiges Fleisch ist durch einen Zettel gekennzeichnet auf die „Freibank“ zu 
beschränken, die am besten innerhalb der Schlachtstätte ihren Platz findet, oder 
aber, wo keine Freibank, auf dem Markte streng gesondert von dem bankwür¬ 
digen feilznhalten. Pferdefleisch sollte nur in eigenen Verkanfsstätten feilge¬ 
halten werden dürfen. In den „fliegenden“ Verkaufsstätten der Wochenmärkte 
sollte das am Ort geschlachtete von dem importirten Fleisch unterscheidbar 
gemacht sein. 

Der geeignetste Fleischbeschauer ist der Thierarzt, sonst ein Fleisch¬ 
beschauer niederer Gattung, der in einem grösseren Schlachthause einen Lehrknrsus 
dnrchgemacht und eine Prüfung bestanden hat. Die Schweinebeschau könnte, 
von der übrigen Flcischschau getrennt, dem Trichinenschauer übertragen werden. 
In kleinen Bezirken könnte der letztere — geeignete Ausbildung voraus¬ 
gesetzt — mit der gesammten Fleischbeschau betraut werden. KontroUrt 
werden die Fleischbeschauer durch beamtete Thierärzte bezw. durch die Polizei¬ 
behörde mittels Kontrolbücher. Der Fleischbeschauer seinerseits überwacht das 
Schlachtgeschäft und kontrolirt die Gewerbetreibenden ebenfalls durch Kontrol¬ 
bücher. Neben der ordentlichen ist eine ausserordentliche Beschau in den Ver¬ 
kaufsstätten der Gewerbetreibenden, namentlich auf den Wochenmärkten noth- 
wendig; letztere ist dem Thierarzte vorznbehalten. 

Die zu erlassenden Polizei-Verordnungen (s. oben) hätten 1. eine Verordnung 
betr. den Schlacht-, Fleisch- und Fleischwaarenverkehr, 2. ein Reglement für 
die Prüfung und Anstellung der Fleischbeschauer, 8. eine Dienstanweisung für 
die Fleischbeschauer zu umfassen. 

Zum Schluss plädirt Verfasser für die Zulasstmg der Einfuhr lebenden 
Viehes in Grenzschlachthäuser auch in Zeiten veterinärpolizeilicher Grenz¬ 
sperren, weil so am wirksamsten der nnkontrolirten Einführung geschlachteten 
Fleisches begegnet wird. Dr. Lustig- Liegnitz. 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschrifteu. 


51 


Die Gehaltsregnlirung der bayerischen Staatsdiener und der amt¬ 
lichen Aerzte. Von Hofrath Pr. Brauser in Kegensburg. (Münchener mediz. 
Wochenschrift No. 47, 1891.) 

Der vorstehende Aufsatz bringt in Bezug auf die Gehaltsaufbesserung und die 
Stellung der bayerischen Medizinalbeamten so manche, auch für preussische W^rhält- 
nisse durchaus zutreffende Ausführungen, dass diese auch die Leser unserer Zeitschrift 
in hohem Grade interessiren dürften. Verfasser schildert den Entwicklungsgang 
des bayerischen Medizinalweseus, speziell in Bezug auf die Stellung der beamte¬ 
ten Aerzte und betont hierbei, dass diese von jeher Beamte im strengsten Sinne 
des Wortes nach ihrem Range und ihrer »Stellung waren, nicht aber ihrer Be¬ 
soldung nach, welche weit hinter der Besoldung derjenigen Beamtenkategorien 
zurückgeblieben ist, mit welchen sie dom Range nach gleichgestellt waren. Auch 
nachdem sich der Wirkungskreis der amtlichen Aerzte im Laufe der Jahre nach 
mancher Richtung verändert und ihre amtliche Thätigkeit durch die Einziehung 
der Bezirksarztstellen II. KL, wie durch die sich stets mehrenden Aufgaben der 
Gesundheitspflege, durch vielseitige Berichterstattungen, durch die Ausarbeitung 
umfassender Jahresberichte, Anfertigung einer Reihe von statistischen Tabellen 
u. s. w. sowohl der Intensität als Extensität nach sehr erheblich zugenommen 
hat, geschieht ihre Besoldung gleichwohl noch immer nach dem früheren Prinzipe, 
indem die gleichzeitige Ausübung privatärztlicher Praxis in Anrechnung gebracht 
wird. Pie bayerischen Medizinalbeamten stehen dem Range nach auf gleicher 
Stufe mit den Oberamtsrichtem, Bezirksamtmänuem, Landgerichtsräthen, also 
den Beamten der Klasse VII a und b des Gehaltsregulatives der bayerischen 
Staatsdiencr. Dem Gehalte nach stehen sie in Klasse X a, b und c, beginnen 
mit einem Anfangsgehalte von 2160, 1800 resp. 1440 Mk., welcher nur zweimal 
durch Triennialzulagen von 360 M. steigt und bei den Landgerichtsärzten mit 
einem Maximalgehalte von 2880, bei den Bezirksärzten 1. Klasse mit 2520 M. 
abschliesst, während das Gehalt bei allen übrigen Beamten allerdings nur in 
Quinquennien, aber ohne Grenze steigt, so dass diesen Beamten die Möglichkeit 
gegeben ist, sich durch längeres Ausharren im Dienste ein höheres Gehalt bezw. 
eine höhere Pension zu sichern. 

Eine weitere empfindliche Ungleichheit in der Entlohnung der amtlichen 
Aerzte gegenüber anderen Beamten ist, dass diese bei Ausübung amtlicher 
Funktionen entfernt vom Amtssitze neben Entschädigung für Fahrgelegenheit 
noch Tagesdiäten oder ein Reiseaversum in verhältnismässiger Höhe zu ihrer 
Stellung erhalten, während der amtliche Arzt dem Staate nur die Unkosten des 
Transports in Rechnung stellen darf und keine Tagesdiäten, als Ersatz für den 
Verlust an Zeit*) und dadurch bedingten Entgang anderweitigen Erwerbes, er¬ 
hält. Und doch ist der amtliche Arzt bei Berechnung seiner staatlichen Bezüge 
auf anderweitigen Erwerb durch Privatpraxis angewiesen, an deren Ausübung 
er durch seine amtliche Thätigkeit verhindert w'ird. Mit der Privatpraxis der 
amtlichen Aerzte ist es nach Ansicht des Verfassers überhaupt schlecht be¬ 
stellt. Der Medizinalbeamte findet jetzt bei dem Ueberfluss an Aerzten stets 
Konkurrenz an seinem Amtssitze, er ist nicht wie früher der Vorgesetzte der 
praktischen Aerzte, er ist ihnen in Bezug auf die Privatpraxis vollkommen 
koordinirt, sogar dem praktischen Arzte gegenüber im Nachtheile; denn bei ge¬ 
wissenhafter Ausübung seiner amtlichen Thätigkeit besonders auf dem Gebiete 
der Gesundheitspflege und Sanitätspolizei wird er häufig in Konflikt mit der 
Einwohnerschaft kommen und dadurch leicht die Gunst des Publikums ein- 
büssen. Der amtliche Arzt muss ferner an dem ihm vom Staate zugewiesenen 
Posten ausharren, auch unter den ungünstigsten Verhältnissen, während der 
praktische Arzt seinen Wohnsitz jeden Augenblick wechseln kann. Er „ist in 
Folge seiner amtlichen Thätigkeit häutig ortsabwesend oder in seiner Zeit so 
beschränkt, dass er der Privatpraxis nicht so nachgeheu kann, wie der allein 
auf diese angewiesene praktische Arzt. Bei seiner Ernennuung zum amtlichen 
Arzte auf eine durch Ableben, Versetzung oder Pensionirung erledigte Stelle 
kommt er an den Ort seiner Wirksamkeit, nachdem die Stelle bereits Monate 
lang unbesetzt gewesen. Er findet nicht nur die ärztli^jhe Praxis, sondern auch 
die besseren Nebenfunktionen an Krankenhäusern, bei Krankenkassen etc. in 


♦) Der einzige Punkt, in dem die preussischen Medizinalbeamten besser 
als ihre bayerischen Kollegen gestellt sind; dafür sind aber ihre Qehaltsverhältnisse 
bekanntlich auch schlechtere. 



52 


Tagesnaciinciitett. 


Händen der praktischen Aerzte nnd soll nun den Kampf ums Dasein beginnen, indem 
er sich neue Privatpraxis zn erwerben sacht. Denn ohne dieselbe reichen die Ein¬ 
künfte des amtlichen Arztes nicht ans; der Staat hat ihn ja selbst darauf angewiesen." 

„Hat der amtliche Arzt dann eine Reihe von Jahren dem Staate gedient, 
ist er mit dem 7. Dienstjahre in die höchste zu erreichende Gehaltsklasse ge¬ 
kommen, so steht er auch zugleich in Lebensjahren, welche eine mühsame aber 
einträgliche Privatpraxis neben der amtlichen Thätigkcit nicht mehr lange ge¬ 
statten, ist aber zugleich in dem Lebensalter, in welchem heranwachsende Ünder 
die grössten Ansprüche an die Eltern stellen und durch Besuch von Anstalten 
in grösseren Städten die bedeutendsten Opfer erfordern. Ist dann die Arbeits¬ 
kraft erschöpft und auch für die Privatpraxis aufs äusserste beschränkt, so er¬ 
wartet den amtlichen Arzt eine kärgliche Pension, (in Preussen bekommt er diese 
noch nicht einmal) welche nach Wegfall aller Nebenbezüge kaum zum standes- 
gemässen Leben hinreicht." 

Wir glauben es dem Verfaaser gern, wenn er diese Schilderung als nicht 
übertrieben, sondern aus dem Leben gegriffen nnd auf Thatsachen beruhend be¬ 
zeichnet, nnd nicht minder wird jeder die Forderung nach einer verbesserten 
finanziellen Stellung der bayerischen Medizinalbeamten gerechtfertigt finden. 
Auch darin kann man Brauser nur beistimmen, dass diese Verbesserung 
in ausreichender, dem faktischen BedUrfniss nur einigermassen Rechnung tragen¬ 
der Weise nur dadurch erreicht werden kann, dass das seit Erlass des organi¬ 
schen Ediktes geltende Prinzip, wonach den amtlichen Aerzten ihre Thätigkeit 
als Privatärzte bei Feststellung ihres Gehalts in Anrechnung gebracht wir^ 
endlich aufgegeben werde und dieselben nicht nur dem Range, sondern auch der 
Besoldung nach als wirkliche Staatsbeamte den entsprechenden Beamtenkategorien 
gleich gestellt werden. „Auf diese Weise wird der Staat in der Lage sein, sich 
seine beamteten Aerzte stets aus den besten Kräften des Standes zu wählen, er 
wird ihre Arbeitskraft voll und ganz für sich iu Anspruch nehmen und zu seinen 
Zwecken ausntttzen können. Es werden die Staatsinteressen wie die Interessen 
der beamteten Aerzte in gleicher Weise gewinnen." 

Hoffen wir im Interesse unserer bayerischen Amtskollegen, dass ihre 
Stellung wie Besoldung diesen Anschauungen des Verfassers gemäss geregelt 
werde; jedenfalls scheinen bei ihnen die Aussichten auf eine derartige Regulirung 
viel günstigere als in Preussen zu sein, wo die Nothwendigkeit einer gleichen 
Reform wohl allseitig anerkannt wird, die Medizinalbeamten aber bekanntlich 
schon seit Jahrzehnten vergebens auf deren Durchführung warten. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Preis-Aufgabe. Für die Lamey-Pr eisstiftung hat die Kaiser- 
Wilhclms-Universität Strassburg folgende Preisaufgabe gestellt: Es ist zu 
untersuchen, welche Aenderungen der Sterblichkeit, vornehm¬ 
lich in den grösseren Städten Deutschlands, sich als Folgen 
hygienischer Verbesserungen wabrnehmen lassen." Die Arbeit 
wird wesentlich eine statistische sein und das Hauptgewicht darauf gelegt werden 
müssen, mit reichhaltigem Material möglichst genau den Zusammenhang zwischen 
Aenderung der Sterblichkeit und hygienischer Verbesserung (Kanalisation, Wasser¬ 
leitung u. 8. w.) darzulegen. Der Preis beträgt 240U Mark; die Arbeiten müssen 
vor dem 1. Januar 1895 eingelaufen sein, die Vertheilung des Preises findet im 
Laufe des Jahres 1895 statt. Die Bewerbung steht jedem offen, ohne Rücksicht 
auf Alter oder Nationalität. Die Konkurrenzarbeiten, die an den Universitäts¬ 
sekretär einzusenden sind, können in deutscher, französischer und lateinischer 
Sprache abgefasst sein. Sie sind mit einem Motto zu versehen; der Name des 
Verfassers darf nicht ersichtlich sein, sondern muss nebst Adresse in einem ver¬ 
schlossenen Kouvert angegeben werden, das äusserlich mit dem Motto gekenn¬ 
zeichnet ist. Die Versäumung dieser Vorschriften hat den Ausschluss von der 
Konkurrenz zur Folge. 

Geöffnet wird nuf das Kouvert des Verfassers der gekrönten Schrift. Für 
die Zurückgabe der nicht gekrönten Schrift oder wegen Formfehler von der 
Konkurrenz ausgeschlossenen Arbeiten wird seitens der Universität keine Ver¬ 
pflichtung übernommen. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden i. W. 

J. C. C, Bruni, Buebdraokerei, Miiid«n. 





B. JiJirg. 


1892. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rath u.gerichtl.Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

nnd 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalralh und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlung und Rad. Hosse 

entgelten. 


No. 3. 


Brseheint am 1. und 15. Jeden Monnts. 
Preis JdhrUoh 10 Mark. 


1. Februar. 


Die Hebammenverhältnieee an der Ostgrenze der Monarchie, 
insbesondere im Kreise Roeenberg, O.-S. 

Von Dr. Gottschalk, Kreisphysikos in Eosenberg O.-S. 

Der Aufsatz des Kollegen Sehr öde r-Weissenfels in No. 21, 
Jahrg. 1891 dieser Zeitschrift gab mir die Anregung zu folgenden 
Mittheilungen, welche einen ungefähren Einblick in ^e Hebammen- 
verhältnisse der polnischen Landestheile der Monarchie gewähren 
und zugleich zeigen sollen, dass die im Allgemeinen wohl nicht 
glänzende Lage des Hebammenstandes in diesen östlichsten Landes¬ 
strichen noch weit mangelhafter als im Westen ist und theilweise 
geradezu eine bemitleidenswerthe genannt werden muss. Ans 
leicht erklärlichen Gründen werde ich meiner Schilderung nur die 
Ermittelungen und Ziffern aus meinem Kreise zu Grunde legen 
können; doch meine ich, dass daraus immerhin ein Rückschluss 
auch auf die Hebammenzustände weiterer Kreise längs der Ost- 
grenze unseres Vaterlandes gestattet ist, da ja bei gleichen Vor¬ 
bedingungen — wie wiil-hschaftlichen und Vermögensverhältnissen, 
gleicher Bevölkerung u. s. w. -- auch ähnliche innere Zustände 
anderwäils zu erwarten sind. 

Für die den hiesigen Verhältnissen ferner Stehenden möchte 
ich zum besseren Verständniss des später Folgenden mir erlauben, 
eine kurze Skizze von Land und Leuten hiesiger Gegend voraus- 
zuschicken und besonders darauf hinzuweisen, dass die Provinz 
Schlesien in zwei sich wenig gleichende Haupttheile zerfällt, den 
grösseren links der Oder, welcher an Wohlhabenheit den besten 
Provinzen der Monarchie nicht nachsteht, und den bei Weitem 
kleineren östlichen, zwischen Oder und russischer Grenze gelege¬ 
nen Landesstreifen, welcher nicht nur weit ungünstigere Boden¬ 
verhältnisse für den Ackerbau, als das linke Oderufer, sondern 
auch eine andere Bevölkerung aufweist. 








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Dr. Gottscbalk. 


Hier sind die schlesischen „Polen“ ansässig, an Intelligenz 
dem schlesischen Deutschen nachstehend, im grossen Ganzen von 
Charakter gutmüthig und genügsam, aber auch leichtlebig und 
dem Schnapsgenuss leider sehr zugethan. 

Wenn wir von dem Industriebezirk absehen, so treibt der 
polnische Landbewohner Oberschlesiens durchgehends Ackerbau; 
doch, da die Bodenverhältnisse, wie schon erwähnt, im Allgemeinen 
nicht gute sind, vielleicht auch Rasseneigenthümlichkeiten, vor 
Allem aber das unter Männern und Frauen verbreitete Laster des 
Trunks einem wirthschaftlichen Aufschwünge hinderlich sein mögen, 
gehören grosse wohlhabende Bauernwirtschaften zu den Seltenheiten. 

Die kleinen bäuerlichen Landwirthschaften sind nicht immer 
im Stande, aus ihren spärlichen Eilrägen eine zahlreiche Famlie 
zu ernähren und zu beschäftigen, und so sind in der Regel die 
erwachsenen Familienglieder der sogenannten Häusler- und Gärt- 
nerwirthschaften genöthigt, auf den Rittergütern durch Tagelöhner¬ 
arbeiten Verdienst zu suchen, oder nach den westlichen Provinzen 
als Arbeiter auszuwandem. 

Anspruchslos in seiner Lebensführung und mit dem Noth- 
dürftigsten zum Lebensunterhalt leicht zufrieden gestellt, ist nicht 
nur der arme Tagelöhner, sondern auch gewöhnlich der besser situirte 
Bauer und kann er es deshalb nur schwer begreifen, dass mehi- als 
Kaitoffeln, Schwarzbrot und Schnaps zum Leben nöthig sein soll. 
Jeder von ihm und seinem Geldbeutel Abhängige soll womöglich 
noch genügsamer sein als er und vor allen Dingen von ihm keine 
grösseren Geldopfer verlangen. Bei Zahlungsleistung in Natui*alien 
ist er eher zur Freigebigkeit geneigt. 

Der gleiche Menschenschlag wird fast durchweg in den 
Ackerbau treibenden oberschlesischen Kreisen: Pless, Rybnik, 
Lublinitz, Rosenberg, im grössten Theile der Kreise Kreuzburg 
und Oppeln angetroffen, findet sich aber auch weiter in den nieder¬ 
schlesischen Kreisen Namslau, Gross-Wartenberg und Militsch und 
auf der rechten Oderseite des Kreises Brieg. Uebrigens ist auch 
der polnische Bauer der Provinzen Posen und Westpreussen dem 
unsiigen stammverwandt, besitzt dieselben guten und schlechten 
Charaktereigenschaften und auch seine wirthschaftlichen Ver¬ 
hältnisse sind im Allgemeinen keine glänzenderen, als bei uns. — 

Wenden wir uns nun nach dieser allgemeinen Betrachtung 
des polnischen Landvolkes, die mir deshalb nothwendig erschien, 
weil ja zwischen dem Wohlstände etc., den Lebensgewolmheiten 
der Bevölkerung und der äusseren Lage der ländlichen Heb¬ 
ammen unleugbar ein enger Zusammenhang besteht, speziell zum 
Kreise Rosenberg O.-S., so ist von demselben im Allgemeinen zu¬ 
nächst zu bemerken, dass er zu den räumlich grössten der ober¬ 
schlesischen Kreise zählt und an der äussersten Ostgrenze gelegen 
ist. Die langgestreckte Ostseite wird bis zur äussersten Nord¬ 
spitze des Kreises vom russischen Reiche begrenzt, zwischen die 
zwei längsten Zipfel seiner geographischen Figur (Nord- und Nord¬ 
westzipfel) schiebt sich der Kreis Kreuzburg hinein und im 
W. und S. stossen die Kreise Oppeln resp. Lublinitz an. Die 



t)ie Hebanunenverhältniase an der Ostgrenze der Monarchie etc. 


65 


Landbevölkerung besteht fast dui'chweg aus den oben geschilderten 
polnischen Bauern. Industrie ist fast gar nicht im Ki*eise vorhanden. 

Im Kreise sind gegenwärtig 35 Hebammen thätig — 4 in den 
beiden Städten Kosenberg und Landsberg und 31 auf dem platten 
Lande — welche sämmtUch auf der Provinzial-Hebammen-Lehr¬ 
anstalt in Oppeln vorgebildet sind. Die Mehrzahl hat nur polni¬ 
schen UnteiTicht in der Anstalt genossen und ist überhaupt der 
deutschen Sprache nicht mächtig; indessen ist seit dem Jahre 1885 
eine Anzahl auch in deutschen Lehrkursen ausgebildet worden und 
sind gegenwärtig schon 16 deutsch sprechende Hebammen im 
Kreise vorhanden. 

Die in den Städten ansässigen Hebammen sind frei prakti- 
zirende, die übrigen auf Kosten der Gemeinden ausgebildete und 
durch schriftliche Verträge gebundene Bezirkshebammen. 

Das Lebensalter der Hebammen bewegt sich zwischen 23 
und 71 Jahren und zwar befinden sich im Alter von 


20—30 Jahren 12 Hehammen 


30—40 

yt 

9 

40—50 

Jt 

6 

50—60 

1i 

5 

60-70 

j! 

3 

über 70 

7 » 

1 Hebamme. 


Die drei jüngsten Hebammen sind noch unverheirathet; die 
Männer der übrigen sind entweder kleine ländliche Stellenbesitzer 
oder gehören dem ländlichen Ai'beiterstande an, wie auch die 
meisten der Hebammen dem ländlichen Arbeiterstande entspros¬ 
sen sind. 

Was das Dienstalter anlangt, so praktizii'en 
Vs Jahr 3 Hehammen, 


o „ u 

6—10 Jahre 6 

10—16 „ 2 

Drei ältere Hebammen (von denen die eine 1799 geboren ist) 
haben ihre Thätigkeit niedergelegt. 

Der Ki'eis ist in 41 Hebammenbezirke eingetheilt und 
gehören zu je einem Bezirke in der Regel mehrere benachbarte 
Gemeinden. Da die Anzahl der Hebammen zur Besetzung der 
Bezirke mit je einer Geburtshelferin nicht ausreicht, haben die von 
Hebammen entblössten Bezirke Verträge mit den Nachbarhebammen 
abgeschlossen, wodurch sich Thätigkeit und Einnahme einiger Heb¬ 
ammen wohl vergrössem, doch, wie wir sehen werden, die Thätig¬ 
keit nicht derartig, dass sie nicht zu bewältigen wäre und die 
Einnahmen, dass sie zum Lebensunterhalte ausreichten. 

Die Gesammtzahl der von vorgenannten Hebammen im 
letzten Jahre (vom 1. Dezember 1890 bis 1. Dezb. 1891) geleiteten 
Geburten betrag nach Ausweis der Tagebücher 1502. Die 
meisten Entbindungen — 99 — hatte eine in zwei Bezirken fungi- 
rende Hebamme auizuweisen; die geringste Anzahl der Geburten 
in einem Bezirke betrag 15. Die Durchschnittszahl von 42 wurde 


16—20 Jahre 
20—26 „ 
80 Jahre 

40—Jahre 


Hebammen. 



56 


Dr. Gottachalk. 


nur von 14 Hebammen erreicht oder überstiegen; die Mehrzahl 
blieb hinter dem Durchschnitt zurück. 

Die Zahl der todtgeborenen oder bald nach der Geburt 
verstorbenen Kinder war 46; die Anzahl der in Folge der 
Entbindung verstorbenen Mütter 4. 2 Mütter starben in oder 
doch unmittelbar nach der Entbindung, davon die eine in Folge 
von Gebärmutterruptur, welche bei der selbstständigen und offenbar 
leichtfertigen Entwicklung der Frucht durch zwei Hebammen ent¬ 
standen war.*) Ob bei den übrigen Verstorbenen Eindbettfieber die 
Todesursache war, liess sich nicht feststellen, ist aber zu vermuthen. 

Auffällig ist, dass die Gesammtzahl der von den Hebammen 
geleiteten Geburten weit hinter der Durchschnittszahl der jähr- 
Schen Geburten im Kreise überhaupt zurückbleibt. Nach di’ei- 
jährigem Durchschnitt beträgt nämlich die jährliche Anzahl der 
Geburten im Kreise 2111; es müssen demnach circa 6 00 Ge¬ 
burten = 35,2 ®/o ohne jegliche Hülfe oder unter Beihülfe 
von nicht approbirten Personen erfolgt sein. Die letztere 
Vermuthung ist die wahrscheinlichere, da häufig sclion Klagen der 
Hebammen über schädigende Konkuirenz durch pfuschende Frauens¬ 
personen einliefen. Mehrfach gelang es, Bestrafung solcher Heb- 
ammenpfuscherinnen herbeizuführen, doch in der Mehrzahl der Fälle 
bleibt ihr Treiben ungestraft. Ich hatte wiederholt Gelegenheit, 
einige dieser Pfuscherinnen zu sehen und war höchlichst verwundert, 
dass diese Personen Vertrauen in Kindesnöthen gemessen können. 
Gewöhnlich erblickt man nicht — wie bei Pfuschern sonst häufig — 
Personen von intelligenterem Aussehen, als der Durchsclmitt der 
Bevölkerung, sondern Frauen mit einfältigem, ja stupidem Gesichts¬ 
ausdruck und schmutzigem Aeussern, und ist die beliebte Zuziehung 
solcher Personen nur dadurch zu erklären, dass die Pfusche)’ nocli 
genügsamer als unsere Landhebammen in ihren Ansprüchen sind, 
auch kein baares Geld verlangen und somit dem Geiz des Bauern 
mehr Zusagen. 

Die Menge des im Jahre verbrauchten Karbols be¬ 
trägt circa 84 Kilogramm; soviel wird wenigstens unter die Heb¬ 
ammen unentgeltlich aus Kreismitteln vertheilt. Ob freilich diese 
Karbolmenge — für die durchschnittliche Anzahl der Geburten im 
Voraus als ausreichend berechnet — wirklich vorschriftsmässig 
verbraucht wurde, ist mindestens fraglich, nachdem eine eingehende 
Prüfung in den Desinfektionsvorschriften leider feststellte, dass 
trotz der im Jahre 1889 vorangegangenen eingehendsten prakti¬ 
schen Einübung der Vorschriften der Ministerial-Anweisiing vom 
22. November 1888 nur wenige Hebammen ausreichende Desin¬ 
fektion übten, ja dass einige sogar das naive Geständniss ablegten, sie 
hielten in der Kegel „einige Tropfen Karbolsäure“ für die einzel¬ 
nen Entbindungen als ausreichend. Der Grund dafür liegt zu¬ 
nächst wohl in dem geringen Bildungsgrade der Hebammen selbst, 
zum gi’ossen Theil aber auch in der geistigen Beschränktheit des 

*) Eine dieser beiden Hebanunen ist deshalb inzwischen wegen fahrlässiger 
mit 1 Monat Gefängniss bestraft worden. 



Die HcbainmeuTerhältnisse an der Ostgrenze der Monarchie etc. 


57 


ländlichen Publikums, welches die Desinfektionsmassnahmen der 
Hebammen als überflüssige Belästigung aufzufassen geneigt ist. 

Der Mehrzahl der festangestellten Bezirksheb¬ 
ammen ist von ihren Bezirken ein jährliches Fixum zuge¬ 
sichert, das nach Ausweis der schriftlichen Verträge bei den Einen 
als Beihilfe zur Wohnungsmiethe und Feuerungsbeschaffung, bei 
den Anderen als Entschädigung für den Ausfall an Einnahmen aus 
der Armenpraxis bestimmt ist. Daneben sind Minimal- und Maxi- 
mal-Beträge als Honorare vereinbart, welche für jede Entbindung 
von den zahlungsfähigen Personen des Bezirks gefordert werden 
düiffen. 10 Hebammen beziehen gar kein Fixum und haben nur für 
die einzelnen Entbindungen genau bestimmte Beträge zu liquidiren. 
Endlich werden einzelne Hebammen an Stelle des üblichen jährlichen 
Geldaversums mit freier Wohnung oder mit Naturallieferungen von 
Brennholz, Roggen oder Kartoffeln seitens der Gemeinden abge¬ 
funden. 

Sehen wir uns jedoch die vereinbarten Besoldungen 
näher an, so kommen wir sehr bald zu der Ueberzeugung, dass die 
Vergütungen für die gewiss mühevolle geburtshelferische Thätig- 
keit durchaus unzureichende sind. 

Nur ein einziger Bezirk hat ein Fixum von 100 Mark, drei 
Bezirke ein solches von 90 Mark ausgeworfen; die übrigen Jahres- 
fixa bewegen sich zwischen 15 und 75 Mark; weitaus die meisten 
betragen nur 30 Mark. Dabei sind aber etwa nicht, wie man zu 
vermuthen geneigt wäre, die Entbindungshonorare derartig normirt, 
dass aus diesen eine erkleckliche Summe im Jahi'e herauskäme. 
Der Maximalbetrag (der überdies nur von den spärlich vorhande¬ 
nen grösseren Bauern zu erheben ist) übersteigt in keinem Kon¬ 
trakt 3 Mk. und das allgemeine Durchschnittshonorar ist 1 Mk. 
bis 1,50 Mk.; ja ein Bezirk hat nur 75 Pfg. und ein anderer so¬ 
gar nur 50 Pfennige (!!!) als Belohnung unterschiedslos für jede 
Entbindung im Bezirk festgesetzt. Dabei wurde mir mehrfach 
von den Hebammen geklagt, dass sie häufig genug von diesen ge¬ 
ringen Honoraren noch einen Erlass eintreten lassen oder anstatt 
des baren Geldes Naturalien als Zahlung acceptiren müssten, 
wollten sie sich mit dem Publikum nicht Überwerfen oder ihre 
Forderungen gerichtlich beitreiben. 

Einen Unterschied zwischen regelmässigen und verzögerten 
oder überhaupt komplizirten Geburten kennen die Verträge nicht 
und mehr als die erwähnten verlockenden Belohnungen stehen den 
Hebammen keinesfalls zu. 

Auch für Wöchnerinnen-Pflegebesuche haben die Hebammen 
kein kontraktliches Recht zu liquidiren und dennoch werden, wie 
die Hebammen übereinstimmend versichern, derartige Besuche in 
den ersten Tagen nach der Entbindung allgemein verlangt, aber 
nirgends besonders honorirt. 

Wie sich darnach die Einnahmen unserer Landhebammen ge¬ 
stalten ist leicht zu berechnen und ich habe auf Grund der Tage- 
bücher-Notizen und nach Umrechnung der etwaigen Naturalleistun¬ 
gen in die entsprechenden Geldbeträge gefunden, dass die Höchst- 



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Dr. Guttschalk. 


einnahmen unserer Bezirkshebammen aus der geburtshülflichen 
Praxis sich auf nur 195 bis 200 Mk. belaufen, welche Summe 
übrigens nur drei Hebammen erreichen. Einige Hebammen mit 
grösseren oder 2 Bezirken haben annähernd eben so viel; eine grosse 
Anzahl aber muss sich mit Jahreseinnahmen unter 100 Mark be¬ 
gnügen, wie die nachstehende Zusammenstellung zeigt. Darnach 
stellt sich die Jahreseinnahme bei: 


1 Bezirkshebamme auf weniger als 80 Mark, 

2 „ auf 30-40 , 

1 „ . . 40-50 , 

5 „ . . 50-60 „ 

6 „ . . 50-70 „ 

3 , . . 75-80 , 

3 „ . . 100—110 „ 

2 „ . . 115—120 

2 „ . . 135 , 

1 ^ . . 150 , 

2 „ . . 160 „ 

3 „ . . 170-175 „ 

1 „ . . 185 „ 

3 „ . . 195—200 „ 

1 Hebamme (städtische) . . 500 „ 

Nur eine einzige städtische freipraktizirende, die besten Be¬ 
völkerungskreise zu ihrer Klientel zählende Hebamme nimmt so¬ 
mit eine beneidenswerthe Ausnahmestellung mit der allenfalls aus¬ 
kömmlichen Durchschnittseinnahme von 500 Mark ein. 


Nach Hinzurechnung der bei den Tauffestlichkeiten üblichen 
„Trinkgelder“ an die Hebammen von Seiten der Pathen, sowie der 
Geldunterstützungen, welche bei guter Führung aus Ki-eismitteln 
alljährlich zu erwai’ten sind, werden die Einnahmen wohl noch 
um Einiges erhöht, doch, wie sich denken lässt, nicht sehr wesentlich. 

Muss man nach derartigen Ermittelungen nicht die Lage eines 
Standes bemitleidenswerth nennen, dem die grössten physischen 
Anstrengungen bei Ausübung des Berufs zugemuthet werden, von 
der moralischen Verantwortlichkeit ganz zu schweigen? Selbst 
wenn die Kenntnisse, wie die letztjäMgen Nachprüfungen gezeigt 
haben, bei den meisten Hebammen recht mangelhafte und den 
heutigen Anforderungen nicht entsprechende sind, kann man ein 
GetüU des Bedauerns über die klägliche Stellung dieser Frauen 
nicht unterdrücken; denn man kann sich sehr wohl vorstellen, 
dass kümmerliche Belohnung anstrengender Dienste schliess¬ 
lich Unlust am erwählten Berufe und Missmuth über getäuschte 
Hoffnungen erzeugt, dass andere Einnahmequellen aufgesucht wer¬ 
den müssen, soll die Familie der Hebamme nicht der Noth anheim¬ 
fallen und dass endlich der Hebammenberuf ganz als nebensäch¬ 
licher Erwerbszweig betrachtet wird. Der einzige auf dem Lande 
in Betracht kommende Nebenerwerb ist aber die ländliche Tage¬ 
löhnerarbeit, der auQh in der That die meisten der älteren Heb¬ 
ammen obliegen. Diese Arbeit ist nun natürlich gerade für Heb¬ 
ammen die denkbar ungeeignetste, denn sie bewirkt harte, schwie¬ 
lige und oft rissige Hände und doch wird erwartet, dass die unter¬ 
suchende Hebamme weiche, feinfühlende Finger habe. Ferner 
lagert sich in die Fingerrisse eine nur zu deutliche und so fest 





Die IlolKiiniueuverhiiltuLssi- au der Osli'rtjiize der Monaivliie eti;. 


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anliafteiide Sclimutzkruste ein, dass auch das energischste Waschen 
und Bürsten sie auf einmal nicht gänzlich zu entfernen vermag. 
Endlich wird die Hebamme nach Beendigung ihrer schweren Tage¬ 
löhnerarbeit, der möglicherweise noch eine anstrengende Nacht¬ 
wache im Beruf voranging, in der Regel so übermüdet sein, dass 
sie kaum ihre hauswirthschaftlichen Ari)eiten zu besorgen im Stande 
sein, wohl niemals aber Zeit und Lust haben wird zur Repetition 
in Vergessenheit gerathener Kapitel ihres Lehrbuchs oder gar zur 
fi'eiwilligen Fortbildung durch Studium von Fachzeitschriften. 

In der That hat es sich auch bei den Nachprüfungen Uer- 
ausgestellt, dass viele Hebammen seit der Entlassung aus der An¬ 
stalt ihr Lehrbuch nie mehr zu Rathe gezogen, ja — wie sie ein¬ 
gestanden — nicht einmal Zeit dazu gefunden haben, das ABC 
ihrer Thätigkeit, die Vorschriften der Desinfektionsanweisung vom 
22. November 1888, die üinen zur besseren Information in deut¬ 
scher und polnischer Sprache eingeliändigt wurden, durchzulesen. 

Die früher erworbenen Kenntnisse verblassen allmählich im 
Gedächtniss, Neuerungen werden als übei’flüssig belächelt oder 
auch aus Bequemlichkeitsrücksichten nicht beachtet und das 
sich etwa deshalb regende Gewissen damit beschwichtigt, dass 
früher die Mehrzahl der Geburten auch ohne Karbol und skrupu¬ 
löse Reinlichkeit glücklich von Statten gegangen seien. Nur zu 
gern wird dem Wunsche des unverständigen Publikums, das nach 
seiner Meinung umständliche und das kleine Hauswesen belästi¬ 
gende Desinfektions- und Reinigungsverfahren zu unterlassen, nach¬ 
gegeben. Wie mir wenigstens die jüngeren, ihre Pflichten noch 
ernst aufifassenden Hebammen wiederholt versicherten, werden 
ihnen von Seiten des Publikums oft die grössten Schwierigkeiten 
bei Ausübung ihres Berufs nach der Anweisung vom 22. Novem¬ 
ber 1888 gemacht und erschienen diese Mittheilungen bei Kennt- 
niss der hiesigen ländlichen Verhältnisse auch durchaus glaub¬ 
würdig. In den kleinen polnischen Arbeiterhaushaltungen seien 
nur mit Mühe die zur Karbolmischung nothwendigen Gefasse er¬ 
hältlich, wenn aber dann aucli auf Ersatz der bisweilen von 
Schmutz starrenden Leib- und Bettwäsche der Kreissenden durch 
reine Wäsche (die übrigens in den seltensten Fällen vorhanden) 
gedrungen und zu einer peinlichen Reinigung des Körpers der 
Gebärenden geschritten würde, mache sich nicht selten grosser 
Unwille über diese ungewohnten Massnahmen bemerklich und 
gipfele gewöhnlich in der Drohung, bei nächster Gelegenheit die 
bequemere Pfuscherin der pflichtgetreuen Hebamme vorzuziehen. 
In diesem Konflikt nun zwischen Pflicht und Aussicht auf drohen¬ 
den Verlust des Erwerbs mag bei den jüngeren gut disziplinirten 
Hebammen, denen überdies die strengen ICrmahnungen und Lehren 
der Anstalt noch frisch im Gedächtniss haften, das Pflichtgefühl 
wohl meist noch die Oberhand behalten, während die älteren in 
der Antiseptik niclit erzogenen Frauen viel leichter der Versuchung, 
den alten Schlendrian fortzusetzen, unterliegen. Doch wird ihnen 
nicht bald Unterstützung und Anerkennung durch bessere Siche¬ 
rung ihrer Existenz als bisher zu Theil, so liegt die Befürchtung 



60 


Dr. Gottschalk. 


nur zu nahe, dass auch sie allmählich in ihrem Pflichtgefühl stum¬ 
pfer und schliesslich so wenig zuverlässig werden, wie es ihre 
alten Kolleginnen geworden sind. 

Und das wäre doppelt schwer zu beklagen; nicht nur im 
Interesse des Kreises, sondern auch mit Eücksicht auf die Heb¬ 
ammen selbst. Denn rühmend muss hervorgehoben werden, dass 
die in den letzten 5 Jahren aus der Hebammen-Lehranstalt in Oppeln 
hervorgegangenen Frauen offenbar durchweg eine vortreffliche 
Schule genossen haben und ganz dazu geeignet sind, den Sinn für 
bessere Gesundheitspflege in den niederen Volksklassen zu wecken 
und auch eine grössere Wertlischätzung des Hebammenstandes 
unter dem Landvolke zu begründen. In den Nachprüfungen machte 
es förmlich Vergnügen, die jüngsten Jahrgänge zu prüfen und zu 
sehen, wie fest das in der Anstalt Gelernte noch im Gedächtniss 
haftete und wie prompt und überlegt die Antworten erfolgten. 
Unrecht würde ich freilich den Aelteren thun, wenn ich dabei be¬ 
haupten wollte, dass Alle derselben das vorhin gefällte absprechende 
Urtheil verdienten. Vielmehr will ich gern einräumen, dass auch 
eine Anzahl der alten polnischen Hebammen, obwohl keine von 
ihnen verleugnen konnte, dass sie ganz auf dem Boden der „alten 
Schule“ steht, bei den Prüfungen verständige Auffassung, klare 
Ueberlegung und gesundes Urtheil bewies. Doch leider kann diese 
günstige Zensur kaum dem dritten Theile der Alten ertheilt wer¬ 
den und zwar auffallenderweise fast ausschliesslich nur denjenigen, 
welche grössere Bezirke verwalten, so dass die Annahme nahe 
liegt, die regelmässige Beschäftigung mit Geburtshülfe habe die 
alten Kenntnisse nicht in Vergessenheit gerathen lassen und Lust 
und Liebe zum Berufe erhalten. 

Wie ist nun aber diesen auf die Dauer unhalt¬ 
baren Zuständen abzuhelfen? 

Diese Frage beschäftigt mich schon seit circa 4 Jahren, doch 
waren meine Anstrengungen, den Bezirkshebammen eine aus¬ 
kömmliche Existenz verschaffen zu helfen, bis jetzt nur von ge¬ 
ringem Erfolge gekrönt. 

Nicht, dass mir die Unterstützung der zuständigen Behörden 
gefehlt hätte. Im Gegentheil muss ich anerkennend hervorheben, 
dass die Kreisbehörden den Verbesserungsvorschlägen des Kreis- 
physikats stets ein williges Ohr liehen, auch mit Geldmitteln nicht 
kargten. So geschieht die Beschaffung und Ergänzung des In¬ 
strumentariums der Bezirkshebammen schon seit langen .Jahren 
aus Kreismitteln, alljährlich werden ferner 84 Kilogramm Karbol¬ 
säure unentgeltlich an die Hebammen geliefert und neuerdings 
wurde noch beschlossen, die nach §§. 6 und 9 der Min.-Anweisung 
vom 22. Novbr. 1888 nothwendige Wundwatte zu liefern; auch 
werden mehrere Freiexemplare der Hebammenzeitiing vertheilt; 
endlich stellt der Kreisausschuss alljälu*lich 600 Mark — pro 
1891/92 ausnahmsweise sogar 800 Mk. — zur Vertheilung unter die 
Hebammen als Unterstützung oder Prämien zur Verfügung. Ob 
alle Kreisvertretungen bereits derartige Aufwendungen für das 
Hebammenwesen machen, wage ich zu bezweifeln. 



Die HebauimenverbiUtuisse an der Ostgrenze der Monarchie etc. 


61 


Doch leider wird damit den Hebammen nur wenig geholfen. Sie 
nehmen die 15—25 M. betragenden Unterstützungen als selbstver¬ 
ständliche Almosen entgegen und haben, weil ihre pekuniäre Lage 
dadurch nicht wesentlich gebessert wird, womöglich kaum das Gefühl 
der Dankbarkeit dafür. Ausserdem wird bei den alten untauglichen 
Frauen leicht die Annahme hervorgerufen, dass ihi*e Thätigkeit 
eine Belohnung verdiente. 

Sollen unsere Hebammenzustände wirklich bessere und zeit- 
gemässe werden, so kann ich dazu nur folgende Wege für zweck¬ 
mässig halten. 

Zunächst muss angestrebt werden, die alten un¬ 
tauglichen und nicht besserungsfähigen Hebammen 
durch jüngere, gut vorgebildete Kräfte zu ersetzen. 
Dieser Plan der Ausserdienststellung der Alten ist weder so grausam, 
noch so schwierig, als es den Anschein hat, denn die Erfahrung hat 
gelehrt, dass bei scharfen Anforderungen an ihre Leistungsfähig¬ 
keit, besonders aber bei dem Verlangen, sich streng nach den 
neuesten Vorschriften für Hebammen zu richten, die alten Frauen 
sehr leicht und aus freien Stücken sich zum Rücktritt und Verzicht auf 
ihre bisherigen kärglichen Einnahmen entschliessen, sodass bisher eine 
rigorose Beurtheilung der Leistungen bei den Nachprüfungen nicht 
angängig war, wollten wir nicht eine grössere Anzahl von Bezirken 
plötzlich verwaist sehen. Beispielsweise wurden mehrere bei den 
Nachprüfungen Durchgefallene durch die strengen Anfordeinmgen 
so sehr eingeschüchtert, dass sie zu einer Wiederholungsprüfung 
sich nicht mehr einfanden, trotz Androhung des Verlustes ihrer Stelle. 

Schwieriger als die Absetzung ist die Frage der Neube¬ 
setzung der vakanten Stellen. 

Da hier zu Lande leider auch unter den jüngeren Frauen schwer 
solche gefunden werden, welche die für Hebammensebülerinnen 
nothwendigen Vorbedingungen, zu denen in erster Linie die Fähig¬ 
keit deutsch zu lesen und zu schreiben gehört, aufzuweisen ver¬ 
mögen und ein öffentliches Ausschreiben der schlecht besoldeten 
Stellen natürlich keinen Erfolg hat, mussten schon seit Jahren 
verschiedene Stellen unbesetzt bleiben. 

Das wird sich voraussichtlich aber ändern, wenn es gelingt, 
die Bezirkshebammenstellen mit solchen Einkünften auszustatten, 
die zu einer Konkurrenz um Vakanzen ermuthigen. 

Der Schreiber dieses hat es in den letzten Jahren wiederholt 
versucht, bei Gelegenheit von Kontrakts - Erneueiiingen, welche 
jedesmal vor der Bestätigung erst dem Ki’eisphysikat zur Begut¬ 
achtung vorgelegt werden, eine Erhöhung der Besoldungs-Positio¬ 
nen herbeizuführen, doch scheiterten fast alle nach dieser Rich¬ 
tung hin gemachten Vorschläge an der halsstarrigen Opposition der 
betreffenden Gemeindevertretungen. In einigen Fällen gelang es 
wohl nach langem Hin- und Her-Verhandeln einige Besserung zu er¬ 
zielen (die höchsten Fixa z. B. sind Errungenschaften der letzten 
4 Jahre), in andern verweigerten jedoch die Bauern hartnäckig 
die unterschriftliche Vollziehung der abgeänderten Verträge, und 
endlich verstanden es einige, die guten Absichten des Physikata 



()2 Dr. Gottschalk: Die Heharamenverhältiiisse an der Ostgrenze etc. 

dadurch zu vereiteln, dass sie die Hebammen zur Annahme ihrer 
geringen Propositionen zu überreden wussten.. Eine fernere Fort¬ 
setzung dieser Versuche des Physikats und der Kreisbehörden, die 
Bezirke zur Abschliessung günstigerer Verträge mit den Hebammen 
zu zwingen, wird wahrscheinlich nunmehr aber ganz unterbleiben 
müssen, nachdem jüngst ein Gutsbezirk bei seiner Weigerung der 
Vertragsabschliessung sich mit Erfolg auf eine Entscheidung des 
Königl. Oberverwaltungsgerichts vom 9. Mai 1885 berufen hat, 
welche sagt, dass Gemeinden und Gutsbezirke zur Besoldung der 
Bezirkshebammen gesetzlich nicht verpflichtet werden können, und 
zu erwarten steht, dass dieser Protest des Gutsbezirks bald Nach¬ 
ahmung finden wird. 

Wollen wir unser Ziel einer Besserung der Hebammenver¬ 
hältnisse nicht fallen lassen, müssen also nunmehr andere Mittel 
und Wege gefunden werden. 

Füi‘ eine bestimmte Art derselben bin ich selbst noch nicht 
klar entschieden, obwohl ich fest entschlossen bin, in nächster 
Zeit schon mit den Kreisbehörden dieserhalb in Verhandlung zu 
treten. Vermuthlich wird zwischen zwei Arten des Besoldungs¬ 
verfahrens gewählt werden müssen. 

Der eine Modus wäre der, den der Kreis Oppeln im Jahre 
1887 bereits gewählt hat: Festsetzungeines den Zeitver¬ 
hältnissen Eechnung tragenden Tarifs für die Heb¬ 
ammen durch Kreis-Statut, dergestalt, dass nach der Steuer¬ 
pflicht etwa 3 Vermögensklassen der Bevölkerung unterschieden 
und je nach den Vermögensklassen die Honorarsätze für die ver¬ 
schiedenen Vemchtungen der Hebammen bestimmt werden. 

Der andere Weg zu einer gerechten Besoldung wäre der, 
dass der Kreis die Besoldung aller Bezirkshebammen 
übernimmt und event. auf dem Wege des Umlageverfahrens die 
auf die einzelnen Hebammenbezirke entfallenden Beträge einzieht. 
Nach der Grösse des Bezirks bezw. nach der durchschnittlichen 
jährlichen Anzahl der Geburten wäre die Feststellung der Gehälter 
nicht schwer. 

Das letztere Verfahi'en würde sich als das einfachere und 
auch schon deshalb empfehlen, weil den Hebammen Weiterungen 
mit dem Publikum bei Zahlungsweigerungen erspart und zugleicli 
die Thätigkeit der Pfuscherinnen, in deren Reihen sich noch die 
abgesetzten Hebammen einfinden würden, auf die einfachste Weise 
lahm gelegt würde. 

Wird aber das erstere Verfahren gewählt, so muss unbedingt 
in dem Statut ein Schutzparagraph gegen die Pfuscherinnen Auf¬ 
nahme finden, die, obgleich überall wohl ein arges Uebel, in unsern 
polnischen Gegenden geradezu als Landplage bezeichnet werden 
müssen, weil sie bei dem geringen Bildungsgrade unserer Bauern 
hier das dankbarste Feld finden und in manchen Bezirken gerade 
des erhöhten Tarifs wegen die Hebammeiithätigkeit unterdrücken 
würden. Die Wiederanwendung eines alten Ministerial -Reskripts 
vom 1. November 1823, welches bestimmte, dass die Bezirksheb¬ 
ammen den niedrigsten Gebührensatz auch von denjenigen zu for- 



Beg.-Bath Boeckl: Bemerk, z. d. Artikel d. Hm. Ober-Med.-Baths Dr. Lorenz 63 


dem berechtigt seien, welche den Beistand einer nicht approbirten 
Person verlangt haben, würde meines Erachtens genügen, die 
Hebammenpfuscherinnen zurückzudrängen. 

Ernstlich zu erwägen wäre schliesslich auch noch, ob es sich 
nicht empfehlen möchte, bei einer Reorganisation zugleich darauf 
Bedacht zu nehmen, dass auch die Hebammen der Wohl- 
thaten des Krankenkassengesetzes und des Invalidi¬ 
tätsgesetzes theilhaftig werden. Bei beiden Gesetzen ist 
ja die Möglichkeit der Selbstversicherung unter bestimmten 
Voraussetzungen gegeben und besonders die Invaliditäts- und Al¬ 
tersversicherung wäre gewiss dazu angethan, den Hebammen ein 
gut Theil der Sorgen, die beim Hinblick auf spätere Altersschwäche 
sich aufdrängen, abzunehmen und ihre Berufsfreudigkeit zu heben. 

Dieser Vorschlag ist übrigens nicht neu; denn schon untenn 
11. Dezember 1890 hat das Grossh. Meckl. Ministerium die dor¬ 
tigen Hebammen auf das Recht der Selbstversicherung (nach §. 8 
des Inv.-Ges.) aufmerksam machen und die Gemeinden und Ki-eis- 
vertretungen auffordern lassen, die Kosten der Beitragsmarken auf 
ihre Kosten zu übernehmen. 

Hoffen wir, dass dieser Vorschlag zur Besserung der sozialen 
Stellung der Hebammen auch bei uns Anklang und Nachahmung 
finden möge. 


Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Obermedizinalraths 
Dr. Lorenz in Darmstadt über die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose des Rindviehs und die Verwendbarkeit des Fleisches 

tuberkulöser Thiere. 

Von Begiernngsrath Roeckl, 

Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin. 

Der in Nr. 2 S. 25 ff. veröffentlichte, von Herrn Obermedi¬ 
zinalrath Dr. Lorenz in der Generalversammlung des thierärzt¬ 
lichen Provinzialvereins des Grossherzogthums Hessen am 21. 
November 1891 gehaltene Vortrag über obiges Thema, giebt mir, 
soweit es sich darin um Angaben aus meiner Arbeit: Ergebnisse 
der Ermittelungen über die Verbreitung der Tuberkulose (Perl¬ 
sucht) unter dem Rindvieli im Deutschen Reiche*) handelt, behufs 
Richtigstellung von Thatsachen zu nachstehenden Bemerkungen 
Anlass: 

Herr Lorenz sagt S.34, nachdem er die Prozentzahlen der 
in einer Anzahl Sclilachthäuser festgestellten Fälle von Tuberku¬ 
lose unter dem Rindvieh mit Ausschluss der Kälber unter 6 Wochen 
angeführt hat: 

„Aas dieser Znsammenstcllnng geht zur Genüge hervor, dass man sich auf 
die gemachten Angaben in Bezug auf die Häufigkeit des Vorkommens der Tu¬ 
berkulose unter dem Schlachtvieh nicht verlassen kann; denn wenn auch im All- 


*) Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesnndheitsamte Bd, VII. S. 479 ff. — 
Beferirt in dieser Zeitschr. 1891, Nr. 23 S. 645. 



64 


R(!g.-Rath Roeckl. 


gemeinen diejenigen Städte, in denen eine geringere Qualität Schlachtvieh zur 
Verwendung kommt, regelmässig eine höhere Ziffer aufweisen, was auch in der 
aufgestellten Tabelle zum Ausdruck kommt, so unterliegt es doch wohl keinem 
Zweifel, dass, wenn überall eine gleich gnite Eontrole eingeführt wäre, die Ge- 
sammtzahl eine viel höhere sein würde. Ans diesem Grunde kann ich 
auch der in den Schlnssbemerknngen des Reichsgesnndheits- 
amts aufgestellten Vermuthung, dass bei den in Deutschland 
bestehenden Einrichtungen der Fleischbeschau vorerst auf 
jährlich 50000 Fälle von Tuberkulose bei Schlachttbieren zu 
rechnen sei, nicht beipflichten.“ 

Diesem gegenüber weise ich darauf hin, dass es sich bei den 
Ermittelungen nur um Feststellung derjenigen Mindestzahl 
handelte, mit welcher für den Fall, dass Massregelu angeordnet 
werden, vorerst zu rechnen sein würde. So heisst es in den 
Vorbemerkungen zu meiner Arbeit S. 481 und 482 wörtlich: 

„Eine eigentliche Statistik über die Zahl und Verbreitung der Perlsucht¬ 
fälle war nicht geplant, und auch nach Lage der Dinge niclit durchführbar. 
Hierzu wären vor allen Dingen gleiche Einrichtungen hiusichtlich der Viebkon- 
trole und Fleischbeschau in den einzelnen Theilen des Reiches erforderlich ge¬ 
wesen, welche aber thatsächlich nicht bestehen. Durch die Erhebungen 
sollte vielmehr nur versuchsweise festgestellt werden, ob und 
inwieweit mit den bestehenden Einrichtungen eine bestimmte 
Mindestzahl von Fällen an geschlachteten und leben den Thieren 
sicher ermittelt werden könne, um auf dieser Grundlage die 
Frage der Entschädigung für Verluste, so wie darüber, wie viel 
kranke Thiere erforderlichenfalls ans dem Verkehr gezogen 
werden könnten, einer erneuten Prüfung zu unterziehen.“ 

Die gesperrt gedruckten Sätze sind auch im Original durcli 
solchen Druck hervorgehoben. 

Herr Lorenz bemerkt ferner a. a. 0.: 

„Am wenigsten zu benutzen sind wohl die Angaben über das Vorkommen 
der Tuberkulose bei den Thieren der verschiedenen Rassen. Störend ist hier 
vor Allem, dass überall von Landschlägen die Rede ist ohne Angabe, welchem 
Rassentypus dieselben zukommen. Auffallen musste mir speziell, 
dass die Zusammenstellung nur 556 tuberkulöse Thiere der 
Simmenthaler, 558 der Schweizer Scheckenrasse, 135 gefleck¬ 
tes Gebirgsvieh überhaupt etc. anfführt, während aus Hessen 
allein 558 Simmenthaler einschlieslich der Ereuzungsproduktc 
mit ausgesprochenem Rassentypus verzeichnet wurden.“ 

Was diesen Punkt betrifft, so lautet der hierauf bezügliche 
Abschnitt meiner Abhandlung auf Seite 495 wie folgt: 

„n. Gebirgsrassen 7606 Stück. 

. . . . a) einfarbig braune und graue Rassen 931 Stück; 

. . . . b) rothe und bunte Rassen 4538 Stück, nämlich: Schweizer Fleckvieh 
(Berner und Freiburger) und deren Abkömmlinge, Verwandte etc., und zwar 
bezeichnet als Simmenthaler 556, Schweizer Scheckvieh überhaupt 558, 
geflecktes Gebirgsvieh . . . . u. s. w.“ 

Die 558 Thiere, welche unter den 4538 Stück rothen und 
bunten Gebirgsvieh speziell als Schweizer Scheckvieh aufgefiilirt 
sind, betreffen ausschliesslich die von Hessen gemeldeten Stücke 
dieser Kategorie. Der amtliche Bericht von Hessen spricht in 
dieser Hinsicht übrigens von „Schweizer Scheckenrasse 
(incl. Simmenthaler) und deren Kreuzungen mit aus- 
gesprochenemRassetypus“, nicht von 558 Simmenthalern etc., 
wie Herr Lorenz angiebt. Letzterer fährt dann fort: 



Bemerkuiigeu zu dem Artikel des Herru Ober-Med,-Katbs Dr. Lorenz. 65 

^Da übrigens die Erhebungen über die Zahl der Thicre, welche in Deutsch¬ 
land auf die einzelnen Rassen entfallen, nicht stattgefunden haben, so ist es 
durchaus unmöglich, aus dem gesammelten Material zu schliessen, innerhalb 
welcher Rasse die Krankheit am häufigsten ist.^ 

Hierzu bemerke ich, dase die Angaben aus den Schlacht¬ 
häusern im Königreich Sachsen, ferner aus dem Grossherzogthum 
Baden und dem Schlachthause zu Lübeck, in welchen die überhaupt 
geschlachteten, bezw. überhaupt vorhandenen Thiere des Einder- 
geschlechts nach Rassen ausgeschieden sind (vergl. S. 499 u. 500 
a. a. 0.), eine Berechnung der Verhältnisszahlen der tuberkulös 
befundenen Stücke, und damit eine, wenn auch nur beschränkte 
Schlussfolgerung in der That zulassen; dagegen nicht dieGesammt- 
zahlen für das ganze Reich. Ich habe die letztere Thatsache 
indess besonders betont, indem ich S. 596 ausführte: 

„Die Ergebnisse der Ermittelungen über die Zugehörigkeit des tuberkulös 
befundenen Rindviehs zu den einzelnen Rassen und Schlägen vermögen in ihrer 
Gesamratheit einen bestimmten Aufschluss über die Häufigkeit der Krankheit 
innnerhalb der betreffenden Kassen etc. nicht zu geben. Hierzu wäre vor allen 
Dingen eine strenge Ausscheidung auch der überhaupt geschlachteten Thiere 
nach Rassen etc. erforderlich gewesen.“ 

Seite 35 dieser Zeitschrift bespricht Herr Lorenz diejenigen 
Massnahmen, welche in ihren Grundzügen nach dem Rundschreiben 
des Reichskanzlers (Reichsamt des Innern) vom 24. August 1888 
etwa in’s Auge zu fassen wären und führt, nachdem er sich mit 
Punkt 1—3 der Vorschläge einverstanden erklärt hat, an: 

„Nicht hinreichend aber dürften die unter 4 angedeuteten sein. Die Ge¬ 
währung einer Entschädigung hat neben der Wohlthat für den Viehbesitzer i n 
erster Linie den Zweck, Verheimlichungen vorzubeugen. 

Die letztere Aufstellung ist nicht zutreffend, indem nach dem 
von Herrn Lorenz erwähnten Rundschreiben nicht die veteri¬ 
näre, sondern die wirthschaftliche Seite der Frage in 
den Vordergrund gestellt ist, wie aus dem 4. Absatz desselben 
auf S. 430 des Anhangs zu meiner Arbeit zur Genüge hervorgeht. 
Dort heisst es: 

.... „Nur soviel glaube ich schon jetzt annehmen zu dürfen, dass bei 
der Eigenart der Seuche und namentlich bei der Unbestimmtheit der am leben¬ 
den Thiere bemerkbaren Symptome Massnahmen rein veterinär-polizeilichen Cha¬ 
rakters, wie solche in dem Gesetze vom 23. Juni 1880 vorgesehen sind, einen 
entsprechenden Erfolg nicht erwarten lassen. Auf der anderen Seite scheint mir 
immerhin die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, den durch die Seuche für den 
Viehzüchter entstehenden Verlusten, welche, abgesehen von der geringeren Putter- 
verwerthung der perlsüchtigen Thiere, im Wesentlichen in der Unbrauchbarkeit 
oder Minderwerthigkeit des Fleisches solcher Thiere sowie in den niedrigen 
Marktpreisen der lebendenHandelswaare beruhen, durch wirthschaftliche 
Einrichtungen entgegenzuwirken. In dieser Beziehung 
würde hauptsächlich die aus Interessentenkreisen bereits 
mehrfach angeregte Gewährung von Entschädigungen für die 
bei der Schlachtung tuberkulös befundenen Rinder auf Grund 
einer Z wangsvcrsicherung in Frage kommen. In Verbindung 
hiermit dürften sich, wie ich annehrae, vermittels Einführung der Anzeigepflicht 
für perlsüchtige Schlachtthiere, gewisse Vortheile auf dem sanitären 
und veterinärpolizeilichen Gebiete erreichen lassen.“ 





m 


Kleinere Mittlieiluiigeu und lleferute ans Zeitschriften, 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Ein Fall von langer Lebensfähigkeit der Spermatozoiden. Von 
Dr. Jaeger in Langenburg. (Medizinisches Korrespondenz-Blatt des Württem- 
bergischen ärztlichen Landesvereins; Nr. 38; 1891.) 

Verfasser hatte im Dezember v. J. die polizeiliche Sektion eines Selbst¬ 
mörders vorzunehmen, der sich zwei Tage vorher an der zweithöchsten Sprosse 
einer Leiter aufgehängt hatte. Der Verstorbene war 43 Jahre alt, sehr kräftig 
gebaut, verheirathet und Potator. An der Hamröhrenmündung wurde Sperma 
in ziemlicher Menge gefunden, in dem mehrere sich sehr lebhaft bewegende 
Spermatozoiden nachgewiesen werden konnten, die demnach ihre Lebensfähigkeit 
44 — 45 Stunden nach Eintritt des Todes bei dem betreffenden Selbstmörder noch 
nicht verloren hatten. Es ist dies jedenfalls eine aussergewohnlich lange Dauer, 
deren Ursache Verfasser auf die damals herrschende :.iilde, mit hohem Feuch¬ 
tigkeitsgehalte der Luft verbundene Temperatur, wie auf die kräftige Konsti- 
tiitiuu des Selbstmöders und dessen guten Ernährungszustand zunickführt. 

Rpd. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen, 
lieber den Bau der Bakterien. Beiträge von Professor E. Zettnow 
in Berlin. Zentralblatt für Bakteriologie. X. 21. 

Auch diese Arbeit beschäftigt sich damit, innerhalb der Bakterien den 
Zellkern nachzuweisen. Zettnow bedient sich dazu der Löffler’sehen Geissel- 
färbung (Beizung der Deckglas-Trockenpräparate mit einer Tinte aus Fuchsin 
mit Ferrosulfat- und Tanninlösung und Nachfärbung mit Anilinwasserfuchsin) 
und fand bei einzelnen Exemplaren sehr deutlich den dunkelgefärbten Bakterien¬ 
körper umgeben von einer helleren Hülle, von welch’ letzterer die Geisselfäden 
ausgingen. Auch Zettnow fand die grösste Anhäufung der Hülle gewöhnlich 
an den Polen der Bakterienzelle. Besonders deutlich zeigten dieses Verhalten 
Spirülum serpens, Proteus vulgaris, Chromatium Okenii und der Löffler’sehe 
Korkzieherbacillus. Ebenso wie Klebs, Bütschli und Frenzei hält Zett¬ 
now denjenigen Theil der Bakterien, der sich mit den gewöhnlichen Bakterien¬ 
farben leicht und kräftig färbt, für den eigentlichen, scheinbar das ganze Bak¬ 
terium bildenden Kern, während er den schwer und nur mit Beizen nach 
Löffler’s Methode zur Anschauung zu bringenden Theil für das Plasma hält. 
Eine Tafel mit sehr schönen und sauberen Photogrammen lässt in vorzüglicher 
Weise die grotesken Gestalten der geisselbesetzten Bakterien und die Differen- 
zirung der Bakteriensubstanz in Kern und Plasma erkennen. 

Dr. Langerhans -Hankcnsbüttel. 


lieber den Bau und die Sporenbildung grüner Kanlquappen- 
bazillen. Ein Beitrag zur Keimtniss der Bakterien. Von Professor Johannes 
Frcnzel. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Band XI. 2. 

Der Titel lautet nicht sehr viel versprechend und Referent, der in der 
Arbeit nichts als die Beschreibung irgend einer neuen für den Entdecker gewiss 
recht interessanten Bakterienspezies erwartete, wollte dieselbe bereits ungelesen 
ad acta legen, als er noch durch Zufall auf den tieferen Gehalt des Aufsatzes 
aufmerksam wurde, welcher in der That geignet ist, auf die interessante Frage 
nach d(?m inneren Bau der Bakterien Licht zu verbreiten. Das untersuchte 
Bakterium findet sich im Enddarm der Kaulquappe einer nicht näher bestimmten 
Kröten-Spezies, welche in den Regenteichen Argentiniens angetroffen wird. Die 
exotische Heimath des Thieres und die dort herrschenden bürgerlichen Unruhen, 
welche sogar das Leben des Forschers bedrohten, werden von dem Letzteren als 
gewiss ausreichender Grund für einige Lücken seiner Arbeit angeführt. Be¬ 
dauerlich bleibt es aber doch, dass Verfasser unter diesen Umständen nicht mit 
Reinkulturen arbeiten konnte, sondern sich auf die mikroskopische Untersuchung 
des Rohmaterials, wie es der Kaulc[uappendarm lieferte, beschränken musste. 
Das untersuchte Bakterium ist ausgezeichnet durch eine sehr beträchtliche Grösse, 
welche den feineren Bau des Bakterienleibes mit grösserer Deutlichkeit erkennen 
lässt. Nicht immer, aber doch sehr häufig findet sich der (von Bütschli bei 



Kleinere inttheilungon und Referate aus Zeitschriften. 


07 


anderen Bakterien heschriebene) ^Zeutralkörper*^, ein Gebilde, welclu's dem bei 
Weitem grössten Theil des Bakterienleibes eiiiniinint, nur an den Polen, zuweilen 
auch noch an den Längsseiten des Bacillus eine kleine Parthie protoplasmatischer 
Substanz zwischen dem „Zentralkörper** und der äusseren Membran des Bacillus 
übrig lassend. Verfasser hält den Zentralkörper für den Kern des Bakteriums 
und nimmt an, dass dort, wo kein Zentralkörper nachweisbar sei, derselbe eben 
den ganzen Bakterieuleib anfülle. Der Zentralkörper ist meist farl)los, das ihiii 
umgebende Zellplasraa grün. Beide enthalten, in annähernd gleicher Weise, 
ein zierliches Netzwerk, dessen Knotenpunkte häufig durch eigenthüinliche, mit 
spezifischer Farbenreaktion versehene Glanzpunkte ausgezeiclmet sind. Verfasser 
lässt es dahin gestellt, ob dieses Netzwerk der Ausdruck einer spongiösen, oder, 
wie Bütschli will, wabenformigen Struktur sei. — Die Betrachtungen über die 
Bildung und den morphologischen Werth der Sporen sind durchaus neu und 
originell, können aber hier ira Einzelnen nicht wiedergegeben werden. Das Auf¬ 
fallendste ist, dass ein Bacillus häufig zwei Sporen beherbergt, und dass die 
letzteren die gesammte grüne Farbe an sich ziehen, so dass sie nach vollendeter 
Reifung wie grüne Glaspeilcu aussehen. Von Zentralkörper und plasmatischer 
Substanz bleibt nichts übrig als die „knittrige Membran, einen wässerigen Inhalt 
umschliessend.*^ Eine Tafel mit allerdings etwas schematisirten Abbildungen lässt 
die Anschauungen des Verfassers sehr plausibel erscheinen. Ders. 


Morphologische Beiträge zur LeichenfUulniss. Von Dr. med. Franz 
Kuhn. Aus dem hygienischen Institut der Universität Würzburg. Archiv für 
Hygiene. XIII. 1. 

Eingehende Untersuchungen, welche meist so angestellt wurden, dass 
Fäulnissgemische, aus grösseren oder kleineren, bereits in Fäulniss übergegangenen 
Mnskelstücken bestehen, durch geeignete Massregeln gegen den neuerlichen Hin¬ 
zutritt anderer Bakterien geschützt, noch einige Zeit der Fäulniss überlassen und 
dann chemisch und bakteriologisch untersucht wuirden. Es ergab sich nun hier¬ 
bei, dass nicht, wie mau von vornherein hätte erwarten sollen, ein buntes Ge¬ 
misch aller möglichen Bakterienarten vorhanden war, sondern dass sich stets 
nur sehr wenige Arten vorfanden. Als wesentliche Erreger der Fäulniss in 
landläufigem Sinne haben sich von den gefundenen Arten nur die beiden Pro¬ 
teusarten, Proteus vulgaris und Proteus Zenkeri (den Proteus mirabilis will 
Kuhn als selbstständige Art nicht recht gelten lassen!) herausgestellt. Beide 
erzeugen in gleicher Weise Gestank, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und alkalische 
Reaktion. Dagegen unterscheiden sie sich, abgesehen von Verschiedenheiten in 
Gestalt und Wachsthum auf unseren Nährböden, dadurch, dass Proteus vulgaris 
regelmässig Indol bildet, Porteus Zenkeri dagegen niemals. Die Bedeutung der 
übrigen, bei Luftzutritt w^achsenden Bakterien iür die Fäulniss ist eine sehr 
untergeordnete. Nach etwa 30 —50 Tagen sind beide Proteus aus den Fäul- 
nissgemischen verschwunden, vermuthlich in Folge Bildung antiseptisch wirkender 
Stoffwechselprodukte. Die Gemische sind nunmehr steril oder sie enthalten nur 
den einen oder den anderen, besonders widerstandsfähigen, sporeuhildeudeu Pilz, 
der ohne Beziehung zur Fäulniss steht. 

Die Versuche über die Bedeutung der Anaeroben für die Fäulniss sind 
nicht eingehend genug, um einen bestimmten Schluss zuznlassen. Im Allgemeinen 
meint Verfasser, dass auch sie an Bedeutung hinter den Proteus zurückständeii, 
obgleich es unzweifelhaft anaerohe Arten gäbe, die im Stande seien, allein 
t}T)ische Fäulniss hervorzurufen. Ders. 


Ueber die Behandlung diphtherieinfizirter Meerschweinchen mit 
chemischen Präparaten, Von San.-Rath Dr. Oscar Bo er. (Zeitschrift für 
Hygiene und Infektionskrankheiten; XI., 1.) 

Ein kurzer Bericht über eine lange Versuchsreihe, in welcher Verfasser 
es sich zur Aufgabe macht, eine sehr grosse Anzahl diphtherieinfizirter, dem 
sicheren Tode verfallener Meerschw^einchen durch Anwendung aller möglichen 
organischen und unorganischen Chemikalien am Leben zu erhalten. Es würde 
zu weit führen, auf die Einzelheiten der inhaltreichen Arbeit einzugehen, welche 
im Anschlusss an die bekannte B ehr Ingusche Arbeit und gewissermassen als 
Fortsetzung derselben entstanden ist. Die Mehrzahl der versuchten Chemikalien 
w^ar entweder vollständig unwirksam, oder aber in der wirksamen Dosis für das 



()8 Kleinere Hittheilongen ond Beferate aas Zeitschriften. 

Thier zu giftig. Allerdings gelang es mit .1 odtrichlorid (bekanntlich auch von Behring 
angewendet), Cblorzink, Goldnatrinmcblorid, unter gewissen Umständen auch 
mit Naphthylamin, während alle ebenso infizirten, aber nicht behandelten Meer¬ 
schweinchen ungefähr (80 Kontrolthiere!) ausnahmslos innerhalb 20—48 Standen 
der Infektion erlagen. 

Eine ausgesprochene allgemeine Wirkung hat leider keines dieser Prä¬ 
parate gezeigt and auch die lokale Behandlung hatte nur dann einen einiger- 
massen sicheren Erfolg, wenn alsbald nach der Infektion die Mittel applizirt 
worden. 

„Für die Therapie des Diphtheriekranken Menschen wird danach mit den 
genannten Mitteln nicht viel geleistet werden können; die Thierexperimente 
weisen uns vielmehr darauf hin, nach anderen, spezifisch wirksamen Mitteln zu 
suchen, welche vom Blut aus die kranken Stellen treffen und auf diese Weise 
eine allgemeine Wirkung ausüben.“ Ders. 


a) Vorlänflge Mittheilnngen über die Erreger der Influenza. Von Dr. 

R. Pfeiffer. 

b) Ueber den Inflnenzabacillns und sein Knltorverfahren. Von Dr. 

S. Kitasato. 

c) Ueber einen Mikroorganismus im Blote von Inflnenzakranken. Von 

Dr. P. Canon. Deutsche medizinische Wochenschrift 1892; Nr. 2. 

In sämmtlichen 31 beobachteten Influenzafällen, von denen 6 zur Obduktion 
kamen, fand Pfeiffer in dem charakteristischen eitrigen Bronchialsekret eine 
bestimmte stäbchenförmige Bazillenart. Die Stäbchen waren in unkom- 
plizirten Influenzafällen inabsolnter Reinkultur und meist in ungeheuren Mengen 
nachweisbar. Sehr häufig lagen sie im Protoplasma der Eiterzcllen. Aus den Bronchien 
können die Bazillen in das peribronchitische Gewebe eindringen und sie gelangen 
sogar bis auf die Oberfläche der Pleura, wo sie im eitrigen Belage in zwei obduzirten 
Fällen in Reinkultur angetroffen wurden. Die fraglichen Stäbchen wurden ausschliess¬ 
lich bei Influenza gefunden, bei gewöhnlichen Bronchialkatarrhen, Pneumonieen und 
Phthisen fehlten sie. Der Bazillenbefund hielt gleichen Schritt mit dem Verlauf 
der Krankheit, erst mit dem Versiegen der eitrigen Bronchialsekretion ver¬ 
schwanden auch die Stäbchen. Auf einem erhaltenen Photogramm von Influenza- 
sputum ans der Epidemie vor 2 Jahren konnten neben anderen, von anderer 
Seite damals irrthümlich für phathogen gehaltenen Mikroorganismen, die jetzt 
entdeckten Stäbchen noch erkannt werden. 

Die InfluenzabazUlen sind ausserordentlich kleine Stäbchen, etwa von der 
Dicke der Mäusesepticämiebazillen, aber nur von der halben Länge derselben. Oef- 
ters findet man drei bis vier Bazillen kettenförmig aneinander gereiht. Eigenthüm- 
lich ist es, dass oft die Enden stärker gefärbt sind als die ^tte, so dass sie das 
Aussehen von Diplokokken annehmen. Die Färbung geschieht mit verdünnter 
Ziel’scher Lösung und mit heissem Löffler’schen Methylenblau. DerGram- 
schen Färbung sind sie nicht zugängig. Die Thierversuche ergaben nur bei 
Affen und Kaninchen positive Erfolge. Die Ansteckung erfolgt sehr wahrscheinlich 
durch den mit Krankheitskeimen überladenen Auswurf und muss daher das grösste 
Gewicht auf Unschädlichmachung des Auswurfes gelegt werden. — 

Kitasato hebt die grossen Schwierigkeiten bei der Züchtung hervor, 
welche hauptsächlich auf der massenhaften Verunreinigung mit Mikroorganismen 
ans der Mundhöhle beruhen. Mittels eines vom Geheimrath Koch noch nicht 
veröffentlichten Verfahrens gelang es Kitasato in letzter Zeit wiederholt, 
Reinkulturen von Influenzabazillen aus dem Sputum zu er¬ 
halten (die Methode wird demnächst veröffentlicht werden.) Charakteristisch 
für die Influenzakulturen ist es, dass die cinzelnenKolonien ungewöhn¬ 
lich klein sind, stets von einander getrennt bleiben und nicht, 
wie dies alle übrigen bekannten Bakterienarten thun, zusam- 
menfliessen und eine zusammenhängende Schicht bilden. Es ist 
dies 80 charakteristisch,dass man dadurch dielnfluenzabazillen 
mit Sicherheit von anderen Bakterien unterscheiden kann. Die 
Fortzüchtnug ist bis in die zehnte Generation geglückt. 



Kleinere MitUicilungon und Referate aus Zeitschrifteu. (i!) 

Unabhängig von Pfeiffer hat Canon im Blut von Influenza- 
krankenfast in allenFällen ein and denselben Mikroorganismus 
gefunden. Die Blntuntersuchung geschah in der Weise, dass der einer Finger¬ 
stichwunde entnommene Blutstropfen mit einem ganz sauberen Deckgläschen 
abgehoben, dies Deckgläschen auf ein anderes gelegt und beide auseinander ge¬ 
zogen wurden. Die lufttrockenen Präparate verbleiben sodann 5 Minuten in 
absolutem Alkohol und werden mit einer Eosin-Methylenblaumischung 3 —6 Stunden 
bei 37 ** C. im Brutschrank gefärbt, mit Wasser abgespUlt, getrocknet und in 
Canadabalsam gebettet. Nur das während des Fiebers entnommene Blut 
enthielt jenen Mikroorganismus, nach Ablauf desselben war er nicht mehr nach¬ 
zuweisen. Er erscheint bald als kleiner Diplokokkus, bald, besonders bei starker 
Färbung als kurzes Stäbchen. Einige Male konnte die Diagnose auf Influenza, 
wo sie klinisch nicht sicher war, durch das Blutpräparat gestellt werden. Züch¬ 
tungen sind Canon bislang] nicht gelungen. Von Geheimrath Koch wurde 
das von Canon gefundene Bacterium für identisch erklärt mit dem von Pfeiffer 
beschriebenen. Dr. Dütschke -Aurich. 


Beobachtungen über das Auftreten der Influenza im Jahre 1891. 

Auf Grund der ihm allwöchentlich aus allen grösseren Orten des Deutschen 
Reiches und vielen Städten des Auslandes zugehenden Sterblichkeitsausweise hat 
das Ka iserliche Gesundheitsamt über das neuerliche Auftreten der In¬ 
fluenza eine Denkschrift ansgearbeitet nebst drei graphischen Tafeln, durch 
welche sowohl das seit Anfang November 1891 beobachtete Ansteigen der Gc- 
sammtstcrblichkeit und insbesondere die Sterbefälle an akuten Erkrankungen der 
Athmungsorgane und an Lungenschwindsucht veranschaulicht sind, als die Sterb¬ 
lichkeitsverhältnisse der betreffenden Städte während des Eerrschens der Influenza 
im Winter 1889/90 und die Schwankungen der Sterblichkeit von 1889 bis 
Ende 1891. 

Die mit dem 14. Januar abgeschlossene yeröffcntlichung lautet im Wesent¬ 
lichen vrie folgt: 

„Im Jahre 1889 hatte sich von der dritten Dezeraberwoche an in zahl¬ 
reichen Städten des Deutschen Reiches ein plötzliches Ansteigen der 
Sterblichkeitsziffer gezeigt, zuerst in einigen Städten des Ostens und Nordens 
(Danzig, Kiel, Königsberg, Posen, Breslau, Stettin), sowie in einigen Hauptver¬ 
kehrsorten des mittleren Deutschlands (Berlin, Frankfurt a. M., Hannover), später 
auch in den meisten anderen Orten, aus denen bezügliche Nachrichten eingingen; 
es war daher zu erwarten, dass die im November 1891 von Neuem auftretende 
Influenza ähnlichen Einfluss anf die Gesammtsterblichkeit haben werde, und ins¬ 
besondere auch die Zahl der Sterbefälle an akuten Erkrankungen der Athmungs- 
organe, welche vor zwei Jahren das damalige Ansteigen der Sterbeziffer vor¬ 
zugsweise bedingt hatten, wieder vermehren werde. 

Diese Erwartung hat sich bestätigt. Während die Gesammtsterblichkeits- 
ziffer des Monats November nach den Ausweisen aus deutschen Städten in 
den fünf Vorjahren stets eine besonders niedrige gewesen war (20„ bis 21 , 3 '*/on*) 
für die gesammte Städtegruppe), stieg dieselbe schon während der ersten No¬ 
vemberwoche des Jahres 1891 in mehreren Städten des Deutschen Reiches plötz¬ 
lich an, so in Breslau auf 31,g®/oo, in Altona auf 28,g, in Hamburg auf 27,4"/oo. 
Gleichzeitig zeigte sich in den genannten Städten die Zahl der TodesBllle an 
akuten Er^ankungen der Athmungsorgane und an Lungenschwindsucht im Ver¬ 
gleich mit den Novemberwochen des Jahres 1890 mehr als verdoppelt. 

Die folgenden Wochen des Dezember brachten für Altona und Ham¬ 
burg ein weiteres Ansteigen der Sterbefälle, ferner eine erhebliche Erhöhung 
der Sterblichkeitsziffer noch für Kiel (bis 36,,), Bremen (34,g), Posen (44,^), 
Stettin (40,o), Frankfurt a. 0. (48,4), Rostock (33,*), Lübeck (40,j), Elbing (38,4), 
Königsberg (32,g), Danzig ( 28 , 7 ), Bromberg (32„), Potsdam (37,s), Berlin (29,o), 
Cöln (29„), Essen (Anfang Dezember 86,3). ln allen diesen Städten war gleich- 


*) Die Sterblichkeitsziffer ist immer auf 1 Jahr berechnet, d. h. sie giebt 
an, wie viele von je 1000 Einwohnern des Ortes sterben würden, falls die 
Sterblichkeit der betreffenden Woche (oder des Monats) ein Jahr hindurch kon¬ 
stant bliebe. 



70 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


zeitig die Zahl der Todcsfülle an Krankheiten der Athmnngsorgane beträchtlich 
erhöht. Die letzteren Todesfälle waren überdies, ohne die Gesammtsterblichkeit 
wesentlich zu beeinflussen, Anfangs Dezember auch in Münster, Krefeld, Aachen, 
Magdeburg, Braunschweig ungewöhnlich zahlreich geworden. 

Hiernach scheinen im Deutschen Reiche bis Mitte Dezember haupt¬ 
sächlich einige Städte des Nordens und des Ostens von der Seuche stark 
ergriffen gewesen zu sein, während in den Städten Mittel- und Süddentschlands 
ein Ansteigen der Sterbeziffer noch nicht zu bemerken war. Insbesondere erschienen 
die Seehandelsplätze Bremen, Hamburg mit Altona, Kiel, Lübeck, Rostock, 
Stettin, Danzig, Königsberg, daneben Elbing, Posen, Bromberg, Frankfurt a. 0., 
später auch Liegnitz und (törlitz stark betroffen. 

Die Städte des Königreichs Sachsen und Thüringens, ebenso wie die¬ 
jenigen des übrigen Mitteldeutsclilands und der süddeutschen Staaten liessen ein 
ähnliches Ansteigen der Sterbeziffern nicht erkennen, nur vorübergehend wurde 
ein solches in Augsburg (während der ersten Dezemberwoche) beobachtet. 

Dagegen wurden im Westen des Reiches einzelne Städte von der Seuche 
ergriffen, namentlich Essen und Münster, später auch in geringerem Grade Cöln, 
Aachen, Strassburg und Metz. 

Von Städten des Auslandes zeigten ein auffallendes Ansteigen der 
Sterblichkeitsziffer, verbunden mit einer Zunahme der Todesfälle an Krankheiten 
der Athmnngsorgane, seit Ende Oktober Budapest, Lemberg und Krakau, seit 
Anfang bezw. Mitte November besonders Kopenhagen, Edinburg, Dublin und 
Liverpool. 

Ein Sinken der durch das Auftreten der Influenza plötzlich erhöhten 
Sterblichkeitsziffer wurde in den meisten von der Seuche betroffenen Städten des 
Deutschen Reiches und in vielen Städten des Auslandes bereits in der zweiten 
Hälfte des Monats Dezember beobachtet, nur einige von der Seuche 
anscheinend spät erreichte Städte, wie Görlitz, Magdeburg, Braunschweig, Chem¬ 
nitz, Metz, Kassel und einige anscheinend besonders stark heimgesuchte Orte, 
wie Essen, Münster, Frankfurt a. 0., ferner im Auslande Kopenhagen, Dublin, 
London, Liverpool, Graz, Triest, Krakau haben auch in der vorletzten und letzten 
Dezemberwoche noch aussergewöhnlich viele Todesfälle zu verzeichnen gehabt, 
von denen, soweit bekannt, ein verhältnissmässig grosser Theil durch akute 
Erkrankungen der Athmungsorgane und Lungenschwindsucht bedingt war. 

In Frankreich, Belgien und den Niederlanden war nach den Ausweisen 
aus Paris, Lyon, Brüssel, Amsterdam die Zahl der Sterbefölle nicht wesentlich 
erhöht, ebenso wenig in Stockholm und Christiania, während, wie schon bemerkt, 
Kopenhagen und diejenigen Städte Grossbritanniens und Irlands, ans denen 
Nachrichten vorliegen, in nicht unbedeutendem Masse von der Seuche heimgesneht 
erschienen. Im Osten Europas war Petersburg wenig, Odessa anscheinend gar 
nicht betroffen; auch in Wien und Prag konnte ein auffallendes Ansteigen der 
betreffenden Sterbeziffern bisher nicht festgestellt werden, dagegen waren Lem¬ 
berg, Krakau, Triest, weniger Budapest und Warschau, früh ergriffen; in Graz 
nahm Ende Dezember die Zahl der SterbeRllle auffallend zu, und stieg die 
Sterblichkeitszifler in der Woche vom 19. bis 26. Dezember 1891 auf die ausser¬ 
ordentliche Höhe von 64„%o. Aus Rom liegen neuere Ausweise noch nicht vor, 
in Venedig wurde in der vorletzten und letzten Dezemberwoche ein erhebliches 
Ansteigen der Sterbeziffer bis zu 34,8 bezw. 53.i®/oo und eine entsprechende Zu¬ 
nahme der Todesfälle an akuten Erkrankungen der Athmungsorgane (bis zu 56 
in der letzten Berichtswoche) beobachtet. Die bis zum 25. Dezember vorliegen¬ 
den Nachrichten aus Nordamerika enthalten über ein Auftreten der Influenza 
daselbst keine Mittheilung. Ob eine für die letzte Berichtswoche (12. bis 19. De¬ 
zember) konstatirtc Zunahme der Sterbefälle in New-York, Chicago, Boston, 
St. Louis etwa durch eine höhere Sterblichkeit an akuten Erkrankungen der 
Athmungsorgane bedingt war, entzieht sich der Beurtheilung, da die Zahl der 
Todesfälle aus lezterer Ursache nicht angegeben wird. 

Fasst man das Ergebniss der vorläuflgen Beobachtungen zusammen, so 
entsprach in den grösseren Städten des Deutschen Reiches das neuerliche Auf¬ 
treten der Influenza während der beiden letzten Monate des Jahres 1891 weder 
an Ausdehnung (Extensität), noch — soweit die Sterblichkeit beeinflusst wurde — 
an Heftigkeit (Intensität) dem Auftreten der Seuche vor zwei Jahren. Die Aus¬ 
dehnung erscheint deshalb eine geringere, weil in einem weit kleineren Theile 



KleiiitTC Mitthuiliiugon und Beferate aus Zeitschriften. 


71 


der Städte das ftir die frilhere Influenza-Epidemie bezeichnende plötzliche An¬ 
steigen der Sterbefalle bemerkbar war; die Heftigkeit der Krankheit erscheint 
deshalb geringer, weil so hohe Sterblichkeitsziftem wie vor zwei Jahren diesmal 
nicht erreicht worden sind. 

Um endlich ein Urtheil darüber zu gewinnen, welche Altersstufender 
Bevölkerung vorzugsweise von der Influenza dahingeraflft wurden, ist für Berlin, 
woselbst eine Sonderung der Todesfälle nach Altersklassen in den Veröffent¬ 
lichungen des statistischen Amtes der Stadt geschieht, ein Vergleich zwischen 
den Influenzamonaten Dezember 1889 und November 1891, und andererseits den 
inflnenzafreien Dezembermonaten der Jahre 1888 und 1890 gezogen. 


Es starben in Berlin 


während des 


0-1 


1-9 10 


im Alter von 
-19'20—29|30-30[40—69j60-79j80u.mc^r 

Jahren 


infloenzafreien Dezember 1888 . • 

761 

446 

63 

142 

178 

333 

353 

60 

Inflnenzamonats Dezember 1889 . 

980 

597 

128 

278 

371 

718 

579 

102 

influenzafreien Dezember 1890 . , 

802 

369 

69 

175 

206 

376 

396 

61 

Inflnenzamonate November 1891 . 
31 Tage (bis einschl. 1. Dezember) 

973 

533 

79 

183 

240 

502 

626 

142 


Hiernach ist während des Influenzamonats Dezember 1889 die 
Sterblichkeit am wenigsten gestiegen bei Säuglingen (um 25^/o — gegenüber 
dem Mittel der beiden influenzafreien Dezembermonate —) und bei älteren Kin¬ 
dern des 1. Lebensjahrzehnts (um fast 47 ®/o). Am beträchtlichsten wuchs 
während des Herrschens der Influenza im Jahre 1889 dieSterb- 
lichkeit unter den Personen des 5. und 6. Lebensjahrzehnts (um 
103 ®/o), demnächst unter den Personen des 2. und 4, Lebensjahrzehnts (um 94 
bezw. 93%.) 

Die entsprechenden Zahlenangaben für das letztbeobachtete Auf¬ 
treten der Influenza ergeben das stärkste Ansteigen der Sterbefälle für 
die höchsten Altersstufen von 60 Jahren und darüber. Die iiu 
Lebensalter vorgeschrittenen Personen scheinen daher unter dem neuerlichen 
Auftreten der Influenza noch mehr als vor 2 Jahren gelitten zu haben. 


Die Handhabung der Sanitätspolizei auf dem Lande in Prenssen. 

Von Dt. Kloss, Ärztin Parchwitz. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche 
Gesundheitspflege. 3. Heft. 1891, S. 433 bis 456. 

Es Lst kein erfreuliches Bild, welches Verfasser von dem Stande der Sani- 
tatspolizei bei uns entwirft. — Das wichtigste Glied in der Reihe der Organe, 
welches dem Begriffe der Sanitätspolizei erst seine volle Bedoutuug verleiht, der 
Kreisphysikus, hat ebenso wie in der Stadt nur eine berathende Stellung, und 
keinerlei anordnende oder vollziehende Machtbefugniss selbst den schreiendsten 
Missständen gegenüber. Die sanitätspolizeiliche Thätigkeit des Physikus bleibt 
immer an die von Fall zu Fall sich erneuernde Anregung einer Requisition ge¬ 
bunden. Ist hiernach seine Wirksamkeit schon in städtischen Verhältnissen, wo 
sich noch häufig eine private Verständigung zwischen Physikus und Urtspolizei 
wird erzielen lassen, eine sehr eingeschränkte, so ist das noch in weit höherem 
Maasse auf dem Lande der Fall, einmal bedingt durch die räumlichen Entfer¬ 
nungen, dann auch durch den Kostenpunkt. — Ein weiteres Hinderniss sind die 
Indolenz und der Fatalismus der Landbevölkerung, sowie ungenügendes Ver- 
ständniss vieler ländlicher Ortspolizeibehörden für die Wichtigkeit öffentlicher 
sanitärer Massnahmen. — 

Eine Besserung der bestehenden Verhältnisse lässt sich nach Ansicht des 
Verfassers erst erwarten, wenn: 

1) die ländliche Bevölkerung, am besten schon in den Schulen, über die 
Grundsätze der Hygiene belehrt, und im Nothfalle behufs Durchführung sanitäts¬ 
polizeilicher Massregeln aus öffentlichen Mitteln unterstützt würde; 

2) die Amtsvorsteher als besoldete Beriifsbeamte und in diesem Falle 
selbst für grössere Bezirke, mit Beigabe eines Exekutivbeamten und der Be- 
fugniss, den beamteten Arzt selbstständig requiriren zu dürfen, angestellt würden; 



72 


Besprecbiugeiu 


3) die beamteten Aerzte grössere Freiheit zu selbstständigem Vorgehen 
erhielten, ohne dass sie das Recht einer polizeilichen Exekativc zu erhalten 
brauchten; 

4) eine geringere Milde bei Uebertretung der Gesetze rmd Verordnungen 
geübt, vielmehr die angedrohten Strafen öfter zur Geltung gebracht würden. — 

(Mit den Vorschlägen zu 1, 3 und 4 können wir nn wohl einverstanden 
erklären, der Vorschlag zu 2 dürfte dagegen auf Bedenken und in der Praxis 
auf unbesiegbare Hindernisse stossen, schon deshalb, weil er gegen das Grund¬ 
prinzip der beute dnrcbgeführten Selbstverwaltung verstösst D. Bef.) 

Dr. Meyhoefer-Görlitz, 


Besprechungen. 

Dr. H. Guttmann: Arzneiverordnungen iu der Kinder¬ 
praxis. Auf Grund des Arzneibuches für das deutsche Reich 
für Studirende und Aerzte bearbeitet. 2. unveränderte Auflage. 
Berlin 1891. Verlag von S. Karger. 

Das im Taschenformat mit durchschossenem weissen Papier ausgestattete 
therapeutische Hilfsbuch soll dem vielbeschäftigten Arzt zur momentanen Be¬ 
antwortung auftauchender Fragen dienen, und ist besonders für die Armenpraxis 
sehr willkommen, da es bei jedem Rezept gleichzeitig die Taxirung angiebt. 
Was den Werth des Bücbelchens sehr erhöht, ist, dass dasselbe nicht allein eine 
Reihe von bewährten Rezepten enthält, sondern vor Allem die genauen Indika¬ 
tionen für die betreffenden Medikamente und die Kontra - Indikationen detaillirt 
anführt, wie die Dosirnngen für die betreffenden Altersstufen. Der Abschnitt 
Uber die medizinischen Bäder ist ebenfalls recht ausführlich behandelt und wird 
besonders dem jungen Arzt willkommen sein, der hier ausgiebige Belehrung 
empfingt. Allgemeine Anerkennung wird schwerlich die Anschauung des Ver¬ 
fassers finden, der bis zum 3. Lebensjahre überhaupt das Opium vermieden sehen 
will, während doch Professor H e n o c h, der Nestor der Kinderheilkunde in seinen 
Vorlesungen über Kinderkrankheiten ausdrücklich in dem Kapitel über Krank¬ 
heiten der Verdauungsoigane hervorbebt: „Die noch immer bestehende Scheu 
vieler Aerzte vor Anwendung der Opiate in der Kinderpraxis ist bei gehöriger 
Dosirung und Ueberwachung durehaus nicht gerechtfertigt.“ 

Dem Buche ist wegen seiner praktischen und übersichtlichen Anlage zu 
wünschen, dass es bald ebensoviele Auflagen erlebt, wie dies den Dr. Rabow’- 
schen Arzneiverordnnngan beschieden ist. 

Dr. Dütschke-Anrich. 

Dr. Albert Weise, Reg.- und Geh. Medizinalrath in Düsseldorf: L ehr • 
kursus der praktischen Trichinen- und Finnen¬ 
schau für angehende und angestellte Fleischbeschauer. Mit 
31 Abbildungen. Düsseldorf 1891; Druck und Verlag von L. 
Schwann. 12®; 68 S. 

Verfasser hat sich seit mehr als 30 Jahren in seinen verschiedenen amt¬ 
lichen Stellungen die Durchführung der obligatorischen Trichinen- und Finnen- 
schau in hohem Grade angelegen sein lassen und insonderheit als Leiter der in 
seinem jetzigen Wirkungskreise eingerichteten amtlichen Lehrkurse*) für Fleisch¬ 
beschauer die beste Gelegenheit gehabt, gerade auf diesem Gebiete praktische 


*) Im Reg.-Bez. Düsseldorf ist die vortreffliche und nachahmungswerthe Ein¬ 
richtung getroffen, dass die angehenden Fleischbeschauer von einer amtlich be¬ 
stellten Kommission unterrichtet und geprüft werden. Die Leitung dieser amt¬ 
lichen Lehrkurse hat der betreffende Regierungs- und Medizinalraih und dürfte 
diese Einrichtung in Bezug auf zuverlässige und genügende Ausbildung der 
Fleischbeschauer für ihren verantwortungsvollen Beruf die denkbar grösste 
Sicherheit bieten. 



Tagesnachrichten. 


73 


JSrfahrongen in reichem Maasse zu sammeln. Die betheiligten Kreise können 
ihm dafür nur dankbar sein, wenn er nunmehr diese Erfahi^gen in dem vor¬ 
liegenden, höchst zweckmässig in Form von Frage und Antwort abgefassten und 
sehr gemeinverständlichen Scbriftchcn zusammengestellt hat. Dasselbe verdient 
jedenfalls als Leitfaden für den Unterricht wie für die Prüfung und weitere 
Fortbildung der Fleischbeschauer unter seinen vielen älteren Mitkonkurrenten 
in erster Linie genannt und warm empfohlen zu werden. Druck und Ausstat¬ 
tung des Leitfadens sind recht gut, die beigegebenen zahlreichen Abbildungen 
sehr instruktiv; bei einer voraussichtlich recht bald erforderlichen zweiten 
Auflage empfiehlt es sich jedoch dringend, bei den Abbildungen von mikrosko¬ 
pischen Präparaten den Grad der Yergrösserung stets hinzuzufUgen, um etwai¬ 
gen irrtbümlichen Anschauungen bei den Fleischbescbauem vorzubeugen. 

Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Emeniiiuigen. Der ausserordentliche Professor Hofrath Dr. Knauf • 
in Heidelberg, ist zum ordentlichen Professor der Hygiene und gerichtlichen Me¬ 
dizin in der dortigen medizinischen Fakultät; die ausserordentlichen Professoren 
Dr. Grub er in Wien und Dr. Hüppe in Prag zu ausserordentlichen Profes¬ 
soren der Hygiene ernannt. 


Mit der vorläufigen Wahrnehmung der Direktionsgeschäfte des Instituts- 
für Staatsarzneiknnde in Berlin, das bisher unter Leitung des verstorbenen 
Geh. Raths Prof. Dr. Lim an stand, ist der gerichtliche Stadtpbysikus und 
Privatdozent Dr. Strassmann beauftragt worden. 


Das Prenssische Medizinalwesen stellt sich nach dem Staatshans 
halts-Etat für das Jahr 1892/98, wie folgt: 


1. Für Besoldungen der Mitglieder der Provinzial-Medizinal- 
kollegien, der Regiemngs-Medizinalrätbe n. s. w. . . . 

2. Für Besoldungen der Kreis-, Bezirks- und Stadtphysiker, 

Kreiswundärzte etc.. . . . 

[darunter 36 000 Mark für Stellenzulagen]. 

3. Zu Wohnungsgeldzuschüssen für die Reg.-Medizinalräthe 

4. Zur Remnnerirung eines Medizinalassessors bei dem Polizei¬ 
präsidium in Berün, sowie der Bureau- und Kanzleihülfs- 
arbeiter bei den Provinzial-Medizinalkollegien .... 

5. Zn Bureaubedürfnissen der Medizinalkollegien, sowie zu 

Reisekotsen und Tagegeldern für auswärtige Mitglieder 
der Provinzial-Medizinalkollegien und Dienstaufwands- 
Entschädigung (1200 Mark) zu Reisekosten für den Re¬ 
gierungs- und Medizinalrath in Berlin. 

6 . Zur Remunerirung der Mitglieder und Beamten der Kom¬ 
missionen f. die Staatsprüfungen d. Aerzte, Zahnärzte, Apo¬ 
theker n. Physiker, sowie zu sachl. Ausgaben bei denselben 


238 404,00 M.* * ) 
729345,82 „ 

21 780,00 „ 

12 598,00 „ 


9 642,00 „ 

159 500,00 „***) 


Zu übertragen 1171269,82 M. 


*) Im Vergleich zum Vorjahre 900 Mark mehr, als Besoldung für ein neues 
Mitglied des Provinzial-Medizinalkollegiums in Hannover. 

♦*) 2400 Mark weniger durch erledigte Aussterbebesoldungen der Kreis* 
wuudarztstellen der Kreise Osthavelland, Uelzen und Neuhans, sowie durch Auf¬ 
hebung der Kreiswundarztstelle in Bromberg; dagegen 900 M. mehr für Besol¬ 
dung eines Physikns des Stadtkreises Bromberg. 

•**) 2390 Mark mehr. 







74 


Tagesnachrichten. 


449 541,32 „ f) 


Uebertrag 1171269,82 M. 

7. Zuschüsse für Unterrichts-, Heil- und Wohlthäthigkeits- 

Anstalten (Charite-Krankenhaus in Berlin n. s. w.) . . 

darunter 235 405 Mark Zuschuss für das neu errich¬ 
tete Institut für Infektionskrankheiten. 

8 . Für das Impfwesen (Remunerimng der Vorsteher und 

Impfärzte bei den Impf- und Lympherzeugungs-Instituten, 
sachliche Ausgaben u. s. w.). 87 201,00 

9. Für Reagentien bei den Apothekerrevisonen) .... 

10. Zn Unterstützung für aktive und für ansgeschiedene Me¬ 
dizinalbeamte und deren Wittwen and Waisen . . . 

11. Zu Almosen an körperlich Gebrechliche zur Rückkehr in 

in die Heimath, sowie für arme Kranke. 

12. Für medizinalpolizeiliche Zwecke. 28 500,00 

13. Verschiedene Ausgaben (Quarantäne-Anstalten, künftig 
wegfallende Besoldungen, Zuschüsse u. s. w.) . . . . 


1900,00 
45 000,00 
900,00 


tt) 


44098,83 


Zusammen 1828 410,97 M. 
im Vorjahre 1 760 085,97 „ 

demnach mehr 68 325 M. 

Im Extraordinarium sind ausserdem 686400 Mark für Neu- und Um¬ 
bauten von Universitätskliniken etc. (in Königsberg, Berlin, Breslau, Halle, Kiel 
und Göttingen) eingestellt; desgleichen 20(KK) Mark als 2. Rate zur Abhaltung 
von Fortbildungskursen in der öffentlichen Gesundheitspflege für Regierungs- 
medizinalräthe und Kreisphysiker. 

Es verlohnt sich nicht, zu diesem Etat auch nur ein Wort zu verliere^. 
Er dürfte die Medizinalbeamten immer mehr von der Nothwendigkeit überzeugen, 
dass das Medizinalwesen wieder dem Ministerium des Innern überwiesen wird, 
wohin es als Theil der Polizei eigentlich hingehört, während es mit den übrigen 
Zweigen des Kultusministeriums in gar keinem Zusammenhänge steht und nur 
Gefahr läuft, durch diese in den Hintergrund gedrängt zn werden. 


Das Körnitz der im Jahre 1893 in Chicago stattflndenden Weltaus¬ 
stellung hat bei der betreffenden Kommission den Antrag gestellt, den für das 
Jahr 1893 in Budapest anberaumten internationalen hygienischen Kongress 
in Chicago und erst den nächstfolgenden (im Jahre 1895) in Budapest ab- 
zuhalten. 


Der elfte Kongress für innere Medizin findet vom 20.—23. April 1892 
zn Lei pzig im Deutschen Bachhändlerhanse, Hospitalstrasse, unter dem Vor¬ 
sitze des Herrn Professor Curschmann (Leipzig) statt. 

Die Themata, welche zur Verhandlung kommen sollen, sind: 

Mittwoch, den20.AprU: Die sch weren anämischen Zustände. 
Referenten: Herr Biermer (Breslau) und Herr Ehrlich (Berlin). 

Freitag, den 22. April: Die chronische Leberentzündung. 
Referenten: Herr Rosenstein (Leyden) und Herr Stadelmann (Dorpat). 

Ausserdem sind nachstehende Vorträge bereits angemeldet: Herr Emme¬ 
rich (München): Ueber dieUrsache derlmmunität unddie Heilung 
von Infektionskrankheiten. — Herr Peiper (Greifswald): Ueber 
Urämie. — Herr Rob. Biuswanger (Kreuzlingen-Constanz): Ueber die 
Erfolge der Suggestiv-Therapie. — Herr Goltz (Strassbarg): Ueber 
die Folgen der Aus schneidang grösserer Stücke des Rücken¬ 
markes (Bericht über Beobachtungen, welche von den Herren Goltz und 
Ewald an Hunden angestellt wtirden). — Herr Schott (Nauheim): Zur 
Aetiologie der chronischen Herzkrankheiten. — Herr v. Jaksch 


t) 70415 Mark mehr in Folge des Zuschusses für das Institut für Infek¬ 
tionskrankheiten. 

ft) 3880 Mark weniger als im Vorjahre. 






Tagesnachrichten, 


75 


(Prag): Thema Vorbehalten. — Herr Fürbringer (Berlin): Zur Kenntniss 
der sogenannten Leberkolik und Pseudogallensteine. — Herr 
Vncetic (Mitrovitz): Behandlung des Alkoholismns. — Herr Min¬ 
kowski (Strassburg): Weitere Mittheilungen über den Diabetes 
mellitus nach Pancreasexstirpation. — Herr Ebstein (Göttingen): 
Thema Vorbehalten. — Herr Adamkiewicz(Krakau): Ueber dieBcband- 
Inng des Carcinomes. — Herr Finkler (Bonn): Die verschiedenen 
Formen der Pneumonie. — Herr Gerhardt (Berlin): Thema Vorbe¬ 
halten. — Herr Israel (Berlin): Ueber die sekundären Veränderun¬ 
gen derKreislanfsorgane bei Insufficienz derNicrenthätigkeit. 

— Herr Landois (Greifswald): Ueber den therapeutischen Werth 
der Bluttransfusion beim Menschen. — Herr Rütimeyer (Basel- 
Richen): ZurPathologie der Bilharziakrankheit. — Herr Grawitz 
(Greifswald): Ueber die hämorrhagischen Infarkte der Lungen. 

— Herr Klebs (Zürich): Ueber die Heilung der Tuberkulose und 
die Biologie der Tuberku 1 bazillen. — Herr G. Klemperer (Berlin) 
und Herr F. Klemperer (.Strassburg): Untersuchungen über die Ur¬ 
sachen der Im munität und Heilung, besonders bei der Pneu¬ 
monie. — Herr Büchner (München): Ueber Immunität gegen In¬ 
fektionskrankheiten. — Herr V. Ziemssen (München: Ueber subkutane 
Bluttransfusion. — Herr F. Wolff (Reiboldsgrün): Ueber dasVer- 
hältniss der Infektionsgefahr zum wirklichen Erkranken bei 
Tuberkulose. — Herr Löffler (Greifswald): Thema Vorbehalten. — Herr 
Rieh. Stern (Breslau): Ueber Darminfektion. — Herr H. Leo (Bonn): 
BeobachtungenüherDiabetesmellitus. — Herr S ehr ei her (Königs¬ 
berg): Ueber Zirkulationsstörungen in den Nieren. 

Mit dem Kongresse ist eine Ausstellung neuer ärztlicher Apparate, In¬ 
strumente, Präparate n. s. w. verbunden. Anmeldungen für dieselbe sind an den 
Lokal-Sekretair des Kongresses, Herrn Privatdozenten Dr. Krehl, Leipzig, 
Thalstrasse 31, zu richten. 


Nach einer Verfügung des Königlichen Regierungs - Präsidenten in 
Posen vom 4. Jannsir d. J. sollen die Prüfungen der Fleischbeschauer 
künftighin nicht mehr von dem Kreisphysikus, sondern bis auf Weiteres von 
dem zuständigen Kreisthierarzt bezw. dessen Stellvertreter vorgenommen 
werden. Diese Anordnung dürfte in den Kreisen der Medizinalbeamten um 
so mehr Erstaunen erregen, als bisher in allen Regierungsbezirken die Fin¬ 
nen- und Trichinenschau nicht als veterinärpolizeiliche, sondern als rein 
sanitätspolizeiliche Massregel angesehen und dementsprechend die Kon- 
trole ihrer Durchführung in technischer Hinsicht dem zuständigen Medizinal¬ 
beamten übertragen ist. Zwar hat es an Versuchen von Seiten der Kreisthier¬ 
ärzte nicht gefehlt, die Medizinalbeamten aus diesem Gebiete ihrer amtlichen 
Thätigkeit zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen; einen Erfolg 
hatten diese Versuche jedoch bis jetzt noch nicht zu verzeichnen. Dem Regierungs¬ 
bezirk Posen ist es somit Vorbehalten geblieben, in dieser Beziehung eine Aen- 
derung cintreten zu lassen; auffallender Weise zu einer Zeit, wo die dortige 
Regierungs- und Mcdizinalratbstelle gerade imbesetzt ist. 


Ueber die Frage der Rinfübrnng einer Prüfung für Cbemiker, 
speziell für Nabrnngsmittelchemiker äusserte sich in der am 25. Januar 
d. J. stattgehabten Reichstags.sitzHng der Unterstaatssekretär v. Rottenburg 
auf eine vom Abg. Siegle gestellte Anfrage ungefähr wie folgt: Auch von der 
Regierung werde das Bedürfniss nach einer Regelung eines Nachweises zur Be¬ 
fähigung der Chemiker anerkannt. In erster Linie habe sich dieses Bedürfniss 
aber bezüglich der Nahrungsmittelchemiker geltend gemacht, für deren Prüfung 
bereits ein Gesetzentwurf ausgearbeitet und den einzelnen Bundesstaaten mit- 
getheilt sei, die sich mit seinem Inhalte einverstanden erklärt hätten. Der In- 
krafttretung des Entwurfes ständen jedoch noch formelle Schwierigkeiten ent¬ 
gegen, da die Reichsgesetzgebung keine Grundlage für eine einheitliche Regelung 
der Angelegenheit biete, sondern diese vielmehr nur nach gegenseitiger Ver- 



Tagesnachrichteü. 


% 


ständigong mit den Einzelregierangen erreicht werden könne. In dem für die 
Prüfung der Nahrangsmittelchemiker vorgesehenen Gesetzentwürfe werde übri¬ 
gens eine so umfassende Bildung in allen Zweigen der Chemie gefordert, dass 
die Ablegung dieser Prüfung auch für diejenigen genügen würde, die sich andern 
Zweigen der Chemie widmen wollten. Ob daher für diese noch ein anderes 
Examen vorzuschreiben sei, könne man erst nach den Erfahrungen beurtheilen, 
die man demnächst mit der in erster Linie beabsichtigten Prüfung gemacht habe. 


Erweiterong der Disziplinarbefogniss der Aerztekammern. Der 
in weiteren ärztlichen Kreisen bestehende Wunsch, dass für die Mitglieder des 
ärztlichen Standes ähnliche ehrengerichtliche Institutionen eingeführt würden, 
wie solche für die Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 
vorgesehen sind, hat den Herrn Minister der u. s. w. Medizinalangelegenbeiten 
Veremlassung gegeben, die Aerztekammern zu einer gutachtlichen Aeussemng 
über diese Frage auffordem zu lassen. 


Fahrlässige Tädtnng durch Liquor Colchic. compos. Von dem Apo¬ 
theker Dr. M y 1 i n 8 in Leipzig wird ein dem französischen Liqueur Laville ähnlicher 
Liquor Colchici compositi (mit 0,1 ®/o Colchicin-Gehalt) im Grossen angefertigt und 
als angeblich bewährtes Heilmittel gegen Gicht und Rheumatismus in den Handel 
gebracht. Der Verkauf geschieht meist an Apotheken, jedoch auch unmittelbar 
an das Publikum und hatte unter Anderen auch ein Gastwirth N. in Elberfeld 
von dem p. p. Mylins 12 Flaschen des genannten Liquors direkt bezogen. Die 
auf jeder Flasche angegebene Vorschrift, innerhalb 48 Stunden zwei Theelöffel 
zu nehmen, nicht beachtend, batte der p. p. N. eine halbe Flasche des Liquor 
hintereinander ausgetmnken und war Tags darauf unter den bekannten Er¬ 
scheinungen der Colchicin-Vergiftung gestorben. Die Gutachten der Sachver¬ 
ständigen lauteten übereinstimmend auf Tod durch Colchicin-Veigiftung und 
wurde in Folge dessen gegen den Apotheker Mylius die Anklage wegen fahr¬ 
lässiger Tödtung erhoben. In der am 18. Januar d. J. stattgebabten Verhand¬ 
lung vor der Strafkammer des Landgerichts zu Elberfeld vertheidigte sich der 
Angeklagte in der Hauptsache selbst und bestritt sowohl den Zusammen¬ 
hang zwischen der von ihm gelieferten Arznei und dem Todesfälle, wie den 
Vorwurf des fahrlässigen Handelns. Der Gerichtshof war jedoch anderer An¬ 
sicht und verurtheilte den Angeklagten zu einem Monat Gefängniss und 
Tragung der Kosten, da durch die Verhandlung die fahrlässige Tödtung nach¬ 
gewiesen sei. Auf der einen Seite müsse allerdings Milde walten, da der Ver¬ 
storbene übermässig eingenommen habe; andererseits sei es aber für den Ange¬ 
klagten erschwerend, dass er dem p. p. N. 12 Flaschen auf einmal gesandt habe, 
obwohl ihm als Chemiker und Apotheker die Gefahren des Liquors in der Hand 
von Laien bekannt sein mussten. Auch die Gebrauchsanweisung hätte klarer 
und bestimmter lauten müssen. (Nach der Apotheker-Ztg.; Nr. 7, 1892.) 


Aus den neuesten Mittheilungen des statistischen Landesamtes in Stuttgart 
ergiebt sich aulfallender Weise eine fortwährende Abnahme der Geburten und 
des Gebnrtsüberschnsses im Königreich Württemberg. Darnach belief 
sich der zehnjährige Durchschnitt der Geburtenfür die Jahre 188Ü—1889 auf 75473, 
derjenige des Ueberschusses der Geburten auf 20 793. Für das Jahr 1890 betragen 
diese Ziffern nur 69 089 und 17 618, halten sich also wesentlich nnter dem Durch- 
seWtt, während die Zahl der Eheschliessungen gerade in diesem Jahre den 
Durchschnitt (12 848) pro anno erheblich übersteigt (13747). 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Med.-Rath L Minden i. W. 

J. C. G. Brnos, Bocbdrncksrei, Minden. 



&. Jahrg. 


Zeitschrift 


1891 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Heraiisgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

S.in.-Rathu.;j;crichtl.St:i«ll[)hysikus in Berlin. Bcg.- und Medizinalratli in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medi4in:xlrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inierate, die durchlaufende PetiUeile 45 Pf. nimmt die Yerlagshandluni^ und Rad. Moese 

entgegen. 


No. 4. 


Kraehelnt am 1. und 15. Jeden Monats. 
Preis J&hrlloh 10 Mark. 


15. Febr. 


Die sogenannte Schlammkrankheit im Regierungsbezirk Oppeln 
während des Sommere 1891. 

Von Dr. Schmidtmann, Begiemngs- and Medizinalrath in Oppeln. 

In Nr. 24, Jahrgang 1891, der Zeitschrift für Medizinalbe¬ 
amte hat unter dem Titel: „Angebliche Typhus-Epidemie im Kreise 
Glogau“ eine eigenartige Krankheit Erwähnung gefunden, welche 
oflfenbar mit der auch im hiesigen Regierungsbezirk während des 
Sommers aufgetretenen Epidemie identisch und vom Volksmund 
in zutreffender Weise mit dem Namen der Schlammkrankheit be¬ 
legt ist. Dieselbe bietet sowohl in ärztlicher wie sanitätspolizei¬ 
licher Hinsicht manches Besondere und Interessante und erscheint 
es deshalb gerechtfertigt, den Lesern dieser Zeitschrift die Erhe¬ 
bungen und Feststellungen, welche im Regierungsbezirk Oppeln 
gemacht sind, im Anschlüsse an die vorerwähnte Mittheilung des 
Kollegen Neumann bekannt zu geben. 

Die ersten Fälle der eigenthümlichen Krankheit gelangten im 
Monat Juli im Kreise Cosel zur ärztlichen Beobachtung, nachdem 
in Folge starker Regengüsse Ende Juni im Stromgebiete der Oder 
und ihrer Nebenflüsse Ueberschwemmungen stattgefunden hatten. 
Die Erkrankten boten die gleichartigen Krankheitssymptome, welche 
sich mit keiner bekannten Krankheitsform vollständig deckten und 
deshalb die ärztliche Meinung anfänglich zwischen Scharlach, 
Flecktyphus, Typhoid, Typhus, Influenza und unbekannter Kran- 
heit scWanken liess. An die im Kreise Cosel beobachteten 
Fälle reihten sich bald zahh-eiche der gleichen Art in den Nach¬ 
barkreisen Neustadt und Oppeln, so dass sich der Herr Regierungs¬ 
präsident veranlasst sah, für diese Kreise eine regelmässige Be¬ 
richterstattung im Monat August v. J. anzuordnen und den 
Landräthen der übrigen Kreise Kenntniss von der aufgetretenen 





78 


t)r. SdumdtmamL 


Krankheit zu geben mit dem Ersuchen einer eventuellen Be¬ 
richterstattung. Mit Rücksicht auf die bevorstehenden Truppen¬ 
manöver und einer nothwendigen Verlegung derselben erschie¬ 
nen die angeordneten Erhebungen besonders dringlich. Nach 
den eingelaufenen Berichten herrschte die Ki'ankheit insge- 
sammt in 8 Kreisen des Bezirks, von denen 7 ausschliess¬ 
lich im Flussgebiete der Oder und nur 1 (Lublinitz) auf der 
Grenze zwischen dem Stromgebiet der Oder und Weichsel 
gelegen sind. Die in den Berichten vei*tretene Auffassung der 
Aerzte war vielfach eine so weit auseinandergehende, dass 
sich als Erklärung hierfür nur annehmen lässt, dass manche 
der in Frage stehenden Krankheit nicht zugehörige Fälle [darin 
berücksichtigt waren. Eine besondere Auffassung dokumentirte 
ein Arzt, welcher die Besonderheit der Krankheit sich aus dem 
Kampf um die Herrschaft zwischen Influenza und dem Unter- 
leibst 3 rphus erklärte. 

Durch die vergleichende Prüfung der Berichte war soviel 
festzustellen, dass eine bis dahin unbekannte, akute Infektions¬ 
krankheit in epidemischer Ausdehnung vorhanden, dass die causa 
nocens mit den voraufgegangenen Ueberschwemmungen in ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zu bringen war und dass der noch unbe¬ 
kannte Krankheitskeim wegen des gleichmässigen Symptomen- 
komplexes ein speziflscher sein müsse. Seinen Wirkungen im 
menschlichen Körper nach schien er dem Bacillus des Un¬ 
terleibstyphus, nach anderer Auffassung des Flecktyphus und der 
Malaria am nächsten zu stehen. Genauem Aufschluss brachte 
alsdann eine Ende September auftretende Gmppenerkrankung 
unter dem aus dem Manöver zurückgekehi-ten Infanteriebataillon 
zu Oppeln. Vor allem konnte die Frage der Kontagiosität durch 
die Beobachtung dieser Kranken positiv entschieden und das Krank- 
faeitsbild flxirt werden. Dasselbe gestaltet sich hiernach, sowie 
naoh den Berichten folgendermaesen: 

Die Krankheit setzt meist plötzlich mit heftigem Schüttelfrost 
oder wiederholtem Frösteln und raschem Ansteigen der Köiper- 
wärme auf 40,0—41,8® C. ein. Puls entsprechend beschleunigt. 
Intensive Kreuz-, Rücken-, Glieder- und Kopfschmerzen; typhöser 
Habitus: starkes Krankheitsgefühl, allgemeine Abgeschlagenheit 
und Schwächegefühl, in einzelnen Fällen selbst Unvermögen, sich 
auf den Beinen zu halten, benommenes Sensorium; bisweilen Deli¬ 
rien und unwillkürliche Stuhlentleerungen, bitterer Geschmack, 
Uebelsein, Brechneigung, in vielen Fällen Erbrechen. In der 
Mehi’zahl der Fälle zeigte sich am 2. oder 3. Tage, was bei der 
Glogauer Epidemie nicht erwähnt wfrd, ein Exanthem, welches 
bei den einzelnen Erkrankten in verschiedener Form und Aus¬ 
breitung beobachtet wurde, bald als kleinfleckig, Scharlach ähnlich, 
bald Masern und Urticaria ähnlich, sowie Flecktyphus ähnlich be¬ 
schrieben ist und sich zumeist auf den ganzen Körper mit Aus¬ 
nahme des Kopfes erstreckte; bei manchen Ki'anken war auch 
Gesicht und die behaarte Kopfhaut befallen. Dieser Ausschlag 



Die sogenaimte Schlammkrankheit ün Begierongsbezirk Oppeln etc. 79 

bestand in der Eegel 2 Tage und war am dritten Tage naeh dem 
Ausbruche verschwunden. Eine Abschuppung folgte nicht. 

Milzschwellung leichten Grades war bei vielen Kranken vor¬ 
handen, ebenso scheint eine mässige Schwellung der Lymphdrüsen, 
insbesondere des Halses und der Leistenbeuge, zu den konstanten 
Erscheinungen zu gehören. 

Der Stuhl war zumeist angehalten, Durchfölle traten nur 
vereinzelt im Verlaufe der Krankheit ein, fast ausnahmslos bestand 
dagegen eine erhebliche Schmerzhaftigkeit des Leibes, 
insbesondere der Magengegend bei Druck und zwar auch in den 
Fällen, in welchen eine Milzschwellung nicht nachzuweisen war. 

Von nebensächlicher Bedeutung erscheint das zeitweilige 
Auftreten von Röthung und Empfindlichkeit des Rachens, von 
Husten und leichter Copjunktivitis, sowie die vereinzelte Beob¬ 
achtung einer vorübergehenden Schwellung um die Augen, an 
Händen und Füssen. 

Der Urin wurde bei der Mehrzahl der Erkrankten frei von 
Eiweiss und Zucker befunden. Bei Einzelnen zeigte derselbe 
Eiweiss und mikroskopisch weisse und rothe Blutkörperchen, auch 
Epitheleylinder. 

Die von zwei Aerzten ausgefiihrte Untersuchung des Blutes 
hat Spirillen oder sonstige besondere Bestandtheile in demselben 
nicht nachzuweisen vermocht. 

Die Fieberkurve ist eine charakteristische, zeigt im Anfänge 
der Krankheit konstanten Typus, indem sie sich ca. 2—3 Tage 
annähernd auf der Anfangshöhe mit geringen morgentlichen Re¬ 
missionen hält und alsdann im Verlauf von weiteren 2—3 Tagen 
zur Norm und darunter fällt. Einzelne Berichterstatter haben den 
Abfall der Temperatur unter starker und wiederholter Schweiss- 
bildung eintreten sehen. Von einem Arzte ist eine Wiederholung 
der Frostschauer mit gleichzeitig ansteigendem Fieber erwähnt. 

Der Ausgang des Leidens war ausnahmslos ein günstiger 
und die Genesung der Erkrankten schon nach Ablauf von 10—14 
Tagen meistens eine vollständige. Nachkrankheiten kamen ebenso 
wie ein zweimaliges Befallenwerden einer Person nicht zur Be¬ 
obachtung. 

Die weiteren wichtigeren Ergebnisse der angestellten Er¬ 
mittelungen giebt die nachstehende Verfügung des Herrn Regie¬ 
rungspräsidenten vom 15. Oktober 1891 wieder, welche den 
Landräthen und Medizinalbeamten des Regierungsbezirks in Anbe¬ 
tracht der grossen Wichtigkeit für die sanitätspolizeiliche Behand¬ 
lung der Erkrankten zuging: 

„Die eigenartige Krankheit, welche zuerst im Kreise Cosel sich bemerkbar 
gemacht hat, ist innerhalb des hiesigen Regierungsbezirks in weiteren 7 Kreisen: 
Ratibor, Neustadt, Neisse, G rottkau, Falkenberg, Oppeln, Lublinitz aufgetreten, 
ausserdem im Regierungsbezirk Breslau (Ohlau) nach einer Mittheilnng des Herrn 
Regierungspräsidenten und Zeitungsnachrichten zufolge auch im Regierungsbezirk 
Liegnitz (Glogau) in gleicher Weise beobachtet worden. Zififermässige Angaben 
über die Zahl der Erkrankten lassen sich nicht gewinnen, da vieliacb, insbe¬ 
sondere nachdem der gutartige Spontanablauf der Krankheit bekannt geworden, 
die Krankheitsfälle zur öffentlichen Kognition nicht kamen; es lässt sich jedoch 
aus den hierher gelangten ärztlichen Berichten mit Bestimmtheit ersehen, dass 



80 


. t)r. Schmidtmami. 


ein erheblicher Theil der Bevölkerung der genannten Kreise, der von einem Arzt 
sogar auf Vs geschätzt wird, von der Krankheit befdlen war. Von besonderer 
Wichtigkeit war die Thatsache, dass fast ausschliesslich mit Feld- und Erdar¬ 
beiten beschäftigte Personen, insbesondere Drainagearbeiter, von der Krankheit 
heimgesucht waren. Ausser den Erkrankungsfällen in dieser Bevölkerungsklasse 
sind noch 2 Gruppenerkrankungen in der Coseler und Oppelner Garnison zu 
verzeichnen. 

Die ärztliche Auffassung hinsichtlich des Wesens der Krankheit kenn¬ 
zeichnet sich in den vorliegenden Berichten als eine sehr mannigfaltige und 
vielfach weit auseinandergellende, wie sich dieses in den gebrauchten Benennungen 
ausdrtickt. Besonderes Eingehen beansprucht mit Rücksicht auf die Folge¬ 
rungen für das sanitätspolizeiliche Handeln die vielfach vertretene Anschauung, 
welche die Erkrankung in das Gebiet der Typhen: Flecktyphus, Unterleibstyphus 
und Rückfalltyphus verwiesen wissen will. Die fehlende Kontagiosität, indem 
trotz der zahlreichen Erkrankungsfälle eine Uebertragung von Person zu Person 
in keinem Falle nachgewiesen ist, sowie die Unwahrscheinlichkeit bezw. Unmög¬ 
lichkeit der Einschleppung des Flecktyphuskeimes gleichzeitig an so viele vielfach 
ausser Verkehr stehende Orte gestatten neben anderem aus dem Krankheitsbilde 
selbst sich ergebenden Gründen nicht, die Krankheit dem Flecktyphus zuzuzählen. 

Die Fieberkurve, welche in raschem, zumeist mit Schüttelfrost einher¬ 
gehendem Ansteigen den höchsten Grad (—41,8®) beim Beginn der Krankheit er¬ 
reicht, sich etwa 2 Tage auf der Höhe hält und dann bis zum 4.—5. Tage zur 
Norm und darunter herabfällt, sowie die fehlenden charakteristischen Darmer¬ 
scheinungen, der Verlauf und das sonstige Krankheitsbild lassen sich mit dem 
typischen Krankheitsbilde des Unterleibstyphus auch in seiner abortiven Form 
nicht vereinen. 

Gegen den Rückfalltyphus (Rekurrens) ist anzuführen, dass von 2 Seiten 
ausgeführte Untersuchungen Spirillen im Blute nicht ergeben haben. 

Durch die vergleichende Prüfung der Berichte sowie die Beobachtung 
einzelner Krankheitsfälle seitens des Regierungs-Medizinalraths ist nunmehr die 
für die Beurtheilung wichtige Thatsache festgelegt, dass sämmtliche Erkran¬ 
kungsfälle mit dem Boden in Zusammenhang zu bringen sind und dass die nasse 
Bodenbeschaffenheit bezw. der hohe Grundwasserstand, welcher in verschiedenen 
Gegenden des Bezirks in Folge der ira Monat Juni und Juli stattgehabten 
Niederschläge und Ueberschwemmungen vorhanden war, ein begünstigendes Mo¬ 
ment und geeigneten Nährboden für die Entwickelung des spezifischen Krank¬ 
heitskeimes dargeboten hat. Ob, wie und wann die erkrankte Person 
mit dem siechhaften Boden in Berührung gekommen? ist deshalb 
die Kardinalfrage, die bei der Beurtheilung der Erkrankungsfälle in den Vorder¬ 
grund zu stellen ist und in der Beantwortung dieser Frage ist der Schlüssel ge¬ 
funden für die Beobachtungen, dass fast ausschliesslich der Stand der Landleute, 
Feldarbeiter und Drainagearbeiter befallen ist, dass die Zahl der weiblichen 
Kranken überall da überwiegt, wo dieselben mehr als die Männer zu ländlichen 
Arbeiten herangezogen sind, dass fast ausschliesslich das arbeitsfähige Alter 
das Krankenkontingent stellt, während das Kindesalter fast ganz verschont 
bleibt, dass die Konstitution der Personen von Bedeutung sich nicht erweist, 
dass in der Zeit der meisten Feldarbeit, Juni, Juli, August, September die 
zahlreichsten Erkrankungen sich einstellen. Auch die auffälligen Gruppener¬ 
krankungen der Coseler und Oppelner Garnison lassen sich auf dieser Basis 
ungezwungen den anderen Krankheitsfällen anreihen, denn für sämmtliche Er¬ 
krankte ist nachgewiesen, dass sie theils bei Erdarbeiten auf feuchtem Boden be¬ 
schäftigtwaren, theils beim Baden Gelegenheit hatten, infizirtes Wasser zu schlucken. 
Die Uebertragung des Krankheitskeimes auf den Menschen wird nämilch nicht etwa 
durch Einathmung der Bodenluft bewirkt, sondern erfolgt durch direkte Einverleibung 
von Bodenbcstandtheilen in den Magen, sei es beim Essen mit erdbeschmutzten Hän¬ 
den oder sei es beim Trinken von den sich als Bodenausbauchungen darstellenden 
Grabenwässern und den hiervon infizirten Flüssen. In letzterer Hinsicht sind 
charakteristische Beispiele die Erkrankungsfälle unter den gebadeten Soldaten 
und weiterhin die Erkrankung eines Mannes, nachdem derselbe während der 
Ueberschwemmung der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt gewesen war und 
reichlich Neissewasser geschluckt hatte. 

Der Verlauf der Krankheit ist in allen gemeldeten Fällen ein günstiger 



Die sogenannte Schlammkrankheit im Regierungsbezirk Oppeln etc. 81 

gewesen, indem meist nach ca. 14 Tagen volle Genesung eintrat. Immerhin 
war eine 14tägige Arbeitsunfähigkeit und damit eine relativ erhebliche Schädi¬ 
gung der Arbeiterbevölkemng durch die Krankheit veranlasst. 

Die Inknbationsdauer von der Zeit der Einführung der Noxe bis zum 
Ausbruche der Krankheit beträgt anscheinend 3 Tage. 

Welcher Art die Noxe ist, kann bisher noch nicht mit Bestimmtheit aus¬ 
gesprochen werden, doch ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anznnehmen, dass die¬ 
selbe als kleinstes Lebewesen (Mikroorganismus) anzusprechen ist, welches in 
seinen Wirkungen im menschlichen Organismus dem Malariakeim am nädisten 
steht und das deshalb nicht im Reiche der Spaltpilze (Bakterien), sondern nach 
Analogie des Malariagiftes muthmasslich in der Reihe der MycetozoSn und Pro¬ 
tozoen zu suchen sein dürfte. Für die Frage: Woher kommt der Krankheits¬ 
keim? findet sich ein Anhaltspunkt darin, dass bereits im Jahre 1882 während 
der Sommermonate seitens des Kreisphysikus, Sanitätsrath Dr. Kornfeld, in 
Orottkan die gleiche Erkrankungsform beobachtet wurde. Es ist deshalb die 
auch mit den wissenschaftlichen Anschauungen vereinbare Annahme berechtigt, 
dass der Krankheitskeim im Boden präformirt war und unter dem Einflüsse be¬ 
günstigender Witterungs- etc. Verhältnisse in diesem Jahre zu anssergewühn- 
licher Entwickelung gelangen konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist derselbe 
auch jetzt noch in geeignetem Boden reichlich vorhanden, wie erst kürzlich auf- 
getretene Erkranknngsfälle beweisen und der Nachlass der Erkranktenzahl und 
das scheinbare Erlöschen der Epidemie ist zur Zeit deshalb eingetreten, weil die 
Gelegenheit zu Feld- und Erdarbeit und damit zur Infektion der Jahreszeit ent¬ 
sprechend eine geringe ist. 

Indem somit die eigenartige, bisher unerkannte, typhoide Krankheit, 
welche den Regierungsbezirk in epidemischer Ausbreitung heimgesucht hat, aus 
der Reihe der kontagiösen Krankheiten ausgeschieden und wissenschaftlich 
festgestellt ist, dass dieselbe als eine malariaähnliche (Malariatyphoid) akute In¬ 
fektionskrankheit miasmatischen Ursprungs aufzufassen ist, welche ihre Ent¬ 
stehung dem siechhaften Boden verdankt und in zutreftender Weise vom Volks- 
munde mit dem Namen: „Schlammkrankheit“ belegt ist, ergeben sich für die 
sanitätspolizeiliche Behandlung folgende praktische Schlussfolgerungen: 

1. Besondere Massregeln für Isolimng der Kranken, Desinfektion etc. sind 
nicht erforderlich. 

2. Der Entstehung und Verbreitung der Krankheit ist dadurch mit Erfolg 
zu begegnen, dass, sobald dieses durch erneutes Auftreten zahlreicher Erkran¬ 
kungsfälle begründet ist, die Erkenntniss über die Entstehung und Verhütung 
durch entsprechende Belehrung im Kreisblatte oder in sonst geeigneter Weise 
thunlichst gefördert wird und dass hierbei gleichzeitig vor dem Trinken der 
Orabenwässer, sowie dem Essen mit erdbeschmntzten Händen gewarnt wird.“ 

Die hier niedergeleg^n Anschauungen stehen nach einer 
Mittheilung des Generalkommandos des VI. Armeekorps im voll¬ 
sten Einklänge mit den bei den Truppen der betroffenen Gar¬ 
nisonorte gemachten Erfahrungen und erhalten somit hierdurch 
eine weitere Bestätigung. 

Die zur Erforschung des Krankheitskeimes im Oktober v. J. 
Angestellten wissenschaftlichen Untersuchungen mussten sich dar¬ 
auf beschränken, die Beschaffenheit des siechhaften Bodens hin¬ 
sichtlich seines Feuchtigkeitsgehaltes, sowie Reichthum an Proto¬ 
zoen und Bakterien zu ermitteln, da Neuerkrankungen nicht mehr 
vorkamen. Der Versuch, Thiere mit dem ausgeschlämmten Boden 
krank zu machen, hatte keinen Erfolg. Weitere Aufschlüsse über 
den Krankheitskeim werden sich somit voraussichtlich erst bei 
Wiederauftreten der Krankheit durch die Untersuchung des Magen¬ 
inhalts und des Blutes der Erkrankten gewinnen lassen. 

Wenn nun auch durch den fehlenden Nachweis des Krank¬ 
heitserregers eine erhebliche Lücke geblieben ist, so haben die 
diesjährigen Beobachtungen über die Schlammkrankheit im hiesigen 



82 


Dr. HensgeiL 


Regierungsbezirk doch zu dem erfreulichen und immerhin beachtens- 
werthen Ergebniss geführt, dass 

1. das charakteristische Erankheitsbild festgelegt ist, so dass 
die Krankheit bei ihrem event. Wiedererscheinen in spätem Zeiten 
sicher erkannt werden kann; dass 

2. eine sichere Unterlage für die sanitätspolizeiliche Behand¬ 
lung gegeben ist, durch welche unnütze Massregeln und Kosten 
vermieden werden; dass 

3. Anhaltspunkte für eine Erfolg versprechende wissenschaft¬ 
liche Erforschung des Krankheitskeimes gewonnen sind. 


Eine merkwürdige Art von Selbstmord durch Sprengpulver¬ 
explosion. 

Mittheilung von Dr. Hensgen, Ereiswundarzt in Bergneostadt. 

Der Strassenmeister G. aus D. war ein Mann mittleren Lebens- 
altei's, der innerhalb der letzten Jahre dem Alkoholgenusse stark 
ergeben war und ein aufiallend geröthetes Gesicht besass. Er hatte 
wegen seines aufbrausenden Wesens häufig Unannehmlichkeiten 
erfahren. Vor anderthalb Jahren waren epileptiforme Krämpfe mit 
Bewusstseinsstörung bei ihm aufgetreten, auch hatte er einmal nach¬ 
her in verwirrtem Zustande ohne Ursache oder Veranlassung 
mehrere Tage von Hause und aus dem Dienst sich entfernt; zurück¬ 
gekehrt, wusste er keine Angaben über den Zweck seines Weggehens 
zu machen. In letzterer Zeit waren häufige Unregelmässigkeiten 
im Dienst vorgekommen, und hatte er verschiedentlich geäussert, 
dass er wohl eine Disziplinär-Untersuchung zu erleiden haben 
würde. Einige Monate vor seinem Tode konsultirte er mich wegen 
einer erheblichen Sehstönmg, die auf Zirkulationsstörungen im 
Zentralorgan zurückgeführt werden musste. Die Ehefrau des G. 
gab später an, ihr Mann habe in letzter Zeit öfters geklagt, es 
sei ihm im Kopf so, als wenn ein Mühlrad darin herumging. 

Am 20. Juli V. J. nun kam der Fuhrmann L. mit seinem 
Fuhrwerk an der vom Orte D. etwas entfernt und isolirt gelegenen 
Wohnung des Strassenmeisters G. vorbei und vernahm einen eigen- 
thttmlichen Knall, so, als ob Jemand ein Zündhütchen mit einer 
Pistole abgeschossen habe. Unmittelbar darauf di-ang aus der 
Kellerluke der G.’schen Wohnung dicker Qualm hervor, der offen¬ 
bar Pulverdampf war. Etwa eine Minute später erschien G. an 
dem Fenster seiner Wohnung, warf sich mit Hast in dasselbe, 
Kopf und Brust herausstreckend und sah in der Richtung nach dem 
Orte D. L. rief ihm zu: „ Was ist los? Was ist passiert?“, worauf 
G. eine unverständliche Antwort gab und sofort wieder verschwand. 
Dem Fuhrmann L., welcher etwaige Verletzungen an dem G. nicht 
wahrgenommen hatte, kam die Sache verdächtig vor, er fuhr indess 
des Weges weiter. 

Dieselben Angaben machte der Zeuge E., welcher dessel¬ 
ben Weges kam, dem Fuhrmann L. begegnete, sich in ein Ge- 



Eine merkwürdige Art von Selbstmord durch Sprengpulverexpiosiou. 83 

spräch mit ilim einliess und ebenfalls den Knall gehört, sowie den 
aus dem Kellerfenster hervordringenden Bauch beobachtet hatte. 
Auch er sah den G. noch anscheinend unverletzt am Fenster stehen. 

Eine Stunde später, gegen 8 ühr Morgens, kehrte die Ehe¬ 
frau des G. aus der Kirche zurück und war erstaunt, die Haus¬ 
thür offenstehend zu finden, trotzdem ihr Mann beim Weggehen 
gesagt, er selbst würde auch ausgehen und den Schlüssel über 
die Hausthüi'e legen. Als sie das Haus durchsucht, fand sie ihn 
schliesslich im Keller liegend, die Beine nach der Kellerluke ge¬ 
kehrt, den Kopf in entgegengesetzter Richtung. Als sie den Kopf 
aufhob, sah sie, dass Blut aus dem Munde quoll; ausserdem wUl 
sie noch bemerkt haben, dass der Verstorbene etwas geröchelt und 
noch oberflächlich geathmet habe. Sie dachte an einen Schlagan¬ 
fall, lief schreiend in die Nachbarschaft und holte Nachbarn herbei, 
welche indess ein Lebenszeichen an dem Körper nicht mehr kon- 
statiren konnten. Ein herbeigerufener Arzt, welcher die Leiche 
untersuchte, bemerkte deutlichen Pulvergeruch im Keller und stellte 
Verletzungen an der Unterlippe fest, die für einen gewaltsamen 
Tod sprachen. Noch zwei andere Personen (darunter ein gewesener 
Bergmann), welche die Leiche bald nach 8 Uhr im Keller gesehen 
haben, konstatirten einen Geruch nach verbranntem Pulver. Fenier 
fanden sich grössere Mengen von Sprengpulver, sowie Rehposten 
auf dem Scli^eibtisch im Wohnzimmer vor, eine Schusswaffe aber 
war weder im Keller noch ausserhalb desselben zu finden. 

Gegen 10 Uhr Vormittags wurde ich seitens der Frau G. 
gebeten, die Leiche ihres Mannes darauf zu untersuchen, ob es 
sich nicht um einen plötzlich eiiigetretenen Blutsturz handele. Ich 
fand an der Unterlippe 3 Verletzungen, die ziemlich scharfrandig 
das Aussehen von Schnittwunden darboten. Die Lippe war wulstig 
angeschwollen, das Zahnfleisch des Unterkiefers schwärzlich ge¬ 
färbt. Die Hände, besonders die linke, flektirte Hand, waren 
ebenfalls schwärzlich und stellenweise mit Blut bespritzt. Einen 
Pulvergeruch habe ich im Keller nicht bemerkt, auch fand ich dort 
keine Waffe, nur sah ich auf einem Tische eine Anzahl durchein¬ 
andergeworfener Bierflaschen, sowie eine flache Glasscheibe, an¬ 
scheinend von Fensterglas, die einen schwärzlichen Belag, wie von 
Pulverschleim zeigte. 

Die Ausstellung des gewünschten Leichenscheins verweigerte 
ich, machte vielmehr dem Ortsvorsteher die erforderliche Anzeige. 
In richterlichem Aufträge besichtigte hierauf der Kreisphysikus 
Sanitätsrath Dr. A. Nachmttags ebenfalls die Leiche; da aber durch 
die äussere Besichtigung die Todesursache nicht festgestellt werden 
konnte, wurde gerichtsseitig die Obduktion der Leiche verfügt, 
und diese von dem obengenannten Kreisphysikus und mir am 
22. Juli, also zwei Tage nach erfolgtem Tode, vorgenommen. Das 
Ergebniss der Obduktion war im Wesentlichen Folgendes: 

A. Aenasere Besichtigung. 

1. Die 162 cm. iu die L&nge messende männliche Leiche gehört einem 
Manne von ca. 35—40 Jahren an. 

4.-Die Hände sind schwarz geförbt, besonders die linke Hand; 



84 


Dr. Hensgen. 


beim Abschaben der die schwarze Färbung verursachenden Hasse ergiebt sich, 
dass dieselbe einen schweflichen Geruch hat. 

5. Die Kopfhaut ist in ihren ganzen Unterpartien mit angetrocknetem 
Blute besudelt. 

6. -In den Mund* und Nasenöffnungen findet sich Blut.- 

7. An der Oberlippe zeigen sich verschiedene kleinere Verletzungen, 

theils der Schleimhaut, theils des darunter liegenden Gewebes. An der Unter¬ 
lippe sind die Verletzungen tiefer und dringen bis in die Muskulatur: Eine 
Verletzung befindet sich linkerseits mit cm. Tiefe, eine andere in der Mittel¬ 
linie von Vt dritte rechterseits ebenfalls von */» c™* Tiefe. 

8. Die innere Lippe sowohl wie das Zahnfleisch hat eine schwarze Fär¬ 
bung, und fehlt die ScUeimhant vom Bande des Zahnfleisches bis zur Lippe. 

10. Am Halse zeigt sich angetrocknetes Blut, in Streifenform von oben 
nach unten ziehend. 

11. Das Barthaar ist von angetrocknetem Blute beschmutzt. 

B. Innere Besichtigung. 

I. Oeffnung der Kopfhöhle. 

18.-Auf dem rechten Stirnbein zeigt sich ein 2 cm. langer und 

ebenso breiter Bluterguss unter der Knochenhant. Demselben entspricht ein 
gleicher Flecken in der Haut des Schädels. 

20. Die harte Hirnhaut ist im Ganzen weisslich getrübt. Vom zeigt sich 
in der Umgebung der Mittellinie eine weisslich - röthliche Auflagerung, welche 
sich nicht abwischen lässt; eine ebensolche zeigt sich an beiden Seiten in der 
Gegend der mittleren Hirnschlagader beiderseits. 

21. Die harte Hirnhaut löst sich schwer vom Gehirn ab, auf der inneren 
Seite trübe Ablagerungen. Nach deren Entfernung zeigt sich auf der oberen 
Fläche der weichen Hirnhaut, besonders in der Mittellinie eine weis: liehe Trü¬ 
bung. Die weiche Hirnhaut ist nicht ohne Verletzung der Himmasse selbst 
ablösbar. 

22. Die Gefässe der weichen Hirnhaut sind ziemlich gefüllt, selbst die 
kleineren enthalten noch Blut. 

23. Der Längsblutleiter ist mässig gefüllt. 

24. Die beiden Gehirnhalbkugeln zeigen beim Durchschnitt ein spiegel¬ 
glänzendes Aussehen mit zahlreichen Blutpi^ten. Die Konsistenz des (^hirns 
ist mässig weich. Die weisse Substanz zeigt zahlreiche Blutpnnkte. 

26.-Die Gefässplatten sind stark geröthet. 

n. Oeffnung der Brust- und Bauchhöhle, 
a. Organe der Brusthöhle. 

89. Die rechte Vorkammer enthält ca. 30. cm. dunkelflüssiges Blut, in 
der rechten Kammer ist etwas weniger Blut von derselben Farbe. 

40. In der linken Vorkammer befanden sich etwa 15 cm. dunkles flüssiges 

Blut. Die linke Kammer fast leer.- 

41. Ans den anfgesehnittenen Gefässen ergiesst sich eine grössere Menge 
schwarzen theerartigen Blutes. 

42. Bei der Herausnahme der linken Lunge aus dem Bmstfellranme ent¬ 
leert sich aus der durchschnittenen grossen Luftröhre eine dunkle, blutigschanmige 
Masse. Die Oberfläche der Lunge ist mattglänzend. Die Farbe derselben ist 
auf der Vorderfläche dunkelröthUch und hinten schwarzroth. Der obere Lappen 
ist heller gefärbt, und kann man ans demselben beim Dracke Luftblasen ent¬ 
leeren. Der untere Lappen ist beim Durchschnitt schwärzlich gefärbt und ent¬ 
leert beim Drucke eine schwarze, dunkle, mit Luft untermengte Masse. Die 
Luftröhren enthalten ebenfalls dieselbe blutige Masse ;ihre Schleimhaut ist stark 
geröthet. 

Die rechte Lunge zeigt im Ganzen dieselben Verhältnisse, nur die Ober¬ 
fläche der Lunge ist ndt Auflagerungen versehen und aus den Luftröhren ergiesst 
sich eine blutig-schaumige Masse. 

48. Es wird der Unterkiefer in seiner Mittellinie durchsägt und ansein¬ 
andergehalten, und darauf von untenher Luftröhre, Kehlkopf und Mundhöhle 
^rOfihet. Dabei findet sich in dem Kehlkopf und der Luftröhre eine grosse Menge 



Eine merkwürdige Art von Selbstmord durch Sprengpulverexplosion. 85 


dunklen, schwarzen Blutes. Nach Entfernung desselben zeigt sich die Schleim* 
hant an den hinteren Partien gerbthet. 

44. üeber den Eingang des Kehlkopfes bis an den harten Gaumen zeigt 
sich eine Menge dunkler Flüssigkeit. Rechterseits am Gaumenbogen wird eine 
Trennnim des Zusammenhanges festgestellt. 

45. Die anfsteigende ^hlagader enthält -eine ziemlich starke Menge theer* 
artigen Blutes. 

b. Organe der Bauchhöhle. 

46. Milz-stark bluthaltig. 

47. Linke Niere, — rechte Niere desgleichen.-Beim Durchschnitt 

stark bluthaltig. — 

51. Leber-auf dem Durchschnitt brüchig, gelblich gefllrbt. Die 

Klinge bedeckt sich mit einem fettigen Belag. Blutgehalt mSssig. Zeichnung 
der Leberläppchen undeutlich.- 

52. Magen und Speiseröhre werden zusammen heraus^enommen. Bei der 
Eröffiiung derselben fanden sich in der Speiseröhre 5 Glassplitter von dreieckiger 
Gestalt. Die Dicke derselben beträgt 0,4 cm; die Länge des grössten Splitters 
1,8 cm; seine Breite 1,3 cm; die Länge des zweitgrössten 1,4 cm, seine Breite 
ebenfalls 1,3 cm; die Länge der kleineren Splitter 1,1—1,8 cm. 

63. Im Magen fand sich gleichfalls ein Glassplitter von 0,4 cm Dic^e, 
dessen grösste Länge 2,0 cm betrug. Ausserdem war in demselben nur eine 
ganz geringe Menge röthlich-trüber Flüssigkeit vorhanden. 

Die Schleimhaut des Magens ist glatt, im Magengmnde geröthet. 

55. Die aufsteigende Aorta, sowie die Hohlader enthalten dunkles flüs¬ 
siges Blut. 

An der Stelle des Kellers, wo die Leiche zuerst aufgefunden 
war, wurden bei weiterer Nachsuchung ausser angebrannten Papier¬ 
streifen, eine Anzahl ähnlicher Glasplitter wie in der Leiche ge¬ 
funden. Diese anscheinend dem Boden eines Glasgeßlsses entstam¬ 
menden Glastheile enthielten eine grauschwarzkömige Masse, welche, 
mikroskopisch untersucht, verschieden gestaltete, kleinere und 
etwas grössere, nicht organisirte Partikelchen zeigte. Genau das¬ 
selbe Resultat ergab die mikroskopische Untersuchung der in der 
linken Hand, wie in der Mundhöhle und Luftröhre Vorgefundenen 
Massen. 

Die Obduzenten gaben ihr vorläufiges Gutachten 
dahin ab: 

1) Der Tod ist durch Erstickung entstanden. 

2) Die Erstickung erfolgte durch Eindringen von Fremdkör¬ 
pern in die Luftwege und in den oberen Theil der Ver¬ 
dauungsorgane, sowie durch eingedrungene Gase. 

3) Die in Mund- und Luftröhren Vorgefundenen schwarzen 
Pai’tikelen sind als die Produkte einer stattgefundenen 
Explosion anzusehen. 

Auf Befragen des Herrn Untersuchungsrichters: 

woher die an den Lippen Vorgefundenen Verletzungen 
rühren ? 

gaben die Obduzenten ihre Ansicht dahin ab, dass dieselben 
wahrscheinlich durch die Vorgefundenen Glassplitter zu Staude 
gekommen sind. 

Auf weiteres Befragen: 

ob der Tod durch fremde Schuld veranlasst sei? 
erklärten die Obduzenten, dass die an den Händen (beson- 



86 


Dr. Heiligen: Eiu merkwürdiger Selbstmord etc. 


ders an der linken Hand) Vorgefundenen schwarzen Kohlen¬ 
partikel dafiir sprechen, dass Denatus eine Explosion aus 
einer Flasche eigenhändig bewerkstelligt habe. 


Die in der Brusthöhle der Leiche, speziell in Luftröhre und 
Kehlkopf Vorgefundenen Veränderungen (Nr. 42 u. 43) und Fremd¬ 
körper lieferten den Beweis, dass der Erstickungstod nicht nur 
durch Eindringen grosser Mengen Pulverdampfs und Reste unver¬ 
brannten Pulvers in die Luftröhren, sondern auch durch das aus 
Mund- und Rachenhöhle in die bei Rückenlage des Selbstmörders 
herabgeflossene Blut herbeigeführt war. 

Wie war nun der Selbstmord ausgeführt worden? 

Die in Speiseröhre und Magen Vorgefundenen Glasstücke 
stimmten in Bezug auf Form, Farbe und Dicke des Glases genau 
mit den neben der Leiche im Keller aufgesuchten grösseren Glas- 
theilen überein, und gehörten jedenfalls einer Flasche an, wie solche 
in grösserer Anzahl auf einem Tische des Kellers umherstanden. 
Der Selbstmörder hatte nun offenbar eine Flasche mit Sprengpulver, 
was sich noch in grösserer Menge im Keller vorfand, gefüllt, 
dieselbe dann angezündet und vor seinen geöffneten Mund gehalten. 
Die stärker geschwärzte linke Hand deutet darauf hin, dass die 
Flasche mit dieser Hand gehalten wurde. Durch den bei der Ex¬ 
plosion sich entwickelnden Pulverdampf wurde die Mundhöhle (Nr. 8) 
geschwärzt; Glasscherben verletzten die Lippen und den Gaumen 
(44), und es erfolgte zunächst Betäubung durch Pulverdämpfe, 
die allmählich (durch Erstickung in Folge Verstopfung der Luft¬ 
wege durch herabgeflossenes Blut) in den Tod überging. Dieser 
Annahme entspricht auch die Angabe der Frau, wonach sie ihren 
Mann oberflächlich athmend und schwach röchelnd vorgefunden 
haben will. Zu Anfang dieses asphyktischen Stadiums war es 
auch möglich, dass die in die Mundhöhle hineingeschleuderten Glas¬ 
splitter hinabgeschluckt wurden; denn dass sie durch die Explo¬ 
sionskraft des Pulvers bis in die Speiseröhre und den Magen 
hinabgeschleudert sein sollten, ist nicht anzunehmen. 

Warum der Betreffende diese ganz eigenthümliche Art des 
Selbstmordes, mit der er übrigens auch seinen Zweck hätte ver¬ 
fehlen können, überhaupt gewählt hat, düifte seine Erklärung 
zum grossen Theil in den Veränderungen finden, die das Gehirn 
darbot (Meningitis chronica alcoholica). Aller Wahrscheinlichkeit 
nach hatte er erst auf einer Glasplatte die Explosionskraft des 
Pulvers erprobt, dann vom Fenster aus beobachtet, ob nicht durch 
den Knall die Umgebung alarmirt würde und hierauf zur Er¬ 
reichung seines Zweckes die mit Sprengpulver gefüllte Flasche 
in ähnlicher Weise gebraucht, wie dies häufig mit einem Pistol 
geschieht. Die Wirkung war hier indess eine andere. Es trat 
der Tod ein nicht durch Sprengung des Schädels, son¬ 
dern durch Erstickung. 



Dr. Lorenz: Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Reg.-Raths Roeekl. 87 


Erwiderung auf die Bemerkungen dee Herrn Regierungeraths 
Röcki in Berlin zu meinem Artikel Uber die Bekämpfung der 
Tuberkulose des Rindviehs etc. 

Von Obennedizinalrath Dr. Lorenz in Darmstadt. 

Die in Nr. 3 S. 63 u. flF. enthaltenen Bemerkungen des Herrn 
Regierungsraths Röcki könnten zu der Annahme fti^en, als hätte 
ich die übeit des Herrn Röcki selbst anfechten wollen. Dies 
lag mir gänzlich fern. Ich erachte dieselbe als eine verdienst¬ 
volle, zumal ich glaube beurtheilen zu können, wie schwierig es 
gewesen sein mag, aus dem jedenfalls sehr mannigfaltigen und 
in vielen Punkten äusserst verschiedenartigem Material ein ein¬ 
heitliches Ganze zu schaffen, wie dies Herrn Röcki gelungen 
ist. Die von mir hervorgehobenen Ausstellungen gelten daher nicht 
dem Herrn Verfasser, sondern gewissen Mängeln der Sache selbst, 
deren Vorhandensein Herr Röcki in seinen Bemerkungen noch¬ 
mals hervorhebt. 

Nur die Bemerkung zu dem, was ich über die in dem Rund¬ 
schreiben des Reichskanzlers vom 24. August 1888 enthaltenen 
Vorschläge geäussert, begreife ich nicht ganz. Die fraglichen 
Vorschläge beziehen sich grösstentheils auf veteiinär-polizeiliche 
Massnahmen, wie Anzeigepflicht, Beseitigung kranker Theile tuber¬ 
kulöser Thiere, Desinfektion etc. Dass in dem Rundschreiben die 
wirthschaftliche Seite in den Vordergrund gestellt wäre, 
scheint mir daher doch nicht ganz richtig. Eine scharfe Trennung 
zwischen veterinär-polizeilichen und wirthschaftlichen Massnahmen 
dürfte überhaupt nicht immer möglich sein, zumal erstere, soweit 
sie sich auf die Beseitigung von Krankheiten unter den Haus- 
thieren erstrecken, streng genommen eigentlich immer auch wirth- 
schaftlicher Natur sind. Ich hoffe übrigens, dass zu dem, was ich 
in Bezug auf die in dem event. Rundschreiben unter 4 enthaltenen 
Massnahmen ausgeführt habe, Hen* Röcki ebenfalls zustim¬ 
men wird. 


Aus Yereammlungen und Vereinen. 

Bericht fiber die 04. Versammlim^; der Hedizlnalbeamten 
des Be(;.-Bez. Amsberc am 31. Oktober 1891 zu Hai^ii. 

Zu <ler Versammlung hatten sich eingefundeu die Mitglieder: Reg.- und 
Med.-Rath Dr. Tenho 11- Arnsberg, die Kreisphysiker San.-Rath Dr. Terfloth- 
Lttdenscheid, Dr. Rö per-Arnsberg, Geh. San.-Rath Dr. Ha ge mann-Dort¬ 
mund, Dr. L i m p e r-Gelsenkirchen, San.-Rath Dr. Moorss-Hagen, San.-Rath 
Gruch 0 t-Hamm, Dr. G r a e v e - Hattingen, Dr. Schul te-Hörde, Dr. Spancken- 
Meschede, San.-Rath Dr. B tiren-Lserlohn, Dr. Lcmmer-Schwelm, Dr. Bremme- 
Soest, Dr. Guder-Laasphe, sowie die Kreiswundärzte Dr. Redeker-Bochum, 
Dr. Bange-Niedermarsberg, Dr. Rose-Menden, Dr. Lenzmann-Kamen und 
San.-Rath Dr. Fuccius-Olpe. 

Als Gäste waren anwesend Herr Reg.- und Med.-Rath Dr. Hölker ans 
Münster und der revidirende Apotheker Herr Funcke aus Witten. 

Ausserdem beehrte der Herr Regierungs-Präsident der Königlichen Re¬ 
gierung zu Arnsberg die Versammlung durch seine Anwesenheit. 



88 


Aus Vcrsainmliingeu und Vereinen. 


Nachdem demselben die anwesenden Mitglieder des Vereins vorgestellt 
waren, begannen die auf der Tagesordnung stehenden Vorträge. 

1. Anzeigepflicht beim Auftreten von Infektionskrankheiten 

H. Reg.- u. Med.-Rath Dr. Tenholt: Die Anzeigepflicht beim Auftreten 
gewisser ansteckenden Krankheiten ist, ganz abgesehen vom statistischen Werth, 
die Grundlage für die Bekämpfung der Epidemien. 

Daher befasst sich auch das in mancher Beziehung allerdings veraltete 
Volksseuchen-Gesetz, das Regulativ vom 8. August 1835, zunächst mit der Er¬ 
mittelung der ansteckenden Krankheiten. Im §. 9 der allgemeinen Bestimmungen 
heisst es: „Alle Familienhäupter u. s. w. — Anzeige machen.“ 

Sie wissen, m. H., dass die Bestimmungen dieses Paragraphen zu den¬ 
jenigen Obliegenheiten gehören, die mehr unterlassen als befolgt werden. Und 
doch stehen wir bei den grossartigen Fortschritten der Neuzeit auf epidemiolo¬ 
gischem Gebiete vor der unabweisbaren Forderung, dass die Anzeigepflicht ver¬ 
wirklicht werde. 

Die bekannten Ministerial-Erlasse vom 14. Juli 1884, betr. die Verhütung 
der Uebertragung ansteckender Krankheiten durch die Schulen, bezw. der Ein¬ 
schleppung d(ir Cholera haben wohl den meisten Regierungen Veranlassung ge¬ 
geben, die Anzeigepflicht neu zu regeln. So entstand auch für den Reg.-Bez. 
Arnsberg die Polizei-V erordnung vom "^ 2 . August 1884, nebst den zugehörigen 
Instruktionen für die Polizeibehörden, Kreisphysiker und Kreisschulinspektoren. 
Der §. 1 schreibt Folgendes vor: 

„Alle Familienhäupter, Haus- und Quartierwirthe, Pensionshalter, 
sowie Aerzte und andere Personen, welche sich mit der Ausübung der 
Heilkunst beschäftigen, sind verpflichtet, jeden in ihrer Familie, ihrem 
Hause, ihrer Wirthschaft, ihrem Hausstande, sowie bei Ausübung der 
Heilkunst vorkommenden Fall von Cholera u. s. w. ungesäumt nach 
der Erkennung der Krankheit der Polizeibehörde desjenigen Ortes, in 
welchem die Krankheit erkannt worden ist, schriftlich oder mündlich 
anzuzeigen.“ 

Wie hat sich nun diese Bestimmung bewährt? Was halten die Herren 
Kreisphysiker von der Zuverlässigkeit der Uebersichten, die sie in Geraässheit 
der Verfügung vom 28. Juni 1881 wöchentlich dem Herrn Regierungs-Präsidenten 
zu überreichen haben? Es wird zweckmässig sein, den üblichen Geschäftsgang des 
Anzeigewesens, der vielleicht nicht allgemein kannt sein dürfte, kurz anzugeben: 

Nehmen wir an, dass Jemand einen Fall von Scharlacherkrankung, die 
später mit dem Tode des Kranken endigt, polizeilich anmeldet. Der Polizei¬ 
beamte vermerkt ausser dem Datum der Anmeldung, Namen, Alter, Geschlecht, 
der Wohnung des Kranken u. s. w. den Namen der Krankheit. Der später ein¬ 
tretende Todesfall wird der Polizeibehörde nicht angemeldet, denn dies ist nir¬ 
gends vorgeschrieben. Die vorerwähnte Instruktion für die Polizeibehörden ord¬ 
net allerdings an, dass die Polizeibehörde sich in geeigneter Weise über den 
Verlauf der angemeldeten Krankheit, insbesondere darüber, ob sie mit Genesung 
oder mit Tod endigt, Kenntiiiss verschaffen soll. Die Wege, welche die Polizei¬ 
behörden in dieser Beziehung einschlagen, werden verschieden sein. Wenn der 
vorerwähnte Polizeibeamte zugleich der Standesbeamte ist, so wird er gelegent¬ 
lich der Aulnahme der Todesanzeige nach der Todesursache fragen können, ver¬ 
pflichtet ist er hierzu nicht; denn dem Standesbeamten liegt die Ermittelung 
der Todesursache nicht ob, er vermerkt bezüglich des eingetretenen Todes nur 
den Tag und die Stunde desselben. Nun werden Sie sagen: „Wir Kreisphysiker 
erhalten aber doch, gemäss der Reg.-Verfügung vom 3. August 1889, jährlich 
einmal von den Standesämtern die Uebersicht über die im verflossenen Jahre 
vorgekommenen Sterbefälle, in welcher auch die einzelnen Todesursachen ange¬ 
geben sind. Das ist richtig. Die Standesämter reichen auch vierteljährlich au 
das statistische Bureau die bekannten Zählblättchen ein, welche ebenfalls die An¬ 
gabe der Todesursache enthalten. Der Standesbeamte ist jedoch für die Rich¬ 
tigkeit dieser Angabe nicht verantwortlich; es steht in seinem Belieben, wo, 
wann und wie er die betreffende Kenntniss sich verschaffen will. Soweit meine 
Erfahrungen reichen, führen die meisten Standesbeamten eine Privatliste, in 
welche sie die gelegentlich der Aufnahme der Sterbefallsurkunde nachgeforschte 
Todesursache eiutragen. Dabei wird aber der Umstand, dass die den Sterbefall 
anmeldende Person über die Todesursache nicht immer gehörig unterrichtet ist, 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


8d 


häufig zu Irrthümern führen. Ist beispielsweise der vorerwähnte Scharlachkranke 
unter angeblichem Hinzutreten von Diphtherie gestorben, so wird voraussichtlich 
der Standesbeamte als Todesursache „Diphtherie“ vermerken, während der 
Kranke bei der Polizeibehörde unter „Scharlach“ eingetragen worden ist. Es 
ist kaum glaublich, aber, wie Sie sehen, erklärlich, dass unsere statistischen Er¬ 
hebungen die widersprechendsten Zahlen ergeben. So sind beispielsweise im 
Jahre 1886 im Reg.-Bez. Arnsberg nach den Ermittelungen des statistischen 
Bureaus 507, nach den Ermittelungen der Polizeibehörden nur 217 Personen am 
Unterleibs-Typhus gestorben. Angenommen, dass die Zahl des statistischen 
Bureaus, die auf den standesamtlichen Ermittelungen beruht, annähernd richtig 
ist, so würden, in der Voraussetzung, dass die Polizeibehörde den Ausgang der 
einzelnen angemeldeten Erkrankungen an Typhus vermerkt hat, die an Typhus 
erkrankten Personen nur etwa zur Hälfte polizeilich angemeldet sein. 

Die Unterlassung der Anzeige beniht zum Theil auf dem mangelhaften 
Interesse der Aerzte, zum Theil auf der Gleichgültigkeit der Familienhäupter 
und der sonstigen dem Kranken nahestehenden Personen, denen beim Ausbruch 
einer ansteckenden Krankheit in der Regel nichts ferner liegt, als der Gedanke, 
zur Polizeibehörde zu gehen oder ihr schriftlich mitzutheilen, dass Jemand an Typhus, 
Diphtherie u. s. w. erkrankt sei. Dazu kommt die Frage: wer ist denn eigent¬ 
lich für die Erstattung der Anzeige verantwortlich? Sollen sämmtliche der im 
§. 9 des vorerwähnten Regulativs genannten Personen die Anzeige erstatten, 
oder genügt es, wenn es einmal geschieht. Das letztere wird vernünftiger 
Weise als richtig zu erachten sein; es wird aber die Anzeige daher leicht unter¬ 
lassen, weil der eine dieselbe vom andern erwartet. 

Es fragt sich, ob es nicht zweckmässiger sein würde, die Bestimmung zu 
treffen, dass in allen Fällen, wo der Kranke ärztlich behandelt wird, lediglich 
der Arzt, in den übrigen Fällen nur das Familienhaupt, bezw. der Haus- oder 
Gastwirth zur Anzeige verpflichtet ist. 

Die Bestimmung der Polizei-Verordnung vom 22. August 1884, nach 
welcher auch nicht approbirten Personen, welche sich mit der Ausübung der Heil¬ 
kunst befassen, die Anzeigepflicht auferlegt wird, ist mir wenig sympathisch. 
Man darf von den Kurpfuschern noch viel weniger, als von den gleichgültigsten 
Aerzten die Erfüllung dieser Pflicht erwarten, und schliesslich dürfte das aus 
dieser unsicheren Quelle kommende Material die Zuverlässigkeit der Statistik 
eher vermindern als vermehren. Andererseits sollte man alles vermeiden, was 
die Kurpfuscher gewissermassen legalisiren, ihnen eine Gleichberechtigung in 
dieser wichtigen Sache mit den Aerzten verleihen könnte. 

Der Schwerpunkt der Anzeigepflicht muss in die Hände der praktischen 
Aerzte gelegt werden; dieselben werden alsdann dies Geschäft viel eher als eine 
Ehrenpflicht betrachten, als wenn sie dasselbe mit Jedermann, sogar mit Kur¬ 
pfuschern theilen sollen. 

Die Erfüllung der Anzeigepflicht müsste den Aerzten auch möglichst er¬ 
leichtert werden. Wer zuviel fordert, der erhält bekanntlich nichts. Die Zahl 
der zu beantwortenden Fragen muss auf das Allemothwendigste beschränkt 
werden, was namentlich bezüglich der neuerdings seitens mehrerer Kreis-Kom¬ 
munalverbände oder sonstiger Verbände gelieferten Anzeigeformulare zu be¬ 
achten ist. 

Die Stadt Dortmund liefert den Aerzten mit Freimarken versehene Post¬ 
karten, auf deren Rückseite ein Formular für 6 Anzeigen vorgedruckt ist. Die 
Anzeige beschränkt sich auf die Angabe des Namens, Alters, der Wohnung und 
Krankheit des Patienten. Die Einrichtung hat sich bewährt. Versuche dieser 
Art sollen auch in anderen Kreisen, was wir nachher bei der Diskussion erfahren 
werden, gemacht worden sein. 

Die Erspriesslichkeit der Einrichtung hängt indessen wesentlich davon ab, 
ob und inwieweit der Kreisphysikus den Behörden seines Bezirks ein Interesse 
für die Sache abzugewinnen, mit den Aerzten gehörige Fühlung und angemessenen 
kollegialischen Verkehr zu unterhalten vermag. Denn das dürfen wir uns nicht 
verhehlen, dass ohne die freiwillige Mitwirkung der praktischen Aerzte eine zu¬ 
verlässige Morbiditätsstatistik nicht zu erlangen ist. Die geeignetsten Verbände 
zur Anregung der Thätigkeit auf diesem Gebiete sind die ärztlichen Kreisver¬ 
eine, zumal, wenn der Kreisphysikus in denselben ein gern gesehenes und mass¬ 
gebendes Mitglied ist. Die schönsten frankirten, gratis gelieferten Postkarten- 



90 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


Formulare ntttzen nichts, wo der gute Wille des Arztes fehlt, während Sie für 
den Fall, m. H., dass Sie das Interesse und die Bereitwilligkeit der Aerzte für 
die Sache gewinnen, Freude an der Bearbeitung der Statistik geniessen werden. 
Nach diesen einleitenden Bemerkungen stelle ich folgende Fragen zur Dis¬ 
kussion : 

1. Liegt das Bedürfni SS vor, die für den Regierungsbezirk 
bestehenden Bestimmungen (Polizei-Verordnung vom 22. Aug. 
1881) abzuändern, zu ergänzen oder zu verschärfen? 

2. Hält die Versammlung die Beschaffung von gedruckten 
Anzeige-Formularen event. mit welcher Einrichtung 
für zweckmässig? 

Der Vortrag rief eine sehr anregende, lebhafte Debatte hervor, wobei 
auch der Herr Beg.-Präsident wiederholt das Wort ergriff. 

2 . Ueber Desinfektion in kleinen Städten und anf dem Lande. 

H. Kreisphysikus Dr. Spancken: Das Gebiet der Desinfektion ist ein 
von den hier versammelten Sachverständigen so gepflegtes und in Folge dessen 
in allen Theilen so bekanntes, dass es „E^en nach Athen tragen“ hiesse, wenn 
ich mich unterfangen wollte, hier etwas Besonderes, Neues vorznbringen. Eine 
kurze Schilderung der Art und Weise indessen, wie das Desinfektionsverfahren 
in kleinen Städten und anf dem Lande mit gutem Erfolge durchgefUhrt werden 
kann, dürfte immerhin, wenn auch nicht gerade hervorragende Resultate, so 
doch eine für Manchen fruchtbare, für mich selbst insbesondere belehrende Dis¬ 
kussion im Gefolge haben. 

Je wohlhabender ein Bezirk an sich, mit um so geringeren Schwierig¬ 
keiten ist — die nüthige Intelligenz der Bewohner bezw. der Vertreter dieser 
Bezirke vorausgesetzt — ein erfolgreiches Desinfektionsverfahren dnrchznführen. 
Je mehr aber die pekuniären Schwierigkeiten sich hänfen — und dieses ist 
wohl gerade in Kreisen, wie den meinigen der Fall —, je indolenter der Be¬ 
völkerungsschlag beschaffen, um so komplizirter ist für den Sanitätsbeamten der 
Standpunkt bei Durchführung hygienischer bezw. sanitätspolizeilicber Massregeln. 
Darin stehe ich wohl mit Allen auf einem Standpunkte, dass als Ideal für die 
Durchführung eines Desinfektionsverfahrens gelten dürfte, dass dasselbe ganz 
und gar der zeitigen wissenschaftlichen Basis entspreche, dass dasselbe ohne 
Belastung des Einzelnen anwendbar sei (Bestreitung der Kosten aus öffentlichen 
Fonds), sowie dass die ganze Ausführung nur durch Sachverständige stattfllnde 
(Bemfsdesinfektoren). Die Verwirklichung dieses Ideals bleibt aber gerade für 
den Landphysikus zum grösseren Theil ein frommer Wunsch und doch soll er in 
gleicher Weise, wie der in dieser Hinsicht bedeutend besser sitnirte Stadtkollege 
über das gesundheitliche Wohl seines Bezirkes wachen und das Fortschreiten 
ansteckender Krankheiten verhindern. Hier muss aber mit möglichst geringem 
Aufwand einerseits und da, wo es sich um Anschaffung von kostspieligen Appa¬ 
raten handelt, auf dem Wege des Rentabilitätsnachweises anderseits die Panzer¬ 
seite der Stadtväter bezw. Gemeinde Vertreter durchbrochen werden; sonst ist 
auf einen Erfolg keine Aussicht zu nehmen. 

Nach Uebemahme meines Amtes wurde es mir sehr bald klar, dass das 
Desinfektionswesen in meinem neuen Wirkungskreise meistens noch nach dem als 
antiquirt zu bezeichnenden Regulativ von 1835 gehandhabt zu werden pflegte. Die 
in Meschede auch für die Stadtpflege zur Verfügung stehenden Barmherzigen 
Schwestern nahmen nach Ablauf von ansteckenden Krankheiten, wie Diphtherie, 
Scharlach, Typhus etc. die Desinfektiou der Räume und Effekten in der Weise 
vor, dass sie Stangenschwefel daselbst abbrannten, also schweflige Sänre ein¬ 
wirken liessen. 

Ihnen Allen ist wohl noch erinnerlich, welche Umwälzung auf dem ganzen 
medizinischen Gebiete die Veröffentlichung der im I. Bande der Mittheilungen 
aus dem Reichs-Gesnndheitsamte niedergelegteu Resultate aus den Arbeiten 
Wolfhügel’s, Koch’s, Gaffky’s und Löffler’s hervorriefen. Wolf¬ 
hügel wies, ohne mich hier auf Einzelheiten einzulassen, zur Evidenz nach, 
dass schweflige Säure ein absolut unzuverlässiges Desinfektionsmittel ist; ebenso 
erging es den Mitteln Chlor, Chlorziuk, Karbolöl etc. bei den genannten anderen 
Forschern. Als brauchbare Desinfektionsmittel blieben eigentlich bestehen: 
Karbolsäure 5®/o, Sublimat l®/oo, Aetzkalk und Hitze. 



Aas Versammlongen and Vereinen. 


91 


Wie die Therapentik auf allen Gebieten, namentlich in der Cbirargie and 
Gebartshttlfe sich diesen Forschongsresultaten adoptirte, so war es nnaasbteiblich, 
dass anch in den hygienischen bzw. sanitätspolizeilichen Massregeln Veränderongen 
in dieser Richtung vorgenommen werden mussten. So lange nnn nicht eine allge¬ 
meine, für das Reich geltende Norm (Desinfektionsgesetz) besteht, so lange nicht die 
Oberbehörden (Bezirksregierangen) allgemeine diesbezügliche Verfügungen erlassen 
haben, ist der einzelne Sanitätsbeamte darauf hingewiesen, für seinen Kreis be¬ 
sondere Bestimmungen in dieser Richtung zu treffen und dieselben mit Polizei- 
kraft versehen zu lassen, wenn er sich nicht stets und immer der Unannehm¬ 
lichkeit ausgesetzt sehen will, falls er auf Widerspänstige stösst, dass seine An¬ 
ordnungen einfach nicht aasgeführt and Desinfektionen nach der alten Methode 
vorgenommen werden. Die Quintessenz der Desinfektion liegt aber zur Zeit, 
wie wir wissen, in der Reinigung der nicht waschbaren Effekten, namentlich 
der Betten, Kleidungsstücke etc. durch Dampfhitze von mindestens 100*’ C. 

Von den vielen, alle in ihrer Art schätzenswerthen, meistentheils sich 
durch den Kostenpunkt unterscheidenden Apparaten ist mir der Badenberg 
sehe aus eigener Erfahrung am bekanntesten und gestatte ich mir hierorts eine 
Berechnung zu deponiren, woraus die Rentabilität dieser Einrichtung ersichtlich 
sein dürfte. 

Der Apparat ist seit dem Jahre 1889 zu Meschede in Betrieb gesetzt. 
Derselbe wuide zweithürig — was lediglich zu empfehlen — angeschafft und 
beim Krankenhause so aufgestellt, dass der Dampfentwickler mit einem Theil 
des Desinfektionszylinders im Vorderraum, der übrige Theil im Hinterraum, 
welcher weit geräumiger ist und Vorrichtungen zum Aufhängen der desinfizirten 
Gegenstände enthält, sich befindet. Vorder- und Hinterraum sind durch eine 
Backsteinwand von einander getrennt und kommt bei zwei Bedienungsmann¬ 
schaften der eine (Heizer) nur mit den infizirten, der zweite nur mit den desinfi¬ 
zirten Sachen in Berührt^. Nach beendigter Desinfektion ist das rasche Aus- 
breiten der Gegenstände auf Gestellen und Befreien derselben vom Dampf (durch 
Klopfen) wichtig, da alsdann eine Kondensation nicht stattfinden kann und di 
Sachen sofort trocken sind. Um ein zu starkes Andrängen der Gegenstände 
gegen die in dem Desinfektionszylinder befindliche durchlöcherte Doppelwand 
und ein Benetzen der Gegenstände durch Kondeuswasser zu vermeiden, wurde 
ein das untere und die beiden Seitensegmente abschneidendes Lattengestell von 
der Form eines oben offenen Trapezoides konstruirt und ein für alle Mal bin- 
e ingeschoben. Dadurch ist erreicht, dass man anch noch Bündel auf den Boden 
des Zylinders legen kann. Besondere Unkosten entstehen beim Gebrauch des 
Apparates nicht, nur ist zuweilen eine Erneuerung des zwischen den Verschlussthüren 
befindlichen Filzes erforderlich, da derselbe fa^t. 

Im Jahre 1889 wurden für Desinfektionen rund 300 Mark vereinnahmt. 
Die Auslagen für Kohlen, Reparaturen, Verbesserungen beliefen sich auf ca. 
110 Mark. Der Apparat hat IKX) Mark gekostet, ist aber in Folge Steigens 
der Eisenpreise in den letzten Jahren etwas theurer geworden. Es wäre dem¬ 
nach eine Verzinsung vorhanden von 17,2 "/o, eine Summe, mit der eine ziem¬ 
lich rasche Amortisation des Anlagekapitals ermöglicht ist. 

Im Jahre 1890 wurden vereinnahmt 260 Mark. An Auslagen waren zu 
verzeichnen 98 Mark; demnach berechnet sich die Verzinsung auf 14,7“/o. Zu 
bemerken wäre hier allerdings, dass die Bedienung durch sogenannte Pfründer 
des Krankenhauses ansgeführt wird, welche keinen besonderen Lohnsatz dafür 
empfangen, sondern durchschnittlich etwa 30 Mark Trinkgeld erhalten. Ferner 
werden Desinfektionen lür das Krankenhaus, sowie für Dürftige und die Heb¬ 
ammen ohne Berechnung ausgeführt. Der Taxsatz für den ganzen Apparat be¬ 
rechnet sich auf Mark 5—6,50; für Reinigung einzelner Gegenstände wird 1 M. 
in Ansatz gebracht. Die Sachen müssen, wenn sie von mit leicht übertragbaren 
Infektionskrankheiten Behafteten herrtthren, namentlich Scharlach, Diphtherie, 
Pocken, Typhus, in Säcken bezw. Leinentücbern eingeliefert werden, die mit 5 % 
Karbolsäurclösung getränkt sind. Diese Vorschrift war nöthig, weil seiner Zeit 
die Anschaffung bc^sonderer Transportwagen verweigert wurde. 

Aus dem Gesagteu dürfte immerhin die Rentabilität der Anschaffung für 
Bezirke, namentlich sulche, in denen sich ein Krankenhaus befindet, hervorlenchten. 
Die Anschaffung transportabler Apparate ist meiner Ansicht nach für gebirgige 
Gegenden der Schwierigkeit des Transports wegen nicht anzuempfehlen. 



92 


Alis Versammlungen und Vereinen. 


Da das Desinfektionsvorfahren mit Dampfapparaten von illusorischem Er¬ 
folge sein würde, falls nicht gleichzeitig auch die Räume mit den Gegenständen, 
welche vermittelst Dampfes nicht behandelt werden können, ebenfalls einer vor- 
schriftsinässigen Reinigung unterzogen werden, so hielt ich es für angezeigt, 
eine Desinfektionsordnung, die gleichzeitig als Instruktion für die Polizeibehörden 
dienen soll, für den Kreis zu entwerfen und wurde dieselbe durch die Ober- 
Polizeibehörde, den Landrath, mit Polizeikraft versehen. Dieselbe gestatte ich 
mir, hier folgen zu lassen und bitte die Herren Kollegen, falls sie etwas daran 
auszusetzen linden, mich gefälligst belehren zu wollen. Sie lautet: 

Desinfektionsverfahren bei ansteckenden Krankheiten mit A us- 
nahme von Masern und Krätze. 

A. Kranken- und Sterbezimmer. 

1. Decken und Wände sind frisch zu tünchen bezw. letztere mit einer 
neuen Tapete zu versehen. 

Wird die Erhaltung der Tapete gewünscht, so müssen die Wände ent¬ 
weder mit Brod abgerieben oder mit 5‘7o Karbolsäurelösung reichlich durch¬ 
feuchtet werden. Das Brod, sowie die abgelösten Krumen sind sorgfältig zu 
verbrennen. 

2. Sämmtliche Holzgegenstände, wie Bettstellen, Tische, Stühle, Bänke, 
Thüren, Thürpfosten, Fensterrahmen und Fensterbänke, Schränke, Holzbeklei¬ 
dungen und Fussböden sind mit 5^/o Karbolsäurelösung abzuscheuern. 

Zur Desinfektion eines Raumes von ca. 80 Kubikmetern Inhalt — für 
gewöhnlich entspricht dieser Rauminhalt einem Wohn- und Schlafzimmer zu¬ 
sammen — genügt eine Mischung von 560 Gramm flüssig gemachter konzeii- 
trirter Karbolsäure (Acid. carbol. liquefact.) in dem Inhalte eines gewöhnlich ca. 
10 Liter Wassers haltenden Schnibbeimcrs gelöst. Die Mischung wird herge¬ 
stellt, indem man einen solchen Eimer bis nahe an den Rand mit heissem 
Wasser füllt, dann den Inhalt der die Karbolsäure enthaltenden Flasche hinein¬ 
schüttet und nun das Ganze vermittelst eines Holzstabes umrührt. Während 
der Mischung, die ungefähr 3—4 Minuten in Anspruch nimmt, sind die Hände 
sorgfältig vor Benetzung mit der Flüssigkeit zu schützen, da die konzentrirte 
Karbolsäure intensive Verbrennungen resp. Verätzungen bewirkt. Nach gesche¬ 
hener Mischung ist die Benetzung der Hände gefahrlos. 

B. Utensilien, Effekten etc. 

3. Die waschbaren Effekten, Leinentücher, Taschentücher, Bettbezüge 
etc. sind nach dem Gebrauch sofort in Seifenlauge cinzustecken, demnächst aus¬ 
zukochen und zu waschen. 

4. Betten, Matratzen, sowie nicht waschbare Efl’ekten, Kleidungsstücke 
etc. sind vermittelst heissen Wasserdarapfes von 105® C., wie er in dem beim 
Krankenhause zu Meschede aufgestellten Desinfektionsapparat entwickelt wird, 
zu reinigen. 

5. Die unter Nr. 4 aufgeführten Gegenstände müssen behufs Transpor¬ 
tirung zum Apparat in Säcke resp. Leinentücher, w^elche mit 5®/o Karbolsäiire- 
lösung getränkt worden, eingebunden werden. Diese Umhüllung wird ange¬ 
wendet, nm eine Verschleppung des Krankheitsgiftes durch den Transport zu 
verhüten. Eine Desinfektionsordnung, wie sie beim Dampfapparat in Meschede 
gehandhabt wird, kann vom Krankenhausvorstande bezogen werden. 

6. Nichttransportable Gegenstände, wie 8opha.s, ferner Pelz- und Leder¬ 
sachen, Seide, gewirkte Sammetstofle werden an Ort und Stelle vermittelst 
Bürstens mit 5 ®/o Karbolsäurelösung gereinigt. 

C. Warte- und Pflegepersonen. 

7. Dieselben müssen während der Dauer der Krankheit die Berührung 
mit Gesunden, namentlich mit Kindern möglichst vermeiden. Vor jeder Nah¬ 
rungsaufnahme, welche ausserhalb des Krankenraumes stattfinden soll, müssen 
sich dieselben Gesicht und Hände vermittelst Seife und Wassers bezw. Sublimat¬ 
lösung (1:1000) reinigen. Die Bekleidungsstücke, Leibwäsche etc. derselben 
sind na(^ Vorschrift B. 3 und 4 zu desinfiziren. 

D. Aborte. 

8. Während der Dauer der Krankheit sind die Aborte, in welclie 



Kleinere Mittheilangen und Referate ans Zeitschriften. 




Oorgelflüssigkeiten, Erbrochenes und andere Abgänge der Kranken entleert 
werden, öfters durch Einstrenen von Aetzkalk, Kalkmilch oder Chlorkalk zu 
desindziren. Sitzbretter und Fnssböden sind täglich abzuscheuem. Die Geschirre 
müssen mit kochendem Wasser ausgeschwenkt werden. 

Nachsatz. Leichenansstellungen und Leichengefolge sind bei an An- 
stecknngskrankheiten Gestorbenen untersagt. 

Der Kreisphysikns. 

In der sich anschliessenden Diskussion führte Geh. San.-Bath Dr. 
Hagemann (Dortmund) aus, dass das Desinfiziren der Aborte vermittelst Chlor¬ 
kalk unzweckmässig sei, dass die Saprophyten überhaupt meistens zur Vernich¬ 
tung der Bazillen genügen, sowie, dass er das Reinigen von Kopf- und Barthaar 
vermittelst 5®/o Karbolsänrelösung für das Zweckraässigste halte. San.-Rath 
Dr. G r u c h 0 1 (Hamm) empfahl zur Herstellung 5 ®/o Karbolsäurelösung Acid. 
carbol. depur. als das Billigere. San.-Rath Dr. Terfloth (Lüdenscheid) las 
alsdann die sich eng an die Berliner anschliessende Desinfektionsordnnng für 
den Kreis Altena vor. 

Nach Erledigung der Vorträge theilte H. Kreisphysikns Dr. Terfloth 
mit, dass in Altena die Trichinose herrsche. Die Krankheit sei durch den 
Nachweis von Trichinen im Muskelfleische der Erkrankten bestätigt worden. 
Auch das trichinöse Schweinefleisch, welches die Ansteckung verursacht habe, 
sei bereits aufgefunden. Das betreffende Schwein soll angeublich im Schlacht¬ 
hause untersucht und als trichinenfrei bezeichnet worden sein. 

H. Kreisphysikns Dr. Schulte besprach den Fall, wie der Gerichts- 
arzt sich zu verhalten hätte, wenn Private, namentlich Berufs¬ 
genossenschaften, die Sektion einer Leiche verlangten. Er 
habe, nachdem er zufolge einer derartigen Requisition die Obduktion verrichtet, 
von der Staatsanwaltschaft ein Schreiben erhalten, worin dem Befremden Aus¬ 
druck gegeben sei, dass er die Obduktion ohne Wissen derselben vorge¬ 
nommen habe. 

Die Versammlung war der Ansicht, dass der Kreisphysikns in solchen 
Fällen sich vorher Gewissheit darüber zu verschaffen habe, ob etwa eine gericht¬ 
liche Untersuchung der Leiche in Frage kommen werde, bejahenden Falles müsse 
er den gerichtlichen Auftrag abwarten. 

Den Schluss bildete ein gemeinsames, fröhliches Festessen im Hotel 
Lünenschloss, an welchem auch der Herr Regierungspräsident und die 
übrigen Gäste tbeilnahmen. 

Einem vom Herrn Reg - u. Med.-Rath Dr. H ö 1 k e r gemachten Vorschläge, 
im Herbst eine gemeinschaftliche Sitzung der drei Reg.-Bez.-Vereine Münster, 
Minden und Arnsberg in Hamm anzuberaumen, gab die Versammlung gern ihre 
Zustimmung. Dr. Rcdeker, Schriftführer. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Zareclmnngsfähigkeit nnd Verbrecherthnm. Verhandlungen des Ver¬ 
eins der deutschen Irrenärzte, Weimar 1891. Ref. Geh. Med.-Rath Prof. Dr. 
Pelman-Bonn; Correferent Prof. Dr. Mendel-Berlin. 

Die Lehre vom Strafrecht und vom Strafvollzug ist endlich in eine neue 
Phase der Entwickelung getreten Das ist die grosse Errungenschaft, welche 
wir der kriminal - anthropologischen Bewegung verdanken. An die Stelle der 
Betrachtung des Verbrechens tritt die Betrachtung und Untersuchung des Ver¬ 
brechers. Der Name Lombroso wird unzertrennlich sein mit der Geschichte dieser 
Reformbestrebung, welche der Strafrechtspflege neue, bessere Wege weist. — 
Freilich sind Lombroso und seine Anhänger viel zu weit gegangen Das Ver¬ 
brechen ist nicht schlechtweg eine Neurose, der Verbrecher ist nicht stets ein Geistes¬ 
kranker. Mit vollem Recht hob Pelmann hervor, dass das Verbrechen — ent¬ 
sprechend den herrschenden ethischen Anschauungen — einen nach Zeitaltciu 



94 


Kleinere Mittheilongcn and Referate aas Zeitschriften. 


und Völkerschaften wechselnden Begriff darsteUt. Dieser Begriff kann sich 
ändern, während die Geisteskrankheit als Natnrerscheinang im Wesentlichen die¬ 
selbe bleibt. Es kann also auch keinen Verbrechertypas geben, in dem^Sinne, 
wie etwa der Typus des Engländers; es giebt auch keinen geborenen Verbrecher. 

Unstreitig richtig aber ist, dass der Konflikt mit dem Strafgesetz häufiger 
bei abnorm oder mangelhaft veranlagten, als bei geistig gesunden Naturen vor¬ 
kommt. Im Verein mit diesen inviduellen Zuständen wirken noch die äusseren 
Verhältnisse: Zeit und Umstände, Nachahmung und Verführung. 

Im Grossen und Ganzen kann man drei Gruppen unterscheiden bei denen, 
welche mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen: 

1. Die eigentlichen Geisteskranken: Imbezille, Paranoiker. Epileptiker, 
Alkoholiker. 

2. Die nicht nachweisbar Geisteskranken, aber Degenerirten, die „aus der 
Art geschlagenen“, defekten Individuen. Dieser „vom Typus Abweichende“ 
ist der eigentliche ,Nomo delinqnente‘ Lombroso’s. 

3. Die geistig gesunden, aber sittlich verkommenen Individuen. Sie sind 
Verbrecher, welche dem Strafgesetz mit Recht verfallen. 

Was ergeben sich hieraus für Konsequenten für die Behandlung der Ver¬ 
brecher in foroP 

Geisteskrankheit und Unzurechnungsfähigkeit sind zwar nicht ohne Weiteres 
sich deckende Begriffe, doch wird es für uns praktisch sein, das Zngeständniss 
der Juristen anznnehmen, nach welchem ausgesprochen geisteskranke Personen 
unzurechnungsfähig sind und daher straffrei Üeiben. Die Nachweisung der 
Geisteskrankheit liegt dem ärztlichen Sachverständigen ob, die Schlüsse soll der 
Richter ziehen. — Hierdurch ist die Frage bezüglich der ersten Gruppe (s. o.) 
erledigt: ist Unschädlichmachung nöthig, so kommt nur die Irrenanstalt 
in Betracht. 

Schwieriger ist die Sache bezüglich der zweiten Gruppe. Hier wird genaues 
Individualisircn helfen, man wird Unterschiede zu machen haben bezüglich der 
Bcurtheilung und Unterbringung dieser Leute. Je nachdem die Schuld oder die 
fehlerhafte Organisation eine grössere oder geringere Dignität beansprucht, 
wird man die Besserungsanstalt oder die brenanstalt als Aufbewahrungs¬ 
ort wählen müssen. Die Anschauungen der neueren Strafrechtslehrer kommen 
unseren Bestrebungen entgegen. An die Stelle der Sühne ist der Schutz der 
Gesellschaft vor Wiederholung des Verbrechens getreten. 

Mendel-Berlin stimmte den Ausführungen Pelman’s zu, insbesondere 
auch bezüglich der Frage der Zurechnungsfähigkeit; die „verminderte Zurech¬ 
nungsfähigkeit“ bekämpft er ebenso wie früher. Er führte ans, dass in den 
Strafanstalten sich Geisteskranke befinden, welche schon zur Zeit der Begehung 
der Strafthat geisteskrank waren. Sie gehören in die Irrenanstalt und nicht 
in die Strafanstalt; an ihnen ist ein begangenes Unrecht gut zu machen. 

Eine andere Gruppe von Verbrechern ist zwar nicht als geisteskrank zu 
bezeichnen, aber sie sind belastet, minderwerthig, neuropathisch, kurz nicht nor¬ 
mal. Hier geht der jetzt übliche Strafvollzug über das Ziel hinaus und schädigt 
das Individuum körperlich und geistig. Insbesondere sind es die Vagabunden 
(welche von Men de 1 bereits früher besprochen sind), die zum Verbrechen ge¬ 
radezu erz(^en werden. 

Schwieriger ist die Frage bei der Art der Kombination von Geistes¬ 
krankheit und Verbrechen, wo man nicht sagen kann, was früher da war, die 
Krankheit oder das Verbrechen, und wo die verbrecherische Handlung nicht aus 
der Geisteskrankheit abgeleitet werden kann. Hier erscheinen kombinirte An- 
staltseinrichtungen geboten, entweder Adnexe an Strafanstalten oder an Irren¬ 
anstalten. Ersteres hat sich in Moabit anscheinend wohl bewährt. Nöthig ist, 
dass psychiatrisch geschulte, sachverständige Aerzte in die Direktionen der Straf¬ 
anstalten eintreten. Diese Fragen des Strafvollzuges können nicht ohne den 
Psychiater gelöst werden. 

Was endlich die geistig gesunden Verbrecher betrifft, so sind diese vor¬ 
wiegend ein Produkt der sozialen Verhältnisse. Die Gesellschaft bereitet das 
Verbrechen vor und der Verbrecher führt es aus. Abhülfe oder doch Milderung 
ist hier nun von der Besserung der sozialen Verhältnisse zu erhoffen. Die bür¬ 
gerliche Gesellschaft hat die PHicht, durch Einrichtungen der öffentlichen Wohl¬ 
fahrt und durch geeignete soziale Gesetze dahin zu wirken, dass die Veranlassung 
zum Verbrechen möglichst beseitigt wird. — — 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


96 


Der Unterzeichnete möchte den kurzen Bericht über die beiden ausge¬ 
zeichneten Vorträge nicht schliessen, ohne kurz auf die Anschauungen hinzu¬ 
weisen, welche die Strafrechtslehrer der neueren Schule vertreten. Nadiv. Liszt 
lassen die Untersuchungen über den Zweckgedanken im Strafrecht klar erkennen, 
dass die Strafe ursprünglich, in ihrer primitivsten Form, eine blinde, triebartige, 
instinktmässige Reaktion des Geschädigten war, also eine Art Reflexaktion, ent¬ 
sprungen ans dem individuellen Selbsterhaltungstrieb. In der weiteren Ent¬ 
wickelung tritt diese Reflexaktion in den Dienst der Arterhaltung, sobald die 
egoistischen Zwecke mit dem Nutzen der Gesammtheit in Einklang traten (ent¬ 
sprechend dem Aristotelischen: „(SvöptoTcoc (pöoei itoXixcxöv !Jt5ov“). Die Strafe 
erhält dadurch den gesellschaftlichen Charakter. Dieser soziale Charakter tritt 
bereits hervor in der Blutrache (Fehde der Blutsgenossenschäften, Sippen), in 
der Friedloslegung der alten Germanen n. s. w. — Mit der Entwickelung der 
Geschlechts- und Friedensgenossen zu staatlichen Verbänden entstand dann die 
staatliche Strafe. Entsprechend den Fortschritten der geistigen Entwickelung 
der Menschheit setzt sich die Triebhandlung in eine überlegte Willenshandlung 
um, und mit der Erkeuntniss des Zweckes der Strafe wird aus der Sühne der 
bewusste Rechtsgüterschutz: Verbrechen ist Verletzung der Rechtsgüter; diese 
zu schützen, ist die Strafe da. Ein weiterer Schritt in der Erkenntniss des Ver¬ 
brechens war der, dass von dem Begriff des Verbrechens gewisse allgemeine 
Merkmale abstrahirt werden: der Begrifif der Schuld, der Zurechnungsfähigkeit, 
des Versuchs, der Theilnahme, der Nothwehr, des Nothstandes u. s. w. Endlich 
soll nicht das Verbrechen, sondern der Verbrecher untersucht werden, und nach 
dem Ausfall dieser Untersuchung richtet sich seine Behandlung, v. Liszt 
schlägt folgende Gruppirung und Behandlung vor: 

a) Die Unverbesserlichen, oft Rückfälligen, die Gewohnheitsverbrecher. 
Gegen diese muss sich die Gesellschaft schützen, sie müssen auf Lebenszeit — 
oder auf unbestimmte Zeit — eingeschlossen werden. Die Anstalten sind Zucht¬ 
oder Arbeitshäuser. Die Detinirten sind in Gemeinschaft, ihre Arbeitskraft wird 
ansgenutzt. Dauernder Verlust der Ehrenrechte. 

b) Die Besserungsbedürftigen, die AnRlnger im Verbrechen, die Dege- 
nerirten, sittlich mangelhaft Veranlagten. Sie gehören in eine Besserungsanstalt; 
die Dauer der Detention ist nicht zu kurz zu wählen (nicht unter 1 Jahr, höch¬ 
stens 5 Jahre.) Arbeit und Unterricht, anfangs Einzelhaft, nach Befinden Ge¬ 
meinschaft, alle Jahre Bericht wegen Entlassung. Nach der Entlassung Polizei¬ 
aufsicht, dann Ueberwachnng durch Unterstützungsvereine. 

c) Die Gelegenheitsverbrecher, durch überwiegend äussere Einflüsse zeit¬ 
weilig vom rechten Wege abgewichen. Für sie genügt ein „Denkzettel", eine 
Abschreckung; also vorzugsweise Geldstrafe, sonst Haftstrafe (mindestens 6 Wochen, 
allerhöchstens 10 Jahre, einerlei, was für ein Delikt vorlag), mit fakultativer 
Aberkennung der Ehrenrechte. 

Die Todesstrafe ist entbehrlich, sobald die Unverbesserlichen unschädlich 
gemacht sind. 

Dr. Siemens -Lauenbnrg i. P. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

U eher die hygienische nn bautechnisedhe üntersnchiing des Bodens 
anf dem Grundstück der Charite nnd des sogenannten alten Charite- 
Kirchhofes. Von B. Proskauer. Aus dem hygienischen Institut der Uni¬ 
versität Berlin; Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, XI. 1. 

Veranlassung zu der gründlichen und gediegenen, 120 Seiten umfassenden 
Arbeit bot ein Erlass des Ministers v. Gossler, worin dem hygienischen In¬ 
stitut der Auftrag gegeben wurde, die beiden im Titel genannten Grundstücke 
in hygienischer und bautechnischer Hinsicht zu untersuchen. Die Arbeit enthält 
zahlreiche Tabellen und auf 11 Tafeln verschiedene Uebersichtskarten nnd eine 
grosse Zahl klar und übersichtlich kolorirter Bodenprofile, welche das Verständniss 
wesentlich erleichtern. Abgesehen von den umfassenden, in ihrer Arbeit wohl 
einzig dastehenden Untersuchungen, welche das Riesenwerk der Berliner Kanali¬ 
sation erforderte, ist wohl selten eine Bodennntersuchung nach einem so gross 
angelegten und klar durchdachten Plan in Angriff' genommen nnd mit Benutzung 
aller wissenschaftlichen Methoden und unter Berücksichtigung aller hygienischen 
nnd bautechnischen Momente mit solchem Fleisse nnd solcher Gründlichkeit 



96 


Kleinere Hittheilongeu und Referate aus Zeitsehriften. 


durchgeführt worden, wie die vorliegende. Die Untersuchung geschah bei beiden 
Grundstücken derart, dass die in mehreren, im Voraus bestimmten, sich recht¬ 
winklig schneidenden Linien eine grosse Zahl von Bohrlöchern in die Tiefe ge¬ 
trieben wurde. Ausserdem standen Profilzeichnungen und Bohrprotokolle über 
zablreicbc Bohrlöcher zur Verfügung, welche früher, gelegentlich der Kanalisations- 
arbeiten und des Stadtbahnbaues angelegt waren. Ein Theii der Bohrlöcher 
wurde (zum Zweck von Grundwasserbeobachtungen) mit Standröhren versehen. 

Das erste zu untersuchende Terrain war das bekannte Grundstück, 
welches sich neben der neuen Kinderbaracke zwischen der Charite und der Stadtbahn 
ansdehnt und welches heute zum Theii mit dem Koch’schen Institut bebaut 
ist. Die geologischen Verhältnisse sind insofern einfach, als es sich 
nur um alluviale Bildungen handelt und zwar besteht der grösste Theii des 
Grundstückes ans altalluvialen Schichten, welche vom Verfasser als oberer, mitt¬ 
lerer und unterer Thalsand bezeichnet werden. Es zieht «ich aber quer durch 
das Grundstück ein scharf abgegrenzter, breiter und tiefer Streifen jungalluvialer, 
an organischen Beimengungen reicher Formationen, welcher offenbar einem alten 
Wasserlauf seine Entstehung verdankt. Es muss eine bedeutende Wassermenge 
sein, welche einst hier ihren Weg fand; denn die im Sande ausgewaschene 
Stromrinne ist 100 m breit und 20 m tief. Dieselbe ist ungefüllt mit schlam¬ 
migem, Vegetabilien haltenden Sand, mit Torf und mit Bazillarienerdc, jener im 
Berliner Untergrund häufig vorkominenden, schon von Ehrenberg stndirten, 
dunkelbraunen, lehmartig aussehenden, vorwiegend ans Diatomeenschalen bestehen¬ 
den Erdart, welche als schlechter Baugrund berüchtigt ist. Das ganze Grund¬ 
stück, Stromrinne und Thalsand ist mit einer ziemlich starken Schicht aufge¬ 
wühlten und aufgeschütteten Bodens (meist Bauschutt) bedeckt. 

Durch die chemische Untersuchung wurde an dem getrockneten 
Boden der Glühverlust, der Stickstoff- und der Kalkgehalt festgestellt und ferner 
im wässerigen Auszug des Bodens der Glühverlust, der Rückstand, der Gehalt an 
Chlor, Kalk, Ammoniak, salpetriger- und Salpetersäure und die Oxydirbarkeit. 
Die ^sultate entsprachen der geologischen Beschaffenheit: Der oberste, anfge- 
schüttete Boden war stickstoffreich und Hess durch starken Glühverlust organische 
Beimengungen erkennen. Die Proben ans der Tiefe der Stromrinne enthielten 
viel organische Substanz, viel Stickstoff, namentlich viel Ammoniak. Der Thal¬ 
sand war charakterisirt durch geringen Glühverlust, geringen Stickstoffgehalt und 
nur spurweises Vorkommen von Ammoniak. — 

Im bakteriologischen Verhalten zeigten Thalsand und Stromrinne 
keinen Unterschied; es bot sich vielmehr ganz gleichmässig das allerwärts ge¬ 
fundene Verhalten dar: an der Oberfläche unzählige Bakterien, welche in der Tiefe, 
übrigens bemerkenswerther Weise bereits im aufgeschütteten Boden sehr be¬ 
deutend an Zahl abnahmen, um im gewachsenen Boden auf ein Minimum, bezw. 
bis zur Keimfreiheit herabzusinken. 

Die Grnndwasserbeobachtungen ergaben wieder, entsprechend 
den beiden verschiedenen geologischen Formationen, verschiedene Ergebnisse. Im 
Thalsande erfolgten die horizontalen Schwankungen in allen Bohrlöchern gleich¬ 
mässig und im Zusammenhänge mit der Grundwasserbewegung in den übrigen 
Stadtgegenden, während in der Stromrinne der Wasserstand an und für sich ein 
viel höherer war und in seinen Schwankungen keinerlei Regelmässigkeit erkennen 
Hess. Die Stromrinne charakterisirte sich auch hier als ein langgezogener unter¬ 
irdischer Sumpf, welcher in seinen Wasserverhältnissen unabhängig von dem be¬ 
nachbarten Boden bleibt. 

Die chemische Untersuchung desGrundwassers ergab, wie zu er¬ 
warten, in der Stromrinne schlechte Beschaffenheit de« Grundwassers, namentlich star¬ 
ken Eisengehalt und viel Ammoniak, letzteres wohl meist den eingesprengten Torf- 
lagemcntstammend; aber auch das Was.ser der in reinem, durchlässigem Thalsande 
stehenden Bohrlöcher enthielt sehr viel Salpetersäure, zuweilen auch salpetrige 
Säure und häufig Ammoniak. Auffallend war die bedeutende, durch wiederholte 
Untersuchungen stets bestätigte Verschiedenheit des Grundwassers in dicht be¬ 
nachbarten Bohrlöchern bei der starken Durchlässigkeit des Bodens. Verfasser 
glaubt dieses Verhalten durch oberflächlich gelegene Anhäufungen von Schmutz¬ 
stoffen, deren Inhalt sich dem Grnndwosser mittheile, erklären zu können. 

Die bakteriologische Prüfungdes Grundwassers zeigte, da.ss ans 
sämmtlichen Bohrlöchern ein sehr keimreiches Wasser gepumpt wurde, sobald 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


97 


die Pampen nicht sterilisirt waren. Wenn die letzteren dagegen durch Ein¬ 
giessen von Karbolschwefels&ure keimfrei gemacht worden waren, erwies sich 
das Grandwasser, nachdem die Karbolschwefelsäure durch Anspampen entfernt 
war, jederzeit fttr mehrere Tage vollständig keimfrei und zwar ebenso in der 
Stromrinne, wie im Thalsande. 

Auf Grund der Untersuchungen wird vom Verfasser der Thalsand vom bau¬ 
technischen und hygienischen Standpunkt ans als guter Baugrund bezeichnet, wobei 
allerdings der aufgeschüttete Boden bis auf den gewachsenen Boden entfernt werden 
mflsste, dagegen wird die hygienische Verantwortung für die Verwendung der 
Stromrinne zu Wohuungs- oder gar Krankenhauszwecken entschieden abgelehnt, 
wobei besonders auf die Malaria-Gefahr hingewiesen wird. 

Die Untersuchung des zweiten Grundstückes, welches 
durchaus ans reinem Thalsande besteht, bot hygienisches Interesse nur in¬ 
sofern, als das Grundstück bis vor 31 Jahren zu Beerdigungen 
benutzt wurde. Die Resultate der Untersuchungen, welche nach denselben 
Methoden, wie bei dem ersten Grundstücke vorgenommen wurden, decken sich 
vollständig mit den Ei^ebnissen der bekannten Untersuchungen von Gärtner 
in Jena. Es mag daher genügen, anzuführen, dass, obgleich der Boden 
in überaus reichlicher Menge mit menschlichen Gebeinen und 
Sargresten dur chsetzt war, er sich weder chemisch noch bakte¬ 
riologisch von einem Boden nnterschied, welcher nicht als 
Kirchhof benutzt worden war. Es ergab sich ferner, dass der Boden 
nnterhalb der früheren Gräber nur Spuren von Stickstoff und keine Oi^nismen 
enthielt. Es zeigte sich ferner, dass das Grundwasser dieselben chemischen Eigen¬ 
schaften besitzt, welche die Berliner Flachbmnnen allerwärts zeigen. Das Grand¬ 
wasser war auch hier keimfrei. Nach alledem lag auch vom hygieni¬ 
schen Standpunkte kein Grund vor, von d er Verwendung des 
alten Charite-Kirchhofes für Wohnnngs- oder Krankenhans- 
zwecke abzurathen. 

Dr. Langerhans-Hankensbüttel. 


Bakteriologische Untersnehnng der Luft in Freibarg i. B. und 
Umgegend. Von F. Welz. Ans dem hygienischen Institut der Universität 
Freibarg i B.; Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, XI.. 1. 

Eine interessante und ziemlich vollständige Zusammenstellung der bisheri¬ 
gen Forschungen über Zahl und Art der Spaltpilze, welche in der Luft enthalten 
sind und eine eingehende Besprechung und Würdigung der angewandten Methoden 
dienen der fleissigen und verdienstvollen Studie als Einleitung. Zu den Unter¬ 
suchungen, welche Verf. unter Schottelius Leitung angestellt hat, wurde die 
Luft von 5 verschiedenen Stellen entnommen, nämlich aus dem botanischen Garten, 
ans einem geschlossenen Zimmer einer guten Privatwohnung, aus zwei Krankensälen 
des klinischen Hospitals, von denen der eine unter sehr guten, der andere unter recht 
bedenklichen hygienischen Bedingpingen stand, und schliesslich in einigen wenigen 
Fällen von dem Rosskopf, einem 2 Standen von Freibarg entfernten 738 m hohen 
Berge. Die von Welz angewandte Methode bestand in Aspiration einer grösseren 
Lnftmenge (10 Ltr.) durch Glaskölbchen hindurch, welche mit steriler Wasch¬ 
flüssigkeit angefüllt waren. Die in letzterer aufgenommenen Keime wurden 
dann auf Gelatineplatten zum Auskeimen gebracht und nach Zahl und Art be¬ 
stimmt. Nebenher gingen einige Versuche, die Zahl der Spaltpilze einfach 
durch Auffallenlassen auf Gclatineplatten zu bestimmen. Letztere Versuche er¬ 
gaben die bekannte Zunahme der Bakterienzahl, sobald durch Bewegungen einer 
grossen Menschenzahl die Luft des Zimmers in Bewegung versetzt und dadurch 
der Staub und die an demselben haftenden Bakterien a^gewirbelt wurden. Trotz¬ 
dem wurde bei der Haupt-Versuchsreihe hierauf kaum Rücksicht genommen, so 
dass die Resultate, zu denen Verfasser schliesslich gelangt, nicht überall ein¬ 
wandsfrei sind. Es ist dies um so bedauerlicher, als die grossen Verschieden¬ 
heiten in den Zahlen der Bakterienkeime, wie sie die verschiedenen Forscher 
gefunden haben, wohl zum grössten Theile aus diesem Umstande zu erklären sind. 

Im Allgemeinen findet noch Verfasser eine Zunahme der Spaltpilzmenge 
gegen die wärmere Jahreszeit und eine Abnahme gegen den Winter und bei 
Regenfall statt. Auffallend ist die sehr bedeutende Zunahme der Bakterien bei 
Nebel und das schnelle und leichte Auskeimen der bei Nebel anfgefaugenen 



98 feinere Mitthciiangen tmd Referate aas Zeitschriften. 

Spaltpiizkeime. Ein wesentlicher Unterschied im Gehalt der Luft an Spaltpilzen 
im Freien and in hygienisch gat gehaltenen Wohnangen findet nach Veiiasser 
nicht statt, dagegen konnte in dem hygienisch schlechten Krankensaale eine er¬ 
hebliche Vermebrang der Spaltpilze and das Aaftreten pathogener Arten (Stapby- 
loccos pyogenes anreas) festgestellt werden. Der Bakteriengebalt der Laft aaf 
dem Rosskopf war ein verhältnissmässig geringer. Sorgfältige Tabellen, in wel¬ 
chen 20 bekannte and 2 bisher anbekannte Spaltpilzarten nach morphologischen 
and koltorellen Eigenthümlichkeiten eingehend beschrieben werden, beweisen die 
gediegene Gründlichkeit, mit welcher Verfasser bei seiner Arbeit vorgegangen ist. 

Ders. 


Ueber Selbstreinigung der Flüsse. Von Geheimrath Prof. Dr. Max 
V. Pettenkofer. Vortrag gehalten in der hygienischen Sektion der 64. Ver¬ 
lang deutscher Naturforscher und Aerzte zn Halle a./S. Deutsche medi- 
ziniche Wochenschrift Nr. 47; 1891. 

Bereits vor Jahren ist von v. Pettenkofer der Satz anfgestellt, man 
könne Sielwasser in jeden öffentlichen Wasserlanf einleiten, 
auch wenn Fäkalien abgeschwemmt werden, wenn dessen 
Wassermenge beim niedrigsten Wasserstande mindestens das 
Fttnfzehnfache von der durchschnittlichen Menge des Siel¬ 
wassers bei trocknem Wetter beträgt, and wenn die Geschwin¬ 
digkeit des Flusses keine wesentlich geringere als die des 
Wassers in den Sielen ist. Diesen Satz vertritt v. Pettenkofer auch 
noch heute und erhärtet seine Richtigkeit entgegen dem Standpunkt, welchen 
die wissenschaftliche Deputation fOr das Medizinalwesen in Berlin vertritt, die 
nur reine oder gereinigte Abwässer in öffentliche Wasserläufe geleitet wissen 
will, — an den Münchener Verhältnissen. In dem Vortrage werden nur die 
Flassverunreinigungen durch gewöhnliches Sielwasser mit und ohne Fäkalien aus- 
ftthrlich besprochen, nicht aber die durch Industrie und Gewerbe hervorgerufenen 
Flassverunreinigungen. Nach den genauen, heutzutage allgemein anerkannten 
Stoff Wechsel versuchen von Voit scheidet ein erwachsener Mensch bei voller Er¬ 
nährung durchschnittlich im Tage 1254 g Ham und 131 g Koth aus. Diese Ent¬ 
leerungen zusammen bestehen aber zum grössten Theile, bis auf 92,8**/,, aus 
Wasser; denn die 1254 g Ham enthalten nur 65 feste Theile und 1189 Wasser, und 
selbst die 131 g Koth nur 34 feste Theile und 97 Wasser. Die festen Bestand- 
theile von Ham und Koth bestehen theils aus organischen, theils aus minera¬ 
lischen Stoffen und zwar enthalten 254 g Ham durchschnittlich 20 g Aschen- 
bestandtheile und 131 g Koth 6 g. Es können also von den 99 g festen 
Bestandtheilen in Ham und Koth noch 26 g bei der Flussvemnreinigung durch 
menschliche Exkremente ausser Betracht gelassen werden, so dass im Ganzen 
nur 73 g feste Bestandtheile pro Person und Tag zu rechnen sind, von denen 
45 auf Ham, und 28 auf Koth entfallen. Man sieht daraus, dass der mensch¬ 
liche Ham, den viele glauben unbedenklich fortlaufen lassen zu dürfen, von dem, 
was einen Fluss verunreinigen kann, mehr als bO**/, und der Koth weniger als 
40 “/o zuftthrt. 

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen geht v. Pettenkofer auf die 
speziellen Verhältnisse Mfinchen’s über und tbeilt weiter mit, dass die Bevölke- 
rang der Isarstadt, nach der letzten Volkszählung auf 280000 Einwohner be¬ 
rechnet, täglich in Ham und Koth 20 440 Kilo organische Stoffe ausscheidet, 
mithin mehr als 408 Zollzentner, was im Jahre mehr als 148920 Zollzentner 
oder 7446000 Kilo ausmacbt. Diese Masse von Unrath scheint den meisten 
Menschen so ungeheuer, dass sie es für ganz gerechtfertigt halten, wenn man 
verbietet, sie einem Flusse zu übei^eben, an dessen Ufern unterhalb auch noch 
andere von Menschen bewohnte Orte liegen. Das Bild ändert sich aber sofort, 
wenn man der Exkrementenmenge von München, die zu einem unverhältniss- 
mässigen Maximum angenommen ist, die Wassermenge der Isar gegenüberstellt, 
welche der Fluss nur als zeitweises Minimum führt. Nach genauen Untersuchun¬ 
gen beträgt das Minimum der Isar bei München 40 Sekundenkubikmeter, mithin 
im Tage 3456000 cbm oder 3456 Millionen kg. Dieser mindesten täglichen 
Wassermenge stehen 20 440 kg Exkremente gegenüber, wonach auf ein Gewichts- 



Meinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschnften. 99 

theil Wasser nicht ganz 6 Milliontel, oder auf 1 Ltr. Wasser nicht ganz 6 mg 
yemnreinigonder Stoffe treffen. Diese Menge ist eine minimale, im Wasser ver- 
theilt, kaum wahrnehmbar. Man kann Wasser in diesem Verhältniss mit der 
betreffenden Menge Koth und Ham mischen, ohne dass man der Mischung eine 
Verunreinigung ansieht. 

An jedem Ort nnd zu jeder Zeit lässt sich nach Pettenkofer im Vor* 
aus bestimmen, wie der Fluss aassehen muss, wenn alle Exkremente eingeleitet 
werden; man braucht nur die Einwohnerzahl eines Ortes und die Wassermenge 
des Flusses zu kennen. Ebenso kann man MischnngsTersuche mit trübem Siel¬ 
wasser and klarem Flusswasser machen, um zu sehen, wie der Fluss aassehen 
muss, wenn Sielwasser eingeleitet wird. Falls die Mischung unrein befanden 
wird, hat man dann auch immer noch zu untersuschen, ob die Verunreinigung 
eine bleibende ist, oder ob sie im weiteren Verlaufe des Flusses wieder ver¬ 
schwindet, da es ja Thatsache ist, dass selbst stellenweise hochgradig vemn- 
reinigte Flüsse nach längerem Laufe wieder reines Wasser führen. Nach den in 
München angestellten Untersuchungen war bereits 7 km unterhalb der Siel- 
mfindnng von dem schmutzigen Wasser nichts mehr zu sehen, zu riechen oder 
zu schmecken, auch nichts mehr chemisch oder bakteriologisch von Stoffen nach- 
zuweisen, was berechtigte, von einer Flussverunreinigung zu sprechen. 

Pettenkofer hebt sodann die Thatsache hervor, dass sich die orga¬ 
nischen Stoffe im Flusswasser nicht entsprechend der Länge des Flusslaufes be¬ 
ständig vermehren, obschon immer neue Verunreinigungen dazu kommen, auch 
das zwinge schon zur Annahme einer Selbstreinigung. Wie mit den organischen, 
oxydirbaren Stoffen verhält es sich auch mit den Bakterien im Flusswasser. 
Btütterien findet man in allen Flüssen, auch in den reinsten und überall zeigt 
sich, dass ihre TSahl nach Einlauf von Schmatzwasser aus bewohnten Orten au- 
steigt, dass sie aber im weiteren Verlaufe des Flusses wieder auffallend rasch 
abnehmen. Im Flusswasser hat man noch nie einen Typhusbacillus gefunden. 
Die Wasserbakterien räumen mit den in’s Wasser gelangenden pathogenen Bak¬ 
terien auf und sei es daher noch sogar gut, wenn ein Fluss überhaupt Bakterien 
enüiält und wäre es nicht gut, wenn er sterilisirtes Wasser führte, in welchem 
Reinkulturen von pathogenen Bakterien sich vermehren könnten, da sie keinen 
Kampf um’s Dasein mit den Wasserbakterien zu bestehen hätten. 

Sodann tritt Pettenkofer den Ursachen näher, welche Bakterien 
und organische Stoffe ans einem verunreinigten Flusse schwinden machen nnd 
hebt hervor, dass der in einem reinen Flusswasser absorbirte Sauerstoff hierfür 
von grosser Bedeutung ist, indem er theils direkt oxydirend einwirkt, theils 
Organismen zu Leben dient, welche organische Stoffe verzehren, welche aber 
auch wieder Sauerstoff aasscheiden; z. B. die grünen A^en und alle chlorophyl- 
haltigen Wasservegetationen. Nach seiner Ansicht spielt die Flussvegetation 
die Hauptrolle für die Selbstreinigung der Flüsse und ist es selbstverständlich, 
dass diese reinigende Kraft in dem Masse erlöscht, als das Wasser eine Be¬ 
schaffenheit erlangt, bei welcher Algen, Diatomeen u. s. w. nicht mehr gedeihen, 
sondern absterben. Auch die Konzentration im Flusswasser, die Ueberdüngung 
kann schädlich wirken, ebenso wird die Assimilirbarkeit erschwert durch 
das Volumen des zu Assimilirenden und können die Algen nicht mit Kothballen, 
Putzlumpen und anderen grossen Abföllen fertig werden, weshalb solche Dinge 
zu verkleinern sind oder ein Gitterwerk angelegt werden muss, bevor sie in den 
Fluss gelangen. 

Zum Schluss hielt Pettenkofer entsprechend dem in Leipzig gefassten 
Beschlüsse des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege die systema¬ 
tische Untersuchung aller derjenigen Flüsse nnd öffentlichen Wässer des Deutschen 
Reiches für eiforderlich, welche für die Aufnahme städtischer Abwässer in Be¬ 
tracht kommen, um möglichst bald exakte Normen über deren zulässige Verun¬ 
reinigung zu gewinnen. Nur wenn die selbstreinigende Kraft des Flusses nicht 
aasreicht, sind besondere Reinigungsanlagen für diese Abwässer vor der Ab¬ 
leitung in den Fluss zu fordern. 

Dr. Dtttschke-Aurich. 


Ueber die Reinigung der Abwässer durch die Elektrizität. Von 
Dr. Claudio Fermi. Aus dem hygienischen Institut in München; Archiv für 
Hygiene XIH. 2. 



1(X) Kleinere Mittheilnngen und Referate au» Zeitschriften. 

ClandioFermi hat es Übernommen, dasin England patentirteWebster’sche 
Verfahren auf seinen Werth hin zu prüfen. Webster leitet das zu reinigende 
Abwasser durch mehrere Reservoirs, in welchen sich in geeigneter Anordnung 
die Elektroden befinden. Die positive Elektrode besteht aus Kohlen*, die nega¬ 
tive aus Eisenplatten, der elektrische Strom wird entweder durch eine elektro¬ 
dynamische Maschine oder durch Batterien geliefert. Durch das Verfahren, 
welches in einer englischen Gemeinde bereits — und zwar, wie es heisst, mit 
günstigem Erfolg in Anwendung ist, sollen die Abwässer in 15 Minuten geklärt 
werden, die gelösten organischen Substanzen bis zur Hälfte abnehmen, die 
suspendirten Bestandtheile sich theils am Boden niederschlagen und zwar mitge¬ 
rissen durch das an der Oberfläche der Eiseuelektroden gebildete Eisenoxjdbydrat, 
theils aber au der Oberfläche ansammelu; der Geruch soll sich merklich bessern, 
Chlor und Sauerstoff sollen sich an der positiven, Ammoniak an der negativen 
Elektrode ansammeln. 

Fermi’s Arbeitsplan beabsichtigte, zunächst die zwcckmässigste Grösse 
der Elektroden, die nothwendige Stärke und Dauer des Stromes festzustellen, 
dann die Wirkung der Elektrisirung mit derjenigen des Kalks in 1 **/„ Zusatz 
zu vergleichen und dann die Wirkung des elektrischen Stromes im Einzelnen 
auf die Stoffe, wie sie in den Abwässern in Lösung sich vorfinden, sowie auf eine 
Reibe wasserlöslicher Chemikalien, Oxalsäure, Weinsäure, Zucker, Harnstoff u. s. w., 
schliesslich auf unverdünnten Ham, Fett u. s. w. eingehend zu studiren. Die 
Versuche führten im Wesentlichen zu folgenden Resultaten: 

Am geeignetsten sind eiserne Platten von 80 qcm Oberfläche als Elek¬ 
troden. Je stärker der Strom, Je grösser die Oberfläche der Elektroden, je 
länger die Dauer der Elektrisirung bemessen wird, um so schneller und voll¬ 
kommener gelingt die Reinigung der Abwässer. Die Zahl der Keime wird bei¬ 
spielsweise in 1 Liter Kanalwasser durch einstündige Einwirkung eines Stromes 
von 0,5—1 Amp. um das 50—lOOfache verringert, die organischen Substanzen 
auf Vs reduzirt. Immerhin war die Wirkung des Verfahrens geringer als die 
eines l**/o Kaikzusatzes, durch welchen das Wasser vollständig und dauernd 
sterilisirt werden konnte. Das Wesen der Wirkung ist ein physikalischer und ein 
chemischer Prozess. Durch die Füllung des Eisenoxydbydrats nämlich und durch 
die Gasentwickelung in Folge Zersetzung des Wassers werden die suspendirten 
Stoffe theils niedergeschlagen, theils an der Oberfläche angesammelt. Anderer¬ 
seits entstehen in Folge des elektrischen Stromes mannigfaltige Zersetzungen, bei 
welchen Ammoniak, Sauerstoff und Chlor gebildet werden. Durch den Sauerstoff 
und das Chlor können leicht oxydable, organische Stoffe oxydirt werden. Die 
Keime werden mechanisch niedergeschieigcn. Die Kosten des Verfahrens sind 
bedeutend, die Reinigung von 100 Litern würde mindestens eine Mark kosten, 
also bedeutend thenrer sein, als die Verwendung von Kalk. 

Dr. Langerhans-Hankensbüttel. 


Besprechungen. 

Ergänzungshefte zum Zentralblatt für die allgemeine 
Gesundheitspflege. III. Band. Heft 1—3. Bonn 1890 und 
1891. Verlag von Emil Strauss. 

a. Dr. Berthold Goldberg: Der Einfluss des Witterungs¬ 
ganges auf vorherrschende Krankheiten und Todes¬ 
ursachen. II. und III. Theil. 

Die sehr fleissige, mit zahlreichen Tabellen nnd statistischen Belägen ans¬ 
gestattete Arbeit eignet sich nicht zu einem kurzen Referat. Das Studium des 
Originals kann nur empfohlen werden. 

b. Dr. L Kronenberg: Die Uebertragbarkeit geistiger 
Störungen. 

Wie es zweifellos sporadische Fälle physischer Infektion — „indnzirten 



Besprechungen. 


101 


Irrsinns" (Lehmann) — giebt, so muss man, obwohl hierbei der Betrug oft 
eine Rolle gespielt hat, doch auch die Möglichkeit und das Vorkommen epide¬ 
mischer Psychopathien anerkennen. Dieselben gehören entweder der Melan¬ 
cholie oder der Tobsucht oder dem religiösen Wahnsinn an. Zu der 
ersteren Form ist die Lykanthropie (Wolfswuth), die im Alterthum wie im 
Mittelalter gar nicht selten auftrat, die Kynanthropie und Boanthropie 
zu rechnen, Wahnsinnsformen, dadurch gekennzeichnet, dass ganze Gruppen von 
Menschen sich in Thiere verwandelt glaubten. Der zweiten Form gehört die 
Tanzwuth (Chorea major) an, die in Deutschland zum ersten Male 1374, nach 
dem Wüthen des schwarzen Todes, erscliien und erst mit dem 30jährigen Kriege 
erlosch. Besonderes Interesse verdient die Strassburger Epidemie, (Anfangs des 
15. oder 16. Jahrhunderts?), weil hier zuerst der Name „Veitstanz" auftritt 
(St Veit wurde zur Heilung der Krampfzustände der Tänzer angebetet). Aehnlich 
der Tarantismus in Italien, fälschlich dem Biss einer Spinne (lycosa tarantula) 
zugeschrieben. 

Verwandt mit der zweiten Form sind die religiösen Wahnepidemien des 
Mittelalters: das Treiben der Flagellanten und die Kinderkreuzzüge, 
letztere in Frankreich und Deutschland Nicht unwahrscheinlich ist, dass auch 
an der Wieder taufer-Episode der religiöse Wahnsinn einen Antheil hatte. 
Sicher ist dies von den revivals der englischen und amerikanischen Methodisten 
mit ihren Konvulsionen, Halluzinationen und Tobsuchtsanfällen und den „Er¬ 
weckungen“ im Elberfelder Waisenhause (1860). Hierher gehören ferner die 
„Predigt krankh eit “ in Schweden (Mitte dieses Jahrh.), die Ekstasen, 
welche sich forterben können und zu denen die Konvulsionen der tanzenden 
Derwische, die Bussübungen der indischen Fakire, die Halluzinationen der 
Ekstatiker des christlichen Alterthums und, soweit nicht etwa Betrug im 
Spiele ist, die Stigmatisirten zu rechnen sind. Auch an das Treiben der 
„Heilsarmee“ wird man hier erinnert. 

Gewöhnlich sind die Befallenen schwächliche, elende, zum Theil durch 
übertriebenes Fasten heruntergekommene, überhaupt körperlich nicht gesunde 
Menschen. Eine grosse Rolle spielt die grande hysterie (Charcot). Die Wahn¬ 
anfälle, die man häufig nach dem Auftreten von Busspredigern beobachtet 
hat, betrafen nicht immer kränkliche Personen, aber vorwiegend Frauen und 
namentlich Kinder. Hierher gehören auch die Madonnen-Erscheinungen (Marpingen). 

Nirgends ist die psychische Erkrankung so augenfällig, wie bei den Ver¬ 
brecher- und Selbstmord-Epidemien. Ein Paradigma der ersteren ist die fran¬ 
zösische Giftmord-Epidemie des 17. Jahrhunderts, der letzteren die Melancholie 
der milesischen Jungfrauen, die Werther-Periode. Aehnlich die^onror’s der 
Seeleute und die Wahnsinnsanfälle bei Rekruten in Kriegslagem. 

Die neueste Erscheinung auf dem in Rede stehenden Gebiete ist der Spi¬ 
ritismus. 

Alle die aufgeführten Störungen sind trotz der Vielgestaltigkeit ihrer Er¬ 
scheinungsformen einem gemeinsamen Boden entsprossen. Aetiologisch wichtig 
ist erbliche Anlage zu geistigen Störungen. Ueberwiegend ist das weibliche 
Geschlecht betheiUgt. Zugänglicher sind die Angehörigen der weniger gebildeten 
Klassen, Völker auf niederer Kulturstufe, namentlich wenn Seuchen, Kriege, 
Hungersnoth, sonstige Unglücksfälle, Anstrengungen die Konstitution der Bevöl¬ 
kerung geschwächt haben. Auch die sporadischen Fälle betretfen meist Ange¬ 
hörige der arbeitenden Klasse. Die Voraussage ist bei den Epidemien besser, 
als bei den Einzelfällen. 

Die Therapie bestand überall in der Anwendung starker psychischer Ein¬ 
drücke, deren Wirksamkeit jedoch den Glauben zur Voraussetzung haben musste ; 
hatte die Wirkung einmal versagt, so traten leicht Rückfälle ein. 

Als Triebfeder bei der Entstehung der geistigen Epidemien ist der Nach¬ 
ahmungstrieb anzusehen, der, wenn — wie namentlich in der Hysterie, beim 
weiblichen Geschlecht und im kindlichen Alter — ungewöhnlich gesteigert, patho¬ 
genetisch wirkt. Solche Personen sind der Suggestion in hervorragender Weise 
zugänglich und „es ist anzunehmen, dass ihr — sowohl der Beeinflussung von aussen 
als auch der Autosuggestion — ein besonderer Antheil an der Erzeugung aus¬ 
gebreiteter geistiger Anomalien zuzuschreiben ist. Der eigentlichen Hypnose 
dagegen gebührt nur bei einer geringen Zahl eingehendere Beachtung.“ 

Der Beweis für die Richtigkeit seiner Annahme, meint Verfasser am 



102 


Besprechongen. 


Schlüsse seiner interessanten Arbeit, wird durch Beobachtung bezw. Experiment 
an konkreten Fällen zu erbringen sein. 

c. Dr. Hugo Bernheim: Sind die Flussverunreinigungen 
durch grosse Städte an einer erhöhten Sterblichkeits- 
Intensität dicht unterhalb derselben statistisch 
nachweisbar? 

Verfasser nimmt mit Georg Frank an, dass die >Selbstreinignng der 
Flüsse als einfache Sedimentirung der suspendirten organischen Verunreinigungen 
vor sich geht, also einen rein mechanischen Prozess darstellt. Sinkt die Stromge¬ 
schwindigkeit unter einen gewissen Werth, so genügt auch eine grosse Wasser¬ 
menge nicht, um die Sedimentirung der suspendirten Partikel zu verhindern. 
Am leichtesten kommt dieselbe an den Ufern zu Stande. Fällt das Wasser, 
so trocknet der Ufersaum aus und der Wind führt die an Partikeln des staub¬ 
förmig gewordenen Uferschlammes klebenden Erankheitskeime den Uferbewoh- 
nom zu. So und nicht durch den Gebrauch des Flusswassers zum Trinken und 
Kochen (ein solcher findet überhaupt nicht statt) erklären sich nach heutigen 
Anschauungen die Gesundheitsschädigungen, die in der Verunreinigung der 
Flüsse liegen. Die Aufstellung eines Grenzwerths für die Unschädlichkeit der 
Einleitung des städtischen Unraths in einen Fluss (nach Soyka soll eine lOOfache 
Verdünnung und eine Stromgeschwindigkeit von 0,5 Meter in der Sekunde uöthig 
sein, habe keine wissenschaftliche Berechtigung.*) Entscheidend für die Beur- 
theilnng der Schädlichkeit ist die Sterblichkeits-Intensität, d. h. das 
Verhältniss der Zahl der in der Zeiteinheit Gestorbenen zu der Zahl der Leben¬ 
den nach Altersklassen. Lässt sich nachweisen, dass ein Ort, der unterhalb einer 
flussverunreinigenden Stadt liegt, unter einer höheren Sterblichkeits-Intensität 
leidet, als ein anderer Ort, der im Uebrigen hygienisch gleichartig beschaffen 
ist, aber nicht unterhalb des Sielausflusses einer Stadt liegt, so ist die Schäd¬ 
lichkeit der Flussverunreinigung bewiesen. 

Diesen Beweis sucht Bern heim an der Hand der Sterblichkeits-Statistik 
von Altona, welches dicht unterhalb der Halbmillionenstadt Hamburg gleich¬ 
falls an der Elbe liegt, zu erbringen, indem er zur Vergleichung die Sterblich¬ 
keit der hj'gienisch verwandten Gruppe der grösseren Städte des NurdseekUsten- 
laudes (mit Ausschluss Altonas und Hamburgs), im Besonderen der in hygienischer 
Beziehung ganz ähnlich situirten Stadt Bremen heranzieht. In der That hat 
Altona in den Jahren 1877— 86 eine Sterblichkeit von 25"/oo, hingegen jene Städte¬ 
gruppe und speziell Bremen nur eine solche von 21 ‘’/qq gehabt, oder es starben 
in Altona jä]|rlich 444 (darunter 806 über 1 Jahr alte) Personen mehr, als — 
unter Zugru^elegung der Sterblichkeitsintensität Bremens — daselbst sterben 
durften. 

Den grössten Antheil beanspruchen unter den Todesursachen die akuten 
Infektionskrankheiten und die akuten Krankheiten der Verdauungsorgane, also 
gerade diejenigen Gruppen von Krankheiten, deren Ursache man von jeher mit 
Verunreinigungen des Wassers und des Untergrundes in Zusammenhang ge¬ 
bracht hat. 

Ob Altona schon vor der Erbauung der Hamburger Siele eine gesteigerte 
Sterblichkeit hatte, das zu ermitteln, hätte für die vorliegende Frage keinen 
Zweck, weil der Hamburger Unrath schon früher in die Elbe ging; hingegen 
hat die Altonaer Sterblichkeit mit dem Wachsthum Hamburgs zugenommen: 
'1877/78 — 25»/oo, 1885/86 — 27 »/oo- 

Verfasser ist, so lange kein anderer Faktor als Ursache für die vergleichs¬ 
weise erhöhte Sterblichkeit Altonas nachgewiesen wird, nicht abgeneigt, dieselbe 
auf seine Lage unterhalb der Hamburger Siele zu beziehen, erwartet aber eine 


*) V. Pettenkofer hat sogar bekanntlich — zuletzt auf der voijährigen 
Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Leipzig 
und in der hygienischen Abtheilung auf der Naturforscher-Versammlung in Halle a./S. 
— den Satz aufgestellt: gewöhnliches Sielwasser, auch fäkalienhaltiges, dürfe 
man in jeden Wasserlauf einleiten, wenn die Menge des Wassers das 15 fache von 
der Menge des Sielwassers beträgt und wenn die Geschwindigkeit des Flusses 
keine wesentlich geringere ist als die in den Sielen. Vergl. vorher S. 98. 

Aum. d. Rcf. 



^esprediniigeii. 


i03 

endgültige Lösung dieser Frage von weiteren, in grossem Massstabe und von 
verschiedenen Seiten anzngreifenden Untersuchungen. Dr. Lnstig-Liegnitz. 


Dr. Fritz Elsner: Die Praxis der Chemiker bei Unter¬ 
suchung von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegen¬ 
ständen u. 8. w., bei bakteriologischen Untersuchun¬ 
gen sowie in der gerichtlichen und Harnanalyse. 
Ein Hülfsbuch für Chemiker, Apotheker und Gesundheitsbeamten. 
Vierte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 139 Abbil¬ 
dungen im Text. Hamburg und Leipzig, 1889. Verlag von Leo¬ 
pold Voss. Gross 8®, 492 S. 

Das vorliegende Werk ist in erster Linie für die Nahmngsmittelchemiker 
und Apotheker bestimmt, kann aber auch den Medizinalbeamten empfohlen 
werden, besonders seitdem in seiner jüngsten Auflage der zweite Theil: hygieni¬ 
sche Untersuchungen von Luft, WasstT und Boden eine wesentliche Erweiterung 
erfahren und demselben ein neuer Abschnitt: Ermittelung der Oifte für forensi¬ 
sche Zwecke hinzugefügt ist. Seinem im Vorwort zur ersten Auflage (1880) 
ausgesprochenen Grundsätze: aus der Praxis heraus, für die Praxis zu schreiben, 
ist der Verfasser auch bei der jetzigen Umarbeitung seines Buches treu geblie¬ 
ben. Auf Omnd eigener Erfahrungen sind die verschiedenen Untersnehungs- 
methoden bei den einzelnen Nahrungsmitteln n. s. w. zusammengestellt unter 
richtiger Abschätzung ihres thatsächlichen Werthes für den Praktiker und ge¬ 
winnt gerade dadurch das Werk für diesen an Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit. 
Bei den Fortschritten, die die Wissenschaft fast täglich auf dem Gebiete der 
Nahrungsmittelchemie wie Bakteriologie macht, ist es nicht zu verwundern, wenn 
einzelne Abschnitte des bereits vor einigen Jahren erschienenen Buches durch 
neuere Forschungen überholt und in Folge dessen nicht mehr ganz auf der Höbe 
der Wissenschaft stehen. Eine gewiss sehr bald nothwendig werdende fünfte 
Auflage seines weitverbreiteten Werkes ivird dem Verfasser Gelegenheit geben, 
die nach dieser Richtung erforderlichen Ergänzungen bezw. Abänderungen vor- 
znnehmen. 

Die Ausstattung des Buches ist eine recht gute; bei den zahlreichen Ab¬ 
bildungen mikroskopischer Präparate im 1. Theil dürfte es sich empfehlen, 
künftighin ebenso wie bei den betreffenden Abbildungen im 2. Theile den Grad 
der Vergrösserung beiznfügen. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Ernennungen: Der Prof. Dr. Kratter in Innsbruck ist zum ordent¬ 
lichen Professor der gerichtlichen Medizin und Hygiene an der Universität 
Graz ernannt. 


Schulärzte. In Leipzig sind jetzt ebenfalls Schulärzte angestellt 
worden, die die Aufgabe haben, die Schulverhältnisse in gesundheitlicher Bezie¬ 
hung zu beobachten und auf Antrag des Schuldirektors kranke Kinder zu be¬ 
suchen. Die Stadt ist in fünfzehn Schulbezirke mit je 3000 bis 4000 Schulkindern 
getheilt und erhält der Arzt in jedem Bezirk 500 M. Gehalt. 


Taxbestimmnngen fftr Aerzte. Die Beilage zur heutigen Nummer 
bringt zwei ergänzende Bestimmungen zur ärztlichen Taxe und zwar für Mas¬ 
sage- und elektrotherapeutische Behandlung, die mit Rücksicht auf die darin 
vorgesehenen Minimalsätze wohl kaum den Beifall der Aerzte finden werden. 
Besonders dürfte dies betreffs der neuen Taxe für elektrotherapeutische Behand¬ 
lung der FaU sein; denn diese bedeutet gegen die frühere Bestimmung vom 



104 


Tagesnachrichten. 


30. Mai 1862^ eine wesentliche Verschlechterung; ausserdem wird ein Unterschied 
zwischen Behandlung mit dem induzirten und konstanten Strom nicht gemacht, 
wie solcher durch die Ministerialverfügung vom 22. September 1868 vorgesehen 
war. Merkwürdiger Weise ist in der jetzigen Ministerial-Bekanntmachung die 
Aufhebung dieses Erlasses nicht direkt ausgesprochen, sondern nur diejenigen 
des vorgenannten. _ 


In No. 9 der pharmazeutischen Zeitung vird der Erlass einer 
zeitgemässen Anleitung zur Revision der Apotheken als eine der dringend¬ 
sten Aufgaben der preussischen Medizinalverwaltung auf dem Gebiete der lange 
vernachlässigten Apothekengesetzgebung bezeichnet. „Die preussische Instruktion 
vom 21. Oktober 1819“, heisst es in den betreffenden Ausführungen „ist so un- 
zähligemale ergänzt, abgerundet, erläutert worden, dass ein Reg.-Medizinalrath 
schon im Jahre 1872 klagte, er habe sich das Material für eine Anleitung zur 
Vornahme von Apothekenrevisionen aus etwa 150 Einzelverordnungen und Er¬ 
lassen Zusammentragen müssen. Die Zahl derselben dürfte jetzt, 20 Jahre später, 
wohl das Doppelte betragen. Bei dieser Rechtslage ist es handgreiflich, dass das 
Revisionswesen einer geordneten und namentlich zweifellosen Grundlage entbehrt 
und ist auf keinem Gebiete des Verwaltungsweseus dem subjektiven Ermessen 
des einzelnen Beamten ein so weier Spielraum gegeben, als hier. Zahlreiche 
durch Spruch der Behörde oder in der Presse ausgetragene Streitigkeiten zwischen 
Revidirenden und Revidirten geben von diesen Zuständen, wie bekannt, hinläng¬ 
lich Kunde. Dazu tritt, dass die Instruktion selbst in vielen Punkten veraltet 
ist, und einem von neueren Gesichtspunkten ausgehenden, minder schwerfälligem 
Verfahren unbedingt einen Platz machen müsse.“ 

Man wird im Allgemeinen diesen Ausführungen der Pharmazeutischen 
Zeitung beistimmen müssen, wenn sie auch nach mancher Richtung hin etwas 
übertrieben sind und insbesondere der dem subjektiven Ermessen des revidiren¬ 
den Beamten überlassene Spielraum keineswegs so gross ist, wie man eigentlich 
darnach annehmen müsste. Durch die zahlreichen Erlasse u. s. w. sind dem Re¬ 
visor ziemlich enge Grenzen gezogen; es herrscht aber bei den Apothekenbesitzem 
im Allgemeinen eine grosse Unkenntniss der allerdings sehr verwickelten Apotheken¬ 
gesetzgebung und um so leichter werden von ihnen Forderungen der Revisoren 
als ungerechtfertigt angesehen, die durchaus auf gesetzmässiger Grundlage beruhen. 
Durch Vereinfachung der gesetzlichen Bestimmungen wird diesem Uebelstande 
zweifellos am besten abgeholfen werden; dazu ist aber vor allem die Auf¬ 
hebung der vollständig ve ralteten Apothekerordnung erforderlich 
und erst, wenn dies geschehen, lässt sich auch das auf den Bestimmungen der 
Apothekerordnung (besonders der Titel 11 und III) beruhende Revisionsverfahren 
in entsprechender Weise ändern. 


*) Die Rundverfügung vom 30. Mai 1862 setzte bei Kuren mittelst 
des elektrischen Induktions - Apparats die Gebühr auf 3 Mark für jede Sitzung 
in der Wohnung der Kranken und auf 1,50 Mark für jede Sitzung in der Be¬ 
hausung des Arztes fest — also ohne Unterschied, oberste oder folgende Sitzung. 
Durch die Ministerial-Verfügung vom 22 September 1868 wurde dann bestimmt, 
dass für den Gebrauch des konstanten Stromes, welcher grössere Verrichtung 
bedarf und deshalb vorzugsweise in der Behausung des Arztes applizirt wird, 
der höchste der vorstehenden Sätze — 3 Mark — zugestauden werden muss. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 


Die Mitglieder des Vereins werden gebeten, etwaige Vorträge, Dis¬ 
kussionsgegenstände oder sonstige Wünsche zu der diesjährigen 

zehnten Hauptversammlung des Vereins 

dem Unterzeichneten Schriftführer bis zum 1. Mai d. J. gefälligst anmelden 
zu wollen. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Auftr. 

Dr. Rapmund, Schriftführer des Vereins. 

Reg.- und Med.- Rath in Minden. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden l W. 

J. 0. G. Bruns, Buchdruokerei, Minden. 




6. Jahrjt- 


1892. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

Saii.-Rath u.gerichtl. Stadtpliysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalr.ith in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Mediiin.-ilrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserat«, die dnrehUufende Petitseile 46 Pf. nimmt die Yerla^handlang and Bad. Moese 

entgegen. 


No. 5. 


Bnelieiiat am 1. und 15. Jeden Monats. 
Preis JBhrlloli 10 Mark. 


1. März. 


Das vorläufige Gutachten. 

Von Dr. Richter, Kreisphysikus in Gross-Wartenberg. 

Keine Frage kann dem jungen Gerichtsarzte mehr Schwierig¬ 
keiten bieten, als diejenige nach der Abfassung eines einwands¬ 
freien und dabei doch aufklärenden vorläufigen Gutachtens. 

Nichts ist allerdings leichter, als ein einzig und allein vom 
rein wissenschaftlichen Standpunkte einwandsfreies Gutachten ab¬ 
zugeben : man hat eben, wo die Leichenbefunde ein sicheres Ur- 
theil nicht zulassen, nur kurzweg zu erklären, man habe nichts 
Sicheres feststellen können und behalte sich ein endgültiges Gut¬ 
achten vor. Aber ein gleichzeitig den Bichter, soweit als möglich, 
aufklärendes Gutachten abzufassen, darin liegt die Schwierigkeit. 

Wer nämlich nur den ersteren Punkt, die Abgabe eines 
wissenschaftlich einwandsfreien Gutachtens, ins Auge fasst, der 
wird mit seltenen Ausnahmen zu dem stereotypen und in seiner 
Magerkeit dem richterlichen Laien lächerlichen Schlüsse kommen: 
„Etwas Sicheres hat die Leichenuntersuchung nicht ergehen.“ Wie 
niederdrückend wirkt das Bewusstsein, immer nur dürftige, prak¬ 
tisch unbrauchbare und nichtssagende Gutachten abgeben zu müssen! 
Der Gerichtsarzt soll aber nach §. 8 des Regulativs vom 6. Januar 
1875 stets „den richterlichen Zweck der Leichenuntersuchung im 
Auge behalten“, und daher kann es nimmermehr der Zweck des 
vorläufigen Gutachtens sein, einzig und allein das durch die Leichen¬ 
untersuchung sicher Festgestellte in den Ki'eis der Betrachtungen 
zu ziehen, sondern das vorläufige Gutachten soll, unter Berück¬ 
sichtigung aller, den Obduzenten gemachten Mittheilungen über 
gerichtlich etwa festgestellte äussere Umstände, des etwa vorge¬ 
nommenen örtlichen Augenscheins, der Untersuchung von Gegen¬ 
ständen, Blut- und Fussspuren u. s. w., dasjenige enthalten, was 











106 


Dr. Richter. 


unter Zusammenhalt aller angeführten Momente für das Wahr¬ 
scheinlichste gelten muss. 

Alles aber zunächst ohne Angabe der Gründe. 

Das Regulativ sagt ausdröcldich im §. 10, Absatz 3: „Sie 
(nämlich die Obduzenten) sind verpflichtet, auch über andere, für 
die Obduktion und das abzugebende Gutachten erhebliche, etwa 
schon ermittelte Umstände sich von dem Richter Aufschluss zu 
erbitten.“ (Insbesondere gilt dies füi* die Krankheitsgeschichte.) 

Ich bin erst unlängst bei einer gemeinsamen Leichenunter¬ 
suchung der Ansicht eines Kollegen begegnet, nach welcher die 
Obduzenten ihr Gutachten lediglich auf den thatsächlichen Leichen¬ 
befund zu stützen hätten — wir werden sehen, wie weit dies 
richtig ist —, bei Leibe aber hätten dieselben für die Abgabe 
des vorläuflgen Gutachtens nichts zu verwerthen, was ihnen etwa 
vom Richter über die äusseren Umstände des Falles als festge¬ 
stellt mitgetheilt worden wäre. Diese Anschauung halte ich für 
grundfalsch, denn es heisst ja im §.10 ausdrücklich: „andere für 
die Obduktion und das abzugebende Gutachten erhebliche 
Umstände“, und ich kann „das abzugebende Gutachten“ an dieser 
Stelle nur als das vorläufige Gutachten, und nicht etwa als das 
endgültige aufiassen. 

Das Regulativ sagt nämlich ferner: 

„Vorläufiges Gutachten. 

§. 29. Am Schluss der Obduktion haben die Obduzenten ihr 
vorläufiges Gutachten über den Fall summarisch und ohne Angabe 
der Gründe zum Protokoll zu geben. 

Sind ihnen aus den Akten oder sonst besondere, 
den Fall betreffende Thatsachen bekannt, welche auf 
das abgegebene Gutachten Einfluss ausüben, so 
müssen auch diese kurz erwähnt werden u. s. w.“ 

Absatz 2 kann gar keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, 
dass auch die Bekanntschaft mit andern Thatsachen, als den blossen 
Leichenbefunden, das vorläufige Gutachten beeinflussen darf und 
nach meiner Auffassung beeinflussen soll. 

Die östen’eichische Todtenbeschauordnung gestattet es, das 
Gutachten sofort nach Schluss der Leichenuntersuchung sammt 
seinen Gründen zu Protokoll zu geben. Es lässt sich darüber 
streiten, was besser ist. Jedenfalls, ob man die Gründe für das 
vorläufige Gutachten zu Protokoll giebt oder nicht, unter allen 
Umständen wird man sich dieselben vor der Abgabe des Gutach¬ 
tens doch möglichst gründlich klar zu machen suchen müssen. 
Praktisch verfahrt man am besten so, dass die Obduzenten 
sich nach Schluss der Leichenuntersuchung womöglich zurück¬ 
ziehen, um ungestört zunächst festzustellen, welche Fragestellung 
für das abzugebende vorläufige Gutachten der gerichtliche Zweck 
der Leichenuntersuchung im besondern Falle als die natürlichste 
erscheinen lässt und dann unter kurzer Aufzeichnung der Gründe 
das Gutachten so zu formuliren, dass dasselbe eine möglichst kurze 
und klare Beantwortung der zu stellenden Fragen darstellt. Die 
Fragestellung aber soll alle Punkte berücksichtigen, welche nach 



Das vorläufige Gutachten. 


107 


Massgabe jedes einzelnen Falles der Aufklärung bedürfen. Die 
Gründe werden in Preussen nicht mit zu Protokoll gegeben. 

Nur „wo weitere technische Untersuchungen nöthig sind 
oder wo zweifelhafte Verhältnisse vorliegen, ist ein besonderes 
Gutachten mit Motiven ausdrücklich vorzubehalten“. Das heisst 
also, es giebt nur zwei Gründe, welche ein besonderes, begründetes 
Gutachten nothwendig machen, nämlich erstens, wo weitere Unter¬ 
suchungen zur Aufklärung des Falles nöthig sind — nicht etwa, 
wo die Obduzenten eine solche, z. B. mikroskopische Untersuchung, 
aus wissenschaftlichen Gründen oder auch nur zur grösseren Siche¬ 
rung eines an und für sich unzweideutigen Befundes vorzunehmen 
wünschen — und zweitens, wo zweifelhafte Verhältnisse vor¬ 
liegen, d. h. nach dem oben Gesagten in Fällen, in welchen die 
Beantwortung sämmtlicher, der Au&lärung bedürftigen Punkte der 
Fragestellung des Gutachtens, unter Berücksichtigung aller für 
die Beurtheilung zui* Verfögung stehenden Momente und nicht nur 
der objektiven Befunde an der Leiche, nicht möglich war. Es ist 
eben durchaus nicht jeder Fall, in welchem die objektiven Leichen¬ 
befunde für sich allein ein sicheres Urtheil nicht zulassen, als ein 
zweifelhafter zu betrachten; denn er kann unter Zusammenhalt 
aller zu Gebote stehenden, thatsächlichen Momente praktisch voll¬ 
kommen klar liegen. Dann ist aber der Vorbehalt eines endgül¬ 
tigen, begründeten Gutachtens nicht nur nicht nöthig, sondern nach 
meiner Ansichtunberechtigt; ein Fehler, da er den Gang des Hechts 
unnützer Weise verzögert und überflüssige Mehrkosten verursacht. 

Die Fassung des §. 29 des Begulatives ist darum keine ganz 
glückliche, weil der naturgemäss erste, weil wichtigste Theil der 
Forderungen desselben nicht auch an die erste Stelle gesetzt 
worden ist. Stände Absatz 4 an zweiter Stelle, so wäre die ganze 
Fassung klarer. Es würde dann heissen: „Auf jeden Fall ist das Gut¬ 
achten zuerst auf die Todesursache und zwar nach Massgabe desjenigen, 
was sich aus dem objektiven Befunde ergiebt, zu richten. Sind den 
Obduzenten aus den Akten oder sonst besondere, den Fall be¬ 
treffende Thatsachen bekannt u. s. w.“ 

Was unter „objektivem Befunde“ zu verstehen sei, ist gleich- 
fcills nicht ohne Weiteres klar. Es könnten nämlich entweder nur 
die Leichenbefunde oder auch alle sonstigen Befunde, z. B. an 
Gegenständen und endlich auch die gerichtsseitig etwa festgestellten 
äusseren Umstände des Falles darunter zu verstehen sein. Ich 
verstehe darunten nur den objektiven „Leichenbefund“. Versteht 
man mehi* darunter, so ist die Grenze nicht zu ziehen, wo die 
Objektivität im einzelnen Falle aufhört und die Subjektivität an- 
fllngt, denn objektiv im strengen Sinne des Wortes kann für den 
Obduzenten nur dasjenige sein, was er an der Leiche beobachtet. 
Li Bezug auf alles andere ist der Täuschung Thür und Thor geöffnet. 

Wie wird nun aber ein nach dem objektiven Leichenbefunde 
allein abgegebenes vorläuflges Gutachten in den meisten Fällen 
aussehen? 

Ich fasse nur die erste der zu stellenden Fragen, nämlich 
nach der Todesursache, in’s Auge, um nicht zu weit geführt zu werden. 



108 


Dr. Richter. 


Objektive Leichenbefunde, welche ein kategorisches Gutach¬ 
ten über die Todesursache zulassen, sind äusserst selten. Wenn 
Jemand in Folge einer Maschinenverunglückung zerrissen, ihm der 
Leib mitten durchgeschnitten oder der Kopf vom Rumpfe getrennt 
wird, so haben wir solche Fälle. Zum Glück sind solche Ver¬ 
letzungen in Friedenszeiten selten; auch ist die Mitwirkung ärzt¬ 
licher Sachverständiger mit Rücksicht auf die Feststellung der 
Todesursache hier einfach überflüssig, da jeder Laie in einem sol¬ 
chen Falle ein sicheres Urtheil über dieselbe hat. 

Dann kommt die auch nicht sehr bedeutende Zahl der schweren 
Verletzungen lebenswichtiger Organe, durclibohrende Verletzungen 
des Herzens, der grossen Gefässe, Zertrümmerungen eines grossen 
Theils des Gehinis und dergl. mehr. Auch hier ist die Todes¬ 
ursache meistens ohne Weiteres klar, wenn schon in vielen Fällen 
die Mitwirkung eines Arztes zur Feststellung derselben nicht mehr 
zu entbehren sein wird. 

Die weitaus grösste Zahl gerichtlicher Leichenunter¬ 
suchungen betrifft aber Fälle, in welchen die Todesursache nicht 
mit voUer Bestimmtheit, sondern nur mit einem grösseren oder ge¬ 
ringeren Grade von Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann. 
Selbst schwere Verletzungen oder Erkrankungen der lebenswich¬ 
tigsten Theile, sofern sie nicht zu den oben berührten, auf den 
ersten Blick als absolut tödtlich zu erkennenden gehören, können 
erfahrungsgemäss heilen. Sie schliessen die Möglichkeit nicht aus, 
dass eine andere, nicht aufgefundene und vielleicht objektiv nicht 
feststellbare Todesursache vorliegt. Ein Mensch, welcher eine 
Stichverletzung des Gehirns erleidet, kann z. B. fast augenblick¬ 
lich todt zusaramenbrechen, und die Leichenuntersuchung kann 
ausser der Verletzung des Gehirns eine Verblutung aus einem 
grossen Aneurysma ergeben. Oder sie ergiebt neben der Gehirn- 
wunde ein Fettherz oder eine Arteriosklerose des Herzens. Wie 
nunP Konnte nicht ein Herzschlag die eigentliche und letzte 
Todesursache gewesen sein P Konnte dieser Herzschlag nicht auch 
ohne die Aufregung eines etwa stattgehabten Kampfes eingetreten 
seinP Jedenfalls doch wohl auch unabhängig von der Stich¬ 
verletzung des Gehinis. Und wenn nichts gefunden wird, als eine 
vielleicht nicht einmal sehr ausgedehnte Gehimverletzung; wenn 
diese jedenfalls keinen derjenigen Theile des Gehirns betrifft, 
deren Unversehrtheit, wie uns bekannt, Bedingung des Fortbe¬ 
standes des Lebens ist: können wir in einem solchen Falle ein 
kategorisches Gutachten über die Todesursache abgeben P Ich 
meine, wir müssen uns in solchen und ähnlichen Fällen in den 
Grenzen der Wahrscheinlichkeit halten. 

Noch viel bedenklicher liegt die Sache bei den meisten Fällen 
von Vergiftung, in welchen das vorläufige Gutachten, mangels aller 
unzweideutigen Leichenbefunde, ebenfalls nur die Wahrscheinlich¬ 
keit in’s Auge fassen kann. Es genügt dies aber ^ den Zweck 
der gerichtlichen Leichenuntersuchung, und dies ist die Hauptsache. 

Wie soll man also sein vorläufiges Gutachten abfassen, um 
den Fordeningen der Wissenschaft zu genügen, den Zweck der 



Das vorläufige Gutachten. 


109 


richterlichen Leichenuntersuchung zu wahren und nicht gegen das 
Begulativ zu sündigen? 

Man hat zunächst zu erklären, ob die objektiven Leichenbe- 
lunde — ich rathe den Ausdruck »Leichenbefunde“ und nicht den 
im Regulativ gebrauchten Ausdruck »Befunde“ zu wählen — die 
Todesursache mit Sicherheit erkennen lassen. 

Ist es der Fall, so ist die Frage nach der Todesursache 
damit überhaupt beantwortet. Ist dies, wie in den weitaus meisten 
Fällen, nicht möglich, so hat man, und zwar eventuell unter 
summarischer Bezeichnung der ausser den Leichenbefunden dem 
Gutachten zu Grunde liegenden anderweiten Feststellungen, zu 
erklären, welche Todesursache die wahrscheinlichste sei. 

Also etwa so: 

1. Die objektiven Leichenerscheinungen lassen die Ursache 
des Todes des N, N. nicht mit Sicherheit erkennen. 

2. Dieselben, zusammengehalten mit den äussem Umständen 
des Falls (der Krankheitsgeschichte u. s. w.) sprechen für die und 
die Todesursache als die wahrscheinlichste. 

No. 1 des Gutachtens thut dann der Forderung des Absatzes 4, 
No. 2 desselben derjenigen des Absatzes 2 des §. 29 des Regu¬ 
lativs Genüge; das Gutachten aber trägt einerseits dem Stande 
der wissenschaftlichen Erfahrung, andererseits dem richterlichen 
Zwecke der Leichenuntersuchung Rechnung. 

Das Weitere über die Todesursache legt man in die Hand 
des Richters. Selbstverständlich ist man verpflichtet, auf aus¬ 
drückliches Befragen des Richters auch die Gründe für das vor¬ 
läufige Gutachten kurz zu Protokoll zu geben. Es nützt nichts, 
sich dann hinter den Bestimmungen des Regulativs zu verschanzen, 
denn der Richter ist an dasselbe keineswegs gebunden. Kritischen 
Bemerkungen der Revisionsinstanzen begegnet man dadurch, dass 
man die Beantwortung der Fragen des Richters nach Absatz 3 
des §. 29 des Regulativs etwa mit den Worten einleitet: »Auf 
Befragen des Richters u. s. w.“ Ich habe die Erfahrung gemacht, 
dass die Richter in Fällen, in welchen ihnen die Gründe für das 
vorläufige Gutachten nicht von selbst klar hervorgingen, es dank¬ 
bar empfanden, auf die Möglichkeit der Beantwortung dieser und 
jener Fragen aufmerksam gemacht und auf eine bestimmte Frage¬ 
stellung hingewiesen zu werden. Das schadet der Deutlichkeit 
und Vollständigkeit des Gutachtens nicht. Diejenigen Richter sind 
die angenehmsten, welche viele Fragen stellen: Das klärt die 
Sachlage und erleichtert die Fassung des Gutachtens. Der Arzt 
aber ist — daran glaube ich festhalten zu müssen, denn das er¬ 
fordert das Interesse der Rechtspflege — dazu verpflichtet, in 
jedem Falle schon durch den Inhalt seines vorläufigen Gutachtens 
so viel Licht zu schaffen, als irgend möglich. 

Um noch ein Beispiel anzuführen: es waren zwei bislang an¬ 
scheinend völlig gesunde Personen ein und desselben Hausstandes 
nach dem Genüsse ein und derselben Speise unmittelbar schwer 
erkrankt und nach heftigem Erbrechen verstorben. 

Die Leichenuntersuchung ergab bei beiden die Befunde der 



110 


Dr. Richter: Das vorläufige Gutachten. 


Erstickung, aber keine für eine der bekannten Vergiftungen 
charakteristischen, unzweideutigen Erscheinungen. 

Wir entschlossen uns daher, unter Vorbehalt der Abgabe 
eines besondern Gutachtens nach erfolgter chemischer Untersuchung, 
zu folgendem vorläufigen Gutachten: 

1. Die objektiven Leichenbefunde lassen die Ursache des 
Todes des N. N. nicht mit Sicherheit erkennen. 

2. Dieselben machen es aber wahrscheinlicli, dass N. N. an 
Erstickung gestorben ist. 

3. Die äussern Umstände des Falles sprechen für den Tod 
durch Gift. 

Auf Befragen des Richters erklären die Obduzenten: 

a. Vergiftungen vom Verdauungskanal aus hinterlassen niclit 
immer charakteristische Befunde an demselben; dagegen sind 

b. nach nicht wenigen Vergiftungen die Erscheinungen der 
Erstickung in der Leiche vorherrschend und 

c. nichts in dem Leichenbefunde spricht gegen die Möglich¬ 
keit der Vergiftung. 

Begnügte man sich mit No. 1 dieses Gutachtens, was aus 
Furcht, zu viel zu sagen, Vorkommen mag, so wäre das Gutachten 
dürftig. Bliebe man bei No. 2 desselben stehen, so wäre es falsch, 
denn es müsste den Glauben erwecken, als läge Erstickung und 
nicht Vergiftung vor. Schlösse man mit No. 3 ab, so wäre das 
Gutachten unklar, denn man könnte annehmen, es würde von dem 
Nebeneinanderwirken zweier verschiedener Todesursachen ge¬ 
sprochen. 

Erst die auf Befragen des Richters angegebenen Gründe 
füllen die Lücken aus. 

Man könnte einwerfen, folgende Fassung sei kürzer und um¬ 
ginge die Fragen des Richters: 

„Es ist wahrscheinlich, dass der N. N. an Erstickung in 
Folge von Vergiftung verstorben ist.“ 

Damit aber würde man gegen die ausdrückliche Forderung 
des Regulativs verstossen, das vorläufige Gutachten auf jeden Fall 
zuerst auf die Todesursache und zwar nach Massgabe desjenigen 
zu richten, was sich aus dem objektiven Befunde ergiebt. Auch 
läge darin eine grosse Verführung zur Oberflächlichkeit bei Abgabe 
des vorläufigen Gutachtens. 

Um das zu umgehen, bliebe noch eine Fassung übrig: 

1. Die objektiven Leichenbefunde lassen die Ursache des 
Todes des N. N. nicht mit Sicherheit erkennen. 

2. Dieselben, zusammengehalten mit der Krankheitsgeschichte 
des Falles, sprechen indessen für Erstickung in Folge des Genusst's 
von Gift als die wahrscheinlichste Todesursache. 

Diese Fassung wäre nicht ganz klar. Einmal ist es nicht 
zu empfehlen, zwei wichtige Urtheile, wie dasjenige über eine 
stattgehabte Erstickung und eine Vergiftung in einer Nummer 
zusammenzufassen. Zweitens aber geht der Zusammenhang 
zwischen Erstickung und Vergiftung aus dieser Fassung nicht 
unzweideutig hervor, denn es liegt die entfernte Möglichkeit vor. 



Das vorläiifigc Uutchlen. 


111 


dass die Ei’stickung in Folge des Hineingeratliens als giftig er¬ 
kannter Substanzen in die Luftrölum eingetreten ist, ein Fall, 
welcher denkbar wäre. 

Es bleibt also nichts übrig, als die erste Fassung. — 

In der Fordening des Regulativs, das vorläufige Gutachten 
ohne Angabe der Gründe abzugeben, liegt die Hauptschwierigkeit 
für die meisten Fälle. Es ist oft geradezu ein dialektisches Kunst¬ 
stück, ein vollkommen klares vorläufiges Gutachten abzufassen 
ohne Angabe der Gründe und ohne gegen die sonstigen Bestimm¬ 
ungen des Regulativs zu verstossen, wenn man nicht gelegentlich 
zu willkürlichen Restriktionen seine Zuflucht nehmen will. Eine 
solche aber ist es immerhin, wenn man dem Richter die Frage¬ 
stellung nach den Gründen des Gutachtens aufnöthigen muss. Wäre 
es nicht zweckmässiger, wenigstens in Fällen, in welchen die 
Obduzenten wegen Klarliegens aller Verhältnisse von dem Vorbe¬ 
halte eines besondern, begi'ündeten Gutachtens absehen können, die 
Abgabe eines ausführlicheren Gutachtens sammt den Gründen un¬ 
mittelbar im Anschlüsse an die Leicheuuntersuchung auheimzu¬ 
geben, wie dies die österreichische Todtenbeschauordnung gestattet? 
Das Gutachten wird doch nun einmal zur Aufklärung des Rich- 
tei's und nicht als Probearbeit für das Medizinalkollegium ab¬ 
gegeben. 

Ich hoffe, einem nicht geringen Theil meiner Kollegen mit 
dieser Besprechung einen Dienst erwiesen zu haben, denn die Un¬ 
sicherheit in Bezug auf die Abfassung des vorläufigen Gutachtens 
ist keine unentschuldigte. 

Es sollte mir lieb sein, wenn von den meinen abweichende 
Anschauungen an dieser Stelle zur Sprache kämen; denn nur Aus¬ 
sprache kann hier Klarheit bringen. 

Den vorstehenden Artikel will ich nicht ohne einige Worte 
in die Welt gehen lassen, da es sonst den Anschein gewinnen 
könnte, als ob ich ihm in allen Punkten beistimmte. 

Es ist mir im Allgemeinen aufgefallen, dass einzelne der 
Herren Kollegen auf so grosse Scliwierigkeit bei Abfassung des 
vorläufigen Gutachtens stossen wollen und mit den Bestimmungen 
des Regulativs nicht auszukommen verneinen, während wir Berlmer 
Gerichtsärzte weder über das Eine noch das Andere zu klagen 
haben. Anfänglich, als ich den F r ey er’schen Vortrag hörte, glaubte 
icli, der Fehler liege an uns, wir würden vielleicht, durch die 
tägliche Gewohnheit verführt, zu lax und gingen zu leicht über 
die Bestimmungen des Regulativs hinweg. Ich habe desshalb diesem 
Punkte meine Aufmerksamkeit geschenkt und gefunden, dass auch 
wir sehr loyale Gerichtsärzte sind. Der Rieht er’sche Artikel 
bringt mir nun die Ueberzeugung, dass die Auffassung des Regu¬ 
lativs und seine Auslegung nicht immer die richtige sein mag. 

Meines Erachtens ist die Abfassung des summarischen Gut¬ 
achtens nicht so schwierig wie Richter meint, wenn man der 
klaren Weisung des §. 29 des Regulativs folgt. Dieser sagt, nach 
meiner Auffassung, man solle das vorläufige Gutachten ohne An- 



112 


Dr. Rump. 


gäbe der Gründe auf Gi*und des Ergebnisses der Obduktion zuerst 
auf die Todesursache und zuzweit auf die Frage der verbreche¬ 
rischen Veranlassung richten. Er spricht kein Wort davon, dass 
man zuerst angeben soll, ob man mit Sicherheit die Todesur¬ 
sache aufgefunden habe. Dies ist von Richter zu Unrecht hin- 
eininterpretirt. Denn dann würde man allerdings den Freyer’schen 
Staatsanwalt sehr oft unangenehm berühren. 

Man spricht sich zuerst lediglich auf Grund des Obduktions¬ 
ergebnisses darüber aus, ob man eine sichere, wahrscheinliche oder 
nur mögliche Todesursache gefunden, oder ob die Obduktion gar 
keinen Anhalt für die Todesursache geboten hat. 

Dann folgt zweitens, ebenfalls lediglich auf Grund des Sektions¬ 
befundes, die Erledigung der Frage nach der verbrecherischen 
Veranlassung. 

An dritter Stelle folgt eventuell die Erwähnung der bereits 
festgestellten Thatsachen und eine Erweiterung des Gutachtens, 
insofern die Thatsachen einen neuen Faktor für die Aufklärung 
des Gerichts bieten. 

Und daran schliesst sich viertens die Beantwortung der von 
dem Richter etwa vorgelegten Fragen. 

Ich kann nui' sagen, dass mir bei dieser Handhabung der 
Abfassung des vorläufigen Gutachtens weder vom Richter noch 
von den revidirenden Behörden jemals sonderliche Ausstellungen 
gemacht worden sind, und dass mir Schwierigkeiten sonst nur bei 
Beantwortung der ersten, der rein ärztlichen Frage, erwachsen sind 
und noch heute erwachsen. Diese ärztliche, oder besser gesagt, 
echt gerichtsärztliche Frage ist die Hauptsache; denn ihre Beant¬ 
wortung soll vor allen Dingen die Grundlage der ganzen richter¬ 
lichen Ermittelung bilden. Dr. Mittenzweig. 


Kunstfehler eines Arztes bei der Geburt. Fahrlässige 

Tödtung. 

Von Dr. Rump, Kreisphysikus in Osnabrück. 

In der Nacht vom 7. April 188 . wurde der Dr. N. zu N. 
zu einer Ki'eissenden gerufen und fand das Kind querliegend im 
Muttermunde, nachdem das Wasser lange abgeflossen war. Die 
Wehen waren sehr heftig. Der Dr. N. machte sofort die Wendung 
und extrahirte ziemlich leicht ein scheintodtes Kind. Bei dieser 
Operation hat weder die Hebamme, noch der Arzt etwas Auftalliges 
bemerkt. Während die Hebamme das wiederbelebte ffind im 
Nebenzimmer im Bade hielt, hörte sie in der Kammer die Wöch¬ 
nerin fürchterlich schreien. Sofort gab sie das Kind einer anderen 
Frau, ging hinein und fand den Dr. N. anscheinend beschäftigt, 
die Nachgeburt zu entfernen. Zu ihrem grössten Schrecken zog 
er aber aus den Geschlechtstheilen anstatt der Nachgeburt etwas, 
was ihr als ein Stück Gedärm vorkam und welches der Arzt als 
krankhaft veränderte, mit der Nachgeburt verwachsene Schleim- 



Kanstl'ubler eines Arztes bei der Geburt. Fahrlässige Tödtung. 113 


häute der Gebärmutter erklärte. Er hiess der Hebamme, die¬ 
selben abzusclmeiden, obgleich diese auf die Möglichkeit eines 
Irrthums aufmerksam gemacht haben will. Sie that es schliesslich 
mit dem Bemerken, dass es nur auf seinen Befehl und seine Ver¬ 
antwortung geschähe. Das abgeschnittene Stück behielt sie in 
Verwähl'. Dasselbe zeigte sich nach seiner Reinigung als ein Stück 
Gedärm, das als corpus delicti der Behörde eingeschickt wurde. 
Vom Verbleib der eigentlichen Nachgeburt will die Hebamme 
nichts bemerkt haben, glaubte vielmehr, dass diese zurückgeblieben 
sei. Der Arzt hat nach der Angabe der Hebamme noch eine 
Arznei verordnet und sich dann entfernt. Die Frau ist bald dar¬ 
auf unter heftigen Schmerzen gestorben. 

Die gerichtsseitig angeordnete Obduktion der wieder ausge¬ 
grabenen Leiche ergab im Wesentlichen folgendes Resultat: 

A. Aenssere Besichtigniig. 

1. Die weibliche Leiche ist 163 cm lang, kräftig gebaat mit gut ent¬ 
wickeltem Fettpolster und gut entwickelter Mnsknlator. 

2. Die Farbe ist im Allgemeinen eine blasse, am Unterleibe grOn, am 
Rücken und Ge.säs3 nnd den hinteren Theilen der Oberschenkel eine röthlich 
braune. Die obere Hälfte des Gesichtes ist mit einem weissen Schimmel bedeckt 
Dieselben Schimmelflecken sind an der inneren Fläche beider Oberschenkel. Beim 
Einschneiden der röthlich verfärbten Hantstellen zeigen sich nur vereinzelte 
Blutpnnkte, aber kein freies ergossenes Blut. 

3. Leichenstarre ist nicht vorhanden. 

5. Augäpfel nicht mehr vorhanden. 

6. Rechtes Nasenloch durch Schimmelbildnng völlig geschlossen, aus dem 
linken Nasenloch fliesst etwas blutige Flüssigkeit. 

8. Oberhaut an den runzligen Händen und an den Füssen an grösseren 
Stellen abgeiöst. 

9. Die äusseren weiblichen Geschlechtstheile sind weitklaffend nnd'vor 
und zwischen denselben liegt eine beträchtliche Menge geronnenen, schmierigen, 
schwarzen Blutes. Ans ihnen hängt ein 17 cm langes Stück des rothbraun ge¬ 
färbten schmutzigen Darmes mit scharf durchschnittenem Ende. 

B. Innere Besichtigung. 

I. Brust- nnd Bauchhöhle. 

11. Der Unterleib ist stark anfgetrieben. 

12. In der Bauchhöhle befindet sich ein flüssiger, blutiger Inhalt, von dem 
bei der Eröffnung der Bauchhöhle 20 ccm aufgefangen werden. 

13. Das Gesichtsfeld wird durch den anfgetriebenen, röthlich grttngefärbten 
Hagen, durch die ebenso gefärbten, in hohem Grade aufgetriebeneu DUnndarm- 
parthien nnd durch den 7 cm oberhalb des oberen Randes der Schambeinfuge 
befindlichen, röthlichbraun gefärbten Grund der Gebärmutter eingenommen. 

14. Das Zwerchfell steht rechts in der Höhe der vierten und links zwischen 
der dritten und vierten Rippe. 

a. Bauchhöhle. 

15. In der Bauchhöhle befindet sich hinten nnd an beiden Seiten der Ge¬ 
bärmutter eine Masse schwarzen halbgeronnonen Blutes, etwa 50 ccm. 

16. Die Gebärmutter hatte eine Länge von 25, am Grunde eine Breite 
von 18 cm. Die Muskulatur derselben ist rotb, am Grunde l'/j, am Halse */> 
und 1 cm dick. 

17. Nach Aufschneiden derselben zeigt sich im Grunde ein 20 cm langer, 
10 cm breiter Rest der Nachgeburt mit theilweise zerrissenem Gewebe, von 
welchem anscheinend der übrige Theil getrennt war. 

18. Die Substanz der Gebärmutter erweist sich als unverletzt, hingegen 
findet sich in der hinteren Wand der bräunlichroth gefärbten Scheide, etwas 



114 


Dr. Kump. 


nach rechts Ton der Mittellinie derselben, ein 10 em langer Riss durch die ganze 
Substanz der Scheide mit noch deutlich zackigen Bändern. An der diesem Bisse 
entsprechenden Stelle ist im Bauchfell ein Biss von derselben Beschaffenheit, 
durch welchen eine Verbindung zwischen Scheide und Bauchhöhle bewirkt wird 
und durch welchen die sub 9 erwähnte Darmschlinge zu den äusseren Geschlechts- 
theilen heraushängt. 

19. Gebärmutterbänder, Eileiter und Eierstöcke zeigen nichts Bemer- 
kenswerthes. 

20. Die Harnblase ist leer, die Schleimhaut grllnlich gefärbt. 

21. Der Mastdarm mit blasser Schleimhaut enthält dtlnnen bräun* 
liehen Koth. 

22. Das Netz ist fettreich. 

23. Die Milz ist 12 cm lang, 7 cm breit, 2 cm dick, von weicher Kon¬ 
sistenz; die Kapsel glatt, das Gewebe zerfliessend, schmutzig blauroth gefärbt. 

24 . Die Niere links 12 cm lang, 7 cm breit, 5 cm dick. Die Kapsel fett¬ 
reich, leicht abzuziehen. Das Gewebe ist auf dem Durchschnitt gleichniässig 
schmutzig röthlich gefärbt. 

Die rechte Niere ebenso. 

25. Der Zwölffingerdarm und Magen sind äusserlich grünlich röthlich ge¬ 
färbt, zeigen innerlich eine schmutzig rothe Schleimhaut, ln demselben ist eine 
geringe Menge bräunlichen Inhalts. Der Gallengaug ist durchgängig. 

26. Die Leber äusserlich schmutzig gelblich, mit Schimmelpilzen bedeckt, 
ist 20 cm breit, 15 cm hoch, 7 cm dick. Das Gewebe erweist sich bei der Her¬ 
ausnahme als brüchig weich und ist von gleichmässig schmutzig gelber Farbe. 

27. Gekröse sehr fettreich, Gefässe wenig mit Blut gefiUlt. 

28. Die Dünndärme anfgetrieben, äusserlich schmutzig braunroth, zeigen 
sowohl im Leerdarm als im Kmmmdarm wenig Inhalt. Die Schleimhaut von 
derselben Färbung. 

29. Vom Dickdarm fehlte sowohl der aufsteigende, als auch der quere 
Theil vollständig, ebenso die obere Hälfte des absteigenden Theiles. Die untere 
Hälfte des absteigenden Theiles entsprach dem sub 9 beschriebenen DarmstUckc. 
Die Schnittränder an der abgetrennten Darmparthie waren glatt. 

Das nach der Sektion vorgezeigte Stück Darm, welches von 
der Hebamme aufbewahrt war und nach der Angabe derselben 
von dem Dr. N. entfernt war, entsprach dem fehlenden Stück 
Dickdarm und erwies sich als solcher. 

Wir gaben unser vorläufiges Gutachten dahin ab: 

1. dass der Tod der Obduzirten die Folge des 
Scheidenrisses und der Abtrennung des Dar¬ 
mes sei; 

2. dass der Scheidenriss allein hätte möglicher 
Weise zurHeilung kommen können, wenn nicht 
die Vorgefundene Abtrennung des Darmes hin¬ 
zugekommen wäre. 

Bei der gerichtlichen Vernehmung erklärte Herr Dr. N.: 

„Als er nach Wiederbelebung des scheiutodt geborenen Kindes zu der 
Wöchnerin znrUckgekehrt sei, habe er ein Konvolut von Därmen, unzweifelhaft 
durch einen Gebärmutterriss aus der Scheide vorgefallen, gesehen. Die Frau 
klagte über sehr heftige Schmerzen im Unterleibe. Obgleich seines Erachtens 
ein Gebärmntterriss absolut den Tod nach sich ziehe, habe er dennoch versucht, 
^e Gedärme in den Bauch zurückznbringen, jedoch ohne Erfolg. Da inzwischen 
ein Theil der vorgefallenen Därme kalt geworden sei und er befürchtete, dass 
in Folge des Ausstossens der Nachgeburt sich der Gebärmntterriss durch Kon¬ 
traktionen des Uterus schliessen möge und dadurch die vorgefallenen Därme 
eingeklemmt und brandig würden, habe er sich zu dem seines Erachtens einzigen 
und letzten Bettungsmittel entschlossen, die vorgefallcnen und bereits kalten 
Gedärme abzuschneiden, die Enden zusammenznnähen und das Ganze in den Bauch 
zurttckzubringen. Er sei sich dieser Handlung genau bewusst gewesen. In¬ 
zwischen seien die Schmerzen der Frau so heftig geworden, dass sie sich unruhig 



Kiinstfehler eines Arztes bei der Geburt. Fahrlässige Tödtuug. 115 


hin und her geworfen habe. Schüttelfröste seien eingetreten, der Bauch wurde 
sehr aufgetrieben, Erbrechen stellte sich ein. Unter diesen Uniständeu habe er 
von dem Nähen der Gedärme Abstand genommen und die Frau sei kurz darauf 
verschieden.“ 

Es wurde darauf ein motivirtes Gutachten eingefordert 
und die nachfolgenden Fragen zur Beantwortung vorgelegt: 

1. ob der Tod der Frau durch die Abtrennung des Darmes 
seitens des Dr. N. verursacht sei und 

2. ob diese Abtrennung unter Berücksichtigung aller ennit- 
telten Umstände als eine Fahrlässigkeit dem Dr. N. zu 
M. zur Last gelegt werden müsse? 

Hinzugefügt war, dass es betreffs der Todesursache zur Be¬ 
hauptung, dass die Abtrennung die Todesursache gewesen sei, 
genüge, wenn der Tod in dem Augenblicke, wo er eintrat, wegen 
des Vorhandenseins der Abtrennung erfolgte, ohne dieselbe aber 
nicht schon in diesem Augenblicke eingetreten sein würde, wenn 
also die Abtrennung den durch die sonstigen Schädlichkeiten 
drohenden Tod beschleunigt habe. 

Gutachten. 

Was zunächst die Frage anbelangt, ob der Tod der Frau 
N. durch die Abtrennung des Darmes seitens des Henm Dr. N. 
verursacht ist, so fanden die Unterzeichneten Gerichtsärzte an der 
Sektion zwei beträchtliche Verletzungen vor, den sub 18 beschrie¬ 
benen Scheidenriss und die sub 9 und 29 bescluiebene Verletzung 
der Gedärme, von denen allerdings die letztere erst durch die 
erstere ermöglicht worden ist, von denen aber jede für sich allein 
wohl den Tod hätte herbeiführen können. Im vorliegenden Falle 
ist jedoch der Tod unmittelbar durch die Darmveiietzung und 
nicht durch den Scheidemiss herbeigeführt. 

Der Tod durch den Scheidenriss konnte entweder in Folge 
von Verblutung oder in Folge konsekutiver Unterleibsentzündung 
eintreten. Diese beiden Zustände konnten aber an der Sektion, 
wenn deren Ergebnisse bei der fortgeschrittenen Verwesung auch 
einigeimassen getrübt waren, doch mit aller Bestimmtheit ausge¬ 
schlossen werden. Sowohl nach den Ergebnissen der Sektion, als 
auch nach den über den Krankheitsverlauf seitens der Hebamme 
nach den Akten gemachten Mittheiiungen ist vielmehr anzunehmen, 
dass der Tod der Frau N. in Folge von Chock (Nervenschlag) 
eingetreten und dass als veranlassende Ursache dieses Ereignisses, 
abgesehen von den durch die vorhergegangene schwere Entbindung 
resp. den Scheidenriss geschaffenen begünstigenden prädisponirenden 
Momenten, jedenfalls die beträchtliche Zerrung und Abtrennung 
des Darmes anzusehen und somit im vorliegenden Falle als die 
eigentliche unmittelbare Todesursache zu betrachten ist. 

Betreffs der zweiten uns vorgelegten Frage, ob diese Ab¬ 
trennung unter Berücksichtigung aller ermittelten Umstände als 
eine Fahrlässigkeit dem Dr. N. zur Last gelegt werden muss, 
möchten wir vorab bemerken, dass ein Riss der Scheide oder 
Gebärmutter bei schwierigen Entbindungen, so besonders bei 
Querlagen des Kindes, ohne jegliches Verschulden des Geburts¬ 
helfers eintreten kann und dass fernerhin sowohl die Aussage der 



116 Dr. Rump: Konstfehler eines Arztes bei der Geburt. Fahrlässige Tüdtuug. 

Hebamme, als auch die Sektion keinen Anhalt gegeben haben, um 
dem Dr. N. dieses ünglücksfalles wegen einen Vorwurf machen 
zu können. Es gehört ein solches Ereigniss mit seinen Folgen 
gewiss zu den kritischsten Momenten für den Geburtshelfer und 
fordert dessen völlige Ueberlegung und Besonnenheit, so dass ein 
etwaiger Irrthum, ein Fehler in solchem Augenblicke wohl An¬ 
spruch auf eine gewisse milde Beurtheilung W. Trotz alledem 
können wir den Dr. N. von fahrlässigem, kunstwidrigem Handeln 
nach Eintritt des Ereignisses nicht freisprechen. Selbst wenn wir 
den für ihn günstigen Fall annehmen, dass seine eigenen, oben 
angeführten Angaben der Wahrheit entsprechen, dass die Gedärme 
spontan vorgefallen, von ihm als solche erkannt und mit Bewusst¬ 
sein abgeschnitten seien, so muss doch ein solches einfaches Ab¬ 
schneiden so beträchtlicher Menge Darmes, noch dazu ohne jegliche 
Vorbereitung (Desinfektion, Vorkehning zur Naht etc. etc.), sowie 
das Unterlassen jeglichen Versuches, die Theile wieder zu ver¬ 
einigen, das Verlassen der Frau in diesem hülfslosen Zustande 
als vollständig kunstwidrig, als fahrlässig bezeichnet werden. Die 
Sektionsergebnisse machen es jedoch in hohem Grade wahrschein¬ 
lich, dass die Aussagen der Hebamme N. über den Hergang der 
Sache auf Wahrheit beruhen. Es waren nämlich aus der Bauch¬ 
höhle der Frau N. entfernt: der ganze aufsteigende, der quere und 
die obere Hälfte vom absteigenden Aste des Dickdarmes. Diese 
Darmparthien liegen aber nicht so frei beweglich, wie die Dünn¬ 
darmschlingen in der Bauchhöhle, sondern sie sind durch ver¬ 
schiedene Falten und Bänder des Bauchfelles, wie durch Binde¬ 
gewebe theils an den Wandungen der Bauchhöhle, theils an den 
benachbarten Organen verhältnissmässig fest und wenig beweglich 
befestigt, so dass ein spontaner Vorfall fast des ganzen Dickdarmes 
durch einen Scheidenriss schwer möglich ist. Es kann vielmehr 
dieser Darm in solcher Ausdehnung nur dui*ch einen und zwar 
ziemlich beträchtlichen Zug von aussen aus seinen Verbindungen 
gelöst und zu Tage gefordert werden. Weiterhin ergab die Sek¬ 
tion, dass die Nachgeburt noch grösstentheils in der Gebärmutter 
vorhanden, während die Nabelschnur an ihrer Anheftungsstelle in 
dem Mutterkuchen in Verbindung mit einem Stück des letzteren 
anscheinend abgerissen war. Wir können uns demnach den Her¬ 
gang nur so vorstellen, dass der Dr. N. in die Geschlechtstheile 
eingegangen, um die Nachgeburt zu lösen, hierbei Nabelschnur 
und einen Theil vom Mutterkuchen entfernt hat, dann wieder ein¬ 
gegangen und zwar irrthümlicher Weise anstatt in die Gebärmutter 
direkt durch den Scheidenriss in die Bauchhöhle eingedrungen und 
sich allmählich durch Zug den Dickdarm herausgeholt hat. Hier¬ 
mit stimmt auch die Aussage der Hebamme überein, betreffs des 
fürchterlichen Schreiens der Frau N., sowie betreffs der angeblich 
von Dr. N. geäusserte Ansicht, es handele sich um entartete Nach- 
geburtstheile, nicht um Darmparthien. 

Nach dieser Darlegung unterliegt es keinem Zweifel, dass 
in jedem Falle dem Dr. N. wegen der Verletzung der Gedärme 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschriftcu. 


117 


eine Fahrlässigkeit resp. ein kunstwidriges Handeln zur Last ge¬ 
legt werden muss. __ 

Auf Antrag der Königl. Staatsanwaltschaft wurde liierauf 
gegen den Dr. N. die Anklage erhoben, durch Fahrlässigkeit den 
Tod der Frau N. zu M. verursacht zu haben und zwar unter 
Ausserachtlassung der Aufmerksamkeit, zu welcher er vermöge 
seines Berufes besonders verpflichtet war (§. 222, Abs. 1 u. 2 

d. St.-G.-B.). 

In der gerichtlichen Verhandlung erklärte Dr. N. den Tod 
der Wöchnerin durch Chock, Nervenlähmung, hervorgei-ufen durch 
die Schmerzen und Aufregungen bei der Geburt und nicht durch 
die Lostrennung und Durchtrennung des Darmes. Die Frau sei 
seiner Ansicht nach dem Tode bereits nahe und nicht melir zu 
retten gewesen, als er die Abtrennung der Darmparthien anbefohlen 
habe. Die Hebamme wiederholte die in der Vorvernehmung ge¬ 
machten Angaben mit dem Zusatze, dass der Dr. N. einige Tage 
später, als sie ihm nach Reinigung und genauer Untersuchung 
der abgeschnittenen Theile die Ueberzeugung ausgesprochen, dass es 
Darmparthien seien, mit den Worten: „das lügen Sie“, die Be¬ 
hauptung schroff zurückgewiesen habe. 

Die Sachverständigen blieben bei den im motivirten Gutachten 
entwickelten Ansichten. Dr. N. wurde zu sechs Wochen Gefängniss 
und Tragen der Kosten verurtheilt, welche Strafe demselben später 
durch den allgemeinen Amnestieerlass bei der Tlu'onbesteigung des 
Kaisers Friedrich erlassen wurde. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Färbung von Spermatozoon. Im Dezember v. J. hatte ich Veranlas¬ 
sung, Sperma zu untersuchen; dabei erwies sich folgende Methode der Konscr- 
virung sehr zweckmässig: 

1. Einlegen der einzelnen LeinwandstUcke in je ein Uhrglas, Zusatz einiger 
Tropfen aq. dest. 

2. Nach dem Auf weichen Ausdrücken mit einem Glasstabe. 

3. Herstellung von Deckglas-Trockenpr&paraten. 

4. Färbung in Alaunkarmin (Carmini rubri optimi 1, Aluminis 5, Acp dest. 
100, solvc, coque ’/* h.) und zwar entweder in angewärmtem Alaunkarmiu 
10 Minuten, oder besser in kaltem 24 Stunden liegen lassen, darauf Abspülen 
in Wasser, dem 1—3 Tropfen Essigsäure zngesetzt sind. 

5. Färbnng in Malachitgrün (M. in Alkohol gesättigt, davon etwa 1 : 5 
aq. dest., darin V« his 1 Minute liegen lassen nnd daun Abspüleu in Wasser mit 
Essigsäure). 

6. An der Luft trocknen lassen. 

7. Einbetten in Canadabalsam, der in Xylol gelöst ist. 

Dann sind die Köpfe, meist in der hinteren Hälfte nur, ki'äftig rotli, 
manchmal sieht auch der ganze Kopf dunkelroth ans; derselbe ist dann kleiner. 
In den meisten Fällen ist die vordere Hälfte heller oder grünlich. Die Schwänze 
sind grün. 

Die Färbung mit Alannkarmin bietet den grossen Vortheil, dass sie nie 
zu stark wird, wie Haematoxylin etc., dass sie sich ferner monatelang hält und 
dass sie so deutlich ist, dass die Spermatozoen auch Laien leicht zu demon- 
striren sind. 

Das Alannkarmin ist ja, mit Ausnahme derEpithelien, welche zu schwach 



118 


Kleinere Mitthcihingeu uud Referate aus Zeitschriften. 


tingirt werden, überhaupt die angenehmste Kemfärbung, weil es immer distinkt 
und daher nie zu stark filrbt. Allerdings muss die Farbe mindestens 5 Mi¬ 
nuten einwirken und mit Essigwasser, nicht mit gewöhnlichem, abgespült werden, 
weil in letzterem die Färbung wieder verschwinden würde. Im pathologischen 
Institut zu Halle färbten wir soviel als möglich mit Alaunkarmin. 

Kreisphysikus Dr. Br aeut ig am-Königsberg N./M. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

üeber die Bildung von Schwefelwasserstoff durch die krankheiter¬ 
regenden Bakterien unter besonderer Berücksichtigung des Schweine- 
rothlaufs. Vorläufige Mittheilung über eine demnächst in den „Arbeiten des 
Kaiserlichen Gesundheitsamtes“ erscheinende Abhandlung von Regierungsrath 
Dr.Petri undDr. A. Maassen. (Veröffentlichungen desKaiserlichen 
Gesundheitsamtes; 1892, Nr. 7.) 

Das eingehende Studium der Lebenserscheinungen der Bakterien des 
Scliwcinerothlaufs, welches zunächst in der Erwägung praktischer Gesichtspunkte 
auf der bakteriologischen Abtheilung des Kaiserlichen Gesundheitsamts wieder 
aufgenommen wurde, führte zur Entdeckung der Thatsache, dass die Rothlauf- 
stäbchen in gewissen Nährmedien sowohl mit als auch ohne Zutritt des Luft- 
sauerstoflfes reichlich Schwefelwasserstoff erzeugen. Die Entwicklung dieses 
Gases findet zwar auch in den allgemein üblichen Kulturen statt, sie ist jedoch 
nicht auffällig und wurde desshalb bisher übersehen. Durch zweckmässige Ein¬ 
fügung eines Bleipapierstreifens in den zum Verschluss der Kulturgefässe ge¬ 
bräuchlichen Wattepfropfen lässt sich der Schwefelwasserstoff auch in den ge¬ 
wöhnlichen Kulturen unschwer nachweisen. Er bildet sich, sobald das Wachsthum 
der eingebrachten Eothlaufstäbchen beginnt und ist desshalb in kräftig wachsen¬ 
den Kulturen gleich zu Anfang in reichlicher Menge nachweisbar und nicht etwa 
ein erst in späteren Stadien auftretendes Zersetzungsprodukt. Trotzdem ist sein 
Auftreten nicht als eine einfache Abspaltung aufzulassen, sondern es stellte sich 
bei zweckentsprechender Abänderung der Versuchsbedingungen heraus, dass seine 
Entstehung allem Anscheine nach auf eine Bildung von Wasserstoff durch den 
Lebensprozess der Rothlaufbakterien zurückzuführen ist. Der Schwefelwasserstoff 
tritt daher erst an zweiter Stelle im Verlaufe des Bakterienlebens hervor und 
zwar stets in solchen Nährmedien, welche schwefelhaltige Verbindungen enthalten, 
deren Schwefel zum Theil oder ganz durch Wasserstoff aus neutraler Quelle im 
Entstehungszustand herausgenommen werden kann. Die bekannten als Reduktions¬ 
prozesse aufgefassten Aeusserungen des Bakterienlebens wurden bisher vornehm¬ 
lich unter Anwendung von Farbstoffen oder Nitraten studirt, wobei die Bildung 
von nascirendem Wasserstoff’ nicht sicher erkannt werden konnte, obgleich schon 
Nencki u. A. die Vermuthung geäussert haben, dass die Reduktionswirkung 
gewisser Bakterien auf den nascirenden Wasserstoff zurttckzuführen sei. Zwar 
wurde schon früher nachgewiesen, dass bestimmte, als Reduktionserscheinungen 
zu bezeichnende Folgen des Bakterienlebcns nicht auf den nascirenden Wasser¬ 
stoff, sondern auf eine andere Ursache zu beziehen sind. Die liier beobachtete 
Bildung von Wasserstoff lässt sich nun in ungezwungener Weise entweder als 
eine Folge der Spaltung hoch zusamraengei^etzter, organischer Verbindungen oder 
als die Folge eines Oxydationsprozesses gewisser Körper auffassen, unter denen 
die stickstofffreien KohlenstoffVerbindungen an erster Stelle zu nennen sind, 
welche dabei für das Wachsthum der Bakterien verw^erthbare Stoffe liefern. 

Die Fähigkeit, Schwefelwasserstoff zu bilden, hat man bekanntlich bei einer 
Anzahl von Bakterienarten längst erkannt und näher studirt. Auch bei einigen 
pathogenen Arten wurde gelegentlich ein solcher Befund festgestellt, besonders 
bei den streng anaeroben Bakterien des malignen Oedems, des Rauschbrands und 
des Tetanus, sowie bei den Gelegenheitsanaeroben Proteus und Oholera (Büch¬ 
ner). Es wurden alle dem Kaiserl. Gesundheitsamt gerade zur Verfügung 
stehenden, pathogenen Bakterienarten unter geeigneten aeroben und anaeroben 
Versuchsbedingungen auf Schwefelwasserstoffbildung untersucht, und es stellte 
sich die unerwartete Thatsache heraus, dass sie alle, allerdings in nicht 
unerheblich verschiedenem Masse dieses Gas zu erzeugen im 
Stande waren. Eine reichliche Schwefelwasserstoffbildung fand sich z. B. 
vor in Kulturen der Stäbchen der Mäusesepticämie, der von Löffler gefundenen 
Menschendiphtheriebazillen, sowie der Stäbchen der Taubendiphtherie, der Rotz- 



Kleinere Mittheilungen and Bcforaio aus Zeitschriften. 


119 


Stäbchen, des Milzbrandbacillus, des von Pfeiffer gefundenen Kapselbacillus, 
der Bakterien der Hühnercholera und der Frettchenseuche, der Kommabazillen 
der asiatischen Cholera verschiedener Herkunft, des von Metschnikoff ge¬ 
fundenen Vibrio, der von Finkler und von Miller gefundenen Spirillen, des 
Typhusbacillus, des bacillus enteritidis von Gärtner; eine etwas geringere 
Schwefelwasserstoffbildung bekundeten die pathogenen Kokken, z. B. die ver¬ 
schiedenen Staphylokokken aus Eiter, die Streptokokken des Erysipels, der Druse, 
der von Kurth gezüchtete Streptococcus conglomeratus und der von Friedrich 
bei Influenzafällen gefundene Streptococcus. Auch die Tuberkclbazillen fehlen 
nicht in dieser Reihe, und zwar sowohl die der Menschentuberkulose, als auch 
ganz besonders die Bazillen der Vogeltuberkulose. Da die einer aiiaeroben Züch¬ 
tung zugänglichen Bakterien unter solchen Verhältnissen ganz besonders reich¬ 
lich Schwefelwasserstoff erzeugten, und zwar zum Theil auch aus frisch dem 
Thierleibc entnommenem Nährmaterial, war die Vermuthung gerechtfertigt, dass 
dieses giftige Gas bei Bakterienkrankheiten eine bis dahin fast gänzlich ver¬ 
kannte wichtige Rolle spielt. Daraufhin abzielendc, spektroskopische Blutunter¬ 
suchungen waren denn auch in mehreren Fällen von Erfolg gekrönt. Ein nega¬ 
tiver Befund, sowie die Unmöglichkeit, den Schwefelwasserstoff im Körper nach¬ 
zuweisen, sehliessen jedoch, wie aus der Toxikologie des Schwefelwasserstoff be¬ 
kannt ist und durch besondere Versuche auf’s Neue bestätigt wurde, den ver- 
mutheten Zusammenhang nicht aus. Auffallenderwei.se haben des Oeftern die 
Beobachter von SchwefelwasserstoftVergiftungen auf die grosse Aehnlichkeit ge¬ 
wisser, dabei auftretender Erscheinungen mit septicämischen Bakterienkrankheiten 
hingewiesen, und der umgekehrte Vergleich liegt insbesondere beim Schweine- 
rothlauf, bei der Mäusesepticämie und bei vielen anderen Bakterienkrankheiten 
ausserordentlich nahe. 

Die Reihe der Bakteriengifte erscheint demnach durch ein sehr beachtens- 
werthes und weit verbreitetes Glied bereichert zu sein, dessen Auffindung wohl 
berufen sein dürfte nicht nur manche Lücke in unserer Kenntniss über die bei 
gewissen Bakterienkrankheiten im Körper sich abspielenden Vorgänge auszu¬ 
füllen, sondern auch eine Aussicht auf etwaige praktische Massnahmen in Hin¬ 
blick auf die Heilung oder Verhütung solch(^r Krankheiten zu eröffnen. 

Zur Desinfektion der Wohnungen. Von Dr. Cronberg aus Malmö. 
Aus dem hygienischen Institute zu Rostock; Archiv für Hygiene, XIII.,3. 

Verfasser liefert einen historischen Rückblick über die Arbeiten auf 
dem wichtigen Gebiet der Wohnungshygiene, der allerdings, schon seiner Kürze 
wegen, auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen kann. Er setzt die Gründe 
auseinander, weswegen man — in Deutschland wenigstens — von der Desin¬ 
fektion der Luft in dem Zimmer durch schweflige Säure, (’hlor, Brom, Subli¬ 
matdämpfe u. s. w, mehr und mehr abgekommen ist und sich dafür der Desin¬ 
fektion der Wände zugewendet hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen 
Schwierigkeiten, welche sich in der Praxis der sonst so zweckmässigen, von Es- 
march empfohlenen Brotabreibung entgogenstellen, namentlich die Nothwendig- 
keit, gerade geeignetes, nicht zu frisches, nicht zu altes Brot zur Hand zu haben, 
der grossen Sorgfalt, welche allein einen sicheren Erfolg verspricht und der 
Kostspieligkeit des Verfahrens, hat Verfasser im Rostocker Institut eine Ver¬ 
suchsreihe angestellt, welche den Ersatz des Brotes durch andere Substanzen: 
Schwamm, Wa.schleder, Gummi (von alten Gummischuhen entnommen) oder Zunder 
zum Gegenstand hat. Gummi, Zunder und Waschleder erweisen sich als wenig 
geeignet; dagegen konnte Verfasser Tapetenwände, welche durch Aufschmieren 
oder Aufpinseln von Staphylococcus-Kulturen inticirt waren, durch Abwischen mit 
einem massig angefeuchteren Schwamm steril oder „fast steril“ machen. (Dass 
Verfasser in den letzteren Fällen, ebenso wie mit Brotabreibung keinen ganz 
vollständigen Erfolg erzielt, liegt seiner Meinung nach daran, dass die Wände 
in viel stärkerer Weise, als es unter natürlichen Verhältnissen denkbar sei, in- 
fleirt waren.) Verfasser glaubt nun, indem er auf die Einfachheit der Hand¬ 
habung und die Billigkeit des Verfahrens hinweist, die Abreibung mittelst 
Schwammes besonders für tapezirte Wände empfehlen zu können. — Getünchte 
Wände erwiesen sich durch Anstrich mit 20 ®/o Kalkmilch schon nach 24 Stunden 
als sicher steril. 


Dr. Langerhans-Hankensbüttcl. 



120 


Kleinere Mittheilimgeu und Referate aus Zeitschriften. 


lieber die Verhütung der Infektionskrankheiten in den Schalen 
hat Prof. Lay et in Bordeaux eine Arbeit in der „Revue sanitaire de Provence“ 
veröifentlicht, über welche in der Zeitschrift für Schulgesundheits¬ 
pflege, 1891, Nr. 9, ausführlich referirt wird. Bei dem grossen Interesse, 
welches der Gegenstand erfordert, möge der Inhalt dieses Referates in dieser 
Zeitschrift kurz Erwähnung finden. 

Früher war es hei Masern die Periode des Ausschlags und der 4bschup- 
j)ung, welche in Bezug auf Ansteckung am meisten gefürchtet wurde. Im Jahre 
1869 hat aberGirard in Marseille gezeigt, dass die Gefahr im Prodomalstadium, 
welches dem Exanthem vorausgeht, viel grösser ist. Was von den Masern gilt, 
gilt nicht weniger von dem Scharlach und den mei.sten cxauthematischen Fiebern. 
Dies macht die Verhütung derselben in den Schulen so schwierig. Man muss 
nicht nur sofort diejenigen isoliren, welche die ersten Symptome der Krankheit 
zeigen, sondern auch alle, welche mit den Kranken in Berührung gekommen 
sind. Lay et hat nun nachstehende Tabelle über die Zeit aufgestcllt, während 
welcher die gesunden Schüler, die in der Klasse mit den Kranken sich zu¬ 
sammen aufgehalten hatten, als verdächtig anzusehen sind: 

Wirkliche Inkuba- Invasions- Zusatz aus Dauer des Ver- 
tionsperiode. periode. Vorsicht. dächtigseins. 

Scharlach 7 Tage -4- 2 Tage 4- 3 Tage = 12 Tage 

Masern 9 „ --4 „ --3 „ = 16 „ 

Keuchhusten 12 „ --8„ --4„ =24 „ 

Rötheln 16 „ --2„ --2„ =20 „ 

Diphtherie 5„ --2„ =10 „ 

Mumps 18 „ --2 „ -"4 „ =24 „ 

Wasserblattem 14 „ -|-2« -j-4„ =20 „ 

lieber die Dauer der Absonderung für die kranken Schüler hat Lay et 
folgende Tabelle aufgestellt, wobei für England die Vorschriften des „Medical 
Office of Schools-Association“ vom Jahre 1886, für Frankreich die Grundsätze 
der Akademie der Medizin und die Rundschreiben des Ministers für den öffent¬ 
lichen Unterricht aus den Jahren 1889—90 massgebend gewesen sind: 

In England. In Frankreich. 

Scharlach. Nicht weniger als 6 Wochen (42 Tage), 40 Tage vom ersten 
von dem Ausbruch angerechnet, doch Tage der Invasion 

darf kein Halsschmerz und keine Haut- au. 

abschuppung mehr bestehen. 

jrasern. Nicht weniger als 3 Wochen (21 Tage), 25 Tage vom . ersten 

vom Ausbruch an gerechnet, voraus- Tage der Invasion 
gesetzt, dass Husten und Abschuppung an. 

vorüber sind. 

Keuclihiisten. 6 Wochen (42 Tage) vom ersten charak- 20 Tage nach dem 

teristischen Husten an; der krampf- vollständigen Ver¬ 
hafte Husten darf* aber nicht mehr scliwinden der cha- 

vorhanden sein; hat der Husten voll- rakteristischen 

ständig aufgehört, dann früher. Hiistenanfällc. 

Butlii ln. 2 Wochen vom Ausbruch an. — 

Diplilherie. Wenigstens 4 Wochen (28 Tage) von dem 40 Tage vom ersten 
Augenblicke an, wo sich weder Hals- Invasionstage an. 
weh noch durch die Krankheit erzeugte 
Absonderungen zeigen. 

Mumps. 4 Wochen (28 Tage) vom ersten Auf- 22 Tage von ersten 

treten an; doch darf keine Schwellung Invationstage an. 
in der Kietergegend mehr bestehen. 

Wasserblattern. Wenn jede Abschuppung verschwunden 25 Tage vom ersten 
ist; die Entscheidung darüber trifft Invasionstage an. 
der Schularzt. 

Was die erste Tabelle anbetrifft, auf deren praktische Nutzbarmachung 
Lay et das Hauptgewicht legt, so ist es schwer verständlich, wie dieselbe ver- 
werthet werden soll, ohne dass von den ersten Anfängen einer Epidemie an die 
Schule vollständig geschlossen wird. Bezüglich der zweiten Tabelle ist zu be¬ 
merken, dass die für Preussen gültigen Bestimmungen der Minist.-Verfügung 
14. Juli 1884 im Wesentlichen mit den dort angegebenen Zeitmassen sich decken. 

Dr. Mey ho cf er-Görlitz. 



kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


121 


Massnahmen gegen Trachom in den Schulen. Der französische 
Minister des öffentlichen Unterrichts hatte die Akademie der Medizin in 
Paris anfgefordert, ihre Ansicht über die Mittel zu änssem, welche gegen die 
Verbreitung der granulösen Bindehautentzündung, besonders in Schulen zu er¬ 
greifen sind. 

In der Sitzung vom 1. September v. J. schlug nun Professor Panas, 
indem er sich auf die hinreichend bekannte Ansteckungsfähigkeit der genannten 
Angenkrankheit berief, folgende Massregeln vor: 

1. Kein Schüler darf in die Schule aufgenommen werden, bevor seine 
Augen nicht auf granulöse Bindehautentzündung untersucht worden sind. 

2. Bei den Schülern, welche am Schulbesuche theilnehmen, ist regelmässig 
alle 3 Monate oder früher eine Untersuchung der Augen vorzunehmen, ganz 
gleich, oh sie über dieselben klagen oder nicht. Diese Untersuchung sämmtlichcr 
Schüler hat ihren Grund darin, dass die Granulationen der Lider latent sein 
können und nicht selten unbemerkt bleiben, wenn man die letzteren nicht umkehrt. 

3. Sobald ein Schäler wirklich von einem kompetenten Arzt anerkannte 
Granulationen zeigt, muss man ihn abgesondert und energisch behandeln, um so 
früh als möglich den Ansteckungsherd auszurotten und den Zögling zum Wieder¬ 
besuch der Schule zu befähigen. 

4. Sache des Arztes ist es, in jedem einzelnen Falle den Zeitpunkt zu be¬ 
stimmen, wann der Schüler seine Studien wieder fortsetzen kann. 

Zeitschrift für Schulgesundheitspflege. 


Ueber Taubstummheit bei Kindern und die Nothwendigkeit eines 
Heilversuches derselben. Von Dr. med. Franz P lud er, Spezialarzt für 
Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in Hamburg. Zeitschrift für Scbnlgcsund- 
heitspflege. 1891; Nr. 4 und 5. 

Der im Deutschen Reiche für die Kinder geltende Schulzwang schliesst 
noch nicht die Taubstummen ein. Die Ausbildung der letzteren ist in das Be¬ 
lieben der Angehörigen gestellt, mit Ausnahme einiger kleinerer Staaten, wie 
Oldenburg und Sachsen-Coburg-Gotba, welche den Eintritt in ihre Landesanstalten, 
zur Pflicht machen.*) Im Jahre 1887 bestanden im Deutschen Reiche 97 An¬ 
stalten für Taubstumme mit 6082 Schülern, wovon auf Preussen 50 mit 3853 
auf Bayern 15 mit 577, auf Sachsen 4 mit 425, und auf Württemberg 6 mit 337 
Schülern entfielen. Es ist also die Zahl der taubstummen Kinder des schul¬ 
pflichtigen und bildungsfähigen Alters, denen der Segen eines genügenden Unter¬ 
richts zu theil wird, eine ziemlich hohe, nämlich vier Fünftel aller, und diese 
Zahl ist zweifellos noch im Steigen begriffen. In der Einführung des obligato¬ 
rischen Unterrichts für Taubstumme sind uns unsere Nachbarn im Norden, die 
Dänen und Norweger, vorausgeeilt. Sehr ungünstig dagegen liegen die Verhält¬ 
nisse in unseren südlichen Nachbarländern, in Oesterreich-Ungam und der Schweiz, 
wo nur drei Zehntel der Taubstummen unterrichtet werden; ersteres bat 19 


*) Der dem Abgeordnetehause vorgelegte neue Entwurf eines Volksschulge- 
setzes enthält über den Unterricht taubstummer Kinder folgende Bestimmungen: 

§. 79. „Blinde und taubstumme Kinder sind der Schulpflicht nur soweit 
unterworfen, ^s besondere Veranstaltungen für ihren Unterricht vorhanden sind. 
Für taubstumme Kinder dauert das schulpflichtige Alter bis zum vollendeten 
sechszehnten Lebensjahre.“ 

§. 90. „Von den für den Unterricht blinder und taubstummer Kinder 
bestimmten Veranstaltungen ist für diese Kinder Gebrauch zu machen, sofern 
für ihren ausreichenden Unterricht nicht anderweitig gesorgt ist und die Ver¬ 
anstaltungen von ihrem Wohnort aus besucht werden können.“ 

§. 91. „Blinde Kinder, welche das sechste, taubstumme Kinder, welche 
das achte Lebensjahr zurückgelegt haben und genügend entwickelt und bildung- 
sfthig sind, sind während des schulpflichtigen Alters vbn Obrigkeits wegen an 
einem innerhalb der Provinz belegenen Orte, an welchem sich eine Blinden- 
bezw. Taubstummenanstalt befindet, unterzubringen, sofern nicht anderweit für 
einen ausreichenden Unterricht derselben gesorgt ist.“ 

Sollen diese Bestimmungen in Wirksamkeit treten, so wird die Anzahl 
der Blinden- und Taubstummenanstalten zuvor noch erheWich vermehrt werden 
müssen. Der Ref. 



122 ßesprechtuigeiL 

Taubstummenanstalten mit 1391 Schülern, letzteres, das von allen Ländern Europa’s 
weitaus die höchste Prozentziffer der Taubstummheit aufweist, 13 kleine An¬ 
stalten mit 419 Schülern. 

Die Ohrenheilkunde würde wohl in der Lage sein, die Anzahl der an 
erworbener Taubstummheit Leidenden herabzusetzen, wenn nur mehr als bisher 
rechtzeitige Hülfe in Anspruch genommen werden möchte. Gegen die angeborene Taub¬ 
stummheit— als deren Ursachen angenommen werden: Vererbung, Heirath unter 
Blutsverwandten, geschwächte Zeugungskraft, nervöse Erregungen und Krank¬ 
heiten der Mutter während der Schwangerschaft, ungesunde Beschäftigung, 
schlechte Ernährung, feuchte Wohnung, Trunksucht der Eltern, hereditäre 
skrophulöse Beanlagung — lässt sich weder durch private noch öffentliche Mass- 
regeln erkämpfen. 

Man theilt die Taubstummen ein in: 1. total Taube; 2. solche mit 
Schallgehör; 3. solche mit Vokalgehör; 4. solche mit Wortgehör. Die 
Kinder mit Hörresten werden im Internat durch den Verkehr mit den in der 
Majorität befindlichen total tauben Leidensgefährten geschädigt. Durch den 
ihnen innewohnenden Nachahmungstrieb eignen sie sich leicht die Monotonie, 
falsche Betonung und andere Nachtheile der Sprache total Tauber an. Es sollte 
daher zweckmässig eine Zweitheilnng der jetzigen Anstalten eintreten; die un- 
eigentlich Tauben müssten von dem Gros getrennt werden. 

Unbedingt zu fordern ist die Anstellung eines Oltrenarztes an jeder Taub¬ 
stummenanstalt und zwar: 1. zur Gewinnung einer besseren Taubstummen¬ 
statistik ; 2. zur eventuellen Ausschaltung besserungsfähiger Fälle; 3. zur genauen 
Ermittelung eines vorhandenen Hörrestes und zu dessen besserer Ausnutzung 
durch geeignete Hörinstmmente; 4. zur Behandlung bestehender Ohreukrank- 
heiten von Bedeutung, auch bei aussichtloser Prognose bezüglich der Hörfunktion; 
5. zur Feststellung wichtiger Affektioneu des dem Ohre benachbarten Nasen- und 
Nasennushenraumes. 

Bis jetzt giebt es derartige Anstalts-Ohrenärzte nicht. 

Dr. M e y h 0 e f e r - Görlitz. 


Besprechungen. 

Prof. Dp. A. Guttstadt: Deutschlands Gesundheitswesen. 
Organisation und Gesetzgebung des Deutschen Reiches und 
seiner Einzelstaaten. Mit Anmerkungen und einem ausführlichen 
Sachregister. 2. Theil. Leipzig 1891. Verlag von Georg Thie me. 
Gross 8»; 511 S. 

Der zweite Theil des nunmehr vollständig erschienenen Werkes ist fast 
ausschliesslich den sanitätspolizeilichen Massregeln gewidmet, die zur Bekämpfung 
gemeingefährlicher und ansteckender Krankheiten im Deutschen Reiche und in 
seinen Einzelstaaten getroffen sind; nur am Schluss sind noch die Bestimmungen 
über Leichenschau, Mortalitätsstatistik, Leichentransport und Begräbnissweseu 
hinzugefügt. Auf keinem Gebiete der Sanitätspolizei dürfte das Material ein so 
reichhaltiges und andererseits ein so verschiedenartiges in den einzelnen Bundes¬ 
staaten sein, als auf demjenigen der Volksseuchen-Bekämpfung; jedenfalls der 
beste Beweis für die Nothwendigkeit einer einheitlichen reichsgesetzlichen Rege¬ 
lung dieser Materie, die schon seit vielen Jahren besonders von ärztlicher Seite 
angestrebt ist; aber bisher leider noch immer ohne Aussicht auf Erfolg. Wer von 
dieser Nothwendigkeit noch nicht überzeugt ist, der sollte den vorliegenden Band 
in die Hand nehmen und die einschlägigen Kapitel aufmerksam durchstudiren, 
er wird sehr bald eines Besseren belehrt werden. 

Bei einem so reichhaltigen Materiale ist es dem Verfasser natürlich nicht 
möglich gewesen, sämmtliche einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der Einzel¬ 
staaten zu bringen; das würde auch über den Rahmen seines Buches hinaus¬ 
gegangen sein. Die getroffene Auswahl der aufgenommenen Verordnungen, Ver¬ 
fügungen u. s. w. ist aber eine so geschickte, da.ss auch der zweite Theil des 



^agemachrichten. 


128 


Werkes ebenso wie der erste eine klare und umfassende Uebersicht von der 
sanitären Gesetzgebung innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches giebt, die 
jedem Arzte, Medizinal- und Verwaltungsbeamten nur willkommen sein kann. 

_ Rpd. 

Rechnungsrath Staack: Das Medizinal- und Gesund¬ 
heitswesen mit besonderer Berücksichtigung der 
Provinz Schleswig-Holstein. Kiel und Leipzig 1891. 
Verlag von Lipsius und Tischer. Gross 8°; 574 S. 

Ist die Medizinalgesetzgebnng im prenssischen Staate sehon an und für 
sich sehr verwickelt, so ist sie dies in noch viel höherem Maasse in denjenigen 
neuen Landestheilen, in denen auf dem Gebiete des Medizinal- und Gesundheits¬ 
wesens noch zahlreiche ältere, durch spätere Reichs- oder Landesgesetze, Ministerial¬ 
erlasse n. s. w. nicht oder nur zum Theil aufgehobene Gesetze und Verordnungen 
in Kraft geblieben sind, wie z. B. in der Provinz Schleswig-Holstein. Schon seit 
langer Zeit hat sich daher hier das Bedürfniss nach einer Zusammenstellung 
sämmtlicher in der Provinz zur Zeit geltender Medizinalgesetze u. s. w. in so 
dringender Weise fühlbar gemacht, dass sich die dortige Aerztekammer in ihrer 
3. ordentlichen Sitzung veranlasst sah, diesem Bedürfnisse durch einen ent¬ 
sprechenden Antrag Ausdruck zu geben. Der hierdurch gegebenen Anregung 
verdankt das vorliegende Werk seine Entstehung und hat es Verfasser verstanden, 
die ihm amtlich gestellte, nach Lage der Verhältnisse recht schwierige Aufgabe 
unter fachmännischem und juristischem Beirathe*) in einer Weise zu lösen, die 
vollste Anerkennung verdient. 

Die gewählte Anordnung des Stoffes ist praktisch und übersichtlich, nur 
das 13. Kapitel über den Verkehr mit Arzneimitteln, Giften und Geheimmittel 
wäre wohl besser der Apotbekergesetzgebung (Kapitel 17—22) angeschlossen. 
Auch die Unterbringung der Schul- und Gewerbebygiene unter „Gesundheits- 
Banpolizei“ (Kap. 15), statt in besonderen Kapiteln will dem Referenten ebenso 
wenig gefallen, wie die im nächstfolgenden Kapitel: „Oeffentliche Gesundheits¬ 
pflege“ erfolgte Unterbringung von verschiedenen Gegenständen, die entweder 
gar nicht oder nur lose Zusammenhängen und daher ebenfalls in besonderen Ab¬ 
schnitten oder an anderer, passenderer Stelle hätten gebracht werden müssen. 
Dies sind jedoch nur geringe Mängel im Vergleich zu den grossen Vorzügen, die 
diese neue Medizinalgesetzsammlung besonders mit Rücksicht darauf besitzt, dass 
in ihr nicht nur die speziell für die Provinz Schleswig-Holstein, sondern auch 
die für den ganzen preussischen Staat und für das deutsche Reich geltenden 
einschlägigen Gesetze, Verordnungen u. s. w. wie die wichtigeren gerichtlichen 
Entscheidungen auf dem Gebiete des Medizinal- und Gesundheitswesens Auf¬ 
nahme bezw. Berücksichtigung gefunden haben. Aus diesem Grunde verdient 
das Buch auch über die Grenzen der Provinz hinaus allen betbeiligten Kreisen 
warm empfohlen zu werden. Durch die Beigabe eines ausführlichen chronologischen 
und alphabetischen Registers wird seine Brauchbarkeit als Nachschlagewerk 
wesentlich erhöht. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Rangerhöhung. Durch Allerhöchste Ordre vom 14. Oktober 1891 ist 
bekanntlich den älteren Oberförstern der Titel „Forstmeister“ unter Beilegung 
des Ranges der Räthe IV. Klasse verliehen worden. Dass dieser Rangerhöhung 
sehr bald auch diejenige der älteren Kreis-Bauinspektoren mit dem Titel 
„Banrath“ folgen würde und darüber bereits Verhandlungen schwebten, war seit 
längerer Zeit bekannt und ist in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 25. Fe- 
bruar d. J. durch die offizielle Erklärung des Ministerialdirektors Schulz, dass 


*) Von fachmännischer Seite ist das Buch durch Herrn Regiemngs- und 
Geh. Me dizinalr ath Prof. Dr. Bockendahl in Kiel und dem pharmazeutischen 
Assessor Herrn Wolff in Blankenese, von juristischer Seite durch den jetzigen 
Landrath Herrn Dy es in Geestemünde früher Regiernngsassessor in Schleswig, 
einer PrüRing unterzogen worden. 



124 


Tagesnadmchtetl. 


diese Beamten den Rang der Räthe IV. Klasse erhalten sollen, offiziell bestätigt 
worden. Von einer gleichen Rangerhöhung der älteren Kreisphysiker hat 
man bisher noch nichts gehört; jedoch darf wohl mit Bestimmtheit angenommen 
werden, dass sie nicht auf sich warten lässt; es würde dies sonst eine grosse 
Zurücksetzung der Medizinalbeamten gegenüber den mit ihnen bisher stets in 
gleichem Range stehenden Oberförstern und Kreisbaninspektoren bedeuten. Vor¬ 
aussichtlich werden die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den Medi¬ 
zinaletat nach dieser Richtung hin ebenso Aufklärung bringen, wie dies betreffs 
der Kreisbaubeamten bei Berathung des Etats der Bauverwaltung der Fall ge¬ 
wesen ist. 


Gehaltsanfbesserung der bayerischen Medizinal beamten. Der dem 
bayerischen Landtage zugegangene Gesetzentwurf, betreffend die Gehaltsauf¬ 
besserung der Staatsbeamten, hat den berechtigten Wunsch der beamteten Aerzte 
in ihrem wesentlichsten Punkte: Einreihung in eine ihrem Range entsprechende 
oder diesen doch näher stehende Gebaltsklasse, nnerfüllt gelassen; nur die Ober- 
medizinalräthe sollen künftighin den Gehalt der ihnen im Range gleichstehenden 
Ministerialräthe beziehen: ausser 720 Mark Wohnungsgeldzuschuss 7020 bis 
BoOO Mark bis zum 20. Dienstjahre und dann für jedes weitere Quinquennium 
180 Mk mehr. Bei den übrigen Medizinalbeamtcn ist die Aufbesserung des An¬ 
fan g s gehalts keine bedeutende und beträgt nur 10 % des jetzigen Gehaltes. 
Etwas grösser ist die Steigerung bei dem Wohnungsgeldzuschuss: von 400 auf 
540 Mark bei den Kreismedizinalräthen, deren Gehalt 4920—6000 M. und 180 M. 
mehr für jedes weitere Quinquennium nach 20 Dienstjahren festgesetzt ist, 
und von 120 auf 180 Mark bei den Landgerichts- und Bezirksärzten. Dagegen 
werden sich durch Wegfall der bisherigen Beschränkung der Vorrückung die 
Gehaltsverhältnisse der Bezirks- und Landgerichtsärzte künftighin in den 
höheren Dieustjahren wesentlich günstiger als bisher gestalten. Nach dem 
vorgelegtcn Entwarf beträgt nämlich das pensionsfähigo Gehalt für die 
im Landgerichtsärzte: Bezirksärzte 1. Kl.: Bezirksärzte II. Kl.: 

1.—3. Dienstjahre 2340 M. statt 2160 M., 1980 M. statt 1800 M., 1620 M. statt 1440 M. 


4.-5. 

Tf 

2700 „ 

„ 2520 „ 

2340 „ 

n 2160 „ 

1800 „ 

6.—10. 


3060 „ 

, 2880 , 

2700 „ 

„ 2520 „ 

1980 „ 

11.—15. 


3240 „ 


2880 „ 


2160 „ 

16.—20. 

V 

3420 , 


3060 „ 


2340 , 


und für jedes weitere Quinquennium 180 Mark mehr. 

Die betreffenden Medizinalbeamten werden also demnächst bei 40 jähriger 
Dienstzeit einen Gehalt von je 4140, 3780 und 3060 Mark beziehen, das ist 43,4, 
50,0 und 60,0 ®/o mehr als der bisherige bei 7 jähriger Dienstzeit erreichte Höchst¬ 
gehalt. Nach ^eser Richtung hin ist die Gehaltsaufbesserung somit keine ge¬ 
ringe, namentlich mit Rücksicht auf eine etwaige Pensionimng. Jedenfalls sind 
diese Gehaltsverhältnisse im Vergleich zu denjenigen der preussiseben Kreisphysiker 
glänzende zu nennen, besonders wenn man bedenkt, dass die amtliche Thätigkeit 
der bayerischen Landgerichts- und Bezirksärzte keine grössere ist, als die 
ihrer preu.ssischeu Kollegen und ihnen ebenso wenig wie diesen iigend welche 
Beschränkungen in der Privatpraxis auferlegt sind. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 


Die Mitglieder des Vereins werden gebeten, etwaige Vorträge, Dis- 
knssionsgegenstände oder sonstige Wünsche zu der diesjährigen 

zehnten Hauptversammlung des Vereins 

dem Unterzeichneten Schriftführer bis zum 1. Mai d. J. gefälligst anmelden 
zu wollen. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinaibeamtenvereins. 

Im Anftr. 

Dr. Rap man d, Schriftführer des Vereins. 

Reg.- und Med.- Rath in Minden. 


Vcranlwcrllii ber Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Bucbdruckerei, Minden, 



fe; Jahrg. 


Zeitschrift 


1861 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtI.Sta<ltphysikus inBerlin. Reg.- und Medüinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Mcdi/inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlanfende Petitseile 46 Pf. nimmt die Yerlmgsbandliing and Rad. Koise 

entgegen. 


No. 6. 


Krseheint am 1« und 15. Jeden Monats. 
Preis J&hrUoh 10 Mark. 


15. März. 


Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie in den 
Jahren 1890 und 1891. 

Von Dr. Langerhans, Kreispbysikus in HankensbfltteL 

Nimmt man den umfangreichen Band zur Hand, in den Baum¬ 
garten alljährlich die Früchte einzuheimsen pflegt, die im Laufe 
des Vorjahres die Bakteriologie, der jüngste und ft-uchtbarste Zweig 
am Baume der medizinischen Wissenschaft, gezeitigt, so scheint es 
ein verwegenes Beginnen, diesen umfsingreichen Stoff in wenige 
Seiten dieser Zeitschrift einzwängen zu wollen! Wenn ich trotz¬ 
dem in Nachfolgendem den Versuch unternehme, die Fortschritte 
der Bakteriologie in den Jahren 1890 und 1891 zu skizziren, so 
bin ich mir dessen wohl bewusst, dass von irgend welcher Voll¬ 
ständigkeit bei Anführung auch nur der wichtigsten Erscheinungen 
selbstverständlich nicht die Rede sein kann, sondern dass ich mich 
darauf beschränken muss, ganz im Allgemeinen die Bahnen zu 
kennzeichnen, auf denen ^e Forschung sich bewegte, und nur da 
werde ich auf Einzelheiten eingehen können, wo unumstösslich 
feststehende Resultate vorliegen, zumal aber da, wo die letzteren 
den Anspruch erheben auf praktische Verwerthbarkeit im Dienste 
der Hygiene und der Sanitätspolizei. — 

Schon die übergrosse Zahl der Veröffentlichungen über bak¬ 
teriologische Themata beweist, wie reges Leben auf diesem Ge¬ 
biete herrscht, und es ist keine Frage, dass, wie seiner Zeit, im 
Beginn der „neuen Aera“, die pathologische Anatomie das hervor¬ 
ragendste Interesse in Anspruch nahm, wie dann später, nach 
Lister’s Auftreten, die Chu-urgie die führende Rolle übernahm, 
ebenso augenblicklich in der Bakteriologie am intensivsten ge¬ 
arbeitet wird und dass gerade die hervorragendsten Geister aller 
Nationen diesem Fach ihre Arbeitskraft widmen. Und wenn es 
vor einigen Jahren scheinen wollte, als ob ein gewisser Stillstand 










126 


Br. Langeriiaiui. 


eintreten sollte, als ob nach der Sturmfluth neuer und grossartiget 
Entdeckungen, welche die Veröffentlichung von Koch’s genialer 
Methodik entfesselt hatte, eine Verflachung der Wissenschaft ein¬ 
treten und dieselbe unter der Fülle sich von allen Seiten auf¬ 
drängender Einzelbeobachtungen mehr und mehr in die ruhigen 
Bahnen einer deskriptiven Wissenschaft überlenken würde, so stellte 
sich diese Befürchtung doch als unbegi-ündet heraus. Denn bald 
— ja häufig wohl zu bald — ging man dazu über, aus der Menge 
der Einzelbeobachtungen allgemein gültige Gesetze zu abstrahiien; 
ja die Neigung, zu theoretisiren, mahnt zuweilen geradezu an 
Schriften aus früheren Epochen medizinischer Literatur und zwar 
umso mehr, als es dieselben Streitfragen, ja dieselben Schlagworte 
(z. B. Humoral- und Solidar-Pathologie) sind, die, wie damals, so 
auch jetzt, wenn auch von anderem Gesichtspunkte aus, den Gegen¬ 
stand lebhafter Erörterung bilden. Freilich die Beweisführung ist 
eine andere heut zu Tage; eine lediglich philosophirende Behand¬ 
lung solcher Fragen ist — hoffentlich für immer — unmöglich 
gemacht und nur vorübergehend noch kann die Theorie den Boden 
der Thatsachen verlassen oder ihnen voraneilen. Sie muss ihre 
Berechtigung beweisen durch das Experiment und die endlosen 
Tabellen über Mäuse- und Meerschweinchen - Impfungen, welche 
allerdings das Studium bakteriologischer Literatur häufig nicht eben 
sehr genussreich machen, sind es, die in ereter Linie den Aus¬ 
schlag geben, und das mit Kecht! — 

Bekanntlich ist es die Immunitätsfrage, welche zur Zeit 
den wichtigsten Gegenstand bakteriologischer Forschung bildet und 
gerade die beiden letzten Jahre haben zu einer grossen Reihe hoch¬ 
interessanter Entdeckungen auf diesem Gebiete geführt, die ge¬ 
eignet erscheinen, Licht zu weifen auf die dunkelsten und sub¬ 
tilsten Gebiete der Pathologie, und die die Verwirklichung der 
kühnsten Hoffnungen auf eine ungeahnt wirksame Thätigkeit in 
prophylaktischer und therapeutischer Beziehung plötzlich in greif¬ 
bare Nähe zu rücken scheinen. Freilich, trotz der schönen Arbeiten 
von Büchner, Behring, Brieger, Fränkel, Kitasato, 
Ogata u. A. sind wir von einer Theorie, welche all’ diese räth- 
selhaften Erscheinungen in einwandfreier Weise erklären könnte, 
noch recht weit entfernt. Noch herrscht Kampf auf der ganzen 
Linie, wohin wir blicken ist Alles in Gährung! Noch hält Met- 
schnikoff und die Schaar seiner Anhänger vom Institut Pasteur 
die Fahne der Phagocytentheorie unentwegt hoch — ja, frotz aller 
Zugeständnisse, welche ihm namentlich Büchners Idare, metho¬ 
dische Beweisführung schrittweise abgerungen hat, glaubt er, den 
vollständigen und baldigen Sieg seiner Anschauung mit Bestimmt¬ 
heit Vorhersagen zu können. Bestechend genug ist allerdings 
seine Schilderung, wie die weissen Blutkörperchen von allen Seiten 
herbeieilen und über die eindringenden Bakterien herfallen, wie sie 
die Fremdlinge von allen Seiten wie mit einem schützenden Damm 
umgeben, wie sie sie schliesslich in ihr Inneres aufhehmen und 
durch ihre verdauende Thätigkeit vernichten! Aber die Beweise 
häufen sich, dass auch dfis zellenfreie Blutserum bakterientödtende 



Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie iu dou Jahren 1890 u. 1891.127 


Eigenschaften hat, dass es chemisch wohl zu bestimmende, isolii’t 
darstellbare Eiweisskörper sind, die dem immunen Körper Schutz 
verleihen gegen die Invasion der Bakterien, die sogar im Stande 
sind, die Wirkung der Bakteriengifte, jener furchtbaren, schon in 
unglaublicher Verdünnung tödtlich wirkenden Gifte im immunen 
Thierkörper zu vernichten. 

Hankins Versuch, diese „schützenden Eiweissstoffe“ zu 
klassifiziren, mag verfrüht sein, da die Anzeichen sich mehren, 
dass die Verhältnisse vielleicht noch komplizirter liegen — auf 
jeden Fall giebt er ein klares Bild von den Gesichtspunkten, 
welche die chemische Theorie hauptsächlich gegen Met sehn ik off 
in’s Gefecht geführt hat und mag daher hier Erwähnung finden. 
Er unterscheidet Sozine, d. h. schützende Eiweisskörper, die im 
normalen Thier Vorkommen und diesem wahrscheinlich gegen selir 
viele Bakterien-Arten gleichzeitig Schutz verleihen und Phylaxine, 
die im künstlich immunisirten Thier Vorkommen und anscheinend 
nur gegen je eine Bakteiienart schützen. Hank in trennt dann 
diese beiden Gruppen weiter, je nachdem sie bakterientödtend oder 
giftzerstörend wirken in Myko- und Toxo-Sozine und Myko- und 
Toxo-Phylaxine. 

Am intensivsten auf den eigentlichen Kernpunkt der Frage 
geht die eigenartige und fesselnde Anschauung Büchners ein, 
der die Richtigkeit der Beobachtungen Metschnikoffs bereit¬ 
willigst anerkennt. Die Phagocytose selbst ist nach Büchner 
eine bewiesene Thatsache, die Phagocythentheorie dagegen, die 
diese Erscheinung als die eigentliche Ursache der Immunität hin¬ 
stellen und die chemische Einflüsse nur in vitro gelten lassen will, 
findet in ihm ihren entschiedensten und erfolgreichsten Bekämpfer. 
Warum Phagocytose nur im immunen, nicht aber im empfänglichen 
Körper? Das ist die Frage, auf welche die Gelehrten des Institut 
Pasteur die Antwort schuldig bleiben. Nach Büchner bilden 
im empfänglichen Körper die Bakterien Giftstoffe, Toxine, welche 
negativ chemotaktisch wirken, die weissen Blutkörperchen lähmen 
und abstossen; daher keine Ansammlung von Leukocythen, keine 
Phagocytose, sondern Vermehrung der Bakterien, Allgemeininfektion, 
Krankheit und eventuell Tod des Organismus! Der immune Tbier- 
körper besitzt oder bildet schützende Eiweisskörper (Alexine von 
Büchner genannt), welche die Bakterien schädigen, so^dass die¬ 
selben kran]^after Weise Proteine ausscheiden, welche als Nähr¬ 
stoffe positiv chemotaktisch wirken, so dass Leukocythenansamm- 
lung, Phagocytose und lokale Entzündung entsteht, Dies in Kürze 
die Buchner’sche Theorie! 

Andere Arbeiten, welche wir zum Theil später bei Besprechung 
der einzelnen Krankheiten erwähnen werden, beschäftigen sich ein¬ 
gehender mit den chemischen, physikalischen und physiologischen 
Eigenschaften der schützenden Eiweisskörper, während wieder andere 
sich mehr auf dem Gebiet der Theorie bewegen. Manches mag 
durch künftige Entdeckungen widerlegt werden. Anderes später in 
anderem Lichte erscheinen; manche Thatsache,’'die heute isolirt 
und unverständlich dasteht, mag an geeigneter Stelle als Baustein 



128 Dr. Langcrhans: Rückblick auf die Furtächritte der Bakteriologie etc. 

in dem grossen Ganzen Verwendung finden; jetzt, wo jeder Tag 
neue, ungeahnte Entdeckungen bringt, wäre es verfrüht, Muth- 
massungen zu äussern, wie sich schliesslich die Theorie gestalten 
wird. Nur den Grundriss allenfalls vermögen wir zu übersehen, 
auf welchem sich hoffentlich bald das stolze Gebäude einer abge¬ 
schlossenen Theorie der Immunität erheben wird und mit Sicher¬ 
heit können wir es aussprechen, dass der Fleiss der Forscher ein 
vergeblicher weder gewesen ist, noch sein wird, dass wir vielmehr 
berechtigt sind, von der Fortsetzung dieser anziehenden Studien 
die schönste Bereicherung ärztlichen Wissens und ärztlichen Wir¬ 
kens zu erwarten! — 

Während die besprochenen Arbeiten sich mit der physiologi¬ 
schen, bezw. pathologischen Wirksamkeit der Bakterien beschäf¬ 
tigten, hat auch die mehr deskriptive Forschung eine Reihe schöner 
Resultate zu verzeichnen. Vor Allem sind zu erwähnen die Studien 
Löfflers über die Geisselfarbung, welche schliesslich zu einer 
relativ recht einfachen Methode führten und uns eine unerwartet 
bunte Vielgestaltigkeit dieser Bewegungsorgane enthüllten. Steife 
Borsten, zierlich gedrehte Fädchen, pinselförmige Büschel oder 
lange zopfartige Gebilde sind es, welche an einem oder an beiden 
Enden angeordnet pder den ganzen Bacillus bürstenförmig um¬ 
hüllend, demselben ein sehr originelles Aussehen verleihen und zu¬ 
gleich die Erklärung abgeben für die so verschiedenartige, häufig 
so charakteristische Art, in welcher die einzelnen Bakterienarten 
sich fortbewegen. Aber auch der innere Bau der Bakterien ist 
von Bütschli, Zettnow u. A. eifrig studirt worden und, dank 
ihren Forschungen, sehen wir in den Bakterien nicht mehr die 
einfachen, homogenen Köi*per, sondern wir wissen, dass sie den 
vollen morphologischen Werth einer ausgebildeten Zelle bean¬ 
spruchen dürfen, dass sie aus Plasma und Zellkern bestehen, ja 
dass der letztere eine überraschend komplizirte Struktur zu be¬ 
sitzen scheint. — 

Die Beziehungen der Bakterien zu unserer Umgebung, 
ihr Vorkommen in der Luft, im Wasser, im Boden, in 
Milch, Butter und anderen Nahrungsmitteln, auf der 
Haut und in der Kleidung des Menschen sind vielfältig 
untersucht worden. Die Resultate beanspruchen das Interesse des 
Hygienikers, denn wir sind noch sehr weit entfernt von einer voll¬ 
ständigen Einsicht in die vielseitige Thätigkeit der Bakterien in 
den genannten Medien; doch liegen vorwiegend Dötailstudien vor, 
welche bekannte Thatsachen bestätigen und erweitern, ohne wesent¬ 
lich neue Gesichtspunkte zu bringen. Praktisch wichtig sind vor 
Allem die Untersuchungen über das Schicksal, welchem pathogene 
Bakterien nach der Beerdigung anheimfallen. Petri, welcher 
über diese Frage auf dem Berliner Kongress referirte, konnte auf 
Grund eingehendster, Jahre lang fortgesetzter bakteriologischer 
Studien in voller Uebereinstimmung mit den Resultaten, zu welchen 
früher Hof mann und v. Pettenkofer durch chemische und statis¬ 
tische Untersuchungen gelangt waren, die vollständige Ungefähr¬ 
lichkeit gut angelegter und gut unterhaltener Begi-äbnissplätze be- 



1>r. Ifiisscnstciii; Zur Riülobcstiinmniiyf «If’s J-'litus ans dein Kueelienkeni ete. 12!) 

tonen. Die niitbegrabenen Bakterien gehen relativ sehr schnell 
zu Grunde, ohne im Boden wuchern, in das Grimdwasser oder in 
Brunnen übergehen, oder gar in dieLuft sich erheben zu können. Der 
Untergrund und das Grundwasser von Begräbnissplätzen sind ebenso 
gut wie bei gewöhnlichem Ackerland keimfrei. In der Diskussion 
wurde dagegen damals von Gärtner und Litthauer mit Recht 
hervorgehoben, dass dies doch nur bei wirklich guten Begräbniss- 
plätzen der Fall sei, dass dagegen bei schlechten Boden- und Grund¬ 
wasserverhältnissen der Uebertritt von Bakterien und von chemi¬ 
schen Giften aus den Gräbern in das Grundwasser und in nahe¬ 
gelegene Brunnen nicht unmöglich sei, dass man sich daher im 
kon^eten Falle einer eingehenden hygienischen Beurtheilung nicht 
entheben könne. (Fortsetzung folgt.) 


Zur Reifebestimmung des Fbtus aus dem Knochenkern der 

Oberschenkelepiphyse. 

Von Dr. W. Hassenstein, Kreiswtmdarzt in Prostken O./Pr. 

Am 2. Februar 1890 machte der Schreiber dieses in Gemein¬ 
schaft mit Kreisphysikus Dr. Surminski aus Lyck die gericht¬ 
liche Obduktion einer Frucht, deren Mutter in den Verdacht des 
Kindesmordes gerathen war. Der Fall wurde besonders durch den 
Umstand interessant, dass sich in beiden Oberschenkelepiphysen 
typische Knochenkerne nachweisen liessen, wiewohl die Frucht 
kaum die 30. Entwickelungswoche überschritten haben dürfte. — 

Die hier in Betracht kommenden Angaben des Protokolls sind 
folgende; 

A. Aenssere Besichtigung. 

1) Die Leiche des neugeborenen Kindes ist weiblichen Geschlechts. Die 
Grösse beträgt 40 cm, das Gewicht 1200 g. Der Körper ist regelmässig gebil¬ 
det, sehr schwächlich entwickelt. — Die Haut Ist dünn faltig. Fettpolster und 
Muskulatur sind sehr schwach entwickelt. 

2) Die allgemeine Färbung der Haut ist im Gesicht schmutzig gelblich, 
in den übrigen Theilen theils blass-, theils dnnkelrosa. >— Die Haut ist am 
ganzen Körper, namentlich den Schultern, den Vorderflächen der Beine und am 
Rücken mit WoUhaaren bedeckt. In den Achselhöhlen, Schenkelbengen und am 
Hinterkopf weisslicher Käseschleim vorhanden — etc. 

5) Der Kopf ist mit braunen, bis 1,5 cm langen Haaren besetzt. Die 
Kopfknochen fühlen sich zum Theil fest, zum Theil biegsam an. Die Durch¬ 
messer des Kopfes betragen: Der gerade 9,0, der diagonale 10,8, der kleine 
quere 6,7, der grosse quere 7,8 cm. Der Umfang des Kopfes beträgt 28 cm. 
Die grosse Fontanelle misst der Länge nach 1,6, der Breite nach 1,2 cm, die 
kleine und die seitlichen Fontanellen sind nur als kleine Gruben fühlW. 

6) Die Ohrknorpel fühlen sich etwas härtlich an. Die Ohrmuscheln liegen 
dem Kopfe dicht an; in den Ohröffnungen weisslicher Käscsctüeim. — 

7) Die Augenbrauen kaum angedentet; die Augenwimpern sehr dünn, 
2—3 mm lang. Die Augenlider sind geschlossen, die Augäpfel weich, die Binde¬ 
häute blass, die Hornhäute leicht getrübt. Die RegenbogenMute von unbestimmt 
blaugrauer Farbe umschlicssen die etwas erweiterten und gleichen Pupillen. 

8) Die Nasenknorpel fühlen sich etwas härtlich an. 

10) Die Haut Uber dem bew^lichen Halse ist gefaltet. 

11) Durchmesser der Schultern 9,2 cm. 

12) Durchmesser der Brust in der Höhe der Brustwarzen 6,8 cm. Der 
Brustkasten ist gut gewölbt, regelmässig gebildet. 

18) Der Bauch ist nicht aufgetrieben. An der oberen Grenze des untern 




I)f. HassenHtelii. 


l.'W 


Drittels desselben befindet sich der 5 cm lanj|;e, brännlich gefärbte, fest zusammen* 
getrocknete nnd mit einem Wollfaden unterbundene Rest der Nabelschnur, dessen 
Ende scharf und glatt erscheint. 

14) Die grossen Schamlippen bedecken die kleinen nicht; die letzteren 
ragen weit hervor. 

15) In dem offenen After befindet sich ein wenig grünliches Kindspech. 

16) Durchmesser der Hüften 6,5 cm. 

17) Die Nägel der Finger sind weich nnd erreichen die Fingerspitzen nicht. 

18) Die Nägel der Zehen sind ebenfalls weich und ganz Uein. 

19) Die Knochenkerne in den Oberschenkelepiphysen 
messen 3 mm im Durchmesser. 

20) Der Knochenkern indem rechten Fersenbein batlViUim 
m Durchmesser. 

B. Innere Besichtig^nng. 

I. Brust- nnd Bauchhöhle. 

22) Der obere Theil des Bauches wird eingenommen von der Leber etc. 

28) Stand des Zwerchfells rechts im dritten, links im vierten Zwischen¬ 
rippenraum. 

a) Brusthöhle. 

25) Die scharfen Lnngenränder bedecken den Herzbeutel um bis einen 
ganzen cm. 

29) Die Lungen schwimmen vollständig, so da.ss ein Theil ans der Wasser¬ 
fläche emporragt Die Farbe der Oberfläche ist im Oanzen lebhaft rosaroth, 
einzelne inselartige Partien sind bläulichroth; Lnngenüberzng zart spiegelnd. 
Bei Druck ist überall jedoch nur undeutlich Knistergeräusch wahrnehmbar. Jeder 
Lungenflügel für sich nnd jedes Stückchen derselben schwimmt ebenfalls. Die 
Schnittflächen der Lungen deutlich rosaroth gefärbt. Es lässt sich von ihnen 
ziemlich reichlich dichter rosaroth gefärbter Schleim herausdrücken. Aus einzelnen 
Lnngengefässen entleert sich dunkles, dickflüssiges Blut Die Verzweigungen 
der Luftröhre enthalten etwas dichten röthlichen Schaum etc. — Bei Druck 
auf die Schnittflächen unterhalb der Wasseroberfläche tritt dichter hellröthlicher 
Schaum hervor. 

b) Bauchhöhle. 

Die linke Niere ist 3,5 cm. lang, 2,5 cm breit, 1 cm dick. Kapsel zart etc. 
— Niere stark gelappt, an der Obeifläche dunkelrothgran. Farbe der Schnitt¬ 
flächen dieselbe. Struktur deutlich erkennbar. Einige Pyramiden enthalten 
Hamsäureinfarkte von gelbröthlicher Farbe. 

44) Die rechte Niere enthält zahlreiche Hamsäureinfarkte etc. 

52) Leber 11 cm. breit, 6,0 cm hoch, 2,5 cm dick. Farbe der Oberfläche 
bläulichroth. Kapsel zart spiegelnd. Schnittflächen dunkelrothgran etc. 

55) Der Dünndarm enthält dickliche, schleimige Flüssigkeit. — etc. 

56) — Im Dickdarm reichlich grünliches Kindspech ebenso wie im 
Mastdarm. 

n. Kopfhöhle. 

64) Das Gehirn ist gleichmässig entwickelt von weicher Beschaffenheit, 
Qehimfnrchen kaum angedeutet. Die Schnittflächen sind blass, fast blutleer, von 
gallertartiger, fast durchscheinender Beschaffenheit. Mark- und Bindensubstanz 
nicht unterscheidbar etc.- 

Die Mutter der obduzirten Fnicht, Minna N. aus L., eine 
etwa 20 Jahre alte, mittelgrosse, kräftig gebaute und gut ent¬ 
wickelte Landarbeiterin, machte folgende, sich im Ganzen als wahr- 
heitsgemäss erweisende Angaben •. . . 

Nachdem die Regel etwa seit Mitte Juli 1889 ausgeblieben 
sei, habe sie am 21. Januar 1890 nach geringen Schmerzen unver- 
muthet zu Hause ein Kind geboren. Tags zuvor habe sie sich 
beim Tragen von Brettern etwas angestrengt. Das Kind habe ge¬ 
lebt; sei jedoch so schwach gewesen, dass es nicht habe saugen 
können. Daher habe ihm ilu-e eigene Mutter, welche gerade auch 



Zur Rcifclii'stinniuui'f »les l-'iUus aus itcni KiuiclKiikurn etc. 


m 


ein Kind nährte, öfters Milch aus den Brüsten in den Mund ge¬ 
spritzt. Trotzdem sei das Kind nach zwei Tagen plötzlich ver¬ 
schieden, nachdem es noch einige Male tief Athem geholt hätte. 
Es^habe nie geschrieen und überhaupt nur schwache Laute von 
sich gegeben.- 

Nach diesen Angaben ist die Frucht etwa um 3 Sonnenmonate 
zu früh geboren. Man dürfte ihr Alter jedoch mit Berücksichtigung 
der Sektions-Resultate richtiger auf 30 Wochen bemessen. 

Desto überraschender ist das Vorhandensein von 3 mm im 
Durchmesser haltenden durchaus charakteristischen Knochenkernen 
in den unteni Oberschenkelepiphysen. Nur Toi dt (Die Knochen 
in gerichtsärztlicher Beziehung; Maschka’s Handbuch der ge¬ 
richtlichen Medizin, Bd. HE, 1882) hat bei Ende des 8. Monats 
geborenen, 39,5 und 39,8 cm langen Früchten Knochenkerne von 
1 und 2 mm Durchmesser in den unteren Oberschenkelepiphysen 
beobachtet; dagegen fand L i m a n (conf. C a s p e r' s Handbuch der 
gerichtl. Medizin, VII. Aufl., 1882) bei keiner von 48 im 7. und 
8. Sonnenmonat geborenen Früchten einen Knochenkern und von 
Hofmann (conf. Lehrbuch der gerichtl. Medizin, V. Auflage, 1891) 
hat nur einmal bei einer 45 cm langen Fracht einen 4 mm im Durch¬ 
messer haltenden Knochenkern nach weisen können, v. Hofmann 
meint daher, dass das Auftreten eines Knochenkernes mit grosser 
Sicherheit die Erklärung gestatte, dass die Frucht entweder reif 
oder bis auf 4—6 Wochen dem Zeitpunkt der Reife nahe gerückt 
gewesen sei. — Ja Lim an (conf. Casper’s Handbuch, VH. Aufl., 
Bd. II, S. 892) gelangte noch im Jahre 1882 — die neueste Auf¬ 
lage war mir leider nicht zugänglich — zu dem Satze: „Ein 
Durchmesser des Knochenkerns von 1,5—9 mm deutet auf ein 
Alter von 40 Wochen, das die Frucht erreicht haben musste, 
vorausgesetzt, dass sie todt geboren, respective bald nach der Ge¬ 
burt abgestorben war“. — — 

Die gewiss erklärliche üeberraschung unsererseits bei einer 
40 cm langen und nur 1200 g schweren Fracht trotzdem 3 mm 
breite, sehr deutlich ausgesprochene, feste Ossiflkationscentra in 
den besagten Epiphysen vorzuflnden, veranlasste die sofortige 
Untersuchung des Knochenkerns im Fersenbeine, da in diesem 
nach Toldt (vergl. vorher) die Einleitung zur Verknöcherung 
bereits gegen Ende des 6. oder Anfangs des 7. Monats beginnt 
und zwar in der Weise, dass der Knochenkern hier in der 25. und 
26. Woche 1,0—2,0mm; in der 27. und 28. Woche 2,0—3,0 mm; 
in der 29- und 30 Woche 3,0—5,0 mm im längsten Durchmesser 
misst. Der von uns im rechten Fersenbein nachgewiesene Ossi¬ 
fikationskern war jedoch nur 1,5 mm breit, und erscheint darnach 
die durch den übi-igen Befund gestützte Annahme, dass die Frucht 
die 30. Woche noch nicht überschritten habe, schwerlich als eine 
irrthümliche. — 

Die Tragweite dieser Beobachtung namentlich für* die Reife¬ 
bestimmung ganz verwester Früchte, bei denen ja der Nachweis 
von Knochenkernen von höchster Bedeutung werden kann, muss 
neue Forschungen in diesem Gebiete um so wünschenswerther 



l>r. ilii-lilcr: Krwiili'niii^ aul' lia" Srlilu-swiirt i ia. 


VM 

machen, als ja der vorlieg-emle Fall auch /eifft, dass Unregel¬ 
mässigkeiten in der Ossifikation einzelner Knochen dessell'en In¬ 
dividuums Vorkommen k<»unen. 


Erwiderung auf das Schlusswort des Herrn Kollegen Mitten¬ 
zweig zu meinem Artikel über „das vorläufige Gutachten “ 

Von Dr. Iticlifor, Kroispbysikns in Gross-Wartenberg. 

T(di habe nicht in das Regulativ liiindninterpretirt, .,man 
solle, zuerst angeben, ob man mit Sicherlieit die 'rodesursache auf- 
gel'unden habe." Das liegt vielmehr in der Melirzahl der Fälle 
in der Natur der Sache. Fasst man nämlicli die „mögliche Todes- 
ursache“ nach dem Vorschläge des Herrn Kollegen Mittenzweig 
in’s Auge, so kommt zu dem objektiven Leichenbefunde schon eine, 
neue Grundlage für die Heiirtheilung liinzu, denn, wo eine Mög¬ 
lichkeit in Betracht kommt, da ist die Frage nach bestimmten 
Möglichkeiten nicht zu umgehen. Allgemein möglich ist Alles. 
Die Frage nach bestimmten Möglichkeiten aber kann nur einer 
Kenntniss der äusseren Umstände des Falles entspringen, also z. B. 
lauten: ist es möglich, dass X an Erstickung gestorben sei? Ja! 
Da urtheilen wir dann doch wohl nicht mehr einzig und allein 
nach dem, was der Leichenbefund uns gelehrt hat, sondern nach 
dem, W'as dieser uns gelehrt hat im Vergleich mit dem, was wir 
nach den äussei-n Umständen des Falles für möglich halten. 
Oder nicht? 

Ganz ebenso meistens, wo die Frage der Wahrscheinlich¬ 
keit in Beti-acht kommt! Es ist unvermeidlich, dass unser Urtheil 
über die 'l'odesursache bei der Kenntniss weiterer Verhältnisse, 
als der Leichenbefunde, eine bestimmte Bichtung erhält, und zwar 
gerade durch die übrigen, uns bekannten Verhältnisse und nicht 
durch die blossen, ol)jektiven Leichenbefunde. Wenn wir einzig 
und allein auf diese unser Gutachten bauen sollen, so müssen wir 
vor die Leiche hintreten, als f>b wir gar nichts weiter über die¬ 
selbe wüssten, als dass wir in ihr die 'l’odesursache suchen sollen. 

Dann könnten wir z- B., wenn wir Tyi)liusgcschwüre finden. 
W(»lilsagen: X ist walirscheinlich an Darmtyphus gestorben. Finden 
wir z. B. aber Blutfülle des Herzens und der Lungen und dunkles, 
ilüssiges Blut, so möchte ich den Kollegen einmal selien, welclier 
den Muth liätte, hierauf allein zu urtheilen, d(;r X sei waln- 
scheinlich an Erstickung verstorben, während dieses Urtheil sich 
lechtfertigt, wenn die Hereinziehnng der äusseren Umstände des 
Falles vermuthen lässt, dass X erstickt sei. 

So bliebe denn tliatsächlich für sehr viele Fälle nur übrig, 
die Gewissheit in's Auge zu fassen, falls man allein die ol)jektiven 
Leichenbefunde für sein Urtheil verwerthen darf. 

Der Passus des Regulativs lautet: „nach Massgabe desjeni¬ 
gen, was sich ans dem objektiven Betunde ergi(d)t“, also auch 
„nur nach ^lassgabe des (il»j('ktiven Belundes“ und Jiicht unter 



Dl*. Peters: Zur Fraire der Earmei’le»hnn:^ der Krei.-]»hysiker. lo3 

Zusamnienlialt (iessflbeii mit aiideni Diiif^cii. Das vielmelir hiesse, 
in (las Ee^ulativ etwas hineininterpretiren. 

Ich will gerne glauben, dass unser Regulativ es so meint, 
wie Herr Kollege Mittenzweig, aber es drückt es eben nicht so 
aus, dass man es so verstehen muss. Das werden die Berliner 
Gericlitsärzte auch zugeben müssen. 

Würde die Fassung des Regulativs dahin abgeändert oder 
erläutert, dass der Auslegung des Herrn Kolh^gen Mittenzweig 
grundsätzlich beigestinimt würde, so will ich der Ersten einei* 
sein, der da anerkennt, dass dann der ij, 20 des Regulativs uns 
die notliwendige Bewegungsfreih(*it wiedergegeben hat, welcher 
wir in seiner jetzigen Fassung, ohne besomlere Auslegung, leider 
entbehren. 

Bis dahin bleibe ich vorläufig noch der Ansicht, dass Herr 
Kollege Frey er, ich und viele andere Provinzmedizinalb(iamte im 
Ivecht, und Herr Kollege Mitten zweig und die Berliner Ge¬ 
richtsärzte im Unrecht sind. 


Zur Frage der Rangerhöhung der Kreisphysiker. 

Von Dr. Peter.'^, ppg,- und MtRl.-Iiatli in ßniinburi^. 

ln iNo. dieser Zeitschrift ist unter Tagesnaclirichten „Hang- 
eihöhung“ der Thatsache Erwähnung geschehen, dass die älteren 
Oberförster den Titel „Forstmeister“ mit dem Range der Rätlie 
IV". Klasse erhalten haben, mit dem Hinweis darauf, dass diese 
Rangerhöhung auch s(dir bald den älteren Kreisbauinspektoren ver¬ 
liehen werden würde. Zur Vervollständigung dieser zutretfenden 
Angaben miichte ich noch hinzuffigen, dass auch die älteren Kreis¬ 
schulinspektoren, welche bekanntlich zuin Theil aus dem Elemen¬ 
tarlehrerstande hervorgt'gangen und als solche eine akademische 
Laufbahn gar nicht durcligeinacht zu halten brauchen, bereits seit 
.lahren durch den Titel „vScliulratli“ unter Beilegung des Ranges 
der Räthe IV. Klasse ausgezeichnet werden. 

Wenn in dt'r erwähnten Xittiz nun auch g(‘sagt ist. dass 
w(»lil mit Bestiinmtheit angemonmen werden darf, dass di(* gleiche 
R’angerhöliung auch den älteren Kreisphysikern zu Tlieil werden 
würde, so möchte ich trotzdem, nach dem diese Frage mal ang(!- 
schnitten worden ist. die obige Voraussetzung jiicht so von vorn¬ 
herein als sfdlistverständlich liiiisresfellt sehen. Nach den vielen 
J^nttäuschungen würde ein abermaliger Misserfolg die schon jetzt 
niclit mehr selir rosige Stimmung der Medizinal-Beamten nur noch 
mehr deprimiren. Unter diesen Umständen dürlte es im ölfeiit- 
lichen Interesse licgoii, darauf liinzuweistm, dass jetzt der geeig¬ 
netste Zeitpunkt gekommen ist, um das den Medizinal-Beamten 
von hoh(‘r Stelle so oft ausgesprochene Wohlwollen sowie die ilner 
amtli(!hen Wirksamkeit gezollte Anerkenninig in die d’liat überzu¬ 
führen. liier handelt es sich ja um einen Punkt, bei dem die 



134 


Pr. Petcr.s; Zur Frage der Baugcrböhiuig der Kreisphysiker. 


Finaiizfrage, an welcher bisher die beabsichtigten Reformen ge¬ 
scheitert sind, gar nicht in’s Gewicht fällt. — 

Eng zusammenhängend mit der Rangerhöhung ist die Titel¬ 
frage. Unter allen Staatsbeamten sind es allein die Ki-eisphysiker, 
die inihrer amtlichen Stellung keine auszeichnenden Titel erhalten. 
Der „Sanitätsrath“, den die älteren Ki*eisphysiker erhalten und 
mit jedem praktischen Arzte theilen, di*ückt irgend eine amtliche 
Qualifikation, eine Auszeichnung auf amtlichem Gebiete, gar nicht 
aus. Will man die Kreisphysiker als Beamte auszeichnen, so muss 
man ihnen einen Rathstitel geben, durch den diese Absicht auch 
zum Ausdruck gebracht wird. Nach dem Vorgänge bei den andern 
Beamten-Kategorien ist es einleuchtend, dass dies nur durch Ver¬ 
leihung des Titels „Medizinal-Rath“ geschehen kann. Dieser Titel 
findet sich mit den entsprechenden Attributen: „Geheim“, „Ober“, 
„Geheimer Ober“ bei allen höheren Medizinal-Beamten mit Aus¬ 
nahme der Mitglieder des Reiclisgesundheitsamts, welche nur ein¬ 
fache Regierungsräthe sind. Ich möchte jedoch glauben, dass auch 
für die letzteren der Titel „Medizinal-Rath“ bezeichnender sein 
würde, zumal das Reichsgesundheitsamt irgend welche Funktionen 
der eigentlichen Verwaltung ja gar nicht besitzt. — 

Ganz allgemein wird man zugeben müssen, dass der Titel 
„Medizinal-Rath“ bekundet, dass der Träger desselben mit amt- 
liclien Funktionen betraut ist, im Gegensatz zu dem Titel „Sani¬ 
tätsrath“, der lediglich die Anerkennung des Arztes sanktionirt. 
Auch die Universitätsprofessoren, die ja in gewissem Sinne auch 
zu den Beamten gehören, erhalten als Auszeichnung nicht den Titel 
„Geh. Sanitätsrath“ sondern „Geh. Medizinal-Rath“. — Der „Med.- 
;^th“ erscheint also überall als Grundlage, wo dem Titel ein 
amtlicher Charakter aufgedrückt werden soll. 

In Konsequenz dieser thatsächlichen Verhältnisse müsste der 
ältere Ki-eisphysikus nicht Sanitäts-Rath, sodem Medizinal-Rath 
werden, wodurch zugleich die Rangfrage in einfachster Weise ge¬ 
löst wäre, da die Medizinal-Räthe eoipso zur IV. Rangklasse ge¬ 
hören. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch hervorheben, dass 
die Kr. Medizinal-Beamten in fast allen andeni deutschen Staaten 
thatsächlich bereits den Titel „Medizinal-Rath“ als Auszeichnung 
erhalten. 

In'einer^Zeit, wo Titel und Rang nicht nur für die soziale 
Stellung, sondern auch für den amtlichen Wirkungskreis und das 
amtliche Ansehn von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, 
halte ich es im öftentlichen Interesse gelegen, dass die Physiker 
wenigstens in der äusseren Stellung den Oberförstern, Bauinspek¬ 
toren und Schulinspektoren gleichgestellt werden, schon mit Rück¬ 
sicht auf die amtlichen Beziehungen zu dem Landrathe und den 
übrigen Kreisbehörden. 

Vielleicht erscheint es angezeigt, diese Frage auf die Tages¬ 
ordnung der nächsten Medizinal-Beamten-Versammlung zu setzen, 
falls an massgebender Stelle die jetzige passende Gelegenheit 
nicht benutzt werden sollte, die berechtigten Forderungen der 
Kreisphysiker in Bezug auf Rang und Titel zur Geltung zu bringen. 



Dr. Gleitsinaun: Amtsürztliche Atteste über Staatsbeamte. 


135 


Amtsärztliche Atteste Uber Staatsbeamte. 

Eiue Ministcrial - Entschoidaug, mitgethcilt von Dr. Gleitsmann, Kreisphysikus 

in Belzig. 

Auf der letzten Hauptversammlung des Preussisclien Medi¬ 
zinalbeamten-Vereins berührte Professor Falk in seinem Vortrage 
^zur Taxfrage“ auch die Thatsache, dass wir Physiker verpflichtet 
sind, auf Erfordeim von Behörden unentgeltlich Staatsbeamte 
auf ihren Gesundlieitszustand zu untersuchen und über den Be¬ 
fund Atteste auszustellen. Er sagte unter Anderm*): 

„Es wird festgesetzt, dass wir ein möglichst ausführliches Gutachten geben 
müssen nnd es nicht bezahlt bekommen, wenn die Untersnehungen im Hause 
.stattgefunden haben. Nun, das ist schon eine gewisse Härte; denn die Zahl 
der Beamten nimmt naturgemäss zu und hat vor Allem nach anderer Richtung 
hin besonders zugenommen, indem die Staatseisenbahnbehörden von 
diesem Paragraphen sehr häufig Gebrauch maclien. Es handelt sich da oft um 
sehr mühevolle Untersuchungen, beispielsweise darüber, ob nach UnglUcksMlen 
Simulation vorliegt — nnd das Alles muss unentgeltlich gcschehenl 

.Dazu kommt, dass die Eisenbahn-Behörden schon ihren Vertrauensarzt 

haben, und eigentlich keine Veranlassung vorliegt, unentgeltlich als Obergnt- 
achter Hcdizinalbeamte zu diesen sehr mühevollen Untersuchungen heranzn- 

zieheu.Ich wiederhole, die Eisenbahn - Behörden machen in weitem 

Umfange Gebrauch davon.Die Thatsache bleibt bestehen, dass wir 

sehr mühevolle Untersnehungen unentgeltlich zu machen haben.“ 

Jahre lang habe ich dieselben Erfahrungen gemacht wie 
Kollege Falk. Aller Augenblicke kam vom Betriebsamt an meine 
Adresse ein dickes Packet, enthaltend einen voluminösen Band 
Personal-Akten und das „ergebene Ersuchen“, den Bahnwärter X 
zu untersuchen und mit Rücksicht auf die Aussagen Blatt a und 
b und die ärztlichen Bescheinigungen Blatt x und y der Akten 
ein Gutachten darüber zu erstatten, ob u. s. w. Sandte ich dann meine 
Liquidation ein, so wurde sie mir unter Hinweis auf die Ministerial- 
Erlasse vom 16. Februar 1844 und vom 8. Juli 1874 einfach zu¬ 
rückgeschickt. Beschwerden hierüber mit der energischen Be¬ 
tonung, dass es sich in diesen Erlassen nicht um Gutachten, 
sondern um Befuiidsatteste handelte, blieben erfolglos, und ich 
hatte mich daher in das anscheinend Unvermeidliche gefugt. Da 
gab der Beschluss der vorjährigen Hauptversammlung**), streitige 
Taxfragen von prinzipieller Bedeutung durch Herbeiführung 
einer gerichtlichen Entscheidung in höchster Instanz zum Austrage 
zu bringen, mir neuen Muth. Ich beschloss, bei der nächsten 
ähnlichen Gelegenheit den Instanzenzug des Beschwerdeweges zu 
erschöpfen, und — falls dies erfolglos sein sollte —dem Vorstande 
des Vereins diese Frage zur Einleitung eines Pi-ozesses zu unter¬ 
breiten. Diese Gelegenheit lag, als ich den Bericht über die 
Hauptversammlung erhielt, bereits vor. 

Am 9. August 1891 war mir von einem Betriebsamte folgendes 
Schreiben zugegangen: 

„Der Bahnwärter K. leidet an 2 Leistenbrüchen und ist in 
Folge dessen vom Bahnarzte durch die anliegenden beiden 
Gutachten für dauenid dienstunfähig erklärt worden. Da nun 


*) Offizieller Beriebt über »iie iiemite Hauptversammlung, S. 50. 

**) 1. c, Seite 56. 







136 


Dr. Glcitsmaun. 


K. behauptet, den hauptsächlich die Dienstunfahigkeit herbei- 
führendeii linksseitigen Leistenbruch am 28. November 1889 
durch einen Fall auf die linke Seite beim Anziehen von Lascheu- 
sclu-auben sich zugezogeii zu haben und für den Fall, dass 
eine Beschädigung im Dienst vorliegt, sich auch der Anspruch 
auf Pension für ihn günstiger gestaltet, ersuchen wir Ew. pp. er¬ 
gebenst, den K. einer Untersuchung zu unterziehen und ein ober¬ 
ärztliches (?!) Gutachten über denselben abzugeben. In diesem 
Gutachten bitten wir noch besonders die Frage zu betonen, ob der 
Bruchsack bei dem Falle am 28. November 1889 unbedingt bereits 
vorhanden gewesen sein muss und die Eingeweide, welche am 
30. November 1889 in denselben bereits eingetreten waren, auch 
ohne äusseren Einfluss — also lediglich durch die Einwirkung der 
Banchi)resse — zum Eintritt in den Bruchsack gebracht worden 
wären.“ 

Unterm 11. August erstattete ich das verlangte Gutachten 
und fügte meine Liquidation im Betrage von 6 Mark bei. 

Der weitere Verlauf dieses Falles war durchaus typisch. 

Bereits am 29. August traf meine Liquidation wieder ein mit 
einem Schreiben des Inhalts, dass diese nicht anerkannt werden 
könnte, da nach den Erlassen des Herrn Ministers u. s. w. u. s. w. 

Hierauf meinerseits Beschwerde an die Eisenbahn-Direktion, 
der ich folgende Beweisführung zu erwägen gab: 

Der Ministerial-Erlass vom 16. Februar 1844 bestimmt, dass 
„die Kreis-Medizinal-Beamten zur unentgeltlichen Bewirkung der 
.... Untersuchung des Gesundheitszustandes Königlicher Beam¬ 
ten sowie zur unentgeltlichen Ausstellung der Belundsatteste ver¬ 
pflichtet werden“ sollen. Der Erlass spricht nur von Befunds¬ 
attesten — also im Sinne der No. 7 des §. 3 des Gesetzes vom 
9. März 1872 von Befundscheinen „ohne nähere gutachtliche 
Aeusserung“ — nicht aber von Gutachten im Sinne der No. 6 
gedachter Stelle. Dass diese Auiftssung richtig ist, geht auch 
aus der Ministerial-Verfügung vom 12. April 1860 (Eulenberg, 
das Medizinal wesen in Preussen, Seite 375, Absatz 2) unwider¬ 
leglich hervor. Denn diese Verfügung stellt ein Gutachten 
über den Gesundheitszustand eines Verletzten und über die Folgen 
der Verletzung ausdrücklich in Gegensatz zu einem blossen 
Atteste, „einer auf das Thatsächliche sich beschränkenden Be¬ 
scheinigung über den Zustand des Kranken.“ Demnach sind die 
Kreis-Medizinal-Beamten nur zur unentgeltlichen Ausstellung von 
Befundsattesten (Befundscheinen) im Sinne des §. 3, Absatz 7 des 
angeführten Gesetzes verpflichtet. Dass es sich im vorliegenden 
Falle nicht um ein blosses Befundsattest, sondern um ein Gut¬ 
achten handelt, dürfte aus dem Wortlaut der Requisition sowie 
aus dem von mir gelieferten Bericht zweifellos hervorgehen. 
Schliesslich spricht auch der äussere Umstand, dass mir zur Er¬ 
stattung meines Berichtes Aktenstücke zugesandt waren, die ein 
vorheriges Einsehen nöthig machten, dafür, dass ein Gutachten im 
Sinne der No. 6 der mehrfach zitirten Gesetzesstelle gemeint ist, 
da nur diese Nummer die Einsicht der Akten besonders erwähnt. 



Ambarztliclic Atteste über >Staalsbeaiiite. 


137 


Wie ich voraus^esehen Imtte, blieb diese fulminante Be¬ 
schwerde über das Betriebsamt ohne Erfolg. Der ablehnende Be¬ 
scheid der Direktion (vom 16. Oktober) hatte folgenden Wortlaut: 

„Nach stattgehabter Prüfung der in Betracht kommenden 
Verhältnisse benachrichtigen wir Ew. p. p.. dass „wir uns niclit in 
der Lage befinden, das genannte Betriebsamt zur Berichtigung Ihrer 
Liquidation anzuhalten, da die in der Verfügung vom 24. August 
d. J. angegebenen Gründe von uns als zutreffend erachtet werden 
müssen. Auch der HeiT Minister der ötfentlichen Arbeiten hat 
im März v. J. in einem gleichen Falle entschieden, dass der be¬ 
treffende Kreisphysikus für die von ihm verwaltungsseitig erfor¬ 
derten Gutachten über den Gesundheitszustand von 2 zu pensio- 
nirenden Beamten ein Honorar nicht zu beanspruchen habe.“ — 

Bis hierher war Alles programmgemäss verlaufen; nun aber 
trat das Unerwartete und Erfreuliche ein: der Herr Minister 
erklärte meine Beschwerde für begründet. 

Unter dem 22. Oktober nämlich hatte ich an den Herrn 
Minister der öffentlichen Arbeiten eine Beschwerde über obigen 
Bescheid unter gleicher Motivirung gerichtet und erhielt nun 
unterm 31. Januar 1 892 von der Königl. Eisenbahn - Direktion 
folgendes Schreiben: 

^Auf die an den Herrn Minister der öflViitlielion Arbeiten gerielit(*t«» 
Beschwenle wegen verweigerter GebUhrenzalilung bonachriehtigen wir Ew. 
Wuhlgeboren ini Namen Seiner Exrellenz ergebt‘nst, wie mit Rücksicht darauf, 
das.s es sich im vorliegenden Falle nicht um blosse Ausstellung eines Jkd’und- 
attestes nach vorzuiiehmender Untersucliung des (iesundheitszustaudes des lialm- 
wärtors K., sondern um die Erstattung eines Seitens des Königl. Eismibahn- 
Retriebs-Amtes zu B. von Ihnen erforderten Gutaclitens gehandelt hat, die B<‘- 
schw^erde für begründet zu erachton ist. Ew. Wohlgeboren haben daher 
nach Massgabe des §. 8, No. 6 des (i esc tzes vom D. Mä rz 1 S72 eine 
(iebühr zu beanspruchen, wegen deren Zahlung das genannte Betriebsamt 
mit entsprechender Weisung versehen w'orden ist.“ 

Diese Ministerial-Entscheidiing- erscheint mir wichtig ffenufr, 
um auch den Heiren Kollegen bekannt zu werden. Denn was für 
die Balmbeamten gilt, hat natürlich auch für die übrigen Staats¬ 
beamten Gültigkeit. Icli mache dabei noch besonders auf das auf 
merksam, was Rapmund in seinem vortreftlichen Kommentare*) 
bemerkt. Er sagt zu §. 3, No. 6 des eben angeführten Gesetzes: 

Ein wenn auch nur kurzes Gutachten fällt immer unter No. 0. Jeden¬ 
falls gehören hierher alle dii'jenigen Atteste, welche von den Medizinalheamtfui 
zum Gebrauch von Behördcu in der durch Zirkular-Erlass des Ministers di r 
geistlichen pp. Angelegenheiten vom 20. Januar IS.nl h(?zw. 11. Februar 1800 - 
Min.-Bl. S. 2 (1853) bezw. S. 01 (1850) — vorgesclirieheneu Form abgegclu ii 
uerden. 

Hiernach sind also die Medizinal-Beamteii nur verpflichtet, 
solche Atteste unentgeltlich auszustellen. Avodurch einfach und 
ohne weitere Motive die Thatsache, dass die betrettende Person 
krank resp. gesund sei, festgestellt wiiaP (Min.-Verfügung vom 
12. April 1800). Da sich die meisten Behörden mit einem solclien 


*) Das Gesetz vom 9. März 1872, erläutert von l)r. n. Rap in und, 15*- 
gieriings- gud ^ledizinal-Uath, Berlin 1889, Seile 37, 




138 


Kltiinore Mitthciluuguu and Referate au» Zeitsuhriften. 


einfachen Befundsatteste nicht begnügen werden, so müssen sie die 
ausführlicheren mit Motiven versehenen Gutachten auch honoriren. 

Ich glaube, dass uns durch sorgfältige Beachtung dieser 
Grundsätze ein gutes Stück nicht bezahlter Arbeit abgenommen wird. 


Ein ähnlicher Fall, wie der oben mitgetheilte, wird der Re¬ 
daktion soeben von dem Kreisphysikus Sanitätsrath Dr. Guertler 
in Hannover mitgetheilt. Auch hier hatte die Königliche Eisen¬ 
bahnverwaltung in zwei Fällen auf Grund der oben angeführten 
Erlasse die Zahlungsanweisung des liquidirten Betrages für ein 
in ihrem Aufträge über den Gesundheitszustand eines Eisenbahn¬ 
beamten ausgestelltes Gutachten zunächst abgeleimt. Eine da¬ 
gegen erhobene Beschwerde wurde dem Königlichen Regierungs¬ 
präsidenten zur Entscheidung vorgelegt. Dieser entschied dahin, 
dass die in den betreffenden Fällen abgegebenen Gutachten nicht 
als Befundzeugnisse, deren Ausfertigung nach den bestehen¬ 
den Bestimmungen hätte kostenfi’ei erfolgen müssen, sondern als 
niotivirte Gutachten anzusehen seien, für deren Abgabe den 
Medizinalbeamten Gebühren zustehen. Die Königliche Eisenbahn¬ 
verwaltung hat hierauf sofort die Zahlbarmachung der eingereich- 
teu Liquidationen veranlasst. 


Kleinere Mittheiiiingen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

In das Berliner Leichenschauhans eingelicferte Leichen pro Ok¬ 
tober, November, Dezember 1891. 


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Fahrlässige Tödtnng durch äussere Anwendung nnverdiinnter 
Karbolsäure. Gutachten von Dr. Beimann, Kreisphysikus in Neumünster. 
Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei; 
3. Folge, 2. Band, 1. Heft. 

Beim ersten Wechsel des Nabelverbaudes eines Neugeborenen wurde die¬ 
sem ein mit Acid. carbol. liquefact. getränkter Leinenfleck auf den Nabel gelegt. 
Das Kind schrie heftig und begann am ganzen Körper zu zitten. Nach Wieder¬ 
holung des Verfahrens am nächsten Tage wurde das Kind ganz ruhig, und starb 
wenige Stunden nach Hinznkommen des Arztes. 

Um den Nabel hemm befanden sich braungelbe Streifen und Flecken, an 
denen sich die Oberhaut eigcnthUmlich trocken anfUhlte. Sie war leicht gerun¬ 
zelt und Hess sich leicht in Fetzen ablösen. Die LederUaut war feucht und 
grau-röthlich, das Fett hier zitronengelb, sonst hellgelb. In der Bauchhöhle 
lagen 5 ccm. trüber röthlicher, mit Flocken untermischter Flüssigkeit. Die Ge- 
fässe von Netz und Därmen stark gefüllt. 






Kleinere Mittheilnngeu uml Referate aus Zeitsehriftcu. 




Das Destillat des Harns gab weder mit Mttl 1er's Reagenz eine Färbung, 
noch mit Bromwasser eine Trübung. Das Destillat von Leber, Nieren und Milz 
ergab Karbol-Reaktion. 

Das Guüvchten ging dahin, dass das Kind an Lähmung der Nervenceutra 
in Folge Verätzung der Bauchhaut gestorben und dass Umschläge mit unver¬ 
dünnter Karbolsäure geeignet waren, diese Hautätzung zu erzeugen. 

Dr. Mittonzwoig. 


Ueber Karbolgangrän. Experimentelle Untersuchungen. Von A. 
Frankenburger. Inaug.-Diss., Nürnberg 1891. 

Ueber das Zustandekommen der Karbolgangräu nach Anwendung von 
Umschlägen mit 2—B Karbolsäurelösungen bestanden bisher nur Hypotliesen, 
die einer direkt hierauf gerichteten wissenschaftlich-experimentellen Unter¬ 
suchung als Grundlage entbehrten. Letztere zu geben hat es Verfasser in seiner 
oben angeführten Dissertation in der Erlanger Klinik unternommen, indem er am 
Kaninchen expcrimcntirte und die mit solchen Umschlägen behandelten Haut- 
theile nach ihrer Excision und Härtung mikroskopisch untersuchte. Dabei fand 
er vornehmlich, dass in Folge gedachter Einwirkung eine Gefässthrorabose 
zu Stande kommt, bedingt durch Zerstörung der korpuskulären Blutelemente, in 
deren Folge es zu einer Blutstasc kommt, analog der Hueter'sehen globulösen 
Stase. Für diese experimentell von ihm beobachtete Thrombosirung der Gefässe 
findet Verfasser eine weitere Bestätigung in den Beobachtungen von Prudden 
und anderen Forschern, die die Einwirkung der Karbolsäure theils auf das noch 
kreisende, theils auf das den Gefässen entnommene Blut studirt haben. Den 
Vorgang beim Zustandekommen der Gangrän denkt Verfasser sich nun so, dass 
nach Zerstörung der Epidermis und Thrombosirung aller oberflächlichen Gefässe 
die applizirte Karbollösnng durch die Lücken der zerstörten Epidermis in das 
Corium gelangt und von hier leicht weiter in die Tiefe dringt. In Folge der 
durch die Thrombosirung geschaffenen Zirkulationsbehinderung werde aber die 
nachdringende Karbolflüssigkeit nicht weiter abgeführt, sondern an Ort und 
Stelle angestaut, wirke nun noch hier auf die freien Getlisse in gleicher Weise 
destruktiv ein und führe so zur vollständigen Stockung der Blut- und Saft¬ 
zirkulation, deren Ende eben nur die Gangrän sein kann. Dass es gerade zum 
trockenen Brand kommt, liege theils an der durch Zerstörung der Epidermis 
begünstigten Verdunstung, theils an der wasserentziehenden Wirkung der Karbol¬ 
säure. 

Für die Thatsache jedoch, dass es in so zahlreichen Fällen unter gleichen 
Umständen zur Karbolgangrän nicht kommt, hat Verfasser keine Erkläning; 
man werde sich da mit dem Nothbchelf der „Disposition“ begnügen müssen, 
vielleicht auch einen Einfluss der vasomotorischen und trophischen Nerven nicht 
ganz von der Hand weisen dürfen. Auf einen weiteren hierbei vielleicht mit¬ 
wirkenden Faktor, nämlich auf die anatomischen Zirkulationsverhältnissc, 
hat übrigens noch Referent in seiner diesen Gegenstand betreffenden Abhand¬ 
lung*) hingewiesen. 

Somit hat der klinisch beobachtete Thatbcstand des Eintretens einer Gan¬ 
grän nach Applikation 2--B ®/o Karbollösungen durch die dankenswerthen Unter¬ 
suchungen des Verfassers eine wesentliche Stütze erhalten, so dass an der Auf¬ 
fassung dieser Gangrän als einer spezifischen Karbolgangrän, für die 
sie auch Referent in seiner bezüglichen Abhandlung erklärt hat, kein Zweifel 
mehr obwalten dürfte. 

In seinen Folgerungen weist Verfasser auch auf die raediziualpolizeiliche 
Seite dieses Gegenstandes hin und betont ebenfalls die Nothwendigkeit des Ver¬ 
botes der Abgabe von „Karbolw'asser^ im Handverkauf. 

Dr. Freyer-Stettin. 


Bemerkungen zur Behandlung und Begutachtung der Unfall¬ 
verletzten. Vortrag, gehalten auf der am 6. November 1S91 zu Cottbus statt¬ 
gehabten Wanderversaramlung des Vereins der Aerzte des Reg.-Bez. Frankfurt a. 0. 
Von Dr. C. Thiem, Dirigent der Chirurg, und inechan. Heilanstalt zu Cottbus. 
Verlag von Eugen Grosser, Berlin. 


*) Die Karbolgangrän in ihrer gerichtsärztlicheii und niedizinalpolizei- 
lichen Bedeutung. Zeitschrift für Medizinalbcamte, Nr. 10. 1891. Seite 281. 



140 


Klt’iijore Jütthciluiigcxi iui4 Referate aus Zeit>ehnften. 


Der Vcrfiussor sprielit sich auf Grund seiner nM'chen Krfalirun^jrtni dafür 
aus, dass Unfallverletzte unmittelbar nach Bcendi^mug: des chinir<;isclien Ver- 
fahreus dem mechanischen unterworfen werden niüssten. Nur Kranke, die in 
ununterbrochener Behandlung: bleiben, behalten das Gefülil, dass die für sie sor- 
irenden Organe lediglich die Wiederherstellung ihrer Gesundheit im Auge haben 
und sind in Folge dessen in der Mehrzahl willige ratienten, während bei Unter¬ 
brechung des Heilverfahrens und besonders, wenn die Verletzten sich bereits iin 
Genuss einer Rente befanden, viele Verletzte gar nicht gesund worden wollen, 
sondern möglichst viel Rente zu bekommen suchen. Die Bestimmung erscheine 
nicht ungerechtfertigt, wonach die Krankenkassen genöthigt sind, auf Antrag 
der Berufsgenossenschaften nach deren Wunsch die Vorletzten uiiterzubringoii 
und sieht Thicm in der Errichtung von l’nfallkraiikenhänsern ein erstrebons- 
werthes Ideal. Allerdings dürfen diese Uiifallkrankenliäuser nicht in dom 
Seeligm üller’scheu Sinne in der Hauptsache nur Uu tersuch ungs - und 
Beohachtu ngstationen sein, wodurch ihnen gleich von voruhoroin ein 
feindseliger Charakter aufge])rägt wird, was ihnen in Arhoitorkreisen den 
Namen „Krankcuzuchthäuser*^ verschafft hat; vielmehr sollen dieselben eine 
chirurgische und mcchauische Abtheihmg unter einheitlicher Leitung 
besitzen, die sich von vornlicreiu die Aufgabe stellt: „Es ist nicht nur die 
V-erletzung zu heilen, sondern auch der Verletzte wieder 
möglichst erwerbsfähig zu machen.“ Der Verfasser bespricht sodann 
das Kapitel der Simulationen und Uebertreibungiui seitens der Unfallverletzten 
und giebt zur Aufdeckung derselben den zu bein'rzigmnlen Rath, dass Aerzte 
bei schweren Unfällen sich nicht mit der l'ntersuchung des 
verletzten Thciles begn üge n dü rf e n , sondern eine Un ti^rsuchung 
des ganzen Körpers vornehmen sollen; denn es sei zur Beurtheilung 
oft sehr wichtig, ob ein später entdecktes Leiden schon zur Zeit des Unfalles 
bestanden habe. 

Da der Vortrag manche uützlie.lie AViiike für die Beurtlieiliing und 
Untersuchung l'nlallverletzter enthält, ist seine lioktüre nicht uuinteressaut. 

Dr. 1) ü t sc li k e - Auricli. 

B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Zur Statistik der Erkrankungen und Sterbefälle im Woelienlxdt 
aus dem Grosslierzogtlinm Hessen. Von Geh. Ober-Med.-Itath Dr. Neid¬ 
hardt in Darmstadt. (KorrespondeuzMatt der ärztliclicn Vereine des Gross¬ 
herzogthums Hessen; No. 10—12, 1801 und No. 1, 1802.) 

Der im vorigen Jahre auf dem vierten Kongresse der dcntscheii 
Gesellschaft für Gynäkologie von Prof. Dr. Dohrn gehaltene Vortrag ülx'r 
den Betrieb der praktischen (teburtshülfe unter Privatvcrhältiiissen, sowie die 
von diesem auf Grund eines umfangreiclieu Materials ausgespr(jcheiic Ansiclil, 
dass in den letzten 20 Jahren trotz aller antise}ffischen Bestrebungen die 3Ior- 
talität an Woebenbettfieber keine nennenswertlic Almahme ge zeigt habe, bat 
Verfasser veranlasst, die Frage, inwieweit jene Ansicht Dohrn's auch für das 
(O'ossherzogthum Hessen zutreffend sei, (o'ner eingcliemhm Krr>rterung zn nnter- 
ziclien. Es stand ihm hierzu ein im Vergleich zu andern Staaten verhältui>s- 
inässig zuverlässiges statistisches Material zur Verfügung, besonders seit dem 
Jahre 1876, wo die Kontrole der Zählkarten ü))er Sterhetällo den Kreisgt'snml- 
heitsämtern übertragen ist und ausserdem auf den Tod<>zt*ngiiissen Todesfälle 
an Kindbett lieber von denen an Gebärmutter- und sonstigrn Entzinidungen, oder 
auf die Geliurt folgenden Kranklndfen stn rg ausejjiaijdcr gehalten werden. 

Die vom Veiffasser zusammengestellte statistisclo' Uclxa’siclit erstreckt 
sich ülier die 27 Jahre von 1802 bis 1800. In diesem Zeifraum kam durcli- 
sclinittlich auf 158 Geburten ein Todesfall oder, anders ausgedriiekt, es starhrn 
OjODVo der Wöchnerinnen. Diese Zahlen stellen sic.li jedoch lur die Peri<»df^ 
ISO;!—lSGS erlieblicli höher (1 'l'odesfall auf 111 Gehnrttm oder O^SO Sterl)- 
lichkeit unter den Wöchnerinnen). Von da al» beginnen sie phitzlicli zu siid<en, 
aber nicht etwa in Folge eines besser unterricliteten H(d)ammenj»ersonals, sumhTii 
lediglich in Folge einer genaueren Bezeichniuig der Todesursache durch Ein¬ 
führung ärztlichcT Ti)dtensclicine. In dt‘r Zeit von lSGO —1876 starben nur 0,6ir’/„ 
Wö)cbneriinieu au WoehenbettliidMT oder 1 auf 167 (ieburten. 

\’om Jahre 1875 al» ist die Lehre von der asepiiscln n Leitung der (ie- 



Kb'iiiere MittlitMlniiLrni uihI RriVratd aus ZritsrliriCii'n, 


111 


liurt und (los W(M lH‘nlM'tts in (l('n llohauiim'iiunt^'rricht anl’L:('n(imin(*n: statis- 

risi'lu^ ZusainnicnstclliiULr iTir dit' 1« t/.tcn 14 .Ialin‘ von 1877 —iSiK) strdit somit 
unior d(‘m Kiiilluss der Xrmuaiiii»*, innrn rliiu alau' nur im ^(uinoon .Maass(% wenn 
man bcdnikt, dass Jährlich olwa 4iMlchattimon im (Jrossli' rzojxihum llesson aus- 
^«•hildet worden, und daluT am Sdiluss dos Berichtsjahrs, im Jahre 181K), erst 
die der llohaiinnon in die Ilandirrifte d(T Aso|ilik schuliroinäss ein;^^o- 

weiht wai\ l\im‘ wi‘>ent liclu» Ahnaliiiu* der 4h)dcst*;illc im Woclionhott hat trotz¬ 
dem in dieser /eit|ieri(Mle ot'i^^miilier der vorln ruehi inhm nicht statt;^cl’unden, 
denn von lon W’rM'hmTinneu siarlien thr).-)"/,,, oder 1 auf 18d (lel)urten. Auch 
wenn für dit'sen /eitraum di(‘ au Kindhcttliel)er trestorlMUum \V(">chnerinnen von 
ih n an sonsrioen Kranklu‘i((‘n verstoi Immicu auseinaml^uoelialteii werden, lässt 
sich idn Kinlluss d(*r alluiähli <4 zur lünführuiiL^ :X(*komuienen, die asei)tische Leitunij: 
d(M' (iehurt und des Woclu nhetts hezw^akenden Massnahmen auf die Stt^rbe- 
zitfer d(\s Woclnnbi tts nicht deutlich erki nnen, s(‘ll)st nicht nach dem Jahre 
1SS8, in dem eine man* Dienstanweisung: für die Hel)amnien erlassen ^mrde. Die 
Drozentzitfer der bei WcMÜjenlxdttieber Destorb(*n(m schwankte während dieser 
/(dt zwisclnui 0,‘2n(18SÜ) und (1.44 (1878); sie betruiiC itn Durchschnitt 

0,81 etwas mein* als die Hälfte (b'r im Wochenbett üVjerhaupt gestor- 

Imuicii Krauen. 

Verfasser erwähnt daun, dass sich die Fürsorge zur Einschränkung des 
Wuchenl>ettliebers in Hessen nicht mit dem Erlass der obenerwähuteu neuen 
Dienstanweisung begnügt, sondern auch eine Verlängerung der Hebammenlehr¬ 
gänge von 4 auf 0 ^lonatj; und die Einrichtung von 8—14 tägigen Wieder- 
hvdungskursen, an denen jede Hebamiiie alle T) Jahre theilzumdimcii verpflichtet 
ist, zur Eolge gehabt hat (s. das nächstfolgende iaderat). Er betont dann ferner, 
dass zur Beantwortung d(‘r Frage betnüfs des Einllusses der Antiseptik auf die 
Abnahme des W(-)ehenbetttiebers vor allem eine bessere und auf sicheren (iriiud- 
lageii Ixu’uhende Morbiditätsstatistik erforderlicli sei, deren Durchführung aber grosse 
8chwierigktdten habe. In Hessen sei im Jahre 1800 ein Versuch damit gemacht, 
der aber aucli noch ni(‘ht auf Vollständigkeit Anspruch machen könne. Darnach 
erkrankten von lOD Wi^chuerinnen OJÜ) an Woclienbettfieber; von diesen starben 
52,2 "/o (0,84der Wüelineriniien überhaupt). Von den Erkrankten waren 30''/o 
Erstgt‘l)ärende und 01'’/<> 31elirgebärende; von den erstcreii sind 45,5'Vo, von 
den letzteren 50,0 % gestorben. Ib'r (r e. bn r tsve r 1 au f war bei 62,5 ^/o ganz 
normal, bid 37.5‘'/o Kmisthfilfe erforderlich. Daraus lässt sich, auch ohne die 
/alden der normalen und der mit Kunsthülfe beendeten (Toburteii überhaupt 
zu kennen, schon b(unesscn, dass auf diese eine viel grössere Zahl von Kindbett- 
üeberfälleii kommt als auf jene. 80der Erkrankungen fielen auf die ersten 
8 Tage des WochenlHüts (21,5'7o den dritten und 18,0 ®/o auf den vierten 

Tag), nach dem 14. Tage sind nur 2'7o Erkrankungen beobachtet. P'ast überall 
traten die Erkrankungen vereinzelt auf, zu einer grösseren, epidemischen Ver¬ 
breitung ist es nirgends gekommen. Das zeitliche Zusammenwirken mancher 
Erkrankungen, die unter (b-r lMleg(‘ derselben Hebamme entstanden waren, Hess 
jedoch darauf scliliessen, dass die Df'sinfektiuns- und sonstigen Verhaltungsmass- 
regeln seit(ms der Hehamnum nicht richtig befolgt Avaren. ln einer Anzahl 
solcher Fälle konnte seitens des M**(lizinalbea]nten ein Verschulden der Hebammen 
direkt festgestellt werden. Kpd. 

Die ersten Wiederlioliiiigslehrgilnge für Hebammen im Gross- 
lierzogthnm Hes.sen. Von Prof. Hermann Löh lein. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1802; Nr. 9. 

Die nachfolgenden Mittheilungen, w-elclie Prof. Löh lein in einem in der 
(Hessener mcdiziniscdieu Gesellschaft gehaltenen Vortrag machte, sind besonders 
desshalb von allgemeinem Interesse, weil es die ersten Mittheilungen überhaupt 
sind, welche nach Einführung der Wiederholungslehrgänge für ältere Hebammen 
über diese neue Einrichtung in die Oetfentlichkeit gelangen. 

Durch Verfügung des Grosslierzogliclien Ministeriums vom 21. Juni 1801 
wurden an den Entbindungsanstalten zu Mainz und Giessen für die im Gross- 
In^rzogthum Hessen praktizirenden Hebammen „Wiedcrholungslchrgänge“ (die 
d ent sc he Bezfüchming „ Bepetitionskursus^ wird anerkennensw^erther Weise ver- 
mi(nlen) eingerichtet, mit d(T Bestimmung, dass in Mainz in den Monaten April 
und iMai^ in Giessen im Oktober und Novcnil)er jeden Jahres die Lehrgänge ah- 




1-12 


Kloiiiero Mittliciluiij?L-ii mul llel'cratc aus Zcitschriflen. 


gehalten werden sullen. Sie wiederholen sich für die einzelnen Hebammen alle 
6 Jahre und dauern in der Regel 8 Tage. Der Direktor ist befugt, den Lehr¬ 
gang um 8 Tage zu Terldngern, falls bei einer Hebamme ein besonders auf¬ 
fallender Rückgang wahrgeuommen werden sollte. Verpflegung und Unterricht 
in der Anstalt sind unentgeltlich. 

In den Monaten Oktober und November sind nun in der Giessener Univer- 
sitätsfranenklinik von Löh lein und seinen Assistenten die ersten Wicderholnngs- 
lehrgänge abgchalten, über welche in jenem Vorträge berichtet wird. Diese 
Einrichtung der Wiederholungslehrgänge wird von Löhlein „ohne Zweifel als 
ein wichtiger Fortschritt bezeichnet, mit dessen praktischer Durchführung 
das Grossherzogthum Hessen den übrigen deutschen Bundesstaaten seines Wissens 
vorangegangen sei.“ (Anmerkung des Referenten: Auf Veranlassung des 
Landesdirektoriums der Provinz Hannover Anden bereits seit Herbst 1890 in den 
Provinzial - Hebammenlehranstaltcn zu Osnabrück und Hannover alljährlich 
Idtägigc Wiederholungskurse für im praktischen Dienste stehende ältere Hebammen 
der Provinz Hannover statt.) 

74 Hebammen nahmen an den Wiederholnngslehrgängen Theil und wurden 
anf 3 Kurse vertheilt, am ersten betheiligten sich 23, am zweiten 29, am dritten 
22 Hebammen. Das Alter der Einberufenen bewegte sich zwischen weiten 
Grenzen. Die jüngste zählte 27 Jahre und war 1885 ansgebildet, die ältesten, 
die 63 und 65 Jahre zählten, waren 1858 ausgebildet worden; das Durchschnitts¬ 
alter lag in der Mitte der vierziger Jahre. Alten und Jungen gemeinsam war 
bei ihrer Ankunft vor allem eine unverkennbare Scheu, eine ängstliche Spannung, 
was man eigentlich mit ihnen vorhabe. Sie betrachteten die neue Einrichtung 
im wesentlichen als eine disziplinäre und athmeten erleichtert anf, als ihnen bei 
Eröffnung des Kursus eindringlich daigelegt wurde, dass derselbe lediglich zu 
ihrem eigenen und ihrer Pflegebefohlenen Nutzen ungeordnet sei. 

Anf die theoretische Besprechung (resp. das Examen) der ausgewählten 
Kapitel wurden täglich nur 1’/»—2 Stunden verwandt, weitere 2 Stunden täglich 
auf praktische Hebungen in der Schwangemuntersuchung und am Phantom, und 
endlich 1—2 Stunden auf schriftliche Hebungen (Abfassung von Gebnrtsberichten 
und Meldungen, Niederschreiben der Desiufektionsmassregeln u. s. w.) Da¬ 
zwischen wurden die während des Kursus beobachteten Geburten eingehend be¬ 
sprochen, auch einzelne gynäkologische Fälle demonstrirt und je eine gewisse 
Zahl von Hebammen zur Dienstleistung bei den Operationen mit herangezogen. 

Unter den Gegenständen, die theoretisch und praktisch dnrehgenommen 
wurden, stand uaturgemäss die Verhütung der Wochenbettskranklieiten durch 
genatte vorschriftsinässige Desinfektiou in erster Reihe. Der Unterschied zwischen 
einer nur flüchtig gewaschenen und einer sorgfältig desinflzirten Hand wurde 
durch einige Platteukulturversuche den Hebammen demonstrirt! Die 
möglichste Einschränkung der inneren Untersuchung und ihre Er¬ 
setzung durch die äussere Untersuchung wurde zur Vermeidung der Infektions¬ 
gefahr mit besonderem Nachdnick empfohlen. Auch die wichtigen Kapitel über 
Blutungen bei Schwangeren, Kreissenden und Wöchnerinnen, die fehlerhaften 
Kindeslagen, die Erkennung der fieberhaften Erkrankungen durch die Thermo¬ 
meter gelangten zur eingehenden Besprechung. 

Im Grossen und Ganzen liessen sich nach Löhlein die Hebammen nach 
ihren Kenntnissen und ihrer Fortbildungsfähigkeit folgendermassen eintheilen: 
Ein Sechstel genügte allen Anforderungen, die an eine tüchtige Hebamme billiger¬ 
weise gestellt werden können; meist waren es jüngere Hebammen, doch gehörten 
in diese Kategorie auch einige Frauen, die vor 15, 16 und 18 Jahren ausge¬ 
bildet worden waren. Ihnen stand ein anderes Sechstel gegenüber, dem das 
Prädikat: „nahezu oder völlig ungenügend“ zukam. Es waren ursprünglich 
mangelhaft beanlagte Personen, denen das wenige, das sic sich seiner Zeit müh¬ 
sam eingelernt hatten, bald wieder entschwunden war, die aber im Lanfe der 
Jahre auch die Fähigkeit, sich fortznbilden, eingebüsst hatten; cs 
waren zumeist alte Frauen. Zwei Drittel endlich bildeten das Mittelgut: Heb¬ 
ammen, die mässigen Ansprüchen genügten und den guten Willen und im wesent¬ 
lichen auch die Fähigkeit besassen, das, was von dem früher Erlernten ihnen 
entschwunden war, sich wieder anzneignen und wenigstens das Wichtigste des 
Neuerlernten fcstzuhalten. Es verdient umsomehr Beachtung, dass die Majorität 
der eiuberufenen Hebammen zu dieser mittelguten Kategorie gehört, als gerade 
die hierhin gerechneten Hebammen meist unter den schwierigsten äusseren V'er- 



Kleinere Mittheiluuiren nnd Referate an» 2ieitschrirten. 


14.1 


hftltnissen ihr Dasein fristen innssten, wie L 8 h I e i n z. B. hervorhebt, dass mehr 
als die Hälfte (43!) ira Durchschnitt weniger als 20 Geburten im Jahre 
zu leiten hatten, 12 von ihnen erreichten, oder flberschritten nicht einmal die 
l^rchschnittszahl von 10 Geburten im Jahre. Gerade fttr die oben charakteri- 
sirte Mehrzahl der Landhebammen, denen die Vortheile und Anregungen, wie 
sie ans den Hebammenvereinen der Grass* und Mittelstädte resultiren, nicht zu 
Theil werden, muss die Einrichtung der Wiederholnngslchrgänge als eine segens¬ 
reiche erscheinen. 

Die Frage, ob die Dauer der Wiederholnngsgängc nicht viel zu kurz be¬ 
messen sei, ob mau richtiger handele, wenn man nach Ahlfeld’s Vorschläge 
die Frauen alle 5 Jahre zu einem 4wöchentlichen oder nach B. Schultze’s 
Vorschläge „zu einem vierzehntägigen, event. auf 4 Wochen zu verlängernden 
Kursus einziehe“ hält Löh lein noch nicht fttr spruchreif. Auf der einen Seite 
erscheint ja eine auch nur Attchtige Repetition des ganzen Lehrstoffes in einer 
Woche undenkbar und muss man sich bei der kurzen Dauer auf die praktisch 
wichtigsten Kapitel beschränken. Auf der andern Seite werden doch aber auch 
wieder zu grosse Opfer bei einem 4 wöchentlichen Kursus von der Hebamme 
verlang, welche Hausstand und Praxis so lange verlassen muss und wird auch 
sicherlich die Lernfähigkeit und -Freudigkeit gegen Ende des Kursus erheblich 
herabgemindert sein, eine Erfahrung, welche Löhlein schon bei dem 8tägigen 
Kursus machte. Ausserdem werden aber auch die Hebammen und besonders 
diejenigen, denen ein Wiederholuugsknrsns am Nöthigsten ist, sich bei 4 wöchent¬ 
licher Dauer in viel grösserem Massstabe durcli alle erdenkbaren AnsflOchte und 
Entschuldigungen der Einbemfting zu entziehen bestrebt sein. 

Dr. Dütschke-Aurich. 


Nene Gesetzes Vorlagen. 

1. Dem Bnndesrathe ist unter dem 25. Febrnar d. J. nachstehender Ent¬ 
wurf eines Gesetzes betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen nnd 
weinähnlichen Getränken vorgelegt: 

„§. 1. Die nachstehenden Stoffe, nämlich: lösliche Alnminiumsalze (Alann 
tt. dgl.), Baryumverbindnngen, Borsäure, Glycerin, Kermesbeeren, Magnesium- 
verbindungen, Salicylsäure, unreiner (freien Amylalkohol enthaltender) Sprit, un¬ 
reiner (nicht technisch reiner) Stärkezneker, Strontiumverbindungen, Theerfarb- 
stoffe oder Gemische, welche einen dieser Stoffe enthalten, dürfen Wein, weinhaltigen 
oder weinähnlichen Getränken, welche bestimmt sind. Anderen als Nahrungs- oder 
Gennssmittel zu dienen, bei oder nach der Herstellung nicht zugesetzt werden. 

§. 2. Wein, weinhaltige und weinähnliche Getränke, welchen, den Vor¬ 
schriften des § 1 zuwider, einer der dort bczeichneten Stoffe zugesetzt ist, dürfen 
gewerbsmässig weder feUgehalten, noch verkauft werden. 

Dasselbe gilt für Rothwein, dessen Gehalt an Schwefelsäure in einem 
Liter Flüssigkeit mehr beträgt, als sich in 2 g neutralen Schwefelsäuren Kaliums 
vorfindet. Diese Bestimmung findet jedoch auf solche Rothweine nicht Anwendung, 
welche als Dessertweine (Süd-, Süssweine) ausländischen Ursprungs in den Ver¬ 
kehr kommen. 

§. 3. Als VerRUscbnng des Weines im Sinne des §. 10 des Gesetzes, be¬ 
treffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegen¬ 
ständen, vom 14. Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl. S. 145) ist nicht anznsehen: 

1. die anerkannte Kellerbehandlnng einschliesslich der Haltbarmachung des 
Weines, auch wenn dabei Alkohol oder geringe Mengen von mechanisch 
wirkenden Klärungsmitteln (Eiweiss, Gelatine, Hausen blase u. dgl.), von 
Kochsalz, Tannin, Kohlensäure, schwefliger Säure oder daraus entstandener 
Schwefelsäure in den Wein gelangen; jedoch darf die Menge des zugesetzten 
Alkohols bei Weinen, welche als deutsche in den Verkehr kommen, nicht 
mehr als 1 Banmtheil auf 100 Raumtheile Wein betragen; 

2. die Vermischung (Verschnitt) von Wein mit Wein; 

8 . die Entsäuerung mittelst reinen geRlllten kohlensauren Kalks; 

4. der Zusatz von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker, auch in 
wässeriger Lö.sung; jedoch darf durch den Zusatz wässeriger Znckerlösnng 
der Gehalt des Weines an Extraktstoffen und Miueralbestandtheilen nicht 
unter die bei ungeznekertem Wein des Weinbaugebiets, dem der Wein nach 
seiner Benennung entsprechen soll, in der Regel beobachteten Grenzen herab¬ 
gesetzt werden. 



lU 


Klrificir 5lit(li'ünnt;»‘ii und aus Zt'itsciirÜ'hUK 


§. 4. Als Verfölsrhun^ di's Weines im Sinne des §. 10 des Gesetzes vom 
14. Mai 1879 ist insbesondere anzusehen die Herstellung von Wein unter Ver¬ 
wendung 

1. eines Aufgusses von Zuckerwasser auf ganz oder theilwcise ausgepresste 
Trauben; 

2. eines Aufgusses von Zuckerwas.ser auf Weinhefe; 

3. von Rosinen, Korinthen, Saccharin oder anderen als den im §. 3 Nr. 4 be- 
zeichnetcn Süsst(»ffen, jod<ich unbeschadet der Bestimmung im Absatz 3 dieses 
Paragraphen; 

4. von Säuren oder säurehaltigen Körpern oder von Bou(|uettstoflfen; 

5. von Gummi oder anderen Körpern, durch welche der Extraktgchalt erhöht 
wird, jedfKjh unbeschadet der Bestimmungen im §. 3 Nr. 1 und 4. 

Die unter Anwendung eines der vorbezeichneten Verfahren hergestellten 
weinhaltigen und weinähnlichen Getränke dürfen nur unter einer ihre Beschaffen¬ 
heit erkennbar machenden oder einer anderweiten, sie von Wein unterscheiden¬ 
den Bezeichnung (Tresterwein, Hefenwein, Rosiuenwein, Kunstwein oder dgl.) 
feilgehalten oder verkauft werden. 

Der blosse Zusatz von Rosinen zu Most oder Wein gilt nicht als Ver¬ 
fälschung bei Herstellung von solchen Weinen, welche als Dessertweine (Süd-, 
Sllssweine) ausländischen Ursi>rung3 in den Verkehr kommen. 

5 . Die Vorschriften in den §§. 3 und 4 finden auf Schaumwein nicht 
Anwendung. 

§. 6. Die Verwendung von Saccharin und ähnlichen Sttssstoflfen bei der 
Herstellung von Schaumwein oder Obstwein einschliesslich Bcerenobstwein ist als 
Verfälschung im Sinne des S* 19 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 anzusehen. 

§ 7. Mit Gefängniss bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu ein¬ 
tausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 

1 . wer den Vorschriften der 1 oder 2 dieses Gesetzes vorsätzlich zuwider- 
handelt; 

2. wer wissentlich Wein, welcher einen Zusatz der im §. 3 Nr. 4 bezciebneten 
Art erhalten hat, unter Bezeichnungen feilhält oder verkauft, welche die 
Annahme hervorzurufen geeignet sind, dass ein derartiger Zusatz nicht ge¬ 
macht ist. 

§. 8. Ist die in §. 7 Nr. 1 bezeichncte Handlung aus Fahrlässigkeit be¬ 
gangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft ein. 

§. 9. In den Fällen des 7 Nr. 1 und §. 8 kann auf die Einziehung der 
Getränke erkannt werden, welche diesen Vorschriften zuwider hergestellt, ver¬ 
kauft oder feilgehalten sind, ohne Unterschied, ob sie dem Verurtheilten gehören 
oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurtheilung einer bestimmten Person 
nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbstständig erkannt werden. 

§. 10. Die Vorschriften des Gesetzes vom 14. Mai 1879 bleiben unberührt, 
soweit die §§. 3 bis 6 des gegenwärtigen Gesetzes nicht entgegenstehende Be¬ 
stimmungen enthalten. Die Vorschriften in den §§. 16, 17 des Gesetzes vom 
14. Mai 1879 finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des 
gegenwärtigen Gesetzes Anwendung. 

§. 11. Der Bundesrath ist ermächtigt, die Grenzen festzustellen, welche 

a) für die bei der Kellerbehandlung in den Wein gelangenden Mengen 
der im §. 3 Nr, 1 bezeichneten Stoffe, soweit das Gesetz selbst die 
Menge nicht festsetzt, sowie 

b) für die Herabsetzung des Gehalts an Extraktstoffen und Minerall>estand- 
theilen im Falle des §. 3 N. 4 

massgebend sein sollen. 

§. 12. Der Reichskanzler ist ermächtigt, Grundsätze aufzustellen, nach 
welchen die zur Ausführung dieses Gesetzes vom 14. Mai 1879 in Bezug auf 
Wein, weinhaltige und weinähnliche Getränke erforderlichen Untersuchungen 
vorzunehraen sind, 

§. 13. Die Bestimmungen des §. 2 treten erst am 1. 189 in 

Kraft.“ 

Dem Gesetzentwurf sind sehr ausführliche Motive, sowie eingehende, im 
Kaiserlichen Gesundheitsamte ausgearbeitete technische Erläuterungen beigegeben, 
die auch nur auszugsweise mitzutheilen den Rahmen der Zeitschrift über¬ 
schreiten würde. 



Kleinere Mittheilungcu and Referate ana Zeitschriften. 


145 


2. Dem Reichstag ist unterm 29. Februar der nachfolgende Entwurf eines 
Gesetzes über Abänderungen von Bestimmungen des Strafgesetzbuches 
und des Gesetzes vom 5. April betreffend die unter Ausschluss 
der Oeffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen 
zagegangen, durch welchen schärfere Vorschriften gegen die Kuppelei, 
das Zuhälterwesen und die Verbreitung unzüchtiger Schriften einge¬ 
führt und die öffentliche Mittheilung der Gerichtsverhandlungen, bei denen die 
Ocffentlichkeit ausgeschlossen ist, erschwert werden soll. Der Entwarf lautet (die 
voigeschlagenen Aenderungen der betreffenden Paragraphen sind gesperrt gedruckt): 

„Artikel I. Die §§. 180, 181 und 184 des Strafgesetzbuchs werden 
durch folgende Bestimmungen ersetzt: 

§. 180. Wer gewohnheitsmässig oder aus Eigennutz durch seine Ver¬ 
mittelung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht 
Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängniss nicht unter einem 
Monat bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhun- 
dertfttnfzig bis sechstausend Mark, auf Verlust der bürgerlichen 
Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zu¬ 
lässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 

Die VermiethungvonWohnungen an Weibspersonen, welche 
wegen gewerbsmässiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht 
unterstellt sind, ble ibt straflos, wenn sie u nter Beobachtung 
der hierüber erlassenen polizeilichen Vorschriften erfolgt. 

§. 181. Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmässig, noch 
aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, 
wenn 1) um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe ange¬ 
wendet werden, oder 2) der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem 
Verhältniss des Ehemanns zur Ehefrau, von Eltern zu Kindern, von 
Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Geistlichen, Lehrern oder Erziehern zu den 
von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht. Neben der 
Zuchthausstrafe ist der Verlast der büi^crlichen Ehrenrechte aaszusprechen; 
auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis 
sechstausendMark, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 

§. 181 a. Eine männliche Person, welche, ohne im gegebenen Falle einen 
gesetzlichen Anspruch auf Alimentation zu haben, von einer Weibsperson, die 
gewerbsmässige Unzucht treibt, ganz oder theilweise den Lebensunterhalt bezieht, 
oder welche einer solchen Weibsperson gewohnheitsmässig oder aus Eigennutz 
in Bezug auf die Ausübung des unzüchtigen Gewerbes Schatz gewährt oder 
sonst förderlich ist, wird wegen Zubälterei mit Gefängniss nicht unter einem 
Monat bestraft. Die Bestimmung des §. 180, Absatz 2 findet auch hier An¬ 
wendung. Ist der Zuhälter der Ehemann der Weibsperson, oder hat der Zuhälter 
die Weibsperson unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen zur Ausübung 
des unzüchtigen Gewerbes angehalten, so tritt Gefängniss nicht unter einem 
Jahr ein. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren¬ 
rechte, auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht, sowie auf Ueberweisung an die 
Landes-Polizeibehörde mit den im §. 362 Absatz 2 und 3 vorgesehenen Folgen 
erkannt werden. 

§. 184. Wer unzüchtige Schriften, Abbildungen o<ler Darstellungen feil¬ 
hält, verkauft, vertheilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, aus¬ 
stellt oder anschlägt, oder sonst verbreitet, wer sie zur Verbreitung her¬ 
stellt, oder zum Zweck der Verbreitung im Besitz hat, ankün¬ 
digt oder anpreist, oder wer durch Ankündigung in Druck¬ 
schriften unzüchtige Verbindungen einzuleitcn sucht, in¬ 
gleichen wer an öffentlichen Strassen oder Plätzen Abbil¬ 
dungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, welche, 
ohne unzüchtig zu sein, durch gröbliche Verletzung des Scham- 
und Sittlichkeitsgefühls Aergerniss zu erregen geeignet sind, 
wird mit Gefängniss bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe 
biszu sechshundert Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. 

Ist die Handlang gewerbsmässig begangen, so tritt Ge- 
fängnissstrafe nicht unter drei Monaten ein, neben welcher 
auf Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, auf Verlust 
der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von 
Polizeiaufsicht erkannt werden kann. Die Strafen desAbsatzl 



146 Elcinee Mittheilangn and Referate aus Zeitschriften. 

treffen auch denjenigen, welcher aus Gerichtsverhandlungen, 
für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit 
ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu 
Grande liegenden amtlichen Schriftstücken öffentliche Mit« 
theilungen macht, welche geeignet sind, Aergerniss zu erregen. 

Artikel 11. Hinter §. 16 des Strafgesetzbuches wird folgender neue 
§. 16a eingestellt, und §. 362 erhält folgende Fassung: 

§. 16 a. Bei der Vemrtheilung zu Zuchthaus- oder Gefängnissstrafe kann, 
wenn die That von besonderer Bohheit oder Sittenlosigkeit des Thäters zeugt, 
auf Verschärfung der Strafe bis auf die Dauer der ersten sechs Wochen erkannt 
werden. Die Verschärfung der Strafe besteht darin, dass der Verurtheilte eine 
harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und Brod erhält. Die Verschärfungen 
können einzeln oder vereinigt angeordnet werden und kommen an jedem dritten 
Tage in Wegfall. Auch kann auf eine mildere Vollstreckungsweise erkannt 
werden. Die Strafverschärfungen sind auszusetzen, wenn und so lange der 
küi‘i)erlicbe Zustand des Verurtheilten den Vollzug nicht zulässt. 

§. 362. Die nach Vorschrift des §. 361 No. 3 bis 8 Verurtheilten können 
zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessen sind, 
innerhalb und, sofern sie von anderen freien Arbeiten getrennt gehalten werden, 
auch ausserhalb der Strafanstalt angehaltcn werden. Bei der Verurtheilung zur 
Haft kann zugleich auf die im §. 16a vorgesehenen Strafverschär¬ 
fungen sowie darauf erkannt werden, dass die verurtheilte Person nach 
verbüsster Strafe der Landes• Polizeibehörde zu überweisen sei. Durch die 
Ueberweisung erhält die Landes-Polizeibehörde die Befugniss, die ver¬ 
urtheilte Person entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringeu 
oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle des §. 361 No. 4 ist 
dieses jedoch nur dann zulässig, wenn der Verurtheilte in den letzten drei Jahren 
wegen dieser Uebertretuug mehrmals rechtskräftig verurtheilt worden ist, oder 
wenn derselbe unter Drohungen oder mit Waffen gebettelt hat. Im Falle 
des §. 361 No. 6 kann die Landes-Polizeibehörde die verurtheilte 
Person statt in ein Arbeitshaus in eine Besserungs- oder Er¬ 
ziehungsanstalt, oder in ein Asyl unterbringen. Ist gegen einen Aus¬ 
länder auf Ueberweisung an die Landes-Polizeibehörde erkannt, so kann au Stelle 
der Unterbringung in ein Arbeitshaus Verweisung aus dem Bundesgebiet eintreten. 

Artikel III. Dem §. 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der durch 
das Gesetz vom 5. April 1888 festgestellten Fassung wird als Abs. 2 binzugefügt; 

Soweit die Oeffentlichkeit nicht ausgeschlossen wurde, 
kann, falls eine Gefährdung der Sittlichkeit zu besorgen ist, 
durch Beschluss die öffentliche Mittheilung aus den Verhand¬ 
lungen oder aus einzelnen Theilen derselben untersagt werden. 

Artikel IV. Artikel 11 des Gesetzes, betreffend die unter Ausschluss 
der Oeffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen, vom 5. April 1888, 
erhält folgende Fassung: Wer die nach den §§. 173 Absatz 2 und 175 Absatz 2 
des Gerichtsverfassungsgesetzes ihm auferlegte Pflicht durch unbefugte Mit¬ 
theilung verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft 
oder mit Gefaugniss bis zu sechs Monaten bestraft.“ 

In der Begründung heisst es: 

„Der kürzlich vor einem Berliner Schwurgericht verhandelte Mordprozess 
gegen die Heinze’schen Eheleute hat verbreitete Missstände hervortreten lassen, 
welchen trotz der Anstrengungen der betheiligten Behörden auf Grund der bis¬ 
herigen Gesetze nicht hinlänglich gesteuert werden kann, und welche daher eine 
Abänderung und Ergänzung der letzteren erforderlich erscheinen lassen. Zu 
jenen Missständen gehört das Unwesen der sogenannten „Zuhälter“, dessen Um¬ 
fang und Gemeingefährlichkeit in dem bezeichneteu Prozesse besonders auffällig 
geworden ist. Ferner ist hierher zu rechnen die gegenwärtige Erscheinungsform 
der Prostitution, welche durch die Zerstreuung der Prostituirten über den ganzen 
Bereich grosser Städte die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt, die Ordnung 
und Sittlichkeit in den Strassen und an öffentlichen Orten empfindlich beein¬ 
trächtigt, die polizeiliche Beaufsichtigung erschwert und das Zuhälterthum her¬ 
vorruft und befördert. Im Zusammenhänge mit diesen Erscheinungen steht der 
immer mehr sich ausbreitende Vertrieb unzüchtiger Schriften, Bildwerke und 
Darstellungen, welcher, aus verwerflichem Eigennutz entspringend, die erheb¬ 
lichen sittlichen Schäden vor allem der heranwachsenden Jugend, aber auch dem 



feinere lüttheilnogen und l^ferate ans ^itschriften. 147 

Volksleben im Allgemeinen znfttgt. Der vorliegende Gesetzentwurf beabsichtigt 
daher, durch Abänderung und Ergänzung der einschlägigen Bestimmungen des 
Strafgesetzbuchs in erster Linie eine Einschränkung und erfolgreichere Beauf¬ 
sichtigung der Prostitution sowie ein wirksames Einschreiten gegen Kuppler 
und Zuhälter zu ermöglichen. Weil aber dieser Erfolg nur unvollkommen er¬ 
reicht werden würde, wenn sich nicht die zu verhängenden, der Mehrzahl nach 
kürzeren Freiheitsstrafen empfindlicher gestalten, als dies gegenwärtig der Fall 
ist, so hat der Entwurf auch eine Vorschrift über Schärfung gewisser Freiheits- 
striafen vorgesehen. Die wiederholte Erfahrung endlich, dass Gerichtsverhand¬ 
lungen sittUch anstössigen Inhalts in Folge unterlassenen Ausschlusses der 
Oeffentlichkeit mit ihren widerwärtigen Einzelheiten in der Tagespresse wieder¬ 
gegeben worden sind, hat darauf Bedacht nehmen lassen, die einschlägigen Be¬ 
stimmungen des Gerichtsverfassnngsgesetzes über Ausschliessung der OeffentUch- 
keit zweckentsprechend zu ergänzen." 


Die Apothekenfirage im Reichstage. Der von den sozialdemokrati¬ 
schen Abgeoi^eten Auer und Genossen gestellte Antrag auf Verstaat¬ 
lichung des Apothekenwesens kam in der Reichstagssitzung vom 2. März 
d. J. zur Verhandlung. Die Begründung des Antrages hatte der Abgeordnete 
Bebel übernommen, der zunächst darauf hinwies, dass durch die beantrage 
Uebemahme der Verwaltung und des Eigenthnms der Apotheken durch das Reich 
dieses kein materielles Geschäft machen solle, sondern der Antrag nur im Interesse 
der Gesammtheit, besonders des kranken Theils der Bevölkerung gestellt sei. 
Die Missstände des jetzigen Eonzessionssystems, die kolossale Preissteigerung 
der Apotheken wurden von ihm an der Hand von Beispielen beleuchtet und 
durch Gegenüberstellung der Einkaufs- und Verkaufspreise von Arzneimitteln 
der Beweis für eine ungerechtfertigte Vertheuemng der Arzneien zu bringen 
versucht. Um grössere Reinerträge zu erzielen, würden ausserdem Gehülfen und 
Lehrlinge seitens der Apotheken - Besitzer in der unverantwortlichsten Weise 
ausgenutzt, mehrfach seien Fälle von Vergiftungen auf Verwechselungen zuiück- 
zuf^ren, die überlastete Gehülfen verschuldet hätten. Durch die Verstaat¬ 
lichung des Apothekenwesens würde auch der Geheimmittelschwindel am schnellsten 
und sichersten beseitigt, da dieser besonders von den Apotheken begünstigt werde. 

Gegen alle diese Vorwürfe wurde der Apothekerstand von den Abgeord¬ 
neten Witte und Menzer energisch in Schatz genommen, während der Abge¬ 
ordnete Wurm seinem Fraktionsgenossen sekundirte. Die erstgenannten Abge¬ 
ordneten betonten besonders, dass die Arzneien in keinem Lande billiger als in 
Deutschland seien und der deutsche Apothekerstand in Bezug auf wissenschaft- 
lidie Tüchtigkeit, Zuverlässigkeit und Pflichttreue als der erste auch im Aus¬ 
lande anerkannt werde. Eine reichsgesetzliche Regelung des Apothekenwesens 
sei allerdings dringend nothwendig und wenn Missstände in dem letzteren be¬ 
ständen, so seien sie lediglich daraiH zurttckzuführen, dass diese Regelung seitens 
der Regierung seit Jahren versprochen, aber bis jetzt noch immer nicht zur 
Ausführung gekommen sei. Durch Verstaatlichung des Apothekenwesens würden 
aber etwaige Misstände am wenigsten beseitigt und bitten beide Redner daher, den 
Antrag abzulehnen. 

Auch von Seiten der Staatsregierang wurde die Undurchführbarkeit und 
Aussichtslosigkeit des gestellten Antrages betont. Die betreffende Erklärung 
des Staatssekretärs von Boetticher lautete wörtlich, wie folgt: 

„Ich will mich auf die merita causae des weiteren nicht einlassen, sondern 
will nur darauf hinweisen, dass die verbündeten Regierungen, wie dies ja auch 
Herr Abg. Bebel hervorgehoben bat, bereits im Jahre 1877 mit der Frage der 
Regelung des Apothekenwesens eingehend sich beschäftigt haben. Damals waren 
von Seiten der Reichsverwaltung dem Bandesrath zwei verschiedene Gesetz¬ 
entwürfe vorgelegt, von denen der eine die Regelung des Apothekenwesens auf 
der Grundlage der persönlichen Konzessionirung und der andere auf Grundlage 
einer sog. Realkonzession in Aussicht nahm. Diese Gesetzentwürfe erregten sehr 
lebhafte Meinungsverschiedenheiten, und es gelang nicht, sich über eins der beiden 
vorgeschlagenen Prinzipien zu verständigen. Der Erfolg der Berathung war 
vielmehr der, dass der Bandesrath beschloss, von einer einheitlichen Regulirung 
der Frage durch ein Reichsgesetz Abstand zu nehmen. 

Inzwischen ist die Sache wiederholt zur Erörterung gebracht worden, und 
es ist insbesondere von Seiten der Roichsverwaltuiig im Jahre 1888 an die 



148 


Tagesnachrichten. 


Königlich prenssische Regierung, welche damals ihrerseits die lebhaftesten £e* 
denken hatte, sich den Vorschlägen der Reichsrcgicrung anzuschliessen, die An¬ 
regung gegeben, von neuem die Frage anfzunehmen und, wenn möglich, mit 
Vorscblägen hervorzutreten, welche eine Abhilfe gegen die allseitig anerkannten 
Uebelstände auf dem Gebiete des Apothekenwesens zu schaffen vermöchten. Die 
preussische Regierung bat sich auch mit der Materie beschäftigt, aber auch in 
ihrem Schoosse giebt es Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiete, die bisher 
noch nicht zum Austrag gebracht worden sind. Inzwischen habe ich alle Ver¬ 
anlassung zu der Annahme, dass endlich doch einmal, und zwar in nicht za 
ferner Zeit eine Beseitigung dieser Meinungsverschiedenheiten und Schwierig¬ 
keiten möglich werden wird, und ich glaube, die Hoffnung anssprechen zu dürfen, 
dass es jedenfalls nicht mehr so lange dauern wird, wie es bisher gedauert hat, 
bis wir mit einem Gesetzesvorschlag über die Regelung des Apothekenwesens 
hervortreten werden. Ich sollte glauben, dass es dann doch auch für den Reichs¬ 
tag an der Zeit sein wird, den Gedanken, der in dem Anträge der Herren Abgg. 
Auer und Genossen enthalten ist, dem Gedanken der Verstaatlichung des 
Apothekenwesens von Seiten des Reichs die volle Würdigung angedeihen zu lassen. 
Sollten Sie jetzt den vorliegenden Antrag annehmen, und sollten Sie damit einen 
neuen Gedanken zur Erörterung im Bundesrath bringen, so würde ich der Meinung 
sein, wenn ich auch über das Ergebniss der Würdigung dieses Gedankens im 
Bundesrath keineswegs im Zweifel bin, dass Sie damit die Schwierigkeiten nicht 
vermindern, sondern eher vermehren würden. 

Meine Herren, ich halte die Verstaatlichung des Apothekenwesens in dem 
Sinne, dass das Reich die Verwaltung der Apotheken oder auch nnr die Beauf- 
sichtigang der verstaatlichten Apotheken übernimmt, für kaum durchführbar. 
Dazu müssten wir Organisationen schaffen, die sehr weit umfassend sind, über 
die wir jetzt nicht gebieten, und die einzuführen ich dem Reich nicht rathen 
würde. Also ich glaube, wir lassen jetzt diesen Gedanken bei Seite. Sie können 
ihn ja wieder aufnehmen, wenn die Frage wegen Regelung des Apothekenwesens 
demnächst den Reichstag beschäftigen wird. Ich meinerseits verspreche Ihnen, 
dass ich mich bemühen werde, die Vorlage eines Gesetzentwurfs an den Bandes¬ 
rath und den Reichstag zu beschleunigen. Mehr kann ich für heute nicht sagen." 

Eine Abstimmung über den Antrag konnte wegen BeschlassunRlhigkeit 
des Hauses nicht stattfinden, sonst wäre sicherlich seine Ablehnung mit grosser 
Majorität erfolgt. _ 


Tagesnachrichten. 

Die im Juli und August in Mühlrädlitz und Umgegend anfgetretene 
Trichinosen-Epidemie (vergl. Nr. 17 n. 18 d. Zeitschr,, Jahrg. 1891) kam am 
24. Februar d. J. vor der Strafkammer des Königlichen Landgerichts zu Liegnitz 
zur Verhandlung. Angeklagt war der Fleischbeschauer Franke in Mühlrädlitz, 
durch fahrlässige Ausführung seines Amtes den Tod von 6 Personen und die Er¬ 
krankung von mindestens 3U Personen verschuldet zu haben, indem er die ihm 
von dem Fleischcrmeister Seiffert übergebenen Schweine nicht genügend und 
zuverlässig untersucht und diese daun für trichinenfrei erklärt habe. Dieser 
Anschuldigung widersprach der Angeklagte, musste aber zageben, den bestehenden 
Vorschriften zuwider die Augenmuskeln der Schweine nicht untersucht zu haben, 
da die Muskeltheile schwer zu finden seien und im Sommer auch auf besonderen 
Wunsch der Fleischer die Untersuchung der Zwischenrippenmuskeln unterlassen 
zu haben. Ausserdem wurde festgestellt, dass der Angeklagte die von den be¬ 
treffenden Schweinen entnommenen Fleischproben nicht an Ort und Stelle, son¬ 
dern zu Hause untersucht hatte. Die Beweisaufnahme hatte ferner ergeben, 
dass die erkrankten Personen schon nach dem Genuss ganz geringer Quantitäten 
des betreffenden Schweinefleisches und der daraus angefertigten Cervelatwurst 
erkrankt waren. In Folge dessen erklärten die beiden Sachverständigen, Kreis- 
physikus Dr. Leo-Lüben und Kreiswundarzt Dr. Lustig-Liegnitz überein¬ 
stimmend, dass das Schweinefleisch im vorliegendem Falle in so hohem Masse 
mit Trichinen durchsetzt gewesen, dass diese in den zur Untersuchung voige- 
schriebenen Muskeltheilen hätten gefunden werden müssen. 

Dar Angeklagte wurde der fahrlässigen Tödtung bezw. Körperverletzung 
schuldig befunden und zu einem Jahr Gefängniss verurtheilt. 
_ (Niederschlesischer Anzeiger Nr. 48.) _ 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden L W. 

J, C. C. Bruns, Buchdruckerci, Minden. 



5. Jahrg. 


Zeitschrift 

fiir 


1892. 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichÜ.Sta(Uphysikus inBerlin. Reg.* und Medizinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die dnrchlanfende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Yerla^handlang and Rad. Moste 

entgegen. 


No. 7. 


Kraelieiiit am 1. und 15. Jeden Monate. 
Preis J&hrlloh 10 Mark. 


1. April. 


Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie in den 
Jahren 1890 und 1891. 

Von Dr. Langerhans, Kreisphysikus in HankensbUttel. 

(Fortsetzung und Schluss.) 

Wenden wir uns nun zur Besprechung der einzelnen 
Infektionskrankheiten und zwar zunächst zur Cholera. 

In England und in Indien findet die in Deutschland wohl so gut, 
wie gar nicht vertretene autochthonistische Theorie, welche den 
Koch’schen Cholera-Bacillus als Krankheitserreger nicht gelten 
lassen will, noch immer eifi-ige Anhänger. Namentlich Cunningham 
in Kalkutta ist unermüdlich in Bekämpfung der Koch’schen kon- 
tagionistisch-bakteriologischen Theorie. Ausser einer auch in dieser 
Zeitschrift besprochenen Studie über Milch als Nährmedium für 
den KommabacUlus, hat er eine grössere Arbeit veröffentlicht, in 
welcher er zu beweisen sucht, dass der Koch’sehe Bacillus weder 
der einzige, noch der häufigste der Kommabazillen sei, welche im 
Darm von Choleraleichen zu finden seien. Er nimmt an, dass ver¬ 
schiedene Arten von Kommabazillen regelmässige Bewohner des 
Darms seien und während der Krankheit besonders günstige 
Wachsthumsbedingungen landen, so dass bald die eine, bald die 
andere Art, zuweilen auch mehrere gleichzeitig zum Gedeihen 
kämen. Die Phothogramme der 8 von ihm aus Chöleraleichen ge¬ 
züchteten Kommabazillen, welche allerdings sehr bedeutende Ver¬ 
schiedenheiten aufweisen, hat Klein auf dem Londoner hygieni¬ 
schen Kongress demonstrirt, ohne indessen die Vertreter der ent¬ 
gegengesetzten Ansicht überzeugen zu können. Namentlich war 
es Gruber, der diese Abweichungen als etwas längst Bekanntes, 
innerhalb der Breite physiologischer Wachsthumsverschiedenheiten 
Liegendes hinstellte. — 






150 


Dr. Laug'erhan>. 


Auf (leiiiselbeii Koiijrruss lu'ult «laiin 11 ii p pe einen sehr inter¬ 
essanten und wichtJofen Vortrac, in welchem ei* die Resultate seiner 
(dioleraforschungen niittheilte. Er hat den K o e h ‘ sc.lien Bacillus 
im Inneren von steiilisirten Hüliiiereiern zum Wachstimm g-ebracht 
und bei diesem anaeroben Wachstimm, welches den natürlichen 
Verhältnissen im Darm mehr entsja-echeii soll, eine ganz bedeutende 
Steigeruiijg der Giftigkeit des Bacillus eireicht. Dei selbe entwickelte 
unter diesen Umständen ein Toxin, welches die Versuchsthiere 
schnell und sicher tödtete. Dagegen sind diese anaerob gezüchte¬ 
ten Bazillen zunächst überaus emj)tindlich. namentlich gegen Säure¬ 
wirkung; sie nehmen aber, sobald sie sicli bei Sauerstottänwesen- 
heit vermehren können, sofort wieder eine grössere Widerstands- 
fähigkeitan, bei gleichzeitiger Aliscüiwäclmng der Giltigkeit. Hüppe 
will dadurch erkläieii, warum die Ansteckung durch direkte In¬ 
fektion mit Choleradejektioneii so selten sei. Die Bazillen, wie sie 
in den frisclien Entleerungen enthalten seien, seien eben anaerob 
gewachsen und in Eolge dessen so em|ȟndlich, dass sie vom Magen 
sofort vernichtet würden. Hätten sie abei- (Tclegenheit, sich ausser¬ 
halb, etwa im Boden, odei- auf feuchter Wäsclie u. s. w. zu ver¬ 
mehren, dann nähmen sie die widerstandsfähigere Form an. in 
welcher sie Säureeinwirkung und Eintrocknen — entgegen der An¬ 
sicht von K (i c li — vertragen könnten. .Ta sie könnten in diesem 
Zustande ohne Einbusse an ihrer Lebenskraft verstäuben und in 
die Luft verweht werden, in diesem Zustande in den Mund ge¬ 
langen und durch Verschlucken dii^ Infektion veranlassen! — Die 
namentlich von v.Petteiikofer behauptete Abhängigkeit derCholera- 
frequenz vom Steigen und Fallen des Grundwassers denkt sich 
Hüppe so, dass die Bazillen im aeroben Zustande, also im luft¬ 
haltigen Boden, wohl zu leben und sich zu vermehren vermöchten, 
dass sie dagegen, wenn das steigende Giamdwasser die Poren des 
Bodens anfüllte, anaerob zu leben gezwungen würden und dann ihrer 
grossen Zaitheit wegen schnell zu (Lunde gingen. Hüppe nimmt 
somit eine vermittelnde Stellung ein zwischen dem rein miasmati¬ 
schen Stamlpnnktv. 1’ettenkofei‘s und dem rein kontagionistischen 
Kochs. Von v.Petteiikofer scheidet ihn namentlich auch das 
Gewicht, welches er auf die sofortige und gründliche Desinfi- 
zirung dm’ frischen Entleerungen legt und seiner Theorie nach legen 
muss. 

Mit dem Verhalten des ('holerabacJllus in lieerdigteii Leichen 
(von Meerschweinchen) beschäftigen sich Versuche, welche vom 
Reichs-Gesundheitsamt 5 .Jahre hindurch auf der fiskalischen 
Abdeckerei in Berlin fortgesetzt wurden und welche beweisen, dass 
die Bazillen in den (:iräl)ern recht schnell (in 18 'ragen) zu Grunde 
gehen. Zugestanden selbst, dass der (Trösse der Leichen ent¬ 
sprechend die Verwesung und die Veiiiichtung der Bazillen in 
menschlichen Gräbern in etwas langsamerem Tempo vor sich gehen 
mag, so kann es sich doch immer nur um wenige Wochen handeln 
uml es muss sehr auttällend erscheinen, wenn Avellano (Vortrag 
auf dem Berliner Kongress) eine umfangreiche Epidemie, die IBS.'J 
in Mexico gewüthet hat, durch das Aiifgraben eines alten Kirch- 



FAÜclJilirk iUilMi« Knrtx’liriML* «i<‘r IkikterioltJ^it* in <1 imi .lalin n ISIMI n. 1,M 


Iiofes. iiiif (Ipin Vor vi(-l<-ii .Inhivii (■liolcraleichon heerdio't. sein 
sollen, orklai'oii will! — 

l)ii‘ 'l’y pliiisli toi'a I u r ist in il<*n beiden Jaiii’en. über welche 
sicli mein Bericlit er>treckt. wieder eine sehr nnil'an<rreiclie g'e- 
w'ej^en. Ks sind eine Ibiniasse Platten frej^ossen worden und zahl¬ 
reiche Tabellen leeren Zeiiitniss ab von dein «rewissenhal'ten Fleiss 
der Untersnchei'. die, darin ihre Kesnltate iiiedercrelejrt haben. Wir 
sind trotzdem nicht viel \veiter gr<‘kommen; mit der Vertietün«' 
unserer Kenntnisse haben sich neue unfreahnte Schwierifrkeiten 
^ezeio’t und der praktische Ilyerieniker ist leider nur zu selten in 
der Latfe. unsere Wissenschaft vom Typhus-Bacillus und seinen 
Lebeiisbedinpriinjren verweidhrni zu können. Ist es doch so schwierior, 
seiner mit Bestimmtheit habhaft zu werden, selbst da, wo die epi- 
demioloydschen Verhältnisse keinen Zweifel lassen, dass er in dem 
verdächtigren Wasser, in der Abtrittscrube, auf dem feuchten, schmie- 
ri<ren Hole u. s. vv. vorhanden sein muss. Typhus-ähnliche Bakterien 
wird man oft finden, wie alnn- will man mit Bestimmtheit safren. 
ob es wirklich Typhnsbakterien sind? Denn trotz aller, selbst 
neuerdings wiederlndter ent'reg-enbesetzter Angaben (Cygnaeus) 
haben sich 'l'hiere unempfänglich geztdgt gegen Typhusimpfung, 
so dass das einzig entscheidende Kriterium uns im Stich lässt. 
Ja, wenn noch im Jahre 18(S7 Kränkel in seinem bekannten Leit¬ 
faden sagen konnte, dass das Wachsthum auf der Kaidotfel den 
Typhus-Bacillus jederzeit mit Sicherheit unterscheiden liesse. da 
kein anderes Bakterium ein derartiges unsichtbares Wachsthum 
zeige, so hat sich das in der Folge als trügerisch erwiesen und 
Koch geht bekanntlich soweit, dass er auf dem Berliner Kongress 
in seinem berühmten Vortrage es geradezu für unmöglich erklärte, 
aus dem Boden, dem Wasser oder dergl. den Typhus-Bacillus mit 
Sicherheit zu isoliren! Die Kartoffelkultur kann als unterscheiden¬ 
des Merkmal nicht mehr gelten; denn sorgfältige Untersuchungen 
zeigten, dass der echte Tyi)hus-Bacillus häutig Abweichungen von 
dem typischen unsichtbaren Wachsthum zeigt, dass aber auch 
andei'e Bakteriell genau in derselben Weise w^achsen können. Ver¬ 
schiedenheiten in Art, Alter und Beaktion der verwendeten Kar¬ 
toffeln scheinen bei diesen Frscheinungen eine wuchtige Bolle zu 
spielen und, um unliebsame Irrthümer zu vermeiden, wird man 
jederzeit Kontrole-Kulturen von unzweifelhaft echten (aus der Milz 
gezüchteten) Typhusbazillen auf genau entsprechendmi Kartoffeln 
anlegen müssen. Uebrigens sidieint es. als ob der Typhus-Bacillus, 
wie es nach seinem epidemiologischen Verhalten gar niidit anders 
zu erwarten war, eine gewusse Variabilität besitzt, wudche sich 
auch in Verscldedenheiten des Wachsthums aut unseren Nährböden 
kennzeichnet. Freilich braucht man darin nicht sowudt zu gehen, 
wie Babes, der eine ganze Beihe von Aliarten des Typhus-Bacillus 
annimmt, w'elche mit diesem gleichzeitig den Mmischen intiziren 
und ihn in seiner Thätigkeit unterstützmi sollen, 

Uebrigens haben uns die letzten Jahi’e verschiedene. l\Iethoden 
gelehrt, welche, wenn auch nur im Bunde mit den länger bekannten 
und auch nur bis zu einer gewissen, an Bestimmtheit mehr oder 



152 


Dr. Langerhans. 

weniger angrenzenden Wahrscheinlichkeit, die Diagnose auf Typhus- 
‘Bacillus zu stellen gestatten. Werthvoll ist vor Allem die Löff¬ 
ler’sehe Geisselfärbung, die den Typhus-Bacillus allseitig, dicht, 
wie eine Cylinderbürste besetzt, mit spiralig gewundenen Geissein 
erscheinen lässt, eine Erscheinung, so charakteristisch, wie sie sich 
wohl nur selten finden dürfte. Zweifelhaft ist dagegen, ob die 
Alkalimenge, die man der Beize zuzusetzen hat, um eine gute 
Färbung zu erzielen, dilferentialdiagnostisch zu verwerthen ist, da 
das Eintreten einer guten Färbung auch noch durch andere Mo¬ 
mente bedingt wird. Wichtig ist ferner die von Kitasato fest¬ 
gestellte und durch die einfache Reaktion der Rothfarbung mit 
salpetriger Säure leicht festzustellende Eigenthümlichkeit, dass die 
Typhus-ähnlichen Bakterien Indol bilden, während dies beim echten 
Typhus-Bacillus nicht der Fall ist. Auch die von Gasser ent¬ 
deckte Eigenschaft, in Strichkulturen auf fuchsingefarbten Nähr¬ 
böden alles Fuclisin unter Entfärbung des Nährbodens im Impf¬ 
strich anzusammeln, kann als Hülfsmoment, aber auch nur als 
solches, bei der Differentialdiagnose Verwendung finden, ebenso wie 
die in Lakmus-Molke durch Rothfarbung nachweisbare Säurebildung. 
Auf jeden Fall ist die sichere Diagnose mit Schwierigkeiten ver¬ 
knüpft, welche geradezu unüberwindlich werden können, wenn das 
zu untersuchende Medium daneben noch zahlreiche andere, nament¬ 
lich verflüssigende Keime enthält, oder wenn die Keime sehr ver¬ 
einzelt in einer sehr gi-ossen Wassermenge suspendirt sind. Für 
den letzteren Fall mag das von Finkelnburg mit Hülfe eines 
kleinen Apparates ausgeführte Sedimentiruugsverfahren oder die 
hochmoderne Centrifuge gelegentlich mit Erfolg Verwendung finden; 
vielleicht dürfte auch die geistreiche Idee Ali Cohen’s praktisch 
brauchbar sein, der die Chemotaxis, die anlockende Kraft rohen 
Kartoffelsaftes auf die beweglichen Tyi)hus-Bazillen verwerthen will, 
um dieselben aus einem Bakterieugemisch in Glaskapillaren hin¬ 
einzulocken. Andere, namentlich von Frankreich aus empfohlene 
Methoden beabsichtigen, durch höhere Wärme (42—45”), als dem 
Gedeihen der gewölinlichen Wasserbakterien zuträglich ist, oder 
durch Zusatz von Chemikalien das Wachsthum anderer Bakterien 
zu unterdrücken. Doch ist die Zuverlässigkeit dieser Methoden 
noch nicht hinlänglich geprüft; namentlich scheint der Karbolzusatz, 
da es sich häufig nicht um vollkräftige, sondern um abgeschwächte 
oder schon absterbende Typhus-Bazillen handeln dürfte, bedenklich. 
Einen entschiedenen, aiudi für die Praxis des Medizinalbeamten 
bedeutsamen Fortschritt bedeutet dagegen die von Holz empfohlene 
Kartoffelgelatine. Die Herstellung und Verwendung ist leicht und 
einfach, das Wachsthum der Typhus - Bazillen üppig imd recht 
charakteristisch, die Entwicklung anderer Bakterien auf dem sauren 
Nährboden sehr gering. Da die Zuverlässigkeit des Verfahrens 
durch zahlreiche Versuche in Löfflers Laboratorium und durch 
ein positives Resultat, welches Jäger gelegentlich einer Kasernen¬ 
epidemie bei Ulm erzielte, erprobt ist, wird man von der Holz- 
scheu Methode in erster Linie Gebrauch zu machen haben, wenn 



Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie in den Jahren 1890 u. 1891. 158 


man Gelegenheit, Lust und Zeit haben sollte, auf Typhus-Bazillen 
zu fahnden.*) — 

Die Methoden, den Typhus-Bacillus aus dem Typhuskranken 
bei Lebzeiten desselben zu erhalten, besprach Gross-Krakau auf 
dem Berliner Kongress. Die Züchtung aus dem Blute der Finger¬ 
spitzen und der Roseolen misslang ihm regelmässig und er spricht 
sich, wohl mit Recht, über entgegengesetzte Berichte von positiven 
Befunden etwas skeptisch aus. Aus dein Urin konnte Gross ein¬ 
mal den Typhus-Bacillus züchten, wähi'end ihm dies aus den Fäces 
nicht glücken wollte. Aus dem Milzblut erhielt er jedesmal, wo 
es ihm gelang, eine genügende Menge Blut mit der Pravaz-Spritze 
zu aspiriren, ein positives Resultat. In 2 Fällen, welche von den 
9 punktirten nachträglich zur Sektion kamen, fand sich der Stich¬ 
kanal angefüllt mit Typhus-Bazillen, welche ihre spezifische Wir¬ 
kung, die neki’otisirende Entzündung, in reichem Maasse ausgeübt 
hatten. Gross sieht diese beiden Fälle als einen werthvollen 
Beweis an, dass der Typhus-Bacillus in der That der Erreger der 
typhösen Prozesse sei. Er zieht aber, eingedenk des: Piimum, ne 
noceat! die Konsequenzen auch insofern, als er auf die ernsten 
Gefahren hinweist, welche auch eine vollkommen aseptische Milz¬ 
punktion wegen der erwiesenen Möglichkeit, im Stichkanal neue 
typhöse Heerde zu erzeugen, mit sich bringt. 

Karlinski (in Konjica-Herzegowina) fand unter 44 Typhus¬ 
fällen 21 mal Typhus-Bazillen im Urin, ein Befund, der den Hygieni¬ 
ker veranlassen würde, auch der Desinfektion des Urins grosse 
Bedeutung beizulegen. Demselben Verfasser verdanken wir sorg¬ 
fältige Untersuchungen über das Verhalten von Typhus-Bazillen in 
Zisternen, Abtrittsgruben und im Boden. Er will unter Anderem 
festgestellt haben, dass selbst enorme Mengen von Typhusst^en, 
in Zisternen geschüttet, in sehr kurzer Zeit durch die Thätigkeit 
der Saprophj'ten von den Typhus-Bazillen vollständig befreit seien. 
Man wird übrigens gut thun, derartige, trotz der grossen Sorgfalt, 
mit der Karlinski die natürlichen Verhältnisse zu kopiren ver¬ 
suchte, doch immer etwas gekünstelte Versuche, namentlich mit 
Rücksicht auf die entgegengesetzten Resultate, zu denen z. B. 
Holz gelangte, mit einer gewissen Reserve anzunehmen. 

Was aber auf jeden Fall feststeht, ist die Schwierigkeit, zu 
einem in sich abgeschlossenen, durch eine ausreichend grosse Reihe 
Einzelbeobachtungen bekräftigten Bilde von der Aetiologie und Epi¬ 
demiologie des Typhus, von der Art der Verbreitung des Bacillus 
in der freien Natur, von der Verschleppung desselben und von der 
Weise, wie die Infektion vor sich geht, zu gelangen imd es ist 
im Interesse der Sache sehr bedauerlich, dass den Medizinalbeamten, 
die den epidemiologischen Theil zu übersehen am Besten im Sta.nde 
sind, die Anwendung der bakteriologischen Methoden durch ihre 
unglückliche Stellung so gut, wie unmöglich gemacht wfrd. — 

Von grösster Bedeutung sind die Fortschritte, welche unsere 

lieber eine mir erst während des Druckes bekannt gewordene, angeb¬ 
lich sehr zu verlässige Methode Uffelmann’s, welcher die Qelatine mit Citronen- 
säure versetzt und mit Anilinfarben filrbt, fehlen mir eigene Erfahrungen. 



V}i Dr. Lan^'c'rliao?. 

Keiintniss über die Diplitherie und ihren Env^er in den letzten 
Jahren gemacht habfUi; denn es sclndnt nicht nur Klarheit in die 
so viel umstrittene Patliologie dieser Krankheit zu kommen, sondern 
es hat auch den Anschein, als ob auf diesem Felde wenigstens die 
Bereicherung unseres Wissens gleichzeitig eine Vermehrung unseres 
Könnens bedeuten und uns den Weg zu einer wirksamen Be- 
kamjd'ung des gefährliclien Feindes zeigen wird. 

Es ist bekannt, dass wir Klebs die erste Kenntniss des¬ 
jenigen Mikroorganismus verdanken, dem wir jetzt den Namen 
„Diphtheriebacillus“ beilegen dürfen: dass es aber dann Löffler 
war, der in eingehendster Weise diesen Bacillus und seine Lel)ens- 
bedingiingen studirte und beschrieb. Kühmlichst bekannt ist aber 
auch die vorsichtige Zurückhaltung, mit der Löffler sich bis vor 
Kurzem über das gegenseitige Verhältniss zwischen Bacillus und 
I)il)htherie aussiu ach. Es haben nun seitdem zaldreiche Forscher, 
namentlich Roux und Vers in vom Institut Pasteur. Esche- 
rich, Brieger und C. Frankel, Babes, Behring und 
Kitasato, vor Allem aber Löffler sellist sich fortgesetzt mit 
dieser Frage beschäftigt. Da aber die betr. Publikationen in der 
'Fagesliteratur zerstreut und zum J’lieil schwer zueänglich sind, 
da sich auch in ihnen ^lanches findet, was durch gleichzeitige oder 
spätere Forschungen ergänzt oder berichtigt worden ist, war es 
ein sehr glücklicher (redanke, die Diplitheritisfrage auf die Tages¬ 
ordnung des Berliner Kongresses zu setzen und Roux und Löffler 
mit den Referaten zu betrauen. Die b(dden Vorträge g’elän en ent¬ 
schieden mit zu dem Gediegensten, was der Kongress geliefert 
hat nnd Iteansprmdien unser Interess«' um so mein', als von vorn¬ 
herein die Frage nicht vom speziell bakteriologisrhen, sondeiai vom 
propliylaktiscli-praktischen .Standirnnkt autgewoi-fen war. In Ei)i- 
z(*llieiten zeigten die beiden Referate wohl einige Meiaungsver- 
schiedenlieiten; in allen Hauiitsai-iien herrschte indessen, sowohl 
bei den Referenten, wie in der Diskussion eine erfreuliche Ein¬ 
stimmigkeit, welche kaum durch des einen Redners etwas elegisch 
gefärbte Klage gestört wurde, dass man immer nur gegen den 
Diphtherie-Bacillus und gmr nicht gegen die Diphtherie zu Felde 
zöge (: l). 

Was auf dem Kongress als das Wesentliche unseres Wis¬ 
sens über den Diplitherie-Bacillus festgestellt wurde, ist in Kürze 
etwa das Folgende: Die einzige Ursaclie der Dijditherie ist 
der Löffler'sehe Bacillus, der auf irgend welche Weise in die 
Itachenorgane gelangt und, dort sich ansiedelnd, die bekannten 
]v)kalsyniptome veranlasst. Er geht unter keinen Umständen in 
Blut und Säfte des Körpers iiber, er dringt sogar nicht einmal in 
die ti(‘feren Schichten der Pseudomembranen ein, al)er unter den 
Stolfwechselprodukteii. welclie er bildet, befindet sich ein hi)clist 
giftiger Körper, der (wie Fränkel und Brieger nacldier fest- 
stelltenj nicht zu den länger bekannten Alkaloidäliiilichen Ptomamen 
gehört, sondern vielmehr eine Eiweissverbindung (Toxall»umin) dar¬ 
stellt. Die I)i]»htherie gleicht also hierin vollständig dem Tetanus, 
dessen Bazillen l)ekanntlicli auch niu' an der Impfstelle Vermehrung 



Kückblick auf die Fortschritte der Bakteriologie in den Jahren 1890 ii. 1891. loo 

zeigen, die aber durch Resorption des von ihnen gebildeten Giftes 
Krankheit und Tod erzeugen. Die Pseudomembranen geben nun 
einen äusserst günstigen Nährboden für eine bunte Schaar aller 
möglichen Bakterien ab, welche sich sekundär darin ansiedeln und 
theils (wie gewisse Streptokokken) die verderbliche Thätigkeit der 
Diphtherie - Bazillen nach Kräften unterstützen, theils (wie ver¬ 
schiedene Saprophyten) zu dem aasliaften Gestank einzelner Diph¬ 
theriekranken Veraidassnng geben. 

Die Züchtung des Dii)htherie-Bacillus ist sehr leicht. Das 
Plattenverfahren ist dazu nicht erforderlich, man erhält vielmehr, 
wenn man ein winziges Stückchen einer Pseudomembran mit 
Platinöse oder Pincette eidässt und hinter einander über einige 
Röhrchen Blutserum oder (ilyzerinagar ausstreicht, auf den letzten 
gut gesonderte Kolonien reiner Idphthorie-Bazillen — allerdings 
nur bei höherer Temi)eratur (über 22" C.), die man aber mit den 
einfachsten Mitteln, ohne Brutschrank mit Leichtigkeit hersteilen 
kann.*) Trotz dieser Leichtigkeit der Züchtung wird man gut 
thun, derselben in diagnostischer und prognostisclier Hinsicht nicht 
einen so unbedingten W'erth beizumessen, wie Roux und nach ihm 
Baginsky es wollen. Denn es verdient wohl Beachtung, wenn 
so kompetente Beobachter wie Heiibner in den ersten Tagen — 
und auf diese kommt es doch an — den Bacillus nicht nachweisen 
konnten. Aber auch die Bedeutung eines positiven Befundes ist 
nicht über jeden Zweifel erhaben; denn dem Diphtherie-Bacillus 
genau gleich verhalt sich unter dem Mikroskop und in den Kul¬ 
turen (abgesehen von Verschiedenheiten in der chemischen Reaktion, 
die noch näherer Prüfung bedürfen) der Pseudo-Diphtherie-Bacillus, 
nach Roux nur eine abgeschwächte. unter ungünstigen Verhält¬ 
nissen wenig oder gar nicht giftig gew(»rdene Abart des echten 
Diphtherie-Bacillus, welche er auch bei nicht dii)htheritischen Kin¬ 
dern in der Fälle im Munde und Rachen gefunden haben will; 
nach Löffler eine gänzlich verschiedene, äusserlich sehr ähnliche 
Spezies. Das einzig sichere rnterscheidungsmerkmal ist das Thier¬ 
experiment: denn der echte Diiththei ie-Bacillus tödtet empfängliche 
Thiere sehr schnell, wähieml der Pseudo-Dii»htherie-Bacillus sich 
unschädlich erweist. Bis daht‘r fortgesetzte klinische Beobachtung 
den Werth des Züehtungsverfahrens über alle Zweifel festgesetzt 
haben, resp. bis eine, zuverlässige Methode gefunden sein wird, 
den echten und den Pseudo-Diphtherie-Bacillus allein durch das 
Züchtungsverfahr(ui zu unterscheiden, kann dasselbe als Grundlage 
verantwortungsvoller hygienischer Massregeln nicht verwendet 
werden und man wird, altoewährter Physikatspraxis und Löffler's 

*) It'h ljviiiitZ(‘ .srit 2 JiiliiGii, pi]i(‘r Aiirt'i^uiij,^ vdh Vrn\\ Hufiiiiinu in 
Lvipzi^' fnlir'Mid, finen (iop|)Dhvaii<lii 4 Pn, mit d’iicli iil)t‘rzni>(‘iieii I-JlDclitn])!*, zwi.^^cheii 
dessen Wiindrn sieh Wiis^t r iiefindet. Ein TIn rrnoineter durclihohrt den helin- 
artic:en Deektd und eine runde l\ij)|)sc!Dnhe, welehe, dem luuenrauin iiullie^entl, 
deiLselhen vur dem Hineintriipren von ('onileii.>\vasser sehiitzt. Die Erwarmiimr 
l>'e'(:liieht dureli eine ü^ewidinlielie Xaeli: lampe, welehe hei sinkender Tempi i-atur 
lind Nachts etwas hidier Lrestellt wird. Hei (dni^er Aufmerk.simkidt schwankt 
die Temiieratur nur um wc niire (-iradc, so «lass der Ajiparat für prakli>clie Zwecke 
vollauf genügt. 



156 


Dr. Langcrhan^. 


neuem Vorschläge folgend, alle zweifelliaften Fälle sanitätspolizei¬ 
lich als echte Diphtherie zu behandeln haben. 

Der Diphtherie-Bacillus findet sich in voller Virulenz zuweilen 
noch längere Zeit nach dem Verschwinden der Membranen ira 
Munde der Kranken, nach Roux noch 14 Tage, nach Löffler 
über 3 Wochen lang, so dass der Letztere eine 4 wöchentliche 
Ausschliessung von der Schule mit Recht als Regel festgehalten 
wissen will. — 

Wichtig ist die Frage, ob Wachsthum des Diphtherie-Bacillus 
ausserhalb des Körpers möglich ist. Löffler glaubt dies bejahen 
zu müssen, da in den Zimmern die Temperatur von 20 ^ C. häufig 
eiTeicht würde und es an geeigneten Nährböden (Milch!) nicht fehlen 
dürfte. Wer die Temperatur kennt, welche zumal während der 
Heizperiode in Bauernstuben zu herrschen pflegt und welche natür¬ 
lich in den oberen Fächern des Milchschrankes noch höhere Grade 
annimmt, wird dem nur zustimmen und in Folge dessen den Milch¬ 
verkauf aus Diphtheriegehöften verbieten wollen. Dagegen ist der 
Diphtherie-Bacillus sicher kein eigentlicher Bodenparasit und nur 
ganz ausnahmsweise dürfte er in der freien Natur geeignete Wachs¬ 
thumsbedingungen vorfinden. 

Von sehr grosser praktischer Bedeutung ist ferner die Frage, 
wie lange die Diphtherie-Bazillen, welche der Kranke mit Schleim, 
Auswurf oder sonst wie in seine Umgebung entleert hat, ihre An¬ 
steckungsfähigkeit bewahren. Freilich, die Praxis hat diese Frage 
längst gelöst und in den Berichten der Medizinalbeamten fehlt es 
nicht an Hinweisen auf die grosse Hartnäckigkeit, mit welcher 
Diphtherie in derselben Lokalität nach Wochen und Monaten 
wiederzukehren pflegt. Zu demselben Resultat gelangt die Wissen¬ 
schaft; denn Löffler und Roux fanden übereinstimmend, dass 
die BaziUen in Pseudomembranen, welche eingewickelt an dunkler 
Stelle des Zimmers aufbewahrt wurden, sein* lange, bis 5 Monate, 
in feuchter Umgebung wohl noch viel länger ihre Lebenskraft be¬ 
hielten. Die Dauer der Lebensfähigkeit wurde in mächtiger Weise 
durch die äusseren Umstände beeinflusst. Feuchtigkeit und Dunkel¬ 
heit sagen den Bazillen am Meisten zu, Licht, namentlich Sonnen¬ 
licht und Luft tödtet sie schnell. — 

Die Geflügel-Diphterie, ebenso die sonstigen Formen diph¬ 
therieähnlicher Krankheit bei Thieren haben mit der menschlichen 
Diphtherie, ausser gewissen äusserlichen Aehnlichkeiten, Nichts 
zu thun. Nur Klein (London) behauptet die Identität der Katzen¬ 
diphtherie mit echter Menschendiphtherie. 

Der Diphtherie-Bacillus ist nicht eben sehr widerstandsfähig, 
namentlich gegen Wärme, da ihn schon eine Temperatur von 58® C. 
schnell vernichtet. Auch sonst erscheint die Aufgabe einer wirk¬ 
samen Diphtheriebekämpfung an der Hand unserer neuen Kennt¬ 
nisse nicht unlösbar. Wir wissen, dass die Diphtherie nicht in 
Folge klimatischer Einflüsse entsteht, denen wir machtlos gegen¬ 
überstehen, wir wissen, dass der Diphtherie - Bacillus die einzige 
Ursache ist, wir wissen auch, dass derselbe nicht in unangreif- 
bai’er Verbreitung in der Luft schwebt oder in Boden oder Wasser 



Rückblick auf die Fortscliritte der Bakterioloijie in di ii daliren ISIK) u. 1891.157 

•wuchert, sondern, dass nur der Ki anke und was mit dem Ki'anken 
in Berührung“ war, die Krankheit verbreiten kann. Die Konse¬ 
quenzen ergeben sich von selbst: ^Absperrung und Desinfektion, 
das sind die beiden Massregeln, mit welchen die Bekämpfung ge¬ 
lingen muss. Leider steht allerdings die dürftige Beschränktheit 
der Arbeiter- und Tagelöhner-Wohnungen und der Mangel geeig¬ 
neter Unterkunftshäuser einer strengen* Durchführung der; Ab¬ 
sperrung in gleicher Weise ipi Wege, wie eine wirksame Wohnungs¬ 
desinfektion durch die Unvollkommenheit unserer sanitätspolizei¬ 
lichen Einrichtungen verhindert wird. Denn — daräber darf man 
sich keinen Illusionen hingeben — allein mit der Beschaffung eines 
Dampfdesinfektionsapparats, welchem eine Auswahl der Effekten 
aus der infizirten Wohnung übergeben wird, ist herzlich wenig 
gethan; sicheren Erfolg kann nur eine, von sachkundiger Hand an 
Ort und Stelle vorgenommene Desinfektion gewährleisten, welche 
sich durch die ganze Wohnung, bis in die äusserste Ecke erstreckt 
und den Bacillus bis in seinen letzten Winkel hinein verfolgt. Die 
Schwierigkeiten, das lässt sich nicht verkennen, sind sehr gross, 
aber sie werden bei geeigneter Neugestaltung unseres Gesund¬ 
heitswesens nicht unüberwindlich sein. — 

Bei einer grösseren Anzahl unzweifelhafter Infektionskrank¬ 
heiten fehlt uns bekanntlich noch jede Kenntniss von dem zu 
Grunde liegenden Krankheitserreger; ja es muss noch zweifelhaft 
erscheinen, ob wü- den letzteren überhaupt unter den Bakterien zu 
suchen haben oder ob es nicht vielmehr dem niederen Thierreiche 
angehörende, etwa dem Plasmodium der Malaria nahestehende 
Schmarotzer sind, welche die Ursache dieser Krankheiten abgeben. 
Ausser der Syphilis und der Hundswuth gehören hierher vor 
Allem die akuten Exantheme, Pocken, Windpocken, 
Flecktyphus, Masern und Scharlach. Bei letzterem be¬ 
ginnt sich wenigstens das Dunkel zu lüften, welches über der 
eigenthümlichen Kombination von Scharlach und „Diphtherie“ ruhte. 
Sorgfältige Untersuchungen von Tangl, Baginsky und anderen 
haben bis zur fast vollständigen Gewissheit wahrscheinlich gemacht, 
dass die „Scharlach-Diphtherie“ nicht durch den Diphtherie- 
Bacillus, sondeim stets durch Mikrokokken bedingt ist. Auch beim 
Fortschreiten des Prozesses auf das Mittelohr findet man stets 
nur Mikrokokken und zwar meist Streptokokken — ein Befund, 
welcher übrigens auch den Mittelohrentzündungen in Folge echter 
Diphtherie eigen ist. Das ganze Gebiet der Mittelohr-Ent- 
zündungen und Eiterungen ist bakteriologisch näher studirt 
worden von Zaufal und Moos, welche konstatirten, dass auch 
die akute Affektion ätiologisch kein einheitlicher Prozess ist, son¬ 
dern dass diese Entzündungen ausser den gewöhnlichen Eiterbak¬ 
terien auch dui’ch den Fränkel’sehen Pneumococcus und den 
Friedländer’sehen Pneumo-Bacillus, vielleicht auch durch den 
Tetragenus und einige andere Bakterien verursacht werden können. 

Die Entdeckung des Gonorrhoe-Micrococcus verspricht fiir 
die Ueberwachung der Prostitution bereits praktische Verwerth- 
barkeit zu gewinnen. In Breslau, wo die mikroskopische Unter- 



Buchung des Genitalsekretes bei der Untersuchung der Prostituir- 
ten auf Neisser’s Betreiben eingeführt wurde, fanden sich unter 
572 Puellis in 216 Fällen Gonokokken vor, ol)gleich nur 22 offen¬ 
bar eitriges Sekret hatten, so dass die Zahl der in das Kranken¬ 
haus au&unehmenden Personen um 30 ®/o zunahm. Es lässt sich 
nicht verkennen, dass die sonst so schwierige Diagnose auf GonoiThoe 
beim Weibe durch das Mikroskop sehr an Sicherheit gewinnt und 
man wird nicht umhin können, trotz» der grossen Langweiligkeit 
des Verfahrens, dasselbe bei der Untersuchung Prostituirter allge¬ 
mein zur Einführung zu bringen. — 

Die Arbeiten über Tuberkulose haben, namentlich in Folge 
der Koch’sehen Veröffentlichungen über das Tuberkulin 
einen so ungeheuren Umfang gehabt, dass es ganz unmöglich sein 
würde, auch nur das Wesentlichste anzuiuhren, was die Wissen¬ 
schaft und was der Enthusiasmus jener denkwürdigen Zeit zu Tage 
gefördert hat. Ich kann mich kurz fassen; denn Koch’s Worte 
auf dem Berliner Kongi’ess sind noch ebenso unvergessen, wie die 
gewaltige Bewegung, welche sie entfesselten und welche in Schran¬ 
ken zu halten, der Meister selbst nur zu bald ausser Stande war. 
Auch liegt die klinische Seite der Frage, die einzige, über welche 
die Akten vorläufig wohl geschlossen sind, ausserhalb des Kähmens 
dieser Zeitschrift. Die eigentlich bakteriologischen Arbeiten aber, 
welche theils an der Hand der chemischen Methoden die Natur 
des Tuberkulins ergründen, theils auf dem Wege des Experimentes 
das Käthselhafte seiner Wirkung erklären wollten, haben zu einem 
endgültigen Abschluss noch nicht geführt. Es erscheint daher 
verfrüht, ein definitives Urtheil zu föllen und man wird vor Allem 
abwarten müssen, bis Koch selbst, der bekanntlich fortgesetzt 
seine immense Arbeitski-aft dem Studium des Tuberkulins widmet, 
sein Schweigen bricht und sein gewichtiges Wort in die Wag¬ 
schale wirft. Ich muss es mir daher versagen, näher einzugehen 
auf einen kurzen, aber inhaltreichen Artikel, welchen Baum¬ 
garten über die Behandlung der Impftuberkulose der Kaninchen 
mit Tuberkulin für die Festschrift zu Virchow’s 70. Geburts¬ 
tag geschrieben hat, einen Ai-tikel, welcher die Heilungstendenz 
des Tuberkulins zugesteht und durch interessante Schilderungen der 
in theilweiser Heilung begriffenen Kaninchenaugen illustrirt, schliess¬ 
lich aber doch auf eine vollständige Verurtheilung des Heilwerthes 
des Tuberkulins bei Menschen und Kaninchen hinausläuft. Ich 
zitire auch nur kurz einen fesselnden Vortrag, in dem Büchner 
in der auf das Allgemeine gerichteten Darstellungsweise, die wir 
bei diesem genialen Forscher gewohnt sind, die Tuberkulinwirkung 
in weiterem Rahmen betrachtet, sie ihres räthselhaften, spezifi¬ 
schen Charakters entkleidet und sie in Einklang zu bringen sucht 
mit den Erscheinungen, welche andere Bakterien - Proteine und 
ebenso Proteine sonstiger pflanzlicher oder thierischer Abstammung 
im Organismus hervorrufen. Beide Arbeiten repräsentiren wohl 
das Bedeutendste, was die Tuberkulinliteratur aufziiweisen hat. 

Die weitläufigen Diskussionen, in welchen auf dem Berliner 
Kongress, auf dem Londoner hygienisclien und auf dem Tuberkulose- 



Rückblick auf die ForUclirit te der Bakteriologie in den Jahren 1890 u. 1891. 15Ö 


koiigress die Tuberkulosen - Frage erörtert wurde, berühren das 
eigentlich bakteriologische Gebiet nur zum kleinsten Theil. Sie 
haben aber wieder einmal gezeigt, wie unendlich viel auf diesem 
Gebiet noch zu arbeiten ist. Die kontagionistische Schule, die in 
Cornets schönen Untersuchungen über das Vorkommen des Tuber¬ 
kel-Bacillus in der freien Natur und in seinen statistischen Arbeiten 
über die Tuberkulosen-Sterblichkeit bei den Krankenpflegerorden 
und in den Gefangen-Anstalten ihre gewichtigsten Trümpfe aus¬ 
gespielt hat, hat sich im harten Kample gegen allseitige Angriffe 
zu vertheidigen und wird sich zu Konzessionen an ihre Gegner 
wohl oder übel verstehen müssen. Auch hier wachsen mit der 
Vertiefung in den Gegenstand die Schwierigkeiten in rapidester 
Weise. Der schleichende Verlauf der Kranldbeit, das sicher kon- 
statirte jahrelang syraptomlose Schlummern des Tuberkel-Bacillus 
im Körper — das Alles macht es schwer, ja geradezu unmöglich, 
zu bestimmen, wie die Infektion im einzelnen Fall vor sich ging, 
wann und wo der Bacillus im Körper sich einnistete und es be¬ 
durfte nicht erst der Nothwendigkeit, auch noch die neu erworbe¬ 
nen Kenntnisse über bakterientödtende Schutzvorrichtungen des 
Körpers zu verwerthen, um die Frage zu einer überaus verwickel¬ 
ten zu machen. Und so ist es eigentlich sehr wenig, was positiv 
feststeht. Zwar, dass direkte Vererbung, also intrauterine In¬ 
fektion, wenn auch sicher nachgewiesen, so doch überaus selten ist, 
das steht allerdings wohl fest —, ob aber eine persönliche Dis¬ 
position existirt und ob sie vererblich ist, ob die Tuberkulose des 
Schlacht- und Milch-Viehs durchaus identisch ist mit der mensch¬ 
lichen Tuberkulose, ob und wie oft sie zur Infektion des Menschen 
Veranlassung giebt, in welchem Verhältniss ferner Skrophulose 
und Tuberkulose stehen, ob es verschiedene Virulenzgrade sind, 
die in einem Falle zur Skrophulose, im anderen zur Tuberkulose 
führen, schliesslich aber, wie oft die Tuberkulose die Folge einer 
direkten Inhalation des Baeülus ist — das Alles sind Fragen, auf 
welche die Entdeckung des Tuberkel-Bacillus und das Studium 
seiner Eigenschaften bisher die Antwort nicht gegeben hat und 
es wird noch Jahre langen, intensivsten Ai’beitens bedürfen, ehe 
in diese verwickelten Verhältnisse einigermassen EJarheit gelangt. 

Unter den zahlreichen kleinen Arbeiten, welche den mikros¬ 
kopischen Nachweis der Tuberkel-Bazillen, wo sie nur in verein¬ 
zelten Exemplaren im Sputum vorhanden sind, erleichtern wollen, 
verdient vor Allem Erwähnung die Methode von Biedert, wel¬ 
cher 15 ccm. Sputum unter Zusatz von Wasser und Natronlauge 
kocht, bis eine homogene, dünnflüssige Masse entsteht, in deren 
Bodensatz die Tuberkelbazillen leicht nachweisbar sind. Für den¬ 
jenigen, welcher regelmässig grössere Mengen von Sputum zu 
untersuchen hat, mögen sich die mehrfach (in einfachster Weise 
von Heim) angegebenen Apparate empfehlen, welche die ver¬ 
schiedenen Manipulationen der Färbung, Erwämung und Ent¬ 
färbung erleichteiTi. Man kann auch ganz zweckmässig das Sputum 
auf dem Objektträger, statt auf dem Deckglase auftrocknen lassen 
und das Immersionsöl direkt auf das gefärbte Sputum auftropfen; da 



160 


Dr. Langcrhuiis. 


die Objektträger unter stärkerem Dimck gründlicher gereinigt 
■werden können, als die zerbrechlichen Deckgläser, entgeht man 
leichter der Fehlerquelle, welche aus dem Haften einzelner Ba¬ 
zillen an ungenügend gereinigten Deckgläsern entspringt. Neuere, 
zum Theil recht komplizirte Färbungsmethoden (von Kühne, 
Lubimoft, Czaplewski und andern) werden für den Praktiker 
das durch Einfachheit ausgezeichnete Ziehl-Neelsen’sche Ver¬ 
fahren schwerlich verdrängen. — 

Die Influenza-Pandemie gab erklärlicher Weise Veran¬ 
lassung zu einem überaus eifrigen Fahnden auf den „Influenza- 
Bacillus“ und es scheint, als ob mehrere Forscher, namentlich 
Kirchner den richtigen Bacillus bereits bei der ersten Epidemie 
gesehen haben, doch fand die Frage ihre endgültige Lösung erst 
durch die Arbeiten Pfeifers und Kitasatos im Koch’schen 
Institut und durch die gleichzeitige Arbeit Canons. Nähere 
Mittheilungen, namentlich über die Thierexperimente, welche bei 
Affen und Kaninchen positive Resultate gaben, stehen noch aus. — 
Eine eigenartige Stellung unter den Infektionski'ankheiten 
nimmt die Gruppe der Malaria-Krankheiten ein, schon aus dem 
Grunde, dass der als solcher mit Bestimmtheit anzunelmiende 
Krankheitserreger nicht zu den Bakterien gehört, sondern ein dem 
Protistenreiche angehörender thierischer Sclimarotzer, das von 
Laveran entdeckte Plasmodium Malariae ist. Das reiche 
Material, welches in dem klassischen Lande der Malaria zu Ge¬ 
bote steht, macht es erklärlich, dass die Italiener in der Malaria¬ 
forschung sehr bald die führende Rolle übeniahmen und die Ent¬ 
deckung Laverans nach verschiedenen Richtungen hin ergänzten 
und berichtigten. Auch die letzten Jahre haben sehr werthyolle 
Arbeiten, namentlich von Celli und Marchiafava, Antolisei, 
Golgi, Grassi, und Feletti geliefert und wenn trotzdem über 
den Entwicklungsgang des Plasmodium noch mancherlei Unklar¬ 
heiten und erhebliche Differenzen, namentlich zwischen Laveran 
und den italienischen Forschern bestehen, so liegt der Grund haupt¬ 
sächlich darin, dass die künstliche Züchtung bisher nicht geglückt 
ist. Woran dies liegt, ist zweifelhaft, denn man muss doch mit 
Bestimmtheit annehmen, dass der Malaria-Erreger kein strenger 
Pai’asit ist, dass er vielmehr seine eigentliche Heimat in der freien 
Natur im Boden hat. Ganz unhaltbar erscheint Laverans An¬ 
sicht, der die Mücken als Zwischenwirthe ansieht. Dagegen hat 
die Vermuthung von Celli viel für sich, dass das Plasmodium im 
Freien als Schmarotzer in den Zellen höherer Pflanzen auftreten 
dürfte; denn im Menschen tritt uns das Plasmodium als ein streng 
intrazellulärer Schmarotzer entgegen, der, sobald er die schützende 
Zelle verlässt, der Degeneration verfallt. Laveran selbst hält 
übrigens das endoglobuläre Wachsthum des Plasmodium nicht für 
unbedingt erwiesen; er sieht vielmehr eine frei im Plasma vor¬ 
kommende, mit Geissein versehene, rundliche Form desselben für 
die höchste Entwicklungsstufe an, während die Italiener die Aus- 
stossung der Geissein für eine nur im eintrocknenden Blut vor¬ 
kommende Agonie-Erscheinung halten. Nach der Schilderung der 



Rückblick auf die Fortschritte der Bakteriolugio in den Jahren 1890 u, 1891. 161 


Italiener (Golgi, Celli) beginnt das Plasmodium seinen Entwick¬ 
lungsgang inmitten des rothen Blutkörperchens als kleines, helles, 
lebhaft bewegliches, amöben-artig aussehendes Körperchen, welches 
allmählich wachsend das Hämoglobin in Melanin verwandelt und 
in Gestalt kleiner Pigmentkörnchen in seinem Innern ablagert. 
Mit zunehmendem Wachsthum wird es unbeweglicher und zerfällt, 
nachdem es als Zeichen beginnender Theilung „Rosetten-“ dann 
„Gänseblumen“-Form angenommen hat, in eine grössere Zahl (8 
bis 15) kleiner, rundlicher Sporen, welche unter Zerstörung des 
Blutkörperchens frei werden, in andere Blutkörperchen eindringen 
und unter Erregung des Fieberanfalles den verderblichen Cyklus 
von Neuem beginnen. Das frei gewordene Melanin wird von 
weissen Blutkörperchen aufgenommen und bedingt so die bekannte 
Melanämie, während die Zerstörung der rothen Blutkörperchen die 
Ursache der Anämie ist. Golgi und Celli haben 3 verschiedene 
Formen unterschieden: eine kleine, sehr lebhaft bewegliche, welche 
äusserst schnell (in 24 Stunden) die verschiedenen Entwicklungs- 
stadien durchläuft, so dass zur Pigmentbildung kaum Zeit bleibt; 
diese Form ist die Ursache der in Rom heimischen Sommer- und 
Herbst-Fieber, welche perniziösen Charakter und unregelmässigen 
oder Quotidianatypus zeigen. Die bei dieser Form häufig beob¬ 
achteten „Halbmonde“ Laverans werden von einigen als sterile, 
einer Weiterentwicklung nicht mehr fähige Wachsthumsformen, 
von anderen als eine andere selbstständige Art angesehen. Die 
beiden grösseren amöbenartigen Formen zeigen langsamere Ent¬ 
wicklung und entsprechen der im Frühjahr in Rom herrschenden 
Tertiana und Quartana. Es ist nun noch fraglich, ob die drei 
Amöbenformen drei spezifisch verschiedene Spezies repräsentiren 
oder ob sie als verschiedene Wuchsformen ein und derselben Spezies 
anzusehen sind. Blutübertragungen scheinen die Frage im ersteren 
Sinne zu beantworten, wenigstens konnten Matt ei und Calan- 
d r u c c i 0 bei 7 Experimenten am Menschen jedesmal die genaueste 
Reproduktion der injizirten Plasmodiumform und den dieser ent¬ 
sprechenden Fiebertypus erzielen und Monate lang beobachten. (!) 

Lebhaftes Interesse beansprucht die schöne Beobachtung von 
Danilewsky-Charkow, wonach den menschlichen Plasmodien 
sehr ähnliche Parasiten in Malaria - Gegenden überaus häufig im 
Blute der Vögel (Sperlinge, Krähen, Elstern, Tauben, Eulen u. s. w.) 
und anderer Wirbelthiere (Sumpfschildkröte, Frosch) schmarotzen. 
Durch diese Forschungen, welche von Grassi und Feletti be¬ 
stätigt wurden, scheint der Grund gelegt zu sein zu einer ver¬ 
gleichenden Pathologie der Blutparasiten, welche vielleicht die 
Antwort geben dürfte auf manche Frage, die jetzt noch im 
Dunkel liegt. — 


Zur Frage der Rangerhöhung der Kreiswundärzte. 

Von Dr. Moellmann, Kroiswundarzt in Simmern. 

In No. 4 dieser Zeitschrift hat Herr Med.-Rath Dr. Peters 
in Bromberg die Rangverhältnisse der Kreisphysiker einer kurzen 



162 Dr. Molliaanu: Zar Frage der Rangerhübung der Kroiswuadärzte. 


Besprechung unterzogen, welche meines Erachtens des Beifalls der 
grossen Mehrzahl der Medizinalbeamten sicher sein dürfte. Die 
Frage der Besserstellung der Kreismedizinalbeamten sowohl be¬ 
züglich ihrer Gehaltsverhältnisse als bezüglich ihrer sonstigen dienst¬ 
lichen Stellung ist ja seit Jahren auf der Tagesordnung. Freilicli 
ist dabei immer nur von den Kreisphysikern die Rede, während 
die Kreiswundärzte anscheinend grundsätzlich mit Stillschweigen 
übergangen werden. Und doch ist die Stellung der Kreiswundärzte 
eine wahrhaft himmelschreiende! 

Ich bin weit entfernt, die Frage nach der Abschaffung oder 
Beibehaltung des Amtes der Kreiswundärzte an dieser Stelle 
wieder ani-egen zu wollen. Wohl aber glaube ich, dass die Kreis¬ 
wundärzte, so lange der Staat sie eben als Beamte existiren lässt, 
ebenso gut wie die Kreisphysiker eine ihrer wissenschaftlichen 
Qualifikation entsprechende Rangstellung beanspruchen dürfen bezw. 
müssen. Noch jetzt gilt die, wie auch Wern ich in seiner Zu¬ 
sammenstellung der Medizinalgesetze sagt, längst veraltete Be¬ 
stimmung, derzufolge die Kreiswundärzte der 8. Rangklasse angehören, 
also noch um zwei Rangstufen niedriger stehen als die Referendare, 
welche um zwei ernste Prüfungen hinter ihnen zurückstehen, und 
niedriger als Kreissekretäre und Postmeister, von denen überhaui)t 
keine akademische Bildung verlangt wird. 

Wenn demnächt eine Rangerhöhung für die Kreisphysiker 
beschlossen werden oder wenn dieser Gegenstand auf die Tages¬ 
ordnung der nächsten Versammlung des Mediziiialbeamteii-Vereins 
kommen sollte, dann möge man auch der Kreiswundärzte und ihrer 
gegenwärtigen durchaus unwürdigen Rangstellung gedenken. Es 
ist dabei durchaus gleichgültig, ob man die ganze Beamtenkategorie 
für nothwendig, nützlich und wüiischenswerth hält oder nicht. Noth- 
wendig aber ist es einfach nach dem Grundsatz „suum cuiiiue“, 
dass man auch den Kreiswundärzten denjenigen Rang gebe, der 
ihnen nach ihrem ganzen wissenschaftlichen und praktischen 
Bildungsgänge gebührt, also jedenfalls denjenigen, der etwa den 
Amtsrichtern, Oberförstern u. dergl. zugebilligt wird. 


Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordneten¬ 
hauses Uber den Medizinaletat. 

Ebenso wie im Vorjahre haben auch die diesjährigen, am 
16. März stattgehabten Verhandlungen des preussischen Abgeord¬ 
netenhauses über den Medizinaletat den Medizinalbeamten eine neue 
Enttäuschung gebracht. Vom Herrn Ministerialdirektor Dr. Bartsch 
ist allerdings im Aufträge des Herrn Ministers die Erklärung ab¬ 
gegeben, dass dieser „ein volles Verständniss und ein warmes Inter¬ 
esse für die Aufbesserung der Bezüge der Medizinalbeamten habe 
und dass er die Hoffnung nicht aufgebe, dass es im Laufe der 
Zeit doch gelingen werde, dieses auch von ihm fortgesetzt im 
Auge behaltene Ziel der Aufbesserung jener Bezüge zu erreichen*; 
wenn man aber diese Erklärung mit den früher vom Minister¬ 
tische aus abgegebenen vergleicht, in denen wiederholt die Er- 



Die diesjähcige Verhandlang des preusslschen Abgeordnetenhauses etc. 163 

ledigung der Mediziiialreform für das nächste oder wenigstens 
für die nächsten Jahre versprochen worden ist, so muss man 
befürchten, dass sich die Aussichten in dieser Hinsicht nicht 
verbessert, sondern im Gegentheil verschlechtert haben. Zum 
grossen Theil mag daran die augenblicklich schlechte Finanz¬ 
lage des Staats die Schuld tragen; es ist nur wunderbar, dass 
trotz dieser schlechten Finanzlage auch in diesem Jahre auf ande¬ 
ren Gebieten Keformen zur Durchfifhi-ung gelangen, die jedenfalls 
nicht diinglicher sind, als die Medizinalrefonn, wohl aber erheblich 
mehl’ Ausgaben, als diese fordern. Unter diesen Umständen ist 
es nicht zu verwundern, wenn die im Vorjahre von dem Abge- 
geordneten Dr. Graf zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, dass 
das Medizinalwesen im Kultusministerium dauernd die Rolle des 
Aschenbrödels zu spielen verurtheilt sei, immer weitere Kreise er¬ 
greift und sich immer mehr die Ueberzeugung Bahn bricht, dass 
diesem Uebelstande nur durch eine Lostrennung des Medizinal- 
wesens von dem Kultusministerium und Ueberweisung desselben 
an das Ministerium des Innern dauernd abgeholfen werden könne. 
Thatsächlich ist ja auch Preussen fast der einzige Staat, in dem 
das Medizinalwesen nicht mit dem Ministeiium des Innern, an 
dessen Verwaltung sich die öffentliche Gesundheitspflege und Sani¬ 
tätspolizei organisch am besten anschliesst, vereinigt ist. Dazu 
kommt, dass dieser wichtige Zweig der Staatsverwaltung z. Z. 
nicht einmal einen eigenen Ministerialdirektor hat, sondern diesen 
mit einer anderen Abtheilung des Kultusministeriums theilen muss. 
Die Nachtheile davon liegen auf der Hand und Anden in der 
Stagnation, die seit Jahrzehnten fast auf allen Gebieten des Me¬ 
dizinalwesens heri’scht und über die schon seit Jahrzehnten von 
allen Seiten Klage geführt ist, ihre Bestätigung. Auch bei 
der diesjähi'igen Berathung des Medizinaletats sind diese Klagen 
nicht ausgeblieben; hoffentlich fallen sie bei dem inzwischen 
neu ernannten Kultusminister Dr. Bosse auf ft-uchtbaren Boden 
und gelingt es diesem endlich, jene Stagnation zu beseitigen. Ihm 
sind ja die in Rede stehenden IHssstände von seiner früheren amt¬ 
lichen Thätigkeit im Kultusministerium her nicht unbekannt; denn 
gerade damals war die Reorganisation des Medizinalwesens ernst¬ 
lich ins Auge gefasst und ein entsprechender Gesetzentwurf fertig 
gestellt worden, an dessen Ausarbeitung der jetzige Minister we¬ 
sentlichen Antheil gehabt hat (vergl. die Verhandlungen der Pe- 
titionsskommission des Abgeordnetenhauses in den Jahren 1877 
bis 1879). 

Wii’ lassen im Nachstehenden diebetreffenden Verhandlungen 
des Abgeordnetenhauses auf Grund des stenographischen Berichts 
folgen, soweit sie besonders für die Medizinalbeamten Interesse 
darbieten; 

a. Apothekenwesen und Geheimmittelfrage. 

Abg. Olzem bringt zunächst die Neuregelung des Apothekeuwesens in 
Anregung. Im Abgeordnetenhause und im Keichstage sei man allgemein darüber 
einverstanden, dass unsere Apothekengesetzgebung neu geregelt werden müsse, 
und seitens der Staatsregiernng sei bereits im Jahre 1889 die Erklärung abge¬ 
geben, dass die Regelung bald cintreteu und der Entwurf eines Gesetzes in aller¬ 
nächster Zeit dem Reichskanzler vorgelegt werden würde; bis heute sei aber 



164 Die diesjährige Verliaudlung des preussischeu Abgeordnetenhauses etc. 

weder dem Abgeordnetenhausc noch dem Reichstage ein solcher Entwurf zuge¬ 
gangen. Die vor 14 Tagen im Reichstage seitens der Sozialdemokraten vorge- 
öchlagene Verstaatlichung der Apotheken’^) halte er für eine höchst unglücklicJie 
Lösung, da die Schatfung von Reichs- und Staatsapotheken durchaus nicht im 
Interesse der Gcsiimmtheit liege und dies einen höchst bedenklichen Schritt in 
den sozialistischen Staat hinein bedeuten würde. Der Staatssekretär von Bötti¬ 
cher habe bei Besprechung jenes Vorschlages erklärt, dass die Sache im preussi- 
schen Ministerium bearbeitet würde und dass nach Ausgleich einiger noch be¬ 
stehender Meinungsverschiedenheiten in allernächster Zeit die Vorlage eines Ge¬ 
setzentwurfes zu erwarten stände; dieser Hoffnung möchte sich Redner au- 
schliessen, damit die im Apothekenwesen bestehenden Uebelstände endlich be¬ 
seitigt werdeu. 

Redner kommt hierauf auf die schon mehrfach von ihm angeregte Frage der 
Ankündigung von Geheimmitteln in der Presse zu sprechen und betont 
die NothWendigkeit, die einzelnen in dieser Beziehung geltenden Polizeiverord- 
nungen durch allgemeine Massregeln zu ersetzen, da durch den jetzigen Rechts¬ 
zustand die Freiheit der Presse unnöthig beschränkt würde. 

Geh. Medizinalrath Dr. Pi stör: M. H.! Die Frage der Regelung des 
Apothekenwesens ist soweit vorgeschritten, dass demnächst eine bereits mitten 
in der Vorbereitung begriffene Vorlage von dem Herrn Minister gemacht werden 
kann. Dem Reich wird es dann überlassen bleiben, ob dasselbe auf diese Frage 
cingehen oder den Landesregierungen anheimstellen will, die Angelegenheit zu 
ordnen. Es würde die Sache schon mehr gefördert sein, wenn nicht verschiedene 
Verhältnisse der Vorbereitung hemmend entgegengestanden hätten. 

Was das Geheimmittelwesen anbelangt, so kann ich dem Herrn Abge¬ 
ordneten 01z em nur erwidern, dass auch diese Sache soweit vorgeschritten ist, 
dass demnächst eine Vorlage zu erwarten sein wird, ob hier oder im Reich, das 
ist noch unentschieden. 

b. Bessere Stellung und Rangerhöhung der Medizinalbeaiiiten. Er¬ 
weiterung der Disziplinargewalt der Aerztekammern. 

Abg. Dr. Graf war zunächst etwas zweifelhaft, ob er bei diesem Etat 
sich zum Wort melden sollte, nachdem er nun seit 8 Jahren an derselben Stelle 
immer dieselbe Klage erhoben habe, nachdem stets die Berechtigung derselben 
zugestanden worden und doch noch eine wesentliche Veränderung nicht zu ver¬ 
zeichnen sei. Aber da sein Schweigen missdeutet werden könne, so halte er es 
für seine Pflicht, noch einmal kurz auf denselben Punkt zurttckzukommen. 

Der Herr Kultusminister habe im vorigen Jahre gesagt, dass ein Be- 
dtirfniss nach Besserstellung der Medizinalbeamten auch seiner¬ 
seits anerkannt würde, aber er habe die Bereitwilligkeit des Herrn Finanz¬ 
ministers als die nothwendige Ergänzung bezeichnet. Dass in diesem Jahre bei 
der schon so oft vorgeführten schlechten Finanzlage eine solche Bereitwilligkeit 
noch schwieriger zu erzielen sei wie in den früheren Jahren, will Redner gern 
zngeben; aber das ändere doch an der Sachlage nichts, dass der MedizinaleUit 
seit 20 Jahren eine Besserung nicht erfahren habe und dass er jetzt wohl in 
erster Linie an der Reihe sei. Die Anforderungen der Gesundheitspflege seien 
gerade in unserem Staate mit seiner hoch entwickelten Industrie, mit einer 
dicht gedrängten Bevölkerung und einer Reihe von grossen Städten so ganz be¬ 
sonders hervorragende, dass es sich wohl verlohnen würde, den Medizinalbeamten, 
die finanziell schlechter gestellt seien, als in irgend einem anderen Kulturstaate, 
eine bessere Stellung anzuweisen. Bei einem Gehalt von 900 Mark jährlich sei 
es unmöglich, dass die Anforderungen an die Kreisphyci weitgehende sein können, 
und dennoch würden ihnen alljährlich neue Funktionspflichten auferlegt. Im 
vorliegenden Etat befände sich allerdings eine Position von 20000 Mark zur 
besseren Ausbildung der Physiker, besonders in der Bakteriologie. Um jedoch 
an den hierfür bestimmten Kursen thcilzunehmen, müssten diese Beamten natür¬ 
lich ihre Praxis im Stich lassen. Entschädigung für das Versäumte werde 
ihnen aber ausser den Tagegeldern nicht gewährt, ja es werden noch 60 Mark 
für Unterricht und Lehrmittel in Anrechnung gebracht. 

Hoffentlich lasse dem Herrn Kultusminister, der ja ein Verständniss und 
ein Herz für diese Angelegenheit habe und dem aus .seiner früheren Stellung 
als Oberpräsident die einschlägigen Verhältnisse ganz genau bekannt seien, der 


♦) Vergl. No. 6 der Zeitschrift S. 147. 



Die diesjährige Verhaudluug des preusslschcu Abgeordneteuhauses etc. 165 


Unterricht bald mehr Ruhe, so dass die Medizinalangelegenhcitcn und 
die Reform der betreffenden Gesetzgebung an die Reihe kommen. In höchst 
dankenswerther Weise habe er bereits einen Punkt in Angriff genommen, die 
Erweiterung der Disziplinargewalt der Aerztekammern. Gegen eine 
derartige Erweiterung werde allerdings in der politischen Presse ein allgemeiner 
Widerstand der Aerzte prophezeit, diese Prophezeiung dürfte sich aber als 
falsch erweisen; denn es handele sich hier um eine ganz alte Forderung der 
deutschen Aerzte, wie aus den mit grosser Mehrheit gefassten Beschlüssen der 
Aerztetage in den Jahren 1880, 82, 84 und 90 hervorgehe. Auch in Oesterreich 
sei soeben ein ähnliches Gesetz wie das hier in Aussicht gestellte unter warmer 
Befürwortung des Professors Billroth zur Annahme gekommen, und würde, 
sich hoffentlich zum Segen des dortigen ärztlichen Standes erweisen. 

Redner bedauert schliesslich, dass der ärztliche Stand bei Schaffnng des K ran¬ 
ke nkassengesetzes wie bei dem Unfall-, Alter- und Invaliditäts-Ver- 
sicherungsgesetze nicht genügend zu Rathe gezogen sei, da gerade die 
Durchführung dieser sozialpolitischen Gesetze von der Mitwirkung der Aerzte 
abhängig sei. Insonderheit sei es ein bescheidenes Verlangen, dass den Aerzten 
nicht, wie das vielfach geschehe, Kurpfuscher als gleichberechtigt zur Seite ge¬ 
stellt würden und dass der klare Wortlaut des Rcichsgesetzes in den Worten 
„Arzt“ „ärztliche Hülfe“ nicht noch weiterhin falsch interpretirt würde 
Dennoch sei gestern im Reichstage mit einer Majorität von nur einer Stimme, 
mit 105 gegen 104 Stimmen, es abgelehnt, in dem Gesetze eine diesbezügliche 
Deklaration zu geben*). Bei dieser Sachlage müssten die Aerzte hoffen, dass die 
Landesregierungen dafür sorgen werden, dass von den Verwaltungsbehörden in 
dem gleichen Sinne vorgegangen werde, wie dies in dankenswerther Weise von 
den drei Regiernngspräsidenten der Provinz Sachsen, von Erfurt, Merseburg und 
Magdebui^ geschehen sei; denn es sei eine Ehrensache für den ärztlichen Stand, 
dass er nicht mit Abenteurern verschiedenster Art zusammengestellt würde, 
ebenso wie es im Interesse der Durchführung der Arbeiterversicherung selbst 
liege, dass diesem Gesetze eine richtige Auslegiuig gewährleistet werde. (Bravo!) 

Ministerialdirektor Dr. Bartsch: „Der Herr Minister der Medizinalange- 
legenheiten, der sich nicht selbst an dieser Debatte zu beiheiligen wünscht, hat 
mich beauftragt, dem Herrn Vorredner zu antworten und ihm zunächst dafür 
zu danken, dass er diese Diskussion angeregt hat. Sie wird, wie der Herr 
Minister mit dem Herrn Vorredner hofft, dazu beitragen, eine gewisse Beun¬ 
ruhigung zu beseitigen, die sich in neuester Zeit in gewissen Kreisen geltend 
zu machen scheint. 

Auf den ersten Theil der Ausführungen des Herrn Vorredners habe ich 
im Namen des Herrn Ministers zu erwidern, dass der Herr Minister ein volles 
Verständniss und ein warmes Interesse für die Aufbesserung der Bezüge der 
Medizinalbeamten hat, und dass er die Hoffnung nicht aufgiebt, dass es im Laufe 
der Zeit gelingen werde, dieses auch von ihm fortgesetzt im Auge behaltene 
Ziel der Aufbesserung jener Bezüge zu erreichen. 

Was die Schlussausführungen des Herrn Vorredners über die Kranken¬ 
versicherung und die Stellung der Mitglieder des ärztlichen Standes innerhalb 
dieses Gebietes betrifft, so habe ich im Namen des Herrn Ministers zu erklären, 
dass die Auffassung des Herrn Vorredners ganz die des Herrn Ministers ist, und 
dass der Herr Minister Veranlassung genommen hat, dieser seiner Auffassung 
auch gegenüber dem Königlichen Staatsministerium bestimmten Ausdruck zu geben. 

Von besonderem Interesse in den Ausführungen des Herrn Vorredners 
war dasjenige, was sich auf eine eventuell beabsichtigte legislative Massregel 
bezog. — Sie wissen, dass unter dem 25. Mai 1887 eine Königliche Verordnung 
ergangen ist, welche die Rechte und Pflichten des ärztlichen Standes regelt und 
die bis jetzt, also seit fünf Jahren, in aktueller Geltung ist. Nun sind aus 
verschiedenen Interes.senkreisen, ärztlichen und Vereinskreisen, an den Herrn 
Minister schon seit längerer Zeit Anregungen herangetreten in dem Sinne, ob 
diese Königliche Verordnung nicht in dem einen oder anderen Punkta ab- 
änderungs- oder verbesserungsbedürftig sein möchte. Der Herr Minister hat 
sich diesen Anregungen gegenüber selbstverständlich nicht verschliessen können 
und wollen; hätte er es gethan, so würde man ihm nicht ohne Grund haben 
vorwerfen können, dass er kein Verständniss und kein Interesse für die Ange- 

*) Vgl. Tagesnachrichten S. 178 der heutigen Nummer. 



1G6 Die diesjährige A^erbaudlung des preussiseben Aligeurdnetenhauscs etc. 

Icgenheiten des ärztlichen Standes habe. Er ist daher diesen Anregungen nach¬ 
gegangen nnd hat vorläufig nichts weiter gethan als vorbereitende Schritte, die 
sich innerhalb folgender Grenzen halten. 

Die Königliche Verordnung vom 25. Mai 1887 enthält in einem Para¬ 
graphen Bestimmungen über die Disziplinarbefugnisse der Aerztekammern. Diese 
Aerztekamraem sind das aus Wahl hervorgegangene offizielle Organ, welches 
dazu von der Gesetzgebung berufen ist, den ärztlichen Stand zu vertreten. Den 
Vorständen dieser Aerztekammern ist durch die Königliche Verordnung eine 
gewisse Disziplinarbefugniss eingeräumt, die darin besteht, dass sie unter Um¬ 
ständen berechtigt sein sollen, Mitgüedem des Aerztestandes auf Zeit oder 
dauernd das aktive oder passive Wahlrecht zu entziehen. Die Stimmen, die an 
den Herrn Minister herangetreten sind, haben gemeint, dass vielleicht die Zeit 
gekommen sei, zu erwägen, ob die Bestimmungen über die Disziplinarbefugniss 
nicht zu erweitern oder auch einzuschränken sein möchten. Um festzustellen, 
ob ein solches Bedürfniss im Lande besteht und in den Interessenkreisen em¬ 
pfunden wird, hat der Herr Minister bisher eine einzige Verfügung erlassen, 
die an die Herren Oberpräsidenten gerichtet ist, und in der die Überpräsidenten 
ersucht werden, die Aerztekammern zu gutachtlichen Aeusserungen darüber zu 
veranlassen, ob ein solches Bedürfniss in den zunächst betheiligten Interessen¬ 
kreisen anerkannt ist, und falls dies der Fall sein sollte, ob und in welcher 
Weise diesem Bedürfniss abzuhelfen sei. Alle diese Dinge sind vorläufige Er¬ 
örterungen und Informationen, denen gegenüber der Herr Minister bis jetzt eine 
vollkommen objektive Haltung eingenommen hat. Der Herr Minister ist noch 
gar nicht in die Lage gekommen, sich über die Angelegenheiten endgültig 
schlüssig zu machen, und ich glaube daher, dass, wenn schon jetzt in diesen 
oder jenen Enuntiationen Besorgnisse ausgesprochen werden, dass eine Massrcgel 
geplant werde, die dem Interesse der Betheiligten nicht entspreche, dies bei der 
gegenwärtigen Lage der Sache doch wohl eine nicht begründete Befürchtung ist. 
Ich darf versichern, dass der Herr Minister alle diese organisatorischen Massregcln 
insbesondere auf dem Gebiete der Medizinalverwaltung mit der allergrosstcn 
Vorsicht behandelt, und dass er seinerseits niemals proprio motu von der Zentral¬ 
stelle aus eine Organisation in das Werk setzen oder in Angriff nehmen wird, 
ohne sich vorher genau zu vergewissern, ob die Betheiligten eine solche Mass- 
regcl für nothwendig oder für zweckmässig halten. 

So wird es auch in dem vorliegenden Falle geschehen. Die betheiligten 
Kreise werden, falls der Herr Minister sich dazu entschliessen sollte, eine legis¬ 
lative Massregel ins Auge zu fassen, ausreichende Gelegenheit haben, diese 
Massregel auch ihrerseits zu diskutiren und sich darüber schlüssig zu machen. 
Vorläufig handelt es sich um nicht« weiter, als um Informationen, die einzu¬ 
ziehen der Herr Minister für gut befunden hat.“ 

Abg. Dr. Langerhans: Der Abg, Dr. Graf vertrete zwar einen grossen 
Theil der deutschen Aerzte, dass er aber die Majorität der deutschen Aerzte 
verträte, namentlich in Bezug auf die Frage einer grösseren Disziplinargewalt 
der Aerztekammern, möchte er bezweifeln; selbst einzelne Vereine, z. ß. der 
Frankfurter Verein, habe sich dagegen ausgesprochen. Die Erweiterung der 
Disziidinargewalt der Aerztekammern bedeute geradezu eine Degraditiou der 
Aerzte, die gar keine Veranlassung dazu gegeben hätten, dass man ihnen mit 
solchen aussergewöhnlichen Strafmitteln in Beziehung auf ihre Ehre auf die 
Beine helfen müsste. Gerade bei den Aerzten müsse man voraussetzen, dass sic 
sich bei ihren Handlungen stets von den Gesetzen der Ehre leiten lassen. Das 
Zusammendrängen der Aerzte in den grösseren Städten führe allerdings zu starker 
Konkurrenz, zu Beklamen u. s. w.; das seien jedoch Uebelstände, die auch die 
Aerztekammern nicht beseitigen können. Jedenfalls sei es unerhört, dass die 
Aerztekammern das Recht zur Entscheidung beanspruchen, ob sich ein Arzt 
Spezialist, oder seine Krankenanstalt Privatklinik nennen dürfe. Ebensowenig 
sei es zulässig, durch Disziplinarbefugnisse Beschlüsse von Aerztekammern zu 
sanktioniren, durch die dem Arzte vorgeschrieben würde, den Patienten eines 
andern Arztes nicht in ärztliche Behandlung zu nehmen. Solche Beschlüsse 
würde sich das Publikum gar nicht gefallen lassen. Noch unerhörter sei aber 
(las Verlangen, dass den Aerztekammern das Recht eingeräumt werden sollte, 
den Aerzten selbst die Praxis durch Diszipinarspruch entziehen zu können. 
l"nd, wozu das Ganze? Lediglich, um die Standesehrc zu erhalten. Eine Standes- 
ihre erkenne er aber nicht an. Er setze vorauds,ass jeder seiner Kollegen als 



Die diesjährige Verhamlhiiig des preussischeii Ahgcordacteuhauses etc. 167 

Ehrenmanu bandle nnd wo dies anders sei, da helfen auch Disziplinarbestimmungen 
nicht, durch deren Einrichtung der Stand der Aerzte nur herabgewttrdigt werde. 

Redner kommt danach auf die Stellung der Aerzte zum Krankenkassen- 
und den anderen sozialpolitischen Gesetzen und auf die Unzulänglichkeit der 
jetzt veralteten ärztlichen Taxe zu sprechen. Er betont dabei, dass, wenn die Aerzte 
sich nicht bei den Krankenkassen unterböten und diesen nicht so ausserordentlich 
günstige Bedingungen stellten, überhaupt die Krankenversicherung absolut un- 
müglicli sei, denn diese würde nur dadurch erhalten, dass man den Aerzten das 
Brod nehme. Die Misere für die Aerzte durch das Krankenkassengesetz sei eine 
kolossale und der'ärztliche Stand werde dadurch in seiner Entwickelung ausser¬ 
ordentlich herabgedrückt. Durch Einsetzung von Ehrengerichten werde dies 
aber nur noch schlimmer. Je mehr sich dagegen die Aerztekammern und Aerzte- 
vereine in den Diens.t der öffentlichen Gesundheitspflege stellen würden, desto 
grösseres Ansehen würde auch der ärztliche Stand gewinnen. 

Betreffs des Geheimmittel wesens empfiehlt Redner das Jetzt in Berlin 
übliche Verfahren und warnt vor strengeren Massregeln. Zum Schluss regt er 
die Frage der obligatorischen Leichenschau an, und schlägt für die 
Orte, wo eine Leichenschau durch Aerzte nicht ausführbar sei, eine solche durch 
Leichenschaukommissionen (??) vor. Er bittet den Herrn Minister um eine Er¬ 
klärung über den Stand dieser Frage, denn jedesmal, wenn die Sache im Reichs¬ 
tag angeschnitten würde, hiesse es: das sei Sache der einzelnen Staaten und 
privatim würde dann gesagt, dass gerade der preussische Staat der einzige sei, 
an dem die Einführung der obligatorischen Leichenschau für ganz Deutschland 
scheiterte. (Beifall links.) 

Ministerialdirektor Dr. Bartsch: „M, H., was den letzten Theil der 
Ausführungen des Herrn Verredners, die öffentliche Leichenschau betrifft, 
so bedaure ich, dass ich heute nur eine dilatorische Antwort dahin geben kann, 
dass die Angelegenheit sich im Stadium der Verhandlungen befindet. Es ist dies 
ein schwieriges Kapitel, meine Herren, von dem zunächst noch nicht mit Sicher¬ 
heit festgestellt ist, ob Preussen oder das Reich die Angelegenheit in die Hand 
nehmen wird. Aber der Herr Minister für die Medizinalangelegenhciten hat seiner¬ 
seits, um die Angelegenheit zu fördern, eine Umfrage bei den zuständigen 
Provinzialbehörden gehalten, um gewisse Vorfragen beantworten zu lassen. Ich 
bin unter diesen Umständen zur Zeit nicht in der Lage, eine bestimmte Er¬ 
klärung nach der einen oder anderen Seite abgeben zu können und darf nur 
versichern, dass der Herr Minister die Angelegenheit ernstlich im Auge be¬ 
halten wird.“ 

Abg. Dr. Graf erwidert dem Abg. Dr. Langerhans, dass bereits von 
der ira Jahre 1849 aus 15 Aerzten bestehenden und von den Berliner Vereinen 
gewählten Kommission, der auch die Herren Körte und Virchow angehört 
hätten, ein Entwurf der Grundsätze einer neuen Medizinalordnung 
ausgearbeitet sei, in dem man einen Aussclmss mit ehrengerichtlichen Funktionen 
vorgesehen habe, also ein in eine staatlich anerkannte Organisation eingefügtes 
Ehrengericht. Die Idee sei also keineswegs eine neue und noch viel weniger 
eine unerhörte. Dass unter den Aerzten in dieser Hinsicht verschiedene Ansichten 
herrschten, sei ihm bekannt. Hier könne aber keine Vermittelung, sondern nur 
Mehrheit entscheiden. Die grosse Mehrzahl der Aerzte hätte sich aber für die 
Erweiterung der Disziplinargewalt der Aerztekammern entschieden, sowie dafür, 
dass die Aerzte aus der Gewerbeordnung hcrauskoramen (Beifall). 

Abg. Dr. Meyer widerspricht der Behauptung des Abg. Dr. Graf, dass, 
nachdem einmal die Aerztekammern gegründet seien. Niemand sonst das Recht 
habe, im Namen des ärztlichen Standes zu sprechen. Das sei eine Unterschätzung 
des freien Vereinswesens, zu der die freien Vereinigungen der Aerzte am aller¬ 
wenigsten Veranlassung gegeben haben. Gerade in einer solchen Aeusscrung zeige 
es sich, dass dem Abg. Dr. Graf mit Recht ein zünftlerischcr Geist zum Vor¬ 
wurf gemacht worden sei. Er verlange, das Urtheil Anderer solle nicht gehört 
werden, ausschlaggebend solle allein das Urtheil derjenigen sein, die sich zur 
Innung bekennen. Eine derartige Forderung sei aber durchaus ungerechtfertigt 
und habe gar keine Analogie für sich. So falle es Niemanden ein, zu behaupten, 
dass im Namen des Handelsstandes nur die Handelskammern sprechen dürften, 
es würde im Gegcntheil Jeder gehört, der im Stande sei, die Interessen des 
Handels zu vertreten. Jedenfalls hätten die Aerztekaiuincm ihre Beschlüsse 



168 Die (lie>jä!iriue Vcrliainllung des prcussisclicn Alii^^eorducteuhauses ctc. 


durch gute Gründe und nicht durch die Autorität irgend eines Majorilätsvotums 
zu bekräftigen. 

Redner giebt allerdings zu, dass von Seiten einiger Acrzte Handlungen 
vorkämcn, die eines wissenschaftlich gebildeten Standes nicht gerade würdig 
seien, meint aber, dass das Publikum auch ohne die Aerztckammern sehr genau 
den Weizen von der Spreu zu unterscheiden verstände; das Urthcil der Diszi- 
plinarkammer würde daran nichts ändern. Und gesetzt, man untersagte solchen 
Leuten die Rührung des ärztlichen Titels, so würden sie nach dem Stande der 
Gcsctzgel)ung doch das Recht haben, ihre Thätigkoit als Naturarzt oder wie sie 
sich nennen wollen, fortzusetzen; es wäre also nicht das Geringste damit ge¬ 
wonnen, Mit dem vom Vorredner geäusserten Urtheil über das Krankenkassen- 
gesetz stimme er völlig überein; der grösste Schaden dieses Gesetzes liege darin, 
dass eine grosse Anzahl von Personen dem Kreise der Kundschaft entzogen 
würde, den die Aerzte für sich zu gewinnen hoft'en dürften und dass diese Per¬ 
sonen das Recht erhielten, für eine Minimaltaxe behandelt zu werden, obwohl 
sie es gar nicht nöthig hätten, diese Wohlthat zu geniessen. 

Die Kurpfuscherei zu unterdrücken, sei nach den jetzigen Verhältnissen 
nicht mehr möglich, schon früher habe man das strafrechtliche Verbot nicht 
durchführen können. Wo aber der Staat amtlich zu handeln habe, da müsse er 
eine scharfe Grenze ziehen zwischen den approbirten Aerzten und den Kur¬ 
pfuschern. Dass einzelne Krankenkassen unter behördlicher Autorisation sich 
an sogenannte Naturärzte gewandt haben, sei nicht zu billigen und um ein 
solches Vorgehen künftighin unmi‘>glich zu machen, müsse im Gesetze ausdrück¬ 
lich vorgeschrieben werden: ärztliche Behandlung im Sinne des Gesetzes ist nur 
die Behandlung durch eine approbirte Medizinalperson. Leider hätten jedoch 
die Aerzte selbst und auch diejenige politische Partei, der der Abg. Dr. Graf 
allgehörte, nicht alles angewandt, um die schworen Nachtheile abzuwenden, die 
durch die Erweiterung des Krankenkasseugesetzes dem ärztlichen Staude drohten. 
Im Interesse der Aerzte liege cs keinesfalls, den Kreis der versicherungspflich- 
tigeu Personen so gewaltig zu erweitern. 

Abg. Dr. Virchow bedauert es, dass die Meinung über die Aerzte, die 
sonst eine recht gute gewesen, in Deutschland so in Abnahme gekommen sei, 
dass nicht einmal die Verletzung eines positiven Gesetzes den Reichstag gestern 
gehindert habe, auf die Seite der Naturärzte zu treten. Um so mehr sei es 
daher erforderlich, dass die Aerzte recht prüfen, auf welchem Wege sie wieder 
zu einer besseren Beurtheilung seitens des Publikums kommen können. Der 
Abg. Dr. Graf und seine etwas stark doktrinären Freunde scheinen zu glauben, 
je zunftraässiger man das ärztliche Wesen gestalte, umsomehr werde man die 
Achtung des deutschen Publikums geniessen, das sei nach seiner Ansicht aber 
ein Irrthum; viel nothwendiger sei es, die ärztliche Bildung allgemein auf ein 
höheres Niveau zu bringen. Die Zahl der Fälle, in denen ein Grund vorhanden 
gewesen sei, disziiilinarisch gegen einen Arzt vorziigehen, sei naeh seinen Er¬ 
fahrungen eine verhältnissinässig sehr kleine. Wenn auch hier mul da Aerzten 
vorgeworfen werden könne, „sie seien zu sehr nach dem Gelde‘‘, so geschehe dies 
doch nicht in so ehrenrühriger Weise, dass man ihnen mit Disziplinarmassregeln 
beikommen müsste. Auch sonst haben die Aerzte sich keiner irgendwie uennens- 
Averthen Zahl von Verbrechen schuldig gemacht oder Fahrlässigkeiten gezeigt, die 
etwa ein disziplinarisches Eingreifen erforderten. Die ganze Angelegenheit sei 
mir im zuuftmässigen Sinne aufgebauscht. Als er vor einigen Jahren einmal 
ernstlich krank gewesen sei, habe er eines Tages eine Schachtel Pillen aus 
Schaühausen bekommen, mit der Bitte, dieselben zu versuchen. Er habe sich 
die Ziisammensetzung der Pillen angesehen und sie sj^äter versucht. Ihre 
AN'irkuug sei eine gute gewesen und in Folge dessen habe er auch dem betreffen¬ 
dem Apotheker für die freundliche Zusendung gedankt. Der Mann habe das 
Danksagungsschreiben nun in seinem luterese als Reklame verwerthet und die 
F«)Ige davon sei gewesen, dass ihm (Redner) seitens des ärztlichen Bczirksver- 
cins, dem er pflichtschuldigst angehört habe, eine Rüge ertheilt sei, weil er 
durch sein Schreiben das Geheimiiiittelwesen unterstützt und den ärztlichen 
Stand geschädigt habe. Er kann dagegen noch heute nicht finden, dass er etwas 
r>ösi‘s gethan habe, und müsse sich sagen, dass es ihm sehr hart sein würde, 
wenn er sich noch einmal unter der Disziplin einer Innung stellen sollte, welche 
aus ähnlichen Gründen ihm wieder eine sulche Zensur zukommeu Hesse. Die 
Frage wegen der Disziplin sei überhaupt gauz ungemein schwierig im Voraus 



I)ie rliesjiiliri<;r\ V<‘riian(l!mi^ «les prenssisclu n Ab^^fordiu'truhMiHt’s etc. 


zu norniireii, bt*s(>n<li*rs mit Kücksiclit darauf, was (iri^:cnstand drr Disziplin s(‘in 
soll. Ks sei sehr wahrselieinlielu dass zu versehir‘denen Zeiten <lie aller^^rr>sst» n 
Verscliiedenheiten in di^r Dentunu:, vielleicht die iiiurereelitesteii Erwüiruiuren 
statttiuden wiirdeii. Im Reiclisla^e sei e;est(Tn z. B. die Kpisnd(* Koch als die 
schlimmste Leislunjx, die ^rö^^te Blamai^e der modernen .Medizin vor<xelührl. 
Wie Herr Graf in diesem Au^enbliek darüher denke, das wisse Redner nicht, 
jedenfalls hätten sieh aber an die Kriindiin^ von Koch eine ü:anze Reihe von 
praktischen Rrozeduren anuckniii)lt,die zu disziplinarischen I ntersuchuiuri n liätten 
Anlass bieten kdiineii. ln wxdcln r Weise abcT bed diesen Untersuchungen hätte 
vorgegaii^en werden müssen, dies zu entscheiden würde sehr schwer gewesen 
sein. Und wenn in solchen grossen Katastrophen die Uiuge der Disziplin eine 
äusserst schwierige sei, da nieht se lten diesellM^n Uersonen, welche heute julx lnd 
Zurufen, vielleicht nach drei Monaten die herbsten Verurlheilungen aussprechen, 
dann sei die Besorgniss gereehtiertigt, dass amdi in anderen Fällen das 
Innungsweseii in seiner gidiässigsten (iestalt zur Erscheinung kommen könnte. 
Dass die Aerzte unter sich Disziplin halten sollen, der Ansicht sei Redner auch 
jetzt noch ebenso wie im Jahre 1848, aber er gehe nieht soweit, ihnen weit¬ 
gehende disziplinäre Reehtc einziiräumon. Sehon jetzt könne ein freier, aus 
selbstständiger Entseliliessung zusammengetretener oder vom Staat legalisirter 
ärztlicher Verein Personen, wadche nach irgend einer Richtung hin oiiu? Jin- 
stö^ssige Lebenshaltung gezeigt haben, ausschliessen; alles Weitergeheiide sei aber 
gefährlich und führe leicht dahin, dass eine Beeiiitlussung im Sinne entweder 
der Innung oder der amtlichen Staatsgewalt statttinde. 

Zum Schluss betont Redner, dass die auch im Reichstag zu Tage getretene 
Behauptung, dass er sieh einstmals für die Verstaatlichung der Apotheken ausge- 
sjiroclien liätte, eine völlig irrthümliche sei. Er habe sieh nur dahiii geäussort, dass 
die Einrichtung der Apotheken eigentlich eine k o m m u na le Aufgabe sein sollte; in 
dieser (icstalt seien die Apotlieken ihrer Zeit ins Leben getreten, und ebenso wie 
früher die Apotheken von Seiten der Städte eingerichtet seien, könnte auf dem 
])latteii Lande der Kreis dafür sorgen, dass hier an den richtigen Stellen 
Apotheken eingerichtet würden. Daun würde alles Geschrei über geliässige Be¬ 
vorzugung einzelner Personen aufhören. An dieser Ansicht halte Redner auch 
jetzt noch fest und könne daher nun nochmals die Uebertragung der Apotheken 
auf die Gemeinden empfehlen. 

Abg. Dr. Graf: Von einer Zunft sei bei den Aerztekammern ebensowenig 
die Rede, wie bei den vereinigten freien deutschen Aerztevereinen, an deren 
Spitze Redner seit 20 Jahren stehe. Der ihm gemachte Vorwurf eines züuftle- 
rischen Geistes würde dem Abg. Virchow in gleicher Weise treffen müssen; 
denn der seiner Zeit von diesem mitausgearbeitete Entwurf einer Metliziiial- 
ordnung habe Ehrengerichte in staatlicher Organisation vorgeselilagen, also 
dasselbe, was jetzt beabsichtigt sei. Dass der Al)g. Dr. Virchow mit seimun 
Dauksagungsschreiben für die Schweizerpilleii so hineingefallen sei, werde ihm 
sicherlich nicht angenehm gewesen sein. Betreffs der Koch' sehen Affaire denke 
Redner noch genau so wie im vorigen Jahre. 

Den Aerzten dadurch zu helfen, dass sie auf ein höheres Niveau der 
Bildung gebracht werden, wolle der Aerztevereinsbiiud ebenfalls, damit werde 
aber die in Rede stehende Frage nicht gelöst. Die gestrige Abstimmung im 
Reichstage sei die Quittung dafür, dass im Jahre 1809 der ärztliche Stand unter 
die Gewerbeordnung gebracht sei, woran der Abg. Virchow einen grossen Teil 
der Schill dtrage. Wenn dieser gestern versucht habe, dies wieder gut zu machen, 
so sei Redner ihm Namens des Aerztestandes sehr dankbar dafür und begrüsse 
ihn als Bundesgenossen bei Regelung dieser Frage, die aber nur durch eine Re¬ 
vision der Gewerbeordnung möglich sei. 

Nach einigen persönlichen Bemerkungen der Abgeordneten Dr. Virclio w, 
Dr. Graf und 01zcm erhält das Wort: 

Abg. V. Pilgrim (Minden): „Der Herr Abgeordnete Graf hat bereits 
im Anfänge seiner Rede der beamteten Aerzte gedacht und vom Miiiistertische, 
vom Herrn Vertreter des Herrn Ministers haben wir ja auch eine zustimmendc 
Erklärung gehört, ebenso wue im Vorjahre der Herr Minister selbst seine Zu¬ 
stimmung zu dem Anträge der Besserstellung der beamteten Aerzte erklärt hat. 

Aber, m. H., wir hören seit Jahren die Versprechung, cs solle liesser 
werden; es kommt aber nicht dazu, obgleich man von den Gründen durchdrungen 
ist, dass es besser werden muss. Nuu meine ich aber, wenn man diese Gründe 



170 


Kleinere Mittlieiinngon uiifl Referate aus Zeitseliriftctl. 


anerkennt, so müsste es ebenso gut dem Herrn Minister für die Medizinalaiige- 
legenheiten gelingen, für die Kreisphysiker einhöheresGchalt, eine bessere 
Lebensstellung zu erringen, wie cs dem Herrn Minister für die landwirth- 
schaftlichen Angelegenheiten gelungen ist, für die älteren Oberförster ein höheres 
Einkommen zu erlangen, und wie es auch dem Herrn Minister der öffentlichen 
Arbeiten gelungen ist, für die älteren Kreisbauinspektoren ein besseres Ein¬ 
kommen zu erzielen. Ich meine also, unser Etat, wenn er auch für den Augen¬ 
blick noch nicht die Verwirklichung in Aussicht stellt, wird mit der Zeit doch 
in der Lage sein, diese dringend nothwendige Ausgalie leisten zu können Es 
würde dadurch dem im ganzen Lande tief gefühlten Kedürfniss endlich einmal 
abgeholfen werden. Sollte aber doch in der nächsten Zeit es nicht möglich sein, 
diesen finanziellen Punkt zu regeln, so möchte ich doch dem Herrn Minister bei 
der Gelegenheit diese eine Bitte ans Herz legen, dass er wenigstens den beamteten 
Aerzten, den Kreisphysikern, eine höhere Rangstellung anweisen wolle. 
Bisher haben die Kreisphysiker mit den Oberförstern und mit den Kreisbau¬ 
inspektoren denselben Hang inne gehabt. Nun hat man es neuerdings als noth- 
wendig und erforderlich erachtet, diesen Beamten, das heisst den älteren Ober¬ 
förstern, den Titel Forstmeister und damit den Rang der Räthe IV. Klasse 
zuzuerkennen. Ausserdem hat kürzlich der Vertreter des Herrn Ministers der 
öffentlichen Arbeiten hier in sichere Aussicht gestellt, dass auch den älteren Kreis¬ 
baubeamten demnächst eine Auszeichnung durch Verleihung eines Titels Baurath 
mit dem Rang der Räthe IV. Klasse zu Theil Averden solle. Nun, meine ich, 
möchte der Herr Minister für Medizinalangelegenheiten seinerseits doch auch in 
Erwägung nehmen, ob es nicht an der Zeit sei, den älteren Kreismedizinalbearaten 
einen ähnlichen Rang beizulegen, vielleicht unter Verleihung des Titels Kreis¬ 
medizinalrath. Ich finde, dass der Titel Sanitätsrath nicht vollständig das 
bes^^t und bezeichnet, was der beamtete Arzt, der Kreisphysikus, in seinem 
Kreise bedeutet. Er ist eben als Arzt beamtet, und da die Medizinalbcamten 
der Regierung Regierungsmedizinalräthe heissen, so möchte ich glauben, dass 
hier Kreismedizinalrath der richtige Titel wäre, um einen Unterschied zwischen 
diesen und dem blossen Charakter der Sanitätsräthe zur Geltung zu bringen. 

M. H., ich will mich darauf beschränken, diese Wünsche hier in kurzem 
ausgesprochen zu haben und hoffe, dass der Herr Minister die Güte haben wird, 
in der Folge nach der einen, wie nach der anderen Seite hin meine Wünsche zu 
berücksichtigen.^ (Bravo! rechts.) 

Abg. Brandenburg: „Ich hatte auch die Absicht, gleichwie die Herren 
Dr. Graf und v. Pilgrim, ein Wort für die Ausbesserung der Kreisphysiker 
einzulegen — schon aus Dankbarkeit gegen meinen lieben alten geheimen 
Sanitätsrath und Kreisphysikus, mit dem ich nun bereits 80 Jahre im Amte zu 
thun habe. Ich glaubte trotz der Zusicherung, die wir wegen der Aufbesserung 
der Beamten in der Reihenfolge von unten auf gegeben haben, eine solche Vor¬ 
berücksichtigung befürworten zu dürfen, da wir ja auch den Normaletat für die 
Lehrer vorweg bewilligen wollen. Das, was ich in dieser Hinsicht bemerken 
wollte, ist jedoch bereits von den Herren Vorrednern ausgeführt worden; und 
nach der wohlwollenden Erklärung, die vom Ministertisch her — gewiss ernstlich 
gemeint — erfolgt ist, habe ich statt einer Bitte nur einen Dank ausznsprecheii. 
Ich beschränke mich auf dieses Wort, gebe dabei aber der Hoffnung Ausdruck, 
dass die gegebene Zusicherung nun endlich in Erfüllung geht.“ 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Zur gerichtsärztlichen Benrtheilung von Vergiftungen durch 
Wurmfamextrakt. Von Prof. Dr.A. Pal tauf in Prag. Prager medizinische 
Wochenschrift 1892; No. 5 und 6. 

Verfasser theilt einen von ihm beobachteten Fall von tödtlicher Ver¬ 
giftung durch Wurmfarnextrakt mit, bei dem es sich ebenso wie bei den bisher 
bekannt gewordenen derartigen Fällen um eine rein medizinale, in Folge einer 
ärztlich verordneten Bandwurmkur eingetretene Vergiftung handelte. Der be- 



klt'incre Mitllieilungen iiml Ri‘ft‘ratc aus T^iitscliriftcn. 


171 


treffende Patient hatte nach eintägigem Fasten nur 4,5 gi*) Extr. Filie. maris 
mittelst Magensonde erhalten; V* Stunde später trat Erbrechen gelblicher 
Massen ein, dabei heftige Bauchschmerzen und Durst. Nach Verlauf von r> 
Stunden Cyanose, Pupillenstarre, Amaurose, andauernde Schmerzen der Magen- 
gegend; hierauf reichlicher gelbbrauner lliissiger Stuhl, Kollaps, Dyspnoe, er¬ 
neutes Erbrechen, Zuckungen und klonische Krämpfe in den Händen und Füssen. 
Unter zunehmender Herzschwäche, Dyspnoe und ('yanose erfolgte schliesslich 
der Tod, 13 Va ^Stunden nach Einnahme des Extrakts. Das Ergebniss der ge¬ 
richtlichen St'ktion fiel im Allgemeinen negativ aus, die Chloroformausschüttelung 
des Dickdarininhaltes war grünlich gefärbt und zeigte das ('hloropbyll-Spectruin. 

Nach Pal tauf ist die Ursache der Vergiftungen nach geringen Dosen 
von Wurmextrakt entweder in einer abnormen Wirksamkeit der Droge oder in 
einer eigenthiimlichen, die Resorption von abnorm grosser Menge des wirksamen 
Extraktes besonders begünstigenden Körperbeschaffenheit des Patienten zu suchen. 
Für die erstere Ansicht spricht die Thatsache, dass der Gehalt des Rhizoms an 
wirksamen und giftigen BesUndtheilen je nach dem Standorte der Pflanze ein 
verschiedener ist. Das Extractum Filicis mar. Wolmareux wirkt z. B. viel 
giftiger als das in Deutschland allgemein ottizinelle Wurrafarnextrakt. Auch 
durch eine chemische Veränderung des Extraktes kann seine giftige Wirkung 
erhöht werden. Nicht ohne Einfluss ist ferner die Art des Vehikels. Da Quirll 
und Poulsson experimentell die leichte Löslichkeit des Extrakts bezw. des 
wirksamen Bestandtheils desselben in fetten Oelen festgestellt haben, erscheint 
die Schlussfolgerung durchaus gerechtfertigt, dass bei gleichzeitigem oder kurz 
nach der Einnahme des Bandwurmraittels erfolgtem Verabreichen von Ricinusöl, 
wie dies sehr häufig geschieht, die Resorption und damit die toxische Wirkung 
des Extraktes begünstigt wird. Pal tauf empfiehlt daher, statt Ricinusöl, 
wenn erforderlich, lieber salinische Abführmittel, Jalapa u. s. w. zu verabreichen. 
Ebenso kann durch ein längeres Zurückhalten des Darminhaltes eine vermehrte 
Resorption des Mittels bewirkt werden und führt Pal tauf auf dieses Moment 
den tödtlichen Ausgang nach dem Eiimehmen von 6 gr Extract. in einem ande¬ 
ren Fall zurück, der ihm von dem Stadtphysikus Dr. Er man in Hamburg mit- 
getheilt ist und bei dem die Sektion Verengerungen und Verwachsungen des 
Darms ergeben hatte. Auf alle diese Punkte hat der Gerichtsarzt im gegebe¬ 
nen Falle Rücksicht zu nehmen, desgleichen auf die auch von v. Hof mann 
und Frey er betonte Möglichkeit einer bestehenden Idiosynkrasie, wie solche 
auch bei andern Substanzen, wie Opium, Chloroform, Salicylsäure u. s. w. ver¬ 
schiedentlich beobachtet ist. Rpd. 


Ueber Blutgerinnung in den Körperhöhlen bei tödtlichen Ver¬ 
letzungen. Von Professor Dr. C. Seydel, ger. Stadtphysikus in Königsberg i. P 
Deutsche medizinische Wochenschrift 1892. No. 7. 

Bei grösseren Blutergüssen in den Körperhöhlen, besonders in der Thorax- 
und in der Bauchhöhle, findet man bekanntlich gewöhnlich das in die freien Höhlen 
ergossene Blut theils geronnen, theils flüssig und zwar ist in den grösseren 
freien Höhlen der Haupttheil des aus grösseren Gefässen, dem Herzen oder zer¬ 
rissenen Organen ergossenen Blutes flüssig, und nur ein kleiner Theil, selten V.i 
oder gar V 2 Blutergusses, findet sich in Form ziemlich fester, dunkler Ge- 
rinsel, die in dem flüssigen Blute schwimmen, Seydel beschreibt 2 Fälle von 
Selbstmord durch Schussverletzung, wo bei dem einen im Brustfellsacke fast 
nur dunkel geronnenes Blut in grösseren und kleineren Stücken nebst 
sehr wenig flüssigem Blute im Gesammtgewichte von 1500 gr gefunden wurde, 
während im extremsten Gegensätze hierzu sich bei dem andern Falle im Pleura¬ 
sacke ca. 1 Liter dunkelen flüssigen Blutes vorfand, bei dem fast gar 
keine Gerinnung eingetreten war. Diese beiden kurz skizzirten Fälle mit so be¬ 
deutend von einander in Bezug auf die Blutgerinnung abweichendem Befunde 
veranlassten den Verfasser, der Frage über die Blutgerinnung bei tödtlichen 
Verletzungen in den Körperhöhlen näher zu treten und dieselbe, soweit es sich 
ermöglichen liess, experimentell zu prüfen. Es wurden im Ganzen 18 Hunde 
aus wechselnden Entfernungen durch Pistolengeschosse von verschiedenem Kaliber 


*) Bei den bisher von Freyer, Eich, Fuchs, Hofraann, Bani- 
berger, Lorenz u. s. w. beobachreteu Fällen schwankte die Dosis zwischen 
6-25 gr. 



172 


Kleinere Mittheilungen nn<l Referate ans Zeitschriften. 


in tlie linke Thoraxhälftc getödtet und kurz nachher sezirt. Die aus diesen Ver¬ 
suchen gewonnenen Resultate fasst Seydel dahin zusammen: 

1. Aus normalen Gefilssen, durch Zerreissung derselben, entleertes Blut 
gerinnt selbst bei schnell eintretendem Tode vollständig, wenn es sich unter 
hohem Drucke in veränderte, d. h. zerrissene oder zertrümmerte Gewebe ergiesst; 
daher finden wir es stets fest geronnen in den Maschen des Unterhautbinde¬ 
gewebes, in der Schädelhöhle, (eine Ausnahme findet bei pachymeningitischen 
Blutungen statt) im Herzbeutel und ähnlichen Köi'perhöhlen mit zerrissenen 
Geweben und relativ geringer Kapazität, in der sich das Blut relativ schnell ergiesst. 

2. Die Gerinnung scheint proportional zu sein mit der Zerstörung resp. 
Veränderung der Gewebstheile, die mit dem Bluterguss in Berührung kommen. 

3. Eine längere Lebensdauer nach der Verletzung scheint die Blutge¬ 
rinnung zu befördern, M’ährend ein sehr schneller Tod ceteris paribus die Ge¬ 
rinnung weniger vollständig werden lässt. 

4. Ebenso wie stark veränderte Gewebstheile scheinen Fremdkörper 
(mehrfache Projektile) und Gase (Pulvergase) zu wirken. 

_ Dr. Dütschke-Aurich. 


Fall von Sarggebnii;. Von Dr. Blei sch, Kreisphysikus in Cosel. 
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen. 
3. Folge, III. H. 

Die Dienstmagd K. starb während der Geburt unentbnnden nach mehr¬ 
stündiger Geburtsarbeit. Eine genaue Todesursache konnte nicht festgestellt 
werden; dass die Frucht nicht ausgestossen war, bezeugten die Hebammen und 
der 2 Stunden nach dem Tode anwesende Arzt. Eine halbe Stunde vor dem 
Tode war die „Gebärmutter offen und die Blase noch unverletzt“. Ebenso 
wurde 5 Stunden nach dem Tode hei der Sarglegung eine Kindcsleiche sicher 
nicht gesehen. Als die Obduktion der Leiche 3 Tage später vorgenommen 
w'urde, lag bei der Oeffnung des Sarges die Leiche der K. in gewöhnlicher 
Haltung. „Die äusseren Geschlechtstheile waren theils schwarzgrün, theils 
schmutzig roth gefärbt, die grossen Schamlippen wulstig aufgetrieben, knisterten 
bei Fingerdruck; aus dem unteren Theile der Schamspalte ragte eine kindes¬ 
kopfgrosse, an der Oberfläche feuchte und glänzende, sowie gerunzelte schmutzig- 
rothe Fleiscbmasse hervor, die an ihrer oberen Wand nahe der Schamspalte eine 
handtellergrosse, mit warzenartigen Erhebungen bedeckte schmutzigrothe Stelle 
zeigte (die nach Aussen nmgestülpte Gebärmutter mit Ansatzstelle des Mutter¬ 
kuchens). Der Obern Fläche der Gebärmutter lag der schwarzgrün gefärbte 
Mutterkuchen mit seiner Gcbärmuttcrfiäche an; mit dem Mntterkuclieu durch 
die nicht unterbundene, graugrün verfärbte unverletzte Nabelschnur verbunden, 
lag zwischen den Oberschenkeln eine männliche Kindeslciche, welche den Rücken 
nach oben kehrte und mit dem Kopfe nach den Füssen" der weiblichen Leiche 
gerichtet war, sozwar dass das Gesicht der Kindcsleiche nach der Unterfläche des 
Sarges hinsah.“ (No. 16 des Obduktions-Protokolls.) Ira Uebrigen ergab die 
Sektion ziemlich vorgeschrittene Fäulniss der Leiche, allgemeine Blutleere der 
Gefässe und der inneren Organe, auch anormale Beckenmasse. 

Die gleichfalls ansgeführte Sektion der Kindesleiche ergab die Zeichen 
des neugeborenen Zustandes, der Reife und Lebensfähigkeit, ferner die Zeichen 
einer in normaler Schädellage erfolgten Geburt und diejenigen der fötaler Er¬ 
stickung des Neugeborenen. 

Es handelte sich also im vorliegenden Falle um eine Sarggeburt. Nach¬ 
dem im Leben die Wehen die Geburt cingeleitet hatten, war durch die Wirkung 
der Fäulnissgase die Geburt beendet, die Gebärmutter invertirt worden. Um dies 
annehmen zu können, müssen nach Bleisch drei Bedingungen erfüllt sein: es 
muss die mütterliche Leiche deutliche Zeichen der Fäulniss zeigen; es darf die Leiche 
des Kindes nicht die Zeichen des Lebens nach der Geburt haben; es muss aus 
der Beschaffenheit der Kindesleiche und der Nachgeburt, sowie aus ihrer Lage¬ 
rung zur mütterlichen Leiche mit genügender Sicherheit hervorgehen, dass die 
Lagerung derselben nur die Wirkung der anstreibenden Kräfte war; es 
müssen also Kindesleiche, Nabelschnur, Nachgeburt unverletzt sein und Zusammen¬ 
hängen und sich bei der mütterlichen Leiche der eventuellen normalen Geburt 
entsprechend geleert finden. 

Die Möglichkeit einer Sarggeburt ist lange bestritten worden. Wenn 
auch in den meisten Fällen nur die Fäulnissgase austreibend wirken, kann doch 
die Möglichkeit einer Entbindung durch die postmortale Kontraktion der Gebär- 



Kleinere Mittheilungt'U und Referate aus Zeitschriften. 


173 


mutier, welche filr die Dauer einer Stunde nach dem Tode bei Menschen und 
Thieren festgestellt ist, nicht ausgeschlossen werden. Da diese eine krampf¬ 
artige Kontraktion ist, so muss die Geburt während des Lebens beinahe be¬ 
endet sein. Kr.-Phys. Dr. Rump-Osnabrück. 

B. Hygiene und üffeullicbes Sanitätswesen. 

Untersuchungen fiber das Choleragift. Von Dr. R. Pfeiffer|, 
Vorsteher der wissenschaftlichen Abtheilung des Instituts für Infektions-Krank¬ 
heiten. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. XI, 3. 

Verfasser fand bei Versuchen mit dem Vibrio Metschnikoff, dass 
Bouillon - Kulturen bei intraperitonealer Injektion auf Meerschweinchen eine viel 
höhere Giftwirkung entfalteten, wenn sie durch Kochen sterilisirt waren, als 
wenn sie durch Filtriren durch Porzellankerzen von den lebenden Bakterien be¬ 
freit waren. Pfeiffer nahm daher an, dass der Giftstoff den Bakterienkörpern 
in ziemlich naher Verbindung aiihafte, vielleicht ein integrirender Bestandtheil 
derselben sei. Versuche mit Choleravibrionen bestätigten die Annahme. Ver¬ 
fasser fand zunächst die interessante Thatsache, dass Meerschweinchen durch 
recht geringe Mengen frischer Agarkulturen bei peritonaler Injektion getödtet 
wurden. Agarkulturen wählte Verfasser, um möglichst nur die Masse der Bak¬ 
terien, ohne Beimengungen des Nährmediums und der etwa in diesem enthaltenen 
Stoffwechselprodukte zu erhalten. Das Krankheitsbild zeigte lebhafte Aehn- 
lichkeit mit dem Stadium algidum der menschlichen Cholera: grosse Muskel¬ 
schwäche, Muskelkrämpfe und sehr starkes Sinken der Temperatur — letzteres 
von übelster prognostischer Bedeutung. Im Darminhalt fanden sich niemals 
Vibrionen; Herzblut und Peritonealflüssigkeit lieferten zuweilen einige Kulturen 
von Cholera - Vibrionen, waren aber ebenso oft steril. Die Thiere sind also nicht 
einer Infektion, sondern einer Intoxikation erlegen. (-holerabakterien, 
welche durch Eintrocknen, durch C’hloroforra oder Thymol abgetödtet waren, ent¬ 
falteten dieselbe Giftwirkung. Alcohol absolutus, "Neutralsalze und Siedehitze 
zersetzen den Giftstoff und lassen sekundäre Giftstoffe zurück, die eine ähnliche 
physiologische Giftwirkung, aber erst in der 10 bis 20fachen Menge entwickeln. 
Die Rcindarstellung des Choleragiftes bezeichnet Pfeiffer als eine überaus 
schwierige Aufgabe, nur so viel könne man bisher mit Bestimmtheit sagen, dass 
es eine hochkomidizirte und sehr labile Substanz sein muss, die in engen Be¬ 
ziehungen steht zu dem Bakterienprotoplasma, vielleicht dieses selbst ist, P f e i f f e r 
setzt sich damit in bewussten (iegensatz zu Hüppe, nach dessen Ansicht die 
('holeravibrionen nur bei Anaerobiose erheblich giftig wirken und dieses Gift nur 
bei reichlicher Gegenwart von genuinem Eiweiss als eine peptonartige Verbin¬ 
dung aus dem letzteren abscheiden. Eine ziemlich lebhafte Auseinandersetzung 
mit dem Hüppe'sehen Standpunkt bildet den Schluss der interessanten und 
wichtigen Pfeiffer'schen Arbeit. 

Dr. Langerhans-Hankensbüttel. 

Zur Prophylaxis der Influenza. Von Dr. August Olli vier iu Paris. 
()riginalbericht nach einem Vortrag in der Academie de M^decinc. Allgemeine 
Wiener medizinisch«^ Zeitung. 02, No. 9. 

„Das prädisponirende Moment, dessen Einwirkung am wenigsten bestritten 
wird uud das am Besten gekannt ist, ist die feuchte Kälte. Gegen diese sollte 
sich also die Bevölkerung nach Möglichkeit schützen. Die Leute sollten sich 
besser kleiden und siibstantiöser ernähren, dabei Exzesse im Essen und Trinken 
meiden, nicht spät Abends oder gar in der Nacht sich im Freien bewegen, länger 
als sonst im Bette bleiben, und in mässigen Mengen tonische, warme Getränke 
einnehmen.“ — „Ausserdem giebt es ein Medikament, von welchem man nicht 
spricht, an welches man überhaupt nicht zu denken scheint, dessen Werth, wenig¬ 
stens in prophylaktischer Hinsicht, mir aber ein reeller zu sein scheint: Das 
ist der Leberthran. — Er übt eine mächtig tonisirende Wirkung auf den 
Körper aus, die denselben in den Stand setzt, sich mit Erfolg gegen die Ein¬ 
wirkung der feuchten Kälte zu vertheidigen!“ Der Gedanke an die Möglichkeit 
einer .^steckung scheint Herrn Dr. August Olli vier nicht zu kommen — es 
muss auch solche Leute geben! Ders. 



174 


Kleinere Mittheilungeu und Referate aus Zeitschriften. 


Gewinnung von Reinkulturen der Tuberkelbazillen und anderer 
pathogener Organismen aus Sputum. Von Dr. S. Kitasato. Aus dem 
Institut für Infektionskrankheiten; Zeitschrift für H 3 'giene und Infektionskrank¬ 
heiten. XI, 3. 

Bekanntlich wurden nach Koch's Vorgang die Reinkulturen der Tuberkel¬ 
bazillen ursprünglich aus den Organen künstlich mit TiibtTkuIose infizirter Thiere 
gewonnen und es konnte gogen die Heobachtungen, welche an diesen Kulturen 
gemacht wurden, das Bedenken gemacht werden, dass Ix im Passiren durch den 
Thierkörper an den Tuberkelbazilien Veränderungen vor sich gehen können, die 
sic von den Tuberkelhazillen, wie sie beim Menschen Vorkommen, unterscheiden. 
Es wnr daher eine wichtige Aufgabe, Tiiherkelbazillen in Reinkultur direkt von 
dem tuberkulösen Menschen, ans dem Sputum, odt r aus der Leiche zu züchten. 
Die Lösung dieser Aufgabe musste von vornherein schwierig, wenn nicht un¬ 
möglich erscheinen, da das Sputum in der Mundhöhle regtdinässig mit den zahl¬ 
reichen Mundbakterien verunreinigt wird, die auf unseren künstlichen Nährböden 
zum Theil ein sehr üppiges Gedeihen zeigen und die schwer und langsam 
wachsenden Tuberkelbazillen im Keim ersticken. Aeluilich liegen die Verhält¬ 
nisse beim Kavernen-Inhalt. Die^ von Kitasato mit Erfolg angewandte 
Methode, dieser Schwierigkeiten FLut zu werden, ist von Koch angegeben und 
trägt denselben unverkennbaren Stemjiel genialer Einfachheit, der Kochs ge¬ 
summter Methodik eigeiithümlich ist. Das Verfahren ist folgendes: Ein durch 
Husten, nicht etwa durch Räuspern heraufhelördertes Sputum wird nacheinander 
in mindestens 10 mit destillirtimi, sterilisirtem Wasser gefüllten Petri’scheii 
Schälchen auf das Sorgfältigste aligewasclien, wodurch es in der That gelingt, 
die äusserlich anhaftenden Bakterien der Mundhöhle vollständig auszuspüleu. 
Ein Flöckchen aus dem so gereinigten, mit storilen Instrumenten zerrissenen 
Sputum liefert auf (Tlyzeriiiagar ausgesetrichen, häufig eine Kciukultur des Tuberkel- 
Bacillus. Auch aus dem Inhalt des Lungenkaveruen gelingt die Reinzüchtung 
auf dieselbe Weise. 

Von grosser Bedeutung ist die hierbei gemachte Beobachtung, dass viele 
der im Sputum und den Kavernen vo r k o in in e n d e n Tuberkel- 
bazillen, auch wenn sie mikroskopisch durchaus unversehrt er¬ 
schien eu und die typische Färbung mit Leichtigkeit aimahmen, doch bereits 
a b g c s 1 0 r b o n waren. (Selbstverständlich wird die Tragweite der G o r n e t ’sciien 
IJutersuchungen ülier das Vorkommen der Tuherkidbazilleii in der (’ingehung 
schwindsüchtiger Personen durch diese Beohachtiingeii in keiner Weise ge- 
schinälert.) 

Ausser den Tuberkelhazillen fand Kitasato noch mehrere andere Bak¬ 
terien, die in den Lungen, hezw. im Sputum Tuherkul(>ser so regeluiässig und 
so überaus zahlreich — häutig geradezu in Reinkultur — auftreteu, dass Ki tan 
sato an einen gewissen Einfluss derselbeu auf dem Kranken und an eine Be¬ 
theiligung der betr. Bakterien andern Krankheitsbilde glaubt. Nähere Forschungen 
hit.Tiiber werden von Cornet in Aussicht gestellt. - 

Dr. L a n g e r li a n s - Hankensbüttel. 

Ueber Tripper und die zur V^erbiitung seiner Ausbreitung geeig¬ 
neten siinitätspolizeiHchen 3Iassregein. Von .Stabsarzr ])r. Scholz in 
Posen. Viertel.iahrsschrift für gerichtliche Medizin und idfciitliches t^aniläls- 
weseii, 1S91 u.1892, Oktober- u. .laiiuar-Heft. 

Die v^cblussätze der sich bis in die kleinsten Details erstreckenden und mit 
grösstem Fleiss gescliriehenen Arbeit lauten: 

a) G o n o r r li o e: 

1. Ide geheime Prostitution ist mit allen Mitteln zu bekämideii. 

2 . Die öff(‘ntliehe l’rostitution ist streng zu iiber\vach* ii. 

3. Die ärztlichen Untersuchungen der polizeilich heaufsichtie'ten Fraums- 
perscnen sind mit der grössten Sorgfalt durchzuführen; die Aerzle liaiKUi sich 
dazu aller Älittel, die ihnen die Wisseii'ciiaft an die llaml giehr, zu hcdieneii, 
um die Diagnose dcu* gonorrhoischen Erkranicung en z erieichtern ; die mikros¬ 
kopische Untersuchung ist iu jedem einzelnen Falle vorzunehnieii, und ist für 
dieselbe mindesp*ns das Sekret der Undhra zu benutzen. 

4. Als Ihdizeiiirzte sind nur solche anzustellen,w'elcln* die bakterielle 

Uutersuchuugsteciinik vollkommen zu beherrschen vermen. 



Kleiuere Mitthciliingou und Referate aus Zeitschriften. 


175 


5. Die zu den Untersuchungen bestimmten Räumlichkeiten müssen in den 
gewünschten Zustand gesetzt werden, um den Aerzteu zu ermöglichen, sich leicht 
ihrer Aufgabe entledigen zu können. 

6. Die für die mikroskopischen Untersuchungen erforderlichen Instrumente 
sind staatlicherseits zu beschatfen. 

7. Die Zahl der Polizeiärzte ist so zu regeln, dass jeder täglich nicht 
mehr als 25—30 Untersuchungen vorzunehmen hat. 

8. Für Errichtung von Zufluchts- und Arbeitsstätten für in Noth befind¬ 
liche Jlädchen ist Sorge zu tragen. 

9. Den erkrankten Frauenspersonen ist freie Hospitalbehandlung zu ge- 
währen. 

10. Den Männern ist die Möglichkeit zu gilben, von der Gonorrhoe in 
einer vom Staate garantirten Heilanstalt mriglichst kostenlos befreit zu werden. 

b. ßlennorrhoe der Neugeborenen: 

11. Das Korn’sehe prophylaktische Verfahren ist den angestellten 
Hebainmen zur Pflicht zu machen. (Grüiulliche Reinigung der Kinder). 

12. Den Hebammen ist eine Auzeigepflicht aufzuerlegen. 

13. Die Bestrafung der Hehainme ist bei Verletzung der Berufspflichten 
nach den bestehenden Gesetzen einzuleiten. 

14. Die Gesundheitshehörde muss von Zeit zu Zeit über diese Kranklndt 

i»iVentliche Belehrungen für Angehörige und Verwarnungen für Hebammen (er¬ 
lassen. Dr. Dütschke-Aurich. 

Zur Vernichtung des stiidtisehen Unraths (Müll). Von Th. Weyl. 

ln der Sitzung der ilerüner medizinischen (B*sellscbalt vom 25. Xoveinb(*r 
IsOl l)f*richtet(? Th. Weyl über die in englischen Städt(Ui zur Viumichtiing des 
^t;idrischen Mulls bestehenden Einrichtungen und hebt hervor, dass bereits in 
25 englischen Städten der Unrath in dem von Fryer konstruirten Destruktor 
verbrannt wird. Die Verbrennung gt^scliieht rauch- und geruchlos und werden 
nur ca. 30'’„ Rückstände (clink('rs) hinterlasscn, wchdie zur Aufschüttung von 
Strapsen, zur Herst(dlung d<*r Zwisch(uibodenfüllnngon, zur Fabrikation von 
.Mörtrd und von Bausteinen verwandt werden. Die bei der Verbrennung erzeugte 
Wärme Indzt Dampfkessel, welclie ihr(‘rseits wieder Pumpen, Zerkleinerungs- 
niasehinen treiben oder durch Vermittelung von Dynamos ulektrisch(‘s Jucht 
lu'ediizirt'n. 

Da durch die Verhrennnng sämmtlielie im städtisehen T5irath enth.iltemm 
jcitlmgr-iien Keime Z(‘rstiü t werden, erscln int die Metlmde aus h y g i e n i s c h e n 
(Jrimdem sehr empbdib nsw(U’th; aber aucli finanzitrfle Riicksiehteii sprecln n 
sehr dafür, W( il die LInterlu'ingung d(;s Mülls auf di*m Ii;in(I(‘ bei der fortwäli- 
rmdeii X'ergrüsMU'ung der Städte sich immer kostspieliger gestalter. 

l)ers. 

Ucher die Morhiditiitsverhältnisse in Papierfabriken. Voji Dr. F. 
Frem inert, Arzt an der No he’sehen Papierfabrik bei Islu^ra im (uuiverne- 
ment St. Petersburg. Dtmlsclie Viertcljahrsschrift für ötfentliche Gesundheits¬ 
pflege, 4. Heft, ISOl, S. 529 -577. 

Auf (rfmnd einer 25jährig(‘n Erfahnmg als Eabrikarzt uml an de*r Hand 
(*im‘S grossen statistis(di<m Jlatrrials ercü’tert Verlasscr die Frage, welche 
Krankheit» n <ler Arln iter in Paiderfahrikeii als eigentlielie Gewerbekrauk- 
lieiten zu iietrachten seien. Er kommt zu <lem Seliliiss, da^^s die Gesundludts- 
vcrhältnis<e lud der seiner Ueht*rwachung anvertrauten Fahrikarheitern güii.^tige 
gewesen seien, liesser als die der uniwohiiendeii ländliclien Bevölkerung. Spezi- 
ti>(die, von der Beschäftigung lierrülirende Kraiikludtiui, ahgesehen von den «lurcli 
Staubinbalal ioii liervnrgerufenen Resjiirationskraukheiten, welche wedtT an Intensi¬ 
tät. noch an Häuiigkeit etwas Aul’lälliges darhotiui, hat VerfassiT nicht gi'schen, 
ins’oesomlrre keinen Fall von Uela'rrragung eimT lntektii>nsknvnk]ieit durch 
I>um|)en. Die ^Haib'riikranldudl“ leiigm‘l er i^änzlieh. Ueberall wo eine solclie 
henhaehlet worden sein soll, habe es sieh um ^I:l/l)raiid o<ler malignem Uedeiis 
gehandelt. Dr. M y h o e fe r - (TÖrlitz. 

Anierikaiiisehe Doktoren. Der vom Schö»nöng(>riclit W(‘gen Anmassung 
des Doktortitels verurtheilte Zalinkünstler Sehumaun in Einbeck (vergl. 



176 


Bespreohongen. 


No. 1 der Zeitschrift, S. 19) ist in der Bemfungsinstanz von dem EönigL 
Landgerichte za Göttingen am 13. Februar d. J. freigesprochen. Jetzt nennt 
sich derselbe auf seinem grossen Thttrschilde sowohl, wie in den Zeitungsan- 
köndigungen: „Dr. Carl Schumann. Königl. Belg. Zahnarzt.“ Dass durch 
obige Freisprechung die sämmtlichen Bestimmungen Uber Zahnärzte, wie sie in 
der Bekanntmachung des Reichskanzlers am 5. Juli 1889 für das ganze deutsche 
Reich erlassen sind, von Seiten des Gerichts über den Haufen geworfen worden 
sind und jeder Barbier im Stande ist, sich künftig Doktor und Zahnarzt zu 
nennen, wenn er es nur schlau anfängt, das haben die Herren Recbtsgelehrten 
wohl nicht bedacht. 

Wie die amerikanischen „Doktoren“ erzeugt werden und wie namentlich 
der pp. Schumann seinen „amerikanischen Doktor“ erworben hat, darüber 
giebt eine interessante Schrift Auskunft, die von Herrn J. W. Wiede, Doktor 
of dental surgery zu Stettin, heraasgegeben, und auch mir von dem Verfasser 
frenndlichst zngesandt worden ist. Dass es in Amerika keine eigentlichen Uni¬ 
versitäten, sondern hauptsächlich Collegs —„Fachschulen“— giebt, ist bekannt. Eine 
solche Fachschule besuchte auch der Königl. Belg.Zahnarzt C. Schumann aus 
Einbeck. Dieselbe war vor vier Jahren in Chikago, wie Herr Wiede an- 
giebt, von einem Fritz Huxmann gegründet worden, der sich den Doktortitel 
in seiner eigenen Anstalt hatte geben lassen und diese „Die Deutsche“ nannte. 
Nach Zurücklegung eines zweijährigen Kursus und nach erfolgreicher Ablegung 
eines Examens gewährte die Anstalt das Recht, den Titel eines Dr. of dental 
snrgery zu führen. Wie es in diesem Institut zugeht, geht am besten aus der 
amtlich festgestellten Thatsache hervor, dass Diplomirte derselben in Amerika 
bestraft werden sollten wegen Unkenntniss selbst der einfachsten, in das zahn¬ 
ärztliche Fach einschlagenden Operationen. Der pp. Schumann hat, wie auf 
Seite 6 obiger Schrift zu lesen steht, das Huxmann’sehe Colleg Mitte 
Februar 1891 besucht und vierzehn Tage darauf das Examen ebenso glän¬ 
zend, wie die übrigen bestanden. Dass das Huxmann’sehe Treiben von 
Konsul und Justizbeamten als „Humbug“ und „unbeschreiblich gewissenlos“ 
(S. 8.) bezeichnet wird, ist freilich den deutschen Gerichten unbekannt. Schu¬ 
mann schreibt selbst (S. 15 jener Schrift): „Es ist richtig, dass die Diplome die 
Berechtigung zur Ausübung der zahnärztlichen Praxis im Staate Illinois nicht 
besitzen, aber meistens gehen die Gradnirten auch wieder in die 
alte Heimath. 

Wer also vierzehn Tage lang eine amerikanische Fachschule besucht, be¬ 
kommt nach dem jüngsten Urtheil des Landgerichts in Göttingen in Deutschland 
das Recht, den Doktortitel zu führen und gegen alle Verordnungen die zahn¬ 
ärztliche Praxis auszuüben. „0 alte Doktorbcrrlichkeit, wo bist Du doch ge¬ 
blieben“ ?! — 

Die Sache liegt jetzt dem Reichsgerichte vor, und ürird von diesem hoffent¬ 
lich das Urtheil umgestossen werden. Kr.-Phys. Dr. Men de-Einbeck. 


Besprechungen. 

Dr. Rudolf Henneberg, Ingenieur: Der Kafill - Desinfector. 
Berlin, 1892; Verlag von J. Springer, Kl.H”; 28 S, mit 2 Tafeln. 

Was ist zu beginnen mit dem im Schlachthofe als gcsundheitsgeAhrlich 
erkannten Fleische? Wie lässt sich verhüten, dass dasselbe auf offenem oder 
verstecktem Wege in den Verkehr gelange und wie ist endlich der Schaden, der 
den betheiligten Personen entsteht, auf das möglichst geringste Maass zurückzn- 
führen? Auf diese Fragen giebt die vorliegende Schrift, wenigstens was gro8.se 
Verhältnisse anbetriöY, Antwort. Die rühmlichst bekannte Fabrik von Ri et sehe 1 
und Henneberg hat es unternommen, dem in Belgien erfundenen Apparat: 
„Appareil störilisateur-dessicateur Systeme de la Croix-Willaert & Co.“ auch 
in Deutschland Eingang zu verschaffen. (Kafiller-Abdecker ist vom Neuhebräi- 
.schen Kefal herzuleiten). Der Apparat soll den heutigen Anforderungen der 
Hygiene entsprechend es ermöglichen, die der Gesundheit gefährlichen Thier¬ 
kadaver unschädlich zu machen, alle Abfälle zu sterilisiren, zugleich unter Ge¬ 
winnung von Fett, Leim, Dungpulver. Dabei soll die Gewinnung dieser für 



Besprechnngen. 


177 


die Industrie und Landwirthschaft wichtigen Stoffe in völlig gerncbluser Weise 
vor sich gehen. In der Schrift ist neben der genauen Beschreibung des Appa¬ 
rates eine genaue Berechnung des Werthes der erzielten Produkte, und eine 
Anweisung zur Aufstellung des Desinfektors gegeben. Die Abhandlung wird 
nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit der Schlachtbofverwaltungen und Besitzer 
grösserer Schlftchtereien auch bei uns auf den Apparat hinznlenken, der in Bel¬ 
gien bereits vielfache zufriedenstellende Anwendung gefunden bat. 

Dr. Israel-Medenau (O.-Pr.). 


J. Leuchtmann: Die Medizinalweiii-Frage vom wissen¬ 
schaftlich-praktische ii S ta ndpuiikte und die Stellung¬ 
nahme der deutschen Reichs-Regierung. Wien 1891. 
Verlag von Carl derold’s Sohn. 12®, 31 S. 

Schon im vorigen Jahre hat Verfasser durch seine Publikation: „Süsse 
Medizinalweinc und ihre Verfälschungen“ den Nachweis erbracht, dass die Sttss- 
weine des Handels zum allergrössteu Theile keine reinen Weine, sondern auf 
Täuschung beruhende Kunstgemische. Nachdem diese Fälschung nunmehr eine 
grosse Dimension angenommen hat, muss darauf gesonnen werden, dass bessere 
und zuverlässigere Normen bei der Heurtheilung der Süssweiue geschaffen werden 
und die Sttsswoiu-Analysen von den Chemikern genauer und mit grösserer Vor¬ 
sicht als bisher angestellt werden. Weiter wäre cs Sache der Sanitätspolizei 
darauf zu achten, dass dem Eti(|uett<‘nunwe.sen gesteuert und durch Kontrollbe- 
stimmnngen festgestellt würde, dass der Süsswein dasjenige enthält, was in der 
vorgegebenen Analyse versprochen wird. Es ist daher mit Genugthuung zu be- 
grüssen, dass sich das Reichs-Gesundheitsamt mit dem vorliegenden Gegen¬ 
stände beschäftigt und schon am 18. September v. J. der einberutenen 
Fachkommission Fragen behufs Verschärfungen vorgelegt hat sowie dass auf dem 
internationalen Nahrungsmittel-Chemiker-Kongresse am 13. Oktober v. J. eine 
Aenderung der bisher bestandenen Normen für die Untersuchung der Medizinal- 
Weine vereinbart wurde. Ders. 

Dr. Arthur Sperling: Elektrotherapeutische Studien. Leip¬ 
zig 1892. Th. Grieben’s Verlag. 8®, 112 S. 

Wenn man die bisher in den Elektrotberapentik üblichen Methoden mit der 
neuen vom Verfasser vorgeschlagenen vergleicht, so liegt der wesentliche Unter¬ 
schied darin, dass er beweisen will, dass mit minimalen Stromstärken von 0,5 M- A 
und darunter bei sehr vielen krankhaften Veränderungen mehr geleistet wird, 
die Heilung also schneller erfolgt als mit stärkeren Strömen. In sämmtlichen 
ausführlich gehaltenen Krankengeschichten wird die Anwendung dieser schwachen 
Ströme von kurzer Dauer geschildert, wobei noch besonderer Werth auf die In- 
dividualisirung bei der Aufeinanderfolge der einzelnen Sitzungen gelegt wird. 
Ganz besondere Erfolge verspricht sich Verfasser bei der Behandlung von funktio¬ 
nellen Störungen. Das Verfahren ist einer Nachprüfung werth. Ders. 


Paul Blaschke: Internationaler Lazareth-Sprachführer. 
1. Abtheilung: Deutsch-Französisch. Berlin 1891. Ver¬ 
lag von Hepner & Co., 194 S. 

Das in Taschenbuch-Format erschienene Büchlein soll im Falle eines 
Krieges dem Pflegepersonal als Verständignngsmittel dienen, mittels dessen sich 
der Pfleger über das Nothwendlgste mit dem Verwundeten fremder Nation sollte 
verständigen können. In den Jahren 1866 und 1870 waren allerdings zwei 
Gesprächsbücher dieser Art erschienen, sie waren aber mit grosser Hast erst bei 
Ansbruch des Krieges znsammengestcllt worden und daher recht lückenhaft. Die 
im vorliegenden Werkchen alphabetisch geordneten Redensarten und Fragen bei 
der Untersnehung und Pflege des Verwundeten, sowie die Zosammenstellnng 
der notbwendigsten medizinisch • technischen Ausdrücke, Instrumente u. s. w. 




I7S 


Ta^esuaclirichieu. 


inadniii (Ich P^iiidnn lv d<*r IlaiidliclikHit und Vollstiindijrkidt. Fs wirp das l’iadi, 
falls uac.h driii Wunsch dos Vorlasscrs das nntore rHcircjKU'sonal horoiis iiu 
Friodoii im (iobrauche dioscir Vorstandi^miirsinirt(d gonbt wirp, sichorliali seinen 
Zweck erfüllen, lüe einzelnen X’ereino zur lMlec;e im Fable verwnndetAT und 
erkrankter Krit'irer wtudmi uut tbun, das \\\rk anzuschallen, aucii dem Arzte 
dürfte es als Nacl»schIaij:olniehlein willkommen sein. 


Tagesnachrichten. 

I){‘r XXL Kon;üjress der deutschen (iie.HclIschaft ITir (’hirnr^iri^ findrd 
vom 9. bis 11. Juni d. d. in Berlin statt und wird damit die Einweihung des bis 
dahin vollendeten Lan j:ren heck hauses verbunden werden. Ankündi^ururen 
von Vortriii^en und Mittlndluiigeii von Demonstrationen sind sobald als mi>c:li<‘h 
l>ei dem stäiidit^en Schriftführer; H. (loh. i\led.-J\ath Dr. (f u rlt (Berlin W, Keith- 
strasso Nr. ti) anznmelden. Am 1. Sitzun^sta^e wird H. Prof. P. Bruns über 
die e li ir 11 r ^ i s c li e ßedeulunü; der neucMi F eiK'r waf f en ein Kef'rat 
erstatten. 


Die diesjährige Xatnrfor.scherversuiinnliiii.i»- findet vom 12.—IG.Sej)- 
teniber in Nürnberg statt. I)as vorlänfi^^e Prooramm wird in kurzer Zeit 
bekannt gegeben werden. 

An Stelle des aus der Redaktion der „liy g i en i scli eii Rundseh aip 
ausseheidenden Prof. Dr. v. Esmarch in Königsberg sind Prof. Dr. Rubuer 
und Dr. Thierfelder (Berlin) eingetreten. 

Aus dem Reichstage. Der Gesetzentwurf betreflViid <leii Verkehr mit 
Wein, weinhaltigen und weiiiiihnlichen (xetränken (s. Nr. G d. Zcitsohrift 
S. 143) ist, naehdtuu demselben der Bundesrath in seiner Sitzung vom 17. März 
seine Zustimmung gegeben hatte, vom Reichstage in seinen Sitzungen vmn 23. 
24. und 30. 3Iärz i>erathen und mit geringen Aenderungen in zweiter und dritter 
Lesung angenommen worden. 

Die dritte Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über die Abän¬ 
derung des Krankenkassciigcsetzes vom 15. Juni I8S3 hat vom 15. bis 
17. März im Reichstage statrgefuudeu und ist der Entwurf im Allgemeinen mir 
den von der freien Kommission beantragten bezw. vom Reichstage in zwoit<‘r 
Lesung angenomimmen Abändeningmi und Zusätzen genehmigt worden. Vom 
ärztlichen Standpunkte aus intr*ressirt besonders die mit 105 g(‘geii 100 Stimmen 
erfolgte Ablebnuiig des von dem Abg. von der Sehulenburg gestellten und 
von den Abg. Dr. Virchow, Dr. HöfftG, Buhl u. s. w. warm befürwor¬ 
teten Antrag zu i:?. G, „die Hülfe von Niehtärzten ist, soiveit (‘S sich niclit um 
Hülfeleistungeii untergiionlueter Art handelt, nur dann von den Krankenkassen 
zu bezahlen, ivenn diese llfilfe in <lringend<‘n Fälbm liat angcrufen werden 
müssen oder von einem Arzte ungeordnet ist^*. Kurpluseher und Xaturärzte 
können somit künftighin als Kassenärzte ftingiiaui. 

Den Beschlüssen der zweiten Lesung gemäss wurde den Krankenkassen 
durch Annahme der ijji. Ga und 2GaNr. G das Re(dit eingeräumt, durch Kassen- 
statnt festzusetzen, dass den Versiclierten ärztliche Behandlung, Arznei, s(»wie Kur 
und VerpHegmig nur durch bestimmte Aerzte, Apotheken und Krankenhäuser 
zu gewähren ist und die Bezahlung der durch Inaiispruchnalime aiitlerer Aerzte, 
Apotheken und Kraiikeniiäuser entstandentm Kosten, von dring(‘n(leii Fälbm abge- 
sehen, abgelehnt w'erdeii kann. Jedoch ist nach 55a die höhere Verwaltungs¬ 
behörde auf Antrag von mindi^stens 30 betheiligten Versichertem nach Aiiln'jning 
der Kasse und der Aufsichtsbediörde berechtigt, die Gewährung der Kranken- 
kassenhästungeii durcli weitere als die von der Kasse hestimmien Aerzie, 
Apotheken und Krankenhäuser zu verfügen, wenn durch die von der Kasse ge¬ 
troffenen Anordnungen eine den htuvehtigten Anforderungen der Versicherten 
entsprechende (R‘währiing jener Ib stimmung«‘n nicht gesiclicrt ist. Endlich ist 
durch Ji. 75 des (i(‘setzentwurfes hestimmt, dass die freien Jlülfskassen 



Ta^esnachrichten. 




kiiiittiLrliin t‘n‘io är/tlirhe Drhainllunt^ und Ar/iici o<ler als Ersatz (l‘*r 

t'rstiTi*]! ili<‘ lliilltc d(^s (>rtsiU)lir.hr-ii d':iir<‘ln|im‘s zu irrwührcii liaiaui. 

Dio in z\v«‘it' r Ersnnir hcs»'lilo:.<riu* Au-sclnddunii: lU'r Apotlirkcr-tieliiiircn 
iiiitl radiriinm‘ ans der Krankr‘nv( r>ic‘hcini)u’ ist in der diirtm Ja sinij^* lad- 
holialtm; uneli dic^ IIaiidlnii<^^s<j:i*lMili’en und Lelirlin^e sind nur dann d<-r Ver- 
sieluriini;si)tlirlii Ufiter\v<u-tV;n, wnui diireli V(‘rtr:i^ die ihnen nach Art. 60 des 
Dentseiien lian<lelsi;'esetz]>neii.s ziislelnunlen Hechte au feehohen oder heschriinkt 
sind. Ein Antrai!.- auf Ausflrhinnte: d»‘r Krankenversichernn^j: auf das (lesindc 
wurde vorliiutiu: al>L:elehnl und dii* ErlediMun^' dieser Era^<‘ einem laesuiidcron 
Geset ze vorh e 1 1 a 11 e n. 

Eie Eraue der /iilassun;;;' der Frauen zum iiiediziinselieii Studinm 

ist atich in diestun Jahre in der I* e t i r i o ii s k imii in i s s i o n desAht^eor(l- 
n tcMilian se s anlässlich «*iin‘r K’eihe Eetilioiien zur S[)rache gekoinuien und 
liat die Koniniissiuii dariiher einru umfassenden schriftiiclnm Bericht erstattet. 
Aus demsen»en verdienen besonders die Jhunerkumi’eu des Ueu’ieruugskommissars, 
Herrn Geh. OleTre^ierun^sraths I>r. 8ehiH‘ider, hervor^'ehol)en zu wiTdeu, der 
sich iiim'efälir wie hifer äussert : ln den Bestrebun^-en d<,‘r Bittstolleriniieu müsse 
ein "esumb'r Korn aiidkaiint wenlen. Das \'erlano:(‘n nach Erweiterunt^ der 
Erwerbsfähiofkeit der Frau sei lad (hm iro<;(‘n\vär[ii^en V'erhältuissen der bürger- 
liclnm Gesellschaft durchaus b(‘n‘eht ij 4 t; ain li lohine zuirestanden werden, dass 
in weiten Kreisen Framm und Mädelnm ärztiicln*, iiamentlieh wnndärztliche (?) 
Hülfe in inanclieii Balhm liidau* von einer Flau, als von eiinmi ilaiiiie bekehren 
inöchteii. Der Gedanke jedoelu da>s di(i .Mädelnm ihren Bildniiirsirau^ unbedingt 
auf demselbtm \V(‘i;'e zu nehmen hätton, wie die heranwachsende männliche 
Juirend, sei falsch. Ivs s<‘i vit lmohr Fllieht der Fnterrichtsverwallnii", ent- 
spreclnmde eiitiMie für di(‘ Mä<lchen zu suclnm, eine FHiehr, der sie si(*h 

nicht entzitdnm w(*rd(‘, deren Erfülluno: aber eine sorgfältioe Früfuno: erfordere. 
Die luiterrichtskonniiission hat in Fofet' dessen den Antrai^ bestellt, über die 
Petitionen, die die Errichtung* eines .Mädchen^ymnasinms und die Zulassung der 
Frauen zum philosophischen Studium befreüen, zur Taijesordnnnic überzu<.^ehen, 
da^^e^en die IVtitionon betreifend der Zulassune: zum medizinischen Studinm und 
di(! Erlanhniss zur Ahle^un;^ des Maturitiitsexamens an einem Gymnasium der 
Staatsrei^nerniut zur Erwäo-nn^ zu üherweisen *) 

Die Vivis<‘ktioustVa;::e kam in der am 22. 3Iärz d. J. ahgidialtenen 
Sitzung des U n t e r r i (Gi t s k om m i ssion des Ai> geor diiot en h ause s zur 
Verhandlung. Sidtens des intm-nationalen und des hannoverschen Thierschutz- 
V(‘roins war der Antrag gostellr, nur auf hesondere Erlanhniss Professoren vivi¬ 
sektioneile Versuehe zu gestatten und im T'el)rigtm die Vivisektion vollständig 
zu verbieten. Die Kommission war (hu* Ansieht, dass durch entsprechende Ver¬ 
fügungen soiteiis d(!S Kultusministers di»* \'ivisektion bereits erheblich einge¬ 
schränkt und etwa tiülier vorgekommenen i\lissständeu Einhalt gethan sei. 
Weiter zu golieii sei nicht angezeigt, da die Wissenscdiaft die Vivisektion nicht 
entbehren kiüine und da, W(*nn wirklich idn Missbrauch damit getrieben, dies 
nur ganz vereinzelt gescheht ii sei. Aiisnahmefälle dürftoii aber nicht die Vfer- 
anlassnng zu einem generellen Verbote der Vivisi ktion gehen. Dementsprechend 
wurde btaschlossen, den Febergang zur Tagesordnung über die in Hede stehenden 
Petitionen zu beantragen. 


In der vom 7. bis 12. März d. J. stattgehahteii 2 0. Plenarsitzung 
des deutschen Lau d w ir t lis cha f tsratli s stand auch die Frage der Be- 
kiiiiipfiuig der Tnlnu'kulnse unter dem Bindvieh auf der Tages(mlnung. 
Der erste Hefertmt, B»vJrkspräsid(*nt Frhr. v. llammerstein Metz) befürwor¬ 
tete folgenden Antrag: 

„Der Deutsche Laudwirthschaftsrath beschliesst: 

1. An die kaiserliche llegiornng die Bitte zu ricliteig in allen Staaten des 

ln der am 60. ^lärz d. J. stattgehabten Sitzung hat das Abgeordneten- 
lians dies(‘m Anträge gemäss naeli läng('rer Debatte beschlossen. Ein fast gbäeli- 
laiitender l>es»*hlnss ist vor Kurzem auch v<m dem Badiscbeii Landtageg» lasst worden. 




180 


Tajijesnachrich ten. 


Reichs die Veranstaltnng amtlicher aud sorgfältiger Versuche mit dem Koch’scheu 
Tuberkulin an Rindvieh zu veranlassen und dadurch festzustellen, ob dasselbe 
in der That ein sicheres und unschädliches Mittel zur Erkennung der Tuberku¬ 
lose an lebenden Thieren ist. 

n. Zur Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs sind reichsgesetzliche 
Vorschriften alsbald geboten, auf Grund welcher 

1) Eine allgemeine Fleischbeschau für alles geschlachtete, in den Verkehr 
gelangende Vieh eingeftthrt wird; 

2) die Landesbehörden mit der Befugniss ausgestattet werden, die Rind¬ 
viehbestände auf Tuberkulose zu untersuchen, bei Feststellung, sowie bei drin¬ 
gendem Verdachte derselben die nöthigen veterinärpolizeilichen Anordnungen zu 
treffen, insbesondere auch die Tödtung des erkrankten Rinnviehs und die Besei¬ 
tigung der Produkte desselben anzuordnen, und Entschädigung für auf polizei- 
liebe Anordnung wegen Tuberkulose getödtetes Rindvieh aus öffentlichen Mitteln 
gewährt wird. 

m. Zur weiteren Abwehr der durch die Tuberkulose und andere Krank¬ 
heiten des Rindviehs verursachten wirthschaftlichen Schäden ist eine allgemeine 
Versicherung des Rindviehs in ganz Deutschland dringend wUnschenswerth.“ 

Hierzu stellte der Korreferent, Prof. Dr. Orth-Berlin, folgenden Antrag; 

„Der Deutsche Landwirthschaftsrath beschliesst, dem Herrn Reichskanzler 
und den deutschen Bundesregierungen die diesjährigen Verhandlungen, betreffend 
die Massnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs, zur Kenntniss- 
nahme zu übersenden und die Bitte ausznsprechen, zu veranlassen, dass die dazu 
noch erforderlichen Untersuchungen vollständig durchgeführt und möglichst bald 
soweit gefördert werden, um praktisch gegen diese verheerende Krankheit unserer 
Hausthiere Vorgehen zu können.“ Dieser Antrag wurde genehmigt, ebenso der 
unter m gestellte Antrag des Frhm. v. Hammerstein sowie folgender 
gemeinsamer Antrag des letzteren und des Prof. Dr. Schütz-Berlin; 

„Der Deutsche Landwirthschaftsrath beschliesst, an die Staatsregierung 
die Bitte zu richten, durch amtliche Versuche feststellen zu lassen, ob das Tuber¬ 
kulin zur Erkennung der Tuberkulose am lebenden Thiere auch in der Praxis 
brauchbar ist.“ 


Alvarenga-Preisaufgabe. Wie aus der auf dem Umschläge der heuti¬ 
gen Nummer befindlichen Bekanntmachung ersichtlich ist, hat die Hufeland- 
8che Gesellschaft in ihrer Sitzung vom 25. Februar er. beschlossen, eine 
Preisanfgabe „Ueber Morbus Basedowii“ zu stellen. Es wM die 
Darstellung der Geschichte des Morbus Basedowii wie der neueren Erfahrungen 
auf dem Gebiete der Pathologie und pathologischen Anatomie der Krankheit 
verlangt, desgleichen sollen die Theorieen der Erkrankung kritisch beleuchtet 
und die Therapie eingehend erörtert werden. Der Preis beträgt 800 Mark. Die 
Arbeiten sind bis zum 1. April 1893 an Herrn Geheimen Medizinalrat Professor 
Dr. Liebreich, Berlin W., Margarethenstr. 7, in deutscher, englischer oder 
französischer Sprache einznreichen. Die Bekanntmachung der Znertheilnng des 
Preises findet am 14. Juli 1893 statt. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 


Die Mitglieder des Vereins werden gebeten, etwaige Vorträge, Dis- 
kossionsgegenstände oder sonstige Wünsche zu der diesjährigen 

zehnten Hanptyersammlnng des Vereins 

dem Unterzeichneten Schriftführer bis znm 1. Mai d. .T. gefälligst anmeldeu 
zu wollen. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 


Im Auftr. 

Dr. Rapmund, Schriftführer des Vereins. 
Reg.- und Med.- Rath in Minden. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapuiund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Buchdruckerei, iiindeu. 




fe. Jahrg. 


Zeitschrift 

fiir 


1862 . 


MEDIZINALBEAMTE 

Hemu^eregeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rath u.gerichtl.StaHtphysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Mihdcn. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Mcdiiinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darchlaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Verla^shandlung und Rud. Messe 

entgegen. 


ATrk ö ' Krachelat am 1. und 15. Jeden Bionate. ji j p; k ~ ’l 
INO. O. II Preis J&hrlloh 10 Mark. lilO. April. 


lieber die Dauer des Schutzes der ersten Impfung. 

Von Dp. Glogowski, Königl. Kreis - Wundarzt in Kempen (Reg.-Bez, Posen). 

Das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 ordnet an, dass die 
Erstimpfung in demjenigen Jahre stattfindet, in welchem das erste 
Lebensjahr, die Wiederimpfung in demjenigen, in welchem das 
zwölfte Lebensjahr vollendet wird. Der Zeitraum zwischen Beiden 
ist demnach auf 11 Jahre festgesetzt. Dass für diese lange Zeit 
der Schutz der Erstimpfung nicht vorhält, davon mich zu über¬ 
zeugen hatte ich in einer Pockenepidemie, die in den Jahren 1880 
und 1881 hier herrschte, wiederholeutlich Gelegenheit — es er¬ 
krankten mehrfach Kinder im Alter von 8—11 Jahren an Variola 
resp. Variolois. Einen Theil der damals von mir hierüber ge¬ 
sammelten Notizen liabe icli s. Z. in der deutschen medizinischen 
Wochenschrift Nr. 27 pro 1881 veröffentlicht; der Rest ist mir 
leider abhanden gekommen. Seit Dezember v. J. zeigten sich hier 
wieder einzelne Fälle von Pocken,. die erst Mitte März d. J. zur 
amtlichen Kenntniss kamen. Ich übergelie die interessanten wissen¬ 
schaftlichen Beobachtungen, die ich zu machen Gelegenheit hatte, 
sowie die Beschreibung der von mir amtlich getroffenen Abwehr- 
massregeln u. s. w. und führe nur an, dass bis heute drei Todes- 
fölle vorgekommen sind und zwar zwei bei ungeimpften Kindern 
im Alter von 6 und 13 Monaten und 1 bei einem Knaben von 
8^/4 Jahren, der nach Ausweis der amtlichen Impfiisten am 3. Juni 
1884, (also vor noch nicht 8 Jahren) mit Erfolg — sieben 
Pusteln — geimpft worden war. Bei der allgemeinen Panik Hess 
sich eine Unmenge Personen privatim impfen; durch die Erkrankung 
des letzterwähnten Knaben von Neuem auf meine früheren Er¬ 
fahrungen hingewiesen, drängte ich meine Klientel, auch ihre 
Kinder zwischen 6 und 11 Jahre revacciniren zu lassen. Auf die 
Impferfolge bei bereits früher Revaccinirten gehe ich nicht ein, 






1H2 


i)r. (ilogowHkl. 


(Ih zur Beui'theilung dieser Frage überreiches Material in den 
Akten der Militämiedizinal - Abtheilung vorhanden ist. Ich be¬ 
schränke mich auf die Anfiihi-ung des Ergebnisses bei Kindern, 
die gesetzlich noch nicht wieder impfptlichtig waren. 
Ich habe im Ganzen 24 derartige Kinder geimpft, die in nach¬ 
stehender Tabelle zusammengestellt sind. 


1 Eaafende Nr. 

Namen 

des 

Wiüderimpfliiigs. 

Oebnrtsjahr. 

Zum 

ersten 

Male 

ge¬ 

impft 

im 

Jahre 

Erfolg. 

Wieviel Pusteln. 

2 5 f ^ 

^ 7 * 

Erfolg. 

. 

'S 

s 

pH 

<D 

► 

.(M 

Jahre 

zTvischen 

erster 

und 

zweiter 

Impfung. 

Be¬ 

merkungen. 

1. 

Margaretha M. 

1885 

1888 

ja 

l|30./3.1892 

ja 

2 

4... 

erst im 3. Im- 


Johannes Sch. 

TT 

laSR 


6124./3.1892 

ja 

4 

6 

pfungfjAhre war 
die Impftio^ toii 

a. 

Else Sch. 

TT 

TT 

.Fi 

6’ 

ja 

1 

6 

Erfolg. 

4. 

(ieorg R. 

1884 

i88r> ' 

Ja 

« 

ja 

6 

7 


5. 

Doris F. 


TT 

Ja 

8 

ja 

0 

7 


R. 

Natalie E. 

TT 

TT 

ja 

7 

ja 

6 

7 


7. 

Marie Sch. 


*» 

Ja' 

5 29./3.1892 

ja 

1 

7 


H. 

Käthe M. 

1888' 

T» 

Jal 

0 

T* 

ja 

5 

7 


51. 

Jaseph F. 

TT 

1884 , 

Jai 

8 r i 

ja 

6 

8 


10. 

Margarethe S. 

*T 1 


6 ^ nein 

0 

8 


tl. 

Krnstino Si'h. 

lSv82 

ISSH ! 

Jä! 

6 , 1 

ja 

(> 

9 


12. 

Julie S«'h. 


, ;jall0 24./;4.1892 

Ja 

() 

9 


la. 

Julie F. 


1 

n 

.i«! 

7 

ja 

5 

9 


14. 

Max S. 

'T 

» 1 

ja 


ja 

3 

9 


ir>. 

Richard 1.. 



ja 

6 

ja 

3 

9 


!«• 

Wallv K. 'lasi 

1SH2 

ja 


ja 

f) 

10 


17. 

Lee 8. 

1* 

- 

6 31./8.1892 

ja 

o 

10 


IS. 

Hetty K. 



ja 

4 

ja 

() 

10 


19. 

Sophie Sch. 



ja 


ja 

() 

10 


20. 

Therese Sch. 



ja 

3 

.ja 

t> 

10 


21. 

Hug»» .1. 



.ja 

6 

ja 

3 

10 


22. 

.Vnnv S. 



ja 

4 

ja 

1 

10 


20. 

KlisäWth M. 



ja 

2 

Ja 

5 

10 


24. 

Klisalx'th H. 

- 


ja 

5 ^ 

ja 

4 

10 


2:v 

Hertha Sch. 

1889 

ISW 

ja 

5 27. 3.1892 

□ein 

0 

2 


20, 

Else H. 1S90 

18V>1 

ja 

1 

nein 

0 

1 


4 . 

Ludwig Si'h. 1SS7 

1888 

ja 

5 

r 

8 

4 

Knötrhen. 

L>S, 

Bettv \V. tSS5 

ISSFt 

ja 

2 

r 

3 

R 

Knr>toheii. 

'JO 

Uild'eesni 11. 1SS4 


ja 

5 

ja 

3 

1 



Karl H. 1SS;1 

l^v84 

ja 

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iit'on: W. 


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10 I 

ja 

4 

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KuvkÄ r. 

IS^'2 

1S88 

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ja 

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Fritj K. 

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(> 

.ja 

j 

IV 



Iv'UlAtt H. 

- 

- 

ja 

• T 

ia 

tl 

IV 



lüc weiteren 

10 Fälle. 

die letzten der 

Reihe, sind ans der 


IVaxis des Herrn Kollegen Schlesinger von hier, der mir das 
vi'n ilnn bt>'bachiete Material zur Vertilgung stellte. Zur Er- 
l.uiterunir der Tabelle tühre ich zunächst Folgendes an; 

1, lÜe .Angaben über die Erstimptimg. die i<*h authehmen zu 
mn «lern Kinw.uide /u begegnen, dass die Kinder 












l/ebcr die Dauer de^ Schutzes der ersten ImpfunJ^^ 18S 

s. Z. vielleicht ohne Erfolg geimpft worden seien, habe ich aus den 
amtlichen Listen der verschiedenen Behörden zusammengestellt. 

2 . Jedem Kinde wurden 6 Schnitte gemacht. 

3. Der Impfstoff stammt aus der Königlichen Impfanstalt zu 
Stettin; er war bei den von mir gleichzeitig vorgenommenen öffent¬ 
lichen Impfungen von nahezu idealer Wirkung — bei 226 Erst- 
imflingen kein einziger Misserfolg, bei 156 Wiederimpfungen nur 
4 Fehlimpfungen. In keinem einzigen Falle eine Impferkrankung. 

Die eben geschilderten Ergebnisse waren für mich, trotzdem 
ich sie erwartet hatte, geradezu verblüffend. Bei zwei Kindern, 
die erst vor einem resp. zwei Jahren mit Erfolg geimpft waren, 
gingen die Pusteln nicht an. Bei einem vor 4 Jahren (Nr. 27) 
und einem vor 6 Jahren (Nr. 28) Geimpften entwickelten sich 
Knötchen, die Herr Dr. Schlesinger als erfolgreiche Impfung aii- 
sah. Es ist jedoch möglich, dass diese Knötchen nur als Folgen 
des durch die Einbringung des Impfstoffes bewirkten Entzündungs- 
reizes zu betrachten sind. Bei den übrigen 30 Impfungen nur 
ein einziger Misserfolg (Nr. 10). 

Es wurden geimpft: 2 vor 6 Jahren, 6 vor 7 Jahren, 4 vor 
8 , 6 vor 9, 11 vor 10 Jahren Geimpfte und ausserdem ein 7jähr. 
Mädchen (Nr. 1), bei dem die Erstimpfung erst im dritten Lebens¬ 
jahre und mit zweifelhaftem Ergebnisse erfolgt war. 

Die Pusteln waren durchweg sehr schön entwickelt. Da be¬ 
kanntlich bei der Besichtigung am 8. Tage oft genug nur einge¬ 
trocknete Pusteln oder Borken sichtbar sind, habe ich der Kontrole 
wegen, meine 21 Impflinge aus der Stadt sämmtlich am 5. und 
6 . Tage untersucht und bei ihnen allen zu dieser Zeit, bei den 
weitaus meisten auch noch am Revisionstage, wohl ausgebildete 
Pusteln gefunden. 

Diese Beobachtungen haben mich in der bereits oben er¬ 
wähnten Ansicht, dass die in dem Gesetze vorausgesetzte Schutz¬ 
dauer nicht vorhanden sei, bestärkt. Die gesetzgebenden Faktoren 
haben jedenfaUs ihre sehr gewichtigen Gründe für die Feststellung 
der Termine gehabt und wäre es vermessen von mir, aus meinen 
immerhin kleinen Zahlenreihen allgemeine Schlüsse ziehen zu 
wollen. Vielleicht erklären sich meine Resultate auch daraus, 
dass ich nur Thierlymphe augewendet habe, während die Erst¬ 
impfungen s. Z. mit Menschenlymphe und zwar theils mit Glycerin¬ 
lymphe, theils von Körper zu Körper vorgenommen worden waren. 

Sollten übrigens die Pocken sich hier weiter verbreiten, so 
würde ich massgebenden Ortes zu erwirken suchen, dass die Kinder 
von 6 bis 11 Jalu’eu zur Zwangsimpfung angehalten werden, 
lieber die dabei gewonnenen Resultate würde event. später Be¬ 
richt erfolgen. 

Darf sich die Hebamme die Bezeichnung Geburtshelferin 

beilegen? 

Von'Kreisphysikus Geh. Sanitätsrath Dr. Straass in Barmen. 

An der Wohnung der Hebamme Frau G. dahier war ein 



184 


Dr. Strauss. 


Schild mit der Aufschrift: „Geburtshelferin“ angebracht. Von der 
Polizeibehörde aufgefordert, dasselbe zu entfernen, bezw. zu ändern, 
weigerte sie sich, solches zu thun und wurde sie, deshalb wegen 
Vergehens gegen die §§. 29 und 147, Nr. 3 der G.-O. angeschul¬ 
digt, vom Königl. Schöffengericht zu einer Geldstrafe von 10 Mk., 
event. zu einer Haftstrafe von 2 Tagen und zu den Kosten des 
Verfahrens verurtlieilt. In den Gründen des Urtheils wurde aus- 
geftthrt, dass sie gegen die G.-O. verstossen, weil sie sich, 
ohne hierzu approbirt zu sein, als Arzt (Geburtshelfer) bezeichnet. 
Eine allgemeine üebung der Hebammen, sich „Geburtshelferin“ zu 
benennen, bestehe nicht, vielmehr sei der Titel „Geburtshelfer“, 
vollständig entsprechend der Gewerbeordnung, ausschliesslich den 
approbirten Aerzten reservirt, die auch thatsächlich, besonders in 
der Bezeichnung „Arzt, Wundarzt und „Geburtshelfer“ von diesem 
Titel vielfach Gebrauch machten. Nun habe Angeschuldigte sich 
zwar den Titel „Geburtslielferin“ beigelegt; indessen falle diese 
weibliche Form unter den Titel „Geburtshelfer“ oder aber, falls 
diese Auffassung Bedenken haben könnte, habe Angeschuldigte 
sich den dem Titel „Geburtshelfer“ ähnlichen Titel „Geburtshelfe¬ 
rin“ beigelegt, durch den der Glaube erweckt werde, Inhaberin 
sei eine geprüfte Medizinalperson. Auch bei letzterer Auffassung 
läge Verstoss gegen die zitirten Gesetzstellen vor. Die Aus¬ 
führung des Vertheidigers, dass in Prenssen eine Approbation 
weiblicher Personen als Arzt und Geburtshelfer nicht stattfinde 
und deshalb unmöglich durch den von der Angeschuldigten belieb¬ 
ten Titel der Glaube erweckt werden könne, sie sei eine geprüfte 
Medizinalperson; auch diese Ausführung trefie nicht zu; denn 
erstens wolle die verletzte Strafbestimmung gerade das ungebildete 
Publikum schützen, welches die gesetzlichen Bestimmungen über 
ärztliche Approbation nicht kennt; zweitens nehmen die Bestre¬ 
bungen des weiblichen Geschlechts, als Aerztinnen zugelassen zu 
werden, einen so breiten Raum in der öffentlichen Diskussion ein, 
dass sehr wohl der Irrthum Platz greifen könne, es gebe, wenn 
nicht im Inland approbirte, so doch zur Ausübung des Berufes im 
Inland zugelassene Aerztinnen und Geburtshelfeiinnen. 

Nachdem gegen dieses ürtheil Berufting eingelegt war, wurde 
ich von der Königlichen Staatsanwalt zu Elberfeld zur Aeusserung 
über die in Rede stehende Frage nach der Zulässigkeit der Be¬ 
zeichnung „Geburtshelferin“ ersucht. Ich erstattete folgendes 
Gutachten: 

„In Preussen giebt es keine Kategorie von Geburtshelferinnen. 
Weder in dem Lehrbuch der Geburtshülfe für die Hebammen, noch 
in der allgemeinen Ministerial-Verfügung betr. das Hebammen¬ 
wesen vom 6. August 1883 ist an irgend einer Stelle für die ge- 
burtshülfliche Thätigkeit der Frauen die Bezeichnung „Geburts¬ 
helferin“ vorgesehen, wie denn auch die Anstalten, worin die Heb¬ 
ammen ihre Ausbildung erhalten, „Hebammenlehranstalten“, nicht 
Lehranstalten für Geburtshelferinnen bezeichnet werden. Nachdem 
die Personen in einer solchen Anstalt ihre Ausbildung erlangt 
haben, erhalten sie ein Prüfungszeugniss, worin es heisst: 



Darf sich die Hebamme die Bezeichnang Oeburtshelferiu beilegen? 185 


die betr. hat die Prüfung für die „Hebamme“ abgelegt. Der 
vor Ausübung des Hebammenberufs zu leistende Eid spricht von 
dem Verhalten, wie es einer gewissenhaften „Hebamme“ geziemt. 

Der Arzt, welcher sich auf Grund einer Approbation Ge¬ 
burtshelfer bezeichnen darf, besitzt hiermit die Berechtigung, in 
allen Lagen der Kreissenden Hülfe zu leisten, der Hebamme ist nur 
ein beschränkter Kreis ihrer Thätigkeit Vorbehalten, sie ist nur 
so lange berechtigt, allein die Hülfe zu leisten, als der Verlauf 
der Geburtsvorgänge ein regelmässiger ist; bei gewissen Eegel- 
widrigkeiten ist sie verpflichtet, auf die Herbeiru&ng eines Arztes 
zu halten. Beispielsweise darf sie keine Zange anlegen und nur 
ausnahmsweise, wenn ärztliche Hülfe entweder gar nicht oder nicht 
rechtzeitig zu erlangen, darf sie zum Besten der Mutter und des 
Kindes es wagen, selbst eine Wendung zu unternehmen. (Lehr¬ 
buch S. 221.) 

Somit ist der Wirkungskreis der Hebamme ein beschränkter, 
der einer „Geburtshelferin“ würde dem weiter gezogenen Wirkungs¬ 
kreis des Ai'ztes gleich zu erachten sein. Legt sich die Hebamme 
diese Bezeichnung bei, so kann der Glaube erweckt werden, sie 
sei qualifizirt und berechtigt, bei allen Eventualitäten der Geburt 
helfend und handelnd einzugreifen, sie sei also eine geprüfte Me¬ 
dizinalperson. Zu den geprüften Medizinalpersonen gehören die 
Hebammen nicht, ihi‘Prüfungszeugniss ist keine Approbation. 
Zu den Medizinalpersonen gehören die Apotheker und ^ejenigen 
Personen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Ge¬ 
burtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeuten¬ 
den Titeln bezeichnen (G.-O. §. 29).“ 

Auf Grund dieses Gutachtens wurde die Berufung gegen das 
Urtheil des Königlichen Schöffengerichts von der Strafkammer des 
Königlichen Landgerichts verworfen und Frau G. für schuldig be¬ 
funden und zu der oben genannten Strafe verurtheilt. 

Der Vertheidiger stellte noch den Antrag bei dem Revisions- 
hof, das angefochtene Urtheil aufzuheben und die Angeklagte frei¬ 
zusprechen. 

Die Revision wurde auch vom Strafsenat des Königlichen 
Oberlandesgerichts zu Köln verworfen und es behielt bei der Ver- 
urtheilung der Angeklagten im Sinne des Königlichen Schöffenge¬ 
richts sein Bewenden. 


Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordneten¬ 
hauses über den Medizinaletat. 

(Schluss.) 

C. Unterbringung von Geisteskranken in Privatirrenanstalten. 

Abg. Dr. Langerhans: „Ich will hier eine Angelegenheit zur Sprache 
bringen, welche wahrscheinlich jeden von Ihnen interessirt und wahrscheinlich auch 
unsere Mitbürger weithin ausserhalb des Hauses interessiren wird. Sie erinnern 
sich, dass vor einiger Zeit durch die Zeitungen vielfach die Angelegenheit erörtert 
wurde, dass ein junger Mann von seiner Familie ins Irrenhaus gebracht worden 
ist, und dass darüber ein ausserordentlieher Schrei durch die Zeitungen ging, 
dass die Zeitungen vielfach die Angelegenheit benutzt haben, um mit Partei¬ 
absichten die Sache auszunutzen, und dass dabei sich Zeitungen soweit verstiegen 



186 Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses etc. 

haben, dass sie Behauptungen aufstellten, die man von grossen Zeitungen nicht 
erwarten sollte. Die Angelegenheit ist doch eine so ernste, dass ein so grosses 
Blatt wie die „Kreuzzeitung^^, wenn sie darüber etwas schreibt, sich orientiren 
müsste, ob das, was sie als faktisch wahr und als gesetzlich feststehend bekundet, 
so ist. Die Kreuzzeitung schreibt: „Der des Wahnsinns Verdächtige — es wird 
hier nicht nur von dem einen Mann gesprochen, sondern es wird hier überhaupt 
gesprochen über das Verhältniss und die Art und Weise, wie Geisteskranke in 
Irrenanstalten aufgenommen werden und welche Bedingungen dabei zu erfüllen 
sind — wird auf das Gutachten eines einzelnen Arztes festgenommen. Ein 
Interesse des Arztes an der Festnahme ist kein Hinderniss. Irgend ein weiteres 
Verfahren ist nicht nothwendig. Der Detinirte braucht nicht gehört zu werden, 
kein ürtheil erfolgt. Alles entscheidet nach freiem Ermessen der vielleicht 
interessirte Irrenarzt.** Dass diese Angabe vollständig unwahr ist, und dass das 
Verfahren in unserm Staate ein anderes ist, ist ja selbstverständlich. Solches 
Verfahren würde kein Staat dulden. 

Wenn wir uns an die Beurtheilung solcher Fälle machen, so müssen wir 
doch von zwei Seiten die Angelegenheit betrachten. Es ist ein unheilvolles Un¬ 
glück, wenn eine Familie gezwungen ist, einen Geisteskranken, der z. B. heftig 
delirirt, in ihren Mauern aufzubewahren. Aber auf der andern Seite ist es ein 
gar nicht zu schilderndes Unglück, w^enn es passiren könnte, dass Jemand in einer 
Irrenanstalt durch Zwang festgehalten wird, ohne dass er geisteskrank ist. 
M. H, das Verfahren bei uns ist nun so. Es wird derjenige, der in ein Irren¬ 
haus gebracht werden soll, von einem Beamten, einem Kreis- oder sonstigen 
Physikus, untersucht und kann nur auf dessen Urtheil in das Krankenhaus auf¬ 
genommen werden. Wenn das geschehen ist, so muss sofort Anzeige an den 
Staatsanwalt gemacht werden, und der Staatsanwalt muss die Untersuchung ein¬ 
leiten. Bis vor kurzem war die Einrichtung eine andere, und die Aerzte waren 
eigentlich mit der Umänderung nicht zufrieden. Sie hielten die frühere Anord¬ 
nung für besser. Früher war es so: wenn Jemand geisteskrank wurde und er 
sollte in eine Irrenanstalt gebracht werden, so mussten zwei Aerzte ein Attest 
ausstellen*), dass er geisteskrank und gemeingefährlich sei. Dann erst wurde er 
in eine Anstalt aufgenomraen. Zu gleicher Zeit — und das ist der wesentliche 
Unterschied — wurde nicht au die Staatsanwaltschaft, sondern an das Gericht 
die Meldung gemacht: da ist ein Geisteskranker in Zwangsgewahrsam. Das 
Gericht hatte die Pflicht, spätestens in Jahresfrist den gerichtlichen Termin über 
diesen Menschen abhalten zu lassen, während es jetzt ganz dem Ermessen des 
Staatsanwaltes überlassen bleibt, wann er das gerichtliche Verfahren einleiten 
lassen will. 

Ich habe schon gesagt, dass wir Aerzte das frühere Verfahren für ein 
richtigeres hielten, und zwar deshalb, weil der Staat oder das Gericht gewisser- 
massen gezwungen war, bald einzuschreiten. Es werden nun auch Kranke, die 
nicht gemeingefährlich sind, in Irrenanstalten aufgenommen, und sind sie einmal 
in einer Irrenanstalt, so sind sie auch einem Zwange bei der Zwangsiuternirung 
unterworfen. Das kann aber nur geschehen, nachdem das gerichtliche Urtheil 
gefallen ist. Das gerichtliche Urtheil wird und wurde so gefällt, dass auch zwei 
Aerzte mit der Abfassung eines Gutachtens betraut wurden, dass sie mit einer An¬ 
zahl Gerichtspersonen zusammen einen Termin über den Kranken abhalten mussten, 
und dass nach diesem Urtheil dann erkannt wurde. Nun, m. H., ist durch die 
ausserordentliche Aufregung, die durch den Missbrauch der Zeitungen bei dem 
Fall, den ich zuerst erwähnte, hervorgerufeu worden ist, eine grosse Beunruhigung 
in das Publikum gekommen und mit Recht; Sic seil»st, m. H., haben mir Recht 
gegeben, als ich vorhin sagte: es ist ausserordentlich nöthig tür uns, dass wir 
diejenigen, die für geisteskrank gehalten werden, soweit schützen, dass sie nicht 
die Folgen der Geisteskrankheit zu tragen haben, bis dieselbe festgesetzt ist. 
Diese grosse Beunruhigung hat nun also doch uns die Frage wieder nahe gelegt 
ob wir nicht vielleicht andere gesetzliche Massregeln bei der Regierung bean¬ 
tragen müssen. Es liegt uns vielleicht recht nahe, die Regierung aufzufordern, 
zu dem alten Verfahren zurückzukehren; denn es ist wohl immer richtiger, wenn 
man den Termin zur Festsetzung der Geisteskrankheit nicht zu weit hiuaus- 
schiebt. Indessen, meine Herren, ausser in Romanen werden Sie wohl noch nicht 


♦) Nicht richtig, bei Privatirrenanstalten genügte meist das Zeugniss eines 
Arztes und zwar auch das eines nicht beamteten Arztes. 



Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses etc. 187 

erfahren haben, dass im preussischen Staate gesunde Leute gegen ihren Willen 
in Zwangsanstalten untergebracht sind. Ich muss sagen, mir ist das in meiner 
fast fünfzigjährigen Praxis nie vorgekommen. Es ist mir das auch undenkbar, 
wie das bei unseren preussischen Einrichtungen geschehen soll. M. H., wir 
müssen uns auch in Acht nehmen, die andere Seite nicht zu sehr zu vernach¬ 
lässigen, nämlich die Seite, wo die unglücklichen Familien, die einen Irren unter 
den Ihrigen zählen, gleichzeitig mit der Verantwortung belastet werden für das, 
was der Irre ohne genügende Bewachung an Unglück in seiner Familie und Um¬ 
gebung anrichten kann, möglicherweise auch an sich selbst. M. H., ich bin des¬ 
wegen der Obrigkeit dankbar, die dafür sorgt, dass sie hier mit der ausser¬ 
ordentlichen Schnelligkeit und Präzision vorgeht; denn die Fälle sind gar nicht 
selten gewesen, dass Geisteskranke sich oder auch Andere getödtet haben ein¬ 
fach deswegen, weil die Leute, die gewissermassen für den Geisteskranken 
verantwortlich waren, sich nicht entschliessen konnten, ihn schnell genug in 
Krankenanstalten unterbringen zu lassen und auch deshalb, weil die Wege zu 
lange dauerten. Deshalb sage ich: sollten Sie wirklich die Absicht haben, in 
Folge der unwahren, alarmirenden Gerüchte in den Zeitungen, diese Gesetze jetzt 
zu ändern, so glaube ich in der That, wäre die einzige Veränderung die, dass 
wir den vorigen Zustand wieder einführten. Der jetzige Zustand hat miss¬ 
bräuchlich dahin geführt, dass die Untersuchungen zu lange auf geschoben werden. 
In der Regel muss der Fiskus bei allen Armen die Gerichtskosten bezahlen, und 
da lässt der Staatsanwalt — natürlich bona fide — oft lange Zeit hingehen, 
bis die gerichtliche Untersuchung eintritt. Sie würden also wahrscheinlich 
mit grosser Vorsicht an die Beurtheilung dieser Fälle herangehen und würden 
mit grosser Vorsicht verfahren müssen, wenn Sie etwa das gesetzliche Verfahren, 
wie es jetzt besteht, ändern wollten. 

Abg. Stoecker: M. H., ich habe schon bei einer anderen Gelegenheit 
erklärt, dass ich die Absicht hatte, die Sache hier in gründlicher Weise zum 
Vortrag zu bringen. Das Haus wird aber damit einverstanden sein, wenn ich 
bei der bedrängten Zeit, in der wir uns befinden, es jetzt nicht thue. Ich habe 
nun mit einigen meiner Freunde, die an dieser Angelegenheit ein Interesse haben, 
beschlossen, einen ganz bestimmten Antrag zu stellen und dann bei Gelegenheit 
dieses Antrages die Sache eingehend zu behandeln. Das kann ich dem Abg. 
Langerhans nicht zugeben, dass die Dinge so einfach liegen, wie er sie dar¬ 
stellt, als ob nur ein Fall in den Zeitungen unmässig aufgebauscht wäre; wenn 
man nun diese Uebertreibungen wegnehme, dann sei alles gut, und wenn man 
zu der früheren Ordnung zurückkehre, sei es noch besser. Der Herr Abg. Langer¬ 
hans, wenn er sich mit dieser Materie beschäftigt hätte, müsste wissen, dass 
viele Fälle der Art vorgekommen sind, und dass die Praxis in den Provinzen 
nicht die gleiche ist. Es ist nicht so, wie er sagt, dass überall der Kreisphy- 
sikus sein Zeugniss giebt. Oft sind es Gutachten irgend welcher Aerzte, auf 
die hin Familienglieder das Recht gewinnen, Verwandte ins Irrenhaus zu sperren. 
Aber auch bei einem Kreisphysikus ist es in keiner Weise garantirt, dass die 
Sache richtig gehandhabt wird. Es giebt eine Menge von Kreisphysici, die von 
Psychiatrie keine Ahnung haben (Widerspruch), gar keine, — das haben mir 
berühmte Irrenärzte gesagt; sie urtheilen nach ihrem Sentiment. Dafür ist aber 
die Freiheit eines Menschen eine zu ernste Sache. Das Einschreiten des Ge¬ 
richts oder des Staatsanwalts, wovon der Abg. Langerhans redet, tritt auch 
nicht immer ein. Man sollte allerdings erwarten, dass, wenn auf das Gutachten 
eines Arztes, der vielleicht nicht einmal Sachverständiger ist, und auf das Drängen 
eines oder einiger Menschen, Jemand in das Irrenhaas gesperrt wird, dann eine 
öffentliche rechtliche Verhandlung eintreten müsste. Es liegen Erkenntnisse 
vor — z. B. im Falle Drake*), den ich nicht ausführlich schildern will —, worin 
nachgewiesen ist, dass in unverantwortlicher Weise von Aerzten im Einvernehmen 
mit interessirten Personen bei der Sache gehandelt ist, nachdem der angeblich 
Irrsinnige 3 Jahre hat kämpfen müssen, um das Zeugniss seiner geistigen Ge¬ 
sundheit wieder zu bekommen. Das sind Thatsachen, die sich nicht verneinen 
lassen. Eine gerichtliche Verhandlung findet übrigens meist nur dann statt, 
wenn der Betreffende für unzurechnungsfähig erklärt werden soll. Auch da, 
muss ich sagen, sind Dunkelheiten und Unbegreiflichkeiten in der Handhabung 
der Sache, die nicht bestehen können. M. H., ich werde, wenn wir einmal in die 
eigentliche Verhandlung kommen, Fälle anführen, in denen Menschen gerichtlich 

*) Soll heissen Draak; vgl. Eulenberg’s Vierteljahrschr., Bd. XLIV.,Hcft 2. 



188 Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses etc. 

für unzurechnungsfthig erklärt sind, die ihre ärtzliche Praxis ruhig fortsetzten, 
und das Menschen, die in einem täglichen Amte sind und von den Leuten, die 
mit ihnen umgehen, für völlig gesund und vernünftig gehalten werden, gericht¬ 
lich für unzurechnungsfähig erklärt sind. Sie sind nicht irre, aber sie leiden 
unter dem falschen Kuf, dass sie es sind, und werden geistig todt gemacht. Hier 
liegen noch viele Punkte, die erörtert werden müssen. 

Abg. Simon v. Zastrow: „M. H., ich möchte die Berathung auch nicht 
lange hinziehen, aber ich möchte doch mit Bezug auf eine Aeusserung des Herrn 
Abg. Langerhans eine kurze Geschichte erzählen, die mir vor zwei Jahren 
passirt ist. Es kam da eine mir von früher bekannte Dame zu mir in voller 
Verzweiflung und sagte, sie wäre mit einer anderen Dame aus Dresden herge¬ 
kommen, diese hätte sich unwohl gefühlt, und sie hätte sie in eine Privatheil¬ 
anstalt gebracht. Nach zwei Tagen will sie diese Dame wieder herausholen, 
aber der Inhaber der Anstalt erklärt ihr: Sie bekommen Sie nicht heraus, denn 
die Dame sei verrückt. Ich habe diese Darae auch gesehen, etwas aufgeregt 
war sie schon früher, aber von Verrücktheit keine Spur. Ich sagte, die Leute 
müssen doch die Frau herausgeben, wenn diese freiwillig zu ihnen gekommen 
ist, um sich von einem vorübergehenden Uebelsein heilen zu lassen; wenden Sie 
sich an die Polizei, an den Amtsvorsteher. Es geschieht, aber dieser erklärt, 
er könnte nichts thun, der dirigirende Arzt habe erklärt, die Dame wäre ver¬ 
rückt. Darauf sollte ich ihr helfen. Da ich mich nicht damit abgeben konnte, 
schickte ich sie zu einem Rechtsanwalt, unserem früheren Kollegen Wolf. 
Dieser hat zwei Monate lang gerungen, bis er die geistig ganz gesunde Frau 
wieder aus der Anstalt herausbekoraraen hat. Die Dame lebt jetzt ganz gesund 
und munter in Berlin und denkt mit Schrecken an die Zeit, wo sie in der An¬ 
stalt war; sie erzählt, sie wäre beinahe verrückt geworden, denn sie hätte lauter 
verrückte Leute um sich gesehen, der Arzt hätte sie gefrag : hören Sie Stim¬ 
men? — Nein! — Sie hören gewiss Stimmen! — So erzählt die Frau. Ich will 
eine Garantie dafür nicht übernehmen, aber so ist mir gesagt 

Ich muss ferner aus meiner Erfahrung als Gerichtsbeamter und Staatsan¬ 
walt bemerken, dass die Herren Aerzte äusserst schnell bei der Hand sind. Je¬ 
mand für blödsinnig zu erklären. In dem Protokoll, dessen der Kollege Lan¬ 
gerhans erwähnte und welches in Gegenwart eines Richters und zwei Sach¬ 
verständigen aufgenommen wird, werden dem Exploraten die wunderlichsten 
Fragen vergelegt. Mir sind wiederholt Fälle vorgekommen, wo die Exploraten 
diese Fragen alle richtig beantworteten, gleichwohl erklärten die Aerzte: wir 
erkennen den Mann an den flackernden Augen u. s. w. für blödsinnig. 

Nun brauchten die Richter dies Gutachten nicht immer für massgebend 
achten, aber es kommt auch oft vor, dass der Richter denkt, der Arzt müsse es 
doch besser wissen. Der Amtsrichter, der die erste Prüfung hat, der den Ex¬ 
ploraten unmittelbar vor sich hat, weist auch vielleicht den Antrag auf Ent¬ 
mündigung zurück, dann geht es in der Beschwerdeiustanz an das Landgericht, 
das hat oft nur die Akten, und dann wird auf Grund der Akten der Beschluss 
abgeändert, und der Mann wird entmündigt und muss erst eine Klage anstren¬ 
gen, um von dieser Entmündigung wieder befreit zu werden. 

Ich habe auch sehr oft den Wunsch empfunden, dass in dieser Sache 
Wandel geschaffen werden könne, dass Jemand nicht so ohne Weiteres auf das 
Attest eines beliebigen Arztes — das geschieht doch — wider seinen Willen in 
eine Privatirrenanstalt gebracht wird. In einer öffentlichen, in einer staatlichen 
Anstalt wird so etwas nicht Vorkommen, die hat auch gar kein Interesse daran, 
einen Menschen zu behalten, die Privatanstalten aber haben ein Interesse daran, 
denn sie bekommen bezahlt. Ich hätte allerdings den dringenden Wunsch, dass 
es nicht gestattet würde, einen Alenschen, bevor er entmündigt ist, in eine 
Pri vat-lrrenanstalt wider seinen Willen aufzunehraen, und ich glaube, dass es 
sehr erwünscht wäre, dagegen Massregeln zu treffen; denn es kann sehr leicht 
Missbrauch getrieben werden, und ich fürchte, es wird auch Missbrauch ge¬ 
trieben.“ (Lebhafter Beifall.) 

Abg. Langerhans: „M. H., Sic rufen Bravo, Sie sollten es sich zehn¬ 
mal überlegen. Herr v. Zastrow hat gesagt, man möge keinen Menschen 
in eine Anstalt bringen, ehe nicht seine Entmündigung vollzogen ist. M. H., 
wie ist das möglich? (Rufe: Privatanstalten I) Natürlich, Privatanstalten, das 
ist ganz gleich. (Rufe: Nein !) Nun, m. H., wenn an einem Ort eine staatliche 
Anstalt nicht ist, bringt man die Leute doch in eine Privatanstalt, dass ist doch 



Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses etc. 189 

ganz dasselbe. (Wiederholter Widerspruch.) Also, m. H., der Vorredner sagte, 
vor der Entmündigung solle eine solche Anstalt keinen aufnehmen können. M. H., 
das ist äusserst gefährlich; wie soll man denn einen Geisteskranken in seiner 
Wohnung, die vielleicht nur aus ein oder zwei Stuben besteht, bewachen, wie 
soll man dafür sorgen, dass der Kranke nicht Allotria, Verbrechen aller Art 
treibt? Das ist ganz unmöglich. Das kennen Sie allerdings nicht; ich bin 
allerdings 18 Jahre verantwortlicher Arzt an einer kleinen Privatirrenanstalt 
gewesen, also etwas verstehe ich davon, und ich glaube, dass wir etwas vorsich¬ 
tig sein sollten, wenn wir das Gesetz ändern. Ich gebe Ihnen ganz Recht, 
wenn Sie sagen, es muss mit der grössten Strenge darauf gehalten w^erden, dass 
keiner in die Anstalt aufgenoinmen werden kann, ohne dass festgestellt ist, dass 
er wirklich verrückt ist. 

Aber, m. H., auf der anderen Seite müssen Sie auch Rücksicht nehmen 
— und darum muss man nicht mit solchen Beispielen zu schnell kommen. Wenn 
der Herr Abg. v. Zastrow das Beispiel, was er heute zitirt hat, nachher viel¬ 
leicht bei der grösseren Debatte, die Herr Abg, Stoecker ankUndigt, wieder 
Vorbringen will, dann wollte ich nur bemerken, dass ich mir zu dem Beispiel 
dann noch ein paar Fragen gestatten werde, die sich darauf beziehen, wie weit 
das Beispiel hier angezogen werden kann. Wenn Jemand also auf das Attest 
eines beliebigen Arztes aufgenommen wird in die Irrenanstalt, weil Gefahr im 
Verzüge ist, so ist der Physikus verpflichtet, in allernächster Zeit, also spätestens 
am nächsten Tage, ein Physikatsgutachten zu geben. So liegt die Sache jetzt. 
Es ist also vom Staat alles gethan, was man irgend verlangen kann, um die 
sehr hässliche Eventualität zu verhindern, dass ein Geistesgesunder als Geistes¬ 
kranker behandelt wird. 

Abg. Dr. Virchow: „Ich wollte zunächst darauf aufmerksam machen, 
dass wir uns hier mit einer Frage beschäftigen, die durch Reichsgesetz geordnet 
ist. Es mag sehr nützlich sein, dass wir uns hier darüber unterhalten; aber 
ich glaube, der Zeitpunkt ist nicht gerade geeignet, um solche an sich doch 
etwas dislocirte Erörterungen stattfinden zu lassen. Herr Stoecker ist ja 
Mitglied des Reichstages; er wird dort in der Lage sein, die Sache an der 
richtigen Stelle zum Vortrag zu bringen, und wir werden sehr gern bereit sein, 
ihm alle Hülfe zu leisten, um den vollen Schutz der Irren herbeizuführen. Hier 
in diesem Augenblick haben wir es nur mit unserem preussischen Irrenwesen zu 
thnn, und ich will daher auch nicht mehr sagen als gerade das, was sich hier¬ 
auf bezieht. 

Da muss ich zunächst dagegen Einspruch thun, dass unsere Einrichtungen 
überhaupt der Art wären, dass öffentliche Anstalten in genügender Ausdehnung 
vorhanden wären, um provisorisch ein Unterkommen zu bieten für alle diejenigen, 
die noch nicht entmündigt sind. Herr Stoecker muss doch ungefähr auch 
wissen, wrie es z. B. hier in Berlin beschaffen ist, in einer grossen Stadt, wo so 
viele Geisteskranke sich befinden. Ich will nur mittheilen, dass in Berlin in 
diesem Augenblick nach den konstatirten Zahlen der städtischen Ueberwachung 
etwa 3200 Irre gezählt werden, die der öffentlichen Sorge zugewiesen sind — 
wie gross die Zahl derer ist, die darüber hinaus in den besser situirten Klassen 
vorhanden sind, kann ich nicht augeben. Aber die Stadt hat nicht einmal so 
viel Raum, um die 3000 unterzubringen; am wenigsten hat sie Raum, um den 
immer zunehmenden Nachwuchs unterzubringen. Sie baut immer neue Kranken¬ 
anstalten. Das neue grosse Irrenhaus, welches binnen Kurzem eröftuet werden 
soll, wird schon bei seiner Eröffnung ganz und gar gefüllt sein; wir müssen 
immer neu bauen, wenn wir einigermassen nachkommen wollen. 

Was die Regierung anbetriff't, so befindet sie sich mit ihren Einrichtungen 
auf einem Minimalstandpunkt. Alle Versuche, die irrenärztliche Seite der Staats¬ 
krankenanstalten weiter zu entwickeln, sind bis jetzt gescheitert, und die Station 
der Charitö, welche allein existirt, pflegt gewöhnlich nicht als Musteranstalt 
aufgeführt zu werden. Also ich wüsste wirklich nicht, wie man es anstellen 
sollte, in Berlin einen Irren, der frisch erkrankt, vorläufig unterzubringen, wo 
man mit ihm hingehen sollte, um ihn zunächst soweit zu überwachen, dass er 
sich und anderen keinen Schaden bereiten kann. Darin mü.ssen die Herren sich 
also wohl finden, dass nicht wenige von diesen Personen nach wie vor in Privat¬ 
irrenanstalten untergebracht werden müssen. 

Nun will ich gern zugestehen, m. H., dass es vielleicht sehr nützlich wäre, 
die Aufsicht nicht blos über diese Privatirrenanstalten, sondern auch über die 



190 Die diesjährige Verhandlung des preussischen Abgeordnetenhauses etc. 

öffentlichen Anstalten etwas schärfer zu organisiren, als es bis dahin der Fall 
war. Nicht wenige von unseren Nachbarstaaten, kleinere und grössere, ich nenne 
nur Holland und England, haben besondere ärztliche Beamte, welche für den 
Spezialzweck eingesetzt sind, die Inspektion der Irrenanstalten zu besorgen, iss 
Land durchreisen und die verschiedenen Stationen nach und nach immer wieder 
von neuem zu prüfen. Man könnte ja etwas Derartiges auch bei uns machen. 
Derartige Möglichkeiten lassen sich nach verschiedenen Richtungen hin suchen. 
Genügt Ihnen das nicht, was mein Freund Langerhans vorgeschlagen hat, 
dass an Stelle der Staatsanwälte, die etwas langsam sind, Richter gesetzt werden, 
die etwas schneller handeln, so mögen Sie ein solches anderes Verfahren wählen. 

Allein dagegen muss ich entschieden Einspruch thun, dass die Zahl solcher 
Fälle, die bisher Gegenstand der allgemeinen Kenntniss geworden sind, sehr 
gross sei. Herr Stoecker in seiner enthusiastischen Weise, die wir ja an ihm 
kennen, sagt gleich: es sind viele Fälle, in denen das vorkommt. Ich möchte 
glauben, dass die Auffassung des Herrn Stoecker wesentlich auf Zeitungs¬ 
notizen beruht. Wie bedenklich diese Quelle ist, zeigt ein naheliegendes anderes 
Beispiel. Dasselbe betrifft die Fälle des Lebendigbegrabenwerdens. Wenn man 
nach den Zeitungen ginge, so müsste man auch sagen: viele Leute werden 
lebendig begraben. Indess haben sich von Zeit zu Zeit einzelne meiner Kollegen 
die Aufgabe gestellt, diesen Zeitungsnotizen nachzugehen, um festzussellen, ob 
die Sache sich wirklich so verhalten hat, wie sie erzählt wurde, und es ist nicht 
ein einziger von allen den Fällen, die in neuerer Zeit mitgetheilt worden sind, 
bestätigt worden. Jedesmal hat sich ergeben, dass es eine Ente war. 

Ja, m. H., derartige Zeitungsnotizen sind ziemlich schlimm; der eine Be¬ 
richterstatter hält Jemand für verrückt, der andere hält ihn für gesund und 
macht eine grosse Geschichte daraus; das kann man sich leicht vorstellen. 

Wir besitzen in Preussen jedoch eine Einrichtung, die doch als eine Art 
von Schutz dient. Die schriftlichen Verhandlungen, die sämmtlichen Begutach¬ 
tungen der krankhaften Geisteszustände werden regelrecht von den Lokalstellen 
an die Medizinalkollegien zur Prüfung eingesendet, und wenn ein Medizinalkol¬ 
legium irgend eine bedenkliche Stelle darin entdeckt, so werden sie weiter gegeben 
und gelangen zuletzt an die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen. 
Das ist der gewöhnliche administrative Gang, in denen die Beaufsichtigung der 
Lokalärzte geübt wird. Nun giebt es aber noch einen anderen Weg. Ein ge¬ 
wisser Fall wird streitig, und es wird ein Gerichtsverfahren eingeleitet; die 
Sache geht durch die verschiedenen Instanzen und kommt auch in diesem Falle 
meistens zur Begutachtung an die wissenschaftliche Deputation für das Medizinal¬ 
wesen. Es giebt also zwei verschiedene Wege, auf denen sich die Akten über 
diese Verhandlungen sammeln. Da will ich Herrn Stöcker aber noch mit¬ 
theilen, dass die wissenschaftliche Deputation in der Mehrzahl der Fälle, in 
denen sie angerufen wird, ein Obergutachten abzugeben, sich nicht darauf be¬ 
schränkt, bloss die Akten einzusehen und zu fragen: was lässt sich aus den 
Akten entnehmen? — sondern sie fordert gewöhnlich das betreffende Gericht 
auf, das fragliche Individuum hierher zu schicken in eine öffentliche Anstalt, um 
thatsächlich beobachtet zu werden. Sie beauftragt dann ein paar ihrer Mitglieder 
mit der persönlichen Beobachtung. Von allen diesen Fällen ist mir nicht in 
Erinnerung, dass jemals eine Person, die man in einem früheren 
Stadium der Untersuchung für geisteskrank erklärt hatte, als 
nicht geisteskrank befunden wäre. Das ist ja manchmal ziemlich 
schwierig zu ermitteln, es macht eine Menge von Skrupeln, und ich will es 
Niemandem verdenken, wenn er, wie Herr Stöcker es thut, sich vorstellt, dass 
da fortwährend die grössten Irrthümer vorkämen. Aber ich kann aus reiflicher 
Prüfung meiner Erinnerungen nur sagen, dass in den wirklich streitig geworde¬ 
nen Fällen fast regelmässig die Geisteskrankheit konstatirt worden ist. Aus der 
neueren Zeit kenne ich nur einen Fall, der vielleicht bei vielen noch in der Er¬ 
innerung ist, der des Fürsten Sulkowski, der eine andere Wendung ge¬ 
nommen hat. 

Herr Stöcker ist nun aber mit der Konsequenz, die ihm eigen ist, gleich 
noch einen Schritt weiter gegangen und hat noch eine „Menge“ von Kreis¬ 
physikern entdeckt, „die von Psychiatrie keine Ahnung haben“ — 
ich habe mir das aufgeschrieben —, die also ihr Gutachten „nach ihrem 
Sentiment“ abgeben. M. H., das wären ja allerdings sonderbare Kreis¬ 
physiker, die sich Herr Stöcker da ausgesucht haben muss. Ich bin neugierig 



Die diesjährige Verhandlnng des prenssischen Abgeordnetenhauses etc» 191 


zu erfahren, wo diese Männer befindlich sind. Wir haben doch seit Menschen¬ 
gedenken ein ziemlich strenges, besonderes Examen pro physicatu, und in diesem 
Examen giebt es eine besondere Station, wo eine praktische Prüfung veran¬ 
staltet wird, ob der Betreffende im Stande ist, sich über die Verhältnisse eines 
Geisteskranken in zuverlässiger Weise zu äussern. Ein geeigneter Fall wird ihm 
übergeben, er muss darüber in der Klausur ein schriftliches Gutachten verfassen; 
er wird auch darüber examinirt. Man giebt sich also alle mögliche Mülie, fest¬ 
zustellen, was er von Psychiatrie versteht. Gleichzeitig hat die Regierung sich 
bemüht, den Unterricht in diesem Zweige besser zu organisiren. Es lässt sich 
in der That nicht viel mehr thun. Die Psychiatrie macht grosse Fortschritte, 
sie ist auch in der Meinung der Menschen gestiegen. Dass es eine „Menge** 
von Kreisphysikem geben soll, die von Psychiatrie keine Ahnung haben, das, 
glaube ich, können wir mit allem Ernste zurückweisen und können dem Abge¬ 
ordneten Stöcker sagen, dass in der That Alles gethan ist, um nach dieser Seite 
hin die Sicherheit des Riblikums so gross wie möglich werden zu lassen.** 

Redner bemerkt zum Schluss noch, dass das Institut für Infektionskrank¬ 
heiten im Etat viel reichlicher als das Charitekrankenhaus bedacht sei, besonders 
in Bezug auf das Gehalt der dirigirenden Aerzte wie der Assistenten. Er bittet 
daher diese beiden Institute im Etat möglichst gleichzustellen und vor allem das 
Gehalt der Assistenzärzte an der Charite aufzubessern. 

Ministerialdirektor Dr. Bartsch: „Der Herr Minister hat ungern ver¬ 
nommen, dass gegen eine ganze Klasse von Medizinalbeamten ein schwerer Vor¬ 
wurf erhoben ist, ohne hinreichende thatsächliche Begründung, nach der Richtung 
hin, dass die Kreisphysiker des Landes in Bezug auf ihre psychiatrischen 
Leistungen es an dem Wünschenswerthen fehlen lassen. Es ist schon von ande¬ 
rer Seite ausgeführt worden, dass die Kreisphysiker, ehe sie ins Staatsamt ge¬ 
langen, eine ausreichende Vorbildung auch auf dem Gebiete der Psychiatrie er¬ 
halten und ich habe im Namen des Herrn Ministers zu konstatiren, dass an ihn 
bisher eine Beschwerde in dem Sinne nicht gelangt ist, dass die Kreisphysiker 
es an der nöthigen Vorbildung auf dem Gebiete der Psychiatrie fehlen Hessen.“ 

Abg. Stöcker: „M, H., ich weiss nicht, wesshalb der Herr Abgeordnete 
Dr. Virchow glaubt, dass meine Kenntniss der Fälle, die ich genannt habe, 
auf Zeitungsnotizen beruht. Er muss sich doch klar machen, dass, wenn ich 
Über solche Sachen zu urtheilen wage, ich nicht auf Zeitungsnotizen hin mir ein 
Urtheil anmasse. Nein, es sind gerade ernste und wissenschaftliche Werke, 
deren Studium mich zu meiner Stellung in dieser Frage gebracht hat. Ich weiss 
nicht, ob Herr Abg. Dr. Virchow des Buch kennt: „Das Recht im Irrenwesen“ 
von Professor Schröder. — Es scheint, dass er es nicht kennt, dann bin ich 
vielleicht orientirter, als Herr Abg. Dr. Virchow. Prof. Schröder nun hat 
viele konstatirte Fälle angeführt; ich könnte dieselben noch um einige ver¬ 
mehren. Die Parallele mit Scheintodten passt gar nicht. Fälle von Scheintod 
habe auch ich noch nicht erlebt, aber Fälle, dass gesunde Menschen ins Irren¬ 
haus gesperrt, und Leute, die alle übrigen Menschen für gesund hielten, für un¬ 
zurechnungsfähig erklärt worden sind, giebt es vielfach; das ist sogar gericht¬ 
lich konstatirt. — 

Wogegen ich bei diesem ganzen Verfahren Einspruch erhebe, ist, dass ein 
einzelner Mensch durch ein Gutachten eine Macht über das Lebensschicksal 
eines andern gewinnt. Ich habe schon hervorgehoben, dass es nicht immer ein 
Kreisphysikus ist; in manchen Provinzen kann es ein einfacher Arzt sein. Aber 
wenn es auch ein Kreisphysikus wäre — das Urtheil, das ich über die Kreis- 
physici ausgesprochen habe, haben mir berühmte, anerkannte Irrenärzte selbst 
mitgetheilt. Sie sagten mir — und Herr Dr. Virchow wird das nicht be¬ 
streiten — dass cs unnii‘)glich sei, ohne einen längeren Aufenthalt in einem 
Irrenhause, ohne eine mehrjährige Beschäftigung mit Irren sich ein massgebendes 
Urtheil über Seelenkraukheiten zuzuschreiben. Das ist wissenschaftlich aner¬ 
kannt; und ich muss bedauern, dass hierbei der Vertreter der Staatsregierung 
auf die Seite des Herrn Dr. Virchow getreten ist. Das blosse Examen, die 
kurze Beschäftigung mit der Irrenkunde macht es noch nicht. Man hat nur 
dann ein Urtheil über Irre, wenn man lange an einem Irrenhause gestanden hat, 
geradeso wie man kein Chirurg sein kann, wenn man nicht lauge Jahre im 
Saale selbst operirt hat. Wenn sich Herr Abg. Virchow das überlegt, so 
wird er mir Recht geben, vielleicht der Herr Minister auch. Aber wie dem 
auch sei, ein einzelner Mensch sollte überhaupt nicht die Macht haben, einen 



192 Die diesjährige Yerhandlnng des prenssischen Abgeordnetenhanses etc. 

anderen nm seine Freiheit zn bringen. Wir haben in Irrensachen Verhand¬ 
lungen gehabt, wo Aerzte gegen Aerzte standen. Wie kann man eine so folgen¬ 
schwere Sache, wie die Irrenerklärung, auf die Verantwortung eines einzelnen 
Menschen laden P Was ich will, ist in jedem Fall eine öffentliche Verhandlung. 
Ich will auch nicht, dass auf das Urtheil eines Amtsrichters ein so erschtlttem- 
des Ereigniss wie die ünmündigkeitserklärung basirt wird; ich glaube, dass die 
ganze gebildete Welt mir darin beistimmen wird. Denn vor Gericht ist es ge¬ 
radeso wie in der Medizin. Ein einziger Amtsrichter hat die Macht, einen 
Menschen für unzurechnungsfähig zu erklären. Das ist verfehlt. 

Mir liegt jetzt ein Fall vor, dass ein Mensch in Preussen für unzurech¬ 
nungsfähig erklärt wurde und hier geistig todt ist. Nun ist er in einen ande¬ 
ren Bundesstaat gegangen; ein preussischer Staatsanwalt beantragt, ihn auch 
dort bei Gelegenheit des Prozesses für unzurechnungsfähig zu erkläüen. Das 
dortige Gericht aber lehnt das ab. Dort gilt der Mann für gesund; dies Ge¬ 
richt hält ihn gar nicht für krank. Nun ist er in einem Theile Deutschlands irr 
und in einem anderen The.le ist er nicht irr (Heiterkeit). Das sind doch un¬ 
haltbare Zustände. 

Ich gehe nicht so weit,wie mein Freund Herr v. Zastrow, der keinen in 
eine Privatanstalt eingesperrt wissen will, der nicht vorher für unmündig er¬ 
klärt ist. Das halte ich nicht für möglich; aber darin stimme ich ihm voU- 
kommen bei, — das hat er wohl auch nur gemeint, — dass niemand in eine 
Privatanstalt aufgenoramen werden sollte, der nicht vorher in einer staatlichen 
Anstalt gewesen ist, wo das Personal zum Erforschen der Krankheit grösser 
und das Ergebniss viel gesicherter ist, wo jedenfalls keine persönlichen Inter¬ 
essen vorliegen, einen angeblich Kranken widerrechtlich festzubalten. So ist es 
in unserm Nachbarland Sachsen, die Einrichtung hat sich dort vollkommen be¬ 
währt. Haben wir nicht genug Anstalten, — ich gebe Herrn Abg. Virchow zu, 
dass das der Fall ist, — so müssen wir neue gründen. Freiheit und Glück 
eines Menschenlebens sind wichtig genug, um solche Einrichtungen zu treffen. 
(Bravo I rechts.) 

D. Institut für Infektionskrankheiten. 

Abg. B r ö m e 1: „M. H., die Mittel welche für das Institut für Infektions¬ 
krankheiten gefordert werden, sind im vorigen Jahre in kleinerem Massstabe 
wohl einstimmig von diesem Hause bewilligt worden. Gleichviel, wie man über 
den unmittelbaren praktischen Werth der Forschungen auf diesem Gebiete denken 
mochte, allgemein bestand im Hause die Ueberzeugung, dass es hier gelte, eine 
Ehrenpflicht gegen die deutsche Forschung in humanem Interesse zu erfüllen. 
Im vorigen Jahre schien der Rahmen für dieses Institut etwas enger gezogen 
zu sein, als es nach dem vorliegenden Etat der Fall ist. Die Summe, welche 
in diesem Etat für das Institut für Infektionskrankheiten gefordert wird, über¬ 
steigt die im vorigen Jahre ausgesetzte Summe erheblich. Der Betrag erreicht 
nahezu eine Viertelmillion Mark; er übersteigt die gesammte Aufwendung zum 
Beispiel für die Akademie der Wissenschaften, und er kommt sogar dem Staats¬ 
zuschuss für eine ganze Universität, für die Universität Greifswald, sehr nahe. 
Nun wird sich gewiss nicht bestreiten lassen, dass ein solches Institut für wich¬ 
tige neue Forschungen sehr wohl für die Wissenschaft und für das Kulturleben 
mehr Nutzen haben kann als eine ganze Akademie und als eine ganze Universität. 
Nichtsdestoweniger meine ich, dass es namentlich angesichts der besonderen 
Stellung dieses Instituts gegenüber andern wissenschaftlichen Instituten, sowie 
angesichts der ungewöhnlich grossen Aufwendung von Mitteln wohl angebracht 
gewesen wäre, eine etwas ausreichendere Begründung beizubringen, als es im 
Etat geschehen ist. 

Noch einen zweiten Punkt habe ich bei diesem Titel zur Sprache zu 
bringen. Schon im vorigen Jahre ist bei diesem Titel der praktischen An¬ 
wendung des Tuberkulins gedacht worden. M. H., dieses Mittel ist seiner 
Zeit mit einem ganz ungewöhnlichen Apparat staatlicher Patronage in die 
Oeffentlichkeit eingeführt worden. Man hat es auch überaus eilig gehabt, über 
die Wirkungen dieses neu zusammengestellten Mittels amtliche Berichte einzu- 
fordem; es waren noch keine sechs Wochen vergangen, als das preussische Kul¬ 
tusministerium an die prenssischen Universitäten die Aufforderung ergehen liess, 
bis zum 1. Januar 1891 Berichte über die Wirkungen, welche bei der An¬ 
wendung des Tuberkulins erzielt worden, zu erstatten. Daraufhin sind bis zum 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


193 


1, Januar 1891 von den Kliniken, Polikliniken und anatomisch - pathologischen 
Instituten der preussischen Universitäten 55 amtliche Berichte cingegaugen, 
welche demnächst in einem Ergänzungsbaude zum Klinischen Jahrbuch auch der 
Oeffentlichkeit übergeben worden sind. Diese Berichte haben naturgemäss gar 
keine oder doch nur sehr unvollkommene Ergebnisse liefern können, weil die 
Zeit seit der ersten Anwendung des Mittels viel zu kurz war, lun ein Urtheil 
zu gestatten. Inzwischen ist indessen ein volles Jahr verflossen, und es fragt 
sich denn nun doch, in welcher Weist^ das Kultusministerium sich weiter über 
die Anwendung und die Wirkungen des Tuberkulins unterrichtet hat. Ich meine, 
dazu liegt um so mehr Anlass vor, als wh‘derholt in der Presse die Nachricht 
aufgetaucht ist, dass an sämmtlichen Kliniken der preussischen 
Universitäten die Anwendung des Tuberkulins eingestellt sei. 
Ich weiss nicht, ob diese Nachricht richtig ist; aber sie bildet zu der bisherigen 
Auffassung des Kultusministeriums in dieser Frage einen so grellen Kontrast, 
dass die Staatsregierung doch wohl sich veranlasst sehen sollte, sich über diesen 
Punkt einmal hier authentisch zu äussern. 

Geh. Oberregierungsrath Dr. Althoff: „M. H., gestatten Sie mir einige 
kurze Worte. Der Herr Abg. Dr. Vir chow hat zunächst über die Ungleichheit 
geklagt, in der sich die übrigen Institute der Charite gegenüber dem Institut 
für Infektionskrankheiten befänden. Ja, m. H., das trifft doch nicht in der 
Weise zu, wie der Herr Abg. gesagt hat. Was z. B. die Assistenten in den 
Kliniken betrifft, so steheu sich die.selben zum grossen Theil viel besser als die 
Assistenten im Institut für Infektionskrankheiten. Es ist nicht ausser Acht zu 
lassen, dass die ersterwähnten Assistenten vielfach noch Privatpraxis haben, und 
es giebt darunter Herren mit einem Jahreseinkommen von 8 bis 10000 Mark. 
So viel kann keiner der Assistenten im Institut für Infektionskrankheiten haben, 
da dort ein Verbot besteht, Privatpraxis zu treiben. Was weiter das patholo¬ 
gische Institut angeht, so stehen sich die Abtheilungsdirektoren auch dort eben 
so gut oder noch besser als die Abtheilungsdirektoren im Institut für Infektions¬ 
krankheiten. Aber das bleibt ja allerdings richtig, dass das Institut für In¬ 
fektionskrankheiten durch das grosse Wold wollen, das es in diesem Hohen 
Hause gefunden hat, sehr reichlich dotirt ist, und es wird uns sehr freuen, wenn 
die Finanzlage es gestatten wird, auch andere Institute in der gleichen Weise 
ausstatten zu können. 

Der Abg. Broemel hat ferner geklagt, dass der Etat des Institutes für 
Infektionskrankheiten noch nicht genügend spezialirt sei. Ja, m. H., was in der 
Budgetkommission von uns verlangt wurde, das ist geschehen. Das wird auch 
der Herr Beferent der Budgetkommissiou mir bezeugen. Was aber die materiellen 
Verhältnisse dieses Etats betrifft, so ist das Institut erst vor 9 Monaten ins 
Leben getreten, und wir wissen noch gar nicht, ob die Zahlen sich zu gross oder 
zu niedrig erwiesen haben. Deshalb werden ja hoffentlich alle Herren mit mir 
einig sein, dass jetzt noch nicht die Zeit gekommen ist, jetzt, wo wir noch gar 
keine Erfahrungen haben, die Ansätze von Neuem zur Diskussion zu bringen. 
Sodann hat der Herr Abgeordnete wieder die Tuberkulinfrage zur Sprache 
gebracht. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht fiber die Frühjahrs-Versammlang; der Medizinal- 
beamten des Bei^leriinesbezirks üacdebarc:. 

Ebenso wie die Medizinalbeamten der meisten anderen Regierungsbezirke 
haben auch diejenigen des Regierungsbezirkes Magdeburg im vorigen Jahre (vergl. 
Jahrgang 1891, Nr. 24 dieser Zeitschrift, Seite 671) einen Verein gegründet, 
in welchem alljährlich zweimal (in einer Frühjahrs- und einer Herbst-Versamm¬ 
lung) wissenschaftliche Fragen diskutirt, Vereinbarungen über Standesiuteressen 
getroffen und Berichte über gerichtsärztliche und gesundheitspolizeiliche Theinatas 
von dazu bestimmten Referenten erstattet werden sollen. 

Die diesjährige Frühjahrsversammlung fand in Magdeburg am 2. .Vpril 
unter sehr reger Betheiligung statt und referirte zunächst: 



194 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


1. Herr Kreisphysikus Dr. Bartsch -Neuhai den sieben: lieber die 
Fortbildungskurse der Medizinalbeamten wie folgt : 

M. H., Sie werden es mir wohl glauben, dass es kein leichter Entschluss 
war, im vorigen November der Aufforderung zu einem Fortbildungskursus Folge 
zu leisten. Galt es doch der Praxis, auf die ^yir zu unserem Lebensunterhalt 
noch immer angewiesen sind, drei Wochen lang und zwar im Dezember fern zu 
bleiben, zu einer Zeit, wo gerade am meisten zu thun ist. Die Kollegen, sonst 
immer zur Vertretung bereit, machten ein bedenkliches Gesicht, sie hatten mit 
ihrer Praxis und mit der anrückenden Influenza alle Hände voll zu thun. Wahr¬ 
lich, es gehörte ein blindes Vertrauen zu dem Wohlwollen unserer höchsten Be¬ 
hörde dazu, die so exorbitante Opfer an Zeit und Geld von uns forderte, sich 
für den Fortbildungskursus bereit zu stellen. Und doch möchte gewiss keiner 
von uns, der den ersten Kursus in Hallo mitgeinacht hat, die Erinnerung daran 
missen, ja jeder von uns ginge mit Freuden noch einmal zu einem Kursus, frei¬ 
lich im Dezember nicht wieder, wenn die Theilnahmc uns freigestellt würde. 
Das machte vor Allem die Persönlichkeit des Kaiserlichen Regierungsraths Herrn 
Prof. Dr. Renk und in zweiter Linie der ewig neue Reiz, den die ungestörte 
wissenschaftliche Arbeit und namentlich die experimentelle Arbeit im hygieni¬ 
schen Institut ausübt. Auch war die Anschauung so mancher interessanter Ein¬ 
richtungen unter fachkundiger Führung und endlich das Zusammensein mit gleich¬ 
gestimmten und -gesinnten Kollegen eine so wohlthuende und genussreiche Unter¬ 
brechung der gewohnten Lebensweise, dass alles Herzklopfen vor dem Kursus 
und alle Strapazen während des Kursus vergessen erscheinen! 

Doch nun zur Sache selbst. M. H., Sie erwarteten hoffentlich keinen detaillirten 
Bericht, als Sie den Wunsch nach einem Referat über den ersten Fortbildungs¬ 
kursus mir gegenüber äusserteu. Dazu wüirde heute schwerlich die Zeit aus¬ 
reichen. Nur die Ueberschriften unserer dreiwöchentlichen Arbeitskapitel möchte 
ich anführen, da Sie ja das Detail im Kursus erfahren, und Ihnen ausserdem einige 
praktische Winke geben über Vorbereitung und Einrichtung zum Kursus, Wie 
zum Kriegführen, gehört zum Kursiren zum ersten, wie zum andern und dritten 
„Geld**. Sie müssen Alles auslegen, da Reisekosten und Tagegelder erst n^ 
dem Kursus beglichen werden. Für den Kursus und den Verbrauch von Materialien 
erwachsen 60 Mark Kosten, so dass von den Tagegeldern nur 9 Mark täglich übrig 
bleiben, mit denen Sie natürlich nicht reichen. Dann fällt die Anschaffung eines 
neuen Mikroskopes zur Bakterien-Untersuchung schwer ins Gewicht, da die alten 
Mikroskope nicht mehr genügen. Wenn Sie nun ein Mikroskop kaufen müssen, 
so nehmen Sie ja kein billiges. Ich persönlich bin sehr gut bedient von E. L e i t z 
in Wetzlar mit einem neuen Instrument für 370 Mark, das als ein ausgezeichnetes 
im Kursus Anerkennung fand. Die älteren Instrumente von Leitz genügten 
aber nicht, doch werden sie vielleicht zu vervollständigen sein. Da das Htilfs- 
buch, nach dem im Institute gearbeitet wird, nämlich das von Emmerich und 
Trillich, vergriffen war, habe ich mir Lehmann „Die Methoden der prak¬ 
tischen Hygiene“ für 16 Mk. angeschafft, denn ohne Nachschlagebuch geht es 
nicht, wenn man Abends Ausarbeitungen machen will, und ohne die letzteren 
geht es wieder nicht, wenn man vom Kursus wirklichen Nutzen haben will. 
Schliesslich dürfen Sie nicht vergessen, einen Arbeitsanzirg mitzunehmen, da das 
ungeübte Handhaben mit Chemikalien allerlei Unheil anrichten kann. .Was sonst 
noch fehlt, liefert Ihnen mit grosser Bereitwilligkeit der lustitutsdiener „Kollege“ 
Siemund. Besonders wichtig für den Geldbeutel ist es noch, dass Sie in der 
Nähe des Instituts eine Privatwohnung zu bekommen suchen, was Ihnen nicht 
schwer werden wird, namentlich mit Hülfe des Institutsdieners. M. H., ein Fort¬ 
bildungskursus für Kreisphysiker oder, wie es offiziell heisst, in der öffentlichen 
Gesundheitspflege ist etwas anderes, als ein bakteriologischer Kursus im Reichs¬ 
gesundheitsamt, das wird Ihnen aus der Aufzählung der folgenden Kapitel klar 
werden. Zunächst beschäftigten uns Wasseruntersuchungen. Wie auch später, 
so ging jeder Untersuchung ein klarer und erschöpfender Vortrag mit Experi¬ 
menten voraus. Es waren zwölf Wasserprobeu aus der Saale oberhalb, bei und 
unterhalb Naumburgs entnommen, auch aus der Unstrut, welche unter uns ver¬ 
theilt wurden und gleichzeitig zur Kontrolle vom Herrn Professor und den 
Assistenten untersucht wurden. Die gewonnenen Resultate wurden dann schliess¬ 
lich mit einander verglichen. Die Untersuchungen waren höchst ausführlich und 
anregend. Sie ualimen Tage in Anspruch und waren so verführerisch, dass Jeder 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


195 


sich gleich die nothwendigen Apparate zum eigenen Gebrauch anschaflfte und 
später mitnahm, was freilich eine Ausgabe von 30—50 Mark veranlasste. Hierauf 
folgte die bakteriologische Untersuchung des Halle'schen Leitungs- und Trink¬ 
wassers, die günstig für das Wasser ausfiel. Bei der Untersuchung der Kohlen¬ 
säure in der Luft und bei der Ventilationsbestimmung, zu welcher ein Zimmer 
neben dem Hörsaal zur Bestimmung der Ventilationsgrösse hergerichtet war, 
verstieg sich allerdings eine Formel (die bei abnehmender Kohlensäure) bis zum 
Logarithmus. Doch ängstigen Sie sich nur nicht, dies war nur einmal der Fall, 
sonst waren die Berechnungen leicht verständlich und nicht zu schwierig. Die 
bakteriologische Untersuchung der Luft nach H e s s e ’s Verfahren stellte dagegen 
an die Ausdauer keine geringen Anforderungen. Noch spät am Abende konnte 
man bei Gasbeleuchtung auf dem flachen Dache des Instituts die Kursisten mit 
dem Aspirator arbeiten sehen. Sehr glänzend und interessant waren die Vor- 
tTäße und Untersuchungen über künstliche Beleuchtung, Bestimmung der Hellig¬ 
keit auf den Bänken, über Farbenzusammensetzung, über die Nachweisung von 
Kohlenoxyd u. s. w. Dann kam die Milch an die Reihe, deren Besprechung mit 
der Aufgabe schloss, drei Milchproben zu untersuchen, die sich als A. nicht ganz 
normale, etwas gewässerte, B als entrahmte und C als entrahmte und gewässerte 
herausstellten. Hohes Interesse erforderten die Zersetzungen der Milch wegen 
der vielen Arten von Bakterien, die die Gerinnung, die labähnliche Gähruug, die 
Peptonisirung, die blaue, rothe, fadenziehende, schleimige und bittere Milch er¬ 
zeugen. Hieran knüpften sich die verschiedenen Methoden, die Mikroorganismen 
zu isoliren, die Anlage von Kartoffelkulturen und dergleichen, auch die Milch¬ 
verfälschung und die Konservirung der Milch so detaillirt, dass Soxhlet, 
Escherich und Müller-Zeitz genau gegeneinander abgewogen und ersterem 
immer noch die Palme zuerkannt wurde, da absolute Sterilisirung der Milch bis 
jetzt nicht möglich ist. Bei dem Thema der Kanalwasserreinigung wurden die 
Anlagen der Stadt Halle und der klinischen Institute in Halle besichtigt und 
Proben von dem Wasser entnommen und untersucht. Die Kanalwasserreinigung 
für den südlichen Theil von Halle geschieht nach dem System von Müller- 
Nahnsen. Das Schmutzwasser wird mit Kalkmilch und einem kieselsauren 
Präparat, das noch Geheimniss der Fabrikanten ist, vermischt und dann in den 
ersten Brunnen geführt. Hier entsteht durch langsames Aufsteigen ein starker 
Niederschlag, dann findet Ueberfliessen in einen zweiten Brunnen statt, in wel¬ 
chem sich wieder Niederschläge bilden, so dass schliesslich das ttberfliessende 
Wasser leidlich klar in die Saale geht. Bevor das Wasser in den ersten Brunnen 
kommt, geht es durch ein grobes Sieb. Die Niederschläge in beiden Brunnen 
werden hoch gehoben und in eine Filterpresse gebracht, wo sie zu Düngekuchen 
gepresst w'erden. Die klinischen Institute in Halle haben ebenfalls eine Kläran¬ 
lage, wie so viele Betriebe mit Schmutzwasser. Dieselbe lässt ja eine Menge 
Stoffe sich absetzen, aber noch viel mehr weiter fliessen, weil ein Theil zu 
schnell durchfiiesst. Von wesentlichem Vortheil ist ein Klärbassin eigentlich 
nur für Wasser mit schweren Stoffen oder wie in Magdeburg, w'o vor Filtrirung 
des Elbwassers zu Trinkwasser Klärbassins passirt werden. Die Untersuchung 
des Feuchtigkeitsgehaltes der Wohnungen führte zum Angriff mit Meissei und 
Hammer, um ausser dem Putz- auch den Mauer-Mörtel zu gewinnen, dessen 
AVassergehalt bestimmt werden musste. Dazwischen fielen dann die Bazillen¬ 
färbungen und die Gewinnung der Färbeflttssigkeilen, die Untersuchung von 
Sputa auf Tuberkelbazillen, die Anfertigung von Dauerpräparaten, nachdem die 
Bereitung der Nährgelatine, die Züchtung auf schräg erstarrten Gelatinegläschen, 
die Sterilisirungen und dergleichen vorangegangen waren. Ueberhaupt wechselr.en 
die chemischen und mikroskopischen Arbeiten fleissig ab; die Arbeiten an der 
chemischen Wage und am Mikroskop konnten als körperliche Erholung gelten. 
Iki der Mehluntersuchung wurden Mehlproben auf Backfähigkeit, auf Ver¬ 
fälschungen mit Kreide, Gyps und Schwerspath und mikroskopisch auch die Bei¬ 
mengung von Kartoffel-, Reis und Leguminosen-Stärke untersucht. Von Wich¬ 
tigkeit bei Anlage von Begrähnissplätzen ist bekanntlich die Durchlässigkeit des 
Bodens. Die Versuche mit verschiedenen Geröllarten nach Pettenkofer boten 
des Interessanten die Menge. Man nimmt an, dass im Kiesboden, der eine geringe 
Waaserkapizität besitzt, die Leichenzerstörung am raschesten vor sich geht; 
dann folgt Grobsand, dann Feinsand, am ungünstigsten ist Lehm. Doch werden 
Sie darüber Näheres in unserem zweiten Vortrage erfahren. Auch von einem 
Stück Porphyr wurde das Porenvolumen festgestellt, das aber nicht allein mass- 



im 


Aus Versiüumluugeu und Vereinen. 


gebend für die Durchlässigkeit ist, da auch die Feuelitigkcit des B^Kleii.s zu be¬ 
rücksichtigen und als CTrundsaiz lolgt^udes aut/u.^telleu ist: Je mehr Wasser der 
Boden zurückhält, desto grösser ist (ler Vmlust an Permeahilität Sehr fesselnd 
war der Nachweis dt‘s Arseniks in Tapeten und grünem Zeug, die Brodunter- 
sucbungeu auf etwaigen Zusatz von Alaun und Kupfervitriol, um es backfähiger 
zu machen, die Untersuchung von Bier mit Alkohol- und Kxtraktbi'.stimmungen. 
Das Patzenhofer Bier, das uns zur Verfügung stand, erwies sich als ein gutes 
und gehaltvolles. Man durfte es nur nicht nach der Austreibung der Kohlen¬ 
säure oder gar n^ch der Filtriruug zu kosten wagen. Das ist natürlich bei 
jedem Bier der Fall. Den Wohlgeseliinack bringt iin Bier die Kohlensäure, es 
ist deshalb Unsinn, wenn man das Sauerwerden des Bieres durch Lakmuspapier 
feststellen will, da jedes Bier sauer reagirt. Neben diesen Untersuchungen 
wurden Spross- und Alkoholpiize verimi)ft, Stichkulturen von MilzbrandbazUlen 
angelegt, die Eigenbewegung der Bazillen im hängenden Tropfen beobachtet, 
Platten für den Cholerabacillus ausgegossmi, Tvphusbazilleu auf Kartofttdn kulti- 
virt und mehreres. Die Bestimmung des Fr'uditigkeitsgehalts der Luft brachte 
wieder Aufgaben, die jeder Einzelne von uns zu lösen hatte. Von praktischem 
Erfolge war die Untersuchung von Butterproben aits der Stadt. Sie führte zur 
Entlarvung eines Händlers, der vor Weihnachten Kunsthutter als hollämiische 
Naturbutter feil hielt. Nachdem noch cjuantitative Zuckerbcstimuiungen geübt 
waren, schloss der letzte Tug mit mikruskoinscln n Untersuchungen, von denen 
die Sporenfärbungen vom Heubacillus die wichtigsten wuren. 

Wie ich schon zu Anfang erwähnte, lag mir eine (erschöpfende Aufzählung 
aller unserer Arbeiten im Kursus und naimuitlicli eine detaillirte Beschreibung 
der Untersuchungen fern. Ich glaube aber doch den Hauptzweck erreicht, 
namentlich Ihnen ein Bild unsenT Thätigkeit gi geben zu haben, so dass Sie 
Alle die Gelegenheit, au den nächsten Fortbildungskursen Theil zu nehmen, 
nicht versäumen werden. Freilich sind die Anstrengungen und die Ansprüche, 
die gemacht werden, keinesvv(‘gs gering. Aber die Lit*bonsWürdigkeit und Ge¬ 
duld des Herrn Regierungsratlis PndesMjr K ciiik und .meines Assistenten Herrn 
Dr. Schäfer sind so gross, dass sidbst ich, als d(‘r ältteste Kreisj)hysikus des 
Kursus, den letzteren ungesclnvächt Ifestehen und sogar ertri>clit und, etwa wie 
nach glücklicher Durch(iueriing eines schwarzen Erdtlieils, in geliohener Stimmung 
verlassen konnte. Reihten siel» doch als Erholung an du* Arheitsstuuden die 
Theilnahme an der Sitzung der medizinisclnm (Tcsellsch ift in Halle auf eine 
Einladung des Kollegen Kisd, idii AusHug imcli Merseburg zum Aerzte- und 
Apotheker-Verein daselbst iinti*r Vorsitz des H» rrn Gelndmen Raths Wolf, 
geführt vom Kollegen Penkert, die Besiiditigung der Elektrizitätswerke in 
Halle unter Führung des Kollegen Fielitz, der Besuch der neu erbauten 
Nerven-Klinik unter j)ersönlieher Leitung di^s Herrn (icheiniraths Hitzig, der 
chirurgischen Klinik mit Krankenvorsteliinigen von Herrn ITofissor von Bra- 
mann, die genaue Besichtigung der schon erwähnten Wassern iiiiginigsaii^talten 
der Stadt Halle und der klinischen Institute und endlieh des muien Stadttheaters, 
das in seinen Ventilatioiis-, Heizungs-, Beleuchtungs- und >icherlieitsanlagen als 
Muster dasteht und von den tiefsten, unterirdischen Luftschäeilten in allen seinen 
Räumen, die Ankleidezimmer nicht ausgeschlossen, bis zur Plattform mit herr¬ 
licher Aussicht auf die mit Schnctigewölk bedeckte Haide unter der liebens¬ 
würdigsten Führung des Herrn Professor Penk von uns in Augenschein ge¬ 
nommen wurde. Allen diesen Herren sei hiermit noch einmal gedankt. 

Gewiss sind wir nicht so gestellt, dass wir uns ein hygienisches Institut 
im Kleinen anleg(‘n, halten und vervollkommiKm und das Gf .-chenc und Erlernte 
vollständig verwerthen können, al>er unser (nsiclitskrcis i^t erweitert und die 
Anregung zu Arladten gegel>en, die endlich einmal auch tür unsere Stellung 
Früchte bringen werdm. 

Diesem Vorträge folgte als zweiter (ö genstHiid der 'ragesordrmng: 

II, Der 3Iinisterial - Erlass vom 20. Januar 1M02, hetretfeiid 
die Grundsätze für die Beiirtheiliiiig der Projekte zur Anlage oder 
Erweiterung von Begrabiiissplatzen u s. w. 

Herr Kreispbysikus Dr. Jacobson - Sa 1 z w c d (G : M. JI.: Mit den in (h*r 
Minist.-Verf V(un 2U. Januar d. .T. festgestellten (inindsätzen ist dm MiMlizinal- 
iM*umten niiht gtrade eine m*ue Riehtsclmur tür die Bcurtlndlung drr in Fragt» 
kommenden Projekte gegeben. J>enn trotzdem und alledem sind es gerade die 



Aob Yersammluugen and Vereinen. 


197 


Medizinalbeamten, welche von jeher das Bestreben gehabt haben, sich die neuesten 
wissenschaftlichen Erfahrungen zu eigen zu machen und zum Vortheil ihres 
Wirkungskreises zu verwerthen. Nichtsdestoweniger begrüssen wir die Ministerial- 
verfägung mit Freuden, da durch dieselbe nicht nur die Mitwirkung der Medizinal¬ 
beamten bei der Benrtheilung projektirter Begräbnissanlagen gewährleistet, 
sondern auch eine einheitliche Kegelnng derjenigen Fragen gebracht wird, über 
welche bisher die verschiedensten oder gar keine gesetzlichen Bestimmungen vor¬ 
handen waren, oder über welche eine gleichmässige Ansicht nicht bestand. 

Dazu gehört in erster Reihe die Bestimmung, dass bei sonst günstiger 
Beschaffenheit der Anlage und bei ordnnngsmässigem Betriebe dieselbe nur 
35 Meter von der geschlossenen Ortschaft entfernt zu sein braucht, und dass die 
Entfernung noch geringer sein darf, wenn der Begräbnissplatz höher liegt als 
die nächsten Wohnhäuser, oder durch eine dichte Baumpflanzung, resp. durdi 
eine Mauer von denselben geschieden ist. 

Nur bei anerkannt vorherrschender Windrichtung ans einer G-egend nach 
der Ortschaft hin soll diese Gegend, wenn es angeht, vermieden werden, wenn 
nicht durch etwaige Höhenlage des projektirten Begräbnissplatzes oder durch 
Baumanlagen die abströmende Luft von der Ortschaft abgehalten wird. 

Bezüglich der Lage verdient Berücksichtigung, dass die zuführenden 
Wege nicht zu weit und schwierig sind, dass sie fahrbar hergestellt werden 
können und dass, wenn möglich, die Leichen nicht durch andere Ortschaften ge¬ 
führt werden müssen. Diejenige Richtung, nach welcher hin die Ortschaft sich 
wahrscheinlich vergrössem wird, soll vermieden werden. Im Allgemeinen gilt 
bezüglich der Lage, dass sonnige Plätze bevorzugt, und solche, die in Ueber- 
schwemmungsgebieten oder an steilen Abhängen liegen, von wo durch das Ueber- 
schwemmungswasser oder durch ungewöhnlich heftige meteorische Niederschläge 
Fäulnissprodukte fortgeführt werden können, ausgeschlossen werden sollen. 

Bei der weiteren Benrtheilung sind Bodeubeschaffenheit und Stand resp. 
Bewegungsrichtung des Qmndwassers ausschlaggebende Faktoren. 

An und für sich ungeeignet ist rissiger, spaltiger und klüftiger Gesteins- 
b(^en, Lehmboden mit Kies- oder Sandadern, welche wie Wasserabzugskanäle 
wirken können, und solcher Boden, welcher Quellen im Gräberterrain enthält. 
Endlich ist als ungeeignet zurttckzuweisen jeder Boden, welcher weder an und 
für sich den zu stellenden Anforderungen entspricht, noch durch irgend welche 
Einrichtungen den Anforderungen entsprechend umgeändert werden kann. 

An und für sich, also bedingungslos geeignet ist der Boden, welcher 
trocken, porös und lufthaltig ist, und in welchem das Gmndwasser nie die 
Verwesungszone erreicht. Hiermit sind eine Anzahl relativer Begriffe gegeben, 
zu deren Taxirung der Medizinalbeamte um so ober zu Untersuchungen schreiten 
wird, als ja auch Angaben über Schichtung und inneres Gefüge des Bodens, 
über Komgrösse, Porenvolumen und Kapillarität von ihm verlangt werden. 
Dass diese Untersuchungen nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit brauchen 
ansgeführt zu werden, versteht sich von selbst. Einerseits hängen die Resultate 
solcher Untersuchungen doch allzusehr von der individuellen Arbeitsweise ab, 
z. B. davon, ob der Untersucher das Material mehr oder weniger dicht zusammen- 
klopft, und anderseits betrillt auch bei umfangreichen Arbeiten das Ergebniss 
nur einen verschwindend kleinen Theil eines in seinem Gefüge und in seiner 
Qualität sich gemeinhin doch sehr verschiedentlich präsentirenden Objektes. Jede 
derartige Arbeit ergiebt nur Durchschnittszahlen, und diese genügen, meines 
Erachtens, auch vollkommen. 

Ich habe mich der Mühe unterzogen, eine Methode auszuprobiren, welche 
— wenn für sie der Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit auch nicht 
erhoben werden kann — den Anforderungen genügt und vor AJlem das für sich 
hat, dass sie ohne viele und theure Apparate ansgeführt werden kann. 

Durch einen Siebsatz — und dieser ist das einzig nöthige Instrument — 
von 7, 4, 2, 1 und 0,3 mm. Maschenweite lässt man den sorgfältig getrockneten 
Boden passiren. Man erhält dabei 

Grobkies, gröber als 7 mm. 

Mittelkies feiner „ 7 „ und gröber als 4 mm. 

Feinkies „ „ 4 „ „ „ « 2 « 

Grobsand „ „ 2 „ „ „ , 1 „ 

Mittelsand „ „ 1 „ „ „ « 0,3 „ 

Feinsand „ n 0,3 „ 



198 


Aua Versammlungen und Vereinen. 


Mit Ausnahme des Grobkieses, welcher wegen seiner mannigfachen Kör¬ 
nung eine einheitliche Feststellung nicht zulässt, besitzt jede Komgrösse ihr 
spezifisches Porenvolumen und spezifische Kapillarität. Diese sind von Prof. 
Dr. Renk festgestellt,aber leider an geschlemmtem Material, Da es sich in 
der Praxis aber um ungeschlemmtes und gemischte Material handelt, so habe 
ich für dieses die betreffenden Zahlen festgestellt und gefunden für 

Feinsand Porenvolumen 40®/o, Wassercapacität 88®/o des Porenvolumens 


Mittelsand 

ji 

38 , 

ff 

61 

Grobsand 

yt 

38 „ 

n 

47 

Feinkies 

n 

38 , 

n 

20 

Mittelkies 

1» 

35 . 

V 

16 


Bei reii om Thon oder Lehm ist das Porenvolumen sehr klein und die 
Kapillarität fi t gleich demselben. 

Mit de Volumengrösse der einzelnen Kornsorten ist auch das Poren- 
volumen und die Wasserkapillarität des Gesammtbodens gegeben. 

Ein Boden, bestehend aus 30 ®/o Feinsand, je 20 ®/o Mittel- und Grobsand 
und Feinkies und 10 Mittelkies ergab bei exakter Untersuchung 38 ®/o Poren¬ 
volumen und 64®/o Wassercapacität und wurde berechnet auf ^,3®/o Poren¬ 
volumen und 51,6 ®/o Wassercapacität. Die Differenzen dürften kaum in’s Gewicht 
fallen. Besteht der Wunsch, die Zahlen experimentell, und nicht durch Berech¬ 
nung zu gewinnen, so lässt sich dies mit Hilfe eines gläsernen Irrigators und 
einer gewöhnlichen Waage leidlich zuverlässig ausführen. 

In den Irrigator, dessen Ausflussöffnung mit angefeuchteter Watte leicht 
verstopft ist, giesst man ein halb Liter Wasser und merkt sich die Höhe des 
Wasserstandes durch einen aufgeklebten Papierstreifen. Fügt man jetzt ein 
halbes Liter fest zusammengeklopften Boden hinzu, so steigt das Wasser um das 
wirkliche Bodenvolumen. In einen Topf, de.«!sen Gewicht festgestellt ist, lässt 
man nun das Wasser ablaufen, bis es die aufgeklebte Marke, d. h. den ursprüng¬ 
lichen Stand erreicht. Das Gewicht des abgeflossenen Wassers, dem man für das 
im Schlauch, den man möglichst kurz wählt, zurückbleibende Wasser, das ja aus 
Schlauchweite und Länge leicht zu berechnen ist, 6—10 Gramm zuzählt, ergiebt 
in Grammen das wirkliche Volumen des Bodens in ccm., und diese von 500 
subtrahirt und durch 5 dividirt den Prozentsatz des Porenvolumens. Lässt man 
dann unter gleichzeitigem leichtem Schütteln, Neigen und Beklopfen des Irri¬ 
gators das in demselben übrig gebliebene Wasser noch in den Topf fliessen, so 
ist das Gewicht des gesammten abgeflossenen Wassers gleich 500 Gramm weniger 
dem vom Boden zurückbehaltenen. Die Summe des letzteren durch 6 dividirt 
ergiebt die Wa.ssercapicität in Prozent des scheinbaren Bodenvolumens und lässt 
sich nach der Formel: 

Porenvolumen: gefundene Kapillarität = 100 : x leicht in Prozent des 
Porenvolumens umsetzen. Ein bestimmter Grad von Porenvolumen oder Wasser¬ 
capacität wird, die Extreme ausgeschlossen, als Bedingung nicht gestellt. Nach 
der Grösse beider richtet sich aber die zu fordernde Mächtigkeit der Verwesungs¬ 
zone. Bei Bo' en von mittlerer Porosität aus Sand und Grand bis zu 2 mm. 
Korngrösse, d, h, bei durchschnittlich 38—40 ®/o Porenvolumen und 50—60 ®/o 
Wassercapacität, ist der Boden genügend, wenn er bis 50 cm. unter dem Sarge 
reicht und in einer Mächtigkeit von 90 cm. die Sarghöhe bedeckt. Da der 
Sarg durchschnittlich eine Höhe von 1 m. hat, so braucht der bezeichnete Boden 
eine Verwesuugszone von rund 2,50 m. Mächtigkeit. Ist der Boden unter dem 
Sarge etwa mit Lehm gemischt, ist seine Porosität geringer und seine Kapillarität 
grösser, kanu er, mit anderen Worten, die feuchten Verwesungsprodukte besser 
zurückhalten, so braucht er nicht ganz 50 cm. tief zu sein und umgekehrt. 
Anders mit dem Boden über dem Sarge, welcher lufthaltig sein und durch 
zurückgehaltenes Wasser die Fäiilniss nicht begünstigen soll. Ist derselbe 
poröser, so biuacht er nicht ganz 90 cm. mächtig zu sein, während ein weniger 
poröser Boden bedingt, dass die Mächtigkeit über dem Sarge grösser als 
90 cm. sei. 

Ist nach der Bodenbeschaffenheit die zu beanspruchende Stärke der Ver¬ 
wesungszone festgestellt, so ist zu ermitteln, ob diese Zone auch trocken ist, ob 
das Grundwasser auch nicht, selbst nur zeitweise, dieselbe erreicht. Diese Er- 


*) Die Methoden der praktischen Hygiene von Dr. K. B. Lehmann, 
Wiesbaden bei Bergmann. 1890 pag. 187. 



Ans Versammlungexi und Vereinen. 


199 


mittelang, welche bei trockenem Wetter und nach anhaltender Nässe vorgenommen 
werden soll, wird unter Umständen Schwierigkeiten bereiten. Sind Abtragungen, 
Sandgruben, Wasserttimpel, sumpfige Stellen oder Brunnen in der Nähe, welche 
Grundwasser haben, so ist deren Beobachtung meistens ausreichend. Anderen 
Falles müssen entweder zu verschiedenen Zeilen Ausgrabungen in der Medizinal¬ 
beamten Gegenwart bis zu der erforderlichen Tiefe vorgenommen werden, oder die 
Beobachtung muss anderen Personen überlassen werden. In letzterem Falle 
lasse ich die Löcher in entsprechender Tiefe ausgraben und stelle in dieselben 
ein Holzkreuz, in dessen Mitte ein dünner Stock, am besten ein Rohrstock, be¬ 
festigt ist. Um das Einfliessen meteorischer Niederschläge zu verhindern, werden 
die Löcher mit einem Brett sorgfältig bedeckt und mit Lehm umwallt. Nur 
die Mitte des Brettes ist durchbohrt und durch das Bohrloch wird der Stock 
geführt, aber dicht darüber abgeschnitten. Ich gebe nun Demjenigen, welchen 
ich mit der Beobachtung betraue, auf, sich die Tage zu merken, an welchen und wie 
weit der Stock über das Bohrloch hervorragt, was durch das Schwimmen des 
Holzkreuzes bewirkt wird. Zweckmässig ist es jedenfalls über den Zweck der 
Beobachtung und über die Folgen des etwaigen Ergebnisses zu schweigen. Ich 
wenigstens habe in dieser Richtung schlimme Erfahrungen gemacht.^ 

Steigt auch bei anhaltender Nässe das Grundwasser nicht in die Ver¬ 
wesungszone, so kann der Boden als bedingungslos geeignet bezeichnet werden. 

Ist bedingungslos geeigneter Boden nicht vorhanden, so lassen sich den 
Anforderungen entsprechende Verhältnisse manchmal durch gewisse Einrichtungen 
herstellen. Zu nasser Boden kann durch Drainirung oder durch Anlegung von 
Gräben in der Höhe der unteren Grenze der Verwesungszone trocken gelegt, 
dünne Thonschichten in der unteren Verwesungszone von der Grabsohle aus 
mehrfach durchbrochen werden. Zu geringer Mächtigkeit des Bodens, wegen 
Fels- oder dicker Thonschichtbildung im Untergründe, kann man durch ent¬ 
sprechende Aufschüttungen oder dadurch begegnen, dass man dem Grabhügel, der 
gewöhnlich nur aus dem aufgeworfenen Boden besteht, eine grössere Höhe und 
Breite giebt. Besonders wichtig ist es, dass nicht durch flachliegende Lehm¬ 
schichten Wasser mit Verwesungs- und Fäulnissprodukten in Brunnen geführt 
wiri Die Einrichtung von Röhrenbrunnen, deren Basis eventl. mit einer, einige 
Meter dicken Schicht gut filtrirenden Bodens umgeben wird, beseitigt die Gefahr. 
Diese Bedingungen, unter welchen ein sonst ungeeigneter Boden den ioiforderungen 
entsprechend hergestellt werden kann, zu erkennen und festzusetzen, wird, neben 
der Bestimmung der für den Platz erforderlichen Mächtigkeit der Verwesungs¬ 
zone, die Hauptaufgabe des Medizinalbeamten sein. 

Als neu und glücklich muss die Bestimmung des Min.-Erlasses angesehen 
werden, dass der Medizinalbeamte bei der Anlage eines Begräbnissplatzes auch 
gleich ^e Begräbnissordnung begutachten soll. Die Forderung der Einzelgräber 
und möglichste Vermeidung der Grüfte ist eine alte. Die nöthige Tiefe der 
Gräber ergiebt sich aus der Berechnung der Verwesungszone, dagegen wird ver¬ 
langt, dass die einzelnen Gräber bei günstiger Bodenbeschaffenheit 0,3 m. von 
einander entfernt sein sollen. Bei lehmiger Beschaffenheit des Bodens kann 
diese Entfernung etwas geringer, bei losem Sand oder Kies soll sie grösser sein. 
Für den Beerdigungsturnus ist ein Zeitraum von etwa 18 Jahren als ausreichend 
bezeichnet. Neu ist auch die Forderung der mit einem Grundplan versehenen 
Registerführung und der Bezeichnung einer jeden Grabstelle. 

Die Frage über die Bepflanzung des Begräbnissplatzes, die der Wieder¬ 
benutzung desselben zu anderen Zwecken und die Beurtheilung von Leichen¬ 
hallen, deren Errichtung prinzipiell zu erstreben ist, lassen sich nach allgemeinen 
und bekannten hygienischen Grundsätzen beantworten. 

Beide Referate erregten lebhaftes Interesse und eine eingehende Dis¬ 
kussion. Nachdem sodann einstimmig beschlossen worden war, die Hauptver¬ 
sammlung in der letzte Woche des Augusts in Wernigerode abzuhalten, ver¬ 
einigte die anwesenden Kollegen bis zum Abgang der letzten Eisenbahnzüge ein 
fröhliches Mahl, bei welchem noch manche wissenschaftliche und praktische 
Frage erörtert wurde. 

Medizinalrath Dr. B ö h m - Magdeburg. 



200 


Kleinere Mittheilnngon and Referate ans Zeitschriften. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Forensisch wichtige Obdnktionsbefonde Nengeborener. (Aus der 
Eönigl. Universitäts-Frauenklinik Würzburg). Von Dr. Gustav K lein. Viertel¬ 
jahrsschrift für gerichtliche Medizin u. s. w, 1892; Januar-Heft. 

Der Verfasser bespricht eine Reihe von Fragen, welche nicht nur den 
Geburtshelfer und Pathologen, sondern auch den Gerichtsarzt lebhaft interessiren 
und welche an Werth dadurch gewinnen, dass als Beweismaterial mehrere Fälle 
geschildert werden, bei denen Gebartsverlauf und Obduktionsbefund genau beob¬ 
achtet bezw. festgestellt wurden. 

Zunächst werden die auf den ersten Anblick paradox erscheinenden 
Fragen: können die Langen Todtgeborener lufthaltig sein? and umgekehrt: 
können die Lungen Lebendgeborener, die geschrieen haben, nach dem Tode luft¬ 
leer sein? behandelt, wobei Klein vorausschickt, dass todtgeboren ein Kind nur 
dann genannt werden kann, wenn Athmnng und Herzschlag weder sofort namh 
der Geburt, noch später beobachtet werden konnten. Bezüglich der zur ersten 
Frage geschilderten 4 Fälle muss auf das Original verwiesen werden, alle 
4 Fälle haben zweierlei gemeinsam: Es fand sich Luft in den Langen 
notorisch Todtgeborener und dieGeburt war schliesslich durch 
Knnsthülfe beendet worden. Aus den angeführten Fällen lassen sich zur 
Erklärung der Frage „wie gelangte die Luft in die Lungen“ 5 Möglichkeiten 
ableiten: Bei noch lebendem ^nde gelangt a) durch das Touchiren oder b) durch 
operative Eingriffe (Wendung, Extraktion, besonders mit Veit-Smellie’s 
Handgriff) oder c) durch Erschlaffung des Uterus und negativen intrauterinen 
Druck Luft in Uterus oder Vagina und kann vom Kinde aspirirt werden; oder 
es entwickeln sich d) durch Eindringen von Bakterien nach dem Blasensprang 
Gase im Uterus, welche das Kind einathmet; oder endlich e) es wird atmosphä¬ 
rische Luft bezw. durch Bakterien entwickeltes Gasgemisch (Tympania Uteri) 
mechanisch in die Lungen des todten Kindes gebracht. — Zwei weitere Fragen 
drängen sich hier auf: was verursacht intrauterine Athmung des Kindes? und: 
welchen Erfolg haben Schnitze'sehe Schwingungen in Bezug auf den Luft¬ 
gehalt der Lungen? Denn nach dem Gesagten kann ein Kind auch ohne künst¬ 
lichen Eingriff intrauterin geathmet haben und doch todtgeboren sein und braucht 
man deshalb noch nicht auf die Möglichkeit künstlicher Belebungsversuche zurück¬ 
zugreifen. Bezüglich der intrauterinen Inspirationen steht der Verfasser auf 
Ahlfeld’s Standpunkt, der in der 2. Hälfte der Schwangerschaft bei der Mehr¬ 
zahl der Frauen rythmische Bewegungen der Bauchdecken konstatirte, von welchen 
er mit grösster Wahrscheinlichkeit nachweist, dass sie von intrauterinen Atbem- 
bewegungen des Kindes herrühren. Diese Beobachtungen Ahlfeld’s sind 
forensisch von grösster Bedeutung: sie erklären ungezwungen den Luft¬ 
gehalt der Langen bei todtgeborenen Kindern; die normaler Weise vor¬ 
handene intrauterine Athmung wird durch Beeinträchtigung des plazentaren 
Kreislaufs vertieft; gelangt nun Luft spontan bei negativem Abdominaldmck 
oder beim Touchiren oder bei Operationen in den Uterus, oder sind bei Tympanie 
Gase darin entwickelt, so wird die Luft bezw. das Gasgemisch auch aspirirt 
werden können. In welcher Ausdehnung durch die Schultze’schcn Schwin¬ 
gungen Luft mechanisch in die Lungen Nengeborener gebracht werden kann, 
beweisen 5 von Klein geschilderte Geburtsfälle nebst Obduktionsbefund. 

Dass auch nach spontaner Luft-Athmung post mortem Luft in den 
Lungen vollständig fehlen kann, sucht der Verfasser durch einen Fall zu be¬ 
weisen, wo ein Kind ‘/4 Stunde nach der Geburt stirbt und die Obduktion das 
Bild einer hochgradigen interstitiellen Pneumonie bietet. Bezüglich der Frage: 
wie verschwand die Luft aus der Lunge? nimmt Klein gegenüber der Ansicht 
Schröder’s, welcher beim Erlöschen der Athemthätigkeit durch jede Exspiration 
in Folge der Elastizität der Lungen mehr Luft ausgetrieben werden lässt, als 
durch die Inspirationen aufgenommen wird, — den Standpunkt Ungar’s ein, 
der es für wahrscheinlich hält, dass es sich hier um Absorption der vorhandenen 
Luft handelt, besonders dann, wenn noch Kreislauf vorhanden ist; denn es sei 
leicht festzustellen, dass meist die Herzthätigkeit länger dauere, als die Athmung. 

Weiter folgt sodann die Schilderung je eines Falles von Fehlen 
der Strangfurche bei Tod durch Nabelschnur - Umschlingung 



Kleinere Mittheilnngen und fieferate ans Zeitschriften. 


201 


nnd von Harnsäure-Infarkt in den Nieren eines todtgeborcnen Kindes. 
Znm Schluss wird vor Ueberschätzung der forensischen Bedeutung von Sugil- 
1 a t i 0 n e n, z. B. am Schädel, Blutergüssen über nnd unter den Schädelknochen 
gewarnt und eine Reihe von Obduktionsfunden angeführt, wo bei mazerirten 
Kindern beim intrauterinen Absterben, wie bei spontanen Geburten sehr häufig 
Ecchymosen, Blutextravasate etc. an Pleuren, Pericardium, Schädel u. s. w. 
festgestellt wurden, welche leicht eine falsche Deutung erfahren könnten. 

Dr. Dütschke-Anrich. 


lieber Insania moralis. Von Dr. Jelgersma. Niederländische Ge¬ 
sellschaft für Psychiatrie, Juni 1891. Centralblatt für Nervenheilkunde und 
Psychiatrie. Januar 1892; Ref. Kure 11a. 

Verfasser kommt zu dem Resultate, dass beide, der moralisch Irre 
wie der geborene Verbrecher, nach Descendenz, anthropologischen Merk¬ 
malen, Entwicklung, Intelligenz, Gefühlsleben, Lebensführung nnd ihrem Ver¬ 
halten in der Interniruug keinerlei Unterschiede zeigen. Auch wenn neben der 
moral insanity Nervenleiden oder Herderkrankungen des Gehirns (Epilepsie, 
Hemiparesen n. s. w.), bestehen, gehören die Betreffenden nicht in eine Irren¬ 
anstalt, wegen des Schadens, den Geisteskranke nnd Anstaltsführung unter ihrem 
Einfluss erleiden; ihre Heilung ist nicht zu erhoffen, und nur der Schaden, den 
ihre Umgebung erleidet, ist bei der Frage ihrer Unterbringung ausschlaggebend. 
Eine therapentische Aufgabe hat der Staat nur gegenüber moralisch defekten 
Kindern, und es muss früher oder später zur Einrichtung eigener Staatsanstalten 
zu ihrer Erziehung und Pflege kommen. Dr. S. Kalischer. 


Tastsinn nnd Degenerationszeichen bei normalen, verbrecherischen 
nnd irren Franen. Von Prof. Dr. Lombroso. Arch. d. Psych. Science penale 
ed Antropologia criminale. 1891. Vol. XU H. 1 n. 2. Centralblatt für Nerven¬ 
heilkunde und Psych. November 1891. 

Bei 100 gesunden unbestraften Frauen fand Lombroso den Tastsinn 
resp. die taktile Sensibilität im Allgemeinen wenig fein; wirkliche Stumpfheit 
ist weniger häufig (16 "/g) bei Frauen ohne Degenerationszeichen, am häufigsten 
bei denen mit Verbrechertypus (75®/o). Bei den gebildeten Frauen ist die 
Stumpfheit weniger ausgesprochen, wie bei denen ans dem Volke (2,6 mm.). 
Für die erwachsene männliche Bevölkerung Italiens ist der Durchschnitt 1,7 mm., 
also feiner als beim weiblichen Geschlecht. Bei verbrecherischen Frauen war 
die taktile Sensibilität mehr herabgesetzt als bei männlichen Verbrechern. Bei 
den Franen mit ausgesprochenem Verbrechertypus, bei Prostituirten, Diebinnen, 
fand sich eine grössere Stumpfheit als bei Gelegenheitsverbrecherinnen. Unter 
den Irren ist die Stumpfheit erheblicher als bei den Frauen. Die Schmerz¬ 
empfindlichkeit zeigte ähnliche Resultate. Ders. 


Les habitnes des prisons de Paris. Von Dr. E. Laurent. £tude 
d’Anthropologie et de Psychologie criminelle. Lyon. Centralblatt für Nerven¬ 
heilkunde und Psychiatrie. Dezember 1891. (Ref. von Morel und Knrella.) 

Die Bedeutung der Vererbung nnd Belastung ist bei den Geisteskranken 
eine weit erheblichere als bei den Verbrechern. In der Kriminalität spielt der 
Alkoholismus eine überwiegende Rolle; die Gefängnisse sind mit Kindern von 
Alkobolisten bevölkert. Der Alkohol paralysirt den Willen nicht nur bei dem 
Trinker, sondern auch bei seiner Nachkommenschaft. Nächst dem Alkohol und 
der Geistesstönmg liefern die Neurosen und Tuberkulosen das grösste Kontingent 
für das Verbrecherthuin. Laurent theilt die Verbrecher in Zufall- und Ge- 
legeuheitsverbrecher. Bei den letzteren ist die Gewohnheit eine erworbene 
Disposition zur Wiederholung bestimmter, früher ein erstes Mal ausgeführter 
Handlungen; viele von ihnen sind Hereditarier, geborene Verbrecher. Unter den 
Degenerirten in den Gefängnissen unterscheidet Verfasser: 

I. Die Schwachsinnigen, beschränkte Menschen ohne Willenskraft und 
Initiative, widerstandslos der fremden Suggestion preisgegeben. 

II. Höher entwickelte Degenerirte, charakterisirt durch mangelndes Gleich¬ 
gewicht und fehlende Abwägung ihrer Handlungen; sie besitzen Intelligenz, sind 
aber ungleich in ihren intellektuellen Leistungen. Sie entgehen meist dem Ge- 
fängniss, und ihre Excentrizität führt sie viel eher in die Irrenanstalt. 



202 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


in. Inbezille, deren cerebrale Leistungen fast ganz in Instinktivität und 
Impulsivität aufgehn. Viele Individuen in den Gefängnissen zeigten physische 
Stigmata, wie Strabismus, Stottern, difforme Ohren u. s. w.; niemals aber fanden 
sich konstante, pathoguomisehe Zeichen. 

Unter den Epileptikern, die vielfach degenerirt sind, ihre Anfüle ver¬ 
bergen u. 8. w. fand Laurent häufig periodische Diebstähle, Sittlichkeits¬ 
verbrechen, und Verbrechen im Zustande von Bewusstlosigkeit. — Von den 
geisteskranken Verbrechern sagt Verfasser: Wieviel Schwachsinnige und Alko- 
holisten verbringen ihr Leben im Gefängnisse, weil über sie kein Gutachten 
gefordert wird; wieviel andere glücklichere Verbrecher findet man nicht in 
Irrenanstalten! — Nach eingehender weiterer Untersuchung konnte Laurent 
die Existenz gewisser Verbrechertypen nicht feststellen. Ders. 


Psychische Epilepsie bei Verbrechern. Von S. 01tolenghi. Arch. 
d. Psch. Science etc. 1891. Autoreferat im Centralblatt für Nervenheilkunde und 
Psychiatrie. Dezember 1891. 

Von 12 typischen Fällen krimineller psyschischer Epilepsie betrafen 
vier Mörder, fünf Verbrecher gegen die Person, einer einen Derserteur und zwei 
Diebe. Die Mörder zeigten alle den Typus des geborenen Verbrechers; bei 
3 fand man Tätowirnngen. In 6 Fällen war die allgemeine Sensibilität ver¬ 
mindert, in 3 fehlte die Schmerzempfindlichkeit vollständig, in 8 war die topo¬ 
graphische Sensibilität vermindert; Geschmacks- und Geruchsempfindung war 
in 11, Gehörsempfindungen in 8 Fällen abgestumpft. Von diesen Verbrechern 
zeigten 4 typische notorische epileptische Anfälle; der grosse psychische 
Anfall zeigte sich in den 12 Fällen 8 mal, und äusserte sich in Mord- 
Selbstmordversuchen, Feueranleguug, wildem Gemetzel, sexueller Erregrag 
u. 8. w. In 6 Fällen bestanden Dämmerzustände; 3 mal konnte eine, 
längere Zeit nach dem Anfall, einsetzende Amnesie beobachtet werden. In 
allen Fällen waren Epilepsie, Geisteskrankheit, Verbrechen bei den Eltern oder 
Verwandten nachzuweisen. Bei allen fand sich zugleich mit schwacher Ent¬ 
wicklung der übrigen Sinne eine entsprechende Abschwächung bis Mangel des 
moralischen Sinnes. Alle 12 zeigten psychische Erregtheit; während in 5 Fällen 
der epileptische Zustand in grausamer Mordlust sich äusserte, richtete sich bei 
5 anderen Fällen der convulsivische Wuthanfall gegen das eigene Leben. — Die 
epileptischen, bei denen sich der Anfall in grausamen, gemeingefährlichen Hand¬ 
lungen äusserte, zeigten mehr anatomische und funktionelle, den Verbrecher 
kennzeichnende, Degenerationsraerkmale als die anderen Epileptiker; 0. bemüht 
sich die Kontinuität und Aequivalenz zwischen psychischer Epilepsie und ange¬ 
borenem Verbrecherthum nachzuweisen. Ders. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Die Einrichtung von Kühlräuinen überhaupt und als nothwendige 
Anlage in Schlachthöfen. Vorträge von Geh. Sanitätsrath Hagemann in 
Dortmund und Stadtbauinspektor Schulze in Köln auf der am 10. Oktober 1891 
in Mühlheim a. d. Ruhr stattgehabrtui General - Versammlung des Niederrheini- 
sehen Vereins für öffentliche Gesundlieitspllege. (Gentralblatt für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege, 10. Jahrgang 1801, Seite 359.) 

Der erstgenannte, die hygienische Seite der Frage vertretende Re¬ 
ferent Dr. Hage mann führte aus, dass die Hygiene die möglichste Er¬ 
haltung des Nährwerthes der Lebensmittel und die Fernhaltung von Schäden 
beim Genüsse derselben fordert. Nach Ho ff mann (Leipzig) gehen vom Wege 
des Produzenten zum Konsumenten 10 der leichter verderblichen Esswaaren 
zu Grunde durch Einwirkung der Fäulnisserreger. Gehemmt wird letztere durch 
Kälte. Kühlräume sind nothwendig zur Aufi)eWährung von Obst, Gemüse, Bier 
und Wein, am nothwendigsten indessen für Fleisch. Alle andern Konservirungs- 
methoden bedingen eine Entwerthung des Fleisches, die zu verhüten bei der 
wichtigen Rolle, welche dieses bei der Ernährung des Menschen spielt, die 
Sorge sein muss. — Referent beantwortet drei Fragen: 

1. Welcherlei Kühlanlagen haben wir gegenw^ärtig resp. nach tvelcheii 
Grundsätzen sind dieselben konstruirty 

2. Welche Zwecke verfolgen wir mit unsern Kühlanlagen? 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


203 


3. Warum bilden Kühlanlagen eine nothwendige Zubehör zu Schlacht¬ 
hofsanlagen ? 

ad 1. Die Beantwortung der ersten Frage im Allgemeinen dem Korrefe¬ 
renten überlassend, bespricht Redner nur den Gebrauch des Eises und setzt die 
Einrichtung der Eisräume -(Schränke) auseinander, sowie das Svarz’sche 
Verfahren der Molkerei und das Brainard’sche System für Schlachthausan¬ 
lagen. In Eiskellern und Eisschränken lässt sich Obst, Bier, Wein und Gemüse 
konserviren, merkwürdiger Weise Fleisch nicht in demselben Masse. Fleisch 
verdirbt im Eiskeller, trotz niedriger Temperatur, bei Gewittern. Die Kälte 
allein genügt nicht, es muss eine Abtrocknung und Lüftung des Fleisches statt- 
finden, was in Eiskellern nicht erreichbar ist. 

Dieser Umstand liess Maschinen konstruiren, die gleichzeitig Kühlung, 
Trocknung und Lüftung brachten. — Die Funktion dieser Maschinen beruht auf 
den Lehren der mechanischen Wärmetheorien. (Aequivalenz der Wärme und 
Arbeit.) Die auf verschiedene Art und Weise abgekühlte Luft ist im Stande, bei 
dem Eindringen in die Kühlhalle durch Erwärmung, welche dort geschieht, einen 
Theil der Feuchtigkeit des Fleisches aufzunehmen; dann wird sie wieder an den 
Kühlapparat abgegeben, dort gereinigt und getrocknet und hierauf dem Kühlraum 
wieder zugelührt. Die Reinigung geschieht dadurch, dass die Wasserteilchen, 
welche organische und unorganische Partikelchen mit sich führen, an kalte 
Flächen niederschlagcn. 

ad 2. (Nationalökonomische wie sanitäre Gründe erfordern Abhaltung der 
Fäulniss, welche nach Pasteur drei Stadien durchmacht: 1. das der Peptonisirung, 
2. das der tieferen Spaltung der Eiweisskörper unter Entwicklung übelriechen¬ 
der Gase und b. das der Ueberführung in einfachereVerbindung (H^ 0. N. CO,). 

Die Fäulniss ist das Arbeitsresultat von Bakterien, deren Temperatur¬ 
optimum 15—35 C. beträgt. Ausser dieser Temperaturhöhe bedürfen sie Feuch¬ 
tigkeit und erzeugen die Ptomaine, theils ungiftige, theils giftige Alkaloide. 
Letztere können durch Kochen unschädlich gemacht werden. Diese Stoffwechsel¬ 
produkte können nicht entstehen in rationellen Kühlanlagen. 

ad. 3. Wenn durch Kühlanlagen dem Verderben des Fleisches Einhalt 
geschehen kann, so folgt daraus, das sie für Schlachthäuser nöthig sind. — Der 
rationell wirthschaftende Metzger kann nur beim Vorhandensein von Kühlanlagen 
seine Vorräthe ergänzen und hat kein Risiko, dass ihm seine frischen Fleisch- 
waaren zu Grunde gehen. — 

Die Schlussthesen lauten: 

1. Von Kühlanlagen können gegenwärtig nur noch die durch Luftab¬ 
kühlung wirkenden in Betracht kommen. 

2. Jede, selbst eine mittelgrosse Stadt sollte im Besitz eines Kühlhauses 
sein. (Weshalb nicht auch in kleineren Städten? Ref.) 

3. Kühlanlagen können nur dann ihren Zweck vollständig erfüllen, wenn 
sie mit öffentlichen Schlachthäusern in Verbindung stehen. 

Die Errichtung von Fleischkühlhäuser in Verbindung 
mit öffentlichen Schlachthöfen wird vom Korreferenten, Stadtbau¬ 
inspektor Schulze eingehend erörtert. Während früher das Eis, natürliches 
und künstliches, zur Kälteerzeugung diente, ist heute hauptsächlich die 
athmosphärische Luft zur Uebertragung von Kälte im Gebrauch. Bei jeder 
Kühlhausanlage unterscheidet man 1. die maschinellen Einrichtungen zur Er¬ 
zeugung von Kälte und zur Uebertragung dieser an die Luft des zu küh¬ 
lenden Raumes und 2. den Kühlraum selbst. — Zur Kälteerzeugung für den 
Zweck der Fleischkühlung haben Verwendung gefunden 1. die Luftexpansion, 
2. die Expansion verdampfender Flüssigkeiten; erstere bei Kaltluft- oder Luft¬ 
expansionsmaschinen, letztere bei den Kaltdampf- oder Kompressionsmaschinen. 
Diese Art der Kälteerzeugung liess auch eine Trocknung der Kühlhausluft zu 
im Gegensatz zu der Kälteerzeugung durch Kiiltemischungen und Verdampfungen. 

Nach physikalischem Grundsätze wird bei Zusammenpressung von Luft oder 
eines andern permanenten Gases die aufgewendete mechanische Arbeit in dessen 
Masse in Wärme umgesetzt. Wird nun die komprimirte heisse Luft abgekühlt 
und wieder expandirt, so erniedrigt sich ihre Temperatur erheblich (bis 70® C. 
unter Null). Auf diesem Prinzipe beruht die Konstruktion der Bell-Cole- 
mann’sehen Maschine, die zwar einfach ist, aber einen so grossen Arbeitsauf¬ 
wand erfordert, dass ihre Anwendung sehr wenig in Anspruch genommen ist; 
nur für den Fleischtransport auf Schiffen ist die Maschine in Gebrauch, da man 



2*>i Kleinere Mittbeijungeii aiid Referate aas ZeitsohriitexL 


keine Chemikalien mitzuschleppen branchi. Für Fleischkühlung zeigten den 
he-it^^n Wirkune'in'ad die Kal: i:irnpf- oder KompressiMD-maschinen, bei denen 
verdampfende Flüssigkeiten kemprimirt und expan liri werden. Die Abkühlung 
nach der Kompression und die Kühlwirkung der Expansion geben die Summe 
der Käitew’irkang. Die in Dampf verwandelte FliLssigkeit A muss zur Weiter- 
verwendiing in einem g'.schlo>*enen System wieder in die tropfbare Form zu- 
ruekgeiuhrt w'erden. 

Nie driger SiH(lepunkt, eine gewisse Grenze der Dampfspannung, Nicht¬ 
brennbarkeit, Niehtantrreifen von Metallen, Konstanz ihrer Flüchtigkeit und 
billiger Preis beschränken die Anzahl der in Anwendung gezogenen Flüssig¬ 
keiten: Schwefuläther, Methyläth- r, schweflige Säure, Kohlensäure, Ammoniak 
und Liquide Pictet fGemisch von Kohlensäure und schwefliger Säure). 

Die verbreitetste Verwendung findet das Ammoniak. Die Maschinen er- 
erfordern eine durchaus sorgfältige genaue Konstruktion, leisten aber dann auch 
Vollkomnines. 

Das flüssige Ammoniak tritt unter hohem Druck in schmiedeeiserne 
Schiangenrohre, um hier unter niedrigem Druck rasch zu verdampfen, wobei der 
Umgebung die zur Verdampfung erforderliche latente Wärme entzogen winL 
Auf diese Weise wird die umgebende Luft oder Flüssigkeit: Salzwasser oder 
Chlorcalciumlösung stark abgekuhlt. Das dampftormige Ammoniak wird dnreh 
eine Pumpe sodann in den Coinpressor angesaugt, wieder in den flüssigen Zu¬ 
stand verwandelt, und in ein 2. Schlangenrohrsy.>tem (Condensator) gepresst, in 
w<dchera die entstandene Wärme (durch die Kompression) durch umfliessendes 
Kühlwasser beseitigt w ird. Das verflüssigte Ammoniak wird nun durch ein Ver¬ 
bindungsrohr wieder dem Verdampfer zugeführt und der Kreislauf beginnt von 
Neuem. — 

Die Verwendung von Ammoniak erfordert dann noch eine Einrichtung zur 
Reinhaltung von Üel und Glycerintheilchen. 

Die Ausnutzung der gewonnenen Kälte geschieht nun: 

1. Durch Kühlung der den Verdampfer umgebenden Salzwasser- oder Chlor¬ 
calciumlösung und weitere Luftkühlung durch diese oder 

2. durch direkte Kühlung der Luft, die an dem Verdampfer vorbeistreicht 
und dann in den Kühlrautn zieht. 

Die Frage, welche Art und Weise der Abkühlung ist für die Konservirung 
des Fleisches die beste, wird mit Rücksicht darauf, dass Kälte, Trockenheit und 
Lüftung (Zuführung von Sauerstofl) des Fleisches selbiges am besten vor Ein¬ 
wirkung der Fäulnisserreger bewahren — wegen der Austrocknung der Oberfläche 
des Fleisches — daraufhin l)eaiitw'ortet, dass Anordnungen der Kühlung nach dem 
Prinzip der (Jentralheizung mit Kohrschlaugen, die von dem ahgekühlten Salz- 
W'asser oder der Chlorcalciumlösung durchzogen werden, für Fleischkühlräume 
nicht passt. Die Rohrsclilangen werden allerdings die Luft stark abkühlen und 
dadurch auch eine Trocknung der Luft herbeifiihren, es wird aber eine Konden¬ 
sation des Wasserdampfes an die Rohrschlangen entstehen und dort gefrieren. 
Diese Beeisung der Rohre erfordert eine Unterbrechung der Durchströmung der 
Rohre mit 8alzw\asser u s. w. und wird bei der Entfernung des Eises von den Rohren 
wieder Feuchtigkeit frei und damit auch die im Eise gebundene Fäulnisskeime. 

Entfernung der Kälteentwickeler aus dem Kühlraume und Zubringung 
von kalter trockener Luft von ersteren in letztere, sowie Einrichtungen, dass 
Thauwasser und etwaige Pilzkeime nicht in den Kühlraum gelangen, sondern 
nach Aussen abgeführt werden, war die Lösung für die zu konstruirenden Anlagen. 

Von einzelnen Einrichtungen werden die Methoden von Pictet, Osen- 
brück, Linde und Fixary erläutert. Die drei ersteren erwirken Luft¬ 
kühlung unter Verwendung von Flüssigkeiten, während der Apparat von Fixary 
(Maschinenfabrik Humboldt in Kalk) diese entbehrt. Die nähere Beschreibung 
ist im Original nachzusehen. — Die Einrichtung Fixary’s wird bei richtiger 
Handhabung Vollkommenes leisten. Was nun die Bauart eines Fleischkühlhauses 
anlangt, so muss das Innere möglichst gegen Kälteverluste gesichert sein. Luft- 
isolirung der Aussenmauern, kleine Fenster mit 2—3 facher Verglasung, massive 
Decken mit reichlicher Ueberschüttung von Torfmull, massive Fussböden, wei 
überstellendes Dach, Vorräume und Windfänge in den Eingängen, weniger grosse 
Höhe des Raumes unterstützen den Efl’ekt der Maschine. Als Beleuchtungs¬ 
material ist elektrisches Lisht das jiassenste. 

Die innere Einrichtung besteht aus Zellen zur Aufnahme von Fleisch an 



Kluincre Mitthoilungeu und Reterato aus Zeitschriften. 


205 


Aufhängevorrichtungen, Rundeisenstäbe und grobe Drathgitter bilden die Wände 
der Zellen, welche durch Schiebethüren zu öffnen sind. 

Das Kühlhaus soll in unmittelbarer Nähe der Schlachthalleu liegen. Be¬ 
sondere Transporteinrichtnngen sollen die Ueberftthrung von schweren Fleisch¬ 
stücken erleichtern. Der Wagenverkehr muss am Kühlhause beqnem sein für 
An- und Abfuhr. 

Als letzte Forderung gilt dann noch, dass die bei Oeffnung der Zugänge 
zum Raum eindringende Luft nicht mit üblen Gerüclien geschwängert ist. Die 
Lage des Kühlraumes soll daher nicht zu nahe am Schlachtraum, an den Vieh¬ 
ställen oder den Dünger- und Abfallstätten liegen. 

Kreisphysikus Dr. Overkamp- Warendorf. 

Die Infektionskrankheiten in Oesterreich während des Jahres 1890. 
Oes terreichis ches Sanitä tswe sen; Beilage zu No. 53, 1891. 

Die Beachtung der Anzeigepüicht bei ansteckenden Krankheiten lässt in 
Oesterreich ebenso viel wie bei uns zu wünschen übrig. So beträgt z. B. die 
Zahl der Todesfälle an ansteckenden Krankheiten, wie sie sich aus den Anzeigen 
bei den Beiiörden ergiebt, noch nicht die Hälfte der durch die amtlichen Todten- 
scheine festgestellten entsprechenden Sterbeziffern. Auch bei einem Vergleich 
der angemeldeten Erkrankungsfälle mit der Zahl der Todesfälle ergiebt sich 
besonders bei Krupp und Diphtherie eine so hohe Sterblichkeit (43,40), wie sie 
erfahrungsgemäss wohl bei vereinzelten, äusserst bösartigen Epidemien, aber nie¬ 
mals als Durchschnitt für einen grösseren Bezirk beobachtet wird. 

Im Allgemeinen ist ein wesentlicher Rückgang in dem Auftreten an¬ 
steckender Krankheiten während des Jahres 1890 nur bei den Blattern zu 
konstatiren gewesen; Masern und Scharlach sind dagegen in grösserer Zahl und 
grösserer Verbreitung aufgetreten. 

Die Zahl der Blattern-Erkrankungsfälle ist von 50145 im Jahre 1889 
auf 24412 im Jahre 1890 also um 51 gesunken und in ähnlichem Verhältnisse 
hat sich auch die Zahl der Todesfälle (um 56®/o) und die Zahl der befallenen 
Gemeinden (nm 30®/o) vermindert. Von den Erkrankten starben überhaupt 
14,7 ®/o, von den Geimpften 7,7 ®/o, von den Ungeimpften 24,8 ®/o; die Sterblich¬ 
keit war bei diesen somit mehr als dreimal so hoch als bei jenen. Auf 10(K) 
Einwohner kamen 1,02 Erkrankungs- und 0,15 Todesfälle an Blattern; diese 
Ziffern wurden erheblich inBöhraen (1,74 und 0,24 ®/oo) und Mähren (2,72 und 0,40^/^,«) 
überschritten, während Oberösterreich, Voralberg und Görz von der Krankheit 
fast vollständig verschont geblieben sind. 

Bei Scharlach hat die Zahl der Krankheitsanzeigen gegenüber dem 
Vorjahre um ca. 7 ®/o zugenommen; auf 1000 Einwohner kamen 1,30 Erkrankungs¬ 
und 0,27 Todesfälle. Am meisten war diese Krankheit in Schlesien (1,72 und 
0,37 '^/oo), Galizien (1,79 und 0,41 ^/oo), Mähren (2,14 und 0,43 Istrien (2,68 
und 0,5 und Buckowina (2,96 und 0,86 ®/o) verbreitet; sehr wenig dagegen in 
Dalmatien, Salzburg und Triest. 

Krupp und Diphtherie. Bei diesen Erkrankungen scheint der An- 
zeigepflicht nur sehr raangelliaft entsprochen zu sein. Angemeldet sind im Ge- 
sammtstaate nur 19939 Erkrankungen mit 43,4 ”/o (!!) Todesfällen, das ist auf 
1000 Einwohner 0,84 Erkrankungen und 0,36 Todesfälle. Auch hier hat Bucko- 
wiua wieder die höchste Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffer (2,84 ®/oo und 1,4 ®/oo), 
während autTallendor Weise die übrigen von Scharlach besonders betroffenen 
Bezirke vorhältnissmässig niedrige Morbididäts- und Mortalitätsziffern an Diph¬ 
therie zeigen. 

Von allen Infektionskrankheiten war, wie schon erwähnt, keine so ver¬ 
breitet, wie die Masern besonders in den Bezirken Salzburg, Kämthen, Ober¬ 
österreich, Mähren, Niederösterreich und Schlesien. Hier betrug die Erkrankungs¬ 
ziffer überall mehr als 10‘7oo der Bevölkerung (im Gesammtstaate 7,6”/o<J und 
erreichte sogar in Salzburg die verhältnissmässig hohe Ziffer von 19,5 Die 
Mortalität war eine sehr schwankende 0,9—8,4 ”/o der Erkrankungen, aber auch 
hier wird eben von den Todesfällen ein verhältnissmässig grösserer Theil zur 
Anzeige gelangt sein, als von den Erkrankungen. 

Unterleibstyphus hat am meisten in Galizien, Krain und Buckowina 
geherrscht (2,71, 1,53’Vo bezw. 1,29 Erkrankungsfällc auf 1000 Einwohner 
gegenüber 0,88 im ganzen Stante). Von diui Erkrankten sind 15,5 gestorbiui, 
gegen 14,9 ®/o im Vorjahre. 



206 


Kleinere Mittheilnngen und Referate au» 2Seitecliriftcu. 


Das Verbreitongsgebiet des Flecktyphus ist in den letzten Jahren 
Dank der eingetretenen sanit&tspolizeilichen Massnahmen ein immer enger um¬ 
grenztes geworden and hat sich im Jahre 1890, abgesehen von einzelnen Be¬ 
zirken in Mähren and Böhmen, hauptsächlich auf Galmien und die angrenzenden 
Theile von Schlesien and Buckowina begrenzt. Die Mortalität der Erkrankten 
betrag nur 10,7 °/o; eine auffallend niedrige Ziffer. 

Die epidemische Ruhr ist vorwiegend in den südlichen (Erain, Dal¬ 
matien, Küstenland Steiermark), and östlichen Ländern (Galizien und Buckowina) 
aaigetreten. Von den Erkrankten sind 17,1 **/(, gestorben, ob aber in der That 
alle angemeldeten Todesfälle in Folge epidemischer Rahr eingetreten sind, muss 
dahin gestellt bleiben. 

Erkrankungen an Kindbettfieber sind 1010 angemeldet, dies würde 
ungeföhr 1 Erkrs^ung auf 1000 Geburten entsprechen; jedenfalls eine ziemlich 
niedrige Ziffer. Gestorben sind von diesen Erkrankten 55,7 "/q. Rpd. 

Ein wichtiger Fortschritt auf dem Gebiete der Wohnnngshyg^iene 
hat sich in Oesterreich durch das Gesetz vom 9. Februar 1892, betreffend 
Begünstigungen für Neubauten mit Arbeiterwohnnngen voll¬ 
zogen. Danach sind Gebäude, die zu dem Zwecke erbaut werden, um aus¬ 
schliesslich an Arbeiter vermiethet zu werden und denselben gesunde und billige 
Wohnungen zu bieten, 24 Jahre vom Zeitpunkte ihrer Vollendung ab von Stenern 
befreit, wenn sie von Gemeinden, gemeinnützigen Vereinen und Anstalten für 
Arbeiter oder von aus Arbeitern gebildeten Genossenschaften oder von Arbeit¬ 
gebern für ihre Arbeiter errichtet werden. Von dieser Steuerfreiheit sind da¬ 
gegen ausgeschlossen Gebäude, die Wohnungen enthalten, deren Fussboden unter 
der Strassenoberiläche liegt. Um ausserdem eine ausreichende Bodeniiäcbe für 
den einzelnen Wohnraum wrie für Familienwohnungen einzuführen, bestimmt das 
Gesetz ferner, dass der bewohnbare Raum einer einzelnen Wohnung mindestens 
15 qm., derjenige einer Familienwohnung mindestens 40 qm. betragen muss. 

(Oesterreicbisches Sanitätswesen, 1842, No. 8). 

Besprechungen. 

Dr. A. Kühner, praktischer Arzt und Gerichtsarzt a. D. in Frank¬ 
furt a. M.: Ueber die strafrechtliche Verantwortlich¬ 
keit des Arztes bei Anwendung des Chloroforms und 
anderer Inhalations-Anaesthetika. Berliner Klinik, 
Heft 43, Januar 1892. Fi sc her’s medizinische Buchhandlung 
(H. Kornfeld). 

Im Eingang seiner Abhandlung weist der Verfasser auf die Schwierig¬ 
keiten einer zuverlässiger Statistik der Chloroformtodesfälle hin, — Nussbaum 
rechnete 1: 11—12 (MX), Bomstädt 10 pro Jahr — und giebt sodann allgemeine 
Gesichtspunkte bei Anwendung des ( ’hloroforras und anderer Inhalations - Anaesthe- 
tika an, welche zur Sicherstellung des Arztes vor strafrechtlicher Verantwortung 
dienen sollen. Gegenüber dem Umstande, dass selbst in neuerer Zeit bei Ge¬ 
richtsverhandlungen Celebritäten bedrängten Aerzten zudiktirt haben, wie sic 
hätten verfuhren müssen, um Unglücksfälle zu verhüten, so dass beim 
Bichter leicht die Annahme erweckt wird, als bestände eine Art von Dienst¬ 
anweisung, in der vorgeschrieben, was zu thun und zu lassen, um den Gefahren 
der hier in Betracht kommenden Inhalationen zu begegnen, betont Kühner 
ausdrücklich, dass die Wahl des Verfahrens dem Arzt überlassen 
bleiben müsse, und besonders in solchen Fällen, in denen der Arzt wegen 
augenblicklicher Gefahr zur Anaesthesie schreitet. Unter den Vorsichts- 
massregcln sind hervorzuheben, nie ohne Einwilligung des Kranken bezw, der 
Angehörigen zu chloroformiren, möglichst weitere Sachverständige als Zeugen 
hinzuziehen, ein gutes, reines Präparat zur Narkose zu besorgen, den Kranken 
vorher genau zu untersuchen, unausgesetzt Puls und Athmung zu beobachten 
und für ausgiebigen Zutritt atmosphärischer Luft zu sorgen, eingedenk des 
V. Nussbaum’sehen Ausspruches: „Der Mensch lebt nicht allein von Chloro¬ 
form.“ Nach Angabe der üblichen Massregfdn bei drohendem C’hloroformtod wie 
der Kontraimlikationen, welche die Anwendung dc‘s Chloroforms verbieten, spricht 



ftcsprccimugcii. 


2()7 


sich Verfasser über die allgeiueiuen Gesichtspunkte bei eintretender strafrecht¬ 
licher Verantwortung des Arztes nuclt OhloroformanWendung näher aus und stellt 
den Sehlusssatz auf: „Eine strafrechtliehe Verantwortlichkeit bei 
Anwendung des Chloroform oder anderer Anaesthetika kann 
nur anerkannt und dem Arzte zugerechnet werden, wenn erbei 
dieser Anwendung die erforderliche Aufmerksamkeit durch 
einen groben Verstoss gegen die allgemeingültigen Vorsichtsmassregeln aus 
den Augen setzte und in Folge Fahrlässigkeit nachweisbar den Tod bezw. 
eine Schädigung der Gesundheit verursachte. In allen Fällen, in denen der Arzt 
den anerkannten Vorsichtsmassregeln genügt hat, soll er straflos bleiben.“ Um 
eine einheitliche Behandlung der hier in Betracht kommenden Fälle von Seiten 
der Sachverständigen und insbesondere des angeschuldigten Arztes zu erstreben, 
schlägt Kühner nachfolgende Fragestellung bei der gutachtlichen Aensserung 
vor: 1. War dem angeschnldigten Arzt das Maass der Einsicht, der Kenntnisse, 
das Vorhandensein der Thatumstände zuznerkennen, welche zum gesetzlichen 
Thatbcstand gehören? 2. Ist der Tod, die Beschädigung, durch Schuld des 
Arztes eingetreten (Kausalzusammenhang) ? 8. Hätte der Tod, die Beschädigung, 
abgewendet werden können, nicht durch günstigere Verhältnisse, dnrä 
Autoritäten, bei geeigneteren Hülfsmitteln und Apparaten, bei zulänglicherem 
Wartepersonal u. s. f., sondern unter den vorliegenden, dringlicheren, oft 
weit schwierigeren und ungünstigeren Verhältnissen? (WüMigung der gesetz¬ 
lichen Bestimmungen)? 4. Hat der Beklagte den Eintritt des Todes oder den 
unglücklichen Ausgang des Falles als möglich voraussehen können oder müssen? 
5. Hat der Thäter die Aufmerksamkeit, zu welcher er vermöge seines Amtes, 
Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war, im vorliegenden Fall ausser 
Augen gesetzt? 6. Ist jemals ein gleicher oder ähnlicher Fehler als der des 
BeUagten von Autoritäten begangen und unumwunden zugestanden, in welchem 
Fall das Verfahren des Arztes, der im vorliegenden Fall voraussichtlich unter 
weit schwierigeren Thatumständen handelte, gerechtfertigt erscheint? 

Dr. Dütschke-Aurich. 

Dr. Schreiber, praktischer Arzt: Arzneiverordnungen für 
den ärztlichen Gebrauch mit besonderer Berücksichtigung 
billiger Verschreibungsweise. Frankfurt a. M. 1892. Verlag 
von Johannes Alt. 12®; 115 S. 

Verfasser berücksichtigt in dem Buche die ökonomische Seite der Rezep¬ 
turen, giebt bei jedem Mittel die Zusammensetzung, Dosirung, Löslichkeit, An¬ 
wendung und Rezeptformeln, deren genaue Preisberechnung im Anhänge leicht 
einznsehen ist. Das Buch empfiehlt sich daher besonders für Kassenärzte, welche 
viele praktische Winke aus ihm entnehmen können. Der Druck ist gut, die 
Form des Buches eine sehr handliche. Dr. Rump-Osnabrück. 


Deutscher Hebammen‘Kalender für das Jahr 1892. 
IV. Jahrgaug. Berlin 1892. Verlag von Elwin Staude. 12®. 

Der vorliegende Hebammenkalender ist wieder erheblich erweitert und 
verdient durch seine praktische Anordnung für die Hebammen sehr empfohlen zu 
werden. Es liegen demselben einige weisse Couverts bei, enthaltend Brief an 
den Arzt nebst Meldezettel bei Erkrankung der Wöchnerin und grüne Couverts, 
enthaltend Brief an den Arzt nebst Meldung zur Hülfeleistung bei Kreissenden. 
Die Nummern der Meldezettel berücksichtigen alles Wichtige zur vorläufigen 
Orientirung; es wäre wohl angezeigt, von den grünen einige mehr dem Kalender 
beizulegen. Auch möchte es sich empfehlen, eine kurze Aideitung für Emähnuig 
der Säuglinge hinter dem Diätzettel für Wöchnerinnen einzuschieben. Die Form 
des Kalenders ist eine sehr handliche und bei dem niedrigen Preis (1 Mark) 
eine grosse Verbreitung desselben voransznsehen. Ders. 


Tagesnachrichten. 

Zu Mitgliedern der in V'erbindung mit dem Kaiserlichen GesundheitH-Amt 
errichteten .ständigen KommiH^ion für Verarbeitung des Dentsehen Arz- 
neibneliH sind für die Zeit his zum Ende des Jahres 1890 ernannt; 



208 


Tagesiiachrichteü. 


Gell. Med.-ßuth Dr. Gerhard m Berlin, Geh. Med.-Rath Dr. Binz zu 
Bonn, Trof. Dr. Schmidt u. Prof. Dr. Meyer zu Marburg, Prof. Dr. .Taffe zu 
Königsberg i.Ostpr., Mediz.-Assessor Dr. Schaclit zu Berlin, Prof.Dr. Fröhner 
zu Berlin, Fabrik-Direktor Dr. Holz zu (’liarlottenburg, Hofrath und Professor 
Dr. Hilger zu Erlangen, Med.-Rath und Bezirksarzt Dr. Merkel zu Nürnberg, 
Med.-Rath Dr. Fiedler und KominerzitMi-li'aUi Dr. Lu hold zu Dresden, Prof. 
Dr. Bruns zu Tübingen, Ajudhekenverwalter Dr. Vulpius zu Heidelberg und 
Universitäts-Apotheker Dr. Brun neu grab er zu Kostock. 

Ausserdem gehören der Kommission noch an: <ler Direktor des Keichsge- 
sundheitsamts Dr. Köhler (als Vorsitzender), die Geh. Obermedizinalräthe 
Dr. Skrzeezka und Dr. Steiufeld sowie der Geh. Med.-Rath Dr. Pistor 
in Berlin, Geh. Obcrmedizinalrath Dr. von Kerschensteiner in München, 
Geh. Med.-Rath Dr. Lehmann in Dresden, Obermedizinal-Rath Dr. von Koch 
in Stuttgart, Geh. Rath Dr. Battlehn er in Karlsruhe, Geh. Obermedizinal-Rath 
Dr. Pfeiffer in Dannstadt und Geh. Med.-Rath Dr. Krieger in Strassburg. 

Zu der vom 12. — 1 (i. September d. J. in Nürnberg tagenden 
ür>. VerBanimlung der (lesellaeliaft Deiitselier Naturforacher und Aerzte 
sind jetzt seitens der einzidnen Abtheilnngen die Einladungsschreiben erfolgt. 
Die Vorbereitungen für die Verhandlungen der Abtheilung „Hygiene und 
Mediziiialpolizei“ liaben Dr. Stich, Vorstand des Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege als Einführender ii. Physikats-Assistent Dr. Gold Schmidt als 
Schriftführer übernommen; diejenigen für die Ahtheilung „Gerichtliche Me¬ 
dizi n*^ der Landgerichtsarzt Dr. H o f m a n n als Einführender und der praktische 
Arzt Dr. Scheid emandel als Schriftführer. Vorträge und Demonstrationen 
sind bei einem der obengenannten Herren thunlichst frühzeitig — vor Ende 
Mai — anzumeldcn, damit in den Anfangs Juli ahzasendenden allgemeinen Ein¬ 
ladungen auch eine Uebersicht der Abtheilungs-Sitzungen gebracht werden kann. 

Die Tagesordnung der in Würz bürg vom 8.—11. Septem ber d. J. 
stattfindenden XVIII. Versammlung de.s Deutschen Vereins flir öffentliche 
Gesundheitspflege lautet wie folgt: 

Donnerstag den 8. September: 1. Die unterschiedliche Behand¬ 
lung der Bauordnungen für das Innere, die Aussenbezirke und die Umgebung 
von Städten. Referenten: Oberbürgermeister Adickes (Frankfurt a. M.) und 
Oberbaurath Professor Baumeister (Karlsruhe). 2. Reformen auf dem Gebiete 
der Brodfabrikation. Referent: Prof. Dr. K. B. Lehmann (Würzburg). 
Freitag den 9. September: 3. Volksernährung. Referenten: Stadt¬ 
rath Fritz Kalle (Wiesbaden) und Privatdocont Dr. Ludwig Pfeiffer (Mün¬ 
chen). 4. Vorbeugungsmassregeln gegen W a s s e r v e r g e u d ii n g. Referent: 
Wasserwerkdirektor Kümmel (Altona). Samstag den 10. September: 
5. Die Verwerthung des wegen seines Aussehens oder in gesundheitlicher Hin¬ 
sicht zu beanstandenden Fleisches, einschliesslich der Kadaver kranker, 
getödteter oder gefallener Thiere. Referent: Oberregierungsrath Dr. Ly dt in 
(Karlsruhe). Sonntag den 11. September: Ausflug nach Rothenburg 
an der Tauber. 

Alles Nähere, die diesjährige Versammlung Betreffende wird den Mitglie¬ 
dern mit den von den Herren Referenten aufgeslellten Thesen oder Schlusssätzen 
in der ersten Hälfte August mitgetheilt werden. 

Ein internationaler Kongress für Kriminal-Anthropologie wird vom 
7. bis 14. August d. J. in Brüssel tagen. Auf der Tagesordnung stehen 
folgende Themata: 1. Giebt es einen anatomisch bestimmten Verbrechertypus? 
2. Kritische Untersuchung der Merkmale des geborenen Verbrechers. 3. Das 
Verbrechen der Tödtnng im Zusammenhang mit der Rasse in Europa. 4. Krank¬ 
hafte Neigungen zum Verbrechen. 5. Einfluss der Berufsarten auf die Krimina¬ 
lität u. s. w. Unter den Berichterstattern sind belgische, französische, holländi¬ 
sche, deutsche, italienische und spanische Gelehrte wie Dr. Cesare Lombroso 
aus Turin, Dr. Brouardel aus Paris, Prof. Benedict aus Wien, Prof. 
Mendel aus Berlin, Prof. Dr. Enrico Ferri aus Pisa. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. 0. C. Brom, Buchdruckerfi, Miudon. 




6. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892 


lür 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rath u. gerichtl. Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Medixinalrath in Minden. 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medhinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die dnrohlnufende Petitseile 46 Pf. nimmt die YerUgshandliing nnd Rad. Koste 

entgegen. 


T 


No. 9. 


Kraeheint am 1. and 15. Jeden Monats. 
Proii jährlloh 10 Mark. 


1. Mai. 


Statistischer Bericht der Unterrichtsanstalt für Staats¬ 
arzneikunde zu Berlin vom 1. Februar 1890 bis Ende 

Dezember 1891. 

Von Dr. Carl Strecker, Assistenzarzt. 

In den No. 4—6 des Jahi*ganges 1889, sowie in No. 12 u. 13 
des Jahrganges 1891 dieser Zeitschrift hat mein Vorgänger der 
Privatdozent Dr. Fritz Strassmann über das während seiner 
Assistentenzeit bis zum 1. Februar 1890 dem Institut zu Lehrzwecken 
dargebotene Material berichtet. 

Von jener Zeit bis Ende 1891 haben dem genannten Institut 
201 Leichen zur Verfügung gestanden und zwar 4 zur Besichti¬ 
gung, . von denen 3 bereits anderweitig obduzirt waren; 22 Neu¬ 
geborene und 175 andere Leichen zur Sektion, Die Neugeborenen 
haben wir zum Theil durch freundliche Ueberlassung seitens des 
klinischen Institutes für Geburtshülfe erhalten. 

Unter den 175 Leichen waren zunächst 98 Selbstmörder, 
von denen 29 durch Erhängen, 13 dui*ch Ertrinken, 21 durch Gift, 
28 durch Erschiessen, 4 durch Schnittwunden und 3 durch Herab¬ 
stürzen ihrem Leben ein Ende gaben. 

Von den 29 Erhängten (27—55) waren 22 Männer im Alter 
von 17—67 Jahren und 7 Frauen im Alter von 22—61 Jahren. 

Die Strangmarke lief einfach von vom unten nach hinten 
oben unter Freilassen des Nackens 15 mal (27—41), dabei waren 
8 mal (27—34) die Halsorgane intakt, 5 mal (35—39) dieSchild- 
knoipel-, 1 mal ^40) die Zungenbein-, 1 mal (41) beider Hörner 
gebrochen, zweimal war die Zunge vorgestreckt und fischen den 
Zahnreihen eingeklemmt. Einmal, bei einer Frau, wurde die Leiche 
am Boden gefunden, da der Strick gerissen war; in einem Fall 
(40) von Bruch des Zungenbeins waren zahlreiche Ecchymosen im 






210 


Dr. Strecker. 


Gesicht und auf den Bindehäuten mit exquisitem Glottisoedem 
und nur einmal bei einer etwas faulen Leiche wurde ein halb 
erigirter Penis beobachtet. In einem Falle von Erhängen, bei dem 
die Halsorgane intakt geblieben waren, hatte der Selbstmörder, 
ein 64jähriger Mann, sich den Mund mit einem Taschentuch, doch 
nur bis an die Grenze des harten Gaumens verstopft, ausserdem 
mit einer Sattlerahle einen Stich in die Herzgegend versetzt, wo¬ 
bei aber der Kanal, nur wenig eingedrungen, die Bauchhöhle ge¬ 
troffen hatte. 

Doppelt war die Strangmarke von vorn unten nach hin¬ 
ten oben verlaufen, ohne den Nacken zu umschnttren 3 mal 
(42—44), einmal (42) ohne Verletzung der Halsorgane 2 mal 
(43—44) waren sowohl die Schildknorpel- wie auch die Zungen- 
beinhömer gebrochen, dabei war einmal (44) auch die Innenhaut 
der gemeinsamen Kopfschlagader gerissen. Einmal war die Zunge 
vorgestreckt. Gleichen Verlauf zeigten 2 Fälle (45—46) mit drei¬ 
fach gelegtem Strangulationswerkzeug, wobei einmal (46) nur die 
Schildknorpelhömer gebrochen waren. 

Den Nacken durchfurchte bei einfacher Strangi*inne der 
Strick 2 mal (47—48); hierbei war einmal (47) Zungenbein- und 
Schildknoi-pelliörner gebrochen, das andere Mal (48) die Zunge vor= 
gelagert. Gleichen Lauf nahm das Strangwerkzeug mit doppelter 
Rinne 4 mal (49—52), dabei waren einmal (49) die Halsorgane 
intakt, einmal* (50) die Scliildknorpelhörner, einmal (51) die Zun¬ 
genbeinhörner, einmal (52) beide Hörner gebrochen. Die Bruchstellen 
waren nur selten mit Blut unterlaufen. 

Die Strangmarken waren bald hart, bald weich; in den mit¬ 
unter hyperaemischen Zwischenstreifen bei doppelt und dreifachen 
Strangrinnen wurden nie Blutaustretungen gefunden; selbst nicht 
in einem zweifelhaften Falle, wo die mikroskopische Untersuchung 
angestellt wurde. In den seltensten Fällen sass die Stelle des 
Knotens in der Mitte, sondern war bald mehr nach rechts oder 
links verschoben und zwar nach jeder der beiden Seiten gleich oft. 

Dreimal (53—55) lief die Strangmarke von hinten unten nach 
vom oben das Kinn freüassend, bei 1 Manne (53) und 2 Frauen 
(54—55). In keinem Falle waren die Halsorgane verletzt. Ein¬ 
mal (55) ergab die Sektion reichliche Speisemassen in den Luft¬ 
wegen bis in die mittleren Aeste. 

Von den 13 Personen (56—68), die den Tod im Wasser ge¬ 
sucht, waren 4 Männer und 9 Frauen. Das Jüngste Individuum 
war ein 1 Ijähriges Mädchen. Die Leichen waren 8 mal (56—63) 
leidlich frisch, 3 mal (64—66) grünfaul, 2 mal (67—68) war 
bereits Adipocirebildung eingetreten. Ausser in den beiden letzten 
Fällen waren die Lungen stets ballonirt, 4 mal stand Schaum vor dem 
Munde, 2 mal war Wasser im Magen konstatirt. Einer weiblichen 
Person war die Hutnadel in die Kopfschwarte gefahren, die Frau 
hatte auch noch Verletzungen am Kinn, eine zweite weibliche 
Leiclie zeigte eine Stichwunde über dem linken Handgelenk. 

Eine 37jälirige Schneiderin hatte den Kopf in einen mit Wasser 



Statistischer Bericht d. Unterrichlsanstalt t. Staatsarzueikundo zu Berlin etc. 211 


g'efällten Eimer gesteckt und sich so ertränkt; sie soll geistes¬ 
krank gewesen sein. 

Bei einer grünfaulen Leiche (66) fanden wir in den Fäulniss- 
blasen der Haut Methaemoglobinhaltige Flüssigkeit. Von den 
beiden Leichen (67—68), die bereits Adipocirebildung aufwiesen, 
hat die eine (67) ca. 7 Monat, die andere gegen 9 Monat im 
Wasser gelegen. Im ersten Falle war die Fettwachsbildung auf 
den Wangen und aui dem rechten Herzen deutlich zu erkennen. 
Die Kopfhaut fehlte, ebenso jegliche Behaarung des Körpers. Das 
Herz war matschig, voll Blut, die Lungen etwas aufgebläht und 
trocken, die Pleura stellenweise blasig abgehoben. Die Milz war 
matschig, die Nieren waren blass, zeigten aber noch deutliche 
Struktur, ebenso wie die Leber. Der Darm war gut erhalten, 
die Magenwand war stark von Fäulnissblasen durchsetzt. Im 
zweiten Falle (68) waren die Adipocheveränderungen am Kopf, 
an Brust und Bauchdecken sowie an den Oberarmen ausgesprochen. 
Die Hände fehlten. Die inneren Organe waren wie beim vorher¬ 
gehenden. 

Wegen des bekanntlich in den Berliner Wassern verhältniss- 
mässig seltenen Vorkommnisses von Fettwachsbildung möchte ich 
bemerken, dass beide Leichen an Stellen stärkerer Strömung ge- 
ftiiiden wurden, beide an den Schleusen. 

Von den 21 Selbstmördern, die zum Gift gegriffen, wählten 
10 (69—78) Cyankali — 6 Männer und 4 Frauen. Von den letz- 
teien hatte eine sich zugleich mit ihrem Liebhaber vergiftet, die 
zweite war Wittwe, die bei einem Kaufmann wohnte, die dritte 
Kellnerin, die vierte die Frau eines Galvaniseurs. Dies zui* Er¬ 
klärung, wie die Frauen zu dem Gift gekommen sein könnten. In 
allen Fällen war der Befund ein typischer, nämlich hellrothe Todten- 
flecke, deutlicher Bittermandelgeruch im Schädel und in der Bauch¬ 
höhle, blutiger Inhalt in dem Magen, dessen mit zähem Schleim 
bedeckte Schleimhaut stark diffus geröthet und gequollen war. 
Einmal lokalisirte sich die dunkelrothe Färbung im Magen aller¬ 
dings nur auf dem Fundus; wii* vermutheten, dass das Cyankali 
nicht in Lösung, sondeni als Stück geschlucktj^war. Es war 
die Leiche im Thiergarten gefunden mit einer Flasche, in der sich 
Cyankalistücke befanden. Bei der Kellnerin war der Verdacht 
auf Sublimat-, bei der Frau des Galvaniseurs auf Oleumvergiftung 
angenommen. 

Die Oxalsäure Vergiftung, sonst häufiger beobachtet, sahen 
wir zweimal (79—80), beide mal bei Frauen, einer 41 jähr. Arbeiter¬ 
frau und 35Jähr. Kassirerin; bei letzterer wurde Arsenikvergiftung 
angenommen. Die Befunde waren in beiden Fällen gleiche. Am 
Mundwinkel sassen kleine weisse Kiystalle, die deutlich saure 
Reaktion zeigten. Der Magen war schwappend gefüllt, sah von 
aussen grauweiss aus, besonders dunkel am Fundus gefärbt. Der 
wässerige, bräunlich graue Inhalt stark sauer, enthielt viele weiss¬ 
graue Flocken. Die Schleimhaut war mit zähem Schleim bedeckt 
und war stellenweise kaum noch vorhanden. In dem einem Falle 
fand sich noch ungelöstes Gift in solchen Mengen vor, dass es mit 



212 


Dr. Strecker. 


der Hand herausgeschöpft werden konnte; zwischendurch befenden 
sich, mikroskopisch nachweisbar, Erystalle von oxalsaurem Ealk, 
ein Befund, den wir in beiden Fällen auch in den Nieren, an der 
Grenze zwischen Rinde und Mark besonders deutlich, nachräweisen 
vermochten. 

Vergiftung mit Karbolsäure wurde einmal beobachtet. Ein 
ehemaliger Landwirth (81) hatte reine Karbolsäure getrunken. Der 
Befund bezüglich des Geruches und der dicken weissen Verätzung an 
Speiseröhre, Magen und tief in den Dünndarm hinein waren charak¬ 
teristisch. 

Zum Phosphor hatte eine 21jährige Näherin (82) gegriffen. 
4 Tage nach der Auffiahme in ein Krankenhaus war sie verstorben. 
Durch den Geruch war nichts mehr zu merken. Dagegen waren die 
anatomischen Veränderungen hochgradig ausgesprochen, sowohl be¬ 
züglich der Blutergüsse in Muskel, Pericardium, unter das Bauchfell, 
besonders am Gekröse, selbst in die Uterusschleimhaut, (der Hymen 
war zerrissen) als auch die Veränderungen der Leber, (die gross, 
gelb und fett war) und der Magenschleimhaut: die Drüsenzellen 
waren gelblich und reich an Fettkörnchen. 

Die früher so beliebte arsenige Säure haben wir nur 
zweimal (83—84) gefunden. Bei einem 48jährigen Manne, bei 
dem man Vergiftung durch Kleesalz vermuthet hatte, wurde Ar¬ 
senik sowohl als solches in Krystallen, wie auch durch die che¬ 
mische Untersuchung nachgewiesen. Die anatomischen Verän¬ 
derungen waren die charakteristischen. Die Leichenstarre war 
stark entwickelt. Die Muskulatur trocken, zähe, braunroth, das 
Blut spärlich, theerartig, sowohl in seiner Konsistenz als auch 
in seiner Farbe. Der Magen und Darm-Kanal war von Gas auf- 
getrieben. Im Magen fand sich etwas flüssiger Inhalt, hauptsäch¬ 
lich Schleim vermengt mit weissen Flecken (Arsenik in Substanz). 
Die Schleimhaut war stark geschwollen und trübe; wässriger, wie 
durch Kleie getrübter Inhalt war reichlich in dem übrigen Ver¬ 
dauungskanal zu Anden, dessen Schleimhaut bis in den Dickdarm 
herab gequollen und stellenweise fetzig nur noch aufliegend vor¬ 
handen war. Tiefergehende Defekte waren nicht vorhanden. 
Sämmtliche Organe salien dunkeier aus, zeigten spärlichen Blut¬ 
gehalt, das Blut hatte die oben beschriebene Beschaffenheit. 

In dem zweiten Falle hat sich ein 23jähriger Mann mit 
seiner Geliebten vergiftet, Nui* der Mann kam zur Sektion. Die 
allgemeinen Erscheinungen waren dieselben wie bei dem oben be¬ 
schriebenen Falle, nur fiel uns auf, dass der Mageninhalt blau¬ 
graue Massen zeigte, die krümlig-schmierig der Schleimhaut auf- 
lagen — mikroskopisch waren es Arsenikkryslalle mit einem amor¬ 
phen blauen Pulver; — im Dünndarm fanden wir sogar zwei klein¬ 
fingergrosse Klumpen, die rein aus Ai senik und dem blauen Körper 
bestanden. Ich vermuthe, dass der Selbstmörder ein Arsenik¬ 
präparat, das zu Rattengift mit Berlinerblau zubereitet war, ge¬ 
nommen hat. 

Ich möchte noch hinzufügen, dass in beiden Fällen auf der 
Schleimhaut des Magens und Darmes, nachdem die Präiwrate 2 



Statistischer Bericht d. Unterrichtsanstalt f. Staatsarzneikunde zu Berlin etc. 213 


bis 3 Tage zu Demonstrationszweckeii aufgehoben waren, sich 
gelbe Massen von Schwefelarsen gebildet hatten. 

Dass Kali chloricum zu Selbstmordzwecken genommen wer¬ 
den kann, lehrt ein von uns beobachteter Fall (85). Es war ein 57 
Jahre alter Schneider, der am 17. Oktb. 1891, Morgens 8 Uhr, todt 
im Bette gefunden wurde. Nach dem auf dem Begleitscheine er¬ 
statteten Polizeiberichte hatte derselbe seinen hinterlassenen Pa¬ 
pieren zu Folge in den Morgenstunden jenes Tages für 40 Pf. 
chlorsaures Kali zu sich genommen. Als Beweggrund zum Selbst¬ 
morde hatte der Selbstmörder in den eben erwähnten Papieren 
das Beispiel seiner Ehefrau angegeben, die am 15. Juni 1891 
gleichfalls chlorsaures Kali zu sich genommen hatte und daran 
am 16. Juni 1891 im Krankenhause Friedrichshain verstorben war. 
Bei der Sektion 2 Tage p. m. fanden wir: Mittelgrosser ziem¬ 
lich gut genährter Mann, sehr starke Todtenstarre, Todtenflecke 
seitlich an der Brust und am Bauch, än den Schultern, seit¬ 
lich an den Schenkeln und links im Gesicht grauviolett, stärker 
noch an den hinteren Theilen abgesehen von den Druckstellen; diese 
sowie die Bindehäute scheinen grau, leicht gelblich schimmernd. 
Die Venen der Beine schimmern schwarz-braun. Das Blut ist sehr 
dick, klebrig und schwer von den Händen abzuwaschen, ist dunkel- 
bis schwarzbraun, verdünnt chokoladenfarbig, zeigt im Spektrum 
deutlich den Methaemoglobinstreifen. Das Fett ist gelb, die Mus¬ 
kulatur matt braunroth und trocken. Das Herz gleichmässig ge¬ 
füllt, rechts etwas praller, weiche dunkelbraune Massen, schmieri¬ 
ges Blut als Inhalt. Aortentaschen etwas verdickt. Muskulatur 
etwas dunkel. Die Lungen erscheinen vom grau, nach hinten braun¬ 
blau ; die Schnittfläche ist trocken, nur auf Drack entleert sich 
wenig dickes Blut von bekannter Farbe. Die Milz ist klein, 
dunkelbraun, matschig. Die Nieren sind gross, braun, blutreich. 
Urin klar, spärlich, zeigt deutlich mit HCl die Reaktion von Kali 
chloricum. Die Leber ist gross, braun und blau mit deutlicher Zeich¬ 
nung. Mikroskopisch sind die Kapillaren von Lunge und Leber 
voll von braunrothen Massen, ebenso in den Nieren, wo noch die 
Harnkanälchen vollgestopft sind mit braunen Cylindera. 

Bittermandelöl sollte angeblich ein 40jähriger Destillateur 
genommen haben (86). Die 4 Tage nach dem Tode sehr faule Leiche 
bot nirgends irgend welchen spezifischen Geruch; im Magen be¬ 
fanden sich braunrothe Massen, der Magen selbst war faul. 

Eine 30jährige Arbeiterin (87) sollte ein „Opiat“ genommen 
haben ebenso wie man bei einem ca. 35 Jahre alten Arzt (88) Mor¬ 
phiumvergiftung vermuthete. Anatomisch war in beiden Fällen 
wenig zu finden. Bei der Frau waren die Lungen oedematös, bei 
dem Arzt, dessen Organe schon sehr faul waren, der Magen roth; 
in demselben fand ich vereinzelte säulenförmige Krystalle. Das 
Ergebniss der chemischen Untersuchung ist nicht bekannt. 

Als Todesursache stellten wir Erstickung in folgendem Falle 
(89) fest. Ein 30 jähriger Barbier bekam Nachts Erbrechen und 
wurde Vormittags von einem Arzte besucht und behandelt. Des 
Abends wurde der Patient als Leiche vorgefunden. Wir konsta- 



214 


Dr. Strecker. 


tirten, dass die Todtenflecke etwas heller waren wie gewöhnliche, 
und dass dünnflüssige Massen in Strömen aus dem Munde flössen. 
Der linke Brustmuskel zeigte deutlichen Aethergeruch. Der Magen, 
dessen Schleimhaut hinten grau erschien, enthielt ca. 200 cbcm 
flüssigen Inhalt gleich den Massen, die aus dem Munde flössen. 
Dieser Inhalt hatte einen eigenartigen knoblauchartigen Geruch, 
zeigte jedoch kein Leuchten im Dunkeln, der Schleim war gelb¬ 
lich. Erystallinische Bestandtheile konnten nicht aufgefunden 
werden. Der Dünndaiin war lufthaltig, enthidt etwas Schleim, 
die Schleimhaut erschien intakt. Der Dickdarm enthielt unten fast 
festen Koth. Die Blase war halb voll mit eiweisshaltigem Urin. 
Die Nieren waren nur strichweise trüb und gelblich in der Rinde. 
Die Leber war fett und auch etwas getrübt. Im Herzen befend 
sich unter der Innenhaut des linken Ventrikels eine ausgedehnte 
Suffusion. Das Blut hatte eine theerartige Beschaffenheit, die 
Lungen waren stark ausgedehnt und trocken. In beiden Bronchien 
befand sich gleicher Inhalt wie im Magen, ebenso in der Luftröhre, 
an deren Innenwand Schaum aufsass. Der Schädel wurde nicht 
geöffnet. Es war der Verdacht einer Vergiftung ausgesprochen 
worden. Eine Phosphorintoxikation düi'fte vielleicht nicht auszu- 
schliessen sein. 

Durch Ersehiessen nahmen sich 28 (90—117) das Leben, 
darunter eine Frau. 

Auffallend ist von den 27 Selbstmördern männlichen Ge¬ 
schlechts die Betheiligung dem Alter nach: Es waren die Jahre 
18, 18, 18, 20, 20, ca. 20, 21, 21, 22, 22, 24, 2.5, ca. 25, 26, 27, 
27, 30, 30, ca. 30, 31, 33, 37, 39, 43, 48, 50, ca. 60 vertreten, also 
die Hälfte bis zu 25 Jahren. 

In 27 Fällen war die Schusswaffe der Revolver, meist 
von 7 mm Kaliber, 1 mal eine Pistole ganz einfachster Konstruk¬ 
tion. Der Schuss war gerichtet 19 mal (90—108) gegen die rechte 
Schläfe, 2mal(109—110) gegen die Stirn, 2mal(lll—112)inden 
Mund, 3mal (113—115) in die Herzgegend imd 2mal (116—117) 
in diese sowohl wie in die rechte Schläfe. 

Stets fand sich bei den Schläfenschüssen Pulverschwärzung, 
in den meisten Fällen waren auch die Haare verbrannt. Die Ein¬ 
schussöffnung, meist klein und rund, war jedoch dreimal schlitz¬ 
förmig, einmal dreizipflig, einmal lappig und einmal bei einem 
Pistolenschuss mit Schrot auch gross und sternförmig. Nur in diesem 
Falle war die Verletzung des Knochens recht umfangreich, meist war 
es ein mehr oder wenig kleines rundes Loch an der Einschussstelle. 
Dort hatte auch der Schädel mehrfache Zertrümmei-ungen aufzuweisen, 
wähi’end solche sonst zu den Seltenheiten gehörten. Sie wurden 
beobachtet zunächst einmal (90) als Sprung an der linken Schläfen¬ 
schuppe, wo die Kugel abgeprallt war, ähnlich wie in einem an¬ 
deren Falle (91), wo sie als Zeichen des Anpralles nur eine blei¬ 
graue Stelle am Knochen zm'ückgelassen hatte und dann wieder in’s 
Gehirn zurückgeflogen war. Weiter war in einem anderen Falle (92) 
neben der Fissur in der linken Schläfenschuppe noch eine Blut¬ 
unterlaufung des Musk. temporalis. Auch in diesem Falle lag die 



Statistischer Bericht d. Unterrichtsanstalt f. Staatsarzneikunde zu Berlin etc. 215 


Kugel in einem zweiten Kanal im Gehirn. In einem andern Falle 
(93) hatte die inwendig links anprallende Kugel ein dreiseitiges 
Knochenstück herausgedrückt. • Ein weiteres Mal (94) war die 
Kugel durch den Schädel links und bis in den linken Temporalis 
gerathen, hatte auch noch einen Sprung am Siebbein erzeugt, neben¬ 
bei fand sich Blut in den Luftwegen. Auf der linken Seite durch 
eine grössere, zerrissene Oeffnung hat die Kugel den Schädel der 
Selbstmörderin (95) verlassen; sie sollte sich nach Angabe des 
Polizeiberichts in den Mund geschossen haben. Die Oeffnung in 
der rechten Schläfe war übersehen worden, von gewöhnlicher kreis¬ 
runder Form und klein. Der Schädel war vielfach zertrümmert 
und gesplittert. 

Vom Einschuss ausgehend war einmal (96) die Basis mehrfach 
gesprungen, ein andermal (97) war die Kugel in den Keilbein¬ 
körper gegangen; in beiden Fällen fanden wir Blut in den Luft¬ 
wegen, auch in den Alveolen. 

Ein Schusskanal (98), beginnend an der rechten Schläfe, war 
nach oben und vom gegangen, neben dem äusseren Winkel des 
linken Auges, 8 cm über der Ohröffnung, befand sich in blutunter¬ 
laufener Umgebung ein minimaler Hautriss mit zackigen Rändern, 
in der Tiefe lag in dem Knochen die Kugel. In Lesern Falle 
meldete der Polizeibericht: Die Leiche wurde mit dem Revol¬ 
ver in der rechten Hand aufgefunden, was sonst nicht ver¬ 
zeichnet ist. In den übrigen Fällen wai* die Kugel im Gehirn 
stecken geblieben, ohne dass das Geschoss die andere Seite er¬ 
reicht hätte. 

Gegen die Stirn haben zwei Selbstmörder gezielt. Bei 
dem ersten (109) befand sich auf dem linken HirÄöcker eine 
kreisrande 1 cm weite Einschussöffnung, die Kugel lag im linken 
Grosshira. Der zweite (110) hatte die Einschussöffnung mitten 
auf der Stirn, es befand sich ein kreisrundes Loch im Schädel, 
die Kugel war durch den Sinus in die Spitze des rechten Stira- 
hims durch den rechten Opticus in die Keilbeinhöhle gedmngen, 
wo sie fest sass. Es fand sich viel Blut ums Gehirn, in der 
Speiseröhre, besonders viel in den Luftwegen, bis in die Alveolen. 
Auch im Magen war Blut vorhanden. 

In den Mund haben zwei Selbstmörder (111, 112) die Waffe 
gehalten. Bei dem ersten (111) fanden wir BlJftbesudelung um Mund 
und Nase; Pulverschwärzung am linken Zeigefinger. Der Selbst¬ 
mörder war Buchhalter, 26 Jahre alt und hatte sich vor dem Ein¬ 
gänge eines Krankenhauses Nachts in Gegenwart eines Bekannten 
erschossen. Die Kugel war links über den zerrissenen Zungen¬ 
rücken, links am Zäpfchen vorbei zwischen Klivus und linker 
Felsenbein Pyramide, die Spitze derselben zertrümmenid, an der 
Brücke und dem linken Kleinhini, beide streifend, durch den linken 
Hinterhauptslappen und der entsprechenden Stelle der Dura bis 
gegen das Schädeldach gegangen; hier war sie abgeprallt, ohne es 
zu verletzen und war direkt nach vorn in das linke Grosshim 
vorgedrungen, wo sie an der Centralfurche im Gehirn liegen ge¬ 
blieben war. Sonst war nichts Erwähnenswerthes. In dem zweiten 



216 


Dr. Strecker. 


Falle (112) war die rechte Hand blutbesudelt, der Zungenrticken 
nur pulvergeschwärzt, die Kugel war links vom Zäpfchen durch 
den Proc. pterygoid. des Keilbeins und den hinteren Rand des 
Felsenbeins dicht an der Mittellinie zwischen Brücke und ver¬ 
längertem Mark ins Kleinhirn, mitten durch den Wurm in die hintere 
Spitze des rechten Hinterhauptlappens bis an die Dura gegangen. 
Da lag unter der unversehrten Dura das Geschoss nebst zwei 
schwarzen Kiiochenstüchen. Blutige Zertrümmerung des Gehirns 
längs des Schusskanals, Blut in den Hirnhöhlen; Blut im Munde, 
in den Luftwegen und den Alveolen, blutiger Schleim im Magen. 
Es war ein 20 jähriger Etuismacher mit geringer Hypospadie, der 
bei einer llazzia aufgefunden, vor den Augen des Polizeibeamten 
sich erschossen hatte. 

In die Brust allein hatten drei Selbstmörder (113—115) ge¬ 
schossen. Der erste (113) hatte die linke Warze getroffen, das Herz 
war durchbolirt, die Kugel sass in der Wirbelsäule. Der zweite 
(114) traf sich unter der linken Brustwarze, zwischen 5. und 6. 
Rippe; die Kugel war durch das Perikard, durch das linke Herz 
dicht am Septum gegangen, hatte die halbe hintere Herzwand fort¬ 
gerissen, war durch das hintere Perikard und durch die Aorta mit einer 
vorderen kleineren und hinteren grösseren Oeffnung gegangen und 
lag auf dem 10. unversehrten Brustwirbel. Ich bemerke, dass 
trotz der grossen Herz Verletzung die Kugel nur 7 mm Durch¬ 
messer hatte. Der dritte (115) war ein ca. 60jähriger Haupt¬ 
mann, an dessen rechter pulvergeschwärzter Hand der 
Zeigefinger fehlte. Die Kugel war 2 cm nach aussen von der 
linken Brustwarze eingedrungen und war durch ein 2—3 cm grosses 
Loch 10 cm unterhalb des Schulterblattes, 8 cm nach rechts von 
der Wirbelsäule herausgegangen. Der Schusskanal ging durch die 
5. Rippe, den untera Rand des Oberlappens der linken Lunge, 
durch den Herzbeutel, die linke Kammer, zwischen linker Kammer 
und Vorkammer zum Herzen hinaus, abermals durch den Herz¬ 
beutel, durch den unteren Theil des Unterlappens der rechten 
Lunge an der 10. Rippe vorbei durch die Haut. 

Endlich beobachteten wir 2 Fälle (116—117), in denen die 
Selbstmörder sich sowohl in die Brust, wie auch in den Kopf ge¬ 
schossen haben. Im ersten befand sich der eine Schuss handbreit 
unter der linken WarÄ, die Kugel war durch den Herzbeutel, die 
Spitze des rechten Ventrikels, diesen eröffnend, durch’s Zwerchfell 
in die Speiseröhre gerathen und — lag im Mageninhalt. Der andere 
Schuss war in die rechte Schläfe gegangen, hatte die Haare ver¬ 
sengt die Knochenöffnung war klein und rund. Die Kugel hatte 
den rechten Schläfenlappen durchbohrt, war über dem Balken 
links in der Pia des Grosshims sitzen geblieben. Es fanden sich 
Fissuren beider Felsenbeine vom an ihren Kanten diesen parallel. 
Im zweiten Falle (117) war die eine Kugel neben der linken 
Warze ohne das Herz zu treffen durch die linke Lunge und den 
linken Bronchius bis zum 9. Wirbel gegangen. In der Pleura war 
U/* Liter Blut, in beiden Lungen waren die Luftwege bis in die 
Alveolen mit Blut erfüllt. Es bestand allgemeine Anaemie. Die 



Statistischer Bericht d. Unterrichtsanstalt f. Staatsarzncikande zn Berlin etc. 217 


andere Kugel war in die rechte Schläfe gegangen, unter dem 
Stimlappen durch das Chiasma nerv, optic. in die linke Insel, wo 
sie noch im Gehirn lag. 

An die 28 Fälle von Selbstmord durch Erschiessen möchte ich 
den einen Fall (125) von Mord einschalten. Von ihrem Geliebten 
erschossen wurde eine 30jährige Frau todt aufgefunden. Links 
über dem Ohr an der vorderen Haargrenze (die Haare waren 
nicht verbrannt) in der Mitte der Höhe der Stirn befand sich 
eine schlitzföimige, schwarzumsäumte OefFnung der Haut, von 
links oben nach rechts unten verlaufend. Der Spalt war oben 
mehr rund, unten mehr spitziger zulaufend. Das Gewebe darunter 
war zerfetzt. Im Knochen zeigte sich ein 1 cm im Durchmesser 
grosses rundes scharfrandiges Loch. Die Galea links war blut¬ 
unterlaufen. Das rechte Auge war blutig suggilliit und vorge¬ 
wölbt. Auf der rechten Schläfe fühlte man eine hasselnussgrosse 
unebene Geschwulst. Aus dem rechten Ohr floss Blut. Ber Blut¬ 
erguss unter der Galea erstreckte sicli, wie nach Entfernung der 
weichen Bedeckungen des Schädels ersichtlich wurde, rings um den 
Schädel. Rechts auf der Schläfe unter der Haut sass die ca. 9 mm 
grosse Kugel zwischen knospenblätterartig vorgesttilpten Knochen¬ 
splittern. Von da aus ging ein Knochensprung vom quer über 
die Stirn über und hinter die Einschussöflhung weg, nach hinten 
bis über die Hinterhauptsschuppe. Ein zweiter Sprung ging in 
der Schädelbasis links vom Foram. sphenoidal. post, in die Fissura 
sphenoidalis, ferner mehrfache von dem quer über die Stirn verlau¬ 
fenden Knochensprung ausgehende über das rechte Orbitaldach, dann 
vom Foramen spinosum rechts längs der vorderen Kante der Felsen¬ 
beinpyramide bis zur Ausschussöffnung und von dieser quer über die 
Pyramide. Bluterguss auf der Dura der Basis. Die linksseitige 
Einschussöffnung in der Dura war klein und spaltförmig, die Aus¬ 
schussöffnung rechts sternförmig, fast Dreimarkstück gross. Der 
Schusskanal durch das Gehirn ging von der zweiten Stirawindung 
links unter dem Balken durch die dritte Stirawindung rechts. Das 
linke Corpus striatum war total zertrümmert, das rechte nur unten 
gestreift (Hiragewicht 1250 gr.). Hände ohne Pulverschwärzung. 

Vergleichsweise gebe ich noch genauer den Sektionsbefund 
des Mörders (99) an, der sich mit derselben Waffe ebenfalls durch 
einen Schuss in den Schädel getödtet hatte. Bei diesem Manne 
war die Einschussöffnung an der vorderen Haargrenze in der Mitte 
der rechten Schläfe. Die Haare waren verbrannt. Der Einschuss 
war schwarz umrändert, rund und Vs cm im Durchmesser. Die 
Kugel war durch den Knochen, die Hirnhäute an den Basis des 
Gehirns lang gegangen und im Gehirn in der linken dritten Hirn¬ 
windung steckengeblieben. Der Schädelknochen war dick. Auf 
der linken Stirn befand sich eine Markstück grosse feste Narbe, 
der Knochen an dieser Stelle von rauher Oberfläche, etwas gelblich. 
Der in Starre beflndliche rechte Arm lag über dem Kopfe, die 
Hand zeigte deutlich die Haltung, wie man einen Revolver hält; 
sie war pulvergescliwärzt; die Waffe lag neben der Leiche. 

. Wie oft Pulverschwärzung an der einen oder anderen Hand 



218 


Dr. Strecker. 


vorhanden war, ist in den Fällen, in denen es nicht erwähnt ist, 
nicht notirt gewesen. 

Selbstmord durch Verblutung in Folge von Sehnittwunden 
haben wir 4 mal (118—121) beobachtet. 

Zunächst (118) bei einem 47 Jahre alten Schlosser. Dieser 
sollte sich mit einer Scheere den Hals durchschnitten haben; er 
wurde noch lebend aufgefunden, erhielt von einem Heilgehilfen 
einen Nothverband, starb jedoch bald darauf. Nach Entferaung 
des Verbandes und der angelegten 12 Nähte fänden wir bei der 
bleichen Leiche eine quer über den Hals verlaufende Gewebstrennung, 
die unter dem Zungenbein 12 cm lang, 7 nach links und 5 nach rechts 
reichte; die nur 4 cm klaffenden roth unterlaufenen Ränder waren 
scharf, unter dem linken Ende befanden sich zwei nur durch eine 
V 2 cm breite Brücke getrennte Hauttrennungen, die in einer Linie 
verliefen. Am Halse waren keine andere Verletzungen zu finden, 
als Durchtrennung der Haut, des Platysma, einer kleineren äusse¬ 
ren Kehlkopfsarterie und eine Knickung des Kehldeckelstieles. Die 
Sektion des Halses zeigte in dem Kehlkopf eine Blutunterlaufung, 
entsprechend diesem Kehldeckelknick. Sonst waren die Luftwege 
voll Blut und zeigten die Lungen eine leichte oedematöse Be¬ 
schaffenheit. Weitere Forschungen ergaben, dass man neben dem 
Verletzten nicht allein eine blutbesudelte Scheere, sondern auch 
ein mit Blut bedecktes Rasiermesser gefunden hatte. 

Im zweiten Falle (119) fanden wir bei einem 20jährigen 
Buchhalter eine unten links am Halse befindliche 12^2 cm lange, 
6 cm klaffende Wunde, in welcher sich der linke Sternokleidomas- 
toideus und beide Jugularvenen links durchschnitten erwiesen, wäh¬ 
rend die Carotis communis und der Nerv, vagus unversehrt waren. 
Die Leiche war fast blutleer. Instrument: Taschenmesser. 

Im dritten Fall (120) war ein Student, der am linken Unter¬ 
arm, 2 cm über dem inneren Handgelenk eine 3 cm breite, 5 cm 
lange Gewebstrennung zeigte. Die Mnder, etwas geröthet, waren 
scharf und ragte von beiden Enden in die Wunde je ein Haut¬ 
zipfel nach der Mitte zu. Durchgetrennt waren die oberfiächlichen 
Sehnen, die Art. radial, und ulnaris, wie auch das Gelenk zwischen 
Radius u. Os lunatum eröfihet war. 

Der vierte und letzte Fall (121) war ein 69 jähriger Hand¬ 
schuhmacher, der sich mit einem Rasiermesser mehrere oberfläch¬ 
liche Hautschnitte über dem linken inneren Handgelenk beigebracht 
hatte, ausserdem aber auch noch einen quer über die Ellenbeuge 
verlaufenden, wodurch die Vena cephalica und mediana eröffnet 
wurden. Die äusserst fettreiche Leiche war stark anaemisch. 

Durch Herabsttirzen nahmen sich 3 das Leben, 2 Männer und 
1 Mädchen. 

Im ersten Falle (122) stürzte sich ein ca. 35jähr. Arbeiter 
im Treppenhause von der dritten Treppe auf den untersten Flur: 
er verstarb sofort. Wir fanden eine 8 cm lange, 3 cm breite 
Hautwunde auf der Stirn, das Schädeldach war in 8 Stücke zer¬ 
brochen, die Basis zeigte einen Querbruch, Blut floss aus beiden 
Ohren, die Rippen waren intakt; die linke Lunge hatte einen Einriss, 



Statistischer Bericht d. Unterrichts»iustalt f. Staatsurziieikunde zu Berlin etc. 219 


ebenso die Milz, melirfacli zeiTissen war die Leber. Ausserdem 
war der r. Oberschenkel pebrorlien. 

Im zweiten F'alle (128) hatte sich ein dem Trunk ergebenes 
heruntergekommenes 42jähr. Individuum im Delirium aus der im 
vierten Stock gelegenen Wohnung auf den gepflasterten Hof ge¬ 
stürzt; es verstarb sofort. Die Sektion ergab: Bluterguss aus 
Nase und rechtem Ohr, Blässe der sichtbaren Schleimhäute, kom- 
plizirter Bruch des linken Oberschenkels im oberen Drittel mit 
Pfennigstück-grosser Perforation der Haut am Aussenrande, ein¬ 
facher Querbruch des rechten inneren Knöchels. Die Schädelbe¬ 
deckungen unverletzt, Schädelbruch von links unterhalb der kleinen 
Fontanelle quer durch die Spitze der Hinterhauptsschuppe, durch 
die Lambdanaht und die lechte Schläfenschuppe bis an den Proc. 
zygomaticus; ebenso verlief der Bruch innen; am Beginn der 
Pyramide war eine Sternfraktur mit vielen Splittern und ausserdem 
noch ein Sprung in die Schuppe nach rechts oben. Die Pyramide 
zeigte zwei fast parallele Sprünge, der eine verlief auf der oberen 
Kante, der andere auf der unteren bis ins Foramen spinosum. 
Links war zwischen Pia und Dura ein grosser Bluterguss. Es 
bestand ausserdem Pachymeningitis chron. ossificans, Leptomenin- 
gitis chron. cum oedemate, Atrophia cerebri (ca. 1300 gr), Dilatatio 
ventriculorum mit Ansammlung blutigen Wassers. Ferner fanden 
wir eine fettige Entartung des Herzmuskels, Verdickungen in den 
Mitralsegeln und den Aortentaschen, ferner eine quere Zerreissung 
der hinteren Wand der Aorta dicht über den Taschen, zugleich 
ein Querriss des rechten Vorhofes an der entsprechenden Stelle 
mit Kommunikation zwischen Aorta und diesem; im Herzbeutel 
befand sich ^4 Ltr. Blut. Die Lungen waren oedematös und zeig¬ 
ten in beiden Unterlappen blutunterlaufene Stellen; die 4. bis 6. 
Rippe rechts waren am Angulus gebrochen. Die Milz zeigte vier 
QueiTisse. Die Leber war mehlfach zeirissen, fettig und ge¬ 
schrumpft ; ausserdem bestand ein Bruch des Beckens rechts neben 
der Symphyse. Die Bauchhöhle enthielt ‘/s Liter Blut. Nieren 
geschrumpft, unversehrt. 

Ein lOjähiiges Dienstmädchen (124) stürzte sich von ihrer 
3 Treppen hoch gelegenen Wohnung auf den Hof, angeblich, in 
einem Anfall von Geistesstörung. Die Kopfbedeckungen zeigten 
links auf dem Scheitelbein und daneben auf der Schläfe kleine 
Verletzungen. Das Schädeldach war vollständig zertrümmert, die 
Basis zeigte zwei Schrägbrüche durch die Sella und das Hinter¬ 
hauptsloch. Das Gehirn war eine blutige Masse. Blut in den 
Luftwegen, Blutunterlaufungen der Lungen. Hymen intakt. 

Beachtenswert!! dürfte bei dieser Art des Selbstmordes die 
Aetiologie sein, indem zweimal unter drei Fällen Störung der 
Seelentliätigkeit angenommen wurde, 

(Schluss 



220 


Dr. Salomon. 


Invalidengesetz und Arzt. 

Von Kreisphysikus Dr. Salomon in Darkehmen. 

Nachdem am hiesigen Ort bereits für eine grössere Zahl von 
Leuten, welche Anträge auf Gewährung von Invalidenrente stellen 
wollten, Bescheinigungen über ihre dauernde Erwerbsunfähigkeit 
nach dem üblichen Schema für amtsärztliche Atteste ausgefertigt 
waren, theilte unter dem 14. Dezember 1891 das Königliche Land¬ 
rathsamt mit, dass der Vorstand der Versicherungsanstalt die 
Atteste auf einem von ihm entworfenen Formular ausgestellt 
wünsche. Sämmtliche früheren Atteste müssten umgeschrieben 
werden. Etwa 6 Wochen später erschien ein neues Formular, 
das speziellere Fragen enthielt. 

In Betreff sämmtlicher nach B’ormular I ausgestellter Atteste 
kamen Rückfragen im Sinne des Formulars II. 

Obgleich bereits etwas stutzig geworden, sowohl über die 
Eigenthümlichkeit mancher Fragen, deren Beantwortung geradezu 
unmöglich und gar nicht Sache des Arztes ist, als auch über die 
Beharrlichkeit der wiederholten Rückfragen, erledigte ich anfäng¬ 
lich die vereinzelt kommenden Sachen als nobile officium an¬ 
standslos. Als mir aber dann an einem Tage 7 Atteste, die nach 
F. I vorschriftsmässig ausgestellt waren, mit neuen Fragen nach 
F. II zugeschickt wurden, da machte ich energisch Halt und 
schrieb dem Königlichen Landrathsamt, dass ich die weitere Be¬ 
gutachtung im Sinne neu gestellter Rückfragen der Versicherungs¬ 
anstalt nur dann auszuführen in der Lage sei, wenn mir dafür 
ein entsprechendes Honorar sicher gestellt würde. Die Antwort 
lautete, dass ich midi an den Vorstand der Versicherungsanstalt 
wenden möchte. 

In Folge dessen habe ich sämmtliche Akten dem Landraths¬ 
amt mit dem Bemerken zugestellt, dass ich, um die Angelegenheit 
zum prinzipiellen Austrage zu bringen, es ablehne, die Sachen zu 
erledigen, auch nicht in der Lage sei, mich an die Versicherungs¬ 
anstalt zu wenden. 

Inzwischen geht mir nun der Bericht der III. Sitzung unserer 
ostpreussischen Aerztekammer zu, in welchem ein von dem Vor¬ 
stande der Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt Ostpreussen 
an die Aerztekammer gerichtetes Schreiben abgedruckt ist. Es 
lautet: 

„Nachdem gemäss dem Reichsgesetz vom 22. Juni 1889 die Invaliditäts¬ 
und Altersversicherung mit dem 1. Januar 1891 in Kraft getreten ist, hat nach 
Ablauf der gesetzlichen Frist von 47 Wochen eine grosse Anzahl vermeintlicher 
Arbeitsinvaliden unter Vorlegung von Arbeitsbescheinigungen und ärztlichen 
Attesten, welche die mit Erwerbsunfähigkeit verbundene Krankheit nachweisen 
sollten, Rentenansprüche erhoben. — Diese ärztlichen Atteste haben sich in zahl¬ 
reichen Fällen als so unzureichend erwiesen, dass sie eine Prüfung der erhobenen 
Ansprüche nicht gestatteten, indem sie weder den Beginn der Erwerbsunfähigkeit, 
noch das Verhältni.ss der vorhandenen Krankheit zu der angegebenen Arbeits¬ 
leistung erörterten und sicli lediglich auf Anführung des Krankheitsnamens 
beschränkten. 

Die Aerztekammer der Provinz Ostpreussen erlaubt sich der Unterzeich¬ 
nete Vorstand ergebenst zu bitten, bei den Herren Aerzten der Provinz nach 
Möglichkeit darauf hinzuwirken, dass diesem Uebelstande aligclndfen wird, und 
die Atteste derart ausgestellt werden, dass namentlich 



Inralidengesetz und Arzt. 


221 


1. der Zeitpunkt, zu welchem die Erwerbannfähigkeit eingetreten iat, 

2. der Grad dieser Erwerbsunfähigkeit, möglichst in Bruchtheilen oder 
Prozenten der vollen Erwerbsfähigkeit erkennbar sind. 

Es bedarf wohl keines Hinweises darauf, dass die fraglichen Atteste von 
den wenig bemittelten Rentenansprcchern bezahlt werden müssen und diese daher 
auch ein derartiges Gutachten erwarten dürfen, dass dasselbe dem erfolgten 
Zwet^e wirklich entspricht. Von diesem Gesichtspunkte ans würde es sich auch 
empfehlen, dass der in Anspruch genommene Arzt die Ausstellung des Attesten 
ablehnt und dem Kranken die Aufgabe des Anspruches dann empfiehlt, wenn 
sein Antrag offenbar aussichtslos ist. Letzteres ist namentlich immer dann der 
Fall, wenn die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Schluss (genau den 22. November) 
des Jahres 1891 eingetreten ist, weil das Gesetz verlangt, dass der Rentenan- 
wllrter noch nach dem 1. .Fanuar 1891 vcrsicherungspilichtig gearbeitet hat. Es 
liegt in der Natur der Sache, dass die sich jetzt beim Beginn der Gesetzesrege- 
Inng meldenden Leute sclion seit langer Zeit, vielleicht seit Jahren, an einer 
mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krankheit leiden, und nun mit dem An¬ 
sprüche auf die Invalidenrente hervortreten. 

Aus Mitleid, oft auch aus Eigennutz, finden sich Personen, welche ihnen 
zn diesem Zwecke Arbeitsbescheinigungen ansstellen, und die Beitragsmarken 
verschaffen sich die Antragsteller seihst. Das wahre Sachverhältniss kann dann 
mit Hülfe des ärztlichen Befundes erkannt werden, welcher in solchen Fällen 
die UnglaubwUrdigkeit der Arbeitsbescheinigungen und die Bedeutungslosigkeit 
der Beitragsmarken ergeben wird. Es würde daher dem Interesse der Ver¬ 
sicherungsanstalt, und damit demjenigen der ganzen Bevölkerung entsprechen, 
wenn alle Herren Aerzte es als strenge Pflicht erachten wollten, die fraglichen 
Atteste möglichst gründlich und schlüssig in dem obigen Sinne auszustellen. 

Für eine geeignete Hinwirkuug in diesem Sinne würde daher der Aerzte- 
kammer der Unterzeichnete Vorstand zu besonderem Danke verpflichtet sein.“ 

Der Bericht sagt dazu: 

„Wenn die Verlesung dieses Anschreibens auch nur den Zweck hatte, den 
sämmtUcheu Aerzten der Provinz Kenntniss davon zu geben, so knüpften sich 
doch Bemerkn^en daran, in welchen die Redner sich dagegen verwahrten, dass 
etwa Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit der Aerzte Ursache der unzureichend 
ansgestellten Atteste gewesen seien, sondern dass dem Arzte zngemnthet werde, 
Thatsachen zn bescheinigen, deren Richtigkeit zu prüfen er absolut ausser 
Stande sei. Der Arzt sei hier wieder der Samariter, der ohne Dank und ohne 
Lohn zn Frohndiensten für das Gemeinwesen herangezogen werde. Möge die 
Versicherungsanstalt Vertrauensärzte, die, mit weitgehenden Befugnissen ausge¬ 
stattet, in der Lage sind, die Angaben der Rentennachsucher zu prüfen, zur 
Untersuchung derselben heranziehen.“ 

Das ist ausserordentlich richtig gesagt, aber im allseitigen 
Interesse liegt es, dass die Sache eingehender behandelt wird, um 
die ünhaltbarkeit des bis jetzt geübten Verfahrens nicht nur 
theoretisch, sondern auch an der Hand der gemachten praktischen 
Erfahrungen nachzuweisen. 

Die Bestimmung, dass alle Antragsteller auf eigene Kosten 
ein ärztliches Attest beizubringen haben, sollte die Fluth der An¬ 
träge eindämmen. Hat sie es vermocht? 

Nach meinen Erfahrungen entschieden nicht. Anfänglich 
kamen die Leute im guten Glauben, dass der Physikus ihnen die 
Atteste unentgeltlich ausstellen müsse. Die 3 Mark, die verlangt 
wurden, haben sie zwar abgeschreckt, aber leider nur auf wenige 
Tage. Im Hinblick auf die erhoffte Rente hat jeder ohne Ausnahme 
sich das Geld beschafft, genau so wie der ärgste Hungerleider 
stets 3 Mark ohne Weiteres zur Stelle bringt, falls er zur ge¬ 
richtlichen Klage das übliche Prügeleiattest braucht, selbst wenn 
ihm nur bescheinigt werden kann, dass ihm die Nase geblutet hat! 
Diese 3 Mark in der Hand eines zur Rente vermeintlich berech- 



222 


Dt. Salomon. 


tigten Invaliden sind eine furchtbare Waffe gegen den armen Arzt, 
der er nur zu leicht erliegen muss. Es ist sehr leicht, vom grünen 
Tisch aus zu sagen, „es empfiehlt sich, die Ausstellung eines Attestes 
abzulehnen, und die Aufgabe des Anspruchs zu empfehlen etc. etc.“ 
Aber ein Mensch von der geistigen Stufe und von der Hartnäckig¬ 
keit unserer Landarbeiter lässt sich nichts „ablehnen“ oder „em¬ 
pfehlen“, sondern er lässt sich höchstens hinausweisen, — nm sofort 
wiederzukommen. Eine Belehrung ist ausgeschlossen. Er hat 
sich mit vieler Mühe — manche Meile ist dazu durchwandert, 
mancher Tag hingebracht — seinen Taufschein besorgt, sich vom 
Gemeinde- und Amtsvorsteher Instruktion eingeholt und den Be¬ 
scheid erhalten, dass nur noch ein kleines Zettelchen vom Arzt 
fehle: wenn er das habe — dann bekomme er Geld, viel Geld! 
Er weiss, dass das Attest beim Arzt 3 Mark kostet, hat sich viel¬ 
leicht mit grossen Schwierigkeiten diese Summe zusammengeliehen 
und glaubt nun im Besitze des unanfechtbaren Rechtes auf eine 
Rente zu sein. Da sagt ihm der Arzt, dass er kein Attest aus¬ 
stellen könne!! Es entstehen ebenso dramatisch-bewegte als wider¬ 
liche Scenen mit Kniefällen, Händeringen, Weinen und Schreien, 
die manche Leute bei mir acht Tage lang wiederholt haben. Sie 
haben sich in meinem Wartezimmer vollständig einquartirt, und 
nur ernstliche Drohungen mit der Polizei vermochten sie zum Weg¬ 
gehen — bis zum nächsten Tage zu bewegen. 

Es sind geradezu unglaubliche Belästigungen, denen wir 
Aerzte ausgesetzt sind. Denn oft, wenn man den im Irrthum be¬ 
fangenen Arbeiter sich endlich vom Halse geschafft hat, kommt 
der Herr Gutsbesitzer oder Gemeindevorsteher an, um seineu Ein¬ 
fluss geltend zu machen, dem Arzt die so knappe Zeit zu rauben, 
und um hinterher über die Inkulanz und Schroffheit des Arztes 
noch zu klagen. Und das alles muss der Arzt über sich ergehen 
lassen, nur um 3 Mark nicht zu verdienen, im Interesse der 
Humanität! 

Was ist es da für ein Gewinn an Zeit und welche Erspar- 
niss von Aerger, wenn man die Ausstellung des Attestes nicht 
gänzlich ablehnt, sondern erklärt, dass dasselbe, so wie es lauten 
würde (z. B. mit nur Vs oder Vs Invalidität), nichts helfen könnte. 
Man sieht ein ungläubiges überlegenes Lächeln und hört: 
„der X X hat ja bekommen, ich bin viel schwächer als der; 
schreiben Sie nur Herr Doktor, es wird schon helfen.“ Und der 
Doktor schreibt! Ist ein solcher Standpunkt zu verurtheilen ? So¬ 
lange jedenfalls nicht, als der Beweis dafür fehlt, dass wir Aerzte 
dazu da sind, die Versicherungsanstalt vor der Arbeitslast mit 
falschen und unberechtigten i^trägen zu bewahren. Wie wäre 
es, wenn die Aerzte durch fortgesetzte Belästigungen dazu ge¬ 
drängt würden, überhaupt die Ausstellung von Invaliditätsattesten 
abzulehnen V 

Der beschäftigte Arzt, dessen Sprechstunde der Behandlung 
von Kranken gewidmet ist, schädigt sich positiv mit der Aus¬ 
stellung von Invalidenattesten, selbst wenn er nur vollberechtigte 
Invaliden untersuchen will, durch den grossen Verlust an Zeit, 



Invalidengesetz nnd Arzt. 


223 


den die gewissenhafte Untersuchung und Attestirung erfordert. 
Es ist ein sehr detaülirtes Gutachten, das abgegeben werden soll. 

1. Art der Krankheit 

a. Subjektive Beschwerden. 

b. Objektiver Befund. 

2. Wie lange besteht die Krankheit und seit wann befindet 
sie sich auf ihrer gegenwärtigen Höhe? 

3. Ursache der Krankheit etc. 

Hat Antragsteller dieselbe sich vorsätzlich odei\,bei 
Begehung eines durch strafgerichtliches Urtheü festge¬ 
stellten Verbrechens zugezogen, oder ist die Krankheit die 
Folge einer Beschädigung (Unfall), welche sich Antrag¬ 
steller bei Ausübung des Berufes zugezogen hat? 

4. Ist es glaubhaft, dass Antragsteller bei der bescheinigten 
Krankheit die von ihm angegebenen Arbeiten wirÜich 
veiTichtet hat? 

5. Ist Antragsteller durch die Krankheit erwerbsunfähig ge¬ 
worden? Und zwar gänzlich, oder kann derselbe nach 
den örtlichen Verhältnissen, sofern ihm seinen Kräften und 
Fähigkeiten entsprechende Lohnarbeit geboten wird, noch 
etwas und wie viel (in Prozenten ausgedrücktj^in einem 
Jahre verdienen? 

6. Ist die Erwerbsunfähigkeit eine dauernde oder wird An¬ 
tragsteller voraussichtlich in absehbarer Zeit und in 
welcher wieder erwerbsfähig werden? 

7. Erscheint es für den Fall des muthmaasslichen Wieder¬ 
eintritts der Erwerbsfähigkeit zur Förderung des Heil- 
verfahi-ens nothwendig, Antragsteller einer Ki*anken- oder 
Heilanstalt und welcher zuzuführen? oder wird eine ärzt¬ 
liche Beobachtung in anderer Weise für erforderlich er¬ 
achtet, oder lässt sich der Zustand des Antragstellers 
schon jetzt mit Sicherheit übersehen? 

8. Sonstige Bemerkungen. 

Die Fragen sind sehr schön gestellt und dem Wortlaut des 
Gesetzes sehr zweckentsprechend angepasst. Wenn sie sich nui* 
so leicht beantworten Hessen! Schon Nr. 1 „Art der Krank¬ 
heit!“ Unsere ländHchen Arbeiter, die von ihrem 12. Jahre an 
den schwersten körperUchen Anstrengungen unterworfen sind, sind 
im Durchschnitt Ende der vierziger Jahre völlig aufgebraucht, 
psychisch stumpf, körperHch leistungsunföhig. Leichte Kontrak- 
tui'en und Verbildungen an allen Gelenken des Kumpfes und der 
Extremitäten, starrer Brustkorb, geringere oder grössere Herz¬ 
dilatation, Atherom der Blutgefässe, Varicen der Beine, Leisten¬ 
brüche etc. etc., alles einzelne nicht hochgi'adig, aber in Summa 
eine bedeutende InvaHdität ausmachend, das sind so die landläufi¬ 
gen Zustände, die man in allen Kombinationen und Modifikationen 
findet. Es sind keine präcis zu umschreibenden Ki*ankheitsbüder, 
sondern Summen einzelner pathologischer Veränderungen. Man 
wird einwenden, dass jetzt im Uebergangsstadium, wo der 22. Novbr. 
1891 den Endpunkt der Mindestzahl beitragspflichtiger Wochen 



224 


Dr. Salomou. 


bezeichnet, solche Zustände gar nicht in Betracht kommen können, 
sondern nur akute, seit dem 22. November durchgemachte Krank¬ 
heiten, da es ganz klar sei, dass ein Mann, der jetzt (April 1892) 
auf Grund mehr allgemeiner chronischer Veränderungen erwerbs¬ 
unfähig ist, im November 1891 nicht mehr erwerbsfähig gewesen 
sein kann. In so kurzer Zeit bilden sich solche Veränderungen 
nicht aus, item seien die Arbeitsbescheinigungen, wenn sie vor¬ 
liegen, gefälscht, die Beitragsmarken zu Unrecht verwandt! In 
vielen Fällen wird das natürlich stimmen, aber in andern Fällen 
hat doch ein Mann thatsächlich während des Sommers und 
Herbstes volle Lohnarbeit geleistet trotz mancher pathologischer 
Zustände und ist im Laufe des Winters so der Altersdegeneration 
verfallen, dass er nicht mehr ein Dritttheil der früheren Arbeit 
leisten kann. Man darf nicht vergessen, dass unsere meisten 
Arbeiter im ungefähren Alter von 50 Jahren einen Körper haben, 
der um 10—15 Jahre älter anzusehen ist, als der Taufschein 
ausweist: sie sind eben erheblich schneller gealtert, als Menschen 
anderer Berufsklassen. Ist es etwas so Ungewöhnliches, dass 
ältere Menschen, namentlich wenn sie plötzlich aus gewohnter an¬ 
strengender Arbeit in die Buhe kommen, in kurzer Zeit auffallend 
kraftlos werden, dass der Krug, der so lange zu Wasser gegangen 
ist, plötzlich bricht P Der ländliche Tagelöhner, der im Sommer 
von 3 oder 4 Uhr Morgens bis zum späten Abend ganz gewaltige 
Muskelarbeit in freier Mscher Luft thut, lebt dann ca. 5 Monate 
lang in entsetzlicher Wohnung, in schlechter Luft, fast ohne Mus¬ 
kelarbeit und schläft von 7 I^* Abends bis 7 Uhr Morgens. Ist 
es bei solcher Lebensweise so undenkbar, dass ein alter Mann, 
der im vorigen Jahre in der Ai’beit noch seine Stelle auszufüllen 
im Stande war, im Laufe des Winters ganz stumpf geworden ist, 
ohne dass man ihm eine wohl formulirte abgemndete Diagnose 
einer „Krankheit** in Rubrik 1 seines Attestes setzen kann? Wie 
steht es ferner mit den Fällen, die im Winter Influenza durch¬ 
gemacht haben und in Folge dieser kraftlos geworden sind? Wie 
weist man wohl objektiv nach, ob der Mann die Krankheit be¬ 
standen hat oder nicht?? Aerztlich behandelt ist er nicht. 

Die Veränderungen des Körpers in höherem Alter und deren 
Ursachen sind so vielgestaltig, dass sie sich nur in wenigen 
Fällen leicht schematisch klassi^iren, beurtheilen und in 3 Worten 
bezeichnen lassen. 

„Seit wann befindet sich die Krankheit auf ihrer 
gegenwärtigen Höhe?** Armer attestausstellender Arzt! Dein 
Wartezimmer ist gepfropft voll, ein Wagen steht vor der Thür, 
du sollst zu einem Diphtheritiskind, schnell, schnell! Und da stehst 
du mit einem armen alten stupiden Meergreis und mühst dich ab, 
aus ihm durch Hin- und Herfragen herauszuquetschen, seit wann 
er über dies und jenes geklagt, wann sich der Husten eingestellt, 
wann das Auge trübe geworden etc. etc. Wie schwer sind dem 
Alten die Worte abzuringen! Hie objektiver Befund, hie Angaben. 
Simulirt er, übertreibt er? Objektiv, Kollege, streng objektiv! 
An Frage 2 hängt die Existenz des Mannes! Du möchtest ihn 



toTalidengesetz and Arat. 


225 


noch einmal untersuchen, um dein Urtheil zu sichern, aber der 
Mann ist bei scheusslichem Weg und Wetter 3 Meilen weit her¬ 
gekommen, zu Fuss, durchnässt, erfioren. Noch einmal kann er 
nicht kommen, aber das Attest muss er erhalten und zwar mit 
vollständigem Sittenzeugniss, denn du musst ihm unter Nr. 4 be¬ 
scheinigen, ob er die Wahrheit gesprochen hat oder nicht. Wehe 
dir, Arzt, wenn du die Unglaubwtirdigkeit attestiren musst und an 
einen „Gerissenen“ gekommen bist. Der wird dir schöne Elogen 
darüber sagen, dass du ihm för baare 3 Mark bescheinigt hast, 
dass er geflunkert hat. Im übrigen rathe ich dir, Arzt, in Bezug 
auf Nr. 4, hüte dich vor den Angaben der Leute. Du bescheinigst 
bona fide die Arbeitsleistung nach den Angaben des Antragstellers. 
In den Arbeitsbescheinigungen, die dir nicht vorliegen, die auch 
noch gar nicht ausgestellt sind, wird nachher etwas ganz anderes 
bescheinigt, und dann ist mindestens deine „Unzuverlässigkeit“ 
schwarz auf weiss nachgewiesen. Wenn du aber das alles glücklich 
hinter dir hast, dann bitte rechne, aber ganz genau: „wie viel 
kann er nach den örtlichen Verhältnissen, sofern ihm seinen Kräften 
und Fähigkeiten entsprechende Lohnarbeit geboten wird (in Pro¬ 
zenten ausgedrückt) in einem Jahre verdienen?“ Aber bitte 
Kopfrechnen, denn wenn du laut rechnest, stellt dir der Mann 
sofort Gegenrechnung auf. Sei froh, wenn er dich hinterher, wenn 
er deine Berechnung liesst resp. sich vorlesen lässt, nicht zur Rede 
stellt, wie es mir schon mehrmals ergangen ist. 

Wie viel Zeit ist wohl mit der ganzen Angelegenheit ver¬ 
gangen, das Aus- und Ankleiden mitgerechnet? 3 Mark sind ein 
schnöder Lohn dafür. Aber sollen die armen Leute mehr bezahlen? 
Nun, ich möchte für jedes Invalidenattest, wenn ich es hätte nicht 
ausstellen dürfen, namentlich die zur Ausstellung nöthige Unter¬ 
suchung und Diskussion nicht hätte machen brauchen, 3 Mark zu¬ 
geben und an Stelle jeder „Ablehnung“ hätte ich gern 6 Mark in 
die Armenkasse gezahlt. 

Die Verhältnisse werden in anderen Gegenden vielleicht ganz 
andere und hoffentlich bessere sein, als in unserer ausschliesslich 
ackerbauenden Provinz mit der geringen Kultur der ländlichen 
Bevölkerung. Mögen sie aber sein, wie sie wollen, unter keinen 
Umständen kann die Untersuchung und Begutachtung von Invaliden 
nach dem angegebenen Schema eine Sprechstundenthätigkeit eines 
beschäftigten Arztes sein! 

Die Ausführung des ganzen Invaliditätsgesetzes hat zu seiner 
Voraussetzung eine sehr weitgehende Betheiligung des ärztlichen 
Standes an der Arbeit, sie ist ohne diese geradezu undenkbar. 
Wäre es da nicht selbstverständlich gewesen, dass sich die Ver¬ 
sicherungsanstalt *) bei Eröffnung ihrer Thätigkeit mit den Aerzten 
der Provinz hätte in Verbindung setzen, ihnen die nöthigen Dii-ek- 
tiven für Beurtheilung der Invalidität im Sinne des neuen Gesetzes 
geben und sie so för die neue Thätigkeit vorbereiten müssen? 
Wie konnte sie, ohne eine derartige Fühlung mit den Aerzten zu 
haben, erwarten, dass die einlaufenden Atteste alle auf die speziellen 


*) Ich spreche natürlich nur von der ostpreussischi^n. 



226 


Dr. Salomon: InTalidengesctz und Arzt. 


Gesetzesparagraphen hin zugestutzt sein würden? Der Vorstand 
muss doch wohl das Studium des Invaliditätsgesetzes und seiner 
Motive schon vor dessen Inkrafttreten als eine selbstverständliche 
Pflicht und Schuldigkeit aller Aerzte Ostpreussens angesehen haben. 
Wenn er sich dann im Verlaufe seiner Thätigkeit davon über¬ 
zeugen musste, dass seine Annahme eine irrige und der Entwurf 
eines speziellen Formulars nöthig war, weshalb hat der Vorstand da 
nicht gleich beim ersten Mal das richtige Formular entworfen, 
das allen Anforderungen des Gesetzes entsprach? Wesshalb hat 
sich das erste Formular als ebenso „unzureichend“ erwiesen, 
wie „diese ärztlichen Atteste in zahlreichen Fällen“? Die Ant¬ 
wort ist sehr einfach: „weil dem Vorstande bei Beginn seiner Thätig¬ 
keit noch nicht die nöthige Erfahrung zur Seite stand, die natui’gemäss 
erst durch praktische Handhabung des Gesetzes erworben wird.“ 
In Anbetracht der Thatsache, dass in kurzer Zeit be¬ 
reits zwei Formulare aufgestellt und neue wohl bald 
zu erwarten sind, „bedarf es wohl keines Hinweises 
darauf, dass die fraglichen“ Formulare von den über 
pur sehr knappe Zeit verfügenden Aerzten ausgestellt 
werden müssen und diese daher auch ein derartiges 
Formular erwarten dürfen, dass die Ausfüllung des¬ 
selben Rückfragen wirklich ausschliesst. Es würde 
daher demlnteresse der Aerzte entsprechen, wennder 
Vorstand der Versicherungsanstalt es als strenge 
Pflicht erachten wollte, die fraglichenFormulare mög¬ 
lichst gründlich und schlüssig im Sinne des Invaliden¬ 
gesetzes aufzustellen. Dixi! 

Weit praktischer aber und den Zwecken des Invaliditäts¬ 
gesetzes entsprechender wäre es, wenn sämmtliche Versicherungs¬ 
anstalten etwa folgende Bestimmungen treffen wollten: 

1. Die Begutachtung von „Rentenansprechem“ geschieht aus¬ 
schliesslich durch die von der Versicherungsanstalt 
bestellten und instruirten Vertrauensärzte. 

2. Die Untersuchungen der Antragsteller finden in regel¬ 
mässig (etwa alle 4—6 Wochen) wiederkehrenden Terminen 
prinzipiell in einem dem Königlichen Landrathsamt zur 
Verfügung stehenden Amts lokal (etwa im Sessiouszimmer 
des ^eisausschusses oder dergl.) statt. Ausnahms¬ 
weise können einzelne Untersuchungen, welche beson¬ 
deren Apparat erfordern (ev. auch Untersuchungen von 
Frauen) in einem Krankenhause oder in der Privatwoh¬ 
nung des Arztes vorgenommen werden. 

3. Den an das Königliche Landrathsamt zu richtenden An¬ 
trägen auf Untersuchung ist ausser den erforderlichen 
Papieren (Taufschein, Quittungsbuch, Arbeitsbesclieinigun- 
gen etc.) eine Gebühr von 3 Mark beizufügen, worauf 
Vorladung zum nächsten Untersuchungstermin erfolgt. 

4. Im Termin wird Befund und Gutachten durch den Ver¬ 
trauensarzt einem Beamten des Königlichen Landraths¬ 
amts sofort zu Protokoll diktirt. Bei uothweudig werden- 



Kleinere Mittheilongen und Beferate ans Zeitschriften. 


22 ? 


den besonderen Erhebungen werden die zu stellenden 
Fragen direkt in ein zweckentsprechendes Formular ein¬ 
geschrieben und urschriftlich kurzer Hand dem Königl. 
Landrathsamt zur Erledigung übergeben. 

5. Der Vertrauensarzt ist in keinem Falle berechtigt, At¬ 
teste für Zwecke der Invaliditätsversicherung ohne Re¬ 
quisition des Königlichen Landrathsamtes auszustellen. 

6. Die Honorirung des Vertrauensarztes geschieht durch die 
Versicherungsanstalt je nach der Dauer der Termine nach 
bestimmten Sätzen. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 


In das Berliner Leichenschanhans eingelieferte Leichen pro Ja¬ 
nuar, Februar, März 1892. 


Monat 

1 

1 

1 

1 Männer || 

Frauen | 

Kinder 1 

Neugeborene || 

Fötus II 

Beerdigt | 

Erhängt | 

Ertrunken || 

Erschossen || 

Vergiftet || 

durch Kohlen¬ 
dunst gestorb. 

Erfroren | 

sf 

5 

0 C 

II 

o 

Unbekannte 

Todesart 

Innere 1 

Krankheiten | 

Erstickt | 

Verbrannt || 

Summa || 

1 

Januar . 

69 

43 

—r 

'13! 

— 

11: 



25 

12 

1 

8 

2 

1 


14 

15 

13 

2 

1 

69 

Februar . 

7i 

42 

il3: 

8 


5 

29 

17 

7 

8 

3 

— 

— 

11 

9 

9 

7 

1 

72 

März. . . 

85 

52 

16: 

13 

4 

5 

81 

20 

12 

1 

7 


— 

13 

18 

16 

2 

2 

a5 


Ueber eine eigenartige Wirkung des Blitzes. Von Professor Dr. 
Kratter-Innsbruck. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und Sanitäts¬ 
polizei; S. Folge, 2. Band, 1. Heft. 

Kratter macht darauf aufmerksam, dass in einer nicht unbeträchtlichen 
Zahl von Todeshillen durch Blitzschlag die Leichenerscheinungen fehlen oder 
unbedeutend sind, während die Nebennmstände fttr die Diagnose den Ausschlag 
geben. So fand man in einem Falle in der Hosentasche des Getödteten einen 
Klumpen von zusammen geschmolzenem Kupfergeld. Kratter zeigte ferner 
durch Versuche, dass im Gegensatz zu der örtlich enormen Hitzewirknng beim 
Schmelzen von Metallen im elektrischen Lichtbogen die Wärmeentwicklung bei 
kurzer Einwirkung nicht besonders hoch sei. Daher erkläre sich das Schmelzen 
des Metalles ohne Verbrennen des Zeuges der Hosentasche. 

Dr. Mittenzweig. 


Ein Fall von Tod durch Einwirkung des elektrischen Stromes, 
von Dr. Frieding er, Bezirks- und Gerichtsarzt in Wien-Neustadt. Wiener 
klinische Wochenschrift 1891, Nr. 48. 

Je mehr die elektrische Kraft praktische Verwendung findet, desto häu¬ 
figer sind auch die Fälle, in denen Menschen durch die Einwirkung des elek¬ 
trischen Stromes in Folge eigener oder fremder Unvorsichtigkeit Schaden an 
ihrer Gesnndheit erleiden oder ihr Leben einbUssen. Ueber einen solchen UnglOcks- 
fall mit lethalem Ausgange berichtet Friedinger: Ein 31 Jahre alter Arbeiter 
nmrde im Mai v. J auf dem Bauche liegend todt aufgefnnden; seine linke Hand 
lag unter der Brust, mit der rechten ausgestreckten Hand hatte er einen 
Draht einer elektrischen Leitung gefasst, in dem ein durch Wechselstrommaschinen 
erzeugter elektrischer Strom von 8000 Volt-Ampere*) geleitet wurde. Die Klei¬ 
dungsstücke des Verstorbenen waren an den Stellen, wo der Körper mit dem 


*) Nach den in Amerika angestellten Versuchen sollen 1000—1500 Volt 
zur Tödtung eines Menschen genügen. 




228 


Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Erdboden in innigere Berührung gekommen war (linker Arm, rechtes und linkes 
Bein, rechter Fuss u. s. w.), siebartig durchlöchert; die einzelnen Löcher steck- 
nadelknopf- bis Vj Kreuzergross, die grösseren mit zackigen Rändern versehen, 
die Bänder überall braunschwarz verkohlt. Die gerichtliche Obduktion der Leiche 
ergab im Wesentlichen Folgendes: Quer über die Mitte der Innenseite der 
zweiten Fingerglicder des 2., 3. u. 4. Fingers der rechten Hand, mit dem der 
Verstorbene den Draht gefasst hatte, befanden sich bis 5 mm breite, tief ein¬ 
gedrückte, rinnenartige, blaugraue, malachitähnlich gefärbte Furchen in der 
Haut, die sich in gerader Linie über alle drei Finger zogen und sich bis zur 
Spitze des kleinen Fingers sowie bis zum 1. Fingergliede des Daumens fort¬ 
setzten. Ferner war überall da, wo der Körper mit dem Erdboden in nähere 
Berührung gekommen war (Magengrube, Aussenseite des linken Vorderarmes, 
linker Handi^cken, rechtes Knie und Schienbein, linkes Knie u. s. w.). die Haut 
in grösserem oder geringerem Umfange theils braunschwarz, vertrocknet, wie 
verkohlt, theils gelblichweiss mit rothviolettem Hof, die Oberhaut in Fetzen 
abziehbar; Veränderungen, die jedenfalls durch den Austritt des elektrischen 
Stromes hervorgerufen waren und den verschiedenen Graden der Verbrennung 
entsprachen, ln den inneren Organen wurden irgend welche charakteristische 
Leichenerscheinungen nicht gefunden. 

Auffallend waren im vorliegenden Falle die zahlreichen Austrittsstellen 
des elektrischen Stromes. Es lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass, obwohl 
der Verstorbene nur einen Draht berührt hatte, dennoch die Ableitung einer 
grösseren Menge Elektrizität durch seinen Körper erfolgt war. Dr. Friedinger 
führt dies besonders darauf zurück, dass die Kleider des betreffenden Arbeiters 
ganz durchfeuchtet waren und in Folge dessen einen guten Leiter für die Elek¬ 
trizität abgaben. _ Rpd. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Ueber die Wichtigkeit der Milz bei der experimentellen Immnni- 
sirung gegen den Tetanus. Von 6. Tizzoni und G. Üattani. Central¬ 
blatt mr Bakteriologie, XI., 11. 

Verfasser hatten festgestellt, dass die immunisirende Substanz nur im 
Blutserum vorhanden war und dass sie in den Organen und Geweben fehlte, 
wenn das Blut aus diesen sorgfältig ausgewaschen war. Sie musste also in ihrer 
Bildung von den blutbereitenden Organen abhängig sein. Um den Antheil der 
Milz an der Bildung der immunisirenden Substanz zu studiren, behandelten die 
Verfasser eine Anzahl von Kaninchen, denen vor längerer Zeit die Milz exstirpirt 
war, mit einer von ihnen als zuverlässig erprobten Immunisirungsmethode und 
infizuten sie dann, ebenso wie die Kontrolkaninchen mit Tetanus. Die ent- 
milzten Kaninchen starben sämmtlich, während alle Kontrolkaninchen am Leben 
blieben. Verfasser betonen mit Recht die grosse Wichtigkeit, welche diesen 
Untersuchungen in pathologischer und physiologischer Beziehung zukommt. 

Dr. Langerhans -Haiütensbüttel. 


Zur Aetiologie der Dysenterie. Vorläufige Mittheilung von Professor 
M. Ogata in Tokio (Japan). Centralblatt für Bakteriologie, XL, 9. 

Verfasser veröffentlicht die Resultate einer Studienreise, welche er im Auf¬ 
träge der japanischen obersten Medizinalbehörde unternommen hat, um die Ver- 
bereitungsweise der Dysenterie in den japanischen Südprovinzen zu studieren 
und die Dejektionen der Kranken bakteriologisch zu untersuchen. Die Konta- 
giosität ist zweifellos, auch die Uebertragung durch Nahrungsmittel, welche 
nach Ogata wohl häufig durch Fliegen infizirt werden, kommt häufig vor; eine 
Trinkwasserepidemie hat Ogata nicht beobachtet. 

Bakteriologisch hat Verfasser eine Leiche, die Dejektionen von 13 Kranken 
und Parotiseiter von einem Falle untersucht. Bemerkenswerth ist, dass er in 
keinem einzigen Falle Amoeben fand. In 11 Fällen konnte er einen kurzen 
feinen, lebhaft beweglichen, verflüssigenden Bacillus koustatiren, welchen 0 g a t a 
geneigt ist, für die Ursache der in Japan epidemischen Ruhr anzusehen. Er 
zeigt sehr entschieden pathogene Eigenschaften; denn er erzeugt bei subkutaner 
Einspritzung bei Mäusen Oedem, bei Meerschweinchen schleimige Entleerungen, 
Oedem an der Injektionsstelle, vor Allem Geschwüre und Blutungen im Dickdarm, 
daneben Knotenbilduug in Leber und Milz und starke Schwellung der Mesen- 



Kleinere Mittheilnngen nnd Referate ans Zeitechriften. 


229 


terialdrüsen. Bei Einftthmng in das Rectnm durch Elystiere, sowie bei Ftttte- 
mng mit Knltoren des BacUlos entstehen bei Meerschweinchen and Katzen eben¬ 
falls Geschwtkre and Blatnngen im Dickdarm, schleimig - blutige Entleerongen 
and Schwellang der Mcsenterialdrüsen, dagegen keine Knotenbildong in Leber 
and Milz. Ders. 


Masern-Bacillns. Als Krankheitserreger der Masern glauben die Assi¬ 
stenzärzte des städtischen Krankenhauses za Moabit, Dr. P. Canon und Dr. 
W. Pielicke einen spezifischen Bazill gefunden zu haben. Nach ihrer Mit- 
theilnng in Nr. 16 der Berliner klinischen Wochenschrift konnte dieser Bazill 
stets im Blute der von ihnen untersuchten Masemkranken (14) nachgewiesen 
werden. Er zeigt unter dem Mikroskop in Bezug auf Grösse und Form ein sehr 
wechselvolles Verhalten; kurze oder lange Stäbchen, bald gerade, bald gekrümmt, 
mitunter auch von kokkenähnlicher Gestalt, einzeln oder auch als Doppelbazillen 
oder Diplokokken ähnlich (bei der kleinsten Form) auftretend. Auch das Ver¬ 
halten des Bazille gegen Farbstoffe — die Färbung geschah mit Methylenhlau- 
Eosinlösung — ist ein ungleichmässiges. Die Bazillen wurden während des 
ganzen Verlaufes der Masern gefunden, in einem Falle noch 3 Tage nach der 
Entfieberung. Sie lagen stets ausserhalb der rothen wie der weissen Blutkör¬ 
perchen frei im Blutserum. Der Form nach gleiche Bazillen fanden sich auch 
im Auswurf, Nasenschleim und Angenbindehant-Sekret der Masemkranken. Auf 
den gewöhnlichen künstlichen Nährböden wie Gelaltine, Agar-Agar ist eine Züch¬ 
tung des Bazills auch bei Modifikation des Verfahrens nicht gelungen; wohl aber 
in Fleischwasserbouillon, jedoch ohne eine wirkliche Reinkultur mit Sicherheit 
zu erzielen. Jedenfalls wird der angebliche Mascrabazill noch sehr der weiteren 
Forschung und Prüfung bedürfen, ehe er als solcher anerkannt werden kann. 

- Rpd. 

Zur Fürsorge für Epileptische. Von Dr. Wildermuth. Jahres- 
sitzung des Vereins der deutschen Irrenärzte zu Weimar. September 1891. 

Am geeignetsten hält Wildermuth die Errichtung grosser Anstalten, 
in welchen heilbare und unheilbare, geistig normale und nicht normale, jugend¬ 
liche und erwachsene Kranke so verpflegt werden, dass man den einzelnen nach 
Alter und Krankheitsform sich ergebenden Gruppen durch Errichtung einzelner 
Abtheilnngen in möglichst individualisirender Weise gerecht wird. Es würden 
sich folgende Abtheilnngen ergeben: 

1. Abtheilung für jugendliche, anterrichtsfähige Kranke; 

2. Abtheilung für gewerblich beschäftigte Kranke mit getrennten Sek¬ 
tionen für erwachsene und halberwachsene Kranke; 

3. Ockonomiegebäude für landwirthschaftlich thätige Epileptische; 

4. Irrenabtheilung für chronisch geisteskranke und verblödete Epileptische 
mit Raum für Unterbringung transitorisch-irrer Epileptischer nnd einer Ab- 
theUung für blöde epileptische Kinder. 

Durch Errichtung einer Irrenabtheilung in Verbindung mit einer freiere 
Verpflegungsform darbietenden Epileptikerkolonie würde dem Missstand abge¬ 
holfen, dass Kranke, welche den grössten Theil des Jahres geistig annähernd 
normal sind, wegen kurzer und seltener Paroxysmen gefährlichen Irreseins lebens¬ 
lang in geschlossenen Anstalten intemirt werden müssen. 

Ferner betont Wildermuth die Möglichkeit, ja die Zweckmässigkeit, 
die Fürsorge für Epileptische mit denjenigen für Idioten in grösseren Anstalten 
zu vereinigen; irre und verblödete Epileptische können mit blödsinnigen, arbeits¬ 
unfähigen Idioten in gemeinsamer Irrenanstalt nntergebracht werden; ebenso 
könnte das Oekonomiegebäude nnd das Haus für gewerblich thätige Kranke beider 
Kategorien gemeinsam sein. Dagegen wären schulpflichtige Epileptische und 
Idioten in besonderen Gebäuden unterzubriugen. Als absolut nöthiges Postulat 
ist aufzustelleu, dass die Leitung dieser Asyle ganz in der gleichen Weise in 
ärztliche Hände gelegt wird, wie in Irrenanstalten. Dr. S. Kalischer. 


Ueber die öffentliche Fürsorge für Idioten. Von Dr. Kurella. 
Vortrag im Verein Ostdeutscher Irrenärzte. Breslau, Dezember 1891. Central¬ 
blatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie. Februar 1892. 

Eine Idiotenstatitik existirt für Preussen nicht, jedoch ergiebt die Statistik 
der Irren und Idioten in Württemberg, im Kanton Zürich, in den rassischen 



230 


Kleinere Mittheiltmgen and Referate aas Zeitschriften. 


Ostseeprovinzen ond eine sorgfältige Z&hlang in Dänemark (1888—89) mit 
grosser Uebereinstimmang, dass ein SchwacMnniger aaf 5—600 Einwohner 
kommt. Fttr Schlesien würde das mehr als 8000 I^oten and Inbezille ergeben. 
Nnr ein Brachtheil dieser Gesammtzahl wird der Anstaltspflege bedürfen. Nach 
den Erfahrnngen in Württemberg, Hannover u. s. w. würde auf 3—4000 Ein¬ 
wohner ein zu hospitalisirender Idiot kommen. Eine Verbindung der Fürsorge 
fttr Idioten and Epileptiker hat nur innerhalb eines kleinen Bezirks seine Vor- 
zttge (in eine Anstalt); in grossen Bezirken scheint es gerathener für beide 
Kategorien gesondert za sorgen. Epileptische Kinder sind am besten in die 
Idioten - Bildungs - Anstalt zn schicken. Fttr die weitere Entwicklung der Idioten- 
Fürsorge würde eine öffentliche Erziehungsanstalt für schwachsinnige Kinder 
nothwendig sein. Gemeingeföhrliche oder sonst anstaltsbedttrftige erwachsene 
Idioten könnten nach wie vor in die Pflege • Abtheilungen und Siechen • Stationen 
der Irrenanstalten kommen. Die Idioten - Bildungs - and Erziehungs - Anstalt 
kann nur unter ärztlicher Leitung eine natargemässe Auffassung und Organi¬ 
sation ermöglichen. Nur der Kenner der Himpathologie kann den Idioten, d. h. 
den chronisch Himkranken mit seinen Folgeznständen verstehen, leiten und be¬ 
handeln. Eine Gründung besonderer fttr sich bestehender Idioten - Anstalten ist 
nicht unbedingt erforderlich. Eine Idioten - Anstalt von bescheidenem Umfange 
lässt sich sehr wohl an die eine oder andere öffentliche Irren - Anstalt anschliessen, 
wie z. B. in Dalldorf, in Bicötre etc. Erwachsene und absolut bildungsunfähige 
jugendliche Idioten aber könnten wie bisher auch in Zukunft in den Pflege- 
abtheilungen der Irrenanstalten versorgt werden. Ders. 


Die Geburten, Eheschliessnngen und Sterbefälle im preussischen 
Staate während des Jahres 1889. 

Nach den Veröffentlichungen des statistischen Bureaus 
(Heft 112und 114) betrug die Zahl der Geborenen 1136588 = 38,4 auf das 
Tausend der nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung fttr 1889 berechne¬ 
ten Ortsanwesenden. Unter den Provinzen traten Westpreussen undTosen durch 
hohe, Hannover, Schleswig-Holstein, He.ssen - Nassau und Hohenzöllem durch 
niedrige Geburtsziffern hervor. 

Von den Geborenen waren dem Ge schlechte nach 61,3*’/o männlich und 
48,7®/o weiblich, der Lebensfähigkeit nach 96,4*/„ lebendgeboren und3,6“/o 
todtgeboren, dem Familienstand nach 90,8®/,, ehelich und 9,2®/o unehelich. 
Uneheliche Geburten sind in den Städten nach langjährigen Beobachtungen 
erheblich — um etwa 2 */« aller Geburten — häufiger als auf dem platten Lande. 
In neuerer Zeit hat der Antheil der unehelichen Kinder an der Gesammtzahl 
der Geborenen zugenommen, doch bestehen in den einzelnen Landestheilen in 
Bezug hierauf sehr grosse Verschiedenheiten. So bezifferte sich der Prozentsatz 
der unehelich Geborenen in den Provinzen Westfalen und Rheinland auf 2,6 bezw. 
3,7 ®/o, während Berlin mit 12,9 */, alle andern Provinzen weit überragte und 
nur von den Regierungsbezirken Stralsund mit 13,8 ®/o, Breslau mit 13,5 ®/o und 
Liegnitz mit 13,4®/, ttbertroffen wurde. Unter den Regierungsbezirken batte 
Münster mit 2,1®/,, die niedrigste Verhältnisszahl unehelicher Geburten, dem¬ 
nächst Arnsberg mit 2,4®/,. 

Die Zahl der Mehrlingsgebarten belief sich auf 14509, darunter 
14355 Zwillings-, 151 Drillings- und 3 Vierlingsgeburten. 

Die Geburten nach Monaten: Die meisten Geburten ereigneten 
sich im September, demnächst im März, die wenigsten im Juni und Juli. 

Ebeschliessnngen fanden 240 996 statt; es entfielen somit 8,1 auf 
1000 Einwohner. 

Dem Familienstande nach waren unter den Ehcschliessenden männlichen 
Geschlechts: 87,9®/, Junggesellen, 11,3®/, Wittwer und 0,8®/, geschieden; von 
den Eheschliessenden weiblichen Geschlechts: 92,1 ®/, Jungfrauen, 7,1 ®/o Wittwen 
und 0,8®/, geschieden. 

Von den eheschliessenden Männern hatten nur 0,7®/, das zwanzigste 
Lebensjahr noch nicht vollendet, während das bei den eheschliessenden Frauen 
mit 8,14®/, der Fall war; ferner heiratheten mehr Frauen von über 20 bis 30 
Jahren als dergleichen Männer (73,5®/, gegen 69,4®/,), hingegen waren in allen 
weiteren Altersklassen die Männer weit stärker vertreten als die gleichaltrigen 
Frauen. Hieraus folgt, dass die Personen weiblichen Geschlechts bei der Ehe- 



Kleinere Mittheilnngen nnd Referate aus Zeitschriften. 


23t 


Schliessung durchschnittlich jttnger sind, als die des männlichen, jedoch ist der 
Altersunterschied nicht so gross, wie man vielleicht annehmen könnte. Es be¬ 
trug beispielsweise das durchschnittliche Heirathsalter nach einer besonderen, für 
den ganzen Staat nnd die Jahre 1881 bis 1886 voigenommenen Auszählung bei 
den Männern 29,49, bei den Frauen 26,27 Jahre. 

Die Zahl der Gestorbenen einschliesslich der Todtgeborenen betrag 
724803, darunter 52,7 männlichen und 47,3 '*/o weiblichen Geschlechts; auf 
tausend Einwohner kamen 24,5 Sterbefälle; die Todtgebnrten ausgeschlossen 
jedoch nur 23,1 gegenüber 29,9®/oo im Vorjahre. Der Ueberschuss der 
Geborenen über die Gestorbenen stellt sich auf 13,9 ®/oo. 

Schlesien, welches schon seit einer Reihe von Jahren eine hohe Sterblich¬ 
keit zu verzeichnen hat, stand mit allen drei Regierungsbezirken, vornehmlich 
aber mit Breslau, obenan; demnächst folgten Hohenzollem und Berlin, da¬ 
zwischen die Regierungsbezirke Potsdam nnd Köln. Die kleinsten Sterbeziffern 
hatten, vrie früher, die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau 
nnd Pommern, von den Regierungsbezirken Anrich, Osnabrück, Köslin nnd Lüne¬ 
burg anfznweisen. 

Alter der Gestorbenen: Von den Sterbefällen mit Ausschluss der 
Todtgeburten betrafen 33,2®/o oder fast genau ein Drittel Kinder im ersten 
Lebensjahre, nnd zwar war der Antheil derselben in den Städten mit 34,1 ®/o 
wie früher grösser als auf dem platten Lande mit 32,6®/o. Die grösste Verhältniss- 
zahl hatte unter den Provinzen Berlin mit 40,6 ®/o, demnächst folgten Branden¬ 
burg mit 39,8 ®/o, Westpreussen mit 39,5 ®/o, Posen mit 37,2 ®/o und Schlesien mit 
36,8 ®/o. Die gtbstigsten Verhältnisszahlen bezüglich der Kindersterblichkeit 
hatten die Provinzen Hessen - Nassau mit 22,3 ®/o, Hannover mit 23,9®/«, und 
Westfalen mit 26,3®/«. Im Allgemeinen war wie früher die Sterblichkeit der 
Säuglinge im Osten des Staats grösser als im Westen. 

Nahezu die Hälfte (49,5®/«, aller gestorbenen männlichen Personen waren 
Kinder im Alter bis zu 5 J^en. Bei d^en Gestorbenen weiblichen Geschlechts 
war dieses Verhältuiss etwas geringer (46,2 ®/o), aber es starben hier ans den 
nächsten beiden Altersgruppen, von über 5 bis 15 Jahren, mehr als bei dem 
männlichen Geschlechte (5,8 ®/o: 5,0 ®/«). Das männliche Geschlecht stellte zu den 
im Alter von über 15 bis 25 Jaturen Gestorbenen verhältnissmässig ein grösseres 
Kontingent als das weibliche (4,2 ®/o: 3,9 ®/«) Die nun folgenden Altersklassen 
von über 25 bis 35 Jahren waren unter den Frauen mit 4,9®/« stärker vertreten 
als unter den Männern mit 4,5®/«, während letztere wiederum im Alter von über 
35 bis 60 Jahren verhältnissmässig mehr Abgang (15,7 ®/o) als die Frauen (14,1 ®/«) 
hatten. In allen höheren Altersldassen waren die Verhältnisszahlen für die ge¬ 
storbenen weiblichen Personen grösser als für die männlichen (25,1®/«: 21,1®/«) 
— bekanntlich eine Folge der grösseren Langlebigkeit der über 50 Jahre alt 
gewordenen Frauen. 

Die Sterhlichkeit nach den Monaten: Die meisten Todesfölle 
ereigneten sich im Juli, die wenigsten im September, demnächst im November 
und Oktober. 

Was die einzelnen Todesursachen anbetrifft, so sind „angeborene 
Lebensschwäche®, „Atrophie der Kinder“, „Altersschwäche“, „Wassersucht“, 
„andere Lungenkrankheiten“, schon seit 1886 und seit noch früherer Zeit von 
Jahr zu Jahr seltener verzeichnet worden. Ebenso hat seit 1885 die Zahl der 
im Kindbett verstorbenen Frauen ununterbrochen abgenommen, dagegen 
haben einige Infektionskrankheiten, namentlich Typhus, Diphtherie, Schar¬ 
lach, Masern, deren allmähliche Abnahme bis zum Jahre 1888 festgestellt 
worden war, im Jahre 1889 wieder häufiger zum Tode geführt. Denn es stieg 
die Zahl der Todesfälle an 

Unterleibstyphus . von 6 730 = 0,23 “/«« der Bevölkerung auf 7 093 = 0,24 ®/«« 
Diphtherie u. Croup „ 38519 = 1,33 „ „ „ „ 40814 = 1,38 „ 

Masern.„ 8 248 = 0,28 „ „ „ »9 380 = 0,32 „ 

Scharlach. . . . „ 6691=0,23 „ „ „ „ 7749 = 0,26 „ 

Auch die Zahl der Todesfälle an Alkoholismus und Syphilis, sowie 
an Herzkrankheiten nnd Nierenkrankheiten hat gegenüber dem Vor¬ 
jahre zugenommen. Eine stetige Zunahme der Todesfälle zeigt sich ferner schon 
seit einer Reihe von Jahren beim Krebs, bei Skropheln (nnd Bhachitis), 
sowie bei derLuftröhrenentzündung (nnd Lungenkatarrh). 



232 


Besprechungen. 


Die erheblichste und für das Ansteigen der Gesammtsterblichkeit ent¬ 
scheidende Zunahme der Todesfälle ist im Jal^ 1889 aber bei der Cholera uustras 
und der Diarrhoe der Kinder zu Tage getreten. 

Von je 1000 Personen starben: in den 

Gross- Mittel- Klein- Land¬ 
städten Städten Städten gemeinden 

an Tuberkulose. 142,0 137,0 123,0 114,0 

„ Skropheln und der Rhachitis . . 6,3 5,2 4,1 3,6 

, Diphtherie (und Croup) .... 37,0 57,7 50,9 67,2 

„ Masern. 13,2 8,7 11,3 15,4 

„ Scharlach. 9,9 9,7 10,9 12,0 

„ Unterleibstyphus. 7,7 12,7 11,5 10,2 

„ Altersschwäche. 36,2 57,8 103,0 122,0 

, Krebsleiden. 30,5 28,6 21,5 14,1 

durch Selbstmord. 10,5 9,0 8,1 6,2 

„ Verunglückung ....... 12,3 18,6 16,6 18,4 

Hiernach waren Tuberkulose, Skropheln, Krebsleiden und Selbstmord in 
den grösseren Städten eine häufigere Todesursache als in den kleinen Städten und 
auf dem Lande, dagegen haben Diphtherie, Scharlach und Masern auf dem 
Lande öfter als in den Städten zum Tode geführt. Unterleibstyphus ist am 
meisten in den Mittelstädten, Altersschwäche weitaus am häufigsten auf dem 
Lande als Todesursache genannt. 

Todesfälle im Kindbett waren, wie im Vorjahre, verhältnissmässig 
häufiger auf dem Lande als in den grösseren Städten, denn auf je 1000 lebend- 
oder todtgeborene Kinder kamen: in den Gross- und Mittelstädten 3,0 bezw. 2,9, 
in den Kleinstädten und auf dem platten Lande 3,7 bezw. 4,8 im Kindbett ge¬ 
storbene Wöchnerinnen, und von je 1000 Todesfällen weiblicher Personen im 
Alter von 20—50 Jahren waren auf dem Lande 123, in den Städten nur 66 im 
Wochenbett erfolgt. 


Besprechungen. 

Dr. W. Praussnitz, Privatdozent an der Universität und der tech¬ 
nischen Hochschule in München: Grundzüge der Hygiene 
für Studirende an Universitäten und technischen Hochschulen, 
Aerzte, Architekten und Ingenieure. Mit 137 Original-Abbil¬ 
dungen. München und Leipzig 1892. Verlag von J. F. L e h m a u u. 

Die Aufgabe, die gesammte wissenschaftliche Hygiene in kurzer Form zur 
Darstellung zu bringen, hat der Verfasser in vorzüglicher Weise gelöst. In 
17 Kapiteln behandelt das Büchlein die Mikroorganismen, die Luft und Kleidimg, 
Bäder, Boden, Wasser, Wohnung, Heizung, Ventilation, Beleuchtung, Abfall¬ 
stoffe, Leichenbestattung, Krankenhäuser, Schulhygiene, Ernährung, Infektions¬ 
krankheiten und die Gewerbehygiene. 

137 schematische Abbildungen erleichtern das Studium des Inhaltes. Unter 
„Boden“ wird die Pettenkofer’sche Theorie über das Auftreten von Epide¬ 
mien, abhängig von einer örtlichen und zeitlichen Disposition einer näheren 
Besprechung unterzogen und auf die vermittelnde Richtung der Untersuchungen 
von Hüppe über den Cholerabacillus hingewiesen. In gleicher Weise ist die 
Trinkwassertheorie und die Pettenkofer’sche Ansicht erörtert. Es ist diese 
objektive Behandlung der Sache um so mehr anzuerkennen, als man nicht in 
allen Arbeiten der Münchener Schule diese Objektivität findet. — Die Differenz 
der Kontagionisten und Lokalisten wird unter Cholera nochmals einer näheren 
Erörterung unterzogen, — Die spezielle Gewerbehygieue ist etwas sehr kurz 
abgehandelt und dem Eindringen der Infektionskeime in den Körper der Arbeiter 
gegenüber dem des Staubes als solchen eine zu geringe Würdigung gegeben. 
— Unter Ernährung wird das nähere Eingehen auf die hygienische Bedeutung 
der Schlachthäuser vermisst; desgleichen wäre ein Kapitel über die hygienische 
Bedeutung des Sonnenlichtes sehr zu wünschen. Im Uebrigen möge das vor¬ 
zügliche Buch eine wohlverdiente Verbreitung finden. 

T)r. Overkamp- Wareudorf. 










Tagesnaehritditen. 


2a3 

Dr. A. Ripperger: Die Influenza. Ihre Geschichte, Epidemolo- 
gie, Aetiologie, Symptomatologie und Therapie, sowie i^e Kom¬ 
plikationen und Nachkrankheiten. Mit 4 Tafeln und ausführ¬ 
lichem Verzeichniss der einschlägigen Literatur. München 1892. 
Verlag von J. F. Lehmann. Gross 8®; 352 S. 

Das Bach behandelt im I. Theil die Geschichte der Influenza und die 
nähere Beschreibung von 40 verschiedenen Epidemien vom Jahre 1387 bis zur 
Neuzeit. 

Der n. Theil den B^iff und das Wesen der Influenza, ihre Verbrei- 
tungsweise, Aetiolo^e und die diesbezüglichen bakteriologischen Untersuchungen, 
ferner die pathologisohe Anatomie, die Diagnose und Therapie, sowie die Pro¬ 
phylaxis. 

Ein Yerzeichniss der riesig angewachsenen Literatur ist beigegeben. Den 
Medizinalbeamten, die ja in nächster Zeit wiederum über die iu i£rem Kreise 
aufgetretene Influenza-Epidemie zu berichten haben, mag das Buch ganz beson¬ 
ders empfohlen werden. Ders. 

Dr. Ignatz Mair, Bayer. Bezirksarzt: Gerichtlich-medicini- 
sche Kasuistik der Kunstfehler. I. Abtheilung: Chirurgie. 
Neuwied 1892. Verlag bei Heuser. Gross 8®; 86 Seiten. 

Das vorliegende Werk, dass als erste Abtheilung der in Aussicht gestell¬ 
ten Sammlung die Chirur^e behandelt, ist „für Aerzte, Staatsanwälte, Achter 
und Bechtsanwälte epikritisch behandelt“. Es soll die bisher in der deutschen 
Literatur veröffentlichten Fälle ärztlicher Unglücke und von Aerzten begangener 
fahrlässigen Tödtnngen und Körperverletzungen zusammenfassen. Der Werth 
eines solchen Sammelwerkes wird zum grossen Theile davon abhängen, dass die 
Uber die Kunstfehler vorhandene Literatur möglichst vollständig gebracht wird. 
In diesem Falle würde das Werk für den begutachtenden Arzt eine gute Handhabe 
bieten, tbeils um sich schnell und sicher über den Gegenstand zu orientiren, 
theils um sich mit bereits ergangenen Urtheilen in ähnlichen Fällen bekannt zu 
machen. Man wird also mit dem endgiltigen Urtheile bis nach dem Erscheinen 
sämmtlicher Abtheilungen warten müssen. Indessen muss schon jetzt hervorge¬ 
hoben werden, dass der Verfasser den Stoff etwas übersichtlicher hätte anreihen 
können. Durch eine Zusammenfassung zusammen gehörender Fälle zu einzelnen 
Gruppen wäre dies leicht möglich gewesen; auch wäre es angezeigt gewesen, 
die ärztlichen Betrachtungen gegenüber den richterlichen Erkenntnissen durch 
den Druck hervorzuheben. 

Dr. Israel - Medenau (O.-Pr.) 


Tagesnachrichten. 

Berichterstattung Uber medizinische Kongresse u. s. w. in politi¬ 
schen Blättern. Der Geschäftsansscbuss des XI. Kongresses für innere 
Medizin hat unter dem 12. April d. J. nachstehendes Rundschreiben an die 
grösseren politischen Blätter gesandt; 

„Es ist während der letzten Jahre eine für die ärztliche Wirksamkeit 
und das Publikum gleich schädliche Gewohnheit eingerissen, in den politischen 
Blättern mit grosser Liebe und Ausführlichkeit ärztliche Dinge, namentlich 
brennende medizinische Tagesfragen zu behandeln. Da solche ^ttheilungen 
aus Fachkreisen nicht immer genügend objektiv, von Seiten laienhafter Beri^t- 
erstatter ungenau oder selbst völlig missverstanden in die Oeffentlichkeit ge¬ 
bracht werden, so erreichen sie das Gegentheil von dem, was sie sollten: Zweifel, 
Misstrauen, ja höchste Beunruhigung. 

Das Geschäftskomit^ des Kongre.sses für innere Medizin hat sich daher 
entschlossen, diesem offenbaren Missstande nach Kräften zu steuern und an die 
so wirksame Unterstützung einer einsichtigen Presse zu appelliren. 

Das für gebildete Laien Wissenswerthe aus den Verhandlungen des Kon¬ 
gresses soll auch fernerhin der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten, aber nur von 



234 


Tagesnachrichteil. 


Sachverständigen aufgenommen und sorgfältig auf seine Bestimmung geprüft, 
den Tagesblättem auf Verlangen kostenfrei überlassen werden. Andere als die 
zu diesem Zwecke vom Komit6 eigens ernannten Berichterstatter werden dem¬ 
gemäss zu den wissenschaftlichen Sitzungen nicht zngelasscn. Das Geschäfts- 
komit^ des Kongresses wird die Durchführung dieser für alle Theile nützlichen 
Massregel streng im Auge halten. So wie man einerseits verhindern wird, dass 
die Verhandlungen durch unberufene Laien aufgenommen werden, würde man 
es anderseits als Reklame betrachten und behandeln, wenn, wie dies leider früher 
geschah, Aerzte über ihre eigenen Vorträge in andern als Fachzeitschriften Refe¬ 
rate brächten. 

Dass die Berichterstatter der medizinischen Zeitschriften von dieser Ein¬ 
richtung nicht berührt werden, bedarf nach dem vorher Mitgetheilten kaunt 
nochmals ausdrücklicher Erwähnung. 

Diejenigen verehrlichen Redaktionen, denen unser für die Tagesblätter 
bestimmter Bericht erwünscht ist, werden gebeten u. s. w.!“ 

Dieses dankenswerthe Vorgehen des Geschäftsausschusses kann man nur 
mit Freuden begrüssen. Hoffentlich findet dasselbe audi bei wissenschaftlichen 
medizinischen Verhandlungen anderer Vereine und Kongresse Nachahmung! 


In Bezug auf unsere frühere Mittheilung in Nr. 3, S. 75 der Zeitschrift 
über die Prüfung der Fleischbeschaner im Regierungsbezirk Pose n wird uns 
von zuständiger Seite mitgetheilt, daas fernerhin die Kreisphysiker wieder wie 
früher die sich bei ihnen meldenden Personen als Fleischbeschaner anszubilden 
und zu prüfen haben. Dieselbe Berechtigung ist aus rein örtlichen Gründen 
den Kreisthierärzten eingeränmt und sind diesen aus demselben Grunde auch die 
Nachprüfungen, die übrigens kostenlos zu geschehen haben, übertragen worden 
Der Befund einer im Vergleiche zu anderen Bezirken nnverhältnissmässig grossen 
Anzahl von trichinösen Schweinen, — im Jahre 1S88 kam z. B. 1 trichinöses auf 
202, 1889 auf 207, 1890 auf 264 und 1891 auf 243 untersuchte Schweine — und 
die Feststellung der Trichinose bei relativ vielen Menschen (1889 bei 8,1890 bei 
16 und 1891 sogar bei 21 Menschen, von denen vier gestorben sind) rechtferti¬ 
gen die Forderung einer unausgesetzt schärferen Beaufsichtigung des durch die 
Ungunst der dortigen Verhältnisse anf dem Lande — sowohl hinsichtlich der 
Zahl als auch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit — mangelhaften Fleisch- 
schanpersonals. Die Kreisthierärzte erschienen für diese aussergewöhnlichc 
und kostenlose Aufsicht desshalb geeigneter, weil sie Dank der Thierseuchen¬ 
gesetzgebung häufiger Dienstreisen zu machen und die einzelnen Ortschaften 
zu besuchen in der Lage sind, als die Kreisphysiker. Letztere sind gleich¬ 
wohl von der Aufsicht im Fleischschauwescn gemä.ss der jetzt erlassenen 
Instruktion zur Ausführung der Fleischschan nicht ausgeschlossen, sondern 
ausdrücklich angewiesen, alle Unzuträglichkeiten, welche zu konstatiren sie 
Gelegenheit haben, zur Sprache und zur Abstellung anf dem Dienstwege 
zu bringen. Sind somit den Kreispbysikern das Ausbildnngsrecht und die 
Aufsichtspflicht Uber die Fleischschau, soweit sie bei der Art der Einrichtung 
ihrer jetzigen Amtsstellung dazu wirklich in der Lage sind, belassen, so kann 
von einem Verdrängen derselben aus ihrer amtlichen Thätigkeit bezüglich 
der Fleischschan durch die Kreisthierärzte fernerhin nicht mehr die Rede 
sein. — Es liegt eine Theilung der Geschäfte unter den beiden Kategorien vor, 
welche unter den obwaltenden Verhältnissen des dortigen Bezirkes im Dienst¬ 
interesse erspriesslicb erschienen ist. 

In Stettin sollen kürzlich in amerikanischen Speckseiten angeblich 
lebende Trichinen gefunden sein. Das dortige Schauamt begründet diese 
Behauptung darauf, dass bei einzelnen in Deckglaspräparaten gefundenen Tri¬ 
chinen Bewegungen beobachtet sein sollen. Da indessen diese Begründung 
behördlicherseits für nicht stichhaltig erachtet worden ist, sind Proben trichiueu- 
haltigen Fleisches dem Reichsgesundheitsamte zu Fütterungsversuchen zugesandt 
worden, deren Resultate vorläufig noch ausstehen. 


Unter dem 23. März d. J. ist seitens des Herrn Ministers für Handel 
und Gewerbe eine neue Dienstanweisung für die Gewerbe - Anfsichtsbeamten 



Tagemaehhohteu. 


285 


— Regienuigd- und üewerberäthe, Gewerbe-Inspektoren und (tewerbe-Assisten- 
ten — erlaseen, aus der wir Folgendes eutnebinen: 

§. 1. Der Wirkungskreis der Gewerbe-Anfsichtsbeamten umfasst 
innerhalb der durch die jjjj. 189 b, 154, 154 a und 15ö der Gewerbe-Ordnuug 
bezeichneten Grenzen die Aufsicht über die Ausführung : 

1. der Vorschriften über die Sonntagsruhe mit Ausnahme der die Sonn¬ 
tagsruhe im Handelsgewerbe betreft'enden Bestimmungen 105 a bis 
105 h a. a. 0.), 

2. der Vorschriften über die den Gewerbe-Unternehmern auf Grund der 
§§. 120 a bis 1206 obliegenden Pflichten, 

3. der die Arbeitsordnungen betreflendeu Bestimmungen (§. 134 a bis 
§. 134 h), 

4. der die Beschäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter be¬ 
treffenden Bestimmungen (§. 135 bis §. 139 a). 

Den Gewerbe - Aufsichtsbeamten wird ferner als ständigen Beauftragten 
der Regierungs-Präsidenten (in Berlin des Polizei-Präsidenten) übertragen: 

5. die Beaufsichtigung derjenigen Anlagen, welche den Bestimmungen des 
§. 16 der Gew^erbe-Ordnung und seiner Ergänzungen unterliegen, 

6. in den ihrer Zuständigkeit unterstehenden Betrieben die Aufsicht über 
die Ausführung der die Arbeitsbücher und Ztnignisse (§. 107 bis t}. 113), 
sowie die Lohnzahlung (S. 115 bis 119 a) betreftenden Vorschriften. 

§. 6. Die Gewerbe - Aufsichtsbeamteu sollen in dem ihnen zugewiesenen 
Wirkungskreise in Ergänzung der den ordentlichen Polizeibehörden obliegenden 
Thätigkeit für eine möglichst vollständige und gleiehmässige Durchführung der 
Bestimmungen der Gewerbe4)rduung und der auf Grund ihrer erlassenen Vor¬ 
schriften Sorge tragen. Dabei sollen sie ihre Aufgabe vornehmlich darin suchen, 
gestützt auf ihre Vertrautheit mit den gesetzlichen Bestimmungen, ihre tech¬ 
nischen Kenntnisse und amtlichen Ertährungen, durch sachverständige Berathung 
und wohlwollende Vermittlung eine Regelung der Betriebs- und Arbeitsverhält¬ 
nisse herbeizuführen, welche, ohne dem Gewerbeunternehmer unnothige Opfer 
oder zwecklose Beschränkungen aufzuerlegen, den Arbeitern den vollen durch 
das Gesetz ihnen zugedachten Schatz gewährt und das Publikum gegen gefähr¬ 
dende und belästigende Einwirkungen sicher stellt. 

§. 7. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben haben sich die Ge werbe-Aufsichts¬ 
beamten durch fortlaufende Besichtigungen der ihrer Aufsicht unterstellten An¬ 
lagen von dem Zustande und Betriebe derselben eingehende Kenntniss zu ver¬ 
schaffen und sich ein Urtheil darüber zu bilden, ob und inwiefern die Durch- 
führoDg bestehender Vorschriften auf Hindernisse stösst, die ihre Abänderung 
erforderlich scheinen lassen, und ob und inwiefern allgemeine Missstände her- 
vortrelen, zu deren Beseitigung es des Erlasses neuer Vorschriften bedarf. 

Eine besondere Aufmerksamkeit haben sie zuznwenden: 

1. den Anlagen, deren wirksame Beaufsichtigung durch technische, bei 
den Organen der ordentlichen Polizeibehörden nicht vorauszusetzende 
Kenntnisse und Erfahrungen bedingt ist, 

2. den Anlagen, deren Betrieb mit besonderen Gefahren für Leben und 
Gesundheit der Arbeiter oder mit schädigenden und belästigenden Ein¬ 
wirkungen auf die Nachbarschaft verbunden ist, 

3. den Anlagen, deren Betrieb auf Grund der ?ä§. 138 a, 139 und 139 a 
der Gewerbeordnung eine besondere Regelung erfahren hat. 

Bei den den Bestimmungen des §. 16 der (bewerbe-Ordnung unterworfe¬ 
nen Anlagen haben sie darauf zu achten, ob für sie die erforderliche Genehmi¬ 
gung erwirkt ist und ob ihr Bestand und ihr Betrieb mit dem Inhalte der Ge¬ 
nehmigung und mit den vorgescliriebenen B^^dingungen übereinstiraint. 

§. 12. Mit den techni>cheu Beamten der Kreise (Kreisphysikns, 
Kreisbaumeister) haben sich die Gewerbe - Aufsichtsbeamten über die den 
amtlichen Wirkungskreis derselben berührenden Fragen ins Benehmen zu setzen. 
Halten sie in besonderen Fällen eine Mitwirkung dieser Beamten bei den von 
ihnen vorznnehmenden Besichtigungen für erforderlich, so haben sie ihre darauf 
gerichteten Anträge bei dem zu-tändig^-n Regierungs - Präsidenten anzubringen. 

§. 13. Bei den Verhandlungen über die Genehmigung gewerblicher Ari- 
Fagen fji. 16 ff. der Gewerbe-Ordnung) haben auf Ersuchen der Bezirksaiiasi'hü--'' 
alle Gvwerbe - Anfsi‘ ht'<beamten, auf Ersuch»m der Kn is- fSra»lt-) Au-s^ hüs-ie 



236 


Tagetmaohrichten. 


sowie der zuständigen Magistrate (kollegialischen Gemeinde-Vorstände) die Ge¬ 
werbe-Inspektoren and deren Assistenten mitznwirken; Das Gleiche gilt fttr die 
Letzteren hinsichtlich der Anlegung von Dampfkesseln (§. 24 a. a. 0.)> 


Die Tom Reichstage angenommene Novelle znm Krankenkassen - Ver- 
sichernngsgesetz hat die kaiserliche Genehmigung erhalten und' ist der Text 
des ganzen Gesetzes mit den Abänderungen unter dem 10. April d. J. im 
Beic^esetzblatte wie im Beiblatt zum Iteichsanzeiger vom 19. April d. J. be¬ 
kannt gemacht. Das Gesetz tritt in dieser Fassung am 1. Januar 1893 in Kraft. 


Um Erlass eines Verbotes der Anwendung körperlicher Zwangs¬ 
mittel bei der Impfnng waren beim Abgeordnetenhanse ^i 
Petitionen eingelaufen, über die der Abgeordnete Dr. Krause in der Sitzui^ 
vom 30. März d. J. Bericht erstattete. Zwei dieser Petitionen forderten die 
Aufhebung des Impfzwanges überhaupt und wurden diese, dem Anträge des Be¬ 
richterstatters gemäss, durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt. Betreffs 
der dritten, vom Pensionär Butterbrodt in Hildesbeim eingegangenen Petition 
beantragte die Petitionskomraission, diese der Königlichen Staatsre^erung zur 
Erwägung dahin zu überweisen, „ob nicht nach §. 18 des Reichsimpfgesetzes 
Zwangsimpfangen auf Grund der in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden 
Bestimmungen lediglich bei Ausbruch einer Pockenepidemie zulässig seien und 
bejahendenfalls, ob nicht in Zukunft in epidemiefreien Zeiten von solchen 
Zwangsimpfungen Abstand zu nehmen sei.“ Der Petent hatte sich darüber be¬ 
schwert, dass er im Jahre 1887 ohne vorherige Inkenntnisssetzung durch zwei 
Polizisten ins Gefängniss geführt, dort 8 Stunden lang festgehalten sei und 
während dieser Zeit seine 4 ältesten ungeimpften Kinder im Wege der Zwangs- 
impfung geimpft worden seien*). Dieses Verfahren entspricht nach Ansicht der 
Petitionskommission nicht den gesetzlichen Bestimmungen; denn das Reichsimpf¬ 
gesetz habe für die Durchführung des gesetzlichen Impfzwanges nur Strafen 
vorgesehen, aber keine Zwangsimpfung; die letztere sei nur bei Pockenepidemien 
zulässig, insoweit sic die Landesgesetzgebung überhaupt gestattet. Da aber die 
Königliche Staatsregierang auf dem von der Kommission nicht für richtig aner¬ 
kannten Standpunkt stehe, dass die Behörden auch ausserhalb der Pockenepide¬ 
mien zu solchen Zwangsimpfungen berechtigt seien und zwar desshalb, weil die 
Durchführung des Impfzwanges Sache der polizeilichen Funktionen sei und nach 
§. 133 des Landesverwaltungsgesetzes jede polizeiliche Massnahme im Wege des 
Zwanges ausgeftthrt werden könne, so erscheine eine nochmalige Erwägung dieser 
Angelegenheit im Sinne des Antrages der Petitionskommission dringend er¬ 
wünscht. Das Abgeordnetenhaus beschloss diesem Anträge gemäss. 


DiePreisbewerbung, betr. beste Konstruktion eines in Arbeiter¬ 
wohnungen zu verwendenden Zimmer-Koebofens, welche der Deutsche 
Verein für öffentliche Gesundheitspflege und der Verein zur Förderung des Wohles 
der Arbeiter „Concordia“ vor Jahresfrist ausgeschrieben hatte, hat nunmehr 
durch den Ausspruch der Preisrichter ihre Entscheidung gefunden. Durch diese 
ist der aasgesetzte Preis von 1000 Mark getheiit worden und hat den 

I. Preis von 600 Mark das „Eisenwerk Kaiserslautern* in 
Kaiserslautern für seinen eisernen Kochofen und den 
n. Preis der Töpfermeister W. Werneier in Berlin, Brunnenstrasse 96, 
für seinen Kachelofen 

erhalten. Ausserdem hat das Preisgericht eine „lobende Erwähnung* zuerkannt 
den Oefen von Ferdinand Hansen in Flensburg, „Holter Eisenhütte*, 
Schloss Holte in Westfalen, W. Ernst Haas & Sohn, Neuhoffhnngshütt« bei 
Sinn, Hessen-Nassau. 

In der Preisbewerbung für die beste Arbeit über Lüftung von Arbeiter- 
Wohnungen konnte von dem betr. Preisgericht keiner der 10 eingegangenen 
Arbeiten der Preis zuerkannt werden, da keine unter ihnen den gesteUten An¬ 
forderungen entsprach. 

*) Der Fall ist in Nr. 4 der Zeitschrift, Jahrgang 1888, Seite 120 ausführ- 
lich besprochen. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. C. C. Brunt, Buchdrucker«!, Minden. 



5. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892. 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

S:in.-Ralhu.Rerichtl.Stadtphysikus in Berlin. Reg.-uml .Modiziiialiatli iu AMimh n 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medixinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-liciTin. 


Verlag von Fischer's mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darcblaufende PetiUeile 45 Pf. nimmt die Yerlagshandlun^ und Bud. Mosse 

entgegen. 


No. 10. 


Kraeheint am 1. und 15. Jeden Monate, j ^ ^ • 

Preis Jährlich 10 Mark. i ^ O. iViai. 


Stellungnahme der Medizinalbeamten zu dem Wunsche des 
Berufsgenossenschafts-Verbandes, die Abgabe von Ober¬ 
gutachten und Einrichtung von Sachverständigen-Kollegien 

betreffend. 

Vortrag, gehalten im Verein der Medizinalbeamten des Regierungsbezirkes 
Stettin am 25. April 1892 von Ereispbysikas Dr. Freyer za Stettin. 

M. H.! Es ist Ihnen wohl zur Genüge bekannt, dass sich 
neuerdings unsere preusisschen Aerztekammern mit dem an sie er¬ 
gangenen Wunsche des Berufsgenossenschafts-Verbandes beschäftigt 
haben, eventuell aus ihrer Mitte Sachverständigen - Kollegien für 
die in Unfallsachen etwa erforderlichen Obergutachten zu errichten. 
Die Aerztekammern haben diesen Wunsch zunächst abschlägig be- 
schieden, weil sie auf Grund ihrer Organisation gar nicht befugt 
sind, einem solchen Anträge stattzugeben. Bei den gepflogenen 
Erörterungen jedoch haben sie die Nothwendigkeit, in einem Falle 
sogar die Dringlichkeit für diesen Wunsch anerkannt und den Be¬ 
rufsgenossenschafts - Verband bald an den Deutschen Aerzte-Ver- 
einsbund, bald an den Herrn Mediziualminister verwiesen. 

Auf die Sache selbst näher eingehend ist dann erörtert wor¬ 
den, ob die Aerztekammer überhaupt die geeignete Instanz wäre, 
solche Sachverständigen-Kollegien zu schaffen, da es hierbei doch 
im Wesentlichen auf eine klinische Beobachtung der Unfallverletz¬ 
ten anzukommen haben dürfte, abgesehen davon, dass die Aner¬ 
kennung solcher Kollegien durch die verschiedenen berufsgenossen¬ 
schaftlichen Instanzen noch immer fraglich bliebe. Es ist daher, 
wie z. B. von der ostpreussischen Aerztekammer, auf andere 
bereits bestehende Institutionen, insbesondere auf die staatlichen 
Kliniken und auf die Medizinal-Kollegien hingewiesen worden. In¬ 
dessen auch hierbei bestehen noch erliebliclie Schwierigkeiten uml 






288 


Dr. Preyer. 


Bedenken, So sehi* auch die klinischen Institute und deren Leiter 
zur Abgabe solcher Obergutachten für geeignet gehalten werden, 
so glaubte doch der Eegierungsvertreter der ostpreussischen Aerzte- 
kammer niclit, „dass die Regierung geneigt sein werde, an diese 
Herren mit dem entsprechenden Wunsche heranzutreten“, und in 
Betreff der Medizinal - Kollegien, meinteer, müssten jedenfalls 
wesentliche Aenderungen in dem Plane ihrer Thätigkeit stattfinden, 
wobei noch besonders hervorzuheben sei, dass nicht sämmtliche 
Spezialfächer unter den Mitgliedern eines Medizinal-Kollegs ver¬ 
treten zu sein pflegen, so dass erst Vertreter von Spezialfächern 
für entsprechende Fälle heranzuziehen sein würden. Immerhin 
jedoch sei nach seiner Meinung auf die Medizinal-Kollegien als die 
geeignetste Instanz hinzuweisen. (Ber. d. ostpr. Ae.-K.) 

In der schlesischen Aerztekammer wird ebenfalls von der 
Bildung solcher Sachverständigen-Kollegien durch die Aerztekammer 
abgesehen, dagegen darauf hingewieseii, dass die Berufsgenossen¬ 
schaften selber Sachverständigen-Kollegien schaffen sollten, und 
zwar nicht mit jener beschränkten und aushülfsweisen, sondern 
mit mehr dauernder Geschäftsthätigkeit, etwa in der Weise, dass 
nach Analogie der Lebensversicherungs - Gesellschaften a) ein 
Vertrauensarzt für einen bestimmten Bezirk kreii't würde, dem 
jeder Unfallverletzte thunliclist bald zur Begutachtung zuzuführen 
wäre, b) hieran angliedenid, eine zweite ärztliche Instanz eveut, 
von kollegalischer Zusammensetzung, der die Beurtheilung aller 
Vorgutachten und Erstattung von Obergutachten ständig zufiele. 
(^Ber. im ärztl, Ver.-Bl. Febr. 1892.) 

Vor Erledigung der Frage nach dem Obergutachten hält die 
rheinische Aerztekammer erst noch die Erledigung anderer 
Fragen für erforderlich, wie; 

1. die Stellung des Vertrauensarztes, sein Bezirk, seine Auf¬ 
gaben, seine Anstellung, seine Honorirung; 

2. Einsprüche gegen die Beurtheilung des Vertrauensarztes 
vor den Schiedsgerichten und dessen Anwesenheit bei den bez. 
Verhandlungen; 

3. Widerstreit der Ansichten des behandelnden Arztes und 
des Vertrauensarztes, Bildung von Konsilien; 

4. Einfluss auf die ärztliche Behandlung in den ersten 13 
Wochen, insbesondere auch in Bezug auf eine sachgemässe ärzt¬ 
liche Behandlung, Zuziehung von Spezialärzten, Ueberweisung an 
Krankenhäuser; 

5. Gründung von genossenschaftlichen Ki'ankenhäusem ; 

6. Feststellung der Erwerbseinbusse nach Prozenten seitens 
der Aerzte in ihi'en Gutachten; 

7. Aerzte als Mitglieder der Sektionsvorstände und des 
Reichs-Versicherungs-Amtes. (Aerztl. Vereins-Bl. ibid.) 

Schliesslich will ich noch erwähnen, dass mit Bezug auf die 
gewünschten Sachverständigen-Kollegien mehrfach auf die im König¬ 
reich Bayern bestehende Einrichtung hingewiesen wird, dass für 
den bahnärztlichen Dienst, im Falle sich zwei bahnärztliche 
Gutacliten widerspreclieu, oder sonst ein Obergutachten erforder- 



Stellnngnshme der Medizmalbeamten za dem Wansche etc. 


239 


lieh ist, zur Abgabe desselben eine aus 3 Mitgliedern bestehende 
bahnärztliche Kommission berufen werde, welche Einrich¬ 
tung sich dort auf’s glänzendste bewährt habe. 

Wenn ich nun, m. H., die Frage nach der Stellungnahme 
der Medizinalbeamten zu jenem Wunsche des Berufsgenossen¬ 
schafts-Verbandes hier aufgeworfen habe, so wird zunächst zu 
begründen sein, ob wir Medizinalbeamten überhaupt ein Interesse 
an der weiteren Entwicklung dieser Angelegenheit haben, und 
wenn dies der Fall ist, ob wir vielleicht geeignete Vorschläge in 
dieser Beziehung zu machen uns veranlasst sehen wollen. Denn 
wenn wir auch vor der Hand nach unserer Meinung nicht gefragt 
sind, so würde und könnte es ja der Genossenschaft nur erwünscht 
sein, weitere Vorschläge zu erhalten, nachdem sie bisher zu einem 
Definitivum noch nicht gelangt ist. 

Was unser Interesse zu dieser Angelegenheit betrifft, so ist 
dasselbe ein durchaus begründetes. Wir stehen gleich vielen nicht¬ 
beamteten Aerzten den Berufsgenossenschaften theils als Kassen¬ 
ärzte, theils als Vertrauensärzte nahe; ferner aber bilden wir in 
vielen Fällen von Unfallschädigungen schon gewissermassen eine 
zweite Instanz, sofern wir von den Schiedsgerichten der Berufs¬ 
genossenschaften, oft auch von letzteren selber, in streitigen Fällen 
als Gutachter oder vielmehr, da mindestens ein Gutachten ge¬ 
wöhnlich schon vorliegt, als Obergutachter zugezogen werden. In 
denjenigen Fällen also, welche der Berufsgenossenschaften-Verband 
für die event. zu begründenden Sachverständigen - Kollegien zur 
Oberbegutachtung im Sinne hat, würden der letzteren als der ev. 
noch höheren Instanz somit vielfach unsere Gutachten zu unter¬ 
ziehen sein. Wir haben also ein wohlbegrtindetes Interesse zu ver¬ 
folgen, wer die höhere Instanz nun bilden soll. 

Allein wenn wii* auch von diesem Egoismus sehr wohl ab- 
sehen und unser Gutachten getrost jeder besseren Einsicht, woher 
sie auch komme, überlassen können, so dürfte es doch angezeigt 
sein, auch unsererseits der Sache einmal näher auf den Grund zu 
gehen und zu prüfen, ob denn die Schaffung solcher Kollegien, 
wie sie dem Genossenschaften-Verbände vorschweben mögen, über¬ 
haupt nothwendig und, wenn dies der Fall, ob ihre Einrichtung 
nach den bisher gemacliten Vorschlägen auch praktisch sein dürfte. 

Die Nothwendigkeit, eine Institution zu haben, an die in 
zweifelhaften und schwierig liegenden Fällen appellirt werden kann, 
ist ohne Weiteres anzuerkennen, und da die Genossenschaften Zu¬ 
rückweisungen in dieser Beziehung thatsächlich erlebt haben, sc 
ist ihr Wunsch nach einer solchen Institution schon hierdurch ein 
berechtigter. Jedenfalls ist die prinzipielle Kegelung dieser An¬ 
gelegenheit zum Mindesten erwünscht. 

Gegen die bisher in Frage gekommenen Institutionen zur 
Bildung solcher Sachverständigen-Kollegien: die Aerzte-Kammeni, 
die Kliniken und die Medizinal-Kollegien, sind, wie Sie gehört, er¬ 
hebliche und, wie auch wir wohl beistimmen können, gerechte Be¬ 
denken geltend gemacht. 

Sollten die Aerzte-Kammern auch behördlicherseits mit 



240 


Dt. Freyer. 


der BefiigTiiss versehen werden, Sachverständigen - Kollegien im 
gedachten Sinne zu bilden, so würde, abgesehen von den bereits 
geltend gemachten Schwierigkeiten, insbesondere die Zusammen¬ 
setzung dieser Kollegien und die etwa nothwendige Beobachtung 
der Unfallverletzten in einer Krankenanstalt betreffend, zwar das¬ 
jenige erreicht werden, worin der Genossenschaften-Verband nach 
Brähmer’s Erläuterung zu dem Schreiben des Verbandes (Aerztl. 
Vereins-Bl. Okt. 1891, p. 396) den Schwerpunkt der beabsichtigten 
Institution sehen will, nämlich „dass die Obergutachten nicht von 
einem einzelnen Arzte, weder von dem Leiter einer Klinik, noch 
von einem Medizinalbeamten, noch von einem andern Arzte, son¬ 
dern von einem Kollegium von Aerzten abgegeben werden sollen, 
welche nach Art der wissenschaftlichen Deputation unter sich ab¬ 
stimmen“ ; ob man aber damit, wie dort erwartet wird, für die 
Unfallversicherung eine solche Autorität schaffen würde, wie sie die 
wissenschaftliche Deputation in Preussen in allen andern medizini¬ 
schen Fragen bildet, ist denn doch noch sehr fraglich. Noch 
weniger kann man, wie dort angenommen wird, als „selbstver¬ 
ständlich“ zugeben, dass „das Gutachten eines so zusammengesetz¬ 
ten Kollegiums die unbedingte Anerkennung der Schiedsge¬ 
richte und des Reichs Versicherungsamtes finden müsste.“ Die 
Gerichte vor Allem urtheilen nach derjenigen Ueberzeugung, die sie 
aus der Motivirung des Gutachtens selber zu gewinnen vermögen, 
und wenn ihnen die Autorität des Gutachters auch nicht ganz 
gleichgültig ist, so ist sie ihnen doch niemals unbedingt mass¬ 
gebend. 

Dasselbe wäre im Allgemeinen auch für die Medizinal- 
Kollegien zutreffend, falls diesen gleichzeitig die Rolle eines 
solchen Sachvei*ständigen-Kollegiums zufallen sollte. 

Bei den Kliniken endlich würde das Urtheü über den Fall 
wieder nur von einem Einzelnen gefallt werden, während die 
Genossenschaft ein Urtheil Mehrerer anstrebt, um das Bewusst¬ 
sein zu haben, dass der Fall, dessen Entscheidung eine möglichst 
endgültige doch sein soll, nach allen Seiten hin seine reifliche 
Einwägung gefunden hat. 

Nach allen diesen Erwägungen komme ich auf die Vorschläge 
der schlesischen Aerztekammer zurück, die dahin gehen, dass die 
Berufsgenossenschaften selber solche Sachverständigen - Kollegien 
schaffen mögen und zwar nach der vorher angedeuteten Richtung 
hin. Es muss, wie ich soeben erwähnt habe, nicht so sehr auf 
die Autorität, als vielmehr auf die Sache selbst, auf die best¬ 
mögliche Erschöpfung des Falles ankommen. Eine solche 
Erschöpfung des Falles wird aber weniger leicht durch ein Kolle¬ 
gium mit, wie es dort heisst, beschränkter und aushülfsweiser 
Geschäftsthätigkeit herbeigeführt werden, als vielmehr durch ein 
solches, dessen Mitglieder durch ilire beständige und vielfache Be¬ 
schäftigung mit den Unfallsachen und durch die dadurch erlangte 
grössere Sachkenntniss die beste Garantie für die erforderliche 
Erschöpfung des Falles bieten. Es wird daher ein solches Kolle¬ 
gium besser und praktischer durch die langjährigen Veiirauens- 



Stellangnahrae der Medizinalbcamten zn dem Wunsche etc. 


241 


ärzte zusammengesetzt werden, ähnlich der bahnärztlichen In¬ 
stitution im Königreich Bayern, und es würde kaum Schwierig¬ 
keiten bieten, dass dieses Kollegium in Fällen, die eine Beobach¬ 
tung des Unfallverletzten in einer Krankenanstalt oder durch einen 
Spezialisten erheischen, sich den Vorsteher dieser Anstalt oder den 
betreffenden Spezialisten kooptirt. Der Vorsteher des Kranken¬ 
hauses oder der Klinik wird, zumal, wenn ihm das Lästigste an 
der Sache, die Schreiberei, abgenommen wird, sich voraussichtlich 
stets bereit finden lassen, die Beobachtung des Verletzten in seiner 
Anstalt und die Untersuchung desselben in Gemeinschaft mit einem 
oder zugleich mit mehreren Vertrauensärzten der Genossenschaft 
vorzunehmen. 

Nun heisst es in der Erläuterung von Brähmer weiter, 
dass die Berufsgenossenschaften, um dem Sachverständigen-Kolle- 
gium die Anerkennung aller Betheiligten, namentlich der arbeiten¬ 
den Klasse, zu sichern, besonders Werth darauf legen, dass die 
Zusammensetzung und Wahl des Kollegiums ihrem eigenen Ein¬ 
flüsse entzogen Weibe, um jeden Schein einer Parteilichkeit von 
sich fern zu halten. Mir will es nicht scheinen, dass diese Aengst- 
lichkeit begründet ist, zumal da es selbst bei peinlichster Aus¬ 
wahl der Sachverständigen allen Betheiligten wohl niemals recht 
gemacht werden wird. Will aber die Berufsgenossenschaft auch 
in dieser Beziehung noch ein Weiteres thun, so steht es ihr ja 
frei, wie sie es bereits im Einzelfalle vielfach thut, so auch zu 
diesem Kollegium einen Medizinalbeamten hinzuzuziehen. In 
dem Medizinalbeamten findet sie zunächst schon den Gutachter 
par excellence, der die gutachtliche Form beherrscht und der, wie 
in den schwierigen strafgerichtlichen Fällen, so auch in Fällen 
vorliegender Art, zumal an der Hand der klinischen und in Ge¬ 
meinschaft mit dem Leiter des Krankenhauses gemeinschaftlich aus¬ 
geführten Beobachtung und Untersuchung, es wohl verstehen wird, 
die gewonnenen Resultate objektiv und sachgemäss gutachtlich zu 
verarbeiten. In einem solchen Kollegium, bestehend aus dem 
Leiter einer Klinik oder eines grösseren Ki'ankenhauses, einem 
Medizinalbeamten und einem sonstigen Vertrauensärzte, dürfte wohl 
jede Garantie für Unparteilichkeit, aber auch eine genügende Ge¬ 
währ für eine ausreichende und event. endgültige Erschöpfung 
des betreffenden Falles gegeben sein.*) 

M. H.! Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass, falls Sie 
meinem Vorschläge, zu dem ich auf Grund obiger Erwägungen ge¬ 
langt bin, zustimmen, uns leicht der Vorwurf der Zudringlichkeit 


*) In seinem mir neuerdings zngegangenen Vortrage, „Bemerkungen zur 
Behandlung und Begutachtung der Unfallverletzten“ weist T h i e m - Cottbus, 
unter der Voraussetzung, dass Unfallkrankenhiiuser an dem Sitze der 
Verwaltung der Berufsgenossenschaften errichtet würden, auf die Bildung von 
Kommissionen hin, in denen, wie es dort heisst, Bevollmächtigte 
und technische Sachverständige der Berufsgenossenschaften 
theilnehmen könnten, und die bei den Entlassungen der Unfallverletzten 
ans diesen Krankenhäusern in Funktion treten sollten. Das dürfte, meine ich, 
nicht ausschliessen, dass zn den Mitgliedern auch dieser Kommissionen Medizi- 
nalbeajute gehörten. 



242 


Dr. Kühn. 


gemacht werden könnte, zumal da bis jetzt noch Niemand auf 
unsere etwaige Mitwirkung in den gewünschten Sachverständigen- 
Kollegien hingewiesen hat. Allein ich glaube, auf Grund rein 
sachlicher Erwägungen zu diesem Vorschläge, wenn mein Hin¬ 
weis bereits als Vorschlag genommen werden soll, gelangt zu sein. 
Wenigstens aber mag durch diesen Hinweis unsererseits bekundet 
werden, dass, falls die Berufsgenossenschaften nach ge¬ 
dachter Bichtung hin eine Instanz schaffen wollen, 
wir ihnen bereitwilligst zur Verfügung stehen. 


Allgemeine Anzeige- und Desinfektionspflicht bei pneumoni¬ 
schen Infektionen. 

Von Krcisphysikus Dr. Ad. Kühn iu Uslar. 

Je mehr sich unser Wissen über pneumonische Infektion ver¬ 
tieft, um so unbestrittener bleibt die Thatsache, dass wir in dem 
Sputum der Pneumoniker den Träger eines gefährlichen Krank- 
heitserrege»‘s vor uns haben. Vermittelst des Sputums wird der 
Fränkel’sche Pneumococcus während und nach der Krankheit des 
Pneumonikers in ganz ähnlicher Weise verbreitet, wie der 
Bacillus der Tuberkulose und der Diphtherie. Nach neueren 
Untersuchungen scheint der Diplococcus ausserhalb des Körpers 
eine verhältnissmässig sehr lange Zeit seine Entwicklungsfö-higkeit 
zu behalten. — Bordoni-Uffreduzzi (über die Widerstands¬ 
fähigkeit der pneumonischen Virus in den Auswürfen, Centralbl. 
für Bakt., Bd. X., Nr. 10) liefert den Nachweis, dass pneumoni¬ 
sches Sputum, auf Leinwandläppchen eingetrocknet und bei diffusem 
Licht im Zimmer aufbewahrt, sich nocli nach 55 Tagen infektions- 
fahig für Kaninchen erwies. Solche Beobachtungen weisen auf 
die Nothwendigkeit hin, die pneumonische Erkrankungsgruppe unter 
die Zahl jener Volkskrankheiten zu stellen, welche anmeldepflich¬ 
tig sein müssten, weil sie unbedingt Desinfektion erheischen. Es 
giebt ja genug Gegenden, in denen Witterungsverhältnisse, welche 
die an den Aufenthalt in freier Luft gewöhnten Menschen in ihren 
oft engen und luftarmen Wohnungen zurückhalten, alljährlich mehr 
oder weniger ausgebreitete Pneumonie-Epidemien zeitigen. Heute 
wissen wir, dass hohe Kältegrade, der so gefürchtete Nord- und 
Ostwind, Regenwetter etc. in solchen Zeiten nur desshalb das 
Ausbreiten der Pneumonien begünstigen, weil sie durch ein enges 
und längeres Zusammensein der Menschen in geschlossenen Wohn- 
und wenig gelüfteten Schlafräumen die Gelegenheit zur Ueber- 
tragung des pneumonischen Virus vermehren. Wir wissen ferner, 
dass die meisten Familien der durch Sonnenlicht und frischen 
Luftzug so leicht zu bewirkenden Vernichtung der Virulenz der 
Pneumokokken durch die Scheu vor Luft und Licht in solchen 
Krankheitsfällen entgegenarbeiten. Hier ist durch Belehrung 
wenig zu erreichen. Geholfen kann nur durch eine sanitätspolizei¬ 
liche Anordnung werden, welche Anmeldepflicht für die pneumo¬ 
nische Infektion, oder bleiben wir lieber heute noch bei den als 



Allgemeine Anzeige- und Desinfektionspflicht bei Pneumonie. 


248 


Pneumokokkeninfektion allgemein anerkannten Elrankheitsbildem, 
für die Pneumonie und Meningitis cerebrospinalis vorschreibt. Für 
letztere ist dies ja schon geschehen, für die alte Lungenentzündung 
leider noch nicht. Auch füi* Gegenden, in denen Pneumonie meist 
nur in Einzelfhllen vorkommt, kann eine derartige Verordnung 
nicht schaden. Handelt es sich doch auch bei den sporadischen 
Fällen immer um eine vermittelst des Auswurfs übertragbare In¬ 
fektionskrankheit, bei der nur zufällige Aussenverhältnisse die 
Grenzen der Ausbreitung bestimmen, wenn man den Träger des 
Infektionsstoffes unbeachtet lässt. 

Was den Umfang und Modus der Desinfektion bei pneumoni¬ 
schen Infektionen anlangt, so dürften sich hier ähnliche Be¬ 
stimmungen empfehlen, wie sie aus der Berliner Polizei Verordnung 
vom 8. Februar 1887, betr. Desinfektion bei ansteckenden Krank¬ 
heiten. bekannt sind. 


Statistischer Bericht der Unterrichtsanstalt für Staats¬ 
arzneikunde zu Berlin vom I. Februar 1890 bis Ende 

Dezember 1891. 

Von Dr. Carl Strecker, Assistenzarzt. 

(Schluss.) 

Den einen Fall von Mord (125) durch Erschiessen habe ich 
im Anschluss an Selbstmord durch Erschiessen bereits besprochen. 

Es folgen nunmehr diejenigen, die den Tod durch Verun¬ 
glücken erlitten haben: 

Von diesen 22 (126—147) Individuen war zunächst einer (126) 
erfroren aufgefunden. Es war die sein ca. 30jähriger Unbekannter, 
bei dessen Sektion sich weiter nichts Abweichendes vorfand als 
eine Hyperaemie der Lungen. 

An Erstickung war (127) ein ca. 5 Wochen altes Kind 
weiblichen Geschlechts zu Grunde gegangen, welches bei einer 
Auswandrerfamilie nach Angaben der Mutter in den Armen der¬ 
selben gestorben war. Wir fanden nämlich bei der Sektion Ecchy- 
mosen auf dem Perikard, auf dem Herzen und auf den stellenweise 
stark aufgebläliten Lungen. Spuren einer stattgehabten äusseren 
Gewalteinwirkung waren nicht vorhanden. 

Einen eigenartigen Befund ergab die Sektion einer 36jähr. 
Frau (128), die an einem heissen Sommertage beim Herauftragen von 
Wäsche auf den Boden auf dem Absatz der Treppe des dritten 
Stockes plötzlich umfiel und auf der Stelle verstarb. Wir fanden 
einen diffusen dünnen Bluterguss, der gleichmässig beide Hemi- 
sphaeren bedeckte; dabei bestand noch geringes Lungenoedem. 
Herz und insbesondere die Gefässe waren gesund wie auch alle 
sonstigen Organe. Es dürfte sich hier vielleicht um eine Form 
von Hitzschlag handeln. 

Durch Kohlenoxyd Vergiftung haben drei (129—131) Indivi¬ 
duen den Tod gefunden. Der eine (129) hatte auf einem Neubau 
übernächtigt und sollte an Herzschlag gestorben sein; bei dem 



244 


Dr. Strecker. 


zweiten (ISO) auf gleiche Weise Verstorbenen hatte man sofort 
den Verdacht auf Kohlenoxyd Vergiftung. Im dritten Falle (131) 
handelte es sich um einen Pennbruder, der auf einem Gehöft gegen 
Handreichungen im Heuboden schlafen durfte und gelegentlich 
eines daselbst ausgebrochenen Brandes bei den Aufräumungsarbeiten 
von Feuerwehrmannschaften als Leiche aufgefunden wurde. Es 
fanden sich wässrige Brandblasen unter dem linken Knie, trockene 
an beiden Füssen und der rechten Hand. Die linke Hand war 
bis auf die Knochen verkohlt. Das Gesicht war verrusst, die 
Kopfhaare verbrannt, der Rücken derartig verkohlt, dass die Haut 
stellenweise rissig geplatzt war. Verbrannt bis auf die tieferen 
Muskeln waren beide Oberschenkel an ihren vorderen Flächen, 
auch der Hodensack war verkolüt, ebenso wie auch der erigirte 
Penis. Die auf der Brust sichtbaren Leichenflecke waren hellroth, 
das Blut war kohlenoxydhaltig. Das Herz war mit Fett bewach¬ 
sen, ebenso fettreich war die Leber; die Nieren waren etwas blass 
und trübe. Die Luftwege waren vollständig mit Speisemassen 
verstopft. Der Vorgang war wahrscheinlich so, dass das Indivi¬ 
duum, nachdem es gespeist, sich ins Heu gepackt. Als nun das 
Feuer ausbrach, ist der Mensch durch den Kohlendunst zunächst 
betäubt worden, hat dabei die wässrigen Brandblasen erlitten, und 
ist bei dem in Folge der Betäubung eingetretenen Erbrechen durch 
das Hineingerathen der Speisemassen in die Luftwege erstickt. 
Dann mag wohl das Feuer noch weitere Zerstörungen erzeugt 
haben. 

Direkt durch Speisemassen erstickt sind drei Männer. (132 
bis 134). Der erste (132), ein 43jähriger Lumpensammler, war 
sinnlos betrunken nach Hause und ins Bett gebracht worden. 
Eine halbe Stunde darauf fand ihn die Wirthin todt. Man ver- 
muthete Herzschlag. Die Sektion zeigte, dass vom Kehlkopf an 
die Luftwege bis in die kleinsten Bronchien mit Speisemassen aus¬ 
gefüllt waren. 

Der zweite Fall (133) betraf einen 53jährigen Handelsmann, 
der in einem Lokal sich was zu essen hatte geben lassen und 
„in Folge eines Schlaganfalles ziirückfiel und alsbald verstarb“. 
Die Leiche hatte einen cyanotischen Kopf und befanden sich 
Fleischstückchen zwischen den Zähnen. Das Herz war voll dunkel- 
rothen, flüssigen Blutes, die Lungen waren hyperaemisch. In der 
Speiseröhre und auf dem Eingänge in die Luftröhre, in diese auch 
etwas hineinragend, fanden wir ein grosses Stück gekochten 
Fleisches. 

Der dritte Fall (134) war ein 41 jähriger Arbeiter, der in 
einer Droschke, in der er genächtigt, todt aufgefunden war. Das 
dunkelblaue Gesicht war mit Speisenmassen besudelt, Mund und 
Rachen damit vollgestopft, ferner bestand Lungenoedem mit Ec- 
chymosen. Das Herz war gross, stark mit Fett bewachsen, die 
Leber gross und fett, die Nieren geschrumpft. 

Den Ueliergang von Tod durch Erstickung zu dem durch 
äussere Gewalten bildet gewissermassen folgender Fall (135): 
Ein ca. 40jähriger Feilenhauer wollte einen 6 Fuss hohen, 



Statistischer Bericht d. Unterrichtsanstalt f. Staatsarzneiknnde zn Berlin etc. 245 


und ca. 35 Centner schweren Schleifstein, welcher an die Wand 
gelehnt war, mittelst eines Hebebaumes aufkippen, damit der¬ 
selbe gerollt werden konnte. Hierbei sclilug der Stein um und 
fiel auf ihn, wodurch der Tod auf der Stelle eintrat. Die Sektion 
ergab: Der Kopf war cyanotisch, sonst war die Leiche blass mit 
brünettem Teint. Kontusion am rechten Augenbogen mit spalt¬ 
förmiger 2 cm langer Hautwunde, Konjunktiven und Zahnfleisch 
mit Petechien dicht besetzt. Pupillen sehr weit. Aus den Nasen¬ 
öffnungen floss viel Blut. Der Brustkorb war eingedrückt; rechter 
Oberschenkel im zweiten Drittel gebrochen ohne Haut Verletzung, 
linke Tibia gebrochen im unteren Drittel. Hautabschürfungen an 
beiden Brustseiten, am rechten Arm und beiden Beinen, besonders 
an den Knöcheln. Bruch des Körpers des Brustbeins von links 
erst quer, dann nach unten verlaufend. Brüche sämmtlicher 
Rippen links und der 4.—7. rechts vorn, sowie der rechten sämmt- 
lich, ausser der 11. und der linken 8. am Augulus resp. in der 
Nähe des Halses. Bruch des linkon Schambogens bis zum Foramen 
obturatiorum. (Leichte linksseitige Skoliose). Kehlkopf voll Pete¬ 
chien und blutigen Schleimes, Trachea ganz voll blutigen Schaumes, 
ebenso die Bronchien bis in die feinsten Aeste. Lungen stark 
ausgedehnt, anaemisch. Dabei vrar die linke an der Basis im 
Unterlappen, die rechte an der Basis des Oberlappens und in der 
Nähe der Spitze des Mittellappens eingerissen. Viel Blut in den 
Brusthöhlen, ebenso im Herzbeutel, darin hinten ein perforirender 
Riss von hinten oben nach unten aussen, in der Nähe und oberhalb 
der Lungenvenen, dann noch ein paralleler nicht durchgehender (ent¬ 
sprechend der hinteren Wand des linken Ventrikels). Herz intakt. 
Die linke Lunge war vollkommen verwachsen, in der Luftröhre 
befand sich eine tief eingezogene Knorpelnarbe (Tracheotomie?). 
In der Bauchhöhle war etwas Blut. Milz intakt, die Nieren zeigten 
beide vom Chylus ausgehende Querrisse. Der re hte Leberlappen 
war in der Mitte von oben nach unten fast ganz durchgeborsten, 
oben war noch ein Riss von links nach rechts fast bis zum linken 
Lappen hinreichend. Gallenblase, Därme, Harnblase intakt, ebenso 
der Schädel. Gehirn wurde nicht sezirt. 

Des Weiteren beobachteten wir 6 Fälle (136—141) von 
U eberfahren wer den. 

Von der Bahn überfahren wurde ein 43jähriger Strecken¬ 
eisenbahnarbeiter (136); er hatte Schrunden ira Gesicht, einen 
Bruch des rechten Ellenbogenfortsatzes, Brüche der 5.-9. Rippen 
rechts, einen Riss der rechten Niere unter der Kapsel, 2 Liter 
Blut in der Bauchhöhle, als dessen Ursprung ein Riss in der Milz¬ 
vene entdeckt wurde. 

Von einem Omnibus wurde ein 79 Jahre alter Schneider über¬ 
fahren (137). Wir fanden eine 2 cm lange, IV* cm breite mit 
Blutunterlaufungen umgebene, den Knochen entblössende Haut¬ 
verletzung mit zerfetzten Rändern auf dem linken Augenbogen. 
Blutunterlaufungen am rechten Hypochondrium. Brüche der 6. und 
7. rechten Rippe nahe am Knorpelansatz. Von vorn nach hinten 
gehende Zerreissungen der Leber, besonders des linken Lappens 



246 


Dr. Strecker. 


Dislokation der linken Niere mit fast vollständiger Querzerreissung. 
Abreissung der Wurzel des Gekröses; Zertrümmening des Pancreas, 
Querzerreissung der Aorta unter dem ebenfalls abgerissenen 
Zwerchfell, Zertrümmerung der Wirbelsäule zwischen den unteren 
Brustwirbeln und dem Kreuzbein und Becken. Das Stück der 
Lendenwirbelsäule lässt sich fast frei herausnehmen. Zerreissung 
des Rückenmarkes. Viel Blut in der Bauchhöhle. 

Der dritte (138) war ein 11 jähriger Knabe, der von einem 
Leichentransportwagen überfahren wurde. Er zeigte äusserlich 
keine Verletzungen ausser einer Schrunde am linken gebrochenen 
Oberschenkel. Starke Anaemie der Haut und sichtbaren Schleim¬ 
häute. Schädel und Brusthöhle intakt. Bauchhöhle enthielt Ltr. 
Blut. Die Leber hatte mehrere Risse von vom nach hinten, die 
fast ganz durchgingen. Kryptorchie. Die kaum bohnengrossen 
Hoden lagen im kleinen Becken neben der Blase, zwischen dieser 
und dem Mastdarm. 

Der vierte (139) war ein 38 jähriger Schuhmacher, der von 
einem Brauerwagen überfahren wurde. Auch hier waren Haut¬ 
verletzungen bis auf einer Abschindung auf der Brust nicht vor¬ 
handen. Es fanden sich Brüche der oberen Rippen beiderseits 
und des linken Schlüsselbeines, das Brustbein war im Griff ge¬ 
brochen. Die rechte Brusthöhle war ganz voll Blut, so dass die 
Lunge ganz zurückgesunken war. Das Blut stammte aus einem 
Riss in der rechten Subclavia dicht unter dem Schlüsselbein. 

Im 5. Falle (140) handelte es sich um einen Rollkutscher, 
32 Jahre alt, der durch eigene Unvorsichtigkeit unter den mit 
Steinen beladenen Rollwagen gerieth. Der Schädel und das Ge- 
hiiTi waren vollständig zertrümmert, ausserdem links die 3., 4. und 
5. Rippe gebrochen. 

Endlich zum sechsten Male (141) war es ein Rollkustcher, 
der im trunkenen Zustande vom Wagen gefallen und dann gefun¬ 
den wurde; er musste überfahren sein, denn wir fanden bei all¬ 
gemeiner Anaemie der Haut und sichtbaren Schleimhäute Haut¬ 
abschilferungen auf der rechten Schulter, links unten am Rücken 
und rechts am Oberbauch. Gebrochen waren rechts die 5. bis 
11. Rippe; es waren vorhanden Risse im rechten Leberlappen, 
die fast ganz durchgingen; die rechte Niere war quer fast ganz 
dnrchgerissen. Die Bauchhöhle enthielt IV 4 Liter Blut. 

Durch Sturz aus der Höhe verunglückten drei (142—144). 

Zunächst (142) war eine 79jährige geistesschwache Frau 
Nachts aus dem Zimmer durchs Fenster aufs Dach eines Nachbar¬ 
hauses gestiegen und war bei der Wanderung auf diesem herunter¬ 
gefallen. Sie hatte eine erbsengrosse runde Wunde auf der hin¬ 
teren oberen Ecke des Scheitelbeines, ferner drei auf der Schuppe 
des Hinterhaupts, die spaltförmig waren. Bruch des linken Ober¬ 
armes dicht am Ellenbogengelenk. Brüche der 2 . bis 7. Rippe rechts 
am Augulus, entsprechend diesen Zerreissung des Oberlappens der 
rechten Lunge. Obei'flächlicher Riss des Perikards auf dem rech¬ 
ten Ventrikel, Abreissung des Perikards am rechten Ansatz hinten 
mit einem 8 cm langen Spalt; Quer- und Splitterbruch des 1 ., 2 . 



Statistischer Bericht d. ünterrichtsanstalt f. Staatsarzneikunde zu Berlin etc. 247 


und 3. Brustwirbels, von denen der 2. ganz zersplittert war. Ge¬ 
hirn (1150 gr schwer) war intakt. 

Ferner (143) war ein 5 jähriges Mädchen, das zum Fenster 
sich wohl zu weit hinaus gelehnt, 4 Stock tief auf den Hof ge¬ 
stürzt. Aeusserlich waren keine Verletzungen vorhanden bis auf 
Blutunterlaufungen an beiden Unterarmen. Der rechte Ober¬ 
schenkel war gebrochen. Die Hinterhauptsschuppe war zertrümmert 
mit Sprüngen, die bis in die Schläfenschuppen gingen. Das Os 
basilare war quer durchbrochen. Die Hinterhauptslappen des Ge¬ 
hirns waren blutig zertrümmert. Die Lungenwege waren mit 
Blut erfüllt. Die linke Niere hatte einen Biss, auch befand sich 
ein Bluterguss im Mesenterium. Es fanden sich Ecchymosen auf 
Lungen, Herzbeutel, Herz und auf der Milz. 

Endlich war (144) ein 50jähriger Maurer in einem Neubau 
vom dritten Stock ca. 15 m in die Tiefe auf die Fundamente ge¬ 
fallen. Er hatte Schrunden unter dem rechten Auge und auf der 
linken Wange. Die Unterlippe war durchgebissen; querstehende 
Wunden unter dem linken Mundwinkel und am Kieferrande, beider¬ 
seits am Halse. Die Brust war abgeschunden, links am Becken 
war eine oberflächliche Hautwunde. Linkes Bein aussen am Knie 
blutunterlaufen, rechter Ellenbogen abgeschunden. Linker Ober¬ 
schenkel dicht über dem Knie gebrochen, die Umgebung der Bruch¬ 
stelle war mit kleinen Hautwunden bedeckt. Kleine Wunde an der 
rechten grossen Zehe. Die Hautverletzungen waren mit rissigen 
Eändern und blutunterlaufen. Ferner fand sich ein Bruch des 
Brustbeins zwischen Körper und Griff, Brüche der 2.-6. rechten 
Rippen vorn, der 6.—8. linken hinten. Verletzungen der linken 
Lunge, Zerreissung der Scheidewand zwischen beiden Vorhöfen 
des Herzen. Viel Blut in der Bauchhöhle. Zahlreiche von vom 
nach hinten verlaufende Zerreissungen der Leber. Berstung der 
Gallenblase, Gehini stark wässrig, Sprung in der rechten Fel¬ 
senbeinpyramide. 

Durch Fall dürften folgende 3 Personen verunglückt sein. 

Eine 69jähr. Frau (145) fiel beim Ueberschreiten einer Strasse, 
„erlitt eine innere Gehirnblutung und verstarb auf der Stelle“. Die 
Leiche der betreffenden zeigte eine Blaufärbung des linken Auges, 
der linke M. teniporalis war mit Blut unterlaufen. Im linken 
Stirnbein befand sich ein Knochensprung, der sowohl nach der 
Schläfe hinreichte, als auch ins Orbitaldach sich erstreckte. Die 
Dura der betreffenden Stelle war nicht blutunterlaufen und intakt. 
Die Pia war dick, das Gehirn war matschig, die Ventrikel erweitert 
mit wässriger Ansammlung. Der Schädel war im Ganzen sehr 
dünn. Beide Lungen waren massig oedematös, das Herz gross 
und matsch, die Wand dick mit reichlichen hellgrauen derben Stellen 
durchsetzt. Die Aortentaschen, Mitralklappen und die Koronarar¬ 
terien atheromatös entartet. Schrumpfnieren. Verwachsungen 
im kleinen Becken. 

Em46jähr. Arbeiter (146) kam Abends in stark angetrunkenem 
Zustande nach Hause und wurde am nächsten Tage todt aufge¬ 
funden. Es wurde Herzschlag angenommen. Die Leiche war ziem- 



248 


Dr. Strecker. 


lieh faul. Die weichen Bedeckungen des Kopfes waren links 
suggillirt. Es fand sich ein Schädelsprung links beginnend am 
Scheitel bis zur Schläfe, durchgehend bis zur Fissura sphenoidalis 
anterior. Von diesem Sprung ging von der Schläfe aus ein zweiter 
nach hinten oben. Unter dem oberen Ende verlief ein querer 
1 cm langer Knochensprung. Zwischen der Dura und dem Schädel¬ 
dach befand sich links ein Bluterguss von 10—12 cm Durchmesser 
bis zu 8 cm Dicke. (Riss der Art. meningea media?). Die un¬ 
versehrte Dura war konkav eingedrückt, ebenso die linke Gehirn¬ 
hemisphäre. Sonstige Organe sehr faul, Lungen etwas tuber¬ 
kulös, sonst Alles intakt. 

Fall 147: Ein 54jähriger Dienstmann wurde eines Nach¬ 
mittags, anscheinend schwer trunken, zu seiner eigenen Sicherheit 
zur Wache gebracht. 5 Stunden darauf \erstarb er „unbekannten 
Todes“. Blutbesudelung am rechten Ohr und unterhalb der Nase. 
Blutunterlaufung des linken Auges. Am Hinterkopfe rechts hinter 
dem Ohr befand sich eine zehnpfennigstückgrosse Hautabschilfe- 
ining auf einer buckelartigen Erhöhung, die blutunterlaufen war. 
Hände unversehrt. Im Schädeldach fand sich i’echts 3 cm hinter 
dem Ohr eine von oben nach unten laufende Fissur, die bis in die 
Basis ging. Links zwischen Dura und Pia ein über handteller¬ 
grosser Bluterguss. Nach Entfernung der Dura war das linke 
Orbitaldach vollständig zertrümmert, ohne weitergehende Sprünge. 
Ferner war in den linken Schädelgruben geronnenes Blut. Links 
in der Basis der Hinterhauptsschuppe war eine von hinten oben 
verlaufende, kurz vor dem For. magnum endende Fissur (bei der 
Schädelöffnung durch den Meissei entstanden!) Der aussen sicht¬ 
bare Sprung ging innen dann über die Felsenbeinpyramide quer 
und endete im Foramen rotundum. Das Gehirn war an der 
Grundfläche des linken Stirnlappens eine blutig zertrümmerte 
Masse, ebenso befanden sich in der sylvischen Furche und auf dem 
Scheitellappen bohnengrosse blutige Stellen, eine ähnliche an der 
unteren Seite des rechten Stirnlappens. Der Boden des vierten 
Ventrikels ist blutunterlaufen und oberflächlich zertrümmert. 
Lungenoedem. Sonstige Organe nichts besonderes. Atheromatose 
der Gefässe. 

Die Ursache plötzlich hezw. unerwartet eingetretenen 
Todes war in 53 Fällen erwiesener Massen eine anatomisch nach¬ 
weisbare Krankheit. Für gewöhnlich wurde die wahrscheinliche 
Todesart Schlag, Herzsclilag und ähnliches angegeben, öfter auch als 
unbekannt bezeichnet. Bei den Sektionen fanden wir Folgendes: 

Zunächst war 19 mal (148—166) festzustellen, dass die In¬ 
dividuen an chronischen Veränderungen des Herzens 
und der Nieren gelitten und dass dann der Tod in den meisten 
Fällen mit Lungenödem eingetreten war. Die Veränderungen 
am Herzen waren entweder degenerative Prozesse des Herzmuskels 
oder atheromatöse des Endocardium, dreimal auch der Koronarar¬ 
terien. Die Nieren waren chronisch geschrumpft.^ 

Bei einem 78jährigen Manne (167) war neben der Niereu¬ 
schrumpfung ein ausgedehnter Bronchialkatarrh; 6mal (168—173) 



Statistischer Bericht d. Unterrichtsanstalt f. Staatsarzneiknnde zu Berlin etc. 249 


konnte neben chronischen Veränderungen am Herzen und an den 
Nieren eine tuberkulöse Erkrankung der Lungen als Haupter¬ 
krankung festgestellt werden, Fälle, in denen die Todesursache 
nicht in der Lungenaffektion vermuthet war, wogegen in 4 Fällen 
(174—177), wo die Tuberkulose allein ohne sonstige Organer- 
k)‘ankungen zum Tode geftihrt hatte, zweimal (174 und 175) der 
todtbringende Blutsturz den Heerd der Erkrankung angezeigt hatte. 
177 war ein 5 Monate alter Knabe, der an miliarer Tuberkulose 
gelitten hatte. Die Todesursache war als unbekannt angegeben. 
Bei einem 58jährigen Manne (178), dessen Umgebung wusste, dass 
er „brustleidend“ war, fanden wir, nachdem er unerwartet ver¬ 
storben war, neben chronischen Herz- und Nierenveränderungen, 
ein rechtsseitiges Empyem. 

Eine fibrinöse Pneumonie führte plötzlich zum Tode bei 4 
Personen (179—182). Ohne weitere organische Veränderangen fanden 
wir sie nur bei einem 41jährigen Manne (179), bei den anderen 
waren ausserdem noch Veränderungen des Herzens und der Nieren, 
und zwar bei einem 59 jährigen Manne (180) chronische des Herzens 
und der Nieren, bei einem ca. 40jährigen (181) chronische des 
Herzens und akute Trübung der Nieren, endlich bei einem 68jähr. 
Manne (182) neben Bronchialkatan’h noch ein Herzfehler, nämlich 
eine starke Hypertrophie ohne Dilatation des linken Ventrikels, 
Stenose der Mitralis und der Aortenklappen durch Verkalkung, 
leichtes Aortenaneurysma, ferner bestand weitgehende Atheroma- 
tose der Gefässe. 

Die bekannte Thatsache, dass katarrhalische Affektionen der 
Lungen und des Magendarmkanals 3mal allein oder vereint leicht 
bei Kindern unerwartet zum Tode führen, hatten auch wir Gelegenheit 
zu beobachten. So fanden wir bei einem drei Monate alten Mäd¬ 
chen (183), dessen Todesart unbekannt war, einen akuten Bron¬ 
chialkatarrh, Trübung der Eindentheile der Nieren, ausserdem 
noch eine leichte chronische haemorrhagische Entzündung der harten 
Hirnhaut; bei einem anderen ebenso alten (184) war der Lungen¬ 
katarrh mit einer solchen Affektion des Magen vereint, bei einem 
14 Tage alten Mädchen (185) konnte man Mageukatarrh und bei 
einem 2 Jahre alten Knaben (186), der beim Trinken aus der 
Flasche erstickt sein sollte, durchaus kein Zeichen gefunden wer¬ 
den, welches für Erstickung gesprochen hätte, wohl aber ein in¬ 
tensiver Magenkatarrh. 

Wenngleich aus der Reihe der Besprechungen heraustretend, 
möchte iijh doch hier, weil es sich um Kinder handelt, zwei (187 
bis 188) Fälle von Erstickung erwähnen, die gewissermassen 
doch eigenartig sind. 

Zunächst war es ein 5jälu‘iger Knabe (187), der nach An¬ 
gabe eines Bruders auf der Strasse umgefallen war und dann über 
Leibschneiden geklagt hatte; er verstarb bald darauf und wurde 
die Todesursache als unbekannt angegeben. Wii- fanden sehr hyper¬ 
trophische Tonsillen, die den Racheneingang ganz verlegten, 
Schaum in den stark gerötheten Bronchien, in Luftröhre und Kehl¬ 
kopf. Ecchymosen auf den Lungen, in den Konjunctiven und auch 



250 


Dr. Strecker. 


auf der Haut. Hie Drüsenfollikel des Heum waren geschwollen, 
auch erwiesen sich die Mesenterialdrüsen geröthet und geschwollen. 
Im zweiten Falle (188) wurde ein 26 Tage altes ehelich geborenes 
Mädchen, nachdem es längere Zeit geschrieen, todt im Bette auf¬ 
gefunden. Auch in diesem Falle wurde die Todesursache als un¬ 
bekannt bezeichnet. Wir fanden die Lungen, besonders die linke, 
aussergewöhnlich stark mit Ecchymosen besetzt, ebenso Herz und 
Thymusdrüse, ferner Oedem der Lungen, Schaum in den Luft¬ 
wegen, Oedem der Glottis und links neben der Mandel einen 
retropharyngealen (auf der Wirbelsäule gelegenen) kirschen¬ 
grossen Ab sc e SS, dessen Eiter bei gewöhnlicher Färbung keine 
Bakterien aufwies. 

Durch G|ehirnblutung trat zweimal der Tod plötzlich ein: 
bei dem einen 48 jährigen Manne (189) fand sich eine Blutung an der 
Himbasis, eine ausgedehnte atheromatöse Erkrankung der Himge- 
fässe und Verwachsungen der Lungen mit dem Brustfell, wie auch 
Theile der Leber mit dem Bauchfell; bei dem anderen 42jährigen 
(190), der stark kyphoscoliotisch war, fanden wir die Gehirnober¬ 
fläche stark abgeflacht, grosse Mengen ergossenen theilweise ge¬ 
ronnenen Blutes in den Hirnhöhlen, links Zerstörung des ganzen 
CJorpus Striatum und der vorderen Hälfte des Thalamus, rechts Zer¬ 
trümmerung des Schwanzes des Corpus striatum und der vorderen 
Partie des Thalamus, Arteriosclerose, Verkalkung der Aorten¬ 
klappen, Nierenschrumpfung. 

Dass der Tod im epileptischen Status eingetreteu, 
haben wir in folgenden 4 Fällen (191—194) angenommen; Bei 
einem 28jährigen Mädchen (191), das todt aufgefunden, fanden 
wir den Kopf stark cyanotiscli, ferner melirfache Bisswunden an 
den Rändern der Zunge und liyperaemische Lungen mit etwas 
Oedem. Im zweiten Falle (192) war es ein 43 jähriger Mann, der 
todt auf dem Erdboden gefunden wurde. Er zeigte bei beträcht¬ 
licher Todtenstarre zahlreiche Ecch 3 rmosen auf dem Oberkörper 
und auf den Bindehäuten. Die Zunge war besetzt mit Bisswunden. 
Die Lungen waren oedematös, Herz und Leber fett. Der dritte 
Fall (193) betraf eine 33jährige Frau, die erwiesener Massen an 
Krämpfen gelitten und „augenscheinlich in Folge derselben plötz¬ 
lich verstorben war“, wie der Polizeibericht besagte. Wir fanden 
bei der Leiche intensive Brandnarben auf beiden Armen und links 
an der Stirn, der Schädel war sehr gross, beiderseits bestand 
starke Pachymeningitis chron. haeinoiThagica und starke Trübung 
<ler zarten Hii-nhäute. Jede Seitenböhle des Gehirns enthielt je 
50 ccm Wasser. Das Herz war veigrössert, gelbbraun. Die 
Lungen enthielten einige Knoten, die Nieren waren stark ge¬ 
schrumpft, der Uterus war etwas vergrössert, das rechte Ovarium 
enthielt viele Cysten, um die inneren Genitalien waren zahlreiche 
peritonitische Verwachsungen. Die Leber erwies sich etwas 
cirrhotisch, die Milz war D /2 mal zu gross. — Krämpfe mit darauf¬ 
folgendem Herzschlag waren als Todesursache bei einem unbe¬ 
kannten ca. 20 jährigen Manne (194) angenommen, bei dem die 
Sektion ergab: Bartloses, mittelgrosses Individuum, am Schädel 



Statistischer Bericht d. ünterrichtsansUlt f. Staatsarznciknnde zu Berlin etc. 2öl 


war der rechte Scheitel und Stirnhöcker stärker vorspringend, 
links beide zurückweichend, die linke Gesichtshälfte war flacher 
als die rechte. Viele kleine Narben auf der Stirn, jedoch keine 
auf der Zunge. Weit vorgeschrittene Fäulniss. Schädeldach sehr 
dick, die Spongiosa reichlich und breit. Schädeldach verwachsen. 
H 3 rperaemie der Dura, Pia und des 1600 gr schweren Gehirns, 
dessen Gyri ziemlich flach waren. Herz schlaff, Hypertrophie und 
starke Dilatation des rechten Ventrikels, Athrophie des linken. 
Hypoplasie der Aorta mit atheromatösen Flecken der Intima. 
Intensiver Magenkatarrh mit schwarzem Inlialt, neutraler Reaktion. 
Zunge schwarz belegt, Milz nicht vergrössert, Darm intakt. 

Ein geborstenes Aneurysma dissecans aortae führte zum 
plötzlichen Tod bei einem 37 jährigen (195) verheirathet gewese¬ 
nen Dienstmädchen. Wir fanden eine Exostose des Stirnbeins auf 
der inneren Seite links, das Gehirn wog 1300 gr. Im Herzbeutel 
befand sich viel Blutsenim und ein fester Blutkuchen. An der 
Wurzel der Aorta nahe dem Ursprünge der Art. cor. magn. war 
ein taubeneigrosser Sack, der durch ein Loch mit der Aorta in 
Verbindung stand und bis an das rechte Herzolir reichte; in diesem 
Sacke befand sich aussen ein stecknadelkopfgrosses Loch, durch 
welches die Blutung geschehen war. Linke Lunge adhaerent, 
die rechte enthielt im Oberlappen einen wallnussgrossen Gummi¬ 
knoten. Die Aorta war stark atheromatös, Schrumpfnieren. Cervi- 
calkatarrh, perihepatitische Schwarten. 

Nicht allein durch seine aussergewöhnliche Seltenheit, sondern 
auch durch die sich an die Art der Entstehung knüpfenden Fragen 
interessant ist folgender Fall (196) plötzlichen Todes: Ein SOjähr. 
Fräulein aus besseren Ständen wurde eines Morgens todt im Bette 
aufgefunden. Da die Todesui-sache nicht festgestellt werden konnte 
und wohl ft’emde Schuld vermuthet wurde, kam die Leiche in’s 
Leichenschauhaus. Der Staatsanwalt gab jedoch die Leiche frei, 
und so kam sie, zumal die Angehörigen die Todesursache festge¬ 
stellt wissen wollten, auf unseren Sektionstisch. Die Haut der 
Leiche war wachsbleich, die sichtbaren Schleimhäute waren 
äusserst bleich. Aus den Brustwarzen liess sich Colostrum heraus¬ 
drücken. Der Hymen war defloiirt. Bei der Eröffnung der Bauch¬ 
höhle war das über die Dünndänne ausgebreitete Netz mit Blut 
bedeckt. Als Ursache fanden wir eine Blutung, herstammend von 
einer Geschwulst im kleinen Becken. Die Harnblase war etwas 
angefüllt; der Uterus dreimal so gross wie gewöhnlich. Das 
rechte Ovarium und die rechte Tube waren frei, links befand sich 
auf dem breiten Mutterbande herabreichend, bis an die Umschlag¬ 
stelle am Rectum, eine Geschwulst, auf welcher wahrscheinlich 
das freie Ende der linken Tube retortenhalsartig aufsass. Am 
untersten Theile der Geschwulst war ein grösseres festeres Ge¬ 
rinnsel, nach dessen Entfernung Placentargewebe und zwar zerrisse¬ 
nes sichtbar wurde. Als nun das retortenhalsartige Stück aufge¬ 
schnitten w’urde, war die Höhle ganz ausgefüllt mit einem Kopfe 
einer Frucht; der Kopf war nach links mit dem Gesicht gerichtet. 
In dem grossen Sacke sass unten zunächst die Placenta, darüber 



252 


Dr. Streckf'f. 


eine männliche Frnclit und über dieser der Rumpf der anderen 
männlichen Frucht, deren Kopf oben in dem Aufsatz sass. Dieser 
Rumpf war jedoch mit dem Nabel nach der Medianlinie gerichtet, 
so dass der Hals eine vollständige Drehung aufwies. Die zweite 
Frucht war etwas kleiner und der Kopf ganz besonders wurst¬ 
förmig ausgedehnt. Die Nabelschnüre inserirten in nächster 
Nähe der sclieinbar gemeinschaftlichen Placenta; in der Tiefe er¬ 
schien noch eine theilweis erlialtene Falte des Amnions. In wie 
weit die Tube, das Ovarium oder der Douglas’sche Raum an dem 
Aufbau des Eies betheiligt war, konnte erst durch eine genaue 
mikroskopische Untersuchung festgestellt werden, ebenso wie auch 
die erste Festsetzung des Eies. Auf jeden Fall war der Tod 
eingetreten durch Berstung und Blutung eines extra¬ 
uterinen Fruchtsackes, in dem sich Zwillinge gleichen 
(Teschlechts befanden. 

Im Uebrigen zeigten sich noch verschiedene peritonitische 
Verwachsungen zwischen dem Fruchtsack, dem Uterus, dem rechts¬ 
seitigen breiten Mutterbande und auch dem soweit herabreichen¬ 
den Netze, Ob diese das primäre waren und vielleicht als eiab- 
leitende Momente aufzufassen sind, oder ob sie durch die patho¬ 
logische Geschwulst durch sekundäre Entzündung entstanden sind, 
dürfte kaum entschieden werden. Anamnestisch habe ich nur er¬ 
fahren können, dass die sonst stets gesunde Dame in der letzten 
Zeit über Beschwerden „wohl einer Geschwulst im Unterleib“ ge¬ 
klagt hätte. Die Angehörigen Hessen die Bemerkung fallen, dass 
sie eine Gravidität nicht vermuthet hätten. 

Ein eingeklemmter Bruch war die Ursache plötzlichen 
Todes in folgenden beiden Fällen (197—198): Zunächst war es ein 
21 jähriger Mann (197), welcher plötzlich verschied und bei dem 
man Herzschlag angenommen hatte. Wir fanden einen rechts¬ 
seitigen Leistenbruch, in dem sich eine brandige eingeklemmte 
Dünndarmschlinge befand. Ausser einer geringen Trübung des 
benachbarten wandständigen Bauchfellüberzuges und der nächsten 
’^rjieile des Darmes und Gekröses mit einer Füllung der feinsten 
Gefässe, war keine deutliche Peritonitis zu konstatiren. Im zwei¬ 
ten Falle war es eine 60jährige Näherin (198), die todt aufge¬ 
funden wurde. Dieselbe hatte geklagt ihr Bruch sei heraus¬ 
getreten. Da Spuren starken Erbrechens im Zimmer vorhanden 
waren, wurde aber auch Selbstmoi-d durch Gift für nicht 
ausgeschlossen angenommen. Es fand sich ein rechtsseitiger 
Schenkelbruch, w^elcher ein Stück Netz und das Stück Dünndarm 
dicht oberhalb der Klappe enthielt; die Därme der Nachbarschaft 
waren stark geröthet und mit Blut unterlaufen. Das im Bruch 
befestigte Netz hatte den Querdarm und den Magen stark nach 
rechts unten verlagert. Die Nieren waren leicht geschrumpft. 

An M a g e n c ar c i n 0 m hatten zwei Individuen gelitten (199 bis 
200), welche plötzlich verstarben, und zwar ein 59 jähriger Arbeiter 
(199), der von Krämpfen befallen auf der Wache verschied. Es war 
eine magere blasse Leiche, der After war mit schwarzem Blut be¬ 
sudelt. liu Magen war viel Blut, an seiner vorderen Wand sass ein 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


26.'» 


handtellergjosses Carcinom. Der Oesopha^s war an der Kreuzung 
mit dem linken Bronchus carcinoinatös und bildete einen hühnerei¬ 
grossen Knoten. Die Leber war mit carcinomatösen Knoten jeder 
Grösse, bis zu der eines Hühnereies durchsetzt. Die Lunge war sehr 
blass. Sonstige Verändeimngen waren nicht zu finden. Die Blutung 
dürfte den Tod herbeigeführt haben. Bei einer angeblich an 
Altersschwäche plötzlicli verstorbenen 72 jährigen Frau (200) war 
die schilfernde rauchgrane Haut der sehr mageren Leiche aufiallig. 
Das Herz war klein, braun, die Innenhaut etwas atheromatös. 
Die Milz war klein, der dilatirte Magen reichte bis zur Symphyse 
und enthielt reichlichen kaifeesatzartigen Inhalt, der sich als Blut 
erwies. Am Pylorus sass ein über haselnussgrosser Knoten, auf 
dessen Schnittfläche milchige Massen auf Druck erschienen. Die 
Nieren waren chronisch geschrumpft, der Dickdarm angefullt mit 
pechschwarzem krümlichem Koth. 

Ein interessantes Aussehen bot die Leiche eines Kindes (201), 
welche in Papier eingewickelt am Boden in einem Koffer vorge¬ 
funden wurde. Die Mutter wollte das Kind vor der Ehe todtge- 
boren haben und lag die Leiche so seit März 1889 bis Juni 1891, 
also 2^4 Jahr. Es war eine von Motten theilweise zer¬ 
fressene Mumie, 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

3. Vemammlnne dem Verein» der ^ledizinnllieamteii des 
Regiernn^Hbezirk» Stettin am 25. April 1892 xa Htettin. 

Anwesend waren 11 Mitglieder und drei Gäste, unt^r den letzteren der 
Herr Re^ierun^s-Präsident von Sommerfeld. 

Nach Erledigung einiger geschäftlicher Mittheilungen, Vertheilung des 
61. Jahresberichts der Hu fei and’sehen Stiftungen und nach Rechnungslegung 
für das verflossene Jahr wurde in die Tagesordnung eingetreten. 

1. lieber die Stellungnahme der Medizinal-Beamten zu dem Wunsche 
de» Berufsgenossensehaften-Verbandes, die Abgabe von Obergutachten 

und Errichtung von Sachverständigen-Kollegien betreffend. 
Referent: Kreisphysikus Dr. Frey er zu Stettin. 

Das Referat ist im Eingang der heutigen Nummer in extenso abgedruckt. 

Die Versammlung stimmt dem Inhalte des Referats zu und beschliesst, 
dasselbe dem Vorstände de.s Preus.sischen Medizinal-Beamten-Vereins zur weite¬ 
ren Veranlassung bezw. Besprechung für die Herbstversammlung zuzustellen. 

2. lieber die Stellungnahme der Medizinalbeamten zu der Frage, be¬ 
treffend die Erweiterung der Disziplinarbefugniss der Aerztekammern 

bezw. Einführung ehrengerichtlicher Institutionen. 

Referent; Kreisphysikus Dr. Schulze- Stettin, (Autoreferat). 

Der Vortragende reproduzirte zunächst den Inhalt der Min.-Verfügung 
vom IH. Januar d. J., sowie die bisherigen Meinungsäusserungen des sogen. 
Aerztekammeraus-schusses, einzelner Kammern, Aerztevereine und einzelner 
Kollegen: Nichts aber habe man bisher von einer Stellungnahme der Medizi¬ 
nalbeamten als solcher gehört, abgesehen von der vereinzelten Auslassung 
des Kollegen Braeuti gam-Königsberg i. P. Es erschiene daher zeitgemäss, 
zunächst im hiesigen Med.-Beamten-Verein der Sache näher zu treten, die An¬ 
sichten seiner Mitglieder zu fixiren und die Meinungsäusserung des Vereins 
zur Kenntniss des Preussischen Med.-Beamten-Vercins zu bringen: denn auf die 
Entscheidung des Herrn Ministers dürfte es nicht ohne Einfluss sein, wenn er 
rechtzeitig Kenntniss von der Ansicht seiner beamteten Aerzte, die bisher der 



254 


An« Versammlungen und Vereinen. 


qn, Disziplinargewalt ansdrücklich entzogen sind, erhielte. „Andernfalls werden 
wir das Nachsehen haben und uns nicht beklagen dürfen, wenn die Entscheidung 
unseren Intentionen nicht entspricht.“ 

Referent bespricht dann den Beschluss des „Aerztekammerausschusses“, 
der zwar prognostisch gewiss nicht ohne Bedeutung, aber durchaus nicht der¬ 
artig massgebend sei, dass, wie anderweitig behauptet ist; „damit nun schon 
der Zeitpunkt verpasst ist, alle Bedenken gegen die Erweiterung der Diszi¬ 
plinargewalt der Aerzte - Kammern zu äu^^sern“. Der Aerztekaramer - Ausschuss 
sei nicht die „berufene ärztliche Standesvertretung“ (wie ebenfalls behauptet 
ist), sondern eine zwar, wenn auch praktische, so doch willkürliche Schöpfung 
der Aerztekararaem ohne jede legale Bedeutung. An ihn habe sich daher der 
Minister mit seiner Anfrage auch gar nicht gewandt. 

Wenn nun anzunehraen sei, dass auch die Mehrzahl der Kammern selbst 
nach dem Grundsatz „beati possidentes“ für Erweiterung ihrer Gewalten stimmen 
würden, so würden diese Voten angesichts der geringen Betheiligung seitens der 
wahlberechtigten Aerzte (bei der letzten Wahl oft ein Drittel!) doch nicht un¬ 
bestritten die wahre Meinung der preussischen Aerzte darstellen: eine solche 
wäre z. B. von der Postkarten-Abstimmung, wie sie von der Redaktion des aerztl. 
Zentral-Anzeigers in’s Werk gesetzt sei, weit eher zu erwarten. Referent eni- 

f ifiehlt dringend, sich an letzterer zu betheiligen und bespricht dann das Frank- 
urter Rundschreiben, dessen Inhalt als bekannt vorausgesetzt wird. Sein Haupt¬ 
werth liege, abgesehen von seiner prinzipiellen Bedeutung, darin, dass es uns Kennt- 
niss davon verschaffe, welcher Art im Speziellen die angezogenen Bestimmungen 
der Rechtsanwalts-Ordnung seien. Nach Schilderung des vollständig gericht¬ 
lichen, prozessualisch geordneten Verfahrens, welches gegen die Anwälte danach 
eingeleitet werden könne, vergleicht Referent die rechtliche und soziale Stellung 
derselben mit der der Aerzte und pflichtet dem Frankfurter Rundschreiben darin 
bei, dass eine solche Disziplinirung für die Aerzte, weil und so lange sie 
unter der Gewerbeordnung stehen, ganz undenkbar sei „Wir stehen 
somit einem unbekannten Etwas gegenüber, das wir unbesehens in den 
Kauf nehmen sollen. Eine zustimmende Antwort ist daher jedenfalls verfrüht. 
Wie die veränderten In.stitutionen aber auch aussehen werden, Eins erscheint 
mir sicher: die Aerztekammern werden nicht das letzte Wort haben, sondern 
der Staat, welcher in der noth wendiger Weise zu schaffenden zweiten Instanz 
lediglich den Ausschlag geben wird. Korrekter Weise wäre daher dem Minister 
entweder zu erwidern, dass die gestellte Frage erst dann beantwortet werden 
könne, wenn bekannt gegeben sei, wie denn die (erheblich zu modifizirenden) 
disziplinären Institutionen beschaffen sein sollen, oder die Frage wäre zu ver¬ 
neinen, da die Bestimmungen der Anwaltsordnung sich auch nicht annähernd 
auf die Aerzte übertragen lassen. Denn auch die Approbationsentziehung kann 
nie von den Aerztekammern ausgesprochen werden, da die Gewerbeordnung hier 
bereits bestimmte gesetzliche Vorschriften ma^'ht; ausserdem kann Jeder, selbst 
wenn ihm die Approbation entzogen ist, lustig weiter kuriren — denn es besteht 
ja Gewerbefreiheit im deutschen Reiche! Und von einer Entziehung des Doktor- 
Titels kann überhaupt keine Rede sein!“ 

Referent prüft nun die Motive, welche seit Jahren zu dem Rufen nach 
Standesordnung, Disziplinirung, Kammern etc. geführt haben und findet, dass 
alle die stets hervorgehobenen Grundübel: Ueberproduktion, Hervorkehren der 
gewerblichen Airs, Konkurrenzmanöver, Reklame, Pseudospezialistenthum, Gründen 
fauler Privatkliniken etc. den Medizinal beamten als solchen gar nicht 
tangiren. Der Grund dafür sei ja einfach ihre Beamtenstellung. Diese 
habe es mit sich gebracht, dass sie bisher, da sie der staatlichen Disziplin 
unterständen, thatsächlich der Kamm er-Disziplin entzogen seien. Es frage 
sich also, ob es nothwendig oder auch nur von Nutzen sei, hierin eine Aende- 
rung zu erlangen. „Haben wir Ursache gehabt, mit der bisherigen staatlichen 
Disziplinirung unzufrieden zu sein? Ich glaube, nein, und fürchte weiter, dass 
die Kammer-Disziplin ihrer ganzen Art nach, sich als erheblich weniger fein¬ 
fühlig zeigen wird, wie der Staat. Denn wie sollen z. B. rein ärztliche Ehren¬ 
gerichte die Wahrheit ermitteln? Wenn kein geschriebenes Gesetz existirt, 
sondern nach freiem Ermessen geurtheilt werden soll: ist da nicht dem Zu¬ 
fall und der Willkür Thür und Thor geöffnet? Ich dächte, wir gerade als Ge¬ 
richtsärzte hätten hinlänglich Erfahrung, um, wenn denn doch gerichtet 
werden soll, ein ordentliches Gericht in jeder Beziehung vorzuziehen, in 



Kleinere Mittheilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


255 


welchem auch Leute sitzen, die nicht nur spezifische Standesanschanungen haben, 
vor allen Dingen gelehrte Richter. Bei der Animosität ferner, wie sie bisher 
seitens vieler Aerzte and .seitens einer Anzahl von Kammern gerade gegen die 
Medizinal-Beamten herrsche (Attestfrage, Kontrole der Privatirrenan¬ 
stalten etc.), bei dem öfter za Tage getretenen Streben, die Hedizinalbeamten 
nicht in dJe Kammern zu wählen, erscheint es fOr ans geradezu bedenklich, über 
ans seitens nicht beamteter Aerzte zn Gericht sitzen za lassen. 

Es ist ja wenig wahrscheinlich, dass der Staat diese Art der Erweiterung 
der Disziplinargewalt der Aerztekammem, d. h. also die Unterstellang der Mili¬ 
tärärzte, Dozenten and Civil-Mcdizinalbeamten sanktioniren wird, wenig wahr¬ 
scheinlich schon aus staatsrechtlichen Gründen, — ohne Nutzen wird es aber 
dennoch nicht sein, wenn wir auch selbst dagegen protestiren, u n s in unserer 
persönlichen Freiheit nnd privatärztlichen Thätigkcit ohne jeden Grund noch 
weiter einschränken zu lassen 

Derartige nicht vollkommen gesetzlich festgelegte Freiheitsbe¬ 
schränkungen haben immer etwas sehr Bedenkliches: sie erzeugen nur Unruhe 
und Unsicherheit anstatt Befriedigung, und sind zweischneidige Waffen, die zu 
allen möglichen Vexationen gebraucht werden können; sind sie aber einmal ein- 
geftthrt, dann ist es zu spät zu Protesten, dann ist ein Zurücknehmen und Auf¬ 
heben sehr schwer. 

Nach lebhafter Diskussion wurde folgender These des Referenten zuge- 
stimmt und beschlossen, diese zur Kenntniss des Preussischen Medizinalbeamten- 
Vereins zu bringen: 

„Der Medizinalbeamten-Verein dos Regierungsbezirks Stettin erklärt 
sich gegen eine Erweiterung der Disziplinar-Gewalt der Aerzte-Kammern 
in dem Sinne, dass die beamt-jten Aerzte dieser Disziplinargewalt unter¬ 
stellt sein sollen.“ 

3. Die Influenza mit Bezug auf den zum 15. Mai erforderten Bericht. 

Referent: Kreisphysikus Dr. Hanow-Ueckermttnde, theilt seine Wahr¬ 
nehmungen zum eventuellen Vergleich mit denjenigen anderer Beobachter mit. 
Er glaubt beobachtet zu haben, dass die letzte Epidemie vorzugsweise in den 
breiten Schichten der Bevölkerung und weniger in den besseren Familien Ver¬ 
breitung gewonnen; ferner dass die Nachkrankheiten nicht so intensive gewesen, 
dass vorzugsweise das hohe Alter, über 60 .Tahre, die Todesfälle geliefert habe, 
dass die Krankheit, wie aus der Art ihrer Verbreitung, z. B. in der benach¬ 
barten Irrenanstalt, zu folgern war, mehr als eine kontagiösc anzusehen sei, und 
endlich, dass Erkrankte aus dem Jahre 1889 in der letzten Epidemie nicht 
wieder erkrankten. Besonders letztere Beobachtung wurde jedoch von vielen 
Anwesenden nicht getheilt. 

4. Kreisphysikus Voigt-Kammin berichtet über den hygieniachen 
Kursus zu Greifswald. Hervorgeboben wird, dass dort im Allgemeinen zur 
chemischen Desinfizirung Kalkmilch für Faeces, Chlorkalk für Sputa, die rohe 
Karbolsäure mit Schwefelsäure nnd die 5% Karbollösung mit S"/, Kaliseife zu 
mischen empfohlen wird. 

Znm Schluss zeigte Regicrungs- und Medizinalrath Dr. Katerban Ab¬ 
bildungen nnd Durcbscbuittszeichnungen eine.s von Budenberg neuerdings 
konstruirten Desinfektionsapparates für kleinere Städte und Dörfer vor. Der¬ 
selbe ist nach dem Prinzip der kleinen Apparate zur Desinfektion von Verband¬ 
stoffen konstruirt und scheint allen Anforderungen zu genügen. Er ist trans¬ 
portabel nnd vcrhältnissiuässig billig. Ein für eine kleinere Gemeinde aus¬ 
reichender Apparat ist schon für 348 Mark, ein kleinerer für 160 Mark zu haben. 
Als Feuerungsmaterial sei Alles zu gebrauchen. 

Nach der Sitzung blieben die Anwesenden noch zn gemeinsamem Abend¬ 
essen zusammen. Dr. Fr eye r-Stettin. 


Kleinere Mittheiiungen und Referate aus Zeitschriften. 

Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Ueber die Verwerthnng des Fleisches von tuberkulösem Schlacht¬ 
vieh. Von Professor E. Perronicito. Centralblatt für Bakteriologie, Bd. XI. 
Nr. 14. 



250 


Kleinere Mittheilnngen and Referate aus Zeitschriften. 


Verfasser, der schon früher für die Ungefährlichkeit des Konsums tuber¬ 
kulösen Fleisches eingetreten ist, hat neuerdings sehr zahlreiche Versuche mit 
dem Fleisch tuberkulösen Schlachtviehs, wie es ihm das Schlachthaus in Turin 
lieferte, angcstollt, indem er Kaninchen und Meerschweinchen (von jeder Thier¬ 
art mehr als 2()0!) und 2 Rinder mit subkutanen Einspritzungen des ausge¬ 
pressten Fleischsaftes behandelte. Die kleineren Vcrsuchsthiere wurden nach 
2, 3 oder mehr Monaten, die beiden Rinder nach 6 Monaten getödtet ünd 
zeigten sämmtlich bei der Sektion keine Spur von Tuberkulose. Ebenso negativ 
fielen die Sektionen von 18 Ferkeln aus, welche er je 3, 4 oder 5 Monate lang 
mit dem Fleisch tuberkulöser Rinder, zum Theil auch mit den tuberkulösen Or¬ 
ganen derselben gefüttert hatte. Dr. Laiigerhans-Hankensbüttel. 


Das Fleischbeschanwesen im Deutschen Reiche nebst Vorschlägen 
für dessen gesetzliche Regelung. Von Dr. Schm dtmühl, Privatdozent 
der Thiermedizin an der Universität in Kiel. Thierraedizinische Vorträge; Bd.ü, 
Heft 9 u, 10. Leipzig 1892. Verlag von A. Felix. 

Werthvolles und reiches Material ist über die Fleischbeschau - Regelung 
seit vielen Jahren in zahlreichen Zeitschriften, grö.sseren oder kleineren Werken, 
Versammlungsberichten wissenschattlicher Vereine u. s. w. niedergelegt; allein 
an einer zusammenfassenden Arbeit, die den gegenwärtigen Standpunkt dieser 
wichtigen Frage schildert und dabei allen für die Fleischbeschau raitwirkenden 
Personen zur Leitung und Belehrung dienen könnte, fehlte cs bisher vollkommen. 
Durch die vorstehende Arbeit hat der Verfasser in liöchst anerkennenswerther 
und erfolgreicher Weise versucht, diesem Mangel abzuhelfen. Nach kurzem 
Rückblick auf die Geschichte der Fleischbeschau und auf die zur Zeit in den 
einzelnen deutschen Bundesstaaten bestehenden gesetzlichen Vorschriften auf 
dem Gebiete des Fleischbeschauwesens wie auf die gegenwärtig herrschenden 
3f^nungsverschiedenheiten in Bezug auf Fleischverwerthung, Flcischbeurtheilung 
und Fleischkontrole betont Verfasser, dass das erste und sicherste Mittel, eine 
ordnungsmä.s8ige Fleischbeschau durchzuführen, die Errichtung öffentlicher 
Schlachthäuser sei und zwar in Verbindung mit Frei bänken; denn ebenso 
wie in den neueren reichsgesetzlichen und landespolizeilichen Bestimmungen über 
den Verkehr mit Nahrungsmitteln, z. B. Margarine-Butter, Wein u, s. w. durch¬ 
weg das Prinzip des Deklarationszwangesadoptirt sei, müsse dieses auch 
für die Fleischbeschau massgebend sein. Ohne Freibank sei aber ein Deklara¬ 
tionszwang nicht durchführbar. Der Hauptwerth der Freibankerrichtung be.stände 
darin, dass Jeder, der nur Fleisch von gesunden Thieren kaufen, geniessen und 
mit dein üblichen Marktpreis bezahlen wolle, auch nur solches uud kein anderes 
in den öffentlichen Fleischerläden erhalte und andererseits derjenige, der sich 
nicht scheue, Fleisch von kranken Thieren zu geniessen, sobald dies nach An¬ 
sicht der S' chverständigen unschädlich sei, solches Fleisch zu einem billigeren 
Preise kaufen könne. Die mannigfachen Einwände gegen das Institut der Frei¬ 
bänke werden von dem Verfasser als unbegründet widerlegt uud dabei hervor- 
gehobeu, dass sich die Freibänke überall da, wo sie schon längere Zeit eingeftthrt 
seien, auf das Beste bewährt hätten. Mit Recht wird ausserdem die Verbindung 
eines Dampfkochapparates mit der Frcibankeinrichtuug empfohlen, da dadurch 
die Möglichkeit gegeben sei, das beanstandete Fleisch erforderlichenfalls nur im 
durchgekochten, also in völlig unschädlichem Zustande dem Verkehr zu über¬ 
lassen. 

Verfasser weist ferner auf die NothWendigkeit der Einführung einer 
geregelten Fleischbeschau auf dem flachen Lande und in den 
kleineren Städten hin, wo die Einrichtung öffentlicher Schlachthäuser nicht 
allgemein durchführbar sei. Eine derartige Massregel würde aber nur eine 
halbe sein, so lange sie sich nicht über das ganze deutsche Reich erstrecke. 
Das Unzuträgliche des gegenwärtigen Zustandes werde be.sonders klar, 
wenn man sich die Verhältnisse in der Umgebung der mit Schlachthäusern aus¬ 
gestatteten Städte vergegenwärtige. Hier werde von den Schlachtern alles Vieh, 
(las die Kontrole (dnes Schlachthauses nicht vertragen könne, anstandslos ge- 
.schlachtet und das betreffende Fleisch in den Verkehr gebracht. Dazu komme, 
dass gerade auf dem flachen Laude jährlich viele Tausende von NothschJach- 
tungen erfolgen, weil die Besitzer oft genug kurz vor dem wegen Krankheit 
drohenden natürlichen Ttale der Thiere den Schlachter holen lassen, um noch 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


257 


etwas Entschädigung zu retten. Auch dieses Fleisch gelange zum Genuss für 
Menschen in den Verkehr oder werde zur Wurstfabrikation u. s. w. benutzt. 
Solchen MissstAnden sei nur mit Erfolg durch eine allgemeine obligatorische 
Fleischbeschau zu begegnen, die überall da, wo Thierärzte ansässig seien, durch 
diese ausgefiihrt werden müsse, in allen anderen Orten durch Personen, die 
zuvor als Fleischbeschauer in ähnlicher Weise wie die Trichinenschauer 
auszubilden seien. Betreffs der Vorbildung und Prüfung solcher Fleischbeschauer 
macht Verfasser sehr zweckmässige Vorschläge und bringt schliesslich einen 
Entwurf für die gesetzliche Regelung des Fleisch beschauwese ns, 
um zu zeigen, dass eine derartige Regelung durchaus möglich und durchführbar 
sei. In diesem Entwürfe, mit dessen Inhalte, man sich vom hygienischen Stand¬ 
punkte aus nur einverstanden erklären kann, ist Verfasser besonders bestrebt 
gewesen, eine Grundlage für die technische Seite der Fleischbeschau zu schaffen. 
Wenn er hierbei das Fleisch je nach dem Befunde des Fleisches der geschlach¬ 
teten Thiere in „bankwürdiges“, noch geuiessbares, aber nicht „bankwürdiges“ 
und „ungeniessbares“ theilt, und den Begriff* „minderwerthig“ fallen lässt, so 
kann man ihm nur beistiminen. Interessant sind besonders mit Rücksicht auf 
den jüngsten Ministerialerlass vom 2d. März 1892 die Ausführungen des Ver¬ 
fassers in Bezug auf die Beurtheilung des Fleisches tuberkulöser Thiere. 
Er sagt: 

„Grundsätzlich wird man hierbei folgende Verhältnisse beachten müssen: 

a. Fleisch von tuberkulösen Thieren ist in jedemFalle als 
nicht bankwürdig zu bezeichnen. 

b. Sind die Thiere in gutem, gemästetem Nährzustande und ist der Sitz 
der Erkrankung nur in der Lunge und in den dazu gehörigen LymphdrUsen 
oder nur in dem üeberzug der Bauchorgane, so wird man das Fleisch selbst 
in rohem (?) Zustande, jedoch als nicht bankwttrdig, zum Genüsse zu« 
lassen dürfen. 

c. Ist die Ausbreitung der Krankheit, wie in b) angegeben und dabei die 
Thiere mässig genährt oder sind die Thiere in gutem Nährzustande und die 
Krankheit in geringerem Grade sowohl in den Organen der Brust wie in den 
Organen der Bauchhöhle (besonders Nieren, Leber, Milz und Knochen) vorhanden, 
so wird das Fleisch nur in gekochtem Zustande zagelassen werden dürfen. 

d. In allen anderen Fällen wird man das ganze Thier zur Verwerthung 
für technische Zwecke überweisen müssen. 

Bei der Beurtheilung des Fleisches tuberkulöser Thiere und bei der Zu¬ 
lassung solchen Fleisches für die menschliche Nahrung findet man sehr häufig 
die Bemerkung in den diesbezüglichen Veröffentlichungen, dass die Rücksicht 
„auf den Nationalwohlstand es erfordere“, nicht zu strenge mit der Vernichtung 
des Fleisches vorzugehen, weil dann grosse Fleischmengen, welche für die Er¬ 
nährung des Menschen unter geeigneter Vorsicht hätten verwerthet werden 
könuen, verloren gehen. Gewiss ist diese Auffassung bis zu einem bestimmten 
Grade richtig, allein man darf dabei doch schliesslich nicht auf den Standpunkt 
ankommen, dass das Publikum das Fleisch tuberkulöser Thiere in Menge gemessen 
muss, weil die Viehzüchter nicht ernstlich bemüht sind, die Krankheit einzu¬ 
schränken und auszurotten. Je entgegenkommender hier in der Fleisch¬ 
beschau verfahren wird, und je mehr durch die Versicherungen 
vollständiger Ersatz für die tuberkulös befundenen Thiere ge¬ 
leistet wird, um so weniger werden sich die Landwirthe beeilen, 
energisch die Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit 
in's Werk zu setzen. Da der Vieh Züchter nach unseren jetzigen 
Kenntnissen in erster Linie im Stande ist, bei der Tilgung der 
Krankheit mitzuwirken, so wird eine möglichst strenge Hand¬ 
habung der Fleischbeschau und eine zweckmässige Regelung 
dev Entschädigung ihn am ehesten hierzu veranlassen. 

Die Förderung des Nationalwohlstandes dürfte dann auch am besten er¬ 
folgen, wenn verhütet wird, dass unsere Viehbestände jährlich durch Tausende 
von tuberkulösen Thieren geschädigt und fortgesetzt die Gesundheit des Menschen 
in Gefahr gebracht wird. 

Würde bei anderen ansteckenden Krankheiten der Hausthiere, wie sie im 
Reichsviehseuchengesetz verzeichnet sind, der Besitzer der Thiere nicht gezwungen 
werden, event. bei Verlast des Entschädigungsanspruches eine gründliche Des¬ 
infektion der Stallungen vorzunehmen und zahlreiche andere Vorkehrungen zur 



2ö8 


Bespreehnngen. 


Vorbeagang eines Wiederausbruch&s der Seuche zu treffen, es würde niemals 
gelangen sein, die meisten Thiersencben im Laufe der Zeit so einzuschränhen, 
wie es glücklicherweise geschehen ist. Deshalb dürfte es auch für die Tilgung 
der Tuberkulose sehr unterstützend sein, wenn die Fleischbeschau möglich.st 
strenge gehandbabt wird.“ 

Vom hygienischen Standpunkt aus kann man sich mit diesen Ausführungen 
nur vollständig einverstanden erklären und sich nur freuen, dass sich auch von 
thierärztUcher Seite die Stimmen mehren, die entgegen dem jüngsten Ministerial¬ 
erlasse das Fleisch von tuberkulösen Thieren in keinem Falle als bank¬ 
fähig zuiassen wollen. Rpd. 


Besprechungen. 

Dr. Hermann Scholl, Assistent am hygienischen Institut der deut¬ 
schen Universität in Prag: Die Milch, ihre häufigeren 
Zersetzungen und Verfälschungen mit spezieller 
Berücksichtigung ihrer Beziehungen zur Hygiene. 
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Hüppe. Mit 17 Abbildungen. 
Wiesbaden 1891. Verlag von J. F. Bergmann. 

Die wichtige Rolle, welche die Milch in der Emährungsfrage spielt, hat 
von jeher Allen, welche sich mit den Aufgaben des VoUiswohls in dieser 
Richtung beschäftigten, Veranlassung gegeben, ganz besonders die Grund¬ 
sätze für die Beurtheilung der Milch festzustellen. Bisher hatte die Chemie in 
dieser Frage ausschliesslich das Wort. Die biologische Seite und die hiermit 
zusammenhängenden Forderungen der öffentlichen Gesundheitspflege sind erst in 
letzter Zeit mehr in den Vordergrund getreten. Sämmtliche für die technische 
und hygienische Beurtheilung der Milch in Betracht kommenden Gesichtspunkte 
zusammenzufassen und einheitlich zu verarbeiten, war die Aufgabe des Ver¬ 
fassers. 

Das 1. Kapitel behandelt die Zusammensetzung der Milch und die ver¬ 
schiedenen Milchsorten (S. 1—24). Im 2. Kapitel werden die bakteriolo¬ 
gischen Zersetzungen der Milch erörtert, die bekanntlich ein ausge¬ 
zeichneter Nährboden für eine gewisse Anzahl von Bakterien ist. Von 
den etwa 400 überhaupt bekannten Bakterieuarten sind höchstens 20—25 
häuflger in der Milch beobachtet, obschon Gelegenheit genug geboten ist 
in der Zeit vom Verlassen des Enters bis zum Genüsse der Milch zur In¬ 
fektion mit allen möglichen Mikropbytcn. Jede Bakterienspezies bildet auf einem 
bestimmten Nährboden bestimmte Stoffwechselprodukte; in der Milch giebt es 
eine ganze Reihe Bakterien, die als Hauptstofl'wechselprodukt Milchsäure bilden, 
wenn sie auch sonst durch die Produktion von anderweitigen Stoffen verschieden 
sind, ebenso wie in der Form. Diese Bakterien werden Milchsäure-Bakterien 
genannt. Werden diese Milchsäure - Bakterien auf einem andern Nährboden, 
z. B. in Bouillon, gezüchtet, so verkümmern sie in Bezug auf die Eigenschaft, 
Milchsäure zu bilden. In Milch zurückgebracht, „lernen sie die Bildung der 
MUchsäure“ allmählich wieder, bis nach einiger Zeit die Milchsäurebildung wieder 
in dem Maasse, wie früher, vor sich geht. Milch ist also für sie der Boden, 
dem sie sich angepasst haben. 

Die Zersetzungen der Milch in Folge Bakterienwachsthums sind im All¬ 
gemeinen : 

1. solche, bei denen keine für den menschlichen Organismus direkt schäd¬ 
liche Produkte auftreten: t 

a. normale Milchzersetzung (Sauerwerden), 

b. anormale Milchzersetzungen, Milchfehler (blanrotbe, schleimige, fadeu- 
ziehend Milch); 

2. solche, bei welchen Produkte auftreten, die für den menschlichen 
Organismus schädlich werden können (Zersetzungen durch pathogene Mikro¬ 
organismen). 

Die Bakterien, welche Milchsäure bilden und dadurch eine Gewinnung 
des Kaseins herbeiführen, sind in 2 Hauptgruppen eingetheilt: 



Bespreehongen. 


259 


1. spezifische Milchsäurebakterien, welche regelmässig in saurer Milch 
auftreten, in Keinknltnr auf sterile Milch flbertragen, diese in kurzer Zeit sauer 
machen und das Kasein in Form Ton Klumpen zur Ausscheidung bringen; 

2. fakultative Milchsänrebaktcrien, welche für gewöhnlich nicht in saurer 
Milch Vorkommen, welche aber auf sterile Milch geimpft, diese sauer machen 
und zur Gerinnung bringen. 

Diese beiden Arten unterscheiden sich von andern Bakterien, welche im 
Stande sind, eine Ausscheidung des Kaseins zu bewirken, aber nur bei alka¬ 
lischer Reaktion. 

Obgleich eine Trennung der Milchsäurebakterien sehr schwer ist, hat Ver¬ 
fasser doch eine Aufstellung der von Hüppe, Orotenfeld, Marpmann 
und Krueger isolirt gezüchteten und beschriebenen Milchsäurebakterien ge¬ 
macht, der eine Einzelbcschreibung folgt. Darnach gehören zu den fakulta¬ 
tiven Miichsäureerregem: der B. prodigiosus, die Staphylokokken und Bazillen 
der Eiterung, die Streptokokken des Eiters und der Wundrose, der Induration 
des Euters; der Micrococcus der Mastitis der Kühe, die Bakterien der Schweine¬ 
seuche, Rinderseuche u. s. w. Ausser Bakterien kommt auch den Spross¬ 
pilzen die Eigenschaft zu, Milchsäure zu produziren. Du de au z und G ro¬ 
te nfe Id haben je eine Hefe dieser Art beschrieben. Die Ducleanx'sche Hefe 
produzirt viel Alkohol und wenig Milchsäure, die Groteuf eld'sehe viel Milch¬ 
säure und wenig Alkohol. — Die Kefirkörner bestehen aus einem spezifischen 
Milchsäurebakterium, einer Alkoholhefe und einem Bakterium, Dispora caucasica 
genannt. Letzteres soll peptonisirende Eigenschaften besitzen. 

Die Wirkung der Bakterien, die bei alkalischer Reaktion eine Gewinnung 
des Kaseins bewirken, beruht auf einem von ihnen abgesonderten labartigen 
Ferment. Ausser dieser Gerinnung tritt aber eine Lösung des Kaseins ein 
(Peptonisirung) und ferner Auftreten von Leucin, Tyrosin, Ammoniak und 
Buttersäure; nach letzterer hat man die Gruppe der Fermentgährnngen häufig 
als Buttersäuregährnng bezeichnet. 

Die blaue Milch verdankt ihre Färbung dem B. cyanogenus Hüppe, mit 
einer Reihe von Variationen, die rot he Milch dem B. prodigiosus, dem Bakterium 
lactis erythrogenes oder der Sarcina rosacea, natürlich in verschiedenem Auftreten. 
Die schleimige und fadenziehende Milch beruht nicht, wie man früher 
annahm, auf dein Genuss gewisser Futtersorten, sondern ist gleichfalls auf die 
Thätigkeit von Bakterien zurttckzuführen und zwar entweder durch Abspaltung 
des Schleimes aus Milchzucker (Schmidt-Mühlheim, Hüppe, Rätz) oder durch 
Bildung der fadenziehenden und schleimigen Substanz aus den Eiweisskörpern 
(Löffler, Adametz, Hüppe, Flügge.). 

Infektion durch pathogene Bakterien der Milch: Von den 
pathogenen Bakterien vermögen in der Milch lebensRlhig zu bleiben: die 
Cholerabazillen 24 Stunden bis zu 4 Tagen, die Typbusbazillen bis zum 35. Tage, 
die Tuberkelbazillen bis zum 40. Tage. Wenn hierdurch schon die Möglichkeit 
der Uebertragnng auf den Menschen gegeben ist, so liegen anderseits direkte 
Beobachtungen der thatsächiiehen Uebertragnng vor, die Verfasser anführt. 
Scharlach- und Diphtherie-Epidemie, sowie Maul- und Klauenseuche, Milzbrand, 
septicämische und pyämische werden mit dem Genuss infizirter Milch in Ver¬ 
bindung gebracht. 

Das UI. Kapitel setzt Zweck und Aufgaben der rationellen 
Milch ko ntrole auseinander: 

1. Sanitäre Kontrole: Möglichstes Verhüten der Verbreitung von Infektions¬ 
krankheiten durch die Milch, einerseits von Menschen auf den Menschen, ander¬ 
seits vom Thier auf den Menschen. 

2. Polizeiliche Kontrole: Prüfung der Reinheit und Unverfälschthcit 
der Milch. — 

ad. 1 verlangt der Verfasser folgende Vorschriften: 

1. Der Stall, sowie die Milchbewahrungsräume müssen vollständig getrennt 
sein von Wohnhäusern. 

2. Die Milch muss in Holz- oder verzinkte Blechgefässe, welche mit einem 
übergreifenden Deckel verschliessbar sind, gemolken werden. 

8. Vor dem Melken muss die Kuh gereinigt und ihr Euter mit frisch ab¬ 
gekochtem Wasser gewaschen werden. 

4. Die Melkgefässe müssen vor dem Gebrauch durch gründliches Scheuem 
von Bämmtlichen etwa vorhandenen groben Unreinlichkeiten befreit und sodann 



260 


Besprechun^cen. 


noch durch anhaltendes Einströmenlassen von Dampf oder durch Auskochen von 
Mikroorganismen befreit werden. 

6. Nach dem Melken müssen die Gefässe sofort aus dem Stalle entfernt 
werden und in einen möglichst kühl gehaltenen Kaum gebracht werden, der 
vom Stalle getrennt ist, zu nichts Anderem benutzt wird und leicht einer gründ¬ 
lichen Reinigung unterzogen werden kann. 

6. In diesem Raume soll die Milch möglichst bald nach dem Melken in 
die Versandtgefasse übergcfüllt werden. 

7. Die Versandtgefasse selbst müssen entweder aus bleifreiem weLssem 
Glase oder aus verzinktem Blech hergestellt und möglichst sicher sterilisirt sein, 
was wieder zuerst durch gründlic hes Scheuern und dann durch Eiuleiten von 
Dampf oder durch Auskochen zu bewerkstelligen ist, in beiden Fällen muss das 
Stcrilisiren wenigstens */i Stunde fortgesetzt werden. Der Verschluss der Blech- 
gefasse hat mit einem übergreifeiidim Deckel zu geschehen, um die Ausgussötf- 
nung immer m(’>glichst gegen Veninreinigungcm durch Anfassen pp. zu schützen. 

Die Verhütung der Uebertragung von Infektionskraukheit-en von Thieren 
auf den Menschen geschieht durch: 

1. Strenge thierärztliche Kontrole. 

2. Mischen grosser Milchraengeu (Hinweis auf den Nachweis Bollinger's, 
(lass zur Infektion eine bestimmte Zahl von Tiiberkolbazillen zur Infektion 
nöthig sind). 

3. Sterilisircn der Milch (durch den Bitter’sehen Apparat, der der 
Milch auch das spezifische Aroma lässt). „Es darf unter keinen Umständen, 
sagt der Verfasser, rohe Milch in den Handel gebracht werden, sondern alle 
Milch muss vor dem Verkaufe einen sichern Sterilisations-Prozess dnrchgemacht 
haben. Da der einzelne kleine Milchbauer nicht im Stande ist, sich einen Sterili- 
sirungsapparat anzuschaffeu, st) haben die Gemeinde, die Stadt pp. Anstalten zur 
Sterilisirung der Milch zu errichten.^ — 

Das IV. Kai)itel handelt ausführlich von der Verfälschung der Milch 
und der chemischen Milchuntersuchung, mit Angabe der Untersuchnngs- 
inethoden; namentlich wird das Soxlilet’sciie Verfahren zur Fettbestiramung 
genau auseinander gesetzt. In Bezug auf diese Frage sei auf das Original verwiesen. 

Im V. Kapitel werden die M il c h ko nse r v ir u n gs in e t ho de n ausein¬ 
andergesetzt. 

1. Die chemischen Konservirungsniittel. 

a. Soda. Doppeltkohlensaures Natron: Der Zusatz ist durchaus zu ver¬ 
werfen, da derselbe nicht den mindesten Einfluss hat auf die Vernichtung von 
Saprophyten, den Parasiten aber Gtdegenheit giebt, sich noch länger, als beim 
Sauerwerden der Milch, lebensfähig zu erhaltcm. 

b. Borsäure hat nicht den geringsten konservirenden Werth. 

c. Salicylsäure konservirt zwar die Milch, hat aber durch chronischen Ge¬ 
nuss Schädlichkeiten für Kinder und Erwachsene im Gefolge. 

d. Wasserstoffsuperoxyd ist kaum als konservirendes Mittel geprüft, und 
würde der Zusatz von 10 strafbar sein, wegen Verdünnung der Milch. 

2. Vernichten der Bakterien durch Hitze. 

a. Pasteurisiren, d. i. Erwärmung der Milcli in entsprechenden Apparaten auf 
70—75^ C. mit nachfolgender Abkühlung auf 8 Grad. — Zunächst gelingt es 
nicht durch dieses Verfahren alle Parasiten, wie Typhus und Tuberkelbazillen, 
sowie alle Saprophyten zu tödteu, anderseits gestatten die Methoden auch wieder 
eine Neuinfektiouder Milch. Der Bitte r'sche Apparat mit dem Schmidfischen 
Kühler genügt jedoch in jeder Beziehung. Sämmtliche Parasiten und die 
meisten Saprophysen werden getödtet, dazu wird der Milch der frische Ge¬ 
schmack nicht genommen. 

b. Sterilisiren: Um jedoch die Milch völlig keimfrei zu machen und sie 
auf unbegrenzte Zeit zu erhalten, ist die Sterilisirung in Anwendung zu ziehen, 
freilich mit Verzicht auf den frischen Geschmack und die weisse Farbe. Dieses 
geschieht durch Erhitzen der Milch durch 2 -8 Stunden in einem Bitter’schen oder 
ähnlichen Apparat auf 100C. und hierauf Kinlüllung in sicher sterilisirte, her¬ 
metisch verschliessbarc Gefässe (Flaschen) oder durch vorherige Füllung der Milch 
in Flaschen oder verlöthete Blechbüchsen und Erhitzung dieser durch 15—30 Mi¬ 
nuten aut* 110—115*^ G. Die Apparate von Soxlilet, Escherich, Schmidt- 
Mühlheim und Egli genügen den hygienischen Anforderuiigen vollständig in 
Bezug auf die Kinderernährung. 



Besprechnn^^n. 


261 


Im Anhänge werden noch „Anhaltspunkte fhr bakteriologisuhe Milchuntor* 
suchnngen“ gegeben. Anob in Bezug hieran! muss auf das Original verwiesen 
werden. — 

Die „Hygiene der Milch“ ist in dem Buche vollständig und gründlich 
erörtert. — Dr. Overkamp-Warendorf. 


Dr. J. von Kerschensteiner, Geheimratli: Krankenhäuser für 
kleinere Städte und ländliche Kreise. 11. Auflage. Mit 
einer Karte. Braunschweig 1892. Verlag von Vieweg & Sohn. 
Gross 8®, 47 Seiten. 

Die Schrift enthält den Abdruck des auf der XVI. Versammlung des 
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Braunschweig im Sep¬ 
tember 1890 erstAtteten Referates. Die in derselb^en aufgestellten Tnesen sind 
so klar und bündig dargestellt^ sind den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte so 
angepasst, dass sich Jeder, der sie noch nicht aus dem Versammlungsberichte 
her kennt, durch diese Schrift mit den heute maassgebenden hygienischen Prin¬ 
zipien beim Bau kleinerer Krankenhäuser vertraut machen kann. Die vorliegende 
Abhandlung ist als mustergiltig zu betrachten und sollte allen in Frage kommen¬ 
den Behörden zur Anschaffung empfohlen werden, ebenso wie dies mit dem den 
gleichen Gegenstand behandelnden Menke'sehen Buche von Seiten des Königl. 
Bayer. Staatsministeriums des Innern nach einer gutachtlichen Aeusserung des 
Kgl. Obermedizinal-Ausschusses geschehen ist. Dr. Israel- Medenau (Ostpr.) 


Dr. Adolf Jolles: üeber den gegenwärtigen Stand der 
hygienischen Wasser-Begutachtung. Ein Vortrag. Wien 
1892. Verlag von Urban & Schwarzenberg. Gross 8®, 18 S. 

Von der Ansicht ausgehend, dass das Trinkwasser in ätiologischem Zu¬ 
sammenhänge mit Infektionskrankheiten, insbesondere mit Typhus abdominalis 
stehe, dass also im Gegensatz zu der Lehre der Pet tenk of er'sehen Schule 
durch die Anlage von guten Wasserleitungen der Ausbreitung von Infektions¬ 
krankheiten Einhalt gethan werden kann, hat sich Verfasser in seinem Vortrage 
zuerst die Frage vorgelegt, wie gutes Wasser zu erhalten sei. Dann will er, 
dass man zur Beantwortung der Frage, ob ein Wasser zum Genüsse und zum 
Hausgebrauche zulässig und anwendbar sei, sich heute nicht mehr mit der chemi¬ 
schen Untersuchung begnügen dürfe, sondern, dass man daran anschliessend, 
auch die mikroskopisch - bakteriologische Untersuchung anstellen müsse. Im 
Uebrigen sind die bekannten Untersuchungsmethoden erwähnt und der auch von 
uns vertretene Standpunkt eingenommen, dass der Hygiene in erster Linie die 
Aufgabe zufalle, die Entstehung von Krankheiten zu verhüten, dass es demnach 
keineswegs genüge, nur ein solches Wasser znrückzuweisen, welches nachweislich 
gesundheitsschädliche Stoffe enthält, sondern auch ein solches, weiches mög¬ 
licherweise derartige Stoffe enthält. Ders. 

Dr. Lassar-Cohn, Privat-Dozent der Cliemie in Königsberg i. Pr.: 
Moderne Chemie, Zwölf Vorträge von Aerzten gehalten. 
Hamburg und Leipzig 1891. Verlag von Leopold Voss. Gross 
166 Seiten. 

Leyden's bekanntes Wort: „Die Zukunft der Medizin gehört der Chemie“ 
bewahrheitet sich mehr und mehr, und die Ueberfülle unentdeckter Heilmittel 
aus der Gruppe der Kohlenstoflfverbiudungen macht es jedem Praktiker zum Be- 
dürfniss, Fühlung mit den Fortschritten der (’hemie zu halten. Nicht am 
wenigsten aber kommt es dem Medizinal-Beamten zu, der ja auch als Examina¬ 
tor der Apothekerlehrlinge dies Gebiet beherrschen soll, sich die nothwendigen 
Kenntnisse zu erwerben und zu bewahren. Mit Freuden wird daher Jeder ein 
Werk begrüssen, da.s den medizinischen Standpunkt berücksichtigend in klarer 
und präziser Weise Aufschluss giebt über das System und die mannigfachen Be¬ 
ziehungen der komplexen Verbindungen zur Physiologie, Pathologie und Phar¬ 
makologie. Das vorliegende Werk entspricht jedoch diesen Anforderungen nicht 
völlig. In gewandter Diktion behandelt es nach kurzer Einleitung in die Chemie 



262 


Tagesnachrichteu. 


die heute herrschenden Anschauungen über den Bau und .die Zusammensetzung 
der Kohlenstoffverbindnngen, wobei namentlich die medizinisch - interessanten 
Körper Erwähnni^ und Einreihung in das System finden. Für den mit der 
organischen Chemie Vertrauten bildet es eine recht dankenswerthe Lektüre und 
frischt die Kenntnisse in bequemer Form auf. Für ältere Kollegen aber, die 
„der modernen Chemie“ etwas entwachsen sind, ist das Buch trotz mancher 
interessanter Appercu’s zur Information weniger zu empfehlen. Die Fülle der 
vorgebrachten Thatsachen wirkt erdrückend und ermüdend, und ist wenig ge¬ 
eignet, die Regungen nach Kenntniss dieser Wissenschaft zu stärken. Es soll 
der Schrift selbst hiermit kein Vorwurf gemacht sein, und Referent erkennt 
ausdrücklich die gewandte Form der Darstellung an. Der beschäftigte Arzt ver¬ 
langt aber zu seiner Information ein Werk, das ihm nicht nur mit der Theorie 
der organischen Chemie vertraut macht, sondern auch das Vorkommen der Kohlen¬ 
stoffverbindungen, Eigenschaften und die Veränderungen im Körper berücksich¬ 
tigt. Das Lassar-Cohn’sehe Werk macht daher die Beschaffung auch solcher 
Werke nothwendig, die dem vorgezeichneten Standpunkte in grösserem Maassc 
und unter Berücksichtigung der systematischen Darstellung der organischen 
Chemie entsprechen. Kreisphys. Dr. Grisar-Trier. 


Tagesnachrichten. 

Die Prüfung und Beaufsichtigung der Fleisehbeschauer in Posen, 
(Eingesandt.) Die Zeitschrift für Medizinalbeamte bringt in ihrer Nr. 9 eine Mit¬ 
theilung über die neueste Ordnung der Angelegenheit, betreffend die Prüfung der 
Fleischbeschauer im Bezirk Posen. Danach sollen die Kreisphysiker „wie früher“ die 
Berechtigung haben, Fleischbeschauer auszubildcn und zu prüfen. Dieselbe Be¬ 
rechtigung sollen ans „rein örtlichen“ Gründen die Kreis-Thierärzte haben; 
ausserdem sollen die Kreis-Thierärzte die Nachprüfung der Fleischbeschauer aus¬ 
schliesslich behalten. 

Wenn in der gedachten Mittheilung ausgeführt wird, dass die Kreisphysiker 
die Berechtigung der Ausbildung und Prüfung der Fleischbeschauer „wieder wie 
früher“ haben sollen, so muss dem gegenüber hervorgehoben werden, dass eben 
leider der frühere Zustand nicht wieder hergestellt ist. Denn früher hatten die 
Physiker diese Berechtigung alllein und ausschliesslich. 

Wenn es dem Vertreter der Veterinär-Aerzte des Regierungsbezirks Posen 
gelungen ist, während der Vakanz der Regierungs- und Medizinalraths-Steile es 
durchzusetzen, dass die technischen Vertreter der Sanitäts-Polizei in den Kreisen, 
also die Kreisphysiker, zeitweise aus diesen wichtigen sanitätspolizeilichen Ge¬ 
schäften verdrängt wurden, so ist dies ein ausserordentlich trauriges 
Zeugniss für die geringe Werthschätzung, welche unsere 
Thätigkeit bei den massgebenden Persönlichkeiten geniesst. 
Und dass gerade Posen, wo die Geschäftsführung der beamteten Aerzte eine 
ganz besonders schwierige, und die Aintsfreudigkeit so wenig fördernde ist, den 
traurigen Ruhm haben musste, die Stellung der Physiker durch die Kreisthier¬ 
ärzte übei-flügelt zu sehen, ist für die Betheiligten eine tief traurige, aber nicht 
mehr wegzuleugnende Thatsache. Die neueste Regelung der Angelegenheit ist 
ein Kompromiss, welcher unserer Ansicht nach nachtheilig wirken und auf die 
Dauer nicht aufrecht zu halten sein wird. Wir wissen sehr wohl, dass die 
neueste Regelung der Sache ausschliesslich das Verdienst eines 
Mannes ist, welcher trotz seiner noch so kurzen Amtsführung 
mit fester Hand die leidige Angelegenheit in Angriff ge¬ 
nommen und den massgebenden Persönlichkeiten das abge¬ 
rungen hat, was sich zur Zeit hat erreichen lassen. Aber wohin 
soll das führen, dass sowohl der Kreisphysikus als auch der Kreisthierarzt, die 
Berechtigung zur Prüfung der Fleischbeschauer haben sollen? An unsern stärker 
besuchten Universitäten sind für die ärztlichen Staatsprüfungem meist zwei 
Paralell-Koinmissionen thätig, und in vielen Fällen hat die eine Kommission den 
Ruf der Strenge, die andere den der grö.sseren Milde. Wenn die Kreisphysiker 
und Kreis-Thierärzte die Fleischbeschauer zu prüfen berechtigt sind, so wird 
es bald auch in jedem Kreise einen guten und einen bösen Examinator 
geben. Sollen nun die Herren Fleischbeschauer - Aspiranten die Wahl haben 
zwischen den beiden Prüfenden? Oder sollen die Prüfungen der Gerechtigkeit 



Tagesnaohrichten. 


263 


wegen umschichtig vertheilt werden? Oder soll die Verwaltungsbehörde das Recht 
haben, den Prütlmg an einen bestimmten Examinator zu weisen? Wie dem 
auch sei, glauben wir nicht, dass durch eine derartige Rivalität der Sache selbst 
gedient sei; in keinem Falle wird die jetzt schon stark bedrängte Berufsfreudig¬ 
keit der Physiker dadurch gehoben werden. 

War denn überhaupt ein zwingender Grund vorhanden, das ursprüngliche 
Verhältniss, wie es hier ira Posen’schen bestand, und wie es, unseres Wissens 
unangefochten, jetzt noch im ganzen preiissisehen Staate besteht, zu Unguusten 
der Physiker zu ändern? Tragen die Physiker irgendwelche Schuld an der 
„Mangelhaftigkeit des Fleischschau-Personals sowohl hinsichtlich der Zahl, als 
hinsichtlich der Leistungsfähigkeit?^^ Einen grossem Andrang zu dem Amte der 
Fleischbeschauer herbeizuführen, liegt wohl schwerlich in der Macht der Physiker. 
Und was die Leistungsfähigkeit betrifft, so sind eben nur zwei Möglichkeiten 
gegeben; entweder die Kreisphysiker haben die Prüfungen gewissenhaft und 
genau nach den geltenden Bestimmungen durchgeftthrt, oder sie haben dies nicht 
gethan und sonach ihre Pflicht nicht erfüllt. Im letzteren Falle wäre es besser 
gewesen, dies oft’en auszusprechen; es wäre dies tief schmerzlich für die Physiker 
gewesen, würde die Sachlage aber entschieden geklärt haben. Vor einer Reihe 
von Jahren hat Virchow einmal bei einer Debatte im Abgeordneten-Hause die 
Ansicht ausgesprochen, das Beamten-Material in der Provinz Posen stände nicht 
auf der Höhe desjenigen in den übrigen Provinzen des Staates. Klingt es nicht 
wie eine Bestätigung dieser unliebsamen Aeusserung durch unsere Vorgesetzten, 
wenn nun grade in der Provinz Posen die Physiker zuerst hinter die Kreis- 
Thierärzte und dann durch das Dazwischentreten eines thatkräftigen Mannes 
nothdürftig neben diese gestellt werden? Ist denn das Material, aus 
welchem sich die Kreis-Thierärzte der Provinz Posen rekrutiren, in der That ein 
so hervorragendes gegenüber den Physikern? 

Die Thatsache, welche in der Mittheilung in Nr. 9 dieser Zeitschrift er¬ 
wähnt ist, dass nämlich die Zahl der trichinös befundenen Schweine im Bezirk 
Posen eine ungewöhnlich grosse ist, beruht auf wirthschaftlichen Verhältnissen, 
welche hier nicht zu erörtern sind. 

Sie spricht aber durchaus nicht für die geringere Leistungsfthigkeit der 
Fleischbeschauer der Provinz Posen, da kaum jemals in einem Falle, in welchem 
die hiesigen Fleischbeschauer Trichinen gefunden haben, das Nichtvorhandensein 
derselben von einer höheren Untersuchungsinstanz nachgewiesen worden ist. 
Andererseits sind nur äusserst selten Fälle bekannt geworden, in welchen eine 
Erkrankung nach dem Genuss von trichinösem Fleisch eingetreten ist, trotzdem 
ein amtlicher Fleischbeschauer dasselbe für trichinenfrei erklärt hatte. Dass 
hier Erkrankungen an Trichinose vielleicht etwas häufiger Vorkommen, kann 
nur daran liegen, dass die Zahl der angestellten Fleiscbbeschauer keine aus¬ 
reichende ist, und dass noch recht häufig, hauptsächlich auf dem platten Lande, 
nnuntersuchtes Fleisch gegessen wird. Lehrer, Heildiener, Barbiere und Gast- 
w'irthe bilden hauptsächlich das Material, aus welchem die Fleischbeschauer her¬ 
vorgehen, und es ist nicht auzunehmen, dass in andern Bezirken, welche eben¬ 
falls wenig Industrie und hauptsächlich Landwirtbschaft haben, Personen besserer 
Stände sich zu dem Amte eines Fleischbeschauers drängen. 

Zweifellos ist aber gerade wegen des häufigen Vorkommens von trichi¬ 
nösen Schweinen im Bezirk Posen, abgesehen von der Vermehrung der Fleisch¬ 
beschauer, eine regelmässige und stetige Koiitrole derselben dringend geboten. 
Diese Kontrole, welche viele Physiker schon lange für ein dringendes Bedürfniss 
erklärt haben, ist nun durch die neueste Instruktion zur Ausführung der Fleisch¬ 
schau ausschliesslich den Kreis-Thierärzten übertragen worden. Zum Tröste für 
die Physiker wird hervorgehoben, dass diese Bevorzugung der Kreis - Thierärzte 
durch die ungünstigen Verhältnisse geboten und zudem eine kostenlose ist. 
Allerdings sind die Verhältnisse in der Beziehung ungünstig, dass die Kreis- 
physiker bei Weitem weniger Gelegenheit haben zu amtlichen Reisen, als die 
Kreis-Thierärzte, für deren dienstliche Inanspruchnahme die Viehseuchen-Gesetz¬ 
gebung klare Vorschriften gebracht hat. Während bei epidemischen Krank¬ 
heiten der Kreisphysikus möglichst selten und dann auch gewöhnlich zu spät 
zur amtlichen Untersuchung an Ort und Stelle veranlasst wird, machen die Thier¬ 
ärzte eine überraschend grosse Zahl von Dienstreisen, deren weitere Vermehrung 
in vielen Fällen von ihrem eigenen Urtheil abhäugt. Wird aber diese grössere 
Zahl der Dienstreisen der Kreis-Thierärzte für die Durchführung einer schärfe- 



264 


Tagesnachrichten. 


\ 

ren Kontrole der Fleischbeschauer auf die Dauer benutzt werden? Möglich in 
der ersten Zeit, wo die Freude über den über die Physiker davongetragenen 
Sieg noch frisch ist. Auf die Dauer wird sich nach unserer Kenntniss der Ver¬ 
hältnisse eine derartige gelegentliche Kontrole gar nicht durchführen lassen. 
Man wird im Gegentheil sehr bald dazu gelangen, dass die Fleischbeschauer zu 
den Nachprüfungen in den Wohnort des Kreisthierarztes vorgcladen werden. 
Thatsächlich ist auch jetzt schon an manchen Orten die Aufsicht seitens der 
Kreis-Thierärzte in dieser Weise gehandhabt worden. Wir sehen keinen Grund, 
wesshalb, wenn nun durchaus die Kontrole eine kostenlose sein soll, nicht die Kreis¬ 
physiker dieselbe in derselben Weise durchführen konnten wie bei den Hebammen. 

Allerdings muss zugegeben werden, dass eine wirklich erfolgreiche Kon¬ 
trole nur dann möglich ist, wenn sie unerwartet und überraschend geübt wird. 
Es ist aber dem aufsichtführenden Beamten sehr gut möglich, an einem Tage 
fünf Fleischbeschauer überraschend aufzusuchen, sie über Theorie und Praxis der 
Fleischschau zu prüfen und ihre Mikroskope zu untersuchen. Wenn zwei solcher 
Reisen in jedem Jahre gemacht würden, würde jeder Fleischbeschauer etwa idle 
drei Jahre einer unerwarteten Nachprüfung unterzogen werden können. Die ge¬ 
ringen Ausgaben für eine sanitätspolizeiliche Massregel, deren grosse Wichtig¬ 
keit durch die Angaben in Nr. 9 dieser Zeitschrift über das häufige Vorkonunen 
der Trichinose in der Provinz Posen erwiesen wird, werden den Staatssäckel 
wohl nicht allzu sehr belasten. Finden sich doch stets bereite Mittel, um im¬ 
posante Fagaden an öffentlichen Monumental-Bauten herzustellen! Ist denn das 
Leben und die Gesundheit der Bürger nicht mindestens ebenso viel werth, ak 
diese Dinge, deren Herstellung vielleicht sehr wünschenswerth, aber doch nicht 
unbedingt nothwendig sind ? Die Kostenlosigkeit drückt die Ausführung mancher 
wichtigen sanitätspolizeilichen Massregel herab und macht sie zu einem unlieb¬ 
samen Anhängsel, mit welchem man sich schlecht und recht abfindet. Die 
jetzige Regelung der peinlichen Angelegenheit betrachten wir als einen Noth- 
behelf, um aus der Sackgasse, in welche man gerathen ist, mit möglichster 
Schonung der betheiligten Persönlichkeiten wieder heraus zu kommen. Ein end¬ 
gültiger Abschluss ist sie nicht und kann sie nicht sein, da auf die Dauer der 
Bezirk Posen sich nicht von dem in andern Bezirken ^Itigen Verfahren aus- 
schliessen kann. Li^en denn die Verhältnisse im Bezirk Bromberg etwa anders 
und günstiger wie in Posen? Wir hoffen und wünschen, dass es dem Vertreter 
der Physiker in Posen allmählig gelingen werde, ganze Arbeit zu thun und für 
die Physiker das Terrain wieder zu erobern, welches sie durch die Arbeitsmüdig¬ 
keit seines vorletzten und die lange und schwere Krankheit seines letzten Vor¬ 
gängers verloren haben. 

Warmherzige Thatkraft der ärztlichen Vorgesetzten der Physiker bei den 
Regierungen und den höheren Verwaltungs-Instanzen ist das erste Erfordemiss, 
um die Kreispbysiker aus der Aschenbrödel-Stellung, in welche sie überall hin¬ 
eingedrängt sind, allmählig zu befreien und sie zu wirksamen Mitarbeitern am 
Volkswohl und der öffentlichen Wohlfahrt zu machen. 


Am 10. d. Mts. ist im Kaiserlichen Gesundheitsamte die bereits im 
Herbst v. J. (s. Nr. 21, S. 591 der Zeitschrift, 1891) einberufen gewesene 
Kommission zur Berathung eines Gesetzentwurfes, betreffend die einheitliche 
Regelung des Giftverkehrs, wiederum zu einer Berathung zusammengetreten. 


Das vom Reichstag angenommene Gesetz, betreffend den Verkehr mit 
Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken, (s. Nr. 6 und 7 der 
Zeitsc^ift) hat nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths unter dem 
20. April d. J. die Genehmigung des Kaisers erhalten und ist in Nr. 104 des 
Reichsanzeigers veröffentlicht worden. Der Text desselben wird in der Beilage 
der nächsten Nummer abgedriickt werden, ebenso wie eine unter dem 29. April d. J. 
erfolgte Bekanntmachung, betreffend die Ausführung dieses Gesetzes. _ 

Berichtigung. In dem Bericht über die Frühjahrs - Versammlung der 
Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Magdeburg (Nr. 8, S. 193 der Zeit¬ 
schrift) ist gesagt, dass die dortigen Medizinalbeamten einen „Verein“ gegründet 
hätten. Dies beruht auf einen Irrthum; die bisherigen Versammlungen waren 
lediglich freie Vereinigungen der Kreisphysiker des Bezirks; ein Medizinalbe- 
amten-Verein existirt im dortigen Regierungsbezirk nicht. _ 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. C. C, Brunt, Bachdruckerei, Mindeu. 





6. Jahrg. 


Zeitschrift 

für 


18 » 3 . 


MEDIZINALBEAMTE 

Heraasgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichÜ.Stadtphysikus in Berlin. und Mcdi^inalmtb in Mini!('ii. 

uud 

Dr. WILH. SANDER 

Mecliiinalratli und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darchlaufende Petitzcile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlunfi^ and Rod. Hotse 

entgegen. 


No. 11. 


Brsclieint am 1. und 15. Jeden Monats. 
Preis J&hrlioh 10 Mark. 


1. Juni. 


Beobachtungen Uber eine Infektionskrankheit des Ueber- 
schwemmungsgebietes der schwarzen Elster. 

Von Dr. Dietrich, Kreisphysikus in Liebenwerda. 

Die in Nr. 24, Jahrgang 1891 der Zeitschrift für Medizinal- 
beamte und in Nr. 4 des Jahrgangs 1892 derselben Zeitschrift 
enthaltenen Angaben über eine eigenartige Ki’ankheit des schlesi¬ 
schen Ueberschwemmungsgebietes (Oder und deren Nebenflüsse) 
veranlassen mich, die im Kreise Liebenwerda und zum Theil auch 
im Kreise Schweinitz schon in früheren Jahren vereinzelt, besonders 
aber während des Sommers 1891 aufgetretenen Erkrankungen des 
Ueberschwemmungsgebietes der „schwarzen Elster“ und deren 
Nebenflüsse Eüder und Pulsnitz einer eingehenden Beiichterstattung 
zu unterziehen. Schon im Quartalbericht pro III. Quartal 1891 
berichtete ich kurz an den Herrn Kegierungspräsidenten zu Merse¬ 
burg über diese im Jahre 1891 im hiesigen Kreise bösartig grassirende 
Krankheit. Eine ausführlichere Darstellung der Erkrankung, welche 
vom Volksmund mit dem Namen des „Snmpffiebers“ belegt ist, ent¬ 
hält der Hauptsanitätsbericht pro 1891, dem ich die nachfol¬ 
genden Beobachtungen entnehme, da sie an sich des Interessanten 
genug bieten und noch besonders bekannt zu werden verdienen 
ira Hinblick auf obige Veröffentlichungen, mit deren Inhalt meine 
Beobachtungen meist übereinstimmen. 

Eine kurze Darstellung der hydrographischen und geognostischen 
Beschaffenheit des Kreises Liebenwerda ist nöthig, um die Ent¬ 
stehung des „Sumpffiebers“ zu erläutern. Der Kreis Liebenwerda 
besteht in der Hauptsache aus einer langgestreckten, ungefähr 
50 Kilometer nordwestlich ziehenden Niederung, in welcher die 
schwarze Elster in einem regulirten Bette fliesst. Vor der Regu¬ 
lirung war diese Niederung wie der Spreewald durchzogen von 
vielen kleinen Armen und Nebenbetten der Elster. Im Laufe der 







266 


Dr. Dietrich. 


Zeit hat sich der Untergrund der Niederung derart gebildet, dass 
durch Anschwemmung eine feste, zum Theil ganz undurchlässige 
Schicht fetten Moorbodens entstanden ist, auf welcher sich reiner 
oder gemischter Sand von verschiedener Höhe, meist nicht über 
1,5 m. hoch gelagert hat. Sobald Niederschläge erfolgen, steht 
das Wasser auf allen tiefeien Flächen ui.d zwar meist so lange 
bis es verdunstet, da es in den Untergrund nicht gut abfliessen 
kann. Im Jahre 1889 war mir nach meiner Versetzung in den 
hiesigen Kreis sofort aufgefallen, dass zur Zeit der Heuernte in 
einzelnen Dörfern Erkrankungen von demselben Charakter vor¬ 
kamen. Es erkrankten ausschliesslich ländliche Arbeiter und 
Arbeiterinnen, und zwar von diesen wiederum nur diejenigen, welche 
auf und an der überschwemmten Fläche gearbeitet hatten — auch 
wohl von dem Schlammwasser getrunken hatten. Ein Fall ist mir 
bekannt geworden, wo ein Holzarbeiter in der Nähe einer über¬ 
schwemmten Wiese mit Fällen von Holzstämmen beschäftigt und 
zwar auf trocknem Terrain, beim Vespern vom Wasser der nahen 
Wiese trinkt und in derselben Nacht vom Siimpffieber befallen 
wird. Auch sind Feldarbeiter, welche einen an ein Dorfgrundstück 
grenzenden Plan zu Garten herrichten sollten, nachdem sie einige 
Tage in dem schon abgetrockneten und stellenweise noch feuchten 
Boden gearbeitet und gegraben hatten, der Reihe nach erkrankt. 
Die Erkrankten wurden nach der Arbeit von einem Schüttelfrost 
befallen, an welchen sich die Empfindungen des Schwererkrankt¬ 
seins anschlossen. Kreuzschmerzen, eingenommener Kopf und 
ziehende Schmerzen in allen Gliedern, begleitet von Schmerzen in 
der Magengegend veranlassten die Herbeiziehung des Arztes, 
welcher wohl gastrisches Fieber, in schwereren Fällen Nerven¬ 
fieber annahm, jedoch zu einer sicheren Diagnose nicht kommen 
konnte. Im Jahre 1890 wiederholte sich zu derselben Zeit, unter 
denselben Umständen und in denselben Dörfern (Oschätzchen, 
Cosilenzien, Cröbeln, Möglenz, Lausitz, Plessa, Mückenberg und 
Andere) die beschriebene Krankheitsform. Umfragen bei den Herren 
Aerzten ergaben, dass auch in anderen Arztbezirken des Kreises 
ähnliche Fälle zur Zeit der Wasserarbeit beobachtet worden seien, 
jedoch im Ganzen vereinzelt. 

Im Jahre 1891 war die Niederung der Elster und ihrer 
Nebenfiüsse Röder und Pulsnitz besonders anhaltend über¬ 
schwemmt, nach jedem Regen standen Felder und Wiesen unter 
Wasser. Seit Ende April liefen zunächst vereinzelt, später 
häufiger Meldekarten über Fälle von gastrischem Fieber, Ner¬ 
venfieber und Unterleibstyphus ein. Nähere Erkundigungen er¬ 
gaben, dass diese Erkrankungen identisch waren mit der oben 
beschriebenen Krankheitsform. Auch häuften sich die Fälle von 
leichteren Erkrankungen gastrischer Natur. Ende Mai begannen 
die schon in den früheren Jahren befallenen Dörfer Erkrankungen 
zu melden. Dieselben gingen diesmal Haus bei Haus; es erkrankten 
jedoch nur diejenigen Knechte, Mägde, Besitzer und deren Söhne und 
Töchter, welche im stagnirenden Wasser gearbeitet hatten. Um¬ 
fragen bei den Herren Aerzten ermittelten, dass in allen Ai'zt- 



Beobachtungen über eine Infektionskrankheit etc. 


267 


bezirken gleichmässig, am wenigsten im Bezirk Mühlberg a. E., 
welcher aus einer an die Elbufer angrenzenden höher gelegenen 
Ebene besteht, zahlreiche Erkrankungen derselben Art und nach¬ 
weislich nur in den Ueberschwemmungsdistrikten in Folge des 
Aufenthaltes im stagnirenden Wasser zur Beobachtung gelangten. 
Eine direkte Ansteckung des Gesunden vom Kranken ist nicht 
beobachtet worden, sie kann vielmehr mit Sicherheit ausgeschlossen 
werden, da die Angehörigen der Erkrankten stets frei blieben, so 
lange sie nicht mit dem siechhaften Boden in innigere Berührung 
kamen. Bei Kindern sind typische Fälle von Sumpffieber nur ver¬ 
einzelt beobachtet worden. Die Gesamintzahl der Erkrankungen 
während del* Monate April, Mai, Juni, Juli, August, September ist 
im Kreise Liebenwerda auf ungeföhr 3000 geschätzt worden. Es 
ist jedoch diese ziffenimässige Angabe unsicher und jedenfalls zu 
niedrig gegriffen, da vielfach Ed’ankheitsfalle in Folge ihres harm¬ 
losen Verlaufes nicht zur öffentlicnen Kenntniss kamen. Die An¬ 
nahme, dass der Bevölkerung ergriffen worden sind, ist den 

thatsächlichen Verhältnissen entsprechend. Auch im Nachbarkreise 
Schweinitz sollen im unteren Elstergebiet eine grosse Anzahl der 
in Rede stehenden Erkrankungen vorgekommen sein. 

Allgemeiner Krankheitsverlauf: Eine genaue Beobachtung 
darüber, ob eine gewisse Zeit und welche Zeit nach der Infektion 
regelmässig verlief, ehe die Krankheitserscheinungen auftraten, ist 
nicht gemacht worden. Die meisten Befallenen erkrankten im 
Laufe der Arbeit im infizirten Boden, in einigen Fällen trat schon 
6—10 Stunden nach der muthmasslichen Infektion (Trinken sumpfigen 
Wassers) die Erkrankung in Erscheinung. Eine lange Inkubation 
ist nicht anzunehinen. Immer setzte die Krankheit mit Frösteln oder 
einem Schüttelfrost ein, an welchen sich ein Fieber von gleich¬ 
bleibender, zuweilen enormer Höhe anschloss. Es folgten Kreuz-, 
Kopf- und Gliederschmerzen, Benommenheit des Sensoriums, Delirien 
— in allen Fällen heftige Magenschmerzen. Meist war Verstopfung 
vorhanden. Milzschwellung ist vielfach beobachtet worden; ein 
Ausschlag dagegen nicht. Nach 3—10 Tagen erfolgte der Abfall 
der Temperatur regelmässig in einer Zeit von 2—3 Tagen unter 
reichlicher Sch Weissentwicklung und dem Nachlasse sämmtlicher 
Krankheitserscheinungen. Eine Genesung trat meist nach 14 Tagen 
ein, wenn nicht durch die sehr häufigen Komplikationen ein 
längeres Krankenlager bedingt wurde. Dies der allgemeine Typus. 

Im Speziellen zeigte der Fieberverlauf eine mannigfache Ver¬ 
schiedenheit in der Höhe; meist setzte nach dem Schüttelfrost eine 
Temperatur von 39,5®—40,5® ein. Bei einem secliszehnjährigen 
Mädchen wurde eine Temperatur von 41,2® beobachtet. Andere 
Fälle traten mit einer Temperatur unter 39 ® ein. Alle aber hatten 
gemeinsam, dass die Temperatur während der nächsten Tage gleich 
hoch blieb, mit geringen abendlichen Exacerbationen von 0,2 ® —0,5 ®, 
und dann im langsamen Absteigen während 2-3 Tagen auf die 
Norm herabsank. Nur vereinzelt wurde das Fastigium in Folge 
starker* Blutungen aus der Nase durch einen vorübergehenden 
Temperaturabfall unterbrochen. Die Erscheinungen, welche bei 



268 Dr. Dietrich: Beobachtungen über eine Infektionskrankheit etc. 


allen Erkrankungen am konstantesten waren und die Diagnose 
„gastrisches Fieber“ veranlassten, waren die Symptome von Seiten 
des Verdauungstraktus. Es trat gleich bei Beginn der Erkrankung 
ein heftiger Schmerz in der Magengegend auf. Appetitlosigkeit 
war stets vorhanden. Erbrechen nur im Anfang der Erkrankung. 
In der Kegel bestand in den ersten Tagen der Erkrankung Ver¬ 
stopfung. Die beobachteten Durchfälle sind meist auf Abführmittel 
zurückzuführen, welche die Angehörigen verabreichten, bevor der 
Arzt zugezogen wurde. In vielen Fällen war Schmerzhaftigkeit 
des ganzen Leibes vorhanden. Einzelne Fälle zeigten in der Zeit 
vom 7. bis 9. Tage des Fastigiums Erscheinungen einer allge¬ 
meinen Peritonitis, an welcher die Kranken zu Grunde gingen. Eine 
Schwellung der Leber ist einige Mal beobachtet worden, sehi- häufig 
dagegen Milzschwellung, welche nur in wenigen ärztlich festgestellten 
Fällen nicht nachzuweisen war. Die Tonsillen und die Drüsen 
des Halses zeigten zuweilen Infiltration, auch kamen vereinzelt 
Hodenschwellungen vor. Katarrhe der Luftwege sind im Verlauf 
des Fastigiums nicht beobachtet worden; wohl aber am Ende 
desselben Pleuritiden und Pneumonien; auch diese Fälle endeten 
lethal. Die Herzthätigkeit war stets beeinflusst, die Pulsfrequenz 
sofort bis auf 120—130 pro Minute vermehrt. Meist war Dikrotie 
des Pulses vorhanden. In einigen Fällen wurde im Anschluss an 
Pleuritis Perikarditis beobachtet. In zwei Fällen gelangten nach 
dem Fieberabfall Nierenentzündungen mit urämischen Erscheinungen 
zur Beobachtung. Mit Ausnalime von Herpes labialis wurde von 
Seiten der Haut Abnormes nicht beobachtet. Exanthem und Rose¬ 
olen fehlten vollständig. Schweissabsonderung trat meist erst bei 
Beginn des Abfalls ein. Von Seiten des Nervensystems wurden 
heftige Erscheinungen beobachtet; Kopfschmerz und Benommen¬ 
heit des Sensoriums fehlten im Beginn der Erkrankung nie. De¬ 
lirien stellten sich im Laufe der Erkrankung ein. In mehreren Fällen 
wurde Geistesstörung beobachtet. Zwei von diesen Kranken gingen in 
ihren Inanitionsdelirien zu Grunde. Ein Mädchen von 19 Jahren 
machte ein neuntägiges Fieber und den Fieberabfall durch, uni 
am dritten Tag der Rekonvalescenz die Anzeichen melancholischer 
Verwirrtheit erkennen zu lassen. In der zweiten Nacht darauf 
entwich sie ihren Angehörigen durch ein Fenster und ertränkte 
sich im nahen Flusse. Eine Frau von 30 Jahren, Mutter von drei 
Kindern, begann am fünften Tage der Acme über die Sorgen zu 
klagen, welche ihr die Ernährung ihrer Kinder bereitete; es ent¬ 
wickelte sich auch hier ein Zustand melancholischer Verwiirtheit. 
Da der Mann tagsüber auf Arbeit war, wurde der Kranken nur 
eine nothdürftige Pflege durch Nachbarsleute zu Theil. Am achten 
Tage der Acme nahm die Kranke in einem unbewachten Moment 
ihre drei Kinder, ertränkte dieselben im nahegelegenen Gewässer, 
danach sich selbst. 

Als Nachkrankheiten des Sumpffiebers wurden Neuralgieen des 
Gesichts und der Extremitäten beobachtet. 

In 8 typischen Fällen ist von mir gleich bei Beginn sowohl, 
wie mitten im Verlaufe der Erkrankung eine Blutuntersuchung 



Dr. EckcrvoHft: Beitrag zur WilrdiguiiK dt r I/Uiigenscliwimiiiprol«'. 


2K9 


vorgeiiommen worden. Plasmodien konnte ich nicht entdecken, 
ebensowenig Spirillen. Eine bakteriologische Untersuchung des 
Sumpfwassers und Bodens einerseits, des Magen- und Darininlialtes 
der Kranken andererseits, ist bis jetzt nicht veranstaltet worden. 
Dieselbe bleibt ebenso wie die fortgesetzte mikroskopische Unter¬ 
suchung des Blutes mit besonderer Berücksichtigung des Zer¬ 
falles von Blutkörperchen Vorbehalten. — Die Therapie war eine 
rein symptomatische. 

Auch im lüesigen Kreise sind besondere Maassregeln für die 
Isolirung der Kranken und für Desinfektion nicht angeordnet wor¬ 
den. Durch eine Bekanntmachung iin Kreisblatt wurde auf Ent¬ 
stehung und Wesen der Erkrankung aufmerksam gemacht, die 
nöthige Vorsicht beim Bearbeiten der überschwemmten Strecken 
empfohlen und mit Rücksicht auf die grosse Anzahl von Kompli¬ 
kationen die NothWendigkeit der ärztlichen Hülfe betont. 

Ueberblickt man die vorstehenden Beobachtungen, so erscheint 
das Sumpffieber als eine seit Jahren in der Elsterniederung herr¬ 
schende endemische Krankheit. Soweit es möglich ist, aus dem 
klinischen Befund und der Art der Erscheinung der Kraiikheit auf 
deren Ursprung, deren Erreger zu schliessen, ist Folgendes hervor¬ 
zuheben: Die Krankheit ist nicht identisch mit irgend einer bis 
jetzt bekannten Erkrankung, sie ist an den Boden gebunden und 
zwar derart, dass der Krankheitserreger bei genügendem Feuch¬ 
tigkeitsgehalt des Bodens und ausreichend hoher Temperatur der 
Luft nach einer gewissen Zeit die ztir schädlichen Einwirkung 
auf den menschlichen Körper nöthige Reife erhält. Eine Infektion 
ist nur möglich diu-ch die Aufnahme des Krankheitserregers in den 
Magen des MenscJien, Auch scheint es, als ob der dem Menschen 
einverleibte Krankheitserreger bei Uebertragung auf andere 
Menschen unschädlich sei. Berücksichtigt man, dass vor der 
Elsterregulirung die Malaria im Kreise Liebenwerda massenhaft 
aufgetreten ist, und dass sie sich auch nach der Regulii-ung noch 
lange Zeit gehalten hat, ehe sie aus hiesiger Gegend verschwand, 
so erscheint die Annahme berechtigt, dass der Ki'ankheitserreger 
ein im Laufe der Jahrzehnte modilizirtes Malariagift aus der Reihe 
der Protozoen ist, welches in der Regel harmlose Erkrankungen 
hervoiTuft, zuweilen jedocli auch zu scliweren septischen Er- 
s<;heinnngen führen kann. 


Beitrag zur Würdigung der Lungenschwimmprobe. 

Von Dr. R. Eckervogt, Kreiswundarzt in Bocholt. 

Es ist unzweifelhaft, dass die Lehrsätze unserer gerichtlichen 
Medizin hauptsächlich durch eine grosse Kasuistik ihre Beweis¬ 
kraft erhalten. Schon viele solcher Lehi-sätze sind aufgestellt 
worden, die bereits wieder von der Bildfläche verschwunden sind, 
Zuei'st wurden „unumstössliche“ Beweise für die Richtigkeit 
der Lehre beigebracht, aber nach und nach wurde das Material für 
die gegentlieilige Behauptung grösser, bis endlich dann «lurch 



die Kasuistik naclig'ewi(?seu wordi'ii war, „dass die Probe keine 
Beachtung verdient“. 

Seitdem Thomas Bartholiiius, Professor de” Anatomie in 
Kopenhagen, geh. 1616, gest. 1680 zuerst den Werth der Lungen¬ 
schwimmprobe für die gerichtliche Medizin betont hatte, ist die¬ 
selbe bis auf unsere Tage in verdientem Ansehen geblieben. Ihre 
Bedeutung fiir die wichtige Frage nach dem Gelebthaben des 
Kindes nach der Geburt wird auch von Keinem verkannt, ist doch 
auch ihre genaue Ausführung im Regulativ gesetzlich vorge¬ 
schrieben. 

Gegen die Behauptung jedoch, dass ein negatives Resultat 
derselben das Nichtgelebthaben l)eweise, sind in der letzten Zeit 
mehrere Stimmen laut geworden. Insbesonders hat auf dem X. 
internationalen medizinischen Kongress Herr Prof. Dr. de Vischer 
in Gent die F'rage: Kanu die durch Athmung in die Lunge ge¬ 
langte Luft aus derselben wieder entweichen? mit Ja beantwortet 
und darauf hingewiesen, dass mit der Athemschwäche nicht immer 
eine Schwäche bezw. Verlangsamung der Blutzirkulation Hand in 
Hand gehe, so dass alle in den Lungen noch vorhandene Luft von 
dem Blute vor Eintritt des Toiles resorbirt werde. 

Ein ganz eklatanter Fall dieser Art ist der folgende, der 
um so merkwürdiger ist, 1. weil gerichtlich konstatirt worden ist, 
dass das Kind laut geschrieen hat, 2. weil das Kind 26 Stunden — 
demnach zweifellos gelebt hat. 

Das Wichtigste aus dem Zeugen verhör und dem Obduktions- 
jirotokoll soll wörtlich angefülirt werden. 

1. Die Mutter des Kindes gab am 21. Dezember 1891 bei 
ihrer gerichtlichen Vernehmung Folgendes zu Protokoll: 

„In der Nacht von dem 5. auf den 6. Dezember 1S91 ist das Kind gegen 
5 Uhr Morgens zur Welt gekommen. Sofort nach der Geburt hat das Kind, 
wie ich weiss, laut geschrieen. Den folgemlen Tag über hat das Kind aller¬ 
dings Tüne von sich gegeben, jedoch nicht laut gesclirieen. Nahrung hat das 
Kind, so viel ich weis.s, ausser Zuckerwasser nicht zu sich genommen. Erst 
gegen Abend habe ich das Kind bei mir im Bett gehabt. . . . Meiue Mutter ist 
wiederholt aufgestanden, wenn das Kind sich meldete, und hat versucht, dem¬ 
selben Znckerwasser einzullössen. Da.sselbe hat aber ausserordentlich wenig ge¬ 
nommen und gab schliesslich das Wasser auch wieder aus dem Munde von sich. 
Gegen 4 Uhr Nachts ist das Kind ruhig gestorben.“ 

2. Die Grossmutter sagte aus; 

„Das Kind meiner Tochter ist in meiner Gegenwart geboren und war 
lediglich der Arzt Dr. M. anwesend. Als der Arzt das Kind aus der Geburt 
nahm, hat dasselbe allerdings geschrieen. Nachdem derselbe ungefähr eine Stande 
später sich entfernt hatte, hat das Kind aber nicht mehr geschrieen, sondern 
nur schwache Laute von sich gegeben. Dem Kinde wurde sodann ttber Tag 
wiederholt Zuckerwasser mit etwas Milch vermischt gegeben, hat jedoch sehr 
wenig zu sich genommen und gab die Flü.ssigkeit sofort wieder von sich. Die 
Schwäche dauerte den ganzen Tag über und nahm gegen Abend mehr und mehr 
zu . . . Gegen 2 Uhr ist das Kind sodann ruhig gesturben.*^ 

3. Dr. M. erklärte bei seiner Vernehmung am 17. Dez. 1891: 

„In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember wurde ich zu dem Hause des 

Schneiders W. gerufen und wurde mir dort mitgetheilt, dass die Tochter ihre 
Niederkunft erwarte . . . Gegen 4V< Uhr kam das Kind auf natürlichem Wege 
ohne jede Kunsthülfe zur Welt. Nach der Beschaffenheit des Kindes musste 
die Gehurt eine vorzeitige sein. Das Kind war allerdings schwach, aber voll¬ 
ständig lebensfähig. Ich nahm desslialb Veranlassung, der Ehefrau zu sagen. 



beitrag zur Würdiguug der Luiigeiisehwiinniprube. 


271 


äiü solle das Kind gleich taufen lassen. . . . Ich war verhindert, die Wöchnerin 
am folgenden Tage zu besuchen, bin aber am darauf folgenden Tage, nämlich 
am 8. Dezember 1891 zu derselben gegangen. . . . Erst auf meine Frage, wie 
es dem Kinde gehe, wurde mir gesagt, dasselbe sei todt.** 

4. Die 14 Tage post mortem ausgeführte Sektion ergab: 

A. Aeussere Besiebtigung. 

1. Die zur Obduktion vorliegende Leiche ... ist 49 cm lang, 1945 gr 
schwer . . . 

2. An dem. . . Nabel sitzt ein 6 cm langer, platter, 1 cm breiter, feuch¬ 
ter, gallertiger, nirgends eingetrockneter, doppelt unterbnndener Rest des 
Nabelstranges. 

6. . . . Grosse Fontanelle, lang 3’/« cm, breit gut 1 cm, kleine Fontanelle 
Vs cm lang und minder breit. 

Orader Dnrehmesser des Kopfes 10 cm, vorderer Querdnrehmesser 5'/« cm, 
hinterer Qnerdurchmesser 8 cm, grosser schräger Durchmesser 12*/» cm, kleiner 
schräger 9 cm. Kopfumfang 30 cm. 

7. Keine Spur einer Pupillarmembran. 

12. Schnlterbreite 13 cm. 

17. Am Knieende des linken Oberschenkels werden die Knorpel in dflnneii 
Schichten allmählich abgetragen. Hierbei zeigt es sich, dass ein Knochenkerii 
nicht vorhanden ist. Derselbe 3Iaugel zeigt sich rechts, jedoch findet sich beider¬ 
seits auf der Grenze von Knorpel und Knochen eine schwache, leichte gelbliclie 
Schicht von der Grösse eines Stecknadelknopfes. 

B. Innere Besichtigung. 

I. Brust- und Bauchhöhle. 

19. Durch einen Schnitt vom Kinn bis zur Schambeinfuge links vom Nabel 
werden die Hautdecken gespalten und die Bauchhöhle eröffnet. Stand des Zwerch¬ 
fells : links unterer Rand der fünften Rippe, rechts unterer Rand der sechsten Rippe. 

21. Die Leber füllt die ganze obere Bnuchgegend, so dass vom Magen 
nichts zu sehen ist. Vom Dickdarm, der durch Kindspech ausgedehnt und 
schmutziggrttn durcbscheint, sieht man den grössten Theil des queren Stückes. 
1 )ie Dünndärme nehmen in zahlreichen Schlingen den vorderen Raum des Bauches 
ein unterhalb der Leber. Dieselben sind von graugrüner Farbe, anscheinend 
leer und rund. Das Netz ist fettarm, hier wie auch am Gekröse sind Arterien 
sowie Venen bis in die kleinsten Verzweigungen stark mit Blut gefüllt; erst 
heim Zurücklegen der Leber sieht man den blassen, mässig mit Luft gefüllten 
Magen. 

a. Brusthöhle. 

23. Nach vorschriftsmässiger Unterbindung der Luftröhre und nach . . . 
Entfernung des . . . Brustbeines . . . zeigen sich die Organe der Brusthöhle in 
regelmässiger Lage, der obere Theil des Mittelfellranmes ist von der sehr grossen, 
inneren Brustdrüse eingenommen, beide Lungen sind bis an die Wirbelsäule zu¬ 
rückgewichen, in den beiden Brustfellränmen kaum je ein kleiner Theelöflfel voll 
einer klaren, wässerigen Flüssigkeit. 

24. Die sichtbaren Theile beider Lungen zeigen ein braunrothes, deutlich 
lappiges Aussehen, die Konsistenz schlaff. Knistern nicht wahrnehmbar. 

25. Die innere Oberfläche des Herzbeutels ist glatt and blass. 

26. . . . Die rechte Herzkammer ist mit dickflüssigem, dnnkelrothem Blute 
prall gefüllt, die linke Kammer fast leer. 

32. Im oberen Theile der Speiseröhre etwas schmutzig gelbe, schleimige 
Flüssigkeit, Schleimhaut blass 

33. Kehlkopfknorpel fest, Schleimhaut leicht geröthet, an den Wandungen 
idiie Flüssigkeit wie in der Spehicröhre. 

34. Nach Durchschneidung der Luftröhre oberhalb der Ligatur werden die 
noch übrigen Brusteingeweide im Zusammenhänge beransgeschnitten und in ein 
Gefäss mit Wasser gethan; dieselben gehen darin unter. 

35. Die äussere Oberfläche der Lungen erscheint nach hinten braunroth, 
mehr blanroth an der Vorderfläche, bei genauer Betrachtung sieht man nirgends 
Luftbläscheu, jedoch zeigen die Lungen eine deutliche tranbige Zeichnung. 

36. Der untere Theil der Luftröhre und ihre Verzweigungen sind aiige- 
fUllt mit derselben schmutzig grauen, dem Haferschleim ähnlichen Flüssigkeit, 
wie sie sich im Kehlkopf zeigte, die Schleimhaut, ist stark geröthet. 



272 l)r. Kckervogt: zur Würdigung der Lungenschwimmprobe. 


H7< Einschnitte in das Lungengewebe zeigen ein braunrothes, sehr feuchtes, 
glattes Gewebe. Dasselbe knistert nirgends, jedoch entleeren sich auf Druck 
aus der Luftröhre einzelne Luftblasen, in grosser Menge jedoch entleert sich 
die oben beschriebene FlU.ssigkeit. Im Wasser sind sowohl die Lungen in ihrer 
Verbindung, sodann die einzelnen Lungen, ferner die einzelnen Langenlappen 
Und endlich kleine und kleinste LungenstUcke untergesunken. Bei Druck der 
rechten Lunge unter Wasser erscheinen an der Oberfläche zwei bis drei Lnft- 
liläschen. 

40. Der Botanische Gang ist weit offen ohne Inhalt. 

b. Bauchhöhle. 

49. Der Magen ist halbgefüllt mit einer schleimigen, leicht rothgefarbttm 
Flüssigkeit. Die ^hleimhaut glatt, Gefässe halb gefüllt. 

Das vorläufige Gutachten lautete: 

3. Die Athemprobe hat nur höchst ungenügende Resultate 
ergeben. 

4. Das Kind war ausserhalb des Mutterleibes lebensfiihig. 

5. Es ist gestorben durch unvollständige Athmung. 

6. Zeichen äusserer Gewalteinwirkung sind nicht aufgefunden. 

7. Ein Obduktionsbericht wird Vorbehalten. 

Aus diesem Befunde ergeben sich folgende bemerkenswerthe 
Punkte: 

1. Die Athemprobe hat in der That nur ungenügende Re¬ 
sultate ergeben. — Einiges sprach deutlich für das stattgefundene 
extrauterine Leben. So heisst es, dass der Magen mässig mit 
liuft gefüllt gewesen sei (21). Es sind also Schluckbewegungen 
gemacht worden. — Die 2—3 Luftbläschen, die an der Oberfiäche 
des Wassers auf Druck der Lungen erschienen, sind für mich 
nicht beweisend gewesen; denn nach langen Manipulationen, nach¬ 
dem schon das ein oder andere Mal die Lunge im Wasser ohne 
Resultat gequetscht und wieder herausgenommen worden war, er¬ 
schienen endlich noch 2 Bläschen; ich war gleich sehr skeptisch 
gegen die Behauptung, diese seien aus den Lungen ausgestiegen. 

2. Die Lungen lieferten geradezu ein negatives Resultat. 
Es war den Obduzenten bekannt, dass das Kind gelebt, ja bis 
zum folgenden Tage gelebt habe. Wie gross daher mein Erstau¬ 
nen war, die Lunge — im Thorax ganz zurückgesunken (23.), 
und nach der Herausnahme luftleer (das waren sie!) zu finden, 
kann man sich denken. Es wurden nun in exaktester Weise 
grosse, kleine und kleinste Läppchen der Lunge (37) in grosser 
Menge aufs Wasser gelegt, aber alle sanken sofort unter. 

3. Auf den Durchschnitt der Lunge erschien ein glattes, 
feuchtes Gewebe (37); es ist also eine besondere fibrinöse Er¬ 
krankung auszuschliessen. Da nun der gewiss .sehr seltene Fall 
hier vorRegt, dass ein Kind, bei dem luftleere Lungen gefunden 
worden sind, so lange, 23 Stunden extrauterin gelebt hat, und gewiss 
zuverlässige Zeugen, unter diesen der entbindende Arzt, das Leben 
und die Lebensfähigkeit konstatirt haben, so hielt ich ihn für 
werth, veröffentlicht zu werden; denn selten dürften so günstige 
Momente zusammen fallen. Ich halte den Fall für einen Beweis 
dafiir, dass es in der That der Herzkraft und dem Blutkreislauf 
der Lunge bisweilen gelingt, die in den Lungen befindliche Re¬ 
sidualluft bei geschwächter Athmung zu absorbiren. 



Dr. Biukosewski: InvaliiltingeäeU und ArzL/ 


273 


Invalidengesetz und Arzt 

Von Ereisphysikns Dr. Blokasewski-Daun. 

Mit Bezug auf die dankenswerthe Mittheilung des Kullegen 
vSaTonion - Darkehmen über „Invalidengesetz und Arzt“ 
(Nummer 9 dieser Zeitschrift) bemerke ich in der Annahme, 
dass die dortige Schilderung nicht für viele Bezirke zutrifft, Fol¬ 
gendes: Die Aerzte der Kheinprovinz und Hohenzollem erhalten 
von der Versicherungsanstalt Rheinprovinz für jedes auf bestimm¬ 
tem Formular vorschriftsmässig ausgefertigte und eingesandte 
Attest inkl. Rückfragen ohne neue Untersuchung 3 Mark, unbe¬ 
hindert einer noch anderweitigen Bezahlung durch den Renteu- 
nachsucher. Ich habe von Anfang an die Ausstellung dieser At¬ 
teste sowohl als praktischer Arzt wie als Distriktsarzt den Ren- 
tennachsuchern gegenüber abgelehnt, weil ich eine pekuniäre Schä¬ 
digung derselben befürchtete. Unbeschadet der Seitens des Vor¬ 
standes der Versicherungsanstalt in Erwägung gezogenen Enien- 
mmg von Vertrauensärzten für grössere Bezirke (20—22 für die 
Rheinprovinz) halte ich übrigens auch für die ersten Atteste Ver¬ 
trauensärzte für nothwendig wegen der Wichtigkeit gerade der 
ersten Atteste, der möglichst einheitlichen Beurtheilung und des 
Ausschlusses jeglicher Konkurrenz. Dagegen möchte ich gegen die 
vom Kollegen Salomon unter Nr. 2 und 7 gemachten Vorschläge 
Folgendes einwenden: 

Das Amtslokal des Landrathsamts als alleiniges Untersuchungs¬ 
lokal dürfte doch nur in Frage kommen, wenn für jeden Kreis höchstens 
ein Vertrauensarzt, event. der beamtete Arzt als solcher bestimmt wird, 
was wohl nicht gut angängig ist. Die dortige Untersuchung im Ter¬ 
min und das Diktiren zu !^otokoll halte ich, namentlich bei mehreren 
Fällen und in der ersten Zeit, für viel schwieriger als in der 
Wohnung des Arztes, wo es doch nicht selten geschehen muss. 
Die Schreibarbeit ist unwesentlich gegenüber der ruhigen Beui*- 
theilung des Falles; ausserdem würde der Arzt und auch der 
Untersuchende durch jene Anordnung in seiner Zeit sehr beschränkt 
werden. 

Vielleicht kann diese Frage auf der nächsten Medizinal-Be- 
aniten - Versammlung erörtert werden und erlaube ich mir daher 
folgende Vorschläge zu unterbreiten: 

1. Die Vertrauensärzte werden nach Anhörung bezw. Vor- 
Hchla^g der höheren Verwaltungsbehörden (Tjandrath, Regierangs- 
Präsident) so ernannt, dass je nach den ärztlichen Verhältnissen 
der Rentennachsucher bequem in einem Tage den Hin- und Rück¬ 
weg machen kann. 

2. Die Begutachtung findet nur auf Requisition der Behörde 
(Bürgermeister, Landrath) statt unter Zusendung der Akten und 
Fristbestimmung. 

3. Betreffs des Ortes und der Zeit der Untersuchung hat sich der 
Vertrauensarzt mit dem Rentennachsucher in Verbindung zu setzen 
(im ungünstigsten Fall genügt event. eine Postkarte 2 Tage vorher). 

4. Die Atteste werden der requirirenden Behörde zugestellt. 



274 Dr. Blokuscwskir Nachtrag zu „Stonipclptlichtigkeit anitäärztl. Atteste 


event. erhält der Untersuchte einen Ausweis über stattgefundene 
Untersuchung. 

5. Die vorher sicher zu stellenden Gebühren werden je nach 
den örtlichen Verhältnissen festgestellt, (mindestens dürften aber 
3—6 Mark für Untersuchung in der Wohnung des Arztes inkl. 
der durch den Attestaussteller selbst verschuldeten und der nicht 
zu umfangreichen Rückfragen bezw. neuen Untersuchungen gezahlt 
werden). 


Nachtrag zu „Stempelpfiichtigkeit amtsärztlicher Atteste“. 

Von Krcisi>liysikus Dr. Blokiisewski in Dann. 

Mit Bezug auf meine Aufforderung in Nr. 17 dieser Zeitschrift 
Jahrg. 1891 an die HeiTen Kollegen, mir etwaige entgegengesetzte 
Ansichten bezw. einschlägige Entsclieidungen betreffs meiner Zu¬ 
sammenstellung über „Stempelpflichtigkeit amtsärztlicher Atteste“ 
zugehen zu lassen, kann ich mittheilen, dass diese abweichenden 
Ansichten grösstentheils. weil auf irrthümlichen Auffassungen be- 
inihend, sich auf privatem Wege erledigt haben. Nur in einem 
Falle war richtig bemerkt, dass unter die stempelpflichtigen 
Atteste diejenigen über Aufnahme in die Privat-Irrenanstalten noch 
speziell hätten erwähnt sein können. Ich bemerke aber liierbei, 
dass spezielle Entscheidungen nicht vorhanden sind und dass diese 
Atteste, gleichgültig, ob für private oder Öffentliche Irrenanstalten, 
nur nach dem Wortlaute der Tarif{iosition „amtliche Atteste in 
Privatsachen“ zu beurtheilen sind. Stempelfi’eiheit für öffentliche 
Anstalten besteht jedoch insofern, als die Aufnahme in dieselben 
im Sinne des öffentlichen Interesses geregelt ist, zumal in einzel¬ 
nen Provinzen (z. B. Schlesien, Hannover) Physikatsatteste vor¬ 
geschrieben sind und seitens der Behörde eingefordert werden. 
Gleichwohl kann auch bei öftentlichen Anstalten ein Privatinteresse 
für die die Aufnahme nachsuchenden Privaten konkurriren, ebenso 
wie umgekehrt Stempelfi-eiheit bei Aufiiahme in Privat - Irrenan¬ 
stalten wegen öffentlichen Interesses eintreten kann, z. B. bei Ge¬ 
meingefährlichkeit des Kranken, bei ki’iminalistischen Momenten, 
bei Ueberfüllung der öffentlichen Anstalten u. s. w. 

Ich ei*wähne dann noch eine mir mitgetheilte Verfügung des 
Königl. Regierungspräsidenten zu Frankfurt vom 31. August 1891, 
betreffs Stempelfreiheit der Atteste über Taubstummheit von Hand¬ 
werkers-Lehrlingen behufs Erlangung der ausgesetzten Staats¬ 
prämie. Hier handelt es sich um eine lokale Verfügung, die ihre 
Begründung in den Bestimmungen über die Atteste zu stempelfreie 
Verhandlungen z. B. Genuss von Wohlthaten u. s. w. (s. B. 3 und 
meines Aufsatzes) findet. 

Im Uebrigen habe ich die Genugthuung gehabt, dass meine 
Zusammenstellung auch von zuständiger Stelle für richtig be¬ 
funden ist mit der alleinigen Einschränkung, dass das Reskript 
vom 12. Mai 1858 (A. 4) mit Vorsicht anzuziehen und von 
der Steuer-Verwaltung in konstanter Praxis angenommen worden 



Gegen Herrn Stöcker. 


275 


sei, „dass jede Bescheinigung — mit Einschluss der Unter¬ 
schriftsbeglaubigungen —, welche von einem Beamten ausgestellt 
ist und welche nach ihrer äusseren Form als eine amtliche 
Bescheinigung sich darstellt, sofern nicht ein besonderer Befreiungs¬ 
grund vorliegt, dem für amtliche Atteste vorgeschriebenen Stempel 
unterliegt, gleichviel ob der betreffende Beamte zu Bescheinigungen 
und ünterschriftsbeglaubigungen dieser Art berufen ist oder nicht.“ 

Zwar hatte ich schon selbst in B. 4, Abs. 2 die hypothetische 
Fassung gewählt, doch fallt demnach dieser Passus zweckmässig 
ganz fort. Dementsprechend bezieht sich auch die Anmerkung zu A4 
(Unterschrift als Regierungs- und Medizinalrath) nur auf diejenigen 
Atteste, die sich ihrer äusseren Foi-m nach nicht als amtliche 
dai*stellen. 

Da ferner durch eine Verfügung des Königl. Regiemngs- 
Präsidenten zu Koblenz vom 9. März 1889 die amtsärztlichen Be¬ 
scheinigungen für Leichenpässe für stempelfrei erklärt sind, 
weil sie „allein zu dem Zweck ausgestellt sind, um auf Grund 
derselben ein amtliches Attest ausfertigen zu lassen“ (B. 2), so 
will ich noch besonders angeben, dass diese Bescheinigungen 
seitens der Steuerverwaltung fiir Stempel pflichtige Atteste in 
Privatsachen angesehen werden. 


Gegen Herrn Stöcker. 

(Eingesandt.) 

Der nachfolgende Artikel des Kollegen Dr. Wallichs» 
Altona ist allerdings mit Rücksicht darauf, dass er zur Abwehr 
gegen unwahre, von dem H. Hofprediger Stöcker im Abgeord¬ 
netenhause gemachte Behauptungen dienen sollte, zunächst für eine 
politische Zeitung geschrieben und auch in einer solchen (Berliner 
Post) veröffentlicht worden. Der Artikel dürfte aber gleichwohl für 
die Fachgenossen von Interesse sein und bringen wir ihn in Folge 
dessen auch hier mit einigen unwesentlichen Kürzungen zum Ab¬ 
druck : 

„ln der 83. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 16. März d. J.*) 
hat der Abgeordnete Dr. Langerhans in Anknüpfung an einen in den Zei¬ 
tungen besprochenen Fall die Formen der Anfnahme in eine Irrenanstalt zur 
Sprache gebracht. Bei dieser Gelegenheit sagte Herr Stöcker, der für später 
einen bezüglichen Antrag und gründliche Besprechung ankündigte, nach dem 
stenographischen Bericht u. A.: „Es liegen Erkenntnisse vor — z. B. im Falle 
Drake (soll heissen Draak), den ich nicht ausführlich schildern will—, worin 
nuchgewicsen ist, dass in unverantwortlicher Weise von Aerzten im Einvernehmen 
mit interessirten Personen bei der Sache gehandelt ist. nachdem etc.‘‘ Nun kann 
man bekanntlich keine gerichtliche Klage wegen beleidigender Aeusserungen 
eines Volksvertreters führen, indess liegt mir doch daran, da leider mein Name 
durch Herrn Draaks Schandschriften als mit seiner Entmündigung verknüpft 
vielfach genannt und bekannt geworden ist, den unwahren Behauptungen des 
Hofpredigers a. D. öffentlich entgegenzntreten. 

Auch mir liegt die Absicht fern, die Geschichte des Falles eingehender 

*) Siehe Nr. 8 der Zeitschrift, S. 185—192. 



27B 


Gegen Herrn Stöcker. 


zu erzählen. Nur soviel sei kurz davon berichtet, dass der genannte Draak, 
welcher im Jahre 1882 vorübergehend in Ottensen, das zu meinem Physikat.'^- 
l)czirk gehört, wohnte, von mir im Aufträge des Amtsgerichts auf seinen Geistes¬ 
zustand untersucht wurde. Ich fand ihn krank und habe das Urtheil in einem 
ausführlichen Gutachten motivirt. Zu demselben Schluss gelangten im Verlauf 
der Sache ein zweiter Physikus (in Wandsbeck), der Oberarzt der Staats-Irren¬ 
anstalt in Hamburg, das psyclnatrisclie Mitglied des Provinzial-Medizinalkollc- 
giums in Kiel und der Gerichtsphysikus Geh. Rath Dr. Wolff in Berlin. — 
Auf der anderen Seite wusste Draak sich eine Reihe privater Zeugnisse und 
Gutachten zu verschaffen, untei di reu Ausst'dlcrn sich leider auch Medizinalbeamte 
und Psychiater von Faeh befanden, dass er geistesgesund sei. Ich möchte den 
Streit, der sich hieran geknüpft hat, nicht aufwärmen, verweise aber Diejenigen, 
insbesondere Aerzte, die sich näher darüber unterrichten wollen, auf eine in 
Eulenberg’s Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin, N. F., Bd. XLIV, 
Heft 2, enthaltene Erörterung. Dagegen füge ich hier einige Mittheilungen aus 
neuester Zeit an, die zwar mit dem Fall nichts zu thun haben, allein in Bezug 
airf die Beurtheilung des Hergangs und auf die Ausstellung ärztlicherZeug- 
n i s s e doch lehrreich sind. So bringt z. B. das Korrespondenzblatt für die Aerzte 
der Provinz Hessen-Nassau nachfolgende Bekanntmachung des Vorsitzenden der 
dortigen Aerztekammcr: 

„In der Entmündigungsklage gegen einen Kaufmann zu F. brachte 
derselbe sechs Atteste auswärtiger Aerzte bei. In fünfen wurde demselben 
bezeugt, dass er geistig vollständig gesund sei und nach dem sechsten liess 
sich eine geistige Störung bei ihm nicht nachweisen. Auf Grund der über¬ 
einstimmenden Gutachten des Physikats und des Direktors einer Irrenanstalt 
wurde jedoch von der Gerichtsbehörde die Entmündigung ausgesprochen, und der 
Betreffende musste bald nachher in eine Irrenanstalt gebracht werden. Die 
genannten Zeugnisse wären sicherlich nicht ausgestellt worden, wenn den Aerzten 
die Vorgeschichte des Untersuchten bezw. der Inhalt der Akten bekannt gewesen 
wäre. Wir richten daher aus Veranlassung dieses Falles an alle Kollegen das 
Ersuchen, Zeugnisse über Geisteszustände, auch wenn dieselben angeblich nur 
privaten Zwecken dienen sollen, ohne zuständige Requisition nicht auszustellen.*^ 

Ein ähnlicher Fall wurde in der letzten Sitzung des ärztlichen Bezirks¬ 
vereins München zur Sprache gebracht. In demselben handelte es sich um ein 
Legat, das von einem Kranken gemacht und nach dessen Tod von den Verwand¬ 
ten angefochten wurde, da der Testator unzurechnungsfähig gewesen sei. Bei 
dem entstehenden Prozesse stellt sich die fast unglaubliche Thatsache heraus, 
(lass beide Parteien im Besitze von Zeugnissim des gleichen behandelnden Arztes 
waren, von denen das eine den Testator für zurechnungsfähig, das andere den¬ 
selben für unzurechnungsfähig erklärte. Natürlich musste der Arzt das eine 
der beiden Zeugnisse widerrutVm; „er habe dasselbe nur ausgestellt, um endlich 
Ruhe zu bekommen“, damit entschuldigte er vor dem Richter sein Verhalten. 

Dass derartige Vorkommnisse nicht nur das Ansehen ärztlicher Zeugnisse, 
sondern des ärztlichen Standes überhaupt aufs Tiefste zu schädigen geeignet 
sind liegt, auf der Hand, und es erscheint daher am Platze, durch Kundgebimgen, 
wie die obige, oder durch Besprechungen in den Vereinen an die Verantwortung, 
die mit der Ausstellung eines jeden Zeugnisses verbunden ist, immer wieder zu 
erinnern. Der ärztliche Bezirksverein München hat anlässlich des letztgenannten 
Falles beschlossen, die Erörterung der Zeugnissfrage demnächst auf die Tages¬ 
ordnung zu setzen. 

Um nun auf deu von Herrn Hofprediger Stöcker angezogenen Fall zu- 
rückzakommen, so wurde der pp. Draak vom dem Amtsgericht in Altona ent¬ 
mündigt und später nach langen erfolglosen Schritten bei verschiedenen anderen 
Gerichten, encUich vom Amtsgericht in Stargard i. Pr. weder entmündigt, auf 
Grund eines Physikats-Gutachtens, das ihn zwar nicht für geistig ganz ge¬ 
sund bezw. genesen erklärte, jedoch ihn für fähig hielt, seine Geschäfte selbst 
zu besorgen. 

Schon vor dem Stargarder Urtheil hatte Draak mit einem unermass- 
lichen Geschrei die Welt erfüllt. Dies geschah theils in den Tagesblättcm 
niedersten und niederen Ranges, vorzugsweise aber in Form einer Flugschrift^ 
die, in vielen tausend Exemplaren verbreitet, von Schimpfworten strotzte. Sie 
führte den hübschen Titel: „Eine Hetzjagd nach Menschen, oder: Wie man 

geistig völlig gesunden Menschen sein(‘s Geldes wegen und aus Rache ins 



Gegen Herrn Stöcker. 


277 


Irrenhaus zu sperren versuchte und wie der Plan misslang. — Bei dieser 
Affaire sind betheiligt: die Acrzte Dr. Ebert und Dr. Hei de mann in Wands¬ 
beck, Dr. Wallichs in Altona, Geh. Med.-Rath Dr. Wolff in Berlin und 
Dr. Jessen in Hornheim, ferner acht Advokaten, unter diesen Wex in Hamburg, 
Heymann in Altona etc., mehrere andere Amtspersonen und eine Menge fal¬ 
scher Zeugen. — Zur Warnung des Publikums veröffentlicht.“ 

Der Titel ward mehrfach variirt, auch der Inhalt theilweise verändert, 
z. B. bereichert um Mittheilungen über einen zweiten Fall (Beckmann), iu 
dem ich wiederum der Sachverständige des Gerichts gewesen war, und wieder¬ 
um Gutachten anderer Aerzte, zum Theil derselben wie im Fall Drnak ehU 
gegenstanden. Darüber nachher noch ein paar Worte. 

Die Schmähschrift D r a a k s wurde zw^ar verboten, Drucker und Verbreiter 
bestraft, allein sie machte dennoch vor- wie nachher ihren Weg und erweckte 
bei dem urtheilslosen Theil des Publikums den Glauben, dass etwas Unerhörtes 
geschehen sei. Nun ist der Betroffene gegen solche Angriffe ja ziemlich wehrlos. 
Als Gerichtsarzt ist man verpflichtet, sein Gutachten eidlich (unparteiisch und 
gewissenhaft) abzugeben. Hat man es gethan, so findet man weder bei den 
Verwaltungsbehörden noch bei den Gericlitcn gegen Folgen, wie die bezeich- 
neten, einen nennenswerthen Schutz. Ja man muss sich sogar von Herrn*'Hof¬ 
prediger Stöcker auf der Tribüne des Parlaments sagen lassen „unverant¬ 
wortlicher Weise im Einvernehmen mit interessirten Personen“ 
gehandelt zn haben. Freilich bin ich dabei nicht genannt, aber doch genötbigt, 
es auch auf mich za beziehen. Ich erkläre dies hiermit öffentlich für eine 
mit „unverantwortlichem“ Leichtsinn aufgestellte Behauptung. 

Nachdem Draak der Vormundschaft enthoben war, wurde auch- er von 
der Strafkammer des Landgerichts I. iu Berlin wegen Beleidigung (durch seine 
Schriften) zu einer Geldstrafe venirtheilt. In Altona wurde er wegen des 
gleichen Vergehens freigesprochen, da die vernommenen ärztlichen Sachverständi¬ 
gen ihn für offenbar geisteskrank erklärten. Dass ich nach wie vor Draak 
für geistesgestört halte, sowohl zu der Zeit, in der ich ihn untersuchte, als dä.- 
mals, wie er seine Schriften — sei es auch mit fremder Hülfe — verfasste, vör- 
steht sich von selbst. 

Ich füge hier noch ein paar Worte über den Fall Beckmann an. Mein 
Missgeschick hat es gewollt, dass ich auch in diesem Falle als Gerichtsarzt thätig sein 
musste. Die denselben betreffenden Gutachten sind gleichfalls in dem obenerwähn¬ 
ten Heft der Eu leüberg’scheu Vierteljahrsschrift besprochen. Die über ihfi 
verhängte Entmündigung bekämpfte nun Beckmann durch Jahre und ward 
dabei von einem Berliner Gutachter, der ihm freundliche Rathschläge über sein 
Benehmen ertheilte, unterstützt. Lange ohne Erfolg, — endlich schien ein 
solcher, nachdem er von einem Irrenarzt beobachtet und zwar als früher krank, 
nun jedoch genesen bezeichnet war, in naher Aussicht. Da musste er im vorigen 
Jahre in Hamburg wegen öffentlichen anstössigen Benehmens, das offenbar vpn 
geistiger Störung bedingt war, in die dortige Staatsirrenanstalt gebracht werden 
und ist nun seit dom August v. J. in der Provinzialanstalt bei Schleswig. Ein 
von dem Direktor der letzteren unterm 6. Oktober 1891 erstatteter Bericht 
schliesst mit den Worten: „Es muss nach der bisherigen Beobachtung, die bei 
Beckmann bestehende Geisteskrankheit als eiue erfahrungsgemäss unheilbare 
(Gehirnerweichung) angesehen werden.“ 

Nun mögen freilich die Herren, die s. Z. bezeugt haben, Beckmann 
sei geistig gesund und es stets gewesen, behaupten, die Krankheit sei plötzlich 
im vorigen Jahr, vielleicht in Folge der psychischen Erregungen durch die Ent¬ 
mündigung entstanden. Sachkundige, welche die am angeführten Orte geschil¬ 
derten an ihm beobachteten Erscheinungen aus jener Zeit vergleichen, werdeü 
darüber anders urtheilen. 

Zum Schluss einige Bemerkungen allgemeiner Natur. Wenn die Herren 
Stöcker nud Genossen behaupten, dass in Privatirrenanstalten (öffentliche 
werden kaum je dessen beschuldigt sein) von den Inhabern derselben^aus Eigen¬ 
nutz Personen festgehalten worden sind oder werden, die geistig gesund sind^ 
so ist das — wenigstens in Deutschland — nicht erwiesen worden und nahezu 
unmöglich. Ein derartiges Gerücht entsteht wohl immer dadurch, dass von Laien 
Individuen, die bei gewissen von ihnen versteckt gehaltenen (dissimulirten) 
Wahn-Vorstellungen formell richtig zu denken und sich zu äussern vermögen, 
für gesund gehalten werden. Gerade diese setzen alle Hebel in Bewegung gegen ’ 



278 


Ans Versammlangfen nnd Vereinen. 


die oft sehr nothwendige Vormundschaft and erregen im Pnbliknm den bekann¬ 
ten Lärm. Es reicht eben die Kenntniss etwa des Herrn Hofpredigers Stöcker 
doch nicht znr Benrtheiinng so schwieriger Probiemo ans. Dazu sind doch wohl 
die Kreisphysici, deren es nach Herrn Stöcker eine Menge geben soli, „die 
von Psychiatrie keine Ahnung haben, gar keine, — sie artheilen nach ihrem 
Sentiment", — nach ihrem Bildungsgang and ihrer Erfahrung, wie Virchow 
ihm sofort nachgewiesen hat, tausendmal mehr geeignet. Dass alle Gutachten 
dieser Beamten der Revision der Medizinalkollegien und der wissenschaftlichen 
Depntation für das Medizinalwcsen unterliegen, und dass von diesen Behörden, 
falb fflr den Gang der Rechtspflege erhebliche Mängel sich darin Anden, einge¬ 
griffen werden kann und muss, dürfte überdies gegen vermeintliche Irrthümer 
genug Sicherheit bieten. In diesem Stück ist also hinreichend gesorgt. Eher 
wäre es nothwendig, das jetzige Verfahren dabin abzuändem, dass bei Ein¬ 
ziehung der Sachverständigen • Gutachten der Instanzenzug eingehalten werden 
muss. Man sollte denken, dass durch Befragung des Kreismedizinalbeamtcn, 
des Medizinalkolleginms, der wissenschaftlichen Deputation jede wünschenswerthe 
Sicherheit gegeben ist. Durch Beibringung ungezählter Privatgutachten wird, 
wie oben gezeigt ist, der Gang der ^cben nur verzögert und verwirrt. Der 
Richter weiss schliesslich nicht, woran er sich halten soll." 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

■«rieitt ftber die 44. Vereammlang; der HediBinalbeainteii 
des Reg^ieranxsbeairks Düsseldorf. 

Die 44. Versammlung der Medizinalbeamten des Regierungsbezirkes 
Düsseldorf fand am 30. April d. J. zu Düsseldorf statt in den Räumen der 
Gesellschaft „Verein" und hatten sich dazu 28 Mitglieder und 6 Gäste emge- 
fanden. 

Nach Eröffnung der Sitzung durch den Vorsitzenden Geh. Med. - Rath 
Dz. Weiss übermittelte derselbe zunächst die Abschiedsgrüsse des in Folge 
seiner Ernennung zum Regierangs- und Medizinalrathe aus dem Verein aasge¬ 
schiedenen langjährigen und verdienten Mitgliedes Dr. Gerönne. Hierauf er¬ 
stattete der Vorsitzende eine kurze Uebersieht der seit der letzten Versamm¬ 
lung ergangenen Verfügungen über das Medizinalwesen und zwar: 

1. Ministerial-Erlass über Eostenliquidation bei Anlagen von Begräbniss- 
plätzen vom 12. August 1891 bezw. Verfügung vom 11, Januar 1892; 

2. Verfügung vom 14. November 1891, betreffend Anzeigen über gericht¬ 
liche Vemrtheilnng von Anpreisung der Geheimmittel; 

3. Verfügung vom 21. November 1891 betreffs Anpreisung von Geheim¬ 
mittel durch Behörden; 

4. Verfügung vom 20. November 1891, betreffend Postkartenformnlarc 
über Anzeige von ansteckenden Krankheiten; 

5. Ministerial-Erlass vom 4. Dezb. bezw. Verfügung vom 12. Dezb. 1891, 
betreffend Abgabe von stark wirkenden Arzneimitteln; 

6. Verfügung vom 3. Dezember 1891 über Eidesleistung der Apotheker ; 

7. Verfügung vom 7. Januar 1892 über Trichinenschauunterricht; 

8. Ministerial-Erlass vom 31. Dezember 1891 bezw. Verfügung vom 
12. Januar 1892 über Verwechslung von Morphium nnd Kalomel; 

9. Ministerial-Erlafs vom 14. Januar 1892 über Erweiterung der Dis¬ 
ziplinargewalt der Aerztekammem; 

10. Vcrfügwg vom 11. Februar 1892 Uber Einführung von amerikani¬ 
schem Schweinefleisch; 

11. Verfügung vom 25. Februar 1892 über Ausbruch - der Pocken in 
Holland nnd über Beschleunigung der Impfung; 

12. Ministerial-Erlass vom 20. Januar bezw. Verfü^ng vom 29. Feb. 1892 
über Projekte der Anlage und Erweiterung der Begräbnissplätze; 

13. Ministerial-Erlass vom 13. Februar bezw. Verfügung vom 3. März 1892 
über statistische Nachweisungen; 

14. Ministerial-Erlass vom 24. Dezember 1891 über Beseitigung des 
Staubes in den Tnmhallen; 



Aas Versammloiigen und Vereinen. 


279 


15. Verfügung vom 16. März 1892 über Freibäder für Hebammen beha£i 
Desinfektion; 

16. Verfügung vom 17. März 1892 Uber Bcscbaffung von Dampfdesin* 
fektionsapparaten; 

17. Ministerial-Erlass vom 7. März 1892 aber Konzessionirung nnd Bevi» 
sion der Privatbeil* nnd Entbindungs-Anstalten. 

Nach einem kurzen Bericht über die Tbätigkcit der Hufeland’sehen 
Stiftungen, erstattete Kreisphysikns und Sanitäts-Hath Dr. Albers-Esaen 
ein Referat über Desinfektion der Wohnungen. 

Referent betonte zunächst, dass es auU'allend erscheinen müsste bei dem 
heutigen grossen Interesse für hygienische Massregcln, dass eine allgemein gültige 
Vorschrift über die Desinfektion der Wohnungen, sowie deren sanitätspolizeilicbe 
Beschaffenheit nicht bestehe. Abgesehen von einzelnen Bestimmungen des Re¬ 
gulativs vom 8. August 1835 sei diese Angelegenheit nur durch Polizeiverord- 
nung vom 7. Juli 1887 in Berlin und 5. Januar 1890 in Frankfurt a. M. geregelt. 
Beide Verordnungen seien als gut und zweckmässig anzuerkennen und ent¬ 
sprächen den modernen Anschauungen über das Wesen der Infektionskrankheiten. 

Dass eine Desinfektion der Wohnungen nach dem Auftreten von Infektions¬ 
krankheiten nothwendig sei, darüber bestehe wohl keine Meinungsverschiedenheit 
und würde die Ausführung einer solchen Massregel auch überall von den Be¬ 
wohnern gefordert. Was zu desinfiziren sei, bedürfe kaum weiterer Ausführung 
nnd sei schon von dem Regulativ vom 8. August 1835 festgestellt in den §§. 19—21. 
An diese Bestimmungen lehnen sich auch die Polizciverordnungen über Desinfek¬ 
tion der Wohnungen in Berlin und Frankfurt a. Main an, nur führten dieselben 
die Bestimmungen weiter aus, als das Regulativ. 

Zur Ausführung einer ordentlichen ausreichenden Desinfektion zähle in 
erster Linie das Vorhandensein einer Desinfektionsanstalt oder doch mindestens 
eines Apparates mit strömendem Dampfe. Ueber die Ausführung der Desin¬ 
fektion schlag Referent die Annahme der Bestimmungen der Berliner Polizei¬ 
verordnung vom 7. Februar 1887 vor. 

Was die Möglichkeit der Ausführung der Wobnungsdesinfektion anbetrifft, 
so verkannte Referent nicht, dass dieselbe an einzelnen Plätzen wohl mit einigen 
Schwierigkeiten verknüpft sein könnte, dass dieselben aber nicht so erheblich 
seien, um die Durchführung dieser nothwendigen Massregel zu behindern. Der 
alte Standpunkt des Gehenlassens bei dem Auftreten von ansteckenden Krank¬ 
heiten sei ja bequem, aber doch absolut zu verwerfen. Mit verhältnissmässig 
geringen Kosten sei die Sache überall zu machen, wenn nur der gute Willen 
vorhanden sei und diesen guten Willen zu wecken und zu fördern, sei vorzugs¬ 
weise Sache des persönlichen Eingreifens der betreffenden Medizinalbeamten bei 
den Behörden und sonst angesehenen, einflussreichen Einwohnern. 

Korreferent Kreisphysikus Dr. Bauer-Mörs trat den Anschauungen des 
Referenten bei nnd verbreitete sich insbesondere die Ausführung der Desinfektion 
der Wohnungen, die er in geräumige nnd beschränkte unterschied. Die engen 
beschränkten Wohnungen bilden ohne Zweifel die grössere ZahL Was znnädist 
die geräumigen Wohnungen anbelange, so hänge es davon ab, ob der Arzt 
rechtzeitig herbeigeholt werde. Sei dieses der Fall, so müsse ein isolirt gelegenes 
Zimmer als Krankenzimmer gewählt und nur mit den nothwendigsten Utensilien 
ausgerüstet werden. Ferner müsse es Grundsatz sein, an Ort und Stelle zu 
desinfiziren in dem Krankenzimmer, sowohl in Bezug auf Abgänge als auch in 
Bezug auf Wäsche. Gelinge es, den Krankheitsheerd auf den Isolirraum 
zu bannen, so sei im Todes- oder Gcnesungsfalle zuerst die betreffende Person 
und dann das Zimmer zu desinfiziren, und machte Korreferent in dieser Be¬ 
ziehung von ihm approbirte Vorschläge. 

Bei engen beschränkten Wohnungen sei nur durch Beschaffung 
einer Interimswohnung Rath zu schaffen, insbesondere die Kranken thunlichst in 
die Krankenhäuser zu überführen. Sei die UeberfUhrung des Kranken nicht 
statthaft, so müsse ein Raum neben dem Desinfektiousapparat vorhanden sein, 
der mit Bad, Trockenranm verbunden sei. Ausserdem bedürfe es einer Reserve¬ 
wohnung, um die infizirte Wohnung zu reinigen, sowie die Beschaffung von 
Transportwagen zur UeberfUhrung der verdächtigen Sachen in die Desinfektions¬ 
anstalt. 

Die Versammlung war mit den Anschauungen des Referenten nnd Korrefe¬ 
renten einverstanden und beauftragte diese nach lebhafter Diskussion in der 



280 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Herbstversammlung Thesen über die Ausführung der Desinfektion der Woh¬ 
nungen vorzulegen. 

Apotheker Bellingrodt-Oberhausen hielt ein sehr interessantes Referat 
über freihändige Abgabe von Bandwarmmitteln, die absolut dem freien 
Verkehr entzogen werden müssten und nur auf jedesmalige ärztliche Verordnung 
abgegeben werden dürften und stellte bei der Versammlung einen hierauf bezüg¬ 
lichen Antrag zur Annahme und weiteren Empfehlung höheren Orts. Referent 
war dieser Ansieht als richtig bewusst geworden durch die Erwägung, dass ins¬ 
besondere Extr. Filicis marisVergiftungs-Erschoiniingen bewirken könne. Er hatte 
erlebt, dass im November v. J. aus seiner Offizin für eine 28 jährige Frau 10 gr 
Extr. Filicis maris verordnet worden waren, nach deren Genuss der Arzt Erschei¬ 
nungen sah, die ihm neu waren und die er sich nur durch Vergiftung erklären 
konnte. Das Extr. Filicis maris hatte Referent selbst aus Rhizomen, deren 
Einsammlung er überwacht hatte, hergestellt und in 10 gr haltenden Gläsern 
eingefasst. Referent machte dpn Arzt aufmerksam auf einen von ihm begut¬ 
achteten Fall über Vergiftung mit Opium, in dem es sich auch um Extr. Filicis 
maris gehandelt hatte (s. Zeitschrift für Medizinalbeamte, Heft 11, Jahrgang 2, 
1889). Die Kranke hatte, nachdem sie früh eine Tasse Thee genossen, gegen 
12 Uhr die Arznei in zwei Hälften in Bouillon genommen und trank kurz nachher, 
weil sie übel wurde, einen Pfeffermünzliqueur. Gegen 4 Uhr wurde die Fran 
schwindelig, es zeigten sich Delirien, Krämpfe, besonders der Gliedmassen und 
konnten 2 starke Männer die Kranke kaum zu Bett halten; die Pupillen waren 
klein, das Gesicht geröthet, Puls klein. Die Frau genas, aber der Bandwurm war 
nicht abgegangen, wesshalb sie sich zwei Monate später bei einem andern Arzte 
einer neuen Kur unterzog, aber die frülieren Vorgänge verschwieg. Der Arzt 
verordnete eine Graiiatwurzelrinden-Abkochung mit 8 gr Extr. Filicis maris. Eine 
halbe Stunde nach dem Einnehmen schwand das Bewusstsein, es traten mani- 
kalische Anfälle ein; der Zustand dauerte IVi Stunde, da.s Bewusstsein war ge¬ 
schwunden, ebenso die Erinnerung. 2 Monate später nahm Patientin eine Granat- 
wurzelrinden-Dekokt ohne Extr Filicis maris und übele Anfälle blieben aus. 

Referent stellte nun weitere Untersuchungen an über Extr. Filicis maris und 
dessen Wirkung. Das Extrakt enthält als wirksamen Bestandthcil Filixsäure, die je 
nach dem Standorte der Pflanze verschieden ist, und enthalten aus Gebirgsgegen¬ 
den stammende mehr Filixsäure, als aus den Niederungen. Ueber die Giftwirkung 
des Extraktes ist nichts in der Literatur zu finden. Schmiedeberg sagt nur, dass 
alle zu den Authelrainticis gehörigen Mittel in grossen Gaben Vergiftungser- 
sebeinungen verursachen, die vorzugsweise das Centralncrvensystem betreffen. 
Todesfälle weist die neuere Literatur auf (Freyer, v. Hofiuann, Echlin in 
Liebreich’s therapeutischen Monatsheften 1889, 1890, wo selbst auch die 
Sektionsbefunde beschrieben sind). Die tödtliche Gabe schwankt zwischen 4 bis 
17 gr. Das Extrakt wirkt heftiger in Verbindung mit Riciniisöl weil Filixsäure 
sich leichter in Oel löst. 

Da das Filixextrakt als ein starkwirkendes und sogar als ein gefähr¬ 
liches Mittel anzusehen ist, so ist die Gestattung des freihändigen Verkaufes 
sehr auffällig (Verordnung vom 4. Dezember 1891) und um so mehr zu 
bedauern, als besonders Heilpfuscher und gewinnsüchtige Fabrikanten den 
Verkauf des Mittels mit Umgebung des Arztes mundgerecht machen und angoben, 
dass 10—16 gr je nach der Wurmart genommen werden müssen. Unter Berück¬ 
sichtigung aller Verhältnisse müsse daher der freihändige Verkauf von Extr. 
Filicis maris wie dieses in Oesterreich bereits geschehen, inhibirt werden. 

Zum Schluss demonstrirte Herr W. Buden her g-Dortmund einen Des¬ 
infektionsapparat für kleine Gemeinden, Krankenhäuser und ähnliche An¬ 
stalten, der aUen Anforderungen entspricht und nur 885 Mark kostet. 

Dr. Al bers-Essen, 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Ueber die Zeit, in welcher nach Anwendung der verschiedenen 
Arzneimittel die Ansstossnng der Frucht erfolgt. Von Dr. med. Dölgcr. 
(Friedreich’8 Blätter für gerichtliche Medizin und Sauitätspolizei, Heft 1 
und 2; 1892). 



Kleinere Mittheilongen und Referate ans Zeitachriften. 281 

Für die Benrtheilnng der Wirkting eines Frachtabtreibungamittela ist 
wichtig die Berücksichtignng der 2^it, in welcher nach Einnahme des Mittels 
die Ansstossnng der Fracht erfolgt. Sicher wirken eigentlich nur einige mecha¬ 
nische Mittel und b^i allen Mitteln spielen individnelle Verhältnisse, Disposition 
und Teischiedene Reizbarkeit des Uterus mit. Das gilt namentlich für die 
inneren Frachtabtreibungsmittel, bei welchen ausserdem die Qualität, die Dosis, 
die Form der Einverleibung in Betracht zu ziehen sind. Am schwierigsten ist 
die Benrtheilnng der Ursache und Wirkung, wenn der Abortns erst Wochen oder 
gar Monate nach dem Tode des Fötus erfolgt, der entweder durch direkten Ueber- 
gang des Mittels durch die placeiitaren Blutbahnen and seine toxische Wirkung, 
oder durch Herabsetzung der Emähmngsverhältnisse der Schwangeren und der 
Fracht oder durch Störung der fötalen Respiration eintreten kann. Leichter zu 
bcurtheilen ist die Wirkung der Abtreibung,wenn die Ausstossung der Fracht 
durch Uteruskontraktionen geschieht, die entweder durch direkte Reizung der 
spinalen oder parenchymatösen Centren oder durch Reizung derselben auf reflek¬ 
torischem Wege, dann meist durch Störungen im Magen-Darmkanal oder vaso¬ 
motorische Beeinflussung, bald nach dem Eintritt der Wirkung des Mittels ein- 
zutreten pflegen. 

Die Wirkung der Mittel tritt nun nach einer Zusammenstellung aus vielen 
Ai^ben ein bei: Secale comutum (Mutterkorn) nach 8 Stunden bis 12 Tagen; 
bei Junipems Sabina (Sodebaum) nach 5 Standen bis 5 Tagen, wobei in vielen 
Fällen die Matter unter Erscheinungen einer Gastroenteritis toxica gestorben 
ist. Beide genannten Mittel, ferner Herba Thiyae und Taxus baccata (Eiben- 
baum) wirken nicht durchaus sicher. Ein Easlöffel Bemsteinöl — Oleum Succini 
— bewirkte nach 13 Tagen Abortus, eine Abkochung der Raute, Ruta gra- 
veolens, nach 48 Standen bis 6 Tagen; Drastika, besonders Canthariden 
nach einigen Stunden. Phosphor, Strychnin, Schwefelarsen, Kohlenoxydgas, 
Leuchtgas, Jodkalilösung freiwillig und unfreiwillig beigebracht, wirkten nach 
einigen Standen bis 5 Tagen abortirend. Natürlich können auch mehrere der 
angegebenen Mittel zu verbrecherischen Zwecken gleichzeitig oder nach einander 
gebraucht werden. 

Für die mechanischen Fmchtabtreibungsmittel gilt im Allgemeinen, 
dass nach Einwirkung roher Gewalt, z. B. Stoss gegen den Unterleib, 
der Abortns schon nach einigen Standen, aber auch erst nach einigen Wochen 
eintreten kann. In letzterem Falle ist der klinische Verlauf, andauernde 
Blutungen, die Veränderung an der todtfaulen Fracht etc. für die Beweisführung 
wichtig. 

Sehr sicher and daher sehr häufig benutzt ist der Eihautstich; die 
kürzeste Dauer für den Eintritt des Abortns und der Frühgeburt ist 3 Standen, 
die längste 5 Tage, in Mittel 41 Standen. Für Cohen’s Methode, ebenfalls 
häufig angewendet, ergab sich die Dauer bis zum Eintritt der Wirkung von 
4'/« Standen bis 16 Tagen, im Durchschnitt 32 Stunden nach der Injektion, 
während für Einleitung der Frühgeburt etwas längere Zeit gebraucht wurde. 
Vaginaldouchen wirken unzuverlässig, sie können Wehen nach 10 Standen bis 
12 Tagen, im Durchschnitt nach 88 Stunden hervormfen; andere auf die Vagina 
wirkende Reize, wie namentlich Tamponaden, werden zu verbrecherischen Zwecken 
kaum benutzt. Die Ausstossung der Frucht erfolgt nach ö Standen bis 5 Tagen. 
Nach Krauses Methode ergab sich ein Zeitraum vou S'/g Standen bis 12'/« 
Tagen, durchschnittlich 42 Standen, wobei in verbrecherischer Absicht anstatt 
eines Bougies eine Sonde oder ähnliches Instrument eingeführt und Ablösung 
des Eies von der Uteruswand erstrebt wurde. 

Weniger wichtig sind die Versuche durch Ablöseu der Eihäute in der 
Gegend des inneren Muttermundes oder durch Dilatation des Cervix. Es ergab 
sich nach klinischen Beobachtnngen ein Zeitraum von 2 Standen bis 8 Tagen bis 
zur Gebart Mehr klinisches Interesse haben die Aborte, hervorgerufen durch 
Elektrizität. Nicht selten werden übrigens zur Hervorrufung des kriminellen 
Aborts mehrere Arten von Abtreibungsmitteln benutzt. 

Dr. Rump-Gsnabrück. 

Frnchtabtreibung durch Iigektion heisaen Wassers: plötzlicher 
Tod durch Lungen - Embolie. Von Professor Dr. v. Hof mann (Fried¬ 
reich’s Blätter für gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei; Heft 1, 1892). 



282 


Kleinere Mittheilungen nnd Referate aus Zeitsohriftcn. 


Fnichtabtreibungen durch Injektionen sind häufiger geworden. Sie können 
gefährlich werden, wenn das Instrument oder unreines Wasser infektiöse Keime 
hineinträgt und Entzündung macht oder durch Verletzungen der Geschlechts- 
theile beim Einführen des Instruments, durch Ruptur der (Tenärmutter bei dünner 
Wandung und forcirter Injektion, seltener durch Salpingitis und Peritonitis nach 
Eindringen der Flüssigkeit in die Tuben. Die häufigste Todesursache ist durch 
Eindringen von Luft in die öterusvenen, oder durch Eindringen von heissem 
Wasser in diese. Es entsteht eine Verbrühung der Theile, Koagulation des 
Blutes in den Uterusveneu, eventuell der Tod. 

In einem zur gerichtlichen Obduktion gtdangten Falle einer im dritten 
Monat Schwangeren, welcher wahrscheinlich zwecks Fruchtabtreibung durch 
eine Hebamme eine Injektion heissen Wassers gemacht war und welche bald 
nachher verstarb, fand sich in der Gebärmutter das untere Drittel des Eies 
missfarbig, in der Konsistenz vermehrt, wie gekocht. Ebenso verändert war 
die Innenwand des (lebärniutterhalsos und der darin enthaltene Scdileiinpfropf. 
Die linke Hälfte des Eies war leicht abhebbar, die dieselbe überziehende Decidua 
reflexa und Decidua vera in nach aufwärts abnehmendem (irade getrübt und 
verdickt, wie gekocht; die Decidua rt flexa rechts oberhalb des inneren Mutter¬ 
mundes unregelmässig eiugerissen und djulurch der Mutterkuchen blossgelegt, 
welcher ebenso wie (lie Innenwand d(‘r hinfälligen Haut und die anstossendeu 
Eihäutc im Umfange von nahezu einer halben Handfiäche misstarbig, wie 
gekocht und mit schwärzlichen starren Blutgeriunseln durchsetzt erschienen. 
Dieselbe, wie gekochte Beschaffenheit griff in gleicher Ausdehnung auf 
das Choriura und dessen Innenfläche über. Die Gefässe an der wie gekocht 
aussehenden Partie des Mutterkuchens und ebenso die venösen Gefässe der an- 
stossenden Gebärmutterwand waren bis in die breiten Mntterbänder hinein mit 
wie gekocht aussehenden Blutgerinnseln gefüllt, welche sich wurstförmig aus 
den Gefässen herausdrücken liessen. In der Scheide war das Epithel weisslich 
getrübt. — Beide Lungen frei, massig gedunsen, blutreich, überall lufthaltig, im 
Unterlappen blutreicher und w^eichliches schaumiges Serum entleerend, welches 
auch in den Bronchien reichlich enthalten war. In den Hauptstämmen der Lun¬ 
genarterien reichliches dunkelfiüssiges Blut, in den feinsten Verzweigungen der¬ 
selben jedoch stellenweise missfarbige kleine Gerinnsel, welche sich aus einzelnen 
dieser Gefilsschen wurstförmig herausdrücken liessen. 

Es war also der Tod durch Lungenödem und Lungenembolie erfolgt. Die 
Lungenembolis kamen aus den Gerinnseln der erweiterten Venen der unteren 
Partie der Gebärmutter und ihrer Nachbarschaft, und hatten sich diese Gerinnsel 
durch Injektion heisser Flüssigkeit in die Gebärmutter zwecks Abtreibung gebildet. 

Zur Lebenailaiier der Samenfäden. Von Kreisphysikus Dr. Räuber 
in Nordhausen. 

In Nr. 3 S. 66 dieser Zeitschrift ist ein Fall erwähnt, in welchem sich 
bei einem im Alter von 43 Jahren befindlichen Erhängten 44—45 Stunden nach 
Eintritt des Todes noch an der Harnröhrenmündung Sperma mit mehreren sich 
lebhaft bewegenden Samenfäden vorfand. Dieser Befund ist als ein Fall von 
langer Lebensfähigkeit der Spermatozoiden aufgefasst worden, den man der 
kräftigen Konstitution nnd der milden Witterung im Dezember v. .1. zu ver¬ 
danken habe. 

Auch ich war in der Lage, am 20. April d. J. bei einem über 65 .Jahre 
alten Manne, der sich erhängt hatte, noch 55 Stunden nach Eintritt des Todes 
selbstständige Bewegungen zeigende Samenfäden in einem Tröpfchen aus der 
Harnröhre zu beobachten, möchte diesen Fall jedoch nicht, ebensowenig wie den 
oben angeführten als eine Ausnabme auffassen, vielmehr nur als einen neuen 
Beweis einer öfters beobachteten Thatsache. 

Nach Ultzmann (Poteutia gonerandi etc. S. 4) zeigt ein kräftiger nor¬ 
maler Same, welcher in entsprechender Weise vor Licht und Kälte geschützt 
worden ist, noch nach zweimal 24 Stunden lebende Spermatozoon unter dem 
Mikroskop. Nach Hof manu (Gerichtl, Medizin 1884 S. 134) konnten in 
einem auf einer Glasplatte und unter Glasglocke auf bewahrten Spennatropfen 
noch nach 72 Stunden schwache Bewegungen der Spermatozoiden wahrgenommen 
werden. An einer anderen Stelle (S. 768) erwähnt Hof mann, dass bei plötzlich 
Verstorbenen nicht selten noch 24—48 Stunden nach dem Tode und manch- 



Kleinere Mittheilongen nnd Referate ans Zeitschriften. 


28.3 


mal noch spftter die Fortdauer der Bewegung der Spermatozoeu beob¬ 
achtet wurde. 

Diese Beobachtungen liefern uns nicht nur einen Beweis für die lange 
LebensBlhigkeit der SamenBldcn unter gewöhnlichen Verhältnissen, sondern 
bieten auch insofern ein gerichtsärztliches Interesse, als sie sich in geeigneten 
Fällen als Anhalt zur Bestimroung der Zeit, welche .seit dem Tcwle verflossen 
ist, verwerthen las.sen. 

B. Hygiene nnd öffentliches Hanitätswesen. 

Die Blatsernmtherapie bei Diphtherie und Tetanus. Von Stabsarzt 
Dr. Behring, Assistenten am Institut für Infektionskrankheiten. 

lieber Immnnisirang nnd Heilung von Versnehsthieren bei der 
Diphtherie. Von Stabsarzt Dr. Behring, Assistenten am Institut für Infek¬ 
tionskrankheiten nnd Stab8.arzt Dr. Wern icke, Assistenten am hygienischen 
Institut der Universität Berlin. 

Ueber Immnnisirnng und Heilung von V'ersuchsthieren beim 
Tetanns. Von Stabsarzt Dr. Behring. 

Versuche nur Immnnisirnng von Pferden nnd .Schafen gegen 
Tetanus. Mitgetheilt von Prof. Dr. Schütz. 

Es sind vier sich gegenseitig ergänzende Arbeiten, welche im 1. Heft des 
12. Bandes der Zeitschrift fürHygiene und Infektionskrankheiten 
erschienen sind und welche eineu werthvollen Beitrag zur Immunitätslebre bilden 

— um so werthvoller, wenn die in Aussicht gestellte Verwend¬ 
barkeit der Behandlung auch für die Diphtherie der Menschen 
günstige Resultate erzielen sollte. 

Die erstangeführte Arbeit von Behring dient dem (lanzen als Einleitung 
und enthält eine kurze, aber klare Skizzirung des augenblicklichen Standes der 
Lehre von der erworbenen Immtinität. Die Metschnikoff’sche Phagocyten- 
theorie wird als letzte Konsequenz der Virchow’sehen (’ellularpathologie 
gekennzeichnet und ihr gegenttlMjrgestellt die humorale Auffassung, welche die 
Immunität durch gelöste Bestandtheile des Blutes entstanden wissen will. — 

— Bekanntlich hatte sich gezeigt, dass im Blut nnd itn Blutserum von Ratten 
(welche natürliche Immunität gegen Milzbrand besitzen) Milzbrandbazillen sehr 
schnell degeneriren nnd dann absterben. Es wäre nun nichts einfacher und 
durchsichtiger gewesen, als die Immunitätslebre, wenn sich durchgehends gezeigt 
hätte, dass vom Blut eines Thieres diejenigen Krankheitserreger, gegen welche 
cs immun ist, abgetödtet wenlen, diejenigen aber, welche nach ihrer Verimpfung 
den Tod eines Thieres herbeiführen, im Blut desselben zu wachsen nnd sich zu 
vermehren im Stande sind. Es ergab sich aber, dass eine solche Verallgemeinerung 
unzulässig war, da.ss nicht immer das Vorhandensein bakterientödtender Eigen¬ 
schaften des Blutes in erkennbarer Beziehung zur Immunität steht und anderer¬ 
seits, dass trotz mangelhafter abtödtender Wirkung Immunität vorhanden sein 
kann. So stand die Sache, als durch die zunehmende Kenntuiss von der grossen 
Rolle, welche die Bakterien gifte bei den Infektionskrankheiten spielen, es ge¬ 
boten schien, die Frage von einem neuen Gesichtspunkte aus zu betrachten. 
Wenn es chemische Substanzen giebt, welche die Bakteriengifte zerstören, 
ohne das Wachsthum der Bakterien selbst zu vernichten, so konnten solche 
Substanzen auch bei der Immunität eine Rollo spielen. Und in der That ergab 
es sich, dass das Blut künstlich (durch .Jodtrichlorid z. B.) immunisirter Kaninchen, 
zwar nicht im Stande war, die in Frage kommenden Bakterien abzutödten, 
dass es dagegen in hervorragendem Grade die Fähigkeit gewonnen hatte, das 
Diphtheriegift, bezw. das Tetanusgift unschädlich zu machen! Das 
Blut und das Blutserum zeigte dementsprechend bei Uebertragnng auf andere 
Thiere immnnisirende, bezw. heilende Wirkung, nnd zwar in um so höherem 
Grade, je höher die Immunität des blutspendenden Thieres gesteigert war. Für 
therapeutische Zwecke kam es also vor Allem darauf an, genügend hohe Grade 
von Immunität zu erzielen, da das Blut natürlich immuner Thiere keine Heil¬ 
wirkung zeigt. Die Frage, worauf diese schützende nnd heilende Wirkung des 
Blutes immunisirter Thiere beruht, bleibt auaser Erörterung; es kam Verfasser 
darauf an, das heilende Blut in solcher Wirksamkeit nnd Menge zu gewinnen, 
dass es für den leidenden Menschen Anwendung finden kann. 



284 


Klciuerc Mitthcilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


Die zweite Arbeit enthält die Beschreibung der Methode, mit der es den 
Verfassern gelang, nicht nur kleineren Thieren, sondern auch zwei Schafen einen 
so hohen Qrad von Immunität gegen Diphtherie zu verleihen, dassgenflgende 
Blutmengen zur Behandlung einiger diphtheriekranker Kinder 
zur Verfügung stehen. Die Methode, sowie die Krankengeschichten der 
behandelten Versnehsthiere sind im Original nachzulesen, da die Wiedergabe hier 
zu weit führen würde. Dem Wesen des Mittels entsprechend kann eine Blut- 
Impfung nicht zum Ziele führen, es sind vielmehr grö-ssere Mengen von Serum 
erforderlich. Beim Meerschweinchen führt eine Dose von 1 zu 1000 bei sofort 
nach der Infektion eintretender Behandlung, 1 zu 4(X) nach dem Auftreten deut¬ 
licher und allgemeiner Erkrankung die Heilung herbei. Bei Zugrunde¬ 
legung der Zahl 1 zu 400 würde mau also für ein Kind mit einem 
Körpergewicht von 20 Kilo noch 50 ccm. Heilserum gleich am 
Anfang verbrauchen müssen und zur Weiterbehandlung dann wahr¬ 
scheinlich noch ebensoviel. Versuche am Menschen habe'n die Ver¬ 
fasser nicht angcstellt, denn „sie sind zu der Uoberzeugung 
gekommen, dass es die Kräfte und Mittel ihrer privaten Thätig- 
keit übersteigt, den Versuchen eine solche Ausdehnung zu 
geben, um mit praktischem Erfolge die Diphtheriebehand- 
Inngsmethode auf den Menschen zu übertragen, da mit der Be¬ 
handlung einiger weniger Fälle kaum über die zweckmässi gstc 
.Art derDosirung und Applikationsweise ein abschliesse nde.s 
Urtheil zu gewinnen sein wird.*^ 

Die beiden letzten der oben angeführteu Arbeiten beschäftigen sich mit 
der Immunisimng grösserer Thiere, Pfiirde und Hammel, gegen Tetanus, sie ent- 
lialten sehr viel luteressantes, haben aber mehr den Charakter von vorläufigen 
.Mittheilungcn; die Besprechung kann daher zweckmässig bis zum Erscheinen der 
in .Aussicht gestellten ausführlicheren Publikationen verschoben werden. 

Dr. Langerhans -Hankensbüttel. 

Schützt die durch Milzbrandimpfung erlangte Immunität vor 
Tuberkulose? Von Professor E. Perron cito in Turin. Centralblatt für 
Bakteriologie; Bd. XI, Nr. 14. 

Perroncito impfte zwei ganz gesunde, nach Pasteur gegen Milz¬ 
brand vollständig immunisirte Kühe mit Tuberkelbazillen-Keinkultnr. 2Vs Monat 
später bei der Schlachtung waren sämmtliche Eingeweide, selbst die der Impf¬ 
stelle entsprechenden Lj'mphdrüsen vollständig gesund. Es wurde ferner eine 
bereits stark abgemagerte Kuh mit Tuberkulose der Brust- und ßauchorgane 
der Schutzimpfung mit Milzbrand unterworfen. Nach 2 Monaten wurde die 
Kuh getödtet; die Tuherkelknötchen waren meist verkalkt, Iropfversuche mit 
anscheinend frischeren Knötchen ergaben bei Kaninchen und Meerschweinchen ein 
negatives Resultat. Sodann wurde eine phthisische Kuh und ebenso das von ihr 
geworfene Kalb, welches bald nach der (Teburt hustete und phthisischen Habitus 
bekam, der Schutzimpfung gegen Milzbrand unterworfen, worauf beide sich in 
sichtlicher Weise erholten. Dagegen zeigten vier zuerst gegen Milzbrand refraktär 
gemachte und hinterher mit Tuberkulose geimpfte Kaninchen nach 1 Monat 
kttotenbildnng an der Impfstelle und Schwellung der entsprechenden Achsel- 
drttsen. Perroncito impfte nun 2 dieser Kaninchen von Neuem mit virulentem 
Milzbrand, welchem beide erlagen. Bei der Autopsie fand sich Tuberkulose der 
Impfstelle und der entsprechenden Lymphdrttsen. Die Tuberkulose ist nach 
Perroncito bei diesen Thieren zum Ausbruch gekommen, weil die Immunität 
gegen Milzbrand keine vollständige war, wie der tödtliche Ausgang der Impfung 
bewies. Verlasser glaubt damit den Beweis geliefert zu haben, dass die Tuberku¬ 
lose auf ein Individuum oder Thier, das gegen Milzbrand refraktär gemacht ist, 
entweder nicht oder nur schwer tibergeht. Ders. 

Heber die Einwirkung des Ozons auf Bakterien. Von Begiemngs- 
rath Dr. Ohlmüller. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte; VIII. Bd., 
1. Heft. Berlin 1892. Verlag von Julius Springer. 

Die widersprechenden Resultate der zahlreichen Arbeiten, welche sich mit 
der desinfizirenden, bezw. bakterientödtenden Kraft des Ozons beschäftigen, ver- 
anlassten Verfasser zu einer der sorgfältigen, alle Eventualitäten berücksichtigen- 



Kleinere Mittheiluui^ou und Kef'erute aus 2!eiLschrit‘ti'u. 


285 


den Untersachangen, welche den Ruf des Kaiserlichen Gesundheitsamtes so fest 
gegründet haben. Er benutzte einen neuen Apparat, welchen Frölich im 
Laboratorium der bekannten Firma Siemens und Halske konstruirt hat und 
welcher die Herstellung grösserer Mengen von Ozon auf elektrischem Wege 
(durch Glimmentladung) ermöglicht. 

Die erste Versuchsreihe beschäftigt sich mit der Einwirkung ozonhaltiger 
Luft auf Bakterien, welche festen Gegenständen anhaften und zwar waren die 
Bakterien, um den EinÜuss der verschiedenartigen Oberfläche zu studiren, bald 
auf Glas, bald auf Weissblech, Holz, Filterpa])ier, Rohseidenzeug, dünnem oder 
dicken Baumwollenzeug, Parchend oder Flanell fixirt, sie waren ferner in einigen 
Versuchen eingetrocknet, in anderen angofeuchtet, ebenso war die ozonhaltige 
Luft bald trocken, bald angefeuchtet. Ein bakterientödtender Einfluss war 
namentlich bei lange fortgesetzter Zufuhr ozonhaltiger Luft und starkem Ozon¬ 
gehalt der letzteren zwar unverkennbar namentlich gegen Typhusbazillen und 
Eiterkokken; dagegen versagte die Wirkung Milzbrandsporen gegenüber selbst 
unter den günstigen Verhältnissen des Experimentes im abgeschlossenen Glase 
vollständig. Verfasser betont, dass die Verhältnisse beider Wohnungsdesinfektion 
noch viel schwieriger liegen, da wegen der Durchlässigkeit der Wände das Gas 
nicht beliebig lauge in der uothwendigen Konzentration erhalten werden kann 
und kommt daher zu dem Schluss, dass das Ozon zur Desinfektion von 
Gegenständen und speziell vonWohnräumen nichtgeeignetist. 

Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei der Desinfektion von 
Flüssigkeiten, denn Typhus- und Cholera-Bazillen, Milzbrandbazillen und Milz¬ 
brandsporen, welche in 500 ccm. destillirtein Wasser aufgeschwemmt waren, 
wurden durch hindurchgeleitete ozonhaltige Luft schon nach 2 bis längstens 
10 Minuten abgetödtet bei einem Verbrauch von Ozon, welcher von 16 mg. bei 
Cholera bis 89 mg. bei Milzbrandsporen stieg. Uebrigens war die bakterien- 
tödtende Kraft des Ozons sehr viel geringer, wenn ausser den Bakterien viele 
oxydirbare Substanzen in der Flüssigkeit gelöst waren, da in diesem Falle das 
Ozon in erster Linie zur Oxydation verwendet wurde. So konnte Spreewasser, 
welches eine Oxydatiousgrösse von 5,4 mg. Sauerstoff pro 500 ccm. besass, durch 
Zuleitung von 5,5 Liter Luft mit einem Ozougehalt von 88 mg. vollständig 
sterilisirt werden, wobei die Oxydationsgrösse des Wassers auf 4 mg. 0. herab¬ 
sank. Zur Desinfektion einer gleichen Menge Gartenerdeaufschwemmuug mit 
einer Oxydationsgrösse von 13 mg. 0. waren dagegen 10 Liter Luft mit einem 
Ozongehalt von 156 rag. 0. erforderlich, wobei die Oxydationsgrösse auf 6,3 
sank. Bei dem Spreewasser war die Abtödtuug der Keime in 10 Minuten 
vollendet, während die Gartenerde-Aufschwemmung erst in 25 Minuten definitiv 
sterilisirt war. Kanaljauche, welche bei einem Bakterieugchalt von 11 Millionen 
im ccm. eine Oxydatiousgrösse von 88 mg. 0. in 500 ccm. besass, konnte durch 
Durchleitung ozonhaltiger Luft selbst in einer Stunde nicht sterilisirt werden, viel¬ 
mehr fanden sich daun immer noch 9 Millionen Keime vor, während die 
Oxydationsgrösse auf 66 mm. 0. gesunken war. Eine Versuchsreihe, in welcher 
die Bakterien in destillirtem Wasser mit verschieden gross gewähltem Zusatz 
von Hammelblutserum aufgeschwemmt waren, lieferte den Beweis, dass es 
lediglich die leblose, organische Materie ist, welche die oxydirende Kraft des 
Ozons für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Tödtung der Keime verzögert. 
Immerhin erweist sich das Ozon als ein kräftiges und zuver¬ 
lässiges Desinfektionsmittel für alle Flüssigkeiten, welche 
keinen all;su grossen Gehalt an gelösten, organischen Sub¬ 
stanzen besitzen und dürfte, zumal der Ozon-Geruch und Geschmack 
den so behandelten Wässern nur kurze Zeit anheftet, möglicherweise für 
die Reinigung und Sterilisirung von Fluss- und Trinkwässern 
eine Zukunft haben. Die von Frölich konstruirten Apparate ermöglichen 
die einiäche und billige Herstellung der dazu erforderlichen grossen Ozonmengen, 
die Technik müsste aber noch Mittel und Wege finden, das erzeugte Ozon in 
vollkommenerer Weise zur Ausnutzung zu bringen, als es Verfasser bei seinen 
Versuchen gelang. Ders. 

Rinflnss der Influenza auf die Gebnrten und Sterbefdlle des Jahres 
1890. Die vom Kaiserlichen Statistischen Amt veröffentlichten Ausweise über 
die Zahl der Geburten und Stcrlicfälle während der einzelnen M(mute desJahivs 



286 


ii«8i>rechDngeii. 


18‘K> lassen, wie iu Nr. 18 der „Veröffeutlichungen des Kaiserlichen 
Gesundheitsamts“ ausgefUhrt wird, den fiintluss der Influenza-Epidemie im 
Winter 1889/90 sowohl auf die Sterblichkeit, wie auch auf die Fruchtbarkeit der 
Bevölkerung genauer abschätzen. 

Berechnet man für jeden Monat des .Jahres a. die tägliche Zahl der Ge¬ 
borenen (Lebend- und Todtgeborenen), b. die tägliche Zahl der Gestorbenen 
(ausschliesslich Todtgeborene), so ergeben sich folgende Reihen: 

a. Es wurden dnrchschn. b. Es s t a r b en dnrclischn. 
an jedem Tage geboren an jedem Tage 


im Januar 1890 


5289 


ff 

Februar 

^ • 

5151 

ff 

März 

m • • • • 

5175 

fl 

April 

^ • 

4923 

ff 

Mai 

«« • • • • 

4921 

ft 

Juni 

W • 

4852 

ft 

.Jnü 

• • • • 

4967 

V 

August 

^ • • • • 

5019 

yf 

September 

^ .... 

4920 


Oktober 

W • • • • 

4.302 

ft 

November 

• • • • 

4944 

ff 

Dezember 189 ' . . . . 

5388 

ff 

(Dezember 1889). . . . 

(4963) 


4674 

3555 

3547 

3228 

3153 

2996 

2948 

.3332 

3018 

2836 

2858 

3268 

(3237) 


Reihe a. zeigt für den 
punkte der Inflnenzaepidemie 


Monat Oktober — nenn Monate nach dem Höhe- 
— ein beträchtliches Sinken der Geburtenzahl, 
welchem aber schon im Dezember ein für diesen Monat ungewöhnliches An- 
.steigen der Geburtsziffer folgte. Reihe b. zeigt eine besonders hohe Sterbeziffer 
für die ersten drei Monate des .Jahres — die Dauer der Inflnenzaepidemie —, 
darauf folgte jedoch im Juni und Juli ein für diese Jahreszeit ungewöhnliches 
Sinken der Sterbeziffer. 


Ein gewisser nachträglicher Ausgleich der durch die Influenza bedingten 
Störungen hinsichtlich der Sterblichkeit und der Fruchtbarkeit der Bevölkerung 
ist daher nicht zu verkennen, indessen bleibt für das ganze Jahr immerhin je 
eine beträchtliche Störung nachweisbar. 

Im ganzen Jahre wurden 1820264 Kinder, mithin 37,0 Kinder auf je 
1000 Einwohner geboren. In den 4 Vorjahren 1886 bis 1889 waren die ent¬ 
sprechenden Geburtsziffem nacheinander: 38,5 — 38,3 — 38,0 — 37,7 gewesen. 
.Selbst wenn man auf eine gleichmässig weitere Abnahme der Geburtsziffer rechnete, 
so durfte man doch erwarten, dass im Jahre 1890 mindestens 37,4 Kinder auf je 
1000 Einwohner würden geboren werden. Der Gebnrtenausfall im Jahre 18^ 
belief sich hiernach auf etwa 0,4*/o(„ d. h. 19700 Geburten, und, da 3,35 ®/o., 
aller Geburten auf Todtgeborene entfielen, entspricht dies einem Ausfall von 
19040 Lebendgeborenen. 

Um den Einfluss der Influenza auf die Zahl der .sterbetälle im Reiche ab¬ 
zuschätzen, empfiehlt es sich — mit Rücksicht auf den Beginn der Epidemie im 
Dezember 1889 — den Jaliroszeitraum vom 1. Dezember 1889 bis 30. November 


1890 in Betracht zu ziehen und mit den entsprechenden Zeiten der Vorjahre zu 
vergleichen. Es starben (ausschl. der Todtgeborenen): 

V. 1. Dez. 1886-30. Nov. 1887: 11611.30 = 24,38''/„.,| 

V. 1. „ 1887-.30. , 1888: 1143795 = 23,75 "/..J 

v. 1. „ 1888-3(1. 

V. 1. ,, 1889 -30. „ . ± J-./.,. vrx.y — £.'T,C«. iQti' 

Nach dem Durchschnitt der drei Vorjahre war zu erwarten, dass vom 
1. Dezember 1889 bis 30. November 1890 nur 23,88 '>1^ der Bevölkerung sterben 
\vürden, es sind aber 24,83 '’/oo gestorben, mithin belief sich das Mehr an Sterbe- 
fällen während dieses Zeitranme.s (Influenzajahrcs) auf 0,45 der Bevölkerung 
oder 22 1.57 Personen. 


1888: 1143795 = 23,75-Vo„, ^ „ 

1889: 1145638 = 23,52 «/oof 

1890: 1198045 = 24,33 «/J 


Besprechungen. 

Dr. Max Rubner, ordentl, Professor und Direktor des hygienischen 
Instituts; Lehrbuch der Hygiene. Systematische Darstel- 








287 


lung* der Hygiene und ihrer wichtigsten Untersuchungsinethoden. 
Zum Gebrauche ihr Studirende dei* Medizin, Physikatskandidaten, 
Sanitätsbeainte und Verwaltungsbeanite. Mit über 260 Abbil¬ 
dungen. 4. Auflage. Leipzig und Wien, 1891 und 1892. Ver¬ 
lag von Franz Den ticke. 1.—6. Liefemng ä 5 Bogen; gross 8®. 

Es sind noch nicht volle zwei Jahre seit dem Erscheinen der dritten Auf¬ 
lage des vorliegenden, aus dem ehemaligen Xo wack'schen Lehrbuch der Hygiene 
hervorgegangenen Werkes verstrichen und schon hat sich das Bedtirfniss einer 
neuen Auflage herausgestellt; jedenfalls der beste Beweis für die Vorzüglichkeit 
des Buches wie für die weite Verbreitung, die es in den betheiligten Kreisen 
gefunden hat. 

Soweit sich aus den 6 bisher erschienenen Liefeningen übersehen lässt, 
ist die Anordnung des Stoffes in der vierten Aufllage unverändert geblieben; 
dagegen haben die einzelnen Abschnitte überall da, wo es erforderlich war, eine 
den Fortschritten der hygienischen Wissenschalt entsprechende Ergänzung oder 
theilweise Umarbeitung erl’aliren. Das Werk entspricht somit dem jetzigen 
Standpunkte der Wissenschaft im vollsten Masse; ausserdem hat es der Ver¬ 
fasser in vorzüglicher Weise verstanden, die einzelnen Abschnitte der Hygiene 
möglichst gleichmässig zu behandeln unter Beiseitelassung alles Unwesentlichen 
und aUer Hypothesen. 

Besondere Sorgfalt ist in den einzelnen Kapiteln der Darstellung der wich¬ 
tigsten Untersuchungsmethoden gewidmet und deren VerstÄndniss durch zahlreiche 
und sehr anschauliche Abbildungen wesentlich erleichtert. Mit Kücksicht hierauf 
verdient das Lehrbuch namentlich tlen Medizinalbeamten empfohlen zu werden, 
die an einem hygienischen Kiiwus theilzunchmen gedenken; sie werden in dem¬ 
selben nicht nur einen zuverlässigen Kathgeber finden, sondern auch ein Buch, 
dass sich zum Nachstudiren vorzüglich eignet. Das Erscheinen der Schluss-Lie¬ 
ferungen (6—10) wird voraussichtlich noch im Juni d. J. erfolgen. Kpd. 

Dr. Schlockow: Der Preussische Physikus. Anleitung zum 
Physikats-Examen, zur Geschäftsführung der Medizinalbeamten 
und zur Sachverständigen-Thätigkeit der Aerzte. Dritte Auf¬ 
lage. Bearbeitet von Dr. Roth, Regierungs- u. Med.-Rath in 
Köslin und Dr. Leppmann, Arzt der Königl. Strafanstalt in 
Moabit. Berlin 1892. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin (Richard 
Schötz). Gr. 8^. 2 Bände; 305 u. 436 S. 

Dem Herausgeber des vorgenannten Werkes, dem in voller Schaffenskraft 
am 1. Juni 1890 verstorbenen Sanitätsrath und Stadtphysikus Dr. Schlockow 
ist es leider nicht vergönnt gewesen, die nach kurzer Zeit wieder nothwendig 
gewordene neue Auflage seines, aUen Medizinalbeamten und Physikatskandidaten 
unentbehrlichen Werkes, auf dessen weitere Ausgestaltung er stets bedacht war, 
herauszugeben. An seine Stelle hat der Reg.- u. Med.-Rath Dr. R o t h in Köslin 
die Bearbeitung der „Medizinal- und Sanitätspolizei“ und der „gerichtlichen 
Medizin“ übernommen, während die gerichtliche Psychiatrie eben sowie bei den 
früheren Auflagen von Dr, Leppmann bearbeitet ist. 

Wie nicht anders zu erwarten war, haben die beiden genannten Herren 
die ihnen gestellte Aufgabe vorzüglich gelöst, ln Bezug auf die Anordnung des 
Stoffes und der Wahl des Inhaltes sind sic zwar dem bewährten Plane des ver¬ 
storbenen Herausgebers möglichst treu geblieben, dagegen haben sie sich bemüht, 
die einzelnen Abschnitte sowohl dem jetzigen Standpunkte der sanitären Gesetz¬ 
gebung gemäss als entsprechend den wissenschaftlichen Fortschritten auf dem 
Gebiete der Hygiene und gerichtlichen Medizin zu ergänzen und umzuarbeiten. 

Wesentliche Erweiterungen haben die Kapitel über Krankenhäuser, Schulen 
Nahrungsmittel, Infektionskrankheiten, Leichen und Beerdigungswesen erfahren; 
bei den Schulbauten hätten jedoch die ministeriellen Erläuterungen vom 18. Nov. 
1887 zu den Entwürfen für ländliche Schulgebäude statt der betreffenden Bau¬ 
instruktion der Regierung zu Breslau abgedruckt werden sollen. Völlig umge¬ 
arbeitet sind ferner die Abschnitte über gewerbliche und industrielle Anlagen, 
sowie über Wohnplätze und Wohnungen. 



Besi>rechungcii. 


2H« 


Auch im zweiten Theil des Werkes ist überall die verbessernde Uand an- 
geleg:t, insbesondere bei den Abschnitten ttber Arsen-, Chloroform-, Chloral- und 
Kohlenoxyd-Vergiftung. Ausserdem ist ein Abschnitt über Ptomaine, soweit 
diese ein gerichtsärztliches Interesse beanspruchen, angefUgt. Im psychiatrischen 
Theil ist das Fragescheraa erweitert und die Diagnostik übersichtlicher gestaltet. 
Ebenso ist der Anhang des ersten und zweiten Theiles (Formulare, Atteste u. s. w.) 
erweitert; wttnschenswerth dürfte hier noch die Einfügung eines Schemas für 
die Registratur und das Joumalbuch der Physiker wie eines Attestes in einer 
Unfallsache sein. Das sehr gute chronologische Verzeichniss der Gesetze, Ministerial- 
verfttgnngen n. s. w. wird übrigens zweckmässiger am Schluss des ersten statt 
des zweiten Bandes gebracht, da dadurch das Nachschlagen wesentlich er¬ 
leichtert wird. 

Die Ausstattung dos Buches ist eine vorzügliche; dasselbe wird voraus¬ 
sichtlich in seiner neuen, wesentlich vermehrten und verbesserten Bearbeitung 
eine ebenso schnelle und grosse Verbreitung wie die früheren Auflagen finden 
und bedarf kaum noidi oint:r l>esondereu Empfehlung. Rpd. 

Dr. L. Becker, Sauitätsiatli und Bezirksidiysikus iu Berlin: An¬ 
leitung zur Bestimmung der Arbeits- und Erwerbs¬ 
unfähigkeit nucli Verletzungen. Vierte, vermehrte Auf¬ 
lage, Berlin 181)2. Verlag von Th. dir. Er. Enslin. Gr. 8®, 160 S. 

Die iu so kurzer Zeit uöthig gewordene 4. Auflage der Becker'scheu 
Arbeit, beweist am besten die Vortrcfllichkcit dieses Buches, über welches in 
Nr. 4 Jahrgang 1890 dieser Zeitschrift ausführlich berichtet wurde. Auch die 
neue Auflage ist, wie nicht anders zu erwarten stand, eine vermehrte und bringt 
unter anderem wieder mehrere neue Rekurs-Entscheidungen des Reichs-Ver- 
sicherungs-Amtes aus der jüngsten Zeit, von denen nur diejenige bezüglich des 
Begriffes „Unfall“ angeführt sein mag. Hiernach erscheinen „nicht nur äussere 
Verletzungen, sondern auch krankhafte innere organische Vorgänge physischer 
oder psychischer Natur als Unfall, wenn sie durch ein plötzliches äusseres Er¬ 
eigniss im Körper der Betroffenen hervorgerufen werden“, z. B. Herzschl^ in Folge 
hochgradiger seelischer Aufregung vor einer Operation. Eine sehr willkommene 
Erweiterung hat im speziellen Theile des Buches das Kapitel über die Ver¬ 
letzungen des Sehorganes erfahren und wird die beigegebene Josten'sehe 
Tabelle die Bestimmung der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch Herab¬ 
setzung der Sehschärfe, wesentlich erleichtern. Recht zeitgemäss erscheint auch 
die Umarbeitung des Abschnittes über „traumatische Neurose“ und ist der Hin¬ 
weis nicht unangebracht, bei der Untersuchung der verschiedenartigen Psychosen 
und Neurosen, welche durch ein Trauma zu Stande gebracht werden können, 
etwas mehr zu analysireu und nicht sämmtiiehe Formen nervöser Störungen bei 
den zu Untersuchenden unter die einheitliche Ft>rm „der“ traumatischen Neu¬ 
rose zu bringen. Wie sclir seit Bekauntwerdeii der traumatischen Neurose die 
Simulation und Uebertreibuug der Uufallverletzteu zugcnommeii hat, ist jedem 
Arzt hinlänglich bekannt, der häufig iu die Lage kommt, solche Verletzte unter- 
sucheu und begutachten zu müssen und gilt nach Becker „das Schwanken in 
den Klagen“ als besonders charakteristisch für Simulation und Uebertreibung. 

Der kurze Hinweis auf die Verbesserungen und Bereicherungen, welche 
die neue, 4. Auflage erfahren hat, mag cs erklärlich erscheinen lassen, dass die 
Becker’sche Arbeit bei den mit der Begutachtung Unfallverletzter vertranten 
Aerzten immer unentbehrlicher werden wird und ist der neuen Auflage einc^ 
freundliche Aufnahme sicher. Dr. Dütschke-Aurich. 


Dr. H. Blasius, Vertrauensarzt verschiedener Berliner Schieds¬ 
gerichte: Unfallversicherungsgesetz und Arzt. Nebst 
einer Abhandlung über Unterleibsbrüche. Mit 8 in den Text 
gedruckten Abbildungen und einem Gutachten mit 2 Abbildungen. 
Berlin 1892. Verlag von C. Habel. Gr. 8®, 150 S. 

Ist da.s Beck er'sehe Buch seiner speziellen Hinweise und Winke 
halber bei der Bestimmung der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nach Ver- 
lefzungeii willkommen, so giebt die Arbeit „Unfallversicheningsgepetz und Arzt“ 



B<si>rechungen. 


289 


von Blasius eine Fülle allgemeiner Ratbscliläge und Anleitungen für den 
untersuchenden und begutachtenden Arzt und bringt die wohlberechtigten und 
zeit^emässeu Wünsche der Aerzte, betreffend die Umgestaltung des heutigen 
Veriahrens bei der Ausführung des Unfallgesetzes in bestimmter Form zum leb¬ 
haften Ausdruck, wofür man dem Verfasser nur danken kann. Auf der anderen 
Seite aber scheut sich Blasius auch nicht, seine Unzufriedenheit über die Un¬ 
zulänglichkeit mancher ärztlicher Gutachten und Untersuchungen auszusprechen 
und Vorschläge zu deren Abhülfe zu bringen. Zum Zweck einer gerechten und 
sachlicheu Beurtheilung der Verletzten verlangt der Verfasser eine viel 
grössere Betheiligung der Aerzte an dem ganzen Verfahren. 
Der Arzt, welcher den Verunglückten zuerst gesehen, soll auf dem Meldebogen 
selbst die Art der Verletzung eintragen, nicht ein Laie, wie der ArbeitsgeW, 
der vielleicht nicht einmal beim Unfall zugegen war und nur nach dem Hören¬ 
sagen schreibt, ebenso soll später nach der Entlassung aus der Behandlung der 
betreffende Arzt sein Attest einreichen. Nur auf (fiese Weise vermögen die 
Akten von dem Unfall selbst, dem Verlaufe der Heilung, wie den Resten nach 
geschlossener Behandlung ein absolut klares Bild zu geben und kann dann 
schliesslich bei den Schiedsgerichten und dem Reichsversicherungsamt volles 
Recht gesprochen werden. Eine weitere sehr berechtigte Forderung geht dahin, 
im Falle des Todes des Verletzten stets seitens der Berufsgenossenschaft eine 
Leichenöffnung zu veranlassen und den Bericht über dieselbe den Akten 
einznverleiben; nur so wird der Zusammenhang des Todes mit dem Unfall klar 
gestellt und die Berufsgenossenschaften vor vielen unberechtigten Rentenzahlungen 
bewahrt werden. Bezüglich der brennenden Tagesfrage, ob Kassenarzt, (äer 
freie Aerztewahl angezoigt erscheine, steht der Verfasser ganz entschieden 
auf der Seite derer, welche fest angestellte Kassenärzte wünschen und dem 
Arbeiter keine freie Wahl gestatten. Bei der grossen Zahl von Arbeitern, welche 
unehrlich gegen die Kassen verfahren, hält Blasius die Befürchtung nicht für 
ungerechtfertigt, dass bei freier Arztwahl die Arbeiter zu dem Arzte am 
meisten strömen würden, welcher am leichtesten Kranken¬ 
scheine schreibe und diese am meisten verlängert. Bei der Kassen-* 
arztfrage wird auch gleichzeitig mit scharfen Worten das Ausbeutungsverfahren 
der Krankenkassenvorstände gegen die Aerzte gegeisselt und auf die unwürdige 
Bezahlung der sich aufopfernden Aerzte hingewieson. Die Errichtung von 
Unfallkrankenhäusern hält der Verfasser ebenfalls für wünschenswerth, 
nur solle man diese nicht mit der Simulation verdächtigen Kranken belegen, 
weil solche Leute besser in der Freiheit entlarvt werden. 

Da der Schwerpunkt der Durchführung des ganzen Unfallgesetzes in der 
richtigen Beurtheilung der Verletzungen ruht und diese eben nur dem Arzt 
möglich ist, so verlangt Blasius, dass bei den Schiedsgerichten und 
dem Reichsversicherungsamt ein ärztlicher Beisitzer sei, wenn 
auch nur mit berathender Stimme, eine Forderung, die wohl jeder Arzt als 
berechtigt anerkennen muss. Nur allzuleicht lässt sich der Laie lediglich durch 
die subjektiven Angaben des Untersuchten zu unangebrachter Milde verleiten 
entgegen den objektiven Angaben des begutachtencien Arztes! Dass der als 
ständige Beisitzer der Schiedsgerichte fungirende Arzt beamtet, d. h. pro physicatn 
geprüft sein müsste, hält der Verfasser nicht für erforderlich, vielmehr ist nach 
ihm jeder wissenschaftlich gebildete, gewissenhafte Arzt geeignet, eine solche 
Stellung zu bekleiden. — Es folgt sodann eine ausführliche Abhandlung über 
das Kapitel „Untersuchung und Gutachten“ und werden besonders bezüglich der 
Untersuchung Unfallverletzter manche gute und beachtenswerthe Winke ge¬ 
geben und angerathen, zum besseren Verständniss des Befundes die Photo¬ 
graphie zu Hülfe zu ziehen. 

Den Schluss der fesselnd geschriebenen und durch zahlreiche Gutachten 
nnd Krankengeschichten besonders anschaulich gemachten Arbeit bildet eine 
detaillirte Abhandlung über die Unterleibsbrüche, durch 6 Zeichnungen 
erläutert. Die in diesem Abschnitt ausgesprochenen Anschauungen werden 
gewiss nicht überall ungetheilte Anerkennung finden. Blasius steht auf 
dem Standpunkt von Roser, So ein, v. Hofmann und anderen Autori¬ 
täten, welche die plötzliche traumatische Entstehung eines Bruches für 
undenkbar halten und bei jedem Fall von Bruch das Vorhandensein 
eines Unfalls bestreiten, da ja die vorgedrängte sackartige Erweiterung 
des Bauchfelles schon vorgebildet war. Das Reichsversicherungsamt nimmt be- 



290 


Tagesuachrichten. 


kanntlich einen humaneren Standpunkt ein (Rekurs-Entscheidung Tom 15. Novbr. 
1887) und hält auch das Tragen eines gut passenden Bruchbandes bei einem 
Arbeiter für eine Beschränkung seiner Arbeitsfähigkeit, während Blasius 
sagt: „Das Tragen eines Bruchbandes aber ist, wie das Tragen einer Brille, eine 
Gewohnheitssachc und macht sicherlich nicht erwerbsbeeinträchtigt“; das ist 
einem geflügelten Worte unseres alten Reichskanzlers, des grossen Fürsten 
T. Bismarck, vollkommen gleich: „Ein wollenes Hemde kratzt im Anfänge, 
thut aber nachher sehr wohl,“ 

Man wird nach dem Durchlesen der Blas ins’.sehen Arbeit die üeber- 
zengnng gewinnen, dass dieselbe bald, ebenso wie die Becker'sehe Anleitung, 
noch zahlreiche Auflagen erleben und sich ihrer praktischen Anlsige halber schnell 
einen sicheren Platz neben dieser erwerben wird. Ders. 


Tagesnachrichten. 

_ Die diesjährige Generalversamralang des Dentschen Apotheker 
Vereins wird in Hamburg vom 22.—24. August stattfinden. 


Der vierte internationale Kongress gegen den Missbranch alko¬ 
holhaltiger Getränke findet in diesem Jahre vom 8.—10. September in 
Haag statt. Zur Berathung sollen gelangen: 

1. der Alkoholismus in moralischer, hygienischer und medizinischer Hinsicht; 

2. die in Anwendung gebrachten präventiven und Ueberzeugungs-Mittel 
zur Bekämpfung des Missbrauchs geistiger Getränke und 

3. die Zwangsmittel, die den Gesetzgebern zur Bekämx)fung oder Aus¬ 
rottung der Trunksucht zu Gebote stehen. 


Die mit über 14000 Unterschriften versehene Petition um faknltative 
EinfUhrnng der Fenerbestattnng gelangte am 25. Mai in der Petitions- 
Kommission des Abgeordnetenhauses zur Verhandlung. In der Petition 
hatten sich die Petenten bereit erklärt, zur Beseitigung kriminalistischer Be¬ 
denken, jede gesetzliche Vorsichtsmassregel, wie Feststellung der Todesursache 
durch die von einem Arzt vorzunehmeude Obduktion vor der Verbrennung zu accep- 
tiren. Religiöse Bedenken wollen die Petenten nicht anerkennen, da die Ver¬ 
wesung der Leiche auch nichts Anderes als eine langsame Verbrennung bedeute 
und Geistliche beider christlichen Konfessionen letztwillig die Verbrennung ihrer 
Leichen anordnen. Dagegen empfehle sich die fakultative Feuerbestattung ans 
sanitären und ökonomischen Gründen. 

In der Sitzung der Petitionskommission wies der Kommissar ans dem 
Ministerium des Innern darauf hin, dass ein Verbot der Leichenver¬ 
brennung nicht bestehe, dass aber auch ein Bedürfniss zu einer gesetzlichen 
Regelung der fakultativen Leichenverbrennung in Preussen nicht anerkannt 
werden könne. — Ein Vertreter des Ministeriums der Medizinalangelegen¬ 
heiten äusserte vom medizinischen Standpunkte ans ernste Bedenken, obschon 
er anerkennen musste, dass ein gut eingerichteter Ofen ohne Belästigung seiner 
Umgebung die Leichen verbrenne. Die Einrichtung solcher Oefen sei jedoch 
eine sehr kostspielige Sache und würde sich daher nur auf wenige Orte be¬ 
schränken, was die nicht unbedenkliche Ueberführung mancher Todten, welche 
an ansteckenden Krankheiten gestorben sind, zu solchen Krematorien zur Folge 
haben würde. Die Behauptung der Petenten, dass Kirchhöfe zur Verbreitung 
von Infektionskrankheiten beitragen, sei hinfällig. Es sei kein Fall festgestellt 
worden, wo dies thatsächlich geschehen sei. Ein eigentlich hygienisches Interesse, 
die Feuerbestattung einzufübren, könne er daher nicht anerkennen. Wolle man 
sie zngeben, so müsse eine gerichtliche Obduktion vor der Verbrennung gefordert 
werden, welche auf alle möglichen Vergiftungsarten Rücksicht zu nehmen habe, 
and die also auf die grössten Schwierigkeiten stossen würde. Ein blosser Leichen¬ 
befund, auch durch einen Sachverständigen, reiche nicht aus, um Verbrecher von 
Vergiftungen zurückzuschreckcn. — Ein anderer Kommissar desselben Ministeriums 
erklärte, dass, wenn die Beerdigung auch nicht als Dogma der christlichen Kirche 
gelte, die Beerdigung der Leichen doch der christlichen Sitte entspreche. — Der 
Vertreter des Justizministers hatte Bedenken vom Standpunkt der Straf- 



Tagesnachrichten. 


2di 


rechtspflege entgegenzuhalten und führte eine Menge von Fällen auf, in denen 
eine Ermordung durch Vergiftung oder Ertränkung erst durch nachträgliche 
Sektion der Leichen festgestellt worden ist. Alle diese Fälle würden unentdeckt 
geblieben «ein, wenn die betreffenden Leichen verbrannt worden wären. Eine 
Vergiftung sei nur durch einen Chemiker zu konstatiren; mit der blossen Sek¬ 
tion der Leiche könne also nicht genügend vorgebeugt werden. 

Die Mehrheit der Kommission schloss sich diesen Bedenken an. Der An¬ 
trag des Referenten, Abgeordneter Dr. Krause, auf Berücksichtigung wurde 
mit 11 gegen 5 Stimmen abgelehnt und mit demselben Stimraverhältniss Ueber- 
gang zur Tagesordnung beschlossen. Der Referent wird dem Plenum schrift¬ 
lichen Bericht erstatten. 


Der Magistrat der Stadt Berlin hat die Einführung der fakultativen 
Feuerbestattung auf dem Gemeindefriedhof in Friedrichsfelde beschlossen. Ent¬ 
scheidend für diesen Beschlu.ss war der rasche Verbrauch des Friedhoflandes und 
die Schwierigkeit, Terrain für neue Friedhöfe zu erwerben, da die Gemeinden 
in der Nähe Berlins die Errichtung weiterer Begräbnissplätze für andere Ge- 
meideu Schwierigkeiten bereiten. Zunächst soll auf dein Berliner Gemeindefried¬ 
hof die fakultative Feuerbestattung für die Armenleichen (im Ganzen 2500, dar¬ 
unter 1000 Auatoinieleichen), jedoch nur mit jedesmaliger Zustimmung der An¬ 
gehörigen, ausgeführt werden. Die Kosten der Feuerbestattung sind für eine 
einzelne Verbrennung auf 8 Mark und für jede weitere sich anschliessende auf 
2—3 Mark berechnet. 

Ob sich dieser Beschluss auch für die Armcnleichen aufrecht erhalten 
lassen wird, scheint nach den vorstehend mitgetheilten Erklärungen der zustän¬ 
digen Ministerien zweifelhaft zu sein. 


Wegen vorsätzlicher Körperverletzung ist am 11. Mai d. J. 
Dr. Wiederhold, der bekannte Besitzer und Dirigent einer Anstalt für Ner- 
venleidende in Wilhelmshöhe, von der Strafkammer des Landgerichts zu Kassel 
zu drei Monaten Gefängniss verurtheilt worden. Die Verhandlung war vom 
ärztlichen Standpunkte ans besonders insofern interessant, als die Frage zur Ent¬ 
scheidung kam, ob körperliche Züchtigung ein zulässiges Mittel zur Heilung von 
Nervenkranken sei? Durch die Verhandlung war festgcstellt, dass der Ange¬ 
klagte eine seiner Kuranstalt vertraute verheirathete, 51 Jahre alte, an hochgfradiger 
Hysterie leidende Dame in drei Fällen vorsätzlich gemisshandelt hatte, indem 
er sie einmal geohrfeigt, ein anderes Mal mit einem Stückchen, ein drittes Mal 
mit einer Reitpeitsche gezüchtigt hatte. Die Behauptung des Angeklagten, dass 
er die Züchtung nur als äusserstes Mittel angewandt habe, um die Kranke zu 
heilen, sowie seine Berufung auf mehrere frühere glückliche Kuren, wo er in gleicher 
Weise mit gutem Erfolg eingeschritten habe, wurde von dem Gerichtshof als 
unzutreffend zurückgewiesen, da das Gutachten der drei Sachverständigen, Geh. 
Med.-Rath Dr. Fie dl er-Dresden, Prof. Dr. T u c z e k - Marburg und Geh. Med.- 
Rath Prof. Dr. Pelmann-Boun sich übereinstimmend dahin aussprach, dass ^ 
körperliche Züchtigungen als Kurmittel unstatthaft seien und das Maass des 
Erlaubten überschritten. 

Im Anschluss an diese Verurtheilung wird in politischen Blättern, wie 
folgt, geschrieben: 

„Die kürzlich erfolgte Verurtheilung des ärztlichen Leiters einer Privat¬ 
heilanstalt wegen roher Ausschreitungen gegenüber einer seiner Obhut anver¬ 
tranten Kranken hat, zumal da erst vor einigen Monaten (im Reg.-Bez. Wies¬ 
baden) ein ähnlicher Fall zur Aburtheilung kam, die öffentliche Aufmerksamkeit 
von Neuem auf die Mängel unseres Irrenrechtes gelenkt. Aber während 
man bisher nur an Massregeln dachte, um widerrechtliche Freiheitsberaubungen 
zu verhüten, scheint es jetzt nothwendig, dass die Erörterung sich weiternin 
auch darauf erstrecke, die Ueberwachung der Heilanstalten wirkungs¬ 
voller zu gestalten. Nachdem durch verschiedene Vorkommnisse ein berechtigtes 
Misstrauen wachgerufen worden ist, würde eiue volle Sicherheit gewährende 
Ueberwachung auch im Interesse der Leiter solcher Privatanstalten selbst liegen.* 

Wir können der letzteren Forderung nur beipflichten und wird es 
Zeit, dass in Preussen endlich von den sogenannten „gelegentlichen“ Revi- 



292 


Tagesnachrichteu. 


sionen der Krankenanstalten u. s. w. durch die Physiker, wie solche erst noch 
kürzlich wieder in dem Ministerialerlass vom 7. März 1892 angeordnet sind, Ab¬ 
stand genommen wird und die Kreisphysiker Anweisung erhalten, sämmtliche in 
ihrem Bezirke liegende Heilanstalten — nicht blos Irrenanstalten — jährlich 
mindestens einmal unvermuthet zu revidireu und nicht erst darauf zu warten, 
ob sich hierzu vielleicht eine Gelegenheit findet oder nicht. In einigen Reg.- 
Bez. der Monarchie z. B. Wiesbaden und Minden ist bereits eine derartige An¬ 
ordnung seitens der betreffenden Regierungspräsidenten getroffen, es liegt aber 
im allgemeinen öffentlichen Interesse, dass in dieser Hinsicht in allen Reg.-Bez. 
ein gleiches Verfahren beobachtet wird. 


Fahrlässige Tödtung durch Golchic. compos. Wie in Nr. 3, S. 7G 
dieser Zeitschrift mitgetheilt ist, wurde der Apotheker Dr. Mylius in Leipzig 
von der Strafkammer des Landgerichts zu Elberfeld am 18. Januar d. J. wegen 
fahrlässiger Tödtung verurtheilt, weil er 12 Flaschen des von ihm im Grossen 
angefertigten Liquor Colchic. compos. ohne genügende Gebrauchsanweisung an 
einen Laien abgegeben hatte und dieser in Folge unrichtigen Gebrauchs des Mit¬ 
tels gestorben war. Die gegen dies Urtheil von dem Verurtheilten eingelegte 
Revision hat das Reichsgericht als begründet erachtet und das Urtheil 
aufgehoben unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. zu Düssel¬ 
dorf. In den Gründen heisst es: Es sei zweifelhaft, ob die Beurtheilung der 
Gebrauchsanweisung den Auslegungsregeln nach allen Seiten hin entspreche; ins¬ 
besondere sei nicht genügend klar, dass der an die Spitze gestellte Satz der Ge¬ 
brauchsanweisung, wonach das Minimum von 3 Theelöffeln in 48 Stunden nicht 
überschritten werden dürfe, durch die weiteren Angaben über besonders kräftige 
Patienten, die mehr vertragen können, hinfällig geworden sei. Auch seien die 
Angaben des Verstorbenen in dem Bestellungsbriefe nicht genügend berücksich¬ 
tigt. Bedenklich sei ferner die Feststellung der Voraussehbarkeit des möglichen 
Erfolges, da das Gericht zugebe, dass der Angeklagte bereits 4000 Flaschen ver¬ 
kauft habe, ohne nachtheilige Folgen erfahren zu haben und es zweifelhalt sei, 
ob der Angeklagte bei einem mit dem Mittel bereits vertrauten Patienten hätte 
annehmen können, dass er in so unvernünftiger Weise von der Medizin Gebrauch 
machen werde. Bedenklich sei auch die Nichtborücksichtigung der Einrede des 
mangelnden Kausalzusammenhanges. Der Angeklagte habe im Vorverfahren be¬ 
hauptet, der Verstorbene habe das Mittel unter Kontrole seines Arztes benutzt; 
über diesen Entlastungsbeweis habe sich aber das Gericht nicht geäussert. 

_ (Pharraaz. Zeitung Nr. 39.) 

Verkauf von Heilmitteln seitens der Drogenhändler an Beauf¬ 
tragte von Apotheken ist straflos. Das mit Vorliebe von Apothekern ange¬ 
wandte Verfahren, die Inhaber von Drogengeschäften durch gedungene Mittels¬ 
personen zu Gesetzesübertretungen zu veranlassen, dürfte in Folge eines vor 
kurzem ergangenen Urtheil des Oberlandesgerichts zu Köln künftighin keinen 
Erfolg mehr haben. In diesem Urtheil ist nämlich der Grundsatz angenommen, 
»dass der Verkauf von nicht dem freien Verkehr überlassenen Drogen auf Grund des 
§. 8 der Verordnung vom 27. Januar 1890 (Verkauf an Apotheken) straffrei 
sei, wenn er an Beauftragte von Apothekern geschehe, da der §. 3 keinen 
Unterschied mache, ob der Verkauf unmittelbar oder mittelbar bewirkt 
Werde. Sobald daher thatsächlich festgestellt sei, dass der von der Mittelsperson 
gekaufte Artikel in die Hand des Apothekers gekommen sei, müsse der Drogen¬ 
händler freigesprochen werden. 


In einem Urtheil des Karamergerichts vom 24. März 1892 hat 
dasselbe den Grundsatz angenommen, dass der Verkauf von Thierbeilmitteln 
seitens der Drogenhändler nach der Kaiserlichen Verordnung vom 27. Januar 
1890 verboten sei, da auch die Thierheilmittel zu den „Zubereitungen, Arzneien, 
Apothekerwaaren“ im Sinne jener Verordnung zu rechnen sei. 

Wir hoffen, demnächst in der Beilage der Zeitschrift den Wortlaut des 
Erkenntnisses bringen zu köuneu. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapm und. Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. C. C. Brona, Bachdruckerfti, MindeD. 




5. »Fahrg. 


Zeitschrift 


1892. 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Heraus^egeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

Sun.-Rathu.gerichtl.Stadtphysikus in Berlin. Keg.- und .M«di/.inalrath in Mimlt*/! 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medi^inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlung und Rud. Hosse 

entgegen. 


No. 12. 


£r0eheint am 1. und 16* Jeden Monats« 
Preis Jährlich 10 Mark. 


15. Juni. 


Ueber Theorie und Praxis der Hebammenbeaufeichtigung. 

Vortrag, gehalten auf der in Rostock am 6. NoTember 1891 abgehaltenen 
V. Hauptversammlung des Mecklenburgischen Medizinalbeamtenvereins 
von Geh. Jled.-Rath Prof. Dr. Schatz in Rostock. 

Die Hebammeiih'age ist im letzten Jahrzehnt nicht nur be¬ 
züglich der Einrichtungen dieses Instituts vielfach erörtert worden, 
sondern besonders auch in der Richtung, ob das Institut über¬ 
haupt bei Bestand zu belassen sei. Offenbar muss man sich zu¬ 
nächst über die letztere Frage schlüssig gemacht haben, will man 
die erstere nicht vielleicht nutzlos beantworten. 

Das mangelhafte Material der Hebammenschülerinuen, die zu 
kurze Ausbildungszeit und der baldige Rückgang der praktizirenden 
Hebammen in Wissen und Können hat die Frage aufgeworfen, ob 
man nicht die Geburten durch Aerzte und Aerztinnen 
besorgen lassen soll, wie es wenigstens theilweise in England 
geschieht. Füi* die nächste Zukunft ist aber offenbar in Mecklen¬ 
burg eine solche Einrichtung unausführbar. Jetzt haben wii- ca. 
400 Hebammen mit je etwa 40 Entbindungen jährlich möglichst 
gleichmässig über das Grossherzogthum vertheilt. Die jetzt vor¬ 
handenen weniger gleichmässig und fast nur auf die Städte ver¬ 
theilten 200 Aerzte würden nur im Verein von weiteren 100 Aerzten 
das Bedürffiiss der Geburtshülfe im Lande allenfalls decken können. 
Es würden dann durchschnittlich auf jeden Arzt etwas über 50 Ent¬ 
bindungen kommen. Dies wäre reichlich, freilich auch nicht zu 
viel; aber die Kosten dieser Einrichtung würden ungleich grösser 
sein, als die Kosten der jetzigen Einrichtung. Während jezt durch¬ 
schnittlich jede Geburt an Hebammenhülfe 10 M. kostet, und die 
Hebammenhülfe für das ganze Grossherzogthum etwa 175000 bis 
200000 M., so würde diese Summe für den Unterhalt von 100 
hinzukommenden Aerzten bei Weitem nicht hinreichen; denn mit 







(lui'chschiiittliüli 2000 M. küiiiieii weder mäiinliclie, noch auch weibliche 
Aerzte bestehen. Würden sich jedoch, wie natürlich, die 200000 M. 
auf sämmtliche 300 Aerzte vertheilen und dafür die 100 neuen 
Aerzte auch andere ärztliche Praxis treiben, so würde die Gesammt- 
Einnahme aller Aerzte entsprechend reduzirt werden. Die Be¬ 
dienung der Geburten durch Aerzte oder Aerztinnen wäre also 
für die Aerzte nur bei viel stärkeren Kosten annehmbar, besonders 
weil die Aerzte dann bei Ausübung der gewöhnlichen Geburtshülfe 
während der ganzen Zeit bei der Gebärenden verbleiben und da¬ 
mit viel Zeit verlieren würden. Selbst eine doppelt hohe Bezahlung, 
also 20 M. für Entbindung, würde wahrscheinlich die Aerzte noch 
nicht genügend entschädigen. Dadurch würde aber die schon jetzt 
unangenehm empfundene Hebammenlast kaum erträglich werden, 
besonders da die Aerzte bei ihrer spärlicheren Vertheilung über 
das Grossherzogthum noch häufiger und weiter mit Fuhrwerk zu 
holen wären. Es müsste eine sehr viel grössere Wohlhabenheit 
über das Land sich verbreiten, sollte für jede Geburt ein Arzt 
gestellt werden können. Ausserdem würden diese doch wieder 
Wickel- und Warte-Frauen verlangen, welche kaum billiger zu 
stehen kommen würden, als die jetzigen Hebammen, und schliesslich 
ist doch noch sehr fraglich, ob bei Leitung aller Entbindungen 
durch Aerzte wegen ihrer reichlichen Beschäftigung mit Krank¬ 
heiten nicht ebensoAriel oder gar noch mehr Infektionen bei der 
Geburt zu Stande kommen würden, als jetzt durch die Hebammen. 

Noch weniger kann der Vorschlag ernstlich in Erwägung 
gezogen werden, dass alle Frauen in Entbindungsanstalten gebären 
sollen. Für unser Grossherzogthum würden dann wenigstens 
20 Entbindungsanstalten nothwendig sein. Durch absichtliche und 
unabsichtliche Täuschung würden aber wenigstens die Hälfte der 
Frauen nicht in die Entbindungsanstalten kommen. Schliesslich 
müsste man also doch wieder, wie jetzt für diese Fälle, Hebammen 
oder Aerzte zur Verfügung stellen und hätte damit die doppelten 
Lasten. Es lässt sich nichts dagegen sagen, dass man mehr Ent¬ 
bindungsanstalten einrichtet, als jetzt existiren. Sie können aber 
nur für einen geringen Theil der Geburten, etwa der ganz Un¬ 
bemittelten und der sehr schweren Fälle in Frage kommen. Wird 
es doch auch Niemand einfallen, soviel Krankenhäuser bauen zu 
wollen, dass die Behandlung von Kranken in der Piivatpraxis auf¬ 
hörte. Selbst die Sozialdemoki’aten würden solche Einrichtung 
unter sich nicht lange bei Bestand lassen. 

Man mag also die Hebammen-Frage noch so vielseitig be¬ 
trachten oder gerade wenn man sie recht allseitig betrachtet, so 
kommt man doch immer wieder auf unser jetziges Hebammen¬ 
institut, als die praktischste Einrichtung zurück und es gilt nur die 
Mängel dieser Einrichtung in richtiger Weise klar zu legen und 
zu beseitigen. Wir haben darin im letzten Jahrzehnt einige 
deutliche Fortschritte gemacht und es liegt mir daran, dass die 
Physici, welchen das Hebammenwesen zunächst untersteht, mit 
möglichst einheitlichen Anschauungen der Medizinal-Kommission, 
als der Ober-Auf8ichtsbehöi*de, beistehen. 



ITübcr Theorie un<l Praxi.^ der Hel)aiiiiiieiil>eautjsichtig*iiiij^. 2115 

Die grösste Sorge muss zuerst die tüchtige Ausbildung 
der Hebammen sein. Soviel wir uns in dieser Hinsicht auch 
mühen, so ist es doch nicht möglich, durchweg tüchtige Hebammen 
in einem Kursus von 6 Monaten auszubilden. Es nützt nicht genug, 
wenn dann etwa der dritte Theil oder die Hälfte ein gutes Examen 
macht; die andere Hälfte der Hebammen bleibt dabei immer un¬ 
genügend, und doch können alle Frauen exakte Hebammenhülfe 
verlangen. Auch von den mit gutem Examen abgehenden Schülerinnen 
hat ein grosser Theil mehr auswendig gelernt als begriffen und 
arbeitet mehr au Kommando, als selbstständig und selbst denkend. 
Ich weiss nicht, ob von den Herren Physicis der eine oder andere 
auf Befragen durch das Ministenum die Verlängerung des Kursus 
als übei'flüssig erklärt hat. Jedenfalls hat die Medizinal-Kommission 
ihren wiederholten Voi'schlag auf Verlängerung des Kursus nicht 
angenommen gesehen und ich muss mir jetzt damit helfen, die 
besten Schülerinnen nach 6 Monaten, die weniger guten erst nach 
8, ja nach 9 Monaten zum Examen zuzulassen. Wirklich abge¬ 
holfen wird mit dieser Aushülfe dem Uebel aber nicht. Fast alle 
diese Hebammen haben dann nur das zum Examen uöthige Mass 
von Kenntnissen und Fertigkeiten, nicht aber die nöthige Uebung 
im Berufe erlangt, und zum Selbstnachlerneu und Nachüben sind 
nur wenige der Frauen, am allerwenigsten aber die schlechteren 
Schülerinnen geeignet, denen es am meisten Noth thäte. Umso¬ 
mehr muss ich die Herren Physici bitten, bei der Auswahl der 
Schülerinnen sehr sorgfältig zu Werke zu gehen und nur solche 
Frauen zu senden, welche gesunden Verstand und genügende Auf¬ 
fassungsgabe mit körperlicher Geschicklichkeit und Lebendigkeit 
verbinden. Der Einwand, dass leider gar keine Auswahl da ist, 
wird bald verschwinden, wenn die Hebammenstellen so aufgebessert 
werden, dass sie begehrenswerth werden. Es ist durchaus nicht 
nöthig und zweckmässig, dass die Hebammen aus den sog. ge¬ 
bildeten Ständen mit sehr guter Schulbildung genommen werden. 
Solche Frauen blenden allerdings oft beim Eintritt durch ihre 
Leistungen. Sehr häufig aber ist das, was sie da leisten, alles, 
was sie überhaupt leisten können. Sie lernen nichts zu und werden 
nicht selten schon während des Kursus von einfachen Bauerfi-auen 
überholt. Es ist nicht allzu schwer durch eigene Prüfung, sowie 
durch Umfragen bei den Lehi-em und bei der Umgebung heraus¬ 
zufinden, ob die natürlichen Anlagen von Hebammenaspirantinnen 
gut und ob die moralischen Eigenschaften genügend fest sind. 
Die Mühe, welche sich derPhysikus bei der Auswahl der Hebammen¬ 
aspirantinnen giebt, wird überreichlich belohnt durch die geringere 
Mühe, die ihm gute Hebammen später verursachen werden. 

So gut wir aber auch die Hebammen ausbilden werden: immer 
bleiben sie und müssen sie bleiben nur Heilgehülfen für die Ge¬ 
burtshülfe. Weil sie einen vollen Ueberblick über die Disziplin 
nicht haben, neue Errungenschaften in derselben sich selbstständig 
nicht aneignen können, weil sie zuletzt in ihrer schwierigen sozialen 
Stellung leicht erlahmen, so müssen sie eine exakte und vollständige 
fachmännische Beaufsichtigung und Unterstützung er- 



falireii, wie wir .solche HU.s8er der Beaufsichtififtiiig durch die 
Physici dui’ch besondere Aufsichtsärzte eingefiihi’t haben, 
weil die Physici zu einer wirklich genügenden Beaufsichtigung aus 
lokalen und geschäftlichen Gründen nicht im Stande sind. Wenn 
sich dieses Institut aucli noch nicht zur vollen Leistungsfähigkeit 
entwickelt hat, so kann ich doch konstatiren, dass sich dasselbe 
seit den 6 Jahren des Bestandes wenigstens schon bezahlt gemacht 
hat. Die Schwierigkeiten bezüglich der Listentührung durch die 
Hebammen verschwinden immer mehr und die Listenfülumng bringt 
immer grösseren Nutzen. Die ersten Jalirgänge der Listen konnten 
schon zur Abfassung der ersten Instruktionen für die Hebammen 
benutzt werden und jetzt bin ich im Begriff, alle bisherigen Jahr¬ 
gänge in anderer und weiterer Weise so zu verarbeiten, dass durch 
Vergleichung der ersten und der späteren Jahrgänge die bisherigen 
Erfolge und die noch zu beseitigenden Mängel möglichst deutlich 
hervortreten. Man wende nicht ein, dass die Listenführung von 
den Hebammen theilweise sehr unordentlich geschieht. Dies zu 
verhüten hat der Aufsichtsarzt recht wohl in der Hand. Zunächst 
kann jeder Aufsichtsarzt bei einiger Aufinerksamkeit ohne Weiteres 
erkennen, wenn eine Hebamme dabei schablonenmässig und ge¬ 
dankenlos veifälirt. Man kann solcher Hebamme ohne Weiteres 
ihre eigenen Widersprüche nachweiseii und sie beim mündlichen 
Verhör schnell in ihren technischen Fehlern oder Lügen ertappen. 
Schliesslich aber sind nicht einmal die etwa ausgelassenen Einzel¬ 
heiten der Hauptangriffspunkt für die Beurtheilung der Hebamme. 
Die Vollständigkeits-Kontrole durch die Geistlichen sowohl nach 
der Zald der Entbindungen, als besonders nach den Todesfällen 
setzt uns in den Stand, jede Hebamme ganz objektiv anzufassen. 
Ihre Erfolge, die wir zitfermässig und mit aller Sicherheit fest¬ 
stellen, sind die Zensuren für ihre Brauchbarkeit. Wenn eine an 
sich vielleicht nur wenig begabte Hebamme so gut wie nur gute 
Resultate hat, wenn sie keine Infektionen aufzuweisen hat vielleicht 
gerade deshalb, weil sie wenig oder gar nicht untersucht, wenn 
wenig Kinder bei ihi’ sterben und keine Klagen über sie einlaufen, so 
lassen wir sie ruhig weiter fünktioniren. Wir stören und moniren 
aber selbst eine sehr klug redende Hebamme, wenn ihre Resultate 
nicht gut sind. Wir wissen ja, was durchschnittlich in der Praxis 
vorkommt und was Vorkommen darf. Ein einzelnes Halbjahr wird 
uns allerdings nicht genügend Unterlage geben zu einem end¬ 
gültigen Urtheil. Wenn aber eine Hebamme ungewöhnlich oft den 
Arzt braucht, wenn sie öfter grosse Blutungen erlebt, wenn sie 
mehr als 1 Todesfälle etwa im Laufe von 2—3 Jahren aufweist 
und besonders wenn Puerperalfieber - Epidemien oder auch einzelne 
Fälle sich bei ihr wiederholen, so ist eine solche Hebamme nicht 
einfach unglücklich, sondern ungeschickt und nachlässig. Aller¬ 
dings kann jede einmal Unglück haben; wer aber immer Unglück 
hat, ist selber schuld und muss mindestens gebessert oder beseitigt 
werden. Ich lege Ihnen eine ganze Reihe von Geburts-Listen 
vor, in denen sich die Puerperalfieber - Epidemien oder technische 
l‘'(‘hler der Hebammen häufiger wiederholen und solche Hebammen 



lieber Theorie imd Praxis der Hebammenbeanfsichtigung. 


297 


mtissen nach diesen Richtungen entsprechend angefasst werden. Von 
dieser unserer praktischen Beaufsichtigung zeigt sich schon jetzt ein 
direkter Nutzen. Wenn im Allgemeinen jeder erste Puerperal¬ 
fieberfall einer Hebamme als Primärfall, und als von der Hebamme 
nicht infizirt, jeder kurz darauf bei derselben Hebamme folgende 
aber als von dieser übertragen angesehen werden kann und wird, 
so sind wir im Stande, dui-ch Desinfektion der Hebamme und ihrer 
Utensilien nach jedem Primärfall die weiteren Fälle zu vermeiden. 
Unsere Einrichtung, wonach die Hebammen zur Desinfektion in 
die Hebamraenschule gesendet werden, hat in Verbindung mit der 
ganzen Beaufsichtigung offenbar schon sehr gute Früchte getragen. 
Im Jahre 1886 betrugen die Todesfälle bei und bis 3 Monate nach 
der Entbindung nach durchweg sicheren Ermittelungen in Mecklen¬ 
burg die Zahl 172. Diese Zahl von 10®/oo ist sehr hoch; sie ent¬ 
hält aber alle Todesfälle jeder Art. Die Unsicherheiten, welche 
in der Puei’peral-Mortalität-Statistik bisher überall bestand und 
welche von He gar besonders für Preussen auch neuerdings wieder 
hervorgehoben ist, kommt daher, dass man die Fälle von Puerperal¬ 
fieber allein aufeunehmen sich bestrebt hat und weiter daher, dass 
man das Kindbett nur auf 3 Wochen beschränkt hat. Ich werde 
später zeigen, dass man nur dann Sicherheit eiTeichen kann, wenn 
die Zeit der Statistik bedeutend — am besten auf 3 Monate — 
verlängert wird und wenn alle in diese Zeit fallenden Todesfälle 
zur Berücksichtigung kommen. Die nie sicher zu beantwortende 
Frage, wieviel zwischen allen Todesfällen gerade Puerperalfieber- 
Todesfälle sind, wird dann nicht mehr so gefährlich. Da Kunst¬ 
fehler und andere Zufälle sich bei grossen Zahlen der Zahl nach 
fast ganz gleich bleiben, so zeigt der Vergleich der Jahre den Fort¬ 
oder Rückschritt in der Puerperalfiebersterblichkeit recht deutlicli. 
Ausserdem erhält man durch solche ausgedehnte Statistik über 
manche andere Verhältnisse interessante Aufschlüsse. Ohne auf 
diese letzteren jetzt einzugehen, brauche ich nur die Zahl der 
Todesfälle in den letzten 5 Jahren mitzutheilen, um zu zeigen, 
dass wir schon bis jetzt bemerkenswerthe Erfolge erzielt haben: 

Es starben in Mecklenburg-Schwerin bei und bis 3 Monate 
nach der Geburt 1886 172 Frauen. 

1887 158 

1888 158 

1889 159 

1890 142 

Die 3 Jahre 1887—1889 zeigen eine auffällige Ueberein- 
stinimung. 1886 starben 14 Frauen mehr, 1890 16 weniger als 
in den zwischenliegenden Jahren. Der Unterschied zwischen 1884 
mid 1890 beträgt 30 Todesfälle, d. i. bei jährlich 18000 Geburten 
l,7®/oo und derselbe wird wohl fast ganz den Puerperalfieber¬ 
todesfällen zuzuschreiben sein. 

Das ist ein Erfolg, welcher, wenn dauernd, allein schon die 
gemachten Anstrengungen belohnt und uns zur energischen Weiter¬ 
verfolgung des begonnenen Weges auffordert. Ich hoffe in nicht ferner 
Zeit noch weitere und eingeliendere Mittheilungen machen zu können. 



298 


Dr. Glogowski. 


Weitere Beiträge zur Frage der Schutzdauer der 

Erstimpfung. 

Von Dr. Glogowski, Ereiswnndarzt in Kempen (Posen). 

In der diesjährigen Nr. 8 dieser Zeitschrift veröffentlicht« 
icli meine Erfahrungen über den in der Ueberschrift angeführten Ge¬ 
genstand. Die am Schlüsse des Aufsatzes ausgesprochene Befürch¬ 
tung, dass die Zahl der Pockenkranken hier sich vermehren würde, 
wurde leider zur Wahrheit. Ich nahm daher im Einverständnisse mit 
den Schulbehörden Veranlassung, die Eltern derjenigen Schüler 
der hiesigen Simultanschule, die noch nicht wiederimptpflichtig 
waren, aufzufordern, diese sofort revacciniren zu lassen. Hierauf 
meldeten sich am 13. resp. 25. April er. 211 Kinder. 

Die äusseren Bedingungen waren dieselben, wie das vorige 
Mal, d. h. es wurden jedem Kinde 6 Schnitte gemacht und wohl 
erprobter Impfstoff aus der Königlichen Impfanstalt zu Stettin 
verwendet. 

Das Ergebniss ist in nachstehender Tabelle, die ebenso ge¬ 
ordnet ist, wie die vorige, verzeichnet. Bei denjenigen Kindern, 
die von auswärts zugezogen sind und die Resultate der Erst¬ 
impfung nicht ganz genau zu ermitteln waren, ist in der betreffen¬ 
den Spalte ein ? gemacht. 


Laufende Nr. | 

Name 

des 

Wiederimiiflinj^s. 

Geburtsjahr. 

Zum 

ersten 

Male 

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Wieviel Pusteln. 

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Wieviel Pusteln. | 

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erster 

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1. 

Heinrich E. 

1881 

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2. 

Hermann Oe. 

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3. 

Marie G. 

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13./4.1892 

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4. 

Marszalek. 

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5. 

August S. 

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6 

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3 

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Karl B. 

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7. 

Frieda W. 





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8. 

Paulinc N. 




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1). 

Marie O. 


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Marie S. 

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1 

1 

11. 

Victoria F. 

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2 

1 

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12. 

Klara S. 

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1 

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V 

4 



13. 

Lucie M. 

yy 


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2 

yy 

1 

14. 

Gustav S. 

yy 

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yy 

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V 

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15. 

Friedrich K. 

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8 

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1 

16. 

Anna D. 


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V 



6 

yy 


17. 

Bertha G. 




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1 


18. 

Emilie G. 

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6 

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19. 

Rosalie L. 


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20. 

Hedwig: L. 

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6 

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21. 

Julie N. 

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yy 1 


22. 

Selma K. 

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23. 

Marie K. 

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24. 

Bertha M. i 

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25. 

Franziska G. | 

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Weitere Beiträge zur Frage der Sebutzdauer der Erstimpfung. 


299 


Laufende Nr. J 

_ _ ^ . 

Name 

des 

Wiederimpflings. 

Geburtsjahr. 

Zum 

ersten 

Male 

ge¬ 

impft 

im 

Jahre 

Erfolg. 1 

Wieviel Pusteln. 1 

Wie- 

derge- 

impft 

am 

Erfolg. 

Wieviel Pusteln. 

Jahre 

zwischen 

erster 

und 

zweiter 

Impfung. 

Be¬ 

merkungen. 

26. 

Pauline W. 

1881 

1882 

. 

ja 

6 

13/4.1892 

ja 

6 

10 


27. 

Marie N. 

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V 

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6 

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28. 

Marie J. 

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11 

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6 

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29. 

Valerie L. 

n 

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n 

5 


11 

6 



30. 

Marie P. 

y) 

11 

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y 

1? 

11 

5 



31. 

Amalie D. 

w 

n 

n 

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n 

6 



32. 

Anna W. 

y) 

n 

n 

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33. 

Silverius S. 

n 

n 

11 

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11 

n 

6 



34. 

Stanislaus 11. 

n 

n 

11 

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11 

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35. 

Paul S. 

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11 

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36. 

Joseph M. 

n 

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4 

11 

ja 


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37. 

Adolph S. 

n 

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n 

5 


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6 



38. 

Anton M. 

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n 

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39. 

Fulian J. 


n 

11 

2 

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40. 

Adolf G. 

n 

11 

n 

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6 

11 


41. 

Anton R. 

yy 

1 

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2 

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5 

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42. 

Stanislaus G. 

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n 

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6 

n 


43. 

Franz. M. 

n 

n 

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11 


44. 

Ludwig S. 

n 

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n 

4 

15 

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6 

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1. 

Henriette A. 

1882 

1883 

ja 

8 

25./4.1892 

ja 

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9 


2. 

1 Bertha E. 


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10 

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5 



3. 

Kecha K. | 

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4. 

Abraham W. 


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2 



5. 

Kurt Dz. 

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6. 

Franz G. 



n 

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7. 

Aron M. i 


11 

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H. 

Georg H. i 



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11 

6 



9. 

Elias F. 

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6 

n 


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10. 

Moritz E. 1 

n 

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n 

4 

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11 

4 

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11. 

Adolf J. 

1 

11 

11 

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1 

11 


4 



12. 

Julius H. 

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13. 

Auguste 0. 


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14. 

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15. 

Leocadia L. 



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16. 

Elisabeth S. ’ 


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17. 

Johanne L. 


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18. 

Marie B. 


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19. 

Auguste B. 1 

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21. 

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22. 

Sophie N. 

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23. 

Klara S. 

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2 



24. 

Helene B. 


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25. 

Auguste D. 

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11 

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26. 

Sophie D. 

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27. 

Anna H. 

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28. 

Agnes T. 

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29., 

Marie M. ' 

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30. 

Marie W. 


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31. 

Angelika G. i 

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11 

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32. 

Emma K. 

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10 

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300 


Dr. Glogowski. 


1 Laufende Nr. 

Name 

des 

Wiederimptlings. 

Geburtsjahr. 

Zum 

ersten 

Male 

ge¬ 

impft 

im 

Jahre 

Erfolg. 

Wieviel l’usteln. 

Wie¬ 

derge¬ 

impft 

am 

Erfolg. 

Wieviel Pusteln. 

33. 

Anna 0. 

1882 

1883 

jal9 

13 4./1892 

3^ 

1 

34. 

Marie M. 

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ff 

V 

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6 

35. 

Victor M. 

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T 

3 

36. 

Valentin W. 






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37. 

Ewald M. 



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yy 

3 

38. 

Kurt Th. 

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2 

39. 

Richard S. 



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40. 

Bruno H. 



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41. 

Alphons G. 



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42. 

Paul P. 



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2 

48. 

Eugen N. 


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44. 

Joseph W. 



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6 

45. 

Alfred H. 



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6 

46. 

Kasimir K. 

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6 

47, 

Ignatz K. 





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6 

48. 

Alexander M. 



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3 

49. 

Theodor M. 



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1 

50. 

Sigismund B. 



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51. 

Waclaw Z, 





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6 

52. 

Kurt L. 



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6 

53. 

Herrmann W. 



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.54. 

Robert T. 



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.55. 

.Tobann P. 



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56. 

Egidins P. 



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.57. 

Friedrich H. 





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.58. 

Paul D. 



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4 

59. 

Stanislaus Z. 


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1. 

Elfride H. 

1883 

1884 

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13.;4.1892 


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2. 

Klara H. 


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3. 

Gertrud L. 

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4. 

Emma L. 


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5. 

Agnes M. 



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7. 

Emma P. 


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8. 

Beate S. 




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9. 

Julie K. 

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ja 

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10. 

Marie L. 



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1 

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11. 

Friederike G. 



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12. 

Gustav B. 


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13. 

Hedwig L. 

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6 

14. 

Wladislawa Z. 


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15. 

Bertha W. 


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18. 

Hi'ilwig J. 





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20. 

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24.1 

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^ nein 0 


Jahre 

zwischen 

erster 

nnd 

zweiter 

Impfung. 


Be¬ 

merkungen. 










Weitere Beiträge zur Frage der Suhutzdauer der Erstiinpfuug. 301 


Laufende Nr. 

Name 

des 

Wiederimpflings. 

Geburtsjahr. 

Zum 

ersten 

Male 

ge¬ 

impft 

im 

Jahre 

Erfolg. 

Wieviel Pusteln. 

Wie- 

derge- 

impft 

am 

Erfolg. 

Wieviel Pusteln. 

Jahre 

zwischen 

erster 

und 

zweiter 

Impfung. 

25. 

Anna F. 

1883 

1884 

ja 

6 

13./4.1892 

. 

ja 

6 

8 

26. 

Hugo W. 




8 

n 

V 

6 

77 

27. 

Felix S. 

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3 

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28. 

Stanislaus Cz. 

V 


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6 


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6 

77 

29. 

Johann H. 

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V 

y 

yy 

yy 

6 

yy 

30. 

Reinhold X. 

n 


V 

7 

yy 

yy 

6 

71 

31. 

Johann Bl. 

V 


W 

V 

yy 

nein 

0 

yy 

32. 

Stanislaus (L 



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y 

yy 

ja 

3 

yy 

33. 

Johann M. 

n 


y* 

7 

V 

yy 

5 

V 

.34. 

Eduard F. 

r» 

V 

n 

6 

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yy 

6 

yy 

35. 

Manfred H. 

n 

n 

n 

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V 

V 

4 

yy 

36. 

August R. 


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n 

8 


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0 

*1 

37. 

Stephan T. 

n 

V 

V 

8 

V 

ja 

6 

71 

38. 

Oscar S. 

V 

r? 

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V 

yy 

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0 

„ 

39. 

Fritz B. 


V 

n 

V 

V 

ja 

2 

n 

40. 

Blaximilian BI. 



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10 

yy 

yy 

3 

*1 

41. 

Peter R. 

V 


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6 

V 

yy 

5 

71 

42. 

Julius V. 


0 

n 

8 

yy 

V 

6 

H 

43. 

Stanislaw R. 

V 

V 

rj 

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yy 


4 

71 

44. 

Egidius S. 

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n 

V 

yy 

nein 

0 

71 

4.5. 

Blartha E. 

r> 

V 

V 

3 

25./4.1892 

ja 

2 

yy 

46. 

Salomon D. 


V 

n 

5 

T? 

yy 

5 

71 

47. 

Blartha J. 


T! 


6 

yy 


2 

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1. 

Pauline I). 

1884 

1 1885 

ja 

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13./4.181)2 

ja 

1 

7 

2. 

licate P. 

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yy 

3 


3. 

]h*rtha E. 

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7 

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5 

’’ 1 

4. 

Stanislaus Bl. 


V 

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8 

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1 

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5. 

Emilie R. 


V 

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1 

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2 

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6. 

Helene P. 




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1 

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7. 

Augu-ste S. 


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5 

1 1 

8. 

Valerie K. 



1 ^ 

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1 

1 

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9. 

Helene W. 



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1 „ 

6 

1 

K». 

Hedwig B. 


n 

1 ^ 


V 

yy 

3 

1 ” ' 

11. 

Stanislaus K. 


V 

n 

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1 


1 

71 j 

12. 

Bronislawa K. 

n 

V 

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8 

V 

1 

yy 

1 2 

»1 

13. 

Anna L. 


V 

n 

1 V 

1 • 

V 

yy 

4 

1 1 

14. 

Leotüidia K. 

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V 

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1 7 


1 ” 

2 

1 

1.5. 

Johannes W. 



n 

V 

n 

'nein 

0 

yy 1 

16. 

Alfred Th. 


V 

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17. 

Paul (i. 

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1 V 

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18. 

Stephan Sch. 

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1 V 


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5 

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19. 

Johann N. 


1 

yy 

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1 

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6 


20 

Paul K. 

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5 

77 1 

21. 

Oustav (t. 

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71 

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1 

yy 

22. 

Theodor K. 

V 


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8 

1 „ 

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3 

yy 

23! 

Onufrius S. 

V 


yy 

8 


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0 

V 

21. 

Julius K. 



V 

8 

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ja 

2 

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2.5. 

! .Julius T. 



yy 

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2t >. 

' Stanislaus M. 

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5 


27. 

1 Peter .1 


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2 

1 

1 ^ 

V 

5 


28 

1 Joseph G. 

1 n 

1 , 

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|8 

1 

1 yy 

1 71 

3 

1 77 


Be¬ 

merkungen. 


wiir<le «lor Kon- 
Irolr wcgrii am 
Kevision» - Taj;c 
nochmalR ohne 
Joden Erfolg ge¬ 
impft. 








302 Dr. Glogowski: Weitere Beiträge zur Frage der Schntzdauor etc. 


^ 1 

Name 

1 des 

"g Wiederimpflings. 

1 

Ö 

03 

^ 1 

Geburtsjahr. 1 

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1 

Zum ' 
ersten I 
Male 
ge¬ 
impft 
im 

Jahre. 

'.s Wie. ■= Jahre 

S , 2 zwischen 

S S erster 

1 ^ geimpft 1 ^ 

am ' ^ S zweiter 

o S 2 S Impfung. 1 

w : w ^ 

Be¬ 

merkungen. 

29. Stanislaus D. 

1884 

1885 I 

ja 8 13./4.1892 ja G 7 


30. Egidius M. 


1 

n 

„8 „ „ 3' 


31. Emil A. 

n 


2 5 

1 

32. Paul 0 . 

ri 

1 ^ 

fl 2 j „ nein 0 


33. Richard 0 . | 

n 

1 ^ 

fl 4 ja 4 


34. Stephan G. 

V 

yy 

fl 7: , „ ■! 


35. Wilhelmine M. 

yj 


, 8!2.5./4.18n2 , -4 

1 

36. Benjamin D. I 

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fl 8 i , fl '3^ fl 

1 

1 

37. Oskar D. 

V 

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fl 8 „ fl 3 ., 


38. Paul L. 

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' fl 8 , fl fl 8 


39. Oäcilie R. 1 


yy 

fl ?l fl fl 8 

1 

1. Antonie D. 

1885 

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ja G 13./4 1892 ja 3 G 


2. Rüsalie .1. 


1 

n 

fl ? fl fl 3. 

1 

1 

3. Wladislaus S. 

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V 

fl 8 ., „4 

1 

4. Martha T. 

n 

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Ifl 7 , fl 1 - fl 

1 

5. Valerie (’. 

V 

v 

fl 8 : nein 0 , 


6 . Valentin S. 

n 

1 ^ 

fl 8 , ja 3 ' . 


7. Minna W. 

V 

V 

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8.1 Cäcilie I). 

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fl 3 fl fl 2 i 

eUrngo wif* Nr. U 

9. Käthe G. 

V 

1 ^ 

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^ Jahrgang: 1884. 

10. Julie R. 

1 

V 

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1 

11.' Karl B. 


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12.' Karl D. 

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fl 8 fl fl 3 fl 

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13.; .Toseph G. 

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14.! Karl M. 

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17.i Elsa 1). 

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18. Floreutinc W. 

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in. Benjamin 1). 

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20. .Ta< ob Sch. 

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21. Moritz W. 

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22. Moritz W. 

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Es sind somit wie.derffeimpft worden: 

•44 vor 10 Jahren (Teimpfte 
oll n H ^ fl 

„ 8 „ „ 

30 „ 7 „ „ 

fl h fl fl 

Rechnet man zu diesen Zalilen die in dem früheren Aufsatze 
verötfentlichten hinzu, so erg’iebt sich als Resultat: 

Es wurden zusammen wiedergeimpft: 

55 vor 10 Jahren Geimpfte, darunter ohne Erfolg 1= 2 '■<. 

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Aus Vcrsammlangcn und Vereinen. 


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Nachdem bereits meine erste Abhandlung in Druck gegeben 
war, erhielt ich Kenntniss von dem Vortrage des Herrn Dr. Peiper 
ini Greifswalder medizinischen Vereine (Deutsche medizinische 
Wochenschrift Nr. 3 pro 1892), in welchem der Genannte mit¬ 
theilte, dass er an 16 Kindern bei Revaccination 10 Jahre nach 
erfolgreicher Erstimpfung 93,75 "/o Erfolg gehabt habe, dass sonach 
die Empfänglichkeit für das Vaccinecontagium schon in diesem 
Jahre erheblich vorhanden sei. Meine grosseren Zahlenreihen be¬ 
stätigen nicht allein diese Annahme, sondern zeigen auch, dass die 
Empfänglichkeit bereits 6 Jahre nach der Erstimpfung in hohem 
Grade vorhanden ist. 

Da nun auch im weiteren Verlaufe der hiesigen, bis jetzt 
noch kleinen Pockenepidemie beinahe in der Hälfte der Fälle niclit 
revaccinirte Kinder im Alter von 8*/* bis 11 Jahren befallen 
wurden, so dürfte die Schlussfolgerung keine gewagte sein, 

dass die Dauer des Schutzes der Erstimpfung 
höchstens sechs Jahre betrage. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die am 6. Kovember 1891 in BoHtoek abg^e- 
haltene V. Haaptversammlnnii; des necklenbarg^ischon 
Medizinal - Beamten-Verelns* 

Anwesend waren: Der Kreisphy sikus Med.-Rath Dr. Griewanck - Bützow, 
Med.-Rath Dr. Lesenberg-Rostock, San.-Rath Dr. Karsten-Hagenow, Med,- 
Rjith Dr. Barck-Rehna, Med.-Rath Dr. Havem ann-Dobbertin, Med - Rath 
Dr. Krüger-Waren (inzwischen verstorben), San.-Rath Dr. R e u t e r - Güstrow, 
Dr. Stephan-Dargun und Dr. Unruh-Wismar; ausserdem Herr Geh. Med.- 
Kath Prof. Dr. Sch atz-Rostock der freundlichst einen Vortrag zugesagt hatte. 
Herr Ministerial-Rath Mühlenbruch konnte zum Bedauern der Versammlung an 
derselben nicht theilnehraen, da er beruflich verhindert war, wie er in einem 
Schreiben an den Schriftführer mittheilte. 

I. Jahresbericht des Vorsitzenden. 

Med.-Rath Dr. Griewanck (Vorsitzender): Die Zahl der Mitglieder 
unseres Vereins ist im Laufe des letzten Jahres unverändert dieselbe, nämlich 
15, geblieben; eine kleine Zahl in der That, jedoch ist vorerst keine Aussicht, 
diuss sich dieselbe vergrössert. Ein Beitritt der Mecklenburg-Strelitzschen Physi¬ 
ker ist wegen der bedeutenden Verschiedenheit der Verhältnisse nicht wahr¬ 
scheinlich. 

Als ein besonders erfreuliches Ereigniss ist zu verzeichnen, dass unser 
liijchstcr Vorgesetzter, Se. Excellenz Herr Staatsrath von Buchka am 2. Januar 
d. .1. sein 25 jähriges Jubiläum als Minister gefeiert hat. Der Vorstand des 
Vereins hielt es für angezeigt, Sr. Excellenz auch von unserer Seite die ehrer¬ 
bietigsten Glückwünsche darzubringen, was durch Herrn Kollegen Lesen her 
uml mich geschehen ist. 

Ferner haben wir im Laufe des Jahres wieder eine Reihe von Zirkular- 
Erlassen des hohen Ministerii erhalten, durch welche zum Theil die amtliche 
Tliätigkeit der Kreisphysiker nicht unbedeutend vermehrt wird. 

1. Zirkular-Erlass vom 11. Dezember 1890 betreffend die Aufforderung 
au die Hebammen unter 40 Jahren zur Sclbstversicheruug*) in 
der luvaliditäts- und Altersversicherimgsanstalt. Soweit ich habe ertahrcii 
können, ist dieser Auflordemng nur von recht wenigen der betheiligten Personen 
Folge gegeben. 

2. Zirkular-Erlass vom 7. April 1891, betreffend die Beanfsichtiguiig 
’•') Sielie Beilage der Zeitschrift für Mediziiialboamte 1891, S. 75. 



304 


Aus Versammlungen und Vereinen, 


von Privat-Kranken-, Entbindungs- und Irrenanstalten% Der¬ 
selbe hat zur Zeit nur für einzelne Physikatskreise praktische Bedeutung, in 
meinem Kreise giebt es z. B. derartige Anstalten nicht. 

3. Zirkular - Erlass vom 27. April 1891, betreffend Impfrevisionen. 
Derselbe erneuert den Erlass vom 9. Mai v. J. zur eifrigen Fortsetzung der 
Impfrevisionen unter gleichzeitiger Aufforderung zum sofortigen Berichte an das 
hohe Ministerium bei erheblichen Verstössen. 

4. Zirkular-Erlass vom 11. Mai 1891, betreffend Schulrevisionen im 
Domanium. Es ist dies nach meiner Ansicht das für die Praxis bei weitem 
wichtigste Ereigniss des Jahres, weil dadurch die regelmässige Thätigkeit der 
Kreisphysiker auf ein ganz neues Gebiet ausgedehnt wird. Ich werde später 
Gelegenheit haben, im Anschluss an diesen Erlass Ihnen noch eingehender zu 
berichten. 

5. Zirkular - Erlass vom 22. August 1891, betreffend die Revisionen 
der Drogenhandl ungen. Durch diesen Erlass wird den Kreisphysikeni 
eine feste Handhabe gegeben, diese häufig zu Klagen und Beschwerden Anlass 
gebenden Geschäfte einer geregelten Kontrole zu unterwerfen. 

Die Grossherzogliche Mediziual-Kommission hat den Kreisphysikern unterm 
23. Oktober d. J. ein Zirkular zugehen lassen, betreffend Mittheilungen darüber 
wie weit die Trichinen- bezw. Fleischschau bereits eingeführt sei. Die 
Verhältnisse gestalten sich in dieser Beziehung wohl noch recht verschieden. Im 
Bützower Physikatskreise ist die obligatorische Trichinenschau in allen Städten 
(Brüel, Bützüw, Doberan, Kröpelin, Sternborg) und im Doraanial - Amte Warin 
eingeführt, dagegen fehlt sie in dem Domanial-Amte Bützow und in sämmtlichen 
rittorschaftlichen Ortschaften. 

Endlich habe ich zu berichten, dass die ira vorigen Jahre beschlossene 
Bitte an das hohe Ministerium, betreffend Erlass einer Verordnung bezüglich der 
Ankündigung von Gcheimmitteln durch die Zeitungen nicht abgesandt 
ist, weil diese Angelegenheit voraussichtlich demnächst von Reichswegen ihre 
Erledigung finden wird, sowie dass meine Bitte wogen abschriftlicher Mittheilung 
der Sektionsprotokolle an die Kreisphysiker abschläglich beschieden ist. 

In der Diskussion bemerkt Herr Geh. Rath Schatz zu dem Zirkular, 
bet. die Alters-und InvaliditätsVersicherung der Hebammen^ dass 
er dieselbe in der jetzigen Weise nicht für opportun halte und deswegen auch 
in einem an die Regierung eingcreichten Promemoria sich für eine Versicherung 
von Landeswegen ausgesprochen habe, damit den Hebammen beim Unbrauchbar¬ 
werden eine Rente von 100—150 Mk. und zwar verhältnissmässig früh gewährt 
werden kann. In Rostock bestehe eine Art von Pensionswesen für die Hebammen 
und zwar in der Art, dass die von der Stadt angestellten Hebammen kein festes 
Honorar beziehen, sondern das auf sie sonst entfallende Sostrum von 40—50 M. 
in die Pensionskasse falle, aus der ihnen dann vom 65. Jahre an eine jährliche 
Pension von 300 Mark gewährt werde. 

Das Invalidengesctz passt auch eigentlich gar nicht auf die Hebammen; 
denn was sei eine invalide Hebammey Wenn sie auch als Hebamme invalide 
sei, könne sic doch vielleicht immer noch durch Handarbeit das gesetzliche 
Minimum verdienen. Von verschiedenen der Anwesenden wird betont, dass die 
Hebammen selbst zur Selbstversicherung wenig geneigt sind, und die Gemeinden 
die Uebernahme der Versicherung auf ihre Kosten als eine überflüssige Last 
ansehen. 

Betreffend den Zirkularerlass über die Revision der Drogenhandlungeu 
sind alle Anwesenden einig darin, wie erwünscht ein solcher sei; nicht zu ver¬ 
kennen seien jedoch die Schwierigkeiten, die sich solchen Revisionen entgegen¬ 
stellen. Einmal können die Drogenhändler sehr leicht einen Theil ihres Ge¬ 
schäftsbetriebes und zwar gerade den für die Revision wichtigen der Revision 
entziehen, andererseits werden sich viele Drogenhändler, um diese ihnen allein 
lästigen Revisionen zu umgehen, gar nicht Drogenhändler nennen, wie ja auch 
jetzt schon, wenigstens in den kleinen Städten, die meisten Materialwaarenhänd- 
1er nebenher mit Drogeriewaaren Geschäfte treiben. So findet man selbst bei 
Kaufleuten auf dem Lande Niederlagen von Drogeriewaaren aus der Firma 
Wasmuth in Ottensen. Diese Firma giebt die Bestandtheile von Arzneige- 
mischen einzeln mit der Vorschrift zum Vermischen durch die Käufer ab. 


*) Ebendaselbst S. 92. 



Aus Vcrsamiiilungeu und Wroincn. 


Hob 


Es erscheine frajy^lich, ob der rhysikus berechtigt sei, auch solche kauf¬ 
männische Geschäfte, die sich nicht „Drogerien^ nennen, es thatsächlich aber 
mehr oder minder sind, zu revidiren. Die Versammlung ist sich nicht einig 
hierüber, doch neigt die Mehrheit dahin, dem Fhysikus das Recht zuzugestehen, 
gegebenenfalls auch solche Geschäfte einer Revision zu unterziehen. 

II. Ueber Theorie und Praxis der Hebammenbeanfsichtigung von 
Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Schatz-Rostock. (Der Vortrag ist im Ein¬ 
gang der heutigen Nummer in extenso abgedruckt. 

In der sich anschliessenden Diskussion wurden von der Versammlung 
verschiedene das Hebammenwesen betreffende Punkte besprochen. So regte 
Dr. Ha V em an n • Dobbertin die nothwendige Vergrösseruug einzelner Hebammen¬ 
bezirke zur Aufbesserung des Einkommens der Hebammen und Vergrösserung 
ihrer beruflichen Thätigkeit an. Allerdings habe die Vergrösserung der Bezirke 
nicht immer eine entsprechende Verbesserung des Einkommens zu Folge, da 
manche Obrigkeiten und Gemeinden bei Kombinationen von Bezirken die bisher 
im Einzelnen bezahlten tixirten Gehälter herabzusetzen suchen. 

Karsten rätb, falls solche Kombinationen von Bezirken im Domanium 
nothwendig sind, die Mitwirkung der Grossherzoglichen Aemter in Anspruch zu 
nehmen, mit deren Hülfe er für die Hebammen günstige Bedingungen er¬ 
reicht habe. 

Die von Griewanck vorgeschlagene Kündigung der Hebammen als 
Zwangsmassregeln den Gemeinden etc. gegenüber findet nicht den Beifall der 
Versammlung, da sie nur in seltenen Fällen den gewünschten Erfolg haben 
würde. Im Allgemeinen sind die Hebammen von den Gemeinden viel zu sehr 
abhängig um mit Aussicht auf Erfolg zu solcher Kündigung greifen zu können. 
Nur mit Hülfe der Aufsichtsärzte und des Physikus werden die Hebammen etwas 
erreichen können. 

Besprochen wurde weiter die Art der vorzunehmenden Desinfektion, falls 
in der Praxis einer Hebamme ein Puerperalfieberfall vorgekommen; ob allemal 
eine Desinfektion in der Hebammenlehranstalt gefordert werden solle, oder ob 
bei zuverlässigen Hebammen eine von ihnen selbst vorgenominene Desinfektion 
und Reinigung zu Hause genüge. Herr Schatz will die Beurtheilung über die 
Art der vorzunehmenden Desinfektion den Aufsichtsärzten überlassen wissen, die 
die Verantwortlichkeit für die Gründlichkeit der Desinfektion, falls sie nicht in 
Rostock gemacht wird, zu tragen haben. Es wurde hierbei die Klage einzelner 
Hebammen zur Sprache gebracht, dass ihnen durch die Desinfektion in Rostock 
ihre Sachen ruinirt seien. Herr Schatz weist diesen Vorwurf im Allgemeinen 
zurück, falls die Hebammen die vorgeschriebenen Waschkleider benutzten; diese 
würden durch die Desinfektion nicht ruinirt. 

III. Neuwahl des Vorstandes und Kassenrevision. Der bisherige 
Vorstand :Griewanck, Vozsitzender, Lesenberg, Stellvertreter und K a r s t e n, 
Schriftführer werden wiedergwählt. 

Die Revision der Kasse wie der Jahresrechnung ergab die Richtigkeit 
derselben. Die Einnahmen haben 132,70 Mark, die Ausgaben 27,27 Mark be¬ 
tragen; es ist somit ein Kassenbestand von 105,43 Mark geblieben. Unter diesen 
Umständen wurde von einem Beitrag pro 1891/92 abgesehen. 

IV. Ueber chromogene und phosphoreszirende Bakterien mit besonderer 
Berücksichtigung hygienisch wichtiger Formen. 

Herr Kreisphysikus Dr. Stephan-Dargun: Aus der reichen Formen weit 
der kleinsten Lebewesen, der Spross- und Spaltpilze, haben den Mediziner in 
hervorragendem Maasse die für Mensch und Thier gefährlichen, sogenannten 
pathogenen Species interessirt. 

Allein neben diesen Arten finden sich zahlreiche andere, die durch beson¬ 
dere Eigenthümlichkeiten ihrer Biologie dem Bakteriologen aufgefallen sind und 
wohl geeignet scheinen, auch dem Hygieniker bekannt gemacht zu werden. 

Es gehören, hierher die chromogenen, farbstoffbildenden, sowie photogenen, 
phosphoreszirenden leuchtenden Bakterien. 

Nach dem mir zugänglich gewordenen Material erlaube ich mir, Ihnen 
verschiedene Formen, theils in Reinkultur, theils in Abbildungen zur geneigten 
Ansicht zu unterbreiten. 

Von den in der Luft enthaltenen Farbstoffbildnern findet sich häufig als 



Aus \''ersauimlUiij,"oii und VcreiucUi 


:^0() 

Veriiiiroiiii^uiig von Gelatiueplatteu, die Rosa-Hefe (^acliaromyces glutinis), 
welche von HanseninS nach den (icnerationsvorj^ängcn verschiedenen Formen ge¬ 
gliedert wurde. Dieselbe wächst zwar im Impfstich der Nährgelatine, jedoch nur 
als weisser Faden, die Farbstoffentwickelung findet au der Oberfläche statt, ist 
also von der Anwesenheit reichlicher Mengen Sauerstoff abhängig, wie dies bei 
den meisten Farbstoffbüdern der Fall ist. 

Eine andere Form aus der Luft, die Schimmelhefe zeigt ebenfals 
Sprosspilzbau und entwickelt auf Nährgelatine im Impfstrich schwarzbrauue 
Rasen, im Innern der Gelatine bei alten Kulturen ein dendritisches Geflecht. 

Der bekannte Micrococcus prodigiosus ist ebenfalls aus Luftkeimen 
gezüchtet worden. Er wächst mit Vorliebe auf leicht sauren Nährsubstraten, 
besonders der Kartoffel, auf deren Scheiben er dicke blutrothe Rasen bildet, die 
getrocknet einen violetten Schimmer erkennen lassen. In Gelatine wächst er, 
diese rapide verflüssigend, in Agarkiilturen wächst er im Stich farblos, auf der 
Oberfläche mit tief rother Farbe sich ausbreitend. 

Zuerst im Göttinger hygienischen Institut wurde die Sarcina lutea 
gi'züchtet, ebenfalls eine zufällige Plattenverunreinigung aus der Luft. Sie be¬ 
steht aus rundlichen, grossen Zellen, die sich nach drei Richtungen des Raumes 
theilen, die Tochterzellen bleiben verbunden und es entstehen so packetformige, 
geschnürten Waarenballcn ähnliche Kolonien Diese Spaltpilzform ist zweifellos 
verwandt mit der von Goodsir bereits 1842 entdeckten Sarcina ventriculi. 
Zweifelhaft ble bt jedoch noch die von mehreren Autoren behauptete Identität; 
denn Kulturen der Magensarcine von Falken he im angestellt, zeigten mikros¬ 
kopisch zahlreiche Diplokokken und Tctradcn, aber keine kubischen Packete, wie 
die gelbe Sarcine. 

Aus dem Wasser sind zahlreiche Formen chromogencr Bakterien ge¬ 
züchtet worden. 

In zwei Formen tritt der Bacillus flucrescens auf. Die eine verflüs¬ 
sigt die Gelatine nicht, die andere verflüssigt auf Platten ringförmig um sich herum 
das Nährsubstrat, der ganzen Platte einen grünlichen Schimmer verleihend. Im 
Stich bildet sich zunächst an der Einsticlwtelle ein kleiner Trichter, die Ver¬ 
flüssigung breitet sich langsam bis zur Glaswand aus und schreitet langsam 
nach unten fort; die verflüssigte Masse zeigt weniger intensives Farbeuspiel als 
die darunter betiudlicbe noch intakte Gelatine. 

Eine sehr hübsche Form bietet ein rother Wasserbacillus, von Fischer 
in Kiel zuerst gezüchtet. Derselbe verflüssigt die Gelatine nicht, wächst ziemlich 
langsam, zuerst weisslich, später im Orangeton und schliesslich intensive Siegel¬ 
lackfarbe bildend. Die Kulturen halten sich sehr lange Zeit lebensfähig, noch 
nach Vs Jahr ist es mir gelungen, lebenskräftige Abstiche von alten Kulturen 
zu machen. 

Ebenfalls sehr schön präseutirt sich eine Reinkultur des Bacillus jan- 
t hin US, des violetten Bacillus, der zuerst von Zopf auf Stücken von Schweins¬ 
blase, die auf pilzhaltigcm Wasser schwammen, gefunden wurde, hernach aus 
Pankewasser isolirt worden ist. Ob das von Esmarch entdeckte, blutrothe 
Spirillum rubrum ein seltener Wasserbewohner oder Luftbewohner ist, hat bisher 
noch nicht festgestellt werden können. Esmarch fand dies Spirillum in dem 
Kadaver einer an Mäusesepticopyämie verendeten Maus,der in einem grossen Becher¬ 
glas mit Leitungswasser gelegen hatte und von dem das Wasser abgedunstet 
war. Ueber spätere Auftiudungen desselben ist mir nichts bekannt geworden. 

Zahlreich sind die Formen, die sich auf und in manchen Nahrungs¬ 
mitteln finden. 

Der bereits genannte Micrococcus prodigiosus scheint oft eine Nahrungs¬ 
mittelinfektion hervorzurufen, 1843 zeigte er in Paris geradezu epidemisches 
Auftreten, wo er namentlich in dom aus den MilitArbäckereien hervorgegangeneii 
Brode wucherte; auch die mehrfachen Wuuderbeobachtungen blutenden Brote.s, 
blutender Hostien sind auf das Wachsthum dieses Pilzes zurückzuführen. 

Die Milch ist bekanntlich ein vorzüglicher Nährboden für Spaltpilze, 
es kann kein Wunder nehmen, wenn wir hier farbstoftbildenden Formen begeg¬ 
nen. Die blaue Milch wird verursacht durch das Wachsthum eines feinen, 
si blauken, langsam beweglichen, die Gelatine nicht veiüüssigendeu Bacillus. 
IJtreits im Jahre 1841 wurde von Fuchs ein Vibrio als Erreger der blauen 
i^'arbe und die IJebertragbarkeit der Färbung auf gesunde Milch nachgewiesen, 
l^rof. N 00 I sen hat über blaue Milch g(^arbcitet, jedoch noch nicht ganz reine 



Aus Vursauimluuyeu uuil Vereinen. 


307 


Kulturen zur Verfügung gehabt, besonders Hüppe hat unsere Kenntnisse des 
Bacillus cyanogenus erweitert und gefestigt. 

Eine rothe Sarcina, Sarcina rubra, hat Menge in einer aus Rendsburg 
stammenden Milch nachgewiesen, die im Reagenzglase die Eigenthümlichkeit 
besitzen soll, dass weisse und gelbe mit ziegelrothen, unregelmässig streifigen 
Lagen abwechseln. 

Die bisher besprochenen Formen haben mehr oder weniger Interesse wegen 
ihrer morphologischen sowie biologischen Verhältnisse, es ist bisher nicht nach¬ 
gewiesen, dass sie, dem Thier- oder Menschenkörper einverleibt, die Gesundheit 
schädigende Einflüsse ausüben. 

Von Demme ist nunmehr in der Milch und auch aus einem Stückchen 
Quark, welches zahlreiche himbeerrothe Stellen aufwies, ein rother Sprosspilz 
isolirt worden, der auch in den Ausleerungen von 7 Kindern, die von diesen 
Nahrungsmitteln genossen hatten, vorkam und die plötzlich und ziemlich gleich¬ 
zeitig am Diarrhoe, theilweise auch am Erbrechen erkrankt waren. 

Es wäre somit der erste Fall von pathogenem farbstofifbildendem Spross¬ 
pilz konstatirt. 

Gestatten Sie, dass ich des vorhandenen Materials halber. Ihnen noch die 
chromogenen Eiterkokken, Staphylococcus aureus und c i t r e u s vorführe, deren 
Eigenthümlichkeiten Ihnen die Kultur am deutlichsten zeigt, auch den Bacillus 
pyocyaneus, ein unschuldiger Ansiedler unter Verbänden, den blauen Eiter an¬ 
zeigend, stelle ich hiermit vor. — 

Durch Pflüger’s Untersuchungen ist bekanntlich dargethan, dass das 
Phosphoresziren von Seefischen etc. auf der Lebensthätigkeit parasitischer be¬ 
züglich saprophytischer Mikroorganismen beruht. Vielen bakteriologischen 
Forschern ist es gelungen, phosphoreszirende Bazillen nachzuweisen. 
Förster in Amsterdam hat dieselben auf Seezungen gefunden, ein französischer 
Forscher, dessen Name mir entfallen, entdeckte sie auf Gameelen. Von Fischer 
in Kiel wurde ein Leuchtbacillus aus dem Seewasser in Westindien isolirt und 
von demselben auch in der Kieler Bucht ein sogenannter einheimischer phos- 
phoreszirender Bacillus nachgewiesen; spätere Untersuchungen sind von Leh¬ 
mann in Würzburg, sowie von Katz in Sidney angestellt. Der erstere 
beschäftigte sich mit der Einwirkung von Giften, z. B. Morphium, Strychnin, 
sowie des elektrischen Stromes auf Kulturen von Leuchtbcakterien, wodurch 
das Leuchten abgeschwächt resp. vernichtet wurde; der letztere hat eine 
ganze Reihe, seiner Ansicht nach differenter Formen aus dem Meerwasser abge¬ 
schieden. Der mir zur Verfügung stehende Leuchtbacillus ist der einheimisehc 
aus der Ostsee. Derselbe wächst leicht auf einer Nährgelatine, die mit 3—4^/o 
Kochsalz versetzt ist, und verflüssigt dieselbe nicht, besonders hell leuchtend er¬ 
scheint die Oberfläche, weniger der Impfstich. Die Kulturen halten sich längere 
Zeit vortrefflich, ein besonders hübsches Bild erhält man, wenn man Platten 
mit Leuchtbazillen infizirt; dieselben bieten sehr hübsch das Bild eines gestirnten 
Himmels im Kleinen. Ferner lässt sich rapide Vermehrung der Bakterien er¬ 
zielen, wenn man sie auf sterilisirtes Fischfleisch, besonders von Seefischen, 
Häringen aussät; ein dicker, schleimiger, gelbgrauer Rasen entwickelt sich als¬ 
bald, der in der Dunkelheit in prachtvollem, silberglänzendem Lichte strahlt. — 

Die vorgeführten Formen bieten nur eine kleine Auswahl der zahlreichen 
Bakterienspezies chromogener sowie photogener Natur, ich habe immerhin ge¬ 
glaubt, das mir zur Verfügung stehende Material sei interessant genug, um 
Ihnen vorgeführt zu werden; es dürften öfter dem Hygieniker Erscheinungen 
klar werden, die sonst vielfach Auffallendes bieten. 

V. Ueber Schnlrevisionen. 

Herr Med.-Rath Dr. Griewanck: M. H.! Wenn ich cs übernommen 
habe, „über Schulrevisionen*^ einige Mittheilungen zu machen, so will ich von 
vornherein bemerken, dass ich mich auf eingehende theoretische Erörterungen 
nicht einlassen, sondern mich wesentlich auf die praktische Seite der Sache be¬ 
schränken werde. 

Der Ministerial - Erlass vom 11. Mai 1891 fordert die Kreisphysiker auf, 
gelegentlich ihrer Dienstreisen thunlichst die Ortsschnlen im Domanium an Ort 
und Stelle, auch während des Unterrichts, in Bezug auf die nach den Verhält¬ 
nissen berechtigten Ansprüche der Schulhygiene einer Besichtigung zu unter¬ 
ziehen und falls diese erhebliche Mängel in Betreff’ der Gesundheitspflege ergiebt, 





Atis V'er.siimuiiuuguu mul Vereinen. 


üb es (lie Suliule oder die >Seliulkiuder augelit, nach Bediirl’niss diuserhulb mit 
dem zaständigen Grossherzoglichen Amte in Verbindung zu treten. Dieser Er¬ 
lass findet eine Ergänzung durch einen unterm 28. März 1891 an die Grossherzog¬ 
lichen Aemter gerichteten und den Kreisphysikern in Abschrift mitgethcilten 
Erlass, betreft'end die in den ländlichen Ortsschnlen in Bezug auf die Gesundheit 
der Kinder bestehenden Verhältnisse; suwie ferner in einem weiteren unterm 

5. Juni 1891 an die Grossiierzoglichen AeniUsr gerichteten und den Kreisphysikem 
ebenfalls abschriftlich mitgetheUten Erlass, betreffend die Tuberkulose. 

Die Untersuchungen von Schullokalen, welche ich auf Grund dieser Er¬ 
lasse bisher vorgenommen habe, sind zwar noch nicht gerade zahlreich, im Ganzen 
habe ich bisher 18 Schullokale untersucht, davon 10 gelegentlich anderer Dienst¬ 
reisen, 3 auf spezielle Aufforderung des Grossherzoglichen Amtes in Btttzow; 
im Allgemeinen aber habe ich schon aus diesen wenigen Untersuchungen den 
Eindruck gewonnen, dass nur wenige unserer Domaniallandschulen den gegen¬ 
wärtigen hygienischen Anforderungen einigermassen entsprechen und dass eine 
grosse Anzahl denselben auch nicht annähernd genffgen. 

Die Gesichtspunkte, auf welche ich bei der Untersuchung der Schullokale 
im Einzelnen mein Augenmerk glaubte richten zu müssen, waren Folgende : 

1. Die Grösse der Schulräume im Verhältniss zu der Anzahl der in den¬ 
selben nnterrichteten Kinder. 

2. Die Lage, namentlich die Loge der Fenster im Verhältniss zur 
»"Himmelsrichtung. 

8. Die Helligkeit der Schnlränme. 

4. Die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Heizung und die Heizungs- 
Vorrichtungen. 

5. Die künstliche Ventilation. 

6. Die Fussböden. 

7. Die SubscUien. 

8. Die Spucknäpfe. 

Was die Grösse der Schnlräume anlangt, so verlangt Uffelmann in 
seinem Lehrbuch der Hygiene 0,6 qm Grundfläche für jedes Kind, ebenso viel 
für Gänge, Ofen, Katheder etc., im Ganzen also 1,2 qm Grundfläche und 5,4 cbm 
Luftraum für jedes Kind. Flügge in seinem Grundriss der Hygiene stellt 
ähnliche Anforderungen, doch verlangt er für jüngere Kinder, womit wir es hier 
zu tbun haben, etwas weniger, 1 qm Grundfläche und 4 bis ö cbm. Luftraum. 
Dem gegenüber bestimmt das Zirkular des Unterrichtsministeriums vom 16. Januar 
1874, dass bei Neubauten für jedes Kind 0,75 qm Grundfläche gerechnet werden 
sollen, während über die Höhe der Schulräume und damit über den kubischen 
Luftraum überall nichts festgesetzt ist. Vergleiche ich mit den obigen von der 
Hygiene geforderten Zahlen diejenigen der von mir untersuchten Schulen, so 
finde ich, dass bezüglich der Grundfläche etwa die Hälfte, hinsichtlich des kubi¬ 
schen Inhaltes aber nur 2 den gedachten Anforderungen annähernd entsprechen. 
Eines der beiden letzteren ergab bei einer Zahl von 25 Schülern 33 qm. Grund¬ 
fläche und einen Luftraum von 108 cbm. Wenn dagegen ein anderes Schnl- 
zimmer für 40 Schüler nur eine Grundfläche von 27*/« qm und einen Luftraum 
von 64 cbm, ein weiteres für 55 Schüler nur 30 qm Grundfläche und 81*/« cbm 
Luftraum gewährte, so wird man nicht behaupten können, dass solche Verhält¬ 
nisse billigen Anforderungen auch nur annähernd genügen. 

Hinsichtlich der Lage fand ich alle Himmelsrichtungeu vertreten, die 
meisten Schulzimmer (6) lagen nach Süden, 4 nach Norden, eins nach Südosten, 
eins nach Südwesten und eins nach Westen. Im Uebrigen liegen in den länd¬ 
lichen Ortschaften die meisten Schulhäuser frei und nicht von andern Häusern 
eingeengt, auch sind sie meist nicht durch Bäume beschattet. 

Die von mir untersuchten Schulräume hatten genügende Helligkeit; 
allerdings habe ich bisher den Raum Winkelmesser von L. W e b e r nicht benutzt, 
hier und da mögen einzelne Plätze nicht genügend Himmelslicht erhalten, im 
Ganzen aber glaube ich, dass in dieser Hinsicht die wenigsten Ausstelinngen zu 
machen sein werden. Dagegen wird es weniger gut stehen mit der Heizung 
und gleichmässigen Erwärmung. Die meisten, namentlich ältere, Schnlzimmer 
haben dünne Wände von Fachwerk, die Wände sind einfach geweisst. Die 
Heizung geschieht mittels Kachelöfen. Die grösseren Schnlzimmer sind daher 
lit gleichmä,s.sig zu erwärmen und müssen bei genügender Heizung die .Schüler 



Au« Voi'Siilnluluu^oli Uiul Verciucil. 




iu der Nähe des Ulens brüten, währeud die an den Fenstern sitzenden vor Kälte 
fast erstarren. 

Dagegen sind mit einer den hygienischen Anforderungen entsprechenden 
Ventilation nach meinen bisherigen Erfahrungen kaum die Anfänge gemacht. 
Ich fand solche nur in 4 Schulräumcn, und zwar in einem einen Trichter in 
der Mitte der Zimmerdecke, welcher auf den Hausboden mündete, in einem 
zweiten zwei Luftlöcher in der Nähe der Zimmerdecke, welche in die Küche 
mündeten, wo es rauchte und welche desshalb nicht benutzt werden konnten, in 
einem dritten eine Sirene im Mittelfcnster und eine OefFnung in der Ostwand 
des Zimmers dicht unter der Ziramenlecke, in einem vierten zwei ähnliche 
Luftlöcher. 

Ich komme jetzt zu einem wichtigen Punkte, zu den Fussböden. Hier 
finden sich meistens weisse Holzdielen mit mehr oder weniger undichten Fugen, 
die Dielen sind mit Sand bestreut; nur einmal fand ich einen Zementfussboden, 
welcher aber durch Abnutzung schon sehr mangelhaft war, so dass an verschie¬ 
denen Stellen grosse Strecken weit die unter dem Zement liegenden Mauersteine 
bloss lagen. Die Fussböden werden, wie man auf Befragen erfährt, in der 
Kegel zweimal wöchentlich nass aiifgcnommen. Ein öfteres Nässen verbietet 
sich in der Regel aus verschiedenen (iründen; die Lehrer sind verpflichtet selbst 
die Schulstuben zu reinigen, ein tägliches giündlichcs Reinigen ^vttrde in der 
Regel ihre Kräfte übersteigen. Ein Lehrer berichtete mir, wenn er sein Schul¬ 
zimmer täglich nass aufnehmen wolle, so werde es wegen der Undurchdringlich¬ 
keit des Untergrundes überhaupt nicht trocken werden, (tutgefugte und geölte 
Fussbiklen habe ich bisher nirgends gefunden, dieselben sind auch nach dem 
Urtheil Bauverständiger für unsere Landschulen schon aus dem Grunde unprak¬ 
tisch, weil der Oelanstrich mindestens dreimal im Jahre erneuert werden müsste 
nnd daher unverhältnissmässig theuer werden würde; ausserdem würde die 
gründliche Reinhaltung derartiger Fussböden noch schwieriger sein als die ein¬ 
facher weisser Holzdielen. Unter solchen Umständen erscheinen Zementfussböden 
gar nicht so unpraktisch, besser noch Fussböden hergestellt aus Bctonschlag und 
mit Linoleum belegt. 

Die Subsellien, welche iu den Landschulen benutzt werden, sind stets 
noch von grosser Einfachheit, ich habe nur ganz einfache Tischplatten und damit 
im Zusammenhang stehende Bänke gefunden, Vorrichtungen zum Aufklappen 
oder Verschieben der Tischplatten oder dergl. nirgends. 

Spuckuäpfe fanden sich nur in einem Schulzimmer aufgestellt und 
zwar wurden als solche benutzt — alte Ofenkacheln. 

Erwähnen will ich noch die Aborte. Dieselben sind stets von grösster 
Einfachheit, oft fehlen sie ganz; die Kinder gehen zur Befriedigung ihrer Be¬ 
dürfnisse auf den Dunghof, in den Garten oder auf’s Feld. Desinfektionsvor¬ 
richtungen finden sich nicht. 

Wenn ich hiermit meine wichtigsten Beobachtungen Ihnen glaube wieder¬ 
gegeben zu haben, so bin ich weit entfernt anzunehmen, den Gegenstand er¬ 
schöpfend behandelt zu haben, dazu ist die Zahl unserer Untersuchungen noch 
eine viel zu geringe, unsere Thätigkeit in dieser Sache noch eine viel zu kurze; 
das aber glaube ich dargethan zu haben, dass hier noch recht viel zu thun ist 
und dass unsere Thätigkeit noch eine recht fruchtbringende werden kann. In 
der Regel freilich bleibt uns vorerst nur zu thun, die von uns beobachteten 
Mängel dem betreffenden Amte mitzutheilen und um Abstellung derselben zu 
bitten; ob unsere Vorstellungen Berücksichtigung finden, die gefundenen Mängel 
abgestellt werden, das erfahren wir zunächst nicht und oft vielleicht erst nach 
Jahren, wenn wir einmal wieder die Gelegenheit haben, dieselbe Schule zu be¬ 
suchen. Im Uebrigen aber werden wir nicht einen sofortigen Umbau oder Neu¬ 
bau eines grossen Theiles unserer Doinanial - Landschulen erwarten dürfen und 
auch sonst wird die Ausführung der von uns für nothwendig gehaltenen Mass- 
regeln gar oft auf schwer zu überwindenden Widerstand stossen. Nach der Ver¬ 
ordnung vom 29. Juni 1869, betreffend die Betheiligung der Gemeinden im 
Domanium an den Ortsschulen, liegen alle Bauten und Reparaturen an den Ge¬ 
bäuden etc. (§. 6) ausschliesslich den Gemeinden ob. Die Gemeindeversammlung 
beschliesst darüber, was gemacht werden soll, und wie schwer unsere 
Landbewohner sich zu Neuerungen entschliessen, deren Nutzen ihnen nicht sofort 
einleuchtet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu erläutern. Um so schlimmer ist es, 



Kleiuere Mittlieiloüifeli Und llol'cfalc aus ^cilsclirit'luu. 


JjlO 


wenn sie dabei wie hier an ihrem empfindlichsten l’nnkte, am Geldbeutel gefasst 
werden. Zwar steht zunächst dem Grossherzoglichen Amte und weiter den 
höheren Behörden das Aufsichtsrecht zu, trotzdem werden aber gerade in 
Kleinigkeiten die Schwierigkeiten oft recht gross sein. Einen wichtigen Ein¬ 
fluss können wir allemal geltend machen auf Grund des Zirkular-Erlasses vom 
9. Januar 1890, nach welchem bei allen Neubauten und grösseren Durchbauten 
das Erachten des Kreisphysikus eingebolt werden soll; hier können wir auf die 
Durchführung der hygienisch nothwendigen Einrichtungen bestehen. 

In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass nicht nur die Scbul- 
räume und ihre Einrichtungen selbst, sondern auch die Nebcnanlagen, Aborte, 
Pumpen etc. bei den Revisionen mit in Betracht gezogen werden mussten. Regel¬ 
mässige Berichte über das Ergebniss der Revision sind nicht vorgeschrieben, wo 
sich Uebelstände finden, müssen solche dem Grossherzoglichen Amte mitgetheilt 
werden, falls dieses auf die bezüglichen Hinweise und Monituren nicht reagirt, 
hat sich der Physikus mit seiner Beschwerde an Hohes Ministerium zu wenden. 

Zur Sprache gebracht wurde endlich, ob der Physikus auch zu Schulrevisio¬ 
nen in der Ritterschaft berechtigt sei. Der Ministerial - Erlass verlangt von den 
Physikern nur die Revisionen der Domanialschulen, zu einer Schnlrevision in der 
Ritterschaft ist der Physikus nicht berechtigt. 

VI. Mittheilungen aus der Physikatspra.xis. 

Bei der vorgeschrittenen Zeit musste dieser Theil der Tagesordnung unbe¬ 
rücksichtigt bleiben, doch fand sich bei dem sich anschliessenden gemeinsamen 
Mittagsessen und späterem zwanglosen Zusammensein der grösseren Mehrzahl der 
Anwesenden vielfach Gelegenheit zum Austausch der Meinungen über Erfahrungen 
in der Pbysikatspraxis. 

Als Ort für die nächste Versammlung wurde wieder Rostock ausersehen. 
Die Zeit (im Herbst 1892) wird durch den Vorstand noch näher bestimmt werden. 

Dr. Karsten-Waren. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

La Suggestion hypnutiqne au point de vne medicolegal. Von Pro- 
fe.H.sor Gilbert Ballet. Gazette hebdomaire de Medicine et de Ghimigic. 
Paris 1891. Nr. 44 fl'. 

Der kleine Aufsatz enthält einen klinischen Vortrag, den Profe-ssor 
Gilbert Ballet in der Salpetri^re gehalten hat; er gewinnt seine volle Be¬ 
deutung aber erst durch Ball et’s ausdrückliche Erklärung, dass er im Namen 
Charcot’s spräche und dessen Gedanken und Erfahrungen wiederzugeben i 
habe. Uebrigens ist atich Ballet’s Verdienst an dem sehr lesenswerthen Auf¬ 
satz nicht zu unterschätzen; denn die Darstellung, die in ihrer pointenreichen 
Eleganz an den Feuilletonstyl unserer besten Journale erinnert, gleichzeitig aber 
an gediegener Klarheit und erschöpfender Gründlichkeit allen Anforderungen der 
strengsten Wissenschaft Genüge leistet, sucht selbst in der französischen Journa¬ 
listik ihres Gleichen und wirkt geradezu erfrischend im Gegensatz zn der nüch¬ 
ternen Schmucklosigkeit imd schwerfälligen Breite, die leider in der deutschen 
medizinischen Literatur ihr Wesen treibt. Freilich der Gegenstand, der ja auch 
bei uns Staub genug anfgewirbelt hat, war von vornherein danach angethan, 
unsere phanthasiebegabten westlichen Nachbarn auf das Lebhafteste zu interessiren 
und es wurde — um ganz zu schweigen von den Schauergeschichten, die durch 
die Tagespresse die Runde machten — namentlich von Nancy aus, aber auch 
von Charcot’s Schule so Manches der staunenden Welt als wissenschaftlich 
konstatirte Thatsache verkündet, was uns nüchternen Deutschen den Stempel 
abenteuerlichster Phantastik dermassen an der Stirn zu tragen schien, dass auf 
diesem Gebiete eine Verständigung mit den französischen Kollegen ausgeschlossen 
schien. Um so erfreulicher muss es nun berühren, dass C har cot durch den 
Mund seines Schülers so entschieden Front macht gegen das übertriebene (ie- 
schrei von den Gefahren der Suggestion und des Hyi)notismus. Und er geht gar 
scharf in’s Gericht mit denjenigen, welche die Suggestion schon als rörmlich 
ansgebildete Methode in der Hand der Verbrecherwelt betrachten möchten und 



Ijcsprccliunyoii. 




^euei^t sind^ in jedem Dieb oder Mörder nicht einen Verbrechen sondern das 
ahnungslose automatisch handelnde Opfer eines heimtückisch im Hintergründe 
lanemden, in kaltblütiger Berechnung mit Hypnose und Suggestion manipulirenden 
Bösewichtes zu erblicken! 

Mit Recht macht Ballet geltend, dass die gerichtliche Medizin eine Er- 
fahrnngswissenschaft sei; nicht der klinischen Forschung, sondern den Beobach¬ 
tungen vor den Schranken der Gerichtshöfe sei die Kenntniss ähnlicher Zustände 
getrübten Bewustseins entnommen, wie sie als Folge von Epilepsie, Alkoholismus 
und dergl. entstehen können. Beim Hypnotismus dagegen habe man den ent¬ 
gegengesetzten Weg cingeschlagen, man habe von den verblüft'enden Experi¬ 
menten der Nerveuklinik und des Laboratoriums aus a priori eine gerichtlich 
medizinische Klinik des Hypnotismus konstruirt, welche indessen mit der ge¬ 
richtlich medizinischen Erfahrung und mit den Annalen der Kriminal-Justiz 
schlechterdings nicht in Einklang zu bringen sei. Denn der Versuch, den 
Liegois (De la Suggestion et du Soranambulisme dans leur rapport avec la 
jurisprudence et la m^dicine legale; Paris 1889 und in Comptes rendus du 
Congres de rhypuotisme) unternommen hat, aus alten Kriminalakten Fälle aus- 
zugraben, an denen er den Einfluss der Suggestion oder des Hypnotismus er¬ 
weisen will, ist, wie Ballet schlagend Fall für Fall nachweist, glänzend miss¬ 
glückt. Nur das Eine giebt Ballet zu, dass Vergewaltigungen im lethargischen. 
Stadium der Hypnose möglich und auch thatsächlich vorgekoinnien sind, wobei 
er namentlich das s. Z. auch in deutschen Zeitschriften besprochene Attentat 
des Zahnarztes Levy in Rouen auf eine von ihm h^^pnotisirte Patientin anftthrt. 
Dagegen sei aus der Vergangenheit auch nicht ein einziger stichhaltender Fall 
bekannt, dass eine Person durch Suggestion zu einem Verbrechen angetrieben 
worden sei und cs sei auch keineswegs anzunehmen, dass dergleichen in Zukunft 
Vorkommen werde. Denn der Hypnotisirte ist, wie Ballet an der Hand des 
Experimentes und der Erfahrungen in Charcot’s Klinik ausführt, keineswegs 
ein rein automatisches Werkzeug in den Händen des Hypnotiseurs, das ohne 
Skrupel und ohne Widerstand jeden suggerirten Gedanken zur Ausführung 
bringt. Im Laboratorium freilich kann man wohl die Vorstellung gewinnen, als 
ob der Hypnotisirte mit magischer Gewalt dem Willen des Hypnotiseurs folgen 
müsse, als ob er „zu seinem Ziele hinmüsse, wie der Stein zum Boden herab- 
falle** und es ist leicht, die Hypnotisirten Dinge vornehmen zu lassen, die einem 
Diebstahl oder Mord täuschend ähnlich sehen, das sind aber „Laboratoriums¬ 
verbrechen!“ Im thatsächlichen Leben liegt die Sache dagegen ganz 
anders, da hier all’ die tausend und abertausend Einflüsse des täglichen Lebens 
störend und verwischend auf den Gang des Experimentes einwirken. Vor Allem 
aber macht sich die Erfahrung geltend, dass die Hypnotisirten die ihnen suggerirten 
Handlungen nach dem Erwachen bereitwilligst ausführen, sobald ihnen dieselben 
gleichgültig oder gar angenehm, bezw., wie die vielfach barocken Experimente 
des Laboratoriums, belustigend sind; dass sic aber Widerstand leisten oder den 
Gehorsam versagen, sobald die von ihnen verlangten Handlungen ihren Lebens¬ 
anschauungen und Gewohnheiten widersprechen. Moralisch intakte Men- 
schen sind für verbrecherische Handlungen auch auf demWege 
der Suggestion nicht zu haben! „Le fond moral hfereditaire ou 
acquis par reducation constitue lui-meme une Suggestion pri¬ 
mordiale antörieurc, qui neutralise lessuggestionsultörieures.“ 
(Bern heim.) 

Ballet erörtert dann die mannigfaltigen Kniffe, mittelst welcher ein¬ 
zelne Hypnotisirte sich um ihnen suggerirte, unbequeme Aufgaben herumzu¬ 
drücken versuchen; er erzählt, dass Einzelne nicht zum Aufwachen zu bringen 
sind, bis sie durch „Desuggestionirung“ von der Ausführung des lästigen Be¬ 
fehles befreit sind, dass andere in das lethargische Stadium zurückversinken, in 
dem sie der Suggestion unzugänglich sind, oder hysterische Krämpfe bekommen. 
Alle diese kleinen Winkelzüge illustrirt er durch Beispiele aus dem überreichen 
Material der Charcot’sehen Klinik und zitirt dabei die Ansicht Delboeuf’s, 
wonach die Hypnotisirten überhaupt nur gehorchen, weil sie wissen, dass es ja 
doch nur eine Komödie ist, die zu spielen ihnen aufgetragen wird. Ballet 
wäre an und für sich gar nicht abgeneigt, sich dieser Ansicht anzaschliessen, er 
bleibt aber, mangels entscheidender Beweise beim Zweifel stehen, verlangt aber 
dieselbe vorsichtige Zurückhaltung auch von den Gegnern, welche .sich ebenso 
wenig auf positive Beweise stützen könnten. 



Kioiuurc tiillhuiliuif'Oii iiu<l iv*-l'eralc aii.s Zcilsuliriltcii. 


Auf jeden Fall steht aber über jeden Zweifel erhaben fest, dass nicht 
jede Person hypnotisirbar ist und dass nicht jede hypnotisirbare Person für jedes 
Verbrechen zu haben ist. Der Verbrecher, der auf diesem Wege arbeiten wollte, 
müsste also Vorstudien machen, er müsste verschiedene Personen und zwu 
wiederholt hypnotisiren, ehe er eine Person fände, die er mit einiger Sicherheit 
gebrauchen könnte! Und hier häufen sich die iSchwicrigkeiten; denn die Ver¬ 
brecher sind im Allgemeinen doch keine Hypnotiseure und noch weniger steht 
ihnen jederzeit eine solche Anzahl so leicht hypnotisirbarer Personen zur Ver¬ 
fügung, wie in einer französischen Nervcnklinik. Schon durch Vornahme der 
einleitenden Handlungen würde der Verbrecher die Aufmerksamkeit auf sein 
Thun und Treiben lenken und die Entdeckung herbeiführen. Aus demselben 
Grunde ist es auch nicht wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung irregeleitet 
werden wird durch unbescholtene Zeugen, die in gutem Glauben, das was ihnen 
in der Hypnose snggerirt ist, als wirkliche Wahrnehmungen aussagen sollten. 
Denn es würde unschwer sein, solche Zeugen in Widersprüche zu verwickeln, um 
die wahre Natur ihrer Beziehungen zu dem Verbrecher klarznlegen. Klüger 
und sicherer würde ein Verbrecher jedenfalls handeln, wenn er sich auf seine 
eigene Thätigkeit verliesse und auf die Mithülfe bewährter Helfershelfer, bei 
denen es keiner Suggestion bedarf, um sie zu bewusster und überlegter Theil- 
nahme zu veranlassen. Nur das Eine könnte vielleicht einmal möglich 
werden, dass eine intelligente, mit der Wissenschaft und Praxis des Hypnotismus 
vertraute Person auf die Bahn des Verbrechens geleitet und dabei von dieser 
seinen Kenntnissen mit Erfolg Gebrauch macht. Die Voraussetzungen hierfür 
dürften aber nur so überaus selten ein treffen, dass es eine arge Uebertreibung 
ist, von einer sozialen Gefahr zu sprechen, die der menschlichen Kultur und der 
menschlichen Gesellschaft ans der Verbindung von Verbrechen und Hypnotismus 
drohen soll. Für die gerichtliche Medizin aber ist es vor Allem geloten, diesen 
Frage gegenüber kühle Reservation zu bewahren: „Die gerichtliche 
Medizin ist eine Wissenschaf t, für welche ernste wissenschaft¬ 
liche Kenntnisse unentbehrlich sind, noch mehr aber gesunder 
Menschenverstand, der am Besten schützt vor schlecht bewie¬ 
senen Theorien und vor gefährlichen Uebertreibungen." 

Dr. Langerhans-HankensbütteL 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Die Ergebnisse des Impfgeschftftes im Dentschen Reiche fUr das 
Jahr 1889. Von Reg.-Rath Dr. Rahts. Hierzu 1 Karte. Medizinalstatistische 
Mittheilungen ans dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Berlin 1892. Verlag von 
Julius Springer. 

Es betrug bei den Erstimpfungen Wiederimpfungen 

dieGesammtzahld.vorznstell. Kinder: 1554364 = 3,24 **/o 1233456= 2,58*’/, 

der Bevölkerung. der Bevölkerung. 
Von diesen waren von der Impfung befreit: 

a. wegen Ueberstebens der natürlichen 

Blattern. ........ 182= 0,012° U 218= 0,18«/« 

b. weil bereits im Vorjahre mit Er¬ 

folg geimpft . 92382 = 5,96 „ 8731= 0,71 , 

c. weil bereits im Vorjahre mit Er¬ 

folg geimpft, aber erst zur Nach¬ 
schau erschienen . . . 396 = 0,258 , — — 

zusammen 96524= 6,23 ®/o 8949= 0,89 

Es sind somit noch impfpflichtig geblieben 1457 840 = 93,77 */o 1224 507 = 99,11 


Von diesen sind thatsächlicb geimpft . 1299474 = 89,2 , 
Ungeimpft blieben dagegen . . . 158366 = 10,8 , 

Ußd. • 

a. wegen Krankheit. 118862 = 8,1 „ 

b. , Ortsabwesenheit .... 9266 = 0,64 „ 

c. , ' Aufhörens des Besuchs der 

Schule. — — 

d. , vorschriftswidriger Entzie¬ 

hung..30238= 2,06, 


1185540 = 96,8 , 
38967 = 3,2 , 

15482 = 1,28 „ 
3350 = 0,28 , 

10227 = 0,83 , 

9908 = 0,81 , 









Kleinere Mittheilongcn und ßcferate ans Zeitschrirtcn. 


313 


Von 100 Geimpften sind geimpft: 


a. mit Erfolg. 1257 738 = 96,84 % 1068687 = 90,13 

b. ohne .. 37206 = 2,86 „ 113385 = 9,57 „ 


c. mit unbekanntem Erfolg . . . 4430 = 0,3 „ 3568 = 0,3 „ 


Mit Menschenlymphe sind geimpft 1164215 = 89,7 „ 1067698 = 89,8 ®/o 

„ Thierlymphe . 135259 = 10,3 ®/o 123942 = 10,2 „ 

Im Vergleich zn dem Vorjahre ist die Zahl der Impfpflichtigen 
fast dieselbe geblieben; auch diejenige der erfolgreichen Impfungen hat nnr eine 
geringe Aendemng erlitten, ebenso, wie die Ziffer der Torschriftswidrig der 
Impfung entzogenen Impflinge; dagegen hat die Zahl der mit Thierlymphe 
ansgeftthrten Impfungen eine erhebliche Steigerung (von ca. 10®/o) erfahren. 

Fast ausschliesslich mit Thierlymphe (über 95%) wurde in den König¬ 
reichen Sachsen, Bayern, Württemberg, in den GrossherzogthUmern Hessen, 
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und Sachsen-Weimar, in den Herzog- 
thümem Anhalt, Braunschweig und Sachsen-Altenburg, in den Fürstenthümern 
Waldeck, Reuss ältere und jüngere Linie und Schwarzburg-Sondershausen, in 
den freien Städten Bremen, Lübeck und Hamburg, sowie in Eisass - Lothringen 
und in den preussischen Reg.-Bez. Marienwerder, Danzig, Königsberg, Magde¬ 
burg, Arnsberg, Merseburg, Kassel, Wiesbaden und Sigmaringen geimpft. Men¬ 
schenlymphe fand besonders noch in den Fürstenthümern Lippe-Detmold und 
Schaumburg-Lippe und in den Provinzen Posen und Schlesien Anwendung. Die 
Erfolge der Thierlymphe haben derjenigen der Menschenlymphe nicht nachge¬ 
standen. 

Dauer des Impfgeschäfts: Mit wenigen Ausnahmen ist das Impf¬ 
geschäft während der gesetzlich bestimmten Zeit ansgeführt; auffallend schnell 
ist es im Königreich Bayern erledigt. Ausserordentliche Impfungen wegen 
Auftretens von Blattern haben mehrfach in Bayern (an der böhmischen Grenze) 
und im schleswigschen Kreise Tondem stattgefunden. 

Bezüglich der Impflokale ist zu erwähnen, dass im Königreich Sachsen 
das Mitbringen von Hunden zu den Impfterminen von den Behörden verboten 
werden musste, da diese Unsitte immer mehr um sich gegriffen hatte. 

In der Betheilignng der beamteten Aerzte an der Ausführung 
des öffentlichen Impfgeschäftes hat sich gegen früher wenig geändert (vgl. diese 
Zeitschrift, Jahrgang 1890, S. 107); in Anhalt waren nur beamtete Aerzte als 
IinpfUrzte thätig, in Mecklenburg - Schwerin fast nnr nichtbcamtetc Aerzte. 

Ansteckende Krankh*citen, namentlich Masern, Scharlach, 
Dyphtherie und Keuchhusten haben die Durchführung des Impfgeschäftes 
mehrfach beeinträchtigt, doch meist nnr eine Verschiebung der Impftermine er¬ 
forderlich gemacht. Eine Verbreitung ansteckender Krankheiten durch das Impf¬ 
geschäft wird fast in allen Impfkreisen in Abrede gestellt. 

Impftechnik: Die kreuz- oder gitterförmigen, kritzelnden und scha¬ 
benden Impfwunden sind immer mehr durch den einfachen, möglichst 
unblutigen Schnitt verdrängt; mit Stich ist nur bei Verwendung von Menschen¬ 
lymphe geimpft worden. Auf gehörige Reinlichkeit der Instrumente wie 
der Impflinge scheint gebührend Werth gelegt zu sein; manche Impfärzte haben 
die Impfstellen vorher mit Karbolsäure-, Borsäure- oder Kreolinlösung desinfizirt; 
andere warnen vor zu reichlicher Antiseptik, weil die Blattern sich weniger schön 
entwickeln. Die Nothwendigkeit des Eintrocknenlasscns der Lymphe nach der 
Impfung wird von einer Anzahl Impfärzte verneint; ein Impfarzt hat in dieser 
Hinsicht vergleichende Versuche angestcllt uifd gefunden, dass sich bei denjenigen 
Impflingen, die er sofort nach der Impfung wieder habe ankleiden lassen, die 
Pusteln ebensogut wie bei den übrigen entwickelt hatten, die längere Zeit un- 
angekleidet geblieben waren. 

Der zu den öffentlichen Impfungen benutzte Impfstoff war meist aus 
staatlichen Impfinstituten bezogen; derselbe wird ebenso wie die ans Privatan¬ 
stalten bezogene als unverdächtig bezeichnet. Auffallend waren die grossen Miss¬ 
erfolge der ans dem Impfinstitut in Kassel stammenden Lymphe. 

Die Angaben über das Vorkommen von Skrophulose, Rhachitis 
und Tuberkulose bei den Impfpflichtigen sind sehr ungenau; in Württemberg 
sind l®/o der impfpflichtigen Kinder als skrophnlös befunden. Syphilis ist nur 
sehr vereinzelt beobachtet und dann in der Regel von der Impfung Abstand 
genommen. 






314 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Impfbeschädignngen: Starke Entzündung der Haut in der 
Umgebung der Impfstellen ist ebenso wie in früheren Jahren ziemlich 
oft bei den Impflingen zur Beobachtung gelangt. Von einigen Irapfärzten wird 
die Schuld dafür der zu frischen Beschaffenheit der animalen Lymphe zuge- 
schoben; der Kontrolimpfarzt in Stuttgart hat dagegen beobachtet, dass ein 
übermässig gerötheter und geschwollener Oberarm besonders bei solchen Wieder¬ 
impfungen vorkam, die in der Kindheit entweder gar nicht oder privatim 
und mit ungenügendem Erfolge geimpft worden waren. 

Roth lauf ist ira Anschlüsse an die Impfung sowohl als Früh- wie als 
Späterysipel beobachtet worden. In 5 Fällen (je 1 in Preussen, Sachsen and 
Baden und 2 in Bayern) trat tödtlichcr Ansgang ein Bemerkenswerth waren 
14 ^nstig verlaufene Fälle von Rothlauf in Wiesbaden nach Verwendung 
thierischen Impfstoffes aus dem dortigen städtischen Schlachthanse. In Folge 
dieser Erkranknnegn wurde das Irapfgeschäft für wenige Wochen ausgesetzt 
und dann mit Kasseler Impfstoff ohne Zwischenfall vollendet. 

Blutvergiftung in unmittelbarem, unzweifelhaftem Zusammenhang mit 
der Impfung ist im Berichtsjahre ebensowenig wie ira Vorjahre zur Beobachtung 
gekommen. In einem Falle (Lippsta<lt) starb ein Impfling in Folge nachträg¬ 
licher Infektion <ler Impfstellen mit Milzbrandgift. 

Vaccineähnliche Hautausschläge und Varizellen sind einige Male 
beobachtet worden; im Kreise Zeven (Prov. Hannover) bildeten sich bei 20®/,^ 
aller Erstimpflinge eines Impfarztes nach Verwendung Aehle’schen thierischen 
Impfstoffes miliare Knötchen, vereinzelt mit blüthenartiger Abhebung der Ober¬ 
haut an den Armen. Die Krankheit begann mit geringem Fieber und leichter 
Anschwellung der Achseldrüsen vom 4.—7. Tage nach der Impfung und dauerte 
nur wenige Tage an; auf andere Personen ging sie nicht ttfer. Impetigo 
contagiosa ist nur vereinzelt vorgekomraen Rpd. 

Ergebnisse der Sclintzpockenimpfang im Königreiche Bayern im 
•lulire 1890. Vom Kgl. (ycntralimpfarzte Dr. Stumpf. Münchener medi¬ 
zinische Wochenschrift, 1892, Nr. 7—9. 

Das Gesiuumtergehniss stellt sich wie folgt: Es sind hei den 

Erstimpfungen Wiederimpfungen 


von 

UK) Impfpflichtigeu im Laufe des Geschäfts¬ 
jahres ungeimpft gestorben 

9,7 

0,12 


„ „ verzogÄ 

<i,7 

1,(» 


somit impfpflichtig geblieben 

83,() 

98,28 

von 

100 impfpflichtig Gebliebenen geimpft . . 

93,9 

! 18,70 


ungeimpft geblichen wegen Krankheit . . 

4,7 

0,7 


„ „ wegen Ortsab^vesenheit od. 

Aufliöreus d. Schulbesuchs 

0,!) 

0,24 


„ wegen vorschriftswidriger 
Entziehung. 

0 ,.') 

o;i 

von 

100 Geimpften mit Erfolg geimpft . . . 

9s,(; 

98,9 


ohne „ „ ... 

1,4 

9,7 

Die 

Zahl der Fehlimpfungen betrag bei der 
Impfung mit Menscheulymphe: 

a. von Körper zu Körper 

(1,7 

2,(; 


b. anders aufbew\ahrter. 

11,5 

29,7 


mit Thierlymphe: 

a. Glycerinlymphe , . . 

1.75 

9,0 


b. anders aufbewahrtcr. 

0,7 

— 

Lei 

den Wiederimpfungen der Mannschaften des 

I. Armeekorps 

wurden (>8,4, hei 

denjenigen des II. Armeekorps 70,89 mit Erfolg geimpft. 



Die gesammte Lymphproduktion der Central-Impfanstalt betrug ii:i Jahre 
1890 : 428 333 Portionen, die von 88 Kälbern genommen sind, also von einem 
Thierc: 4867 Portionen. Von diesen Portionen sind 386607 versandt und zwar 
2,48'Vo an Privatärzte, 12,36 ®/o an die Armee und 85,16 ^/o an die Impfär/te. 
Den Impfärzten wurde meist ihr Bedarf an Lymphe auf einmal zugesandt und 
nicht zu jedem Impftermine. 

Die Impfung der gesammten impfpflichtigen Civilbevölkerung vollzog sieh 
mit wenigen Ausnahmen in der kurzen Zeit von 6 Wochen (letzte Aprilwoche 




Kleinere Hittheilongcn and Referate aas Zeitschriften. 


315 


bis erste Woche im .Toni). Mit Gitterschnitten ist von den Impfiirzten nur noch 
vereinzelt geimpft; auch die Impfung mitKrenzschnitten ist weniger als früher 
in Anwendung gekommen und von einigen Impf&rztcn nur noch bei Wieder¬ 
impfungen oder bei früher ohne Erfolg geimpften Kindern beibehalten. 

Betreffs der Antorevaccinationen wird fast von sämmtlichen Impf- 
ürzten betont, dass hierbei quantitativ und qualitativ sehr wenig erfreuliche Re¬ 
sultate erzielt worden seien, indem die Pusteln, wo sich überhaupt solche bil¬ 
deten, grösstentheils abortiv verliefen. Besonders sei dies in denjenigen Fällen 
beobachtet worden, in denen die vorher erzielte eine Pustel schön und voll 
entwickelt gewesen sei. 

Impferysipel ist häufiger bei Wiederimpfungen als bei Erstimpfungen 
beobachtet worden und wird dies von den Impfärzten darauf zurückgeführt, dass 
bei jenen die Impfstellen durch zu frühe, und nicht selten zu schwere körper¬ 
liche Arbeit der Impflinge sowie durch Unreinlichkeit und Mangel jeglicher 
Sorgfalt zu stark gereizt würden. 

Todesfälle von Geimpften in der auf die Impfung folgenden Zeit sind 
auch im Berichtsjahre mehrfach vorgekommen, dieselben standen aber niemals 
in ursächlichem Zusammenhänge mit der Impfung. Nur in einem einzigen Falle 
scheinen die Impfpusteln, die am Kontroltage ein vollkommen normales Aussehen 
hatten, die Eingangspforte für eine Spätinfektion dadurch geworden zu sein, 
dass die Impfstellen mit schmutzigen Oellappen verbunden worden waren. 

Die meisten Fälle von vorschriftswidriger Entziehung der Impf- 
pfUcht beruhten auf unabsichtliches Fortblciben vom Impftermin; wirkliche Re¬ 
nitenz ist nur ganz vereinzelt zu Tage getreten. Rpd. 


Ergebnisse der Schntzpockenimpfdng im Grossherzogthnm Hessen 
im Jahre 1891 und Thätigkeit der Grossherzogi. Landesimpfanstalt in 
Darmstadt. (Correspondenzblatt der ärztlichen Vereine des Grossherzogthums 
Hessen; Nr. 4 u. 5, 1892.) 

Die zur Versendung gekommene Lymphe wurde von 36 Kälbern genom¬ 
men; jedes Kalb lieferte durchschnittlich 7,9 gr Rohstoff oder 31,6 gr Glyceriu- 
emulsion bezw. 3312 Impfportionen, die in mit sterilisirtem Kork verschlossenen 
und durch Eintauchen des verkorkten Theiles in eine Mischung von Paraffin und 
Wachs abgedichteten Tuben von 0,25—2,5 ccm Inhalt zur Versendung gelangten. 
Von den zur Versendung gekommenen 81136 Portionen erhielten Privatärzte 
12,6 “/„, Militärärzte 0,17 “/o, und Jmpfärzte 85,05 "/o; 2,15 "/o der Portionen fanden 
im Institut selbst Verwendimg. Am stärksten war der Versand im Juni und 
Mai und dementsprechend auch in diesen Monaten die Lymphprodnktion am 
grössten. 

Bei den Impfungen im Institut ergab sich bei den Erstimpflingen 100"/,, 
personeller und 98 Schnitterfolg, bei den Wiederimpfungen 97,3 "/o personeller 
und 81,7"/„ Schnitterfolg; jedenfalls ein ganz vorzügliches Ergebniss. Bei der 
öffentlichen Impfung stellte sich für die Erstimpflinge der personelle Erfolg auf 
98,9 und der Schnitterfolg auf 85,2 ®/„; während bei den Wiederimpfungen 
das Ergebniss 93,6 bezw. 65,8 ®/o war. In Vergleich zu den Vorjahren ist eine 
we.sentÜche Steigerung des personellen wie des Schnitterfolges zu konstatiren 
und soU die Qualität der Pusteln auch bei den Wiederimpfungen durchgehends 
eine gute gewesen sein. 

Krankhafte Erscheinungen sind bei den Impfungen nur ganz ver¬ 
einzelt beobachtet worden: je 1 Mal ein Achseldrüsenabscess und ein über den 
ganzen Körper verbreiteter impetiginüscr Ansschlag; in einigen Fällen Rothlauf. 
Ein Erstimpfling erkrankte am 5. Tage nach der Nachschau an einem Ausschlag, 
der von dem behandelnden Arzte für Masern gehalten wurde. Später wurde die 
Impfstelle am linken Arm brandig, es entwickelte sich eine schwere Phlegmone 
über diesen Arm wie über die Brust und über den rechten Arm, die unter den 
Erscheinungen einer septischen Peritonitis 4 Wochen nach der Impfung zum 
Tode führte. Alle anderen, mit demselben Impfstoffe (5060 Portionen) geimpf¬ 
ten Kinder sind gesund geblieben. Rpd. 


Ergebnisse der amtlichen Pockentodesfall- nndPockenerkrankang.s- 
statistik im Deutschen Reiche während des Jahres 1890. Von Reg-Kath 



316 


Kleinere Mittheilongen and Referate an» Zeitschriften. 


Dr. Bäht8 in Berlin. Medizinalstatistische Mittheilnngen aas dem Kaiserlichen 
Gesondheitsamte, 1. Bd. Berlin 1892. Verlag von Jnlias Springer. 

Die Zahl der im Deutschen Reiche während des Jahres 1890 zur amt¬ 
lichen Kenntniss gelangten Pockentodesfälle betrag nor 58, d. h. 142 weni¬ 
ger als im Vorjahre and 111 weniger als im Durchschnitt der letzten 4 Jahre. 
Es starben somit im .Jahre 1890 nur 0,118 Bewohnern von je 100000 Einwolvper 
gegenüber 0,305 in dem Quinciucnnium 1886—1890. Die 58 Todesfälle ver¬ 
theilten sich auf .33 Ortschaften, von denen 17 in Preussen, 8 in Bayern, 5 im 
Königreich Sachsen und je 1 in Baden, Bremen und Eisass-Lothringen gelegen 
sind; alle übrigen Bundesstaaten sind von derartigen Todesfällen verschont ge¬ 
blieben. Auf jede betroffene Ortschaft entfielen nur 1—2 Pockentodesfälle, der 
beste Beweis für die Dnempfänglicbkeit der durch die gesetzlich angeordneten 
Impfungen und Wiederimpfungen geschützten Bevölkerung des Deutschen Reiches 
gegen tödtliche Pockenerkrankungen. 

Eine stärkere Verbreitung haben die Pocken nur in der Stadt München- 
Gladbach gewonnen, von wo 15 Todesfälle gemeldet sind. Sonst ist in 25 Ortschaften 
nur je 1 Person an den Pocken gestorben; in Berlin, Bremen, Oelsnitz und 
Istein (Baden) je 3, in Aachen, Leobschtttz und M.-Hoschütz (Kreis Ratibor) 
je 2 Personen. 49 Pockentodesfälle = 85"/o sind in den Grenzbezirken des 
Reiches vorgekommen und zwar 21 in den an Belgien und 22 in den an Oester¬ 
reich angrenzenden Kreisen. Von den in Preussen vorgekommenen Pockentodes- 
föllen (36) ereigneten sich 28 in der Nähe der Auslandsgrenze (7 im Reg.-Bez. 
Oppeln, 1 im Reg.-Bez. Breslau, 4 im Reg.-Aachen und 16 im Reg.-Bez. 
Düsseldorf (Kreise Kleve und München - Gladbach). In Bayern entfielen von den 
8 Pockentodesfälle 5 auf die uumittelbar an der österreichischen Grenze gelege¬ 
nen Bezirksämter; in Sachsen von 7 Sterbefäilen 6; die in Baden votgukommenen 
Todesfälle (3) betrafen den hart an der Grenze der Schweiz liegenden Kreis 
Lörrach; in Bremen (3 Fälle) war die Krankheit durch ein aus Böhmen zuge- 
zogenes Mädchen eingeschleppt. 

Dem Geschlcchte nach waren von den Verstorbenen 34 männlich und 
24 weiblich; dem Alter nach: 

unter 2 Jahre alt: 15, davon nngeimpft: 15. 
iibcr2—12 „ „ 9, „ „ 7, (bei 2 Geimpften Todesursache 

fraglich.) 

., 15—30 „ „ 4, (Impfzustand nicht genau bekannt; die Ver¬ 

storbenen waren sämmtlich eingewandert). 

„30—82 „ „ 30, „ (Impfznstand nicht genau bekannt). 

Daraus ergiebt sich, dass ein unzweifelhafter Todesfall an den 
echten Pocken bei einem vorschriftsmässig geimpften Ange¬ 
hörigen des Deutschen Reiches im Alter von 2—30 Jahren nicht 
festgestellt ist. In dem Quinqnennium 1886—1890 sind jährlich durch¬ 
schnittlich an Pocken gestorben von je 100000 Lebenden der Altersklasse vom 
1.—2. Lebensjahre: 2,2; vom 2.—50. Lebensjahre: 0,16 und über 50. Lebens¬ 
jahre 0,3 Personen. 

Vergleicht man die Pockensterblicbkeit im Deutschen Reiche pro 181>0 
mit derjenigen in anderen europäischen Staaten, so ergiebt sich dass von 100000 
Lebenden in den grösseren Städten 

des Deutschen Reiches (229 Städte) 0,26 Personen 
Oesterreichs (57 „ ) 15,7 „ 

Ungarns (12 „ ) 3,3 „ 

Belgiens (69 „) 11,04 „ 

Frankreichs (93 „ ) 14,7 „ 

Englands (28 „ ) 0,1 „ 

Italiens (69 „ ) 25,2 „ 

der Schweiz (15 „ ) 2,2 „ 

gestorben sind. Die Pockensterblichkeit in den deutschen Städten wird somit 
übertroffen von denjenigen in den grösseren Städten der Schweiz um das 10 fache, 
Ungarns um das 13 fache, Belgiens um das 42 fache, Frankreichs um das 56 fache, 
Oesterreichs um das 60 fache und Italiens um das 97 fache. In den 4 Jahren 
1886—1889 starben durchschnittlich jährlich an Pocken: von 100000 Lebenden 
in Deutschland: 0,35, in Schweden 0,09, in Niederlanden 0,57, in England 1,62, 
in der Schweiz 1,85, in Belgien 16,4, in Ru.s.slaud 23,1, in Oesterreich 47,1, in 
Italien .53,6, in Spanien 96,3 Personen. 



Kleinere Hittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


.317 


AmtUohe Aasweise ttber die Zahl der Pockenerkrankungen im 
Jahre 1890 liegen wiederum nar ans s&mmtlichen nicht preussischen Bandes¬ 
staaten (24) Tor. Darnach sind die Pocken nur in 9 Bnndesstaaten anfgetreten 
and im Ganzen 140 Personen daran erkrankt (in Bayern 42, Sachsen 25, 
Württemberg 3, Baden 20, Braanschweig 1, Lübeck 2, Bremen 18, Hamburg 1, 
Eisass-Lothringen 28). Bei allen Erkrankungen Hess sich eine Ein¬ 
schleppung der Pocken aus dem Aaslande nachweisen: ein grosser 
Theil der Erkrankungen betraf überhaupt Personen, die nicht zu den Bewohnera 
des Deutschen Reiches gehörten. 

Soweit genaue Angaben vorliegen waren von den Erkrankten im Alter: 


alt: 

davon leichterkrankt: 

schwer erkrankt: 

' gestorben: 

bis 2 Jahre 8 

2 = 25,0“/« 

3 = 37,5 f-/« 

3 = 37,5«/, 

von 2—10 „ 

15 

8 = 53,.4 „ 

3 = 21,0 , 

4 = 26,7 „ 

. 11-20 , 

14 

11 = 7S.7 , 

2 = 14,2 „ 

1 =- 7.1 n 

, 21-30 , 

16 

10 = 62,5 „ 

6 37,5 „ 

0 = 0 „ 

„ 31—10 „ 

25 

19 = 76,0 „ 

3 = 12,0 „ 

3 12,0 „ 

, 41-50 „ 

12 

8 = 66,6 „ 

2 = 16,7 , 

2 = 16,7 „ 

, 51-60 , 

31 

10 32,2 „ 

15 ^ 48,4 , 

6 = 19,4 , 

Zusammen: 

121 

68 = 56,2 „ 

34 = 28,1 „ 

19 = 15,7 „ 


Von den Erkrankten waren überhaupt ungeimpft 22, nur einmal geimpft 
91 und wiedergeimpft nur 8 Personen. Die schweren Erkrankungen und die 
grösste Zahl der Todesfälle betrafen somit hauptsächlich nngeimpfte Kinder im 
Alter unter 2 Jahren oder Uber 60 Jahre alte Personen. Bei wiedergeimpf¬ 
ten Personen war der Verlauf der Erkrankung stets ein leichter. 

Rpd. 

Zur Prostitutionsfrage. \'uii Dr. A. B1 u s c h k u. Berliner Klinische 
Wochenschrift 1892, Nr. 18. 

In einem am 30. März 1892 in der Berliner medizinischen Gesellschaft ge¬ 
haltenen Vortrag stellt Bla sch ko folgende Thesen auf; 

1. Zwangsweise Kasernirung der Prostitution ist vom hygienischen Stand¬ 
punkte aus zu verwerfen; fakultative Bordelle sind für die Sjphilisprophylaxc 
belanglos. 

2. Die sittenpolizeiliche Ueberwachung der Prostitution ist in eine rein 
sanitätspolizeilicbe umzuwandeln. 

3. Diese Ueberwachung kann sich nur auf die wirklich gewerbsmässig 
betriebene Prostitution beschränken. Die Angaben über Ausbreitung und Ge¬ 
fährlichkeit der sogen, geheimen Prostitution sind übertrieben. 

4. Die Untersuchnngeu der Prostitnirten sind mindestens 2 Mal wöchent¬ 
lich auszuführen, füy jede Untersuchung muss ein Zeitraum von mindestens 
3 Minuten gewährt sein. 

5. Die Untersuchungen sind in die Krankenhäuser zu verlegen; in den 
Polizeigebäuden hat nur die Untersuchung der 8istirten stattzufindeu. 

6. Mit der Untersuchung ist eine unentgeltliche ambulante Behandlung 
zu verbinden für die Fälle, welche einer HospiUlbehandlung nicht bedürfen, ins¬ 
besondere die Nachbehandlung der ans den Krankenhäusern Entlassenen. 

7. Es ist für eine ausreichende Hospitalbehandluug der venerischen 
Prostitnirten Sorge zu tragen. 

8. Die sanitäre Ueberwachung der Prostitution ist allein nicht im 
Stande, die venerischen Krankheiten wirksam zu bekämpfen, mit derselben ist 
zu verbinden; 

a. der Fortfall aller gesetzlichen und aussergesetzlichen Beschränkungen 
zu Ungunsten der Geschlechtskranken, wie sic z. B. in dem Krankenkassengesetz, 
der Gesindeordnung, der Seemannsordnung, in den Statuten von Privatkranken¬ 
kassen etc. zur Zeit noch bestehen. 

b. Die Gleichstellung der venerisch Kranken mit allen übrigen Kranken 
bezüglich der Aufnahme, Verpflegung und Behandlung in den Hospitälern. — 
Fortfall aller nicht durch sanitäre Rücksichten gebotenen Beschränkungen. 

c. Vermehrung der für Gc-schlechtskranke bestimmten Betteuzahl, sowie 
Schaffung von öfl'entlichen Ambulatorien in Verbindung mit den Krankenhäusern 
und unentgeltliche Behandlung und Arzneiabgabe für Venerische. 

d. Aufklärung namentlich der heranwachsenden Bevölkerung über Natur, 



Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 


;^18 


Gefahren und Verbreitungsweise der Geschlechtskrankheiten — am besten im 
Anschluss an bestehende Institutionen, wie Krankenkassen, militärische In¬ 
struktionen etc. Dr. DOtschke-Aurich. 

Den von B1 a s c b k o anfgestellten Grundsätzen gegenüber mögen die nach¬ 
stehenden von der Kommission der Aerztekammcr der Provinz Branden¬ 
burg aufgestellten und in der am 18. Hai d. J. stattgehabten Sitzung der 
Aerztekammer unverändert angenommenen Thesen über die Prophylaxe der 
Syphilis gleichfalls hier erwähnt werden: 

1. Die häufige sachverständige Untersuchung der Prostituirten ist ein 
wirksames Mittel, um die Verbreitung der venerischen Krankheiten zu verringern. 
Es liegt deshalb eine solche im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege. 
Von diesem Gesichtspunkte aus wird diejenige Art und Weise der staatlichen Be¬ 
aufsichtigung der Prostituirten für die beste erachtet, welche die ärztlichen 
Untersuchungen in regelmässiger Zeitfolge mit möglichst kurzen Intervallen am 
meisten sichert. Es ist deshalb] in der Bestimmung des §. 1 des Gesetzentwurfs 
über die Abänderung des Strafgesetzbuchs n. s. w. *) in Bezug auf die Vermie- 
thung von Wohnungen an Weibspersonen einen Fortschritt der Gesetzgebung 
zu ersehen, da derselbe es ermöglicht, den örtlichen Verhältnissen entsprechende 
Vorschriften zu erlassen, durch welche die ärztliche Untersuchung gesichert wird. 
Boi dem vorhandenen sanitären Interesse an solchen Vorschriften ist es wünschens- 
werth, dass dieselben vor dem Erlass bindender Verordnungen den betreffenden 
Aerztekammem zur Aenssernng mitgetheilt werden. 

2. Es ist auf eine möglichst rasche und gründliche Heilung der vene¬ 
rischen Kranken hinzuwirken. Alle gesetzlichen oder statutarischen Be¬ 
stimmungen, wie sie z. B. im Krankenkassengesetz, der Gesindeordnung, der 
Seemannsordnung u. s. w. bestehen, sollten im Interesse einer baldigen und 
gründlichen ärztlichen Behandlung der Kranken beseitigt werden. 

3. Es ist wünschenswertb, dass solchen Personen, die sich nicht gewerbs¬ 
mässig der Prostitution ergeben und die an Syphilis oder Gonorrhoe erkrankt 
sind, eine Aufnahme injedemKrankenhause gewährt werde. Bestimmungen, 
welche die Aufnahme derselben erschweren, sind möglichst zu beseitigen. Die 
Prostituirten dagegen sollen der moralischen Gefahren wogen, die sic verbreiten, 
von den ersteren Personen getrennt untergebracht und niemals ungeheilt ent¬ 
lassen werden. 

4. Ausser durch Untersuchung der Prostituirten kann die Gefahr der Aus¬ 
breitung der venerischen Krankheiten durch Belehrung der Männer vermin¬ 
dert werden. Es ist desshalb für zweckmässig zu erachten, wenn Soldaten, 
Mitglieder der Krankenkassen u. s. w. über die Gefahren eines ansserehelichen 
Beischlafes belehrt werden. 

Ein weiterer Beitrag zur Lehre von der Infektiosität des Fleisches 
perlsüchtiger Rinder. Von Dr. Wilhelm Kästner in München. Münchener 
medizinische Wochenschrift, 1892, Nr. 20. 

Kästner hat bereits im Jahre 1889 eine Reihe Versuche mit dem 
Fleische hochgradig perlsüchtiger Kinder angestellt und zwar in der Weise, dass 
er dasselbe unter aseptischen Kautelen auspresste und den erhaltenen Fleisch¬ 
saft in die Bauchhöhle der Versuchsthiere einspritzte. Die damaligen Versuche 
fielen sämrotlich negativ ans, während Stein heil mit dem Fleischsaft von 
an hochgradiger Lungentuberkulose verstorbenen Menschen positive Erfolge 
erzielte. Kästner versuchte nun, diesen Gegensatz durch neue Versuche auf- 
znklären und benutzte hierzu Fleisch von solchen hochgradig porlsüchtigen 
Thieren, bei denen die Tuberkelknoten in den Lungen und in den übrigen 
Organen in Verkäsung und nicht in Verkalkung übergegangen waren, wie 
dies sonst beim Rinde üblich ist. Es wurden im Ganzen 12 Versuche mit dem 
Fleische von 7 verschiedenen Thieren angestellt: in 10 Fällen erwies 
die 9 Wochen nach der Infektion vorgenommene Sektion der 
Versuchsthiere ausgebreitete Tuberkulose nach, und nur in zwei 
Fällen, wo Fleisch eines mittelschweren perlsncbterkraukten Thieres benutzt 
war, fiel der Versuch negativ ans. Daraus geht hervor, dass eine Verschleppung 

S. Nr. 6, S. 145 der Zeitschrift. 



Bes])recbnugfn. 


319 


der Tuberkulose aus einem verkästen Gewebe in die Säftemasse unrerhältnissmässig 
leichter zu Stande kommt als von einem verkalkten Herde aus. Ebenso stellte 
Kästner bei seinen Versuchen fest, dass Organe, die vorher in einen Entzün- 
dnngsznstand versetzt waren, den Tuberkelbazillen oder deren Sporen viel 
leichter zugänglich waren als normale Organe; denn in allen Versuchen, bei denen 
das Peritoneum mit Ammoniak gereizt wurde, entwickelte sich die Tuberkulose 
viel heftiger als in den übrigen Fällen, und es wurden die Tuberkelbazillen von 
dem krauen Peritoneum früher anfgenommen und weiter geschleppt als von 
dem normalen. 

Auf Grund dieser neuen Versuche kommt Kästner zu dem Schluss, dass 
bei der Beurtheilung der Infektionsgefahr durch perlsüchtiges 
Fleisch das Hauptaugenmerk auf die pathologisch-anatomischen Ver¬ 
hältnisse zu richten sei und dass bei dem Vorhandensein verkäster Massen dem 
Tnberkelgifte Thür und Thor geöfihet sei, während bei völliger Verkalkung der 
tuberkulösen Prozesse die Gefahr einer Infektion sehr gering sein dürfte. Bei 
der Fleischschau sei demnach von Fall zu Fall zu entscheiden, ob eine Infek¬ 
tionsgefahr vorhanden sei. Die unbedingte Ansschliessung perlsUchtiger Rinder 
vom Genüsse, wie solche der thierärztliche Kongress in Paris gefordert habe, 
geht nach Ansicht Kästner’s zu weit; andererseits scheint aber auch der 
jüngste preussische Ministerialerlass vom 26. März ds. J. über die Verwerthung 
des Fleisches perlsüchtiger Kühe nicht seinen Beifall zu finden, wenigstens 
weist er in einem Nachtrag darauf hin, dass die in diesem Erlasse ausgesprochene 
Ansicht, dass durch im grossen Massstabe Jahre lang fortgesetzte Versuclie 
„eine Uebertragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuss selbst mit Pcrlknoten 
behafteten Fleisches nicht erwiesen sei“ völlig irrthümlich sei. Abgesehen 
von seinen eignen, bereits im Jahre 1890 angestellten Versuchen habe auch 
Fort er in Amsterdam durch Impfung mit fein gehaktem Fleische tuberkulöser 
Binder in 7 Versuchsweisen 3mal = 43''/„ positive Resultate erzielt. Aller¬ 
dings stammte in allen Fällen das Fleisch vun hochgradig erkrankten Schlacht- 
thieren, deren Fleisch nicht zum Verkaufe zugelasseu war; die von Kästner 
festgestellte Thatsache, dass im Entzündnngszustand versetzte Organe empfäng¬ 
licher zur Aufnahme des im tuberkulösen Fleische vorhandenen Tuberkelgiftes 
sind, macht aber die Annahme sehr wahrscheinlich, dass dies auch bei körperlich 
Geschwächten oder heriditär belasteten Personen der Fall sein dürfte. Zur Er¬ 
klärung der änsserst wichtigen Frage wäre es daher dringend wünschenswerth, 
durch Versuche mit kör]>erlich geschwächten Thieren (z. B. durch Hunger), deren 
etwaige grössere Empfänglichkeit für das Tuberkelgift festzustellen; würden 
diese Versuche ein positives Resultat liefern, so würde der vorgenannte Ministerial¬ 
erlass noch auf viel schwächeren Füssen stehen als dies schon jetzt der Fall ist. 

Rpd. 


Besprechungen. 

J. Feldhaus, Pharmazeutischer Assessor in Münster: Ergänzung 
„der Apotheker-Gesetze in Preussen“ nebst einem Schema 
eines Revisionsprotokolls. Münster i. Westf. 1892. Verlag der 
Coppenrath’schen Buch- u. Kunsthandlung. Gross 8“; 20 S. 

D>is vorgenannte Schriftchen bildet eine Ergänzung der in Nr. 11 der 
Zeitschrift, Jahrg. 1891, S. 326 besprochenen Zusammenstellung der gültigen Apo¬ 
theker-Gesetze des oben genannten Verfassers. Es enthält sämmtliche im 
Jahre 1891 auf dem Gebiete der Apotheker-Gesetzgebung erlassenen Verordnun¬ 
gen und bringt am Schluss ein Protokoll-Schema für Revisionen, dessen Werth 
allerdings dadurch beeinträchtigt wird, dass in Kurzem eine allgemeine mini¬ 
sterielle Vorschrift für das künftig anzuwendende Schema zu erwarten steht. 

Rpd. 

J. Wickereheimer, Präparator am I. anatomischen Institut der Königl. 
Universität in Berlin: Kurze Anleitung zur Verwendung 
der Wickersheimer’schen Flüssigkeit tür anatomische 



320 


Bcsprechongen. 


Präparate. Mit 3 Licbtdruckbildern. Berlin 1892. Verlag 
von Boas & Hesse. Klein 8®; 32 S. 

Mehrfache, dem Verfasser gegenüber ausgesprochene Klagen über die von 
ihm angegebene Konservimngsmethotle für anatomische Präparate, sowie der von 
verschiedener Seite geäusserte Verdacht, dass bei Veröffentlichung der Konser- 
vimngsflüssigkeit wichtige Einzelheiten verschwiegen worden seien, haben 
Wickersheimer veranlasst, in der vorliegenden Broschüre nochmals die 
genaue Vorschrift für jene Flüssigkeit zu geben und im Anschluss daran die 
von ihm befolgte Präparationsincthode eingehend zu schildern. Den Medizinal¬ 
beamten, die Werth darauf legen, Leichentheile, die entweder in pathologisch¬ 
anatomischer oder gerichtsärztlicher Hinsicht ein gewisses Interesse darbieten, 
längere Zeit aufzubewahren, kann die Wickersheimer’ sehe Anleitung drin¬ 
gend empfohlen werden. Bpd. 

Dr. Henry Mengen in Berlin, Medizinal - Assessor bei dem Königl. 
Medizinal - Kollegium der Provinz Brandenburg: Das trans¬ 
portable Baracken-Lazareth zu Tempelhof vom 1. Juli 
bis 31. Dezember 1891. Berlin; April 1892. Gedruckt 
auf Beschluss des Central-Komit^, der deutschen Vereine vom 
Rothen Kreuz. 4^*, 60 S. 

Das transportable Baracken-Lazareth zu Tempelhof war nach dem Aller¬ 
höchsten Wunsche Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin zu dem Zwecke 
errichtet worden, damit durch täglichen Gebrauch in einer Frist 5—6 Monaten 
die dauernde Gebrauchsfähigkeit der beim Wettbewerbe im Jahre 1889 prämiirten 
Lazareth - Gegenstände festgestellt wurde. Ueber die Erfolge und die Zw'eckmässig- 
keit der Baracken selbst, über ihre innere Einrichtung und den Betriebe sind bis 
ins kleinste Detail gehende Versuche angestellt worden, deren Resultate niclit 
nur für das Militärmedizinal wesen, sondern auch zum grossen Theile für die 
Barackenbehandlung in den Hospitälern von grosser Tragweite sind. Wir müssen 
es uns versagen auf alle Beobachtungen hier des Näheren einzugehen und 
empfehlen dafür die Lektüre des Berichts, der vom Verfasser als Delegirten des 
(,’entral - Komit6 der deutschen Vereine vom Kothen Kreuz mit nicht genug an¬ 
zuerkennender Sorgfalt erstattet ist, aufs Wärmste. Nur einiges, das älgc- 
meine hygienische Interesse beanspruchendes sei hier hervorgehoben. 

Das Barackeulazareth, das in dem Garten des Garnison - Lazareth II in 
Tempclhof errichtet war, stellte ein Reserve - Lazareth dar, bestehend aus 
6 Baracken, und zwar 3 (Nr. 1, II u. III) für Kranke zu je 16 Betten, wie je 
eine für Operationszimmer, Apotheke, Bade-Einrichtung, Tageraum für Pflegerinnen, 
(N. IV) für Geschäftszimmer für Aerzte. Beamte, Waschkammer, W’olmung für 
Pfleger (Nr. V) und für Küche, Speisekammer (Nr. VI). Sämmtliche Baracken waren 
nach Döcker’schem System und zwar theils Papp - Baracken, theils Doppel- 
Segeltuch-Baracken, wobei es sich nach dem sechsmonatlichen Gebrauch heraiu- 
stellte, dass jede der beiden Arten ihren eigenartigen Werth besitzt. Die 
Papp-Baracke hat eine bisher von keiner andern erreichte Gebrauchsdaner, lässt 
sich leicht desinflziren, ist besonders für Herbst und Winter geeignet; die Segel- 
tuchbaracke ist luftiger imd kühler, für Sommerzeit mehr geeignet, lässt sich 
nicht so leicht desinflziren, dafür aber viel schneller herstellen als die erstere. 

Bei den zahlreichen, mehrmals täglich angestcllten Temperaturmessnngen 
und den Versuchen über die zweckmässigste Art der Erwärmung hat sich als 
ganz vorzüglich der Lönholdt'sehe Stnrzflammenofen bewährt; er ist voll¬ 
kommen regnlirfähig, lässt eine Ersparniss an Brennmaterial zu, auch die An¬ 
wendung von minderwerthigern Heizmaterial (Torf) ist möglich, der Ranch wird 
vollständig verzehrt, Klagen Uber Russniederschläge sind dabei nicht vorge¬ 
kommen. (Vergl. auch dazu: Deutsche Vierteljahrssclirift für öffentliche Gesund¬ 
heits-Pflege. 23. Bd., 4. Heft, I. Hälfte 189i). 

Nachdem am 15. Dezember die Kranken wieder in die Abtheilungen 
zurückgebracht worden waren, wurde dem Pei'sonal der freiwilligen Kranken- 
l)flege, das mit aufopfernder Liebe während der 6 Monate Dienste geleistet 
hatte, die Aufgabe gestellt, die Baracken abzubrcchen, zu verladen und über 
Land zu transportiren. Auch diese Aufgabe, ist als gelöst zu betrachten; d. h 



Tnyesuadiriclitcli. 


321 

^tt'aii8|K)rtablu Uarackeu könncu auch von einom nii^rcUhtrn iV r^onal hoi aus¬ 
reichender schriftlicher oder mündlicher lufoniiation in einer zufriedenstellenden 
und brauchbaren Weise abgebrochen und wieder aufgestellt worden. 

Endlich soll zu erwähnen nicht vergessen werden, dass das (’entral- 
Komite die Beschaffung von 50 Stück Lagerungs- und 30 Stück Wirthschafts- 
Baracken nebst Zubehör und Einrichtung für die Summe von 400,000 M. be¬ 
schlossen hat, so dass bei Beginn eines Krieges 1000 geeignete Lagerstellen für 
Verwundete und Kranke zur Verfügung stehen würden. Damit aber das be¬ 
schaffte Material auch in der Friedenszeit nicht brach zu liegen braucht, ist die 
Verwendung der Baracken leihweise resp. gegen Katen - Zahlung empfohlen 
worden, u. a. zur Schaffung bezw. Erg«änzuiig kleiner Kreis-Krankenhäuser. 
Dies würde nach den Grundsätzen ertolgen, welche in dom Protokolle des Central- 
Komit6 vom 3. Dezember 1390 zu III niedergclegt sind und so ein humanes 
Werk in der Friedenszeit erfüllt werden, wodurch wieder Schaffenslust und 
Opforfreudigkeit auf allen Seiten lebendig würde. Dr. Israel-Medenan(Ostpr.) 


Tagesnachrichten. 

Am 8. d. M. hat boi Gelugunhcit des diesjälirigen L'hinirgca-Kongresses 
die feierliche Eröffnung des Langenbeck • Hanses, des ersten Vereinshnuses 
Deutscher Aerzte in der Reichshanptetadt, sfcittgofunden. 


Ueber die Ausbildung und Stellung der künftigen Nalirungs- 
mittelcheniiker hat sicli kürzlich Prof. Dr. König in Münster bei Eröffnung 
seiner Vorlesungen über Nabrungsinittelcheinie nud Hygiene au der dortigen 
Akademie geäussert. Darnach verlangt der in nächster Zeit zu erwartende, diese 
Angelegenheit regelnde Gesetzentwurf in Bezug auf die Vor- und Ausbildung 
der Nahrungsiuittclchcmiker: Das Maturum eines Gymnasiums oder einer Beal- 
schole I. Ordiinug und ein Stadium von 6 Semestern in den einschlägigen Fächern. 
Hierauf soll ein Examen stattfiuden, ähnlich dem Physikum der Aerzte, nach 
dessen Bestehen sich der Kandidat 1 '/j Semester praktisch an einem bestimmten 
Untersuchungsamte für Nahrungsmittel zu beschäftigen hat, ehe er das letzte 
Examen, das sogenannte Staatsexamen, ablcgen kann. 

üeber die Stellung der approbirteii Nahrangsmittelchemiker scheint 
man noch nicht völlig klar zu sein. Im Keiclisgesundheitsamte soll die Ansicht 
vorherrschen, sie entsprechend ihrer Vorbildung deu Krcispbysikcrn oder Medizinal- 
rätheu gleichzustelleu, unter Anweisung grosser Bezirke für ihre Thätigkeit und 
entsprechender staatlicher Unterhaltung. (Pharmazeutische Zeitung; Nr. 44.) 

Der von seiner Reise nach Gricclieuland wieder zuriiekgekehrte Prof. 
Dr. Löffler-Greifs Waid hat kürzlich in einer seiner Vorlesungen die Mit- 
theilung gemacht, dass seine Mission nach Griechenland ziuu Zweck der Ver¬ 
nichtang der dort massenhaft vorhandenen Feldmäuse mittelst des sogenannten 
Mäusetyphusbazills von dem glänzendsten Erfolge begleitet gewesen sei. Es ist 
dabei in der Wci.se verfahren, dass mit intizirter Flüssigkeit dnrehtränktes 
Brot feingeschuitteu auf die Felder vertheilt wurde; schon nach wenigen 
Tagen lagen die Mäuse haufenweise auf den Feldern umher. Jedenfalls ein nicht 
zu unterschätzender praktischer Erfolg der wissenschaftlichen Bakteriologie. 

Im Oesterreichiseben Abgeorductenhausc ist kürzlich (am 
18. Mai d. J.) auch die Frage einer gesetislichen Regelung de» Impfge- 
schäftes zur Erörterung gelangt. Der Ministerpräsident, Graf Ta affe, sprach 
sich als Leiter des Ministeriums des Innern daliin aus, dass er ln Anbetracht des 
evidenten Blattornschntzcs, den die allgemein geübte und sorgfältig durchge- 
führte Schatzpocken - Impfung nnd Revacciuation im Deutschen Reiche, in 
Schweden an<l anderen Staaten der Bevölkerung gewährt, sowie in Anbetracht 
des erfreulichen Erfolges der Revaccination für die K. und K. Armee und Kriegs¬ 
marine und in Anbetracht der nicht unbedeutenden Abnahme der Pockenerkrankongen 
und Sterbefälle in solchen Ländern der die.sseitigen Reichshälfte, in denen die 
Schatzpocken - Impfung seitens der Bevölkerung die ihr gebührende Berücksichti¬ 
gung erfährt, es für seine Pflicht halte, auf die möglichste Verallgemeinerung 
und Vervollkommnung des Impfwesens Unznwirken. Die Staatsregieruug habe 



‘M2 


Tay t;fiiiitcl i r ic 1 1 1 f n. 


in Folge desäcu bereits die Rovuccinatiun der Kinder vor dem Verlassen der 
Volksschule ermöglicht, und auch Vorkehrungen getroffen, dass jeder Zeit zuver¬ 
lässiger thierischer Impfstoff in einer staatlicheu Impfanstalt zu etwaigen Noth- 
prilfungen bei Blatternepidemien zur Verfügung stände. Bei allen zur Hebung 
des Impfwesens getroffenen und bcal)sichtigtcn Massnahmen gehe sie aber von 
der Ueberzeugung aus, dass eine allgemeine Betheiliguug der Bevölkerung an 
der Impfung zunächst nicht durch direkten Zwang, sondern durch möglichst voll¬ 
kommene Impfeinrichtungen anzustreben sei. Dahin gehöre, dass die Impfung 
in wohlgeordneter, tadelloser Weise mit durchaus verlässlichem und unschäd¬ 
lichem Impfstoffe durchgeführt, der Bevölkerung jede mögliche Erleichterung 
hinsichtlich der Betheiliguug an den öffentlichen Impfungen geboten und dass 
für eine wirksame Koutrole der vorschrittsmässigen Durchführung der Impfung 
seitens der politischen Behörden gesorgt werde. Sollte durch diese auf Orond 
der bereits bestehenden Impfvorschriften durchführbaren Massnahmen der er¬ 
strebte Erfolg nicht erreicht werden, so würde zum Zwecke der Erlangung 
weiterer Hülfsmittel ein zur Sicherung des allgemeinen Impfschutzes erforder¬ 
licher Gesetzentwurf demnächst eingebracht werden. 

(Das Ocsterrcichische Sanitätswesen, 1892 Nr. 21.) 

Amtsärztliche Atteste für Staatsbeamte. Dass die vom Kollegen 
Gleitsmann in Nr. 7 der Zeitschrift S. 137 mitgethciltc Entscheidung des 
Herrn Ministers der öffenGichen Arbeiten, betreffs des GebUhrenanspruchs der 
Medizinalbeamten bei Ausstellung amtsärztlicher Atteste für Staatsbeamte, nicht 
überall Nachahmung findet, lehrt folgender vom Kreisphysikns Dr. Gntsmutbs- 
Oenthin mitgetheilte Fall: 

Am 14. Januar wurde der genannte Kollege im Aufträge des Königlichen 
Landgerichtspräsidenten zu Magdeburg durch das Königl. Amtsgericht an seinem 
Wohnorte aufgefordert, einen Aktuar in Bezug auf seinen Geisteszustand zu 
beobachten und sich darüber gutachtlich zu änssem. Ausser einer gerichtlich 
erbetenen mündlichen Besprechung mit dem betreffenden Amtsrichter in dessen 
Dienstzimmer waren S Besuche bei dom Kranken erforderlich gewesen. In der 
Annahme, dass es sich in vorliegendem Falle nicht um ein „Befundattest“ im 
Sinne des Ministerialerlasses vom 16. Februar 1844, sondern um ein „Gutachten“ 
handelte, legte der Kollege Gntsmuths bei Absendung des schriftlicheu 
Gutachtens auch seine Liquidation bei, erhielt aber diese sehr bald mit dem 
Bemerken zurück, dass die Becbnnng nicht angewiesen werden könne, da die 
Medizinalbeamten nach dem vorgenannten Ministerialerlasse für die ihnen im 
Interesse des Dienstes von Staatsbehörden aufgegebenen Untersuchungen des 
Gesundheitszustandes Königlicher Beamten am Wohnorte des Medizinalbeamten 
Gebühren nicht beanspruchen können. 

Unter Beifügung des vom Kollegen Gleitsmann mitgetheilten Ministerial- 
Bescheides vom 81. Januar 1892 wandte sich nunmehr Dr. Gntsmuths be¬ 
schwerdeführend an den Königl. Oberlandgerichts - Präsidenten in Naumburg und 
führte in seiner Beschwerde aus, dass seine Thätigkeit etwas ganz anderes ge¬ 
wesen sei, als eine blosse Untersuchung und sein Gutachten eine weit bedeu¬ 
tendere Ajrbeit als „ein Befundattest“ darstelle. Die Beschwerde wurde jedoch 
unter dem 5. April d. J. von dem Königl. Oberlandesgerichts-Präsidenten unter 
Ignorirung des beigefttgten Ministerial - Erlasses als unbegründet zurückgewiesen: 
„weil die von den Medizinalbeamten geforderte Leistung sich als solche erweise, 
die von ihm nach dem Ministerial-Erlass vom 14. Februar 1844 unentgeltlich 
zu bewirken sei; denn das an ihn ergangene Ersuchen, den Aktuar in Bezug 
auf seine geistige Gesundheit zu beobachten, seinen geistigen Zustand zu er¬ 
forschen und festzustellen und sich hierüber gutachtlich zu äussern, gehe über 
die Anforderung der gedachten Ministerial-Verfügung insofern nicht heraus, als 
dasselbe eine „Untersuchung des (Gesundheitszustandes“ des genannten Beamten 
zum Gegenstand hatte und unter einem „Befundatteste“ im Sinne der Ministerial- 
Verfügfung nicht nothwendig ein Attest „ohne nähere gutachtliche Aeusserung“ 
zu verstehen sei“. 


Berichtigang : In dem Artikel in der vorigen Nummer „Gegen 
Herrn Stöcker“ inii.s.s e.s auf Seite 276, 10. Zeile von unten heissen: „der 
Vornui ud Schaft enthoben“ statt „wieder entmündigt“. 



Tages-Ordii. (lc.s X Haiiptvfrsuulinl. den Müdiziui\lbeiiniU*n-Vereiiis. IWIi 


Tages-Ordnung 

der 


am 5. und 6. September 1892 

zu 


im Langenbeck-Hause (Ziegelstrasse) 

stattfindenden 

X. Hauptversammlung 


des 


Preussisclien Hedizinallieainten-Vereins. 


Sonntag, den 4. September. 

8 nh.r Abends: Oesellige Vereinigmig zur Begrüssung bei 
Sedlmayr (Friedrichstrasse 172). 

Montag, den 5. September. 

0 Uhr Vormittags: Ente Sitning im Langenbeck-Hanse. 

1. EröfTnnng der Versammlang. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Die gegenwärtige Stellung der Medizinalbeamten. Herr Reg.- 

und Med.-Bath Dr. Peters in Bromberg und Herr Kreisphysikns 
Dr. Fielitz in Halle a./S. 

4. Anträge und Disknssionsgegenslände: 

a. Stellungnahme der Medizinalbeamten zu der Frage 
der Erweiterung der Disziplinarbefngnisse der Aerzte- 
kammern (Antrag des Vereins der Hedizinalbe- 
amten des Begiernngsbezirks Stettin). 

b. .Stellnngnahme der Medizinalbeamten zu dem Wunsche 
des Verbandes deutscher Bernfsgenossenschaften, be¬ 
treffend Bildung von Sachverständigen-Kollegien zur 
Abstattung von Obergntachten in Unfallsachen (An¬ 
trag des vorgenannten Vereins). 

c. Die Hnfeland’schen Stiftungen. (Antrag der Medi¬ 
zinalbeamten des Begiernngsbezirks Minden). 

5. Die Entwickelung der sanitätspolizeilichen Massnahmen in 

Prenssen gegen das Wochenbettfteber und ihre Wirksam¬ 
keit. Herr Bezirksphysikns Dr. Nesemann in Breslan. 

6. Vortrag des Herrn Professor Dr. Falk in Berlin: Thema Vor¬ 

behalten. 



324 TaffeH-Ordn. der X. Hauptversamnil. des Preuss. Medizinalbcainten-Vereins. 


4 Uhr Nachmittags : Festessen im „ K ii g l i s c h e n H a u s e“ 
(Huster) Molireiistrasse Nr. 49. 

9 Uhr Abends: Gesellige Vereinigiing bei Sedlmayr (Fried- 
riclistrasse 172). 

Dienstag, den 6. September. 

9 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung im Langenbeck-Hanse. 

1. Zur Lehre der Arsen Vergiftung. Herr Privatdozent imd gericht¬ 

licher Sfeidtphysikus Dr. Fr. Strass mann in Berlin. 

2. Unfall- und BriKdiscliaden. Herr Kreisphysikus Dr. Grisar in 

Trier. 

3. Die Fürsorge für geisteskranke »Strafgefangene. Hi-rr 

Dr. Le pp mau n, Arzt der Königl. Strafanstalt zu Moabit. 

4. V^orstandswahl; Bericht der Kassenrevisuren. 

ö. Die Vorschriften über die Abgabe starkwirkender Arz¬ 
neimittel n. s. w. Herr lieg.- ii. Mcd.-Rath Dr. Rapmund- 
hlindeu. 

6. Ueber mangelhaften Impfschutz. Herr Kreisphy.sikus Saiiitäts- 
rath Dr. Friedländer in Luuenburg. 

Nach Schluss der Sitzung: Besichtigungen. Das Nähere 
darüber wird am Sitzungstage mitgetheilt werden. 

9 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung bei Sedlmayr (Tried- 
richstrasse 172). 


Indem der Unterzeichnete Vorstand auf eine recht zahlreiche 
Betheiligung der Vereinsmitglieder, sowie auch derjenigen Kol¬ 
legen hofft, die dem Verein bisher noch nicht beigetreten sind, 
bittet er, etwaige Beitrittserklärungen, Anmeldungen zur Theil- 
nahme an der Versammlung oder sonstige Wünsche demnächst dem 
Schriftführer des Vereins gefälligst mittheilen zu wollen. 

Berlin, Ende Mai 1892. 


Der Yorstail ies FrmsisclieD leAmialWei-VereiDS. 


Dr. Kanzow, Vorsitzender, 

Regiernngs- u. Geh. Medizinal-Rath in 
Potsdam. 


Dr. Rapmund, Schriftführer, 

Regierungs- u. Medizinalrath in 
Minden. 


Dr. Schulz, Dr. Wallichs, 

Polizei-Stadtphysikus, Sanitätsratb uud Kreisphysikus u. Oeh. Sanitätsrath in 

Direktor de» Königl. Impf-Instituts in Altona. 

Berlin. 

Dr. Mittonzweig, 

Gerichtlicher Stadtpbysikus und Sanitätsrath in 
Berlin. 


VcraiUwörtlicher Hednkt.cnr: Dr. Rapmnnd, Reg.- n. Med.-Rath in Minden i. \V. 

J. C. C. Bruiii) BuehUmckerpi, Minden. 




6. Jahrg. 


Zeitschrift 

IVu- 


1892. 


MEDIZINALBEAMTE 

Hereusgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMÜND 

San.-Ralhu.gerichtl.Stadtphysikus in Berlin. und Aledizinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medixinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer's mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die dnrchlaufende Petitseile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlung and Rad. Ifosse 

entgegen. 


No. 13. 


Kneheint am 1. and 15. Jeden Monats. 
Preis J&hrlioh 10 Mark. 


1. Juli. 


Eine Stimme aue Oet-Preuseen. 

Beitrag zur Hygiene auf dem platten Lande. 

Von KreLsphysibus Dr. Salomon in Darkehmen. 

Würde mir die Aufgabe zufallen, eine Abhandlung über den 
Werth der Zeitschrift für Medizinalbeamte zu schreiben, welche in 
den nimmehi- vorliegenden 4 Bänden eine Fülle des praktisch 
Wichtigen und Interessanten gebracht hat, so würde ich mit ganz 
besonderem Nachdruck die bedeutende Anregung rühmend hervor¬ 
heben, welche auf dem Gebiete der Sanitätspolizei und Hygiene 
dem Praktiker durch das Blatt zu Theil geworden ist. Nicht 
die rein akademische Erörterung einschlägiger Fragen, nicht die 
Bekanntgebung schöner, wissenschaftlich bedeutender, auf hohem 
Kothurn stolzirender Thesen, Schlusssätze und Resolutionen ist es, 
was den Medizinalbeamten zu frischer, freudiger Tliätigkeit anregt, 
nicht die Lektüre der endlosen Jeremiaden über die Nothlage des 
ärztlichen Standes im Allgemeinen und der Medizinalbeamten im 
Besonderen, nicht der stete Weheruf über die Zerfalu-enheit der 
Medizinalgesetzgebung! Wohl ist es eine verdienstvolle Thätig- 
keit, unermüdlich und rastlos auf die Schäden und Gebrechen des 
Medizinalwesens liinzuweisen und mit nimmer wankendem „ceterum 
censeo“ immer wieder auf die allseitig erwünschte Reorganisation 
hinzudrängen, allein der Praktiker, der doch nun einmal unter den 
gegebenen Verhältnissen arbeiten muss, empfindet, wenn er sich 
mit dem Gedanken an die Unhaltbarkeit unserer Medizinalzustände 
zu intensiv beschäftigt, nur zu leicht einen lähmenden Einfluss auf 
seine Berafsfi’eiidigkeit. Und die bittere Empfindung von der Un¬ 
zulänglichkeit dessen, was er in kleinlichen und schwierigen Ver¬ 
hältnissen zu erreichen im Stande ist, wird wahrlicli nicht gemildert 
durcli den steten Hinweis auf das, was starre Theoretiker als Koii- 







gressredner in stolzeu Formeluals „absolute Erfordernisse“ 
liiiistelleu. Wie viel redliche, mühevolle Maniiesarbeit liegt oft in 
den Bestrebungen und Erfolgen Einzelner, die bei dem Blick aus 
der Vogelperspektive von dem hohen theoretischen Thurmseil herab 
kaum als ytaubkörnchen erscheinen, dem zu ebener Erde befind¬ 
lichen Praktiker aber als eitel Goldklumpen entgegenleuchten I 
Das Zeugniss solcher unter widrigen Umständen freudig geleiste¬ 
ten Arbeit, die Schilderung ihres praktischen Erfolges resp. Miss¬ 
erfolges und der daraus zu ziehenden Lehren, das ist es, was den 
selbst arbeitenden Medizinalbeamten anregt, aufmuntert und im 
richtigen Fahrwasser hält bei der Erstrebung des — thatsächlich 
EiTeichbaren! Wie oft, wenn mir meine amtliche Thätigkeit als 
ein Kampf gegen Windmühlenflügel erscheinen wollte und stumpfe 
Resignation mich zu erfassen drohte, hat mich die Lektüre der Zeit¬ 
schrift für Med.-Beamte aufgerüttelt. Und gerade durch diejenigen 
Abhandlungen bin ich am meisten angeregt worden, von denen ich 
das Gefühl habe, dass sie von vielen Kollegen als minderwerthig, 
vielleicht gar als überflüssig angesehen werden mögen, ich meine 
die SchildeiTingeu lokaler Verhältnisse. Einerseits habe ich aus 
der Vielgestaltigkeit der aus den verschiedensten Provinzen stam¬ 
menden Bilder die gewaltige Schwierigkeit einheitlicher legislato¬ 
rischer Regelung des Gesundheitswesens zu ermessen gelernt — 
ich bin bescheidener geworden in meinen Ansprüchen an die Me¬ 
dizinalgesetzgebung. Andererseits habe ich mich an dem Eifer 
und der Rastlosigkeit mancher Kollegen erfreut — ich bin fleissiger 
geworden und habe ihnen nachzueifeni gesucht. Schliesslich — 
was ich nicht zum Geringsten anschlage — habe ich an dem, was 
andere Kollegen in ungleich besseren, mir oft beneidenswerth er¬ 
schienenen Verhältnissen erreicht haben, erkannt, dass auch sie 
wie ich mit Wasser kochen. Das hat mir immer wieder Muth 
gegeben, immer wieder Frische verliehen. Und dafür hege ich 
(1er Zeitschrift für Medizinalbeamte und ihren thätigen Provinzial- 
Mitarbeitern warmen Dank. 

Um die grossen leitenden Gesichtspunkte für unsere amtliche 
Thätigkeit in sanitätspolizeilicher und hygienischer Beziehung sind 
wir nicht verlegen: Die in zahlreichen Spezialfächern überaus 
emsige Thätigkeit unserer Gelehrten sorgt dafüi'. Was wir zu 
erstreben haben, das wissen wir alle wohl ganz genau, aber um 
das „wie“ der Ausführung, da sind wir oft in grosser Verlegenheit. 
Die zielbewusste und fruchtbringende Uebertragung der Theorie 
auf die vielgestaltigen Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens er¬ 
fordert viel praktischen Sinn und Findigkeit, Eigenschaften, mit 
denen wir nicht alle in gleichem Maasse ausgerüstet sind. Wie 
manche gute Idee wird da durch Berichte und Schilderungen anderer 
Kollegen angeregt, wie mancher Missgriff verhütet, wie manche 
unnütze Arbeit erspart. 

„Oh diese Gemeinplätze“, „wie trivial“ ! So tönt es mir aus 
westlichen Kehlen in mein ostpreussisches Ohr, und manches über¬ 
legene Lächeln sehe ich auf Euren Gesichtern, liebe Kollegen aus 
besserer Gegend, aus denr Rlieinland, aus Hessen, aus dem nalu'- 



Eine Stimme ans Ost*Prensson. 


327 


haften Hannover, wo auf zwei Menschen ein Schwein kommt. *) 
Euer Lächeln soll mich nicht stören. Habt Ihr doch so gut lachen. 
Wie dicht gesät seid Ihr im Vergleich zu uns fast ausserhalb der 
Geogi’aphie liegenden Ostpreussen! Eine bequeme kurze Balm¬ 
fahrt bringt Euch in ärztliche Vereine und Versammlungen, bringt 
Euch in Verkehr mit Gleichgesinnten. Wir Armen in dem — 
wie Ihr Euch ausdrückt — „deutschen Sibirien“ haben nur einen 
ausschliesslich wissenschaftlichen Verein in der Provinzialhaupt¬ 
stadt und alljährlich dort einen Aerztetag; Zusammenkünfte der 
Medizinalbeamten kennen wir hier nicht. Bitte, gönnt mir also, 
liebe Kollegen aus dem Westen, meine Freude an den Lokalauf¬ 
sätzen der Zeitschrift für Medizinalbeamte! — Wenn ich nun im 
Folgenden nicht blos über östliche, sondern sogar über lokal ost- 
preussische Verhältnisse spreche, so weiss ich sehr wohl, dass ich 
Euch nichts Interessantes bringe. Ueberschlagt also, bitte, die 
nächsten Seiten. 

' Litthauer hat in seinen „Glosssen zum Volks-Seuchengesetz“ 
und in seinem Vortrage „zur Hygiene in kleinen Städten und auf 
dem platten Lande“ Verhältnisse geschildert, wie sie zwar auf 
einen grossen Theil Deutschlands in keiner Art zutrellen sollen 
(Laugerhans), wie sie aber im Gebiete ganzer grosser Provinzen 
und, wie ich hiermit der Wahrheit gemäss bescheinige, namentlich 
in Ostpreussen thatsächlich existiren. Die Bekämpfung der In¬ 
fektionskrankheiten hat daher hier ihre ganz besonderen Schwie¬ 
rigkeiten. 

1. Meldepflicht. Stereotyp wird von Kollegen anderer 
Pi’ovinzen, wohl mit Recht, das Hauptgewicht auf die Anzeige¬ 
pflicht der Aerzte gelegt. Hier kommt ihr nur eine untergeord¬ 
nete Bedeutung zu. Im hiesigen Kreise z. B. fungiren in einer 
auf ca. 14 Quadratmeilen vertheilten Bevölkerung von 34207 Ein¬ 
wohnern 3 Aerzte. Dass bei einer Vertheilung von fast 12000 
weit auseinander wohnenden Menschen auf je einen Arzt kaum 
Vs der vorhandenen Krankheiten zur ärztlichen Behandlung resp. 
Kognition kommt, bedarf keines Beweises. Die Einführung der 
Meldepflicht für Standesbeamte nach Litthauer’s Vorschlag, die 
anderwärts als „Kontrolapparat“ in Frage käme, wäre hier sicher¬ 
lich oft dazu angethan, das Bestehen einer Infektionskrankheit 
erst zu entdecken und „erste Fälle“ zur Kognition zu bringen. 
Denn die Kenntniss von der Verpflichtung der Haushaltungsvor¬ 
stände etc. zur Anzeige ist hier auf dem platten Lande kaum vor¬ 
handen. Und von den Gemeindevorständen darf man hierorts nicht 
viel verlangen; sind doch die ca. 31000 Landbewohner des Kreises 
in nicht weniger als 282 Ortschaften vertheilt. Wir haben 

11 Ortschaften mit je weniger als 10 Einwohnern 

10 „ mit je 10 —20 „ 

10 „ „ „ 20-30 

33 „ 17 r» 50 „ 

*) Ol’fiz.-Bericht Uber die 0. Hiuu>tver.-<ainmlnng des preuss. Med.-Beamten- 
Vereins 1891, S. 102. 



328 


Dr. Salomon. 


89 Ortschaften mit je weniger als 50—100 Einwohnern 
59 , , , 100-150 

33 „ „ „ 150-200 

24 „ „ „ 200-300 

11 „ „ , 300-400 

1 Ortschaft mit 400—500 „ 

1mm o9o m 


Geschlossene Dörfer sind Ausnahmen, die Regel ist, dass die 
ein „Dorf“ bildenden Grundstücke mitten auf den dazu gehörigen 
Ländereien „ausgebaut“ sind und auf weiten Distanzen zerstreut 
herumliegen. Es ist also ganz natürlich, dass der Gemeindevor- 
ständ bei solcher Diaspora von den Vorgängen auf den ihm unter¬ 
stellten Grundstücken meist nur langsame Kunde erhält. „Prompt 
wirkender Anzeigeapparat“ klingt sehr schön, ist aber für hiesige 
Verhältnisse nichts mehr, als ein frommer AVunsch. Dazu kommt, 
dass die Anzeigen der Gemeindevorstände, wenn sie nichts anderes^ 
bringen, als einzelne „Fälle“, bei den Akten des Landrathsamtes 
bleiben. Der Ortsvorstand wird unter Hinweis auf einen §. x, 
Nr. y alinea z zu energischer Thätigkeit angewiesen und hat 
binnen 8 oder 14 Tagen Bericht zu erstatten. Wenn dann lange 
genug berichtet ist, die Krankheit ihre Opfer ereilt hat und in 
dem betreffenden Ort erloschen ist, dann kommt das „repon. ad acta“ 
und in einiger Zeit wickelt sich derselbe Vorgang in einer ande¬ 
ren Gemeinde ab. Medizinalrath Peters sagt*): „Wir müssen 
verlangen, dass die Konstatirung der ansteckenden Krankheiten 
bei Menschen in derselben Weise erfolgt, wie beim Vieh, dass 
mithin die Ortspolizeibehörde nicht nur das Reclit, sondern auch die 
Pflicht hat, dem Physikus direkt die Anzeige zuzuschicken.“ Wäre 
es nicht möglich, dass solches durch die Regierungen im Wege 
der Polizeiverordnung durchgesetzt wüi’de? 

2. Massregeln zur Unterdrückung von Infektions¬ 
krankheiten. Wie kolossal selbstverständlich klingt der Satz 
Litthauer’s (1. c. S. 309) „zunächst muss dafür gesorgt werden, 
dass Privatpersonen und öffentliche Behörden die von dem beamte¬ 
ten Arzt bezw. den Organen der Sanitätspolizei vorgeschlagenen 
und begründeten Massnahmen wirklich ausführen“! Aber wie 
steht es denn mit der Ausführung? Um nicht in den ergötzlichen 
B^ehler jenes Kollegen zu verfallen, der begutachtet, dass die Des¬ 
infektion, wie sie in dem Regulativ vom 8. August 1835 für 
„Diphtherie“ vorgeschrieben sei, genüge (Bericht 1888 S. 74), 
unterziehe ich mich in jedem Falle der Mühe, die zu ergreifenden 
Massregeln zur Verliütung, Desinfektion etc. speziell anzugeben 
und jede Bezugnahme auf Bestimmungen und Paragraphen zu ver¬ 
meiden. Der Hinweis auf eine bestimmte Gesetzesstelle ist für 
den Gemeindevorstand allerdings sehr praktisch. Denn da¬ 
durch ist er in die Lage versetzt, seinem Bericht einen ebenso 
kurzen, als würdigen amtliclien Ausdruck zu verleihen: „Die Be- 


Oflic. Bericht über die (5, Hauptversuininluiif? dos iiren.ss. Medi/.iual- 
Beauiteii-Vereins 1888, S. 80 ff. 



Eine Stimme aus Ost-Preussen. 


329 


Stimmungen des §. x sind ausgeführt, Namen, Ortssiegel, Punktum.“ 
Woher soll er die Bestimmungen kennen, wo sie nachlesen P Seine 
Registratur besteht aus den letzten 3 Kreisblättern, dem Orts¬ 
siegel und einem defekten Federhalter (für einen grossen Theil 
unserer Gemeindevorsteher buchstäblich zu nehmen). 

Wenn nun auch bei dem angedeiiteten Modus der Ge¬ 
meindevorstand genaue Weisung erhält, was er zu thun hat, so 
bleibt doch die Frage, durch wen lässt er es ausführen? Die auf 
Isolirung bezügliclien Vorschriften sind unmöglich zu realisiren, 
da der gewöhnliche Mann für den Begriff der „Ansteckung“ nur 
ein mitleidiges Achselzucken übrig hat. Die Desinfektion wird 
oft genug irgend einer alten Frau übertragen, die mit etwas 
Schmutz Wasser und unter Vermeidung jeglichen Karbols alles nach 
ihren Begriffen sehr sauber macht. Damit ist die thatsächliche 
Unterlage für einen sachgemässen Bericht geschaffen, „die Sache“ 
wird „aktenniässig“ und ist erledigt. Die Herren Kollegen ande¬ 
rer Provinzen haben — oh, wie beneidenswerth — Desinfektoren, 
geschulte Heildiener und dergl. zu ihrer Disposition. Wenn wir 
sie hätten, könnten wir sie nicht brauchen! Der Desinfektor 
müsste eventuell 3—4 Meilen weit geholt und wieder abgeschickt 
werden, und eine Kommune von 4—5 kleinen Besitzern müsste 
eventuell einen Betrag zahlen, dessen Nothwendigkeit und Höhe 
im Hinblick auf die den Leuten absolut gleichgültige Thatsache, 
dass einige Arbeiterkinder gestorben sind, ihrem Verständniss un¬ 
möglich nahe zu bringen wäre. Die sichere Folge wäre die sorg¬ 
fältige Verheimlichung weiterer Fälle. 

3. Wohnungen. Litthauer’s Schilderung von Woh¬ 
nungen der ärmeren Landbevölkerung ist, trotzdem sie aus einer 
anderen Provinz stammt, für Ostpreussen photographisch treu. 
Aber die Dungstätten, die der Jauche zugänglichen Brunnen, der 
Mangel an Aborten, die Schweineställe am Giebel der Häuser, die 
als Kartoffel- und Gemüsekeller dienenden Gruben unter den Betten 
u. V. a. m. sind meiner Ansicht nach noch nicht das Schlimmste, 
zumal diese Verhältnisse einer zwar langsamen, aber stetigen 
Besserung entgegengehen. Das gefährlichste ist das Verbleiben 
der Leichen in dem einzigen Wohnraum der Leute. Dass die 
armen Menschen hierbei nur der Noth gehorchen, nicht dem eige¬ 
nen Triebe, ist klar. Eine Abänderung dieses Uebelstandes (durch 
Einrichtung von Leichenkamraern) ist bei der Kleinheit der meisten 
unserer Kommunen vorläufig unmöglich. Dass aber grosse Gemein¬ 
den und namentlich reiche Güter nicht einen Raum zur Aufstellung 
von Leichen herrichten, das ist tief zu beklagen. Alle meine in 
Wort und Schrift (amtlichen Berichten) hierauf gerichteten Be¬ 
strebungen sind bis jetzt erfolglos geblieben. Ich gebe mir stets 
die denkbarste Mühe, grosse Besitzer, die ihre Leutewohnungen 
erneuern, zu überreden und zu überzeugen, dass sie eine Reserve¬ 
wohnung zur Isolirung infektiöser Kranker und zur interimistischen 
Benutzung für diejenigen Familien, bei welchen desinfizirt werden 
soll, haben müssten. Ich habe damit ebensowenig Gegenliebe ge¬ 
funden, wie Glauben mit meiner Behauptung, dass die Scheuss- 



330 


Dr. Siilomon. 


licbkeit und Menschenunwürdigkeit der Arbeiterwohnungen, die so 
vielfach in schreiendem Kontrast zu opulenten Pferde-, Vieh- und 
Schafställen stehen, die Auswanderung mit am meisten begünstigen. 

4. Keinlichkeit. Dass der oft haarsträubende Mangel an 
Reinlichkeit unserer Landleute nicht, wie man es oft aussprechen 
hört, ausschliesslich durch die Scheusslichkeit der Wohnungen be¬ 
dingt ist, sieht man in den Familien, wo Frauen längere Zeit in 
besseren Häusern Dienstmädchen gewesen sind und Reinlichkeit 
gelernt haben. Es ist zuweilen geradezu erstaunlich, wie rein¬ 
lich und sauber solche Frauen trotz aller Aermlichkeit ihre Häus¬ 
lichkeit zu halten und ihre Kinder zu erziehen im Stande sind. 
Umgekehrt ist man nicht selten frappirt, welche Unsauberkeit 
in so manchem schmucken und geräumigen Bauernhause zu finden 
ist. Während grosse, schöne Räume unbewohnt und unmöblirt da¬ 
stehen, ist die ganze Familie in dem kleinsten Zimmer zusammen¬ 
gepfercht, das als Wohn-, Schlaf- und Esszimmer gleichzeitig dient. 
Wie also die kläglichen Wohnungen Unreinlichkeit nicht unbedingt 
erzeugen, sondern nur begünstigen, so sind andererseits gute 
Wohnungen an sich noch durchaus kein unbedingtes Mittel da¬ 
gegen. Es kommt eben auf die Art der Benutzung an. 

Um der ersten Forderung aller Hygiene, wie überhaupt so 
namentlich aber auf dem Lande, „das Volk muss zur Reinlich¬ 
keit erzogen werden“ zu entsprechen, sind verschiedene Mittel 
vorgeschlagen worden. Roth (Litthauer’s Vortrag) will das 
Verständniss dafür in der Schule wecken und im späteren Leben 
durch geeignete Schriften befestigen. Die Schule ist ein sehr wich¬ 
tiger Faktor, der hoch anzuschlagen ist, leider bis jetzt aber der 
einzige, der überhaupt eine Wirkung entfaltet. Der günstige Ein¬ 
fluss der Schule auf das Kind wird nur zu leicht durch das üble 
Beispiel der Eltern zu Hause immer wieder paralysirt: und da nun 
einmal das, was dem Menschen aus dem Vaterhause anhaftet, das 
Bleibendste an ihm ist, so muss auch direkte Einwirkung auf die 
Eltern dringend erwünscht sein. Theoretische Belehrung durch 
Schriften etc. kann da nicht helfen, dazu gehört Anschauungs¬ 
unterricht, exempla doceut. 

Litthauer appellirt an die Frauen vereine, will sie erweitern 
und ihnen „neben ihrer sonstigen Thätigkeit die Aufgabe stellen, 
den Sinn für Reinlichkeit im Volke zu wecken und zu fördern“. 
Eine positive Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage „auf 
welchem Wege es zu ermöglichen wäre, dass der vaterländische 
Frauenverein die angedeuteten Bestrebungen in sein Programm 
aufnähme“, giebt Litthauer bisher nicht. 

Einen kleinen Beitrag zu dieser Frage soll die folgende Aus¬ 
einandersetzung geben, die. wie ich ausdrücklich betone, nur auf 
die Verhältnisse des platten Landes in Ostpreussen Rücksicht 
nimmt. 

Ich will gleich mit der Thür ins Haus fallen und erklären: 

Wir müssen eine grössere Zahl von gut geschul¬ 
ten Gemeindeschwestern zu unserer Disposition haben, 
sie müssen unsere ausftihrenden technischen Organe 



Eine Stimme aus Ost-Preussen. 


381 


sein, unsere Desinfektoren, unsere Pioniere imKampf 
gegen Krankheit und ünreinlichkeit! Mit einem sol¬ 
chen Stabe werden wir gegen viele Schäden auf dem 
Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege siegreicher 
zu Felde ziehen, als mit einem ganzen Heer todter Ge¬ 
setzesparagraphen und mit Belehrungen durch Wort 
und Schrift! 

Ich weiss sehr wohl, dass vielen Kollegen die „Schwestern“ 
in mancher Beziehung unsympathisch sind. Aber ebenso genau 
weiss ich, dass die absprechenden Urtheile nicht durchweg auf 
genauer Sachkenntniss beruhen. Manche Kollegen perhorresciren 
die Schwestern einer gewissen „Abgeschmacktheit“ wegen, weil 
sie in etwas pedantischer Weise das kirchliche Element zu viel 
hervorkehren und angeblich mehr singen und beten, wie nöthig 
ist. Ich will gern zugeben, dass hier und da eine Schwester in 
gedachter Eichtung etwas üebereifer an den Tag legt und auch 
ab und zu im Verkehr mit Aerzten mehr abstossend als anziehend 
sich gezeigt hat. Aber wo es sich nicht um einzelne Persönlich¬ 
keiten, sondern um Beurtheilung der ganzen Institution, des ganzen 
Standes handelt, da kann es nur wenige Kollegen geben, die nicht 
mit vollster Hochachtung und grösster Werthschätzung die hohen 
Verdienste der Schwesternverbände anerkennen. — Jetzt bereits, 
wo der vorwiegend kirchliche Zweck der in die Provinz entsende¬ 
ten Diakonissen und die Armenpflege im Vordergründe stehen, hat 
sich eine stetige Zunahme des Bedürfnisses nach solchen Schwestern 
gezeigt. Ich bin überzeugt, dass bei der Ausdehnung der 
Schwesternarbeit auf das Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege 
und bei offizieller Leitnng und Benutzung dieser Arbeit durch 
die Medizinalbeamten die Bedeutung der Schwestern in ungleich 
höherem Grade anerkannt werden und ihre Zahl in erheblich 
schnellerem Tempo zunehmen würde. 

Oft und gern habe ich diese Ansicht seit Jahren in kleine¬ 
rem Kreise ausgesprochen und allseitig begründet. Immer hatte 
ich gehofft, dass ähnliche Ideen von berufener Seite zum öffent¬ 
lichen Ausdruck resp. zur Ausführung kommen würden. Da es 
nicht der Fall ist, muss ich einige Motivirung hinzufügen. 

Bei der Erörterung dessen, was eine richtig geschulte 
Schwester in der von mir angedeuteten Richtung leisten könnte, 
müssen wir von ihrer Bedeutung als Ki’ankenpflegerin auf dem 
Lande ausgehen. Ein kleiner, höchst bemerkenswerther Aufsatz 
in der Probenummer der neu erschienenen „Zeitschrift für ärzt¬ 
liche Landpraxis“ (Dr. G. unterzeichnet) lässt der Schwester als 
Krankenpflegerin auf dem Lande vollste Würdigung zu Theil werden. 
Es wird sehr richtig behauptet, dass die Schwester auf dem Lande, 
wo bei grosser Voreingenommenheit der Bevölkerung ein absoluter 
Mangel an Verständniss für ärztliches Handeln besteht, der ärzt¬ 
lichen Thätigkeit erst den Weg bahnen wüi’de. Sie ist dem Publi¬ 
kum viel näher, verwandter, vermöge ihrer ganzen Bethätigung — 
z. B. der selbstlosen Uebernahme mancher niederen häuslichen 
Arbeiten, welche mit zur Krankenpflege gehören — viel verständ- 



332 


Dr. Salomoü. 


Heller, viel vertrauenerweckender als der Arzt. Sie wird das Ver¬ 
langen nach einem Arzt oft erst anregen und den Arzt oft gerade 
da stützen, wo das Publikum ihn wegen seiner modernen hygieni¬ 
schen Bestrebungen verlassen will. „Die Pflegerin wird zeigen, 
wie man ein Krankenzimmer herstellt, wie man Ueberflüssiges ent¬ 
fernt und das Nothwendige behält; sie wird zeigen, dass ein 
Krankenzimmer ohne jeden Nachtheil für den Kranken gelüftet 
und gewaschen werden kann. Sie wird das Bett des Kranken an 
die richtige Stelle bringen . . ., sie wird das Bett in regulärer 
Weise herrichten und wird zeigen, wie man einen Schwer¬ 
kranken lagert, hebt und umbettet. Man unterschätze doch ja die 
Bedeutung dieser Dienstleistungen nicht; sie sind bei sehr vielen 
akuten Kranklieiten, auf deren Verlauf wir wenig Einfluss haben, 
wichtiger als Medikamente. ... Es ist aber nicht die Meinung, 
dass die Pflegerin auf dem Lande alle diejenigen Arbeiten bei 
jedem einzelnen Krankheitsfall dauernd selbst vemchte, welche 
sich wiederholen und welche keine besondere Geschicklichkeit ver¬ 
langen ; vielmelir soll sie sich in vielen Fällen darauf beschränken, 
zu unterrichten, die vielen kleinen Handgriffe zu zeigen, 
mit welchen man einem Kranken ausserordentliche Qualen erleich¬ 
tern kann: sie soll vor allem belehrend und unterweisend 
auf die Umgebung des Kranken ein wirken.“ Bisher war die Ge¬ 
meindeschwester eine Pflegerin der Armen, nach meinen Wünschen 
soll sie eine Pflegerin der Kranken auf dem Lande sein, ohne 
Unterschied der Vermögensstellung, So lange die Schwester nur 
der Armenpflege dient, ist und bleibt sie bei den meist nur zu 
kärglichen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, selbst arm, denn 
Armen mit leeren Händen helfen zu sollen, ist ein armseliges Ge¬ 
schäft — die Speisung mit Gottes Wort allein lässt den Magen 
leer. Wenn die Schwester aber berufsmässig der Krankenpflege 
in allen Schichten der Landbevölkerung dient, dann ist sie reich, 
unendlich reich. Dann hat sie ein unerschöpfliches Vermögen, 
aus dem sie mit vollen Händen spenden darf, sich selbst zur hohen 
Befriedigung und Freude, dem Publikum zu hohem Nutzen! Wie 
manches Menschenleben wird sie direkt oder indirekt retten, wie 
viele Menschen vor Verkrüppelung oder Siechthum bewahren 
können. Wer hat als langjähiüger Landarzt nicht die Erfahrung 
gemacht, dass man weit mehr lange, weite Fahrten macht zu em¬ 
pfindlichen Kranken, die recht laut zu klagen verstehen, als zu 
solchen, denen Hülfe dringend Noth thut, die aber still dulden. 
Wie oft bringt man einen halben Tag hin mit der Fahrt zu einer 
sterben wollenden Hysterica im klimakterischen Alter und findet 
dabei nur ganz zufällig hier ein Kind mit schwerer Kerato-Iritis, 
dort eins mit Gelenkkontrakturen, Patienten, deren Behandlung 
gar nicht gewünscht wurde. Ich behaupte, die zeitige Heran¬ 
ziehung vieler Ki’ankheitsfälle zur ärztlichen Behandlung, die nicht 
behandelt zu Siechthum, Verkrüppelung und Arbeitsunfähigkeit 
führen müssen, würde den Schwestern auf dem platten Lande für 
sich allein schon eine hohe Bedeutung sichern. Dass sie umge¬ 
kehrt den Aerzten manche unnütze Fahrt sparen würden, indem 



Eine Stiuime aus Ost-Preusscn. 


333 


sie dem maugelndeii Urtheil der Leute durch Temperaturmessungen 
und andere ihnen bekannten Untersuchungen zu Hülfe kommen 
und oft ein vorübergehendes gefalirloses Unwohlsein konstatiren, 
wo vom Publikum die höchste Gefahr angenommen wurde, ist klar. 
Wie anders würde sich die Behandlung mancher schweren Fälle 
auf dem Lande gestalten, wenn man in der Lage wäre, sie durch 
eine Schwester regelmässig besuchen oder gar warten zu lassen, 
wie viel zuverlässiger würden die Berichte lauten, wieviel sach- 
gemässer könnte die Therapie sein! 

Fassen wir weiter die Wirksamkeit der Schwestern bei In- 
fektionski’ankheiten in’s Auge, so muss ich in erster Linie betonen, 
dass unter den hiesigen Verhältnissen der Physikus in den meisten 
Fällen durch die Schwestern die ersten Nachrichten von infek¬ 
tiösen Fällen erhalten würde. In vielen entlegenen, vom Arzt drei 
Meilen weit entfernten Orten kommt es fast nie zu ärztlicher 
Konstatirung, und eine Anzeige beim Landrathsamt erfolgt sicher 
erst, wenn eine wirkliche Endemie eintritt. Hätten wir eine 
grössere Zahl von richtig instruirten Gemeindeschwestern, etwa 
in jedem Kirchspiel eine, dann würde das Meldewesen ein mög¬ 
lichst zuverlässiges sein. Der Plij'sikus würde über die gesund¬ 
heitlichen Vorkommnisse in seinem Kreise so gut orientirt werden 
können, wie auf keine andere Art. 

Bei der für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten so 
wichtigen Isolining wäre der Schwesterndienst von sehr wesent¬ 
lichem Einfluss. Mit Hülfe der grossen Autorität und Volksthüm- 
lichkeit, welche sie den gewöhnlichen Leuten gegenüber haben, 
würde es ihrer Aufsicht und ihrer wohlmeinenden Belehrung zehn¬ 
mal leichter gelingen, die verschlungenen Pfade, auf denen die 
Krankheitskeime verschleppt werden, zu sperren, als allen noch 
so strikten behördlichen Anordnungen, für deren Kontrolining und 
wirksame Dui-chführung einfach die entsprechenden Organe fehlen. 
Wenn der Physikus das Hecht hat, beim Auftreten einer Infektions¬ 
krankheit mehrere Schwestern aus andern Theilen des Kreises an 
den Infektionsheerd zusammenzuziehen und ihnen nach eingehen¬ 
der Instruktion die wichtigsten Funktionen zu übertragen, dann 
wird sein Vorgehen gegen die Krankheit nicht wie bisher so oft 
ein Gefecht mit Papier und Tinte, sondern ein wirklicher und zwar 
siegreicher Kampf sein. 

Die detaillirte Schilderung der Einzelarbeit, die die Schwestern 
in solchen Fällen zu leisten hätten, erscheint mir überflüssig, da¬ 
gegen der Besprechung werth ihre Thätigkeit bei der Desinfektion. 
Als sehr wichtiger Theil einer solchen muss es angesehen werden, 
dass bei der Ueberwachung durch Schwestern schon während der 
Krankheit eine möglichste Unschädlichmachung der von den Kran¬ 
ken produzirten Infektionsstoffe erfolgen könnte und würde. Bei 
der nach erfolgter Genesung anzuordnenden Desinfektion der 
Effekten und der Wohnung würde der Einfluss der Schwestern 
ein geradezu unersetzlicher sein. Wer bestimmt, wenn jetzt eine 
Desinfektion angeordnet wird, welche Sachen zu desinfiziren sind? 
Der Physikus, der Amtsvorsteher, der Amtsbote oder der Gemeinde- 



334 


Dr. Salomon. 


Vorsteher? Nach welchen Prinzipien werden die zu desinfizirenden 
Kleidungs- und Wäschegegeiistände ausgewählt? Weiss der Be- 
trefifende, der die Anordnungen giebt, welche Sachen besonders 
i^fizirt sind? In praxi gestaltet sich die Sache so, dass die Aus¬ 
wahl von der Hausfrau besorgt wird. Sie giebt nicht die am 
meisten infizirten, sondern nur die schlechtesten Sachen, weil sie 
Beschädigung fürchtet. Hier hätte die Schwester einzutreten. 
W i e zu desinflziren wäre, darüber würden die lokalen Verhält¬ 
nisse entscheiden. Was irgend gekocht werden kann, kommt in 
den Kessel; was darunter leidet, wird mit Dampf desinfizii-t, ent¬ 
weder in der improvisirten — auf den Kessel gesetzten und mit 
Lehm verstrichenen— Tonne, oder im transportablen Desinfektions¬ 
apparat oder (in festen Säcken verschnürt und in die Kreisstadt 
geschickt) in der Kreisdesinfektionsanstalt.*) 

Die Desinfektion der Wohnungen würde ebenfalls Sache der 
Schwestern sein, natüi’lich nicht die Ausführung der groben Arbeit, 
sondern nur deren richtige Leitung und Ueberwachung. Die Kon- 
trole unserer Polizeiorgane (Amtsdiener, Gemeindevorsteher) ist 
vollkommen illusorisch, weil zu einer wirksamen Desinfektion — 
namentlich unter so schwierigen Verhältnissen, wie in den Woh¬ 
nungen armer Landleute — wirkliches Verständniss und genau 
überlegtes Handeln gehört. 

Sollen die Gemeindeschwestern nun die angegebene Thätig- 
keit wirklich zielbewusst entfalten können, so müssen sie unter 
einheitlicher Leitung und Kontrole stehen und eine gewisse offiziell 
anerkannte Stellung mit dem erforderlichen behördlichen Rückhalt 
haben. Ein solcher würde sich von selbst ergeben, wenn es bei 
sanitätspolizeilichen Massnahmen der Medizinalbeamten und des 
Landrathsamts in den an Amtsvorstelier und Ortsvorstände zu er¬ 
lassenden Verfügungen stets heissen würde: „die und die Mass¬ 
nahmen sind durch die Gemeindeschw^ester zur Ausführung zu 
bringen“. Damit würden die Schwestern sehr bald aus ihrer rein 
privaten und kirchendienstlichen Stellung in die melir offizielle 
Stellung von Sanitätsunterbeamten gelangen. 

Es bedarf kaum eines Hinweises darauf, dass zur zweck¬ 
mässigen Ausgestaltung einer derartigen Organisation anfangs 
manche regulirende Thätigkeit der Mediziualbeamten erforderlich 
sein würde. Manche praktische Schwierigkeit, manche Kollision 
würde auszugleichen sein. Aber ich bin überzeugt, dass diejenigen 
Medizinalbeamten, welche mit voller Lust und Liebe zur Sache 
sich Organisationen in der angedeuteten Weise schaffen, das höchste 
Maass dessen leisten würden, was unter den hiesigen örtlichen 
Verhältnissen und bei der heutigen Gesetzgebung überhaupt er¬ 
reichbar ist. 

Ferner bin ich überzeugt, dass die bedeutungsvolle Erweite¬ 
rung der Aufgaben, denen sich der Diakonissendienst widmet, nur 
in hohem Grade befruchtend auf die ganze Institution der Schwestem- 
verbände wirken kann. Denn die überall gern gesehene und ge- 


♦) Dass jeder Kreis über eine solche unbedingt verfügen wird, ist nur 
eine Frage der Zeit. 



Eine Stimme aim Ost-Frciisscn. 


336 


suchte Ki'aiikenpflegerin und Schützerin vor mörderischer Infektions¬ 
krankheit wird weit eher ihre hohe Kulturmission als Lehrerin 
und Erzieherin des Volkes erfüllen, als die blosse Armeupflegerin. 
Und weil ihre Thätigkeit so eine weit allgemeinere und ihi*e Be- 
rülirung mit den verschiedenen Bevölkerungsschichten eine weit 
innigere sein würde, hätte sie auch weit mehr Gelegenheit, den 
Sinn für Reinlichkeit und gesundheitsmässige Herrichtung und 
Benutzung der Wohnungen zu verbreiten. Und würde die impo- 
nirend selbstlose Thätigkeit der Schwestern bei Armen und 
Aermsten ebenso wie bei besser gestellten Leuten nicht wesent¬ 
lich ausgleichend und mildernd auf die gespannten Verhältrisse 
zwischen Reich und Arm wii-ken ? Gerade wir hier in Ostpreussen 
brauchen angesichts der stetig zunehmenden Unzufriedenheit und 
Auswanderung unserer ländlichen Bevölkerung solche auch dem 
Ungebildetsten verständliche Thätigkeit in ausgedehntestem Masse! 
Und wie viele gebildetere Mädchen aus guten Familien, die als 
bemitleidenswertiie Stellensucherinnen in hellen Schaaren zusam¬ 
menströmen, wenn durch irgend eine Annonce eine „Gesellschafterin“ 
oder „Stütze der Hausfi-au“ gesucht wird, würden in der Thätig¬ 
keit, wie ich sie angedeutet, eine unabhängige, in hohem Grade 
befriedigende und dabei gesicherte und hochgeachtete Stellung 
finden können! „Hier ist noch ein Gebiet, in welchem die Frau 
ihre natürlichen Anlagen ausnutzend, in hohem Masse Kulturträ¬ 
gerin sein kann; das ist die nächstliegende Aufgabe für diejenigen 
Frauen, welche in Emanzipationsbestrebungen das Heil der Zu¬ 
kunft sehen“ (Dr. G. 1. c.). 

Doch genug der Motivirung! Es bleibt nur noch die Frage, 
aut welchem Wege wir die Anstellung der Gemeindeschwestern 
erreichen können. Sollen wir sie vom Staat erbitten, von der 
Provinz, vom Kreise? Nein, wir würden kaum etwas erreichen! 
In erster Linie müssen wir die Bestrebungen aller derjenigen Or¬ 
gane, welche ebenfalls die Einführung von Gemeindeschwestern 
in kirchlichem, sozialem oder reinem Wohlthätigkeitsinteresse, mit 
einem Wort zur Bethätigung praktischen Christenthums erstreben, 
nach jeder Richtung hin zu fordern suchen. Wir können in dieser 
Beziehung sehr Wesentliches thun. Gerade in unseren landwirth- 
schaftlichen Kreisen ist eine oppositionelle Stellung gegenüber der 
auf den Synoden angeregten Gemeindepflege vorherrschend, weil 
bisher das Hauptgewicht auf die Armenpflege gelegt wurde. Wer 
wollte es den durch die vielen neuen humanen Gesetze stark be¬ 
lasteten landwirthschaftlichen Arbeitgebern verdenken, wenn sie 
erklären, dass für Unterstützung und Besserstellung der armen 
Arbeiter nachgerade mehr geschähe, als mit der Rentabilität ihrer 
Wirthschaften vereinbar sei? Es ist zu viel verlangt, wenn sie 
aus ihrer Tasche noch Organe unterhalten sollen, welche direkt 
und indirekt zur Tragung neuer Lasten berufsmässig sie veran¬ 
lassen sollen. Wenn wir aber als Hausärzte und Freunde die in 
Gemeindevertretungen, Synoden u. s. w. thätigen Besitzer davon 
überzeugen können, dass die Schwestern nicht Bet- und Armen¬ 
schwestern sein, sondern in den Dienst der Krankenpflege treten 



336 


Dr. Röhring: Zur Kasuistik der Halswirbel - Brilche. 


und in diesem Wohlthaten allen Landbewohnern, also auch eveiit. 
ihnen selbst erweisen sollen, dann werden die Bedenken schwinden 
und wir werden der Einführung der Schwestern den Weg ebnen. 
Ferner müssen wir durch Wort und Schrift die Bestrebungen der 
verschiedenen Korporationen, denen eine zweckmässige und wirk¬ 
same Beeinflussung der unteren ländlichen Bevölkerungsschichten 
aus den verschiedensten humanen Eücksichten am Herzen liegt, 
in dem einen Brennpunkt der Einführung von Gemeindeschwesteiii 
zu vereinigen suchen. Die Gemeindeschwester kann umsomehr 
leisten, je vielseitiger sie ist, sie kann in erziehlicher, sozialer, 
humaner und hygienischer Richtung zugleich wirken. 

Wollten wir uns aber nur in allgemeinen Empfehlungen und 
Anregungen ergehen, so würde die Einführung der Gemeinde¬ 
schwestern in solcher Anzahl, wie wir sie zur Erfüllung der be¬ 
sprochenen Aufgaben brauchen, vielleicht noch länger dauern, als 
die so vielfach angeregte MedizinaReform, und bald würde man 
uns entgegenrufen: 

„Der Worte sind genug gewechselt. 

Lasst uns auch endlich Thaten seh’n.“ 

Konzentrirung der disponiblen Schwestern auf 
einzelne kleinere und desshalb übersichtliche Kreise 
mit Kollegen, die sich der Sache mit Hingebung und 
Eifer widmen wollen, das muss unser nächstes Ziel 
sein! Dann werden die „Thaten“ nicht ausbleiben und wir wer¬ 
den mit werthvollen Erfahrungen und Thatsachen in’s Feld ziehen 
können, wo wir jetzt nur Meinungen und Ansichten bringen. Ich 
will meine Kraft nach Möglichkeit zur Erreichung dieses nächsten 
Zieles einsetzen. Wer hilft mit? 


Zur Kasuistik der Halswirbel-Brüche. 

Von Oberstabsarzt Dr. Röhring - Erlangen. 

Im Hinblick auf die Mittheilung in Nr. 4 des 2. Jahrganges 
dieser Zeitschrift, erlaube ich mir nachstehenden Fall bekannt zu 
geben: 

Ein Soldat der hiesigen Garnison wollte sich in unerlaubter 
Weise in einem in der Nähe Erlangens befindlichen Flusse baden, 
sprang an einer ungefähr 1,30 m tiefen Stelle kopfüber in das 
Wasser und rannte hierbei mit dem Kopfe gegen einen Stein oder 
Pfahl. Als unmittelbare Folge dieser Verletzung waren sofort 
neben einer Quetschwunde der Weichtheile auf der Höhe des 
Scheitels in der Grösse eines Zweimarkstückes vollständige Läh¬ 
mung und Analgesie der unteren Körperhälfte bis zum Nabel, 
sowie partielle Lähmung der Muskulatur der oberen Gliedmassen 
nachzuweisen. Nach 2 Tagen unter den Erscheinungen hochgradi¬ 
ger Dyspnoe Exit. letal. 

Die Sektion (Dr. Zenker) ergab Folgendes: 

„Am Kopfe, auf der Höhe des Scheitels, ein ca. 3,5 cm langer, 2,5 cm 
breiter, nur die Cutis treffender Substanzverlust, dessen vordere Begrenzung 



Kleinere Mittheilimgen uiul Referate aus Zeitsc.hriftcu. 


337 


lappig erscheint, während die übrige Peripherie sich schnittförmig gestaltet; 
der rechte Rand theilweise lappig abgehoben. Das Periost, entsprechend der 
oben erwähnten Wunde, blutig siigillirt, ebenso die Weichtlieile in der Aus¬ 
dehnung der Fläche einer kleinen Hand. Schädeldach normal dick und schwer, 
sowie vollständig unversehrt; nirgends Briichrisse oder Knochensplitter. Nähte 
zum Theil verknöchert. Dura normal gespannt, unverletzt, sehr blutreich, be¬ 
sonders die Inneiidäche stark injizirt. lin 8in. sagit. flüssiges Blut. Die weichen 
Häute in ihrer ganzen Ausdehnung, namentlich aber in den liinteren Partieen, 
sehr stark venös iujizirt. Gcliirnsubstanz, sowie knöcherne Schädelbasis voll¬ 
kommen intakt. 

Die Haut der Nackengegend von kleinen, bläulichen Blutungen durchsetzt; 
diesen entsprechend die Weichtlieile stellenweise hämorrhagisch intiltrirt. 

Nach der Herausnahme und Aufsagung des Halstheiles der Wirbelsäule 
zeigt sich der Körper des 6. Halswirbels fraktnrirt; und zwar bietet er das Bild 
sehr starker Zertrümmerung. Die Bruchlinie hat dabei einen komplizirten Ver¬ 
lauf. Durch den Schnitt der Säge ist die Wirbelsäule in der Längsrichtung 
halbirt. Bei der Betrachtung der linken Schnittfläche geht die Bruchlinio von 
unten hinten, dicht oberhalb der Bandscheibe beginnend, nach oben vorne bis in 
die Nähe der oberen Zwischenbandscheibe in einer vielfach gewundenen Zickzack¬ 
linie. Auf der rechten Schnittfläche zeigt der 6. Wirbclkörper folgendes Bild : 
Die Bruchlinie entspricht derj(‘uigen der andern Seite, jedoch zieht eine zweite 
von der Mitte der ersteren ausgehend nach oben und hinten zurück. Dadurch 
ist ein Knochenstück aus dem Körper herausgesprengt, welches im Durchschnitt 
dreieckig erscheint und stark in den Wirbelkanal vorspriugt. An dieser Stelle 
ist noch das Bindegewebe und das Ligament, longitud. post, in ziemlicher Aus¬ 
dehnung von der Wirbelkaualwaud abgehoben. Von sonstigen Knochenver¬ 
letzungen ist noch zu bemerken, dass der Bogen links sowohl, wie rechts abge¬ 
sprengt ist. Die Bruclilinien sind auch hier vielfach gezackt. Die ganze Wir¬ 
belsäule macht in der Höhe des betroflenen Wirbels eine Einknickung nach hinten. 

Das Rückenmark ist an der Stelle des durch das vorspringeude Knochen¬ 
fragment stark beengter Wirbelkanals in einer Au-sdehnung von 1,5 cm zermalmt, 
und das Gewebe blutig sugillirt. Hauptsächlich macht sich die Blutunterlaufung 
in der Mitte des Markes bemerkbar, jedoch sind auch in den peripheren Par- 
thieen blutige Streifen wahrnehmbar. Die abgehenden Nervenwurzeln er¬ 
scheinen intakt. 

Die Dura mater ist nicht zerrissen; dagegen zeigt sich zwischen der¬ 
selben und der Wandung des Wirbelkanals beiderseits eine ziemlich erhebliche 
Blutunterlaufung, die das ganze Bindegewebe durchsetzt hat. Am bedeutendsten 
ist der Bluterguss in der Hoho des 2. Halswirbels, woselbst sich ein grösseres, 
der rechten Seite anliegendes Blutcoagulum beflndet. Diese Blutunterlaufung 
geht vom Epistropheus hinab bis zum 1. Brustwirbel. 

Beide Lungen, den Pleuraraum fast vollständig ausfüllend, sind an der 
Basis und den seitlichen Partien löslich verwachsen, vollkommen lufthaltig, auf 
Durchschnitt grauroth. in den oberen Theilen etwas blasser und entleeren auf 
Druck spärlichen Schaum mit ziemlich reichlichem Blute; im rechten Unterlappen 
ausgedehnte hämorrhagische Infiltration. 

Herz faustgross; beide Ventrikel offen, mit flüssigem Blute gefüllt. Mus¬ 
kulatur beider Ventrikel normal dick, fest, braun. Klappen normal. Endokard 
glatt nnd spiegelnd. Duct. Bot. u. Foram. ovale geschlossen, 

Hyperämie der Leber, Milz und Nieren. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

lieber Schädelverletzungen. Von Kreisph.vsikus Dr. M o r i tz-Schlochau. 
Vicrtcljahrsschrift für gerichtliche Medizin, 1892; Bd. III, 2. Heft. 

Die Verletzungen der weichen Schädcldecken und nicht per- 
forirenden Verletzungen der Knochen verlaufen nur tödtlich, wenn Gelegenheits¬ 
ursachen, wie Erysipelas und ähnliche mit ihren Folgezuständen hinzutreten. 
Gerichtsärztlich ist der Tod als durch die Verletzung bedingt anzuschen, wenn 



338 


Kleinere Mittbeiliuigeu and Referate aus Zeitschriften. 


nicht nachgewiesen werden kann, dass die den Tod bedingende Ursache unab¬ 
hängig von der Verletzung sich entwickelt hat. 

Nach einer Verletzung der Schädelknochen kann durch Ueber- 
greifen der Entzündung von der Diploe aus eine Entzündung der Meningen und 
der Hirnsubstauz eintreten, selten ist Thrombose der Sinus, eitriger Zerfall der 
Thromben und Pyaemie die tödtliche Folge. Bereitet unter erstgenannten Um¬ 
ständen die Frage Schwierigkeit, ob die Verletzung oder dyskrasische Ursachen, 
wie Lues, Skrophulose zu der Entwicklung der Vorgefundenen Verändeningen 
(Caries, Nekrose der Knochen, Meningitis) geführt haben, so berücksich¬ 
tige man, ob der Zeitraum nach der Verletzung zur Ausbildung dieser führen 
konnte. Eventuellen Falles ist das Schlussurtheil abzugeben, dass die Verletzung 
mit ihren beschriebenen Folgen zwar den Tod veranlasst habe, diese Folgen aber 
durch Infektion von Aussen entstanden seien, welche durch sachgemässe Behand¬ 
lung nicht einzutreten pflege. Nach der Heilung der Entzündung der Hirnhäute 
und der Hirnsubstanz ist nicht selten Lähmung, Siechthuin oder Geisteskrankheit 
zurückgeblieben. 

Die durch Einwirkung einer stumpfen Gewalt entstehende Gehirner¬ 
schütterung hinterlässt am Gehirn keine charakteristischen Zeichen. Die 
Grösse der Gehirnerschütterung hängt ab von der Art der Einwirkung der Ge¬ 
walt; sie kann bei ausgedehnten Verletzungen der Schädelknochcm unbedeutend 
sein, bei Faust- und Stockschlägen gleich tödtlich wirken. Schwäche und 
Reizbarkeit des Gehirns, reichlicher Alkoholgenuss disponiren besonders für die¬ 
selbe. In leichten Fällen tritt schnell vorübergehende Be\Nms8tlosigkeit, in 
schweren Fällen sofort der Tod ein; häufig bleibt der Verletzte einige Zeit be¬ 
wusstlos, erbricht und erholt sich allmähiich wieder. Bezeichnend für die Ge¬ 
hirnerschütterung ist, dass der Betroffene das Gedächtniss an die Verletzung 
völlig oder fast ganz verloren hat, oder sich der Verletzung, aber nicht des dieser 
folgenden Zeitraumes erinnert, (letzteres namentlich bei Comraotion durch Eisen¬ 
bahnunfälle). Üb eine reine Gehirnerschütterung zu Meuingitis führen kann, ist 
zweifelhaft; die Entwickelung der Tumoren im Schädelinnern durch dieselbe ist 
nicht wahrscheinlich, doch kann das Wachsthum bestehender Tumoren be¬ 
schleunigt werden. Weil durch die Commotion häufig kleine Himläsionen 
Zurückbleiben, so treten nach der Heilung öfter Folgczustände, wie Psychosen, 
Epilepsie ein. 

Die Erscheinungen einer intrakraniellen Hämorrhagie, hervorge¬ 
rufen durch Einwirkung einer Gewalt auf den Schädel, richten sich nach der 
Grösse und Schnelligkeit des Blutaustrittes; sie kann durch Hirndruck nach 
kürzerer oder längerer Zeit zu Tode führen und wird dann durch Symptome 
von Comraotion des Gehirnes eingeleitet, sie kann aber auch völlig symptoinenlos 
verlaufen. Am gefährlichsten sind die Blutungen aus der Arteria moningea media 
und ihren grösseren Aesten, sowie Blutungen aus einer Sinus-Ruptur, namentlich 
des Sinus traiisversus. Findet sich bei der Sektion als Todesursache ein Bluter¬ 
guss in der Schädelhöhle, so ist zu unterscheiden, ob derselbe aus innerer Ur¬ 
sache oder traumatischer Einwirkung entstand. Pacchymeningitis haemorrhagica, 
Erkrankungen der Gefässwände können zu Blutungen Veranlassung geben; be¬ 
sonders erstere bluten schon bei geringem Insult. Das ist bei der Beurtheilung 
zu berücksichtigen. Ein Extravasat bei gesunden Hirngefässen beweist den 
traumatischen Ursprung. Ebenso Kontusionsheerde in der Hirnrinde mit einem 
Extravasate bei Vorhandensein einer Pacchymeningitis oder krankhafter Ver¬ 
änderung der Gefässwand. 

Ergüsse in die Substanz des Gehiriics sind nicht immer von Knochen¬ 
läsionen begleitet; kleine kapilläre Ergüsse finden sich besonders bei an Com¬ 
motion oder Hämorrhagie Gestorbenen. Grössere Kontusionsheerde des Gehirns, 
bei welchen sich ein mit Blut und zertrümmerter Gehimmasse gefüllter Hohl¬ 
raum, umgeben von kapillären Apoplexieen findet, können als Todesursache 
angesprochen werden. Diese sitzen entweder in der Hirnrinde, oder an der 
der Einwirkungsstelle der Gewalt gegenül)erliegenden Seite oder an beiden. 
Gegenüber den aus inneren Ursachen (Atheromatosc) entstandenen spontanen Zer- 
trümmerungsheerden in der Substanz des Gehirnes gilt charakteristisch der ge¬ 
wöhnliche Sitz der traumatischen Blutergüsse in der Hirnrinde, die gleichzeitig 
vorhandene meningeale Blutung, die beträchtliche Quantität des ergossenen 
Blutes. Schwierigk^eiten können bei der Abschätzung der Wirkung einzelner 
Momente entstehen, wenn bei erkrankten Gefässen nach einem Trauma tödtliche 



Kleinere MittlicilungciJ und Referate aus Zeitschriftcu. 


339 


Himhämorrhagic entstanden ist. Aus den Kontusionsheerdeu wird bei Fortbe« 
stehen des Lebens die apoplektische Cyste oder die apoplektischc Narbe mit 
Erweichung des Gehirns in der Umgebung oder mit Gewebsatrophie in verschie¬ 
dener Ausdehnung. Die Erweichung kann ohne nachweisbare Ursache fort¬ 
schreiten und nach langer Zeit zum Tode führen; nicht selten ist die Abscess- 
bildung mit akutem und chronischem Verlaufe in der Umgebung des Kontusions¬ 
heerdes. 

Akute Abscessbildnng, gewöhnlich mit eitriger Meningitis ver¬ 
bunden, ist ein häufiger Obduktionsbefund nach perforironden Traumen; bei nicht 
perforircrdem Trauma kommt es häufiger zu chronischer Abscessbildung. 
Für die Altersbestimmung von Abscesseu und anderen pathologischen Befunden 
im Schädelinnern giebt Langenbeck folgende Anhaltspunkte: Je organisirter 
eine Cyste ist, desto älter ist sie. Ist dieselbe sehr fest und dick, der Tod 
aber bald nach der Verletzung eingotreten, so ist sie für unabhängig von der¬ 
selben zu erklären und das um so mehr, wenn schon vor der Verletzung Kopf¬ 
schmerz oder andere Alfektionen vorhanden waren. Abscesse mit Verdickung der 
Hirnhäute und mit fungösen Auswüchsen sind älter. Eiterausschwitzung, über 
die Oberfläche der Hemisphäre ausgebreitet, kann nach akuten und chronischen 
Entzündungen entstehen, besteht aber als solche nicht so lauge, wie die einge¬ 
sackte Eiterung. Zur Bestimmung des Zeitraumes gehört die Bestimmung der 
Dauer der Entzündungssymptome; Verschwärung — Erweichen — ist älter. 
Caries erfordert zur Ausbildung längere Zeit, so auch Wasseransammlung, Ver¬ 
härtung, osteomatöse, knochenartige Entartung. Die Bcurtheilung, ob ein Abscess 
Folge innerer Ursachen, besonders Caries des Felsenbeines bei Ohraffektionen 
et. ist, richtet sich nach den Erscheinungen, welche diese Leiden bereits vor 
dem Trauma machten. 

Durch ein Trauma können sich ferner Splitter der Lamina vitrea ablösen 
und symptomenlos wieder anheilen oder zu Blutungen und Entzündungen des 
Gehirns und seiner Häute führen. 

Stichverletzungen des Gehirns sind bedenklich je nach der Lokalität, 
in welcher sie die Verwundung machten. So sind die an der Basis gefährlicher, als 
die an der Konvexität, und Je nach den Folgen, wie Entzündung etc., welche 
sich entwickeln. 

Bei erheblichen Frakturen des Schädeldaches tritt der Tod gewöhnlich 
durch Commotion und meningeale Hämorrhagie ein; Fissuren oder Frakturen 
in geringerer Ausdehnung können ohne Nachtheil heilen. Basisfrakturen sind 
besonders gefährlich, sie werden bei Gesunden mit abnormer Brüchigkeit auch 
durch starken Schlag mit der Faust hervorgerufen, im Allgemeinen aber durch 
Einwirkung einer breiten, starken Gewalt auf den Schädel. 

Der Verlauf der Lähmungen nach Kopftrauma ist prognostisch 
zwar unsicher, jedoch bessern sich die unvollkommenen Lähmungen gewöhnlich. 
Dasselbe gilt von der Aphasie. Epilepsie wie Hysterie, ebenso Psychosen im 
engeren Sinne können sich nach einem Kopftrauma entwickeln. Sie sind als 
Folgezustände desselben schwieriger zu begründen, wenn zwischen dem Trauma 
und dem Beginn der Krankheit ein längerer oder kürzerer Zeitraum gesunden 
Intervalles liegt. Dr. Rump-Osnabrück. 


B, Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Welche Bedeutung hat der Raumwinkel (w. sin a) als Maass fiir 
die Helligkeit eines Platzes in einem Lehrraum? Von E. Gilbert, 
städtischem Lehrer in Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬ 
heiten; Bd. XII, H. 1. 

Verfasser will den Raum Winkelmesser, dem wir gewohnt sind, bei der 
Beurtheiluug der Beleuchtungsverhältnisse in den Schulzimmern ein hervorragen¬ 
des Gewicht beizulegen, unter das alte Eisen werfen. Er hebt hervor, dass die 
Beleuchtungsstärke eines Platzes nicht nur von der Grösse des Raumwinkels 
abhäugen könne, dass vielmehr auch das durch diesen nicht zu bestimmende 
reflektirte Licht nicht zu unterschätzen sei. Schon aus diesem Grunde könne 
zwischen Grösse des Raiimwinkels und Helligkeit kein bestimmtes Verhältniss 
bestehen. Diese Behauptung wird bestätigt durch eine Anzahl sehr sorgfältiger 
Bestimmungen der Lichtstärke auf verschiedenen Plätzen einiger Berliner Ge- 



340 


Kleinere Mittheilun^cn und Referate aus Zeitsehriften. 


meindcschulen mittelst des Weber’sehen Photometers und Vergleichung dieser 
Resultate mit den ebenfalls ermittelten Raumwinkeln. Es ergab sich hierbei 
ferner das interessante Resultat, dass das Verhältniss zwischen Raumwinkel und 
Helligkeit selbst für denselben Platz keine feststehende Grösse ist, sondern dass 
dieses Verhältniss unter dem Einfluss des Höh(‘standes der Sonne ziemlich regel¬ 
mässige, täglich wiederkehrende Schwankungen zeigt. Denn die dem Horizont 
nahe liegenden Quadratgrade des Himmelsgewölbes, aus welchen sich die Raum¬ 
winkel der in der Tiefe des Zimmers liegenden Plätze zusiiramensetzen, sind in 
den Frühstnnden relativ intensivere Lichtquellen, als die hoch am Himmelsge¬ 
wölbe liegenden Quadratgrade, welche die Fensterplätze beleuchten. In Folge 
dessen ist in diesen Standen die Helligkeit der Fernplätze im Verhältniss zu den 
Fensterplätzen eine grössere, als dem Verhältniss der Raumwinkel entspricht. 
Dieses Verhalten ändert sich, je mehr die Sonne sich ihrem Kulminationspunkt 
nähert, da mit dem Emporsteigen der Sonne sich die höheren Quadratgradc zu 
ganz ausserordentlich intensiven Lichtquellen entwickeln. In Folge dessen sind 
Mittags die Fensterplätze verhältnissmässig sehr viel heller, als die Fernplätze, 
obgleich auch auf letzteren die Lichtstärke als Wirkung des vermehrten reflek- 
tirten Lichtes etwas zugenommen hat. Ausnahmen von dieser Regel kommen 
allerdings vor, beispielsweise, wenn der Himmel von Wolken dicht bedeckt, der 
Horizont aber freier ist, im Ganzen aber tritt der den Tageszeiten folgende 
Wechsel der relativen Helligkeit verschiedener Sitzplätze, täglich mit grosser 
Regelmässigkeit ein und es kann somit für die Helligkeitsgüte eines Platzes aus 
der Grösse seines Raumwinkels kein sicherer Schluss abgeleitet werden. Ver¬ 
fasser macht sodann dem Raumwinkelmesser eine, allerdings nur sehr bedingte 
Konzession, indem er, freilich nur sehr nebensächlich, auf den grossen Unter¬ 
schied zwischen reflektirtem und direktem Himmelslicht hinweist und schliesst 
die kurze, aber anregende Studie mit den Worten: 

„Die Haiipteigenschaft eines jeden Maasses ist aber die UnVeränderlichkeit 
derjenigen Eigenschaft desselben, welche dasselbe gerade zu einem Maase geeig¬ 
net macht. Beim Raumwinkel (w. sin. a) ist diese Eigenschaft die Leuchtkraft 
desselben. Dieselbe ändert sich aber, da die Quadratgrade ihre Helligkeit fort¬ 
gesetzt unter dem Einfluss des Sonnenstandes wechseln. Der Raumwinkel kann 
darum nicht als ein Maass für die Helligkeitsgüte eines Platzes betrachtet wer¬ 
den, wohl aber die Meternorraalkerze und das Photometer von Prof. Dr. L. Weber 
als das geeignete Instrument zur Messung der Helligkeit.“ 

Dr. Langerhans -HankensbütteL 


Experimental - Beiträge zur Myopie-Hygiene. Von Franz Pöller, 
Inhaber des physikalisch - optischen Institutes Pöller in München. Archiv für 
Hygiene; Bd. Xill, H. 4. 

Verfasser macht es sich zur Aufgabe, die Veränderungen der Sehweite 
genau zu studiren, welche unter dem Einflüsse mehrstündigen, angestrengten 
Nahesehens entstehen. Er benutzt zu diesem Zweck einen sinnreichen Apparat, 
welcher die Bewegungen, die die Versuchsperson vornimmt, um durch i^nähe- 
rung oder Entfernung des Kopfes den feststehenden Sehproben gegenüber die 
jeweilige deutlichste Sehweite zu gewinnen, in elektrische Stromschwankungen 
nmsetzt, deren Grösse an dem Ausschlag der Magnetnadel eines eingeschalteten 
Galvanometers direkt abgelesen werden kann. Nur so war es möglich, das ganz 
gewaltige Zahlenmaterial zu gewinnen, das der Arbeit zu Grunde fliegt. 
Dasselbe war aber erforderlich, um alle Versuchsfehler auszuschliessen, die 
durch zufällige Kopfbewegungen, Verschiedenheiten der Disposition und dergl. 
entstehen konnten. Es wurde nämlich die Sehweite alle 6 Sekunden bestimmt; 
je 20 derartige Ablesungen wurden dann durch das arithmetische Mittel zu einer 
Zahl vereinigt, welche nun die während des Zeitraums von 2 Minuten durch¬ 
schnittlich herrschende mittlere Sehdistanz repräsentirte. Jeder Versuch wurde 
3 Stunden lang fortgesetzt und unter möglichst gleichen Verhältnissen 6 Mal 
wiederholt und aus den 6 resultirenden Zahlenreihen wurde dann das Mittel ge¬ 
nommen, welches sich uns in dem einfachen Bild einer simplen Kurve vorstellt, 
die sich auf nicht weniger als 10800 primären Ablesungen aufbant! Die Or- 
dinaten der Kurven, von denen 6 abgedruckt sind, geben die Sehweiten an, 
während die Abscissen den Minuten der dreistündigen Versuchsdaucr entsprechen. 
Das Bild, welches uns die so mühsam hergestellten Kurven geben, ist nun aller- 



j^einere Mittheilangen and l^ferate ans Zeitsckriftcn. 


341 


diogs ein überaus prägnantes und es springt uns in überraschender Deutlichkeit 
die Thatsache entgegen, dass unter dem Einfluss längeren, angestrengten Nahe¬ 
sehens die Sehweite regelmässig abnimmt und zwar tritt diese Abnahme schon 
nach ^/4 bis Istündiger Sehanstrengung scharf hervor und wächst mitzunehmen¬ 
der ununterbrochener Sehdauer in relativ immer stärkerem Grade. Noch viel 
schneller und bedeutender nimmt die Sehweite bei Brillengebrauch ab. Ausser¬ 
dem tritt bei Benutzung von Glasbrillen nach gewisser Zeit eine grosse Akko¬ 
modationsunsicherheit ein, die in bedeutenden regellosen Schwankungen der 
Sehdistanz zu Tage tritt. Diese Erscheinung ist nach Verfasser durch Trübung 
der Brille in Folge der hygroskopischen Eigenschaft des Glases bedingt, denn sie 
tritt so gut wie gar nicht auf bei Verwendung von Brillen aus dem fast gar 
nicht hygroskopischen Bergkrystall. Sehr interessant sind zwei Kurven, die das 
Verhalten der Sehweite illustriren, wenn das Nahesehen durch viertelstündige 
Pausen unterbrochen wurde, welche in dem einen Fall nur der Ruhe gewidmet, 
in dem andern durch Fernsehen ausgefüllt waren. In beiden Fällen, besonders 
schnell und intensiv bei dem Fernsehen, war die schädigende Wirkung des ange¬ 
strengten Nahesehens, welche sich durch Abnahme der Sehweite dokumeutirte, 
fast vollständig ausgeglichen und die ursprüngliche Sehweite wieder hergestellt. 
Verfasser schliesst seine Arbeit mit nachfolgenden Nutzanwendungen für 
die Schulhygiene: 

1. Anstrengendes Nahesehen, wie es durch mancherlei Beschäftigung, vor¬ 
nehmlich aber durch Lesen und Schreiben bedingt wird, ist vom Standpunkte 
der Myopie-Hygiene aus in der Regel nur dann als zulässig anzusehen, wenn 
es nicht über die Dauer von ^1^ bis 1 Stande ununterbrochen geübt wird. 

2. Bei mehrstündiger Dauer solcher Thätigkeiten sind nach je längstens 
®/4 Stunden Erholungspausen von etwa V 4 Stündiger Dauer geboten. 

3. Der Brillengebrauch ist beim Nahesehen auf das Nothwendigste zu 
beschränken. 

4. Im Falle der Benutzung einer Glasbrille ist es nothwendig, dieselbe 
in Zwischenräumen von IVi bis 2 Stunden auch dann einer eingreifenden Reini¬ 
gung zu unterziehen, wenn dem äusseren Anschein nach die Verunreinigung und 
Verfeuchtung derselben noch unmerklich ist. Da jedoch diese Reinigung in An¬ 
betracht des Umstandes, dass in Folge der starken hygroskopischen Kraft der 
Glasoberfläche die Feuchtigkeitströpfchen und mit diesen auch zahlreiche Salz- 
und Schmutzstäubchen sich tief in die Oberfläche einnisten, sich nur sehr 
schwierig und unvollkommen vollziehen lässt, so ist: 

6. der Gebrauch von aus Bergkrystall geschliffenen Brillen den aus künst¬ 
lich erzeugtem Glase desshalb bei weitem vorzuziehen^ weil eine Reinigung der¬ 
selben wegen der geringen Hygroskopie des Bergkrystalls seltener nöthig und 
leichter vollziehbar ist. ___ Ders. 

Die städtischen unentgeltlichen Heilknrse für die stotternden 
Schulkinder Wiens. Allgemeine Wiener medizinische Wochenschrift. 1892, Nr. 22. 

Der dritte dieser vom Wiener Gemeinderathe auf Anregung Dr. Coän’s 
ins Leben gerufenen Heilkurse, welche für stotternde und stammelnde Volks- 
und Bürgerschüler bestimmt sind, wurde am 2. April d. J. in feierlicher Weise 
geschlossen. Bei dieser Gelegenheit demonstrirte Dr. Coön den zahlreichen 
Aerzten und Angehörigen der Schul- und Gemeindebehörden sein zur Bekämpfung 
des Stotterns eingeschlagenes Heilverfahren, sowie die dadurch erreichten Heil¬ 
resultate. Die drei Kurse waren von 29 Schülern besucht worden, von denen 
neun vollständig geheilt, dreizehn gebessert und sieben ohne Erfolg entlassen 
wurden. Sämmtliche Kinder waren, abgesehen von zufälligen, geringfügigen 
Uebeln körperlich und geistig vollkommen gesund, zum Theil sogar besonders 
intelligent. Die Artikulationsorgane boten nichts Abnormes dar und lieferte auch 
die genaueste Untersuchung des Nasenrachenraumes keine Spur von jenen Ab¬ 
normitäten, denen neuerdings ein Zusammenhang mit dem Stottern zugeschriebeii 
wird. Dagegen zeigten sich bei Allen die charakteristischen Symptome einer 
oberflächlichen, mangelhaften Respiration, daneben auch die bekannten störenden 
Mitbewegungen, klonische und tonische Krämpfe der Gesichts- und Halsmuskeln 
und andere synergische Muskelkontraktionen, welche zur momentanen Unter¬ 
drückung des Sprechkrampfes vqn den Leidenden benutzt werden. Ders. 



34^ Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Ueber Wasserflltration durch Steinfliter. Von Dr. E. v. Esmarch, 
Professor der Hygiene in Königsberg i. Pr. Zentralblatt für Bakteriologie u. s. w. 
Bd. XI, Nr. 17. 

Zur Filtration von Trinkwasser im Kleinen waren in früheren Zeiten in 
einzelnen Gegenden Filtervorrichtungen aus porösem Stein, Sandstein, Lavatnff 
oder dergl. häufig in Gebrauch, dieselben werden sogar in Hamburg, namentlich 
aber in den Tropen, beispielsweise auf Wörmann’sehen Schiffen noch jetzt 
verwendet. Es erschien daher nothwendig, an der Hand der wissenschaftlichen 
Methoden der Neuzeit, eine Prüfung des Werthes dieser primitiven Filtervor¬ 
richtungen vorzunehmen, welche im Prinzip eine unverkennbare Aehnlichkeit mit 
den so leistungstUhigen Berckefeldt’ sehen Kieselguhrliltern besitzen. 
Esmarch standen zu diesem Zweck sechs zum Theil viele Jahre in Gebrauch 
gewesene Filtersteine des Berliner hygienischen Museums zur Verfügung. Die 
meistens kesselförmig gearbeiteten Filtersteine, deren Wandstärke zwischen 3 
und 8 cm. bei einem Porenvolumen von22—42®/o betnig, wurden mit dem relativ 
bakterienarmen Berliner Leitungswasser gefüllt und dann, je nach Grösse des 
verwendeten Filters 1—3 Bouillonkulturen des wegen der rothen Farbe seiner 
Kulturen jederzeit leicht wiederzufindenden „rothen Kieler Bacillus“ hinzugesetzt. 
Das Filtrat wurde dann nach Menge und Aussehen, der Bakteriengehalt durch 
das Plattenverfahren geprüft. Drei der Filter lieferten eine selbst für den 
kleinsten Bedarf ungenügende Wassermenge — vielleicht weil durch den lang¬ 
jährigen Gebrauch die Poren verklebt waren —, während die drei anderen in quanti¬ 
tativer Beziehung nicht zu weit gesteckten Ansprüchen genügten. Auch das 
Aussehen des Wassers wurde wesentlich verbessert, da makroskopisch sichtbare 
Trübungen in recht vollkommener Weise durch die Filtersteine zurückgehalten 
wurden. Dagegen zeigte sich der hygienisch wichtigsten Aufgabe, Bakterien 
zurückzuhalten, kein einziger der Steine auch nur annähernd gewachsen. Es 
traten nicht nur die oben eingefüllten Bakterien recht schnell im Filtrat auf, 
sondern daneben noch ungeheure Mengen anderer Bakterien, welche offenbar in 
den Filterporen selbst vorzügliche Wachsthumsbedinguugeu gefunden hatten — 
genau wie in den Kohletiltern! Bei infektions verdächtigem Wasser 
werden daher diese beiden Filterarten im Stich lassen,ja unter 
Umständen wird sogar durch dieseFilter einer Vermehrung der 
infektiösen Keime und somit einer Weiterverbreitung der be¬ 
treffenden Krankheit Vorschub geleistet werden können. 

Ders. 

Die Selbstreinigung der Flösse mit besonderer Rücksicht auf Städte¬ 
reinigung. Von Prof. Dr. J. Uffelmann. Berliner Klinische Wochenschrift 
Nr. 18, Jahrgang 1892. 

Das in der allcrjüngsten Zeit wieder lebhaft erörterte Kapitel von der 
Selbstreinigung der Flüsse, (s. Seite 401, Jahrgang 1891 dieser Zeitschrift) er¬ 
fährt durch Uffelmann eine erneute ausführliche Besprechung, welche be¬ 
sonders dadurch an Interesse gewinnt, dass dieser im Gegensatz zu anderen 
namhaften Hygienikern vor einer Ueberschätzung des Selbstreinigungsvermögens 
unserer Flüsse dringend warnt und streng zu individualiairen anräth. 

Die Faktoren, welchen man das Zustandekommen der Reinigung zu¬ 
schreibt, sind: 

1. Schwebende Bestandtheile, organischer und anorganischer Natur, sinken 
bald rascher, bald langsamer zu Boden und werden dadurch aus dem Wasser 
eliminirt. Sie bilden den Schlamm und Schlick auf dem Boden des Flussbettes. 

2. Der Zufluss reinen Wassers aus Nebenflüssen und vom Grundwasser 
her verdünnt die Unreinigkeiten, welche in den Fluss hineingerathen sind. 

3. W’^asserpflanzen jeder Art (auch Algen) und Infusorien verzehren ge¬ 
löste bezw. ungelöste organische Materie und reinigen dadurch das Wasser von ihr. 

4. Mikroorganismen des Wassers zersetzen organische Materie, führen sie 
in einfache Verbindungen über und reinigen auf diese Weise das Wasser. 

5. Beim Fliessen tritt in Folge der Bewegung eine Lüftung des Wassers 
ein; dasselbe kommt mit immer neuen Mengen Sauerstoff in Berührung und 
dieser oxydirt die organische Materie. 

6. Das Sonnenlicht regt die Oxydation der organischen Materie im Wasser 
an und bringt Mikroben zum Absterben. 



Kleinere Mittlieilungen und Referate au? Zeitschriften. 343 

7. Es können während des Laufes gewisse unlösliche anorganische Ver¬ 
bindungen (so Schwefelraetalle) entstehen und ausgelallt, oder Humussubstanzen 
durch Thone, Aliiminiumsulfat, Aluminiumhydroxyd niedergeschlagen werden. 

Bezüglich des 3. Faktors, der Wirkung der Wasserpflanzen, tritt Uffel- 
mann der Löw’sehen und Pettenkofer’sclien Ansicht entgegen, dass 
nämlich die Algen, ebenso wie die Wasserpflanzen höherer Ordnung, die vor¬ 
nehmste Rolle bei der Selbstreinigung der Flüsse spielten und hält das hier¬ 
für zum Beweise erbrachte Material für unzureichend, umsomehr als seine eigenen 
Erfahrungen dagegen sprechen. Seit etwa 2*/* Jahren wird im hygienischen 
Institute zu Rostock auf Veranlassung des Magistrats daselbst allmonatlich zwei¬ 
mal eine chemische, mikroskoj)ische und baktcrioskopische Untersuchung des 
Wassers der „Warnow“ vorgenoiuinen, aus der die Stadt ihren Bedarf an Trink- 
nnd Nutzwasser bezieht. Dieses Wivsser hat einen wechselnden Gehalt au Algen, 
die niemals ganz fehlen. Uffelmann hat nun durchaus nicht gefunden, dass 
der Abnahme und Zunahme dieser Organismen ein grösserer oder geringerer 
Gehalt an organischer Substanz und an Bakterien entspricht. Auch die im 
Laboratorium angestellteu Versuche, wo dem Wasser grosse Mengen von Algen, 
namentlich auch von Euglena viridis, Fadenalgen und Diatomeen zugesetzt 
wurden, zeigten keine beträchtliche Abnahme der organischen oxydablen Materie. 
Ausserdem vermögen die grünen Fadenalgen und die meisten Diato¬ 
meen nur in frischem, wenig verunreinigtem Wasser zu exi- 
stiren, sie gehen zu Grunde, wenn letzteres eine reiche Zufuhr von Schmutz- 
stoflfen erhält, — ihre Wirksamkeit fällt also gerade da aus, wo sie am er¬ 
wünschtesten wäre. 

Nach Besprechung der übrigen Faktoren, welche am Zustandekommerr der 
Flussreinigung partizipiren, tritt Uf felmann der Entscheidung der Frage 
näher, was aus den organischen Substanzen und den pathogenen Bakterien wird, 
welche in das Wasser hineingelangen. Die widerlichen, ekelerregenden organi¬ 
schen Substanzen exkrementitieller Natur werden, soweit sie suspendirt sind, all¬ 
mählich durch Sedimentirung oder durch Aufnahme Seitens gewisser Infusorien 
und, soweit sie gelöst sind, durch Aufnahme Seitens der höheren und niederen 
Wasserpflanzen (Algen), gewisser Infusorien, auch der Spaltpilze elimiuirt, viel¬ 
leicht zum Theil uuter dem Einflüsse des Lichtes oxydirt. Dies Verschwinden 
erfolgt in dem einen Falle langsamer, in dem andern schneller, in dem einen 
Flusse mehr durch Sedimentirung, in dem andern mehr durch einen der anderen 
oben erwähnten Faktoren, so dass sich eine allgemeine Regel über die Schnelligkeit, 
mit welcher, und über den Modus, nach welchem hineingelangende organische 
Massen aus fliessendem Wasser wieder verschwinden, gar nicht aufstellen lässt. 
Nach Uffelmann kann man dem Satze v. Pettenk ofer’s nicht beistimmen, 
dass gewöhnliches Sielwasser, gleichviel ob es Fäkalien enthält oder nicht, in 
jeden öffentlichen Wasserlauf eingeleitet werden kann, wenn die Menge des 
Wassers nur das Fünfzehnfache der Menge des Sielwassers beträgt und die Ge¬ 
schwindigkeit des Wasserlaufes keine wesentlich geringere ist, als in den Sielen. 

Die pathogenen Bakterien werden zum Theil durch Sedimentiren mit den 
organischen Massen ausgefiillt, können dann aber beim Aufrühren des Schlammes, 
z. B. durch Rückstau des Wassers, ferner durch die Schifffahrt, durch Fischer, 
Badende wieder in das Wasser und an die Oberfläche kommen. Zum Theil ver¬ 
schwinden sie wahrscheinlich nach einiger Zeit durch die Konkurrenz mit an¬ 
deren Organismen. Dass die Bewegung des Flusses an sich sie nicht 
vernichtet, darf, wenigstens für den Cholera- und Typhusbacillus, die ja vor¬ 
wiegend in Frage kommen, als sicher angenommen werden. In Schwaan, ca. 
17 Kilometer oberhalb Rostock, herrschte im vorigen Sommer, wie fast all¬ 
jährlich nm jene Zeit, der Abdominaltyphus; die sorgfältig angestellten bakteriologi¬ 
schen Untersuchungen des Wassers der Wamo w bei Rostock ergaben das Vorhandensein 
von Bazillen in dem Wasser, welche sich ebenso wie die Typhusbazillen ver¬ 
hielten. Fast um dieselbe Zeit begannen auch in Rostock die Typhusfälle sich 
zu vermehren. Es erscheint Uffelmann nun die Annahme gerechtfertigt, dass 
die bezeichncten Bazillen aus der Stadt Schwaan, wo die Beseitigung der Exkre¬ 
mente eine recht antiygienische ist, trotz der 17 Kilometer betragen¬ 
den Entfernung in die Warnow gelangten und sich lebensfähig erhielten. 

Uffelmann fasst schliesslich sein Urtheil dahin zusammen, dass man an 
der Fähigkeit der Selbstreinigung der Wasserläufe nicht zweifeln dürfe. Sie 



344 


Kleinere Mittheilimgen und Referate aus Zeitschriften. 


besteht, aber sie ist eine begrenzte, auch sehr wechselnde und wird in kultivirten 
Distrikten dadurch mehr oder weniger paralysirt, dass demselben Wasserlaufe in 
meistens sehr kurzen Zwischenräumen immer wieder Schrautzstoffe Zuströmen, 
wenn kein Verbot des Einlasses besteht. Man darf also das Selbst- 
reinigungs verm ügen unserer Flüsse nicht überschätzen und ins¬ 
besondere nicht in den grossen Fehler fallen, anzunehmen, dass, wenn es in 
einem Flusse sehr erheblich ist, es in dem anderen ebenso stark sein werde. 
Man sollte es vielmehr für jeden einzelnen Fluss zu ermitteln suchen, wie dies ja 
auch die Resolution des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege im 
Jahre 1891 als nothwendig auss])richt, um exakte Normen für die Zulässigkeit 
der Einführung von Schmutzstoffen zu gewinnen. Ausserdem muss man stets 
beachten, dass die Sedimentirung, welche in den langsamer fliessenden Wasser¬ 
läufen der hauptsächlichste Faktor der Selbstreinigung ist, die Schmutzstoffe 
nicht endgiltig aus dem Wasser, sondern sie nur dem Auge entfernt. Da 
schon der Gedanke ekelerregend ist, Wasser zu trinken und zu benutzen, in 
welches vorher Abwässer und Fäkalien geleitet waren, so sollte man diese 
Sclimutzwässer überhaupt nur nach vorheriger möglichst vollkommener Reinigung 
den Wasserläufen zuführeu. Dr. Dütschke-Aurich. 


Arbeitersclmtz and TJnfallverliiitnng. Von Dr. E. Roth, Reg.- und 
Med.-Rath in Köslin. Deut^sche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege; 1892, Heft n. 

„Trotz Beaufsichtigung der gewerblichen Anlagen und trotz Unfallvcr- 
hütungsvorschriften lässt die Zahl der Unfälle überhaupt wie der entschädigungs¬ 
pflichtigen Unfälle eine fortschreitende Zunahme erkennen.“ Diesen Satz hat 
Verfasser schon in einer früheren Arbeit aufgestellt und hält ihn auch jetzt noch 
aufrecht. Wenn von verschiedenen Seiten dagegen behauptet wird, dass die 
Zahl zurttckgegangen sei, so scheinen zwar auf den ersten Blick die Unfall¬ 
ziffern der Berufsgenosseuschaften und Ausführungsbehörden diese Annahme zu 
bestätigen. Doch ist dies nur scheinbar der Fall; denn der wahre Grund ist 
darin zu suchen, dass vom Jahre 18S8 an die landwirthschaftlichen Berufs- 
genossenschaften mit ihren uuverhältnissmässig niedrigen Unfallsziftern hinzu- 
gekommen sind. Es erhellt dies aus einer Zusammenstellung, welche die gewerb¬ 
lichen und landwirthschaftlichen Berufsgenosseuschaften, desgleichen die 
staatlichen Ausführuugsbehörden je für sicli gesondert betrachtet, aus welcher 
zugleich hervorgeht, dass die Zahl der Unfälle mit tödtlichem Ausgange fort¬ 
schreitend zurückgegaugen ist, dass dagegen der Prozentsatz der Unfälle mit 
dauernder Erwerbsunfähigkeit einen solcbeu Rückgang nicht erkennen lässt. 

Um einen Einblick in die Natur der Unfälle nach Zeit und Gelegenheit, 
nach den Ursachen und Folgen zu gewinnen, hat das Reichsversicherungsamt 
eine Statistik der entschädigungspflichtigeu Unfälle des Jahres 1887 auf Grund 
sorgfältiger Erhebungen aufstcllen lassen. Die interessanten Einzelheiten dieser 
Erhebungen sind in den „Amtlichen Nachrichten des Reichversicherungsamtes 
vom 15. Mai 1890“ enthalten. Aus denselben verdient besonders das ilrgebniss 
hervorgehoben zu werden, dass circa die Hälfte aller Unfälle vermeiäbar ist; dies 
zu erreichen, muss daher das stete Ziel der Unfallverhütung sein. Den Grund 
für die Vermehrung der Unfälle hat mau in der mangelhaften Ueberwachung der 
Unfall Vorschriften, theils in Bezug auf ihre Befolgung, theils in der Gleich¬ 
gültigkeit und der Indolenz eines Theils der Unternehmer zu suchen; letzteres 
ist ganz besonders bei kleinen Betrieben der Fall. Es muss deshalb gefordert 
werden, dass die Beaufsichtigung der Betriebe nach der Seite der Unfallver¬ 
hütung vor allem eine fortlautende, dauernde sei. Nach der Dienstanweisung 
für die Fabrikinspektoreu ist die Thitigkeit dieser Beamten mehr als eine 
sozial-vermittelnde, denn als eine unfallverliütemle gedacht; nicht viel besser 
steht es mit den Beauftragten der Benifsgenessenscliafr^'u. Es kann somit eine 
Bes.serung neben den Strafbestimmungen, die durch das Strafgesetzbuch 222 
und 230) vorgesehen sind und die so energisch wie möglich gehandhaht werden 
sollten, nur von dem Gesetze betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung 
vom 1. Juni 1891 erwartet werden, zu welchen Aiisfiilirungsverorduungen seitens 
des Reiches und der staatlichen Behörden noch ausstehen. Die polizeiliche 
Kontrole wird auch dann nur eine fortlaufende und demgemäss wirksame sein, 



Kleinere Mittheilungcn and Referate aus Zeitschriften. 345 

wenn sie in allen grossen Betrieben dorch Unfallaofseher ergänzt wird, zu 
welchen besonders befthigte aus den Reihen der Arbeiter hervorgegangene Per¬ 
sonen verwandt werden können. Indirekt können auch die Medizinaibeamten 
gelegentlich der Pabrikaufsicht nach der hygienischen Seite auf dem Gebiete der 
Unfallverhütung mitwirken dadurch, dass sic in Verbindung mit den Kassen- 
bezw. Fabrikärzten belehrend und erzieherisch zu wirken im Stande sind. 

Verfasser kommt zu folgenden Schlussfolgerungen: 

1. Eine Abnahme der Unfälle hat bisher trotz aller Unfallverhtttungsvor- 
schriften nicht konstatirt werden können; im Gcgentheil zeigt sowohl die Zahl 
der Unfölle im Allgemeinen wie auch der entscbädigungspflichtigen Unfölle eine 
stetige Zunahme, nur die Zahl der tödtlichen UnRille lässt einen Rückgang 
erkennen. 

2. Im Interesse einer wirksamen Unfallverhütung ist neben periodischen 
Revisionen der gewerblichen Anlagen auf eine fortdauernde Ueberwachung der¬ 
selben sowohl nach der hygienischen Seite, wie nach der Seite der Unfallver¬ 
hütung Bedacht zu nehmen. 

3) Eine regelmässige und fortlaufende Ueberwachung der Gewerbebetriebe 
in hygienischer Beziehung würde auch der Unfallverhütung im engeren Sinne 
zu Gute kommen. 

4) Ein Erlass reichsgesetzlicher Vorschriften zum Zwecke gesunden 
Wohnens ist besonders auch im Hinblick auf die Beschaffenheit der Werkstätten 
der Handwerker dringend wünschenswerth. 

Dr. Israel-Medenau (Ostpr.) 


InvaliditUts • Skala. Die bayerische Baugewerks - Berufs - Genossenschaft 
versendet an ihre Aerzte und Vertrauensmänner folgende Invaliditäts-Skala als 
Anhaltspunkt zur Feststellung der Unfallrenten: 


Verlust des Armes, der Hand 

rechts 

links 

oder sämmtlicher Finger . . . . 

70-80’/o 

60—70®/„ der (Tanz-Invalidität. 

Verlust des Daumens . . . . 

24-26 „ 

19-22 „ „ 

„ „ Zeigefingers . . . 

16-18 „ 

14: - 16 V n V 

^ „ Mittelfingers. . . 

12-14 „ 

11-13 „ . 

„ „ Ringfingers . . . 

8-10, 

7— 8 7» »1 V 

„ „ kleinen Fingers. . 

10-12 „ 

9-11 „ „ 

Verlust eines Beines. 


50—70®/o der Ganz-luvalidität. 

, „ Fasses. 

. , , , 

40-60 „ , 

„ sämmtlicher Zehen . . 

. • • . 

29—45 „ „ 

„ der grossen Zehe . . . 


17-^5 „ „ 

„ jeder anderen Zehe . . 


3 5 „ „ 

Verlust (Erblinden) eines Auges. . 


33«/*-50®/o 

a) Leistenbrach ohne Komplikation 


© 

o 

O 

b) „ mit 


von Fall zn Fall zu entscheiden. 


Gelähmte oder ganz steife Glieder werden als verloren betrachtet. 

Bei solchen Verletzten, die nachweislich in der Regel mit der linken 
Hand arbeiten, sogenannte Linkser, kommen die unter 1 angesetzten Prozent- 
•sätzc für verlorene Gliedmaassen linkerseits wie bei verlorenen Gliedmaassen 
rechterseits und umgekehrt in Anwendung. Für Verlust eines Daumengliedcs 
kommt */*» ftlr Verlust je eines Gliedes eines anderen Fingers ’/s—'/* unter 
Ziffer 1 bestimmten Prozentsatzes zur Berechnung. Kleinere Fingerverletzungen, 
die einen Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit überhaupt nicht ausüben, werden 
nicht entschädigt. (Münchener medizinische Wochenschrift Nr. 21; 1892.) 


Die Bewegung der Bevölkerung im Grossberzogthnm Hessen 
W’älirend des Jahres 1890 mit besonderer Beriicksichtigniig der Sterb¬ 
lichkeit. 

Die Zahl der Geborenen einschliesslich der Todtgeboreneii betrug 
31159 = 31,4®/oo der Bevölkerung bei 992883 Einwohnern; sie war am niedrigsten 
in der Provinz Oberhessen (28,0 ®/oo), am höchsten in der Provinz Starkenburg 







346 


Kleinere Mitthcilnngcn und Beferatc ans Zeitschriften, 


(32,9Dem Geschlechte nach waren von 1(X) Geborenen 61,6®/o männlich 
und 48,4*/o weiblich; der Lebensfähigkeit nach 96,3®/o lebend- und 3,7 
todtgeboren; dem Familienstande nach 92,2"/o ehelich und 7,8**/« unehelich. 
Von den unehelich geborenen Kindern wnrden 4,9*’/o todtgeboren, von den 
ehelichen dagegen nur 3,6 “/q. 

Die Zahl der Mehrlingsgeburtcn belief sich auf 396 = 1,3*/*; 
davon waren 391 Zwillings- und 5 Drillingsgeburten. 

Auf die Zahl der Geburten hat ttbrigens die im Beginn des Jahres 1890 
herrschende Influenza-Epidemie insofern einen Einfluss gehabt, als die Zahl 
der Geburten im Oktober in Folge der herabgesetzten Zahl der im Monat Januar 
stattgehabten Konceptionen eine auffallend geringe gewesen ist. 

Die Zahl derEheschli essungen betrug 7644 = 7,7®/** der Be¬ 
völkerung ; auch hier zeigt Oberhessen die niedrigste (7,1 ®/**) und Starkenburg 
die höchste (8,2®/**) Ziffer. 

Die Zahl der Gestorbenen betrug ausschliesslich der Todtgeborenen 
22362 = 22,5®/**; einscblieaslich derselben 28522 = 23,7®/** der Bevölkerung; 
die niedrigste Sterbeziffer hatte Oberhessen (21,5®/**) die höchste Rheinhessen 
23,7®/^. Im Vergleich zu dem Durchschnitt des vorhergehenden Qninqnenniums 
war die Sterblichkeit um 0,7 ®/** höher und dürfte dies auf die Influenza-Epidemie 
zurückzuftthren sein. 


Von den Gestorbenen waren auffallender Weise 52,1 ®/* weiblichen und 
47,9®/* männlichen Geschlechtes, während in den früheren Jahren stets das 
männliche Geschlecht eine höhere Sterbeziffer aufwies. Eine recht niedrige Kinder¬ 
sterblichkeit zeigte wie immer die Provinz Oberhessen (12,8®/* von 100 
Lebendgeborenen); eine verhältnissmässig hohe Kheinhessen (23,0®/*), wiUirend 
8tarkenburg den Durchschnitt des Grossherzogthums (19,1®/*) nur etwas über¬ 
schritt (19,7®/*). Eine Steigerung der Kindersterblichkeit ist ebensowenig zu 
bemerken gewesen wie eine solche der Sterblichkeit der jugendlichen Alters¬ 
klassen über 1—15 Jahren; dagegen zeigt die erwachsene Bevölkerung ein Mehr 
von 7,0—9,0®/*. Die Ursache hiervon liegt zweifellos in der Influenza-Epidemie, 
die besonders während des Monats Januar eine erhebliche Steigerung der Sterb¬ 
lichkeit bedingte. Von 10000 Einwohnern starben nämlich durchschnittlich täglich: 


im Januar 
„ Februar 
März 

* April 

* Mai 
. Juni 


33.9 

20.9 
21,1 
19,6 

17.9 
17,9 


im 


Juli 

August 

September 

Oktober 

November 

Dezember 


16,0 

17,6 

15,5 

16,3 

16,1 

18,2 


Bei den Kindern des ersten Lebensjahres fiel die höchste Sterblichkeit 
auf den Monat .\ugn3t, die geringste auf die Monate November und Dezember; 
bei den dem Säuglingsalter entwachsenen Kindern dagegen waren die meisten 
Sterbe lalle ebenso wie bei den Erwachsenen in den Monaten Januar und März 
zu verzeichnen, die wenigsten im September und Oktober. 

Was die einzelnen Todesursachen anbetrifft, so starben von 10000 
Einwohnern an Blattern 0,01, Masern 2,9, Scharlach 0,6, Rose 
0,6, Diphtherie und Krupp 9,3, Keuchhusten 3,3. Typhus 1,0, Kindbett¬ 
fieber 0,9 Personen; somit an Infektionskrankheiten überhaupt 18,5 
Personen, gegenüber 19,8 in dem vorhergehenden Quinquenninm, in dem, mit 
Ausnahme der Diphtherie, alle anderen Infektionskrankheiten höhere Sterbeziffern 
aufweisen. Eine erhebliche Steigerung haben im Jahre 1890 gegenüber den Vor¬ 
jahren die Tode.sfälle in Folge von Schwindsucht und Krankheiten der 
Athmnngsorgane erfahren, nämlich von 28,4 bezw. 23,6®/,KKt uuf 30,1 bezw. 
31,8 ®/o„„, (in Rbeinhessen sogar 33,8 */„**); die Ursache hievon ist lediglich auf das 
Herrschen der Influenza zurückznführen. 

An Apoplexie starben von lOtKX) Lebenden 0,6; an akutem Gelenk- 
rheuraatisniuB 0,3, an Dar m - und Brechdurchfall 10,0, in Folge gewalt¬ 
samen Todes 5,3 und zwar 2,7 durch Verunglückung, 2,4 durch Selbstmord 
und 0,2 durch Mord Diese Ziffern weichen nur wenig von denjenigen der Vor¬ 
jahre ab. R|k1. 



Tftgesnachrichten. 


347 


Vie Bewegung der Bevölkerung in Oesterreich während des 
Jahres 1890. Ocstcrreichisches Sanitätsweseu Nr. 9—11; 1892. 

Die Zahl der Geborenen betrug 894356 = 37,8 "/oo der Bevölkerung 
bei 23707876 Einwohnern. Unter den einzelnen Kronländern traten Galizien 
und Bukowina durch auffallend hohe (44,9 u. 44,0 "/„o) Gebnrtsziffern hervor, 
dagegen waren diese verhältnissmässig niedrig in Tjrol und Vorarlberg (28,1 
in Steiermark (29,9*/oo)i Salzburg (29,3 “/„o) und Oberösterreich (30,6 "/oo). Ini 
Vergleich zum Vorjahr war die Zahl der Geburten um 3,92 niedriger. 

Von den Geborenen waren dem G cschlcchte nachöOtSS"/» männlich 
und 49,67**/o weiblich; der Lebensfähigkeit nach 97,16lebend* und 
2,84**/„ todtgeboren (in Prenssen durchschnittlich 3,8‘Vo)« dem Familienstande 
nach 85**/o ehelich und 15'>/(, unehelich (in Prenssen durchschnittlich nur 9,3 "/o). 
Uneheliche Geburten waren besonders häufig in Kärnthen (44"/oü), Ober¬ 
österreich (26 '^/o), Salzburg (27 ‘’Z«) und Steiermark (24 "/o), während ihre Zahl in 
Gradiska und Görz nur 2,8‘’/o« iu Istrien 3,1 "/o und in Dalmatien 3,4**/o betrug. 
Von den unehelich Geborenen kamen 4'’/o, von den ehelich Geborenen nur 2,6 
todt zur Welt. 

Die Zahl der Eheschliessungen betrug 178906 = 7,55®/oo der Be¬ 
völkerung gegenüber 8,03®/oo im Vorjahre; die höchsten Ziffern wiesen in dieser 
Hinsicht ebenso wie bei den Geburten die Kronländer Bukowina und Dalmatien 
auf (8,0 und 8,3*/oo), die niedrigsten Kärnthen (5,l®/oo), Tyrol (5,8*/o„) und 
Vorarlberg (6,0 7oo). Dem Älter nach waren von den eheschliessenden 



Männern 

Frauen 

bis 24 Jahr alt 15,27®/,, 

46,68 ®/, 

über 24 

y, bis 30 Jahr alt 48,25 „ 

30,71 „ 

, 30 

„ , 40 X „ 22,71 , 

15,25 , 

« 40 

, , 50 , X 8,07 „ 

5,44 „ 

« 50 

, alt 5,70 „ 

1,92 „ 


Die Zahl der Gestorbenen ohne Todtgeburten betrug 69C342 = 
29,37 °loo der Bevölkerung gegenüber 29,28 ®/oa im Vorjahre. Verhältnissmässig hohe 
Sterbeziffern hatten die Kronländer Galizien (31,81 “/*„), Bukowina (31,32 ®/„„) 
Istrien (30,62 ®/uo)i Mähren (30,56®/q„) und Schlesien (30,03 ®/„); verhältnissmässig 
niedrige dagegen die durcli niedrige Geburtsziffem sich auszeichnenden Kroii- 
länder Vorarlberg (23,42 ®/oo), Tyrol (25,54 ®/oo) und Steiermark (25,78 ®/uo)- 

Dem Alter nach standen von den Verstorbenen 


im Alter bis 

5 Jahr ‘ 

*8,2 "Zo 

über 

40- 

-50 Jahren 

.5,5 

über 5 bis 

10 Jahr 

3,7 , 

V» 

50- 

-60 „ 

7,1 

. 10 „ 

20 , 

4,0 „ 

n 

60- 

-70 „ 

9.4 

. 20 , 

30 „ 

5,0 , 

n 

70- 

-80 „ 

8,8 

, 30 „ 

40 X 

4,8 „ 


80 

Jahre 

3,5 


Sehr hohe Kindersterblichkeit (54—57®/o der Verstorbenen) hatten 
besonders die Kronländer Galizien nnd Bukowina; während sich das Verhältniss 
am geringsten in Tyrol und Vorarlberg (circa 33'’/„) gestaltete. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Di(! Darstellung und der Verkauf dos bisher von Dr. L i b b e r t z berei¬ 
teten Tuberculinum Kochii geht vom 1. Juli d. J. ab auf die Farbwerke von 
Meister, Lncius und Brüning in Höchst über. Die Herstellung des Mit¬ 
tels wird in der gleichen Weise wie bisher stattfinden und die Prüfung des Mittels 
auf seine Reinheit und Wirksamkeit auch in Zukunft von Dr. Libbertz, der 
seinen Wohnsitz nach Frankfurt a. M. verlegt, ansgefulrrt werden. 



;u8 


Tiij^csuachriclitelh 


l'ebcr die amtliche Prüfung der ärztlichen Therinoiiieter »-hreiia 
der Kciclisanzeiger vom 14. Juni d. .1. wie folgt: 

,Seit 1885 giebt es im Deutschen Reich eine amtliche Prüfung der 
ärztlichen oder sogenannten Fieber-Tliermometer. Als man sie ein¬ 
führte, wollte man der grossen l^izuverbössigkeit entgegentreteu, unter welcher 
diese wichtigen Instrumente litten und welche leider zum Thcil auch heute noch 
nicht ganz beseitigt ist. Eine recht stattliche Höhe erreicht die Zahl der Ther¬ 
mometer, welche bei der Physikalisch-Technischen Keichsanstalt zu Charlotten- 
burg und bei der unter technischer Kontrole der letzteren stehenden Grossher¬ 
zoglich Sächsischen Prüfungsanstalt für Tlieriuometer in Ilmenau alljährlich zur 
Prüfung gelangen. Um so bedauerlicher aber ist es, dass selbst heute noch zahl¬ 
reiche Aerzte über das Wesen dieser amtlichen Prüfungen wenig unterrichtet 
sind und diese Unkenntniss es manchen Verfertigern und Händlern von Ther¬ 
mometern ermöglicht, diese gemeinnützige Einrichtung zum eigenen Vortheil in 
ungehöriger Weise auszunutzen. Die amtlichen Prüfungsstellen versehen näm¬ 
lich nicht nur die von ihnen untersuchten Instrumente mit einer Aetzstempelung, 
sondern geben ihnen auch Prüfungsscheine bei, welche durch das aufgcdruckte 
Stempelzeichen des Reichsadlers deutlich als amtliche gekennzeichnet werden. 
Es kommen aber zahlreiche Thermometer in den Handel, welche einer amtlichen 
Prüfung nicht unterlagen und gleichwohl mit Prüfungssclieinen versehen sind, 
nur dass letztere in der Kegel vom Verfasser selbst herrühren, welcher weder 
die erforderliche Unparteilichkeit, noch auch meistens die für solche Prüfungen 
nöthige Befähigung besitzt. Dabei wird aber, weil die meisten ärztlichen Ther¬ 
mometer von einem Zwischenhändler und nicht vom Verfertiger gekauft zu 
werden pflegen, die Scheine Jedoch von letzterem au^estellt sind, vielfach der 
Glaube erweckt, dass eine Nachprüfung von uubetheiligter Seite vorliegt. Häufig 
findet sich in den Bescheinigungen, um ihnen scheinbar grösseren Werth zu ver¬ 
leihen, auch die Angabe, die Kontrole sei mit einem von der Physikalisch-Tech¬ 
nischen Keichsanstalt o<ler der Kaiserlichen See warte oder einer anderen Behörde 
geprüften Normal ausgeführt worden. Um die Täuschung noch weiter zu treiben, 
hat sogar kürzlich ein Thermometerverfertiger den von ihm selbst ausgestellten 
Prüfungsbescheinigungen das genaue Format uud die Anordnung der amtlichen 
Scheine gegeben, so dass der nicht aufmerksame oder wenig erfahrene Käufer 
leicht in den Glauben versetzt werden kann, einen Schein der letzteren Art vor 
sich zu haben. 

Es liegt uns sehr fern, etwa für die ausschliessliche Benutzung amtlich 
geprüfter ärztlicher Thermometer hier eintreteu zu wollen; wir wissen sehr 
wohl, dass die amtliche Prüfung eine Kostenerhöhung von wenigstens 50 bis 
60 Pf. für das einzelne Instrument bedingt und dass Angesichts der leichten 
Zerbrechlichkeit der Thermometer ein solcher Mehrbetrag nicht als gering an¬ 
gesehen werden darf. Nur sind wir der Meinung, dass jeder Arzt mindestens 
ein geprüftes Thermometer besitzen solle, schon um die Richtigkeit der von seinen 
Patienten gebrauchten Fieber-Thermometer koutroliren zu können. Dann aber 
ist es nöthig, dass er sich vor Täuschung über den Werth der Prüfungsscheine 
schützt, und deshalb halten wir cs für angemessen, dem mit werthlosen Scheinen 
getriebenen Unfug entgegeuzutreten und den Aerzten dringend anzuempfehlen 
als geprüfte Thermometer nur solche zu kaufen, deren Prüfungsbescheinigungen 
von amtlicher Stelle ausgefertigt und mit dem Stempelzeichen des Reichs¬ 
adlers versehen sind,“ 


Die Einrichtung einer Abfall-Verbrennungsanstalt nach englischem 
Muster, wie solche Anstalten dort in mehreren Grossstädten bestehen, wird vom 
Senat der Stadt Hamburg empfohlen. Es soll eine Versuchsstation mit 60 000 M. 
erbaut werden, um künftig die Abfälle aus den Haushaltungen und den Stnisseu- 
kehricht durch einen Verbrennungsapparat zu vernichten. 

Auch in Berlin sollen systematische Versuche über Müllverbrennung au- 
gestellt werden. 


Verautworilicher Hedakteiir: Dr. Rapmund, Rt‘g.- n. Med.-Halb in Minden i. W. 

J. e. (’. nruii>4, Hut'liilruckerei, Miiuleü. 


J. 


I 



. Jahr#?. 


Zeitschrift 

för 


1892 


MEDIZINALBEAMTE 

Heransgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtl.Stadtphysikus inBerlin. Reg.- und Mcdizinalrath in Uindvn. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darohUtnfende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Yerlagshandlani^ and Rad. Hosse 

entgegen. 


No. 14. 


Krsehelnt am 1« and 15. Jeden Monats. 
Preis JAhrlloh 10 Mark. 


15. Juli. 


Zur Statistik der Mortalität im Wochenbett. 

Von Dr. Bloknsewski, Ereisphysikns in Dann. 

Der Preussische Medizinal-Beamten-Verein hat in seiner 
7. Haupt-Versammlung (Sept. 1889) im Anschluss an einen Vor¬ 
trag von Philipp-Berlin „Die Aufgaben zur Sicherang gesund- 
heitsgemässer Geburts-und Wochenbetts-Pflege“ eine sorgfältig 
ausgearbeitete, amtlich anzuordnende Statistik der 
Erkrankungen bezw. Todesfälle im Wochenbett auf 
Grund der Verordnung vom 22. November 1888 für 
dringend nothwendig erklärt. Mit Rücksicht hierauf sowie 
mit Rücksicht auf die jüngst in Erwägung gezogene Einführung 
einer obligatorischen Leichenschau halte ich eine Erörterung dieser 
Frage daher für zeitgemäss. 

Bereits 1888 hatte ich auf die Unbrauchbarkeit unserer 
MortaUtäts - Statistik für Kindbettfieber hingewiesen mit dem Re¬ 
sultat, dass während nach Bo ehr 0,66 ®/o der Gebärenden (d. h. 
13 ö/o mehr als standesamtlich angemeldet) im Wochenbett sterben 
und fast alle (d. h. 88—89 0 / 0 ) an Wochenbettfieber, meines Erach¬ 
tens nui* etwa 0,4 «/o im Wochenbett und 0,3—0,2 ®/o an Wochen¬ 
bettfieber sterben.*) 

*) Der Schluss meiner damaligen Statistik der Mortalität im Wochenbett 
hezw. an Wochenbettfieher (Nr. 9 dieser Zeitschrift 1889) lautete: 

1. Die Angabe Bö hr’s, dass man, um die wirkliche ^hl der im Wochenbett 
Gestorbenen zn erhalten, die standesamtlichen Zahlen um 13 *’/, erhöhen müsse, 
ist falsch; die letzteren sind im Gegentheil zn erniedrigen, und zwar nm 30 
wenn man die bezüglichen Zidern derjenigen Städte als Massstab annimmt, in 
denen ärztliche Todtenscheine eingeführt sind. 

2. Noch unrichtiger ist aber die Annahme, dass man ohne grosse Fehler 
die Zahl der im Wochenbett Gestorbenen für die am Wochenbettfieher Gestor¬ 
benen setzen kann und lässt sich schon jetzt behaupten, dass die wirkliche 
Ziffer der letzteren höchstens die Hälfte, Tielleicht sogar nur ein Drittel der¬ 
jenigen Gestorbenen beträgt, welche anf dem Standesamte als „im Kindbett ge¬ 
storben“ angemeldet werden. 







360 


Dr. Bloktuewski. 


Darauf traten Leopold und besonders Ehlers in einer 
sehr mühevollen Arbeit fiir die Richtigkeit der Bo ehr’sehen 
Zahlen ein, obwohl auch Ehlers bereits nur 0,583 ®/o fiir Wochen¬ 
bett und 0,5 ®/o fiir Wochenbettfieber ausrechnet. Nun hat H e g a r *) 
das Verfahren von Bo ehr und besonders von Ehlers ausführlich 
widerlegt, obwohl auch er, allerdings schätzungsweise und für 
• Baden, 0,5 ®/o Wochenbettfieber-Todesfalle annimmt, aber mit dem 
Schluss, „dass unsere Statistiken des Kindbetttodes noch mangel¬ 
haft, die des Puerperalfiebertodes aber fast unbrauchbar sind“. 

Ebenso haben sich einige Sanitäts - Berichte der Reg.-Medizinal- 
Räthe fiir die Jahre 1886/88 mehr oder weniger deutlich über die 
zu hohe standesamtliche Mortalität des Kindbettfiebers ausge¬ 
sprochen, z. B. diejenigen von Aurich, Frankfurt, Königsberg, 
Köslin, und Reg.-Med.-Rath Dr. Pas sau er, der zugleich Dii'ektor 
der Hebammen-Lehranstalt in Gumbinnen ist, sagt unter Bezug¬ 
nahme auf meine Statistik: „Es scheint die Annahme durchaus 
gerechtfertigt, dass man die bezüglichen Zahlen der Standesämter 
mindestens um 30 herabsetzen müsste, um einen annäheimd 
richtigen Massstab für die Mortalität im Wochenbettfieber zu ge¬ 
winnen.“ Nach He gar (1. c.) hat auch der mir unbekannte Be¬ 
richt für Elsass-Lothiingen für mehi-ere Jahre unverändert 0,3 ®/o 
Todesfälle in Folge von Wochenbettfieber. 

Nach einer im Wochenbulletin des eidgen. statistischen Bu¬ 
reau kürzlich veröffentlichten Zusammenstellung sind in den 15 
grösseren Städten der Schweiz von 14880 Entbundenen 126 = 0,8 ®/o 
gestorben, darunter jedoch nur etwas mehr als die Hälfte (71 = 0,48 ®/o) 
am Puerperalfieber. 

Erwähnen will ich hier auch die Arbeit des Kollegen 
Hecking (s. Nr. 23 dieser Zeitschrift; 1891), der, abgesehen von 
einer kleinen, aber genauen vierjährigen Statistik seines Kreises, 
auf mehr indirektem Wege die Richtigkeit der standesamtlichen 
Zahlen anzweifelt, indem er sagt: „Wenn 0,5 ®/o Wochenbettfieber- 
Todesfälle richtig ist, so müssten unter entsprechender Vertheilung 
auf die Kreise für den Regierungs - Bezirk Trier in 7 Jahren 917 
Todesfälle an Wochenbettfieber entfallen, während nur über 61 
berichtet worden ist.“ 

Dass nun aber unter Mitwirkung der Standesbeamten seitens 
der Physiker eine allen Anforderungen genügende Mortalitäts-Statis¬ 
tik zu erreichen ist, habe ich bereits 1889 in der Eingangs er¬ 
wähnten Medizinal-Beamten-Versammlung ausgeführt**) und sobald 


*) „Zur gebartshttlflichen Statistik in Preussen und zur Hebammenfrage*, 
Volkmann’sehe Hefte 1891, Nr. 29. 

**) Es sei mir gestattet, meine gelegentlich der Diskussion über den Vor¬ 
trag von Philipp gemachten Bemerkungen (s. offizieller Bericht S. 43) hier 
wörtlich anzugeben, da sie die Hauptpunkte der ganzen Frage berühren und ich 
sie noch heute vertrete: Wir haben jetzt die Ministerial-Verfügung 

vom 22. November 1888, die nach den verschiedensten Seiten dnrchgesprochen 
ist. Ich möchte sie nach einer andern Seite in Erwägung ziehen und zwar nach 
der Seite ihrer Anwendbarkeit für die Statistik. Die Anzeigepflicht der Heb¬ 
ammen ist jetzt zu einer sehr strengen gemacht. Wenn die Physiker etwas 
Zeit darauf verwenden, so können sie auf Qrund dieser Anzeigepflicht jetzt sehr 



Zar Statistik der Mortalitftt im Wochenbett. 


361 


sich mir nach Versetzung in den hiesigen Kreis die Gelegenheit 
bot, habe ich unter bereitwilliger Mitwirkung des Landraths - Amts 
und der Standesämter (hier Bürgermeistereien) darnach gehandelt. 

Inzwischen wurde für den Reg.-Bez. Trier durch Verfügung 
vom 19. Dezember 1890*) eine Mortalitäts - Statistik des Wochen¬ 
betts angeordnet. 

gnt eine Morbiditäts-, auf alle Fälle aber eine Mortalitäts - Statistik anfstellen. 
Allerdings gehört dazu noch eins: dass ähnlich, wie bei der Statistik der Pocken- 
Todesfälle durchgeftthrt ist, auch hier ein Eingreifen der Staatsbehörden statt- 
findet, indem die Standesbeamten verpflichtet werden, Duplikate von Zählkarten 
der am Kindbettfieber Gestorbenen dem Physikus einziireichen. Wenn er diese 
Zählkarten erhält, dann kann er im Zusammenhang mit den Anzeigen, die ihm 
von Seiten der Hebammen und von Seiten der Aerzte zngehen, sehr wohl eine 
Statistik aufstellen, die ein einigermassen klares Bild über das Vorkommen des 
Wochenbettfiebers giebt. Ganz sicher wird sie allerdings auch nicht sein. Die 
Fehlerquellen werden sich aber ausgleichen; denn manche Fälle werden als 
Kindbettfieber gerechnet werden, die es nicht sind, aber ebenso häufig wird das 
Gegentheil stattfinden. Eine solche Statistik wird aber ferner zeigen, wie weit 
wir mit den jetzigen strengeren Massregeln auskommen, und ausserdem wird 
ein Vergleich möglich -sein zwischen den Geburten in Kliniken resp. Gebärasylen 
und in der Familie, und hier wiederum zwischen den von Hebammen — und 
zwar mit und ohne ärztliche Hülfe — von Aerzten allein und von Pfuscherinnen 
geleiteten Geburten. Die Sache ist nämlich nicht so ganz einfach, und wir 
werfen den Hebammen meines Erachtens zu viel vor, wenn wir ihnen allein 
ohne Weiteres die Schuld beimessen. Ich habe z. B. im Anschluss an eine Be¬ 
merkung von zustehender Seite die Tagebücher der Hebammen meines Bezirks 
eingesehen und gefunden, dass eine verhältnissmässig grosse Zahl von Kindbett¬ 
fieber-Erkrankungen bei den seitens des Arztes künstlich beendeten Geburten 
vorgekommen war. Das kann ja Zufall sein; ich habe es aber auch von anderer 
Seite theilweise bestätigen hören, und die Möglichkeit liegt sehr nahe, dass 
gerade die ersten Fälle durch den Arzt erzeugt werden und erst die späteren 
durch Verschleppung seitens der Hebammen. Wenn nun durch strengere Vor¬ 
schriften auch nur erreicht wird, dass die ersten Fälle nicht weiter verschleppt 
werden, dann ist schon viel geschehen, um die Statistik der Mortalität etwas 
günstiger zu stellen. Wir können also ruhig abwarten und brauchen nicht, wie 
es von mancher Seite, besonders von Brennecke geschieht, so mit Dampf 
darauf loszuarbeiten und womöglich die Hülfe des Staats in Anspruch zu nehmen. 
Lassen wir doch allmählich eine Besserung entstehen und die freiwillige Thätig- 
keit und die Hülfe der Kommunen, wo es angebracht ist, vorläufig wirken, und 
sehen dann zu, wie der Prozentsatz in den Gebärasylen und wie er in der 
Familie bei zweckmässiger Anleitung und Beaufsichtigung und strengerer Kon- 
trole der Hebammen sich in den nächsten Jahren stellen wird, und wenn wir 
dann bei einer möglichst genauen Statistik zu einem Prozentsatz kommen, der 
immer noch viel höher in der Familie als in den Asylen ist und dessen Ursache 
wir nicht entdecken oder doch nicht beseitigen können, erst dann wird die 
Frage zu erörtern sein, ob wirklich der Staat und zwar mit so strengen Mass¬ 
regeln einzugreifen hat, wie sie hier vorgeschlagen werden. Bis dahin sind 
meiner Ansicht nach alle diese Bestrebungen, die darauf hinausgehen, die Ge¬ 
burten aus der Familie, aus der Häuslichkeit heraus in die Anstalten zu bringen, 
nicht gerechtfertigt; im Gegentheil sie sind in mancher Hinsicht sogar schädlich 

^ Dieselbe lautet: 

„Behufs Ermittelung der im diesseitigen Regierungsbezirke im Laufe 
eines Jahres an Kindbettfieber gestorbenen Frauen und behufs Ermittelung der 
Erfolge der für die Hebammen erlassenen Anweisung zur Verhütung des Kind¬ 
bettfiebers vom 8. Januar 1889 ersuche ich Ew. Wohlgeboren ergebenst, in den 
durch Verfügung vom 1. August 1884 angeordneten jährlichen mir einzureichen¬ 
den Sanitätsberichten eine genaue Nachweisung der während des Berichtsjahres 
vorgekommenen Todesfälle von Frauen im Wochenbette nach folgenden Gesichts- 
pui^tcn geordnet, aufzustelleu: 

a. Tod in Folge von Wochenbettfieber; 



352 


Dr. Blokasewski. 


Die hiernach erfolgenden Recherchen können hauptsächlich 
erst nach Jahresschluss angestellt werden, zumal die Vierteljahrs- 
Berichte der Standesämter bei den Todesursachen nur das Alter, 
nicht das Geschlecht enthalten, wodurch bei Bezeichnungen wie 
„Unterleibsentzündung" häufig unnöthige Rückfragen erfolgen 
würden. Da ausserdem m. E. die Rückfragen nach Jahresschluss 
auch für die Standesämter keine Erleichterung bringen, so blieb 
ich bei der sofortigen Ausstellung von Meldeformularen und be¬ 
nutzte nur diese Verfügung für mein Schreiben vom 25. März 1891 *) 


b. Tod in Folge von Verblntong vor, während oder nach der Entbindnng; 

c. Tod in Folge von Eklampsie; 

d. Tod in Folge von Gcbärmutterzerreissnng; 

e. Tod in Folge geburtshUlflicher Operationen; 

f. Plötzlicher Tod (Cbok); 

g. Tod durch andere mit der Gebart nicht in Zusammenhang stehende 
Krankheiten (Tuberkulose, Typhus etc.). 

Die Ew. Wohlgeboren jährlich im Januar von den Hebammen einza¬ 
reichenden Tagebücher in Verbindung mit den von den Standesämtern Ihnen zn- 
gehenden Verzeichnissen werden Ew. Wohlgeboren nöthigenfalls unter Rückfragen 
es ermöglichen, zuverlässige Zahlenangaben zu gewinnen und zu berichten. 

Erwünscht würde es mir sein, wenn Ew. Wohlgeboren auch für das Jahr 
1889 noch die bezüglichen Nachweisungen beifügen könnten." 

•) Dasselbe lautet: 

Königliches Kreisphysikat. Daun, den 25. März 1891, 

Nr. 84. 

Die durch Verfügung des Herrn Regierangs-Präsidenten in Trier vom 
19. Dezember 1890 angeordneten Ermittelungen über Todesfälle im Wochen- 
bett lassen es bis auf Weiteres angezcigt erscheinen möglichst bald festzu- 
stellen: 

1. jeden Todesfall einer Wöchnerin innerhalb 6 Wochen nach der Ent¬ 
bindung ; 

2. jeden Todesfall einer weiblichen Person — auch nach 6 Wochen — 
bei dem als Ursache ein Zusammenhang mit einer vorangegangenen Gebart 
(auch Frühgeburt und Abort) angegeben bezw. wahrscheinlich ist. 

Im Einvernehmen mit dem Herrn Landrath ersuche ich daher ergebenst, 
diesbezügliche Anzeigen mir möglichst bald nach standesamtlicher Anmeldung 
entweder unmittelbar oder durch das Königliche Landrathsamt zugehen zu lassen, 
sowie auch nachträglich etwaige in diesem Jahre erfolgte Anzeigen. Für die 
Fälle unter 1. dürfte ein Vergleich des Geburts- mit dem Sterberegister er¬ 
forderlich sein. 

Beiliegende . . Vordrucke sind sowohl für diese Anzeigen, als auch für 
etwaige seitens der Hebammen (auch Aerzte) auf dem Bürgermeistcramtc münd¬ 
lich erstattete Anzeigen bestimmt. 

Der Königliche Kreisphysikus. 

An das Bürgermeister - Amt zu. 

Das Formular lautet: 

Anzeige über Erkrankung — Todesfall — im Wochenbett. 


Die.Ehefrau des ...... Jahre alt, wohnhaft 

zu.. welche am . . ten.189 . . von der Heb¬ 
amme .und dem Arzte.entbunden worden ist und 


zwar mittelst Zange, Wendung, Extraktion, Lösung der Nachgeburt oder. . . 

.ist am .. ten.189 . . auch nach Ansicht des 

behandelnden Arztes.erkrankt oder gestorben an 

1. Kindbettfieber (Wochenbettfieber), Gebärmutterentzündung, Unterleibs- 

entzündung oder an Verdacht von. 

2. Typhus, Scharlach, Diphtheritis, Rose, Eiterfieber, oder. 

gestorben an: 

3. Verblutung vor, während, nach der Entbindung, Krämpfe (Eklampsie), 














Zar Statistik der Mortalitftt im Wochenbett. 


363 


an die Standesbeamten. Dadurch habe ich eine gegenseitige Eon- 
trole der Anzeigen der Aerzte, Hebammen und Standesämter er¬ 
reicht, die in Verbindung mit den Quartals - Berichten und Tage¬ 
büchern und bei übersichtlichen Verhältnissen wohl eine Gewähr 
für die Richtigkeit bieten können und zwar nicht nur für die 
Mortalität, sondern auch für die Morbidität. Trotz der Kleinheit 
der Zahlen will ich sie doch hier anführen, aber mich auf die 
Mortalität beschränken, wobei ich bemerke, dass die Fälle 1889/90 
hauptsächlich durch nachträgliche Recherchen erhalten sind. 

Darnach sind in den 3 Jahren 1889/91 bei ca. 3000 Geburten 
(unter Abzug für Mehrgeburten und Zuschlag für Fehlgeburten) 
festgestellt 20 = 0,66 ®/o Todesfälle zur Zeit des Wochenbetts, von 
denen 15 = 0,5 ®/o mit dem Wochenbett in Zusammenhang stehen 
und zwar entfallen 6 = 0,2 «/o auf Wochenbettfieber, 2 auf Gebär- 
mutterzerreissung und 7 auf Verblutung, zusammen 0,3 ®/o. Bei 
allen 6 Wochenbettfieberfällen war Kunsthülfe angewandt und zwar 
1 mal durch Pfuscherin, 5 mal durch den Arzt (2 Plac. praev. mit 
Wendung, 1 Wendung, 2 Extraktionen ohne Zange). In den 9 
Fällen bei Hecking (s. oben) war zwar nur 6 mal Kunsthülfe ange¬ 
wandt (fünfinal die Tamponade und einmal die Entfernung der Nach¬ 
geburt), immerhin aber weisen auch diese Fälle auf die vorher 
von mir betonte Wichtigkeit einer genaueren Sichtung der Todes¬ 
fälle an Kindbettfieber hin. Bei der grossen Anzahl von Ver¬ 
blutungen will ich noch anfUhren, dass 4 Wöchnerinnen innerhalb 
einiger Stunden starben, während es sich bei den 3 andern um 
Nacligeburtsreste gehandelt zu haben scheint. 

Vielleicht ist es manchen Kollegen angenehm, wenn ich hier 
einige Punkte noch besonders erörtere: 

1. Formulare sind nothwendig und zwar behufs Verminde- 


Gebännntterzerreissung, plötzlicher Tod (Chok), oder. 

4. Schwindaacht, Lungenentzündaug, Wassersucht, Herzfehler, Nierenent- 
zttndung, Leberkrankheit, Magenblutung, Magengeschwür, Krebs, 
Schlaganfall, Gehirnentzündung, oder. 

Das Kind war geboren: rechtzeitig oder frühzeitig (Anfang des 8. bis 
Mitte des 10. Schwangerschaftsmonats), oder anzeitig (Fehlgeburt, Abort, Miss¬ 
fall, Blutansammlung, Mole). 

Datum.den . . ten .... 189 . . 

Unterschrift. 

Anmerkung: 1. Das Zutreffende ist zu unterstreichen, oder Nichtzu¬ 
treffendes auszustreichen. 

2. Die Hebamme muss die Anzeige sofort (d. h. spätestens innerhalb 
24 Stunden) und direkt dem Kreisphysikus machen (schriftlich oder mündlich): 
bei Kindbettlieber, Verdacht von Kimlbettfieber, Tod einer Gebärenden; ferner 
sobald sie mit eiternden Absonderungen in Berührung kommt, oder ansteckende 
Krankheiten in ihrer eigenen Familie Vorkommen. 

3. Für die vorgeschriebene Anzeige der Aerzte genügt die offene 
Zusendung dieser Anzeige durch das Bürgermeisteramt. 

Bemerkungen. Insbesondere: Name des behandelnden Arztes, der 
Hebamme, Wartefrau, Krankenpflegerin, bezw. Angabe ob durch eine Nicht¬ 
hebamme entbanden; Angabe der Hebamme, ob sie noch andere Wöchnerinnen 
pflegt und welche? Temperaturangaben. 

(Der halbe Bogen ist durch Aufdruck der Adresse auf der Rückseite so¬ 
gleich postfertig gemacht.) 







354 


Dr. Blokasewski. 


rung von Rückfragen möglichst ausführliche. Ersatz der Porto- 
Auslagen ist anzustreben, aber Postkarte halte ich nicht für zweck¬ 
mässig. Die direkten Anzeigen an den Kreisphysikus entbinden 
nicht von den in der Regel ausserdem vorgeschriebenen Anzeigen 
an die Ortspolizeibehörde, sofern nicht wenigstens ein üeberein- 
kommen betreffs Weitermeldung getroffen ist. Besonders einfach 
wäre dieses z. B. für die Provinz Hannover, woselbst abgesehen 
von den sog. selbstständigen Städten die Ausübung der Ortspolizei 
in den Händen der Landräthe ruht. (Kr.-O. vom 6. Mai 1884; 
G. S. 181, §. 24 ff.) 

Doch könnten zur Vermeidung doppelter Ausfertigung diese 
Anzeigen, besonders in nicht eiligen Fällen, offen durch die Orts¬ 
polizeibehörde gehen, so dass diese, etwa wie bei einer mündlichen 
Anzeige, Kenntniss davon nimmt. 

2. Die Mitwirkung der Standesbeamten dürfte am leich¬ 
testen zu erreichen sein, wo, wie z. B. in der Rheinprovinz, dieses 
Amt in der Regel von der Ortspolizeibehörde und wo es nicht als 
Ehrenamt versehen wird. Die sofortige Meldung seitens des 
Standesamts ist erforderlich wegen der Recherchen und auch, weil 
bei späterer Meldung die Möglichkeit der Verjährung (3 Monate 
für Polizei-Verordnungen) besteht. 

3. Etwaige Polizei-Verordnungen sind je nach Bedürf- 
niss in Erinnerung zu bringen und ausserdem jeder Hebamme ein 
Abdruck dieser amtlichen Bekanntmachungen (Kreisblatt) behufs 
Einverleibung in ihr Lehrbuch zuzustellen. 

4. Wie nothwendig eine genaue Revision der Tagebücher 
ist, habe ich sowohl in meinem ersten Wirkungskreise als auch 
später bemerkt, indem, abgesehen von sonstigen falschen bezw. 
fehlenden Eintragungen, häufig wenig Uebereinstimmung mit den 
Standesamts - Registern bestand, was durch die grösstentheils kurz 
vor der Revision und höchstens nach mangelhaften* Notizen erfol¬ 
gende Eintragung bedingt ist. Daher habe ich hier besondere 
Vorschriften*) drucken und in die Staude’sehen Tagebücher 


*) Ich will dieselben hier vollständig wiedergeben, da manchen Kollegen 
in ähnlichen Verhältnissen Zeit erspart werden dürtte: 

Vorschriften für die Hebammen des Kreises Daun. 

1. Die Eintragungen in das Tagebuch soll die Hebamme eigenhändig 
machen und zwar am Tage der Entbindung, spätestens am folgenden Tage. 

2. Die Eintragungen sind nach dem angegebenen Beispiel und so sauber 
und leserlich als möglich zu machen. Die Namen und Daten müssen mit den 
Büchern des Standesamts übereinstiramen. 

3. Jedes neue Jahr beginnt auf einer neuen Seite und zwar mit Nummer 1. 
Auf jede Seite kommen 4 Eintragungen. 

4. Bei unehelichen Geburten wird eingetragen anstatt „Ehefrau des N. N.** 
„Tochter des N. N.“. 

5. Beim Tode der Mutter oder des Kindes ist der Tag des Todes an¬ 
zugeben. 

6. Als Kunsthülfe ist anzugeben z. B. „Zange“, „Wendung“, „Extraktion“, 
„Lösung der Nachgeburt“ u. s. w. 

7. Der Verbrauch an reiner, unverdünnter Karbolsäure ist bei jeder 
Geburt gewissenhaft anzugeben und am Jahresschluss zusammenzuzählen. 

8. Unter Bemerkungen ist anzugeben z. B. ob die Hebamme die Wendung 
oder Lösung der Nachgeburt selbst gemacht hat und aus welchem Grunde; 



Zur Statistik der Mortalität ini Wochenbett. 


356 


einkleben lassen. Diese Tagebücher sehe ich nicht nur gelegent¬ 
lich und unvermuthet ein, sondern lasse sie auch seitens der Orts¬ 
polizeibehörde in einzelnen Fällen abfordem und mit den Standes¬ 
amts - Registern vergleichen. 


Name der Krankheit oder der Todesursache, Tag der Anzeige, Name des behan¬ 
delnden Arztes; Angabe ttber Missgeburt, Abort, Mole; Dauer der Belebungs¬ 
versuche bei Kindern, die während der Geburt gestorben sind. 

9. Bei todten Kindern ist anzugeben, ob sie während der Geburt ge¬ 
storben sind oder schon vorher und ob sie schon in Verwesung übergegangen 
waren. 

10. Als todtgeborene Kinder sind auf dem Standesamt nicht anzu¬ 
geben diejenigen, die überhaupt nicht TMonate (210 Tage) sich im Mutter¬ 
leibe entwickelt haben; besteht aber ein Zweifel über dieses Alter oder hat 
das Kind auch nur das geringste Lebenszeichen von sich gegeben, so ist es an¬ 
meldepflichtig. Die anmeldepflichtigen Kinder sind also die im Tagebuch 
als frühzeitig (Frühgeburt: Anfang des 8. bis Mitte des 10. Schwangerschafts¬ 
monats) oder rechtzeitig einzutragenden Kinder zum Unterschied von den un- 
zeitigen (Mole, Abort, Fehlgeburt). 

11. Das Tagebuch ist bis spätestens zum 10. Januar jedes Jahres „An 
das Königliche Kreisphysikat zu Dann" einzureichen und zwar entweder per¬ 
sönlich bezw. durch einen sicheren Boten oder durch das Bürgermeisteramt oder 
durch die Post. Zwischen dem 20.—30. Januar können die Hebammen sich das 
Tagebuch selbst abholen; nach dem 30. Januar wird es dem Bürgermeisteramt 
zugesteUt. ln der Zwischenzeit macht die Hebamme die Eintragungen in die 
noch vorhandenen alten Tagebücher oder Formulare. 

12. Im Uebrigen bat die Hebamme stets die Bestimmungen des Lehrbuchs 
sowie die Anweisung zur Verhütung des Kindbettfiebers zu befolgen, insbeson¬ 
dere hat sie bei schweren Geburten sowie Erkrankung der Mutter oder des 
Kindes der Vorschriften über die rechtzeitige Zuziehung eines Arztes zu gedenken. 

13. Jede Erkrankung einer Wöchnerin, nicht nur an Kindbett¬ 
fieber, sondern auch an Gebärmutter- oder Unterleibsentzündung, ja sogar jeder 
Verdacht einer solchen Erkrankung ist sofort dem zuständigen Kreisphysi- 
kns behufs Einholung von Verhaltungsmassregeln anzuzeigen und zwar ent¬ 
weder mündlich oder schriftlich unter AusfttUnng der gedruckten Anzeigen 
(direkt oder durch das Bürgermeisteramt); in derselben Weise hat die Hebamme 
jeden Todesfall einer Wöchnerin innerhalb 6 Wochen nach der Entbindung unter 
Angabe der Todesursache anzuzeigen. In eiligen Fällen z. B. bei Kindbett¬ 
fieber oder Tod während der Geburt muss die Anzeige direkt (mündlich oder 
schriftlich) an den Kreisphysikus gemacht werden. Wenn ein Arzt zugezogen 
worden ist, so hat die Hebamme, b^esonders in fraglichen Fällen, denselben unter 
Vorzeigung dieser Bestimmungen anziüragen, ob ein für sie anzeige¬ 
pflichtiger FaU vorliegt. Die Anzeige der Hebamme bat aber unabhängig von 
einer Anzeige des Arztes zu erfolgen, zumal der Arzt nur Fälle von Kindbett¬ 
fieber anznzeigen verpflichtet ist. 

14. Bei Behinderung für mehr als 3 Tage hat die Bezirksbebamme den 
Kreisphysikus rechtzeitig in Kenntniss zu setzen behufs ihrer Vertretung 
durch eine benachbarte Hebamme. 

15. Die In.strumente und sonstigen Geräthschaften sind stets in sauberem 
Zustande zu erhalten; verloren gegangene oder unbrauchbar gewordene Sachen 
hat sie dem Kreisphysikus sofort anzuzeigen. 

16. Die unverdünnte (konzentrirte) Karbolsäure kann sich die Hebamme 
ohne Unterschrift eines Arztes selbst aus der Apotheke holen, sie hat aber in 
Bezug auf Aufbewahrung der Karbolsäure die grösste Vorsicht 
zu üben; zu die.sem Zweck hat sie den Schlüssel der verschlossenen Hebaramen- 
taschc stets bei sich zu tragen und die Literfiasche mit Karbolsäure an einem 
nicht allgemein zugänglichen Orte aufzubewahren, am besten unter sicherem 
Verschluss. 

Daun, den 1 Februar 1891. 

Der Königl. Landrath. Der König!. Kreisphysikus. 

V. Ehrenberg. Dr. Blokusewski. 



356 


Dr. Blokusewüki. 


5. Bei aller Strenge muss man aber versuchen, das Vertrauen 
der Hebammen zu gewinnen. Hierhin gehört auch die Beschrän¬ 
kung der Suspendirungen auf die äussersten Fälle; meist wird 
es genügen, den Hebammen unter Hinweis auf etwaige Folgen 
einen diesbezüglichen Rath zu ertheilen. Bei einer nothwendigen 
Suspension ist eine Entschädigung zu erstreben, die aber nicht zu hoch 
sein darf, zumal der Ausfall bei geregelter gegenseitiger Vertretung 
nicht bedeutend ist. Diese Entschädigung ist hier gegeben durch 
Berücksichtigung bei der durch das bereitwillige Entgegenkommen 
des Landraths eingeführten jährlichen Remuneration in Höhe 
von je 20—50 Mark für etwa die Hälfte der Hebammen nach 
Massgabe der genau geführten Personal - Akten. 

6. Auch ein Vorgehen gegen die Hebammen-Pfusche- 
rinnen dürfte in manchen Gegenden angezeigt sein. Für die 
Rheinprovinz ist der Nachweis der Gewerbmässigkeit sehr erleich¬ 
tert durch §. 5 der Polizei-Verordnung vom 2. April 1891 (s. Beilage 
zu Nr. 24 dieser Zeitschrift 1891 Seite 170) wonach die zu Ent¬ 
bindungen an sich nicht berechtigten Personen eine solche (Noth- 
fall) sofort der Ortspolizeibehörde anzeigen sollen. Eine Feststellung 
und Bestrafung der Gewerbsmässigkeit bezweckt auch eine im 
letzten Sanitätsbericht enthaltene Verfügung des Eönigl. Regierungs¬ 
präsidenten zu Marienwerder an die Landräthe. Wenn aber diese 
Verfügung weiter sagt, dass Jeder Erkrankungsfall an Kindbett¬ 
fieber von Pfuscherinnen ohne Desinfektion als durch Unterlassung 
verschuldet zur strafrechtlichen Verfolgung genügt“, so dürften 
hierunter wohl nur die erwiesenermassen gewerbsmässigen Nicht¬ 
hebammen gemeint sein. 

Schwierig aber werden diese statistischen Ermittelungen, be¬ 
sonders ohne gesetzlichen Rückhalt, immer bleiben. 

Für eine allgemeine gesetzliche Regelung der 
Statistik unter Mitwirkung der Standesbeamten ist nun auch 
He gar (1. c.) eingetreten, dessen praktische Vorschläge ich aber 
nicht ohne Weiteres unterschreiben kann, so dass ich sie, zumal 
bei der Autorität He gar’s, speziell erörtern muss und zwar 
unter möglichst wörtlicher Anführung. Hegar sagt: 

„Eine bessere Statistik des Kindbetttodes lässt sich wohl leicht er¬ 
reichen, wenn der Standesbeamte angewiesen wird, die Frage zu stellen, ob eine 
Niederkunft dem Tode vorangegaiigen ist. Dabei wird ein bestimmter Termin, 
wie in Baden, festgehalten werden müssen, etwa 4 Wochen. Ein grösserer Zeit¬ 
raum ist nicht passend, obgleich, wde ich dieses nachgewiesen habe, eine nicht 
geringe Zahl der Wöchnerinnen noch später an Sepsis stirbt. (Zur puerperalen 
Infektion, Volkmann’s Vorträge Nr. 351). Allein man würde doch zu viel 
aecidentelle Erkrankungen, welche mit dem Fortpflanzungsvorgang nichts zu 
thun haben, bei einer grössert?n Frist in die Liste bekommen. Wollte man die 
Entscheidung, ob ein Zusammenhang bestcdie, dem behandelnden Arzte anheim¬ 
geben, so würde wieder da.s sulijektive Element, wms bei einer Statistik mög¬ 
lichst zu meiden ist, ins Spiel gezogen s(‘in. Pie obligatorische Frage müsste 
so gestellt sein, dass .sie nur ein da oder Nein erforderte, also: ist in den letzten 
4 Wochen vor dem Tode eine Geburt erfolgt? Da wo durch Verfügung der 
Beliörtle Leichen.scheine eingefülirt sind, muss diese Frage in ihnen enthalten 
sein. Eine gute Statisfik des K i n db e ttf i e be r t o d e s ist ungleich schwieriger 
zu beschart’en. Da w'o kein Leiclnmscheinzwiing besteht, auf welchem die Angabe 
der Todesursache verlangt wird, lässt sirh nichts machen. Auch dann hängt 
alles vom bessern Willen und grösserer Einsicht der Aerzte ab, welche oft ganz 



Zur Statistik der Mortalität im Wochenbett. 


857 


gruudlos die Anzeige und die richtige Benennung scheuen. Damit wird es wohl 
besser werden, besonders wenn von anderer Seite alles vermieden wird, was den 
Arzt oder die Hebamme ohne Zweck vor den Leuten blossstellt, oder was die 
Angehörigen der Kranken unnöthigerweise belästigt. Alle septischen Erkrankungen, 
welcher anatomischen Form sie auch seien, sollten unter der Benennung Puer¬ 
peralfieber figuriren. Selbstverständlich müsste ein medizinisch gebildeter Be¬ 
amter die Statistik anfertigen.“ 

Hegar macht allem Anschein nach einen Unterschied in der 
Anfertigung der Statistik für Kindbett und Kindbettfieber, indem 
er bei ersterem die Entscheidung dem Standesbeamten in Folge 
der obligatorischen Fragestellung überlässt. Dadurch wird aber 
die Mortalität für das eigentliche Kindbett zu hoch, da doch viele 
Frauen an Krankheiten in dieser Zeit sterben, die mit dem Kind¬ 
bett höchstens eine Beschleunigung gemein haben. Da nun Hegar 
den behandelnden Arzt für zu subjektiv hält, ergiebt sich auch 
für die Entscheidung des Kindbetttodes von selbst der Medizinal¬ 
beamte. Dadurch fallt aber weiter der Gmnd für die kurze Dauer 
von 4 Wochen fort. 

Für die Statistik des Kindbettfiebertodes halte ich den 
Leichenscheinzwang für belanglos, so lange die Leichenscheine 
nicht vun einem möglichst neutralen Arzte ausgestellt werden, 
was sich allenfalls in grösseren Städten durchführen liesse. Da¬ 
gegen lege ich grösseren Werth auf die Mitwii-kung der Heb¬ 
ammen, zumal wenn der Physikus einen noch grösseren Einfluss 
auf sie erlangt. 

Was die Feststellung der Todesfälle überhaupt anbelangt, 
so hatte ich nur desshalb einen Vergleich der Standesamts- 
Register gewählt, weil dieselbe hier mehr privater Natur war 
und die Verhältnisse ausserdem übersichtlich sind. Bei einer all¬ 
gemeinen Regelung ist aber die Fragestellung zweckmässig, so¬ 
wohl wegen der Schwieiigkeit des Büchervergleichs als auch 
wegen des Verlustes durch Fehlgeburten und auch durch etwaigen 
Bezirkswechsel zwischen Entbindung und Tod. Ebenso bin ich in 
Bezug auf die Fragestellung mit einer Dauer von 4 Wochen 
einverstanden, weil der verhältnissmässig geringe Ausfall für die 
Höhe der Mortalitätszahl, als auch für die Beurtheiliing des Er¬ 
folges der getroffenen Massregeln wohl wenig in Betracht kommt, 
zumal wenn wir uns dieses Fehlers bewusst sind. Dagegen darf 
bei der Angabe eines Zusammenhangs mit einer vorausgegange¬ 
nen Geburt keine Grenze gesetzt werden, schon wegen der Kon- 
trole über die angezeigte Erki’ankung. 

Betreffs der gehörigen Einreichung der mit Unterbrechung 
der Schwangerschaft verknüpften Geburten ist Hegar zwar 
der Ansicht, „dass ohne Rücksicht auf die Zeit der Schwanger¬ 
schaftsdauer, wie in Baden, die Statistik zwar viel einfacher, aber 
die Mortalität ausgedrückt in Prozent der Geburten zu hoch wäre, 
dennoch sei ein Schema mit Auseinanderhaltung der verschiede¬ 
nen Zeiträume — anscheineiid auch der ersten 3 Monate — noth- 
wendig, weil die ganze, einer neuen gründlichen Bearbeitung so 
sehr bedürftige Lehre ,von der vorzeitigen Geburt einer guten 
Statistik bedürfe“. Ferner hebt Hegar die grosse Zahl der 



Dr. Blokasewski, 


SJi8 

Todesfälle bei Aborten and die Schwierigkeiten ihrer Feststellung 
hervor. M. E. wollen wir aber in erster Reihe gar nicht die Ge¬ 
fahren der Fortpflanzungszeit überhaupt kennen lernen, sondern 
die Gefahren derjenigen Geburten, bei denen Arzt bezw. Hebamme 
zugezogen worden sind, während gerade die verheimlichten bezw. 
verbrecherischen Geburten unsere Statistik unnöthigerweise ver¬ 
schlechtern würden. Die Todesfälle aber nach, freiwillig oder auf 
Befragen zugegebenen, unzeitigen Geburten (Fehlgeburt, Abort, 
Missfall, Blutansammlung, Mole) werden die Mortalität nicht so 
sehr erhöhen und für die Berechnung des Prozentsatzes zu den 
eigentlichen Geburten können sie ja leicht ausgeschieden werden. 
Wichtig ist hierbei aber eine möglichst einheitliche Unter¬ 
scheidung der standesamtlich anmeldepflichtigen Ge¬ 
burten und habe ich die diesbezüglichen Ministerial-Erlasse vom 
17. Dezember 1889 und 20. November 1890 unter die Vorschriften 
für die Hebammen (s. Nr. 10 daselbst) aufgenommen und ausser¬ 
dem diese Fassung den Standesämtern zur Kenntnissnahme zuge¬ 
stellt. Eine Sonderung der ersten 3 Monate halte ich wegen der 
für unsere Zwecke verhältnissmässig grossen Schwierigkeit nicht 
für angezeigt. 

Aber auch mit diesen Bestimmungen werden nur wenige 
Physiker eine einigermassen genaue Statistik liefern können. Jeden¬ 
falls würden wir uns hüten müssen, eine etwaige Abnahme des 
Kindbettfiebers ohne Weiteres auf Rechnung der strengeren Des¬ 
infektions - Massregeln zu setzen. Die Aerzte müssten, wie es die 
Polizeiverordnung für Minden vom 10. August 1891 (s. Beilage zu 
Nr. 19 dieser Zeitschrift, 1892, S. 140) vorschreibt, auch den Ver¬ 
dacht von Kindbettfieber anzeigen und diesen Verdacht der 
Hebamme unverweilt mittheilen. Nach den jetzigen Bestimmungen 
brauchen sie den Fall übeiliaupt erst anzeigen, wenn es schon 
zu spät ist. Gewiss kann man durch private Liebenswürdigkeit 
Einiges erreichen, aber m. E. noch leichter, wenn neben dem ge¬ 
setzlichen Rücklialt auch die Möglichkeit der strengen Durch¬ 
führung der Verordnungen bekannt ist. Die Hebammen aber 
werden, unterstützt durch die Aei zte, allmählich lernen, diese für 
sie thatsächlicli unbequemen strengeren Bestimmungen zu umgehen. 
Der Reg.- u. Med.-Rath Dr. Dietrich sagt darüber in seinem 
letzten Sanitätsbericht: 

„Die Hebammen unterlassen eben zum grrossen Theil diese Anzeigen, denn 
wenn auch die Uiiterlussuiig mit, Strafen bedrolit ist, so fehlt doch dem Physikus 
jedes Mittel der Koiitrole und je mehr die Hebammen erkennen, dass diese 
Unterlassungen straflos bleiben, desto seltener werden die Anzeigen. Wenn die 
Massregel wirksam werden soll, und dieses ist eine dringende Nothwendigkeit, 
80 muss der Medizinalbeamte ein Alittel der Kontrole erhalten. Der einzige Weg 
Hin eine solche zu ermöglichen, wäre derselbe wie er bei den Pockentode.sfällen 
eiugesehlagen worden ist. Der SUindesbeamte müsste verjiflichtet werden, über 
jeden Toilesfall im Wochenbett, also bis 6 Wochen nach einer Entbindung, ein 
Duplikat dt’r Zählkarte auszufertigen und dem Physikus unverzüglich zuzustellen. 
.Sache des Physikus wäre es dann, zu ermitteln, ob in dem Fall ein Kindbett¬ 
fieber vorgt.degen hat und event. Massregeln betreffs der Hebammen auznordnen. 
Wenn in einem solchen Fall die Erkrankung oder gar der Todesfall von der 
Hebamme nicht augezeigt worden ist, so ist sic uUnachsichtlich zur Bestrafung 
zu ziehen.“ 



Zur Statistik der Mortalität iin Woclieubett. 


859 


Leider giebt Dietrich nicht die Art und Weise der Er¬ 
mittelung an. Jedenfalls ist die Entscheidung nicht so leicht wie 
bei Pocken durch Rückfragen zu ermöglichen. Es bleibt also nur 
die Untersuchung an Ort und Stelle, schon wegen der 
meistens anzuordnenden Massregeln, und zwar die sofortige. 
Ich bin weit davon entfernt, dieselbe in jedem Fall für nöthig zu 
halten, wie es für den Reg.-Bez. Aurich eine Verfügung vom 
8. Nov. 1888 vorschreibt*), jedenfalls aber dürfte die Entschei¬ 
dung über die Nothwendigkeit dem pflichtgemässen Ermessen 
des Physikus überlassen werden. So lange aber die prinzi¬ 
piellen Gründe diesem Vorgang entgegenstehen, könnten die 
requirirenden Behörden wohl angewiesen werden, einem dies¬ 
bezüglichen Wunsche des Physikus auf jeden Fall Folge zu 
geben, so dass auf diese Weise bei eiligen Fällen auch die nach¬ 
trägliche Genehmigung zur Untersuchung erfolgen kann**). Die 
Befürchtung zu häufiger Dienstreisen dürfte, abgesehen von dem 
jederzeit möglichen Einhalt, zurückzuweisen sein durch die Er¬ 
fahrungen in den allerdings wenigen Kreisen, in welchen ein dies¬ 
bezügliches Uebereinkommen zwischen Landi’ath und Physikus ge¬ 
troffen ist. Ich habe wenigstens unter ähnlichen Verhältnissen nur 
1 mal während fast 2 Jahren eine Reise wegen Kindbettfieber ge¬ 
macht, sonst bin ich mit dem allerdings sehr schwierigen schrift¬ 
lichen Wege ausgekommen. Die Vortheile aber der sofortigen 
Untersuchungen an Ort und Stelle habe ich im Reg. - Bez, Aurich 
schätzen gelernt! Dass namentlich bei Erkrankungsfällen der 
Physikus sich den jedesmaligen Verhältnissen anpassen muss, ist 
selbstverständlich und auch nicht schwer; zu einer eigentlichen 
Untersuchung lag selten Veranlassung vor und Hess sich die Diag¬ 
nose stets ohne besondere Belästigung stellen. Nur in einem Noth- 
falle musste wegen ärztlichen Mangels eine vorläufige ärztliche 
Verordnung gemacht werden. Insbesondere aber gaben die Ange¬ 
hörigen bei Todesfällen sehr genauen Aufschluss über das Ver¬ 
halten der Hebamme, Verlauf der Krankheit, Ansicht des Ai-ztes 
— natürlich soweit sich dieselben überhaupt ausspreclien —, ferner 
über Erkrankungen anderer Wöchnerinnen oder sonstige ansteckende 
Krankheiten im Ort oder Umgegend. Das Publikum bekommt 
nämlich doch ein Verständniss für den Zusammenhang, jedenfalls 
aber kontrolirtes das Verhalten der Hebamme. Andererseits ist man 
auch in der Lage, auf sehr einfache Weise die Hebamme in Schutz 
zu nehmen gegen ungerechtfertigten Verdacht und die Massregeln 
den jeweiligen Verhältnissen anzupassen, während sie auf schrift¬ 
lichem Wege meistens strenger ausfallen müssen. Betrefls der 


*) Polizei-Verordnung, betr. Massregeln gegen die Verbreitung anstecken¬ 
der Krankheiten u. s. w. Aurich, Druck und Verlag von Tapperdfe Sohn, S. 38. 

**) ln einer kürzlich für den Regierungsbezirk Minden erlassenen Anwei¬ 
sung (v. 5. April d. J.) betreffend Massregeln gegen die Verbreitung aust ckender 
Krankheiten ist unter Nr. 13 c die Bestimmung getroffen, dass der Kreisphysikus 
in allen b’ällen von Wochenbettfieber an Ort und Stelle zu entsenden ist, in 
denen der Verdacht eines Verschuldens der Hebamme vorliegt, z. B. wenn zwei 
von ein- und derselben Hebamme besorgte Wöchnerinnen gleichzeitig oder kurze 
Zeit hintereinander erkranken. 



360 Dr. Blokasowski: Zar Statistik der Mortalität im Wochenbett. 

Diagnose will ich nur einen Fall erwähnen, der mir noch in der 
Erinnerung ist. Von einer sonst zuverlässigen Hebamme und dem 
Ortsvorsteher war als Ursache eines Todesfalles nach Frühgeburt 
„Bleichsucht und Aerger in Folge Untreue des Bräutigams“ ange¬ 
geben. Die Untersuchung ergab Kindbettfieber mit Vereiterung 
fast sämmtlicher grösseren Gelenke und eines Auges. 

Wenn in dieser Arbeit meine eigenen Handlungen und Er¬ 
fahrungen etwas sehr in den Vordergrund treten, so möge man es 
damit entschuldigen, dass es zur Beleuchtung des Ganzen kaum 
weniger möglich war. Doch ich komme zum Schluss. 

Die Nothwendigkeit und Möglichkeit der standesamtlichen 
Mitwirkung und häufigerer Untersuchungen an Ort und Stelle für 
eine sichere Statistik glaube ich bewiesen zu haben. Würde es 
sich aber nur um Statistik handeln, so wäre es vielleicht aus¬ 
reichend, bestimmte Bezirke unter Berücksichtigung städtischer, 
industrieller und ländlicher Verhältnisse für eine möglichst genaue 
Statistik auszuwählen, z. B. in den Provinzen Posen und Hannover, 
woselbst die Kosten auch der ersten Konstatirung der Staat trägt 
(in Hannover allerdings mit Ausnahme der selbstständigen Städte). 
Aber die Kontrole der getroffenen Massregeln, insbesondere des 
Verhaltens der Hebammen ist ein allgemein gefühltes Bedürfhiss. 
Da nun die Kontrole auf dem doch recht unbequemen disziplinären 
Wege nur für die Hebammen in Frage kommt, so bleibt nur die 
Kontrole im Anschluss an Polizeiverordnungen übrig. Diese Kon¬ 
trole erfordert dieselben Bedingungen wie die Statistik und diese 
wiederum wäre das einzige zuverlässige Kriterium für die Beur- 
theilung des Erfolges der bereits getroffenen Massregeln. Mag 
auch sonst ein einheitliches und strenges Verfahren in der 
Sanitätspolizei schwierig sein und nicht ganz sicher in seinem Er¬ 
folg, in der Kindbettfieber - Frage stehen wir auf sicherem Boden; 
hier können wir zeigen, dass die Desinfektionslehre nicht Chimäre 
ist, wie es noch häufig auch die Ansicht der leider massgebenden 
Behörden (Landräthe) ist, und gerade hier kann das Verständniss 
des Publikums für Reinlichkeit und Desinfektion auch im Interesse 
anderer hygienischer Massnahmen gehoben werden. Aber keine 
halbe Arbeit, sonst geräth auch hier die Desinfektion noch mehr in 
Misskredit und das Geld ist fortgeworfen. Zu einer Zeit, wo so grosse 
Summen für sozialpolitische Zwecke ausgeworfen werden, da 
haben wohl auch die Frauen das Recht auf Schutz ihi’er Gesund¬ 
heit und Arbeitskraft, zumal wenn sie sich vertrauensvoll der 
staatlich approbirten Hülfe hingeben. So lange aber eine allge¬ 
mein gesetzliche Regelung aussteht, werden vielleicht Einzelne an 
dieser Frage mitarbeiten, freilich auf die Gefahr hin, manchem recht 
unbequem zu sein, und nur mit der Befriedigung, unter ungünsti¬ 
gen Verhältnissen das Beste gewollt und vielleicht einen Theil 
erreicht zu haben. 



Dr. Richter: Trunkenheit, KohlenozjdTergiftung, Erstickung. 


861 


Trunkenheit, Kohlenoxydvergiftung, Erstickung. 

Gntachten von Dr. Richter, Kreis - Physikus in Gross-Wartenberg. 

A. Geschichtserzählung. 

Am 18, April d. J. Abends wurde ich nach W. bei G. W. in 
die Wohnung der Arbeiterfrau G. gerufen. Ich fand die als die 
G. bezeichnete Weibsperson todt am Boden liegend vor. Drei als 
die Enkelkinder der G. bezeichnete Kinder, im Alter von ungefähr 
2—7 Jahren, lagen in ihren Betten, hatten sich erbrochen, sahen 
blass und elend aus und machten den Eindruck der Unbesinn¬ 
lichkeit. 

Die Klappe des Ofenrohres war geschlossen; der Ofen fühlte 
sich noch lauwarm an. 

Die Kinder hatten sich andern Tages erholt. 

Nach den Angaben der Kinder und der Nachbarn hatte die 
G. am 18. noch in dem Stubenofen zu Mittag gekocht, war dann 
ausgegangen und gegen 3 Uhr Nachmittags betrunken heim ge¬ 
kommen. Gegen Abend hörten die Nachbarn das Wimmern der 
Kinder, öffneten die Stubenthür und fanden die G., auf dem Ge¬ 
sicht über einem der Betten liegend todt, und die Kinder in dem 
beschriebenen Zustande vor. 

B. Ergebnisse der am 20. April gemachten Leichen¬ 
öffnung. 

2. Der ganze Rücken bis herab zum Gesäss, sowie ein grosser 
Theil der Beine und der Arme, an den abhängigen Stellen, zeigen 
ineinander fliessende, helli oth gefärbte Flecke, welche beim Ein¬ 
schneiden zahlreiche hellrothe Blutpunkte aus den durchschnittenen 
Hautgefässen austreten lassen. 

6. Das Gesicht zeigt ebenfalls die schon beschriebene hell¬ 
rothe Fleckenbildung. Bei Einschnitten in die Fleke tritt auch 
hier hellrothes Blut aus durchschnittenen Hautgefässen. 

8. Die Zunge ist zwischen den Zähnen eingeklemmt. 

13. Das Fettpolster ist von massiger, die Muskulatur von 
kräftiger Entwickelung und hellrother Färbung. 

14. Alle diese Theile (Netz, Darmschlingen und Magen) sind 
von blassrosa Färbung. 

18. Das Netz enthält reichliche gelbliche Fettträubchen und 
die schon beschriebenen, mit hellrothem Blut gefüllten Venen¬ 
stämme. 

20. Bei Druck tritt eine mässige Menge hellrothen Blutes auf 
die Schnittfläche (der linken Niere). Die rechte Niere verhält sich 
ebenso, nur ist ihr Blutreichthum ein bedeutenderer. 

24. Die Bauchspeicheldrüse ist von graurother Färbung, fühlt 
sich körnig an und lässt reichlich leicht abzuspülendes Blut von 
helh-other Farbe, welches aus den durchschnittenen Venen dringt, 
auf die Schnittfläche treten. 

25. Das Blut ist auch hier (in der Leber) von mehr hell¬ 
rother (kirschrother) Farbe. 

31. Das Herz ist bedeutend grösser, als die rechte Faust der 
Leiche und zeigt reichliche gelbliche Fettaufwachsungen. 



3G2 Dr. Richter: Trunkenheit, Kohlenoxydvergiftung, Erstickung. 

32. Das rechte Herz enthielt etwa 100 cbcm flüssigen rotlien 
Blutes. 

35. Auf Einschnitte (in die Lungen) tritt reichlich hellrothes, 
schaumiges Blut, welches sich bei Druck bedeutend vennehrt. 

43. Die weiche Hirnhaut zeigt in den Gefössfurchen sehr 
reichliche milchige Trübungen. Dieselbe lässt sich schwer ab- 
ziehen, da sie an den milchig getrübten Stellen fest anhaftet. 

47. Auf die durch die grossen Hirnhalbkugeln gelegten Durch¬ 
schnitte treten sehr reichliche, grössere und kleinere Blutpunkte, 
sowohl aus der grauen, als auch aus der weissen Substanz. 

48. Derselbe Blutreichthum findet sich in den Seh- und 
Streifen - Hügeln. 

C. Ergebnisse der am 6. Mai vorgenommenen Blut¬ 
untersuchung. 

Das mit Wasser entsprechend verdünnte Blut aus dem Ge- 
fäss Nr. III b. wurde im Reagenzglase vor den Spektral - Apparat 
gebracht und zeigte zwei, den Oxyhämoglobin-Bändern ähnliche 
Absorptionsbänder im Grün, welche sich bei Zusatz von Schwetel- 
ammoniumlösung nicht veränderten. 

D. Gutachten. 

1. Die G. war eine Gewohnheitstrinkerin. 

2. Dieselbe litt an Kohlenoxydgasvergiftung und ist an Er¬ 
stickung verstorben. ^ 

3. Die Einwirkung eines Dritten erscheint dabei ausge¬ 
schlossen. 

Gründe. 

Zu 1: Dafür, dass die G. eine Gewohnheitstrinkerin war, sind 
sehr deutliche Merkmale in der Leiche gefunden worden, nämlich 
die sehr charakteristischen milchigen Trübungen der weichen 
Hirnhäute in den Gefässfurchen (Nr. 43), und die in Folge von 
Fettaufwachsungen erhebliclie, dem sonstigen Fettansätze des 
Körpers nicht entsprechende Vergrösserung des Herzens (Nr. 31). 

Zu 2: Dafür, dass die G. an Kohlenoxydgasvergiftung litt, 
ist das Ergebniss der spektralanalytischen Untersuchung des Blutes 
beweisend (C.); denn nur bei Kohlenoxydgasblut werden die be- 
schiiebenen Absorptionsbänder durch den Zusatz von Schwefel¬ 
ammonium nicht verändert, während dieselben bei normalem Blute 
zu einem einzigen verschmelzen. 

Es müsste nun auffallen, dass die G. der zweifellos bei ihr 
bestandenen Kohlenoxydgasvergiftung erlegen sein sollte, während 
die drei Kinder, darunter eins von etwa zwei Jahren, welche sich 
ganz in ihrer Nähe befanden, mit dem Leben davon kamen. 

Die G. ist aber wahrscheinlich nicht der Kohlenoxydgasver¬ 
giftung oder wenigstens nicht dieser allein, sondern neben ihr 
einer rein mechanisch herbeigeführten Erstickung erlegen. Das 
beweisen die Blutfülle des rechten Herzens (Nr. 32), der Lungen 
(Nr. 35) und des Gehirns (Nr. 47 und 48). 

Wie ist nun also der Tod bei der G. zu Stande gekommen? 



Kleinere Mittbeilnngen nnd Referate aus Zeitschriften. 


863 


Die G. war eine Gewohnheitstrinkerin, kam am 18, April Nach¬ 
mittags betrunken heim, schloss die Klappe des geheizten Otens, 
trug eine Kohlenoxydgasvergiftung davon, fiel in dieser und ihrer 
Trunkenheit mit dem Gesicht auf das Bett, iu die weichen Kissen, 
und erstickte darin. 

Zu 3. Eine verbrecherische Veranlassung erscheint nach 
alledem offenbar ausgeschlossen. 

Epikrise. 

Mir erscheint der Fall interessant, 

1. weil zu den ausgesprochenen Erscheinungen der Erstickung 
in der Leiche die durch die Kohlenoxydvergiftung hervorgerufene 
hellrothe Farbe des Blutes getreten war, 

2. weil das Ergebniss der spektralanalytischen Untersuchung 
noch fast drei Wochen nach dem Tode, bei stark fauliger Be¬ 
schaffenheit des Blutes, ein zweifellos positives war, und 

3. weil der Fall die von mir in meinem Aufsatz über „das 
vorläufige Gutachten“ ausgesprochene Ansicht illustrirt, nach 
welcher es, bei scheinbar einfach liegenden Fällen, oft schwer ist, 
die letzte Todesursache mit Sicherheit anzugeben. Trunken¬ 
heit, Kohlenoxydvergiftung und Erstickung konkurrirten offenbar 
in einem nicht ohne Weiteres bestimmbaren Verhältniss. Man 
kann es nur als das Wahrscheinlichste bezeichnen, dass die Er¬ 
stickung die letzte Todesursache gewesen ist. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Eine letal verlaufene akute Quecksilbervergiftung, entstanden 
durch Einreibung von 5 gr grauer Salbe. Von Dr. Sackur, Assistenzarzt 
am Allerheiligen Hospital zu Breslau; Berliner Klinische Wochenschr. Nr. 25,1892. 

Ein 20jähriges Dienstmädchen konsultirte am Nachmittag des 15. Ja¬ 
nuar d. J. wegen „aufgesprungener Hände“, die seit einigen Tagen bestehen, 
einen Arzt, der sie an den Händen angeblich mit Cold-Cream einreibt. Eine 
Stunde darauf tritt zu Hause Uebelbefinden, Ühninacht, Erbrechen ein; auf dem 
Wege zum Hospital am Abend Erbrechen grünlicher Massen, Schwindelgefühl. 
Die sehr anämische Kranke bietet bei der Aufnahme das Bild einer schweren 
Erkrankung; Ohnmachtsanfälle und Erbrechen galliggefärbter Massen bestehen 
fort. Die linke Hand und die Dorsalseite des unteren Drittels des Vorderarmes 
massig stark geschwollen, die Haut daselbst fettglänzend (eingesalbt), grauweiss 
verfärbt, undeutliche Fluktuation; Temperatur 37,5. Eine sofort ausgeführte 
Incision über Handrücken und unteres Drittel des Vorderarmes führt auf sulzig 
infiltrirtes, grau verfärbtes Unterhaiuzell- und Muskelgewebe. Am folgenden 
Tage volare Incision, wobei aus der dabei gewonnenen Gewebsflüssigkeit eine 
Aussaat auf Gelatine gemacht wird. Das gallige Erbrechen besteht fort, da¬ 
neben Tenesmus, leichte Albuminurie; am nächsten Tage, 17. Januar, mehrmals 
blutvermengte diarrhöische Stühle, Koliken, Abendtemperatur 36,2, so dass der 
Zustand an das Bestehen einer Dysenterie denken lässt. Am 18. Januar 35,7 
Temperatur, ununterbrochene, fast rein blutige Durchfälle. Am rechten Zungeii- 
rande bilden sich kleine Geschwürchen. Die Gelatine ist steril geblieben. 

Da der Zustand den Verdacht einer Quecksilberintoxikation erregt, erfolgt 
Rücksprache mit dem erstbehandelnden Arzt. Darnach hat derselbe ungefähr 
eine Stunde vor Beginn der Erkrankung in tiefe Rhagaden der 
Hand und des Vorderarmes eine Einreibung von grauer Salbe 
vorgenommen; das Quantum war das einer „grossen Erbse^, d. h. höchstens 



364 


Kleinere Mlttheilungen and Referate aas Zeitschriften. 


5 gr graaer Salbe oder ca. 1,5 Eg. Der betreffende Arzt hatte die Diagnose 
anf eine bestehende Lymphangioitis gestellt und dieserhalb die Einreibung vor¬ 
genommen, nicht als Eczemheilmittel. 

Am 19. Januar gangr&nö.se Gingivitis und Glossitis bei mässiger Salivation, 
Durchfälle, Erbrcclien und alle oben geschilderten Symptome bestehen fort, bis 
schliesslich am 20. Januar der Exitus letalis erfolgt. 

Bei der Sektion zeigen sich im unteren Abschnitte des Dünndarmes in 
ca. 1 Fass Länge kleine Hämorrhagien und nach der Banhin’schen Klappe zu 
oberflächliche Nekrosen der Schleimhaut. Im ganzen Dickdarm die Bilder der 
schweren Dysenterie. Nieren nicht vergrössert, von normaler Konsistenz, dabei 
von blasser, etwas gelblicher Farbe der Rinde, in welcher gelblich weisse, der 
Harnkanälchen-Anordnung entsprechende FigUrchen zu sehen sind. Histologisch 
werden in den bezeichneten Figürchen verkalkte Epithelien erkannt. Bei Be¬ 
handlung mit Osmiumsänre wird das Fehlen jeder fettigen Degeneration 
festgestellt. 

Durch den geschilderten Befund wird das Bestehen einer tödtlichen 
Quecksiiberintoxikation gesichert. Interessant ist die zuerst gestellte klinische 
Diagnose auf eine durch bakterielle Invasion hervorgemfene Sepsis, welche sich 
daun derjenigen einer genuinen Dycenterie zuneigte. Durch den Verlauf des 
Falles wie durch die Sektion wird von Neuem die ausserordentliche Aehnlichkeit 
zwischen dem Symptomenkomplex der genannten Affektionen nnd dem der akuten 
Merknrialvergiftung bewiesen. Noch bemerkenswerther aber bleibt die Ent¬ 
stehung der Vergiftung und der schnelle Eintritt derselben. 

Unter Hinweis auf zwei analoge Fälle tödtlicber Mcrkurialintoxikation, 
welche Sackur nur in der Literatur finden konnte, schliesst er sich Bu eb¬ 
ner’s Anschauung an, dass nicht nur die Resorption des Hg. von wunder 
Haut aus für die deletäre Art der Vergiftung verantwortlich zu machen ist, 
sondern dass auch eine gewisse Disposition oder Idiosynkrasie des Indi- 
vidinms eine Rolle spielt. Nach Kaufmann (die Sublimatintoxikation, Breslau 
1888) bilden Nephritis, Septicämie und Anämie Kontraindikationen gegen die 
Anwendung von Qnecksilberpräparaten. 

Dr. Dütschke-Aurich. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Weitere Mittheilungen über den Erreger der Influenza. Von Dr. 
Pfeiffer, Vorsteher der wissenschaftlichen Abtheilung des Instituts fUr In¬ 
fektionskrankheiten, und Dr. M. Beck, Assistenten des Instituts. Vortrag, ge¬ 
halten am 19. Mai 1892 in der Gesellschaft der Charite-Aerzte. Deutsche m^i- 
zinische Wochenschrift; 1892, Nr. 21. 

In dem am 19. Mai gehaltenen Vortrage zieht Pfeiffer gewissermassen 
die Summe seiner über ein halbes Jahr sich erstreckenden Studien*) und findet 
die vor 4 Monaten über die Aetiologie der Influenza geäusserten Anschauungen 
durch den nachherigen Verlauf der Epidemie durchweg bestätigt. Die Haupt¬ 
fundquelle der Influenzabazillen während des Krankheitsverlaufes ist der Aus- 
wurf der Grippekranken. Das Sputum darf nur ganz frisch, in sterilen Schälchen 
ohne Wasser aufgefangen, zur Verwendung kommen. Das Sputum ist aber auch 
unter diesen Umständen kein einheitliches Produkt; gewisse Antheile desselben ent¬ 
stammen der Mund- und Rachenhöhle, andere wiederderTiefeder Bronchien. Pf eiffe r 
untersuchte vorwiegend das Bronchialsekret, welches bei der Influenza von 
grünlich gelber, eigenthümlich zäher Beschaffenheit ist. Mit einiger Vorsicht 
soll es leicht gelingen, derartige Sputurapartikelchen von allen anderen Bei¬ 
mengungen frei zu erhalten. Man verstreicht dieselben mit dem Platindraht 
unter möglichster Schonung der zelligen Elemente aut Deckgläschen, erhitzt die 
lufttrockenen Präparate nur massig und färbt 10 Minuten in einer 10—20 mal 
mit destillirtem Wasser verdünnten Ziehl’sehen Lösung. Eine ganz ähnliche 
Färhemethode führt auch bei Schnittpräparaten von Influenza-Lungen zum Ziel. 
In den auf diese Weise hergestellten Sputumpräparaten sieht man in frischen 
Fällen von unkomplizirter Influenza regelmässig ganz enorme Mengen der In¬ 
fluenzastäbchen theils frei im Schleim, theils auch im Protoplasma der Eiter¬ 
zellen um den Kern herum gelagert und erinnern die Influenzastäbchen in ihrem 


♦) Vergl. Nr. 3, S. 68 dieser Zeitschrift. 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


365 


morphologischen Verhalten auffällig an die Bazillen der Mäusesepticämie. In den 
Lungen der an typischer Influenza-Pneumonie Verstorbenen fand Pfeiffer keine 
gleichraässige Hepatisation, sondern mehr oder weniger zahlreiche bronchopneumoni- 
sche Heerde von recht verschiedenem Umfange, aus denen bei Druck ein gelbgrtin- 
liches, eitriges, zähes Sekret hervorquillt, das mikroskopisch schon ganz so aus¬ 
sieht, wie die oben erwähnten, als Bronchialsekret angesprochenen Sputurapartien. 
Bei mikroskopischer Untersuchung erweisen sich diese Pfröpfe zusammen¬ 
gesetzt aus Eiterzellen, die in zähem Schleim eingebettet sind, und man sieht 
darin theils frei, theils in Zellen, die typischen Influenzabazillen in oft kolossalen 
Mengen und gewöhnlich in Reinkultur. 

Schon vor Bekanntwerden der Canon’sehen Blutbefunde und mit ver¬ 
doppeltem Eifer nachher wurde von Pfeiffer das Blut Influenzakranker mikros¬ 
kopisch und kulturell untersucht, aber nichts im Blute gefunden. Er hält es 
daher für erwiesen, dass der Influenzaprozess lokal in dem Bronchialbaum sich 
abspielt, während eine Blutinfektion als regelmässiges Vorkommniss sicher aus- 
zuschliessen ist. Die schwierigen Fortztichtungsversuche der Influenzabazillen 
zeigten bald, dass die letzteren, um wachsen zu können, gewisser, wahrscheinlich 
hochkomplizirter Eiweissstoflfe bedürfen, wie solche im Bronchialeiter oder auch 
im Blute vorhanden sind. Pfeiffer hat sich daher zur Fortpflanzung und 
Reinzüchtung der Bazillen Agarröhrchen bedient, auf deren Oberfläche ein 
Tropfen von gesunden Menschen stammenden, bakterienfreien Blutes mittelst 
Platindrahtes verrieben war. Auf diesem Nährboden wachsen die zu den aeroben 
Bakterien gehörenden Influenzabazillen auf das üppigste, jedoch nur bei Brut¬ 
temperatur, und können in ungezählten Generationen fortgepflanzt werden. Will 
man die Bazillen aus dem Sputum reinztichten, so muss mau nach Pfeiffer 
eine thunlichst reines Bronchialsekret darstellende Sputumflocke auswählen, von 
einem kleinen Partikelchen derselben zunächst ein Präparat machen, um mikros¬ 
kopisch die Anwesenheit der Influenzabazillen nachzuweisen, und dann den Rest 
mit 1 ccm. starker Bouillon verreiben. Von der dadurch erhaltenen, kaum ge¬ 
trübten Sputumemulsion wird eine Platinöse voll auf ein Blutagarröhrchen ver¬ 
strichen und hierauf von der Oberfläche dieses Röhrchens mit einer frisch ausgeglüh¬ 
ten Oese ein minimales Partikelchen entnommen und auf einem zweiten Röhrchen 
Terstrichen, um so eine möglichste Isolirung der einzelnen Keime zu erzielen. Die 
Röhrchen werden hierauf in den Brutschrank gebracht und schon nach 20 Stunden 
erscheinen die Kolonien auf der Agaroberfläche als sehr kleine, meist nur mit 
der Lupe erkennbaren Tropfen, die, wenn sie dichter stehen, konfluiren können. 
Den Höhepunkt der Entwickelung erreicht die Kultur nach 48 Stunden, dann 
tritt bald ein ziemlich rasches Absterben derselben ein, so dass es sich empfiehlt, 
alle 4—6 Tage die Kultur auf frischen Nährboden zu übertragen. 

Betreifs der Frage, welcher Bestandtheil des Blutes das Wachsthum der 
Influenzabazillen ermöglicht, hat Pfeitfer festgestellt, dass auf Agarröhrchen 
mit Kaninchenblut die Kulturen der Influenzabazillen weniger üppig gedeihen 
als auf solchen mit menschlichem Blute, dass auf Agarröhrchen mit Blutserum 
Kulturen überhaupt nicht wachsen und dass man die Blutagarröhrchen auf 70® 
eine halbe Stunde erhitzen kann, ohne dass sie für die Züchtung der Influenzaba¬ 
zillen untauglich werden. Bezüglich der Resistenz der Bazillen gegenüber desin- 
fizirender Agentien stellte sich heraus, dass sie gegen Eintrocknen sehr em¬ 
pfindlich waren und dass die in Bouillon aufgeschwemniten Influenzabazillen, 
auf 60® erwärmt, schon nach 5 Minuten getödtet waren; ebenso vernichtet sie 
Chloroformzusatz unter gleichen Verhältnissen nach 5 Minuten. 

In keinem Fall von Influenza vermisste Pfeiffer die beschriebenen 
Bakterien und fand sie nie in Fällen, wo Influenza ausgeschlossen werden konnte. 
Die zahlreichen Bazillenarten, welche in der ungefähren Grösse und Form mit 
den Influeuzabazillen Aehulichkeit haben, nöthigen, in allen nicht ganz klaren Fällen 
Züchtungsversuche zu unternehmen und hält Pfeiffer nur diejenigen Bazillen 
für sichere Influenzastäbchen, welche die oben beschriebenen spezifischen kul¬ 
turellen Eigenschaften zeigen, die also nicht auf den gewöhnlichen Nährme¬ 
dien, sondern ausschliesslich auf den oben beschriebenen Sub¬ 
straten wachsen. Thierversuche haben nur bei Affen ein positives Resultat 
ergeben, alle übrigen Versuchsthiere erwiesen sich dem Influenzabazill gegen¬ 
über immun. Ders. 



866 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Zar Aetiologie des primären Larynxcronp. Von Dr. Eugen Fr än k e 1; 

Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 24, 1892. 

Der Verfasser berichtet zu der Frage nach der Ursache der auf die Luft¬ 
wege beschränkten, die Racheuorgane frei lassenden pseudomembranösen Ent¬ 
zündung, welche als primärer Larynxcroup bekannt ist, über drei Fälle, die in dem 
neuen allgemeinen Krankenliaiise zu Hamburg - Eppendorf zur Behandlung und 
Sektion kamen und einen wichtigen Beitriig zur Lösung der bislang viel venti- 
lirten Frage nach der Aetiologie des idiopathisclien Kehlkopfcroups bilden. 

Sämmtliche drei Fälle sind dadurch charakterisirt, dass sie mit mehrtägiger 
Heiserkeit begannen, der sich rasch zunehmende Athemnoth beigesellte; trotz 
sofortiger Tracheotomie erfolgte sehr bald tödtlicher Ausgang. Die vorge¬ 
nommene Obduktion ergab überall absolute Integrität der Kachenorgane. Das 
gesamrate Larynxinnere war von grauweissen Membranen ausgekleidet, welche 
sich durch die Trachea und die Hauptbroncliien bis in die Bronchien zweiter 
Ordnung hinein als röhrenartige Ausgüsse verfolgen liessen. Im Larynx und im 
obersten Abschnitt der Luftröhre hafteten die Membranen fest, während sie in 
den Bronchien der Schleimhaut nur lose auüagen. In zwei Fällen wurde daneben 
ein frischer cyanotischer Milztumor mit beträchtlicher Vergrösserung der 
Malpighi’sehen Follikel wie trübe Schwellung und Hyperämie der Nieren 
gefunden. Die mikroskopische Untersuchung, welche sich auf die Herstellung 
von Deckglaspräparaten aus Stückchen der trachealen Pseudomembranen er¬ 
streckte, ergab bei allen drei Fällen die Anwesenheit einer ungeheuer grossen Zahl 
typischer Diphtheriebazillen ohne jede Beimengung anderer Bakterienarten. 
Durch das Kulturveriahren, hierüber mag im Original nachgclesen werden, 
gelang es, dichtstehende Kolonien des Diphtheriebacillus ohne Beimengungen 
anderer Bakterienarten zu erhalten und durch Weiterimpfung auf Glyzerin- 
Agar üppige Kulturen des Diphtheriebacillus zu erzielen. Zur weiteren Kontrole, 
dass thatsächlich der echte Diphtheriebacillus vorlag, wurde das Thierexperiment 
zu Hülfe gezogen und durch Impfung eines Meerschweinchens die hochgradige 
V^iruleriz der Kultur festgcstellt. Die unter den bekannten Lähmungser- 
scheinungen an den hinteren Extremitäten im Laufe des zweiten Tages zugrunde 
gegangenen Thiere zeigten bei der Sektion doppelseitigen Hydrothorax, hämorrha¬ 
gische Anschwellung beider Nebennieren und ein die Injektionsstelle über¬ 
schreitendes leicht hämorrhagisches Oedem. Als weiteres differentiell diagnosti¬ 
sches, zur Unterscheidung von dem sog. Pseudodiphtheriebacillus dienendes 
Merkmal ist zu erwähnen, dass der Bacillus Bouillon, nach zweitägigem 
Wachsthum in dieser, sauer und nach weiteren 2—3 Tagen wieder alkalisch 
machte, eine Eigenthümlichkeit, welche dem Pseudodiphtheriebacillus nicht 
zukoinmt. 

Fränkel hält sich hiernach für berechtigt, in Bestätigung der von ein¬ 
zelnen früheren Autoren bezüglich dieser Frage erhaltenen Forschungsergebnissen, 
den idiopathischen Croup des Kehlkopfes ätiologisch als 
identisch mit dem die genuine Rachendiphtherie so häufig 
begleitenden Croup der Luftwege zu erklären, d. h. ihn als 
durch den Effekt des K lebs-Löffler’schen Bacillus entstanden 
a u f z u f a s s e n. Ders. 


lieber eine im April d. J. im politischen Bezirke Guckfeld bei Krain auf- 
getreteno 31iliaria-Kpideinie bringt die Beilage zu Nr. 19, 1892 des öster¬ 
reichischen Sanitätswesuns einen von den OI)crsauitätsräthen Prof. Dr, Dräsche 
und W eichsei bäum erstatteten vorläuhgen Bericht, aus dem wir Folgendes 
entnehmen: 

Miliaria - Epidemien sind bereits früher in einzelnen Gegenden der südlichen 
österreicliisclieii Alpenländer öfters beobachtet; die selbstständige Natur der 
Krankheit ist aber bisher virlfach angezweifelt worden. Die Berichterstatter 
waren daher als Referenten des Ola^rsten Sanitätsrathes beauftragt, im Falle des 
epidemischen Auftretens der genannten Krankheit sich an Ort und Stelle zu be¬ 
geben, um die erforderlichen Untersucliungen und Erhebungen in Bezug auf die 
Aetiologie, dtm klinischen und pathologisch - anatomischen Befund der Krankheit 
und auf die Art ihrer Weiterverbreitung anzustellen. Nach den bei Gelegenheit 
der obengenannten Epidemie angestellten Untersuchungen bot die Krankheit 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


367 


in klinischer Hinsicht bei allen Erkrankten dasselbe Syraptomenbild dar und 
zeigten sich Verschiedenheiten nur bezüglich des Grades und Ausganges der Er¬ 
krankung. Die Krankheit begann ganz regelmässig mit ziehenden Gliederschmerzen 
und einem heftigen, selbst mehrere Stunden anhaltenden Schüttelfröste bei An¬ 
steigen der Temperatur bis 4P C. und sehr grossem Angstgefühle; Erbrechen 
und trockene Zunge kamen nur vereinzelt vor. Dem Schüttelfröste folgte der 
Ausbruch eines überaus profusen, vom Körper gleichsam herabtriefenden und eigen- 
thümlieh riechenden Schweisses und die Eruption eines massenhaften knötchenartigen 
Exanthems auf livider oder dunkelgerötheter Haut, womit der eigentliche Anfall 
abgeschlossen war. Bei nachlassendein oder fortbestehendem massigen Fieber 
(38® C.) oder selbst ohne dieses erblasste dann die Haut etwas, die Knötchen 
füllten sich mit einem hellen Serum, milchig trüber oder selbst eitriger 
Flüssigkeit und konfloirten zu kleineren oder grösseren Pusteln. Sehr bald er¬ 
folgte hierauf kleienartige Abschuppung. In der Mehrzahl der Fälle traten nun 
nach einem oder mehreren Tagen erneuerte Schüttelfröste und Wiederholung 
aller Krankheitserscheinungen ein. In einigen Fällen gesellten sich gleich an¬ 
fangs während des Schüttelfrostes Konvulsionen, Unbesinnlichkeit, Delirien und 
selbst Sopor hinzu, und nahmen diese Fälle sämmtlich einen tödtlichen Verlauf, 
während die übrigen mit Genesung endigten. Die Krankheit charakterisirt sich 
somit durch wiederholtes Auftreten von Schüttelfrösten mit jedesmal einhergehender 
äusserst profuser Schweissbildung und Eruption eines sehr kopiösen, knötchen¬ 
artigen Exanthems bei nicht kontinuirlichem Fieber, aber auffallenden, ausser¬ 
ordentlichen hochgradigen Schwächezuständen. Sie ist auch insofern eigenartig, 
als Komplikationen und Nachkrankheiten nicht Vorkommen. 

Die Sektion einer 22jährigen, nach 3tägiger Krankheitsdauer im Be¬ 
ginn des Höhestadiums des Prozesses verstorbenen Frau ergab ausser dem be¬ 
sonders am Unterleibe reichlich vorhandenen Exanthem — äusserst kleine, eben 
noch wahrnehmbare ungefärbte Knötchen und einzelne grössere Bläschen mit 
wasserhellem oder leichtmilchigem Inhalt — einzelne kleine Hämorrhagien 
in der Schleimhaut der Trachea, sowie mehrere grössere in derjenigen des 
Magengrundes auf der Höhe der Falten. Ferner wurden in den hinteren 
Partien des Unterlappens beider Lungen ziemlich viele, bis über bohnengrosse, 
schwarzrothe, hämorrhagische Heerde und im Endocardium des linken Ventrikels 
mehrere Ecchymosen vorgefunden. Sonst waren noch ein geringer akuter Milz¬ 
tumor, trübe Schwellung von Leber und Nieren, fettige Degeneration des 
Herzens, Schwellung der Lymphfollikel des Zungengrundes und Pharynx, sowie 
des Ileum und der Gekrösdrtisen vorhanden. Das Blut zeigte sich dünnflüssig 
und dunkelroth; Komplikationen oder sekundäre Prozesse konnten nirgends 
nachgewiesen werden. 

In Bezug auf die Faktoren, die möglicher Weise die Entstehung und 
Ausbreitung der Krankheit beeinflussen können, haben die Berichterstatter 
Folgendes ermittelt: Von der Epidemie waren 10 Ortschaften ergriffen, deren 
Einwohner in sehr dürftigen und ungünstigen hygienischen Verhältnissen leben. 
Die Ortschaften liegen in einem von bewaldeten Höhen eingeschlossenen Kessel; 
die Terrainbeschaffenheit ist im Allgemeinen eine sumpfige. Miliaria - Epidemien 
sind früher in diesen Ortschaften noch nicht vorgekommen, wohl aber in anderen 
desselben politischen Bezirkes. Als Trinkwasser wird meist Flusswasser 
benutzt. 

Die Zahl der Erkrankten betrug bis zum 2. Mai: 57, 21 männliche und 
36 weibliche Personen; davon sind 14 Personen = 24,5®/o (4 Männer und 
10 Weiber) gestorben; das weibliche Geschlecht .scheint somit am meisten von 
der Krankheit betroffen zu werden. Die Mehrzahl ‘der Erkrankten stand im 
mittleren Lebensalter. Die ersten Erkrankungen kamen Ende Februar vor und 
hat sich von dieser Zeit ab die Krankheit allmählich verbreitet. Einzelne Be¬ 
obachtungen scheinen für eine Uebertragung der Krankheit durch Uontagium 
zu sprechen; jedoch sind dieselben nach Ansicht der Berichterstatter noch zu 
wenig beweiskräftig, um die Frage, ob Miasma oder Contagium, zu entscheiden. 
Jedenfalls sei die Krankheit als eine spezifische Infektionskrankheit an¬ 
zusehen und es daher vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus gerechtfertigt, mit 
Rücksicht auf ihre eventuelle Kontagiösität entsprechende Massregeln gegen ihre 
Weiterverbreitung anzuordnen. Rpd. 



868 


Besprechnngen. 


Besprechungen. 

Dr. Ernst Hankel, Königl. Bezirksarzt in Glauchau: Handbuch 
der Inhalations-Anästhetica, Chloroform, Aether, 
Stickstoffoxydul u. Aethylbromid, mit Berücksichtigung 
der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Anwendung derselben. 
Leipzig, Verlag von Alfred Langkammer. 1891. Gr. 8®, 140 S. 

Aehnlich der Kühn er’sehen Abhandlung ^über die strafrechtliche Ver¬ 
antwortlichkeit des Arztes bei Anwendung des Chloroforms und anderer In¬ 
halations-Anästhetica“, (vergl. Nr. 8, Jahrgang 1892 dieser Zeitschrift) giebt 
der Verfasser in dem vorliegenden Buch bei jedem der betreffenden Anästhetica 
eine ausführliche Schilderung der physiologischen Wirkung des Mittels, der Er¬ 
scheinungen während der Anwendung, der eventuellen üblen Zufälle, der Vor- 
sichtsmassregeln beim Gebrauch der Betäubungsmittel, wie der Wiederbelebungs¬ 
versuche bei eintretender Gefahr, um schliesslich die Sektionsergebnisse nach 
Narkosen mit den 4 betreffenden Anästheticis übersichtlich zusammenzustellen. 

Um den Arzt vor einer strafrechtlichen Verfolgung bei Todes¬ 
fällen nach Narkosen zu schützen, schlägt Hankel die Befolgung folgender 
Bathschläge vor: 

1. Der Mund der zu Narkotisirenden ist vorher ordentlich nach Fremd- 
kürpem u. s. w. zu untersuchen. 

2. Nur reine Präparate sind zur Anästhesie zu verwenden. 

3. Während des Anästhesirens sind sorgfältig Puls, Respiration, Pupillen¬ 
weite und Aussehen des Gesichtes zu überwachen; vorher Lungen, Herz und 
Nieren zu untersuchen, sowie auf Struma und Potatorium zu fahnden. 

4. Vor Beginn der Einathmung sind die beengenden Kleidungsstücke zu 
entfernen. 

5. Bei üblen Zufällen ist sofort das Anästhoticum zu beseitigen, ebenso 
nach Beendigung der Narkose und hier gleich für frische Luft zu sorgen. 

Bei der Anwendung des Chloroforms ist dasselbe, wenn die Flasche 
einmal geöffnet ist, nicht zu lange, namentlich nicht in für Licht durchgän¬ 
gigen Gefässen aufzubewahren und bei künstlicher Beleuchtung nicht lange an¬ 
zuwenden. Bei künstlicher Beleuchtung (ausschliesslich der elektrischen Glüh¬ 
lampen) sind ferner nicht mehrere Kranke hintereinander zu chloroformiren; 
ausserdem muss man stets hinreichende Mengen atmosphärischer Luft neben dem 
Chloroform hinzutreten lassen. Bei schweren Herzstörungen und Fettherz darf 
Chloroform überhaupt nicht angewandt werden. 

Bei Anwendung des Aethers ist zu beachten, dass der Aether nicht an¬ 
brennt und dass der Kranke die Aetherflamme nicht einathmet; bei akuter 
Lungenentzündung, starken Bronchiten, zahnenden Kindern ist Aether nicht zu be¬ 
nutzen. 

Wenn Stickstoffoxydul ohne Sauerstoff gegeben wird, so ist beim 
Eintreten der Anästhesie derselbe sofort zu entfernen; Stickstoffoxydul ist nur 
aus zuverlässigen Handlungen zu beziehen. 

Aethylbromid darf, wenn die Flasche einmal geöffnet ist, nur sehr 
kurze Zeit und nur in für Licht undurchgängigen Gläsern aufbewahrt werden; 
nach dem Eintritt der Narkose ist das Aethylbromid ganz zu entfernen, oder 
doch in wesentlich geringeren Dosen zu geben. 

Vernachlässigt der Arzt eine dieser Vorschriften und hat das Unglück, 
beim AnävSthesiren einen 'Kranken zu verlieren, so hat er sich einer strafbaren 
Handlung schuldig gemacht. Hat er aber streng obige Vorschriften befolgt und 
trotzdem einen Menschen verloren, so kann er unter keinen Umständen straf¬ 
rechtlich verantwortlich gemacht werden. Insbesondere kann nach Ansicht des 
Verfassers niemals verlangt werden: 

a. dass die Anästhesirung bei kleinen, aber doch schmerzhaften Operationen 
oder Untersuchungen und bei sonst gesunden, aber an sehr schmerzhaften Wehen 
leidenden Gebärenden unterbleibe, 

b. dass (ausgenommen die obigen Sätze) ein bestimmtes Inhalations- 
Anästlieticum oder ein bestimmter Apparat unter bestimmten Umständen ange¬ 
wendet wird, 



Tagesnachrichten. 


369 


c. dass eine gewisse Zeit der Narkose und eine gewisse Quantität des 
Anästheticnms nicht überschritten und 

d. dass eine gewisse Lage beim Anästbesiren eingehaltcn werde. 

Dr. Dtttschke-Aurich. 


Tagesnachrichten. 

Der 20. deatsche Aerztetag hat in seiner diesjährigen, am 27. und 28. Juni 
abgehaltenen Sitzung bezüglich der Beziehungen der Aerzte zu den 
Bernfsgenossenschaften nachfolgende Beschlüsse gefasst: 

1. „Der deutsche Aerztetag hält es für wünschenswerÜi, dass folgende 
Gesichtspunkte Beachtung finden, wenn ärztliche Standesvertretungen auf An¬ 
suchen Kommissionen zur Abgabe von Obergutachtungen in Unfe^sachen ein- 
setzen: 1, der Vorsitzende der Kommission wird von der betr. ärztlichen 
Standesvertretung ernannt; 2. der Vorsitzende bestimmt die geeigneten Sach¬ 
verständigen zur Abgabe des betr. Obergutachtens aus einer von der Standes- 
vertretung aufgestellten Liste von Obergntachtem, die sich hierzu bereit 
erklärt haben. 

Der Aerztetag beschliesst ferner: 

IL 1. Das ärztliche Gutachten ist thunlichst von dem behandelnden 
Arzte einzuholen. Die Festsetzung des Honorars für ärztliche Gutachten muss 
den einzelnen Aerzten resp. der freien Vereinbarung überlassen bleiben. 2. Die 
Honorare für Gutachten sollen sich in der Regel in den Grenzen der Tarifsätze 
für die Medizinaibeamten bewegen. 3. Bei Streitigkeiten über die Höbe des 
Honorars entscheidet auf Erfordern die betr. ärztliche Standesvertretung. 4. Die 
Behandlung für Rechnung der Berufsgenossenschaften erfolgt nach den orts¬ 
üblichen Taxen. 

HI. Wird das Gutachten eines anderen Arztes verlangt, so muss der¬ 
selbe so bald benachrichtigt werden, dass eine Konsultation stattfinden kann. 
In die Behandlung hat der zugezogene Arzt nicht einzugreifen. 

rv. Für die Abgabe der Gutachten seitens der behandelnden Aerzte 
empfiehlt sich ein bestimmtes Schema, das von der Berufsgenossenschaft und 
einer ärztlichen Vertretung festgestellt ist. 

V. 1. Von der Ueberweisung eines Verletzten an eine Heilanstalt soll 
der behandelnde Arzt dureh die Bemfsgenossenschaft in Kenntniss gesetzt 
werden; besteht für den Wohnort des Verletzten ein Vertrauensarzt der Bc- 
rofsgenossenschaft, so soll die Ueberweisung nur nach Benehmen mit dem Ver¬ 
trauensärzte erfolgen. 2. Die Errichtung eigener bemfsgenosseuschaftlicher 
Heilanstalten ist im Allgemeinen nur dann zu befürworten, wenn dieselben von 
den Berufsgenossenschaften errichtet und verwaltet werden, und wenn die zu¬ 
ständige ärztliche Standesvertretung vor der Errichtung gehört worden ist. 
Die Benachrichtigung des behandeluden Arztes bezw. die Verständigung des 
Vertrauensarztes soll auch erfolgen bei Ueberweisung von Unfallverletzten an 
andere Aerzte. 

VI. Den Vertrauensärzten muss in ihren Gutachten gestattet werden, 
die Feststellung der Erwerbseinbusse nach Prozenten anzugeben. Die behan¬ 
delnden Aerzte sollen dies nur auf besonderes Verlangen angeben. 

VH. In den Vorständen der Berufsgenossenschaften und deren Sektionen, 
sowie im Reichsversicherungsamte soll ein Arzt Sitz und Stimme haben. 

Ferner gelangten die folgenden Beschlüsse über dasVerhältniss 
der Aerzte zu den Alters- und Invaliditätsversicherungsan¬ 
stalten zur Annahme: 

1. „Die Ausstellung der von den Bewerbern um eine Invaliditätsrente 
beizubringenden ärztlichen Atteste soll allen Aerzten nsujh freier Wahl des Ren¬ 
tenbewerbers zustehen. Diese Zeugnisse sind erst auszustellen, nachdem die 
ersten wirthschaftlichen Erhebungen über den Rentenbewerber abgeschlossen und 
dem Arzte mitgetbeilt worden sind. Die Zeugnisse sind dem Rentenbewerber 
verschlossen zu übergeben. 

2. Die Kosten für eie Ausstellung der Zeugnisse tragen die Versicherungs¬ 
anstalten. 

3. Die Atteste werden unter Benutzung eines zwischen den Versicherungs¬ 
anstalten und den Vertretern der Aerzte vereinbarten Formulars ausgestellt. 



870 


Tagesnachricbten. 


4. Von den Versichernngsanstalten sind sogenannte Vertrauensärzte nur 
aufzustellen zum Zwecke der Abgabe von Obergutachten und zur Prüfung der 
Gesuche und ärztlichen Zeugnisse, sowie zur Aufstellung von Zeugnissen, welche 
auf anderem Wege nicht zu beschaffen sind. 

5. In der Verwaltung der Versicherungsanstalten sollte ein Arzt als Mit¬ 
glied sein.“ 

Diese Beschlüsse soll der Geschäftsausschuss des Aerzte-Vereinsbundes 
den Versicherungs-Anstalten zur Kenntnissnahme mittheilen. 


In der Kreuzzeitnng vom 9. d. Mts. (Nr. 815) wird nachfolgender Aufruf 
betreffs Reform unserer Irrengesetzgebnng veröffentlicht: 

„Auf keinem Gebiet unsere Eechtslebens ist dem Irrthnm, der Willkür 
und der bösen Absicht ein solcher Spielraum gewährt, als auf dem der Irrsinns- 
Erklärung. Eine Anzahl Fälle sind in den letzten Jahren ans Tageslicht ge¬ 
kommen, in welchen Leute, die nach der Auffassung weiter Kreise durchaus bei 
Verstand waren, für geisteskrank erklärt oder gar ins Irrenhaus gesperrt worden 
sind, z. B. Fürst Sulkowski, Hermann, Dr. Struve, Ah rens, Dr. Brozeit, 
Draak, Powitz, de Jonge und andere. 

Dem als geisteskrank Angeschnldigten ist die Vertheidigung so gut wie 
unmöglich gemacht, dem im Irrenhanse Begrabenen ist sie vollständig genommen. 
In unserer durch die wichtigsten Fragen fortwährend bewegen Zeit können 
diejenigen, welche nach schweren Kämpfen dem offiziellen geistigen Tode ent¬ 
gangen sind, als Kämpfer für das in ihnen geschädigte allgemeine Recht 
natnrgemäss nur wenig oder gar nichts ansrichten. Desto nöthiger ist es, dass 
sich zum Schutze der durch die jetzige Praxis bedrohten staatsbürgerlichen 
Rechte Männer vereinigen, welche ans den in die Oeffentlichkeit gedrungenen 
Fällen oder aus der über dies Gebiet vorhandenen Litteratur die Ueberzeugung 
gewonnen haben, dass hier ein Schutz und eine Aendernng der Gesetzgebung 
dringend erforderlich ist. Die unschätzbaren Güter des Verstandes, der Rechts¬ 
fähigkeit und der Freiheit bedürfen eines wirksameren Schutzes als das freie 
Ermessen des Richters und das Gutachten der von ihm oder von der Polizeibe¬ 
hörde beauftragten „Sachverständigen“. Einen solchen Schutz können wir nur 
darin erblicken, dass hierbei nicht juristische und medizinische, sondern lediglich 
die praktischen Gesichtspunkte der erwiesenen Hülfiosigkeit oder Gefährlichkeit 
ausschlaggebend sein dürfen. Es muss die Entscheidnng über jede 
Entmtindignng wegen Geisteskrankheit und über jede Intemirnng in eine Irren¬ 
anstalt, bei der es sich nicht um einen plötzlich in gefahrdrohender Weise her¬ 
vortretenden Ausbruch von Geistesstörung handelt, in die Hand einer Kommission 
unabhängiger Männer gelegt werden, die das Vertrauen ihrer Mitbürger ge- 
niessen. In den erwähnten dringenden Nothfällen der sofortigen von der Polizei 
oder den Nächstbetheiligten vorzunehmenden Ueberfühmng in ein Irrenhaus wird 
eine nachträgliche Prüfung stattzufinden haben. Endlich halten wir eine 
schärfere Kontrole der Irrenanstalten, insbesondere der privaten, für dringend 
geboten. 

Da gegen eine solche Reform eine starke Strömung vorhanden ist, so 
müssen wir auf die öffentliche Meinung zu wirken suchen, denn sie ist grossen- 
theils noch blind gegen Gefahren, vor denen, bei irgend welchen Kollisionen 
doch Niemand sicher ist. Wir beabsichtigen daher Bestrebungen in Litteratur 
und Presse, welche auf eine Reform der Gesetzgebung in der angegebenen 
Richtung hinzielen, zu unterstützen, sowie durch Petitionen an die gesetzgeben¬ 
den Faktoren auf eine solche hinzuwirken. Dazu bitten wir alle, denen eine 
solche Reform wünschenswerth erscheint, um ihre Mithülfe.“ 

Bei Gelegenheit der diesjährigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses 
über den Medizinaletat (s. Nr. 8 der Zeitschrift, 8. 185—192) sind bekanntlich 
vom Hofprediger Stöcker ähnliche Vorwürfe*) in Bezug auf unser Irrenwesen 
erhoben und wurde von ihm ein bestimmter Antrag in Aussicht gestellt, durch 
den eine gründliche Erörterung dieser Frage veranlasst werden sollte. An Stelle 
dieses Antrages ist nunmehr der Aufruf getreten, unter dessen zahlreichen Unter¬ 
zeichnern sich neben den Namen verschiedener konservativer Mitglieder der 


*) Auch in den diesjährigen Verhandlungen des Herrenhauses (vom 11. April 
und 22. Juni) änsserten sich Graf Pfeil, Freiherr von Durant und Graf 
Klinkowstroem in ähnlicher Weise. 



Tageanachriohten. 


371 


beiden Landtagshftoser auch diejenigen der bekannten Rechtsgelebrten Prof. 
Dr.Gierke und Prof. Dr. von Jhering, sowie der Professoren von Treitschke 
und Ad. Wagner finden. Wir werden jedenfalls auf diesen Aufruf noch aus- 
fnhrlicher znrttckkomuien; die in demselben in Anregung gebrachte Agitation wird 
von der Kreuzzeitung in derselben Nummer durch einen Leitartikel eingeleitet 
über das Ucberbandnehmen der Anzweiflungen des Geisteszustandes in 
schwebenden Prozess-Verfahren und über die bei der heutigen Praxis selbst für 
die harmlosesten (? ?) Menschen bestehenden Gefahr, plötzlich als geistig ver¬ 
dächtigt und dann höchstwahrscheinlich als geisteskrank erklärt zu werden. 
Nicht minder gross sei auch die Gefahr, dass gerade die verschmitztesten Ver¬ 
brecher es mit raffinirter Klugheit fertig brächten, auf Grund ärztlicher Gut¬ 
achten ins Irrenhaus, statt ins Zuchthaus zu wandern. Während von Seiten des 
Abgeordneten Stöcker im Abgeordnetenhause aber hauptsächlich den Medizinal¬ 
beamten, speziell den Kreispbysikem der ebenso ungerechtfetigte, wie jeder 
thatsächlichen Begründung entbehrende Vorwurf gemacht wurde, von der 
Psychiatrie keine Ahnung zu haben und nach ihrem Sentiment zu urtheilen, wird 
hier hauptsächlich den Irrenärzten, den psychiatrischen Autoritäten, in nicht 
minder unberechtigter Weise vorgeworfen, dass sie viel leichter geneigt sind, 
jemand für geisteskrank, als für geistesgesund zu erklären, und dass sie bei den 
„zu Entmün^genden“ sich fast von vorneherein auf den Standpunkt stellen: 
„Beweise, dass du nicht verrückt bist, wir beweisen dir einstweilen „wisseu- 
scbaftlicb“ das Gegentheil.“ Man kann sich daraus ungefähr ein Bild machen, 
in welcher Weise die beabsichtigte Agitation in Scene gesetzt werden soll. 


lieber den Stand der Apotheken - Reformfrage schreiben die offiziösen 
Berl. Pol. Nachrichten: „Die Nachricht, dass verschiedene Schritte in der Frage 
der reichsgesetzlichen Regelung des Apothekenwesens bevorstehen, wird uns be¬ 
stätigt. Die Arbeiten sind allerdings noch nicht bis zur Aufstellung eines förm¬ 
lichen Gesetzentwurfes gediehen, vielmehr sollen vorläufig die Grundznge zu 
einem solchen seitens des prenssischen Kultusministeriums ausgearbeitet und der 
zuständigen Zentralstelle des Reiches übermittelt sein. Erst nachdem diese letz¬ 
tere zu der Frage endgültig Stellung genommen hat, wird die Ausarbeitung 
eines solchen Gesetzentvmrfcs in Angriff genommen werden können. Vorher 
dürften jedenfalls Sachverständige aus dem Kreise der zunächst betheiiigten In¬ 
teressenten gehört und wahrscheinlich auch eine Verstaatlichung des Entwurfs 
bewirkt werden. Bei der Verschiedenartigkeit, welche in der Gesetzgebung der 
einzelnen Bundesstaaten bezüglich prinzipieller Fragen gerade dieser Materie 
obwaltet, dürften Verhandlungen eingehender Natur zwischen den Bundesregie¬ 
rungen nothwendig werden." 

Dem Vernehmen nach ist in dem im prenssischen Kultusministerium aus¬ 
gearbeiteten Entwurf eine reichsgesetzliche Regelung des Apothekenwesens auf 
Grundlage der reinen Personalkonzession vorgeschlagen. Ob aber dieser Vor¬ 
schlag die erforderliche Genehmigung des Staatsministerinms erhalten bat, dürfte 
ebenso zweifelhaft sein, wie die obige Mittheilung, wonach der Entwurf bereits 
der Reichsverwaltnng übermittelt sein soll. 

In der letzten Sitzung des Bundesrathes ist der Entwurf, betreffend Vor¬ 
schriften für die Prüfung der Nahrungsmittel - Chemiker zur Vorlage ge¬ 
langt. Darnach wird als Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung das 
Reifezeugniss eines Gymnasiums, Realgymnasiums oder einer Oberrealschnle ver¬ 
langt. Die Prüfung selbst soll in einer Vorprüfung und einer Hauptprü- 
fung bestehen und sich die erstere auf unorganische, organische und analytische 
Chemie, Botanik und Physik erstrecken, während die letztere in einen tech¬ 
nischen und wissenschaftlichen Tbeil zerföllt. Der technische Theil der 
Hanptprüfung wird in einem, den Anforderungen der angewandten Chemie ent¬ 
sprechenden Staatslaboratorium abgehalten und muss der Prüfling sich befähigt 
erweisen, zwei ihm vorgelegte chemische Verbindungen, sowie die Zusammen¬ 
setzung eines Nahrungs- od^er Gennssmittels und eines Gebranchsgegenstandes 
ans dem Bereiche des Gesetzes vom 14. Mai 1879 qualitativ und quantitativ 
zu bestimmen und einige Aufgaben aus dem Gebiete der allgemeinen Botanik 
mit HiUfe des Mikroskopes zu lösen. Der wissenschaftliche Theil der 
Hanptprüfung soU sich erstrecken: 

a. auf das ganze Gebiet der Chemie unter besonderer Berücksichtigung 



372 


Tageanachrichten, 


der bei der Zusammensetznng der Nahrungs- und Genussmittel in Betracht kom¬ 
menden chemischen Verbindungen der Nährstoffe und ihrer Umsetzungsprodukte, 
der Ermittelung der Aschenbestandtheile wie der Gifte mineralischer und or¬ 
ganischer Natur; 

b. auf die Herstellung und die normale und abnorme Beschaffenheit der 
Nahrungs- und Genussmittel und der unter das Nahrungsmittelgesetz fallenden 
Gebrauchsgegenstände unter besonderer Berücksichtigung der Bereitung und Be¬ 
schaffenheit von Milch, Butter, Käse, Stärke, Zucker, Branntwein, Bier, Wein 
u. s. w.; 

c. auf die allgemeine Botanik, Drogenkunde und auf die bakteriologischen 
Untersuchungsmethoden des Wassers und übrigen Nahrungs- und Genuss¬ 
mittel, sowie 

d. auf die den Verkehr mit Nahrungsmitteln u. s. w. betreffenden gesetz¬ 
lichen Vorschriften, auf die Zuständigkeit des Nahrungsmittelchemikers im Ver- 
hältniss zum Arzt, Thierarzt und anderen Sachverständigen und auf die für seine 
Thätigkeit in Betracht kommenden Behörden. 

Der Entwurf soll den Bundesregierungen mit dem Anheimgeben unter¬ 
breitet werden, am Sitze der dafür geeigneten Universitäten und technischen 
Hochschulen Kommissionen zur Prüfung von Nahrungsmittelchcmiker zu bilden 
und den nach Massgabe der Prüfungsvorschriften als reif bestandenen Prüflingen 
ein Befähigungszeugniss zu ertheilen, sowie dieselben bei der öffentlichen Be¬ 
stellung von Sachverständigen für Nahrungsmittelchemie u. s. w. vorzugsweise 
zu berücksichtigen. Die neuen Prüfungseinrichtungen sollen mit dem 1. Januar 
1893 in’s Leben treten und soll den jetzt angesteüten Sachverständigen, sofern 
diese auf Einnahmen aus den Untersuchungsgebühren angewiesen sind, für den 
Zeitraum eines Jahres nach Durchführung der Vorschriften der Befähigungs¬ 
nachweis unter Verzicht auf die vorgesehenen Prüfungen ertheilt werden. Apo¬ 
theker, die ihr Examen mit „sehr gut** bestanden haben, das Maturitätszeugniss 
besitzen und den Nachweis eines naturwissenschaftlichen Studiums von sechs 
Halbjahren führen können, brauchen eine Vorprüfung nicht abzulegen. 


Die im Anfang d. J. in dem Reg.-Bez. Oppeln aus Russisch-Polen 
eingeschleppten Pocken haben daselbst eine grössere Verbreitung als in früheren 
Jahren gefunden. Ergriffen sind von der Seuche die unmittelbar an der Grenze 
belegenen Kreise Lublinitz, Tarnowitz, Beuthen, Zabrze, Kattowitz und Pless. 
Die Zahl der Erkrankten betrug von Ende Januar bis 1. April 90, vom 2.-29. April 
71, vom 29. April bis 28. Mai 83, zusammen 244, von denen bis Ende 
Mai 31 gestorben, 167 genesen und 46 im Bestand geblieben sind. Die 
Todesfälle betrafen fast ausschliesslich ungeimpfte Personen oder solche mit 
fraglichem Impfzustande. 


Die Cholera herrscht schon seit längerer Zeit in Persien und ist von 
dort aus in die östlichen Provinzen Russlands Backu, Tiflis, Astrachan, 
Saratow, Pensa, Tambo, Woronesch u. s. w. weiter vorgerückt, so dass diesmal 
die Gefahr einer Invasion der Seuche von Osten her um so weniger von der 
Hand zu weisen ist, als die von der russischen Regierung zur Bekämpfung der 
(’holera ungeordneten Sanitätsmassregeln hinsichtlich ihrer Durchführung sehr 
viel zu wünschen übrig lassen und nur auf dem Papier zu stehen scheinen. In 
Oesterreich hat sich daher auch der Oberste Sanitätsrath bereits in seiner Sitzung 
vom 2. d. Mts. eingehend mit der Frage der Choleragefahr beschäftigt und die 
rechtzeitige Inangriffnahme von Assanirungsarbeiten besonders in den der Ein¬ 
schleppung zunächst ausgesetzten Kronländern Galizien und Buckowina ebenso 
für nothwendig erachtet wie die rechtzeitige Sorge für zureichende Beschaffung 
von Aerzten und ärztlichen Hülfspersonal, für die Sicherstellung des Materials 
zur Errichtung transportabler Nothspitäler, für die Einrichtung von Dampfdes¬ 
infektionsanstalten u. s. w. Desgleichen ist von fast allen europäischen Staaten 
für die aus dem schwarzen oder Asow’schen Meere kommenden Schiffe ein längere 
Quarantäne angeordnet. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. C. C. Brunft, Buchdmoker^i, Minden. 




5. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Ralhu.gerichtl.Stadtphysikus inBcrlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darchlanfende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Yerlagshandlang and Rad. Messe 

entgegen. 


No. 15. 


Krscheint am 1. und 15« Jeden üfonats. 
Preis J&hrlloh 10 Mark. 


1. August. 


Die Aetioiogie des Abdominaltyphus, namentlich seine Konta- 
giosität und die gegen die Verbreitung desselben zu er¬ 
greifenden sanitätspolizeilichen Massregeln. 

Von Dr. P. Seliger, prakt. Arzt in Barten (Kreis Bastenburg). 

Der Abdominaltypbus schädigt den Staat und das Allge¬ 
meinwohl in erheblicher Weise. Er entsteht durch einen spezifischen 
organisirten Krankheitserreger, von dem die lokalistische Schule 
annimmt, dass er ohne bestimmte Eigenthümlichkeiten der Oert- 
lichkeit nicht zur Wirkung gelangen könne, während die konta- 
gionistische Schule seine alleinige Abhängigkeit von Kranken 
und deren Abgängen behauptet. 

Die Eigenthümlichkeiten der Oertlichkeit bestehen nach den 
Auffassungen der Lokalisten namentlich in der porösen Boden- 
beschaftenheit und dem Sinken des Drundwassers in diesem porösen 
Boden. Diese sogenannte lokalistische Theorie ist jedoch 
hinfällig: 

a. wegen epidemiologischer Fehler: Die Typhusmorta¬ 
lität erlaubt keinen Schluss auf die Typhusfrequenz, und die soge¬ 
nannten Typhusinselii sprechen gegen allgemein und überall gleich 
wirkende Schädlichkeiten, wie (^rundwasser; 

b. wegen statistischer und geologischer Fehler: 
Typhiismortalität und fallendes Grundwasser gehen durchaus nicht 
immer umgekehrt parallel, wie die Lokalisten meinen. Typhus 
kommt auch epidemisch auf allen Bodenarten vor; 

c. aus bakteriologischen und physikalischen Grün¬ 
den: Die Filtrationskraft des Bodens spricht gegen die Mög- 


') Der erste Theil der Arbeit ftber die lukalistische und koiitagionistische 
Theorie in Bezug auf die Entstehung des Tyi»lius ist, da er bereits anderweitig 
(iin ärztlichen Praktiker, 1892, Nr. 9 u. lU) erschienen ist, liier nur auszugs¬ 
weise wiedergegeben. 










874 


Dr. Seliger. 


lichkeit, dass die pathogenen Keime in die Tiefe des Bodens 
gelangen können; ausserdem gehen diese in dem Kampf mit den 
Bodenbakterien zu Grunde und können in der Tiefe des Bodens 
wegen der ungünstigen Temperatur- und Nährverhältnisse, sowie 
wegen der Kohlensäureanhäufungen nicht lange vegetiren. Wedei’ 
die Bodenluft, noch die aufsteigenden Kapillarströme können Keime 
an die Erdoberfläche aus der Erdtiefe bringen; 

d. aus medizinischen Gründen: Die Schiffscholera, welche 
erst längere Zeit nach Verlassen des Hafens primär an Bord des 
Schiffes auftritt, lässt sich auf lokalistische Weise nur erklären 
durch Annahme eines Inkubationsstadiums von einigen Wochen. 
Aufnahme des Typhuskeimes durch Inhalation in die Lungen ist 
so gut wie auszuschliessen, dagegen die Annahme, dass der Keim 
direkt in den Magen und von hier aus in den Darm gelangt, ist 
bestens gestützt. 

Das bisweilen vorkommende Zusammentreffen von Sinken des 
Grundwassers und Steigen der Typhusmortalität lässt sich auf ein¬ 
fache physikalische Gesetze zurückführen. 

Auch die W e r n i c h ’sche Bodengas - Darmfaulnisspilztheorie *) 
ist aus medizinischen und epidemiologischen Gründen hinfällig, 
ebenso wie v. Fo d o r ’ s Behauptung, dass der Schmutz im Boden, 
Luft, Wasser und Wohnungen die Entstehung von Typhusepideinien 
regulire, während derselbe allerdings auf die Ausbreitung von 
Epidemien bisweilen in gleicher Weise Einfluss ausüben kann, wie 
die Bevölkerungsdichte. 

Typhusepidemien entstehen wesentlich durch 
infizirtes Trinkwasser, bisweilen durch Milch. Hier¬ 
für sprechen folgende Gründe: 

a. Das explosive Auftreten vieler Epidemien. 

b. Die Lokalisation um die infizirte Wasserversorgung. 

c. Das primäre und an Zahl stärkere Ergriffensein solcher 
Personen, die das infizirte Wasser genossen haben. 

d. Das Ergriffensein namentlich viel Wasser konsumirender 
Bevölkerungsklassen. 

e. Das Erlöschen der Epidemie nach Aufhören des schäd¬ 
lichen Wassereinflusses wird nur selten beobachtet, da 
sekundäre Fälle gerade bei Typhus die Epidemie weiter 
verbreiten können. (Vergleiche A Im q ui st®) und Dr. 
Schröder'*): Verbreitung des Typlius durch Milchwirth- 
schaft bezw. Molkereien.) 

f. Das thatsächliche Auffinden der Typhusbazillen im Trink¬ 
wasser. 

Die Auffindung des Typhusbacillus im Wasser ist mit ganz 


Weruich: Der Abdominaltyphiis. Untersiidimigeu über sein Wesen, 
seine Tödtlicbkeit und seine Bekäm|)fiin^. Berlin, 1H82. A. Hirsch wähl. 

•) V. Bodor: Heber den EinHuss der Wohnvin^sverhältnisse auf die 
Verbreitung von (diolera und Tyidius. Archiv für Hygiene, 11. Bd., 8 Heft, S. 2ö7. 

Alinquist: Neue Erfalinuij^en über Nerventieber und MilchwirtLschiift. 
Ztdlsehrift für Hyiriene, 189t), VIll. Bd., S. 140. 

Schriwier: Eine 4’ypliiisepideinie, Zeitschrift für Mcdiziuaibeamte, 
1801, Nr. 9, S. 2(i:i. 



Die Aetiolo^ic des Abdominaltjphns etc. 


375 


besonderen technischen Schwierigkeiten verknüpft, abgesehen davon, 
dass seine Lebensdauer im Wasser nur eine eng begrenzte ist bei 
den in der Natur vorkommenden Temperaturen des Wassers. 

Gegen diese Trinkwassertheorie wird von den Lokalisten be¬ 
sonders eingewendet, dass nach Schluss der infizirten Wasserversor¬ 
gung mitunter plötzlich eine Abnahme des Typhus eingetreten 
sein soll. Diesem Einwande gegenüber ist zu betonen, dass sekun¬ 
däre Fälle die Krankheit noch weiter verbreiten können. Auch 
dass von vielen Häusern einige, die an der infizirten Wasser¬ 
versorgung betheiligt waren, keine Typhuskranke bekommen, ist 
kein Gegenbeweis, sondern nur ein negativer Beweis. 

Ferner wird von den Lokalisten behauptet, dass das Auffin¬ 
den des Typhusbacillus im Wasser während der Epidemie kein Be¬ 
weis dafür sei, dass durch das Wasser die Infektion erfolgt sein 
müsse, da im Wasser die Verdünnung der Keime eine so enorme 
sei, dass sie keine Infektion mehr bewirken könnten. Ein Keim 
kann jedoch schon Lifektion bewirken und ausserdem ist bei gün¬ 
stiger Temperatur eine Vermehrung der Typhusbazillen gerade im 
Wasser am Ehesten möglich. 

Die kontagionistische Lehre ist also die allein haltbare und 
wir haben uns für die Aetiologie der Krankheit und zur Be¬ 
kämpfung derselben mit der Hauptursache, dem spezifischen Keime, 
dem Typhusbacillus zu beschäftigen, der in 132 Typhus- 
Leichen 121 Mal, also in 90®/o der Fälle gefunden ist.*) 
— Es erscheint als vollständig sicher, dass der Typhusbazillus im 
lebenden menschlichen Körper sich vermehrt und reproduzirt *) und 
zwar namentlich in den Follikulargebilden der Darmwand. Thier¬ 
experimente sind erfolglos, da im Thierkörper sich die Typlms- 
bazillen nicht vermehren, sondern schnell zu Grunde gehen. Die 
postmortale Vermehrung der Typhusbazillen in der Leiche 
erscheint dagegen noch fraglich.*) Wegen der Verschleppungs¬ 
möglichkeit der Typhusbazillen von der Leiche durch Insekten auf 


') Ver^l. W. Meyer: Untersuchungen über den Bacillus des Abdominal¬ 
typhus, Inauguraldissertation, Berlin 1881; G. Gaffky: Zur Aetiologie desAb- 
doininalU'phus, Mittheil. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, II. B., Berlin 1884; 
E. Frankel u. M. Simmonds: Die ätiologische Bedeutung des Typhus- 
Bacillus, Hamburg 1886; Merkel u. Goldschmidt (Baumgarten’s 
Jahresberichte über die Fortschritte in der Lehre der pathogenen Mikroorganismen, 
Brauuschweig 1887, III. B., S. 144); Chanteraesse u. Vidal, ibid., S. 151; 
Rietsch(Baumgarten’s Lehrbuch der pathologischen Mykologie, Braunschweig 
1887, S. 513). 

‘'^) Vergl. Baumgarten’s Mykologie, S. 517, 527 u. 528; Biermer: 
Ueber Entstehung und W^rbreituiig des Abdominaltyphus, Volkmann’s Sammlung 
klinischer Vortrage; Heft 53, Leipzig 1873; Gaffky: Mittheil. a. d. Kaiserl. 
Gesundheitsamte, II. B., 1884, S. 382. 

Vergl. Ali Cohen u. W o 1 f o w i c z in Baumgarten’s Jahresberichten, 
B. III, 1887, S. 137, 141 u. 155; ferner Bauragarten’s Mykologie, S. 528 und 
Beumer und Pciper: Bakteriologische Studien über die ätiologische Bedeu¬ 
tung der Typhusbaziilen, Zeitschrift für Hygiene, I. B., 1886, S. 522. 

‘‘) Vergl. E. Fränkel u. Simmonds: Weitere Untersuchungen über die 
Aetiologie des Abdominaltyphus, Zeitschr. f. Hygiene, B. II, 1887, S. 141; 
Merkel und Gold sch inidt, Baumgarten’s Jahresberichte, III. B., 1887, 
S. 144, und Gaffky, 1. c. S. 397. 



376 


Dr. Seliger. 


Menschen und Nahrungsmittel ist, abgeselien von direkter Berührung, 
die Leiche indessen schon gefährlich. 

In den Dejektionen fanden die Typhusbazillen Pfeiffer, 
E. Fränkelu. Simmonds, Seitz, Hüppe, Merkel, Vilchour 
und Lepide Chioti, sowie Kilcher, Chantemesse und Vi- 
dal.^) Spezieller stellte Karlinski*) für hamfreie Typhusstühle 
fest, dass die Bazillen in diesen vor dem 9. Tage nach dem Schüt¬ 
telfrost nicht nachgewiesen werden konnten und nach dem 23. 
Tage der Krankheit gleichfalls nicht mit Ausnahme eines Recidives. 
Es ist allerdings zuzugeben, dass für konsistente Dejektionen diese 
Untersuchungen Werth haben*), niemals jedoch für die stets ver¬ 
dächtigen diarrhöischen Damientleerungen sowohl zu Anfang wie 
in der Rekonvaleszenz der Krankheit.*) 

Die Lebensfähigkeit der Typhusbazillen in den hamfreien 
Typhusdejektionen ®) dauert auch bei niedriger Temperatui* (8— 12 ° C.) 
bis 3 Monate. Von der 4. Woche an fand bei günstiger Temperatur 
(16—32® C.) meist starke Vermehrung statt, dann später Abnahme. 
Auch Gietl®) beobachtete schon, dass die weitere Zersetzung und 
Fäulniss der Typhusausleerungen das Gift mehr aufschliesse und 
dessen Verbreitung begünstige. 

Im Erbrochenen sind bis jetzt noch keine Typhusbazülen 
gefunden. ^) 

Im Harn wurden in 91 Fällen bei 14, also in 15®/o, Typhus¬ 
bazillen in zahlloser Anzahl gefunden und zwar auch hier nicht 
vor dem Auftreten der Roseola, dagegen noch in der 3. Woche 
der Rekonvaleszenz.*) Die Bakteriurie wird von Nephritis unter¬ 
schieden dadurch, dass der Urin im ersten Falle auch nach der 
Filtration mehr oder weniger trübe bleibt. 

Der reingehaltene Leib des Typhuskranken be¬ 
wirkt also keine Infektion.*) 

*) Vergl. Ban m garten’s Mykologie, S. 517, sowie Jahresberichte, I. B., 
1885, S. 100 u. UI. B., 1887, S. 140 u. 144; E. Fräukel u. M. Simraonds, 
S. 31, Holz: Experimentelle Untersuchungen über den Nachweis der Typhns- 
bazillcD, Zeitschr. f. Hygiene, VIII. B., I. H., S. 144. 

*) Karlinski: Untersuchnngen über das Verhalten der Typhns- 
bazillen in typhösen Dejektionen; Zentralbl. f. Bakteriologie, VI. B., Nr. 3, S. 66. 

•) Gaffky: Bericht über die Thätigkeit der znr Erforschnng der Cholera 
im Jahre 1883 nach Egypten nnd Indien entsandten Kommission; Arbeiten a. 
d. Kaiserl. Gesnndheitsamte, UI. B., 1887, S. 170. 

*) Vergl. Nissen: Ueber die desinfizirenden Eigenschaften des Chlor¬ 
kalks, Zeitschr. f. Hygiene, B. VIII, 1890, S. 69; E. Pfnhl: Ueber die Des¬ 
infektion der Typhns- nnd Cholera - Entleerung mit Kalk, Zeitschr. f. Hygiene, 
B. VI, 1889, S. 102, sowie über die Desinfektion der Latrinen mit Kalk, ibidem 
B. VII, 1889, S. 373; Quincke, A. Fränkcl u. Kilcher (Baumgarten’s 
Jahresberichte, III. B., 1887, S. 138, 139 u. 141); E. Frankel u. M. Simmonds, 
S. 9 u. 10, bei Fall XIV; Gaffky, Mittheil. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, II. Th., 
1884, S. 280; Ranke: Vortrag über die Aetiologie des Typhus, München 
1872, S. 118. 

Vergl. Karlinski, Zentralbl. f. Bakteriologie, VI. B., Nr. 3, S. 70. 

®) Vergl. Nowack’s Lehrbuch der Hygiene, Wien 1883, S. 971. 

Gaffky: Cholerabericht, 1. c. S. 17Ö. 

®) Neu mann: Ueber Tyjthusbazillen im Urin; Berl. kl. Wochenschrift, 
1890, S. 122. 

”) Vergl. Bieriner: Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge, H. 53, 
S. 435 und Gietl, Nowack’s Lehrbuch der Hygiene, S. 971. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphus etc. 


377 


Die Läng-e des Typhusbacillus entspricht etwa dem 
Drittel des Durchmessers von rotlien Blutkörperclieii, dabei ist er 
durchschnittlich etwa dreimal so lang; wie breit. Die Enden sind 
deutlich abgerundet. An einzelnen Stellen sieht man wohl einmal 
etwas längere Fäden, die sich indessen bei genauerer Untersuchung 
nicht als aus mehreren Gliedern zusammengesetzt erkennen lassen, 
nach Gaffky*): Scheinfiiden. Die schwerere Färbbarkeit 
mit dem dazu geeignetsten Methylenblau stellten gleichfalls die 
meisten Untersucher fest. Durch Anwendung des Gram'sehen 
Verfahrens wird der Bazillus ausnahmslos entfärbt.*) 

Durch die Beobachtung im hängenden Tropfen wurde eine 
unzweifelhafte E i g e n b e w eg u n g des Typhusbacillus festgestellt. ‘‘) 

Die Strichkultur auf Gelatineplatten bei gewöhnlicher 
Ziinmertemperatur zeigt tiefe und oberflächliche Kulturen. Nur die 
oberflächlichen Kulturen sind eigentlich wahrhaft charakteristisch. *) 
Nach ca. 24—48 Stunden fand man im Innern der Gelatine kleine, 
punktförmige, scharf umrandete, leicht granulirte, zuweilen gelb- 
bräunliche Heerde; die oberflächlichen Heerde zeigten sich dagegen 
bei den älteren Kulturen als grösstentheils durchscheinende, nur im 
Zentrum opake und gelblich aussehende Plättchen, bei den jüngeren 
jedoch wie ein Konvolut unregelmässig, dicht nebeneinander gela- 
gertei’, glasheller Stränge.^) Betont wird der gezackte Band der 
Kulturen, die unregelmässige Ausbuchtung am Saume.’) Eine 
Verflüssigung der Gelatine fand in keiner Weise statt, ferner wird 
das absolute Geruchlosbleiben als äusserst charakteristisch hervor¬ 
gehoben. 

Die auch ei’st nach gleicher Zeit und bei gleicher Temperatur 
erscheinende Stichkultur im Keagenzglase zeigt das Charak¬ 
teristische, dass sich die Wucherung der Pilze in der Gelatine 
vollständig auf den Impfstich beschränkt, diesen in eine Anfangs 
nur grau, später weiss erscheinende, feingekörnte Linie verwan¬ 
delnd. Je tiefer die Theile des Sticlikanals liegen, desto kümmer¬ 
licher ist die Entwickelung der Kolonien. Auf der Oberfläche (von 
schräg erstarrter Gelatine) kriecht dagegen die Wucherung der Pilze 
von der Einstichstelle aus in zarten Ranken langsam fort, schliess- 
licli wird das erst fast durchsichtige, glänzende Häutchen bläulich- 
weiss.*) Die zackige Kontur ist auch hier betont. Eine Ver¬ 
flüssigung der Gelatine, eine Bildung riechender Produkte trat 
gleichfalls nicht auf, jedoch fand sicli in älteren Kulturen eine 
milchige Trübung der oberflächlichsten Gelatineschicht. 

Aus den vorstehend angeführten Kulturmerkmalen jedoch die 


’) Mittlieil. a. d. Kaiserl. Ge.snndhcitsainte, II. II., 1884, S. 380. 

Gaffky: ibid., S. 370, Ebertli n. Meyer, ibid., S. 3S3. 

Hau mg arten, Mykologie, S. 501). 

*} Ibidem, S. 508 u. 501); Gat'fky, 1. c., S. 380. 

’■') C. Frankel: Grumlri.-j.s der Bakterienkumle, 2. Aull., Herlin 1887, S. 119. 
*) Gaffky, 1. c. S. 380; E. Pränkel u. Simmonds, S. 11; Kaum- 
garten, Mykologie, S. 509. 

^ Uffelmanu: IJelier den Nachweis des T\|)Iiusliacillus. Merl. klin. 
Wochenschrift Nr. 35, 1891, S. 857. 

0. Fräükcl, 1. c. S. 288 und 289. 




878 


Dr. Seliger. 


Diagnose auf Typhusbazillen zu stellen, würde sehr misslich sein. Der 
allerdings vollständig unbewegliclie Bacillus acidi lactici *) wächst z. 
B. im Stich ganz ähulich, auch der Emmerich’sche Cholerabacillus 
soll mit dem Typhusbacillus in Betreff der Wachsthumserscheinungen 
auf Gelatine vollständig übereinstimmen. Da dieser ein sehr ge¬ 
wöhnlicher Fäces-Bacilliis ist, so würde dadurch die Annahme von der 
spezifisch - pathogenen Bedeutung des Typliusbacillus in ein äusserst 
zweifelhaftes Licht gestellt werden. — Man impft daher die Typhus¬ 
bazillenkulturen von den Gelatineplatten auf die Schnittflächen 
gekochter Kartoffeln über, die nach der Methode von Globig 
liergerichtet sind. Charakteristisch ist nun, dass sich bei Körper¬ 
temperatur oder bei 20in feuchter Glaskammer ein zunächst 
makroskopisch unsi(‘htbares Wachsthum einstellt, wahrend mikros¬ 
kopisch sich schon die Anwesenheit einc'r üppij'en U’yphusbazillen- 
vegetatioii erkennon lässt. Nach ca. 48 Stunden bildet sich dann 
jener charakteristische, scdiwach ei’kennbare, fenclite. gleichmässige 
und an keiner Stelle prominirende, geruchlose, etwas glänzende 
Ueberzug über die gesammte Oberfiäche.'‘) Es hat sich übri¬ 
gens späterhin trotz Ali Cohen*} und Pfuhl'’} als sicher heraus¬ 
gestellt, dass weniger die Art der benutzten Kartofteln, wie 
E. Fränkel und Simmonds^) noch annahmen, als die Reaktion 
derselben äusserst wichtig für das Zustandekommen der typischen 
Kultur ist.“) Bei genügender Alkaleszenz der Kulturkartolfel- 
fläche zeigt sich nämlich ein weit üppigeres, makroskopisch leicht 
erkennbares Wachsthum, es bildet sich ein grauweisser, zuweilen 
noch gelblich und gelbbräunlicher, auch grauer schmieriger, sehr 
leicht abstreitbarer Rasen, der nichts Charakteiistisches hat. Es 
ist daher nur allein das Wachsthum auf steriler, sauer reagirenden 
Kartofteln als typisch anzuselien. Wenn daher Pfuhl*) im ver¬ 
dächtigen Wasser einen typhusähnlichen Bacillus fand, der aut der 
Kartoftelscheibe das typische Wachsthum des Typlmsbazillus zeigte, 
so kann dies nichts gegen die Methode beweisen, da er die Reaktion der 
Kartotfel nicht angiebt. In H o 1 z ’scheii saueren und verdünnten (1:5) 


') Huber u. ]>ecker: Die putholo^isrh-liistolo^i.solieu und bakteriolo¬ 
gischen UiitersuchuiJgsniGthoden und eine Darstellung der wichtigsten Bakterien. 
Leipzig 18Sb, S. 80 u. Tatei 1, Figur 11. 

0 Baum gar len, ]\Iykolouie, S. 511. 

*) Baumgarten, .lalireslaM-ichte, lii.B., 1SS7, S. .'150 u. 470; Schiller: 
Beitrag zum Wachstlium der Typhushazillen aut* KartGtl'eln, Arbeiten a. d. 
Kai.seri. (ie.NUndheil.-niiit«*, V. IF, ‘i. li., ISSO, S. 01 Ib 

0 rft’elmann: Herl. kiiu. Wocliim.'^clirit’t Nr. 05, 1801, S. 8.58; Ali 
('Ohen, Baunigarten’s Jaliresberichte, 111. B., 1S.S7, S. 154; Baumgarten, 
Mykologie, S. 511; Cj a I t'ky, ]\litthell. a d. Kaiserl. Gesundheitsamte, B. 11, S. 389. 
'0 8. vorher. 

Pfuhl, ()l)(‘rstahsarzt in Trier: Zur Sporeiihilduiig derTyphushazillen. 
Zentralbl. f, Bakteriologie, IV. B., Nr. 25, 8. 774. 

') Zeitschr. f. Hygiene, 11. B., 8. 140. 

Büchner: Felicr die veriindntlicheii Sporen des Typhu.sbacilliis. 
Zentralblatt für Bakteriologie', IV. B., Nr. 12 n. 10. S. 055 u. 356; Schiller, 
Arl^eiteu a d. Kaiserl. Ge.sumlli' itsamte, V. B., 1S89, S. 315. 

Pfuhl: Tv|dius-Epidemie mitHiterus. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1888, H. 9 u. 10, S. 4U9. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphns etc. 


379 


Wasser) Kartoffelgelatineplatten*) waren bei 15—17® nach 
3 Tagen unterm Mikroskop die tiefer liegenden Ansiedelungen 
stark lichtbrechend, deutlich gleichmässig chagrinirt, wie gelb ge¬ 
färbt, die Oberflächen-Ansiedelungen zeichneten sich durch ihr starkes 
Lichtbrechungsvermögen aus, waren sehr schön gefältelt, farb¬ 
los, niemals in der Mitte gelblich. Uebrigens waren die Ansiede¬ 
lungen auch schon mit blossem Auge sichtbar. Später waren die 
tiefen Ansiedelungen gelblichbraun, die Oberflächen-Ansiedelungen 
nach 5—7 Tagen, mit unbewaffnetem Auge gegen das Licht 
betrachtet, durchsichtig, leicht irrisirend; unter dem Mikroskop er¬ 
schienen sie in der Mitte gelblich, niemals aber zeigten sie eine 
grössere Erhöhung, wie es bei den typhusähnlich wachsenden 
Bazillen der Fall ist. Bei höherer Temperatur (23—25®) war 
schon am zweiten Tage die Entwickelung eine kräftige. Betont 
wird als das auffallendste Merkmal die Durchsichtigkeit der Ober¬ 
flächen-Ansiedelungen und die feine Zeichnung und Granulirung dieser 
und der tiefen Ansiedelungen. Der grösste Vortheil der Holz'sehen 
Untersuchungsmethode*) ist aber die starke Einschränkung des 
Wachsthums anderer Bazillen und bei 0,05 ®/o Karbolsäurezusatz auch 
der Schimmelpilze auf diesem Nährboden, während die Entwickelung 
der Typhusbazillen dadurch nur um einen Tag verzögert wurde. 

Bei Wasser Untersuchungen, das hygienisch wichtigste 
Feld für die Aetiologie des Abdominaltyphus, treten diese Vortheile 
besonders hervor. ®) Stets kommen weniger Ansiedelungen zur Ent¬ 
wickelung als in der Nährgelatine. Daher wird man grössere Was¬ 
sermengen zur Untersuchung anwenden können und nur bei ganz stark 
verunreinigten Wässern mit 0,1—0,25 ccm. Wasser sich behelfen 
müssen, aber auch hier hilft die Kartoffelgelatine mit Karbolzusatz 
aus. Ausserdem sind die Typhus - Ansiedelungen durch ihr charakte¬ 
ristisches Wachsthum (eigenthümlicher Glanz der ObeiHächen- 
Ansiedelungen, feine Zeichnung und Granulirung derselben und der 
tiefen, stets fehlende Prominenz der erstereu) sofort von den 
die Wasseruntersuchung so sehr erschwerenden typhusähnlichen 
Bazillen zu unterscheiden, Vergleichsplatten mit Typliusbazilleii 
von Reinkultur sind jedoch stets nöthig, da die Tenii)eratur auf die 
Entwickelung und Grösse der Typhus -Ansiedelungen nicht ohne Ein¬ 
fluss ist, 

Marpmann’s mit Phloxinroth gefärbte Gelatineplatten 
haben nur noch einen historischen Werth, Wichtig ist jedoch die 
negative Indolreaktion der Typhusbazillen auf der Gelatineplatte.*) 

Von weiteren Methoden in Beziehung auf Wasserunter¬ 
suchungen hat sich nach Holz ®) das Verfahren von Ch ante messe 
und Vidal zur Isolirung der Typhusbazillen in einer Nährgelatine, 
welcher 0,25 ®/o Karbolsäure zugesetzt wurde, nicht bewährt, auch 


*) Holz; Zcitschr. f. Hygieue, B. VIII, 1890, S. 159. 

‘^) Ibidem, S 101 n. 162. 

») Ibidem, S 171. 

*) Kitasato: Die negative Indol-Reaktion der T 3 'i)husbazil!(‘n im (Pgen- 
satz zu anderen ähnlichen Bazillenarten; Zeitschr. f. Hygiene, B Vll, lr89, 
S. 518 u. 619. 

») Holz, 1. c. 8. 148. 



880 


Dr. Seliger. 


das Verfahren von Thoinot, der zu 500 gr. des fi'aglichen Wassers 
20 Tropfen reiner Karbolsäure oline genauere Angabe des Ge¬ 
wichtes oder Volumens setzte und dann Proben dieses Wassers in 
Nährgelatine brachte, hat sich nicht immer bewährt. 

Uffelmann^) fand nun, dass der Typhusbazillus überhaupt 
recht hohe Säuregrade erträgt, wie wir dies weiter unten noch ander¬ 
weitig bestätigt finden werden, dass er in Nährgelatine wächst, die 
mit Citronensäure, mit Essigsäure, mit Alaun gesäuert wurde und dass 
er ferner in einer mit Methylviolett ziemlich stark gefärbten, sauren 
Gelatine ganz charakteristisch wächst. Nach 24 Stunden bei etwa 
20—21® C. erscheinen die Kolonien rundlich oder länglich rund, 
scharf gerandet und hell, nicht gefärbt. Nach weiteren 24 Stunden 
haben sie aber einen bläulichen Schimmer und einen Umfang von 
1,5 mm. In den folgenden Tagen nimmt die Blautarbung zu, bis 
schliesslich die Kolonien viel intensiver blau sind, als die Gelatine¬ 
masse, in der sie eingebettet liegen. Dabei erkennt man deutlich 
die feine Granulirung. Die obei'flächlichen Kolonien erscheinen in 
der zentralen Parthie intensiv blau gefärbt, in den peripheren nur 
mattblau, hier von feinen Strichen oder welligen Linien durch¬ 
zogen und am Saume unregelmässig ausgebuchtet. Die typhus¬ 
ähnlichen Bazillen wachsen auch in der Weise, dass sie nacli und 
nach sich bläuen und granulirt werden, aber sie wachsen rascher 
als die echten und sind viel dicker granulirt. Uebrigens sind ihre 
Stäbchen trotz ihrer Beweglichkeit mit Typhusbazillen nicht zu 
verwechseln, auch wuchern sie auf Kartoffeln ganz anders. Daher 
hat man bei Verwendung der saueren Methylviolettgelatine den 
doppelten Vortheil, dass man die bei Weitem grösste Menge der 
Bakterien ausschaltet (während aus einem Tropfen Wassers in ge¬ 
wöhnliche Nährgelatine - Plattenkultur gebracht 12 500 Kolonien 
wachsen, waren in der sauren Methylviolettgelatine nur 19) und 
dass man die Typlmsbazillen leicht erkennt. Kontrollkulturen von 
echten Typhusbazillen und die Ermittelung der charakteristischen 
morphologischen und biologischen Merkmale (Wachsthum auf steriler, 
sauer reagirender Kartolfelscheibe, Feststellung der Beweglichkeit 
im hängenden Tropfen) ist natürlich stets noch erforderlich, auch 
ist stets vor Verwendung des Nährbodens die Probe zu machen, 
ob Typhusbazillen in ihm wachsen, da bereits ein geringes Mehr 
an Säure und Methylviolett das Wachstlium der Bazillen energisch 
stört, beziehungsweise ganz aufliebt. 

Das Färbe verfahren der Typhusbazillen wurde zuerst von 
Grancher und Dechamps geübt.®) Mit dem Noeggerath’schen 
Färbe verfahren*) konnten Grancher und Dechamps in ihrer, 
im Brutkasten bei 35® C. anthewalirten gefärbten Bouillon den 
Typlnisbacillus von einem ty[)husälinlichen unterscheiden. (Violette 
Farbe gegen hellrotlie des falschen, ausserdem stärkere Entfärbung 
der Bouillon durch den falschen Bacillus als dui*ch den wahren.) 


•) Holz, 1. c., S. 150. 

2) kliiK Wcjclieiisclirift, 1891, Nr. 35, S. 857. 

Holz, I. c., S. 152. 

Bau 111 garten, Jahresberichte, III. Bd., 1887, S. 462. 



Die Aetiolügie des Abdominaltyphus etc. 


381 


Holz*) fand abgesehen davon, dass er Entfärbung der Bouillon 
niemals konstatiren konnte, gleichfalls offenkundige Unterschiede 
bei einer vergleichenden Einsaat in Bouülon und Milch von echten 
Typhusbazillen und typhusähnlich wachsenden Bazillen. Auch hier 
war jedoch die beziehungsweise saure Reaktion des angewandten 
Nährmittels von grossem Einfluss auf die entsprechende Farben¬ 
veränderung vielleicht auch die Zusammensetzung der Bouillon. 
In den mit Typhusbazillen beimpften Röhrchen mit einer frisch 
hergestellten, sauren Bouillon war die Farbe nach 8 Stunden 
dunkelblaugrün, nach 48 Stunden war sie etwas mehr blau ge¬ 
worden, am Boden fand sich ein violetter Satz und so blieb das 
Bild während der ganzen Beobachtungszeit (8 Tage). In den ent¬ 
sprechenden Röhrchen mit typhusähnlich wachsenden Bazillen war 
die Farbe nach 8 Stunden bräunlich mit blauen Wolken, nach 
16 Stunden blauviolett und blieb auch so während der ganzen Be¬ 
obachtungszeit, nur der Bodensatz war am 3. Tage rothviolett ge¬ 
worden. Die Kontrollen waren unverändert. Dies Verfahren hat 
jedoch nur Werth, wie auch fast alle anderen, bei vergleichenden Kul¬ 
turen mit unzweifelhaft echten Typhusbazillen, da das Ergebniss der 
Kultur durch die Zusammensetzung des Farbengemisches, des Nähr¬ 
substrates, durch die Reaktion des letzteren, den Luftzutritt und 
vielleicht auch das Alter der Bouillon beeinflusst wird. Das Ver¬ 
fahren oder eine gleich zu erörternde Modiflkation desselben scheint 
jedoch geeignet zu sein, unter den eben erwähnten Kautelen direkt 
in flüssigen Nährmedien, die ein für den Typhusbacillus geeignetes 
Nährsubsti-at darbieten, vor Allem in der Milch, die Diagnose auf 
Typhusbacillus stellen zu lassen. 

In den mit Noeggerath’scher Farbenmischung versehenen 
und mit Typhusbazillen beimpften Röhrchen mit steriler Milch, die 
im Brutschrank bei 35 ® C. aufbewahrt wurden, war nach 2 Tagen 
ein schmutzigi'other Bodensatz bemerkbar. Schüttelte man, so 
färbte sich die Flüssigkeit mehr oder weniger blau. Impfte man 
jedoch die typhusähnlichen Bazillen in diese Milch, so war diese 
nach 24 Stunden durchweg schmutzigroth gefärbt und blieb auch 
so bei längerem Beobachten.*) — Die nur mit Methylenblau ge¬ 
färbte, bei 35® im Brutschrank aufbewahrte, mit Typhusbazillen 
beimpfte Bouillon war nach 24—36 Stunden bis auf einige grünlich¬ 
blaue Wölkchen im oberen Theile farblos. Schüttelte man, so kam 
die Farbe wieder zum Vorschein, war am nächsten Tage aber 
wiederum verschwunden. Die Bouillon, mit typhusähnlichen 
Bazillen beimpft, war innerhalb 24 Stunden ganz farblos geworden, 
nur ganz wenige blaue Wölkchen kamen von oben herab und beim 
Schütteln nahm sie eine viel hellere Farl)e an wie das Kontrol- 
röhrchen. Die mit Methylenblau gefärbte Milch, gleichfalls bei 
35® C. im Brutschrank aufbewahrt und mit Typhusbazillen be¬ 
impft, w^ar nach 24 Stunden im unteren Tlieil der Röhrchen farb- 


») Holz, 1. c, S. 1.Ö4—15G. 
Iliidcm, S. 15'^ u. 158. 
Ibidem, S. 157. 



382 


Dr. Seliger. 


los, im oberen blau. Die Farbe schwand nach einigen Tagen noch etwas 
mehr, schüttelte man, so nahm auch die Milch wiederum durchweg" 
die alte Färbung an, um nach w'eiterem 24 stündigen Stehen im Brut¬ 
schrank dieselben Erscheinungen wie vorher darzubieten und konnte 
das Spiel wie auch mit der Bouillon beliebig wiederholt werden 
während der ganzen Zeit der Beobachtung. Die typhusähnlich 
wachsenden Bazillen in mit Methylenblau gefärbte Milch geimpft, 
entfärbten dieselbe innerlialb 24 Stunden ganz, sie war ganz weiss 
geworden, nur oben fand sich eine sehr kleine blaue Schicht. Es 
hielt sehr schwer, durch Schütteln in der entfärbten Milch die ur¬ 
sprüngliche Farbe wieder hervorzubringen. 

Wir betrachten nun das Verhalten der Typhusbazillen gegen 
das Eintrocknen, gegen die Einwirkung trockener und feuchter Hitze, 
gegen die Einwirkung von Eis oder noch grösserer Kälte, gegen 
die Einwirkung der Kohlensäui’e und verschiedener Chemikalien. 

Hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit der Typhusba¬ 
zillen gegen das Eintrocknen sind Ga ffky’s* **) ) Blutserum ver¬ 
suche nicht beweisend, da die Kulturen auf Blutserum überhaupt gegen 
Eintrocknen und Hitzeeinwirkung recht widerstandsfähig sind.*) 
Der Grund dafür ist eben der, dass diese Kulturen entschieden noch 
eine Spur von Feuchtigkeit enthalten. *) Auch die Eintrocknungs¬ 
versuche am Seidenfaden sind mit gewisser Vorsicht nur verwerth- 
bar, da man es demselben unmöglich mit voller Sicherheit an¬ 
merken kann, ob er ganz trocken geworden ist. An Seidenfäden 
im Schwefelsäureexsikkator möglichst schnell eingetrocknete Typhus¬ 
bazillen hielten sich nach Schiller®) 3—4 Monate entwicke¬ 
lungsfähig. Schiller fand sie aus einer 4—6tägigen, im Zimmer 
gehaltenen Kartoffelkultur angetrocknet, 8 Monate nach der An¬ 
trocknung noch lebensfähig, ebenso nach einem Jahre und nach 
beinahe 2 Jahren bei einer steinharten Kultur-Kartoffel. Die 
Widerstandsfähigkeit gegen Austrocknung ist also sehr gross. 
Dasselbe beobachtete Pfuhl®) bei an Deckgläschen bei Zimmer¬ 
temperatur unter Glasglocke angetrocknetem Typhusmaterial (14 
Wochen Lebensdauer). Karlinski^) konnte in intensiv an der 
Sonne zu Staub getrocknetem Typhusstuhl die Typhusbazillen über 
1 Monat nachweisen. In keimfrei gemachter Gartenerde mit 
Typhusstuhl gemengt, waren sie bei Kellertemperatur noch nach 
drei Monaten in dem ganz trockenen und staubartigen Boden nach¬ 
weisbar. 20 Minuten lange Trocknung bei 60® C. und ständige 
bei 50®C. konnten sie ertragen*). Schiller®) fand bei im Zimmer 


*) Holz, 1. c, S. 158. 

Mittlieil. a. d. Kaiserl Gosmiillieitsaiiito, B. II, S. 390. 

Kitasato: Die Widorstandstähifjjkeit der Cholerabakterien gegen Ein- 
trockuen und Hitze; Zeitschr. f. Hygiene, B. VI., 1889, 8. 11. 

‘) Neisser: Vensuclie über Spoieiibilduiig bei Xerosebazillen, Strepto¬ 
kokken und Choleraspiiillen; Zeit.sehr. f. Hygiene, B. IV', 1888, S. 193—195. 

Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundlieitsamte, B., 1889; 2. H., S. 3l9. 

*) Zi.'ntralbl. f. Bakteriolugie; IV'. B., Xr. 2.5, S. 771. 

0 Ibidem VI. B., Nr. 3, 8. 75. 

**) Büchner, Zoutrall)!. f. Bakteriologie, IV. B., Nr. 12 und 1.3, S. 386; 
sowie Kitasato, Zeitsehr. f‘. Hygiene, V'LI. B., 1889, 8. .516 und 517. 

'3 Arbeiten a. d. Kaiserl. (iesundheitsamte, V. B., 1889, 8. 319 und 320. 



Die Aotiolo^ie dos Al>dnininalt\’|ihns etc. 


383 


und Brutschrank gezüchteten KartofFelkiilturen nach 5 Minuten 
Trockenschrank von 80® C. noch lebensfähige Bazillen und an 
Seidenfäden angetrocknet noch nach 20 Minuten Trockenschrank 
von 100® €. Aehnlich C h a n t e ine s s e, V i d a 1 und S t e r nb er g.^) 

Der Einwirkung eines GO gradigeii Wasserbades 
hielten Typhusbazillen mitunter 20 Minuten lang Stand und 
Schiller®) fand Lebensfähigkeit nach Einwirkung von 1 Minute 
strömenden Dampfes von 100® C., wo nach Esmarch*) Cholera¬ 
bazillen sofort absterben, dagegen niclit mehr nach 10 Minuten 
währender Dauer der Einwirkung. Bei Einwirkung einer Kälte¬ 
mischung von 21® C. wälirend 20 Minuten fand er gleichfalls 
noch lebensfällige Bazillen. Prudden®) fand bei—24® C. einen 
mehr oder minder grossen Theil der Typhusbazillen bis zu 103 
Tagen widerstandsfähig. Hiermit erklärt sich die Thatsaclie 
(Züricher Epidemie),'') dass dem plötzlichen Einbrechen der stark 
verunreinigten Eisdecke des Züricher kSees im Jahre 1880 eine an¬ 
sehnliche Typlmsepideniie folgte und die Gefährlichkeit des Ge¬ 
brauches des natürlichen Eises bei Typliusepidemien'). Aus der 
grossen Widerstandsfähigkeit des Typhusbacillus aber gegen Ein¬ 
trocknung und Hitze erklärt sich das endemische Vorkommen des 
Typhus in unserem Klima.^) 

Die Typhusbazillen gehören ferner zu den fakultativen Aiiae- 
roben. Liborius ®) und Prudden®) haben gezeigt, dass sie auch bei 
völligem Sauerstoffabschluss ziemlich au-sgiebig zu wachsen vermögen. 

Das für die Desinfektionspraxis wichtige Verhalten gegen 
Chemikalien stellt sich, wie folgt: 

Kitasato^®) stellte schon fest, dass die Typhusbazillen den 
angewandten Säuren gegenüber durchgehends viel widerstands¬ 
fähiger waren, als die Cholerabazillen, während umgekehrt Alkalien 
gegenüber die letzteren eine grössere Resistenz, als erstere be¬ 
kundeten.“) Karlinski“) fand bei einem Zusatz von ca. 4 Volum¬ 
prozent frisch gebrannten pulverisirten Kalkes zu einer mit Typhus- 
dejektionen vermischten Fäkalurinmasse nach 4 Stunden bei 
Zimmertemperatur absolut keine Typluisbazillen mehr, die sich 
sonst unter gleichen Verhältnissen ohne den Kalkzusatz länger 


‘) Baumparten, .Taliresbericbte, III. B., 1887, S. 151. 

*) Ibidem, S. 13() niid 3()8. 

.\rbeiten a. il. Kaiserl. (lesimdludtsamte, V. B., 1889, S. 319 u. 320, 
0 E.Esmarch: Der Hen neberg’.sehe Desinfektor; Zeitsclir. f. Hygiene. 
II. B., 1887, .8. -b;.',. 

•’') Bau Ul gar teil, .Tahresbericlite, III. B., 1887, S. 423 und 424. 

®) Aintlielier Berielit über <lie Wa.sserver.sorguiig von Zürich uud ilireu 
Zusamnienliang mit der Tyjdniseiddemie des .lalires 1884. Zürieli 1885. 

0 Hauser und K re gl i n g e r: Die Tyiihuseiiidemie in Triberg in den 
Jahren 1884 und 18sö. Berlin 1887. S. 190. 

”) Vergl. Baumgarten: Mykologie, 8. 518 und 31 i 11 e uz we ig: Die 
Bakteriologie. Berlin iNSO. S. 95. 

'■') Baum gar teil, Mykologie, 8. 512 u. Zeit.selir. f. Hygiene, V. Bd., 8. 350. 

Baum gar teil. Jaliresberichte, IV. B.. 1888, 8. 140. 

**) 1 ergl. L i II 0 r i u s: Einige Dntersuehiingeii über die de.sinfizireude 
Wirkung des Kalkes; Zeifselir. f. Hygiene, II. B., 1887, 8. 34. 

’*) Zentralbl. f. Bakteriologie, \T. B., Nr. 3, 8. 75. 



384 Dr, Blokusewski; Bemerkungen zum Richter’schen Gutachten: Trunkenheit etc. 


hielten. Nach Jäger^) hatte zur Zerstörung von Typhusbazillen 
an sterilisirten Seidenfäden schon der einmalige Kalkanstrich eines 
Kalkbreies von 1 Theil gelöschtem Kalk mit 2 Theilen Wasser 
ausgereicht, der 2 Stunden ein wirken gelassen wurde. Pfuhl*) 
fand nach 1 stündiger Einwirkung von 2 Prozent einer 20 prozentigen 
Kalkmilch in den Typhusentleeningen keine entwickelungsfähigen 
Keime mehr. Nissen®) konnte Typhusbazillen mit filtrirter oder 
nicht filtrirter Chlorkalklösuug mit Sicherheit nach 5 Minuten bei 
einem Prozentgehalt von 0,12 in der Bouillon vernichten, bei den 
Typhusstühlen jedoch brauchte er höhere Prozentsätze, je nach 
dem Eiweissgehalt der Stühle. Dies beruht eben auf der Ver¬ 
schiedenartigkeit, namentlich des Eiweissgehaltes der Bakterien¬ 
flüssigkeiten künstlicher Art von den höheren der Fäces. So ge¬ 
lang es auch Wiltschur^) in Bouillonkulturen zwar die Typhus- 
bazillen durch Hinzufügung der zwei-, respektive dreifachen Menge 
von kochendem Wasser sicher zu vernichten, bei Stühlen brauchte 
er jedoch das Vierfache. 

Gegen die Karbolsäure verhalten sich Typhusbazillen recht 
resistent. ®) 

Sowohl in Nährgelatine als auch in Bouillon werden Typhus¬ 
bazillen durch einen Zusatz von 0,2 Prozent Salzsäure und 0,057 ®/o 
Schwefelsäure - Zusatz *^) vollständig vernichtet. Chantemesse 
und Vidal^ sahen Typhusbazillen dagegen in 20/0 Salzsäure¬ 
gelatine, wenn auch kümmerlich, proliferiren. 

(Fortsetzung folgt.) 


Bemerkungen zu dem Richter’schen Gutachten „Trunkenheit, 
Kohienoxydvergiftung, Erstickung“. 

Von Dr. Bloknsewski, Kreis - Physikus in Daun. 

Den Artikel des Herrn Kollegen Richter in der letzten 
Nummer dieser Zeitschrift „Trunkenheit, Kohlenoxydver¬ 
giftung, Erstickung“ kann ich nicht unerörtert lassen, weil 
der Verfasser dieses Gutachten für die Begründung seiner früher 
ausgesprochenen Ansicht über die Schwierigkeit des vorläufigen 
Gutachtens anführt. Während Richter eine offenbare Konkurrenz 
dreier Todesursachen annimint, derart, dass eine Gewohnheits¬ 
trinkerin in Folge Trunkenheit und Kohlenoxydgasvergiftung mit 


') Jäirer: Untersuchunsycn über die Wirksaiiikeit verschiedener chcini- 
sclier DcsinfcktiGiisinittel bei kurz diuiernder Einwirkung auf Infektionsstofie. 
Arbeiten a. d. Kais' rl. Gesiiiidbeitsamte, V. B., 8. 2r)2, 253 und 2ti4. 

Pfuhl, Zeitschr. f. Hy^neiie, VI. B. 1889, 8. 97. 

Zeitschr. f. Hy”:iene, Vlil. B., 1890, S. 6-1-. 

*) Bauin^arten, Jahresberichte, III. B., 1887, S. 155 und 156. 

Kitasato: lieber das Verhalten der Typhus- und Cholerahazillcn zu 
sauren oder alkalisclieii Nährböden, Zeitschr. f. Hygiene, III. Ik, 1888, 8. 407; 
(’ h a n t e ui esse und V i d a 1, Zeitschr. f. Hygiene, VHI. B., 1890, S. 144 ; 
Schiller, Arbeiten a. d. Kaiserl. (iesundlieitsamte, V. B., 1889, S. 319 und 320. 
Kitasato, s. vorher 8. 407. 

Bau mg arten, Jahresberichte, III. B. 1887, S. 151. 



Dr. Richter: Erwiilerang: auf die vorstehoudon Eemorkuii<:;en. ^85 

dem Gesicht in die weichen Kissen fällt und erstickt, würde es 
sicli für mich um eine ganz gewöhnliche Kohlendunstvergiftung 
liandeln bei einer angeblich angetrunkenen und auch sonst dem 
Trünke höchst walirscheinlich ergebenen Frauensperson, die mit dem 
Gesicht auf dem Bett liegend gefunden worden ist, also höchstens 
um zwei begleitende und ziemlich nebensächliche Zufälligkeiten. 

Gegen eigentliche Erstickung z. B. in den Kissen, spricht 
das stark kohlenoxydhaltige Blut, das seine Erklärung eher in 
unbehinderter Athmung findet und an sich völlig ausreichend als 
Todesursache ist, zumal ja gerade die Erstickungszeichen das 
Gewöhnliche beim Tod in Kohlendunst sind, ein Umstand, welcher 
der ganzen Fassung des Gutachtens nach von Richter kaum ge¬ 
nügend in Betracht gezogen zu sein scheint. Anders läge der 
Fall bei geringem Kohlenoxyd - Gehalt des Blutes, zumal wenn 
etwa Erbrochenes in den Luftwegen gefunden wäre, wodurch Er¬ 
stickung durch Luftabschluss herbeigeführt sein könnte, obwohl 
auch dann noch der Brechakt durch die Kohlendunstvergiftung 
event. auch durch Alkoholwirkung verursacht worden wäre. Für 
Erstickungstod durch Alkoholwirkung spricht aber kein einziger 
Grund, Alkoholgeruch im Magen, Lungen, Gehirn ist nicht er¬ 
wähnt, ausserdem spricht auch hier das langdauernde Athmen der 
Kohlendunstluft dagegen. 

Ich würde also das vorläufige Gutachten folgendermassen 
gefasst haben: 

1. Der Tod ist durch Erstickung erfolgt. 

2. Die Erstickung ist höchstwahrscheinlich durch Kohlen¬ 
dunst herbeigeführt. 

Auf Befragen: 

3. Ein sicherer Beweis füi’ Tod durch Kohlendunst würde 
sich durch die Untersuchung des Blutes ergeben. 

Eventuell: 

4. Die angebliche Trunkenheit kommt als Todesursache nicht 
in Betracht. 

Uebrigens ist das Lebenbleiben anderer Personen, insbesondere 
auch der Kinder, unter fast gleichen Verhältnissen doch nichts 
Besonderes, ebenso wie der Nachweis von Kohlenoxyd sogar 
monatelang nach dem Tode, während andererseits die Beschreibung 
eine Verwecliselung mit den beiden Absorptionsstreifen bei durch 
Fäulniss missfarbigem Blute in Folge von Hämatinbildung be¬ 
sonders nach Zusatz von Schwefelammonium nicht völlig aus- 
schliesst. 

Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen. 

Vou Dr. Richter, Kreis-Physikns in Gross-Wartenberg. 

Es ist ein Irrthum, dass die Erscheinungen der vulgären Er¬ 
stickung — in meinem Falle Blutfülle des Geliirns, der Lungen 
und des rechten Herzens — zu den Erscheinungen der Kohlen- 
oxydgasvergiftiing gehörten. Im Lehrbuche der gerichtliclien Me¬ 
dizin von V. Hofmann würde man vergeblich danach suchen; 



386 


Dr. Siebter: Erwidorung aaf die Tordtehenden Bemerkangon. 


im Schlockow, Ausgabe von 1889, ist es allerdings noch zu 
lesen. Ich halte es auch hier für einen der nicht wenigen, in 
diese Ausgabe „eingeschlichenen** Irrthümer. Ist denn die Kohlen- 
oxydgasvergiftung eine mechanische Erstickung? Und doch 
nur diese letztere setzt in der Leiche die Erscheinungen der vul¬ 
gären Erstickung. Die Kohlenoxydgasvergiftung aber ist eine 
„innere Erstickung“, herbeigeführt durch die Unfähigkeit des 
Blutroths, Sauerstoff aufzunehmen. Der negative Druck im 
Brustraum, welcher bei der mechanischen Erstickung* 
den Blutzufluss zu den Organen der Brusthöhle be¬ 
wirkt, waltet bei keiner einzigen inneren Erstickung 
ob, da bei sämmtlichen Arten derselben die Zufuhr 
eines Luftgemenges vollkommen unbehindert ist. Dies 
ist übrigens ein Beweis mehr für die hohe Wahrscheinlichkeit der 
D 0 n d e r s ’ sehen Ansaugungstheorie. 

Wer sagt übrigens, dass das Blut der G. sehr stark kohlen¬ 
oxydgashaltig war? Weil es eine hellrothe Farbe hatte? Oder 
weil es, unter Luftabschluss aufbewahrt, noch einige Wochen nach 
dem Tode eine „deutliche Kohlenoxydgasreaktion“ zeigte? Auch 
war mir die grosse Festigkeit der Verbindung zwischen Blutroth 
und Kohlenoxyd nicht unbekannt. Ich glaubte nur, ein Beitrag 
mehr könne nicht schaden. Wie nach meiner Beschreibung des 
spektralanalytischen Befundes eine Verwechselung mit Hämatin 
möglich sein soll, vermag ich nicht einzusehen, da Hämatin, ebenso 
wie Oxyhämoglobin, durch Schwefelammonium reduzirbar ist. (Siehe 
V. Hofmann, gerichtl. Medizin p. 438 ff.) 

Was endlich den Umstand anlangt, dass drei Kinder mit 
dem Leben davon kamen, welche auf demselben Bette liegend ge¬ 
funden worden waren, auf welchem die G. todt mit dem Gesichte 
in den Kissen lag, so musste das doch wohl sehr auffallen und 
fiel in der That auch dem, durch keine fachwissenschaftlichen 
Ueberlegungen voreingenommenen Kichter als Erstes auf. Einmal 
sind Kinder gegen alle Giftwirkungen ungleich empfindlicher als 
Erwachsene, und dann lag nicht der mindeste Grund vor, bei den 
Kindern günstigere Verhältnisse anzunehmen, als bei der G. Sonst 
habe ich in ähnlichen Fällen die Angabe v. Hofmann’s stets 
bestätigt gefunden, dass die Ueberlebenden in der Nähe der Thüren 
und Fenster lagen, wo ihnen frische Luft Zuströmen konnte, so- 
dass dieselben ein viel verdünnteres Kohlenoxydgasgemenge ge- 
athmet hatten, als die Gestorbenen. Das war hier nicht der 
Fall und nun waren gleich drei Kinder die Ueberlebenden und 
eine rüstige Frau die Erlegene. Wozu sind wir denn als Gerichts¬ 
ärzte da, wenn wir nicht versuchen wollen, solche Dinge aufzu¬ 
klären? Es ist keine Erklärung, zu sagen, das sei nichts Un¬ 
gewöhnliches. Warum ist es nichts Ungewöhnliches? Weil sehr 
häufig die Bedingungen, unter welchen die Einathmung des Kohlen¬ 
oxydgases stattfindet, für die einzelnen Personen in ein und dem¬ 
selben Baume ganz verschiedene sind. Erst, wenn man keine 
Erklärung gefunden hat, darf man sagen: „Non liquet“, was genau 
ebenso leicht wiegt, wie „das ist nichts Ungewöhnliches“. 



Kleinere Mitthoilunguu und Referate aus Zeitschriftou. 


387 


Das sind die Gründe, warum die Erscheinungen der vulgären 
Erstickung in der Leiche der G. volle Berücksichtigung für sich 
allein finden mussten. Dass aber meine Erklärung der Sachlage 
den Nagel auf den Kopf getroffen hat, ist mir nach des Kollegen 
Blokusewski Bemerkungen erst zur unumstösslichen Gewiss¬ 
heit geworden. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Hygiene and öffentliches Sanitätswesen. 

In einem Vortrage, den Herr Geh. Med.-Bath Prof. Dr. Schmidt- 
Rimpier den in Göttingen zum hygienischen Kursus versammelten Medizinal¬ 
beamten in liebenswürdigster Weise gehalten, äusserte sich derselbe über den 
Unterschied zwischen Trachom und Conjunctivitis follicnlosa wie folgt: 

Es sei noch keine Uebereinstimmung darüber erzielt, ob diese beiden 
Affektionen als eine einzige Krankheit aul'zufassen seien, oder ob es sich um 
zwei ganz verschiedene Prozesse handele. Die aus der Aetiologie, — MickeT- 
scher Diplococcus, der aber nach den eigenen Untersuchungen des Vortragenden 
nicht als pathogen zu betrachten sei — und aus der pathologischen Anatomie 
gezogenen Gründe für die Unität seien nicht als beweiskräftig zu betrachten. 
Die massgebende klinische Erfahrung spreche dafür, dass es sich um zwei ganz 
verschiedene Prozesse handele; das erkenne selbst die überwiegende Zahl derer 
an, welche im Uebrigen die Einheit der Alfektion verficht, indem sie eine leichte 
(Conjunctivitis folliculosa) und eine schwere Form (Trachom) unterscheiden. Und 
ebenso müssten sanitätspolizeilich beide Krankheiten verschieden behandelt 
werden. Mit Recht werde gesagt, man könne nicht immer im Beginn unter¬ 
scheiden, ob es sich um Conjunct. follic. oder Trachom handele, aber in der 
Regel sei die Trennung leicht möglich. 

Der Vortragende besprach zunächst die anatomischen Veränderungen. 
Die Conjunctiva hat Papillen uud zwischen ihnen Einsenkungen. Schwellen die Pa¬ 
pillen an, so entsteht samratartiges Aussehen, im höheren Grade giebt es Wärzchen¬ 
bildung, selbst bei einfacher Conjunctivitis; die einfache Papillenschwellung habe mit 
Granulation nichts zu thun. Bei letzterer, sowie bei Conjunct. folliculosa treten 
runde Anhäufungen lymphoider Zellen im alveolären Bindegewebe der Conjunctiva 
auf, oft durch eine Membran eingekapselt. Diese bilden die rundlichen Körner, 
welche wir bei Conjunct. follic. und bei Trachom sehen. Zunächst seien die 
Verhältnisse bei diesen beiden Affektionen anatomisch zwar gleich; in ähnlicher 
Weise fände sich jedoch auch bei Katarrh und Typhus anfänglich einfache 
Schwellung der Darmfollikel und doch sei dieselbe recht different. Schon früh 
trete aber bei den genannten Augenkrankheiten der Unterschied in den anato¬ 
mischen Veränderungen hervor, indem bei Trachom bald Epithelschwellung und 
Zellwucherungen neben den Follikeln eintrete, was bei Conjunct. follic. nicht 
geschehe. Frühzeitig 8ei(m ferner bei Trachom die Einsenkungen zwischen den 
Bindehautpapillen verwischt. Weiterhin werde die Differenz noch deutlicher, 
und zwar durch Schrumpfung, auch Verkäsung der Trachom - Follikel und durch 
Narbenbildung, was bei der einfachen Conjunct. folliculosa nicht der Fall sei. 
Die Schleimhaut sei endlich bei Trachom durch sekundäre Papillenwucherung 
mehr geschwollen und dies der durchschlagendste Unterschied auch für das 
k linische Krankheitsbild. Was letzteres betrifft, so bleibe auch beim 
Schwinden der Follikelschwellung ein für Trachom charakteristische Veränderung 
zurück, nämlich Narben und eine eigenthüinliche, mehr gleichmässige blau-violette 
Färbung der Schleimhaut. Bei follikiilüser Conjunctivitis sei das Gefässnetz der 
Conjunctiva nicht oder sehr wenig verändert, anders bei Trachom. Auch die 
Körnchen unterscheiden sich: bei Conjunct. follic. seien sie mehr glänzend und 
durchsichtig, bei Trachom opaker, gedblich; bei ersterer meist auch die Furchen 
zwischen den Körnern tiefer. Bei der granulösen Form seien Oberlid und Unter¬ 
lid ergriffen, bei der folliculösen vorzugsweise das Unterlid, jedoch müsse man sich 
hierbei hüten, die Papillen des Oberlids für geschwollene Follikel anzusehen; nur 
in Ausnahmefällen findet man gelegtuitlich bei Conjunct. follic. einzelne Körnchen 



888 Kleiuere Mittlioilun^en uml Referate aus Zeitschriften 

in den Winkeln des oberen Lids. Habe man normale Schleimhaut bei Kömehen- 
bildung, so sei die Sachlage klar (('onjunct. Ibllic.); schwerer sei die Benrtheilung 
schon bei gleichzeitigem Bindehaiitkatarrh. Bed einer Untersuchung von Gym¬ 
nasiasten wurden z. B. von dem Vortragenden 27 Prozent der Schüler mit Fol¬ 
likelschwellungen befunden; wenn damit Trachom identisch wäre, so müsse man 
27 Prozent Trachom bei unseren Gebildeten haben, was wohl keiner behaupten 
werde. 

Vortragender bat, mit dem Ausdruck ägyptische Augenkrankheit, der 
im Publikum meist gleich Trachom gesetzt wird, bei Schul - Epidemien recht 
vorsichtig zu sein, worin man ihm nur beipflichten kann. In der Regel handele 
es sich bei solchen Epidemien um epidemische Katarrhe mit oder ohne Follikel¬ 
schwellung. Weniger ängstlich dürfte die Frage der sanitätspolizeilichen Mass- 
regeln behandelt werden, da, wie Vortragender auch hervorhob, ja auch bei 
epidemisch auftretenden Katarrhen eine prophylaktische oder exspektative Schul¬ 
schliessung gelegentlich nöthig sein dürfte, wenn dabei nur der Panik erregende, 
oben angeführte Ausdruck zunächst vermieden würde. Es unterliege keinem 
Zweifel, dass Conjunctivalaffcctionen, welche mit stärker eitriger oder eitrig- 
schleimiger Absonderung auftreteu, in Schulen durch direkte Uebertragung des 
Sekrets zu epidemischer Ausbreitung kommen können; auch hält es Vortragender 
nicht für ausgeschlossen, dass in den Schulzimmern selbst durch die Luft eine 
Infektion eintreten könne, da diese bekanntlich hier reichlich mit Staub, in der 
die ansteckende Materie (Bakterien) enthalten sein können, geschwängert ist. 

Dem Vortrag schlossen sich Demonstrationen mikroskopischer Präparate 
und Kranken Vorstellungen an und verabschiedeten sich die vollzählig erschienenen 
Theilnehmer des hygienischen Kursus mit dem dankbaren Bewusstsein, einer 
äusserst anregenden Besprechung des interessanten und wichtigen Themas beige¬ 
wohnt zu haben. Kreisphysikus Dr. Seemann-NortheiuL 

Znr Frage des Einflusses der Gonorrhoe auf das Wochenbett und 
auf die Angenerkranknngen der Neugeborenen. Von Dr. R. v. S t e inb ü c h e L 
Wiener klinische Wochenschrift 1892; Nr, 21 und 22. 

Bemerkenswerth in den vorliegenden Mittheilungen sind 3 Fälle, bei 
welchen es erst am 7. und 10. Tage post partum gelang, in den Lochien Gono¬ 
kokken nachzuweisen, nachdem sowohl die Lochien am 2. Tage nach der Ent¬ 
bindung, als auch Urethral-, Vaginal- und Cervicalsekret vor der Entbindung 
gonokokkenfrei befunden worden waren. 

Die von Sänger und Bumm gemachten Angaben, nach welchen das 
Bestehen einer Gonorrhoe gewöhnlich ohne Einfluss auf das Frühwochenbett ist, 
konnte Verfasser bestätigen. Von 68 an Gonorrhoe leidenden Wöchnerinnen der 
Chrobak’sehen Klinik erkrankten an puerperalen Prozessen 7 (= 10,29®/o), 
von 245 gonorrhoefreien Wöchnerinnen 22 (== 8,97 ^/y). 

Zur Vermeidung der Ophthalmoblennorrhoe der Neugeborenen wird auch 
in der Chrobak’schen Klinik das Crede’sche Verfahren geübt. Die An¬ 
gaben des Verfassers über deren Häufigkeit in den von ihm beobachteten Fällen 
gestatten mithin kein anderes Urtheil über den Einfluss der Gonorrhoe auf die 
Augenerkrankungen, als die Anerkennung des ursächlichen Zusammenhanges 
beider Affektionen. _ Dr. Platten-Wilhelmshaven. 

Neuerliche Beobachtungen über das Vorkommen des Ankylostoma 
duodenale bei Bergleuten. Von Dr. J. Zappert. Wiener klinische Wochen¬ 
schrift 1892. Nr. 24. 

Verfasser fand den grössten Theil der in den Gruben von Brennberg bei 
Oedenburg beschäftigten Arbeiter aukylostoraakrank und glaubt annehmen zu 
sollen, dass dieselben innerhalb der Gruben infizirt wurden, wo sie ihre Defae- 
kation an jeder beliebigen Stelle der Schächte vorzunehmen pflegen. Hierfür 
sprach die Thatsache, dass diejenigen Leute, w^elche als Schmiede, Bahnarbeiter, 
Lastenträger und dergl. dauernd ausserhalb der Schächte beschäftigt waren, sich 
als nicht erkrankt erwiesen. Die Ursache der geringen Zahl von Erkrankungen 
von Frauen und Kindern verrauthet Verfasser darin, dass dieselben grösstentheils 
in gesonderten Hütten wohnen und ihre Dejektionen daselbst gewöhnlich in ge¬ 
schlossenen Senkgruben absetzen. 

Zur Entscheidung der Frage, ob die Infektion in den Schächten durch das 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


389 


Trinkwasser oder aber durch Einathraung in Folge der durch die Grubeuventi- 
latoren bedingten starken Luftströme vermittelt wird, hält Verfasser eine Be¬ 
stätigung der für letzteren Modus sprechenden Versuche von Schopf für 
nothwendig. 

Da die Krankheit zweifellos schon in einer grösseren Reihe von Berg¬ 
werken verbreitet ist und das Wandern der Arbeiter von einem Betriebe zum 
anderen die Infektion bis dahin ankylostomafreier Gruben bewirken kann, em¬ 
pfiehlt er daraufhin gerichtete Erhebungen vorzunehmen und „bei Eröffnung 
neuer Gruben diese durch die Fäkaluntersuchung eines jeden neu eintretenden 
Arbeiters vorder Infektion zu schützen“. Ders. 

Ueber eine neue Methode zur Bestimmung der Wandfeuchtigkeit. 
Von Prof. Dr. R u d. E m m e r i c h. Münchener Mediz. Wochenschrift; Nr. 18,1892. 

Die in den neuesten Baupolizeiverordnungen vorgesehene Bestimmung, 
dass vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Frist für das Bewohnen von Neu¬ 
bauten eine Revision derselben vorzunehmen sei, um zu prüfen, ob sie auch ge¬ 
nügend ausgetrocknet sind, ist illusorisch, so lange für die betreffenden Beamten 
keine bestimmte Prtifungs - Methode vorgesehen ist, durch welche diese den 
Trockenheitsgrad der Wohnung mit Sicherheit feststellen können. Die bisher 
von den Beamten angewandten Methoden (Betasten, Beklopfen mit einem 
Schlüssel u. 8. w.) sind höchst primitiv und trügerisch, und sind dabei Irrthümer 
zum Schaden des Vermiethers wie des Miethers nicht zu vermeiden. 

Unter v. Pettenkofers Leitung hatte sich zunächst Dr. Glässgen 
bemüht, eine brauchbare Methode zur Bestimmung der Wandfeuchtigkeit zu 
ermitteln und gleichzeitig die Grenze zu bestimmen, bei der eine Mauer als 
feucht oder trocken zu bezeichnen ist. Er kam auf Grund zahlreicher Unter¬ 
suchungen an Neubauten zu dem Schluss, dass jeder Neubau als trocken und 
beziehbar erklärt werden können, wenn der innere Mörtelbewurf der Wände qicht 
mehr als 1 ®/o Wasser im Feinmörtel enthalte. Die von ihm benutzte Methode 
beruht darauf, dass der Mörtel an der Luft, die vorher von ihrem Gehalt an 
Kohlensäure und Wasser mittelst Leiten durch Barytwasser und darnach durch 
Schwefelsäure befreit ist, getrocknet wird. Diese Methode hat aber wenig Ein¬ 
gang gefunden, da sie vor allem auch den Fehler hat, dass bei ihr nur wenig Mörtel 
(höchstens 25 g) verwendet werden kann, während es erforderlich ist, beliebig 
grosse Mörtelmengen (wenigstens 100—200 g) auf ihren Wasserinhalt zu prüfen. 
Ausserdem ist die Glässge n’sche Methode, sowie die von Lehmann und 
Nussmann angeblich verbesserte, aber thatsächlich verschlechterte G1 ässgen’¬ 
sche Methode nicht einfach genug, um auch von weniger Geübten (Physikats- 
ärzten u. s. w.) ausgeübt werden zu können. Emmerich empfiehlt nun das 
Trocknen der Mörtel in einem Vacuumschrank bei 1(X)®C. vorzunehmen. Mittelst 
einer 0,5 qdm grossen, eigens dazu konstruirten Stanze werden von jeder Wand 
eines Zimmers Proben von der ganzen Dicke des Mörtelbewurfs entnommen ; die 
dadurch entstehenden Defekte können sofort mit Gyps angefüllt und verstrichen 
werden. Jede dieser Mörtelproben wird gleich in der Stanze zerrieben, dann in 
ein luftdichtschliessendes Glas gefüllt und nach dem Laboratorium transportirt, 
um hier, nachdem das Gewicht der einzelnen Proben festgestellt ist, ohne vor¬ 
heriges Sieben in flachen Nickelschalen in einem vorher geheizten doppelwandi¬ 
gen, nach dem Prinzip des Soxhlet’sehen Schnelltrockenschrankes aus Kupfer 
hcrgestellten Vacuumschrankea gebracht zu werden. Nach Ablauf von Vs“! 
Stunde ist die Trocknung vollendet und wird nach dem Erkalten der Probe ihr 
Wassergehalt durch Zurückwägen im Exsiccator ermittelt. Aus dem Durchschnitt 
des Wassergehaltes der einzelnen Proben lässt sich dann derjenigen des ganzen 
Zimmers berechnen. Als Norm der Trockenheit und zulässige Grenze für die 
Bewohnbarkeit eines Zimmers nimmt Emmerich einem Gehalt von2Wasser¬ 
gehalt des Gesamintmörtels an. 

Die Methode ist jedenfalls viel einfacher und schneller als die von G1 ä s s- 
gen angegebene und von Lehmann und Nussmann modifizirte und liefert 
ausserdem, da mit grössere Mörtelproben gearbeitet werden kann, ein viel sicheres 
Result;it als diese. Sie hat aber den Fehler, dass nicht jeder Medizinalbeamte 
in der La^re sein dürfte, sich den immerhin ziemlich kostspieligen Soxhlet’- 
schen SchneiItrockenschrank anzuschaffen und wird sich daher für den praktischen 
Gebrauch kaum einbürgern. Rpd. 



890 


Bcsprcchnngen. 


Amerikanische Doktoren. Ueber die Au.sübui3g der Zahnheilknndc 
und die Erlangung des Doktortitels erlaube ich mir zu meinen früheren Berichten 
(s. Nr. 1 und 7 der Zeitschrift, S. 19 und 175) jetzt den Schluss hinzuzutüiren. 
Als in Göttingen ein den Zahntechniker Schumann freisprechendes Urtlieil 
seitens des Künigl. Landgerichts erfolgt war, bat ich den Königl. Herrn Ersten 
Staatsanwalt, Berufung dagegen zu erheben. Derselbe gewährte meine Bitte 
und brachte die Sache den 18. Februar d. J. vor das Künigl. Übcrlandesgericht 
in Celle. Dasselbe erkannte in der Sitzung vom 2. April d. J. für Recht: 

„Die Revision wird verworfen, die Kosten des Rechtsmittels fallen der 
Staatskasse zur Last.“ 

Gründe, 

„Ob der Titel, den Jemand, der nicht als Arzt approbirt ist, sich beige¬ 
legt hat, ein der Bezeichnung als Arzt ähnlicher und ob derselbe geeignet sei, 
den Glauben zu erwecken, sein Inhaber sei eine geprüfte Medizinalperson, ist 
Thatfrage. Vorliegend hat das Berufungsgericht die Frage unter Würdigung 
der Lage des Falles verneint. Diese Feststellung bildet den Gegenstand des 
Revisionsangriffes. — Die Beschwerde ist also verfehlt, weil eine Nachprüfung 
jener Feststellung in der Revisionsinstanz unzulässig ist.“ 

Um nun kein Mittel unversucht zu lassen, den einmal gegebenen Gesetzen 
Geltung zu verschaffen, wandte ich mich an hohes Königliches Kultusministerium 
und erhielt unter dem 21. Juni d. J. den Bescheid: „Ob sich Jemand durch die 
Bezeichnung als im Auslande approbirter Zahnarzt oder durch Beilegung eines 
amerikanischen Doktortitels einer Uebertretung bestehender Gesetze schuldig 
macht, fällt lediglich der richterlichen Entscheidung anheim.“ 

Welcher Barbier, Goldschmied oder Grobschmied wird jetzt noch so 
thöricht sein, die für Deutschland bestehenden zahnärztlichen Gesetze zu be¬ 
folgen, wenn er sich als Zahnarzt aufspielen will ? Er macht einfach ein leichtes 
Examen in Belgien oder Luxemburg, reist auf drei Wochen nach Amerika, 
kauft sich für drei Dollars den Doktortitel, um dann, ungehindert von 
deutschen Gerichten, in Deutschland falsche Zähne einsetzen und sich dafür 
dollarmässig bezahlen lassen zu können 

Falsch eingesetzte Zähne und horrende Zahnpreise werden künftig wohl 
nicht ausbleiben. Dr. M e n d e - Einbeck, 


Besprechungen. 

Dr. Aug. Gärtner, o. ö. Professor der Hygiene und Direktor des 
hygienischen Instituts der Universität Jena: Leitfaden der 
Hygiene. Für Studirende und Aerzte. Mit 106 Abbildungen. 
Berlin 1892. Verlag von S. Karger. 

In kurzer, knapper, bündiger Form hat Verfasser die Hauptpunkte der 
Gesundheitslehre zusammengestellt. Das Buch bietet alles Thatsächliche und 
bis jetzt auf dem grossen Gebiete als sicher Festgestellte. Jn verschiedenen 
Kapiteln werden abgehandelt: Die Atmosphäre, das Wasser, der Boden, die 
Ernährungsmittel, Wohnung und Städteanlagen, die Wärmeregulirung der 
Wohnungen, die Ventilation, die Beleuchtung, die Entfernung der Abfallstorte, 
das Leichenwesen, die Schul-Hygiene, die Gewerbe-Hygiene und die Inf<‘ktions- 
Krankheiten mit der Lehre von den Infektionserregern und Bakterien überhaupt. 
Vielleicht wäre es z\veckentsj»recliender gewesen, die Lehre der Bakterien an die 
Spitze der Abhandlungen zu stellen, da in jedem Kapitel der Hygiene die Mi¬ 
kroorganismen eine Hauptrolle spielen. 

Besonders hervorgehoben zu werden verdienen die Anführungen der ge¬ 
setzlichen Bestimmungen über einzelne Massnahmen in kurzer Wiedergabe oder 
(loch durch Angabe des Fublikationsdatuins, weil in diesen Bestimmungen die 
erreichbaren Forderungen und ausführbaren Massregeln für s])ezielle Fälle ent¬ 
halten sind. Unter Gew^erbeliygieno ist das Krankenversiclieruugs-, Untallyer- 
sicherungsgesetz und das Gesetz über Invaliditäts- und Altersversicherung einer 
näheren Auseinandersetzung unterzogen und die hohe Bedeutung für die Hygi(‘ne 
betont; denn „die Armuth ist der schlimmste Feind der Hygiene.“ 



Besprechungen. 


391 


Was endlich die Infektionskrankheiten aulangt, so ist die Bearbeitung 
als eine vorzügliche zu bezeichnen. Die Wichtigkeit der Sache hat den Verfasser 
bestimmt, dieses Kapitel besonders ausführlich zu behandeln. 

Das Buch ist in der That nicht blos ein Leitfaden im Studium, sondern 
ein Eathgeber auf jedem Gebiete der theoretischen und praktischen Hygiene. 
Der Medizinalbeamte wird in allen Fällen korrekt von dem Büchlein bedient 
werden. Dr. Overkamp -Warendorf. 


Dr. Rud. Arendt, Professor an der öffentlichen Handelslehranstalt zu 
Leipzig und Eedakteur des chemischen Zentralblattes: Tech¬ 
nik der Experimentalchemie. Anleitung zur Ausführung 
chemischer Experimente. Für Lehrer und Studirende, sowie 
zum Selbstunterricht. Zweite um gearbeitete Auflage. Mit 780 
in den Text eingedruckten Holzschnitten und einer Tafel. 
Hamburg und Leipzig 1892. Verlag von Leopold Voss. 

Die Chemie gewinnt täglich mehr an Bedeutung für den Medizinalbeamtcn, 
und zwar soll letzterer nicht allein ein theoretisches Wissen haben, sondern auch 
selbstständig chemische Untersuchungen anstellen können. Nun ist die neueste 
Zeit so reich an Erfindungen der technischen Hülfsraittel zu Ausführungen von 
chemischen Untersuchungen, die demjenigen, dem nicht ein grosses Laboratorium 
zu Gebote steht, fremd bleiben. In dem Buche von Arendt sind sämmtliche 
neuen Apparate nebst ihrer Anwendung beschrieben. Ist das Buch auch ursprüng¬ 
lich für (len Experimentirenden und Lehrer der Chemie bestimmt, so sei es doch 
auch denjenigen der Medizinalbeamten, die sich selbstständig mit chemischen 
Untersuchungen beschäftigen, empfohlen. Die Fingerzeige, welche das Buch 
im ersten Theile enthält für die Einrichtung des Arbeitsraumes, die Anschaffung, 
Aufbewahrung und Reinigung der Geräthe, sowie überhaupt für alle Manipu¬ 
lationen bei chemischen Arbeiten werden jedem selbstständig Arbeitenden will¬ 
kommen sein. Unter den sehr zahlreichen Abbildungen vermisst man weder 
einen Apparat, noch die genaue Darstellung des Haltens und des Zusammen- 
fügens und der Aufstellung derselben. 

Der besondere Theil giebt in klarer übersichtlicher Weise eine ausführliche 
Auseinandersetzung der chemischen Körper und Prozesse nach dem neuesten 
Standpunkt der Wissenschaft. Ders. 


Dr. F. Wesener, Privatdozent der klinischen Medizin und erster 
Assistent der Poliklinik zu Freiburg i. B.: Medizinisch¬ 
klinische Diagnostik. Lehrbuch der Untersuchungsme¬ 
thoden innerer Krankheiten für Studirende und Aerzte. Mit 100 
Figuren im Text und auf 12 lithographirten Tafeln. Berlin 1892. 
Verlag von Julius Springer. 

Der Stoff vorliegender Arbeit wird abgehandelt in drei Abtheilungen. 

1. Methodik und Technik der Untersuchung und allgemeinen Diagnostik 
(die anzuwendenden Apparate sowie die physikalischen Symptome im Allgemeinen). 

2. Die Deutung des Untersuchungsbefundes (spezielle Diagnostik). 

3. Die Lehre von den den einzelnen Krankheiten zukommenden patholo¬ 
gischen Veränderungen (angewandte Diagnostik). 

Ein Lehrbuch dmser Art giebt es ausser dem 0. Vierord t’sehen nicht. 
Wenn dasselbe in unserer Zeitschrift zur Besprechung gelangt und den Kollegen 
empfohlen wird, so sei zunächst die Praxis ins Auge gefasst, die wir als Me- 
dizinalbcamte auszuüben haben, dann aber auch besonders der Umstand, dass 
wir im Zeitalter des Attestweseiis leben. Lebensversicherung, Invaliditäts- und 
Unfallgesetze und unsere Stellung den Gerichts- und Verwaltungsbehörden 
gegenüber erheischen eine beschreibende Darstellung unserer Untersuchungen, 
und ist eine Revision nur möglich, wenn jene möglichst genau angegeben sind. 
Das Wesener’sche Buch giebt ein vofzügliches Hülfsmittel ab, alle neueren 
Methoden kennen zu lernen und uns üben zu können. Besonders gute Anleitung 
zur elektrodiagnostischen Untersuchung giebt das 5. Kapitel des ersten Ab- 



392 


Tagesnachricliteii. 


schnittod, diese sowohl wie die Darstellang der Untersachong des Nervensystems 
machen das Buch besonders empfehlcnswerth. 

Die dem Texte beigegebenen Figuren und farbigen Tafeln erleichtern 
das Studium des Gebotenen bedeutend. Die Auastattung ist vorzüglich. 

Ders. 


Brockhaus; Konversations*Lexikon: 14. vollständig neubearbeitete 
Auflage. 16 Bände von je 64 Bogen gross Lexikon 8® mit 
gegen 9000 Abbildungen und Karten. Leipzig 1892. (Bis jetzt 
erschienen Bd. 1—3, 1.—48. H.) 

Obwohl kein eigentlich medizinisches Werk, kann seine Anschaffung doch 
allen Aerzten wie Med^izinalbeamten warm empfohlen werden. An wissenschaft¬ 
lichem Werth, an Gediegenheit sowie an Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit 
seines Inhalts dürfte die neuste Auflage des Brock haus'sehen Konversations- 
Lexikons, mit der dieses sein 100jähriges Jubiläum feiert, alle ähnliche Werke 
weit übertreffen. Die Bearbeitung der einzelnen Artikel der bis jetzt erschie¬ 
nenen 3 Bände (A—C) zeigt, dass diese in den Händen bewährter Fachmänner 
geruht hat; dasselbe gilt auch betreffs der die Leser dieser Zeitschrift besonders 
interessirenden zahlreiehen medizinischen oder hygienischen Artikel, wie betreffs 
derjenigen ans dem Gebiete der Pharmakologie, Botanik, Chemie, Physik u. s. w. 
Von den vorliegenden drei Bänden bringt jeder Band mehr als 1000 Artikel, 
die sämmtlich bis auf die neueste Zeit fortgeführt sind und Jedem Gelegenheit 
geben, sich schnell nnd leicht auf allen Gebieten der Wissenschaft zu orientiren. 

Die Ausstattung der Bände in Bezug auf Druck und Papier wie in Bezug 
auf die zahlreichen Karten, Pläne, Abbildungen u. s. w. ist eine ganz vor¬ 
zügliche. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Cholera. Der Reichsanzeiger vom 25. Juli schreibt: „Die Ausbreitung der 
Cholera in Russland wird von der preussischen Staatsregiorung mit aller Aufmerksam¬ 
keit verfolgt und hat seit der zweiten Woche des Juli schrittweise zu verschiedenen 
wichtigen Massnahmen und Vorbereitungen geführt. Dabei ist stets Fühlung 
mit dem Reichsamt des Innern gehalten und sind den Anordnungen eingehende 
Konferenzen der Referenten der betheiligten Ressorts mit Mitgliedern des Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamts, Geheimen Medizinalrath Dr. Koch u. A , voraufgegangen. 
Die Richtung, in der sich die Anordnungen bewegen, ist dieselbe, welche in dem 
Erlasse über Massnahmen gegen die Cholera vom 14, Juli 1884 innegehalten 
ist. ¥\\r die aus dem Schwarzen Meer und den russischen Ostseehäfen 
kommenden Seeschiffe, sowie die aus Russland anlangenden Eisenbahnreisenden 
ist eine strenge ärztliche Ueberwachung in den Seehäfen bezw. auf den Grenz- 
cisenbahnstationen angeordnet. In Trupps reisende Auswanderer werden ausser¬ 
dem noch einer gleichen Kontrole in Schneidemühl, Breslau, Ruhlcben bei 
Spandau und Stettin unterworfen und dabei von dem übrigen Publikum möglichst 
abgesondert gehalten. Eine sanitätspolizeilichc Beaufsichtigung der Reisenden 
an den wichtigen Eisenbahnknotenpunkten, des Flussschifffahrt^- und Flösserci- 
verkehrs wird in den Grenzprovinzen in allen Einzelheiten vorbereitet, so dass 
dieselbe gegebenenfalls sofort in Vollzug gesetzt werden kann. Auch an der 
w^estlichen Landesgrenze sind Vorbereitungen zu ähnlichen Massnahmen, wie an 
der russischen getroffen. 

Ferner sind die Regierungspräsidenten angewiesen, ein Verbot der Ein- 
und Durchfuhr gebrauchter Leib- und Bettwäsche, gebrauchter Kleider — mit 
Ausschluss der Wäsche und Kleider von Reisenden —, von Hadern und Lumpen 
aller Art, von Obst, frischem Gemüse, Butter und sogenanntem Weichkäse zu 
erlassen, auch eine warnende Belehrung über das Verhalten gegenüber solchen 
aus Russland eintreff'enden Gegenständen zu veröffentlichen, bei welchen die 



Tagesnachricbten. 


89S 


Gefahr der Einschleppung der Krankheit gleichfalls vorliegt, ohne dass sie doch 
in das Einfuhrverbot haben eingeschlossen werden können. 

Des Weiteren steht eine den neuesten Ergebnissen der Wissenschaft 
Kechnung tragende Anleitung zur Desinfektion bei Cholera, bei welcher ein 
Schwerpunkt auf leichte Beschatfung und Anwendung der Mittel gelegt wird, 
unmittelbar vor der Vollendung und wird alsbald nebst einer populären Beleh¬ 
rung über das Wesen der Cholera und das Verhalten während ihres Herrschens 
veröffentlicht werden. Clcichzeitig werden den Aerzteu Rathschläge zur zweck¬ 
mässigen freiwilligen Mitwirkung an der eventuellen Bekämpfung der Seuche 
ertheilt und wird die AnzeigepHicht auch für alle der Cholera verdächtigen 
Krankheitsfälle eingeführt W'erden. Ausserdem besteht die Absicht, den Kreis¬ 
physikern die Befugniss zu grösserer selbstständiger Initiative zur sofortigen 
Feststellung derartiger Fälle und Instituirung der sanitätspolizeilichen Massregeln 
zu ertheilen, um der Verschleppung der Krankheit bei ihrem ersten Auftreten 
unverzüglich mit allen Mitteln entgegenzutreten.*) 

Hinsichtlich der Betheiligung der Sanitätskommissionen an den Aufgaben 
der öffentlichen Gesundheitspflege, deren Erfüllung gerade bei der Bekämpfung 
der Cholera von höchster Wichtigkeit ist, hat sich der oben bezeichnete Erlass 
l)ereits so erschöpfend und zutreffend ausgesprochen, dass in dieser Beziehung 
seine Befolgung nur nochmals eingeschärft werden kann/ 

Inzwischen schreitet die Cholera in Russland unaufhaltsam nicht nur 
nach Norden stromaufwärts der Wolga, sondern auch nach Westen vorwärts. Aus 
Astrachan wurden vom 13.—26. Juli 1488 Erkrankungen und 1198 Todesfiüle 
gemeldet, aus Zarizyn 355 bezw. 262, aus Saratow 608 bezw. 382, aus Rostow 
(am Asowschen Meer) 216 bezw. 81; ferner ist die Cholera in Nischui-Nowgorod, 
Woronesch, sowie in dem nicht unfern von Moskau liegenden Eisenbahnknotenpunkte 
Roslow aufgetreten. Auch in Moskau selbst sollen bereits Cholerafälle vorge¬ 
kommen sein, dasselbe wird von Charkow, Pultawa und Warschau berichtet. 

Auch in den verschiedenen, westlich von Paris und stromabwärts an der 
Seine gelegenen Vororten sind seit April d. J. Erkrankungen an Cholera vorge¬ 
kommen, z. B. in Aubervilliers 242 mit 84 Todesfällen, in St. Denis 58 mit 36 
Todesfällen, in St. Quen 54 mit 33 Todesfällen u* s. w. Dass es sich in diesen 
Fällen thatsäcblich um asiatische Cholera und nicht um (Cholera nostras gehandelt 
hat, ist durch bakteriologische Untersuchungen nachgewiesen. 


Die in Eisenach am 25. Juni abgehaltene Hauptversammlung der Knapp¬ 
schafts-Berufsgenossenschaft, Sektion 4, die sich über die Provinzen Sachsen, 
Brandenburg und Pommern sowie über die thüringischen Kleinstaaten erstreckt, 
beschloss die Erbauung eines Unfall-, Kranken- und Geiiesungshauses in 
Halle a. S. Der Bau ist auf 700000 Mark veranschlagt. Die ärztliche Leitung 
der Anstalt wird Herr Prof. Dr. Oberst übernehmen. 

Auch in^der'^NäheJvon Berlin (Köpenick) wird die Errichtung einer 
derartigen Anstalt seitens mehrerer Berufsgenossenschaften beabsichtigt. 


Standesvertretung der Apotheker. Die Bezirke Posen und Schlesien 
des Deutschen Apotheker-Vereins hatten au den Kultusminister eine Eingabe, 
betreffend Einrichtung einer Standesvertretung der Preussischen Apotheker, ge¬ 
richtet. Darauf ist dem Vorsteher des Bezirks unter dem 6. Juli d. J. folgende 
Antwort zugegangen: 

„Ew. Wohlgeboren erwidere ich auf die Vorstellung vom 13. Juni d. J., 
betreffend die Einrichtung einer Standesvertretung der Preussischen Apotheker, 
ergebenst, dass ich es zur Zeit nicht für zweckmässig erachten vermag, dieser 
Angelegenheit näher zu treten. 


*) Die betreffenden Ministerialerlasse sind der Redaktion erst nach Fer¬ 
tigstellung der vorliegenden Nummer und der Beilage zugegangen. Mit Rück¬ 
sicht auf die Wichtigkeit der Erhisse sind dieselben jedoch noch in einer Extra- 
Beilage abgedruckt und hat sich dadurch die Absendung der Nummer etw'as 
verspätet. 



894 


Tagesnachrichten. 


Dagegen bin ich nicht abgeneigt, zur Erörterung allgemeiner pharmazeu¬ 
tischer Fragen auch Apothekeubositzer aus den Provinzen nach Bedürfniss 
als Sachverständige einziiberufen und werde s. Z. das Erforderliche in die 
Wege leiten.“ 


Revisionen der Drogenhandlangen. Ende Mai d. J. hatten zwei Vor¬ 
standsmitglieder der Drogisteninnung zu Berlin bei dem Herrn Kultusminister 
eine Audienz, in der sie um Abhülfe gegen die nach ihrer Ansicht geradezu 
unerträglich gewordenen Missstäude bei den Revisionen der Drogenhandlungen 
baten. Der Herr Minister forderte die Einreichung einer Denkschrift und in dieser 
am 30. Mai d. J. eingereichten Denkschrift wurde seitens der Drogisteninniiug aus¬ 
geführt, dass die von Seiten der Apotheker immer wieder von Neuem erhobenen 
Klagen über ungesetzliche Konkurrenz der Drogisten fast regelmässig auf einer 
einseitigen Auslegung der Kaiserlichen Verordnung vom 27. Januar 1890 beruhten 
uud nicht zum kleinsten Theil auf di© jetzigen hohen Apothekenpreise und die 
damit verbundene grosse Zinsenlast, wie airf die das Maass der Wahrnehmung 
berechtigter Interessen vielfach überschreitende pharmazeutische Presse zurück¬ 
zuführen seien. Leider werde der Apothekerstand in seinem Kampfe gegen die 
Drogenhandlungen seitens der Medizinalbeamten gewissermassen unterstützt, da 
bei den meisten Mcdizinalbeamten unberechtigte Vorurtheile gegen den Drogisten- 
stand herrschten. Die Ursache hiervon sei besonders darin zu suchen, dass die 
Drogisten den Behörden gegenüber nicht als gesetzlich begrenzter Stand auf- 
treten könnten und ihnen die wissentlichen und unwissentlichen Uebertretungen 
vieler Materialisten, die den Drogen- und Gifthandel nebenbei betreiben und von 
beiden nicht die geringste Kenntniss besitzen, bei der Gesammtbeurtheilung zum 
Nachtheil gereichten. Jedenfalls würden die Drogisten bei den Revisionen mit 
andere Maasse gemessen als die Apotheker und gegen sie sofort mit Strafen 
vorgegangen in allen Fällen, wo ein Apotheker nur einen Verweis erhalten würde. 
Auch sei es nicht gerechtfertigt, die Drogeuhandlungen durch Apotheker, also 
durch ihre natürlichen Konkurrenten revidiren zu lassen. Der Herr Minister 
wird daher gebeten, das bei Apothekenrevisionen übliche Verfahren, nämlich durch 
Irrthura oder Unkenntniss entstandene Ungesetzlichkeiten nicht sofort durch 
Bestrafung, sondern zuerst durch Verweise ahnden zu lassen, auch auf Drogen- 
handlungen auszudehnen und anzuordnen, dass wo es irgend möglich zu machen 
sei, zu den Revisionen der Drogenhandlungen statt der Apotheker Drogisten 
herangezogen würden. 

Auf diese Eingabe ist nun unter dem 30. Juni d. J. nachfolgender 
ministerieller Bescheid erfolgt: 

„Auf die Eingabe vom 30. Mai d. J., betreffend die Revisionen von Drogen- 
handlungen, erwidere ich Ew. Wohlgeboren zur gefälligen Mittheilung an die 
Unterzeichner, dass ich nicht abgeneigt bin, eine mildere Handhabung der Re¬ 
visionen von Drogenhandlungen, soweit es sich nicht um Ungesetzlichkeiten, 
sondern nur um geringe Ordnungswidrigkeiten handelt, in Erwägung zu ziehen- 

Dagegen kann ich mich nicht veranlasst sehen, die amtlichen Besich¬ 
tigungen der Drogenhandlungen unter Zuziehung von Drogisten ausführen 
zu lassen.“ 

Die Revisionen von Drogenhandlungen können mit denjenigen von Apotheken 
gar nicht auf ein und dieselbe Stufe gestellt werden. Sic gehören bekanntlich 
in erster Linie zu den Obliegenheiten der Ortspolizeibehörden und haben sich 
lediglich darauf zu erstrecken, etwaige Uebertretungen der für den Handel mit 
Giften und den Verkehr mit Arzneimitteln gegebenen Bestimmungen fes^- 
stelleu. Eine Prüfung der vorräthiggehaltenen Arzneiwaaren in Bezug auf ihre 
Güte und Reinheit liudet nicht statt; würde dies der Fall sein, so würde be¬ 
sonders in den kleineren, meist mit Material- und Delikatesswaarenhandel ver¬ 
bundenen Drogeugeschäften sicherlich über die Hälfte der Arzneiwaaren als 
schlecht bezeichnet werden müssen. Es ist eben eine Thatsache, dass in diesen 
Geschäften raeistentheils Arzneiwaaren von sehr zweifelhafter Güte feil gehalten 
werden und ist es daher nicht zu verwundern, wenn speziell die revidirenden 
Medizinal beamten eine gewisse Voreingenommenheit gegen derartige Geschäfte 
haben. Dazu kommt, dass diese Revisionen nicht gerade zu den angenehmen 
Dienstgeschäften gehören; denn sehr häufig herrscht besonders in den Vorraths- 



Tagesnachrichten. 


895 


rfiunien der Drogenhandlnngen so wenig Ordnung und Reinlichkeit, dass der 
rt‘vi(lirende Beamte von Glück sa^eii kann, wenn er keinen Schaden an seiner 
Klciduiiü: erleidec. Jeder Apotheker würde sofort ii\j eine empfindliche 
Ordnnn^'s.strafe {renommen werdi^n, wenn in seinen Geschäftsräumen auch nur 
ein älinlicher 3laugel an Ordnung und Reinlichkeit gefunden würde; in den 
Drogeiigescliäften muss man ihn dulden und zufrieden sein, wenn es bei der 
nächsten Revision nicht noch schlimmer geworden ist, denn hier können nur (Ge¬ 
setzwidrigkeiten gegen die Eingangs erwähnten Vorschriften geahndet werden. 
Jedenfalls ist das Revisionsverfaliren bei den Apotheken ein ungleich strengeres 
als bei den Drogenlrandlungen und sind die an die Apotheken in Bezug auf 
Ordnung, Reinlichkeit, Einrichtung der Geschäftsräume, Beschafl'enheit und Be¬ 
zeichnung der Autnahmebehälter u. s. w. gestellten Anforderungen weit höhere 
als bei jenen; daher ist es auch durchaus gerechtfertigt, dass hier nicht sofort 
bei jeder Unregelmässigkeit mit Strafen vorgegangen wird. Wegen geringer 
Ordnungswidrigkeiteu dürfte dies auch bei den Drogenhandlungen schon jetzt 
geschehen sein; in der Regel handelt es sich bei diesen aber um grobe Ueber- 
tretungen der gesetzli( hen Bestimmungen und würde es ein grosser Fehler sein, 
hier Slilde walten zu lassen. Wie empfindlich werden z. B. sofort die Apotheker 
bestraft, sobald die in der Offizin befindlichen Waagen und Gewichte den sehr 
hohen Anforderungen der Gewichtsordnung nicht völlig genügen? Dem gegen¬ 
überwürde es nur ungerecht sein, den Drogenhändler einfach mit einem Verweise 
zu bestrafen, wenn er sich Uebertretungen der gesetzlichen Vorschriften über 
den Giftliandel oder über den Verkehr mit Arzneimitteln hätte zu Schulden 
kommen lassen und zwar um so mehr, da erfahrungsgemäss gerade hier ein 
milderes Verfahren leider nur zu oft das Gegentheil bewirkt. 

Was nun schliesslich die zweite Forderung der Drogisten aubetrilft, so 
hat der Herr Minister die Zuziehung von Drogisten zu den amtlichen Besichti¬ 
gungen der Drogenhandlungen rundweg abgelehnt. Andererseits hätte hier wohl 
den Drogisten insoweit entgegen gekommen werden können, dass von der 
Zuziehung der Apotheker bei diesen Revisionen künftighin Abstand genommen 
würde, da dieselbe keineswegs erforderlich ist, so lange die Revisionen sich 
nicht auch auf die Qualität der vorräthig gehaltenen Arzneiwaaren erstrecken. 
Die Apotheker würden ausserdem nur froh sein, wenn sie mit den ihnen un¬ 
sympathischen Revisionen der Drogenhandlungen nichts mehr zu thun hätten, 
denn, soweit uns bekannt ist, sind sie fast ausnahmslos ungern den in dieser 
Hinsicht an sie gestellten Aufforderungen nachgekommen. Schon jetzt werden 
in vielen Bezirken die Drogenhandlungen nur von den Ortspolizeibehörden unter 
Zuziehung der zuständigen Medizinalbeamten revidirt und dies genügt unter 
den obw^altenden Verhältnissen vollständig. 


Unter den Medizinalbeamten sind wiederholt Klagen über die Unzuläng¬ 
lichkeit der für gerichtsärztliche Geschäfte zugebilligten Gebühren 
laut geworden; wie in maassgebenden Kreisen über diesen Punkt gedacht wird, 
erhellt aus Folgendem: 

Eine kleine Kreisstadt R. war durch lukommunalisirung eines benach¬ 
barten Dorfes E., dessen äusserste Häuser 3 km von der Stadt entfernt sind, 
vergrössert worden. Den richterlichen Beamten war auf ihren Antrag die 
Gewährung von Fiihrkosten bei dienstlichen Geschäften in denjenigen Theilen 
der Ortschaft bewilligt worden, welche bis dahin in das Gebiet der Tagegelder 
und Reisekosten fielen; ein gleicher Antrag, welchen der Physikus des Kreises 
unter Bezugnahme auf die Köuigl. Verordnung v. 4. 11. 74 — G.-S. S. 354 — 
stellte, wurde jedoch durch die Herren Minister der Justiz und der Finanzen 
abgelehnt 

„weil die Medizinalbeamten hohe (!!) Vergütungen nach dem Gesetz 
vom 9. März 1872 für die Besorgung gerichtsärztlicher Geschäfte 
beziehen, und dadurch gegenüber den Gerichtsbeamten, die für Ter¬ 
mine in dem bisherigen E. keinerlei Entschädigung erhalten, so gut (I!) 
gestellt sind, dass sie für die geringen, durch die Benutzung eines 
Fuhrwerk erwachsenen Kosten, hinreichend (11) entschädigt erscheinen,“ 



396 


Tugesnachrich ten. 


Programm der vom 11.—17. September in Nürnberg stattflndenden 
66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 

Sonntag, den 11. September, Abends 8 Uhr: Begrüssiing in den 
oberen Räumen der „Gesellschaft Museum“ (mit Damen). 

Montag, den 12. September, Morgens 9 Uhr: I. Allgemeine Sitzung 
in der Turnhalle des Turnvereins. 1, Eröffnung der Versammlung ; Begrüssungen 
und Ansprachen; Mittheilungen zur Geschäftsordnung. 2. Vortrag des Herrn 
Geh. Rath Professor Dr. His (Leipzig): Ueber den Aufbau unseres Nerven¬ 
systems. 3. Vortrag des Herrn Geh. Rath Professor Dr. Pfeffer (Leipzig): 
lieber Sensibilität der Pflanzen. 4. Vortrag des Herrn Geh. Rath Professor 
Dr. Hensen (Kiel): Mittheilung einiger Ergebnisse der Plankton-Expedition 
der Humboldtstiftung. — Nachmittags 3 Uhr: Bildung und Eröffnung der Ab- 
thcilungen. — Abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung in der „Restauration des 
Stadtparkes“ (Einladung der Stadt Nürnberg). 

Dienstag, den 13. September: Sitzungen der Abthellungen. — 
Nachmittags 2 Uhr: Ausflüge der verschiedenen Abtheilungen nach Erlangen, 
nach der Krottenseer Höhle, nach der Hubirg bei Pommekbrunn. — Abends 
8 Uhr: Zusammenkunft in den Räumen der „Gesellschaft Museum“. 

Mittwoch, den 14. September, Morgens 9 Uhr: H. Allgemeine 
Sitzung in der Turnhalle. 1. Vortrag des Herrn Geh. Rath Professor Dr. 
von Helmholtz, Exzellenz: Ueber dauernde Bewegungsformen und scheinbare 
Substanzen. 2. Vortrag des Herrn Professor Dr. S t r ü ra p e 11 (Erlangen): Ueber 
die Alkoholfragc. 3. Vortrag des Herrn Professor Dr. Ziegler (Freiburg); 
Ueber das Wesen und die Bedeutung der Entzündung. 4. Geschäfts - Sitzung 
der Gesellschaft. — Nachmittags 5 Uhr: Festmahl im „Gasthof zum Strauss“. 

Donnerstag, den 16. September: Sitzungen der Abtheilungen. — 
Abends 8 Uhr: Festball im „Gasthof zum Strauss“. 

Freitag, den 16. September, Morgens 9 Uhr: ni. Allgemeine 
Sitzung. 1. Vortrag des Herrn Professor Dr. Günther (München): Die vulka¬ 
nischen Erscheinungen nach der physikalischen und geographischen Seite be¬ 
trachtet. 2. Vortrag des Herrn Professor Dr. Hüppe (Prag): Ueber die Aetio- 
logie der Infektionskrankheiten und ihre Beziehungen zur Entwicklung des 
Kausalproblems. 3. Schluss der Vei*sammlung. — Nachmittags 3 Uhr: Besich¬ 
tigung hervorragender Etablissements der spezifischen Nürnberg - Fürther In¬ 
dustrie. — Abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung im festlich beleuchteten Park 
der „Rosenaugesellschaft“. 

Samstag, den 17. September, Morgens: Ausflug nach Rothenburg 
zum „Festspiel“ daselbst. 

Wer an der Versammlung Theil nimmt, entrichtet einen Beitrag von 
12 Mark, wofür er Festkarte, Abzeichen und die für die Versammlung bestimm¬ 
ten Drucksachen erhält. Mit der Lösung der Festkarte erhält der Theilnehmer 
Anspruch auf Lösung von Damenkarteu, zum Preise von je 6 Mark. 

An den Berathungen und Beschlussfassungen über Gesellschafts - Ange- 
legimheiten können sich nur Gesellschaftsinitglicder betheiligen, welche ausser 
dem Thcilnehraerbcitrag noch einen Jahresbeitrag von 5 Mark zu entrichten 
haben. Als Ausweis di(mt die Mitgliederkarte. 

Ein Damen-AusSchuss wird es sich zur Aufgabe machen, die fremden 
Damen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zu führen und für deren Unter¬ 
haltung während der Abtheilungssitzungon Sorge zu tragen. 

Das Empfangs-, Auskunfts- und Wohnungsbureau wird im 
Prüfungssaal der Kreisrealschule (Bahnhof) geöffnet sein: am Samstag, den 
10. September Nachmittags von 4—SVa Uhr, am Sonntag, den 11. September von 
8 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts, am Montag, den 12. September von 8 Uhr 
Morgens bis 8 Uhr Abends. 

Vorausbestellungen von Wohnungen in Gasthöfen sowie von 
Privatwohnungen — ohne oder gegen Bezahlung — nimmt der Vorsitzende des 
Wohnungs-Ausschusses, Herr Kaufmann J. Gallinger (Burgstrasse 8), von 
jetzt an entgegen. 



Tagesnachrichten. 


397 


Im Hörsaal des bayerischen Gcwcrbemusciims wird während der ganzen 
Dauer der Versammlung ein grosser elektrischer Projektions-Apparat der 
Firma S. Plössl & Co. in Wien aufgestellt sein und zu Demonstrationen 
sämmtlichen Herren Vortragenden zur Verfügung stehen. 

Die Berichte über die gehaltenen Vorträge werden in den Verhandlungen 
der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte veröffentlicht. Die Herren 
Vortragenden, sowie die au der Diskussion Betheiligten werden ersucht, ihre 
Manuskripte deutlich mit Tinte und nur auf eine Seite der Blätter zu 
schreiben und dieselben vor Schluss der betreffenden Sitzung dem Schriftführer 
der Abtheilung zu übergeben. Berichte, welche dem Kedaktions - Ausschuss 
nach dem 16. September zugehen, haben kein Recht auf Veröffentlichung. 

De Verhandlungen können nur solche Mitglieder erhalten, welche mit 
ihrem Jahresbeitrag von 5 Mark noch 6 Mark besonders eingesandt haben. 
Diese 6 Mark werden denselben bei Bezahlung der 12 Mark für die Theilnchmer- 
kartc abgerechnet. 

Alle auf die Versammlung oder die allgemeinen Sitzungen bezüglichen 
Briefe sind an den ersten Geschäftsführer, Herrn Medizinalrath Dr. Merkel 
(Nürnberg, Josephsplatz 3), zu richten, alle auf die Abtheilungen Bezug habenden 
Briefe an die einführenden Vorsitzenden der betreffenden Abtheilungen, 

Die Zahl der Abtheilungen, deren Sitzungen in den Schulen des 
städtischen Bauhofes abgehalten werden, beträgt wiederum 32. An Vorträgen 
sind bisher angemeldet in der Abtheilung für; 

Innere Medizin. (Einführender; Mediziualrath Dr. G. Merkel, Josephs¬ 
platz 3, Schriftführer: Pr. ArztDr. Stepp, Albrccht - Dürerplatz 6 ) 1. Geheimrath 
Professor Dr. v. Ziemssen (München): lieber Punktion des Wirbelkanals. — 
2 Professor Dr. Rosenbach (Breslau): Ueber die funktionelle Diagnostik als 
Grundlage für die Beurtheilung der Arbeitsleistung des Organismus und als Vor¬ 
bedingung für eine natiirgemässe Therapie. — 3. Professor Dr. Stintzing 
(Jena): Thema Vorbehalten. 4. Professor Dr. Ritter v. Jack sch (Prag): Thema 
Vorbehalten. — 6. Professor Dr. Strümpell (Erlangen): Thema Vorbehalten.— 
6. Professor Dr. Eichhorst (Zürich); Beobachtungen über multiple Hirn- 
Rückenraarkssklerose.— 7. Professor Dr. Leich te nstern (Köln): lieber Kehl¬ 
kopferkrankungen a) bei Diabetes mellitus, b) bei Polyarthritis rheumatica. — 
8. Geheimrath Professor Dr. Riegel (Giessen): Thema Vorbehalten. — 9. Geh. 
Hofrath Professor Dr. Bäumler (Freiburg): lieber eine besondere Form akuter 
tuberkulöser Lobulärpneumonie. — 10. Sanitätsrath Dr. P. Guttmann (Berlin); 
Thema Vorbehalten. — 11. Professor Dr. Müller (Marburg): Thema Vorbe¬ 
halten. — 12. Sanitätsrath Dr. Aufrecht (Magdeburg): Heilung des Empyems. 
— 13. Geheimrath Professor Dr. Ebstein (Göttingen): Thema Vorbehalten.— 
14. Professor Dr. Penzoldt (Erlangen): Thema Vorbehalten. — 15. Geheim¬ 
rath Professor Dr. Quincke (Kiel): Thema Vorbehalten. — 16. Privatdozent 
Dr. Münzer (Prag): Ueber den Stoffwechsel bei der Phosphorvergiftung. — 

17. Prakt. Arzt Dr. Stepp (Nürnberg): Zur Behandlung des Magengeschwürs.— 

18. Medizinalrath Dr. G. Merkel (Nürnberg): Thema Vorbehalten. — 19. Pro¬ 
fessor Dr. Moritz (München): Thema Vorbehalten. — 20. Professor Dr. Harley 
(London): Visceral-phlebotomie. — 21. Dr. Bruno Alexander (Berlin): Be¬ 
handlung der Schwindsucht mit subkutanten Injektionen von Oleum campho- 
ratum officin. 

Chirurgie. (Einführender: Krankenhaus - Oberarzt Dr. Goeschel, 
Josephsplatz 6., Schriftführer: Dr. Carl Koch, Lorenzerplatz 17.): 1. Privat¬ 

dozent Dr. Rosenberger (Würzburg): Prophylaktische Entfernung des Pro¬ 
cessus vermiformis. — 2. Privatdozent Dr. Hoffa (Würzburg): Ueber ambu¬ 
lante Behandlung tuberkulöser Hüft- und Kniegelenksentzüudungen mittelst 
portativer Apparate mit Demonstration von Apparaten und Patienten. 3. 
Dr. Johannes Merkel (Nürnberir): Ein Fall von Cholecystotomie. 4. Dr. W. 
Müller (Aachen): Ueber eine Toraxwand - Lungenresektion mit günstigem Ver¬ 
lauf. Demonstration des Präparates. — 5. Professor Dr. Anger er (München): 
Ueber Behandlung der Pseudarthrosen. — 6. Geh. Rath Professor Dr. Czerny 
(Heidelberg): Ueber osteoplastische Trepanation. — 7. Professor Dr. Krön lein 
(Zürich); Aphorismen zu dem Kropfe und der Kropfexstirpation. — 8. Professor 



398 


TagesBachrichten. 


Dn Garr6 (Tübingen): Ueber Kropfbehamllung. — 9. Professor Dr. Heincke 
(Erlangen): a) Ueber Behandlung des Rectum-Carcinoma, b) Demonstration 
orthopädischer Apparate, c) Vorstellung einer geheilten Pylorus-Stenose. — 

10. Professor Dr. Graser (Erlangen): a) Unfall als Ursache von Entzündungen 
und Gewächsen, b) Die feineren Vorgänge bei der Wundheilung mit Demonstra¬ 
tionen. c) ein eigenartiger Fall von Knochenkarzinom mit Demonstration. — 

11. Dr. Kronacher (München): a) Wunddrainage und Dauerverband, b) De¬ 
monstrationen. — 12. Oberarzt Dr. Schreiber (Augsburg): Ueber seltenere 
Frakturen spez. am Knie. — 13. Oberarzt Dr. Goeschel (Nürnberg): Thema 
Vorbehalten. — 14. Dr. Carl Koch (Nürnberg): Thema Vorbehalten. De- 
inonstTRtion von Prothesen. — 15. Privatdozent Dr. H erzog (München): Ueber 
ein Sarkom der weichen Schädeldecken mit Spontanabstossung während des 
Scharlachs. — 16. Dr. Stern (München): Mittheilungen über Trismus und 
Tetanus. — Ausserdem sind noch Vorträge resp. Mittheilungen in Aussicht ge- 
gestellt von: Professor Dr, Bardenheues (Köln a. Rh.), Dr. Burkhardt 
(Stuttgart), Professor Dr. Kocher (Bern), Geh. Medizinalrath Prof. Dr. Küster 
(Marburg), Geh. Medizinalrath Professor Dr. König (Göttingen), Professor 
Dr. Länderer (Leipzig). 

Gebortshfilfe nnd Gynäkologie. (Einführender: Dr. Wilh. Merkel, 
Karlsstrasse 3, Schriftführer: Dr. Simon, Spittlerthorgraben 47.): 1. Dr. Gess- 
ner (Erlangen): Temperaturbeobachtungen bei Frischentbundenen. 2. Dr. Pfan¬ 
nen stiel (Breslau): Die bösartigen Eierstockgeschwülste vom anatomischen und 
klinischen Standpunkte betrachtet. — 3. Professor Dr. Frommei (Erlangen): 
Thema Vorbehalten. — 4. Dr. Me inert (Dresden): Zur Frage der Beziehungen 
zwischen Magen- und Gcbärmutterleiden. — 5. Dr. Benkiser (Karlsruhe): 
Ueber anatomische Veränderungen am Uterus nach Anwendung des elektrischen 
Stromes. — 6. Privatdozent Dr. Bumm (Würzburg): a) Ueber den Heilimgs- 
vorgang bei der Behandlung der tuberkulösen Peritonitis durch den Bauchschnitt, 
b) Ueber die Viiulenzverschiedenheiten der septischen Infektion im Puerperium, 
— 7. Prof. Dr. Zweifel (Leipzig); Asepsis und Immunität der Schwangeren. 

Kinderheilkunde. (Einführender: Hofrath Dr. J. Cnopf, Karolinen- 
strasse 29, Schriftführer: Dr. R. Cnopt, St. Johannisstrasse 1.): 1, Professor 
Dr. Kassowitz (Wien): Ueber Kinderkrankheiten im Alter der Zahnung. — 

2. Professor Dr. v. Ranke (München): Sammelforschung über Intubation. — 

3. Professor Dr. Escherich (Graz): Bakterielle Untersuchungen über Erkran¬ 

kungen des Magen- und Darmkanals. — 4. Dr. Seihert (New-York): Ueber 
lokale Diphtheriebehandlung. — 5. Dr. E. Pfeiffer (Wiesbaden): Thema Vor¬ 
behalten.— 6. Dr. Rehn (Frankfurt a. M.): Ueber die Ursachen der Influenza 
und die im Gefolge der eiben auftretenden Erkrankungen. — 7. Dr. Mein er t 
(Dresden): Ueber Enteroptose im Kindesalter. — 8. Professor Dr. Soltmann 
(Breslau): Thema Vorbehalten. — 9. Dr. Dornblüth (Rostock): Krankheits- 
Übertragung durch Milchgenuss. — 10. Dr. Silber mann (Breslau); Thema 
Vorbehalten. — 11. Dr. Fi sch 1 (Prag); Thema Vorbehalten. — 12. Hofrath 
Dr. Cnopf sen. (Nürnberg): Thema Vorbehalten. — 13. Professor Dr. Wyss 
(Zürich): Ueber Hydrocephalus. — 14. Dr. De ich 1er (Frankfurt a. M.): De¬ 
monstration der Keuchhusten - Protozoen. — 15. Dr. Schmid t-M ouard 

(Halle a. S.): Ueber das Vorkommen und den Verlauf sogenannter idiopathischer 
Nierenentzüudung im Kindesalter. 

Neurologie und Psychiatrie. (Einführender: Oberarzt Dr. Schuh, 
Obstmarkt 28, Schriftführer: Dr. 0. Stein, Kaiserstrasse 21.): 1. Profess(>r 
Dr. Binswanger (Jena): Thema Vorbehalten. — 2. Dr. E ding er (Frauk- 
turt a. M.): Thema Vorbehalten. — 3. Professor Dr. Bumm (Erlangen): E.xp*- 
rimonteller Beitrag zur Anatomie der hinteren Brückenebene bei der Katze. — 

4. Professor Dr. Eulenburg (Berlin): lieber symmetrische Asphyxie (RaynamP- 
sche Krankheit). — 5. Dr. Fried mann (Mannheim): a) Ueber passagero Geistes¬ 
störungen. b) Thema Vorbehalten. — 6. Geh. Medizinalrath Professor Dr. Hi tz ig 
(Halle a. S.): Thema Vorbehalten. — 7. Professor Dr. Mendel (Berlin): Zur 
Pathologie der Epilepsie. — 8. Professor Dr. J. Möbius (Leipzig): Ueber die 
verschiedenen Formen der Migräne. — 9. Privatdozeut Dr. Oppenheim (Berlin): 
Zur Kenntniss der atrophischen Spinallähmung. — 10. Professor Dr. Steiner 
(Cöln): Ueber die Stellung der Paranoiaformen zur psychiatrischen Klassifikation. 



Tagesnachrichten. 


399 


1 Professor Dr. Strümpell (Erlangen): a) Ueher primäre Systemerkrankungen 
iin Kückenmark. b) Klinisch und auatoiuisch neurologische Demonstrationen. — 
12. Dr. Stein, Nervenarzt (Nürnberg): a) Krankenvorstellungen, b) Thema 
vurbelialten. — 13. Privatdozent Dr. Tliomsen (Bonn): Beitrag zur Lehre von 
der Hysterie. — 14. Professor Dr. Meschede (Königsberg): a) lieber Paranoia 
periodica. b) lieber die mit dom System der relativ verbundenen Irren-, Heil- 
und Pflegeanstalten verbundenen Nachtheile. 

Hygiene und Medizinalpolizei. (Einführender: Dr. Stich, Vorstand 
des Vereins für öffentliche Gesundheitspffege, Adlerstrasse 6, Schriftführer: 
Physikatsassistent Dr. Goldschinidt, Weiniuarkt 12.): 1. Landgerichtsarzt 

Dr. Demuth; (Frankenthal): Ueber die bei der Ernährung des Menschen 
nöthige Eiweissmenge. — 2. Dr. Th. Weyl (Berlin): Ueber Müll-Verbrennung. 
— 3. Eegieruugsrath am kaiserl. Gesundheitsamt Dr. Ohlmtiller (Berlin): 
Thema Vorbehalten. — 4. Physikats-Assistent Dr. Goldschmidt (Nürnberg): 
Ueber Milzbranderkrankungen bei Arbeitern der Pinsel - Industrie. — 5. Professor 
Dr. H. Büchner (München): Zur Iminunitätsfrage. — 6. Dr. Nördlinger 
(Frankfurt a. M.): Ueber Saprol. — 7. Professor Dr. Emmerich (München): 
Ueber Immunisirung und Heilung vom Standpunkte der Immunproteintheorie.— 
8. Profes.sor Dr. Conrad Koch (Braunschweig): Ueber Entwicklung des 
Jugendspieles in Deutschland. — 9. Geheimrath Obermedizinalrath Dr. v. Ker- 
schensteiner (München): Einige Bemerkungen zur Wohnungs-Hygiene. — 
10. Landgerichtsarzt Dr. Wollner (Fürth): Ueber die Pttrther Industriezweige 
und deren Schattenseiten (Quecksilber- und Silberbelege, Bronzefabrikation, 
Spiegelglasschleiferei mit Fazetierwerken). —11. Ministerialrath a. D. Dr. Wa s ser- 
f u h r (Berlin): Aerztliche Gesichtspunkte bei Errichtung einer Heil- und Pflege¬ 
anstalt für unbemittelte Brustkranke. — 12. Professor Dr. Rosenthal (Er¬ 
langen): Thema Vorbehalten. — 13. Geh. Sanitätsrath Dr. Wallichs (Altona): 
Einiges über Todesfälle im Wochenbett. — 14. Professor Dr. Heller (Kiel): 
Ueber die Nothwendigkeit der gesetzlichen Einführung von Verwaltungs- 
Sektionen. — 16. Dr. Niederstadt (Hamburg): a) Ueber Wasserfilter und 
deren Leistungsfähigkeit, b) Ueber Verbrennung des Kehrichts und Abfalls der 
Städte. — 16. Professor Dr. Hüppe (Prag): Thema Vorbehalten. — 17. Dr. 
Fischei (Prag): a) Zur Morphologie der Tuberkelbazillen mit Demonstrationen, 
b) Zur Aetiologie der Tuberkulose.— 18. Professor Dr. Renk (Halle): Thema 
Vorbehalten. 

Gerichtliche Medizin. (Einführender: Königl. Landgerichtsarzt Dr. Hof¬ 
mann, Fürtherstrasse 53, Schriftführer: pr. Arzt Dr. Sch ei de man del, 
Gostenhofer Hauptstrasse 61.): 1. Professor Dr. Seidel (Königsberg): Ueber 
Phosphorvergiftung. — 2. Professor Dr. Reubold, königl. Landgerichtsarzt in 
Würzburg: Demonstration einer Serie von Schädelbrüchen. — 3. Dr. Leppmann, 
Arzt der königl. Strafanstalt Moabit und der damit vereinigten Beobachtungs¬ 
anstalt für geisteskranke Verbrecher in Berlin: Das Tätowiren in seiner kriminal¬ 
psychologischen und kriminalpraktischen Bedeutung. — 4. Professor Dr. Ungar 
(Bonn): Thema Vorbehalten. 

Medizinische Geographie, Klimatologie, Hygiene der Tropen. 
(Einführender: pr. Arzt Dr. Baumüller, Tuchgasse 1, Schriftführer: pr.Arzt 
Dr. Schrenk, Fleischbrücke 1.): 1. Deutsche Kolonialgesellschaft: 
Themata: a) Bericht über den Stand der tropenhygienischen Arbeiten, b) Bericht 
über das literarische Material in Niederländischen Kolonien zur tropeuhygienischen 
Frage, c) Desgleichen aus englischen Kolonien, d) Desgleichen aus französischen 
Kolonien. — 2. Professor. Dr. Pollmann (Berlin): Ueber das Wohnhaus des 
Europäers in den Tropen vom hygienischen Standpunkte aus. — 3. Dr. Below 
((’önnern): Ueber das Gesetz der äquatorialen Selbstregulirung der Organismen 
hinsichtlich Akklimatisation und Artenbildung. — 4. W. Krebs (Berlin): 
a) Ueber klimatische Faktoren der Weltwirthschaft. b) Ueber ein fachmeteoro¬ 
logisches oder klimatologisches Thema. 

Militär-Sanitätswesen. (Einführende: Oberstabs- und Divisionsarzt 
Dr. Gassner, Arndtstrasse 4 und Oberstabsarzt Dr. Miller, Httbnerplatz 5, 
Schriftführer: Assistenzarzt I. Kl. Dr. Webersberger, Praterstrasse 21.): 
1. Generalarzt Dr. J. Port (Würzburg): Vorschlag zur Verbesserung des Ver- 



400 


Anfrage. — Prenssisclier Medizinalbeamten-Verein. 


wundetentransportwesens mit Vorzeigung eines neuartigen Handkarrens. — 2. ObÄ- 
stabsarzt I. Kl. Dr. W. Haase (Berlin): Die erste Hülfe auf dem Schlachtfelde 
der Zukunft. — 3. Assistenzarzt I. Kl. Dr. E. Jacohy (Würzburg): Beitrag 
zur Reform unseres Vervvundetentrausportwesens im Felde mit Demonstration 
von Apparaten, Modellen, Zeichnungen und einer neuen vom Vortragenden kon- 
struirten Tragbahre, — 4. Stabsarzt und Privatdozent Dr. L. Heim (Würzburg): 
lieber den Kirchner’ sehen Sputum - Desinfektions - Apparat und seine Vor¬ 
theile mit Demonstration hitzebeständiger Spuckschalen. 

Demonstration neuartiger Kriegsverbände durch Herrn Hessing (Gög- 
gingen). 


Die Pocken scheinen im Regierangsbezirk Oppeln dem Erlöschen nahe 
zu sein. In der Zeit vom 29. Mai bis 11. Juni belief sich die Zahl der Neuer¬ 
krankten auf: 22, in der Zeit vom 12.—25. Juni auf 15 (in der Woche vom 19. 
bis 25. Juni nur auf 4). Davon sind genesen: 54, gestorben: 6, so dass vom 
25. Juni der Krankenbestand in den Kreisen Beuthener Land, Lublinitz, Katto- 
witz und Pless nur 27 betrag. 


Preussicher Medizinalbeamten -Verein. 

Mit Rücksicht auf den in der letzten Nummer der Zeitschrift unter Tages¬ 
nachrichten (8. 370) mitgetheilten Aufruf, betreffend Reform unserer 
Irrengcsetzgebnng, ist auf die Tagesordnung der diesjährigen Hauptver¬ 
sammlung und zwar des 2. Sitzungstages noch nachfolgendes Thema gestellt: 

lieber die neuerdinge eich zeigende Agitation auf dem Gebiete dee 

Irrenweeene. 

Das Referat hat Herr Ereisphysikus Dr. Meyhöfer in Görlitz bereit¬ 
willigst übernommen. 

Der Vorstand. 

Im Aufträge: 

Dr. Rapmnnd, Reg.- und Med.-Rath, 
Schriftführer. 


Anfrage. 

Zufolge einiger Zuschriften, betreffs meines Artikels in Nr. 14 dieser 
Zeitschrift „Zur Statistik der Mortalität im Wochenbett“, frage ich er¬ 
gebenst au, ob noch andere der Herren Kollegen geneigt sind, mir etwaiges 
Material jährlich einziischicken und zwar nach folgendem Schema: Namen der 
Entbundenen; Art der etwaigen KunsthiUfe a. des Arztes, b. der Hebamme; 
Tag a. der Geburt, b. der Erkrankung, c. des Todes; Todesursache; Bemerkungen 
(z. B, ob durch Pfuscherin entbunden u. s. w.). 

' Bei ungenügender Betheiligung erfolgt rechtzeitige Benachrichtigung. 

Dr. Blokusewski-Daun. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapraund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden L W. 

J. C. C. Bruns, BuchdmekerAi, Minden. 






5. Jahrg. 


Zeitschrift 


18Ö2. 


for 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtl.Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

nnd 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darcblaufende Petitzeilo 45 Pf. nimmt die Yerlagshandlung und Rad. Mosse 

entgegen. 


No. 16. 


Brseheijit am 1. and 15* Jeden Monate. 
Preis J&hrlioh 10 Mark. 


15. August. 


Die Aetiologie des Abdominaityphus, namentlich seine Konta- 
giosität und die gegen die Verbreitung desselben zu er¬ 
greifenden sanitätspolizeilichen Massregeln. 

Von Dr. P. Seliger, prakt. Arzt in Barten (Kreis Eastenburg). 

(Fortsetzung.) 

Koch *) meint, dass die nicht in Dauerform tibergegangenen Mi¬ 
kroorganismen sich im getrockneten Zustand nicht lange lebensfähig 
erhielten. Die grosse Resistenzfahigkeit der Typhusbazillen gegen 
Eintrocknung wiese mithin auf einen Dauerzustand, auf Sporenbil- 
dung hin. Wie das Nachfolgende lehrt, müssen wir jedoch trotzdem 
diese Frage im negativen Sinne entscheiden. Während Meyer*) 
die mehr oder weniger glänzenden Parthieen im Innern der Typhus¬ 
stäbchen und körniges Material als Produkte des Absterbens der Ba¬ 
zillen auffasste, glaubte Gaffky®) schon im Körper in den inneren 
Organen unzweifelhaft Sporen gefunden zu haben, die auf Kartoffel¬ 
kulturen hei 37® C. nach 3—4 Tagen auftraten, stark glänzende 
runde Körperchen darstellend, welche die ganze Breite der Bazillen 
einnahmen, regelmässig endständig waren oder frei auftraten. 
Zwischen 20® C. bis 42® C. trat diese Sporenbildung auf, daher 
auch die Möglichkeit derselben im Körper, die bei Milzbrand¬ 
bazillen*) nicht besteht. Auch Ernst®) glaubte mit N ei s s e r ’ scher 


*) Koch: Zur Untersucbnng von pathogenen Organismen. Mittheil, aus 
dem Kaiserl. Gesundheitsamte, I. B., 1881, S. 35. 

*) Inauguraldissertation S. 22. 

Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesuudheitsamte, B. II, 1884, S. 381. 
Baumgarten, Mykologie, S. 431. 

*) Ernst: lieber Kern- und Sporeubildung in Bakterien; Zeitsebr. für 
Hygieue, V. B., 1888, S. 457. 








402 


Dr. Seliger. 


Doppelförbung eine Art Sporen gefunden zu haben, dagegen 
konnte Babes^) das nicht bestätigen. Birch-Hirschf eld*) will 
Sporenbildiing durch die Methode der Bakterienzüchtung im ge¬ 
färbten hängenden Tropfen gefunden haben, was Baum garten^ 
bestreitet, der, sowie Pfuhl"*) diese Gebilde als Involutionsformen 
auifasst. 

Für das Vorhandensein von Sporen überhaupt ist mass¬ 
gebend;*) 

1. Die Widerstandsfähigkeit gegen das Eindringen Farb¬ 
stoffen gegenüber. 

2. Die Widerstandsfälligkeit gegen Austrocknung und nament¬ 
lich höhere Temperaturen. 

3. Die Keimfähigkeit der Sporen. 

Pfuhl gelang es in keinem Falle, an Trockenpräparaten 
von Tyi)liusbazillen die Doppelfärbung der Milzbraiulbazillen und 
Sporen herzustellen. Durch denselben Forscher ist dann für die 
Austrocknung und feuchte Einwirkung, durch Büchner gleichfalls 
für die Austrocknung und durch die Beliandlung im Trockenschrauk 
bei 50 oder 00® C. füp verschieden lange Zeit und schliesslich 
durch Schiller*') für Austrocknung sowie durch Behandlung mit 
strömendem Dampf von 80—100® C. während 10 Minuten und im 
Trockenschrank von 100® C. während 20 Minuten, sowie im Wasser¬ 
bad von 45—75® C. während 5 Minuten zur Genüge nachgewiesen 
worden, dass die mit den in Rede stehenden Gebilden, die Büch¬ 
ner mit dem nichts präjudizirenden Namen der „Polkörner“ belegt, 
versehenen Kulturen gegen alle diese Einwirkungen nicht oder 
sogar weit weniger widerstandsfähig sicli verhielten, als die Kul¬ 
turen oline diese Gebilde. Pfuhl konnte ferner niemals we<ler 
ein Freiwerden eines Kornes aus der untergegangenen fraglichen 
Fruchtzelle, noch ein wirkliclies freies Korn beobachten, noch eine 
Andeutung eines Keimungsvorganges. Für Involutionsformen 
sprechen ausserdem bei diesen Gebilden noch folgende Punkte: 

Neben den Körnern fand Büchner^) in demselben Bacillus 
eine oder mehrere Lücken, Retraktionsvorgänge am Plasma, nach 
ihm und Pfuhl'*) durch Zufliessen eines giftigen Farbstoffes be¬ 
wirkt®) (Gentionaviolett), w'as Schiller*®) bestätigt. Immerhin 


*) IjilIigs: lieber iselirt larbbare Aiitlieile von Hakterien; ibid. S. 17G. 
Baiim,!L(art('ii, Jahresberichte, III. B., 18N7, 8. IGJ-, 135 und 4G3. 
Ibidem, S. 135, Anini*rk. 2l(). 

Zcntrallil. f. Ikikteriolo^if;, IV. B., S. 773. 

"’) Ver^l. Büchner, Zentralbl. f. Bakteriologie, IV. B., S. 38(5—388 und 
Pfuhl, ilndein 8. 771 - 772. 

Arbeiten a. d Kaiserl. (iesuiidheitsanite, V. B., 1889, S. 314, 31S 

und 32B. 

Ztmtralbl. f. Bakteriologie, IV. B., 8. 355; und Tafel II; Figuren b, b', 
c/, b ^ b"9- 

Ibidem, 8. 770. 

•') P>aum garten, JahresbericJite, III. B., 1888, S. 144 und 145. 

^'5 Arbeiten a. d. Kaiserl. (ile.sundheitsainte, V. B., 1889, S, 317. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphas etc. 


403 


erscheinen nach Pfuhl*) lückentragende Kulturen, auf fiischen 
Nährboden verimpft, nicht minder fortpflanzungsfähig. Die Pol¬ 
körner kommen aber namentlich durch die saure Eeaktion der Kar- 
toffelobei-fläche, also durch einen exquisit degenerirenden Einfluss zu 
Stande. Ferner hat Büchner*) bei Entziehung des Sauerstoff'es 
schon am dritten Tage in den verlängerten Stäbchen der Typhus¬ 
bazillen die glänzenden Polkömer gesehen. 

Es ist aber trotz dieser negativen und wohl definitiven Ent¬ 
scheidung der Sporenfrage als äusserst wichtig zu betonen, dass 
den vegetativen Formen der Typhuserreger eine ganz be¬ 
deutende Widerstandsfähigkeit gegen Eintrocknung und fügen wir 
hinzu gegen alle schädlichen Temperatureinflüsse zukommt.®) 
Gerade der Typhusbacillus besitzt in seinem ausgesprochenen Ver¬ 
mögen, auf allen Nährböden sich fortzupflanzen und sich den ver¬ 
schiedensten äusseren Bedingungen anzupassen, das beste Mittel, 
auch ohne einen Dauerzustand sich als den bekannten gefährlichen 
Feind der Menschheit zu erhalten. Bei der Schilderung seines 
Verhaltens im Wasser und Boden werden wir noch die grosse An¬ 
spruchslosigkeit desselben nicht nur gegenüber Temperaturein¬ 
flüssen, sondern auch den schädlichen Einflüssen des Nahrungs¬ 
mangels — gutes Fortkommen im sterilisirten destillirten Wasser — 
kennen lernen. Wir können ihm daher den Charakter eines fakul¬ 
tativen Saprophyten geben ^) und behaupten, dass also wenigstens 
in gewissem Masse das Stattfinden einer ektogenen Vegetation 
auch ohne Dauerform recht gut denkbar ist. Zu einer ergiebigen 
und ausdauernden saprophytischen Vegetation erscheint er aller¬ 
dings nicht geeignet, da in der Konkurrenz mit obligat saprophy- 
tischen Bakterien (Wasserbakterien und Fäulnissbakterien) seine 
Vermehrungsfähigkeit bald erlischt. Seine gefährlichsten Gegner 
sind die die Nährgelatine verflüssigenden Bakterienarten. 

Wie geht nun diese schon synthetisch als möglich fest¬ 
gestellte ektogene Vegetation von Statten? Wie also verhält sich 
der durch die Dejektionen, den Urin und vielleicht das Erbrochene 
im reproduktionsiähigen Zustande an die Aussenwelt gelangte 
Typhusbacillus auf den Medien, auf die er gelangt? Erhält, ver¬ 
mehrt er sich oder geht er bald zu Grunde? 

Hier wird sein Verhalten in Betracht kommen: 

1. in andersartigen Fäkalien und Urin, 

2. auf der Oberfläche und in der Tiefe des Bodens, 

3. im Wasser, 

4. auf Milch, Butter, Käse, Molken, Kartoffeln und anderen 
Nahrungsmitteln. 


*) Baumgartcn, Jahresberichte, IV. B, 1888, 8. 14.5. 

*) Vergl. Büchner, Zeutralbl. f. Bakteriologie, IV. B., 8. 3.55 und 8.56. 
und Pfuhl, ibidem S. 774, sowie Schiller, Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesuiid- 
heitsamte, V. B., 1889, S. 315. 

®) Vergl. Pfuhl, ibidem S. 776 und Schiller, ibidem S. 319. 

*) Baumgarten, Mykologie, S. 518 und Mittenzweig, Baktericii- 
ätiologie, S. 95. 



404 


Dr. Seliger. 


ad 1. Nach Brunner^) und Biermer*) vervielfältigt sich 
das Typhusgift vorzüglich in Latrinen. Uffelmann*) fand 
ferner, dass die Typhusbazillen sich unte)’ Umständen volle 4 Monate 
in Fäkalien lebend erhalten können und es anzunehmen sei, dass 
die Lebensfähigkeit noch viel länger dauere, weil der T 5 'phus- 
bacillus in gewissen Proben nach Ablauf dieser Zeit noch in er¬ 
heblicher Zahl vorhanden war. Bei 17—22,5° K.*) fand er eher 
eine Zunahme der eingesäten Bazillen noch im vierten Monat, 
während sie sich in demselben Gemisch bei 9,5—0° bei ebenso 
alkalischer Reaktion allerdings aucli vier Monate, aber bei deut¬ 
licher steter Abnahme lebensfähig erhielten. Zunächst fand fast 
immer Abnahme der Typluisbazillen in den Fäkalien statt, da der 
Wechsel des Mediums, sei es welches es sei, für keinen Organis¬ 
mus günstig ist®). Während Uffelmann°) mit Reinkulturen 
operirte. nahm Karlinski^ harnfreie Typhusdejektionen und er¬ 
hielt wesentlich geringere Lebensfähigkeit. Der Einwand jedoch, 
dass ein Einbringen vieler Keime den thatsächlichen Verhältnissen 
nicht entspreche, ist unzulässig®), da unzweifelhaft unter Umstän¬ 
den grosse Mengen von Krankheitskeimen in das betreffende 
Medium gelangen können. Nach Karlinski®) scheint nun die 
alkalische Reaktion der Fäkalien neben deren Keimfreiheit für die 
Vermehrung der Typhusbazillen aus den Typhusdejektionen in den 
Fäkalien von Belang. So hielten sich in der fünffachen Menge 
schwach sauerer, nicht sterilisirter Kanaljauche von grossem Bak¬ 
teriengehalt und mit vorwiegend Gelatine verflüssigenden Arten 
bei Zimmertemperatur die Typhusbazillen aus den frisch entleerten 
Typhusfaces nur 48 Stunden, in der zwanzigfachen Menge sterili¬ 
sirter Kanaljauche jedoch 1 Monat lang lebensfähig; im Vergleich 
aber mit der Anzahl der Typhuskolonien aus denselben 
Fäces, die ohne Jauchezusatz autbewahrt wurden, war ihre An¬ 
zahl eine spärliche. In durch Natron alkalisirter, sterilisirter 
Kanaljauche*°) war bei der gleichen Vei suchs-Anordnung die Anzahl 
der Typhuskolonien eine viel grössere. Daher scheinen die sauere 
Reaktion und die in den Fäces vorhandenen Fäulnissbakterien, 
namentlich die die Gelatine verflüssigenden Arten auf die Lebens¬ 
dauer der Typhusbazillen im ungünstigen Sinne einzuwirken. So 


Brunner: Die Infuktioiiskrankhoiten vom ätiologisch-prophylaktischen 
Standpunkte. Stuttgart 1876. S, 58. 

'^) Volkmann’s Saminhm^ klinisclier Vorträge, 1873, Nr. 53, S. 486. 

Uffelmann: Die Dauer der Lebensfäliit^keit von Typhus-und Cholera- 
Bazillen in Fäkalniasscn; Zentralbl. f. Bakterioloirie, V. B., S. 531. 

Ibidem, S. 500—502, Versuch 8 a und 8b. 

Wern ich: (inindriss der Desinlektionslehre; Wien 1880, S. 197, sowie 
W 0 1 ff hütre 1 und B i ede 1: Die Verinehriin<,C der Bakterien im Wasser; Arbeiten 
a. d. Kaiserl. (u^siindheitsanite, I. B., 1886, 8. 469. 

'0 Zentralbl. f. Bakteriologie, V. B., S. 501. 

0 Ibidem, YI. B., S. 66. 

Heim: lieber das Verhalten der Krankheitserreger der (liolera, des 
Unterleibstyiihiis und der Tiilierkulose in .Milcli, Bultcr, Molken iin^l Käse; 
Arbeiten a. d. Kaiserl. (lesiindheitsainte, V. B., 1SS9, S. 295. 

'0 Zentralbl. f. B:ikteri«)b gie, VI. B. S. 71 und 72. 

lbi(b‘in, S. 72, 78 und 75. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphus etc. 


405 


ergab sich bei Einsaat in alkalisch reagirenden Senkgrubenfäces 
eine Lebensdauer bis zu 45 Tagen, kam jedoch Kanaljauche 
(schwachsauere Reaktion) hinzu, nur eine solche bis zu 10 Tagen und 
bei der doppelten Menge derselben gar nur bis zu 8 Tagen. Der 
Zusatz von Kanaljauche wirkt eben sowohl durch deren sauere 
Reaktion, als auch durch den grösseren Gehalt an Gelatine ver¬ 
flüssigenden Fäulnissorganismen für die Typhusbazillen schädlich. 
Nach einem Versuch von Karlinski scheint jedoch auch das Alter 
der Fäkalien für diese Verhältnisse von einiger Bedeutung zu sein. 
In diesem Versuch filtrirte er 150 ccm eines Typhusstuhles und 
verrieb die festen Bestandtheile mit gleicher Menge eines frisch 
gelassenen harten Stuhles und 22 ccm sterilen Wassers. Das 
Ganze liess er bei Zimmertemperatur in einem Glascylinder unter 
Watteverschluss stehen und konnte selbst nach 100 Tagen noch 
einige Typhuskolonien nach weisen. Merkel und Goldschmidt*) 
gelang es, eine langsame Vermehrung der Typhusbazillen in frisch 
gelassenem und in sterilisirtem Gläschen aufbewahrten Urin 
(namentlich alkalischem, aber doch auch sauerem) festzustellen. 

ad 2. Was die Züchtungs versuche im B o d e n betrifft, so ahmen 
weder Karlinski’s®), noch Uffelmann’s*) Versuch die Natur 
nach, da sie bei der Verrührung des Bodens mit den Typhus- 
dejektionen nicht die so äusserst wichtige Filtrationskraft des 
Bodens berücksichtigen, ebensowenig die Versuche F r ä n k e 1 ’ s®), die 
eben nur beweisen, dass Typhusbazillen auch in der Tiefe des 
Bodens (3 m Tiefe) fortkomm en können, welches Verhalten aut 
ihre grosse Widerstandsfähigkeit gegen niedrige Temperaturen 
und den schädigenden Einfluss der Kohlensäure zurückzuführen ist. 

ad 3. Beim Züchten im Wasser finden wir recht bedeutende 
Unterschiede, je nachdem die Versuche im sterilisirten oder nicht 
sterilisirten Wasser vorgenommen sind, ferner kommt es auf die 
Qualität des Wassers und den Gehalt desselben an Nährstoffen, 
auf die Temperatur, auf die Art der Typhiisbazillenreinkultiir, 
sowie darauf an, ob Reinkultur oder Typhusdejektionen mit dem 
Wasser vermischt werden, endlich vielleicht auch auf den Kolilen- 
säuregehalt des Wassers. — Die natürlichen Verhältnisse werden 
nur durch solche Züchtungsversuche nachgeahmt, die den Kampf 
der Typhusbazillen mit den Wasserbakterien um’s Dasein, sowie 
die gewöhnlich im Wasser vorhandene Temperatur berücksichtigen. 
Hinsichtlich des Einflusses des Gehaltes des Wassers au Nähr¬ 
stoffen sind die Ansichten recht getheilt. Während Gaffky') und 


*) Zentralblatt fiir Bakteriologie, VI. Bd., S. 74. 

’*) Baumgarten, .Jahresberichte, HI. B., 1887, S. 144. 

“) Zentralbl. f. Bakteriologie, VI. B., 8. 74. 

*) Ibidem, V. B., S. 502. 

®) C. FrÄiikel; Untersuchungen über das Vorkommen von Mikroorganis¬ 
men in verschiedenen Bodenschichten; Zeitschr. f. Hygiene, II. B., 1887, 8. 578 
bis 581. 

•) Cholerabericht; Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, III. B., 1887, 
Seite 189. 



406 


Dr. Seliger. 


Mörs*) dem Gehalt des Wassers an faulenden organischen Sub¬ 
stanzen die Fähigkeit einer besseren Ernähimng und damit die 
Gewährung einer reichlicheren Vermehrung für die Typhusbazillen 
bei geeigneter Temperatur zuschreiben, so ist andererseits doch 
festgestellt, dass die Typhusbazillen, wenn auch nicht zu ihrer 
Vermehrung, so doch zur Erhaltung ihrer Art nur einer äusserst 
geringen, kaum nachweisbaren Menge von Nährstoffen bedürfen. 
Bolton*) konnte sie bei 35° C. 14 Tage lang lebensfähig im 
sterilisirten destillirten Wasser sehen, bei allerdings steter Ab¬ 
nahme. Wolffhtigel und Riedel®) fanden zwar vom dritten 
Tage an auch stete Abnahme im destillirten sterilisirten Wasser, 
jedoch hatte ein Theil noch in einem Falle selbst bis zum 20. Tage 
bei 15—20° C. sich die Lebensfähigkeit bewahrt, während die 
Cholerabazillen bei 16—20° R. ausnahmslos in diesem Medium am 
1. Tage zu Grunde gingen. Dr. Bräm*) hat die Typhusbazillen 
im sterilisirten destillirten Wasser weit über 60 Tage lebensfähig 
gefunden und fand nach dieser Zeit kaum eine Abnahme der 
Kolonienzahl. Es vermögen sicli also die Typhusbazillen von einer 
Menge organischer Substanz noch genügend zu ernähren, die füi* 
unsere Begriffe kaum als vorhanden erscheinen kann®), nnd sich 
daher auch bei etwas mehr Nährstoffen und bei günstiger Tem¬ 
peratur im Wasser zu vermehren. So fand Pfeiffer®) im sterilisir¬ 
ten Pumpbrunnenwasser Typhusbazillen 4 Monate entwickelungs¬ 
fähig und darüber und Wolffhügel undRiedeD) fanden sie im 
sterilisirten Leitungswasser bei 18—22° C. 27—32 Tagen lebeus- 
ffihig. Die Temperaturverhältnisse betreffend, fanden dieselben 
Autoren bei 35° C., bei 18—22° C., bei 15—20° C., sowie bei 
16° C. bisweilen Vermehrung und bei einem Versuche (Nr. 44) waren 
die angeführten Keime noch nach 20 Tagen in stark vermehrter An¬ 
zahl im sterilisirten Wasser nachzuweisen. Sie schliessen daher mit 
Recht, dass bei günstigen Temperaturbedingungen (bei 16° C. und 
darüber) die Typhusbazillen sich im Wasser vermehren und bei 
niedrigerer Temperatur (8° C.!) wenigstens lebensfähig bleiben kön¬ 
nen. In dem letzten, die natürliche Brunneiitemperatur berück¬ 
sichtigenden Versuche, nahmen sogar die Kolonien während 3 Tagen, 
wenn auch in sehr geringem Maassstabe stetig etwas zu. 

Was nun ferner die Versuche im nicht keimfrei gemachten 
Wasser anbetrifft, so sind nach Karlinski®) die grössten Feinde 
der Typhusbazillen auch hier die die Gelatine verflüssigenden 
Arten je nach ihrer Anzahl. Wenn er (Versuch d) typhösen Stuhl 
mit der 20 fachen Menge Flusswassers mit spärlichen Gelatine 


>) Zcitschr. f. Hygiene, VIII. B., 1890, S. 144. 

2) Meadc Bolton: lieber das Verhalten verschiedener Bakterien ira 
Trinkwasser; Zeitsehr. f. Hygiene, I. B., 1886, S. 107 und 108. 

Arbidten a. d. Kaisrrl. Gesundheitsanite, I. B., 188(), S. 467—479. 
Zieß;ler’s Beiträi^^e zur pathologischen Anatomie und allgemeinen 
Pathologie, Vn B., H. 1. 1SS9. 

C. Frankel: (rnimlriss der Bakterienkunde, S. 189. 

A. Pteitfer: Die Beziehungen der Bodenkapillarität zura Transport 
von Bakterien; Zeitschr. f. Hygiene, I. B., ISSO, 8. 8’.KS. 

') Arbeit(ui a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, 1. B,, 1886, S. 466—474. 
Zentralbl. f. Bakteriologie; VI. B., S. 73 und 74. 



Die Actlologic des Abdominaltyphus ctc. 


407 


verflüssigenden Arten vermischte, so starben bei 11,6—16,6° C. 
die Typhusbazillen zwischen 48 und 96 Stunden ab, bei demselben 
Versuch (e) mit viel Gelatine vei’flüssigende Arten enthaltenden Regen¬ 
wasser und 14° C, schon nach 72 Stunden und bei Verdünnung 
mit der hundertfachen Menge schon nach 60 Stunden. Wolff- 
htigel und Riedel*) stellten fest, dass Typhusbazillen noch 
längere Zeit neben den Wasserbakterien nachweisbar waren. Hin¬ 
sichtlich der kaum widerstandsfähigeren Milzbrandbazillen, von deren 
Sporen abgesehen, konnten dieselben Autoren bei nicht keimfrei 
gemachten Wässern und 7—10° C. eine Vermehrung der Milzbrand¬ 
bazillen nicht mehr konstatiren, wohl aber bei 16° C. sogar bis 
zum 10. und 15. Tage. Auch entwickelten sich die Milzbrand¬ 
bazillen bei 12 bis 15° C. gut weiter*). 

Nach Baumgarten*) sollen sich Typhusbazillen 2 Wochen 
im nicht sterilisirten Rostocker Brunnenwasser lebensfähig erhalten 
haben, was Uffelmann bestätigt, jedoch weist er die Angabe 
von Weiss^), wonach sich sporenfreie Typhusbazillen 14—20 Tage, 
sporenhaltige 30—90 Tage im Wasser lebensfähig erhalten, als 
absolut irrthümlich vollständig zurück. C. Kraus*) stellte bei 
10,5° C. Absterben der Typhusbazillen am 7. Tage fest, ohne dass 
Vermehrung zu konstatiren gewesen wäre. Holz°) konnte mit 
seiner verbesserten Methode bei 12° C. noch nach 18 Tagen ver¬ 
einzelte Typhus-Ansiedelungen in einem nicht keimfrei gemachten 
Brunnenwasser und in einem nicht keimfrei gemachten Graben¬ 
wasser noch nach 14 Tagen nachweisen und zwar während der 
ersten zwei Tage sogar Vermehrung, dann bei Zunahme der die 
Gelatine verflüssigenden Arten Abnahme. Nach Cassedebat^) 
gehen die Typhusbazillen nach 16 Tagen im nicht keimfreien 
Wasser zu Grunde. 

Es ist also der Nachweis erbracht, dass sich Typhusbazillen 
immerhin einige Wochen (2 bis 2*/^ Wochen) bei annähernder 
Brunnentemperatur in natürlichen, nicht keimfrei gemachten 
Wässern lebensfähig erhalten können und bei höherer Temperatur 
z. B. eines Badewassers, noch sogar werden vermehren können*). 

Hochstetter®) hat die wichtige Thatsache gefunden, dass 
im Selters Wasser der Typhusbacillus bei 12—15° C. und gleich¬ 
artiger Einsaat wie in den vorigen Versuchen sich 2—4 Tage lebens¬ 
fähig erhielt und sogar erst zwischen 5—12 Tagen abstirbt, wobei 


Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsanite, 1. B., BSSß, 8. 4ß6—472. 

*) Vergleiche auch Baum garten, Jahresberichte, lil. B., 18^87, 8. 423; 
Aiimerk. 611. 

Zentralbl. f. Bakteriologie, V. B., 1S89, S. 76 und 89. 

*) Weiss: Darmtyphus und Wasserleitung; Zentralbl. f. allg. Ge.sun(l- 
heitspflcge, IX. Jahrg., 1890, 2. u. 3. H., S. 76. 

Baum gar ton, Jahre.sberichte, III. B., 1887, S. 422—423. 

ö) Zeitschr. f. Hygiene, VIII. B., S. 173-~174. 

") Aerztlicher Praktiker, 1892, Xr. 18, 8. 199. 

Vergl. Pfuhl, Deutsche militärärztliche Zeitschr., 1888, S. 411. 

“) Hoclistetter; Ueber Mikroorganismen in künstlichem Selterswasscr 
nebst einigen vergleichenden Untersuchungen über ihr Verlialteii im lh*rliner 
Leitungs\va.sser und im destillirten Was.s^^r. Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesumlheits- 
amte, II. B., 1887, S. 32 und 33. 



408 


Dr. Seliger. 


noch bis zum 5. Tage die Zahl der Typhuskolonien zunahm*). Diese 
Tliatsache beruht eben wieder auf der Resistenzfähigkeit der Typhus¬ 
bazillen gegen den schädlichen Einfluss des Kohlensäuregases, wäh¬ 
rend die Lebensdauer der Cholerabazillen im Selterswasser nur 3 Stun¬ 
den, der Milzbrandbazillen, von Sporen abgesehen, nur 1 Stunde selbst 
bei höheren Temperaturen der Aufbewahrung (13—18® C) betrug*). 

Bis jetzt gelang der Nachweis des Vorhandenseins der Typhus¬ 
bazillen epidemiologisch nur äusserst selten. Entweder waren sie 
(Hauser’sche und Pfuhl’sehe Epidemien) zur Zeit der Unter¬ 
suchung nicht mehr vorhanden oder die Technik der Unterauchung 
war zu mangelhaft. Die positiven Befunde sind recht kritisch 
aufzunehmen*). Indessen ist es Mors*) in einem Falle gelungen, 
sie aufzufinden, allerdings stimmt die Beschreibung der Kartoffel¬ 
kultur mit den Kulturmerkmalen des charakteristischen Typhusbacillus 
nicht überein. Uffelmann®) jedoch scheint es zweifellos ge¬ 
lungen zu sein, neuerdings durch seine saure Methylviolettgelatine 
die Technik des Verfahrens so wesentlich vereinfacht zu haben, 
dass er mit Bestimmtheit die Typhusbazillen in den Wasserproben 
finden konnte, und Finkelnburg*) gelang dasselbe mittelst seines 
Sedimentirapparates in dem Niederschlag des Probewassers. 

ad 4. Mehrfach ist festgestellt, dass infizirte Milch Veranlassung 
zu ziemlich ausgedehnten Epidemien gab. Hesse’) konnte noch 
lebensfähige Typhuskeime 4—5 Wochen nach der Einsaat in keim¬ 
frei gemachter Milch nachweisen. Die Milch ist ein für die Ver¬ 
mehrung von Typhusbazillen sehr geeigneter Nährboden*). Heim*) 
konnte in einer am 2. Tage sauer reagirenden, nicht keimfrei gemach¬ 
ten Milch bei 13—18® C. die Typhusbazillen noch zwischen 35 und 
48 Tagen nachweisen. In kühler aufbewahrter und später sauer 
werdender Milch dürften sie sich nach Analogie des Ergebnisses 
bei den Cholerabakterien noch länger halten. Auf keimfrei ge¬ 
machtem Kuhkäse*®) waren die Typhusbazillen nach 4 Wochen 
abgestorben. In nicht keimfreien Käse waren jedoch schon am 
nächsten oder dritten Tage keine mehr nachweisbar, ähnlich bei 
den Molken. Dagegen waren in der Butter noch nach 3 Wochen 
Typhusbazillen nachweisbar. Schröder ’s **) gegentheilige Behaup- 

‘) Versl. auch Helwig: Die Typhiiscpiilemic in Mainz im Sommer 1884. 
Mainz 1885. S. 4—15. 

*) Hochstetter, 1. c., S. 14, 15, 31 und 33; Versuche 3, 7, 30 und 37. 

*) Vcrtrl. Ali Cohon, B au in ^ art o n ’ s Jahresberichte, III. B., 1887, 
8. 147, 154 und Anmerk. 233 sowie iViidem IV. B., 1888, S. 152, Anmerk. 147. 

*) Ibidem, III. B., S. 1-13 und 144. 

*') Berliner klinische Wocheuschr., 1891, Nr. 3.5, S. 858 und 8.50. 

**) Finkelnburg: Ueber einen Befund von Typhusbazilleii’jiin^Brunnen- 
wasser nebst Bemerkungen über die Scdimeutirung.smelhode der Untersuchung 
auf pathogene Bakterien in Fliissigkoiten. Zentralbl.^f. Bakteriologie, dX. B., 
1891, Nr. 9, S. 302. 

0 Hesse: Unsere Nahrungsmittel als Nährböden für Typhus^und Cholera. 
Zeitschr. f. Hygiene, VI. B , 1889, S. 545. 

•*) Baum gar teil, Mykologie, S. 519; i WolffhUgel und Riedel, 
Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, I. B . 1883, S. 467 und 468. 

») Ibidem, V. B., 1889, S. 304 und 305. 

Hesse, Zeitsebr. f. Hygiene, VLB., 1889, S. 545. 

Schöder: Eine Typhus-Epidemie; Zcit.sclirift f. Medizinalbeamte, 1891, 
Nr. 9, S. 267 u. 268. 



Pie Aetiolo^ie des Abdoniinixltyphus etc. 409 

tuiig ist also liiiifalligf. Die infizirte Butter sah gut aus, roch leicht ran¬ 
zig, aber nicht übel und reagirte neutral. Marpmann’s*) Be¬ 
hauptung, dass die Nahrungsmittel schon durch Geruch und Ge¬ 
schmack eine stattfindende Gährung erkennen Hessen, ist also der 
Einschränkung bedürftig. Die Geruchlosigkeit und die mangelnden 
Fäulnisserscheinungen — Nichtverflüssigung der Gelatine — sind 
ja gerade für Typhusbazillen charakteristisch. 

Die Infektion der Nahrungsmittel kann durch Insekten,die 
Luft infizirter Bäume, durch Verstaubung eingetrockneter Aus- 
wurfsstoffe^). Berühren mit unreinen Fingern, Spülen der Ess¬ 
geschirre mit infizirtem Wasser (Gaffky*)und Hochstetter*)) 
bei der Widerstandsfähigkeit der Typhusbazillen gegen Austrock¬ 
nung leicht stattfiiiden. Gerade die bei Typhusepidemien®) häufig 
zu beobachtende Erscheinung, dass in zahlreichen Familien nur 
eine einzelne Person und oft gerade die kräftigste erkrankt, und 
nur ausnahmsweise sämmtliche Glieder einer Familie von der Krank¬ 
heit ergriffen werden, würde sich ungezwungen dadurch erklären 
lassen, dass in dem einen Falle gerade der Erkrankte eine auf 
oder in einem festen Nahrungsmittel, also gesondert zur Entwicke¬ 
lung gekommene Kultur des Typhuskeiines verzehrte, im anderen 
aber die gesammte Familie sich dem Genüsse eines flüssigen, 
durchgängig von den beweglichen Keimen durchsetzten Nahrungs¬ 
mittels hingab. 

Wichtig ist noch, dass die Typhusbazillen auf Ei weis s®) ein 
nur wenig ausgedehntes Oberflächenwachsthum zeigen, während sich 
die Cholerakeime sofort in die Tiefe begeben und schliesslich den 
gesammten Nähi'boden durchdringen. Durch Braten und Sieden 
(Wolffhügel und Hüppe)’) wird ja in den oberflächlichen Schich¬ 
ten des Fleisches 100® C. annähernd eiTeicht, so dass das Geniessen 
im fi-isch gekochten Zustande®) hier Schutz gewähren könnte. 

Typhusepidemien entstehen also nur durch Wasser 
oder Milch vermittelt. Das Wasser braucht nicht immer Trink¬ 
wasser zu sein, sondern es kann auch als Scheuerwasser, Bade¬ 
wasser oder zum Spülen der Gefässe benutzt sein. Typlmsepide- 
mieii sind auch nach Ueberschwemmungen beobachtet®). 

Durch die Luft vermittelt kann epidemische Verbreitung 
jedoch nicht angenommen werden.^®) Noch Niemand hat Typlms- 

*) G. Marpmann; GrundzUge der Spaltpilze oder Baktcrienkunde. 
Halle 1884. 8. 66. 

*) A. Würzburg: lieber Infektion durch Milch. Therapeutische Monats¬ 
hefte; V. Jahrgang 1891, Heft 1, S. 26. 

*) Mittheil. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, II. B., 1884, S. 417. 

*) Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, II. B., 1887, S. 7. 

*) Vergl. Hesse, Zeitschr. f. Hygiene, V.B., 1888, 8.527 und 528. 

®) Ibidem, 8. 546. 

*) Wolffhügel u.Hüppe: lieber das Eindringen der Hitze in das Fleisch 
bei seiner Zubereitung. Mittheil. a. d. Kais. Gesundheitsamte, I. Bd!, 1881, 8. 89.j. 

®) Vergl. Koch: Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten; Bede vom 
2. August 1888. Berlin. Verlag von 0. Lange. 8. 31. 

*) Vergl. Virchow: Kanalisation oder Abfuhr. Eine hygienische 8tudie. 
BerUn 1889. 8. 14. 

Vergl. Biermer; Volkmanu’s 8ammlung klini.scher Vorträge, Nr.53, 
1873, 8. 436. 



410 


Dr. Seliger. 


biizillen in der Luft nachgewiesen. Der Austrocknung wegen wäi’e 
allerdings eine Verbreitung durch die Luft wenigstens denkbar, 
doch fallen in ruhender Luft und selbst bei einer Bewegung der¬ 
selben bis zu 0,2 m in der Sekunde die Keime schnell zu Boden^). 
Ausserdem sprechen stichhaltige medizinische Gründe gegen die 
Aufnahme des Typhusgiftes durch die Lungen oder Inhalations¬ 
apparate' überhaupt und auch das Verschlucken von Luft-Infektions¬ 
keimen wäre nur für besondere Ausnahmefalle denkbar. 

Aus feuchtem Substrat*) vermögen die Keime auf kurze 
Strecken nur in' die Luft tiberzugehen, wenn die Flüssigkeiten 
durch sie durchsetzende Luftströme verstäubt *), verspritzt werden 
oder schaumige Abfallwässer oder Kloakeninhalt*) an über die 
Flüssigkeiten hinziehende Luftströme Keime abgeben oder aber, 
wenn die Flüssigkeiten eintrocknen und nun die staubigen, trocke¬ 
nen, halbverfaulten Substanzen, Mikroorganismen, an die Atmosphäre 
abgeben. Derartige Epidemien von lokaler Beschränktheit wei*den 
von Biermer®) (Hafermehlmühle in Bern) und Mehlhausen (aus 
der Cholerakonferenz (S. 72): Mühlwerke des Pregels in Königsberg) 
erwähnt. Latrineninfektionen bei einem Bataillon hat Biermer®) 
beobachtet. Uffelmann'*) beobachtete lokalisirte Typhusepidemien 
oder Typhusfälle nach Abtragungen von Dunghaufen bei den damit 
beschäftigten Arbeitern 12 Wochen, 9 Monate bis 1 Jahr, nachdem 
Typhusdejektiouen in die Haufen gelangt waren. Immerhin lässt 
sich auch hier stets an direkte Berührung des Infektionsstoffes 
denken und Infektion durch die Luft ausschliessen, ebenso wie 
bei den Infektionen durch Effekten und Wäsche^), bei denen ja 
auch stets die Menschen infizii*t wurden, von denen sich nachweisen 
liess, dass sie in unmittelbare Berühi’ung mit der Wäsche ge¬ 
kommen waren.*) Die Infektion durch Luft bleibt eben nur für 
Ausnahmefälle. 

Die Möglichkeit der Verschleppung von Typhusbazillen durch 
Briefe, Postsendungen und Waaren ist bei der grossen Wider¬ 
standsfähigkeit des Typhuserregers gegen Eintrocknen etc. gewiss 
nicht auszuscliliessen. 

Lokale Typhuserkrankungen sind auch durch Vermittelung 
des Bodens beobachtet, (Verschleppungsmöglichkeit auch durch 
die Füsse Gesunder in feuchtem Zustande)“). Die Keime auf 


•) R. Storu: Ueber den Einfluss der 'ycutilation auf in der Luft 
snspendirte Mikroor^'anisim“n, Zeir.sclir. f. H.vKiene, VII. B., 1889, S. 60; Marp- 
niann: Grundzüge der Sjialtpilze, S. 79 und Koch: Rede über Bekämpfung der 
inl'ektiouskraukheiteu S. gO. 

’*) Vcrgl. Koch, ibidem S. 19 und 20 und Stern, 1. c., VH. B., 1889, S, 46. 

Wernich: Desintektiouslehre, S. 133. 

*) Marpmann: Spaltpilze u. s. w., S. 66. 

Vülkiuann’s Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 53, 1873, S. 436. 

•') Zentralbl. f. Bakteriologie, V. B., S. 498 und 499. 

Gelan: Banmgarteu’.s .lahresberiehte, III. B., 1887, S. 150 und 
Hauser: Tyidiusepidemicii in Triberg, S. 114. 

B ie r mer; V o 1 k mau n ’ .s Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 53. S. 420 
u .d Brunner, 1. c., 8. 66. 

“) Vergl. Koch’s Rede, S. 24 und Pfuhl, Baumgarten’s Jahres¬ 
bericht, 111. B., 1887, S. 437 und 138. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphus etc. 


411 


der Bodenoberfläche können durch Verstäuben in die Luft 
gerathen oder durch Wasser abgespült in die Brunnen ge- 
geschwemmt werden. Uebrigens ist an der Bodenoberfläche eine 
Fortentwickelung der Keime unter Umständen bei genügendem 
Feuchtigkeitszustand denkbar. Die Wärme der Bodenoberfläche 
ist nach C. FränkeP) gewöhnlich höher als zur gleichen Zeit in der 
angrenzenden Luft und die leimartigen Substanzen, Bindegewebe, 
Knorpel und Sehnen, liefern, wo sie vorhanden sind, geeignete Nährsub¬ 
strate, ebenso wie nach Bölling er* **) ) die Spui*en von Blut und Koth, 
die die obersten Erdschichten verunreinigen. Eine nennenswerthe 
Vermehrung ist aber auch an der Oberfläche schon wegen der 
Konkurrenz mit den Boden- und Fäulnissbakterien ausgeschlossen.*) 
In der Bodentiefe sind, abgesehen von der mächtigen Filtrations¬ 
kraft des Bodens, welche ja überhaupt ein tieferes Eindringen 
aller Pilze in den Boden so ausreichend verhindert, dass nach 
C. Fränkel*) in IV 2 ni Tiefe der Boden sich als völlig keimfrei 
erweisen kann und selbst ein Boden, welcher obei’flächlich starker 
und andauenider Verschmutzung durch Abwässer ausgesetzt ist, 
doch schon in relativ geringer Tiefe keimfrei ist *), die Be¬ 
dingungen für eine Vermehrung von Bakterien überhaupt so 
ungeeignete, dass nicht einmal die gewöhnlichen Boden-, Wasser- 
und Fäulnissbakterien darin fortkommen, wie viel weniger also 
die in Bezug auf Konzentration der Nährstofle, auf Sauerstoffzu¬ 
fuhr und Wärme weit anspruchsvolleren pathogenen Arten. Der 
Boden kann höchstens als eine Durchgangsstation virulenter Typhus¬ 
keime, nicht aber als eine Brutstätte derselben angesehen 
werden. Immerhin sahen wir, dass Typhusbazillen auch in der 
Erdtiefe bei ihrem verhältnissmässig geringen Sauerstoffbedürfniss, 
ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Temperatureinflüsse und ihrer 
relativen Anspruchslosigkeit in Bezug auf Nährsubstanzen wohl 
eine ganz kurze Zeit als lebensfähig gedacht werden können. 
Mac6'*) will in einer Tiefe von wenigstens 2 m aus einem 
Bodenmaterial aus der Nachbarschaft eines der Infektion verdäch¬ 
tigen Brunnens Typhusbazillen neben dem Bacillus coli communis 
und anderen in Fäces vorkommenden Mikroparasiten gefunden 
haben, so dass Uffelmann entsprechend der Annahme von C. 
FränkeP) annimmt, dass dieselben geraume Zeit gebraucht hätten, 
um in diese Tiefe zu gelangen. Die einzige Möglichkeit, dass In¬ 
fektionsstoffe von tieferen Bodenschichten aus zur Geltung kommen 
ist die. dass sie durch Spalten oder durch nicht filtrii-enden Geröll- 
und Kiesboden in der Bodentiefe zum Grundwasser und so in die 
Brunnen gelangen. ^) Indessen kann bei Umwühlungen des Bodens 


•) Zeitschr. f. Hygiene, ü. B., 1887, S. 573. 

*) Baumgarten, Mykologie, S. 4G5. 

*) Ibidem, S. 519. 

Zcitrichr. f. Hygiene. II. B., S. 573. 

®) Reimers, John: lieber den Gehalt des Bodens an Bakterien; Zeitschr. 
f. Hygiene, VII. B., 1889, S. 337. 

**) Zentralbl. für Bakteriologie, V. B., S. 530. 

’’) Vergl, Koch’s Rede, S. 23. 



412 


Dr. Seliger: Die Aetiologie des Abdominaltyphas etc. 


die Fütrationskraft desselben g-leichfalls nicht zur Geltung kommen. 
So sind nach Uinrodungen des Bodens, Anlegung von Kanälen 0 
Typhuserkrankungen meist bei den damit beschäftigten Arbeitern 
beobachtet worden. 

Neben den Kloaken finden wir in den menschlichen 
Wohnungen die künstlichen Kultui’heerde für die Spaltpilze* •*) ), 
namentlich in dem Füllboden derselben, wie Emmerich®) und üt- 
p a d e 1*) nachgewiesen haben. Durch die Fugen und Ritzen *) dringen 
die Infektioiisstolfe durch. Neben dem Fussboden treten die Wände 
als Pflanzstätte für Spaltpilze auf®), ferner Möbelüberzüge, Fusstep- 
piche u. s. w., auch die Temperatur der geheizten Räume kommt nach 
Cra-mer’) in Betracht. Seit langer Zeit sind bestimmte Häuser und 
sogar Strassen der Sanitätspolizei als Heerde für den Abdominal¬ 
typhus bekannt. In der von Butter*) beschriebenen lokalen 
Typhusepidemie auf einem Gute war Trinkwassereinfluss bestimmt 
auszuschliessen und dennoch traten nach einem Jahre neue Er¬ 
krankungen auf, die erst nach einer gründlichen Neudielung ver- 
schw'anden. Auch in der Ritt er’sehen®) lokalen Epidemie war 
Trinkwassereinfluss, so wie jede andere Infektionsmöglichkeit aus¬ 
zuschliessen und es erkrankte 20 Monate, nachdem in dem Hause 
keine Typhusfälle mehr vorgekommen waren, eine Familie von 
4 Personen in diesem Hause in Folge von Wegräumung des Bau¬ 
schuttes und des früher angesammelten Stubenschuttes, also durch 
die Berührung mit diesen Kehrichtmassen, in denen der Typhus¬ 
erreger mithin sich, entsprechend seiner schon erwähnten, von 
Schiller beobachteten langen Resistenzfähigkeit, 2 Jahre lang 
fast wirksam erhalten hatte. Auch Schröder‘®) fand das Typhus¬ 
gift nach einem Zwischenraum von 62, 84 und 91 Tagen in den 
betreffenden Häusern no(;h wirksam trotz gründlicher Desinfektion. 

Wegen der ganz differenten biologischen Verhältnisse der Spalt¬ 
pilzformen") verhalten sich dieselben auch gegen die Desinfektions¬ 
mittel verschieden. Dass die Typhusbazillen sehr widerstands¬ 
fähig sind, sahen wir bereits. Die Prüfung eines Desinfektions- 


*) Vergl. Biermcr 1. c., S. 424 und Stricker: Allgemeine Pathologie 
der Infektionskrankheiten; Wien 188Ö. 

*) M a r p m a n n; 1. c., S. (14. 

®) Ibidem, S. 64. 

*) Baum garten, .Tiilire.sl)oricLte III. B., 1887, S. 437. 

Vergl. Jäger; der Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundhoitsainte, V. B., 1889, 
8. 292 und 293. 

•*) Marpmann, 1. e., S. 64; Esmarch: Der Keimgehalt der Wände 
und ihre Desinfektion; Zeitsebr. f. Hygiene, IL B., S. 498. 

0 Hygienische Tagesfragen; Vll Cholera; München 1889. S. 115. 

’*) Butter: Die Typhuseiiideiuie im A.’schen Gute zu Hohberg, Reg.-Bez. 
Li ipzig, während der Jaliro lb7t und 1879. Ein Beitrag zur Aetiologie des 
Abdoininaltvphus. Eulenberg’s Vierteljahrschr. f. gerichtl. Medizin u. s. w.; 
neue Folge,* XXXVIII. B., 1883, S. 291 unii 292. 

'•') Ritter: Zur Frage, w’ie lange bewahrt das Typhusgift seine Wirk¬ 
samkeit. Berliner klinische Woehenschr., 1876, Nr. 29, S. 425. 

"’) Zeitschr. f. Medizinalbeamte, Nr. 9, 1891, S. 267. 

>>) Vergl. Marpmann; 1. c. 8. 1Ü2. 



Dr. Meyhoefer: Zur konträren Sexualemiifiuduug. 


413 


mittels aul l3azillenspoi’eii‘)genügt auch nicht immer; denn Jäger^J 
hat gefunden, dass die Tiiberkelbazillen in allen seinen Versuchen 
sich auf der Höhe der Widerstandsfähigkeit von sporenhaltigen 
Bazillen gehalten haben. 

(Schluss folgt.) 


Zur konträren Sexualempfindung. 

Von Kreis-Physikus Dr. Meyhoefer in Görlitz. 

Die Thatsache, dass es Personen giebt, welche gleichge¬ 
schlechtliche, homosexuelle Neigungen zeigen im Gegensatz zu den 
normalen, andersgeschlechtlichen, heterosexuellen Trieben (konträre 
Sexualempfindung nach Westphal, sexuelle Perversion nach von 
Krafft-Ebing, Inversion du sens gönital nach C h a r c o t und Mag¬ 
na n), hat der Gerichtsarzt zu beobachten und festzustellen nicht 
ganz selten Gelegenheit. Wenn wü* von Moll*) hören, dass dieser 
Autor allein „mehrere Hundert, etwa 3—400 Berliner Urninge ge¬ 
sehen und beobachtet“ hat, dass er es nicht für ausgeschlossen 
hält, es gebe vielleicht viele Tausende von Urningen in Berlin, 
müssen wir uns allerdings bei der Lage unserer Strafgesetzgebung 
wundern, dass wir nicht noch öfters mit dieser scheusslichsten aller 
menschlichen Verirrungen zu thun haben. 

Füi’ uns Gerichtsärzte handelt es sich stets dabei um die 
Frage, ob die perverse Handlung der Auswuchs des Lasters ist, 
oder ob sie entsprungen ist auf dem Boden einer geistigen Störung. 
Die Antwort wird nicht immer von vornherein leicht zu geben 
sein, und wir müssen den Kollegen Schuchard und Frey er 
zustimmen, wenn sie verlangen, dass in jedem Falle einer wider¬ 
natürlichen Geschlechtsbefriedigung eine gerichtsärztliche Begut¬ 
achtung herbeigeführt werden solle.**) 

Diese Forderung ist keineswegs eine überfiüssige. Ich selbst 
habe es erlebt, dass ein typischer Fall von Exhibition zur straf¬ 
rechtlichen Verhandlung gelangte, ohne dass eine gerichtsärztliche 
Begutachtung gefordert worden wäre. Es handelte sich um ein 
hereditär belastetes, mit weit vorgeschrittener Lungenphtliisis be¬ 
haftetes, körperlich sehr heruntergekommenes Individuum, bei 
welchem, wie spätere Eückfragen ergaben, Zeichen einer geistigen 
Erkrankung schon seit geraumer Zeit in die Erscheinung getreten 
waren. 

Sehen wir von den geschlechtlichen Perversitäten ab, wie 
sie bei Geisteskranken im vorgeschrittenen Stadium der Krankheit 
so häufig Vorkommen, so haben wir in einem zweifelhaften Falle 
stets zu entscheiden, ob in der That eine Zwangsvorstellung vor- 


’) Vergl. Koch: lieber Desinfektion. Mittheil. a. d. Kaiserl. Gesundheits¬ 
amte, I. B., 1881, S. 239. 

*) Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, V. B., 1889, S. 291. 

*) Die konträre Sexualempfindung von Dr. Albert Moll. Berlin; 1891, 
Fischer’s medizinische Buchhandlung. S. 55. 

**) cf. diese Zeitschrift, Jahrg. 1890; S. 112 und 278. 



414 


Dr. Meyhoefer 


lianden gewesen ist, welche so überwältigend war, dass die Frei¬ 
heit des Willens aufgehoben wurde. Hierbei ist aber nicht jede 
gegen den Willen des Individuums zum Bewusstsein gelangende 
und nicht sofort wieder zu bannende Vorstellung zu verstehen. 
Denn solchen Zwangsvorstellungen ist auch der gesunde Mensch 
nicht selten unterworfen, und auch aus ihnen können wohl ver¬ 
brecherische Handlungen hervorgehen. Der geistig gesunde Mensch 
vermag eben diesen Trieben zu widerstehen; die Hemmungsvor¬ 
stellung verhindert, dass die ihm sich aufdrängenden Vorstellungen 
sich in Handlungen umsetzen. Leistet er aber den Trieben nicht 
Widerstand, dann muss ihm die daraus hervorgehende Handlung als 
eine Strafthat zugerechnet werden. 

Es ist nun ganz selbstverständlich, dass auch die auffälligsten 
Perversitäten in Betreff der Geschlechtsbefriedigung auf der Grund¬ 
lage des Lasters entspringen können, und mit geistiger Störung 
nichts gemein zu haben brauchen. 

Noch vor etwa einem Jahre hatte ich Gelegenheit einen Ge¬ 
schäftsmann zu begutachten und seinen Lehrling zu unter¬ 
suchen, der seinen Prinzipal beschuldigt hatte, mit ihm lange 
Zeit hindurch zu hä uff gen Malen Päderastie getrieben zu haben. 
Die Untersuchung des angeblich Gemissbrauchten ergab ebenso¬ 
wenig etwas Positives, "wie die Gemüthszustandsbeobachtung bei 
dem Angeschuldigten, und der Fall kam zur Verhandlung vor die 
Strafkammer. Trotzdem der einzige Belastungszeuge, der Lehrling, 
sehr schlecht beleumdet war, wurde den Aussagen desselben ent¬ 
gegen den Unschuldsversicherungen des Angeklagten doch Glauben 
geschenkt und dieser zu einem Jahr Gefängniss verurtheilt. 
Erst später gestand er mir in vertraulichem Gespräch zu, dass er 
wirklich in vollem Umfange schuldig gewesen sei. — Von einer 
erblichen Belastung war bei ihm nicht die Rede, ebensowenig 
waren Anzeichen irgend welcher geistigen Abnormität jemals bei 
ihm zu beobachten gewesen. 

Unter „Zwangsvorstellungen“ im pathologischen Sinne ver¬ 
stehen wir den krankhaften Tiieb im Affektzustande oder auf der 
Grundlage sonstiger geistiger Abnormität, als Theilerscheinung 
einer psychischen Erkrankung, welche an sich die Wider¬ 
standsfähigkeit gegenüber den Zwangsvorstellungen herabsetzt 
bezw. authebt. Demnach ist eben das Wesen der sexuellen 
Perversion, dass den Mann eine zwangsmässige, vom Willen 
unabhängige Neigung, welche ihm nicht angerechnet werden darf, 
zum Manne hinzieht. 

Diese Perversion findet sich auch bei dem weiblichen Ge- 
sidilechte, indessen kann eine Beiirtlieilung derselben nicht wolil 
Aufgabe des Geiächtsarztes werden, da der §. 175 unseres Straf¬ 
gesetzbuches nur „die widcumatürliche Unzuclit, welche zwischen 
Personen männlichen Gesclilechts“ begangen wird, bestraft. 

Durcli einen Zufall habe ich vor Kurzem einen eklatanten 
Beweis für die Tiefe der Leidenschaft erhalten, bis zu welcher 
die homosexuelle Neigung auch zwisclu n zwid weiblichen Personen 
zu gehen veimag; Zwei Frauenspersonen, ein Mädchen von 



Zur konträren Sexualempfindiuig. 


415 


32 Jahren und eine Wittwe von 43 Jahren (mit 5 Kindern im 
Alter von 8—17 Jahren), welche mehrere Jahre hindurch in den 
engsten Beziehungen zu einander an einem Ort gelebt hatten, 
wurden plötzlich von einander getrennt, indem die Jüngere, in 
einer Art von Beamtenstellung befindlich, in weite Ferne versetzt 
wurde. Aus hier nicht näher anzudeutenden Gründen wurde 
bei der Zurückbleibenden nach einigen Monaten eine Haussuchung 
abgehalten und hierbei ein höchst interessanter Briefwechsel 
zwischen den beiden Personen aufgedeckt. Ich lasse Einiges aus 
den Briefen der jüngeren an die zurückgebliebene ältere Freundin 
bezw. Geliebte hier folgen: 

„Mein herzensgutes, geliebtes, süsses, einziges kleines trautes Weiberl 1 
Mein cngelgutes Klärchen! Wieviel tausend Thräncn habe ich schon vergossen, 
dass gerade unsere Liebe getrennt werden musste. Aber das schwöre ich Dir 
zu, dass ich Dich von ganzem Herzen so lieb habe, wie Dich noch kein Mensch 
hatte und haben wird. Du bist meine erste und einzige Liebe und sollst es 
bleiben, bis der Tod das Auge bricht. — Ich kann doch nicht dafür, Du mein 
geliebtes Weib, dass ich Dich so innig liebe. Lieber hätte ich mir den Tod 
selbst gegeben, nur um in Deinen Armen sterben zu können, als fortwährend 
mit dem Zweifel weiterzuleben: bist Du auch mein, bleibst Du mir auch? 0 
Kläre, was ist aus mir geworden, seitdem ich weiss, was Liebe heisst I Ich darf 
gar nicht daran denken, wie glücklich ich war, wenn ich in Deinem schönen 
Arm ruhte, so recht innig an Dich geschmiegt in Deinem Bett liegen konnte!" 

In einem andern Brief heisst es: 

„Ach KLärle, ich mag ohne Dich nicht mehr leben. In Deinem Arme 
möchte ich sterben. Ach Klärchen, wie schön wäre das, wenn Du könntest bei 
mir sein! Mit meinem Gehalt könnten wir schon leben, da brauchtest Du Dich 
doch nicht zu quälen. Ach, warum bin ich nicht ein Mann, dass ich Dir zu 
Füssen fallen könnte und Dich bitten, sei mein geliebtes Weib, und könnte Dich 
zum Altäre führen und vor Gott einen ewigen Bund schliessen, den kein Mensch 
trennen könnte. — Ach süsses Herz, ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, eng 
verbunden mit Dir zu leben. Ich möchte Dich auf Händen tragen und Dich 
beschützen“ u. s. w. u. s. w. 

Aehnlich so geht es weiter in allen Briefen. 

Es ist klar, dass dies nicht die Sprache der Freundschaft, 
sondern die der glühendsten sinnlichen Leidenschaft ist. Inter¬ 
essant dabei ist es, wie die Briefstellerin sich durchaus als Lieb¬ 
haber fühlt und wie sie der Anderen ganz strikte die passive 
Rolle, die der Geliebten zuertheilt. — 

Gemeinhin wird eine angeborene sexuelle Perversion von der 
erworbenen unterschieden, zu welcher letzteren Gruppe noch die¬ 
jenigen Formen zu zählen wären, bei welchen durch Erziehung, 
Beispiel oder auch durch gewisse Geisteskrankheiten der krankhafte 
Trieb hervorbricht*). 

Die weitaus meisten Fälle von geschlechtlicher Verkehrung 
gehören'aber nach Magnan**) wohl zum Irresein der Entarteten, 
da bei ihnen die verkehrten Zwangstriebe oft schon in früher 
Jugend auftreten, zu einer Zeit, wo fehlerhafte Erziehung, an¬ 
steckendes sclilechtes Beispiel und lasterliafte Gewohnheit ihren 
Einfluss noch nicht geltend gemacht haben können. Auch Moll***) 


*) cf. Moll; 1 c. S. 155. 

**) cf. V. M a g n au, Psychiatrisclie Vorlesungen. Deutsch von P. J.M öb iu s 
Leipzig. Georg Tiiieme. 181)2. IS. 26. 

1. c. S. 159. 



416 


Dr. Me\’hoefor. 


ist der Aiisiclit, duss in den meisten i allen von konträrer Sexual- 
empfindun*^ letztere bis in die frülieste Kindheit zurückdatire, dass 
es sich also bei ihnen um eine krankhafte angeborene Anlage 
handele. 

Vor Kurzem habe ich nun einen Fall von geschlechtlicher 
Perversion kennen zu lernen Gelegenheit gehabt, welcher in mehr¬ 
facher Hinsicht, insbesondere auch in Bezug auf die Art und Weise, 
in welcher dem krankhaften Triebe nachgegeben wurde, interessant 
ist. Ich lasse die Beschreibung dieses Falles hier folgen: 

Wilhelm St., Privatlehrer, mosaisch, wurde am 25. Januar 1839 
in Unruhstadt, Kr. Bomst, als Sohn eines Kaufmanns geboren. Sein 
Vater ist 70 Jahre alt an den Folgen eines Steinleidens gestorben. 
Derselbe war sehr jähzornig, gerieth bei geringfügigen Anlässen 
leicht aus dem Häuschen; er war ein massiger, dem Trünke nicht 
ergebener Mann. Die Mutter war gesund und erreichte ein 
Alter von 75 Jahren. Ueber die Voreltern hat sich etwas Zu¬ 
verlässiges nicht in Erfahrung bringen lassen. — Der Vater war 
zweimal verheirathet. Aus der ersten Ehe stammten sechs, aus 
der zweiten drei Kinder; Patient ist der Aelteste aus der zweiten 
Ehe. Ein Bruder aus erster Ehe war Epileptiker, ein anderer 
Bruder aus derselben Ehe war so hochgradig nervös, dass er dess- 
halb sein Amt als Prediger niederlegen musste. Ein weiterer 
Bruder aus zweiter Ehe ist Idiot und befindet sich in einer Anstalt. 
— Sonst ist noch festzustellen gewesen, dass ein Vetter des Kranken 
mütterlicherseits blödsinnig gewesen ist. 

Seinen ersten Schulunterricht erhielt Patient in Breslau, wo¬ 
hin sein Vater 1844 übergesiedelt war. Zuerst besuchte er das 
Elisabeth-, dann das Friedrichs-Gymnasium; auf beiden Schulen 
kam er aber nicht voran, sodass sein Vater ihn zu einem 
jüdischen Lehrer in einer kleinen Stadt in Pension geben musste. 
Durch den Tod des Vaters, welcher sein Vermögen in un¬ 
glücklichen Spekulationen zum grossen Theil verloren hatte, 
wurde die Familie gezwungen, zu Verwandten nach Neuwedel, 
Kr. Arnswalde, zu ziehen. Hier ging W. St. ein Jahr lang in 
eine Privatschule, worauf er dann nach Berlin auf eine Realschule 
gebracht wurde. Auf dieser kam er aber nur bis zur Tertia, 
welche Klasse er mitten im Semester plötzlich verliess, weil er 
keine Lust mein* zum Lernen versi>ürte und Kaufmann werden 
wollte. Er trat auch in ein Geschäft ein, wurde aber nach vier¬ 
zehn Tagen bereits als unbrauchbar entlassen. Dasselbe Schicksal 
erlebte er nach kurzer Zeit in einem zweiten Geschäft, sodass er 
die Absicht, Kaufmann zu werden, aufgeben musste. Nun wollte 
er Schriftsetzer werden. Ein Jahr lang hielt er es in diesem 
Berufe aus, dann musste er auch davon abgehen, weil er nicht 
die erforderliche Fingerfertigkeit besass und zu kurzsichtig war. 
Hierauf trat er als Lehrling in eine Buchhandlung ein, aber auch 
hier hielt er es nur kurze Zeit aus. Nun blieb er beschäftigungs¬ 
los mehrere Jahre bei der Mutter zu Hause; dann ging er nach 
Czernikau, um sich dort durcli den Besuch der jüdisclien Gemeinde¬ 
schule und durch Privatuntenicht zum Elementailehrer-Examen 



Zar konträren Sexualempfindang. 


417 


vorzubereiten. Dies bestand er auch 1864 als Extraneus und 
unterrichtete liierauf in einer jüdischen Privatschule in Bromberg. 
Aber nach kaum einem Jahre wurde er von seinen Verwandten 
im Jahre 1865 nach Amerika geschickt wegen ungünstiger Vor¬ 
kommnisse, welche ihn sonst in Verwickelung mit den Gerichten 
gebracht haben würden. 

In Amerika ging es ihm Anfangs sehr schlecht. Er konnte 
durch Handeln mit Cigarren und Streichhölzern kaum den aller- 
nothwendigsten Lebensunterhalt verdienen. Seine Lage besserte 
sich aber, als es ihm gelang in einigen jüdischen Familien Privat- 
unteiTicht zu ertheilen. Sommer 1866 verheirathete er sich, oder 
vielmehr wurde er ganz gegen seinen Willen und ungeachtet 
seines Sträubens von einem Glaubensgenossen mit dessen Schwester 
verheirathet. Dieselbe besass ein kleines Schneidergeschäft, wel¬ 
ches sie und ihren Mann leidlich zu unterhalten im Stande war. 
Die Ehe wurde aber eine sehr unglückliche, denn W. St., welcher 
seiner Schwäche sich von je bewusst war und desshalb der Heirath 
sich widersetzt hatte, war impotent. Hierin änderten auch alle 
Bemühungen seiner Frau nichts, und so schickte dieselbe dann 
nach vier Jahren bitterer Enttäuschung ihren Mann 1870 nach 
Europa zurück, ohne dass es zu einer gerichtlichen Ehescheidung 
gekommen wäre. 

In Berlin, wohin er sich nun wendete, ging es ihm sehr 
schlecht. Nur vorübergehend fand er Beschäftigung als Schreiber 
bei einem Zeitungskoirespondenten, in einem Annoncenbureau und 
bei einem Rechtsanwalt, aber im Wesentlichen blieb er auf die 
Unterstützungen seiner selbst nur mässig bemittelten Verwandten 
angewiesen. 

Im Jahre 1872 zeigte sich W. St. sehr aufgeregt, klagte 
über anhaltende Kopfschmerzen und machte mehrere, allerdings 
anscheinend nicht sehr ernsthafte Versuche sich das Leben zu 
nehmen. Auf Kosten der Verwandten wurde er in die Wasser¬ 
heilanstalt Königsbrunn geschickt, worauf sein Zustand sich 
besserte. — Im Jahre 1874 kam er dann nach Görlitz, wohin 
mittlerweile ein älterer Bruder gezogen war, und ertheilte Privat¬ 
unterricht an Elementarschüler. 1877 wurde ihm aber die Erlaub- 
niss zum Unterrichten entzogen, weil er dringend verdächtig war 
mit seinen Schülern unzüchtige Handlungen vorgeiiommen zu 
haben. Zu einem gerichtlichen Verfahren kam es indessen nicht. 

Er kehrte hierauf nach ^erlin zurück und führte daselbst 
ein kümmerliches Dasein. 

Anfangs 1878 gerieth er wegen mit Knaben vorgenommenen 
unzüchtigen Handlungen in Voruntersuchung. Da aber sein Geistes¬ 
zustand zweifelhaft erschien, wurde er in die Charitö übergeführt, 
wo er als geisteskrank erkannt wurde. — Nach sechswöchentlichem 
Aufenthalt nach Hause entlassen, wurde er bald darauf wieder 
ertappt und abermals in die Charitö geliefert. Von hier kam er 
dann in eine Berliner städtische Irrenanstalt und am 31. August 
1879 in die Irrenabtheilung des Siechenhauses in Görlitz. Nach¬ 
dem er daselbst am 5. Juni 1880 entmündigt worden war, wui’de 



418 


Dr. Meyhoefer. 


er in die Provinzial-Irren-Pflegeanstalt zu Plagwitz gebracht, 
wo er vom 15. Juli 1880 bis 24. April 1888 verblieb. Dann 
wurde er als ungelieilt, aber nicht gemeingefährlich entlassen. — 

Er kehrte nach Görlitz zurück, wo er durch Unterstützung 
seiner Verwandten eine bescheidene, aber auskömmliche Existenz 
fand. Wieder nahm er seine Privatstunden auf, ohne behördliche 
Ermächtigung, aber er fand nur vereinzelte Schüler aus den un¬ 
tersten Schichten. — 

Nur kurze Zeit war das Verhalten des W. St. ein geordnetes, 
oder wohl richtiger gesagt, gelangte von seinem anstössigen Treiben 
nichts in die Oeffentlichkeit. Bald aber vei’fiel er in seinen alten 
Fehler zurück und so musste seine abermalige Unterbringung in 
einer Anstalt beantragt werden. 

Was nun die Aiii und Weise anbetrifft, auf welche W. St. 
seiner perversen Geschlechtsempfindung nachgiebt, so ist dieselbe 
eine sehr merkwürdige. Durch zahlreiche Zeugenaussagen und 
durch Beobachtung im Siechenhaus ist festgestellt worden, dass er 
die Knaben — um solche handelt es sich ausschliesslich — nie¬ 
mals körperlich berührt hat. Stets nur hat er dieselben veran¬ 
lasst, ihre Hinteren zu entblössen, worauf er beim Anstarren der¬ 
selben, bezw. auch der Geschlechtstheile, eine geschlechtliche Er¬ 
regung bis zur Orgasmus fand. 

Während seines Aufenthalts im hiesigen Siechenhaus gelang 
es ihm mehrfach mit einem jungen schwachsinnigen Menschen auf 
der Retirade zusammenzukommmen. Er ist dann einigemale dabei 
betroffen worden, wie er nach vorn übergebeugt, die Hände auf 
die Knie oder Oberschenkel gestützt, regungslos mit hochgeröthe- 
tem Gesicht und glänzenden Augen den entblössten Hintern des 
Anderen betrachtete, wie er dann schliesslich ohne eine Wort zu 
sagen, stumm Kehrt machte und in seine Stube zurückkehrte. 
Die sofort vorgenommene Untersuchung der Wäsche ergab dann 
fidschen Samenerguss in seinem Hemde. — 

In hohem Grade originell war folgende Beobachtung. 

Der Inspektor der Anstalt erblickte von seinem Fenster aus 
die blanken Hinteren von sechs Knaben, welche sämmtlich in einer 
Reihe aufmarschirt waren, am hellen Vormittage hinter dem etwa 
fünfzehn Schritte entfernten Stacketenzaun. Sofort den Zusammen¬ 
hang errathend, begab er sich an die Thüre des St.’schen Zimmers 
und sah nun denselben regungslos am Fenster stehen und die ent¬ 
blössten Hinteren betrachten. Bei «einen Spaziergängen im Garten 
der Anstalt hatte W. St. sich mit den Knaben vorher in Ver¬ 
bindung gesetzt. Auch hier war es zu Ejakulation gekommen. — 

In der seiner jüngsten Internirung voraufgegangenen letzten 
Zeit war, wie sich herausstellte, kaum ein Tag vergangen, an 
welchem er nicht ein oder mehrere Mal in dieser Weise mit 
Knaben verfahren hatte. Es war ihm dies nicht schwer geworden, 
weil eine grosse Anzahl von Gassenbuben seine Neigungen kannten 
und gegen Entgelt sich ihm nicht blos bereitwillig zur Verfügung 
stellten, sondern ihm ihre Dienste in freclister Weise aufdrängten, 
ja mit Anzeige bei der Polizei drohten, falls er nicht ihnen neue 
Gelegenheit geben wollte, einige Münzen zu verdienen. 



Zur konträren Sezaalempflndung. 


419 


Ueber seinen Zustand lässt sich W. St. in offenster Weise, 
ohne eine Spur von Zurückhaltung- aus. Er giebt an, niemals 
eine Zuneigung zu einer Person weiblichen Geschlechts gehabt, 
niemals eine geschlechtliche Erregung beim Zusammensein, mit 
einer solchen empfunden zu liaben. Ohne Rückhalt erzählt er von 
den völlig vergeblichen Bemühungen seiner Frau, ihn zur Ausübung 
seiner ehelichen Pflichten zu vermögen. Dagegen sei in ihm 
schon als kleines Kind der Trieb rege geworden, sich den Anblick 
eines männlichen Gliedes zu verschaffen. So sei er schon als acht¬ 
jähriger Knabe in grosse geschlechtliche Erregung gerathen, wenn 
er den Penis eines anderen Knaben beim Uriniren habe erblicken 
können. Beim Spazierengehen sei es immer sein grösster Wunsch 
gewesen, diesen Anblick sich zu verschaffen. Im Alter von 
14 Jahren habe er zuerst andere Knaben aufgefordert, ihm ihre 
Geschlechtstheile zu zeigen, oft mit, oft auch ohne Erfolg. Lange 
Jahre hindurch haben ihn nur die Geschlechtstheile gereizt, erst 
in den 70 er Jahren habe sich die Begierde eingestellt, auch die 
Hinteren zu sehen, und jetzt reize üm der Anblick des Hintern 
mehr als der der Geschlechtstheile. Er giebt selbst zu, dass seit 
langer Zeit kaum ein Tag vergangen sei, an welchem er sich 
seinen geschlechtlichen Genuss in dieser Weise nicht verschafft 
habe. — In früherer Zeit habe er auch stark onanirt, und zwar 
von seinem siebenten Jahre an, seit zwanzig Jahren habe er dies 
aber völlig aufgegeben. — 

Wie er selbst über sich denkt, geht aus nachstehender wort¬ 
getreuer Aeusserung hervor: „Ich kann machen, was ich will, 
ich kann nichts dagegen thun, obwohl ich die Folgen füi* mich 
kenne. Es ist Alles umsonst. Das Leben ist mir ekelhaft, zur 
Last, aber es geht nicht anders. Ich habe alle Aerzte gebeten, 
mich von meinem krankhaften Triebe zu heilen, weil ich zu grossen 
Ekel und Widerwillen dagegen hatte, weil ich mii- sagte, wie sehr 
ich mir selber, meinem Körper schadete, und welchen Strafen ich 
sowohl hier auf Erden, als auch von Gott mich aussetzte. Ich 
habe gebetet und gerungen, geweint und gejammert, konnte Nächte 
lang nicht schlafen und habe aus Verzweiflung, um der Sache ein 
Ende zu machen, damit ich nicht wieder sündigen konnte, Chloro¬ 
form mir gekauft, um mich zu tödten. Das war aber erfolglos, 
weil mein Bruder gerade hinzukam. In der Charitö wollte ich 
mich erhängen, wurde aber durch die Wärter daran verhindert. 
Die Aerzte haben mir gerathen, ich sollte mich mit einer weib¬ 
lichen Person beschäftigen, ich habe es versucht, aber ganz er¬ 
folglos.“ 

Auch wälirend seines Aufenthalts in Amerika habe er dem 
Triebe nicht Widerstand zu leisten vermocht. Auch dort habe er 
zur Genüge Knaben gefunden, welche gegen geringe Entschädi¬ 
gung ihm zu Willen gewesen seien; sie haben ihn in seinem 
Stadtviertel allgemein den „Penny - Doktor“ geheissen. — 

W. St. ist ausserordentlich klein, 143 cm gross, von elendem, 
schwächlichem Körperbau. Er sieht erheblich älter aus, als es 
seinem Alter von 53 Jahren entspricht. Seine Haltung ist schlaff, 



420 


Dr. Meyhoefer: Zur konträren Sexualempfindung. 


sein Gang schleichend und vornübergebeugt. Beim Sitzen macht 
er mit dem Oberkörper häufig pendelnde Bewegungen von vorn 
nach hinten, seine Hände lässt er beständig an den Oberschenkeln 
dabei auf- und abgleiten. Sein Gesichtsausdruck ist völlig apathisch, 
auch bei den heikelsten Fragen, auf deren Beantwortung er rück¬ 
haltlos, ohne einen Versuch der Beschönigung zu machen, eingeht, 
ist nichts in seinen Mienen zu lesen als eine stumpfe Gleichgiltig¬ 
keit. Selbst bei der Schilderung der seelischen Qualen, welche 
ihm sein Zustand bereitet habe, bei der Erwähnung der angeb¬ 
lichen mehrfachen Selbstmordversuche ist keinerlei Gemüthserregung 
bei ihm wahrzunehmen. Sein Haarwuchs ist dünn, über die 
Mitte des Schädels zieht sich eine breite von vorn bis in den 
Nacken reichende Glatze. Der Kopf ist langgeformt, die Stirn 
schmal und stark zurückweichend. Die Mundparthie des Ober¬ 
kiefers tritt über dem zurückliegenden Kinn stark hervor. Der 
gerade Durchmesser des Kopfes beträgt 18 cm, der vordere quere 
IOV 2 cm, der hintere quere 14*/* cm, der diagonale Durchmesser 
23*/* cm. — 

Die Zunge wird gerade, aber lebhaft zitternd herausgestreckt, 
die Hände befinden sich in starkem Tremor. Die Sprache ist im 
Allgemeinen fliessend, aber stellenweise stockt dieselbe und bewegt 
dann W. St. eine kurze Zeit lautlos die Lippen, bis er wieder 
weiter spricht. Die Kniephänomene fehlen gänzlich. Die Ge- 
schlechtstheile sind in jeder Hinsicht normal gebildet, ebenso sind 
irgend welche andere krankhafte organische Veränderungen oder 
Innervatiousstörungen nicht nachzuweisen. 

Ueber sein Befinden befragt, giebt er an, dass er durch 
Klopfen und Hämmern in den Schläfen, Klingen und Rauschen in 
den Ohren und durch häufiges Funkensehen stark belästigt werde. 
Sonst habe er über nichts zu klagen, seine Funktionen seien un¬ 
gestört. — 

Von seiner Wirthin wird berichtet, dass er des Nachts sehr 
unregelmässig und unruhig schlafe. Häufig gehe er ruhelos stun¬ 
denlang umher, nicht blos in seinem Zimmer, sondern auch über 
Korridor und Flur, so dass sie ihn energisch zur Ruhe verweisen 
müsse. Oft verlange er von ihr zu einer Zeit schon den Morgen¬ 
kaffee, wo Alles noch schlafe. Für die Unterhaltung sei er gar 
nicht zugänglich, er lebe ganz still vor sich hin. Sein Appetit 
sei sehr gut, er habe meistens einen wahren Heisshunger, wobei 
es ihm stets mehr auf die Quantität als auf die Qualität der 
Speisen ankomme. — 

Soweit dieser Fall. — Seine Beurtheilung kann irgend wel¬ 
chen Schwierigkeiten nicht begegnen, wir haben es hier eben mit 
einem klassischen Beispiel einer konträren Sexualempfindung, mit 
einer reinen geschlechtlichen Perversion zu thun. Hereditär stark 
belastet zeigt unser Kranker von Anfang an die körperlichen und 
geistigen Stigmata der Entartung in grosser Zahl. Alles ist bei 
ihm typisch, insbesondere auch das Auftreten der Zwangsvor¬ 
stellungen bereits in der frühesten Kindheit und die vollständige 
sexuelle Unempfindlichkeit gegen das weibliche Geschlecht. Nicht 



Zur Medizinalreforin. 


421 


gerade typisch zu nennen ist freilich die wahrhaft originelle Weise, 
auf welche er seinen Zwangstrieben nachgiebt, und welche als 
eine Art von Gegenstück zu dem wunderbaren Treiben der Exlii- 
bitionisten angesehen werden darf. — 

Was die Frage anbelangt, wohin derartige Ki'anke gehören, 
so kann hierüber ein Zweifel wohl kaum bestehen: sie gehören 
eben als gemeingefährliche Geisteskranke in eine Irrenanstalt, und 
kann ich das Bedürfniss, für sie noch besondere Anstalten, 
gleichsam Mitteldinge zwischen Irrenanstalten und Gefängnissen, 
zu schaffen, wie dies von mancher Seite vorgeschlagen worden 
ist, nicht anerkennen. — 


Zur Medizinalreforin. 

In Folge der drohenden Choleragefahr hat man sich in jüng¬ 
ster Zeit in politischen Blättern verschiedentlich mit der Frage 
beschäftigt, ob unsere sanitären Einrichtungen auch wirklich ge¬ 
nügen, um jene Gefahr mit Erfolg bekämpfen zu können. Das 
Facit dieser Erörterungen ist, wie nach Lage der Verhältnisse 
speziell in Preussen nicht anders zu erwarten war, ein keineswegs 
günstiges gewesen. Insonderheit wird auf den Mangel eines Reichs¬ 
gesetzes über die Seuchen und auf die Nothwendigkeit einer 
anderen Gestaltung unseres Medizinalwesens hingewiesen. So sagt 
z. B. die Nationalzeitung in einem „Die Abwehr von Cholera- 
Gefahr“ betitelten Leitartikel in Nr. 434 (22, Juli d. J.): 

„Es macht sich bei der Abwehr der Choleragefahr wieder der Mangel 
eines Reichsgesetzes über die Seuchen, wie solches gemäss Artikel 4 der Reichs- 
verfassung längst erwartet werden konnte, recht fühlbar. Dies ist hier um so 
mehr der Fall, als das Regulativ nur in den alten Provinzen Gültigkeit hat, 
die sonst erlassenen Verfügungen medizinalpolizeilichen Inhalts aber nach An¬ 
sicht von Fachmännern (Dil they) juristisch nicht unzweifelhaft gütig sind. Von 
welch fundamentaler Bedeutung das ist, liegt auf der Hand; es tritt am deut- 
lich.sten hervor, wenn man die einschlägigen Verhältnisse bezüglich der Vieh¬ 
seuchen vergleicht. Hier haben wir das Gesetz vom 23. Juni 1880; nach §. 9 
desselben muss jeder Besitzer von dem Ausbruch einer Seuche der Polizeibehörde 
Anzeige machen; diese hat auf die erfolgte Anzeige nach §. 12 sofort den be¬ 
amteten Thierarzt zuzuzieheii; die Kosten dafür fallen aber nach §. 23 des Aus¬ 
führungsgesetzes vom 12. März 1881 der Staatskasse zur Last. Diese Bestim¬ 
mungen gelten selbst für die völlig unschuldige Maul- und Klauenseuche. Der 
Unterschied liegt also zum Nachtln il der Gholera-Abwehr in der als Zwischen- 
instanz eingeschobenen Feststellung der ersten Fälle auf Kosten der Polizeibe¬ 
hörde statt auf Kosten des Staates und dem Mangel eines gesetzlichen 
Zwanges für die Landräthe, die Physiker sofort zu requiriren. Demgemäss 
wäre es wohl zweckmäs.siger, für Cholerazeiten direkt anzuordnen: Bei dem 
Auftreten der Cholera in Europa haben die Medizinalbeamten jeden verdächtigen 
Todesfall, und sollte die Cholera einen Verwaltungsbezirk unmittelbar bedrohen, 
auch jeden verdächtigen Erkraiikungsfall ungesäumt der Polizeibehörde anzu¬ 
zeigen.*) Diese hat jede zu ihrer Kenntniss gelangende Erkrankung sofort, jeden 
Sterbefall aber telegraphisch oder durch direkten Boten dem Landrathsamt zu 
melden, ohne inzwischen die Anordnung der dringendsten Massregeln, besonders 
bezüglich der Isolirung, zu versäumen. Der Landrath hat auf die erhaltene 
Anzeige einer Erkrankung umgehend sich mit dem Physikus zu besprechen; bei 


*) Ist bekanntlich inzwischen augeordnet. 



422 


Znr Medizinalreform. 


der Meldung des ersten Todesfalles aber denselben binnen kürzester Frist behufs 
FeststclhinG: der Diagnose durch die Obduktion und bakteriologische Untersuchung 
zu requiriren. Noch besser wäre es, wenn ausserdem die seit Jahrzehnten er¬ 
strebte allgemeine, obligatorische Leichenschau bereits funktionirte; hätten wir 
diese so segensreiche Institution, so wäre so mancher Verheimlichung ein Riegel 
vorgeschoben. Würden Avohl die Kosten der eben skizzirten Einrichtungen in 
Betracht kommen gegenüber dem Elend und den Kosten, welche eine nicht ver¬ 
hütete Epidemie mit sich bringen würde? 

Wir brauchen aber wohl kaum hinzuzufügen, dass in gleicher Weise wie 
bei der Cholera auch bei den übrigen Infektionskrankheiten die Einrichtungen 
zur Abwehr derselben an Raschheit der Wirkung zu wünschen übrig lassen. 
Es fehlt uns eben überall ein ebenso vorzügliches Gesetz betreffend die Abwehr 
der Menschenseuchen, wie das über die Abwehr der Viehseuchen. Aber nicht 
allein das; es thut uns vor Allem auch eine moderne Gestaltung des 
Medizinal Weesens überhaupt noth, welche, als „Med izinalref orm^ seit 
etwa 40 Jahren erstrebt, trotz einstimmiger Resolutionen des Abgeordneten¬ 
hauses und unausgesetzter Anregung noch immer in weitester Ferne schwebt. 
Unvergesslich aber würde dessenNamen sein, der uns ein neues 
Medizinalgesetz schüfe; Tausende würden ihm alljährlich zu danken 
haben, „dass sie noch athmen im rosigen Licht“. 

Noch ausfiihrlicher und zutreffender werden die jetzigen Miss¬ 
stände des preussischen Sanitätswesens und die Unzulänglichkeit 
der Stellung der Medizinalbeamten in einem Artikel der „Post“ 
„Zur Meclizinalreform in Preussen“ geschildert, den wir nach¬ 
stehend in extenso zum Abdruck bringen. 

„Mit allgemeiner Befriedigung sind die Runderlasse des Ministers der 
u. s. w. Medizinalangelegenheiten zu begrUssen, welche in den letzten Tagen 
w'egen der drohenden Oholeragefahr ergangen sind; beweisen sie doch, 
dass mit möglichster Umsicht für Leben und (Gesundheit der Staatsbürger ge¬ 
sorgt werden soll. In erster Linie wird natürlich auf die so oft bewiesene werk- 
thätige Hülfe der Aerzte gerechnet, aber die ernste Zeit ist ganz dazu angeihan, 
auch den Laien für die bezüglichen Verhältnisse unseres Landes zu interessiren 
und mit Recht wies die Nat.-Ztg. in ihrer Nr. 434 darauf hin, dass bis heute 
unsere Einrichtungen zur Abwehr der Infektionskrankheiten noch viel zu wünschen 
übrig lassen. 

Noch immer soll das Regulativ vom 8. August 1835 genügen, noch ist es 
trotz aller Wünsche der Aerzte und trotz mehrfacher Beschlüsse des Abgeord¬ 
netenhauses nicht möglich gewesen, ein Gesetz zur Verhütung der Menschen¬ 
seuchen zustande zu bringen, nachdem wir ein solches gegen Viehseuchen 
bereits seit 12 Jaliren besitzen! Natürlich sind nur tinanzielle Schwierigkeiten 
im Wege, nicht die Ueberzeugnng von der Nutzlosigkeit oder Dringlichkeit. 
Schon seit langen Jahren war es auch den leitenden Kreisen klar, dass nicht 
nur ein Seucheugesetz, sondern überhaupt eine Reform unseres gesummten 
Medizinal wesens dringendstes Bedürfniss ist. Wie beschämend, dass gerade 
in dieser Beziehung Preusseii hinter den meisten anderen deutschen Staaten 
zurückblieb! 

Die neiiest(m Min.-Erlasse gegen die (’holera versuchen in dankenswerther 
Weise, den schleppenden Gang d(‘s alten Regulativs zu beseitigen, indem sie 
z. B. anordnen, dass jeder erste verdächtige Fall sofort nicht nur der zustän¬ 
digen Ortspolizeihcdiönhi, sondern auch dem K r e i s p hy s i k u s gemeldet wdrd, 
damit letzterer schleunigst an Drt und Stelle giadgnete Massregeln ergreifen kann. 

Wenn somit die grösste Verantwortlichk.dt den Physikern auferlegt wird, 
dann muss man sich wohl fragen, ob die Strdlung dieser Medizinal - Beamten 
überhaupt noch eine zeitgemässe genannt werden kann Schon lange vor den 
epocheraachenclen Entdeckungen der Neuzeit sab man ein, dass die Kreisph\’siker 
nicht so situirt waren, wie es die Sorge für unsere sanitären Verhältnisse ver¬ 
langte. Noch viel mehr kam diese Erkenntniss, seit uns ein Koch gezeigt 
hat, wo die Erreger verhe(‘render Kranklieiten zu suchen sind. Hat auch die 
moderne Bakteriologie noch nicht den erhofften Nutzen für die Behandlung 
d(!r lufcktions - Kranklieiten gebracht, so giebt sie uns doch die Möglichkeit, mit 
mehr Aussicht auf Erfolg als früher einer Ve rbreituug der Seuchen vor- 



Zur Medizinalreform. 


423 


zubeugen. Dazu sind aber Organe nbthig und diese Organe können natur- 
gemäss nur die Sanitätsbeamten sein, deren heutige amtliche und finanzielle 
Stellung keine Qarantie dafür bietet, dass sie allen Anforderungen der vorge¬ 
schrittenen Hygiene genügen können. 

Die Kreisphysikate sind Nebenämter, ausgestattet mit einem jähr¬ 
lichen nicht pensionsfähigen Gehalt von 900 Mark. Diese Summe genügte, so 
lange die Hauptthätigkeit der Physiker eine gerichtsärztliche war; man konnte 
das feste Gehalt als Entschädigung für Zeitversäumnisse und stete Bereitschaft 
zu gerichtsärztlichen Geschäften betrachten, auch allenfalls die üblichen sogen. 
Sanitätsberichte dafür verlangen. Heute hat sich das wesentlich geändert: die 
Physiker sollen oder sollten wenigstens vor Allem Gesundheitsbeamte 
ihres Kreises sein. Um dies im wahren Sinne des Wortes zu werden, genügt 
es nicht, dass sie beim Ausbruch einer Epidemie von der Polizeibehörde 
mitunter requirirt werden, um an Ort und Stelle geeignete Massregcln zu 
treffen, sondern dazu gehört ein eingehendes fortgesetztes Studium 
des ganzen Bezirks. Es kann nicht als Ideal einer ErankheitsVerhütung 
betrachtet werden, wenn der Sanitätsbeamte sich lediglich über eine bereits 
ausgebrochene Seuche zu äussern hat. Man gebe ihm Gelegenheit, die ein¬ 
zelnen Infektionskrankheiten auf allen ihren verschlungenen Pfaden innerhalb 
seines Bezirkes zu verfolgen und die Umstände gründlich zu erforschen, welche 
ihre Verbreitung begünstigen, damit allmählig eine Verbesserung der sanitären 
Zustände erzielt werden kann. Es leuchtet ein, dass hierzu eine voll st ändi ge 
Kenntniss des Kreises nöthig ist: der Physikus soll nicht nur die klima¬ 
tischen, die Boden- und Wasserverhältnisse genau studiren, er soll auch die 
Beschaffenheit der Wohnstätten, besonders Arbeiter- und Massenquartiere, ge¬ 
werbliche Anlagen, öffentliche Anstalten, Schulen und Krankenanstalten unter 
steter Kontrole in Bezug auf Reinlichkeit und Salubrität haben; er soll den 
Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln überwachen und eventuelle Gesund¬ 
heitsschädigungen durch denselben verhindern; er soll überhaupt in seinem Kreise 
alle Vorgänge im Auge behalten, welche für die Beurtheilung der gesundheit¬ 
lichen Verhältnisse von Interesse sind. Nur so werden wir allmählich dazu 
gelangen, die Forschungen der Neuzeit im Dienste des Gemeinwohles nutzbar 
zu machen. 

Dass hierzu die ganze ausschliessliche Thätigkeit eines Mannes 
gehört, ist selbstverständlich, und die verhältnissmässig geringen Kosten einer 
entsprechenden Medizinalreform werden verschwindend sein gegen den Nutzen 
für Leben und Gesundheit der Bevölkerung. 

Keineswegs soll gesagt werden, dass die Medizinalbeamten bisher nichts 
geleistet hätten. Im Gegentheil ist offen anzuerkennen, dass sie kein Opfer an 
Zeit und Geld gescheut haben, die Fortschritte der Krankheits- und Gesundheits¬ 
lehre zu verwerthen. Wie viele unter ihnen haben für Bücher, Instrumente und 
Utensilien zu bakteriologischen Studien mehr als ein Jahresgehalt verausgabt, 
wie schwer ist es manchem Physikus geworden, an den vom Minister gebotenen 
Fortbildungskursen theilzunehmen! An strengem wissenschaftlichen Eifer hat 
cs gerade diese Beamtenkategorie nicht fehlen lassen. Wohlan denn, sorge man 
nun dafür, dass das Erlernte auch wirklich zum Besten des Gemein¬ 
wohls verwerthet wird! Jetzt müssen die Medizinalbeamten wie jeder 
andere Arzt vor allen Dingen für Familie und Alter sorgen, und das können 
sie nur durch angestrengteste ärztliche Thätigkeit. Wo soll ihnen da Zeit 
bleiben zu regelmässigen Informationsreisen, zu bakteriologischen und hygieni¬ 
schen Untersuchungen? Wann hat ein beschäftigter Arzt ruhige Stunden, die 
zu derartigen Experimenten unerlässlich sind?—Wir werden hoffentlich von der 
Cholera verschont bleiben. Sollte sie aber unsere Grenzen überschreiten, so 
werden die meisten Physiker zunächst in ihrem ärztlichen Wirkungskreise 
unentbehrlich und ausser Stande sein, in ihrem Amtsbezirk überall, wie es 
zu erwarten wäre, geeignete Massnahmen zu treffen und deren Ausführung 
zu überwachen. Die Notliwendigkeit einer solchen Ueberwachuug ist aber 
Jedem klar, der mit der jetzt üblichen Methode bekannt ist. 

Sobald die Physikate aufliüren, Nebenämter zu sein, wird der Medizinal¬ 
beamte seine Hauptarbeit diesen widmen, und für die Behandlung Erkrankter 
finden sich dann selbst in der kleinsten Kreisstadt andere Aerzte, deren Fort¬ 
kommen jetzt durch die leider nothgedrungene Konkurrenz des Physikus häutig 
erschwert wird. 



424 


Aus Versainmlnngen und Vereinen. 


Durch Krankenkassen-, ünfall-, Invaliditäts- und Altersversorgung^esetz 
haben wir für einen Theil der Staatsbürger gesorgt; hier handelt es sich 
aber um Massnahmen zumWohle der gesummten Bevölkerung. 
Gegen die Verbreitung ansteckender Kranklieiten u. s. w. kann sich nicht der 
Einzelne helfen und schützen, hier muss der Staat Hand anlegen und im Hin¬ 
blick auf die Wanderung der verheerenden Seuche endlich die längst gewünschte 
und geplante Medizinalreform verwirklichen, damit Preussen auch in dieser Be¬ 
ziehung diejenige Stellung einnimmt, welche ihm nach jeder anderen Richtung 
unter den deutschen Staaten zukommt. 

Den vortrefflichen Ausführungen der vorstehenden Artikeln 
etwas hinzuzufügen, erscheint nicht nöthig. Sie gehen ein treues 
Bild von den jetzigen, durchaus mangelhaften Zuständen unsres 
Medizinalwesens uhd können wir mit Verfasseni der beiden Ar¬ 
tikel nur wünschen, dass diesen Zuständen endlich einmal durch 
die längst in Aussicht gestellte und allseitig als nothwendig aner¬ 
kannte Medizinalreform ein Ende gemacht wird. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht fiber die am 14. Mai d. J. in Rheda abgehaltene 
Versammlang: Medizinal-Beamten den Res*-Bezirke« 

Minden. 

Zur Versammlung waren erschienen: und Med.-Rath Dr. Bapmund 

(Vorsitzender), die Kreisphysiker: Geh. San.-Rath Dr. Müller (Minden), San.- 
Rath Dr. G e 0 r g (Paderborn), San.-Rath Dr. Kran cf uss (Halle), Dr.Rheiuen 
Herford), Dr. Kluge (Höxter), Dr. Schlüter (Gütersloh), die Kreiswund&rzte: 
Dr. Hillebrccht (Vlotho), Dr. Benthaus (Neuhaus), Dr. Sudhölter 
(Versmold) und Zumwinkel (Gütersloh). 

Die Verhandlungen begannen Mittags IIV* Uhr. 

1. Vorsitzender berichtet über das Ergebniss der Sammlungen für die 
H u fei and’sehen Stiftungen im hiesigen Regierungsbezirk. Bei dieser (Je- 
legenheit wird von verschiedenen Seiten auf die Schwierigkeiten bei der Ein¬ 
ziehung der Gelder hingewiesen, sowie auf das geringe Interesse, welches gerade 
die praktischen Aerzte für diese Stiftungen zeigten. Man war ferner allseitig 
der Ansicht, dass es nach Bildung der Aerztekarnmer viel zweckmässiger sei, 
wenn durch diese künftighin die Beiträge eingesammelt würden und wurde be¬ 
schlossen, einen darauf hin zielenden Antrag in der diesjährigen Generalversamm¬ 
lung des Medizinalbearnteü-Vereins zu stellen. 

2. Vorsitzender bespricht eingehend die unter dem 5. April d. J. er¬ 
lassene Ausführungs-Anweisung zur Polizei-Verordnung vom 10. August v. J-, 
betreffend Massregeln gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten. Er 
erwähnt dabei, dass er heabsielitige, die Polizeiverordiiung nebst Anweisung und 
die darauf bezüglieluui Ministerial - Erlasse, Vertngnngeii, Verordnungen u. s. w. 
zum dienstlicbeu Gel>raucbe zusaniineiizustellen und in Gktavformat erscheinen 
zu lassen. (Ist inzwischen geschehen). 

3. (tcIi. Sau.-Rath Dr. Müller sprach dann über die Verwendbarkeit 
des Fleisches tuberkulöser Thicre und die Bekämpfung der 
Tuberkulose des Rindviehs. Der Vortrag wird in einer der nächsten 
Nummern dieser Zeitschrift in extenso zum Abdruck gelangen. 

Nach Erledigung der Tage.sordimng vereinte die Kollegen ein frohes 
Mahl, bei welchem dem leider am Erscheinen verhinderten Kollegen Geh. San.- 
Kath Dr. Beckhaus (Hieleteld) ein kräftiges Hoch zu seinem 80. Wiegenfeste 
ausgebracht wurde. Die Glückwünsche der Anwesenden wurden ihm sofort tele¬ 
graphisch übermittelt. 



Kleinere Mittheilun^'cn nud Kcferate ans Zeitschriften. 


425 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

In das Berliner Loichenschauhans eingelieferte Leichen pro Aprili 
Mai und Juni 1892. 



Einige Bemerkungen über den Tod durch Ertrinken. Von Dr. Arnold 
Pal tauf, k k. Professor der gerichtlichen Medizin an der deutschen Universität 
in Prag, Berliner Klinische Wochenschrift 1892, Nr. 13. 

Als Nachtrag und Ergänzung der „Studien über den Ertrinkungstod (Wien, 
1889) und über die Beziehungen der Thymus zum plötzlichen Tod“ (Wiener 
Klin. Wochenschrift 1889 Nr. 46 und 1890 Nr. 6) giebt Pal tauf Folgendes 
an: Dem Oedem der Schleimhaut des Kehlkopfeinganges ist deshalb keine be¬ 
sondere diagnostische Bedeutung für den Ertrinkungstod zuzuerkennen, weil man 
eine gleich aussehende Quellung des submukösen Zellgewebes auch am ausge¬ 
schnittenen Leichenpräparat zu erzielen im Stande ist, selbige somit nicht mehr 
typisch und ein verlässliches Zeichen des Ertrinkungstodes ist. — Die von 
S e y d e 1 - Königsberg hervorgehobene Trübung und Quellung an Cornea und 
Conjunktiva ist auch nur Leichenerscheinung und hat keine andere Bedeutung 
als das Oedem des Kehlkopfeinganges. Vielleicht ist der Grund dieser Quellung 
im Herabhängen des Kopfes ira Wasser zu suchen. — Verschiedener Feuchtig¬ 
keitsgrad angewachseuer Lungen und freier in der Art, dass letztere beim 
Erstickungstod mehr Flüssigkeit in sich haben, ist von dem Verfasser und 
Strassmann -Berlin wiederholt beobachtet. Bei Oedem in Folge verschiedener 
pathologischer Zustände ist der Unterschied nicht deutlich. 

Die Angabe, dass die in den Lungen Ertrunkener vorhandene Flüssigkeit 
am hervorragendsten vom Ertrinkungsmedium geliefert wird und weniger Trans¬ 
sudat oder ein Gemenge der Ertränkungstlüssigkeit und Transsudat sei, ist von 
Loye und Brouardel gemeinsam bestätigt und zwar durch Thierversuche. 

Die Verwerthung für den Men.schen in diiferenziell - diagnostischer Be¬ 
ziehung, ob gegebenen Falles Lungenödem vorliegt oder Ertrinken, liess den 
Verfasser nach dem Verhältiiiss der spezifischen Gewichte; dem Gewichte der 
Trocken.substanz und dem der Asche, suchen, ein Verhältniss, das gegeben wäre 
durch den verschiedenen Gehalt an organischer Substanz und an fixen anorganischen 
Bestandtheilen (Salzen) in der Ertrinkungs- resp. Oedemflüssigkeit, Dieses Ver¬ 
hältniss ist beim Lungenödem ein konstantes. Die Ertrinkungsfltissigkeit liefert 
natürlich ein verschiedenes; a priori ist ein Minus der Aschebestandtheile im 
Flusswasser zu erwarten. 

Auf die Art und Weise der gewiss schwierigen Untersuchung sei auf das 
Original verwiesen. 

Das Resultat besagt/ Lungenödem enthält um ein Geringes weniger 
organische (verbrennbare) Substanzen als die Ertrinkungsflüssigkeit, hingegen 
ein Plus im Aschengewichte. Umgekehrt enthält die Lungenfiüssigkeit beim 
Ertrinkungstod viel weniger anorganische Bestandtlieile als beim Lungenödem. 

Es folgt dann eine Zurückweisung der Angriffe L e s s e r s, die wir 
tibergehen. — 

Zu den Auseinandersetzungen über einige zum synkopischen Tode im 
Wasser disponirende Momente, b(>sonders über die Beschaifenheit der Thymusdrüse 
wird ein weiterer charakteristischer Fall angeführt: Zweilappige Thymus von 
7 cm. L., 5 ein. Br , 1,5 D. Vertrrössernng der Papillen des Zungengrundes, der 
Mandeln, der Lymphdrüsen der 3Iilz (15 cm. L., 11 cm. Br.), Stenose der Aorta, 
Dilatation des Herzens. Das 26jährige Mädchen stürzte in den Fluss, wurde 








426 


Kli'iijore Mittliciluiip:en und Referate aus Zeitschriften 


alsbald herau^gezopren, war aber bereits leblos. — Die linke Longe war fest 
angewaebsen und überall lufthaltig, sehr blutreich, die rechte Lunge frei, luft¬ 
haltig, stuinidrandig und entleert auf Druck viel Blut, 

Anschliessend hieran wird auch auf die hiiinornetrische Untersuchung, auf 
die verminderte Färbekraft des Blutes bei Kunstitutionsanomalien, die zur 
synkopischen Todesart disponinm, aufmerksam gemacht. 

Endlich weiibm der Blutsutfiisiom'n in den Muskeln Ertrunkener Er= 
wähnung gelhan, die nach Hoff mann ein postmortales Entstehen haben, und 
scheinbar vitales Entstehen Vortäuschen können. Ein kurz angeführter Fall von 
streifigen Bliitaustritten in Hals- und Brustmuskeln beschliesst die Abhandlung. 

Overkamp- Warendorf. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Zur Lehre von der Identität des Streptococcus pyogenes und 
Streptococcus erysipelatis. Von Stabsarzt Dr. Martin Kirchner. Zentral¬ 
blatt für Bakteriologie ; XI. 24. 

Zu der praktisch und theoretisch gleich wichtigen Frage, ob der Ketten- 
Coccus der Eiterung mit demjenigen der Wundrose identisch ist, ob also viel¬ 
leicht nur ein verschieden hoher (4rad von Virulenz oder Lebenskraft des Coccus 
die Ursache davon ist, dass in dem einen Falle serös - zellige Entzündung, in 
dem anderen Falle Eiterung entsteht, wobei vielleicht das lockere Gewebe der 
Unterbaut begünstigend, der straffe Bau der Oberhaut beschränkend wirken 
mag — zu dieser wichtigen Frage bringt Kirchner einen interessanten Bei¬ 
trag. Es handelt sich um einen Kanonier, welcher, wegen Tuberkulose im Laza- 
rctli behandelt, daselbst gleichzeitig an eitriger Mandelentzündung und an Ge- 
siclitsrose erkrankte. Durchaus gleiche Ketteukokken fanden sich in den erysipe- 
larösi'ii lUaseii und im iMaudelljcleg. Der Fall ist. allerdings nicht ganz beweisend, da 
di(! Möiglichkeit der gleiclizeitigen Infektion mit zwei verschiedenen Kokken, von 
di iien dann der Streptococcus erysipelatis die ]b)se, der Strej)tococcus pyogenes 
die eitrige Mandelentziliidung hervorg(‘Tuftm haben würde, nicht ganz von der 
Hand zu weisen ist —; das Wabrsclieinlicbste ist indessen doch die Infektion 
mit nur einer Kokkenart und insoferii bringt der kleine Aufsatz in der That 
einen werthvolleu Beitrag zu der so schwer zu lösenden Frage. 

Im Anfang wird erzählt, dass der Kranke, dessen Tuberkulose mit Koch’- 
scher Lymphe behandelt wurde, in 120 Ikdiandlungstagen (Januar bis Mai 1892) 
47 Einspritzungen von zusammen 3,0845 g Tuberkulin erhalten hat und dass 
dabei, bei vollständigem Schwinden der Tuberkel-Bazillen aus dem Auswurf 
das Körpergewicht um 4 kg zugenommen hat, 

Dr. Langerhans-Hankensbtittel. 

Sechste Heilung von Tetanus traiimaticus durch Antitoxin — 
Tizzoni — Cattani, Von Dr. Giovanni Taruffi in Bologna. Zentralblatt 
für Bakteriologie; XI. 20. 

Wenn es auch ausser Frage gestellt ist, dass die Aera der bakteriologi¬ 
schen Forschung auf di*m Gebiete der Pn^phylaxe schon recht erfreuliche Erfolge 
zu veizeiclim n hat, so ist den glänzenden Hoffnungen, die sich auch für die 
Heilung bereits ausgebrocliener Krankheiten zu eröffueu schienen, leider die Ent¬ 
täuschung meistens auf dem Fusse gefolgt! Um so erfreulicher ist es, dass für 
den Tetanus wenigstens, der in südlichen Ländern bekanntlich eine sehr viel 
verliängnissvollere Bolle spitdt, wie bei uns, das von Tizzoni in Bologna niid 
seiner treuen Mitarbeitt'rin Fräulein Ginseppina Uattaui aus dem Blute künst¬ 
lich immuiiisirter Hunde dargestellte Antitoxin eine ziemlich zuverlässig heilende 
Wirkung zu besitzen scheint. Der von Taruffi initgetheilte Fall betrifft einen 
74 jährigen Bauer, bei dem sieh der Tetanus in üblicher W eise an eine schlecht 
behandelte Fingeniuetschwuude angeschlossen hatte. Der Tetanus und Trismus 
war bereits recht bedeutruid; der Urin zeigte eine sehr .starke Giftwirkling aut 
Ver.^uchstliiere, indem i\läuse und Kaninchen nach subkutaner Einspritzung ziem¬ 
lich schnell tetanisch starlien. Die ganze Affektion schien noch in sehnellera Zu¬ 
nehmen begriffen zu sein, so dass Taruffi bei der Erfolglosigkeit der ange- 
wandtiui j^littel Tizzoni 's Hülfe in Ansprucli iialiin. Nach der ersten Injektion 
von 0,25 g Antitoxin trat Stillstand der tetanisclien Erscheinungen ein, nach der 
zweiten Injektion erwies sich das Blut, nach der vierten auch der Urin des Pa- 
tientcai giftfrei. Nach sechs Injektionen, 11 Tage nach Beginn der Behand¬ 
lung, war Patient vollkommen genesen. 



Tagesnachrichten. 


427 


Die nanmehr sechs Mal erpropte Sicherheit und die ganz aulfallende, 
zu den sonstigen klinischen Erfahrungen in Widerspruch stehende Schntdligkeit 
der Heilung lässt eine wirkliche Heilwirkung der T izzon i’scheu Methode un¬ 
zweifelhaft erscheinen. 

Leider hat Renon im Spital Neck er in Paris hei zwei Tetanuställen, 
welciie mit subkutanen Injektionen von defibrinirtem Blut tetaiiusiiniminer 
Kaninchen behandelt wurden (Methode Behring-Ki tasato), wohl vorüioer- 
gehende Besserung nach jeder Injektion erzielen, den Tod beider Patienten al)cr 
nicht verhindern können (vergl. Annales de P Instistut Pasteur). Ders. 


Tagesnachrichten. 

Mit Rücksicht auf die Neuregelung des Apothekenwesens liat das 
Reichsarat des Innern Werth darauf gelegt, auch die Wünsche der kouditionirenden 
Apotheker zu hören und ist der Vorsitzende des deutschen Apotheker-Vereins, 
Apotheker C. Dörrien, kürzlich von dem Geh. Ober-Regierungsrath Dr. Hopf 
empfangen worden. Apotheker Dörrien hat bei dieser Gelegenheit seine An¬ 
sichten über die einzuschlagendcn Reformen dargelegt und insonderheit auf die 
grossen Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen die weniger bemittelten Apo¬ 
theker bei den zur Zeit herrschenden Konzessionssystem zu kämpfen hätten. 
H. Geh. Rath Hopf versprach, dem Staatssekretär Di*, v. Bötticher über die 
vorgetrageuen Wünsche zu berichten. 


Von Seiten des Bundes für Besitz re form in Berlin ist an den 
Kaltnsminister wie an den Staatssekretär des Keichsamts des Innern eine Petition 
eingereicht worden, in der um Einführung von Komniunalapothekcu die 
von den Kommunen an dazu befähigte Apotheker verpachtet werden könnten, 
gebeten wird. 


Ueber die Neuregulirung der zur Zeit geltenden Bestimmungen 
über Einrichtung und Betrieb von Apotheken sowie über die Ausfülirung 
der Apothekenrevisionen ist im Kultusministerium ein Entwurf ausgearheiti t 
und wird höheren Orts beabsichtigt, diesen Entwurf ira Herbst von der tech¬ 
nischen Kommission für pharmazeutische Angelegenheiten unter Zuziehung von 
sechs Apothekern aus den Provinzen durchberathen zu lassen. Für je zwei 
Provinzen soll ein Apotheker cinberufen werden; die Oberpräsideiiten sind 
aufgefordert, geeignete Persönlichkeiten zur Auswahl vorzuschlageu nach An¬ 
hörung der Vorstände der Apotheker-Vereine. 


Zur Theilnahme an dem vom 5.—10. Septenil)er d. J. in Wien tag(!mbMi 
II. internationalen derinatologi.schen Kongress haben sich bis 27. Juli 
195 MitgUeder angemeldet. 

Das Programm ist wie folgt fcstgestcllt: 

Sonntag, den 4. September, Abends 8 Uhr: Gesellige Zusammen¬ 
kunft und Begrüssung im Restaurant „Kaiserhof“ nächst dem Kathhause. — 
Montag, den 5. September, Vormittags 9 Uhr: Eröffnuugs- und wissen¬ 
schaftliche Sitzung; Nachmittags 2 Ulir: Emidaim* im Rathhause durch den Herrn 
Bürgermeister der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien; Beaichtigiing des Rath- 
hauses. — Dienstag, den 6. September. Vormittags 9—2 Uhr: Wissen¬ 
schaftliche Sitzung; Nachmittags 2—4 Ulir: Besichtigung des k. k. kunsthistori¬ 
schen Hofmuseuins; Abends 9 Uhr: Empfang beim Präsidenten des Org.-Komites. 
--- Mittwoch, den 7. September, Vormittags 9—2 Uhr: Wisseuschaftliclie 
Sitzung; Nachmittags 5 Uhr: a) AusHug nach Baden (Parkfest — Badener 
Aerzteverein und Kurkommission), b) AusÜiig nach Kaltenleutgeben. — Donners¬ 
tag, den 8. September, Vormittags 9—12 Uhr: Wissenschaftliche Sitzung; 
Nachmittags 2—4 Uhr: Besichtigung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums; 
Abends 8. Uhr: Bankett (gegeben von der Wiener dermatologischen Gesellschaft) 
im Sachergarten, k. k. Prater. — Freitag, den 9. September, Vorm. 9 bis 
2 Uhr: Wissenschaftliche Sitzung; Nachmittags 5 Uhr: Geselliger Ausflug nach 
dem Kahlenberg. — Samstag, den 10. September, Vormittags 9—2 Uhr: 
Wissenschaftliche Sitzung; Abends eventuell Sonntags Früh: Ausflug nacli 
Budapest. 



428 


Tagesnachrichten. 


Die Cholera scheint in Russland, wenn man den amtlichen Berichten 
trauen darf, nicht weiter nach Westen vorgerückt und in dem bisher am meisten 
verseuchten Gebiete (längs der Wolga) in der Abnahme begriffen zu sein. Auch 
in Nischni-Nowgorod hat die Seuche trotz der augenblicklich dort abgehaltenen 
Messe eine grossere Verbreitung nicht erlangt. Ebenso hat sich das Gerücht, 
dass in Warschau bereits Erkrankungen vorgekominen sein sollten, nicht be¬ 
stätigt. Den hauptsächlichsten Kraukheitsheerd bildet zur Zeit das Doiigebiet; 
in den drei Städten Rnstow, Nascliitschewan und Asow kamen z. B. am 80. Jul HGO Er¬ 
krankungen und 385 Tud<‘sf;ille, am 81. Juli 1055 bezw. 447 vor. Auch das Dnjepr- 
Gebiet (Jekaterinoslaw) ist iiitizirt; ebenso b(?stätigt sich das Auftretender Seuche 
in Moskau. Die Zahl der Erkrankungen ist jedoch bisher hier nur unerheblich gewesen. 

Inzwischen werden besonders in den Russland benachbarten Staaten in 
umfangreichster Weise die erforderlichen Vorsichtsinassrcgeln getroffen, um ein Ein¬ 
schleppen der Cholera zu verhüten. In Preussen ist dem in der Beilage zur 
letzten Nummer der Zeitschrift mitgetheilten Ministerialerlasse vom 25., 27. und 
28. Juli gemäss von sämintlichen Regierungspräsidenten die Ein- und Durchfuhr 
von gebrauchten Kleidern, Leib- und Bettwäsche, Hadem, Lumpen, Obst, frischem 
Gemüse, Butter und weichem Käse aus Russland verboten; ferner die Anzeige¬ 
pflicht auf der Cholera verdächtige Erkrankungen ausgedehnt und girichzeitig 
angeordnet, dass diese Anzeigen auch dem zuständigen Kreispliysikus direkt zu 
erstatten sind. Ebenso ist für das Publikum bestimmte Belehrung über das 
Wesen der Cholera u. s. w. und die Desinfektionsanweisung überall zur ülTent- 
lichen Kenntniss gebracht. Dasselbe gilt betreffs der für die praktischen Aerzte 
bestimmten Kathschläge wegen Mitwirkung an sanitären Massnahmen gegen die 
Verbreitung der Cholera. Hoffentlich fallen alle diese Belehrungen und Kath- 
scliläge auf fruchtbaren Boden; eine amtliche Mitwirkung der praktischen 
Aerzte bei Feststellung der ersten Erkaukungen an Cholera behufs Voraahnie 
bakteriologischer Untersuchungen wird voraussichtlich nur in Ausnahmetallen 
nütliig sein, da in jedem Regierungsbezirk eine ausreichende Anzahl von 
Medizinalbeainten in diesen Untersuchuugsmethoden eiugeiibt sein dürfte. 
IJebrigens zeigt die jetzige „Mobilmachung“ gegen die Cholera recht schlagend, 
auf wie schwaukeudeu Fussen unsere ganze lledizinalurganisation steht. Si vis 
j)ace]n, para bellum, heisst es auch bei der Bekämpfung der ansteckenden 
Krankheiten in vollstem Masse und können wir uns in dieser Hinsicht nur den 
Almführungen des in der heutigen Nummer gebrachten Artikels „Zur Medizinal- 
reform in Pr^uisscn“ anschliessen. 

In den Grenzbezirken ist seitens der Regierungspräsidenten eine gesnnd- 
heitliche Kuntrule der aus Russland kommenden Eisenbahn-Keiseuden augeordnet; 
desgleichen sind für den Landverkehr entsprechende Vorsichtsinassregeln getroffen 
und speziell der Zuzug von russischen Arbeitern verboten. Den Lokalbehördeii 
ist ferner aufgegeben, für Anschaffung von Desinfektionsmitteln und Aufstellen von 
Ilarackeu zur Aufnahme von Chulerakranken bezw. (.'holeraverdächtigen Sorge 
zu tragen, ln Folge dessen haben sich mehrere Landräthe bereits mit dem 
Z e n t r a l k o in i te des Kothen Kreuzes in Verbindung gesetzt, um die Be- 
dingungi'u zu vereinbaren, unter w'elcheii ihnen von dieser Seite Förderung und 
UnterstiUzung bei den geplanten Vorkehrungen zu Theil werden können. Wie 
verlautet, ist man von Seiten des Kothen Kreuzes zwar geneigt, dergleichen Gesuchen 
zu entsprechen, aber unter Fosthaltung des Gesichtspunktes, dass zu dem gedachten 
Zw(a*ke herzugebeude transjiortable Lazarethbaracken, wenn sie zu Krankheits¬ 
zwecken gi‘dient liaben, durch Kauf in den Besitz der Entleiher übergehen müssen. 

Auch in E1 sass-L 0 1 hri 11 gen ist mit Rücksicht auf in der Umgebung 
von Paris luTrscheude Cholera verfügt, dass der Personenverkehr an den Grenz¬ 
stationen ärztlich überwacht und Isolirräume für die Unterbringung erkrankter 
Reisenden daselbst errichtet werden. 

P^beusü haben die übrigen europäisclieu Grenzstaaten Russlands entsprechende 
Vorsichtsinassregeln angeordnet. Das ü s t e r r eie li i sehe Sanitätswesen bringt 
ausserdem in einer Sonderbeilagc zu Nr. 8-1 eine recht gute Anleitung zur 
Behandlung der (Miolera, die im amtlichen Aufträge von den Professoren 
Dr. Nothnagel und Dr. Kahler ausgearbeitet ist und in der als bestes 
Mittel zur Rehandlung des ausgebildeten Choleraanfalles Eiugiessungen einer 
Tanniulösung in den Darm (Tannin-Entcroklysc) empfohlen werden. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapinund, Reg.- u, Med.-Rath in Minden i. W 

4. C. C. Bruus, Duchdruckeroi, blinden. 



5. Jahrg. 


Zeitschrift 

für 


189^. 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtI.Stadtphysikus inBerlin. Reg.- und Medizinalrnth in Mindeii 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdlg., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die dnrchlaafende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Yerla^handlnn^ and Rnd. Motte 

entgegen. 


No. n. 


Bmelieiiit «m 1. nnd 15. Jeden Monats« 
Froio JEhrlioh 10 Mark« 


1. Septbr. 


Die Aetiologie des Abdominaltyphus, namentlich seine Konta- 
giosität und die gegen die Verbreitung desselben zu er¬ 
greifenden sanitätspolizeilichen Massregeln. 

Von Dr. P. Seliger, prakt Arzt in Barten (Kreis Bastenburg). 

(Schluss.) 

Gemäss der Hauser’ sehen *) Eintheilung betrachten wir nun: 

I. Die Bekämpfungsmassregeln der bereits aus¬ 
gebrochenen Seuche: Jede Bekämpfungsmassregel ist stets 
unvollkommen, da die Desinfektion des lö’anken ohne Gesundheits¬ 
schädigung sehr schwierig ist.*) Die Gefahr, welche ambulante 
Fälle mit sich bringen, ist zu betonen. Den Kranken wird man 
der reichlichen Anwendung hydriatischer Prozeduren mit nicht 
infizirtem Wasser unterziehen, womit zugleich therapeutische 
Zwecke verbunden sind. Das abgängige Badewasser ist zu des- 
infiziren.®) Die Desinfektion der Körperoberfläche von Rekonvales¬ 
zenten wird nöthig sein,*) auch werden eigene Rekonvaleszenten¬ 
stationen zu errichten sein. Der Uebertragungsmöglichkeit durch 
Gesunde ist Aufmerksamkeit zu widmen und den Typhuswärtem 
wird man eine sorgfältige Pflege des Mundes und Reinhaltung 
der Hände zur unumgänglichen Pflicht machen.®) Die Kranken 
wird man möglichst isoliren und bei jedem epidemischen Auf¬ 
treten mit polizeilichen, zweckmässig (ohne Polsterungen) einge¬ 
richteten, später gründlich zu desinfizirenden Transportmitteln 
baldmöglichst in das Krankenhaus verbringen, wobei man jedoch 


*) Typhusepidemie in Triberg in den Jahren 1884 nn 1885, S. 154. 

^ Flügge: Lehrbuch der hygienischen Untersuchnngsmetboden. Leipzig 
1881, S. 474. 

*) Vergl. Hauser; 1. c., S. 180. 

*) Vergl. Koch’8 Rede, S. 36. 

®) Ibidem und Wernich; Abdominaltyphus, S. 174. 







430 


t)r. Seliger. 


bedenkliches Anhäuien und Zusammendrängen der Kranken zu 
vermeiden hat, da dabei die Mortalität der Erkrajikten und auch, 
die Infektiosität der Krankheit zunehmen könnte.^) Strenge Durch¬ 
führung der Anzeigepflicht mit Anheften der Tafel an dem in- 
flzirten Hause haben sich in der Triberger Epidemie *) be¬ 
währt. Der Verkehr ist zu beschränken, Ansammlung grösserer 
Menschenmengen ist zu verhindern durch das Verbot des Ab¬ 
haltens von Jahrmärkten, feierlichen Leichenbegängnissen, Sisti- 
rung der Gerichtsverhandlungen, Schliessung der Schulen 
da gerade die Wasser trinkenden Schulkinder mit Vorliebe er¬ 
kranken.*) Die Leichen werden ungereinigt in ein mit fünf- 
prozentiger Karbolsäure getränktes Tuch geschlagen, sofort ein 
gesargt und nach 24 Stunden bis zur Beerdigung dem Leichenhause 
in festen und zweckmässig ausgepichten Särgen überwiesen.^) 

Auch die Desinfektion der Abgänge*) wird unvollkommen sein, 
da nur ein Theil derselben wirklich in die dazu bestimmten Gefasse 
gelangt. Daher muss alles, was nur irgendwie mit denselben in 
Berührung gekommen ist, ebenfalls desinfizirt werden. Baldmöglichst 
nach der Entleerung ist die Desinfektion der Abgänge im Keinen 
vorzunehmen Der Gebrauch gemeinschaftlicher Aborte ist streng 
zu verbieten^. Sublimat, *) Karbolsäure,®) siedendes Wasser ‘®) haben 
den Nachtheil, dass sie das Eiweiss koaguliren und nun nicht mehr 
genügend desinfiziren. Der Chlorkalk'ist nach Nissen^^) hierzu 
am Geeignetsten und zwar ist auf 100 ccm. Fäces 1 gr. Chlor¬ 
kalk zuzusetzen und 2 Minuten kräftig zu verrühren, alsdann nach 
10 Minuten das Ganze zu entfernen, während bei konzentrirter 
Kalkmilch 1 Stunde dazu nöthig ist. **) Der Chlorkalk muss trocken 
aufbewahrt werden und darf vor dem Gebrauch nicht der Luft aus¬ 
gesetzt werden; die Chlorkalkflüssigkeiten selbst sind leicht zersetz- 
Uch. ^*) Für die Desinfektion im Grossen ist der Chlorkalk also nicht 
geeignet. Die desinfizirten Stuhlgänge sind alsdann an einer zweck¬ 
mässigen Stelle (tiefer Grundwasserstand) wenigstens 3—4 Fuss 
tief unter der Erdoberfläche zu vergraben oder mit Erde hoch zu 
überschütten. **) 

*) VergL Koch’s'Rede, S. 34; Wernich: Abdominaltyphas, S. 174. 

®) Hauser; 1. c., S. 161. 

®) Ibidem und Letzerich; Experimentelle Untersuchungen über die 
Aetiologie des Typhus abdominalis mit besonderer Berücksichtigung des Trink- 
und Gebrauchswassers. Leipzig, 1883. S. 11. 

*) Vergl. Weiss: Darmtyphus und Wasserleitung; Zentralbl. f. allge¬ 
meine Gesundheitspflege; IX. Jahrgang, 1890, 2. u. 3. Heft, 71, sowie 
Schlokow: Der Preussische Physikus; 2. Auflage, 1889, B. I, S. 338, §. 17 
und Mehlhausen; Cholerakonferenz; S. 77. 

‘) Koch: Cholerakonferenz, S. 68 u. 69. 

*) Hauser; 1. c., S. 167. 

Weiss; 1. c., S. 71. 

*) Vergl. Jäger; Arbeiten a. d. Eaiserl. Gesundheitsamte, V. B., 1889, 
S. 289 und Mittenzweig: Bakterienätiologie, S. 55. 

Vergl.Koch; Mittheil.a.d.Kaiserl.Gesundheitsamte, I.B., 1881, S.242. 

’®) Baumgarten; Jahresberichte, III. B., 1887, S. 156. 

>‘) Zeitschr. f Hygiene, VIII. B., 1890, S. 71. 

•*) Vergl. Pfuhl; Zeitschr. f. Hygiene, VI. B., 1889, S. 101. 

’*) Zeitschr. f. Hygiene, VHI. Bd., S. 70. 

**) Hauser; 1. c., S. 183 und Flügge: Untersuchungsmethoden; S. 470. 



Die Aetiologie des Abdominaltyphris etc. 


431 


Bei Abtritts • Infektion sind die Sitzbretter und Abtritts¬ 
trichter mit 5°/o Karbolsäure oder besser wohl nach vorgän¬ 
giger gründlicher Reinigung mit 5®/o Sodalösung mit konzen- 
trirter Karbolschwefelsäuremischung zu desinfiziren. Während 
der Epidemie ist jede Räumung zu unterlassen wegen der Ver¬ 
schleppungsgefahr von Infektionsstoffen.*) Kalk ist ein äusserst 
wirksames Desinfektionsmittel für die Typhusbazillen. Pfuhl*) 
versetzte 1 Gewichtstheil pulverförmigen Kalkhydrates mit 8 Theilen 
Wasser. Die Typhuskeime waren in den mit dieser Kalkmilch 
versetzten Fäkaüen bereits getödtet, wenn eine starke Bläuung 
von rothem Lackmuspapier hervorgerufen wurde (man spaltet ein 
Stöckchen, klemmt einen Streifen rothen Lackmuspapieres ein und 
senkt dieses ein, nachdem es ein wenig mit reinem Wasser ange¬ 
feuchtet ist). Der üble Geruch wurde gleichfalls vermindert» 
Während aber alle dünnen Massen von der Konsistenz der Typhus¬ 
ausleerungen, nach der Alkaleszenz zu urtheilen, sicher desinfizirt 
waren, fand man doch unter der Obei'fläche stellenweise festere 
Inseln von der Konsistenz eines zähen Breies und geringerer Alka* 
leszenz. Da diese immerhin durch die diarrhöischen Typhus¬ 
ausleerungen infizirt werden können,*) so dürften doch grössere 
Mengen des Desinficiens als die eben vorgeschlagenen emptehlens- 
werth sein. 

Bettzeug, Lagerstroh will Virchow*) einfach verbrennen, 
was aber doch seine sehr engen Grenzen haben dürfte und nur 
für werthlose Gegenstände anwendbar ist. Zu vermeiden ist alles 
Schütteln und Abstäuben der vom Kranken benutzten Leib-, 
Bettwäschestücke etc. Diese Sachen sind nach §. 6 der Ber¬ 
liner Desinfektions-Anweisung zu desinfiziren. Durch gründliche 
Reinigung der Wäsche imd lüeidungsstücke mit ö^/o Sodalösung, 
Kochen ^2 Stunde lang im Wasser und Nachbehandlung mit heisser 
Kaliseifenlösung kann man den unangenehmen Karbolgeruch ver¬ 
meiden. Alle nicht waschbaren Kleidungsstücke sind ganz vor¬ 
sichtig, namentlich poröse Gegenstände, Matratzen, Kissen, Decken 
ohne viel zu rühren oder zu schütteln, mittelst polizeilicher 
Transportmittel, nach §.11 der vorgenannten Anweisung behandelt, 
in eine Desinfektionsanstalt zu bringen und hier mit strömendem 
Wasserdampf von 100° C. je nach dem Feuchtigkeitsgehalte 1 bis 
2 Stunden oder noch länger, womöglich nach vorheriger Trocknung 
durch heisse Luft, zu behandeln. *’) Die Desinfektiongebäude haben 
aber, abgesehen von ihrer Kostspieligkeit, den grossen Nachtheil, 
dass sie einen Massentransport von verunreinigten Gegenständen 
nothwendig machen.^ Durch den Transport der Wäsche nach 


*) S. §. 7 der Desinfektionsanweisung des Polizeipräsidenten in Berlin 
vom 7. Februar 1887. 

*) Hauser; 1. c., S. 178. 

=•) Pfuhl; Zeitschr. f. Hygiene, VII. B. 1889, S. 305—370. 

*) Zentralbl. f. Bakteriologie, VI. B., Nr. 3. 

®) Cholerakonferenz, S. 73. 

“) Vergl. Esmarch; Zeitschr. f. Hygiene, ü. B., S. 367. 

') Vergl. Virchow; Cholerakonferenz, S. 73. 



432 


t)r. Selig^er. 


entfernten Plätzen können bei der grossen Eesistenzfähigkeit der 
Typhusbazillen gegen Eintrocknen leicht neue Verschleppungen 
stattfinden, weshalb Virchow* **) ) kleinere, transportable Desinfek¬ 
tionsapparate vorzieht. 

Starke Durchlüftung bringt nur dann eine Loslösung 
der anhaltenden Keime von den Kleideni zu Stande, *) wenn 
Klopfen und Bürsten damit verbunden ist, Manipulationen, 
die nicht zu empfehlen sind. Trockene Hitze (Vs Stunde lang 
Erwärmen im Backofen bei 120® C.) reicht für komplizirtere 
typhusinfizirte Gegenstände schwerlich aus®),denn die Typhusbazillen 
ertragen 20 Minuten lange Anwendung des Trockenschranks von 
100 ® C.). Die Durchräucherung der Bettstücke und Kleider mit Chlor, 
Schwefel oder Sublimatdämpfen (letztere erklärt Kreibohm^) für 
werthlos) ist nur bei hohen Graden der Konzentration und sehr 
langer Einwirkung, wodurch aber die Gegenstände sehr leiden, 
von Nutzen.®) Gerade auch durch das wirksame Befeuchten der 
Gegenstände leiden die Kleidungsstücke an der Farbe®), was ja 
beim strömenden Wasserdampf bei einmaliger Desinfektion so gut 
wie nicht der Fall ist.’) 

Am schwierigsten sind Ledersachen zu desinfiziren. Durch 
strömenden Wasserdampf werden sie in kürzester Zeit hart, brüchig 
und vollkommen unbrauchbar;*) unter Umständen können sie schon 
durch blosse Befeuchtung verdorben werden.®) 

Bettstellen, Nachtstühle, Lamberien, Böden und dergl. lässt 
Hauser mit Schmierseifenlösung abwaschen; besser ist wohl die An¬ 
wendung von 5®/o Sodalösung als Vorbereitung neben gründlicher 
Reinigung — auf Fugen und Ritzen achten! — und nachher (Berliner 
Desinfektionsanweisung §.13) Anwendung von 5 ®/o Karbolsäurelösung. 
Polirte und geschnitzte Möbel, Bilder mit Rahmen, Metall- und 
Kunstgegenstände werden mit trockenem Lappen scharf abgerieben. 
An Eisentheilen, soweit sie nicht der Hitze ausgesetzt werden 
können, eignet sich am Besten Theeranstrich. ‘®) 

Infizirte, durchseuchte Gebäude sind zu räumen und erst 
nach exakter Desinfektion geraume Zeit später wieder zu beziehen. 
Bei durchnässter oder verunreinigter Füllung unter den Dielen 
wird diese erforderlichen Falls durch ein passendes trockenes 


*) Cholerakonferenz, S. 73. 

*) Stern; Zeitscbr. f. Hygiene, VH. B. 1889, S. 74. 

*) Marpmann; 1. c., S. 80. 

*) Kreibohm: Zur Desinfektion der Wohnränme mit Sublimatdämpfen; 
Zeitscbr. f. Hygiene, I. B. 1886, S. 367. 

®) Hauser; 1. c., S. 181. 

^ Wolffhügel: lieber den Werth der schwefligen Säure als Desinfek¬ 
tionsmittel. Mittheil. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, I. B. 1881, S. 232. 

F. Levison: Der Einfluss der Desinfektion mit strömendem und ge¬ 
spanntem Wasserdaropf auf verschiedene Kleidnngsstoffe; Zeitschr. f. Hygiene, 
VI. B. 1889, S. 225 u. 232, sowie Esmarch, ibidem, B. II 1887, S. 366. 

*) Jäger; Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundbeitsamte, V. B. 1889, S. 247. 

Ibidem, S. 292. 

**) Vergl.ibidem, S. 291 n. 292 sowie Stern; Zeitschr. f. Hygiene, VII. B., 
1889, S. 72 und Zirkular-Erlass vom 9. April 1888, betreffend üeberschwem- 
mnngen, Absatz 10 n. 18. 



Die Aetiologie des Abdomiiialt 3 rpha 8 etc. 


433 


Material za ersetzen sein und bei allen schadhaften Dielen er¬ 
scheint eine Neudielung geboten. Die zu desinfizii*enden Käum- 
lichkeiten sind nach Entfernung des Mobiliars einen Tag geschlossen 
zu halten, dann wird zunächst derFussboden mit S”/® Sodalösung 
oder mit 7,5 ®/o Kali- oder Natronlauge gründlich, namentlich Fugen 
und Ritzen, auf nassem Wege gereinigt und mit Karbolschwefel¬ 
säurelösung wiederholt nachdesinfizirt, wobei man das Scheuer¬ 
mittel in etwaige Dielenfugen einziehen lässt und mit Wasser 
zur Beseitigung des Karbolgeruches nachwäscht. 

Von den Kalkwänden wird der nasse oder mit Auswurfs¬ 
stoffen der Kranken besudelte Abputz nach vorheriger Anfeuchtung 
mit Karbolschwefelsäuremischung entfernt, dann die Wände durch 
mindestens 6 Tage dauerndes Lüften und Heizen ausgetrocknet p 
und zum Schluss dieselben und die gleich behandelte Decke mit 
konzentrirtem Kalkanstrich wiederholt getüncht. Auch feuchte oder 
besudelte Tapeten sind vorsichtig, ohne zu schütteln, auf gleiche 
Art zu entfernen, andere Tapeten werden mit Brot trocken und 
schart abgerieben; ebenso mit Del gestrichene Wände.’) Das 
Brot und die zur Desinfektion verwendeten Lappen und Tücher 
oder Pinsel werden verbrannt oder Lappen und Tücher zweck¬ 
mässig desinfizirt. 

Die infizirte Wasserversorgung wird dem Verkehr ent^ 
zogen und erst 6—12 Wochen je nach der Jahreszeit nach, Er¬ 
löschen der Epidemie wieder zugänglich gemacht nach gründlicher 
Desinfektion und Beseitigung aller Infektionsquellen. Gekochtes 
Wasser schmeckt fade; die Kleinfiltration fungirt noch zu unge¬ 
nügend.*) Auch die Hesse’schen Asbestfilter,®) sowie Maignen’s 
Asbestfilter®) müssen sich erst praktisch bewähren. 

Künstliches Eis ist während der Epidemie zu verabfolgen, 
Selterwasser darf zum Verkehr nur im völlig abgelagerten Zu¬ 
stande zugelassen werden. 

Bei den Wasserversorgungen ist zunächst jede kommuni- 
zirende Kothgrube vorsichtig nach gründlichster Desinfektion zu 
entleeren. Die nach C. Fränkel^ stets verdächtigen Kessel¬ 
brunnen müssen vollständig ausgepumpt und mechanisch gründlich 
gereinigt, sodann mit Kalkpulver (10—25 kg. 20®/o Kalkmilch 
pro Brunnen) desinfizirt werden. *) In die sehr empfehlenswerten 
Röhrenbrunnen ist nach der mechanischen Reinigung, nach Ab- 


>) Vergl. den vorgenannten Zirkular-Erlass, Absatz 11 n. 12, sowie 
Koch, Cholerakonferenz, S. 75. 

^ Zirkular-Erlass vom 14. Juli 1884, betreffend Massregeln zur Be¬ 
kämpfung der Cholera. 

^) Es mar eh: Der Keimgehalt der Wände und ihre Desinfektion; Zeitschr. 
f. Hygiene, VI. B. 1887, S. 518 u. 519, sowie §. 13 der Berliner Anweisung. 

*) C. Fränkel und Piefke: Versuche über die Leistung der &md- 
liltration; Zeitschr. f. Hygiene, VHI. B. 1890, S. 26, sowie Koch’s Rede A 30. 

®) Baumgarten; Jahresberichte, L B. 1885, S. 180. 

•) Ibidem, IV. B. 1888, S. 557. 

C. Fränkel: Untersuchungen der Brnnnendesinfektion und den Keim¬ 
gehalt des Grundwassers; Zeitschr. f. Hygiene, VI. B. 1889, S. 65. 

Ibidem, S. 64 und Abs. 24 des Okular-Erlasses vom 9. April 1888. 



434 


Dr. Seliger. 


schrauben des Pumpenkopfes, 1—2 Liter konzentrii’ter Schwefel¬ 
karbolsäuremischung zu giessen. 

Der Milchverkauf, der Handel mit Mehl, Brot und sonstigen 
Nahrungsmitteln (Butter) aus Typhushäusem ist zu ver¬ 
bieten und gerade hier eine Belehrung für das Publikum, 
ähnlich der Ministerial-VerfHgung vom 14. Juli 1884 für die 
Cholera sehr zweckmässig. — Verdächtige Molkereien sind 
sofort zu schliessen. Ueberhaupt ist zu verbieten, dass eine 
Person, die vor Kurzem mit einem Typhuskranken in Berührung 
kam, Kühe melkt oder irgend welchen Antheil bei dem Ge¬ 
schäft des Milchhandels nimmt. Am Sichersten schützt gegen 
Infektion sterilisirte Milch (Soxhlets Milchsterilisirungs- 
apparat, Gronwald-Oehlmann ’scher Apparat zur Milch - Sterili¬ 
sation im Grossen). 

n. Vorbeugungsmassregeln gegen ein erneutes 
Auftreten der Seuche: 

Neben Verbesserung der Wohnungs- und Salubritätsverhält- 
nisse ist als die wichtigste Massregel Reinhaltung der Erdober¬ 
fläche und der Wasserversorgungen zu betrachten. Hinsichtlich 
der Reinhaltung der Erdoberfläche ist bei kleineren 
Orten*) Drainirung des Bodens durch Abzugskanäle und Einführung 
«ines Tonnensystems ausreichend. Uebrigens ist nach Virchow®) 
auch für grössere Orte das so empfehlenswerthe getrennte System 
der Tonnenabfuhr und der Kanalisation und Schwemmung der 
Spülwässer, wobei die Fäkalien nicht in die Flüsse und auf die 
Felder gelangen, sondern zweckmässig vergraben werden können, 
durchaus ausführbar.*) Bei der Frage, ob Kanalisation oder Ab¬ 
fuhr, kulminirt die Schwierigkeit ja in der Entscheidung des 
Punktes über den endlichen Verbleib der Auswurfsstoffe. Die 
gleichsam freiwillige Reinigung des schnell strömenden Wassers 
findet nicht durch die oxydirenden Eigenschaften desselben statt, 
so dass in kurzem Zeiträume die organischen Stoffe unschädlich 
sind, sondern vielmehr durch den Absatz der schwereren Theile 
im Bett und an den Ufeni des Flusses.®) Das Ablassen grosser 
Mengen infizirter Fäkalien und Spülwässer auch in stärker 
strömende Flüsse ist thatsächlich niclit nur für die unterhalb der 
Flussverunreinigungsstätte Wohnenden,®) sondeni nach C ursch- 
mann’') bei den Verhältnissen der Fluth bisweilen auch für die an der 
Stätte selbst Wohnenden gefährlich. Zur Abstellung dieser Uebel- 
stände bleibt nur eine möglichst zweckmässige Anwendung der Sand¬ 
filtration, event. Berieselung natürlichen Bodens und Sammlung des 
Filtrationswassers übrig. *) Beides sind aber keineswegs fehlerfreie 


*) Hauser; 1. c., S. 166. 

*) Ibidem; 1. c., S. 193. 

*) Kanalisation oder Abfuhr, S. 10. 

<) Vergl. auch Koch; Cholerakonferenz, S. 69. 

Hauser; I. c., S. 192. 

*) Pfuhl; Deutsche militärnrztl. Zcitschr. 1888, S. 407. 

Vergl. Heller: Die Forschung über die akuten Infektionskrankheiten 
im Jahre 1891, ärztlicher Praktiker, V. Jahrgang 1892, S. 217 n. 218. 

’ ") Hüppe in Baumgartens Jahresberichten, Ul. B, 1887, S. 432. 


1 



Die Aetiologie des Abdominaltyphus etc. 


435 


Notlibehelfe, denn die Sandfilter sind keine keimdicht arbeitenden 
Apparate. Zweckmässige Behandlung der Filter und eine lang¬ 
same Filtration, höchstens 50 mm. für die Stunde vermindern jedoch 
ihre Gefahren.*) Koch (die Wasserversorgung von Zürich 
S. 75) begutachtet, dass nur Sandfilter von ca. 1,5 m. Mächtigkeit, 
wovon ca. 1 m. auf die eigentlich filtrirende Sandschicht falle, 
gute Wirkung entfalten können, und einem solchen Filter dürfe 
keine höhere Leistung zugemuthet werden, als durchschnittlich 
3 m. Wasser vom Quadratmeter Filtei'fläche in 24 Stunden. Ferner 
müsse eine Filteranlage aus mehreren, in entsprechenden Zeit¬ 
räumen zu reparirenden, wechselweise benutzten Filtern bestehen. 
Schwierig ist die Beurtheilung der Brauchbarkeit einer solchen 
Filteranlage. Die chemische Beschaffenheit des filtrirten Wassei’s 
ist gamicht massgebend, *) auch die Keimanzald im Kubikzentimeter 
kann nur unter dem Vorbehalt tür die Güte eines Wassers be¬ 
weisend sein, wenn die Möglichkeit einer sekundären Verunreini¬ 
gung vollständig ausgeschlossen ist. ®) Unter dieser Einschränkung 
nun ist der zulässige Keimgehalt für eine normal betriebene 
künstliche Sandfiltration nach den bisherigen Erfahrungen auf 50 
bis höchstens 150 pro 1 ccm. des Irisch filtrirten Wassers und 
auf höchstens 300 pro 1 ccm. im Leitungswasser einer Stadt fest¬ 
zusetzen. Derartiges Wasser ist dann noch der Kleinfiltration zu 
unterziehen oder nur im frisch gekochten Zustande zu geniessen. 

Der Unzulänglichkeit der Filteranlagen und Kesselbrunnen wegen 
wird das Hauptgewicht stets auf Beschaffung eines reinen, möglichst 
vorzüglichen Rohmaterials von Wasser zu legen sein. Einstimmig 
wird das Grundwasser, wenn es sich in zuverlässig filtrirenden 
Bodenschichten bewegt (Anlage auch der Grundwasserröhrenbrunnen 
in grösstmöglicher Entfernung von Aborten) und durch Röhren¬ 
brunnen, die keineswegs die erste undurchlässige Bodenschicht 
durchsetzende Tiefbrunnen zu sein brauchen*), zu Tage gefördert 
wird, als das den besten Schutz gegen Infektionsgefahr gewährende 
Wasser angesehen. Auch Hüppe®) legt das Hauptgewicht auf 
zentrale Wasserversorgung mit durch die natürliche Bodenfiltration 
und Absorption gereinigtem, als Quelle zu Tage tretendem oder 
durch Tiefbohrung erschlossenem Grundwasser. Dies kostbarste 
Gut, die Quellen, sind weitab von menschlichen Wohnungen (Wies¬ 
badens jüngste Typhusepidemie wurde z. B. in Folge direkter Quellen¬ 
infektion dui’ch die Fäces eines typhuskranken Arbeiters veranlasst) 
zweckmässig recht tief, 3—5 Meter unterhalb der Oberfläche zu 
fassen.*) Die Mängel des Grundwassers liegen darin, dass in 
Folge seiner Eisenhaltigkeit der in den Leitungen abgelagerte 


*) Fränkel; Zeitschr. f. Hygiene, VIII. B. 1890, S. 21—30. 

*) Koch ’3 Rede S. 31 und W. Heraeus: Ueber das Verhalten der 
Bakterien im Brunnenwasser, sowie über reduzirende und oxydirende Eigen¬ 
schaften der Bakterien; Zeitschr. f. Hygiene, I. B. 1888, S. 203. 

Proskauer und Plagge: Bericht über die Untersuchungen des 
Berliner Leitungswassers; Zeitschr. f. Hygiene, 11. B. 1886, S. 488. 

*) Ibidem, S. 487. 

Banmgarten; Jahresbericht, III. Bd. 1887, S. 432. 

*) Hauser; 1. c., S. 188. 



i36 


Dr. Seliger: Die Actiologic des Abdomiualtyphas etc. 


Eisenschlamm regelmässig dem Fadenpilz, der die Eöliren ver¬ 
stopft, als Brutstätten dient. Bei Leitungswasser lässt sich jedoch 
diesem Mangel abhelfen. 

Wo die Gefahr des Versiegens des Grundwasserstroms droht, 
sind wir für die zentrale Wasserversorgung auf den allerdings 
mangelhaften Ersatz durch künstlich filtrirtes Bach-, Fluss- oder 
sonstiges Oberflächenwasser angewiesen. 


Resum6. 

1. Der Typhusbacillus wurde in 90®/o der Fälle gefunden. 

2. Die Typhusbazillen verursachen den Typhusprozess. 

3. Postmortale Vermehrung erscheint noch fraglich. 

4. In den Dejektionen und im Urin treten die Typhusbazillen 
unter Umständen an die Aussenwelt in bei günstiger Temperatur 
(16 —32 ® C.) auch vermehrungstähigem Zustande. 

5. Die Typhusbazillen zeigen bestimmte, nur für sie charak¬ 
teristische Merkmale, nicht so sehr in ihrem Verhalten unter dem 
Mikroskop und gegenüber dem Färbe verfahren, als in ihrem Ver¬ 
halten beim Züchten auf besonders für diesen Zweck hergerichteten 
Nährsubstraten. Jedoch müssen zur Sicherung der Diagnose 
„Typhusbacillus“ stets alle bakteriologischen und biologischen 
Merkmale in Betracht gezogen werden. 

6. Den Typhusbazillen kommt eine grosse Resistenz sowohl 
gegen Einti*ocknung und die Einwii’kung trockener Hitze, als 
auch eine relativ grosse gegen die Einwii'kung feuchter Hitze, 
ferner gegen Kälteeinwirkung und die Einwii'kung des Kohlen¬ 
säurestromes zu. Gegen Alkalien sind sie weniger widerstands¬ 
fähig wie die Cholerabazillen; dagegen gegen Säuren sehr wider¬ 
standsfähig. (Wichtig für das Kulturverfällen!) 

7. Sporen der Typhusbazillen existiren nicht. 

8. Gesunde Fäkalien werden durch Typhusbazillen infizirt 
und können sich die Bazillen in derartigen Fäkalien bei günstiger 
Temperatur auch vermehi*en. Auf der Bodenoberfläche erhalten 
sich die Typhusbazillen unter Umständen gleichfalls eine Zeitlang 
lebensfähig, jedoch ohne sich zu vermehren. 

9. Die grössten Feinde der Typhusbazillen in den natür¬ 
lichen Nährmedien sind die die Gelatine vei-flüssigenden Bakte¬ 
rienarten. 

10. Im natürlichen Wasser können sie sich bei annähernder 
Brunnentemperatur nahezu 2—2^2 Wochen unter Umständen lebens¬ 
fähig erhalten (Selterswasser!), bei günstiger Temperatur auch 
hier vermehren; in der natürlichen Milch erhalten sie sich bei 
13 bis 18® C. 35 bis 48 Tage lebensßlhig, in der Butter über 3 
Wochen lang. 

11. Die Uebertragungsmöglichkeit durch die Luft bleibt nur 
für Ausnahmefälle auch der Boden ist nur als Durchgangsstation 
aufeufassen, dagegen haben sich Typhusbazillen in den Wohnungen 
bis fest 2 Jahre lang lebensfähig erhalten. 

12. Del* Gefahr der Verschleppung des Typhus durch ambu¬ 
lante Kranke und Gesunde lässt sich nur schwer begegnen. Sehr 



t)r. Gottschalk: Eine Sarggebort. 437 

geföhrlich sind die Typhusrekonvaleszenten. Der Verkehr ist zu 
beschränken, dem Leichenwesen ist Aufmerksamkeit zuzuwenden. 

13. Die Desinfektion hat sich namentlich auf die Einzelstuhl¬ 
gänge und den Ham, sodann auf die Abtritte zu erstrecken. 

14. Effekten, Wäsche, Möbel weiffen nach bekannten Ge¬ 
setzen desinfizirt. 

15. Der Desinfektion der Wohnungen ist erhöhte Aufmerk¬ 
samkeit zu widmen. Durchseuchte Quartiere dürfen überhaupt 
erst nach geraumer Zeit und gewissen baulichen Veränderungen 
wieder bezogen werden. 

16. Die infizirteii Brunnen und Wasserleitungen sind zu 
schliessen und erst je nach der Jahreszeit 1’/*—3 Monate nach 
Erlöschen der Epidemie und nach zweckmässiger Desinfektion 
wieder dem Verkehr zu übergeben. Der Handel mit natürlichem 
Eis ist zu überwachen. Selterswasser darf nur im gehörig abge¬ 
lagerten Zustande verkauft werden. 

17. Dem Milchhandel und den Milchprodukten, sowie dem 
Verkehr mit anderen Nahrungsmitteln ist grosse Aufmerksamkeit 
zu widmen. Verdächtige Molkereien sind sofort zu schliessen. (Be¬ 
lehrung an das Publikum!) 

18. Die Vorbeugungsmassregeln haben sich namentlich auf 
die zweckmässige Reinhaltung der Erdobeidläche und auf die 
der Wasserversorgung zu erstrecken. Das Hauptgewicht ist stets 
auf die Beschaffung eines möglichst vorzüglichen Rohmaterials von 
Wasser zu legen (Grundwasser). 


Eine Sarggeburt. 

Von Dr. Gottschalk, Ereisphysikns in Rosenberg O./S. 

Beobachtungen von Geburten, welche erst mehrere Tage nach 
dem Tode der Schwangeren spontan eintraten, gehören immer noch 
zu den grossen Seltenheiten und dürfte schon desshalb jeder neue 
Beobachtungsfall einiges Interesse beanspruchen, ganz abgesehen 
davon, dass möglicherweise seine Veröffentlichung auch zur Klärung 
der Ansichten über die Art des Zustandekommens dieser eigent- 
thümlichen GeburtsVorgänge beitragen könnte. 

Die Geschichte des von mir jüngst erst gelegentlich der Vor¬ 
nahme einer gerichtlichen Obduktion beobachteten Falles ist in 
Kürze folgende: 

Eine kräftige hochschwangere Bauerfrau, Mutter meh¬ 
rerer Kinder, erkrankte gegen Ende Mai angeblich an „Stichen 
im Kopfe“ und wurde bettlägerig. Ein Arzt wurde zunächst nicht 
zugezogen und nur von einem entfernten Heilschäfer Verordnungen 
eiugeholt, in mehreren (lateinischen!) Rezepten bestehend, welche 
in einer Apotheke angefertigt und vorschriftsmässig angewendet 
wurden, aber nur zur Folge hatten, dass die Frau kränker wurde 
und schliesslich das Bewusstsein verlor. Erst dann, am 5. Juni d. J. 
entschloss man sich zur Herbeiziehung eines Arztes, der aber nicht 
einmal mehr die Krankheit festzustellen vermochte, da bei seiner 



438 


Dr. Gottschalk. 


Ankunft die Frau bereits in Agonie sich befand und am folgenden 
Tage verstarb. 

Einen Tag vorher, am 4. Juni, war die Kranke, walirscliein- 
licli in Folge der Annalmie der Angehötigen, dass die schweie 
Krankheit mit der Schwangerschaft in irgend welcliem Zusammen¬ 
hänge stehen könne, von einer Hebamme untersuclit worden. Diese 
soll indess nichts Besonderes 'walirgenommen und den Angeliöi igen 
nur mitgetheilt haben, dass im Unteileibe „Alles in Ordnung“ und 
die Entbindung im nächsten Monat (Juli) zu erwarten sei. 

Ueber Schmerzen im Leibe soll die Kranke bis zu ihrem 
Tode niemals geklagt haben, auch ist bis dahin kein Blut- oder 
Wasserabgang bemerkt worden. 

Nachdem die Frau am 6. Juni d. J.. Mittags ’/g 1 Uhr, vei - 
storben war, wurde sie am folgenden Tage Nachmittags gewaschen, 
mit Sterbehemd bekleidet und in den am Boden mit giitben Ho!»el- 
spähnen bedeckten Sarg gebettet, bei welcher (Telegenheit die 
damit beschäftigten Personen Jiichts Auttalliges an der Leiche 
wahrnahmen. Die gewünschte baldige Beerdigung wurde hinaus¬ 
geschoben, da der Verdacht einer sträflichen Vernachlässigung 
der Kranken seitens der Angehörigen aultauchte. Die Staatsan¬ 
waltschaft bemächtigte sich des Falles und ordnete die gericht¬ 
liche Sektion an, welche, durch Vorverhandlungen verzögert, erst 
am 11. Juni d. J. vorgenommen werden konnte. 

Bis dahin war die Leiche 4 l’age lang in einem geschlosse¬ 
nen Wohnzimmer aufgebahrt gewesen und erst am Abend des 
10. Juni, als der Fäulnissgeruch unerträglich wurde, in einen 
luftigen Schuppen überführt worden. 

Bei der Entkleidung der Leiche zum Zwecke der Obduktion 
(am 11. Juni Morgens 8 Uhr) bemerkten wir vor den Geschlechts- 
theilen derselben ein kindskopfgrosses rundliches Fleischgebilde 
von theils grünlichem, theils schmutzigrothem Aussehen, das sich 
als umgestülpte und vorgefallene Gebärmutter herausstellte. 

Vor dieser lag ein kindlicher Leichnam weiblichen Geschlechts, 
im Allgemeinen hellgrün von Farbe, etwas abgeplattet, an einzel¬ 
nen Stellen des Bauches und Gesichts von der Oberhaut entblösst. 
Die kindliche Leiche lag, halb auf die rechte Seite geneigt, mit 
dem Rücken gegen die Innenseite des mütterlichen linken Ober¬ 
schenkels gelehnt, mit dem Kopfe an und zum Theil unter 
der Gebärmutter, die Füsse nacli dem unteren Sargende zu ge¬ 
lagert, und stand mit einer 41 cm langen, leicht gedrehten, weichen, 
schwarzbraunen Nabelschnur mit dem fauligen, schmutzig dunkel- 
rothen, init Eihautfetzen bedeckten und ebenfalls frei zwischen 
den Schenkeln der Frau im Sarge liegenden Mutterkuchen in 
Verbindung. 

Die äusseren Geschlechtstheile der mütterlichen Leiche waren 
schwarzgrün, gedunsen, der Unterleib ausserordentlich stark kuppel- 
förmig aufgetrieben, Magen und Därme bis zur äussersten Prallheit 
von Gasen aufgebläht. Auch im üebrigen ergab die Sektion weit 
vorgeschrittene Fäulniss, die eine sichere Feststellung der tödt- 
lichen Krankheit nicht mehr zuliess. 



Eine'. Sarggeburt. 


439 


Die gleichfalls ausgeführte Sektion der Kindes 1 eiche er¬ 
gab im Wesentliclien folgenden Befund: 

Länge 45 cm, Gewicht 2000 gr. 

Ausgesprochene Kopfgeschwulst auf der rechten Hinterhauptsseite, deren 
Durchschnitt röthlich-gelbes sulziges Gewebe erkennen liess. Kopfiimfaiig 
30 cm, gerader Durchmesser des Kopfes 9 cm, querer 7 cm, diagonali‘r 12 cm. 
Grosse Fontanelle 3 cm laug und 2 cm breit, kleine Fontanelle i cm lang und 
0,5 cm breit. 

Brustumfiing 24 cm, Seliultcrbrcite 11 cm, Hiiftbnnte 8 cm. 

Durchmesser des Oberschenkel - Knoehcnkerns 4 mm. 

Die spärlichen Kopfhaare 1,5 cm lang. 

Ein Pupillarmembran nicht mehr vorhanden. 

Ohren und Nasenknorpel härtlich. Die festen Fingernägel erreichen eben 
die Fingerspitzen. 

An Gesicht und Brust weisslicher käsiger Ueberzug. 

Die grossen Schamlippen klaften ein wenig. 

Wie zu erwarten war, ergab die Luugeuprobe ein negatives Resultat. 
In den Brustfellsäcken ca. 60 cbem blutig seröser Flüssigkeit; auch im Herz- 
IxMitel 1 TheelölVel dunkelrotlier Flüssigkeit. In den Dickdärmen Kindspech. 

Die untereinander verschieblichen Kopfknochen fest und kräftig entwickelt. 

Das Gehirn ein dickflüssiger graugrüner Brei. — 

Nach diesen Befunden war also das Kind ein neuge¬ 
borenes, lebensfähiges und nahezu ausgetragenes. 

Auf meine alsbald angesteilten Nachforschungen bezüglich 
des Zeitpunktes der Ausstossung der Frucht erfuhr ich von den 
Angehörigen (die übrigens dieselben Aussagen auch dem Richter 
gegenüber machten), dass am 10. Juni ein Herabträufeln von 
Flüssigkeit aus dem geschlossenen Sarge eine Besichtigung des 
Sarginnern veranlasst habe, beim Ablieben des Sargdeckels die 
Strümpfe der Leiche durchfenclitet und bei weiterer Inspektion 
der Leiche zwischen den Oberschenkeln derselben eine Masse ge¬ 
sellen worden sei, die von dem Ehemann für „herausgetretene 
Därme“ gehalten wurde. Die Mutter der Verstorbenen gab aber 
zu, auch den Körper eines Kindes bemerkt zu haben. 

Da die wahrgenommene Flüssigkeit kaum etwas anderes, 
als das bei der Geburt fi’ei gewordene Fruchtwasser gewesen sein 
kann, darf wohl mit ziemliclier Sicherheit geschlossen werden, dass 
die Friichtaustreibung nebst Umstülpung der Gebärmutter am 
10. Juni, d. h. am vierten 'J'age nach dem Tode sich ereignet habe. 

Bei dem nalie liegenden Vergleiche dieser Beobachtung mit 
bisher bekannt gegebenen — zu welchem Zwecke mir die letzten 
fünfzehn seit dem Jahre 1851 veröffentlichten und zum Theil sehr 
eingeliend behandelten Fälle zur Verfügung standen — erschienen 
mir mehrere Einzelheiten als unserem Falle eigenthümlich oder 
doch nicht ganz ohne AVeiteres in die bekannten Befunde hin¬ 
einpassend und dürften dieselben immerhin einer Besprechung 
werth sein. 

Zunächst gewann ich die Ueberzeugung, dass zur Kardinal- 
frage in dieser Materie, ob Sarggeburten auch gänzlich unab- 
liängig von Uteruskontraktionen zu Stande kommen 
können oder nicht? unser Fall einen wichtigeren Beitrag als 
die meisten bisherigen Publikationen liefert. 

Die weitaus meisten iiämlicli berichten von solchen partus 



440 


Dr. Gottschalk. 


post mortem, wo der Tod der Mutter nachgewiesenermassen wäh¬ 
rend des vitalen Geburtsaktes erfolgt war oder die Geburtsthätig- 
keit doch mit grösster Wahrscheinlichkeit als begonnen ange¬ 
nommen werden konnte, während nur drei"*) ausdrücklich erwähnen, 
dass zur Zeit des Todes der Mütter eine die Ausstossung der 
Fötus vorbereitende Geburtsthätigkeit noch nicht vorausgegangen 
war, die Geburten also als reine Sarggeburten zu betrachten sind. 
Welcher dieser beiden Kategorien unser Fall anzureihen wäre, 
ist für mich kaum zweifelhaft und glaube ich denselben unbedenk¬ 
lich zu den seltenen zählen zu dürfen, wo die Geburt bei dem 
Tode der Gravida noch nicht begonnen hatte, wo vielmehr ledig¬ 
lich die mechanische Kraft der starken Gasentwickelung im Unter¬ 
leibe die Geburt einleitete und auch selbstständig vollendete. 
Dafür spricht vor allen Dingen die sachverständige Untersuchung 
der Hebamme kurze Zeit vor dem Tode der Schwangeren, durch 
welche nicht die geringsten Anzeichen einer bald zu er¬ 
wartenden Entbindung festgestellt werden konnten; ferner 
aber auch die Thatsache, dass von der Umgebung, die zum Theil 
aus älteren erfahrenen Frauen bestand, weder vor, noch unmit¬ 
telbar nach dem Tode der Schwangeren irgend welche 
Symptome eines begonnenen Geburtsaktes bemerkt 
wurden. 

Wenn dagegen etwa der Einwand erhoben wiid, dass die 
Schwangere einige Zeit vor dem Tode sich im bewusstlosen 
Zustande befunden habe, auch dem Tode eine längere Agonie 
vorhergegangen sei, während welcher sehr wohl Uteruskontrak¬ 
tionen ausgelöst worden sein könnten, ohne dass die Umgebung 
etwas davon wahrgenommen habe, so ist dieser Einwurf aller¬ 
dings nicht durch einen unwiderlegbaren Gegenbeweis — den 
nur eine sachverständige Digitalexploration der Sterbenden hätte 
beibringen können — zu entkräften; doch, da einwandsfreie 
Beobachtungen thatsächlich bereits vorliegen, nach welchen ledig¬ 
lich durch den allmählig gesteigerten Druck der Fäulnissgase 
eine Weitung der Geburtswege und Fruchtausstossung möglich 
ist, kann meines Erachtens nur ungerechtfertigte Zweifelsucht 
diesen Einwand erheben. Soviel wird aber selbst der hartnäckigste 
Skeptiker doch zugeben müssen, dass im Todeskampfe etwa ein¬ 
getretene Wehen die Eröffnung der Geburtswege nur unwesentlich 
gefördert und kaum eine mässige Erweiterung des Muttermundes 
bewirkt haben können, da kräftige Druckwehen nicht nur nicht 
gänzlich unbemerkt hätten bleiben können, sondern auch bei einer 
Mehrgebärenden — die übrigens ihre früheren kräftigen Kinder 
leicht und schnell geboren hatte — die Geburt wenigstens bis 
zum Blasensprunge vorwärts gebracht haben müssten. Die Haupt¬ 
wirkung mindestens also wird schon bei der Erweiterung der Ge¬ 
burtswege nicht den Wehen, sondern postmortalen Kräften, der 
Gasspannung in der Unterleibshöhle zugesprochen werden müssen; 


*) Reimann: Archiv f. Gynäkologie, XI. 1877. Tabelle, Fall: Nr. 61. 
Richter und Ebertz: Eulenberg’s Vierteljahrsschrift für gerichtliche 
Medizin u. s. w.; XIX. 163; XLVH 171. 



Eine Sarggeburt. 


441 


die Ausstossuug der Finicht und des Uterus überhaupt nur der 
treibenden Kraft der Fäulnissgase zuzuschreiben sein. 

Von einer etwaigen Mitwii’kung sogenannter postmortaler 
Wehen, die von einer Anzahl älterer Beobachter zur Erklärung 
der partus post mortem herangezogen werden, kann selbstver¬ 
ständlich nicht die Kede sein. Ich glaube aber diese Hypothese 
hier nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, weil derjenige 
Forecher, welcher sich am eingehendsten mit dieser Frage beschäftigt 
hat, Keimann* **) ), unter den Kriterien, die gegen die Wirkung 
der Fäulnissgase als treibende Kraft bei den Sarggeburten sprechen 
sollen, den auch in unserem Falle vorhandenen Befund einer ge¬ 
lösten Placenta anführt. 

Wenn auch nach Keimann die Erfahrung bestätigt, dass 
die Verbindung zwischen Placenta und Gebärmutter den Einflüssen 
der Fäulniss lange widersteht, so ist doch unter besonderen, der 
Fäulniss günstigen Verhältnissen (z. B. Stehen des Sarges in 
warmem Zimmer) eine schnellere faulige und den Zusammenhang 
lösende Zersetzung recht gut denkbar. Uebrigens ist ja auch 
nicht ausgeschlossen, dass die Placenta bei der Geburt am 10. Juni 
der Uterusinnenwand noch anhaftete und erst in den letzten 24 
Stunden vor der Sektion dui’ch rapide fortschreitende Fäulniss, 
theilweise vielleicht auch durch die eigene Schwere sich gelöst hatte. 

Auch der Hinweis dieses Autors, dass durch das Thierexpe¬ 
riment sowohl, als durch zufällige Beobachtungen an Menschen 
und Thieren einwandsfrei festgestellt sei, dass die Gebärmutter sich 
noch in der ersten Stunde nach dem Tode kontrahii’en könne, hat 
als Stütze der Postmortalwehen - Theorie keine Berechtigung. 
Denn es darf nicht vergessen werden, dass diese Kontraktionen 
nur in einer einzigen, sich nicht wiederholenden tonischen Zuckung, 
niemals in einer wehenartigen Aufeinanderfolge von Kontraktionen 
bestanden. Eine einmalige tonische und am todten Körper gewiss 
nicht kräftige Kontraktion wäre aber kaum im Stande bei weit 
vorgeschrittener Geburt eine Fruchtaustreibung zu bewirken, von 
einem Erfolge bei Geburten, die sich in den Anfangsstadien befin¬ 
den oder gar noch nicht vorbereitet sind, wie in unserem Falle, 
ganz zu schweigen. Selbst Schillinger*♦) wagte in seinem 
Falle, wo das Kind beim Tode der Mutter mit dem Kopfe schon 
„in der Krönung stand“, nicht, die völlige Ausstossung postmortalen 
Wehen zuzuschreiben, sondern betrachtet sie als Kraftwirkung der 
Fäulnissgase. — 

Einer kurzen Besprechung muss ferner auch die bei der 
Sektion Vorgefundene Kopfgeschwulst unterzogen werden. Nicht 
weil ich meine, dass eine solche bisher bei Leichengeburten noch 
nicht vorgekommen sei, sondern weil bei den besonderen Um¬ 
ständen unseres Falles eine Kopfgeschwulst auffällig erscheinen 
musste. 


*) Rcimann: Ueber Geburten nach dem Tode der Matter. Archiv für 
Gynäkologie; XI., 1877, S. 215 etc. 

**) Schillinger: Geburt nach dem Tode der Matter. Casper 3 Viertel- 
jahrsschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XI., S. 163. 



442 


Dr. fiüttwchiilk: Eine Siiriri^cl'iirt. 


Vlekanntlich ist eine allgemein anerkannte Vorbedingnnc- ITir 
das Zustandekommen einer Koi)fgeseli\vidst — die gemeinliin als 
vitale Reaktionsersclieinung aufpefasst zu werden pflegt — das 
Abgeflossensein des Fruchtwassers und wäre demnach in denjeni¬ 
gen Fällen, in welchen der Tod der Frauen mitten in der Geburts¬ 
arbeit, nach 1—3stündiger Welieiithätjgk(‘it und nach geschehenem 
Blasensprunge erfolgt ist fconf. die Fälle 4(!—48 und 54—56 der 
Reimann’schen Tabelle!) der Befinid eines Caput succedaneum 
gar nicht verwunderlich, wenn auch die betrettenden Beobachter 
dieses Befundes nicht erwähnen. Anders in unserem Falle, wo 
als festgerstellt gelten muss, dass ein Fruchtwasserabfluss keines¬ 
falls vor Ablauf von 24 Stunden (vor der Sarglegung), mit Wahr¬ 
scheinlichkeit sogar erst am vit'rten Tage statthatte. Die Kopf¬ 
geschwulst hat sich also ottenbar erst nach dem Absterben von 
Mutter und Kind gebildet — eine Jedenfalls nicht häuttge Beob¬ 
achtung, die unter Umständen gericht'-ärztliche Wichtigkeit be¬ 
anspruchen darf und die auch die von Ilofmann* * ***) ) schon ausge¬ 
sprochene Ansicht nur bestätigt, dass der Befund einer Kopfge¬ 
schwulst keineswegs mit absoluter Gewisslieit das erst während 
der Geburt erfolgte Absterben der Fruclit beweise, sondern dass 
auch bei längst abgestorbenen Kindern sich eine sulzige Infiltration 
der Kopfhaut bilden könne, die dann tlieils als Senkungserschei¬ 
nung, theils als postmortale ^rranssudation zu deuten sei. 

Das Caput succedaneum ist aber in Jedem Falle dafür ein 
Beweis, dass das Kind in einer Koi)flage geboren sein muss, auch 
wenn es in einer anderen Lagerung bei der mütterlichen Leiche 
vorgefunden wurde, als sie von BleisclC*), Ebertz'*''''*) u, A. für 
eine Kopfgeburt als charakteristisch bcTont wird. 

Es fragt sich nur, wie in unserem Falle die Fusslage des 
Kindes im Sarge zu erklären und mit einer Geburt in Kopflage 
in Einklang zu bringen sei. 

Die nächstliegende Annahme wäre wohl die, dass die Ange¬ 
hörigen beim Bemerken des Kindesköi ])ei s am '^^l’age vor der Sektion 
denselben ergriffen und anders gelagert haben könnten. Doch ab¬ 
gesehen davon, dass die darüber Befragten jegliche Berührung 
entschieden leugnen, spricht auch die von uns Vorgefundene theil- 
\veise Bedeckung des kindlichen Schädels durch die Gebärmutter 
nicht für diese Annahme, die vielmelir eher eine ganz freie Lage¬ 
rung des Kindeskörpers hätte erwarten lassen müssen. 

Die Mitwirkung Dritter au der Lagerung des Neugeborenen 
ist indess nach meinem Dafüilialten auch nicht unbedingt zur Er¬ 
klärung nöthig. 

Dass die treibende Gewalt der in der Bauchhöhle ange¬ 
sammelten Leichengase eine sehr starke sein muss, geht sclioii aus 
der blossen Möglichkeit der Austreibung einer kräftig entwickelten 
Frucht und der gleichzeitigen völligen Umstülpung des Uterus 


*) Hofniiinn, T.ehrVGich dur 2. Aufl. S. <>(37. 

♦*) lUeisch in K ii 1 un b e r ir ’ s VitrluljMlirsscln-. o. Fol^'u, IlT. 1. 

***) Ebertz in Euleiil'crg'’rf Viurruljahrssulir. XLVll. 1SS7. 172, 




Zur Mediziiialrcl'orni iu Proussen. 


443 


hervor. Warum soll man sich nun nicht vorstellen können, dass 
»1er «gewaltige Gasdruck, nachdem der grösste Widerstand mit dem 
Herauspressen des Schädels und der Schultern überwunden, mit 
explosionsartiger Schnelligkeit und Kraft den Unterköri>er der 
biegsamen faultodten Frucht derartig vorzuschleudern vermöge, 
dass die Beine über den vorausgegangenen und durch irgend einen 
Widerstand im Sarge aufgehaltenen Kopf hinwegschiessen y Wie 
du’äftig die Leichengaswii-kung sein kann, geht aus dem von 
Löscher*) in C a s p e r ’ s Vierteljahrsschrift mitgetheilten und 
ziifö^llig von Zeugen beobachteten Geburtsfalle hervor, wo es heisst, 
dass die Ausstossung des Kopfes mit einem „flintenschussähnlichen 
Geräusch“ erfolgte. 

Aber aucli bei mehr gleichmässigem und langsamem Austreteii 
der Frucht kann ich mir vorstellen, dass der entwickelte Kopf 
auf irgend ein Hinderniss im Sarge (mütterlichen Sclienkel, Holz¬ 
spahn oder dergl.) stösst, in der Nähe der mütterlichen Geschlechts- 
theile festgelialten wird und sodann die Beine durch den unmittel¬ 
bar nachdringenden fiindus uteri inversi weiter nach unten vor¬ 
geschoben werden. 

Die Lage des Kopfes nach den Füssen der Mutter zu mag 
auf eine erfolgte Kopfgeburt immerhin hinweisen, doch scheint mir 
andererseits die umgekehrte Lagerung nicht ohne Weiteres den 
Schluss zuzulassen, dass die Geburt nicht mit vorangehendem Kopfe 
stattgefunden habe. — 

Ob die Sarggeburten übrigens so selten sein mögen, als es 
den Anschein hat, erscheint mir fraglich. Ich für meinen Theil bin 
eher geneigt zu glauben, dass Entbindungen in der Schwanger-. 
Schaft Gestorbener liäufiger Vorkommen, als man denkt, und »lass 
nur die seltenen Gelegenheiten zur Beobachtung Schuld daran sein 
mögen, dass die partus post mortem noch immer als interessante 
Ciiriosa gelten. 


Zur Medizinalreform in Preussen. 

Der „Hannoversche Kurier“ bringt in seiner Morgen-Aus¬ 
gabe vom 18. August d. J. Nr. 17 800 zu der jetzt in erfreulicher 
^^’’eise die pcditische Presse mehr als bisher beschäftigenden Frage 
der Medizinalleform nachfolgenden, sehr sachgemässen und durch¬ 
aus zutreffenden Leitartikel: 

„Das Schreckgespenst der Cholera, das sich zur Zeit wieder an den 
Grenzen des prcussischen StaatevS bemerkbar macht, hat in dem preussischcn 
Medizinaliniuisteriiim einen reifen Eifer an^efacht und zahlreiche ^i:esundheits- 
polizeiliche Verfliicnn^tiii p:ezeirii;t, deren Ziel darauf gerichtet ist, dem unheim¬ 
lichen Gast den Einzug über unsre Landesgrenzen zu verweliren, und, sollte es 
ihm wider Erwarten doch gelingen, au einzelnen Stellen des Landes einzu¬ 
dringen, die ersten Erkrankungen so schnell zu isolircn und unschädlich zu 
machen, dass ein ; Weitorverbreitung encrgist h verhindert wird. Alle diese an¬ 
geordneten praktischen Mas.sregeln und dankenswertben Kathschläge zeigen am 
besten schon, wie wenig ausreichend man in den leitenden Kreisen unsre 
bisherigen ge.sundheitspolizeilichen Institutionen erachtet und wie ungenügend 

*) Löscher in Casper’s Vierteljahrsschr, XIV. 1858. S. 170 u. f» 



444 


Zur Medizinalreform in Prcussen. 


und Unzeitgemäss das Regulativ vom 8. August 1835 erscheint, das gegen¬ 
wärtig noch in Bezug auf die Massnahmen gegen die Verbreitung von Infek¬ 
tionskrankheiten in Preusson zu Recht besteht, in den 1866 zu Preussen hinzu- 
gekommenen Provinzen indess keine Gültigkeit hat. 

Den schleppenden Gang des alten Regulativ zu beseitigen, ist nunmehr 
durch den neuesten Ministerialerlass vom 27. Juli 1892 angeordnet, jeden ersten 
verdächtigen Fall von Cholera nicht nur der zuständigen Ortspolizeibehörde zu 
melden, sondern auch dem betreffenden Kreisphysikus gleichzeitig, damit letzterer 
umgehend an Ort und Stelle geeignete Massregeln treffen kann. Es ist einc^ 
durch die Erfahrung bestätigte Thatsache, dass trotz strengster Grenzkontrole 
vereinzelte Einschleppur gen der Cholera Vorkommen können in Landestheilen, die 
oft fern ab vom eigentlichen Choleragebiet liegen, wie nur an die im September 
und Oktober 1886 aufgetretene Choleraepidemie in Finthen und Gonjenheim bei 
Mainz erinnert werden soll, der 16 Personen erlagen, — und dass gerade die 
ersten Fälle nicht rechtzeitig erkannt und somit die weitere Quelle für die 
folgenden Erkrankungen und Todesfälle an Cholera werden können. Der vor¬ 
erwähnte Ministerialerlass legt dem Kreisphysiküs daher eine Verantwortlichkeit 
auf, wie sie in gleicher Ausdehnung wohl kaum sonst einem Beamten beschieden 
sein dürfte. Hängen doch von seiner Gewissenhaftigkeit und wissenschaftlichen 
Tüchtigkeit die einschneidensten Massregeln für den ganzen Verkehr der von 
der Seuche ergriftenen Landestheile ab, und verdanken vielleicht Hunderte von 
Menschen seiner rechtzeitigen Einsicht und Umsicht ihr Leben! Wir zweifeln 
nicht, dass die Medizinalbeamten sich dieses Vertrauens würdig erweisen und 
trotz der stiefmütterlichen Behandlung, die man ihnen in Preussen, gegenüber 
den Medizinalbeamten andrer deutscher Staaten, leider noch zu Theil werden 
lässt, unentwegt ihre Pflicht erfüllen werden; aber der augenblickliche Zeit¬ 
punkt erscheint uns gerade am geeignetsten, auch darauf hinzuweisen, wie wenig 
zeitgemäss die Stellung der Medizinalbeamten in Preussen überhaupt ist und 
wie viel mehr sie die Segnungen der Gesundhoitslehre, die dank den grossartigen 
Erfolgen eines Koch in den letzten zehn Jahren einen ungeahnten Aufschwung 
genommen hat, der Gesammtheit des preussischen Staates zugute kommen lassen 
könnten, wenn man die seit 40 Jahren geplante Reform des Medizinalwesens 
endlich zur Ausführung gelangen lassen wollte! 

Ueber die Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Medizinalreform ist 
nirgends mehr Zweifel, finanzielle Bedenken sind es allein, die sie trotz aller 
Bemühungen bislang scheitern liessen. Es giebt wohl heutzutage keinen Be¬ 
amten, an den für ein so bescheidenes, nicht pensionsfähiges Gehalt von 
900 M. jährlich solche Anforderungen gestellt werden, wie an den Kreisphysikus! 
Wo existirt eine Kategorie von Beamten, die, um den Anforderungen, die der 
hohe Stand der Gesundheitslehre augenblicklich stellt, gerecht zu werden, fast 
die Hälfte ihres Einkommens für Bücher, Instrumente und Utensilien zu bakterio¬ 
logischen Stndien aufwenden muss, lediglich im gesundheitlichen Interesse des 
Bezirkes, dem der Kreisphysikus als Gesundheitsbeamter zugetheilt ist? Mit 
schweren pekuniären Opfern macht sich alljährlich ein grosser Theil der Medizinal¬ 
beamten von der ärzlichen Praxis frei, die ihnen z. Z. noch die Hauptquelle 
ihres Unterhaltes für die Familie bilden muss, um gegen 12 M. Tagegelder, 
von denen noch für Kollegien, Benutzung des Mikroskopes, verbrauchte Rea- 
gentien u. s. w. täglich fast 3 M. zu zahlen sind, an den vom Minister gebotenen 
Fortbildungskursen für Medizinalbeamte an den Universitäten theilzunehmen. 
Noch Monate lang später haben die Medizinalbeamtcn nu dem dreiwöchentlichen 
Ausfall in ihrer Praxis zu zehren, und wie wenig Gelegenheit wird ihnen später 
geboten, das Gelernte praktisch verwerthen zu können! Nicht allein, dass man 
den Geschäftskreis der Physiker nicht erweitert, nein, man hat ihn sogar durch 
das Institut der Gewerbeinspektoren etc. noch bedeutend eingeschränkt und sic 
aus dem so wichtigen Gebiete der Gewerbehygiene verdrängt. Es ist einfach 
unmöglich, dass die Gewerberäthe bei noch so sorgfältiger technischer Vor¬ 
bildung in der Lage sind, alle sanitären Interessen bei den gewerblichen An¬ 
lagen wahrzunebmen, besonders auch alle die Gefahren, welche für die Ge¬ 
sundheit der Arbeiter durch den Betrieb selbst entstehen, denn das sind eben 
meist Gefahren, die nur ein Arzt aufdecken und kontroliren kann. 

Die Physiker müssen aber Gesundheitsbeamte des Kreises im vollsten Sinne des 
Wortes werden, es genügt nicht, dass sie mitunter beim Ausbruch einer Epidemie 
von der Behörde requirirt werden und sich nun über die bereits ausgebrochene 



Zur Mediziualrelorm in Freusseu. 


445 


Seuche zu äns^crn haben, hlit dem Rechte und der Pflicht der Initiative amt- 
gestattet, müssen die Kreisphjsiker verpflichtet werden, ihren Bezirk periodisch 
zu bereisen, sich durch steten Verkehr mit den einzelnen Behörden und Aerzten 
genaue Kenntniss über alle das Sanitätswesen desselben be treffenden Verhältnisse zu 
verschaffen und etwa Vorgefundene sanitäre Uebelstände und Uebertretungen 
gesetzlicher Bestimmungen bei den zuständigen Behörden zur Anzeige zu bringen. 
Der Eintritt zu allen denjenigen Räumlichkeiten, wie gewerblichen Anlagen, 
Schulen, Krankenhäusern u. s. w. muss ihnen znstehen, deren Besichtigung und 
Untersuchung im öffentlichen sanitären Interesse geboten erscheint, und ist den¬ 
selben, wie früher, eine Mitwirkung bei Konzessionimng gewerblicher Anlagen 
zu sichern. In dringenden Fällen, z. B. beim Auftreten ansteckender Krank¬ 
heiten, müssen die Physiker von selbst vorläuflge Anordnungen treffen können, 
die der zuständigen Behörde sofort behufs nacMräglicher Oenebmigfung mitzu- 
theilen sind. 

Jetzt, wo die Choleragefahr an den Landesgrenzen droht, wird die Auf¬ 
merksamkeit auch weiterer Kreise, denen sonst jedes Verständniss für Hygiene 
fehlt, geweckt, und sanitäre Anordnungen werden in noch so kleinen Städten, 
in denen früher die Rinnsteine vor Schmutz starrten und ein schreckliches 
Miasma verbreiteten, erstrebt. Gegen die Gefahren von Typhus- und Diphtherie¬ 
epidemien hingegegen, welche bei uns doch eigentlich nie aufhören und jedes 
Jahr eine grosse Zahl von Menschen hinraffen, ist man viel gleichgiltiger jmd 
lässt alle veralteten hygienischen Missstände, durch welche d^iese Krankheiten 
entstehen und verbreitet werden, ruhig fortbestehen, anstatt den Ursachen dieser 
einheimischen Epidemien ebenso energisch wie der Cholera gegenüberzutreten. 
Hier ist der Hebel anznsetzen, hier ist den Medizinalbeamten an der Hand einer 
bislang noch immer fehlenden Dienstinstruktion ein reiches Feld für ihre Thätigkeit 
zu eröffnen, ein Feld der Thätigkeit, welches einen Mann voll und ganz beschäftigt! 

Beschämt müssen wir in Preussen znrücksteben vor anderen Staaten, 
wenn wir der äussern Stellung der Medizinalbeamten gedenken. Es mögen 
hier nur einige Zahlen angeführt werden. 

Während in Preussen die Kreiswundärzte und Kreisphysiker ein nicht 
pensionsfäbiges Einkommen von 600 und 900 M. beziehen, auch Wobnungsgeld 
und Bureaukosten nicht erhalten, beginnen in Bayern die Bezirksärzte bezw. 
Bezirksgerichtsärzte mit einem pensionsfähigen Gehalte von 1400 M., um bis 
2880 M. zu steigen, daneben werden Reliktengeider bezahlt. In Sachsen erhalten 
die Bezirksärzte je nach der Grösse der Kreise 1980M. bis 3300 M., sind pensions¬ 
berechtigt und haben ein Reiseaufwandsäquivalent von 600 M., 240 bis 360 M. 
Bureaugeld, daneben bei Dienstreisen Tagegelder und Fortkommensvergütung; 
auch haben sie den Hofrang vierter Klasse. In Baden steigt das pensionsfllhige 
Einkommen der Bezirksärzte bis zu 3500 M. und wird das Wobnungsgeld der 
dritten Dicnstklasse gezahlt, ausserdem ein Bnreauaversum von 20—60 M. Die 
Kreisärzte in Hessen endlich sind mit 3000 bis 4200 M. besoldet und ebenfalls 
pensionsbercchtigt. 

Es dürften diese Angaben die äussere Lage der prenssischen Medizinal¬ 
beamten hinlänglich illustriren. 

Alljährlich treten bei den Debatten über den Medizinaletat im Abgeord¬ 
netenhanse die Abgeordneten Vircbow,Graf,Langerhans und v. Pi 1 grim 
in anfopfemster Weise für die Interessen der so schlecht gestellten Medizinal¬ 
beamten und für das Zustandekommen der Medizinalreform ein, und alljährlich wird 
vom Ministertisch her ausgesprochen, „dass man ein volles Verständniss und ein 
warmes Interesse für die Aufbessemng der Bezüge der Medizinalbeamten habe 
und dass man die Hoffnung nicht anfgebe, dass cs im Laufe der Zeit ge¬ 
lingen werde, dieses fortgesetzt im Auge behaltene Ziel der Aufbessenmg jener 
Bezüge zu erreichen.“ — Wenn aber solche Auskunft jährlich ertheilt wird, dann 
muss der Mnth der Medizinalbeamten gar sehr sinken, und mit Neid können sie 
nur auf ihre besser gestellten Kollegen in Sachsen, Bayern, Baden und Hessen 
blicken. 

Zum grossen Theil mag an diesem Missverständniss in Preussen die gegen¬ 
wärtige schlechte Finanzlage des Staates die Schuld tragen. Aber, wie die 
Dinge einmal liegen, ist es dnrehans nicht zu verwundern, wenn die im Vor¬ 
jahre von dem Abgeordneten Dr. Graf zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, 
dass „das Medizinalwesen im Kultusministerium dauernd die Stelle des Aschen¬ 
brödels zu spielen verurtbeUt sei“, immer weitere Kreise ergpreift und sich immer 



446 


Kieiiiorc uud KclVratc aiLs ZfiUchriftcQ. 


mehr die Ueberz» iiiruiiiif Bahn bricht, dass diesem UcbelsUude nur durch eiue 
Loötrcnnun^ des 3Iedi/äual\vcscus von dem Kultusiiiiuisterium und Ueberweisunj^ 
desselben an das Ministerium d(\s Innern dauernd abi(eholfen werden könne. 
Thatsäclilich ist ja aucli Preussen fast der einzi;i:e Staat, in dem das Mcdizinal- 
wesen nicht mit dem Ministerium des Innern, an dessen Verwaltung sich die 
öffentliche Gesundheitsptlcge und Sanitätsi)olizei ortranisch am besten anschliesst, 
vereinigt ist. Dazu kommt, dass dieser wichtige Zweig der Staatsverw’altung 
z. Z. nicht einmal einen eigenen ^linistiuialdirektor liat, sondern diesen mit einer 
andern Abtlieilung des Knltusministermns tlieilen muss. Die Xachtheilc davon 
liegen auf der Hand und hndeu in der Stagnation, die seit Jahrzehnten fast auf 
allen Gebieten des Medizinalweseus herrsebt und über die schon seit Jahrzehnten 
von allen Seiten Klage geführt wird, ihre Bestätigung. 

Zu keiner Zeit aber wurd dieser Stillstand im Medizinahvesen mehr 
empfunden, als zu Zeiten grosser Epidemien, und die Forderung einer Medizinal- 
reforni und eines MensoliL-nseuchengesetzes fein Viehseucheng* setz haben wir 
schon vom 23. Juni ISSO) tritt immer mehr hervor, ln gleicher Weise wie bei 
der Cholera lassen auch bei den übrigen Inrektioii'^kranklieitcii die bestehenden 
Einrichtungen zur Abwehr derselben an Sclinelligkcit der Wirkung erheblich zu 
wtlnschen übrig. Gerade der augenblickliche Zeitjuinkt aber, wo die (’holera an 
den Grenzen unsers Staates droht, erscheint am geeignetsten, die Aufmerksamkeit 
auch weiterer Kreise auf diese Mängel unsrer Gesetzgebung zu lenken und das 
endliche Zustandekommen der seit langer Zeit in Aussicht genommenen Medizinal- 
reforiu immer wieder von Neuem anzuregon. Erst daun können für das Land 
solche gesundheitlichen Verhältnisse geschaffen werden, wie sie der Bürger bei 
dem hohen Stande der Hygiene vom Staate zu fordern berechtigt ist.“ 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Arbeiten aus dem Institut für gerichtliche Medizin und Hygiene 
zu Innsbruck. (Sonder-Abdruck ans der „Vierteljahrsschrift f. gcrichtl. Medizin 
und öffeiitl. Sanitätswesen“ 3. Folge IV.) 

I. Untersuchungen über das Verhalten des Strychnins im Organis¬ 
mus. Von Dr. Carl Ipsen, Assistenten am Institute. 

Im forensischen Institut zu Innsbruck gelaugte eine 23 jährige lec^e 
weibliche Person zur Sektion, welche in dem Hause einer Hebamme todt aufge¬ 
funden worden war, nachdem sie einige Stunden vorher anscheinend wohl die 
Wohnung ihres alten Vaters verlassen hatte. Die gerichtliche Obduktion ergab 
eine eitrige Entzündung des ganz(*ii Gcnitalsehlauches, welche zu einer pyä¬ 
mischen Allgemeinerkrankung geführt hatte. Die Eingangspforte für die 
Infektion wurde in dem puerperalen Uterus gefunden, und bei den näheren 
Umständen des Falles musste mit grösster Wahrscheinlichkeit eine vor län¬ 
gerer Zeit stattgehahte gewaltsame Unterbrechung einer bestan¬ 
denen Schwangerschaft angenommen werden. Erst das mit viel Lärm und 
Aufsehen von der beschuldigten Hebamme ansposaunte Gerücht, die Verstorbene 
habe sich selbst mit Strychnin vergiftet, war die unmittelbare Veranlassung für 
die Vornahme der chemischen Analy.se des Magens und seines Inhalts, welche 
unter Professor Kratter’s Leitung den überraselienden Nachweis vom that- 
sächlichen Vorhandensein einer nicht geringen Menge von Strychnin in den 
untersuchten Organen erbrachte. Es musste demnach Stry chn in vergift nng 
als die unmi 11e 1 bare T o desursache bezeichnet werden. Mit den bei 
der Sektion in 96'Vo Alkohol sorgfältig und gesondert aufgehobenen Organen 
wurden nun weitere Experimente angestellt, welche die Frage über das Ver¬ 
halten und die Vertheilung des Strychnins im Organismus, über die An.ssebeidung 
de.sselbcn durch den Harn und seine Resistenz gegen die Fäulniss lösen sollten. 
Die Ergebnisse der überaus sorgfältig ausg(jführten I'^ntersucliungen, deren Gang 
im Original nachgelesen werden mag, lassen sich dahin zusammenfassen: 1. Das 
Strychnin wird von jeder Applikationsstelle aus sehr rasch resorbirt und durch 
den Blutstrom in allen Körperbezirken gleichmässig vertheilt. 2. Der Strychnin¬ 
gehalt der einzelnen Organe ist dem jeweiligen Blutgchalt derselben proportional. 

Weder die Resultate der Thierversuche, noch das Verhalten im menschlichen 



Kleinere ini<l K(‘lVr;ito iuis Zeit^' lirü'teu. 


417 


Or^^ani-^miis reclitfcrtijri'ii diti Aiuialiiue einer Hindiinix und Aufspeicherung des 
.Strychnins in den Körperorganen. 4. Das Sirychnin wird iinzersetzt mit dem 
Harn ausgeschieden; die Auss(*lu*iduiig beginnt sehr rasch nach der Aufnaliine, 
so dass es schon in kürzester Zeit (H—5 31inuten) nach der Kintüliriuig ira Harn 
erscheint, ö. Bei toxischen (laben s<*lieint ein Parallelisinns zu bestehen zwischen 
der Dauer der Ausscheidung und der Intensität der Wirkung des Strychnins auf 
die Nicrenarterien. 

II. Untersuelningen über einige den Blutnaeliweis «törendo Ein¬ 
flüsse. Von Dr. Hans Uammerl, Assistenten am hygienischen Institut zu 
Marburg. 

ln der forensischen Praxis koniint in der Regel selten frisches Blut zur 
Untersuchung; meist sind die Dbjckte dunüi kUrz./re oder längere Zeit ver- 
schiedtMien EiuÜüssen aiisg setzt, w^dche geeignet sind, sowohl die Formalemente 
des Blutes, als eiullicli auch den BIiufar))siort* selb.«,t zu zerstören oder derart zu 
verändern, dass der Na(diweis erschwert oder ganz unmöglich gemacht wird. 
Den Bliitnachweis besonders störende Eiiitlii.sse sind; Luft- und Lichteinwirkuug, 
insbesondere die Eiiiwirkung des direkten Sonnenlichtes, Fäuliiiss, Schimmcl- 
bildung, Kost und hohe Tem])eraturen. Auf (Trund der systematLseh angcstellten 
Versuche mit theils den Leichen entnommenem iRensclumblut, theils frischem 
lliudsbliit gelangte Hain m er 1 zu nachfolge nden Ergelmissen: 1. Durch die Ein¬ 
wirkung des Sonnenlichtes, der Fäulniss, durch Mörtel, Schimmel- und Rostbildung 
wird der Nachweis des Idiites sichtlich erschwert. 2. Heisse, trockene Lutt 
verändert das Blut derart, dass der Xaehweds iiiclit mehr gelingt: a) mittelst 
der Ozonprobe bei Erhitzung auf loO—185'^ (’. durch eine Stunde; b) mittelst 
der Darstellung der T ei c h m a ii n ’ sclieu Häminkrystalle bei eiustündiger Ein¬ 
wirkung einer Temperatur von 140—14;")'^ (\ c) jilutk('>rperchen, in der Regel 
schon durch Erwärmung des flüssigen Blutes übtjr 52^0. zerfallend, können vor 
der Hitzeeinwirkung in dünnen S(dii(diten auf Glas oder Holz angetrocknet, hohe 
Wärmegrade (bis über 200^^ C.) überdauern, d) Der spektralanalytische Nach¬ 
weis ist am längsten möglich; er gelingt noch bei auf 200® C. durch viele 
Stunden erhitztem Blute. 

III. Ueber den Werth des Hämatoporphyriiispektruras für den 
forensischen Blutnaelnveis. Von Professor Dr. J. Kratter. 

Der TTmstaud, dass Hamm er 1 (cf. die vorstehende Arbeit) bei seinen 
Versuchen fand, dass hoch erliitztes Blut, welches für die meisten bisher in Ver¬ 
wendung gestandenen Lösungsmittel unlöslich geworden ist, vortheilhaft mit 
konzentrirter Salzsäure oder Schwefelsäure behandelt wird und dabei in kurzer 
Zeit eine für den s|)ektraleii Nachw^eis geeignete Blutfarbstoffiösung entsteht, 
welche das Spektrum des Häinatopori)liyrins zeigte, veranlasste Kratter zu 
besüuderen Uiitorsuchungcn über die Vervverthbarkeit dieser Thatsache für den 
gerichtlich-medizinischen Nachweis von Blut. Die Erhitzung wurde von Kr. bis 
auf 210® C. gesteigert und zwar wurde stets zuvor getrocknetes oder auf Gegen¬ 
stände, iiamentlicli Holz, angetrorknetes Blut zu den Versuchen verwendet. 
Einige Krüinelclicn des so ül^erhirzten Blutes wurden in der I]prouvette mit 
konzentrirter Schwefelsäure üb(‘rgossen. Nacli halb- bis ein- oder mehrstündiger 
Einwirkung war, wenn inzwischen wiederholt geschüttelt wurde, ausiiahinslos 
das Hämatopnrphyrinspektrum sichtbar. Dabei hatte die Schwefelsäure eine oft 
mit freiem Auge kaum erk^ennbare. zarte violette Färbung angenommen. Die 
IJlutkrünielchen sedbst wanm aber kröneswegs auf'geDst, sondern aus ibneii nur 
eine meist geringe .Menge von Farbstoff extralurt wurden. Sie selbst waren 
ga*.([iiollen, an den dünnen Rändern durchscheinend und von granatähnüeber, 
buichtender Färbung. Diiese Erscheinniig ist höchst charakteristisch und lässt 
hei einiger Uehung mit freiem Auge das Blut erkeninm. Uehergiesst man ein 
(Jemenge solcher Biutkrümelel)en und ähnliehor Substanzen, wie Kolileustückclien, 
Harz und dergl. mit konzentrirter S(‘h\vefelsäiire und läs.^t «lieselbc einige Zeit 
einwirken, so kann man an der geschilderten Farb(‘veränderung mit freiem Auge 
erk(‘nnen, was im (icmengc Blut ist. Isolirt man dann mittelst eines Glasstabcs 
ein solclies granatfarben geword-uies Stückchen, zetajuctscht es zwischen zwei 
(Jbjektträgern, ohne den Zusainmeiihang der Tlieilchen völlig zu lösen und bringt 
es vor den Spalt des Spektralaj)p;!.rates, so erhält man ausnahmslos ein scdir 
scharfes Hämatuporphyriuspektrum. Es lässt nämlich ilas durcli die Schwefel¬ 
säure transparent gewordene und zenim tsclite Jflutstück<‘lien genügend Sonnen¬ 
lind Lampenlicht durchtrctcii, um die Absorptionserscheinungeu in voller Deut- 



448 


Kleinere Miltheiluugcu und ßefcratc aus Zeitschriften. 


lichkcit auszulösen. Gerade bei forensischen Untersuchungen, wo mau nicht selten 
mit minimalen Blntmengcn zu rechnen hat, erscheint dies Verfahren angezeigt 
und fand Kr. es bei sämmtlichen von ihm angestelltcn Versuchen, worüber das 
Original cinzusehen ist, voll bestätigt. Dr. DUtschkc-Aurich. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Ueber künstliche Schutzimpfung gegen Cholera asiatica. Von 
Prof. Dr. L. Brieger und Dr. A. Wassermann. Deutsche medizinische Wochen¬ 
schrift 1892. Nr. 31. 

Die bereits schon früher von Brie ge r und Kitasato unternommenen 
Versuche, Meerschweinchen gegen eine nachfolgende Injektion mit virulenten 
Koch’sehen Cholerabazillen widerstandsfähig zu machen, wurden fortgesetzt, 
indem eine aus Massanah stammende Kultur zur Anwendung kam in wässerigen 
Auszügen der Thymusdrüse von Kälbern. CholerabazUlen wurden 24 Stunden 
lang auf dem Tbymusnährbodcn wachsen gelassen, alsdann bei 65** C. 15 Minuten 
lang erwärmt und die so präparirte Kultur 24 Stunden in den Eisschrank ge¬ 
stellt und alsdann damit die Thiere der Vorbehandlung unterworfen. In der 
Regel wurden 4 ccm dieser Flüssigkeit intraperitoncal innerhalb vier aufeinander 
folgenden Tagen den Thieren verabreicht. Letztere wurden hierauf von nur 
eintägigem Unwohlsein befallen, wobei die Temperatur bis zu 40® C. stieg oder 
2—3® C. unter die Norm herunterging. Derart vorbehandelte Thiere erwiesen 
sich sofort nach der letzten Injektion, d. h. 4.—5. Tage nach der ersten 
lujektion widerstandsfähig gegenüber den Choleravibrionen und zwar ertrugen 
dieselben von der für nicht vorbehandcltc Thiere innerhalb 12—16 Stunden 
tödtlich wirkenden Dosis das Dreifache. Die Kontrolthicre dagegen lagen 
nach 2—3 Standen schlaff auf der Seite, häufig von Krämpfen durchzuckt, die 
Temperatur war bis auf 32 “ C. gesunken. Kurz darauf verstürben sie, während 
die vorbebandelten Meerschweinchen am nächsten Morgen sich wieder völlig er¬ 
holt hatten. Als Minimaldosis jener SchutzflUssigkeit, um ein Meerschweinchen 
widerstandsfähig zu maohen gegen die sicher tödtlich wirkende Gabe voUvim- 
lenter Cholerakulturen, wurde schon je 1 ccm, an zwei aufeinander folgenden 
Tagen injizirt, gefunden. An Stelle der wässerigen Auszüge der Thymusdrüse 
wurden auch Choleravibrionen in der gebräuchlichen Fleischwasserpeptonbouillon 
gezüchtet und diese Kulturen am folgenden Tage 15 Minuten lang auf 65® C. 
erwärmt. Mit dieser Flüssigkeit wurden die Thiere analog behandelt und er¬ 
trugen die doppelt tödtliche Dosis vollvirulcnter Cholerakultnren, während die 
Kontrolthiere ausnahmslos an Cholera zu Grunde gingen. 

Es gewinnt hiernach den Anschein, als ob die Cholerabazilien allein schon 
durch Erhitzen so verändert werden, dass die giftige Wirksamkeit derselben 
zt^cktritt, ihre immunisirende dagegen bleibt. Um zu prüfen, ob die Hitze- 
Wirkung allein massgebend sei, wurde weiter der Versuch in der Weise angc- 
stellt, dass zu dem Tbymnscxtrakt von Agarkulturen abgekratzte Choleravibrionen 
zugesetzt und mehrere Tage auf Eis gelegt wurden. Mit dieser so behandelten 
Flüssigkeit, welche nicht erwärmt wurde, wurde in gleichem Umfange 
Immunität erzielt. Ders. 


Ueber die Wirkung und Anwendbarkeit neuerer Desinfektions¬ 
mittel. Gutachten d es k. k. Ocsterre i chischen Obersten Sanitäts- 
rath. Oesterreichisches Sanitätswosen; Beilage zu Nr. 32 d. J. 

„Ueber Einschreiten der mit der Herstellung von Lysol sich befassenden 
Firma Schülke & Mayr in Hamburg bat sich das Ministerium des Innern 
veranlasst gesehen, den Obersten Sanitätsrath um ein Gutachten über dieses 
D^nfektionsmittcl und über die neueren Desinfektionsmittel überhaupt, deren 
Wirkung und Anwendbarkeit zu ersuchen. 

Trotzdem wir einige Desinfektionsverfahren und Desinfektionsmittel be¬ 
sitzen, die in überaus kräftiger und rascher Weise die Krankheitskeime abzn- 
tödten im Stande sind, wie die Anwendung gesättigten Wasserdampfes von 100 
Grad und darüber, das kochende Wasser, die Lösungen von Karbolsäure und 
Aetzsublimat in entsprechend hoher Konzentration, so ruhen doch die Bestrebungen, 
neue Desinfektionsmittel und -Verfahren zu finden, nicht. Es ist nicht blos der 
Wunsch der Industrie, neue Werthe zu schaffen, der diese Bemühungen veran¬ 
lasst, sondern es sind auch sachliche Gründe. 



Eleinere HittheÜangen und Referate auB Zeitschriften. 449 

Jedes unserer Desinfektionsmittel ist in seiner Anwendbarkeit im täg¬ 
lichen Leben mannigfach beschränkt. Zn einem Verfahren bedarf man verhält- 
nissmässig thenerer Apparate, ein Anderes ist in der Hand von Laien unsicher, 
ein Drittes ist za thener, ein Viertes wirkt gegenüber den in der Praxis zu 
bewältigenden Objekten anders als gegen die isolirten Krankheitserreger n. s. f. 
Was die kräftigsten chemischen Desinfektionsmittel anbelangt, so steht ihrer 
Anwendung in der Praxis hauptsächlich der Umstand im Wege, dass die meisten 
von ihnen hochgradig giftig und in konzentrirtem Zustande ätzend sind, so dass 
es unzulässig oder bedenklich erscheint, sie Laien anzuvertrauen. 

Dieser Umstand bestimmte seinerzeit auch den Obersten Sanitätsrath mit 
Recht, das Aetzsublimat als allgemeines Desinfektionsmittel auszuscbliessen. 
Ebenso wenig, wie die reinen Lösungen des Sublimates, können auch die Ge¬ 
mische von Aetzsublimat und Weinsäure oder Mineralsäure, oder das Gemisch 
von Aetzsublimat und Kochsalz für die allgemeine Desinfektionspraxis in Be¬ 
tracht kommen, so vorzüglich sic sich auch als Antiseptika bewährt haben. 

Aber auch die Karbolsäure ist, wie sattsam bekannt ist, in konzentrirtem 
Zustande so ätzend und so giftig, dass ihr Ersatz durch harmlosere Mittel 
schon in der Praxis der Hebammen, die doch geschalte Hilfspersonen sind, er¬ 
wünscht erscheinen muss. 

Zur richtigen Beurtbeilnng der Desinfektionskraft und Anwendbarkeit der 
neuerdings angewendeten und empfohlenen Mittel und Verfahren ist es vor 
allem erforderlich, das Ziel, welches in jedem einzelnen Falle erreicht werden 
soll, scharf zu präzisiren. Dieses Ziel ist im Allgemeinen für die Desinfektions¬ 
praxis natürlich immer dasselbe: Abtödtung der Krankheitskeime. 
Wir wissen aber, dass sich die Krankheitskeime bezüglich ihrer Widerstands- 
Bihigkeit gegen Schädlichkeiten in hohem Masse unterscheiden. Die Dauerporen 
sind in dieser Hinsicht den vegetativen Formen der Bakterien und der meisten 
anderen Mikrobien ungeheuer überlegen. Aber auch die vegetativen Formen 
verhalten sich darin verschieden, wenn auch diese Unterschiede bei Weitem 
nicht so gross, wie die zwischen den vegetativen Formen einerseits und den 
Sporen andererseits. Wir wissen nun heute von einer grossen Anzahl von Krank¬ 
heitserregern, ob sie Sporen bilden oder nicht, unter welchen Umständen sie dies 
thun; wir haben in ausgedehnten Versuchsreihen ihre spezifische Widerstands¬ 
fähigkeit kennen gelernt. Wir können daher unser Desinfektionsverfahren viel¬ 
fach dem konkreten Bedürfnisse anpassen und haben heute die Sicherheit, dass 
wir oft mit Mitteln und Verfahren aasreichen, auch wenn sie den schwierigsten 
Aufgaben nicht gewachsen sind. Den Sporen (z. B. denen des MUzbrand- 
bacUlus) gegenüber versagen die allermeisten Chemikalien ent¬ 
weder überhaupt oder doch innerhalb der in der Praxis in 
Betracht kommenden Konzentrationen und Einwirkungsdauer. 
Auch die meisten neueren Mittel verhalten sich nicht anders, so insbesondere 
auch das Lysol. Die Milzbrandsporen werden bei gewöhnlicher Temperatur nur 
durch Chlorkalklösungen von 1 Prozent und darüber, sowrie von Gemischen von 
Aetzsublimat und Säuren von circa l^Uo tind darüber, allenfalls auch noch von 
Gemischen von Karbolsäure, oder Kresolen und Schwefelsäure oder Salzsäure zu 
gleichen Volumtlieilen in lO’^/gigen oder stärkeren Lösungen rasch getödtet. 

Dies hält uns aber nicht mehr ab, von den andern Mitteln andereren In¬ 
fektionsstoffen gegenüber ausgiebigsten Gebrauch zu machen, und zwar mit dem 
besten Erfolge. Im Vorbeigehen sei auf die bekannte Thatsache hingewiesen, 
dass der Choleravibrio (gKommabacillns“), der Erreger der asiatischen Cholera, 
glücklicherweise zu den allerhinfälligsten Mikrobien gehört, so dass wir ihm 
gegenüber eine verhältnissmässig reiche Auswahl von Mitteln haben. 

Ein zweites für die Praxis überaus wichtiges Beurtheilungsmoment ist — 
wie schon oben angedeutet wurde — der Umstand, ob das Desinfektions¬ 
mittel durch die Massen, in denen die Krankheitskeime einge¬ 
bettet sind, in seiner Wirkung beeinflusst wird, oder nicht. Zum 
Beispiel Sublimat und die anderen Salze der schweren Metalle geben mit Massen, 
welche Eiweiss und verwandte Verbindungen enthalten, Niederschläge. In der 
unlöslichen Verbindung sind dann die Metalle unwirksam und der Niederschlag 
hindert auch vielfach das Eindringen eines Ueherschusses des Metallsalzes in die 
tieferen Theile des Objektes. 

Endlich muss ausser der Desinfektionswirkung des Mittels oder Verfahrens 
auch noch in Betracht gezogen werden: die Konstanz seiner Zusammen- 



450 


Kleinere Mittheilungeu und Referate aus Zeitscliriften. 


Setzung, beziehungsweise Wirkung; derGrad seiner Schädlich¬ 
keit oder Giftigkeit für Mensch und Thiere (gänzlich unschädliche 
Desinfektionsmittel giebt es begreiflicherweise nicht); seine Wirkung auf 
die zu desinf izirenden Obj ekte; dieMenge, in deres hergestellt 
wird, und seine allgemeine Erhältlichkeit; endlich sein Preis. 
Diese beiden letzten Momente allein schlirssen die Verwendung vieler trefflicher 
Desinfektionsmittel zum allgemeinen (üd)rauch aus (z. ß. Chloroform, Thymol, 
Kreosot u. s. w.) zur Vernichtung des Choleravibrio, den sie hochgradig ver¬ 
dünnt in kürzester Frist ausserhalb des menschlichen Körpers tödteu. 

Im Hinblicke auf alle diese Umstäude sei zunächst über jene Desinfektions¬ 
mittel, Avclcher bereits die Desiufektiousvorschrift von 1887 Erwähnung thut, 
das Folgende bemerkt: 

Der gesättigte re i ne Wass er clam pf von 100 Grad und die Apparate, 
die auf seiner Anwendung beruhen, haben sich auch in den letzten Jahren voll¬ 
ständig bewährt. Es liegt daher kein Grund vor, in den Hitzedesinfektions- 
apparaten wesentlich höhere Temperaturen herziistellen, welche nur die ()l>jekte 
schädigen und wesentlich höhere Kosten vcrnrsaclien würden. Es ist daher auch 
nicht darauf einzuratheu, die Apparate, welche mit Dampf von 140 Grad und 
heisser Luft von 120 Grad arbeiten, zu verwenden. 

Die Karbolsäure kann vielfach in geringerer als 5^/oig^rKonzentration 
angewendet werden. Diese Konzentration wurde seinerzeit empfohlen, w'eil man 
annahin, dass diese Konzentration im Stande sei, auch Sporen rasch zu tödten. 
Dies ist nun nicht der Fall, gegenüber allen sporeulosen Mikrobien aber reichen 
viel niedrigere Konzentrationen aus. So wird M. pyogenes aureus, eine der 
widerstandsfähigsten Spaltpilzarten, durch 3®/oige Karbolsäure innerhalb 10 bis 
30 Sekunden getödtet; der Oholeravibrio auch noch durch 2^/oige Lösung fast 
momentan. Zu allen Abwaschungen, die bei Cholerafällen Vorkommen, könnten 
daher unbedenklich 2®/oige Lösungen verwendet werden. 

Der Chlorkalk ist, was energische Wirkung anbelangt, eines der vor¬ 
züglichsten Desinfektionsmittel, das wir kennen. Allerdings kommt er mit un- 
gleichmässigem Chlorgehalte in den Handel und ist oft sehr unbeständig. Indess 
wirkt er, wenn er nicht ganz verdorben ist, unter allen Umständen so kräftig, 
dass auf seine Anwendung in solcher Menge (gelöst oder in Pulverform), dass 
er ein Prozent der zu desiufizirendeu Massen ausraacht, besonders zur Desinfektion 
von Dejekten, eventuell Grubeninlialt und dcrgl., bei Cholera unbedenklich ein- 
gerathen werden kann. 

Ein vorzügliches Mittel, das ülierall zu haben und sehr billig ist, ist das 
Kalkwasser, bezw. die Kalkmilch. D*r Zusatz von 20®/oiger Kalkmilch 
zu Dejekten, Gnibeninhalt und dergl. in stjlcher Menge, dass die Massen min¬ 
destens 1 ®/o Kalkhydrat erhalten, ist, spezödl bei Cholera und Typhus überaus 
empfehleuswerth. Gründliche Misehiing voi.uisgesetzt, sind nach einstündiger 
Einwirkung des Mittels auf diarrhöische Dejekte die Cholerakeime vollständig 
abgetödtet. 

Verdünnte Lösungen von Aetzalkalicn und insbesondere solche von 
kohlensauren Alkalien sind bei gewöhnlicher Temperatur viel weniger 
wirksam als Kalkhydrat und daher viel weniger empfehlenswerth. 

Die in der Desinfektioiisordming empfohlene Kali seife ist als bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur gegenüber dem Choleravibrio auch in mehrprozentiger 
Lösung gänzlich unwirksam und daher für sich allein nicht anzuwendeu. 

Von sonstigen im grö.ssercn Massstabo erzeugten billigen und überall 
erhältlichen Chemikalien seien die Mineralsäuren genannt. Ihrer Anwendung 
steht im Allgemeinen ihre Gefährlichkeit in konzeutrirtem Zustande und ihre 
zerstörende Einwirkung auf Metallgegeiistände, aber auch auf Mauerwerk u. s. w. 
im Wege. Zur Bekämpfung der Cholera könnten sie aber sehr gut mitverwendet 
werden, da hier sehr geringe Konzeutrationeii ausreichen. V 2 ^/o selbst 
freie Mineralsäure in den zu desinfizirenden Massen reicht hin, raschest den 
Tod des Choleravibrio herbeizuführen. 

Noch geeigneter als die Mineralsäiiren für sich sind die Gemische von 
Salzsäure oder Schwefelsäure mit Karbol säure (gleiche Volumtheile 
unter guter Kühlung zu mischen). Diese Gemische sind weniger ätzend 
und gehören, wie schon eingangs erwähnt zu den allerkräftigsten Desinfektions¬ 
mitteln. Insbesondere den Dejekten gegenüber finden sie vortheilhaft Anweii- 



[Kleinere Mittheilnngon und ßeferfite aus Zeitschriften. 


451 


düng. Die rohe Karbolsäure wird durch die angegebene Mischung* mit Säuren 
viel brauchbarer und wirksamer. 

Die Hauptbestrebungen der Industrie auf diesem Gebiet gingen auf die 
Verwerthung der Stoffe des Steinkohlentheers aus. Für mauche Fraktionen der 
Destillation, die in grossen Mengen anfaUen, gab es bisher keine Verwendung. 
Wie sie nutzbar machen? Diesem Bestreben verdankt zunächst das Kreolin seinen 
Ursprung. Das Kreolin Pearson und seine Nachahruuiigen ((’reoliuum 
viennense, Brockmann’s Kreolin etc.) sind irn Wesentlichen Theeröle, welchen 
Seifen, besonders Harzseife, zugesetzt sind, wodurch sie theils in Wasser löslich, 
theils in Wasser emulgirbar werden. 

Ihrer Anwendung steht vor Allem im Wege, dass man cs bei ihnen mit 
komplizirten Gemischen zu thun hat, die in ihrer Zusammensetzung wechselnd 
und unkontrolirbar sind, wie die Versuche ergeben haben, auch thatsächlich in 
ihrer Wirksamkeit sehr veränderlich sind. Ihre Wirksamkeit ist aber auch 
überhaupt, infolge Anwendung fehlerhafter Prüfungsmethoden, ausserordentlich 
überschätzt worden und steht in keinem richtigen Verhältnisse mit ihrem Preise. 
So ergab sich, dass eine 10Emulsion von Kreolin Pearson auch bei wochen- 
langer Einwirkung Milzbrandsporen nicht tödtet. Eine 25^/oige Lösung von 
Kreolin Pearson tödtet M. pyogenes aureus unter den günstigen Bedingungen 
innerhalb einer Stunde noch nicht. 

Die anderen Präparate gleicher Art verhalten sich nicht besser. 

Immerhin muss man aber den Kreolinen eine bedeutende Desinfektions¬ 
wirkung zuerkennen, wenn man berücksichtigt, dass sie an den allein wirksamen 
Phenolen nur beiläufig 10% ihres Gewichtes enthalten. Dies führte zur Erkennt- 
niss, dass die höheren Homologen des Phenols, iiisbesonders die Kresole bedeu¬ 
tend energischere Desinfizientien als die Karbolsäure sein müssen, und cs kam 
nun nur darauf an, sic in grösserer Menge in wässeriger Lösung zu bringen. 
Dies wurde zuerst erreicht, indem man sie, ebenso wie die Karbolsäure, mit 
Schwefelsäure mischte. Ein Gemisch von gleichen Volumen (oder Ge¬ 
wichten) Kresole undSchwe felsäure ist in allen Verhältnissen in Wasser 
löslich und tibertrifft noch das Gemisch von Karbol- und Schwefelsäure an Des¬ 
infektionskraft. Immerhin ist die Anwendbarkeit aller dieser Säuregemische eine 
recht beschränkte; auch desshalb, weil sie mit eiweisshaltigen Massen grobe, 
schwer durchdringliche Niederschläge geben. 

Viel aussichtsreicher erschien eS; den Weg, der mit dem Kreolin betreten 
worden war, weiter zu verfolgen und die Kresole durch Seife in Lösung zu 
bringen. Nur empfahl sich aus mehrfachen Gründen der Ersatz der Harzseife 
durch Fettseife. Dieses Verfahren ist nun im Lysol patentirt worden. 

Das Lysol besteht im Wesentlichen aus neutraler Kaliseife von Fett¬ 
säuren (Leinölsäure), etwas Wasser (8—10%) und Kresolen (ca. 50 Vol. %). Es 
ist in allen für die Desinfektion in Betracht kommenden Verhältnissen in des- 
tillirtem Wasser klar löslich. Mit gewöhnlichem Wasser giebt es Niederschläge 
von Kalkseifen und wird trübe. Jedoch ist dies ohne Bedeutung für die Wirk¬ 
samkeit, wenn nicht die Härte des Wassers eine exorbitante sein sollte. 

Das Lysol wird im Grossen durch Digeriren von Aetzkali - Oelsäuren und 
Kresolen gewonnen. Seine gegenwärtige Erzeugung soll täglich mindestens 
5000 kg betragen. Da das Lysol kein einheitlicher Körper ist und keine äusse¬ 
ren Kennzeichen für konstante Zusammensetzung und Wirksamkeit aufweist, 
hat die Firma ihr Produkt einer wissenschaftlichen, ständigen Kontrole unter¬ 
worfen. Dieselbe wird im Deutschen Kelche durch Geheimrath Engl er (Karls¬ 
ruhe), Prof. Schottclius (Freiburg i. B.) und Dr. Schmitt (Wiesbaden), 
in Oesterreich durch Prof. Dr. M. Grub er besorgt. Letzterer untersuchte 
jährlich 24 ohne Vor wissen der Firma direkt aus dem Gross- und Kleinhandel 
bezogene Lysolprohen chemisch und bakteriologisch. Bisher war das Resultat 
vollkommen zufriedenstellend. Der Preis des Lysolum purum ist, wie aus den 
Angaben der Firma hervorgeht, niedriger als der der reinen Karbolsäure. 

Wie schon oben erwähnt wurde, ist das Lysol auch in 10 % iger Lösung 
gegen Milzbrand- und andere Sporen bei gewöhnlicher Temperatur gänzlich un¬ 
wirksam. Dagegen besitzt es hervorragende desinfizirende Eigenschaften gegen 
die vegetativen Formen der Mikrobien, worüber säramtliche Untersucher des 
Präparates vollkommen einig sind. 

Wie Prof. M. Grub er bereits auf dem VIL internationalen Kongresse 
für Hygiene und Demographie in London im vorigen Jahre mitgetheilt hat, ist 



452 Kleinere Mittheilongen und Keferaie ans S^itschriften. 

eine 2 <*/o ige Lösung von Lysol im Stande, binnen 30 Sekunden kräftigste Aureus* 
kultur zu tödten, kommt also hierin 3 % iger Karbolsäure gleich. Zur Tödtung 
des Choleravibrio binnen kürzester Frist genügt eine Konzentration von l”/«,. 

Es verdient aber bervoigehoben zu werden, dass mit fortschreitender 
weiterer Verdünnung das Lysol rasch unwirksam wird, dass insbesondere seine 
eutwickelungshemmende Wirkung in einem auüälligen Missverhältnisse zu seiner 
abtödtenden Wirkung in höheren Kozentrationen steht. Während, wie oben 
erwähnt, eine 2 '‘/o ige Lösung Aureas binnen Va Minute tödtet, hemmt ein Gehalt 
von Va» j®' in eiweisshaltigem Nährboden sogar ein solcher von */a ®/o nicht ein¬ 
mal die Vermehrung des Aureas vollständig. Es dürfen daher keine verdünnteren 
Lysollösnugen als 1 "/o ige in der Praxis angewendet werden. Eiweissgehalt des 
Mediums ist auch auf die Wirkung des Lysol von Eindnss, jedoch ist derselbe 
kein sehr bedeutender. So tödtet eine 2 % ige Lysollösung Aureus in peptoni¬ 
schem Blutserum oder in Eiter und dergl. binnen längstens drei Minuten. 

Vermöge seines Seifengehaltes besitzt das Lysol in hervorragendem Hasse 
die Eigenschaft zu reinigen. Fette Gegenstände, z. B. auch die Hände, können 
ohne Weiteres mit Lysollösung zugleich gereinigt und desinfizirt werden, 
während bei den meisten anderen Deeinfektionsmitteln, wenn man sicher gehen 
will, die Hände zuerst mit Seife und Bürste gereinigt und benetzbar gemacht 
werden müssen. 

Auch für die Reinigung von Wäsche, Fussböden und Anderem ist dies 
ein grosser Vorzug. Dagegen bringt der Seifengehalt den Nachtheil, dass die 
Finger, die Instrumente schlüpfrig werden, was bei chirurgischen Operationen 
sehr hinderlich wird. 

Das Lysol ist zwar nicht ungiftig, besitzt aber auch bei innerlicher An¬ 
wendung, subcutan und per os, — nach Versuchen an Meerschweinchen und 
Kaninchen zu schliessen — viel geringere Giftigkeit als Karbolsäure. 

Das Lysol hat keine ätzenden Eigenschaften. Es kann unverdünnt auf 
die Haut gebracht werden, ohne diese zu ätzen oder zu reizen.*) Konzentrirte 
Lösungen (10- und 20% ige) verursachen bei mehrere Minuten langem Verweilen 
Gefühl von Brennen und Röthung dünnerer Hautstellen. Verdünnte Lösungen 
(2 %) sind, auch auf die Schleimhäute applizirt, unschädlich; auf die Epidermis 
gebracht, ganz frei von den unangenehmen Wirkungen der Karbolsäure. Sie 
lassen die Haut geschmeidig. 

Gerade die letztgenannten Eigenschaften machen das Lysol überaus werth¬ 
voll für die Desinfektion der Hände und für die geburtshilfliche, und speziell 
für die Hebammeiipraxis, in der cs auch bereits ausgedehnteste Anwendung findet. 
Der unangenehme Geruch der Lysollösungen ist dabei allerdings ein Uebelstand, 
den sie aber mit vielen Desinfizientien theilen. 

Nach Allein kann kein Zweifel darüber bestehen, dass das Lysol durch¬ 
aus verdient, unter die Zahl der offiziell anempfohlenen Des¬ 
infektionsmittel aufgenommen zu werden. 

In neuester Zeit werden ebenfalls nach patentirtem Verfahren auf Ver¬ 
anlassung H neppe’s zwei neue Kresolpräparate im Grossen von der Firma 
F. V. Heyden’s Nachfolger hergcstellt: das Solveol und das Solntol. Das 
Erstere ist eine neutrale, wässerige Lösung der Kresole in kresotinsaurem Natron, 
das Zweite eine alkalische Auflösung der Kresole in Kresolalkali. Das Erste 
ist vor Allem für die chirurgische Praxis bestimmt und bietet für diese den 
grossen Vorzug, dass es Hände und Instrumente nicht schlüpfrig macht und auch 
in gewöhnlichem Wasser sich klar löst. Das Solntol ist für die allgemeine 
Desinfektionspraxis bestimmt. Auch das Solntol ist wasserlöslich. Der Geruch 
der Lösungen ist weniger unangenehm als der des Lysols. 

Es war von vorneherein nicht zu bezweifeln und erscheint durch die 
Versuche Hammer’s in Hueppe’s Laboratorium sicher gestellt, dass beiden 
Präparaten hohe Desinfektionskraft zukommt. Auch Versuche Dr. A. Heider’s 
im hiesigen hygienischen Institute haben sehr günstige Resultate gehabt. Nach 
Hammer ist die Wirkung des Solveol, auf gleichem Kresolgehalt reduzirt, 
nahezu die gleiche, wie die des Lysol. Ebenso verhält es sich in Bezug auf die 
Giftigkeit der Präparate. (Nach den Versuchen Hammer’s sind circa 0,6 Gramm 
Kresol pro 1 Kilogramm Thier zur Tödtung erforderlich.) Während das Lysol 


*) Jedoch kommen immerhin auch Fälle von Idiosynkrasie gegen Lysol vor. 



Kleinere Mittheilongen und Referate aus Zeitschriften. 


453 


zu circa 50 ans Kresolen besteht, enthält das Solveol nach Angabe der Firma 
27®/„ das Solutol 60,40®;« davon. 

Das Solveol ist nicht ätzend. Das Solutol ist allerdings in unverdünntem 
Zustande ätzend. Da aber selbst eine 20®/oige Lösung keine nennenswertbe 
Aetzwirknng auf die Haut austtbt, dürfte dies für die Praxis bedeutungslos sein. 

Das Solutol theilt mit dem Lysol die fettlösende und reinigende Wirkung. 
Der En-gros*Preis ab Fabrik beträgt nach Angabe der Firma per 100 ^ Boh- 
solntol 40 Mark, per 100 kg Reinsolutol 60 Mark. En*detail ist es in Wien 
derzeit noch nicht käuflich. Das Lysol kostet loco Wien en-detail 1 fl. 30 kr. 
pro 1 kg. 

Nach den erwähnten, bisher vorliegenden, allerdings spärlichen Erfahrungen 
sind also beide letztgenannten Präparate ebenfalls empfehlenswerth und das 
Solutol wäre — vorausgesetzt, dass die Konstanz seiner Zusammensetzung 
sicher gestellt wird, ebenfalls in die Reihe der offiziell empfohlenen 
Desinfektionsmittel aufzunehmen. 

Zum Schlüsse sei noch besonders hervorgehoben, dass durch Erwärmen 
dieWirkung der Desinfektionsmittel bedeutend erhöht werden 
kann, wie insbesondere Versuche von Dr.A. Beider im hygienischen Institute 
in Wien ergeben haben. Wo immer es möglich ist, namentlich zur Desinfektion 
der Wäsche, sollte davon Gebrauch gemacht werden. Lange bevor die Siede¬ 
temperatur des Wassers erreicht ist, sind selbst die widerstandsfilhigsten 
Knmkheitskeime durch verhältnissmässig schwache Lösungen der Desinfektions¬ 
mittel sicher zu tödten. 

Wenn man die Wäsche vor dem Erhitzen durch einige Zeit in der kalten 
Lösung des Desinfektionsmittels einweicht, so bilden sich beim späteren Ans¬ 
kochen keine von Blut, Lochialsekret u. s. w. herrührende Flecken mehr. Be¬ 
sonders geeignet sind für diese Reinigung verdünnte Alkali-Laugen und 
Lysol. Auch Solutol dürfte hierfür passend sein. 

Noch sei des Saprols Erwähnung gethan, das von Dr. NOrdlingcr 
in Frankfurt in den Handel gebracht wird. Es ist zur Desinfektion und Desodo- 
risation von Dejekten, Gruben- und Tonnen-Inhalt n. s. w. bestimmt. Im 
Wesentlichen ist es, wie die Analyse in Uebereiustimmung mit der Angabe der 
Firma erwiesen hat, eine Auflösung von roher Karbolsäure in Mineralöl. Da es 
spezifisch leichter als Wasser ist, schwimmt es auf den genannten Massen oben 
auf und schliesst sie von der Luft ab. Nach den Versuchen, die Dr. Kerner 
V. Marilaun im hygienischen Institute in Wien angestellt hat, ist das Saprol 
ein vorzügliches Desodorans und sehr geeignet, Bakterienwachsthum und Fäulniss 
zu hemmen. 

Es wirkt auch in bemerkenswerthem Masse desinfizirend, aber es ist seine 
Wirku^ in dieser Richtung doch zu langsam und unsicher, als dass es als ein 
eigentliches Desinfiziens gegen die Kranläeitskeime zu empfehlen wäre. Dafür 
sind Stoffe, die sich in toto in Wasser lösen und mit den Massen sofort mischen 
lassen, weit verlässlicher. 


Die Einffihrnn^ des Lysol an Stelle des Kreolin als obligatorisches 
Desinfektionsmittel in die Hebammenpraxis. 

In der 35. Sitzung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
iu Elsass-Lothringen wurde von Dr. Braun, dem Direktor der Hebammen- 
schule in Metz die Mittheilnng gemacht, dass das kaiserliche Ministerium für 
Elsws-Lothringen ersucht werden solle, an Stelle des bisher für die Hebammen 
obligatorischen Kreolins ein anderes Mittel, das Lysol, zu setzen. Als Miss¬ 
stände, welche dem Kreolin anhaften, wurden angeführt: 

1. Das Kreolin wird bei längerer Aufbewahrung dickflüssig und fliesst 
dann schwer, oder gar nicht ans der Flasche. 

2. Das KreoUn ist im Wasser nicht löslich, sondern bildet mit demselben 
nur eine Emulsion. Reines Kreolin ballt sich trotz sorgfältigen Umrührens zu 
kleinen oder auch grösseren Kügelchen zusammen, welche bei Waschungen und 
Scheidenausspülungen ätzend wirken und heftige lange anhaltende Schmerzen 
verursachen, sodass die Wöchnerinnen sich nicht selten der wiederholten Kreolin- 
anwendung geradezu widersetzen. 



454 


Besprechungen. 


3. Das Kreolin hiuterl&sst endlich in den benntzten Gefässen einen 
schmierig - öligen, schwer zu entfernenden Belag, und verdirbt dadurch die Kaut- 
schukschlänche der Sjittlkannen. 

Als Vorzüge des Lysols werden dagegen horvorgehoben: 

1. Das Lysol ist nicht allein in Reinkulturen, sondern auch in Bakterien¬ 
gemischen wirksamer als Karbolsäure und Kreolin. 

2. Die Desinfektion der Hände gelingt bei Anwendung von 1®/, Lösung 
ohne Anwendung von Seife. 

3. Das Lysol ist von allen Antisepticis das bei Weitem ungiftigste. 

Dr. Dfitschke-Anrich. 


Beiträge znr Deainfektionslehre nnd zur Kenntnis» der Rresole. 
Von Dr. Bnttcrsack, Königl. wUrttt. Assistenzarzt I. Kl., kommandirt znm 
Kaiserlichen Gesundheitsamt. Mit 2 Tafeln. Sonderabdruck aus den „Arbeiten 
aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte“, VIII. Bd., 2. H. 

Verfasser hat die Kresole, besonders die von Hüppe als Solveole bezw. 
Solntole bezeichneten neutralen bezw. alkalischen Lösungen der Kresole in Be¬ 
zug auf ihre kemtödtende Wirkung einer eingehenden Prüfung unterzogen und 
ist dabei zu folgendem Resultat gekommen: 

Der Prüfung wurden 13 verschiedene Kresole unterworfen: Ortho-, Meta- 
und Parakresol in wässeriger Lösung, hoch- und niedrigsiedendes Kresol, sowie 
Kresolvon mittlerem Siedepunkt in m-kresotinsaurem Natrium; gereinigtes Kresol 
in gereinigtem kresolkarbonsaurem Natrium; Rohkresol in rohkresolinsaurem 
Natrium, Rohkresol iu Rohkresol-Natrium bezw. gereinigt von Pyridin und 
Naphthalin, gereinigtes Kresol in naphthalin-sulfonsaurem Natrium, 33®/o Kresol 
in neutralen Sulfolsalzen gelöst und Kresolin. Die 11 zuerst genannten Präparate 
stammten aus der Fabrik von Dr. F. v. Heyden in Radebeul bei Dresden, die 
beiden letzteren aus derjenigen des Dr. G. Krämer. 

Mit Rücksicht auf die praktische Verwerthbarkeit wurden die Desinfek- 
tionsversnehe mit dem für die t’hirurgie sehr wichtigen Staphylococcus anrens, 
mit den sehr widerstAndsfähigen Milzbrandsporen und mit tuberkulösem Answnrf 
angestellt. Das Resultat der Untersuchungen war folgendes: Reinkulturen von 
Staphylococcus aureus in Bouillon mit gleichen Mengen einer 2®/o resp. l*/# 
Kresollösnng vermischt, so da.ss also eine 1 ®/„ resp. 0,5 ®/„ Lösung entstanden, 
wurden in 1 ®/, Lösung sämmtlich schon nach einer Minute abgetödtet, nur das 
niedrigsiedende Kresol zeigte diese Wirkung ebensowenig wie Karbolsäure, wohl 
aber Lysol. In 0,5 ®/„ Lösung wurden die Reinkulturen von Staphylococcus durch 
Rohkresol nach einer Minute, durch Parakresol und gereinigtes Kresol nach 
5 Minuten getödtet, während sie in den übrigen KresoUösungen, in Lysol- und 
Karbollösnng noch nach 10 Minuten lebensfähig waren. 

Milzbrandsporen vermochten nur Rohkresol in Rohkresol - Natrium bezw. 
gereinigt von Pyridin und Naplithalin als 10®/„ Lösungen innerhalb 4 Tagen zu 
tödten; die anderen 10®/„ KresoUösungen, sowie 5®/o Lysol- und Karbollösung er¬ 
reichten diese Wirkung in der ersten Woche überhaupt nicht. Eine schnelle Des- 
infektionswirknng wird also mit den Solveolen und Solutolen (abgesehen von dem 
Rohkresol) ebensowenig wie mit einem der übrigen gebräucblichen Desinfektions¬ 
mittel erreicht. 

Wesentlich günstiger stellten sich die Resultate bei den Desinfektionsver¬ 
suchen mit Tnberkelbazillen. Frischer, viel Tuberkelbazillen enthaltender Lun- 
genauswurf wirkte bei Zusatz von 10 ®/o Kresol- und Lysollösung in Ueberschuffl 
nach 6 Stunden nicht mehr infektiös; an Holz oder Glas angetrockneter Aus¬ 
wurf wurde schon nach 1 bis 2 Minuten dauernder Einwirkung der belasten¬ 
den KresoUösungen vollständig unschädlich gemacht. Dieselbe Wirkung wurde 
in der gleichen Zeit durch siedendes Wasser erzielt, während Milzbrandsporen 
erst nach 10 Minuten in kochendem Wasser abgetödtet wurden, Rpd. 



Bosprechongen. 


455 


Besprechungen. 

Dr. Rud. Emmerich und Dr. Herrn. Trillich: Anleitung zu hygie¬ 
nischen Untersuchungen. Mit 97 Abbildungen. Zweite 
vermehrte Auflage. München 1892. M. Rieger’scheUniversitäts- 
Buchhandlung. Gross 8®; 415 S. Preis: 8 Mark (gebunden). 

Das vorliegende, auf Veranlassung v. Pettenkofer’s herausgegebone 
und in erster Linie zum praktischen Gebrauche für Physikatskandldaten und 
Medizinalbeamte bestimmte Werk bietet eine vortreffliche, kurzgefasste Zu¬ 
sammenstellung aller derjenigen hygienischen Untersuchungen, die dem beamteten 
Arzte am häufigsten Vorkommen und deren Kenntniss von ihm wenigstens inso¬ 
weit verlangt werden muss, dass er ihre Ausführung zu kontroliren und ihr Er- 
gcbniss richtig zu beurtheilen vermag. — Der rasche Abgang der ersten, inner¬ 
halb Jahresfrist vergriffenen Auflage zeigt am besten, wie sehr das Buch einem 
allerorts empfundenen Bedürfnisse abgeholfen hat; mit seiner neuen, wesentlich 
vermehrten und verbesserten Auflage wird sich die Zahl seiner Freunde sicherlich 
noch vermehren, besonders unter den zur Theilnahme an einen hygienischen 
Kursus einberufenen Medizinalbeamten, denen die Anschaffung des Buches nicht 
dringend genug empfohlen werden kann. Sie finden in demselben die wich¬ 
tigsten chemischen, physikalischen und bakteriologischen Untersuchungsmethoden 
der Luft, des Wassers und des Bodens ebenso klar und leicht verständlich dar¬ 
gestellt, wie diejenigen der Nahrungs- und Genussmittel, der Gebrauchsgegen¬ 
stände u. 8. w.; auch die für die Beurtheilung der Baumaterialien, der natür¬ 
lichen und künstlichen Ventilation, der Beleuchtung und Heizung erforderlichen 
hygienischen Untersuchungen sind eingehend erörtert. Bei der Auswahl der 
Untersuchungsmethoden haben die Verfasser den Zweck ihres Buches niemals 
ausser Acht gelassen und von den neueren Methoden nur diejenigen mitgetheilt, 
die sich auf Grund ihrer eigenen Untersuchungen als Fortschritt oder als Ver¬ 
einfachung erwiesen haben. 

Druck und Ausstattung des für alle beamteten Aerzte unentbehrlichen 
Werkes sind vorzüglich, die beigegebenen zahlreichen und instruktiven Ab¬ 
bildungen tragen wesentlich zum leichteren Verständniss des Textes bei. Kpd. 


Herbert W. Page, M. A.: Eisenbahn-Verletzungen in foren¬ 
sischer und klinischer Beziehung. Autorisirte deutsche 
üebersetzung von Dr. S. Placzeck in Berlin. Verlag von 
S. Karger; Berlin 1892. Gross 8®. 

Das vorliegende Bueb behandelt in ausführlichster Weise ein Kapitel in 
der Geschichte der Nervenkrankheiten, welches seiner eminenten praktischen 
Bedeutung halber in den letzten 16 Jahren häufig Gegenstand der Diskussion 
gewesen ist. Das Werk kann, wie der Uebersetzer in einem kurzen Vorwort 
betont, als Uebergangsstnfe von der einseitigen Railwayspine zu der umfassen¬ 
deren traumatischen Neurose gelten und soll sein Werth nicht dadurch beeinträch¬ 
tigt werden, dass die Auffassung des Krankheitsbildes seitens des Autors in vielen 
wesentlichen Punkten von der Auffassung deutscher Eisenbahnärzte und Neuro¬ 
logen abweicht. Besonders tritt dies im Eingang der Arbeit hervor, wo es 
heisst: „Die Theorie, welche die nervösen Folgezustände der Eisenbahnver- 
letznngen auf Meningo-myelitis des Gehirns und BUckenmarks zurttckzufnhren 
suchte, findet keinen Anhang mehr und wird ihn auch in Zukunft wahrschein¬ 
lich nicht wiedererlangen, falls sie nicht auf mehr pathologische und klinische 
Fakta sich stützt, als ursprünglich zu ihren Gunsten angeführt wurden; die 
Folgen einer Eisenbahnverletzimg sind glücklicherweise nicht so ernster Natur, 
wie es jene Theorie annahm, trotzdem beanspruchen sie vollste Aufmerksamkeit, 
wegen der ernsten, wenngleich gewöhnlich vorübergehenden Wirkungen des 
Nervensystems“. Die Anschauung, welcher Page Geltung zu verschaffen sucht, 
geht dahin, dass die meisten der seltsamen, gewöhnlich nach Eisenbahnun- 
Dillen zu konstatirenden nervösen Symptome nicht anatomischen Läsionen des 
Bückenmarkstranges ihren Ursprung verdanken, sondern mehr oder weniger un- 



456 


Tagesnachrichten. 


mittelbare Begleiterscbeinougeu der gewaltigen psychischen Alteration sind, 
welche fraglos die besonderen Schrecknisse jener Kollision bedingen. Referent 
wies im Gegensatz hierzu bereits im Jahre 1881 nach (Ein Beitrag zur Diag¬ 
nostik der durch Eiscnbahnunfällc verursachten Verletzungen und Ersch&tterangen 
des Rückenmarks Inaug. Diss. Berlin 1881), dass bei dem wechselvoll gestalteten 
Krankhcitsbilde der RUckeumarkserschütterung nach einem Eisenbahnnnfall, in 
den von Erb in seinem Lehrbuch angeführten Hauptgruppen von Rücken- 
markskommotionen, dem Arzt ein Leitfaden gegeben sei, an dem er ohne zn 
grosse Bemühungen aus den so zahlreich und verschiedenartig anftretenden 
Krankheitssymptomen leicht zn einem richtigen, zutreffenden Bilde von der vor¬ 
handenen ROckenmarksaffektion nach einem Eisenbahnnnfall gelangen könne, 
welches sich sehr wohl auf pathologische und klinische Fakta stützt. 

Der Verfasser hat sein Buch, „auf dass es gelesen werde“, wie er sich 
selbst ansdrUckt, der Uebersichtlichkeit halber, in 8 Kapitel eingetheilt, nämlich: 
Verletzungen des Rückens, allgemeiner Nervenshock, Schreckneurosen, trauma¬ 
tische Hysterie, Behandlung, Simulation und forensische Beurtheilung der Eisen- 
bahnvcrletzungen. Dem Ganzen ist ein ausführliches Litcraturverzeichniss hin¬ 
zugefügt. Der Neurologe und Bahnarzt, der häufiger Gelegenheit hat, solche 
Eisenbahnverletzungen zu beobachten und zu begutachten, wird das Buch mit 
Interesse lesen, aber schwerlich sämmtliche darin ausgesprochene Anschannngen 
des Verfassers thcilcn. 

Dr. Dütschke-Anrich. 


Dr. Schroeder, Kreisphysikus in Weissenfels: 1. Das Fleisch- 
sehauwesen und die Nachprüfungen der Fleischbeschauer desj. 
Kreises Weissenfels im Jahre 1892. 2. Die Tagebücher de 
Hebammen des Kreises Weissenfels im Jahi’e 1891- 
(Allgemeine deutsche Hebammen - Zeitung 1892, Nr. 13.) 

ad 1. Als Festschrift zum 5. Stiftungs - Feste des Fleischbeschauer-Vereins 
Weissenfels entstanden, enthält der Bericht in übersichtlicher Zusammenstellung 
interessante Mittheilungcn über das Fleischschauwesen in jenem Kreise, um 
dessen Entwickelung sich der Berichterstatter grosse Verdienste erworben hat. 
Wir entnehmen dem Schriftchen, dass sich im Kreise Weissenfels 147 Fleisch- 
bpehauer befinden und das Mittel aus dem Verhältniss der Einwohnerzahl zu 
einem Fleischbeschauer im dortigen Kreise 370: 1 beträgt. Zur Hebung des 
Standes der Fleischbeschauer ist ein „Verein der Fleischbeschauer des Kreises 
Weissenfels“ am 26. Juni 1888 von dem Berichterstatter gegründet, welcher in 
8 Untervereine zerifillt, die im Sommer alle vier Wochen, im Winter alle acht 
Wochen tagen, während alljährlich in Weissenfels eine Hauptversammlung statt¬ 
findet. Im Jahre 1891 wurden im Ganzen 25706 Schweine mikroskopisch auf 
Trichinen untersucht; die Gesammt-Einnahme der 147 Fleischbeschauer belief 
sich auf 19279 bis 25706 Mark; die mittlere Jahrescinnahme derselben beti^ 
131 bis 174 Mark. Das Ergebniss der Nachprüfungen der Fleischbeschauer wird 
als ein durchaus gutes hingestellt. 

ad 2. Der Bericht enthält vorwiegend statistische Angaben über die 
Thätigkeit der 48 im Kreise Weissenfels praktizirenden Hebammen, in sorgfäl¬ 
tigster Weise aus den Tagebüchern derselben znsammengestellt. Bezüglich der 
von den Hebammen gestellten Diagnosen der Kindertagen wird darüber Klage 
geführt, dass die Hebammen ungenaue Angaben machen, welche Schädellage 
vorliege und sich meist damit begnügten, dass eine Schädellage vorliege. Bei 
der Schilderung des Karbolverbrauches seitens der Hebammen wird erwähnt, 
dass eine grosse Zahl derselben darüber klagt, dass die 3*’/o Karbolsäurelösnng 
zn stark sei und Anästhesie der Hände und Arme verursache; in Folge dessen 
schlägt Schröder vor, wie dies ja auch in Eisass-Lothringen geschehe, die 
Karbolsäure durch Lysol zu ersetzen. Ders. 



Tagfesnachrichten. 


457 


Tagesnachrichten. 

Dnrch die in der heutigen Beilage mitgethciltcn Königlichen Ver¬ 
ordnung vom21. Jnli d. J. wird den Vertretern der Aerztekammem, 
die gemäss §. 3 der Verordnung vom 25. Mai 1887 zu den Sitzungen der 
Provinzial • Medizinalkollegien und der Wissenschaftlichen Deputation, in denen 
Uber allgemeine Fragen oder öffentliche Gesundheitspflege oder Uber Anträge von 
Aerztekammem beschlossen wird, als ausserordentliche Mitglieder zuznziehen 
sind, volles Stimmrecht gewährt. 


Auf die von dem Deutschen Verein für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege an den Reichskanzler unter dem 19. März d. J. eingereichte 
Eingabe, betreffend Untersuchungen über die Selbstreinigung der Flüsse, 
ist unter dem 8. Juni d. J. folgende Antwort erfolgt: 

„Der Ausschuss des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege hat 
auf Grand der von der letzten Jahresversammlung des Vereins gefassten Be¬ 
schlüsse mittels Eingabe vom 19. März d. .1. die Einleitung systematischer Unter¬ 
suchungen Uber die Selbstreinigung der Flüsse bei mir in Anregung gebracht. 
Ich habe daraus gern Veranlassung genommen, die Rrage dnrch das Kaiserliche 
Gesundheitsamt einer Prüfung zu unterwerfen. Nach dem Ergebniss derselben 
ist jedoch von derartigen Untersuchungen der erhoffte Nutzen nicht zu erwarten. 
Das Gutachten, welches die genannte Behörde erstattet hat, beruht auf der Er¬ 
wägung, dass die Art und Weise, wie sich die Gewässer der ihnen zugefUhrten 
Sebmntzstoffe entledigen, eine sehr verschie<lene ist und insbesondere stets ab¬ 
hängig bleibt von der Beschaffenheit der Verunreinigungen, von deren Mengen- 
verhältniss, von der Bewegung des Wassers, auch von dem in der Nähe der 
StrommUndungen sich geltend machenden Einfluss der Ebbe und Fluth und bei 
Landseen von der Einwirkung des Windes auf die Wasseroberfläche. Das Gut¬ 
achten weist darauf hin, dass die niederen Algen und andere Wasserpflanzen 
eine hervorragende Rolle bei dem Prozess der Selbstreinigung spielen, dass ver¬ 
schiedene Bakterienarten, welche dnrch ihre Lebensvorgänge die organischen 
Stoffe zersetzen, daran Theil haben, und dass das Gedeihen und daher auch die 
Wirkung dieser Faktoren wiederum von der Beschaffenheit des Bodens, von der 
Tiefe, Zusammensetzung, Bewegung und Temperatur des Wassers abhängig sei. 
Daraus folgert das Kaiserliche Gesundheitsamt meines Erachtens mit !^cht, 
dass die Selbstreinigung in verschiedenen Gewässern und sogar in einzelnen 
Theilen desselben Gewässers dnrch verschiedene Ursachen bedingt sein kann, 
dass Untersuchungen der angeregten Art somit in sehr grosser Zahl an den ver¬ 
schiedensten Punkten angestellt werden müssen, und dass selbst Untersuchungen 
erschöpfendster Art in ihren Ergebnissen keineswegs für die Dauer als mass¬ 
gebend gelten könnten, da die Bedingungen der Selbstreinigung unter dem 
Einflüsse wirthscbaftlicher und baulicher Veränderungen im Laufe der Zeit 
sich ändern. 

Bei dieser Lage der Verhältnisse kann ich es nicht als eine Aufgabe der 
Reichsverwaltnng betrachten, der von dem Verein schon wiederholt erörterten, 
in ihrer Bedeutung auch von mir nicht unterschätzten Frage unter Aufwendung 
erheblicher Kosten und Arbeitsleistungen näher zu treten. Ich habe bisher gern 
meine Zustimmung dazu gegeben, wenn das Kaiserliche Gesundheitsamt den 
Vorschlag machte, in Einzelfällen auf Ansuchen der Betheiligten unter sorg¬ 
fältiger Berücksichtigung der besonderen örtlichen Verhältnisse Gutachten über 
die Zulässigkeit der Einleitung von Abfallstoffen in die öffentlichen Wasserläufe 
abzngeben. Die so begrenzten Arbeiten des Gesundheitsamtes sind meines Erach¬ 
tens nicht ohne praktischen Nutzen geblieben und ich werde daher auch in Zukunft 
gleichartigen Wünschen mein Entgegenkommen gern bekunden. Bei aller Aner¬ 
kennung der Bestrebungen des Vereins glaube ich aber zur Zeit nicht weiter 
gehen zu dürfen.“ _ 


Bei der am 8. August in Regensbnrg abgehaltenen XI. Jahresversamm- 
ung der freien Vereinigung bayerischer Vertreter der ange¬ 
wandten Chemie hielt ^of. Dr. Lehmann ans Würzbnrg einen Vortrag 



458 


TagesnachrichteiL 


^über die hy^enisehe Bedentang des Kapfers mit R&cksicbt auf die 
Konserven“, in dem besonders die Frage zur Erörterung gelangte, ob 25 mgr. 
Kupfer pro Kilo in den Konserven als unschädlich zu gestatten sei. Dem be¬ 
jahenden Standpunkte des Vortragenden traten in der sehr lebhaften Diskussion 
sämmtliche Bedner bei und gelangte schliesslich folgende Resolution einstimmig 
zur Annahme: „Auf Grund der bisherigen Erfahrungen ist ein Gehalt von 25 mgr. 
Kupfer pro Kilo in Konserven in hygienischer Hinsicht als unbedenklich zu 
erachcen.“ 


Weibliche Amtsärzte in Bosnien und in der Herzegowina. Die 

bosnische Regierung macht bekannt, dass sie in den Kreisstädten Bosnieu’s 
und der Herzegowina im Interesse der weiblichen Bevölkerung je eine „Amts¬ 
ärztin“ anzustellen gedenkt. Die Anstellungsbedingungeu sind verhältnissmässig 
günstig, besonders mit Rücksicht auf die geringen Ansprüche an die Qualifikation 
der Anzustellcnden. Es wird nämlich nur ein Doktordiplom und eventuell 
auch der Ausweis über ein abgelegtes Staatsexamen, Gesiindheitszeugniss, Tauf¬ 
oder Geburtsschein und Zeugnisse über etwaige, bisherige Verwendungen ver¬ 
langt; Kenntniss einer slavischen Sprache ist zwar erwünscht, zur Beilingung 
wird aber nur die Erlernung der bosnischen Sprache während des Probejahres 
zum Konversationsgebrauch * gemacht. Berücksichtigt werden sollen in erster 
Linie Bewerberinnen aus Oesterreich-Ungarn, dann aus Deutschland, der Schweiz, 
Holland und Norwegen. An Gehalt werden gewährt: 1000 fl.ö. W., ferner Aktivitäts- 
Zulage von 400 fl., Naturalwohnung oder Quarticrgelder von 200—300 fl.; ausser¬ 
dem wird jährlich ein sechswöchentlicher Urlaub gewährleistet und Pensions¬ 
berechtigung nach Ablauf des Probejahres. 

Es ist wohl anzunehmen, dass die bekannte Scheu der Mohamedanerinnen 
vor männlichen Aerzten und die dadurch bedingte Schwierigkeit der Seuchen¬ 
bekämpfung die Veranlassung zu diesem Ausschreiben des k. k. Reichs - Finanz- 
Ministeriums gegeben hat, auf jeden Fall kann die Stellung, welche den „Kolle¬ 
ginnen“ da hinten weit in der Türkei gewährt wird, den Neid jedes Kreis-Medi¬ 
zinal - Beamten im preussischen Staat herausfordern! 


Im Einverständniss mit dem Vorstande der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte macht die Geschäftsführung bekannt, dass die 
Versammlung in Nürnberg mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse nicht ab¬ 
gehalten wird. 

Ebenso ist seitens des Vorstandes des Deutschen Vereins für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege beschlossen worden, die auf den 8.—11. September in 
Würzburg angesetzte Versammlung ausfallen zu lassen. 


Cholera. Was noch vor wenigen Wochen, als von Russland her die 
ersten Nachrichten von dem epidemischen Auftreten der Cholera zu uns kamen, 
fast allseitig bezweifelt wurde, ist leider bereits eingetreten: Die Seuche hat 
die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten und zwar an einer Stelle, wo 
cs bei hinreichender Aufmerksamkeit der Sanitätspolizei nicht hätte Vorkommen 
dürfen. Allgemein hat man wohl erwartet, dass, wenn die Cholera in Deutsch¬ 
land eingeschleppt werden würde, dies an der lang gestreckten Ostgrenze ge¬ 
schehen würde; ist doch die sanitätepolizeiliche Ueberwachung des Land- und 
Eisenbahnverkehrs mit grossen und jedenfalls mit weit grösseren Schwierigkeiten 
verbunden, als diejenige des SchiftTalirts-Verkehrs. Diese Erwartung hat sich 
durch den Ausbruch der Cholera in Hamburg und Altona als eine falsche er¬ 
wiesen und wer die jetzt täglich in den politischen Blättern mitgetheilten Berichte 
aus Hamburg aufmerksam verfolgt, wird fast aus allen Berichten die traurige 
Thatsache herauslesen, dass sich die dortigen sanitären Einrichtungen als völlig 
unzulänglich erwiesen haben und dass man ausserdem in der ersten Zeit noch 
versucht hat, den Ausbruch der Seuche zu verheimlichen bezw. zu vertuscheu. 
Die Folge davon ist nur gewesen, dass die Krankheit in wenigen Tagen eine 
grössere Ausbreitung als in gleich grossen russischen Städten genommen hat; 
denü nach den amtlichen Nachrichten sind in Hamburg an Cholera 



Tagesnachrichten. 459 




erkrankt 

gestorben 

am 18. Angast 

13 

2 Personen 

„ 19. 

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16 

6 

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, 20. 

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71 

285 

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„ 27. 

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128 

55 

ft 

„ 28. 

V 

445 

162 

V 


1601 575 = 35,9 «/o 

In Altona war die Zahl der Erkrankungen eine verhältnissmässig gerin¬ 
gere und betrug in derselben Zeit nur 150 mit 58 Todesfällen. 

Eine wahre Panik scheint die Bevölkerung von Hamburg ergriffen zu 
haben. Die von Hamburg kommenden Eisenbahnzüge sind überfüllt von flüchtigen 
Hamburger Familien und täglich mehrt sich die Zahl derjenigen Orte, in 
denen durch zugereiste Hamburger die Cholera verschleppt ist. So werden 
derartige Erkrankungsf'älle aus Kiel (4 mit 2 Todesfällen), Wandsbeck (7 mit 
3 Todesfällen), Lauenburg (4 mit 1 Todesfall), Altenwerder (1), Harburg (2), 
Pinneberg (3), Elmshorn (2), Bremen (4), Wittenberge (1) u. s. w. gemeldet; 
auch in Berlin ist eine aus Hamburg zugereiste Frau an Cholera erkrankt. 

Bei einer derartigen ernsten Lage kann man es nur mit Freuden be- 
grüssen, wenn seitens des Keiches alles aufgeboten wird, um die Seuche wenigstens 
auf ihren Heerd zu beschränken. Am 28. und 29. ist im Beichsamt des 
Innern eine Kommission zusammengetreten, in der alle grösseren Bundes¬ 
staaten vertreten waren. Die Verhandlungen wurden von dem Ministerialdirektor 
Nieberding geleitet; als Berichterstatter war der Direktor des Reichsgesund¬ 
heitsamtes Dr. Köhler thätig; als Sachverständiger war auch Geh. Rath Prof. 
Dr. Koch zugezogen. Nach einem sehr eingehenden Vor trage des letzteren über 
seine Wahrnehmungen in Hamburg und den Mittbeilungen des Direktors des 
Reichsgesundheitsamtes Dr. Köhler über den Stand der Krankheit und die 
bisher getroffenen Massregeln wandte man sich zu einer Durchsicht und Er¬ 
gänzung der bereits bestehenden Bestimmungen. Beschlossen wurde die Ver¬ 
pflichtung der öffentlichen Organe, sofort nach Auftreten des ersten Falles der 
asiatischen Cholera den Ausbruch derselben in dem betreffenden Orte durch 
öffentlichen Anschlag bekannt zu machen. Es wurden ferner die Massnahmen 
festgestellt, welche in den von der Cholera ergriffenen oder unmittelbar bedrohten 
Orten zu treffen sind. Da bei den heutigen Verkehrsverhältnissen die oft sprung¬ 
weise auf weitere Entfernungen sich vollziehende Verschleppung des Cholera¬ 
keims mit Sicherheit nicht gehindert werden kann, so ist um so grösseres Gewicht 
zu legen auf schleunige und energische Unterdrückung der Cholera an jedem 
Orte, wo sie sich zeigt. Eine Desinfektionsanweisung und eine Belehrung über 
das Wesen der Cholera, über das während der C'holerazeit zu beobachtende Ver¬ 
halten gelaugte ebenfalls zur Annahme; beide Vorlagen schliessen sich eng an 
diejenigen an, welche im Juli vom Reiche vorläufig mit Preussen aus Anlass 
der drohenden Einschleppung durch russische Auswanderer vereinbart worden 
sind; jedoch wird bei der Auswahl der Desinfektionsmittel grössere Freiheit ge¬ 
geben und vor Vergeudung von Desinfektionsmitteln gewarnt, die leicht zu ge¬ 
fährlicher Sorglosigkeit führt.*) 

Wie sehr sich immer mehr die Ansicht Bahn bricht, dass unsere jetzige Ge¬ 
setzgebung in Bezug auf die Bekämpfung der Menschenseuchen absolut unzu¬ 
länglich ist, zeigt die nachfolgende fast in allen politischen Blättern abgedruckte 
Notiz: „Laut Artikel 4 der Verfassung des Deutschen Reiches unterliegen der 
Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben auch die 


*) Die von der Kommission empfohlene und im Reichsanzeiger unter dem 
30. August veröffentlichten „Massnahmen für den Fall des Auftretens der 
Cholera“ gelangten erst nach Fertigstellung der Nummer zur Kenntniss der Re¬ 
daktion, so dass sie in der Beilage der heutigen Nummer nicht mehr aufgenommen 
werden konnten. 




460 


Tagesnaehrichteii. 


Masttregeln der Itfedizinal- und Veterinärpolizei. Von der ihm zn- 
stehenden Befngniss hat das Beicb, abgesehen yon dem Impfgesetz, zur Ver- 
htttnng von Menschensenchen bisher keinen gesetzgeberischen Gebrauch gemacht. 
Das ist Angesichts des Ausbruchs der Cholera in Hambnig sehr zu beklagen. 
Die prenssische und auch einige andere Bundesregierungen haben schon im 
vorigen Monat auf Grund der von Erfahrung und Wissenschaft an die Hand ge¬ 
gebenen Erkenntnisse Anordnungen zur Abwehr der Cholera getroffen. In 
Hamburg scheint leider in dieser Richtung Vieles versäumt worden zu sein, ob¬ 
wohl gerade hier die Gefahr der Einschleppung der Seuche am grössten war. 
Der Mangel reichsgesetzlicher Bestimmungen machte die Einwirkung der obersten 
Reichsbehörden unmöglich. Das Versäumte völlig wieder gut zu machen, dazu 
ist es jetzt schon zu spät, was noch geschehen kann, wird auf Gmud der Be¬ 
ratbungen der ausserordentlichen Cholerakommission, die am Sonnabend und 
Sonntag im Reichsamte des Innern getagt hat, zuständigerseits veranlasst werden. 
Jedenfalls trifft die Behörden Hamburgs eine schwere Verantwortung dafür, dass 
die Krankheit eine solche Ausdehnung angenommen hat. Um so dringender 
macht sich der Wunsch nach Erlass eines Seuchengesetzes geltend, damit die 
vortrefflichen Arbeiten des Reichsgesundheitsamtes auch praktische Verwerthnng 
finden und auch der Mensch das Mass gesetzlichen Schutzes gegen ansteckende 
Krankheiten erlangt, der für das Vieh bereits geschaffen worden ist." 

Es ist eben die alte Geschichte von dem ZuschUtten des Brunnens, nach¬ 
dem das Kind hineingefallen ist; gleichwohl wollen wir uns freuen, wenn der 
Brunnen nunmehr auch thatsächlich zugcschUttet wird; nach den bisherigen Erfah¬ 
rungen auf diesem Gebiete wird aber mancher Medizinalbeamte nicht mit Unrecht 
denken: die „Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube". 

In Russland hat die Cholera grosse Fortschritte nicht gemacht und 
scheint sich vorwiegend mehr nach Norden und Osten als nach Westen auszu¬ 
breiten. Neu ergriffen sind Petersburg und Kronstadt, sowie die zwischen Mos¬ 
kau und Petersburg gelegenen Gouvernements Jaroslaw, Wladimir und Kostroma. 
In der letzten Woche sollen auch in dem polnischen Gouvernement Lublin Cho- 
lerafälle vorgekommen sein. 


Die Gesammtzahl der offiziell gemeldeten Fälle betrug: 
am 6. August: 4599 Erkrankungen und 2994 Todesfälle. 


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7. 

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13. 


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4655 

7293 

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9109 

9706 

7011 


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71 


„ 2368 

„ 3831 

„ 3360 

„ 2998 

„ 4849 

„ 4732 

„ 3905 


77 

77 

77 

77 

77 

77 

77 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 

Vertagong der diesjährigen Hanpt - Versammlnng des Prenssischen 

Medizinalbeamtenvereins. 

Mit Rücksicht darauf, dass die Medizinalbeamten in Folge des Ausbruchs 
der Cholera in Hamburg - Altona und der Gefahr eines solchen an anderen Orten 
zur Zeit ans ihrem Amtsbezirke schwer abkömmlich sind, hat der Unterzeichnete 
Vorstand beschossen, die diesjährige, auf den 5. und 6. September ange¬ 
setzte Hauptversammlung vorlftnflg: eu Tertasen. 

Der Vorstand des Preussiechen Medizlnalbeamtenvereins. 

Im Auftr. 

Dr. Rapmund, Schriftführer des Vereins. 

Reg.- und Med.- Rath in Minden. 


: Der Verfasser der in Nr. 10 der Zeitschrift, S. 256, 
besprochenen Arbeit „Das Fleischschauwesen im Deutschen Reiche“ n. s. w. 
heisst nicht „Schmidtmtthl", sondern „Schneidemühl". 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- n. Med.-Rath in Minden i W. 

J. C. C. Brons, Buchdruckerei, Minden. 



o. Jahrg. 


Zeitschrift 


I89ä 


für 

MEDIZINALBEAMTE 


Heraus^egeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

S:in.-Rath\i.gerichÜ.Sta(ltj>hysikus in Berlin. Keg.- und Mcdi^inalrath in Minden. 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medi/.inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer's mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die dnrchlaufende Petltzcile 45 Pf. nimmt die Verlagsbandlnng and Rad. Mossa 

entgegen. 


No. 18. 


firschelnt am 1. and IS. Jeden llonata. 
Preis J&hrlioh 10 Mark. 


15. Septbr. 


Zur bakteriologischen Untersuchung choieraverdächtiger Fälle. 

Von Dr. Max Langerhans, Krcispbysikus in Hankensbüttel. 

Die bakteriologische Untersuchung zweifelhafter Cholerafälle 
ist eine Aufgabe, deren Wichtigkeit dem damit betrauten Arzte 
eine Verantwortlichkeit auferlegt, wie sie ähnlich selbst an den 
Arzt wohl kaum jemals heran tritt. Verhältnissmässig einfach lässt 
sich diese Frage in den gi’ossen Städten, wo unter den Medizinal¬ 
beamten, unter dem ärztlichen Personal der Krankenhäuser und 
nicht zuletzt unter den Militärärzten, auf deren bakteriologische 
Schulung mit Recht so grosses Gewicht gelegt wird, an zuver¬ 
lässig arbeitenden Bakteriologen kein Mangel sein dürfte. Zudem 
wird hier die Untersuchung so häufig erleichtert durch all’ die 
Hülfsmittel, mit denen die moderne Technik die Laboratorien aus¬ 
gerüstet hat. Viel schwieriger gestaltet sich die Sache auf dem 
platten Lande und doch ist es hier nicht minder wichtig, recht¬ 
zeitig festziistellen, ob es sich bei einem „choleraverdächtigen 
Fall“ um Cholera asiatica oder um eine unschuldige Herbstdiarrhoe 
handelt. Allerdings ist auch auf dem Lande die Zahl der bakte¬ 
riologisch geschulten Kräfte, wie sie Angesichts der drohenden 
Choleragefahr festgestellt worden ist, anscheinend eine recht grosse, 
in erster Linie natürlich Dank den fiiiheren sog. Cholerakursen 
und Dank den neuerdings eingeführten Fortbildungskursen unter 
den Medizinalbeamten, aber auch unter den jüngeren praktischen 
Aerzten. In hiesigem Reg.-Bezirk (Lüneburg) sind z. B. von 13 
Physikern 7 und ausserdem 7 Privatärzte zu bakteriologischen 
Untersuchungen befaliigt und bereit, so dass nur 4 unserer durch¬ 
schnittlich sehr kleinen Kreise den bakteriologischen Sachver- 
ständigpu entbehren müssen.*) Dieser Mangel wird aber dadurch 


*) liier kann doch leiclit der benachbarte, hakteriologisch ausfifebildete 
Physikns rciinirirt worden. (Anm. der Red.) 






462 


Dr. Langerhans. 


ausgeglichen, dass das General-Kommando sich erboten hat, nach 
jedem Orte der Provinz Hannover, wo choleraverdäclitige Fälle 
eine bakteriologische Untersuchung an Ort und Stelle wünschens- 
werth erscheinen lassen, einen Sachverständigen aus der hygienisch¬ 
bakteriologischen Untersuchungsstelle des X. Armeekorps zu ent¬ 
senden. Mir scheint nun allerdings die Thatsache recht beschämend 
zu sein, dass die Zivil - Medizinal Verwaltung in dieser Weise eine 
Anleihe bei der Militär-Medizinalverwaltung zu machen genöthigt 
ist, dass die letztere eine geordnete, der hohen Entwickelung der 
hygienischen Wissenschalt entsprechende Laboratoriumseinrichtung 
besitzt und dass unter des Stabsarztes Dr. Kirchner’s bewährter 
Leitung ein Stab bakteriologiscli geschulter Militärärzte mit dem 
„bakteriologisclien Kasten“ ausgerüstet, bereit ist zu wissenschaft¬ 
lich zuverlässiger Feststellung und Bekämpfung der Seuche, dass 
dagegen die Zivil - Medizinalverwaltung da, wo es sich um Wohl 
und Wehe von Hunderttausenden liandelt, sich darauf verlassen 
muss, dass hier und da sicli wohl ein Medizinalbeamter finden 
wird, der aus eigener Initiative, aus wissenschaftlichem Interesse 
oder aus Pflichtgefülil unter den grössten Opfern an Zeit und 
Geld privatim bakteriologisch arbeitet und die dazu nöthige Aus¬ 
rüstung besitzt! Die Thatsache, dass die Aushülfe der Militär¬ 
ärzte nicht nur, wie in Hamburg, durch eine Seuche geboten wird, 
die ausserordentliche Verhältnisse bedingt hat und ausserordent¬ 
liche Massregeln nothwendig macht, sondern, dass sie schon bei 
der Aufgabe der Seuchen-Verhütung, also auf dem ureigensten 
Felde der Sanitätspolizei, dankend angenommen werden muss, ist, 
wie gesagt, äusserst beschämend und für denjenigen, der die 
Mängel der preussischen Medizinalverfassung kemit, klingen die 
absprechenden Artikel über Hamburger Verhältnisse, welche jetzt 
durch die politischen Blätter die Runde machen, ein klein wenig 
nach Pharisäerthum. Auf jeden Fall aber ist. Dank der privaten 
Thätigkeit der Medizinalbeainten und Privatärzte und Dank dem 
bereitwilligen Entgegenkommen der Militärbehörden eine uner¬ 
wartet grosse Anzahl bakteriologischer Ki’äfte zur Hand. 

Bei dem schnellen Verlauf, den Cholera- und choleraver¬ 
dächtige Fälle so häufig nelimen, kann indessen doch recht leicht 
der Fall eintreten, dass ein Sachverständiger nicht zur Hand ist 
— was dann? Der österreichische oberste Sanitätsratli hat für 
solche Fälle bestimmt, dass niclit, wie bisher, Proben des Dam- 
inhaltes oder Stuhlgangs, sondern von den Amtsärzten anzuferti¬ 
gende Deckgläschenpräparate und Kulturproben an die mit der 
Untersuchung zu betrauenden „Fachmänner“ einzusenden seien. 
Eine Anweisung des Wiener Bakteriologen Prof. Dr. Weichsel¬ 
baum giebt genaue Vorschriften über Anfertigung der Deckgläs¬ 
chenpräparate, von denen mindestens zehn angefertigt werden 
sollen und der Kulturproben, welche in Lipez’schen Kultur- 
Haschen angefertigt werden sollen. Die von den politischen Landes¬ 
behörden zur Vornahme der bakteriologischen Untei*suchungen in 
Itestimmten Distrikten designirten „Fachmänner“ hätten den Amts¬ 
ärzten eine ausreichende Anzahl von Deckgläschen (sic!) und 



Zur baktcriulugisuhen Untcrsuoliung choleruverdächtigor Fälle. 


463 


Kulturgefössen sammt den zur Verpackung dienenden Behältern, 
sowie Platindrähte zur Verfügung zu stellen. Zur Verpackung 
sind doppelwandige Kasten (fiir Eispackung bei grosser Hitze) 
bestimmt. Es sollen womöglich von mehreren Stellen des fragl. 
Stuhlganges Aussaaten gemacht und von jeder Aussaat drei Ver¬ 
dünnungen angefertigt werden, so dass unter Umständen acht, 
zwölf oder mehr Flaschen für jeden Krankheitsfall zur Versendung 
kommen würden und es würden die „Fachmänner“, da sie doch 
jeden Amtsarzt für mehrere Krankheitsfälle ausrttsten müssten, ein 
ganz anständiges Glasmaterial in die Welt hinaus zu senden haben. 
Abgesehen hiervon und von den Bedenken, die die Versendung 
des Choleramaterials in den zerbrechlichen, nur mit Watte ge¬ 
schlossenen Kultui*flaschen unter allen Umständen erregen muss, 
zeigt die Verordnung nur zu deutlich, dass sie Nichts, als einen 
Nothbehelf schaffen will, um eine der klaffenden Lücken, an denen 
das österreichische Sanitätswesen noch reicher ist, als das unserige, 
zu überkleistem! Wer jemals bakteriologisch gearbeitet hat, der 
weiss aus Erfahrung, dass die bakteriologische Technik nicht so 
einfach ist und dass selbst scheinbar so leichte Manipulationen, 
wie die Beschickung der Kulturgefässe und die Anfertigung der 
Verdünnungen eine ganze Anzahl kleiner Handgriffe und manu¬ 
eller Kniffe erfordern, die nur durch praktische Uebung erlernt 
werden können, deren Nichtbeachten aber das Resultat der ganzen 
Untersuchung in Frage stellen kann. Daher klingt es gerade zu 
drollig, wenn es dann weiter heisst: „Es wäre zu wünschen, dass 
die Amtsärzte jede sich darbietende Gelegenheit wahmehmen, um 
bei dem bakteriologischen Fachmann, an den sie gewiesen sind, 
hinsichtlich der manuellen Durchführung dieser Massregeln sich 
unterweisen zu lassen.“ Mit einer „gelegentlichen“ Unterweisung 
und mit ein paar Mal Zusehen ist bei der Bakteriologie Nichts zu 
erreichen; hier kann nur eigenes praktisches Arbeiten diejenige 
Uebung und Sicherheit verleihen, welche einzig und allein ein 
zuverlässiges Resultat gewährleistet und die Untersuchung eines 
clioleraverdächtigen Falles ist denn doch eine so verantwortungs¬ 
volle Aufgabe, dass dilettantenhaftes Arbeiten in keinem Stadium 
einer solchen Untersuchung Platz greifen sollte! Daher bemerkt 
die Wiener allg. medizinische Zeitung ganz richtig, diejenigen 
Amtsärzte, die keine manuelle Unterweisung genossen hätten, 
würden derartige Versuche der Anfertigung von Deckgläschen¬ 
präparaten und Kulturproben am besten unterlassen! — 

In Preussen ist eine generelle Regelung der Angelegenheit 
nicht beliebt worden,*) abgesehen von §. 9 der „Rathschläge für 
praktische Aerzte“, worin angerathen wird, für die spätere bakte¬ 
riologische Untersuchung eine nicht zu geringe Menge der Dejek- 
tionen des Kranken in ein reines Glas zu füllen uud §.10 ebenda, 
worin denjenigen praktischen Aerzten, welche in bakteriologischen 
Untersuchungen bewandert sind, anempfohlen wird, die bakterio- 


*) luzwiscliun durch die in der heutigen Beilage abgedruckte Anwei.siing 
weuigstfüis 'Ix^trelfs der Bntnahiiie uinl Versendung der Untersuclmngsolijekte 
erfulgt. 



464 


Dr. Langcrhans. 


logische Untersuchung des Falles mittelst des Plattenverfahrens 
in die Hand zu nehmen (doch aber wohl nur im Einverueliraeii 
mit dem zuständigen Medizinalbeamten?) und gegebenen Falls 
dem Medizinalbeamten von dem Ergebniss der Untersuchung, wo¬ 
möglich unter Beifügung von Präparaten Mittheilung zu machen. 
Für den hiesigen Reg.-Bezirk hat die Angelegenheit Veranlassung 
gegeben zu einer Verfügung des Regierungs - Präsidenten *) (Lüne¬ 
burg, 2. September), worin eventuell, falls keiner der namentlich 
angeführten bakteriologisch geschulten Medizinalbeamten oder 
Privatärzte für die Untersuchung an Ort und Stelle zu haben sein 
sollte, anheimgestellt wird, bei dem Regierungs - Präsidenten wegen 
Benennung eines Sachverständigen — also vermuthlich eines Sani¬ 
täts-Offiziers — vorstellig zu werden oder den Direktor des 
hygienischen Instituts in Göttingen (Wolfhügel), bezw. des 
Berliner Instituts für Infektionskrankheiten wegen Vornahme der 
bakteriologischen Untersuchungen anzugehen. „In solchem Falle 
steht dem Nichts entgegen, dass die Untersuchungsobjekte von 
dem betreffenden Kreis - Physikus in Behältern, welche gegen Zer¬ 
brechen, sonstiges Undichtwerden oder unbefugtes Oeffnen voll¬ 
ständig gesichert sind, verpackt und durch die Post an den mit 
der Untersuchung zu betrauenden Sachverständigen verschickt 
werden. Dagegen verbiete ich hiermit ausdrücklich die Versen¬ 
dung derartiger Objekte von anderen oder an andere Personen wie 
etwa selbst eines lediglich wissenschaftlichen Interesses wegen, 
da ein Transport von Cholerakeimen so vollständig, als nur irgend 
möglich vermieden werden muss und nur dann statthaft erscheint, 
wenn durch diejenigen Personen, zwischen denen er erfolgt, jede 
Gefahr dabei ausgeschlossen wird u. s. w.“ Im Folgenden wird 
dann auch noch die Versendung von Cholera - Kulturen an Aerzte 
verboten. Diese Verfügung sichert in viel höherem Grade einen 
zuverlässigen Gang der bakteriologischen Untersuchung, als das 
in Oesterreich beliebte Verfahren; namentlich erscheint die Ver¬ 
sendung von Choleradejektionen beispielsweise in Medizingläsern, 
deren Verschlüsse durch Siegellack oder Paraffin zu dichten wären, 
bei guter Verpackung ganz unbedenklich. Trotzdem ist die Unter¬ 
suchung an Ort und Stelle der Versendung in ein Institut bei 
Weitem vorzuziehen. 

Unsere Kenntnisse, wie lange in Cholera - Dejektionen die 
Bazillen unter verschiedener Temperatur-, Feuclitigkeits- und 
sonstigen Bedingungen am Leben bleiben, sind allerdings nocli 
recht mangelhaft; denn die von vei’schiedenen Bakteriologen ange- 
stellten Versuche, bei denen normale und diari’höische Fäces in 
sterilisirtem oder unsterilisirtem Zustande mit Cholera-Reinkulturen 
versetzt wurden, haben zu ziemlich widersprechenden Ergebnissen 
geführt, auch düi*feu die Verhältnisse in den chemisch und physika¬ 
lisch ganz verschieden zusammengesetzten Cholera - Fäces mit diesen 
Laboratorienversuchen gar nicht zu vergleichen sein. Desgleichen 


♦) Diese Verfüji^iing ist veranlasst dnrcli den in der lieuti^en Beilai^e al>- 
gedrucktcn Ministerialerla.ss vom 1, SGiitember d. d. 



Zur bakteriologischen ünteraachnng choleraverdächtiger Fälle. 


465 


liegen so gut wie gar keine bestimmten und durch klinische Be¬ 
obachtung bewährten Angaben darüber vor, in welchem Stadium 
der Krankheit, bezw. wie lange bei Cholera und bei den ätiologisch 
mit zur Cholera gehörenden diarrhöischen Krankheiten leichteren 
Verlaufs Komma - Bazillen ausgeschieden werden. Es ist ja anzu¬ 
nehmen, dass die jetzige Epidemie, die erste, welche seit Ent¬ 
deckung des Komma - Bacillus in Deutschland herrscht, helles Licht 
über manchen noch dunklen Punkt in der Cholera-Epidemiologie 
verbreiten und auch über die eben erwähnten Punkte Klarheit 
verschaffen wird. Nach dem augenblicklichen Stand unserer Kennt¬ 
nisse müssen wii* mit der Möglichkeit rechnen, dass die in den 
diarrhöischen Dejektionen etwa nur in wenigen oder in bereits 
abgeschwächten Exemplaren vorhandenen Komma-Bazillen während 
des Transportes durch andere Bakterien überwuchert bezw. abge- 
tödtet werden, oder dass die Cholera-Bakterien, welche in einem 
früheren Stadium der Krankheit vielleicht massenhaft ausgeschieden 
worden waren, zur Zeit, als der zur Untersuchuug eingesandte 
Stuhl gelassen wurde, im Stuhlgang nicht mehr vorhanden wai*en. 
Ebenso können auf einem zur Untersuchung eingesandten kothbe- 
sudelten Wäschefleck die Bazillen durch Eintrocknung inzwischen 
abgestorben sein — was allerdings durch geeignete Massnahmen 
bei der Verpackung verhindert werden könnte. 

Ein positiver Befund bei den eingesandten Objekten wüi'de 
natürlich absolut beweisend sein und daher unter Umständen von 
der allergrössten Bedeutung sein. Dagegen ist einem negativen 
Befund, welcher, falls wirklich alle Brechdurchfälle bakteriologisch 
untersucht werden, naturgemäss die Regel bildet, aus den ange¬ 
führten Gründen nur ein untergeordneter Werth beizumessen. 
Hier würde die Entscheidung doch immer in den Händen des 
Medizinalbeamten liegen müssen, der unter weitgehendster Berück¬ 
sichtigung aller Verhältnisse, des klinischen Verlaufes, der Mög¬ 
lichkeit einer Einschleppung und nicht am wenigsten des „genius 
epidemicus“ am besten im Stande sein wird, das Richtige zu 
treffen. Ich bin gewiss nicht geneigt, die Bedeutung der Bakte¬ 
riologie zu unterschätzen, man muss sich aber auch vor Ueber- 
schätzung derselben hüten! Die Bakteriologie ist als ein neues, 
werthvolles, unter Umständen durch Nichts zu ersetzendes Hülfs- 
mittel epidemiologischer Forschung hoch willkommen zu heissen, 
doch wäre es eine unverantwortliche Einseitigkeit, wenn man dess- 
wegen den Werth der übrigen, längst bekannten und längst be- 
wälu’ten Hülfsmittel herabsetzen wollte I Desswegen kann es nun 
und nimmer das Richtige sein, wenn man die Untersuchung zer- 
reisst und mit der einen Hälfte den „Fachmann“ betraut, während 
man die andere Hälfte dem Medizinalbeamten überlässt. Nur 
unter gleichmässiger Berücksichtigung aller Verhältnisse, wie sie 
eben nur dem mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Medizi¬ 
nalbeamten möglich ist, ist eine richtige Würdigung zweifelhafter 
und verwickelter epidemischer Verhältnisse zu erreichen. Aus 
diesem Grunde ist vor Allem die Untersuchung in einem aus¬ 
wärtigen Universitäts-Institut, aber auch die einmalige Entsen- 



466 


Dr. Langerhans: Zar bakteriologischen üntersachong etc. 


düng eines entfernt wohnenden Bakteriologen nur als ein trauriger 
Nothbehelf anzusehen. Denn es wird häufig nicht mit einmaliger 
bakteriologischer Untersuchung einer einzigen Dejektion abgethan 
sein, vielmehr eine fortwährende Ueberwachung und die wieder¬ 
holte mikroskopische, bakteriologische und chemische Bearbeitung 
der verschiedensten Objekte erforderlich sein! 

Daher muss mit aller Kraft und mit thunlichster Beschleu¬ 
nigung weiter dahin gearbeitet werden, dass jeder Medizinal¬ 
beamte die gesammten hygienischen Methoden, soweit sie im 
Dienste der Sanitätspolizei Verwerthung finden, anzuwenden ver¬ 
mag. Die Seuchen-Bekämpfung und Seuchen-Verhütung ist die 
bei Weitem wichtigste Aufgabe des Medizinalbeamten und, um 
dieser Aufgabe gewachsen zu sein, muss er „Fachmann“ im vollen 
Sinne des Wortes sein. Diese Forderung ist eine überaus dringende. 
Denn, wenn es ja auch den Anschein hat, als ob es den ange¬ 
strengtesten Bemühungen sämmtlicher betheiligter Behörden, unter¬ 
stützt von einer Keilie günstiger Bedingungen gelingen wird, die 
Choleraepidemie für dieses Jahr in Hamburg festzuhalten, so wäre 
es doch unverantwortlich, in unseren Rüstungen nachzulassen. 
Denn ein Blick in die ältere Cholera - Litteratur zeigt uns, dass 
wir uns, menschlicher Voraussicht nach im nächsten Jahre späte¬ 
stens auf erneute und heftigere Angrilfe des tückischen Feindes 
gefasst machen müssen. Scheint es doch, als ob Pettenkofer 
mit seiner Prophezeiung, dass es erst der Anfang einer neuen 
Cholerawoge sei, die sich seit Anfang der achtziger Jahre über 
Europa zu ergiessen drohe, im Recht bleiben solle! 

Eines freilich kann dem Kundigen nicht zweifelhaft sein, 
dass nämlich die jetzige Stellung der Medizinalbeamten in Preussen 
ein unüberwindliches Hinderniss abgiebt bei dem Bestreben, die 
Seuche zu bekämpfen! Denn die gewöhnliche Berufsthätigkeit 
erfährt, wie wir hier in der Nähe Hamburgs zur Genüge erfahren 
haben, in solchen Zeiten eine ungeahnte Steigerung! Die zahl¬ 
reichen, durch das Fortschreiten der Seuche bedingten Verord¬ 
nungen und Verfügungen, die Einrichtung und Ueberwachung der 
Sanitätskommissionen, die Uel)erwa(diung des Personen- und Güter¬ 
verkehrs, dazu die Nothwendigkeit, allerwärts mit privater Initiative 
vorzugehen, hier die Säumigen aufzurütteln, dort die Uebereifrigen 
zurückzu halten und die Aengstlichen und Aufgeregten zu beruhigen, 
dazu der massenhafte, sich bis in das kleinste Dorf hinein er- 
giessende Strom der Hamburger Cholera - Flüchtlinge — dies 
Alles nimmt die Zeit des Medizinal - Beamten derart in An¬ 
spruch, dass die dazu kommende örtliche Untersuchung eini¬ 
ger choleraverdächtiger Fälle an verschiedenen Olten eines 
weitläufigen Kreises und die bakteriologische Verarbeitung, 
namentlich die rechtzeitige Durchmusterung der bei der grossen 
Hitze so schnell veiflüssigenden Fäces-Platten schon sehr hohe 
Ansprüche an die persönliclie Leistungsfähigkeit stellt! Natürlich 
muss dabei die Privatpraxis empfindliche Einbusse erleiden, fiir 
welche die Entschädigung für ein paar Dienstreisen nur einen 
dürftigen Ersatz gewähren kann, zumal bei den jetzigen KonkuiTenz- 



Dr. Blokusewski; Nochmals „Trunkenheit, Kohlenoxydvergiftune etc.“ 4G7 


Verhältnissen eine solche Einhusse nur zu leicht dauernd wird. 
Eine derartige Stellung des Medizinalbeamten, dass sie die für 
erfolgreiche bakteriologische Studien nun einmal erforderliche Zeit 
erübrigen können, ist daher die Vorbedingung für eine gedeihliche 
Thätigkeit auf dem Gebiet der Seuchen-Bekämpfung. Finanzielle 
Rücksichten können gegen diese allgemein als berechtigt anerkannte 
Forderung nicht in Betracht kommen Angesichts der traurigen 
Thatsache, dass in Hamburg die Vernachlässigung des Gesund¬ 
heitswesens sich so bitter gerächt hat und den Verlust von Tausen¬ 
den von Menschenleben und einen pekuniären und wirthschaftlichen 
Schaden zur Folge gehabt hat, dessen ganze Höhe sich noch gar 
nicht übersehen lässt. 


Nochmals „Trunkenheit, Kohlenoxydvergiflung, Erstickung“. 

Von Ereisphysikus Dr. Blokusewski in Dann. 

Da HeiT Kollege Richter in der vorletzten Nummer dieser 
Zeitschrift meine Bemerkungen als beweiskräftig für seine An¬ 
gaben anspricht, so muss ich die einzelnen Punkte nochmals kurz 
erörtern. 

1. Gerade auch v. Hofmann (1887, S. 501 ff) weist be¬ 
stimmt die enge Auffassung zurück, dass die Erstickungszeichen 
nur durch mechanische Behinderung entstehen können, wobei er 
die Kohlenoxydvergiftung als „ausgezeichnetes Beispiel“ anführt. 
Der Grad der Ausbildung einzelner Zeichen dürfte dabei von ver¬ 
schiedenen Verhältnissen abhängen. Hier konnte sehr wohl auch 
Herzlähmung in Betracht kommen (Fettherz). Will Richter 
trotzdem für Kohlenoxydtod nur die Unfähigkeit der Sauer¬ 
stoffaufnahme bei ungehinderter Luftaufnahme gelten lassen, so 
handelt es sich doch hier um Kohlendunst, wobei auch irre- 
spirable Gase (CO 2 ) in lebensgefährlicher Menge sich bilden. 

2. Stark kohlenoxydhaltig muss das Blut genannt werden, 
besonders auch, weil es sich um Kohlendimstvergiftung handelt, 
wobei in der Regel weniger CO aufgenommen wü*d als bei eigent¬ 
licher Kohlenoxyd Vergiftung (Leuchtgas). 

3. Gerade auch v. Hofmann warnt S. 696 bei fauligem 
Blut vor Verwechselung mit Haematin; dasselbe zeigt alsdann, 
durch Schwefelammonium reduzirt, im Gegensatz zu Oxyhaemo- 
globin zwei Absorptionsstreifen, ähnlich dem Kohlenoxydhaemoglobin. 

4. Das Lebenbleiben der drei Kinder musste dem Richter mehr 
auffallen als dem Sachverständigen. Auch v. Hofmann spricht 
hierbei von individuellen Verhältnissen (S. 693). Aus dem Wort¬ 
laut der Geschichtserzählung (cf. Nr. 14), wonach die drei Kinder 
„in ihren Betten“ lagen und die Frau auf „einem der Betten“ ge¬ 
funden war, konnte ich ferner nicht schliessen, dass die drei Kinder 
auf „demselben Bette mit der Mutter“ gefunden waren, wie Kollege 
Richter in seiner Erwiderung angiebt. Uebrigens dürften Kinder 
gegen Kohlenoxyd nicht besonders empfindlicher sein als Erwachsene, 
gegen Erstickung, z. B. auch wohl durch Kohlensäure, vielleicht sogar 
widerstandsföhiger wegen geringeren Sauerstoffbedürfnisses. Rüstig 



468 Dr. Richter: Erwidenng auf die vorstehenden Erörtemngen. 

mochte die Frau sonst sein, widerstandsfähig für diesen Fall kann 
sie, schon wegen ihres Fettherzens, nicht genannt werden. 

Ausserge wohnliche Verhältnisse muss der Gerichtsarzt gewiss 
aufzuklären versuchen, aber durch Abweichen vom praktischen 
Wege ist, besonders beim vorläufigen Gutachten, dem Richter und 
der Sache nicht gedient. Hier z. B. konnte sehr überflüssig der 
Verdacht einer Erstickung der berauschten oder durch Kohlendunst 
betäubten Frau in den weichen Kissen durch andere erweckt 
werden, während man sowohl vom praktischen als wissenschaft¬ 
lichen Gesichtspunkte sich sagen musste, dass die Frau ohne die 
Kohlendunst-Einathmungen nicht gestorben wäre, da selbst eine 
Erstickung in den Kissen auf die Reaktionslosigkeit durch Kohlen¬ 
dunst hätte zurückgefülirt werden müssen. 

Damit ist für mich diese Eröi'terung geschlossen. 

Erwiderung auf die vorstehenden Erörterungen. 

Von Ereisphysikus Dr. Richter in Gross-Wartenberg. 

Zu 1. V. Hof mann spricht auf S. 501 flf. von den ver¬ 
schiedenen Arten der Erstickung im Allgemeinen und nicht von 
den Merkmalen der Erstickung. Wo sagt er, dass die Merkmale 
der vulgären Erstickung sich bei den inneren Erstickungen oder 
gar bei der Kohlenoxydgasvergiftung vorfanden? Er spricht viel¬ 
mehr von der Kohlenoxydgasvergiftung als eines „ausgezeichneten 
Beispiels“ für die besondere Form der Erstickung in Folge ein¬ 
getretener Unfähigkeit des Blutes, Sauerstoff aufzunehmen und 
wieder abzugeben. Weiter Nichts! Dagegen sagt er auf S. 697, 
dass der Obduktionsbefund bei acht an Kohlenoxydgas Verstorbe¬ 
nen „hellrothe Todtenflecke, rosenrothe Schleimhäute, sowie eine 
auffallend hellrothe Farbe des Blutes und konsekutiv lebhaft rothe 
Färbung sämmtlicher Organe eigeben habe.“ Weder hier, noch 
an irgend einer Stelle des Kapitels über Kohlenoxydgasvergiftung 
findet sich auch nur eine Andeutung davon, dass nach Kohlen¬ 
oxydgasvergiftung an der Leiche die Hauptmerkmale der gewöhn¬ 
lichen Erstickung, das sind Blutfülle der Lungen, des Herzens und 
des Gehirns, zu finden seien oder gelegentlich gefunden worden 
wären. Da müsste sich also v. Hofmann einer gröblichen Unter¬ 
lassung und Oberflächlichkeit schuldig gemacht haben! 

Zu 2. Wenn bei der K o h 1 e n d u n s t Vergiftung in der Regel 
weniger CO aufgenommen wird, als bei der Leuchtgasvergiftuug, 
so kann dies in unserem Falle, in welchem eben eine Ko hl en- 
dun stvergiftung vorlag, es doch wohl nur wahrscheinlich machen, 
dass das Blut nicht sehr stark kohlenoxydhaltig war. 

Zu 3. Ich habe die angezogene Bemerkung aufmerksam 
gelesen. Das von mir untersuchte Blut war stark faulig, ergab 
aber eine klare, scliön hellrothe Blutlösung und zeigte von vorn¬ 
herein zwei deutlich getrennte Absorptionsstreifen, wie dies auch 
aus meinem Bericht hervorgeht. 

Zu 4. Ich gebe gerne zu, dass für den der Sache feiner 
Stehenden nicht mit wünschenswerther Bestimmtheit aus der 
' issung meines Berichts hervorgeht, dass die drei Kinder, wie in 



Das prcussische Medlzinalwosen eto. 


469 


den Gründen zu 2, Abs. 2 leider nur angedeutet, für den Richter 
und den genügend informirten Staatsanwalt aber einleuchtend, sich 
wirklich in alleraäcbster Nähe der G. befunden hatten. Sämmt- 
liche vier Personen waren nämlich auf demselben Bette liegend 
angetroffen worden. Die G. hatte dem ältesten Jungen eine nicht 
unerhebliche Quetschung an einem Bein beigebracht, auf welchem 
sie gelegen hatte. Erst die Nachbarn legten die Frau zur Erde 
und die Kinder in ihre Betten, woselbst ich sie vorfand. Dieses 
Versäumniss in meinem Bericht hole ich hiermit nach. 

Schliesslich bemerke ich noch, dass mein veröffentlichtes Gut¬ 
achten ein endgültiges ist. In dem vorläufigen Gutachten 
hatte ich mich dahin ausgesprochen, dass bei der G. Tod durch 
Kohlenoxydgasvergiftung anzunehmen sei. Uebrigens konnte die 
„Reaktionslosigkeit“ der G. ebenso gut auf die Trunkenheit, als 
auf die Kohlenoxydgasvergiftung bezogen werden. Ich nehme ein 
Zusammenwii'ken beider Ursachen an. Gerade darum erschien 
mir der Fall interessant. Die letzte Todesursache bleibt doch 
wohl immer die stattgehabte vulgäre Erstickung in den Kissen. 
Oder würde man sagen können, ein Mann sei an einem Beinbruche 
gestorben, welcher auf einer Bi ücke hintällt, das Bein bricht, in’s 
Wasser fällt und hier ertrinkt, obschon er in gesunden Tagen ein 
tüchtiger Schwimmer warP 

Eine Erörterung halte ich immer erst dann für abgeschlossen, 
wenn einer von beiden Theilen nichts mehr zu sagen hat. 


Das preussische Medizinalwesen. Reichsgesetz zur Abwehr 

der Menschenseuchen. 

Das Preussische Medizinalwesen ist neuerdings bereits mehr¬ 
fach Gegenstand der öffentlichen Erörterung gewesen (vergl. die 
in Nummer 16 u. 17 dieser Zeitschrift abgedruckten Leitartikel aus 
der „Nationalzeitung“, der „Post“ und dem „Hannoverschen Kurier“) 
und scheint das Interesse der politischen Presse jetzt mehr denn 
je für die Frage wachgerufen zu sein. So bringt die „Staats¬ 
bürgerzeitung“ in ihrer Morgen-Ausgabe vom 3. September d. J. 
(Nr. 411) einen von fachmännischer Seite ihr zugegangenen Leit¬ 
artikel, in dem hauptsächlich die Stellung der Kreisphysiker in 
zutreffender Weise illustrirt und ein Vergleich zwischen dem 
Militär- und Civil-Sanitätswesen gezogen wird, der sehr zu Un¬ 
gunsten des letzteren ausiällt. Der betreffende Artikel lautet 
wie folgt: 

„Wer jemals Eiii.sicht in die bestehenden Verhältnisse zu nehmen Gele¬ 
genheit harte, oder wer auch nur den bisherigen Erörterungen mit Interesse 
gefolgt ist, wird in eine Bejahung der Frage, ob die Stellung der Kreisphysiker 
den Anforderungen der ötYentlichen GesundlndtsjiHege genügt, mindestens vollbe¬ 
rechtigte Zweifel setzen; wer die Verhältnisse genau kennt, wird die Frage 
ohne Weiteres verneinen niüsseu. Ohne auf besondere Detailmalerei eiuzugehen, 
sei zunächst nur die Frage aufgeworfen, welche Hilfsmitt el und Hilfsor g an e 
dem Kreisphysiker zur Verfügung st'‘hen, sobald er in die Lage kommt, im 
gegebenen Falle thatkräftig einzugreifen. Er wird zum choleraverdächtigen 
Falle nach der nunmehrigen Bestimmung direkt herbeigerufen, nicht, wie 



470 


Das preussische Medizinalwesen etc. 


früher, erst durch Vermittelung des Amtsvorstehers oder des Landrathes. Er 
tiudet den Fall verdächtig, er soll ihn mit Bezug auf Desinfektion, Isolirung etc. 
wie einen wirklichen Cholera fall behandeln. Wo nimmt er aber, z. B. auf dem 
Lande, die nothwendigen Desinfektionsmittel her, wo ist der Desinfektionsapparat 
mit dem strömenden Dampfe, wer führt die Desinfektion aus etc.? Es erscheint 
ja sehr einfach, dass der Ortsvorsteher für die strikte Ausführung der Anord¬ 
nungen des Physikus zu sorgen hat; aber hier kommt es auf das „Wann^* und 
„Wie“ der Ausführung au. Bis die nicht vorräthig gehaltenen Desinfektions¬ 
mittel herbeigeschalft sind, kann längst eine ausgedehnte Weitervcrbreitnng des 
Ansteckungsstoffes stattgefunden haben, und bis derjenige Bedienstete gefunden 
ist, der die Desinfektion ausführeu soll, sind auch die Einzelheiten der Anord¬ 
nung verwischt. Eine Desinfektion, die wirklich etwas nutzen soll, muss durch 
sachverständige Hand, durch vorgebildete Desinfektoren ausgcfithrt 
werden, die nicht nur mit der Zubereitung der Desinfektionsmittel und deren 
Anwendung Bescheid wissen, sondern die gleichzeitig — und das ist hier der 
Kern der Sache — cs auch verstehen, die Schlui)fwiukel aufzuspüren, in die sich 
der Krankheitsstoff bereits verkrochen hat, um ilm zn vernichten. Jetzt wird 
der Physikus selber, in Ermangelung geeigneter Organe, sich dieser Arbeit 
unterziehen und unter persönlichster Leitung die Desinfektion vollführen lassen 
müssen; welche kostbare Zeit geht aber für ilm dabei verloren und für die 
anderen Fälle, die seiner ebenso dringend bedürftig sind. 

Im gegebenen Falle soll ferner zur Sicherung der Diagnose von den Ab- 
souderungsstoffen des Kranken eine gewisse Menge oder auch ein Stück der 
beschmutzten Wäsche, behufs späterer bakteriologischer Untersuchung übergeben 
werden. Hat man dabei auch daran gedacht, wohin diese so bedeutend an¬ 
steckenden Stoffe gebracht werden. In die Behausung des Arztes, des Phy¬ 
sikus, die beide wohl über ein Sprechzimmer, aber keineswegs über ein bak¬ 
teriologisches Laboratorium verfügen! Man denke nur, mit diesen Stoffen soll 
in denselben Bäumen hantirt werden, in denen andere Personen ver¬ 
kehren ! Wie klar zeigt sich hierin schon allein die Unzulänglichkeit der heu¬ 
tigen Einrichtungen unseres Sanitätswesens! 

Hieraus geht zur Genüge hervor, dass es ohne eine zeitgemässe Organi¬ 
sation des Sanitätswesens nicht mehr weiter gehen kann. Die besten Rath¬ 
schläge und Belehrungen bleiben eben, was sie sind, sobald es an den ausfüh¬ 
renden Organen mangelt, um dasjenige, was nicht nur erwünscht, sondern höchst 
nothwendig ist, zur Ausführung zu bringen. Und was ein gut organisirtes 
Sanitätswesen zu leisten vermag, das brauchen wir nicht erst in der Feme zu 
suchen, das könuen wir in unserem eigenen preussischen Staate finden, sobald 
wir auf die Ergebnisse unseres militärischen SanitätsWesens 
blicken. In dieser Beziehung konnte auf dem vorjährigen internationalen Kon¬ 
gress für Hygiene und Demographie zu Loudon der Vertreter des Deutschen 
Reiches, Generalstabsarzt Dr. v. Coler, mit ebenso warmen wie beredten 
Worten hervorheben, wie sehr wir der hygienischen Wissenschaft die Waffen 
verdanken, um in dem gewaltigen Kampfe gegen die zahlreichen, der nationalen 
Gesundheit drobenden (lefahren siegreich hervorzugehen, und dass dafür, wie 
grosse Erfolge mit ihrer Hilfe erzielt werden können, die aus den Söhnen aller 
Stände sieh zusammeusetztuule deutsche Armee den schlagendsten Beweis biete. 
Dank der Hygiene und ihrer Ltdiren sei es mö^glich gewesen, von Jahr zu Jahr 
die Zahl der Kranken im Heere bedeutend zu verringern, so dass z. B. im 
Jahre IMSS/Sü 79 500 3Iaim weniger ärztlicher Behandlung benöthigten, als nach 
dem 10jährigen Durchschnitt der Vorjahre anziinelimen war. Auch die Sterb¬ 
lichkeit habe sich in diT deutschen Armee seit 18()8 um zwei Drittel (von 6,9 ^/o 
auf 2,8 im Jahre 1889) verringert, und in diesem Lichte betrachtet erschienen 
die Kosten für hygienische Eiuriclitungen gering im Vergleiche zu ihren über¬ 
aus segt'iisrrichen Folgen für die Erhaltung der nationalen Gesundheit. 

Was aller für die Erhaltung der Gesundheit eines Thcils der Bevöl¬ 
kerung geschehen kann, das sollte nicht aueh der gesam m teu Be völkerung 
zu Gute kommen könneuV Freilich, welch’ ein Fnterschied auch zwischen der 
(irganisatioii des ^lilitär- und des Givil -Sanitiitswesens! Dort werden für Bes¬ 
serung der hygienisidieu Einrichtungen keine Kosten gespart, es bestehen bak- 
teri(dogisehe Laboratorien bei jtalem Armeekorps, es ist das nothwendige Geld 
vorhamb'n, um gegelieiien Falls bakteriologisclie Untersuchungen auch ausser¬ 
halb voruelimcu zu künneii, und bei den Uehungskurseu bezahlen die vo 11 besol- 



Das preas:»iäclie Medizinalwesen eto« 


471 


deten Militärärzte kein Honorar an die Professoren; hier wird für Besserung 
der hygienischen Einrichtungen möglichst — gespart, es bestehen keine bak¬ 
teriologischen Laboratorien, und wenn die Medizinalbeamten sich aus ihrer prak¬ 
tischen Thätigkeit für länirere Zeit mit Aufopferung ihrer Einnahmen heraus- 
reissen, um sich in einem Kursus zu vervollständigen, dann haben sie auch noch 
Honorar an die Professoren zu zahlen. Unter den obwaltenden Umständen ist 
es daher nicht weiter zu verwundern, wenn das Civil- Sanitätswesen keine solchen 
Erfolge aufzuweisen hat, wie jenes, und betreffs der ansteckenden Krankheiten 
auch nicht die geringste Abnahme der Sterblichkeit zu verspüren ist. 

Und der Grund hiervon? Nicht etwa, dass die leitenden Kreise sich der 
Thatsache des Vorhandenseins jener Missstände verschlössen und die Nothwen- 
digkeit einer Abhilfe durch Einführung einer Reform des Sanitätswesens nicht 
einsähen: immer sind es nur finanzielle Rücksichten, die der Ausführung einer 
solchen Reform im Wege stehen. Alljährlich hören wir bei der Etatsberathung 
im Hause der Abgeordneten, dass die Reform des Medizinalwesens nothwendig, 
dringend nothwendig ist, und alljährlich hören wir gleichfalls, es sei kein Geld 
zu diesem Zweck disponibel. Sollte es durchaus nicht ^möglich sein, von den 
Staatseinnahmen einige Millionen auch für diese Zwecke flott zu machen?’*') 
Schon im vorigen Jahr war aus der Mitte der Volksvertretung angekündigt 
worden, es werde in diesem Jahre ein bezüglicher Antrag eingebracht werden, 
falls es nicht gelingen sollte, in dom Etat die nöthige Summe erscheinen zu 
lassen. Allein auch diese Ankündigung hat sich nicht erfüllt. 

Alljährlich sieht die Bevölkerung den Würgengel Diphtherie verheerend 
die Reihen des jungen Nachwuchses lichten, alljährlich fallen den anderen In¬ 
fektionskrankheiten Tausende von Kindern und Erwachsenen zum Opfer, die 
wohl zu retten gewesen wären, wenn j)eben den gesundheitlichen Massnahmen 
zum Wohle des Heeres und einzelner T h e i 1 e der Staatsbürger auch diejenigen 
zum Wohle der gesummten Bevölkerung nicht gefehlt hätten. Möge daher 
die drohende Choleragefahr die Staatsregierung veranlassen, endlich eine Vorlage 
zur Reform unseres Medizinalwesens einzubringen, worin diesen An- 


♦) Der „Hannoversche Kurier“ sagt hierzu in seiner Morgen - Ausgabe vom 
11. d. M.: 

„Als nächste Aufgabe der Medizinalreform in Preussen hatten wir kürz¬ 
lich die Verbesserung der äusseren Lage der Kreisphysiker be¬ 
zeichnet. Wie dringend nöthig dies ist, zeigt die gegenwärtige Zeit, wo an 
diese Beamten sehr grosse Anforderungen gestellt werden. Sie haben kostenfrei 
zu untersuchen, ob in einem gegebenen Falle Cholera asiatica vorliegt oder 
nicht. Diese Untersuchung setzt den Besitz theurer Mikroskope und eines bak¬ 
teriologischen Laboratoriums mit Sterilisator, Brutkammer und vielen Neben¬ 
dingen voraus. Je verantwortlicher und bedeutungsvoller die Thätigkeit der 
Kreisphysiker aber wird, um so nothwendiger erscheint es, ihre Stellung von 
dem Bewerbe der ärztlichen Praxis unabhängig zu machen. Es ist auch kaum 
denkbar, dass einer derartigen Reform unsers Medizinalwesens selbst aus der 
gegenwärtigen Finanzlage irgendwelche Schwierigkeiten erwachsen könnten. In 
Preussen giebt es 562 Kreisphysikate. Würde man also für jeden Kreisphysikus 
3000 M. Gehalt in Ansatz bringen, so würde damit ein Mehrbedarf von ca. 
1200000 M. gegeben. Diese Summe Hesse sich noch ganz erheblich vermin¬ 
dern, wenn man nicht für jeden, selbst für kleinste Kreise, besondere Medizinal¬ 
beamte ernennen, sondern bei allmählich eintretenden Vakanzen 2 bis 3 kleine 
Kreise, wie sich solche beispielsweise in der Provinz Hannover finden, zu einem 
Physikate Zusammenlegen würde. Damit würden auch die Geschäftskreise der 
Medizinalbeamten gleichartiger. Jetzt giebt es nicht wenige Kreisphysiker, die 
Kreisen mit mehr als 100 000 Einwohnern vorstehen, ja, ein Physikat (Teltow) 
hat über 220000 Einwohner. Dem gegenüber weist z. B. die Provinz Hannover 
ein Physikat (Zeven) mit etwa 14000 Einwohnern auf. Selbstverständlich kann 
ein so kleines Physikat einem besonderen Medizinalbeamten keine genügende 
Beschäftigung bieten. Für Medizinalbeamte, die ihre Hauptthätigkeit in den 
Dienstgeschäften finden, können immerhin Bezirke von wenigstens 50—60(X)0 
Einwohnern gebildet werden. Jedetalls erfordert die Gegenwart Kreis- oder 
Bezirksbeamte, deren wesentlicher Beruf die Sorge für die öffentliche Gesund¬ 
heit bilden muss, und die in der Lage sind, zur Lösung dieser Aufgabe ihre 
ganze Kraft einzusetzen.“ 



472 


Das prenssische Medizinalwesen etc. 


fordernngen der Hygiene Bechntmg getragen wird; sie darf des grössten Dankes 
des Vaterlandes nicht minder gewiss sein wie der einstimmigen Zustimmung der 
gesetzgebenden Körperschaften 

In ähnlicher Weise spricht sich ein Leitartikel der in König^s- 
berg erscheinenden „Hartung'schen Zeitung“ (Nr. 207 vom 
4. September) aus: Die hier gezogene Parallele zwischen dem 
Verfahren bei Volksseuchen und demjenigen bei Viehseuchen dürfte 
Jedemann von der Unzulänglichkeit des ersteren wie von der dringen¬ 
den Nothwendigkeit einer Abhülfe auf diesem Gebiete überzeugen. 

„Einen wunderbaren Gegensatz zu allem Parteihader und sonstigem Streit 
und Zwist, der in den deutschen Landen tobt, bildet die friedliche Einmüthigkeit, 
mit der sich alles rüstet, um Schulter an Schulter den von Ost und West herange¬ 
rückten schwarzen Feind zu bekämpfen. Ueberall emsige Thätigkeit, übenUl 
williges Entgegenkommen gegenüber den Anregungen der Behörden und ihren 
Forderungen! Es ist ejn löblicher Eifer, der in dem Zusammenwirken so vieler 
sonst latenter Kräfte zu Tage tritt; „löblich^ allerdings mehr in Bezug auf die 
von ihm zu erhoffenden Wirkungen, als mit Rücksicht anf die zu Grunde liegenden 
Motive. Nicht allen, die mit Hand anlegen, liegt des Volkes Wohl am Herzen, 
nur ein Theil der Eifrigen handelt aus Interesse für die grossen Aufgaben der 
öffentlichen Gesundheitspflege, — — die meisten treibt die Furcht vor der 
persönlichen Gefahr. Es wäre deshalb ein Trugschluss, wenn man den aller- 
wärts sich bethätigenden Eifer des Publikums in seinen auf Abwehr der Cholera 
gerichteten Massnahmen als Beweis dafür annehmen wollte, dass — namentlich 
in unserem engeren preussischen Vaterlande — das Verständniss des Volkes für 
das Sanitätswesen ein hoch ausgebildetes sei. Wenn cs das wäre, könnten dann 
unsere heutigen Medizinalzustände noch bestehen? Würde dann dieGesammtheit 
der Nation es ruhig haben geschehen lassen, dass der nach vielen anderen 
Richtungen hin so musterhafte preussische Staat in der Entwickelung seines 
Medizinal Wesens so weit hinter anderen zurückgeblieben ist? 

Während man in eingeweihten Kreisen das Medizinalwesen in seiner 
heutigen Gestalt schon sehr lange als unhaltbar bezeichnet und oft nach Abhülfe 
gerufen hat, ist das grosse Publikum in dem Wahne befangen, dass der 
preussische Staat in gesundheitlicher Beziehung mindestens so glänzend dastehe, 
wie in militärischer. Es sieht die prunkenden medizinischen Institute der Univer¬ 
sitätsstädte, sieht grossartige Krankenhäuser, Irrenanstalten und Sanatorien in 
allen Theilen der Monarchie; es sieht, dass durch die grossartigen humanen 
Gesetze der jüngsten Zeit Tausenden von Menschen, die sonst in Krankheit und 
Noth sich selbst überlassen waren, die Wohlthat sorgsamer ärztlicher Behandlung 
zu Theil wird; es hört von den imponirenden Fortschritten und Erfolgen der 
medizinischen Wissenschaft, und dennoch fragt es verwundert, sollte das Medizinal¬ 
wesen im Staate Preussen den Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege 
nicht genügen? 

Demgegenüber möge daran erinnert werden, dass, wenn es sich um den 
Schutz gegen ansteckende Krankheiten handelt, die Behörden in Preussen noch 
heute, im Jahre 1892, in erster Linie auf die in dem alten Regulativ vom 
11. August 1835 vorgesehenen Massregeln angewiesen sind. Allerdings sind seit¬ 
dem einzelne ergänzende Ministerialerlasse und Regierungsverordnungen erschienen; 
es sind auch bereits oft genug Schritte zu einer Neuregelung des preussischen 
Sanitätswesens, beziehungsweise zum Erlass eines Reichsgesetzes zur Bekämpfung 
der Menschenseuchen geschehen — man lese nur die stenographischen Berichte 
der Verhandlungen des preussischen Abgeordnetenhauses über den Medizinaletat 
während der letzten 20 Jahre, beziehungsweise die betreffenden Reichstags- 
Verhandlungen — aber über die vorbereitenden Schritte ist man bisher nicht 
hinausgekommen. 

Das Regulativ vom Jahre 1835 bestimmt unter der Ueberschrift „Anzeige 
wirklich vorkommender Fälle von ansteckenden Krankheiten“: 

§. 9. „Alle Farailienhäupter, Haus- und Gastwirthe und Mcdizinalpersonen 
sind schuldig von den in ihrer Familie, ihrem Hause und ihrer Praxis vorkommenden 
Fällen wichtiger und dem (Temeinwesen gefahrdrohender ansteckender Krank¬ 
heiten, sowie von plötzlich eingetretenen verdächtigen Erkranknngs- oder Todes¬ 
fällen der Polizeibehörde ungesäumt Anzeige zu machen.“ 



Das prenssische Medizinalwesen etc. 


473 


§. 10. „Auf die erhaltene Anzeige muss die Polizeibehörde die ersten 
Fälle solcher Krankheiten ärztlich untersuchen lassen, und wenn das Gutachten 
das wirkliche Vorhandensein derselben bestätigt, unverzüglich ihrer Vorgesetzten 
Behörde (Landrath) Mittheilung machen.“ 

Nehmen wir z. B den Fall einer Erkrankung an Dyphtherie auf einem 
Dorfe an. Eine „Medizinalperson“ ist nicht zugezogen, die Anzeigepflicht fällt 
also dem Familienhaupte oder Hauswirthe zu, wird aber aus absoluter Un- 
kenntniss dieser Verpflichtung meistens nicht ausgeübt. Aber auch wenn ein 
Arzt zugezogen ist, unterbleibt leider oft genug die Anzeige und erst dadurch, 
dass der Gemeindevorstand oder der Schullehrer von der Erkrankung zufällig 
hört, erhält die Ortspolizoibehörde Kenntniss davon. Diese veranlasst nun im 
günstigsten Falle die ärztliche Konstatirung, wenn sie nicht die damit verbun¬ 
denen Kosten scheut, ordnet die nach ihrem laienhaften Urtheil erforderlichen 
Massregeln an und berichtet an das Landrathsamt weiter, das dann vielleicht 
verfügt, in angemessenen Zwischenräumen über den Verlauf der Krankheit zu 
berichten. Erst wenn sich die Erkrankvngsfälle häufen und wenn nach der 
persönlichen Ansicht des Landraths eine gefährliche und epidemische Ausbreitung 
der Krankheit zu besorgen ist, dann gehen die Berichte dem Physikus zu mit 
dem Aufträge, sich, nach Information an Ort und Stelle, über die zu ergreifenden 
Massregeln zu äussem. Es ist also ein äusserst schwerfälliger Geschäftsgang, 
der selbst ira günstigsten Fall — also bei sofortiger ärztlicher Konstatirung und 
sofortiger Anzeige beim Landrathsamt — eine ganze Reihe von Tagen in An¬ 
spruch nimmt. Was kann in diesen Tagen nicht alles geschehen, wie weit kann 
der Krankheitsstoff verschleppt, wie viel Menschenleben können gefährdet werden?! 

Wie anders ist dagegen der Geschäftsmodus, wenn es sich um die Be¬ 
kämpfung von Thierseuchen handelt! Hier schreibt das Reichsgesetz 
vom 23. Juni 1880 betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Thier¬ 
seuchen vor: 

§. 9. „Der Besitzer von Hausthieren ist verpflichtet, von dem Ausbruch 
einer Seuche unter seinem Viehstande und von allen verdächtigen Er¬ 
scheinungen bei denselben, welche den Ausbruch einer solchen 
Krankheit befürchten lassen, sofort der Polizeibehörde Anzeige zu 
machen.“ 

§. 12. Die Polizeibehörde hat auf die erfolgte Anzeige, oder wenn sie auf 
irgend einem andern Wege von dem Ausbruch einer Seuche oder dem Verdachte 
eines Seuchenausbruches Kenntniss erhalten hat, sofort den beamteten Thier¬ 
arzt behufs sachverständiger Ermittelung des Seuchenausbruches zuzuziehen. 
In eiligen Fällen kann derselbe schon vor polizeilichem Einschreiten die 
sofortige vorläufige Einsperrung und Absonderung der erkrankten und verdäch¬ 
tigen Thiere nöthigenfalls auch die Bewachung derselben anordnen.“ 

Welch eminenter Unterschied des Verfahrens bei Menschen-und bei Thier¬ 
seuchen! Bei Menschen soll eine Anzeige gemacht werden von „wirklich vor¬ 
kommenden Fällen wichtiger und dem Gemeinwesen gefahrdrohender“ ansteckender 
Krankheiten, sowie plötzlich eingetretener verdächtiger Erkrankungs- oder Todes¬ 
fälle. Bei Rindvieh, Ziegen, Eseln, Mauleseln etc. dagegen hat die Anzeige zu 
erfolgen, wenn sie Erscheinungen bieten, welche den Ausbruch einer Thierscuche, 
selbst der verhältnissraässig ungefährlichen Maul- und Klauenseuche oder Räude 
„befürchten lassen“. 

Auf die erhaltene Anzeige von Mensclienerkrankungen hat die Polizei¬ 
behörde auf Kosten der Gemeinde „die ersten Fälle“ ärztlich konstatiren zu 
lassen, doch hat sie nicht nöthig, zu diesem Zweck Medizinalbeamte heranzu¬ 
ziehen. Dann muss sie dem Laiidrath Anzeige machen und dieser kann, wenn 
er es für gut befindet, den Kreisphysikus zur üiitersuehung an Ort und Stelle 
requiriren. Bei Thiererkraiikungen dagegen muss die Polizeibehörde nicht nur 
allein auf erfolgte Anzeige hin, sondern auch „wenn sie auf irgend einem andern 
Wege von dem Verdachte eines Seiicheuausbriiches Konutiiiss erhalten hat, so¬ 
fort (d. h. direkt und ohne sich mit Anzeigen au das Landrathsamt aufzuhalteu) 
den beamteten Thierarzt“ auf Staatskosten zuziehen! 

In eiligen Fällen kann der Kreisthierarzt sofort Anordnung treffen, und 
nach §. 66 Nr. 2 wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder mit Haft bestraft, 
„wer den von dem Thierarzte getroffenen vorläufigen Anordnungen zuwider- 
haudelt.“ Der Kreisphysikus aber, der Menschen vor Infektionsgelahr 
schützen soll, riskirt eine dienstliche Zurechtweisung seitens der Vorgesetzten Be- 



474 


Das preuösische Mcdizinalwescn etc. 


hörde, sobald er selbstständige Anordnungen trifft; denn der Physikus hat 
keinerlei anordnende oder vollziehende Machtbefugniss und greift fehl, wenn er. 
— selbst den schreiendsten Missständen gegenüber — die Rolle des Polizeibeamten 
übernehmen wollte (Vergl. Wernich, Resricmngs- und Medizinalrath: Za- 
sammenstellung der, das preussische Medizinalwesen betreffenden Bestimmungen, 
S. 133). 

Einen Kommentar zu diesen Mensch und Vieh so grundverschieden be¬ 
handelnden Bestimmungen zu liefern, dürfte überflüssig sein. Anregungen zur 
Besserung aus massgebenden Kreisen, Anträge und Resolutionen auf Reorgani¬ 
sation des Medizinalwesens seitens der gesetzgebenden Körperschaften sind seit 
lange in Hülle und Fülle vorhanden gewesen. Die jedesmaligen Herren Kultus¬ 
minister haben sich in ihren Erklärungen stets sehr wohlwollend gcäussert, 
stereotyp aber ist der Schluss ihrer Reden die mit einem Achselzucken begleitete 
Aeusserung gewesen, sie könnten leider nicht, wie sie so gerne möchten, die 
Medizinalfrage sei eine Finanzfrage, und von dem Finanzminister sei kein Geld 
dafür zu erhalten. Der jetzige Kultusminister hat allerdings seiner üeberzeugnng 
von der Unzulänglichkeit unseres heutigen Medizinal Wesens durch einen Erlass 
Ausdruck gegeben, der in der jetzigen Zeit der Sorge in hohem Grade beruhigend 
wirkt. Durch diesen Erlass ist nämlich die Bestimmung getroffen, dass das 
alte Verschleppungsverfahren wenigstens bei der jetzt drohenden Cholera 
nicht mehr in Anwendung gezogen werden dürfe. Jeder verdächtige Fall soll 
ausser der Ortspolizeibehörde auch sofort dem zuständigen Kreisphysikus gemeldet 
werden, und diesem ist die Pflicht auferlegt, sofort ex officio an Ort und Stelle 
geeignete Massregeln zu ergreifen. Diese Anordnung wird, wenn sie in die 
That umgesetzt werden muss, sicherlich von segensreichstem Einfluss sein; denn 
die Medizinalbeamten werden sich der Verantwortung, die auf ihre Schultern 
gelegt, bewusst sein und sich ihrer schwierigen Aufgabe gewachsen zeigen. Es 
bleibt nur zu wünschen, dass auch sämratliche Polizeiorgane angewiesen würden, 
den Anordnungen der Physiker die unweigerlichste Folge zu geben. 

Wenn wie jetzt für den Augenblick und speziell der drohendea Cholera¬ 
gefahr gegenüber, ein zcitgemässeres und zweckentsprechenderes Verfahren an¬ 
geordnet ist, so wollen wir hoffen, dass das soeben im amtlichen Blatte der Re¬ 
gierung in Aussicht gestellte „Seucheugesetz fürMenscheu“ der Zukunft 
allen Reichsangehörigen jene sanitäre Sicherheit bringen wird, die mau heute 
aller Orten vermisst. Möge das Zustandekommen dieses heilsamen Gesetzes nur 
nicht aufs Neue in den Hintergrund gedrängt werden, wenn die brennende Gefahr 
vorüber istl“ 

Inzwischen scheint thatsächlich höheren Ortes der Erlass eines 
Seuchengesetzes für die Menschen bestimmt in Aussicht genommen 
zu sein, wenigstens schreibt der „Reichsanzeiger“ in seiner Nummer 
vom 1. d. M.: 

„Angesichts der drohenden Choleragefahr wird es für weite Kreise 
von Interesse sein zu erfahren, dass die preussische Mediziualverwaltung schon 
seit längerer Zeit ernstlich mit den Vorarbeiten zu einem Seuchengesetze 
für die Menschen beschäftigt ist. Auf Anordnung des Medizinal-Ministers 
hat die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen bereits die Normen 
zu einer Desiufektions-Ordnung aufgestellt, und sie wird in der allernächsten 
Zeit die Regelung der Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten berathen. 
Nachdem alsdann noch die Grundsätze des Verkehrs der Menschen bei solchen 
Krankheiten festgestellt sind, wird das so gewonnene Material zu dem Entwurf 
eines Souchengesetzes verarbeitet werden, welcher demnächst, die Allerhöchste 
Genehmigung vorausgesetzt, den gesetzgebenden Faktoren, sei es im Reich, sei 
es in Preussen, zur verfassungsmässigen Beschlussfassung vorziilegen sein würde. 
Unter diesen Umständen ist die Hofl’iiiing begründet, dass es trotz der in der 
Materie liegenden grossen Schwierigkeiten in nicht ferner Zeit gelingen werde, 
diese unter den gegenwärtigen Verhältnissen besonders wichtige Angelegenheit 
zu einem gedeihlichen Abschlüsse zu bringen.“ 

Nach der vorstehenden Ankündigfung: scheint allerding^s die 
preussische Regierung zu befürchten, dass ein Reichsgesetz in 
Folge partikularistischer Bedenken nicht zu Stande und der Erlass 



Das prenssische Medizinalwesen etc. 


475 


eines Seuchengesetzetzes nur tttr Preussen in Betracht kommen 
könnte. Solche Bedenken dürften jedoch vor der zur Zeit im Reiche 
allgemein herrschenden Stimmung nicht gerechtfertigt sein; denn 
sollte wirklich die Regierung von dem Erlass eines Reichsgesetzes 
Abstand nehmen wollen, so würde ein solches sicherlich von dem 
Reichstage verlangt werden. Gerade das jetzige Auftreten der 
Cholera hat den unumstösslichen Beweis für die Nothwendigkeit 
einer reichsgesetzlichen Regelung der zur Bekämpfung der 
Menschenseuchen erforderlichen Massnahmen geliefert, da nur auf 
diese Weise ein planmässiges, einheitliches Vorgehen aller be¬ 
theiligten Behörden möglich und damit die erste und hauptsächlichste 
Vorbedingung für die Wirksamkeit der sanitätspolizeilichen Vorsorge 
gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten gegeben ist. Dann 
wird auch den unteren, übereifiigen Polizeiorganen die Möglichkeit 
abgeschnitten werden, praktisch undurchführbare, zwecklose, über 
das Ziel hinausgehende und die Bevölkerung in unnöthiger Weise 
aufi-egende polizeiliche Anordnungen zu treffen, wie dies leider in 
der jüngsten Zeit sehr vielfach geschehen ist. Wenn die Cholera 
durch Verfügungen, Polizeiverordnungen*) u. s. w. in ihrem Vor¬ 
dringen aufgehalten werden könnte, dann brauchten wir uns jetzt 
ihretwegen keine Sorge mehr zu machen; aber je zahli’eicher die 
Anordnungen, desto weniger werden sie häufig beobachtet und desto 
mehr läuft man Gefahr, dass gar Nichts geschieht. 

Nach den neuesten Nachrichten wird der Reichstag aber nicht 
nöthig haben, die Initiative auf diesem Gebiete zu ergreifen; denn 
bereits beginnt das Reich >on der ihm durch die Reichsverfassung 
gegebenen Befugniss, die Massregeln der Medizinalpolizei zu beauf¬ 
sichtigen, Gebrauch zu machen, wie aus nachstehender Bekannt¬ 
machung des Reichskanzlers hervorgeht: 

„Behufs einer wirksamen senchenpolizeilichen Kontrole der Unter- nnd 
Oberelbe nnd der mit ihr in Verbindung stehenden Fluss- und Kanalwege habe 
ich auf Qmnd des Artikels 4 der Reichsverfassnng in der Person des Königlich 
prenssischen Ober - Regiemngsraths Freiherrn v. Richthofen einen „Reichs¬ 
kommissar für die Gesundheitspflege im Stromgebiet der Elbe“ berufen. Dem 
Reicbskommissar ist das erforderliche ärztliche Personal zur Verfügung gestellt. 
Er ist angewiesen, nnverweilt mit den Behörden derjenigen Bezirke, welche 
durch seine Amtsthätigkeit berührt werden, in Verbindung zu treten. Ueber 
die Einrichtung des Dienstes und über die Vertheilung des zur sachverständigen 
Beaufsichtigung der Gesundheit sverhältnisse auf den vorbezeichneten Schifffahrts- 


*) Als Beispiel derartiger über das Ziel hinausgehende Anordnungen der 
Lokalbehörden mag nachstehende, von einem Amtmann des diesseitigen Regie¬ 
rungsbezirks (Minden) erlassene Polizeiverordnung dienen: 

„Nachdem festgestellt worden ist, dass durch Fliegen die Cholera 
stark verbreitet wird, werden sämmtliche Bewohner, besonders die Gast- und 
Schankwirthe des diesseitigen Amtsbezirks bei Vermeidung einer Polizeistrafe 
bis zu 30 Mark oder dem entsprechend Haft aufgefordert, dafür zu sorgen, dass 
nach Möglichkeit die Fliegen etc. vertilgt werden. 

Den Gast- und Schankwirthen wird aul'gegeben, in ihren Schanklokalen 
unbedingt mehrere Fliegenfänger oder dergleichen aufzustellen.“ 

Es hätte hier nur noch gefehlt, dass jedem Einwohner bei Strafe auf¬ 
gegeben wäre, täglich eine bestimmte Menge todter Fliegen dem gestrengen 
Herrn Amtmann einzulieferu! 



476 Kleinere Hittheilimgen tind Referate ans Zeitschriften. 

Strassen berufenen ftrztlichön Personals wird der Reiohskommissar das Erforder¬ 
liche bekannt machen. Die Geschäftsräume desselben befinden sich im Reiebsamt 
des Innern, Wilhelmstr. 74.“ 

Ebenso hat, wie soeben die politischen Blätter melden, der 
Reichskanzler in der Frage der Seuchenabwehr die Initiative 
ergriffen und das Reichsgesundheitsamt mit der Ausarbeitung eines 
Reichsseuchengesetzes beauftragt. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Oerichtliche Medizin. 

Die Letalität der penetrirenden Sclmssverletznngen des Unter¬ 
leibes vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Von Dr. P. Seliger. Sonder- 
abdruck a. d. Prager Mediz. Wochenschrift 1892 Nr. 22—26. 

Die eingehende Abhandlung kommt zu dem folgenden Ergebniss: 

1. Die Bauchschussverletzungen von vom sind in unseren Kasuistiken 
viermal so häufig, als die von hinten. Die Mortalität beträgt 54 ®/o und bei den 
mit Knochenverletzungen komplizirten 78®/o. Wenn ein Ausschuss da war, 
betrug die Mortalität 42®/o und wenn die Kugel oder ein anderes Projektil 
stecken blieb: 65 ®/o. Die Komplikation der Eröffnung der Brusthöhle war stets 
tödtlich, auch wenn nur die Pleurahöhle ohne Lungenverletzung eröffnet war. 

Der Tod trat ein von 236 Todesfällen in 98 in der ersten, in 38 in der 
zweiten, in 28 in der dritten, in 14 in der vierten, in 12 in der fünften Woche, 
und in 46 Fällen nach der fünften Woche. Die Todesursache war in der 
ersten Zeit Verblutung und Peritonitis, in der Periode vom 10. bis 40. Tage: 
Septicämie, Pyämie, sekundärer Peritonitis, vom 40. Tage: Peritonitis, Pyämie, 
Septicämie, Marasmus. 

2. Heilung erfolgte auch noch in später Zeit, sogar noch in zwei Jahren 
und später. In ganz vereinzelten Fällen war jedoch, namentlich bei den Ver¬ 
letzungen der häutigen Organe (Blase, Magendarmkanal) die Heilung als eine 
vollständige nicht anzusehen. 

3. Es kommt vor, dass die Kugel in die Bauchhöhle penetrirt. Häufig ist 
der Vorfall von Eingeweiden, wodurch die Prognose verschlechtert wird. — 

Im Speziellen: 

a. Schussverletzungen des Netzes werden tödtlich durch Gefässverletzungen, 
sonst ist die Prognose gut. 

b. Die Magenschusswunden enden meist tödtlich. Folgezustände: Fistel¬ 
bildung. 

c. Duodenalschusswunden sind stets tödtlich. 

d. Eine wirkliche Heilung der Schusswunden des Dünndarms ist immerhin 
sehr selten. — Von den Dickdarmschusswunden sind die des Colon descendens 
und der Flexura sigraoidea selten tödtlich, schlechter ist die Prognose bei den¬ 
jenigen des Coecum und Colon ascendens, am schlechtesten bei denen des 
Colon transversura. Wenn Heilung eintritt, so ist die Kegel die Fistelbildnng, 
die sich bis vier Jahre lang erhalten kann. Diese sowie n^uelwidrige Adhäsionen 
oder Strikturen und abnorme Kommunikationen, die sich namentlich bei den 
Mastdarraschussverletzungen finden, bringen Sieehthuniszustände hervor, 

e. Die intraperitonealen Blasenschussverletzungen sind stets tödtlich, die 
extraperitonealen haben jedoch nur 15 Mortalität, die Diagnose wird durch 
die Hämaturie gestellt, wenn man Nieren- und Urethralverletzungen ausschlie.ssen 
kann. Die Fojgeziistände sind bisweilen äusserst langwierig und bestehen in 
Urinfisteln und lUasensteinen. 

f. Die Niereuschussverletzungen werden durch die Hämaturie neben der 
Lage der Wunde und Richtung derselben und den etwa auftreteuden Nieren¬ 
koliken erkannt. Die Mortalität ist 44 Niereufisteln bleiben längere Zeit 
zurück, ebenso ein chronischer Entzüudungszustand des Parenchyms, welcher 
Ursache von Steinen werden kann, 

g. Bei den Leberschussverletzungen, die durch die Lage und Richtung 
der Wunde, den Gallcnaustluss und die Abstossiing nekrotischer Leberfetzen, 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


477 


sowie bisweilen durch den Jcterus erkannt werden, sind Komplikationen mit 
Verletzungen anderer Organe sehr häufig. Die Mortalität beträgt 26,8 ®/o, nach 
anderer Berechnung 39 ’Vo- Als Folgezustände werden selten Abscesse genannt. 
Galhiütisteln bleiben dagegen häufig und recht lange zurück, in einem Falle 
wurde Lebercirrhose in Folge des Zurückbleibens von Fremdkörpern beobachtet. 

h. Milzverletziingen sind gleichfalls sehr oft mit anderen Organverletzungen 
komplizirt. Die Diagnose ist recht schwer. Die Mortalität beträgt 65®/o- 

i. Funktionsstörungen des Lendenrückenmarks treten bei wirklicher Ver¬ 
letzung der Marksubstauz je nach der Ausbreitung des verletzten Theiles total 
oder partiell augenblicklich nach der gesetzten Läsion auf, bei Blutergüssen in den 
Lendenrückeumarkskanal jedoch ohne Verletzung der Marksubstanz treten die¬ 
selben je nach der Ausdehnung des Blutergusses unter Umständen erst später 
ein. Diese Funktionsstörungen, die übrigens auch nach blossen Reflexlähmungen 
recht lange anhalten können, bestehen in Lähmungen der Beine, sowie der 
Sphinktereu der Blase und des Mastdarms, Anästhesien, später Decubitus. Der 
Ausgang bei wirklicher Markverletzung ist stets Tod; besser ist die Prognose 
bei Blutergüssen, sowie bei Verletzungen der Lendenwirbelsäule, wenn sich der 
eröfifnete Wirbelkanal bald schliesst. 

k. Die Diagnose der Schussverletzungen der Geschlechtstheile ist leicht. 
Die Prognose quoad vitam gut. Von den Folgezuständen sind die Urethralfisteln 
unter Umständen als Siechthumszustände, die Spaltungen des Penis, sowie die 
Narbenbildungen desselben als erhebliche dauernde Entstellung unter Umständen 
von Seiten des Gerichtsarztes zu begutachten. Bei Verlust beider Hoden ist 
Verlust der Zeugungsfähigkeit vorhanden, ferner werden bei dieser Verletzung 
häufiger tiefe Gemüthsdepressionen beobachtet. 

l. Die Heilung von Schusswunden der grösseren freien Bauchgefässe ohne 
Kunsthülfe ist als Seltenheit anzusehen. Blutungen aus Gefässen können direkt 
durch die Geschosse bewirkt werden oder durch mitgerissene Knochensplitter, 
indirekt und sekundär oder tertiär in Folge der Wundkrankheiten durch Arro- 
sion der Gefässwandungen. 

m. Verletzungen des knöchernen Beckens geben gleichfalls eine hohe 
Mortalität. Der Tod tritt bei langwierigen Eiterungen in später Zeit noch an 
Erschöpfung und amyloider Degeneration ein. 

4, Die Beurtheilung etwaiger Kunstfehler ist in diesen Fällen eine für 
den Gerichtsarzt recht heikle Frage. Im Ganzen geht die Ansicht der modernen 
(/hirurgen bei Darmschussverletzungen in der Friedenspraxis dahin, möglichst 
bald zu laperotorairen, die Darmwunde zu nähen, etwaige Blutungen zu stillen. 

Die Entfernung von Fremdkörpern wird namentlich bei den parenchyma¬ 
tösen Orgauen uur in den Fällen erlaubt sein, in denen sie sonst und ohne er¬ 
hebliche Blutungsgefahr vor sich gehen kann. Bei den Nierenverletzungen ist 
bisweilen die Tutalexstirpation des Organs indizirt. Kritikloses Untersuchen mit 
Finger und Sonde hat zu unterbleiben, wie überhaupt bei allen Manipulationen 
und Operationen die allerstrengsten Massnahmen der Antisepsis überall Platz zu 
greifen haben. Dr. Overkamp-Warendorf. 


Die nicht penetrirenden Bauchschussverletzungen vom gerichts¬ 
ärztlichen Standpunkte. Von Dr. P. Seliger. Sonderabdruck a. d. Prager 
Mediz. Wochenschrift 1892 Nr. 19 und 20. 

Verfasser kommt zu folgendem Ergebniss: Die nicht penetrirenden Bauch¬ 
schussverletzungen liefern eine weit bessere Prognose, als die penetrirenden. 
Zur Differentialdiagnose ist jedoch kritikloses Eingehen mit Finger und Sonde 
durchaus zu vermeiden. 

' Die Wunden können durch Mitleidenschaft des Peritoneum, durch Blutungen 
oder durch indirekte Verletzungen innerer Organe auch ohne Verletzung des 
Peritoneum tödtlich w(‘rden. 

Als Foigezustände dieser Verletzungen ist die grosse Neigung zu Bauch¬ 
brüchen durch Dehnung der Narbe zu erwähnen. 

Ist durch eine ponetrirende Bauchschusswunde eine Leberruptur entstan¬ 
den, so kann die Bauchdeckenwunde und auch der Leberriss schon geheilt sein 
und doch kann von die ser geheilten Leberquetschung eine sekundäre diffuse 
Peritonitis in späterer Zeit mit tödtlichem Ausgange ansgehen. Dasselbe 
ist bei einer nicht penetrirenden Stichwunde durch Entstehen eines Leber- 



478 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


abscesses beobachtet worden. Die Eiterung in der Leberquetschung kann ent¬ 
weder zu Stande kommend gedacht werden durch Uebertragung des Infektions¬ 
materials von der äusseren Bauchdeckenwunde aus oder per contiguitatem auf 
das Peritoneum parietale und von hier aus auf die Leberquetschung, nachdem 
sich von der Leberquetschung aus Adhäsionen des serösen Ueberzuges der Leber 
mit dem Peritoneum parietale an gegenüberliegenden Stellen der Innenseite der 
vorderen Bauchwand gebildet haben Dabei muss natürlich vorausgesetzt werden, 
dass die äussere Wunde auch dem Leberriss gegenüberliegt, andernfalls muss 
man eine palpable oder nicht palpable, oder auch nicht mehr nachweisbare Ver¬ 
letzung des Darmes annehmen, aus der die Eitererreger in den von der Leber¬ 
quetschung herrührenden Bluterguss eingedrungen sind, und hier Zersetzung und 
Eiterung erzeugt haben. Ders. 

B. Hygiene und öffentliches Sanitätawesen. 

lieber die hygienische Benrtheilnng des Trinkwassers. Von 
Professor Dr. Julius Kratter. Vortrag, gehalten auf der 1. Wanderversamm- 
lung des Vereines der Aerzte Deutschtirols zu Brixen am 6. April 1891. Sonder- 
Abdiuck aus „Mittheilungen des Vereins der Aerzte Deutschtirols“ für 1891. 

Trotz des grossen Fortschrittes der Naturwissenschaft bestehen noch 
grundsätzlich verschiedene Auffassungen der berufensten Forscher über die wich¬ 
tigsten aetiologischen Beziehungen des Wassers. Hie die Münchener Schule 
unter von Pettenkofer, dort die Berliner unter Robert Koch. Es ist um 
so bedauerlicher, als von der Ansicht über diesen Gegenstand schwerwiegende 
Entscheidungen abhängig sind und das Wasser als das wichtigste Lebens- und 
Genussmittel zu bezeichnen ist. 

I. Das Trinkwasser als Krankheitsursache. 

Ein Genusswasser darf unter keinen Umständen gesundheitsschädliche 
(krankmachende) Eigenschaften besitzen. Krankmachend kann es werden durch 
Intoxikation oder Infektion. 

Bis vor Kurzem nahm man an, dass die Gesundheitsschädlichkeit des 
Wassers auf der toxischen Wirkung der in demselben gelösten Substanzen be¬ 
ruhe. Dem gegenüber ist zu bemerken, dass die gewöhnlich in unsem Wässern 
vorkommenden chemischen Körper, ob sie in grosser oder geringer Menge vor¬ 
handen sind, niemals giftige Wirkungen erzeugen. 

Intoxikationen durch Trinkwasser werden bewirkt durch Beimengung 
solcher Substanzen, welche für gewöhnlich im Wasser nicht Vorkommen, wie 
Blei, Kupfer und Arsen. — Ueber Bleivergiftung berichtet schon Galen; 
Berühmtheit erlangte die „Colique s^che“ der französischen Kriegsmarine, die auf 
den Schiffen Wasser in bleiernen Gelassen auf bewahrte. (Die Massenvergiftung 
in Dessau geschah durch die Bleirohre der Wasserleitung. Wasser, welch^es arm 
an Salzen oder alkalischen Erden ist (weiches Wasser) oder welches freie Kohlen¬ 
säure enthält, löst Blei auf, namentlich wenn Luft in den Bleirohren steht — 
Bildung von leicht löslichem Bleihydroxyd — Ref.). Kupfer Vergiftung ist beob¬ 
achtet bei Wasser, welches durch kupferne Pumpen oder Leitungsröhren durch¬ 
gegangen. Arsen Vergiftungen durch Einfliessen von Abwässern der Tapeten¬ 
fabriken (Nancy), der Fuchsin- und anderen Amilinfabriken (Basel, Elberfeld, 
Barmen) in die Brunnen. 

Infektionen werden bewirkt: 

1. Durch thierische Parasiten: Botriocephalus latus, Distomum hepaticum, 
Distomum lanceolatum, Distomum haematobium, Ascaris lumbricoides, Trichoce- 
phalus dispar, Ankylostomum duodenale. 

2. Durch pflanzliche Organismen (Bakterien), von denen unzweifel^atft 
festgestellt ist, dass der Typhusbacillus und der Choleravibrio im Trinkwasser 
Vorkommen. 

Die Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit eines Zusammenhanges der Infektions- 
Krankheiten mit der Beschaffenheit des Trinkwassers war schon lange angenommen; 
dass Abdominaltyphus und Cholera durch Trinkwasser verbreitet würden, stand 
fest, ohne dass ein exakter Beweis hierfür erbracht worden war, oder erbracht werden 
konnte. Gegenwärtig ist festgestellt, dass Typhus- und Cholerakeime ab und zu 
im Wasser im lebenden und entwickelungsfähigen Zustande Vorkommen und so¬ 
mit auch die Möglichkeit einer Infektion des Menschen durch das Trinkwasser 
vorhanden ist, aber ebenso sicher ist festgestellt, dass diese pathogenen Pilze 



iUeinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


479 


iui Wasser ungünstige Lebensbedingungen vorfinden, dass sie an Zahl rasch ab- 
nehmen, nach einiger Zeit ganz aus dem Wasser verschwinden und dass sie bei 
Orts- und Hausepideinieii auch gänzlich fehlten. Hieraus ist zu schliessen, dass 
Wasser keineswegs die alleinige Verbreitung der Infektionskeime be¬ 
sorgt, sondern dass Typhus und Cholera, wie andere Infektionskrankheiten, auf 
den verschiedensten Wegen, namentlich durch alle Nahrungs- und Genussmittel, 
durch Kleider, Wäsche und dergl. verbreitet werden können. 

Auch das Plasmodium raalariae kann sowohl durch Trinkwasser, als durch 
durch die Luft in den Menschen kommen; endlich kann das Trinkwasser im 
beschränkten Sinne für Scharlach, Diphtherie und Magendarmkatarrhe verant¬ 
wortlich gemacht worden. Die Frage, Kropf - Kretinismus und Trink wasser, ist 
noch^ eine offene. 

II. Die Erkennung der Beschaffenheit des Wassers. 

In Bezug auf die chemische Zusammensetzung eines reinen 
Trinkwassers hat man sich zu folgenden Grenzwerthen geeinigt. In einem 
Liter reinen Wassers soll: 

1. nicht mehr als 500 mgr. Gesammtrückstand (Summe der anorganischen 
und organischen Stoffe) beim Verdampfen auf dem Wasserbade vorhanden sein; 

2 nicht mehr als 50 mgr. organischer Substanzen. 

3. Ammoniak und Phosphorsäure sollen gar nicht, salpetrige Säure höchstens 
in Spuren, Salpetersäure bis zu 6 mgr. und Chlor nicht mehr als 8 mgr. vor¬ 
handen sein. 

4. Die Gesammthärte darf nicht mehr als 18—20 deutsche Härtegrade 
betragen, d. h. in 100,000 Theilen Wasser sollen nicht mehr als höchstens 
20 Theile CaO und im Liter nicht über 200 mgr. davon enthalten sein. 

Diese Grenzwerthe gingen früher ziemlich weit auseinander, und nach 
ihnen wurde das Wasser für verdächtig oder schädlich erklärt. Nun ist es nach 
den Erörterungen unter 1. zweifellos, dass ein Wasser in chemischer Beziehung 
diesen Anforderungen vollkommen entsprechen und dennoch äusserst gesundheits¬ 
schädlich sein kann, indem es unzählige Keime von Parasiten und pathogenen 
Mikroorganismen führt, während es ebenso sicher ist, dass wir bei Abwesenheit 
von Krankheitskeimen die chemischen Substanzen in viel höherem Masse ge¬ 
messen können, und auch thatsächlich geniessen mit unsem sonstigen Nahrungs¬ 
mitteln, ohne Schaden zu nehmen. 

Diese chemischen Substanzen haben jedoch ihre symptomatische Bedeutung. 
Alles Brunnenwasser und alles Quellwasser ist Meteorwasser plus jener Summe 
löslicher organischer und anorganischer Substanzen, welche das in die Erde ver¬ 
sickernde Regen wasser auf seinem Wege von der Auffallstelle bis zu seiner 
Austrittsstelle aufzunehmen hatte. Seine Zusammensetzung giebt also Aufschluss 
über die Beschaffenheit des Bodens, den es durcheilt. Ist der Boden mit Abfall¬ 
stoffen der Menschen und Thiere stark durchsetzt, so giebt das Wasser Kennt- 
niss davon. 

Ein mit gelösten organischen Substanzen gesättigtes Wasser ist eine ge¬ 
eignetere Nährlösung für 3Iikroorganismen, also auch für pathogene Keime, 
als ein an organischen Materialien armes. Fäulniss kann Fäulnissalkaloide 
(Ptomaine) dem Wasser zuführen, ebenso wie beim geringsten Zusatz von Abfall- 
stoffen eine Infektion mit thierischen und pflanzlichen Parasiten droht. 

Die organischen Substanzen im Boden, wenn sie nicht rasch in Lösung 
kommen, verwesen oder faulen; ersteres geschieht bei genügender Sauer- 
stoftzufuhr, letzteres bei Mangel derselben. Die Endprodukte sind danach Sauer- 
stoftVerbindungeu oder WasserstoffVerbindungen. Das Eiweissmolekül als Typus der 
organischen Materie angenommen, giebt bei der Verwesung die Salpeter¬ 
säure als höchste Sauerstoffverbindung des N; CO, als die desC; SOg als die des 
S und HjjO als die des H. Bei der Fäulniss erscheinen die entsprechenden 
Wasserstoffverbindungen: Ammoniak (NHJ, Kohlenwasserstoffe (CHj CgH 4 
u. 8. w.) und Schwefelwasserstoff SH. 

Aus der Menge der betreffenden Körper schliessen wir auf die Intensität 
der Verunreinigung des Bodens mit organischen Materien. 

Viel Salpe t ersäure bei geringer Menge organischer Substanz ist ein 
Anzeichen, dass der Boden, den das Wasser durchläuft, früher mit verwesungs¬ 
fähigen, aber schon verwesten organischen Substanzen verunreinigt war. Findet 
sich jedoch auch noch salpetrige Säure, die nächst niedrigere Oxydations¬ 
stufe des Stickstoffes, so ist das ein Anzeichen, dass die Nitrifikation noch im 



480 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Gange ist. Spuren von salpetriger Säure sind desshalb hygienisch unzulässig; 
denn wo Verwesungsprozesse noch im Gange sind, da finden auch Krankheits¬ 
erreger einen guten Nährboden und können gelegentlich in das Trinkwasaer 
gelangen. 

Spuren von Ammoniak sind ein Anzeichen, dass das Wasser eine Fäulniss- 
stätte, die ein Herd für Entwickelung pathogener Keime oder toxischer Pto- 
maine sein kann, durchlaufen hat. Ein Wasser mit Ammoniak schadet unserer 
Gesundheit nicht, ist aber zu verwerfen, weil es auf Vorgänge im Bereiche der 
Wasserentnahmesteile deutet, die wir in gesundheitlicher Beziehung zu fürchten 
allen Grund haben. 

Acht mgr. Chlor = 13 mgr. NaCl im Liter Wasser gilt als oberste Grenze, 
obschon wir NaCl geradezu als unentbehrlichen Körper in einer grossen Menge 
mit unsern Speisen, in Mineralwässern etc. uuserm Körper einverleiben und den¬ 
noch muss der Chlorgehalt unseres Trinkwassers, mit Ausnahme in der Nähe 
des Meeres oder einer Saline, ein geringer sein, weil er ein Anzeichen abgiebt 
für eine Wasserverunreinigung durch menschliche und thierische Abfallstoffe, 
namentlich Ham, die konstant und ziemlich reichlich Chlor enthalten. 

Dieselben Verhältnisse finden sich bei Phosphorsäure und Schwefel¬ 
säure, sowie bei den Alkalien, die ebenfalls konstante Bestandtheile der 
„ Stadtlauge ^ sind. 

Es folgt aus dem Dargelegten, dass die gelösten Verbindungen im Wasser 
an sich keine gesundheitsschädliche Bedeutung haben; ihre Bedeutung li^t aber 
darin, dass sie „Warnungssignale^^ abgeben. Es erhellt ferner, dass die Auf¬ 
stellung von „Grenzw^erthen^ dieser Körper keine Berechtigung hat und dass 
durch die chemische Untersuchung allein niemals der hygienische Werth oder 
Unwerth eines Wassers bestimmt werden kann. 

Neben der chemischen Untersuchung ist auch die physikalische vor¬ 
zunehmen. Ein Wasser soll klar, farblos,geruchlos und auf 8—10® C. 
temperirt sein. 

Entscheidend für die hygienische Beurtheilung des Trinkwassers ist die 
mikroskopische und bakteriologische Prüfung. 

Durch das Mikroskop werden die anorganischen und organischen 
Partikelchen, Pflanzen und Thiere, nachgewiesen. 

Diatomeen und Algen leben nur in reinem Wasser bei Licht; in 
faulendem Wasser gehen sie zu Grunde. Desgleichen hat das Vorkommen der 
grösseren Infusorienarten, Räderthiere, Borsten würmer und Mückenlarven 
(sämmtlich hygienisch unbedenklich) ein reines Wasser zur Voraussetzung und 
Bedingung. Tardigradcp, Milben, carnivore Infusorien, Wasserpilze und zahl¬ 
reiche Spaltpilze lassen dagegen ein Wasser „als bedenklich“ erscheinen. Wasser 
mit mit viel gelösten organischen Stoffen ist eine Nährflüssigkeit für alle Arten 
Spaltpilze und Wimper-Infusorien (Inf. flagelata), und desshalb unge- 
niessbar. 

Durch die bakteriologische Untersuchung sollte eigentlich nach patho¬ 
genen Bakterien geforscht werden, allein das ist mit grossen Schwierigkeiten 
verknüpft. Bedenklich ist jedoch schon ein Trinkwasser, das eine Anzahl 
Bakterien enthält, die für gewöhnlich nicht im Wasser sich befinden (etwa 
Hunderttausende oder Millionen im ebem.); verwerflich, wenn die Zahl der Arten 
sehr gross ist. Die Artzahl der Wasserbakterien ist der Grösse der organischen 
Verunreinigung proportional. 

(Dass da^ Trinkwasser keine Spur Ammoniak oder salpetriger Säure ent¬ 
halten darf, ist nicht die Ansicht aller Hygieniker. In jedem Handbuch findet 
sich eine andere Auifassung. Es wäre zu wünschen, dass man sich hierüber 
einigte. Das Vorkommen des Ammoniak soll bekanntlich nach anderer Auf¬ 
fassung nur beim Oberflächenwasser eine Bedeutung haben, während im Tief¬ 
brunnen die Herkunft des Ammoniaks auf Reduktionsvorgänge zurückgeführt 
wird. — Mit Recht fragt man dann weiter, dass, wenn im Tiefbrunnen, woselbst 
viel COg und kein 0 vorhanden ist, das Ammoniak zu NOg reduzirt wird, nicht 
in den oberflächlichen Schichten des Bodens ausser Oxydationsvorgängen auch 
Reduktionsvorgänge sich abspielen, somit auch hier das Ammoniak aus Salpeter¬ 
säure durch Reduktion sich bildet. In Betreff der Grenzwerthe ist zu bemerken, 
dass dieselben im Allgemeinen keine Bedeutung haben, ihre örtliche Gültigkeit 
jedoch beanspruchen. Es ist erforderlich, dass ein gewissenhafter Beobachter an 
jedem Orte, woselbst ein Gutachten über Trinkwasser von ihm verlangt wird, 



Kleinere Mittheilungen und Eeferate aiu> Zeitschriften. 


481 


wciss, welche Verhältnisse hier massgebend sind für ein gutes Trinkwasser; das 
gilt namentlich für den Chlorgehalt, die Härte und die Anzahl der Wasser- 
bakterieu. — Ref.) Dr. 0 v e r k a m p - Warendorf. 


Einflnss der Steil- and Schiefschrift. Bericht der vom ärztlichen 
Bezirkverein München gewählten Kommission; erstattet von dem Hofrath Dr. 
Brunner u. dem Oberstabsarzt Dr. Seggel. Beilage zu Nr.28 der Münchener 
medizinischen Wochenschrift. 

Steilschrift gegen Schiefschrift. Untersuchungen an vierzig Fürther 
Volksschnlklassen von Dr. W. Mayer. Beilage zu Nr. 21 der Münchener me¬ 
dizinischen Wochenschrift. 

Ueber Messungen der Schreibhaltung in den Volks.schnlen zu 
Nürnberg im Schuljahr 1890/91. Von Dr. Paul Schubert. Ebendaselbst. 

In Folge eines im Januar v. J. vom Obermedizinalrath Dr. v. Voit ge¬ 
haltenen Vortrages „Heftlt^e und Schriftrichtung — Schiefschrift und Steilschrift“ 
hatte der ärztliche Bezirksverein zu München eine Kommission gewählt, die 
durch weitere vergleichende Untersuchungen feststellen sollte, ob die Schiefschrift 
thatsächlich einen so schlimmen Einfluss auf die Augen und die Körperhaltung 
der Kinder ausübe, wie behauptet würde, und ob diesem Einflüsse durch Uebung 
der Steilschrift begegnet werden könne. Diese Kommission hat im Sommersemestcr 
1891 in verschiedenen Schulklassen Münchens die erforderlichen Untersuchungen 
der Augen und der Wirbelsäule der Schulkinder durchgeführt und ist hierauf 
noch vom Oberstabsarzt Dr. Seggel die Körper- und Kopfhaltung der Schul¬ 
kinder beim Schreiben festgestellt. Das Ergebniss der Untersuchungen ist in 
dem obengenannten Berichte niedergelegt und stellt sich wie folgt: 

In 6 Volksschulen und 44 Klassen wurden bei 2124 Kindern Wirbel¬ 
säule-Untersuchungen unter Benutzung des Beely’schen Messapparates 
vorgenommen; dabei zeigten 30,7 ®/o Rachitis, 10®/o flache Rücken, 1,04 ®/o 
Skoliose, 0,4 ®/o Kyphose und 5,0 ®/o Haltungsanomalien (Biegungen der Lendcn- 
wirbelsäule nach links oder rechts). Die rachitischen Erkrankungen waren bei 
den Knaben (35,5 "/o) häufiger als bei den Mädchen (.80,6 °/o); dagegen kam 
Skoliose bei diesen in erheblich grösserer Anzahl (2'’/o) zur Beobachtung als bei 
jenen (0,9 ®/e) und war meist in die Schule schon mitgebracht, so dass der Schule 
keine Schuld an dem Zustandekommen dieser Verkrümmung beigemessen werden 
kann. Haltungsanomalien waren auifallender Weise bei Knaben häufiger (5,9 “/„) 
als bei Mädchen (3,8 ®/o); bei Kyphose stellte sich dies Verhältniss umgekehrt 
(0,5% gegen 0,6 “/o). 

Die Untersuchung der Augen ergab bei 2113 Volksschülem bezüg¬ 
lich der Sehschärfe: 57,7®/o Normalsichtige (60,7'% bei den Knaben und 

54.3 "/o bei den Mädchen); bezüglich der R e f r ak t i o n: 64,0 ®/(, Emmetropen, 22,4 "/o 
Hypermetropen, 3,6 */# Myopen, 7,8 ®/o Astigmatiker. und 2,1 ®/o andere Anomalien. 
Bei den Knaben waren etwas mehr Emmetropen als bei den Mädchen (65,5 gegen 

62.3 ®/o), bei diesen mehr Myopen und Astigmatiker als bei jenen (4®/o bezw. 
8,9 ®/o gegen 3,3 ®/o bezw. 6,7 ®/o). 

Wie sehr die Zahl der Myopen mit den Schuljahren wächst, trat recht 
deutlich bei den Augenuntersuchungen von 3078 Mittelschülern hervor; denn 
während bei den Schülern der I. Klasse (5. Schuljahr) 16,5®/# Myopen gefunden 
wurden, stieg diese Prozentziffer in den darauf folgenden höheren 8 Klassen auf 
24,5, 29,0, 35,2, 40,9, 46,4, 52,1, 54,0 und 65®/#; der beste Beweis, dass die 
Kurzsichtigkeit in der Schule erworben wird. 

In den steilschreibenden Schulen waren etwas mehr Norinalsichtige und 
etwas weniger Myopen vorhanden, als in den schvägschreibeuden Schulen, 
da sich die Kurzsichtigkeit aber sehr langsam und allmählich entwickelt, so 
konnte mit Rücksicht auf den kurzen Zeitraum, den die Untersuchungen 
umfassten, kein Beweis für oder gegen eine der beiden Schreibmethoden 
aus diesem Ergebniss gezogen werden. Dr. Seggel versuchte in Folge dessen 
durch Messung der Körper- und Kopfhaltung sowie der Ent¬ 
fernung der Augen von der Federspitze über die Vorzüge der einen 
oder der andern Schreibmethode Aufschluss zu erhalten und wurden die Messungen 
in 6 Volksschulen augestellt nach drei- bis viermonatlicher Uebung in einer der 
beiden Schreibweisen. Zur Messung der Kopf- und Körperhaltung wurde ein 
von Dr. Schubert angegebenes Instrument (Winkelmesser auf einer grossen 
durchsichtigen Glasscheibe mit Doth) benutzt und die Untersuchung bei 1050 steil- 



482 Tagosnachriohttiu, 

und 925 schrägscbrcibenden Schülern angestellt. Das Ergebniss der Unter¬ 
suchung war: 

1. Bei Steilschrift sassen weniger Schüler augenfftUig schief als bei Schräg¬ 
schrift (40,8 °lo gegen 56,2 °lo). Absolut gerade sassen bei Steilschiift sogar mehr 
denn noch einmal so viel als bei Schrägschrift (26,4®/, gegen 11,4®/#). 

2. Bei der Steilschrift zeigte die zweite Klasse eine erheblicU bessere 
Körperhaltung als die erste, sowohl nach dem Prozentverhältniss der üc- 
radesitzenden als nach dem Neignngswinkel. Bei der Schrägschrift fand sich diese 
Besserung in der Körperhaltung in der höheren Klasse nicht. 

3. Bei der Steilschrift zeigten nicht nur beträchtlich mehr Schüler gerade 
Kopfhaltung als bei der Schrägschrift, nämlich dreimal so viel, sondern es 
war auch die Neigung des Kopfes zur Seite eine beträchtlich geringere als bbi 
Schrägschrift (Verhältniss 8:13). Schiefe Kopfhaltung bedingt aber in gleichem 
Verhältnisse Vorwärtsneigung des Kopfes und damit Annäherung der Augen an 
die Schrift. 

4. Bei der Schrägschrift betrug denn auch die Entfernung zwischen 
Auge und Schrift bezw. Federspitze durchschnittiieh 5,6 cm. weniger als 
bei Steilschrift. 

5. Die durch ihr gegenseitiges Verhalten besonders ungünstigen Körper- 
und Kopfstellnngen wurden vorwiegend bei Schrägschrift getroffen. 

Trotz dieser nicht zu leugnenden Vorzüge der Steilschrift hält die Kom¬ 
mission die Frage, ob diese Schreibweise definitiv an Stelle der Schrägschrift 
einznführen sei, noch nicht für spruchreif und zunächst die Fortführung bezw. 
Wiederholung der Untersuchung für erforderlich. 

Nicht minder günstig sind Ergebnisse der von Dr. Mayer und Dr. 
Schubert in den Volksschulen zu Fürth bezw. Nürnberg für das Jahr 
1890/91 angestellten Untersuchungen. In Fürth erstreckten sich die Unter¬ 
suchungen auf 40 Klassen mit 2438 Kindern, von denen 1399 steil- und 1089 
schiefschreibend waren. Das Ergebniss der Körperhaltung war: 

gut mittel schlecht 

bei der Steilschrift 49,8®/# 35,2®/# 14,8®/# 

bei der Schr^schrift 5,1®/# 33,1®/# 61,7®/#. 

Mayer betont jedoch, dass die frühere Behauptung: „Steilschreiben und 
(ieradesitzen deckt sich, das Eine bedingt das Andre“ nicht aufrecht gehalten 
werden könne; denn ohne Mithttlfe des Lehrers und ohne Ueberwachung der 
Kinder in Bezug auf seine Körperhaltung sei die letztere auch bei der Steil- 
schrift eine mangelhafte. Andererseits verlange aber die Ueberwachung der 
Kinder bei der Steilschrift bei Weitem nicht die Arbeit und die Aufmerksam¬ 
keit wie bei der Schrägschrift und ohne viel Mühe könne hier in der Haltung 
der Kinder ein Besnltat erzielt werden, was bei der Schrägschrift trotz aller 
Arbeit nie gelinge. 

Die von Dr. Schubert in Nürnberg ausgeführten Untersuchungen er¬ 
geben, dass der Abstand der Augen von der Schrift im Durchschnitt betrug 
bei Steilschrift 31,0 cm, bei Schrägschrift 23,0 cm und bei schlechtem Lichte: 
30,4 bezw. 25,7 cm. Die Zahl der mit normaler Kopfhaltung Schreibenden 
war bei der Steilschrift 2*/» mal so gross als bei Schiefschrift; diejenige mit 
normaler Schnlterhaltnng bei erster 1^/4 mal so häufig als bei letzterer. Die 
Gesammt-Körperhaltung war bei 66 , 6 ®/# steilschreibenden Kindern ^t 
und nur bei 34,4®/# ungenügend, während sich das Verhältniss bei den schief- 
schreibenden Kindern fast ungekehrt stellte: 34,0:66,0®/#. Auch Schubert 
hebt hervor, dass die Kinder bei der Steilschrift durch den Lehrer zu 
gutem Schreibsitz erzogen werden müssten; dann sei aber auch Aussicht vor¬ 
handen, bei sämmtlichen Kindern gute Körperhaltung zu erzielen. Bpd. 


Tagesnachrichten. 

Das Central - Comit 6 des elften Internationalen Medizinischen Kon¬ 
gresses, der vom 24. September bis 1. Oktober 1893 in Rom tagen wird, hat 
auf Wunsch der betreffeudeu Speziali.sten, den bereits bekanutgegebenen Sektionen 
des Kongresses, noch je eine für Zahnlieilkunde, Kinderkrankheiten und Bau- 



Tagcsnachrichten. 


483 


SauitiHLswescu au^ofiigt, sowie der Laryngologic und ULrenheilkunde je eine 
besondere Sektion angewiesen. 

Gegenwärtig ist die Bildung der National-Comites der europäischen 
und überseeischen Staaten und Kolonien im Gange; selbe sollen die Aerzte aller 
zivilisirten Länder sowohl zum Besuche des Kongresses als zur Theilnahme an 
den Arbeiten der 18 spezialwissenschaftlichen Sektionen anregen. 

Ausser dem deutschen National-Comitö, dessen Bildung und Vorsitz dem 
Altmeister deutscher Wissenschaft Prof. Dr. JR. Virchow übertragen worden 
ist, wird für jede der achtzehn spezialwissenschaftlichen Sektionen je ein deut¬ 
sches Ordnungs-Komitee errichtet werden. 

Die Aerzte Italiens haben bereits Provinzial - Komitees gebildet, die den 
Zweck haben, den auswärtigen Kollegen zur Eröffnung des Kongresses festlichen 
Empfang zu bereiten. 


Cholera, lieber die Ausbreitung der Cholera in Hamburg liegen jetzt 
zuverlässige Angaben vor, nach dem die seitherigen durch das dortige statistische 
Büreau einer Revision unterzogen worden sind. Darnach sind: 


bis zum 

20 . 


erkrankt 86 

gestorben 36 

V 

21 . 

V 

7» 

83 

77 

22 

w 

22 . 

V 

77 

200 

77 

70 

» 

23. 

r» 

77 

272 

77 

111 

yj 

24. 

V 

77 

367 

17 

114 

T» 

25. 

» 

77 

673 

77 

193 

7J 

26. 

'n 

77 

991 

77 

315 

7> 

27. 

V 

V 

1101 

77 

456 

Jt 

28. 

n 

77 

1036 

77 

428 

JJ 

29. 


77 

982 

77 

394 

V 

30. 

v 

77 

1086 

77 

484 

n 

31. 

rt 

77 

8.58 

77 

395 

V 

1 . 

Sept. 

77 

843 

77 

394 

w 

2 . 


77 

809 

77 

478 

r» 

3. 


77 

777 

77 

437 

n 

4. 


77 

679 

77 

29:{ 


5. 

« 

77 

582 

77 

281 


6 . 

V 

rt 

485 

77 

258 

r» 

7. 

V 

77 

419 

77 

224 

V 

8 . 

n 

77 

346 

77 

160 

V 

9. 

V 

77 

350 

77 

150 

rt 

10 . 

rt 

rt 

213 

77 

113 

yt 

11 . 

Jt 

77 

215 

77 

121 



Summa: 

13458 

77 

6926 = 43,9 «/o, 


Vergleicht man diese Ziffern miCdenjenigen der früheren Cholera-Epidemie 
in Hamburg*), so ist die Sterblichkeit allerdings eine etwas geringere, die 
Erkrankungsziffer dagegen in keiner der früheren Epidemien auch nur annähernd 
erreicht, selbst wenn man die seitdem erheblich gesteigerte Einwohnerzahl in 
Betracht zieht. Und dabei ist die Epidemie noch keineswegs zu Ende, sondern 
nur eine erhebliche Abnahme bemerkbar. Schon jetzt kommen aber auf ungefähr 
45 Einwohner eine Erkrankung, während z. B. in Berlin bei den grössten 
Epidemien in den Jahren 1837 und 1849 sich dieses Verhältniss wie 1:74 stellte. 
W»‘r die sanitären Verhältnisse von Hamburg, insbesondere die schlechten Trink- 


*) Es betrug z. B. bei den grösseren Cholera-Epidemien in Hamburg in 
den Jahren; 


1831 (31./10. 

—19./1. ) die Zahl der Erkrankten 

:937, 

davon starben 439 = 46,8 

1832 ( 2.12. 

-17./12.) 

77 

3349, 

77 

1652 = 49,3 

1848 ( 1./9. 

—31./12.) 

77 

3687, 

rt 

1765 = 47,9 

1849 (14./.5. 

-22./11.) 

77 

1187, 

77 

592 = 49,9 

1859 ( 9./6. 

- 5./10.) 

77 

2586, 

77 

1285 = 49,7 

1866 (3Ü./6. 

-22./10.) 

77 

2254, 

7t 

1185 = 52,8 

1873 (14./6. 

— 8./11.) 

7t 

1729, 

77 

1005 = 58,1 


li) 

V 
» 
w 

V 

n 



484 


Tase.snachriclitcu. 


\Viisservorliältnis.sc kcuut, wird «ich über <‘iiie derarti^^e explosive luid ma.>seu- 
haftc Verbreitung der (’holera nicht wundern, sondern höchstens nur darüber 
staunen, dass es noch immer Leute giebt, welche die Epidemie auf niedrigen 
Grundwasserstand, örtliche Bodenverhältnisse zurückzuführeii versuchen und sich von 
den Pettenko f er’schenTheorien nicht losinachcn können, obwohl kein Tag vergeht, 
ohne dass gerade durch die von Hamburg aus nach allen Himinelsrichtungen hin 
verschleppten Erkrankungen die Richtigkeit der Koch’scheu Ansicht in schlagen¬ 
der Weise bewiesen wird. Die Kranken und deren Abgänge sind allein der 
Heerd des Uebels, Isolirung der erstereu und vor allem vollständige Unschäd¬ 
lichmachung der letzteren das sicherste Mittel gegen die Verbreitung der 
Seuche. Mit Recht muss daher der grösste Werth auf die sofortige Feststellung 
des ersten Erkrankungsfalles gelegt werden und wenn dies bisher in den zahl¬ 
reichen Orten Deutschlands gelungen ist, nach denen die Seuche von|^Hamburgem 
verschleppt ist, so dürfte dies uiclit zum Geringsten der Anordnung zu verdanken 
sein, dass auch alle verdächtigen Erkrankuugsfälle direkt dem zuständigen 
Medizinedbeamteu anzumelden sind und sich dieser sofort, ohne erst die Requi¬ 
sition des Laudraths abzuwarten, an Ort und Stelle zu begeben hat, um die 
nöthigen Massregeln zu treffen. Der durch diese Anordnung erzielte Erfolg 
wird hoftentlich massgebend bei der Berathung und Ausarbeitung des neuen 
Seuchengesetzes sein; wenu dann das Publikum die Medizinalbehördcn in gleicher 
Weise bei der Bekämpfung aller anderen ansteckenden Krankheiten unterstützt, 
sowie dies jetzt — allerdings lediglich aus übertriebener Furcht — bei der 
Cholera geschieht, so würden «lie zahlreichen Opfer, die bisher noch alljährlich 
die Infektionskrankheiten dahinraffen, auf ein sehr geringes Mass eingeschränkt 
werden. 

Nach den von dem Kaiserlichen Gesun<lheitsamte veröffentlichten Ziffern 
über die Verbreitung der Cholera hat dieselbe bisher an keinem weiteren Orte 
in Deutschland festen Fuss gefasst; selbst in Altona, der Nachbarstadt Ham¬ 
burgs, kann man nicht von einer grösseren Epidemie sprechen; denn die Gesammt- 
ziffer der dortigen Erkrankungen betrug bis zum 11. September 379 mit 173 
Todesfällen = 45,6 ®/o. Aus den Hamburg benachbarten Regierungsbezirken 
Stade, Lüneburg und Schleswig sind bis zu demselben Termine 44, 110 
und 160 Erkrankungen mit 23, 60 bezw. 74 Todesfällen gemeldet. Vereinzelte 
fast ausnahmslos von Hamburg her eingeschleppte Erkrankungsfälle kamen 
vor in Berlin, Charlottenburg, Si)andau, Hildesheim, Hannover, Lübeck, Kiel, 
Greifswald, Salzwedel, Wolmirstedt, Magdeburg, Rathenow, Acken, Bielefeld, 
Kleve, Koblenz u. s. w. 

In Russland ist die Cholera scheinbar imAbnehraen begriffen. Die Ge- 
sammtzahl der offiziell gemeldeten Fälle betrug: 


am 

T» 

JJ 

V 
rt 

V 
T» 


V 

V 
Jl 

V 
17 
17 


14. August: 

15. „ 


17. 

18. 
19. 


n 

17 

11 


20 . 

21 . 


*1 

H 


22 . 


29. 

24. 

25. 

20 . 

27. 

28. 


V 

71 

n 

11 

17 

n 


8116 Erkrankungen und 6253 Todesfälle. 
5709 „ , 3133 „ 

5142 , „ 4392 

7108 „ „ 3680 ., 

6282 , , 4275 

7754 ., „ 4275 ., 

6759 „ „ 3718 

5254 ^ „ 2373 

5167 , ,3011 

6.507 „ , 2017 

7017 „ „ 3552 

6185 „ „ 2968 

5312 , „ 2736 

5269 , „ 2753 

6174 , , 2788 


Neu ergriffen sind keine weiteren Gouvernements; in Petersburg hat die 
Seuche bisher keine grosse Ausbreitung gefunden. 

Auch in Frankreich sind die Erkrankungen an Cholera in inäs.sigen 
Grenzen geblieben, besonders in Paris und Havre, wo die Krankheit schon 
seit längerer Zeit herrscht. 


Verantwortlicher Redakteur: Pr. Riipniund, Reg.- u. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. C. 0. Uruiix, Uuebdruckerei, Minden. 




5. Jahri^. 


Zeitschrift 

für 


1892. 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

Saii.-Kulhu.^erichtl.Stadtphysikus in Berlin. und Mcdi/inalrath in iMinden. 

oiid 

Dr. WILH. SANDER 

Meduinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Petitzeilo 45 Pf. nimmt die Verlagshandlung und Rud. Hesse 

entgegen. 


No. 19. 


Kracheint am 1. und 15. jeden Monats. 
Preis Jährlich 10 Mark. 


1. Oktbr. 


Die Ursachen des Mangels an ländlichen Arbeitern in den 
östlichen Landesgebieten der Monarchie. 

Eine hygienische Betrachtung. 

Von Dr. Richter, Kreisphydikua in Gross-Wartenberg. 

Disraeli: „Die öllentliche Gesundheit ist das Fundament, auf 
welchem das Glück des Volkes und die Macht des 
Staates beruhen.“ 

Die unter dem Namen der „Sachsengängerei“ bekannte, zeit¬ 
weilige und dauernde Auswanderung der rüstigen, landwirthschaft- 
lichen Arbeiter und Arbeiterinnen nacli den mittel- und west¬ 
deutschen Indiistriebezirken bedroht unsere östlichen, ländlichen 
Distrikte mit einem, unter Umständen nicht wieder gut zu machenden, 
wirthscliaftliclien Schaden. Es liiesse, „den Kopf in den Busch 
stecken“, wollte mau die Ursachen dieser Erscheinung unserer 
jüngsten Tage einzig und allein in einem ansteckenden Wander¬ 
triebe suchen, welcher sich nach Art einer Seuche verbreitet. 
Eine solche volkspsychologisclie Begründung würde denn doch auf 
gar zu schwachen Füssen stehen. Es kann nur zugegeben werden, 
(lass der unserm Volke innewoliiieiide Wandertrieb das Uebel ver¬ 
schlimmert; die Wurzeln desselben aber erstrecken sieh tieferund 
liegen in (ier imzeitgemässen, sozialen Lage, mit welcher unsere 
ländliche Arbeiterbevolkerung zu kämpfen hat. Daher die unge¬ 
sunde Erscheinung der Sachsengängerei; ungesund nicht sowohl, 
weil sie ungesunden Verhältnissen ihren Ursprung verdankt, als 
auch, weil sie ungesunde wirthschaftliche und sittliche Verhält¬ 
nisse gezeitigt hat. Zum grossen Theil nun sind die ungesunden 
Verhältnisse, welchen das Uebel entsprungen ist, ganz wörtlich 
aufzufassen und liegen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege. 

Der Verfasser, welcher die einschlägigen Verhältnisse 






486 


Dr. Richter. 


seit nunmehr fast zwei Jahren in seinem Kreise unbefangen zu 
studiren in der Lage war, fühlt sich gedrungen, eine kurze 
Schilderung der von ihm bemerkten, die Auswanderung der Arbeiter 
mit veranlassenden Uebelstände zu geben, soweit dieselben im 
Wesentlichen dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege ange¬ 
hören, in der Ueberzeugung, dass die Verhältnisse des Kreises 
Gross - Wartenberg denjenigen der meisten anderen Kreise des 
östlichen Theiles unserer Monarcliie sehr ähnlich sein müssen und 
in der Absicht, einen Fingerzeig zu geben, in welcher Richtung 
sich, seiner Ansicht nach, die Thätigkeit der Behörden und gesetz¬ 
geberischen Körperschaften des Staates zu bewegen hat, um dem 
Uebelstände der Sachsengängerei und dem Vordringen der sozial¬ 
demokratischen Agitation auf dem flachen Lande wirksam zu be¬ 
gegnen. Darüber aber täusche man sich etwa nicht, dass der 
Sozialdemokratie, abgesehen von örtlichen Schwierigkeiten, in den 
zur Zeit obwaltenden, sozialen Zuständen der ländlichen Arbeiter¬ 
bevölkerung der östliclien Landestheile Preussens eine breite Grund¬ 
lage des Gedeihens geboten wird. 

Obenan stehen die traurigen, zum Theil menschenunwürdigen 
Wohnungsverhältnisse unserer landwirthschaftlichenArbeiter. 
Es ist, und zwar leider besonders auf grossen, den wohlhabendsten 
Besitzern gehörigen Gütern, keine Seltenheit, dass mehrere Familien 
zusammen einen einzigen, oft nicht einmal gedielten, sondern mit 
rohen Ziegeln gepflasterten Raum bewohnen, in welchem sich ein 
gemeinsamer, oifener Herd befindet. Schon günstiger sind die Um¬ 
stände, wenn neben diesem gemeinsamen Wohnraume wenigstens 
Kämmerchen vorhanden sind, die den Ehepaaren einen Aufenthalt 
während der Nacht bieten; allerdings sind diese Kämmerchen 
meistens mangelhaft erleuchtet und so eng, dass sie kaum 
einem einzigen Erwachsenen genügenden Raum gewähren. 
Solche Aufenthaltsräume für Menschen erinnern unwillkürlich an 
die Wohnungen mancher im Kulturzustande der Jagd und Fische¬ 
rei befindlichen Völkerschaften, von welchen wir in den Büchern 
der Reisenden und den Schildeningen der Kulturgeschichte 
lesen; dass sie in unserem Kulturstaate noch möglich sind, 
ist mir vor Antritt meiner beamteten Stellung nicht in den Sinn 
gekommen. Weiber mit Säuglingen an den Brüsten, am Boden 
umherkriechende Kinder, junge Burschen und Mädchen, sowie Männer 
und Frauen aller Altersklassen halten sich, zumal im Winter, wäh¬ 
rend eines grossen Theils des Tages in diesem gemeinsamen Wohn¬ 
raume auf. Man spricht neuerdings vdeder so gerne und soviel 
von einer „sittlichen Hebung des Volkes“, wie kann aber auf einer 
solchen Grundlage eine sittliche Hebung in Angriff genommen 
werden?! Muss nicht in solchen „Familienwohnungen“ das Familien¬ 
gefühl verloren gehen und die Unsittlichkeit bereits den Schul¬ 
kindern in Fleisch und Blut überimpft werden?! — In der That 
sind denn auch die sittlichen Verhältnisse auf dem flachen Lande 
nach meinen Erfahrungen, der ich sechs Jahre lang unter den 
Arbeitern Berlins als Arzt gewirkt habe, um nichts besser, als in 
den grossen Städten, welchen man in dieser Beziehung so gerne 



Die Ursachen des Mangels an ländlichen Arbeitern etc. 


487 


etwas anhängen möchte. Im Gegentheil, mit Bezug auf den 
geschlechtlichen Verkehr sind sie auf dem Lande eher schlechter, 
als in den Städten. 

Dass in den Wohnungen unserer landwirthschaftlichen Arbeiter 
Regen und Schnee oft durch die Decken dringen, dass weder 
Thüren noch Fenster schliessen und die Feuchtigkeit oft bis zur 
Manneshöhe in den Wänden steht, gehört, dem oben Geschilderten 
gegenüber, noch zu den erträglichen Uebelständen. 

Von dem mit Recht zu verlangenden Minimum, dass jede 
Familie wenigstens eine eigene Stube mit besonderem Kochherde 
und eine Kammer innehat, sind wir bei uns zu Lande fast überall 
noch weit entfernt. 

Man täuscht sich aber, wenn man glaubt, dass unsere 
ländliche Arbeiterschaft für bessere Wohnungsverhältnisse ganz 
unempfänglich sei. Es ist zwar richtig, dass ein grosser Theil 
derselben auch die besten Wohnungen verschmutzen würde; 
einmal aber giebt es — und das ist einer von den wenigen, volks¬ 
erziehlichen Vortheilen der Sachsengängerei — schon manche unter 
unsern Arbeitern, welche im Westen zu einer höheren Lebens¬ 
haltung sich haben erziehen lassen, manche Familienmutter, welche 
als Dienstmädchen bessere Verhältnisse schätzen gelernt hat, und 
diesen müssen die einheimischen Zustände unerträglich erscheinen, 
weil sie daheim nicht wie Kulturmenschen zu wohnen in der Lage 
sind; zum anderen bleibt thatsächlich den Frauen, wie weiter 
unten ausgeführt werden wird, bei dem herrschenden System einen 
grossen Theil des Jahres über keine Zeit, die Wohnungen in 
Stand zu halten. Thatsache jedenfalls ist, dass diejenigen Güter, 
welche die besten WohnungsVerhältnisse aufweisen, ceteris paribus 
am wenigsten unter dem Arbeitermangel zu leiden haben, ein 
Beweis dafür, dass die ländlichen Arbeiter bessere Wohnungen sehr 
wohl zu schätzen wissen. 

Etwas, was auch dem ländlichen Arbeiter unserer Gegenden 
keineswegs mehr gleichgültig ist, so sehr er im Allgemeinen auch 
das Pfuscherthum begünstigt, ist eine prompte Sorge für ärztliche 
Pflege an sich und seiner Familie. Aber auch hierin wird oft 
schwer gesündigt, und auch hier sind es leider wieder nicht selten 
gerade die Verwaltungen der grössten Güter, welche es am 
meisten fehlen lassen. Vielfach werden diese Güter von halb 
gebildeten, selbst dem Arbeiterstande entsprossenen Inspektoren 
und Verwaltern bewirthschaftet, welche kein Herz haben für die 
Sorgen und Bedürfnisse der ihnen untergebenen Leute, und welchen 
nur das Herauswirthschaften einer möglichst grossen Rente bei 
entsprechenden Tantiemen, und daher die äusserste Sparsamkeit an 
Arzt, Apotheke und Pferdekräften am Herzen liegt. Die Aerzte 
wohnen oft sehr weit entfernt; denn in solchen Kreisen müssen die 
Aerzte naturgemäss dünn gesäet sein, da unter den geschilderten 
Umständen nur wenige von ihnen sich ein erträgliches, materielles 
Dasein verschaifen können. Wie viele der in den grossen Städten 
einem noch ungewisseren und arbeitslosen Leben entgegengehenden, 
jungen Aerzte könnten auf dem flachen Lande bei uns, wenn die 



488 Dr.Richter: Die Ursaclien des Mangels an ländlichen Arbeitern etc. 


Verhältnisse gesunde wären, befriedigende Thätigkeit und eine 
auskömmliche Lebensstellung finden! 

Den unzureichenden Lohn- und Brodverhältnissen 
unserer ländlichen Arbeiter, welche die meisten, besonders grösseren 
Familien dazu zwingen, buchstäblich von „Kraut und Kartoffeln“ 
zu leben, steht, zumal im Sommer, eine unverhältnissmässig 
lange Arbeitszeit gegenüber. In den meisten und zwar be¬ 
sonders wieder den gi össerenWirthschaftsbetrieben beginnt während 
der Sommermonate die Arbeit nm 3 Uhr früh und ist, nach einer 
zweistündigen Mittagspause, um 9 Uhr Abends beendigt. Das 
macht, eine halbe Stunde auf das Ankleiden und den Genuss des 
Frühstücks am Morgen und eine Stunde auf die Zubereitung und 
den Genuss des Abendessens gerechnet, vier und eine halbe Stunde 
Nachtschlafes. Kein Wunder also, "wenn die Leute trotz der langen 
Arbeitszeit nur wenig leisten. Aber sollte man nicht bei besserer 
Ernährung und genügender Erquickung durch Schlaf in der Hälfte 
der Zeit beziehungsweise mit der Hälfte der Arbeiter dasselbe und 
mehr leisten können?! 

Die übermässige Inanspruchnahme der Frauen, 
welche, da sie grossentheils als Arbeitskräfte mitgedungen werden, 
mit den Männern von Morgens bis Abends mitarbeiten müssen, be¬ 
dingt eine weitere Lockerung der Familienbande. Sie ist ferner 
die Ursache der hohen Kindersterblichkeit und der Verschmutzung 
der Wohnungen. Solange die Frauen der ländlichen Arbeiter nicht 
während einiger Stunden am Tage ihren Pfiichten als Mütter und 
Hausfrauen nachkommen zu können in der Lage sein werden, so¬ 
lange kann sich auch hierin eine Aenderung nicht vollziehen. 

Während man Gesetze über Gesetze erlässt, welche den 
Arbeiterschutz bezwecken, aber grossentheils nur den Arbeitern 
der grossen Städte und der Industriebezirke zu gute kommen, 
bleibt auf dem Lande bei uns das Loos der Arbeiterschaft das 
alte, ja, es verschlechtert sich, je mehr bei dem Umherziehen der 
ländlichen Arbeiter die alten, patriarchalischen Bande der Zuge¬ 
hörigkeit zur Scholle sich zu lockern beginnen. Man schafft eine 
unüberbrückbare Kluft zwischen industriellen und 
ländlichen Arbeitern, so zwar, dass die ersteren in gar nicht 
hoch genug zu schätzendem Vortheile sind. Und da wundert man 
sich, dass die ländlichen Arbeiter in die grossen Städte und 
Fabriken drängen, um dieser Vortheile auch theilhaftig zu werden?! 

Von diesen Gesichtspunkten aus ergeben sich die Mittel zur 
Abwehr der Uebelstände von selbst: 

1. Der Erlass baupolizeilicher Vorschriften für das fiache 
Land und eine strenge Ueberwachung der ländlichen Arbeiter¬ 
wohnungen. 

2. Die Sorge für ausreichende, ärztliche Pflege der ländlichen 
Arbeiter durch Ausdehnung des Kranken versieherungs zwang es aut 
die Arbeiter des land- und forstwirtlischaftlichen Betriebes. 

3. Die Eegelung der Ar])eitszeit für ländliche Arbeiter, be¬ 
sonders Frauen und Kinder. 

Ehe inan an die sittliche Hebung Iierautritt, folge man dem 



Dr. Mattliüs: Die Durchlühniiig der Desinfektion etc. 


489 


wohlgemeinten Rathe und denke an die materielle: mit ihr zu¬ 
gleich wird die erstere spielend von selbst kommen. Mens sana 
in corpore sauo! 


Die Durchführung der Desinfektion bei infektionskrankheiten 

in ländlichen Kreisen. 

Von Ereispbysikus Dr. Matthes - Obornik. 

Die Durchführung der Desinfektion in ländlichen Kreisen 
hat selbstredend dasselbe Ziel im Auge wie in den grossen Städten; 
doch stehen dem Erreichen dieses Zieles Hindernisse so mancher 
Art entgegen, dass es angethan erscheint, dieselben gesondert zu 
betrachten. 

Der Desinfektionsmodus wird sich im Allgemeinen anpassen 
der Anweisung des Königlichen Polizei - Präsidii zu Berlin. Die 
Ausführung der Desinfektionsmassregeln in Gemeinden und Guts¬ 
bezirken liegt den Guts- und Gemeindevorstehern ob und zwar sind 
diesen von dem Medizinalbeamten im einzelnen Falle angepasste 
Vorschriften zu ertheilen. Nicht unerheblich aber ist es, dass zum 
Verständniss der Massregeln eine gewisse Basis bei Leuten ge¬ 
schaffen wird, die in ländlichen Kreisen ansässig und von Einfluss 
sind. Nicht unwesentlich ist es ferner, dass auch die Polizei¬ 
beamten, Gendarmen etc. Verständniss gewinnen für das, was 
geschieht. Zu diesem Zwecke wii'd es sich empfehlen, bei Ge¬ 
legenheit der Kreis - Lehrerkonferenzen den Lehrern durch Vorträge 
über hygienische Verhältnisse Interesse zu erwecken und in die 
Hände der ausführenden Organe der Polizei Anweisungen zu geben, 
die genau die Ausführung im einzelnen Falle bestimmen. Beim 
Ausbruch grösserer Epidemien wird es von Vortheil sein, auch 
das Publikum im grösseren Kreise für die Sache zu interessiren 
durch Beilagen zu den Kreisblättern nach Ai’t wie der Verein der 
Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Düsseldorf im Jahre 1890 
und 1891 Verhaltungsregeln bei Masern, Scharlach und Diphtherie 
zusammengestellt hat. In vielen Fällen aber wird man zu der 
Meinung kommen, dass es besonderer sachverständiger Leute be¬ 
darf, die zu diesem Zwecke ausgebildet sind; dies w’ird sich noth- 
wendig erweisen bei jeder grösseren Ausdehnung einer Epidemie. 
Eine „Stimme aus Ostpreussen“ plädirte vor Kurzem für Diako¬ 
nissinnen; so segensreich das Wirken derselben ist, so steht der 
weiteren Entwickelung des Diakonissenwesens für ländliche Kreise 
in der Weise, dass fast jedes Dorf oder jeder Amtsbezirk damit 
versorgt ist, der Kostenpunkt für Unterhalt, Abgaben an das Mut¬ 
terhaus etc. entgegen, der jedenfalls in keinem Verhältniss steht zu 
den Kosten für Desinfektoren, die nur bei jedesmaligem Bedarf in 
Wirksamkeit treten. Wohl aber erscheint es nothwendig, Leute 
im Kreise zu haben, die zu diesem Zwecke ausgebildet und kon- 
zessionirt sind. Es liegt nichts näher als das alte Institut der 
Heildiener, die jetzt als veraltet und übei-flüssig angesehen werden 
können, in die Klasse der Desinfektoren oder wie man sie sonst 



490 


Dr. Matthcs. 


bezeichnen will, umzuwandeln. Es ist anzunehmen, dass man durch 
diese Leute, die wie die Hebammen der Aufsicht des Medizinal¬ 
beamten unterstellt werden müssen, eine erfolgreiche Desinfektion 
durchführen kann. 

Zur Desinfektion von Sachen, Betten u. s. w., alles dessen, 
was durch Waschen mit desinfizirenden Lösungen nicht gereinigt 
werden kann, wird man eines Desinfektionsolens, in dem mit strömen¬ 
dem Dampf desinfizirt wird, nicht entbehren können. 

Bei Anschaffung eines solchen ist man vor die Frage gestellt, 
ob der Desinfektionsapparat transportabel sein soll oder nicht. 
Wünschenswerth wäre es, wenn der Apparat an Ort und Stelle 
wäre, um die Desinfektion in einem infizirten Hause sofort be¬ 
endigen zu können; wünschenswerth ist es auch, einen so grossen 
Apparat zu besitzen, dass darin grosse Sprungfedermatratzen, 
Polster u. s. w. desinfizirt werden können. 

Indessen stellen sich diesen Anforderungen gerade in länd¬ 
lichen Kreisen besondere Schwierigkeiten entgegen und zwar 
laufen diese alle zusammen auf den Kostenpunkt. Ein transportabeler 
Apparat ist fest um das Dreifache theuerer als ein stationärer. 
Der Apparat wird durch Fahren und die wechselnde Bedienung 
von neuen unbekannten Händen schnell abgenutzt und reparatur¬ 
bedürftig. Nicht unwesentlich fallen ins Gewicht die Kosten des 
Transports eines schweren Apparates auf grosse Entfernungen bei 
schlechten Wegen. Dies sind die Gründe, die gegen die An- 
Anschatfung eines transportabelen Apparates sprechen. Dagegen 
sind es mehr Bequemlichkeitsgründe, die für denselben sprechen, 
nämlich an Ort und Stelle desinfiziren zu können, obwohl ich nicht 
für unwichtig halten will, dass dabei vermieden wird, infizirte 
Sachen meilenweit zu schleppen. Oder ist Letzteres überhaupt 
zulässig? Zulässig ist es sicher, wenn der Transport infizirter 
Sachen in dicht schliessenden Blechkästen geschieht. Doch setzt 
dies immer voraus, dass man einige Dutzend derartiger Blechkästen 
im Kreise an verschiedenen Orten aufstapelt und dieser Umstand 
verursacht wiederum neue Kosten, die nicht ganz unerheblich sein 
dürften. Aus diesem Grunde halte ich den Transport infizirter 
Sachen in enggewebten mit 5 ®/o Karbollösung getränkten Säcken, 
wie sie überall in der Landwirthschaft vorhanden sind, ebenso für 
zweckmässig und auch für zulässig, denn es ist nicht anzunehmen, 
dass auf diese Weise Krankheitskeime verschleppt werden. Die 
Kosten für den Transport der Sachen sind kaum in Betracht zu 
ziehen und von wenig Bedeutung; dieselben können gelegentlich 
zur Desinfektionsanstalt gebracht werden und auf leichtem Wagen 
mit einem Pferde lassen sich schon Sachen mehrerer Landfamilien 
befördern. 

Was nun die Grösse eines Desinfektionsapparates anbe- 
tiifft, so halte ich für ausreichend gross genug jeden Apparat, 
in dem eine gerollte Eosshaarmatratze Platz findet. In ländlichen 
Kieisen hat der grösste Tlieil der Bewohner keine Sprungfeder- 
mati-atzen und grössere Polster, so dass man dem geringeren Theile 
der Bewohner wohl zumuthen kann, besondere Kosten für das 



Die Durchführung der Desinfektion etc. 


491 


Neuaufpolstern aiifzuwenden; schliesslich aber dürften strömende 
Wasserdämpfe alle Holztheile grosser Polster aus dem Leim bringen 
und das Auseinandernehmen und getrennte Desinfiziren der Holz¬ 
theile und der Polster zweckmässiger sein. 

Für einen stationären kleineren Apparat aber spricht die 
Billigkeit der Anschaffung des Betriebes und der Aufstellung, in¬ 
dem ich voraussetze, dass mit demselben der Zweck der Des¬ 
infektion zu erreichen ist. 

Diese Ueberlegungen haben mich vor Jahresfrist dazu ge¬ 
führt, für meinen Amtsbezirk stationäre Apparate zu empfehlen 
und probeweise einen aufzustellen. Ich will zugeben, dass für 
Kreise, die nicht so ausgedehnt und die enger besiedelt sind, die 
wohlhabender sind und die bessere Kommunikationsverhältnisse 
haben, transportable Apparate und grössere Apparate zweckmässiger 
und ebenso leicht zu beschaffen sind. 

Der vom diesseitigen Kreise aufgestellte Apparat ist geliefert 
aus der Fabrik von Gebrüder Schmidt in Weimar und ist der 
von dieser Fabrik mit Nr. 3 bezeichnete. Aehnliche Apparate, die 
wohl ebenso zweckmässig sein werden, werden ja auch von anderen 
Fabriken empfohlen. 

Die Vortheile dieses Apparates, die demselben nachgerühmt 
werden, und die ich nach fast einjährigem Gebrauche bestätigen 
kann, sind folgende; 

1. der Apparat entspricht den wissenschaftlichen Ansprüchen, 

2. der Apparat verlangt keine besonderen Baulichkeiten, 

3. der Apparat passt für grossen wie für kleinen Betrieb, 

4. der Apparat bedarf keiner obrigkeitlichen Genehmigung, und 

5. der Apparat ist schliesslich sehr leicht, wenn man es für 
nöthig hält, auch transportabel zu machen, indem er auf einem 
2 spännigen Wagen überall hinzubringen und leicht aufzustellen ist. 

Derselbe besteht: 

a. aus einem transportablen Behälter mit Filzeinlagen, 

b. aus einem üntersatz mit elektrischem Kontrollthermometer, 

c. aus einem transportablen Kessel mit Dampfdeckel, Füll¬ 
trichter, Ventil und Wasserstandsanzeiger, 

d. aus einem transportablen elektrischen Klingelapparat mit 
Trockenelementen, 

e. aus einem Dampfschlauch, welcher den Kessel mit dem 
Apparat verbindet. 

Dieser Apparat ist in einem Kellerraum des Krankenhauses 
aufgestellt und wird vom Krankenwärter bedient. 

Die Selbstkosten des Betriebes, nur für die Desinfektion 
berechnet, betragen für die einmalige Füllung des Apparates 
1 Mark incl. des Lohnes für den Wärter, jede weitere Füllung 
wird mit 30 Pfg. berechnet. Die ankommenden Sachen werden 
sofort desinfizirt, an demselben Tage zurückgegeben und mit 
demselben Fuhrwerk zurückbefördert, mit dem sie angekommen 
sind, wenn sie Tags vorher angemeldet sind. Nach der Desinfektion 
sind die Sachen (mit Ausnahme aller Ledersachen, die überhaupt 



492 


Dr. Kornfeld. 


strömenden Dampf nicht vertragen) unverändert und fast trocken, 
ebenso Bettfedern. 

Der Apparat ist in neun Monaten 55 mal wegen Diphtherie, 
einmal wegen Scharlach, dreimal wegen Tuberkulose in Betrieb 
gewesen. 

Trotzdem es den Anschein hat, als ob der Apparat ausreichend 
benutzt wird, ohne dass eine bindende Polizeiverordnung besteht, 
halte ich es doch für nüthig, dahin zu streben, dass die Benutzung 
desselben für jeden einzelnen Fall bei ansteckenden Krankheiten 
obligatorisch gemacht wird. Nach fast einjähriger Erfahrung halte 
ich es für angezeigt, die Aufstellung mehrerer Apparate an ver¬ 
schiedenen Orten des Kreises zu empfehlen und glaube bei der 
Billigkeit desselben, der ganze Apparat kostet 485 Mark, leicht 
mein Ziel zu erreichen. 

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit und des jeweiligen 
persönlichen Einflusses des Medizinalbeamten, dass jeder ländliche 
Kreis einen Desinfektionsapparat sein eigen nennt. 

So fasse ich nun mein Eesumö dahin zusammen: 

Zur Durchführung der Desinfektion in ländlichen Bezirken ist 

1. eine geeignete Basis durch Belelumng, Vorträge etc. zu 
schaffen; 

2. statt der Heildiener sind Desinfektoren zu konzessioniren 
und zu prüfen; 

3. die Anschaffung von Desinfektionsapparaten ist nothwendig 
und auch bei geringen Mitteln leicht durchführbar. 


Die Aufgaben der Medizinalbeamten. 

III. Artikel.*) 

Von Sanitätsrath Dr. Kornfeld, Kreispbysikus in Grottkau. 

Sanitätspolizeiliche und gerichtliche Interessen berühren sich 
in der Irren frage. Offenbar muss man Angesichts der Vor¬ 
schläge für eine Neubildung des Irrenwesens (Italien), der neuer¬ 
dings in verschiedenen Staaten abgeänderten (Jesetze, betreffs der 
Aufnahme in Anstalten (Aufliebung der Privatanstalten in England), 
Angesichts der lebhaften Debatten über Zurechnungsfähigkeit 
(Lombroso, Ferri, Garofalo und ihre Gegner) zugestehen, 
dass die Ansichten nicht geklärt, dass noch Lücken in der Gesetz¬ 
gebung vorhanden und Aenderuugen wünschenswerth sind. 

Um ein Beispiel hervorzuheben: Welchem älteren Physikus 
ist es nicht aufgefällen, wie verschieden die Praxis bezüglich der 
Entmündigung ist, je nachdem einer oder der andere Staatsanwalt 
bei dem betreffenden Gerichtssprengel amtirt? Jahrelang findet 
keine Entmündigung statt. Blödsinnige, gut situirte Leute, deren 
Frauen das Vermögen verwalten, werden nicht interdizirt; Pfleg¬ 
linge der Anstalt werden alt in dieser, ohne dass die Entmündi¬ 
gung auch nur eingeleitet wird. Auf einmal regnet es förmlich 

*) Vergleiche; Die Aufgaben der Medizinalbeamten Heft 7, 1890 iind 
Heft 5, 1891 dieser Zeitschrift. 



Die Aufgaben der Medizinalbeamten. 


493 


Entmtindigungs - Anträge. Gegen präsumptiv Unheilbare in den 
Anstalten, wenn sie auch noch so unvermögend sind, gegen Schwach¬ 
sinnige, die wegen einer gemeingefährlichen Handlung angeklagt 
und wegen Geistesstörung ausser Verfolgung gesetzt wurden, wird 
das Verfahren eingeleitet, und verwundert sieht der Direktor der 
Irrenanstalt wie der Physikus auf einmal einenKomplex von Requi¬ 
sitionen sich anhäufen, die immerhin dem Staat grosse (er denkt 
im Stillen: wohl nicht selten überflüssige^ Kosten verursachen. 

Bezüglich des Verfahrens selbst sollte man annehmen, dass 
es bei Anstaltspfleglingen (d. h. der öffentlichen Anstalten) genügen 
müsste, wenn der persönliche oder beauftragte Richter den Provo- 
katen vernimmt und das Anstaltsjournal oder ein Gutachten des 
oder der Anstaltsärzte einfordert. Gegen die Zuziehung des 
Arztes der öffentlichen Anstalt zum Termin könnte allerdings auch 
das Bedenken geltend gemacht werden, dass er ein gewisses Inter¬ 
esse hat, nicht den Vorwurf zu verdienen, irrthümlicherweise viel¬ 
leicht Jemanden nicht rechtzeitig entlassen zu haben. Ist aber 
nur ein beauftragter Richter beim Termin, dann ist der persönliche 
Richter, der die Entmündigung ja allein auszusprechen hat, gar 
nicht an den Eindruck gebunden, den der Erstere von dem Kranken 
gewonnen hat; ganz abgesehen davon, dass der beauftragte Richter 
keineswegs immer eine Bemerkung über den erhaltenen Eindruck 
in das Entmündigungs-Protokoll aufnehmen lässt. Der erkennende 
Richter urtheilt somit lediglich nach dem Protokoll. Und wie oft kann 
das Protokoll Mangels Stenographie, sowie bei Unmöglichkeit, das 
Gebahren des Provokaten genügend zu schildern, den Eindruck er¬ 
wecken, dass nicht genügendes Material zur Entmündigung darin ent¬ 
halten ist! Mehr als einmal habe ich erlebt, dass immer wieder neue 
Sachverständige gehört wurden, bis der erkennende Richter endlich 
selbst einem Termine beiwohnte und dabei die Ueberzeugung der 
Nothwendigkeit der Entmündigung gewann. 

Und was geschieht, wenn die Entmündigung eines Anstalts¬ 
pfleglings abgelehnt wird? Der Kranke ist z. B. wegen Geraein- 
gefährlichkeit von der Polizeibehörde der Anstalt übeigeben. Er 
selbst und der Richter ist der Ansicht, dass er nicht blöd- bezw. 
wahnsinnig ist. Er verlangt entlassen zu werden. Der Anstalts¬ 
arzt darf ihn aber erst entlassen, wenn er ihn nicht für nicht 
mehr gemeingefährlich hält oder die betr. Polizei-Verwaltung seine 
Entlassung fordert. Auch dieser Punkt bedürfte noch einer Regelung. 

Bezüglich der Erklärung eines Irren für blöd- oder wahn¬ 
sinnig ist es interessant zu sehen, in welchem Gegensatz sich die 
juristische Auffassung noch immer zu der ps 5 ’^chiatrischen befindet. 
Blödsinn soll nach ersterer ein dauernder Zustand mit rückwirken¬ 
der Kraft sein, der nicht Scheidungsgrund bildet. Wahnsinn ist 
ein Scheidungsgrund. Man denke an die primäre Verrücktheit in 
erster Beziehung; an den Widerspruch, dass ein Rasender (§. 28 
T. I. Th. I. Allg. L.) — in diesem Zustande explorirt — geschieden 
werden kann; aber nicht in dem darauf folgenden Zustande von 
Blödsinn. 

Von anderen Beziehungen des Irren-Wesens soll hier noch- 



494 


Kleinere Mittheilnngen and Referate ans Zeitschriften. 


mals an die Verzögerung der Aufnahme in die Anstalten, sowie 
an das Fehlen jeder Bestimmung in Preussen über eine Meldungs¬ 
pflicht des Ausbruchs einer Geistesstörung mit den möglichen 
Nachtbeilen für das Wohl des Befallenen und die öffentliche Sicher¬ 
heit erinnert werden. Ohne diese Meldungspflicht, ohne eine ent¬ 
sprechende Aufsicht über alle Geisteskranken, ohne Berichter¬ 
stattung an zuständige Behöi’den (Staatsanwaltschaft, Regierung, 
Abtheilung im Ministerium), ohne einheitliche Gesichtspunkte betr. 
Bevormundung, Anstaltswesen, mit einem Worte: Ohne Central¬ 
stelle für das Ii renwesen wird dasselbe bei uns nie auf die Höhe 
kommen, welche es in Holland, England, Schottland schon erreicht 
hat und die zu übertreffen der Wunsch jedes Deutschen sein 
muss. Also nochmals: Konzentrirung der Aufsicht über das Irren¬ 
wesen, Uebertragung derselben in den Kreisen auf den Physikus 
und weiter hinauf in die nächst höheren Instanzen. Besser aber 
noch: Schaffung von Gerichtsärzten mit grösseren Bezirken (bei 
den Land- und Oberlandesgerichten). Gerade die jetzige Strömung, 
die so sehr entbehrlichen Kreiswundarztstellen eingehen zu lassen, 
würde es leicht ermöglichen, an Stelle derselben einen zweiten 
Physikus anzustellen und wenigstens an den Sitzen von Oberge¬ 
richten, Land- oder Oberlandesgerichts-Physiker zu schaffen. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

Psychische Epidemie, Hysterie und Hypnotismus. Von Prof. Ri eg er. 
Zentralblatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie, 1892, Juli und August. 

In Bieberach wurde vom Oberamtsarzt Dr. Palmer in der katholischen 
Mädchen-Volkschule im Jahre 1891 eine psychische Epidemie beobachtet, bei 
der 13 Mädchen im Alter von 11—13 Jahren an Nervenzufällen erkrankten, die 
unter sich die grösste Aehnlichkeit hatten. Nachdem ein 12jähriges Mädchen in 
der Schule und Kirche wiederholt von schlafähnlichen Zuständen befallen war, 
klagten die anderen Mädchen über Unbehagen aller Art und gaben einstimmig 
an, dass sie durch die Zustände des ersterkrankten Mädchens in Schrecken ver¬ 
setzt worden seien. Die Kraukheitserscheinungen zeigten beim ersten Eintritt 
grosse Aehnlichkeit unter sich und bestanden aus einem tiefen, schlafähnlichen 
Zustande, in welchem die Erkrankten auf Kitzeln und Nadelstiche nicht rea- 
girten und sich mit wenig Ausnahmen zu Thätigkeiten durch Einreden bewegen 
liessen, wie es im gewöhnlichen Schlaf nicht geschieht. Während die Mädchen 
durch Schütteln und Herurazerren nicht aufwachten, wurden viele derselben 
durch einfaches Anblasen erweckt. Die Mädchen verfielen (zum Unterschied von 
der Hypnose) ohne Dazwischentreten eines Dritten in den Schlafznstand und 
ohne jemals hypnotisirt zu sein. Der Eindruck und die Wahrnehmung eines 
Anfalles rief bei den ziischauenden Mädchen eine Art Nachahmung des Anfalls 
ohne jede Betheiligung des Selbstbewu.sst-seins hervor; nur ein Bruchtheil der 
ganzen Klasse bekam die Anfälle. Die 13 Mädchen waren noch nicht menstruirt 
und sehr blcichsttchtig. Es handelte sich um Autosuggestion, indem die Mädchen 
in den Anfällen das thaten, was, wie sie gehört hatten, auch ihre Genossinnen 
in dem Anfalle zu Stande brachten; so traten Krämpfe auf, sie begannen Unter¬ 
haltungen in dem Schlafzustande, gingen im Zimmer umher u. s. w. Anfangs 
trat der Anfall bei den einzelnen Mädchen nicht so leicht und so prompt auf; 
sie wehrten sich gegen diese Fremdherrschaft in ihrem Nervensystem, gegen 
diese unwillkürliche und gewaltsame Nachahmung des von ihnen Wahrgenom¬ 
menen und Gehörten. Am häufigsten traten die Anfälle in Kirche und Schule 
ein. Die Zustände dürften insofern als hysterische zu bezeichnen sein, als es 



Kleinere Mittheilnngen nnd Keferate aus Zeitschriften. 


495 


sich um krankhafte Veränderungen des Körpers handelt, welche durch Vor¬ 
stellungen und Einbildungen krankhafter Natur verursacht sind, ohne dass dem 
Betreffenden der Zusammenhang einer Wahrnehmung und Vorstellung mit dem 
Eintritt der betreffenden Erscheinung an seinem Körper zu Bewusstsein zu 
kommen braucht. S. Kalis eher-Berlin. 

Indentitäts - Feststellnngen an Verbrechern (Bertillonage) und ihr 
praktischer Werth für die Kriminalistik. Von Georg Busch an, Dr. med. 
et philos. in Stettin. Zentralblatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie, 
August 1892. 

Die von Bertillon erfundene Methode (die Bertillonage) geht darauf 
hinaus, an Verbrechern eine Reihe von Körperinaassen zu nolimen und zusammen 
mit einzelnen hervorstehenden somatischen Merkmalen auf Messkarten zunotiren, 
die ein leichtes Wiedererkennen von Personen nach Jahr und Tag mit positiver 
Sicherheit ermöglichen. Die Messungen erstrecken sich auf solche Körpertheile, 
deren Länge im Laufe der Jahre gar keine oder nur ganz geringe Einbusse er¬ 
leidet; am besten eignen sich hierzu die Knochen. Ganz zuverlässige Maasse 
sind am Erwachsenen: Die Länge und Breite des Kopfes, die Länge des 
5. Fingers und des Mittelfingers der linken Hand, die Länge des linken Fnsses, 
Veränderlich, doch nur innerhalb sehr geringer Grenzen, sind: DieGesain • thöhe 
des Oberkörpers, die Armspannweite, die Länge des linken Vorderarmes mit der 
Hand, und die Länge sowie die Breite des linken Olires. Für das letztere 
Maass, das der Verfasser als unzureichend verwirft, schlägt er die Ohrhöhe (die 
Projektion des Scheitels auf die äussere Ohröffnung) vor. Die genannten 
Maasse gestatten eine Zahl von 177147 Kombinationen und nimmt man hinzu, 
dass Bertillon auch noch auf 7 verschiedene Verfärbungen der Iris Gewicht 
legt, so steigt die Zahl der Möglichkeiten auf 1240028. Die Messkarten sind 
zunächst nach dem Geschlecht eingetheilt, sodann nach der Grösse auf 3 Rubriken 
von 1,68 m. 1,62—1,67 m. und unter 1,61 m. Jede dieser B Hauptrubriken zer¬ 
fällt wieder in drei Unterabtheilungen, die auf die Länge dos Kopfes basiren; 
es dienen weiter als Eintheilungsprinzip die Länge des Mittelfingers, die Länge 
des Fusses, des Vorderarmes u. s. w. Hinsichtlich der Technik wäre eine Einigung 
in der Konstruktion und Handhabung der Messinstrumente angebracht, die im 
Original näher beschrieben sind. Den Maassen wird eine kurze Angabe der 
deskriptiven Merkmale und etwaiger Auffälligkeiten (Narben, Tätowirungen, 
Verunstaltungen u. s. w) beigefügt. Der Zeitaufwand von 7 Minuten genügt 
für die Vornahme einer Untersuchung. Durch feststehende Abkürzungen wird 
das Verfahren, -nvie es in Paris üblich ist, wesentlich erleichtert. Die Methode 
findet in ganz Frankreich und seinen Kolonien von Staatswegen Anwendung. In 
Deutschland wird das Verfahren durch die Bemühungen des Dr. J. Mies(Ueber 
Körpermessungen zur genauen Bestimmung und sicheren Wiedererkennung von 
Personen. Korrespondeiizblatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft, 1891) 
in der Strafanstalt zu Moabit versucht und geprüft, wo man bereits ebenso wie 
in Paris und anderen Ländern recht befriedigende Resultate batte. In Paris 
wurden im Jahre 1888, 31 840 Individuen gemessen und davon 615 als recidivirende 
Verbrecher entlarvt. Auch, wo es darauf ankommt, die Persönlichkeit ein für 
alle Mal zu fixiren (wie bei Beglaubigungschreiben, Urkunden, Reisepässen, 
Militärpapieren) dürfte das Vertahren geeignet sein. Ders. 

Psychische Störungen nach Wiederbelebung eines Erhiingten. 
Von Prof. Dr. Wagner-Graz. Wiener Klin. Wochenschrift 1S91, Nr. 53 

Ein 22Jähriger, erblich belasteter Mann hatte in der Kindheit ein sschweres 
Schädeltrauma und später in Folge von Gelenkrheumatismus ein vitiiim cordis 
erlitten. Nach einem Streit und Prügelei mit seinem Vater sticht er dem 
letzteren ein Messer in den Hals und erhängt sich gleich darauf. Er wurde jedoch 
bald abgeschnitten, zum Lehen gebracht, um dann in heftige Konvulsionen zu 
verfallen, bei denen er unartikulirtc Laute ausstiess. Im Krankenhaus zeigt er 
sich verworren und renitent; er w'ar über Zeit und Ort nicht orieiitirt und wollte 
von dem Streit mit seinem Vater und dem suicidium nichts wissen. Am anderen 
Morgen wurde er klarer, ohne zu wissen, wie lange und weshalb er in der Klinik 
sei. In den nächsten Tagen erinnerte er sich allmählich an die Einzelheiten von 
dem Vorgefallenen, doch laufen dabei noch Erinnerungstäuschungen und Ver- 



496 


Kleinere Miltheilungeu und Referate aus Zeitschriften. 


fälschnngen mit unter, erst nach Wochen war die Erinnerung an jenem fatalen 
Vorgang völlig und klar wiedergekehrt. Somit bestand unzweifelhaft nach dem 
Selbstmordversuch eine Geistestörung; ob nicht schon vor demselben eine solche 
Vorgelegen hatte, war nicht möglich zu entscheiden. Der Angeklagte wurde 
freigesprochen, weil er hereditäre und konstitutionelle Anomalien zeigte und weil 
erwiesen war, dass er bei der Schlägerei mit seinem Vater eine mit einer 
leichten Hirnerschütterung verbundene Schädelverletzung (mit Stimwunde) er¬ 
litten hatte. Ders. 

Epilepsie psychiche von S. Ottolengh i-Turin. Riccrcha sperimentale 
di fren. e di med. legale. Bd. 16 und Bd. 17. Referat. — Zentralblatt für 
Nervenheilkunde und Psychiatrie, August 1892. 

Unter den Gefangenen eines Turiner Gefängnisses fanden sich viele (12) 
mit psychischer Epilepsie Behaftete. Die meisten zeigten zahlreiche Degenera¬ 
tionszeichen, wie vorspringende arcus superciliares, stark entwickelte Jochbogen 
und Unterkiefer, Asymmetrie des Gesichts u. s. w. Die Sensibilität pflegte herab¬ 
gesetzt zu sein. Nach den jsychischen Anfällen war die Ausscheidung der 
Phosphorsäure und des Harnstoffes in der Regel vermehrt. In psychischer Hin¬ 
sicht fällt das häufige Vor omraen von Illusionen und Halluzinationen auf. Die¬ 
selben traten ganz unabhängig von einem Anfall im alltäglichen Leben auf. Von 
hervorragend diagnostischer Bedeutung sind die kurzen Bewusstseinsstörungen und 
Geistesabwesenheiten, die man als petit mal zu bezeichnen pflegt. Das Charak¬ 
teristische der psychischen Epilepsie ist das psychische Aequivalent, der grosse 
psychische Anfall, der in einer Art Krampfzustand der cortikalen Zentren be¬ 
steht, und sich durch heftige, ungestüme impulsive gefährliche Handlungen 
äussert. Als epileptische lassen sich die Anfälle erkennen durch ihre ausser¬ 
ordentliche Heftigkeit, durch die mehr oder minder vollständige naebherige 
Amnesie, durch den folgenden Schlaf, durch den Mangel an zureichenden Gründen 
für das Verbrechen und durch das Missverhältniss zwischen Ursache und Wirkung. 
Leichter als diese grossen psychischen Anfälle werden die epileptischen Dämmer¬ 
zustände übersehen und verkannt, die einem Anfalle vorhergehen oder folgen 
oder unabhängig von ihm anftreteu und von nur wenigen Stunden bis zu Monaten, 
ja Jahren andauem können. In diesem Zustande werden Reisen gemacht, Verbrechen 
begangen. Der DämmerzJistand kann später nach einergewissen Dauer mit Bewusst¬ 
sein verbunden sein (secondo stato epileptico). In diesem zweiten Stadium weiss das 
Individuum, was es thut, erinnert sich auch später daran, aber es handelt 
anders, wie sonst und früher; es begeht krankhafte Handlungen und zeigt einen 
Mangel an Unterscheidungsverraögen. Immer pflegt neben den Anfällen der 
epileptische Charakter (starker Egoismus, grosse Reizbarkeit, oft Imbezillität) zu 
bestehen. Die Amnesie, die für den psychischen Anfall und den Dämmerzustand 
besteht, kann verzögert sein, in dem unmittelbar nach dem Anfall noch ein 
wenig jErinnerung vorhanden sein kann, die aber später völlig schwindet. Oft 
findet man bei den Epileptikern Neigung zu starkem Alkoholgenuss, der aber 
schlecht vertragen wird; nicht selten ist das religiöse Gefühl sehr entwickelt; 
hereditäre Belastung fehlt fast nie; bei allen ist der Sinn für Moral defekt; wie 
bei Verbrechern, Prostituirten u. s. w. geht auch hier mit der Beschränktheit 
des moralischen Sinnes eine Beschränkung der Funktion der spezifischen Sinne 
Hand in Hand. Von d^^n verschiedenen Verbrechen (gegen das Leben der Mit¬ 
menschen, gegen das eigene, gegen das Eigeuthura und gegen die Sittlichkeit) 
wurden die schlimmsten und grässlichsten von denjenigen begangen, welche die 
meisten Degenerationszeiclmn und die stärksten Funktionsstörungen darboten. 
Differential-diagnostisch kommen bei der psychischen Epilepsie in Betracht: Der 
Alkoholismus, raptus melancholicus, mania transitoria, Somnambulismus etc. Die 
verschiedenen Grade der psychischen Epilepsie bilden eine Verbindungskette 
zwischen der Epilepsie und der Kriminalität. Auch bei den im Dämmerzustände 
und ira zweiten epileptischen Zustand (der Benommenheit, Bewusstseinstrübung 
und Verwirrung postepileptischer Natur) begangenen Thaten mit vager, zum 
Theil erhaltener Erinnerung ist die Verantwortlichkeit auszuschliessen. Die 
Handlungen in den anfallsfreien Intervallen, in dem gewöhnlichen Zustand des 
psychischen Epileptikers sind mit Vorsicht zu beurtheilen und ist bei ihnen in 
Anbetracht des epileptischen Grundcharakters desThäters eine beträchtlich herab¬ 
gesetzte Verantwortlichkeit anzunehmen. Ders. 



Kleinere Mittheilnngen and Referate aus Zeitschriften. 


497 


Verbrechen nnd Wahnsinn beim Weibe. Von Dr. Naecke in 
Hnbertnsbnrg. Vortrag im Psychiatrischen Verein zn Berlin. 15. März 1892. 

Die Betrachtnngen beziehen sich anf 53 geisteskranke Frauen ans yer- 
schiedenen Stnifanstalten nnd anf 47 vorbestrafte oder in Vomntersnchnng ge¬ 
kommenen Geisteskranke. Davon waren 17®/# zur Zeit der letzten strafbaren 
Handlang sicher krank, 24®/o mit grosser Wahrscheinlichkeit. Bei den Vor¬ 
bestraften trat die Paranoia am meisten hervor. Bei ca. 20 */* der Sträflinginnen 
liess sich in der Ascendenz Belastung nachweisen. Die meisten 65 ®/o erkrankten 
innerhalb des ersten Jahres ihrer Intemirnng; nach dem 2. Jahre kommen nnr 
noch selten Erkrankungen vor. Die Isolirhaft, in rationeller Weise gehandbabt, 
schadet selten, am wenigsten bei Oewohnheitsverbrecherinnen. Der Form der 
Erkrankung nach Oberwiegen die Paranoiker 79®/o, dann folgen Manien resp. 
hallnciuatorische Verwirrtheit. Paralyse kam nnr einmal vor. Verhältnissmäasig 
häufig trat bald deutliche sekundäre Geistesschwäche ein. Eine spezifische Ge- 
fängnisspsychose giebt es nicht. Die .«schwer zu behandelnden geisteskranken 
Zuebthausinsassinnen sollen in einem Adnexe der Strafanstalten nntergebracht 
werden, die harmloseren in den Irrenanstalten. Geisteskranke Zuchthäusler 
können mit anderen Kranken zusammengebracht werden. — Naecke spricht sich 
für die EinfOhrung der verminderten Zurechnungsfähigkeit aus nnd betont das 
seltene Vorkommen von wirklich „geborenen Verbrechern“. Ders. 

Der Vollzng der Todesstrafe anf dem Wege der Elektrizität. 
Nr. 32 dieses Jahrgangs der deutschen medizinischen Wochenschrift enthält einen 
interessanten feuilletonistischen Artikel über die Vollziehung der Todesstrafe 
durch Elektrizität im Staate New-York, dem wir Folgendes entnehmen: 

Im Frühjahr 1890 erliess der gesetzgebende Körper des Staates New-York 
eine Verfügung, welche den Vollzug der Toflesstrafe auf dem Wege der Elek¬ 
trizität anordnete. Es geschah dies nach sorgföltigster Berathung und nachdem 
durch das Thierexperiment unwiderleglich nachgewiesen war, dass der auf diese 
Weise herbeigeführte Tod in der That ein augenblicklicher sei. Seit Erlass 
dieser Verfügung sind acht Hinrichtungen auf diesem Wege vollzogen worden 
und sprechen sich sämmtliche Berichte hierüber einstimmig für diesen Mo>lus, 
das Todesunheil zu vollziehen, aus. Der Apparat, der bislang zur Anwendung 
kam, wird von Dr. Carlos F. Mc. Donald, einem der Aerzte, welche amtlich 
der Hinrichtung beiwohnten, wie folgt, beschrieben. Er besteht aus einer 
stationären Dampfmaschine, einem Wcchselstromdynamo, einem Cardew-Volta¬ 
meter mit einem auf :i0—2000 Volts bemessenen Extrawiderstande, einem Strom¬ 
messer für Wechselströme von 0,10 bis 3 Amperes, einer Wheatestonc’schcn 
Brücke. Rheostaten, Glockensignalcn, den erforderlichen Leitungen, ferner einem 
Stuhl für den Delinquenten mit einer stellbaren Unterlage für den Kopf, Be¬ 
festigungsgurten und zwei verstellbaren Elektroden. Der Dynamo war ein 
Wechselstromdynamo, wie er zur Bedienung von 750 Glühlampen von je 16 
Kerzen Leuchtkraft verwandt wird, tind im Stande, eine elektromotorische 
Kraft von in maximo 2876 Volts zu erzeugen. Der viereckige scliwere 
eiserne Stuhl mit hoher, leicht geneigter Rückenlehne nnd breiten Armstützen, 
war sicher am Boden befestigt und in geeigneter Weise isolirt. Oben 
an der Lehne trägt eine Gleitschiene die Kopfelektrode, die andere Elektrode 
wurde an der Wade augesetzt. Kopf, Arme, Brust und Beine des Deliquenten 
wurden mit breiten Gurten an den betreffenden Theilen des Stuhles befestigt. 
Maschine und Dynamo befanden sich in einem entfernten Thcil des Gebäudes; 
der Strom wurde durch gewöhnliche Leitungsdrähte in den Hinrichtungsraum 
geführt, so dass alle diese Vorrichtungen dem Blick des Delinquenten entzogen 
waren. Der Verurtheilte musste sich auf den Stuhl setzen, wurde daran fest- 
gebunden und die Elektroden aufgesetzt. Unmittelbar nachdem der Strom ge¬ 
schlossen war, verfiel der Körper in einen Zustand schwerer tetanischer Starrheit 
nnd verblieb in demselben, so lange der Strom einwirkte. Kein Schrei oder ein 
anderes Zeichen des Schmerzes oder irgend einer Empfindung wurde beobachtet. 
In mehreren Fällen fuhr das Herz nach dem ersten Kontakt fort, schwach und 
auregelmä.ssig zu schlagen, und in zwei Fällen bestanden noch schwache Thorax¬ 
bewegungen ; in keinem Falle dagegen war die geringste Andeutung einer Rück¬ 
kehr des Bewusstseins vorhanden. Jedesmal wurde nach kurzer Pause, während 
welcher die Elektroden von neuem befeuchtet wurden, ein zweiter Kontakt von 



498 


Kleinere Mittheilongen und Referate ans Zeitschriften. 


in der Regel etwas längerer Dauer als der erste hergestellt. Die gleiche Mus- 
kelstarre wiederholte sich augenblicklich und bestand während der ganzen Dauer 
des Kontaktes, um wieder vollständiger Lösung der Starre nach Unterbrechung 
des Schlusses Platz zu machen. Die ganze Zeit, welche mit den Vorbereitungen 
— Binden, Ansetzen der Elektroden etc. — hinging, bet.ug ungefähr 2Vi Minute. 
Die gesammte Zeit, von dem Augenblick, wo der Delinquent den Hinrichtungs¬ 
raum betrat, bis zum Eintritt des Todes, betrug längstens 8 Minuten und kür- 
zestens SV« Minuten, während die Exekution durch das Hängen gewöhnlich 
15—30 Minuten dauert. Was schliesslich den Sektionsbefund anbetrifft (sämmt- 
liche Leichen wurden sofort obduzirt), so war derselbe überall gleich. An den 
Stellen der Applikation der Elektroden wurden leichte Hautblasen festgestellt, 
die dem Einfluss der intensiven Hitze durch den Eintritt des elektrischen Stromes 
znzuschreibeu sein dürften. Die Blasen waren ganz oberflächlich, ähnlich dem 
Effekt eines spanischen Fliegenpfl<tsters. Das Blut war flüssig und von dunkeier 
Farbe. Kleine Hämorrhagien fanden sich zerstreut durch das Gehirn, das Herz 
und einige andere Organe. Andere Verletzungen irgend eines der Organe oder 
Gewebe konnte weder bei der makroskopischen, noch bei der sorgfältigsten 
mikroskopischen Untersuchung entdeckt werden. 

Besonders hervorgehoben wird noch, dass der ganze Akt der Exekution 
trotz des grossen wissenschaftlichen Interesses und der erklärlichen Neugier der 
Vertreter der Tagespresse, nichts sensationelles oder abschreckendes an sich 
hatte, dass sich vielmehr alles in ruhiger und ganz dem Ernst der Situation an¬ 
gemessener Weise vollzog. Dr. Dütschke-Aurich. 

B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

üeber die Möglichkeit einer vom Brunnenwasser ansgehenden 
Hühner-Cholera-Epizootie. Von Dr. Arnulf Schönwerth. Aus dem hy¬ 
gienischen Institut zu München Archiv für Hygiene; XV., 1. 

Wenn Pettenkofer in seinem eigenen Institut die „Trinkwasserfrage,“ 
deren Berechtigung er seit vielen Jahren mit der ganzen Energie seines Wesens 
in Wort und Schrift bekämpft hat, nunmehr auf experimentellem Wege bear¬ 
beiten lässt und der so entstandenen Arbeit die Spalten seines Archivs öffnet, 
so bürgt schon der Name und die Bedeutung Pettenkofer’s dafür, dass eine solche 
Arbeit Beachtung beanspruchen darf; denn selbst, wer etwa Pettenkofer’s Stand¬ 
punkt für einseitig und von der neueren Schule überholt, halten sollte, wird den 
unvergleichlich umfassenden Kenntnissen und der streng wissenschaftlichen 
Forschungsweise des grossen Epidemiologen seine Achtung nicht versalzen können. 
In der That ragt die vorliegende Arbeit weit über das Mittelgut gewöhnlicher 
Laboratoriumsarbeiten hinaus, wie sie so oft in den Archiven veröffentlicht werden. 

Schönwerth verbreitet sich in der Einleitung über die Wandlungen 
in der Auffassung der Ursachen epidemischer Krankheiten von den ältesten 
Zeiten bis jetzt. Seine Darstellung, wie die mystischen Anschauungen über den 
Einfluss unbekannter tellurischer Einwirkungen und himmlischer Koostellationen 
allmählich überwunden wurden und vernünftigeren Anschauungen weichen mussten, 
enthält viel Interessantes. Es muss indessen Schön werth zugegeben werden, 
dass wir trotz aller Studien über Luft, Boden und Wasser und trotz der ge¬ 
nauesten Kenntniss einer grossen Anzahl von Krankheitserregern über die Art 
und Weise, wie die letzteren in den Menschen eindringen und ihn krank machen, 
eben noch nicht sehr viel Positives wissen, dasss hier vielmehr die Hypothese 
noch eine grössere Rolle spielt, als bei dem exakten Charakter, welchen die 
Bakteriologie der epidemiologischen Forschung verleihen möchte, wünschenswerth 
ist. Hier steht dem Experiment noch ein weites Feld offen und der Gedanke, 
bei einer bekannten Thierkrankheit zu studiren, ob der Genuss infizirten Trink¬ 
wassers eine Epizootie zu erzeugen im Stande ist, muss daher als ein sehr 
glücklicher bezeichnet werden. Verf. wählte den Hühner-Cholera-Bazillus als 
den einzigen (? Ref.), welcher, ohne durch den normalen saueren Magensaft in 
seiner Fortpflanzungstahigkeit und Virulenz Abbruch zu erleiden, vom Darm aus 
seine verderbliche Wirkung entfaltet. Die Anordnung der Versuche ist einfach, 
die Durchführung,durch Pettenkofer und Emmerich überwacht,mustergültig, 
auch die Ausdehnung des Experimentes grossartig genug, um den gewonnenen 
Resultaten eine gewisse Bedeutung zu sichern. 

Es sind nacheinander sechs Brunnen, meist mit Bouillon-Kulturen des 



Kleinere Hittheilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


499 


Hühner-Cholera •Bacillns vei^iftet worden nnd zwar sind anf diera Weise ganz 
bedeutende Mengen Bazillen in das Brunnenwasser gelangt, z. B. in Versuch III 
in 8 Liter Bouillon nach Verfassers Berechnung ungeföhr 8825 Milliarden 
Bazillen, so dass auf jeden cbcm. des Brunnenwassers 6*/, Millionen Bazillen 
kamen I Es ist wohl kaum anznnehmen, dass unter natürlichen Verhältnissen je¬ 
mals auch nur annähernd ebenso grosse Bazillenmassen in einen Brunnen hinein¬ 
gelangen sollten. Es wurden nun Fütterungsversuche angestellt, indem die 
Versnehsthiere, Hühner nnd Tauben, das Brunnenwasser als ausschliessliches 
Getränk nnd ausserdem auch noch mit dem Wasser angefenchtetes Futter bekamen. 
Ausserdem wurde die Giftigkeit des Wassers durch subkutane und intramus¬ 
kuläre Injektionen geprüft. Bei einem Versuche wurde statt der Buuilion- 
Knltur Blut und Organsaft von vier an Hühner-Cholera krepirten Hühnern, 
bei einem zweiten Bazillen, welche durch Filtriren nnd Auswaschen von der 
Bouillon befreit waren, bei einem dritten Versuche wurde eine grössere Menge 
Euth, von cholerakranken Hühnern entnommen und mit Wasser angerührt, in 
den Brunnen geschüttet. Derartiger Koth ist bekanntlich in hohem Grade 
giftig und mau nimmt gewöhnlich an, dass die Hühner unter natürlichen Ver¬ 
hältnissen die Krankheit meistens durch Verschlucken bouillonhaltigen Kothes 
mit ihrer Nahrung erwerben. Es lag daher die Vermnthung nahe, dass gerade 
die Infektion des Brunnens mit Koth, als den natürlichen Bedingungen am 
Meisten sich nähernd, am wahrscheinlichsten positive Resultate liefern würde. 
Das Gegeniheil trat ein: Fütterung mit diesem Wasser erwies sich als unschäd¬ 
lich und auch durch Injektion desselben konnte nur ein Vursuchsthier (von zehn) 
getödtet werden. Die übrigen fünf Versuche ergaben ziemlich genau überein- 
stimmmende Resultate. Die Bazillen bewahrten in dem Wasser ihre Lebens- 
föhigkeit nnd ihre Virulenz ziemlich lange, in einem Versuche bis zu zehn Tagen. 
Doch war die Virulenz durch Fütterung nicht nachznweisen; die Thiere vertrugen 
vielmehr Fütterung und Tränkung mit dem infizirten Wasser ohne irgend welche 
Krankheitserscheinungen, während Injektionen selbst mit kleinen Quantitäten 
des Wassers tödtliche Erkrankung zur Folge hatten. Nur ein Huhn, dem mit 
Soda versetztes infizirtes Wasser verabreicht worden war, erlag echter Hühner- 
Cholera. Die aus diesem einen Experimente gezogenen Schlüsse von der Noth- 
wendigkeit der saueren Reaktion des Magens erscheinen nicht beweisend, da das 
Thier auch sonst nicht gesund war und es ist zu bedauern, dass dieses wichtige 
Experiment nicht wiederholt wurde. 

Die übrigen Schlussfolgerungen, welche Schönwerth ans seinen Ver¬ 
suchen glaubt ziehen zu könueu und welche sich auf den Einfluss der Wasser- 
Temperatur nnd der organischen Substanz auf die eingefUhrten pathogenen 
Bakterien und auf die Wechselbeziehungen zwischen diesen, und den eigentlichen 
Wasserbaktcrien und den Wasserinsekten tCyklopiden und Wasserflöhe) beziehen, 
sind an Ort und Stelle nachzulesen. 

Eine theilweise Wiederholung der Versuche, welche bei der fundamentalen 
Bedeutung derselben durchaus erwünscht sein muss, wird in Aussicht gestellt. 
Von einer Verallgemeinerung der gefundenen Resultate auf die „Trinkwasserfrage“ 
wird mit {^nerkennenswerther Zurückhaltung Abstand genommen. 

Dr. Langerhans -Haukensbüttel. 

Aasttbnng der Heilkunde in Bayern durch nicht approbirte Per¬ 
sonen im Jahre 1891. Gutachten des Königl. Bayer Obermedizinal-Aus¬ 
schusses, erstattet von Hofrath Dr. Max Braun in München. Münchener 
medizinische Wochenschrift; Nr. 32, 1892. 

Die Gesammtzahl der nicht approbirten Heilkünstlcr betrug in Bayern 
am Schluss des Jahres 1891: 1129 (822 = 72,8 ®/<, männliche und 307 = 27,2 ®/o 
weibliche) gegenüber 1170 im Vorjahre*) bezw. durchschnittlich 1219,8 in dem 
Zeiträume von 1887—1891 nnd 1414,6 in demjenigen von 1882—1886. Die Zahl 
der Pfuscher hat somit wieder etwas abgenommen; denn es kamen im Jahre 
1891 nur 20,2 derartige Personen auf lÖOOOO Einwohner gegenüber 20,9 im 
Jahre 1890, 22,1 im Durchschnitt für die Jahre 1887—1891 und 26,<i für die 
Jahre 1882—1886. Die grösste Zahl der nicht approbirten Heilkünstler, auf 
100000 Einwohner berechnet, hatte ebenso wie in den Vorjahren, Niederbayern 

*) Vergl. Referat in Nr. 20 dieser Zeitschrift, Jahrgang 1891, S. 531. 



500 


Kleinere Mittheilongen und Referate aus Zeitschriften. 


(36,4), dann fol^fen Schwaben (27,9), Oberbayem (26,6), Oberpfalz (20,6), Ober- 
franken (17,4), Mittelfranken (14,55), Unterfranken (9,9), Plalz (3,6). 

Der Nationalität nach waren von den Kurpfuschern 94,8®/o Bayern, 
6,2®/« Nichtbayern; dem Stand und Berufe nach 421 geprüfte, aber ihre Be¬ 
fugnisse überschreitende Medizinalpersonen (22 Apotheker, 367 Bader und 
32 Hebammen), 226 Bauern, Soldner und Austrägler, 157 Gewerbtreibende, 
64 unbekannten Berufes, 58 Wasenmeister, 53 Kanfleute, 52 Dienstboten, Arbeiter 
und Tagelöhner, 31 Privatiers, 23 Geistliche, 17 Beamte, 9 Masseure und Hydro¬ 
pathen, 4 Badebesitzer, je 2 nicht approbirte Mediziner, Arztwittwen, Lehrer, 
Ordensschwestern, Thierärzte und je 1 Literat und Todtengräber. Im Vergleich 
zum Vorjahre war eine Zunahme in der Zahl der Bauern, Söldner und Aus¬ 
trägler (um 19), der Geistlichen (um 2), der unbekannten Berufsarten (um 1) zu 
verzeichnen, bei allen übrigen Berufsarten dagegen eine Abnahme. 

Betreffs der einzelnen Arten der Pfuschereien erwähnt der Bericht, 
dass die Gesammtheilkunde von 358 Pfuschern ausgeübt wurde (im Vorjahre 413). 
Zubereitungen und Verkauf von Arzneimitteln trieben 176(180) *), (Teheimmittel und 
Sympathien 141 (117), Homöopathie 79 (71). Mit Frakturen und Luxationen 
befassten sich 72 (93); nur mit interner Medizin 61 (54), mit Chirurgie 57 {S2); un¬ 
befugte Hebammendieuste leistesten 34 (39). Wunden, Geschwüre, Panaritien 
behandelten 33 (37), Frauen- und Kinderkrankheiten 31 (33). Zahnheilkunde 
trieben 13 (12), Elektrohomöopathie 12 (9). Rheumatismus und Gicht behaup¬ 
teten heilen zu können 11 (7), Augenkrankheiten 9 (16). Hydropathie und 
Uroskopie trieben je 5 (4,2), Bandwurmkuren übernahmen 4 (13), ebensoviele 
(12) übten Magnetismus. Ohrenkrankheiten behandelten 3 (2), mit Unterleibs¬ 
brüchen, Baumscheidtisrans, Massage, Naturheilkunde befassten sich je 2 (2, 2, 
4, 2). Gelbsucht und Syphilis behandelten je 1 (1,2), Orthopädie und Hypnotismus 
trieben auch je 1 (1), unbekannt blieb die Art der Pfuscherei bei 9 (3). 

Rpd. 

Die Heilanstalten des Dentschen Reiches nach den Erhebungen 
der Jahre 1886, 1887 und 1888. I Abtheilung: Die allgemeinen 
Krankenhäuser. Medizinal-statistische Mittheilungen aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamte. Berichterstatter: Regierungsrath Dr. Rahts. Verlag von 
Julius Springer-Berlin. 1892. 

Der Bericht umfasst a) sämmtliche öffentlichen allgemeinen Krankenhäuser 
und b) diejenigen Privatanstalten, in denen mehr als 10 Betten zur Aufnahme 
von Kranken sich befinden. Es bestanden im Deutschen Reiche in den Berichts¬ 
jahren: 1777 bezw. 1791 und 1803 öffentliche Anstalten und 520 bezw. 541 und 
586 Anstalten mit privatem Charakter. 

Die Gesammtzahl der Betten in diesen Heilanstalten belief sich im 
Jahre 1888 auf 107702, von denen 24723 also 23®/o auf Privatanstalten ent¬ 
fielen. Ira Durchschnitt hat jede öffentliche Anstalt 46, jede private (an der 
Berichterstattung betheiligte) 42 Betten. In den meisten Bundesstaaten vrar die 
Zahl der Privatanstalten erheblich geringer als die der öffentlichen, ausnahms¬ 
weise bestand in der Rheinprovinz, Westfalen, Oldenburg ein umgekehrtes Ver- 
hältniss; in Berlin gab es auch mehr Privatanstalten, doch war die Bettenanzahl 
in den öffentlichen Anstalten stets grösser. 

An Kranken wurden verpflegt: 625195 bezw. 640410 und 667593, von 
denen 17 bis 18®/o auf die Privataustalten entfielen. Dem weiblichen Ge¬ 
schleckte gehörten durchschnittlich 35,5 ®/o an und zwar in den öffentlichen 
Anstalten 35,7, in den anderen 34,5 ®/o. 

Die mittlere Dauer der Verpflegung eines jeden Kranken schwankte 
in den öffentlichen Anstalten zwischen 28,8 u id 29,0, in den privaten zwischen 
40,3 und 41,4 Tagen. Im Durchschnitt wurde jeder der verpflegten Kranken 
32,9 Tage behandelt. 

Im ganzen Reiche kamen auf jedes vorhandene Krankenhausbett im 
Durchschnitt jährlich 6 bis 7 Kranke; die meisten in Berlin (9—10), die wenigsten 
in Westfalen, Rheinprovinz und Eisass-Lothringen (4 — 4,5). 

Von der Bedeutung der Heilanstalten für die öffentliche Gesundheitspflege 
gewinnt man ein ungefähr zutreffendes Bild, wenn man die Zahl der ver- 

*) Die eingeklaramerten Zahlen beziehen sich auf das Vorjahr 1890, 



Kleinere Mittheilnngen und Beferate ans Zeitschriften. 


501 


pflegten Kranken und der Krankenbetten mit der Ein wohnerzahl 
der betreffenden Staaten vergleicht. Auf je 10 000 Einwohner kamen im Fürsten- 
thnm Lippe 34, in Hamburg dagegen 49j, in Berlin 366, in Bremen 330 ver¬ 
pflegte Kranke. Ausser in dea kleineren Fürstenthümem war das Verhältniss 
noch ungünstig in Posen (60) und Ostpreussen (67). Im Laufe der drei Berichts¬ 
jahre hat sich in den allgemeinen Krankenhäusern des Reiches die Zahl der 
Betten um 13 688, also um 14,6 ®/(j vermehrt, während die Zahl der jährlich ver¬ 
pflegten Kranken nur um 12,3 ®/o gestiegen ist Da nach dem Ergebnisse der 
neuesten Volkszählung die Bevölkernngszunahme in derselben Zeit auf 3,28% 
zu schätzen ist, hat der Andrang zu den Krankenhäusern in den drei Jahren er¬ 
heblich zugenommen. — Auf je 100(X) Einwohner des Deutschen Reiches kamen 
im Jahre 1885 (nach der in diesem Jahre festgestellteu Volkszahl) 127, drei 
Jahre darauf — unter Berücksichtigung der inzwischen stattgehabten Bevölkerungs¬ 
zunahme von jährlich 1,1 % — 138 verpflegte Kranke. An Krankenhausbetten 
standen für je 10000 Bewohner des Reiches im Jahre 1885 etwa 20,1, drei 
Jahre später 22,3 zur Verfügung, davon 17,1 in öffentlichen Anstalten. Wahr¬ 
scheinlich hat die Krankenkassengesetzgebung des Reiches an dieser Zunahme 
der Krankenhausbetten einen Antheil, wie auch das erwähnte beträchtliche An¬ 
wachsen der Krankenzahl in den Heilanstalten hauptsächlich dem Gesetze über 
die Krankenversicherung der Arbeiter zuzuschreiben sein dürfte. — Das öffentliche 
Krankeuhauswesen war besonders entwickelt, ausser in Hamburg und Berlin, in 
Eisass-Lothringen, Lübeck, Baden und Bayern, auch in Bremen, Württemberg 
und Mecklenburg-Schwerin. Die meisten Kranken im Verhältniss zur Einwohner¬ 
zahl waren ausser in den Gressstädten Hamburg, Berlin, Bremen noch in Bayern, 
Baden, Schlesien. 

Da es für die allgemeinen Krankenhäuser des Reiches an Angaben über 
das Lebensalter der verpflegten Kranken fehlt, so muss, um hierüber ein 
Urtheil zu gewinnen, auf die aus den preussischen Krankenhäusern vor¬ 
liegenden Zahlen Bezug genommen werden. Im Jahre 1887 entfielen im König¬ 
reich Preussen von je 100 behandelten K/anken auf die Altersklasse a) bis zu 
15 Jahren 12 Personen, b) von 15—60 Jahren 80, c) über 60 Jahre 8 Personen; 
es stand mithin die überwiegende Mehrzahl der Kranken im Alter der Erwerbs- 
thätigkeit. 44,4% der Kranken gehörte dem Lebensalter von 20—40 Jahren 
an, nur der fünfte Theil desselben betraf jugendliche Personen bis zu 15 Jahren 
oder ältere Leute, die das 60. Lebensjahr bereits überschritten hatten. 

In einer Abhängigkeit von dem Lebensalter der behandelten Kranken 
steht insbesondere die in den Krankenhäusern beobachtete Sterblichkeit, 
insofern als Krankheiten des frühesten Lebensalters und solche des Greisenalters 
erfahrungsgemäss am häufigsten zum Tode führen. Im Jahre 1887 starben in den 
preussischen Krankenhäusern von je 100 behandelten Kranken a) im Alter bis 
zu 5 Jahren: 27,5, b) von 5—15 Jahren: 5,8, c) von 15—30: 4,2, d) von 30—40: 
8,5, e) von 40—50: 10,1, f) von 50—60: 12,9, g) über 60 Jahre: 22,9, im 
Ganzen 9,2. Während der drei Berichtsjahre kamen auf 100 m allgemeinen 
Krankenhäusern des Reiches verpflegte Kranke aller Altersstufen rund 8 Sterbe¬ 
fälle; doch schwankte in den einzelnen Staaten und Landestheilen dies Ver¬ 
hältniss innerhalb weiter Grenzen. 

Schon in den früheren Jahren ist festgestellt worden, dass eine wech¬ 
selseitige Beziehung zwischen durchschnittlicher Verpfle¬ 
gungsdauer und durchschnittlicher Sterblichkeit besteht. 
Es wird dies durch folgende Zahlen bestätigt: In den Krankenhäusern 
Bayerns schwankte während der Berich tszcit die Verpflegungszeitdauer 
zwischen 18,1 und 18,2 Tagen, in denjenigen Sachsens zwischen 32,2 und 
32,7, in denjenigen Eisass-Lothringens zwischen 43,8 und 46,0 und im 
Fürstenthum Lippe wurde jeder Kranke im dreijährigen Durchschnitt sogar 
68 Tage lang verpflegt. Dementsprechend endeten von je 100 in Abgang ge¬ 
kommenen Krankheitsfällen: in Bayern 4,3, in Sachsen 10,3, in Eisass - Lothringen 
12,9, im Fürstenthum Lippe gar 18,7 mit dem Tode. Je länger also im Durch¬ 
schnitt die Kranken verpflegt werden, d. h. je schwerer die Krankheitsfälle 
waren, welche zur Behandlung kamen, um so höher war die Sterblichkeit. Es 
lassen sich diese Unterschiede in der Krankenhaussterblichkeit nur dadurch er¬ 
klären, dass gewohnheitsgemäss in jedem Staate etc. andere Altersklassen und 
andere Krankheitsformen den Hauptzugang der Heilanstalten bilden. Während 
in Bayern die Hauptmasse Kranke mit Mandelentzündung, Magenkatarrh und 



502 


Kleinere Mittheilangcn und Referate aus Zeitschriften. 


dergl. Erkrankungen bilden, werden in Eisass - Lothringen meist Altersschwache, 
mit allgemeiner Entkräftung, chronischem Magenkatarrh aufgenommen. Die 
ausnehmend hohe Sterblichkeitsziffer im Fiirstenthum Lippe erklärt sich da¬ 
durch, dass dort mehr als 10 ^/o aller Kranken an Tuberkulose litt, von solchen 
Patienten aber in der Regel etwa die Hälfte im Krankenhause stirbt. 

L Die Entwickelungskrankheiten. 

a. Krankheiten des frühesten Kindesalters: Mit angeborener 
Lebensschwäche kamen in den drei Berichtsjahren 3S7, mit angeborenen Miss¬ 
bildungen 4279 Kinder in Krankenhausbebandlung, von denen 323 bezw. 243 
gestorben sind. Die Atrophie (Abzehrung) der Kinder wurde in 2267 Fällen als 
Diagnose eingetragen und starben hieran lt90. Das Jahr 1886 (im allgemeinen 
durch eine b^ohe Kindersterblichkeit ausgezeichnet) weist den grössten Zugang 
an dieser Krankheit auf. 

b. Störungen normaler Vorgänge im weiblichen Ge¬ 

schlechtsleben, Menstruations-, Scbwangerschafts- und Wochenbettsanomalien 
(ausscbl. des Kindbettfiebers) kamen von allen Entwicklungskrankheiten am 
häufigsten zur Behandlung, und zwar von je 1000 weiblichen Kranken 
14,7 bezw. 17,6 und 20,5, also in zunehmender Häufigkeit. Man muss daher annehmen, 
dass solche Erkrankungen entweder häufiger geworden sind oder dass sie — 
vielleicht in Folge der Krankenkassengesetzgebung — jetzt öfter als früher zur 
Aufnahme in ein Krankenhaus Anlass gegeben haben. Zum Tode haben diese 
Krankheiten nicht selten geführt; an „Menstruationsanomalien“ starben zwar 
nur 3 von 3725, aber an Schwangerschaftsauomalien 139 von 5039 und an 
Geburts- und Wochenbettsanomalien 20i von 2859 Kranken. Den letzteren 
Fällen sind noch die 1275 Fälle von Kindbetlfieber, von denen 653 tödtlich 
endeten, zuznzählen. — Es ergiebt sich somit, dass den Geburts- und Wochen¬ 
bett sanomalieu, einschliesslich Kindbettfieber, in den allgemeinen Kranken¬ 
häusern 856 Personen erlegen sind, d. h. 1,44 aller in denselben verstorbenen 
weiblichen Kranken und mehr als 20 ^der an solchen Leiden behandelten 
Personen. • 

c. Die Altersschwäche wurde in den 3 Jahren bei 4855 männlichen 
und 5168 weiblichen Personen (Uber 60 Jahre) Gegenstand der Krankenhaus¬ 
behandlung ; es starben von diesen insgesainmt 5823. Im Ganzen sind von 1000 
Kranken etwa 5,3 wegen Altersschwäche aufgenommen. 

d. Mit „anderen Entwicklnngskrankheiten“ kamen 505 Kranke 
in Zugang und starben an solchen nicht näher bezeichneten Leiden 36. 

Im Allgemeinen findet man unter der Gruppe der Entwicklungskrank¬ 
heiten, da sie zum Tbeil die am wenigsten widerstandsfähigen Altersklassen, das 
jüngste Kindesaiter und Greisenalter, betreffen, eine hohe Letalität, von den 
in Abgang gekommenen Kranken sind 28 dieser Art gestorben. 

n. Infektions- und allgemeine Krankheiten. 

Pocken: Es gingen 641 Personen den allgemeinen Krankenhäusern zu; 
da sich jedoch unter diesen ausweislich 11 Kranke mit Varizellen befanden, so 
sind in den 3 Berichtsjahren 630 wirkliche Pockenkranke in Zugang gekommen, 
davon 343 im Königreich Preussen. Zwei Drittel dieses Zuganges entfielen auf die 
der Einschleppung der Pocken aus den verseuchten Nachbarländern besonders 
ausgesetzten östlichen Grenzprovinzen, nämlich 102 auf Ostpreussen, 66 auf 
Posen, 41 auf Schlesien und 31 auf Westpreusson. 

Scharlach: Da gemäss den statistischen Feststellungen in die Heil¬ 
anstalten des Deutschen Reiches vorwiegend Kranke des erwerbsthätigen Lebens¬ 
alters aufgenommen werden, so folgt daraus, dass die Infektionskrankheiten des 
Kindesalters, also Scharlach, Masern, Keuchhusten u. s. w. einen hervorragenden 
Platz nicht einnehraen. — Von je 1000 Krankheitsfällen kamen 6 auf Scharlach, 
3,4 auf Masern, 0,6 auf Keuchhusten und kaum 0,3 auf Mumps. Ein stärker^ 
Auftreten des Scharlachs, mehr als 10%o <1^^ Zuganges, wurde beobachtet 1886: 
in Hamburg, Provinz Hannover und Rheinprovinz, 1887: in Lübeck, Bremen, 
Mecklenburg-Strclitz, Hessen, Berlin, 1888: in Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, 
Hessen, Eisass-Lothringen. — Von den 11055 beobachteten Krankheitsfällen 
endeten 1001, also 9^/o tödtlich. 

Masern sind bemerkenswerth häufig vorgekommen 1886: in Berlin, Lübeck 
und Sachsen - Koburg - Gotha, 1887: in Bremen, 1888: in Hamburg, Eisass- 



Besprechungen. 503 

Lothringen und Sachsen-Weimar; von 6464 MasemfäUen endeten 389, also 
6 tödtlich. 

Mumps: 525 Fälle, 10 Todesfälle; häufig in Bayern (199 Fälle), 
Württemlerg (59) und Baden (39). 

Keuchhusten führte ungewöhnlich häufig und zwar in IS**/« der Fälle 
zu Tode. Die Krankheit hat in den Heilanstalten von Jahr zu Jahr abge¬ 
nommen. Yerhältnissmässig viel Fälle sind beobachtet in Berlin, Hamburg, 
Bheinprovinz und Königreich Sachsen. 

Rose trat häufig auf, trotzdem in den 3 Berichtsjahren eine erfreuliche 
Abnahme zu konstatiren war (von 9,4®/oo'auf 7,4*/oo); es wurden im Ganzen be¬ 
handelt: 8315 männliche und 7375 weibliche Personen. Am deutlichsten zeigt 
sich die Abnahme in Berlin (von ll®/no auf häufigsten trat die Rose 

in Württemberg, Baden, Bayern, Anhalt, Hessen auf; relativ selten in den 
Krankenhäusern der Küstenländer Schleswig - Holstein, Pommern, Lübeck u. s. w. 

(Fortsetzung folgt.) Dr. Israel-Medenau. 


Besprechungen. 

Dr. W. DieckerhofT und Dr. R. Lothes: Beiträge zur Beur- 
theilung des Mal lein. Separatabdruck aus der „Berliner 
Thierärztlichen Wochenschrift“. Berlin 1892. Gr. 4®, 26 S. Verlag 
von Th. Chr. Fr. Enslin (Eich. Schoetz). 

Nachdem Preusse, der das Mallein zuerst dargestellt hat, über die Er¬ 
gebnisse seiner ersten Impfversuche mit demselben berichtet hatte (BerL Thierärztl. 
Wochenschr. Nr. 29, 1891), haben die Verfasser auf Anordnung des Königl. Mini¬ 
steriums für Landwirthschaft, Domainen und Forsten in der medizinischen Klinik 
der thierärztlichen Hochschule zu Berlin zahlreiche Versuche mit Mallein ange¬ 
stellt. Das Mallein, eine hellbernsteingelbe, ziemlich klare und leicht tropfbare 
Flüssigkeit, wurde bei den Versuchen stets am Tage vor der Anwendung mit der 
9fachen Menge einer 1 bezw. 2prozentigen Karbolsäurelösung verdünnt. Zur 
Applikation der so präparirten nahezu wasserhellen Rotzlymphe wurde eine nach 
dem Koch’schen Muster augefertigte Injektionsspritze benutzt und letztere vor 
und nach jedem Gebrauche mit peinlichster Sorgfalt desinfizirt. Als Injektions¬ 
stelle diente in jedem Falle die Haut am Halse, die vor der Impfung mit Kreolin¬ 
seife und Bürste gründlich gereinigt und mit I^Iqo Sublimatlösung überspttlt 
wurde. — Die mittlere Dosis betrug 0,5 gr.; sie ist abhängig von der Konzen¬ 
tration der Lymphe und ist es rathsam bei der variablen Zusammensetzung der 
Lymphe, dieselbe nach der Herstellung in jedem Falle an einem rotzkranken 
Pferde zu versuchen, um auf diesem Wege die Höhe der anzuwendenden Dosis 
zu ermitteln. Zur einwandsfreien Diagnosis ist es unbedingt erforderlich, die 
Impfung zwei Mal vorzunehmen. 

Zunächst wurde die Kotzlymphe an Meerschweinchen versucht, und dabei 
festgestellt, dass die rotzkranken Meerschweinchen auf eine subkutane Injektion 
von 0,5 gr. Mallein durchweg mit einer Steigerung der Mastdarmtemperatur von 
mehr als 1 ® C. reagirten, während bei gesunden Meerschweinchen nach der 
gleichen Behandlung nur unerhebliche Temperaturschwankungen auftraten. 

Die praktischen Versuche an Pferden sind noch nicht abgeschlossen; die Ver¬ 
fasser verfügen über eine Versuchsreihe von 79 Pferden. Es lassen sich in¬ 
dessen schon heute folgende bemerkenswerthe Thatsachen feststellen: Die 
spezifische Wirkung des Mallein auf die rotzigen Entzündungsherde ist nicht 
mehr zu bezweifeln, da, wie aus den einzelnen Versuchsberichten ersicht¬ 
lich ist, weder gesunde noch mit anderen Krankheiten behaftete Pferde nach 
(len bei rotzkranken wirksam befundenen Dosen Fieberreaktion zeigten. Ausser 
den Veränderungen in der Eigenwärme, wobei nur Steigerungen um mindestens 
1® C. als Reaktionen angesehen wurden, zeigten sich bei rotzkranken Pferden 
als Folge der Malleininjektion durchweg eine starke Eingenommenheit des Be¬ 
wusstseins, gesteigerte Puls- und Athemfrequenz, mehr oder weniger unterdrückte 
Fresslust. Was die Veränderungen an der Applikationsstelle anbetrifft, so ent¬ 
wickelte sich hier eine durchschnittlich hühnereigrosse Entzündungsgeschwulst, 
welche sich am folgenden Tage wieder zurückbildete; nur in einigen Fällen 



504 


Tagesuachrichten. 


traten stärkere lokale Reaktionen auf, welche sich allmählich zurückbildeten. — 
Der Zeitraum, welcher zwischen der Malleininjektion und dem Auftreten der 
Fieberreaktion (zweistündlich gemessen) lag, war ein verschiedener, von 4—20 
Stunden; im Durchschnitt trat die reaktive Temperatur-Erhöhung in 9 Vi Stunden 
auf. Die Verschiedenheitin der Reaktion dürfte meistens darauf beruhen, dass das wirk¬ 
same Prinzip in der verwandten Rotzlymphe nicht immer in gleichem Ma.sse vor¬ 
handen war. — Analog dem Tuberkulin scheint auch das Mallein seine Wirkui^ 
auf die spezifischen Erkrankungs-Herde bezw. deren Umgebung auszuüben, in 
den Rotzherden der Lungen und der Milz waren solche Zeichen zu finden 

Dass das Mallein als diagnostisches Hilfsmittel für die Feststellung der 
an Rotz accut erkrankten Pferde eines rotzverdächtigen Bestandes grossen 
Werth besitzt, unterliegt keinem Zweifel. Wenn es nunmehr noch gelingen 
sollte, was zu hoffen ist, nämlich dem Mallein die Bedeutung eines Heilmittels 
für den Rotz zu verschaffen, so hätte die Wissenschaft einen grossen Erfolg auf 
dem Gebiete der veterinär - polizeilichen Praxis zu verzeichnen. 

Dr. Israel-Medenau (Ostpr.) 


Karl Hirnträger, dipl. Architekt: Bau und Einrichtung von 
Pflege- und Erziehungs-Anstalten für die Jugend des 
vorschulpflichtigen Alters in den verschiedenen Län¬ 
dern. Sep iratabdruck aus der Zeitschrift des Oesterreichischen 
Ingenieur- und Architekten-Vereines Nr. 9 und 10, 1892. Wien, 
Verlag von Karl Graes er. 8®, 24 S. Mit einer Tafel. 

Verfasser tritt in seinem Vortrage, den er in der Wocbenversammlnng 
des Oesterreichischen Ingenieur- und Architekten - Vereins am 16. Januar 1892 
gehalten hat, warm dafür ein, dass die Pflege- and Erziehungsanstalten für die 
Torschulpflichtige Jugend, welche bisher fast ausschliesslich auf die Wohlthätigkeit 
angewiesen sind, berufen sind, eine allgemeine öffentliche Einrichtung zu werden. 
Wie die Volksschule als Unterrichtsanstalt, so sollen auch die Anstalten für die 
Kinder im Torschulpflichtigen Alter vom Staate eingerichtet und unterhalten 
werden. Gerade diese Anstalten kommen der ärmeren und in schlechter sozialer 
Lage befindlichen Bevölkerung zu Gute, weil die Kinler derselben, da Vater 
und Mutter für den Lebensunterhalt durch Arbeit sorgen müssen, ohne Aufsicht 
und ohne Pflege bleiben. Daher erklärt sich auch die grosse Sterblichkeit der 
Kinder in der Arbeiterbevölkerung. die bis 50<*/o beträgt, während bei ent¬ 
sprechender Pflege in den besseren Ständen sie nur 5—10®/o erreicht. Das 
Torschulpflichtige Alter zerfällt: 1. in das Säugliugsalter, d. h. die Zeit der 
Pflege, 2. das Kindesalter, d. h. die Zeit der Erziehung. Hiernach gliedern sich 
die Anstalten für das Torschulpflichtige Alter in: I. Krippen, II. Bewahr¬ 
anstalten, III. Asyle, IV. Kindergärten und V. Volkskindergärten. 

In dem Vor trage ist eine eingehende Beschreibung des Baues and der 
Einrichtung der Anstalten nebst der betreffenden Literatur gegeben. Hoffent¬ 
lich wird der Vortrag, dem auf einer Tafel eine Reihe von Zeichnungen und 
Abrissen von den Anstalten der verschiedensten Länder beigefügt sind, nicht ver¬ 
fehlen, das Interesse der massgebenden Kreise zu erwecken, Ders. 


Tagesnachrichten. 

Der Kultusminister Dr. Bosse soll, den politischen Blättern za Folge, 
beim Finanzminister die Bereitstellung von Mitteln zu einer gründ¬ 
lichen Medizinalreform angeregt haben. Hoffentlich bewahrheitet sich diese 
Mittheilung und ist jetzt der H. Fiuanzministor willfähriger, dieser Anregung 
Folge zu geben als früher. 

Zum Reichssenchengesetz. Im Kaiserlichen Gesundheitsamte haben 
am Montag, den 26. September die Berathangen über das Material zum Reichs¬ 
seuchengesetz begonnen. Den Vorsitz führt der Direktor des Gesundheitsamtes 
Dr. Köhler, als Referenten fungiren die ordentlichen Mitglieder des Gesund¬ 
heitsamtes, Regierungsräthe Dr. Rahts und Dr. Petri. Von ordentlichen 



Ta gesn ach rieh ten. 


505 


Mitgliedern des Gesundheitsamtes nehmen an der Konferenz noch Theil: Eegie- 
rungsrath Dr. Ohl mti Iler und der zum Gesundheitsamt als Hilfsarbeiter kom- 
mandirte Oberstabsarzt Dr. Kühler, ferner die folgenden ausserordentlichen 
Mitglieder: Aus dem preussischen Kultusministerium: die drei Vortragenden Käthe 
der Medizinalabtheilung Dr. Skrzeczka, Dr. Schön fehl und Dr. Pistor; 
aus dem Ministerium des Innern: Geh. Rath H ö p k e r; aus dem Kriegsministerium: 
Generalarzt Dr. Gross hei in; von den Universitäten: die Professoren Dr. Robert 
Koch, Dr. Gerhardt und Dr. L e w i n - Berlin, Dr. Wolffhügel-Göttingen, 
Dr. Renk - Halle, Dr. Bockenda h 1- Kiel und Dr. Bruns- Tübingen ; ferner die 
Geh. San.-Räthe Dr. Gr af-Elberfeld, Dr. Zinn-Eberswalde und Dr. Lent-Köln; 
aus Bayern: die Geheimen Käthe v. Pettenkofer, v. Kerschensteiner- 
München und Med.-Rath Dr. Merkel-Nürnberg; aus Sachsen: die Geheimräthe 
Dr. Günther und Dr. Lehmann-Dresden ; aus Baden: Geh. Rath Dr. Batt¬ 
lehn er-Karlsruhe; aus Württemberg: Ober-Med.-Rath Dr. v. K och-Stuttgart; 
aus Hessen: Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Pfeif fer-Darrastadt; aus Eisass-Loth¬ 
ringen: Geh. Rath Dr. Krieger-Strassbiirg. 

Ptir die Berathungen dieser Konferenz ist im Gesundheitsamte eine Vor¬ 
lage ausgearbeitet worden, w'elche, wie die „Nat.-Ztg.“ mittheilt, zunächst die 
Nothwendigkeit betont, gegen gewisse übertragbare und gemeingefährliche 
Krankheiten des Menschen nach einheitlichen Grundsätzen vorzugehen. Diese 
Grundsätze sollen nach dem heutigen Stande der Wissenschaft und Praxis so 
festgestellt werden, dass die Reichsverwaltung aus den Berathungen der Kom¬ 
mission das Material zum Entwurf eines Reichsseuchengesetzes und dessen Aus¬ 
führungsbestimmungen entnehmen kann. Es wird beabsichtigt, im Gesetze die 
leitenden, auf alle in Betracht kommenden Krankheiten anwei dbaren Grundsätze 
festzustellen und für einzelne Krankheiten diejenigen Schutzrnassregeln zu be¬ 
stimmen, welche von so einschneidender Wirkung sind, dass eine gesetzliche Er¬ 
mächtigung erforderlich erscheint, ln den Ausführungsbestirnmiingen sollen alle 
weiteren zur Abwehr und Unterdrückung jeder einzelnen Krankheit nothwen- 
digen Massnahmen vorgeschrieben werden, soweit sie sich zur allgemeinen Re¬ 
gelung eignen. 

Den Berathungen der Kommission ist die Erörterung einer Reihe von Fragen 
za Grunde gelegt worden. Als diejenigen Krankheiten, auf welche das Gesetz 
sich beziehen soll, kommen in Frage: die asiati.sche Cholera, das Gelbfieber, 
orientalische Beulenpest, Flecktyphus, Rückfalltyphus, Darrntyphus, Ruhr, Pocken, 
Diphtherie, Scharlach, Masern, Keuchhusten, Influenza, Genickstarre, Kindbett¬ 
fieber, Tuberkulose, Syphilis, Aussatz (Lepra), die ansteckenden Augeukrankheiten, 
die auf Menschen übertragbaren Thierkrankheiten, wie Milzbrand, Tollwuth, 
Rotz, Trichinose; ferner eventuell: Malaria, Brechdurchfall der Kinder, die epi¬ 
demisch auftretende Lungenentzündung, Rose und andere Wundkrankheiten, 
Krätze und andere durch Lebewesen verursachte Hautkrankheiten, Krebs und 
krebsartige Geschwülste, Skorbut und verwandte Krankheitsformen, Rötheln, 
Schweissfrieseln, Pellagra. 

Die Ermittelung der Krankheiten soll erfolgen durch die gesetzlich vor¬ 
geschriebene Anzeigepflicht, und es wird sich darum handeln, zu erwägeu, 
ob diese Pflicht zur Anzeige nur hei mehreren gleichartigen Krankheitsfällen 
oder auch bei vereinzelten Fällen vorgeschrieben werden soll. Weiter soll fest- 
gestellt werden, für welche Krankheiten die Aiizeigejülicht auch auf verdächtige 
Erkrankungsfälle ausgedehnt werden soll, und endlich, wem die Anzeigepflicht 
obliegen soll: dem HaiishaltungsvorstaTnle, dem Arzt, der Hebamme, dem Heil¬ 
gehilfen, oder auch jeder andern, gewerbsmässig mit der Behandlung von Kranken 
beschäftigten Person, dem (rastwirth bezw. dem Inhaber von IJnttTkunftsräumen 
für (len Fremdenverkehr. Weiterhin soll erwogen werden, ob nur bei dem ersten 
Erkrankungsl’alle an einem Ort oder in einem Hause, oder bei jedem Erkran- 
kungsfalle überhaupt nach erfolgter Anzeige die amtliche Feststellung der 
Krankheit stattfindeii soll; ferner ob der mit der Festst«*llung des Krankheits¬ 
falles amtlich beauftragte Arzt befugt sein soll, sotort Anordnungen zu treffen, 
und endlich, wie die Unterlassung d(T gesetzlich vorgeschriebeiien Anzeige zu 
bestrafen ist. 

Der folgende Abschnitt d(T Vorlage beschäftigt sieh mit den Abw^ehr- 
in a s s r e g e 1 n gegen das Ausl a ii d und den 8 c h u t z m a s s r e g e I n im 
Inland. Es soll festgestellt w^erden, unter welchen Umständen eine Absperrung 



606 


Tagesnachrichten. 


der Beichs^nze gegen allen Personen- nnd Waarenverkehr mit dem Auslände 
geboten sei, bezw. welche Waaren bei einzelnen Krankheiten in Betracht kommen; 
ferner wann eine Beschränkung des Grenzverkehrs geboten ist, sei es durch 
Einfuhrverbote und dergleichen, sei es durch Quarantänevorschriften und durch 
Verbot von Menschenansammlungen (Märkten etc.) in der Nähe der Grenze oder 
durch ärztliche Beaufsichtigung des Grenzverkehrs; ob der Arzt ermächtigt sein soll, 
krank befundene Personen am Ueberschreiten der Grenze zu hindern, kraukheits- 
verdächtige Personen einer Beobachtung zu unterwerfen, deren Gepäck bezw. 
Waaren desinfiziren zu lassen etc. Als Schutzmassregeln im Inlande 
kommen zunächst in Betracht: die öffentliche Bekanntmachung der Erkrankung 
unter Bezeichnung des Ortes, des Hauses und event. auch der Person des Er¬ 
krankten, die Kennzeichnung des Hauses, in welchem ein Erkrankter sich be¬ 
findet, die Beobachtung der kranken oder krankheitsverdächtigen Personen, die 
Isolirung derselben in der eigenen Wohnung oder in einem Krankenhause u. dergl. 
Weiterhin soll bestimmt werden, unter welchen Umständen bei Erkrankten die 
Anwendung eines Heilverfahrens nöthigenfalls zwangweise durchzuführon ist, 
wann die Desinfektion der Personen und Gebrauchsgegenstände, der Wohnung 
und der Arbeitsstätten der Erkrankten zu erfolgen hat, und wann hinsichtlich 
der Umgebung des Kranken örtliche Abwehrmassnahmen geboten sind. In dieser 
Beziehung kommen in Betracht: die Beoachtung der Haus- und Arbeitsgenossen, 
der ReisegefiLhrten des Erkrankten, Verkehrsbeschränkungen für diese Personen 
und event. die Bewohner eines ganzen Ortstheiles, die Räumung einer Wohnung 
oder eines ganzen Hauses. Zur Erwägung gestellt ist ferner, ob Abwehrmass* 
regeln gegen ganze Ortschaften des Inlandes geboten sind durch Aufebiing des 
Personen- und Waaren Verkehrs mit denselben, durch örtliche Beaufsichtigung 
desselben, und ob neben den Ausfuhrbeschränkungen für die noch nicht von der 
Krankheit betroffenen Ortschaften Einfuhrverbote bezw. Beschränkungen statt¬ 
haft sind. An weitern Massnahmen zur Verhütung der Ausdehnung einer Seuche 
kommen in Betracht: Beschränkungen in der Benutzung öffentlicher und privater 
Anlagen, wie Brunnen, Wasserscliöpfstellen, Aborte, Badeanstalten, besondere 
Vorschriften hinsichtlich der Beseitigung der Abfallstoffe, der Strassenreinigung, 
Verbote von Menschenansammlungen, Märkten und öffentlichen Lustbarkeiten, 
Beschränkung des Schulbesuchs und des Verkehrs mit Gegenständen (Nahrungs¬ 
mitteln), welche die Seuche verbreiten können, Beschränkungen ira Betriebe 
einzelner Gewerbe (Schifffahrt etc.), bei Beerdigungen und der Leichenbetörderung. 

Im Allgemeinen wird vorausgesetzt, dass die Ausführung des Gesetzes Sache 
der Landesbehörden und deren Organe ist, doch soll bei einer dem Gebiete 
mehrerer Bundesstaaten drohenden Seuchengefahr das Eingreifen der Reichs¬ 
gewalt, etwa durch Entsendung eines mit Ausnahmebefugnissen versehenen 
Reichskommissars, im Gesetze vorgesehen werden. Hinsichtlich der Entschä¬ 
digungspflicht soll die Kommission feststellen, ob aus öffentlichen Mitteln 
eine Entschädigung für aus Anlass der Seuchengefahr vernichtetes oder beschä¬ 
digtes Privateigenthum und für den im öffentlichen Interesse gestörten Gewerbe¬ 
betrieb gewährt werden soll, wie die Höhe der Ersatzpliicht zu ermitteln sei, 
welche Körperschaften zur Leistung der Entschädigung verpfiiehtet sein sollen, 
und ob den Regierungen Vollmacht gegeben werden soll, durch Verwaltungs¬ 
anordnung die Entschädigungspflicht den Gemeinden, Kreisen etc. aufzuerlegen. 
Ein Anspruch auf Entschädigung soll fortfallen, wenn vorsätzliche oder fahr¬ 
lässige Uebertretung der Vorschriften seitens der Geschädigten vorliegt. 

Den Schluss der Vorlage bilden die Strafbestimmungen, welche im 
Anschluss an §. 327 des Reichs - Strafgesetzbuches gegen wissentliche oder fahr¬ 
lässige Verletzung der behördlicherseits erlassenen Anordnungen in dem Seuchen- 
gesetzo Aufnahme finden sollen. 

Im weitern Verlaufe der Berathungen wird die Konferenz festzustellen 
haben, welche besonderen Vorschriften gegenüber jeder einzelnen der erwähnten 
Krankheiten hinsichtlich der Anzeigepflicht, der Abwehrmassnahmen gegen das 
Ausland, der Schutzraassregelu im Inland, der Desinfektion etc. erforderlich sind. 

Die Berathungen der Kommission haben einen vertraulichen Charakter. Um 
so mehr steht zu erwUnschen, dass der demnächst dein Bundesrathe und Reichstage 
vorzulegende Entwurf des Seuchengesetzes so bald als möglich bekannt gegeben 
wird, um der politischen wie der Fachpresse Gelegenheit zu einer Besprechung 
desselben zu geben. 



Tagesnaohrichteiu 


607 


Cholera. Nach den Mittheilongen des Reichsgesnndheitsamts sind in 
Hamburg 


12. 

September erkrankt 

333, 

gestorben 

142 

13. 

Ji 

Ti 

344, 

Ti 

148 

14. 


v 

283, 

Ti 

108 

15. 


Ti 

306, 

Ti 

128 

16. 


Ji 

276, 

Ti 

136 

17. 

n 

Ti 

‘i86, 

241, 

TT 

127 

18. 


Ti 

T» 

115 

19. 


Ti 

206, 

TT 

105 

20. 


Ti 

211, 

TT 

103 

21. 

n 

Ti 

180, 

TT 

97 

22. 

n 

Ti 

199, 

TT 

69 

23. 

V 

Ti 

115, 

TT 

56 ' 

24. 

7» 

Ti 

81, 

TT 

49 

35. 

7J 

Ti 

126, 

Ti 

47 

26. 

n 

V 

70, 

Ti 

33 

27. 

Ti 

Ti 

58, 

TT 

42 



erkrankt 3315, 

gestorben 1 506 

11. September 

„ 13458, 

TT 

5926 


Summa erkrankt 16773, 

gestorben 7432 = 


Es ist somit ein steter Rückgang der Seuche bemerkbar, der beson¬ 
ders in der letzten Woche ein recht erheblicher gewesen ist, so dass die Hoff¬ 
nung auf ein baldiges gänzliches Verschwinden der Epidemie berechtigt erscheint. 
Jedenfalls wird jetzt seitens der Hamburger Behörden alles aufgeboten, um die 
in der Stadt vorhandenen sanitären Hissstäude gründlich zu beseitigen und 
vor allem die Bevölkerung durch Anlegung einer grossen Anzahl abyssinischer 
Brunnen mit gutem Trinkwasser so lange zu versorgen, bis die für die Wasser¬ 
leitung erforderliche Sandültration durchgeführt ist. Welche Zustände in den 
englebenden Stadttheilen von Hamburg herrschen, davon giebt der nachstehende 
Bericht eines „Desinfektionskolonnenführers“ ein trauriges Bild: „Wer wissen 
will/ heisst es in diesem Berichte, „wie grenzenlos das Elend in unser Stadt ist, 
folge mir in die Häuser und Höfe, in denen die furchtbare Seuche gewüthet. 
hat, und sehe die Löcher und Ställe an, die von dreisten Hausbesitzern „Woh¬ 
nungen“ genannt werden I Dass es Menschen giebt, die solche Orte als Woh¬ 
nungen zu vermiethen wagen, und dass es noch Miether giebt, die sich glücklich 
schätzen müssen, ein solches Obdach zu haben, das ist ein Unglück, für das es 
keine Worte giebt. Ich hatte am Dovenfleth Gelegenheit, diese Zustände zu er¬ 
schauen. Ein enger, abschüssiger Thorweg führt in einen dunklen, dumpfen Hof. 
Das einzige Gebäude, ein altes baufälliges Haus, ist nach der einen Seite hin ge¬ 
sunken. Hier hatte die Cholera gute Beute gefunden. Auf der Treppe darf 
man sich nicht aufrichten, um sich nicht den Schädel einzustossen. Zu sehen ist 
nicht die Hand vor den Augen. Im ersten Stock zündete ich ein Licht an. Die 
Wohnung bestand aus einer halbdunklen Kammer und einem zweiten, ganz 
dunklen Gelass. Die Decke ist so niedrig, dass ein mittelgrosser Mensch mit 
dem Kopfe dieselbe berühren kann. In der Kammer schliefen in einem mulden¬ 
artig an der Wand zwischen zwei Holzleisten angebrachten Segeltuch die 
Kinder. In dem andern Raum stand ein mehr als fragwürdiges Bett, das ge¬ 
nauer zu untersuchen ich mir bei dem herrschenden Schmutz nicht getraute. 
Es fehlte an jeglicher Nahrung, Kleidung und Fusszeug. Und in diesem Elend 
sass ein Manu, von wenigen Fetzen bedeckt, und — weinte um sein verlorenes 
Kind! Die Frau war auf der „J^d“ nach Lebensmitteln. Solcher Wohnungen 
enthält jedes Stockwerk —'vier, die wöchentlich 2,70 M. Miethe kosten. Für 20 
Familien existiren zwei Anstandsorte, die aber von den Wenigsten benutzt 
werden, da das Passiren der Treppen lebensgefährlich ist. Die Luft ist eine 
entsetzliche. Als ich mich im Unmuth über die Möglichkeit solcher schrecklichen 

Verhältnisse hinreissen liess, zu äussern: „Dieser Stall muss fortl“-da 

baten mich die Leute, man möge ihnen doc^ diese Wohnungen nicht nehmen, 
sie hungerten schon jetzt ihre Miethe zusammen, was sollten sie beginnen, wenn 
sie eine noch höhere Miethe zu zahlen hätten.“ 



508 


Tagesnachrichten. 


In Altona sind während der Zeit vom 11.—27. September noch 187 Er¬ 
krankungen mic 93 Tudesfiillcn vorgekoinmen, so dass sich die Gesammtziffer 
seit dem Ausbruch der Epidemie auf 506 Erkrankungen mit 266 = 46 ^/o be¬ 
läuft. Die tägliche K ranke uz iffer hat in den letzten Tagen zwischen 8—15 
geschwankt, ein völliges Erlöschen der Seuche steht hier wohl nicht eher zu er- 
w^arten, als bis ein solches auch in der Nachbarstadt Hamburg eingetreten ist. 

Vereinzelte Cliulera-Erkraukungen sind in der zweiten Hälfte des Septem¬ 
bers ferner iu Eberswalde, Schneidemühl, Stettin, Ueckermünde, Landsberg a. W., 
Frankfurt a. ()., Duisburg, Weimar, Erfurt u. s. w. beobachtet worden. In Folge 
des Auftretens der (’holera im Stromgebiet der Oder ist auch für dieses 
Stromgebiet ein Staatskommissar, Kegierungsrath Müller in Stettin, ernannt 
worden und hat dieser eine ärztliche Kontrolstation inGartz a. 0. errichtet; die 
Errichtung weiterer derartiger Stationen steht bevor. 

Mit Rücksicht auf die im Publikum noch immer herrschenden Besorgnisse 
gegen eine Verschlep])iing derCholera durch den Waarenverkehr 
schreibt der „Keichsanzeiger^^: „Der im kaiserlichen Gesundheitsamt errichteten 
Cholerakommissioii gelieu fortdauernd Anfragen zu, ob und welche Gefahren im 
im Hinblick auf die Verbreitung der Cholera aus dem Verkehr mit Nahrungs¬ 
mitteln und anderen Handelsartikeln zu befürchten sind. Um die Interessenten 
allgemein von der Auffassung dieser Kommission zu unterrichten, zu w^elcher 
unsere erfahrensten Fachmänner gehören, und um beruhigend zu wirken, er¬ 
scheint es zweckmässig, einige Grundsätze, nach welchen bisher den Fragestellern 
Bescheid ertheilt worden ist, zu veröffentlichen. Was Fische und andere im 
Wasser lebende, dem menschlichen Genüsse dienende Thiere 
betritft, so ist der Genuss gut dll^cIl^ekochter oder durebgebratener Fische, 
Krebse u. dergl. völlig ungetälirlich. Seetische, Heringe, Bücklinge, Flundern 
sind in gleicher Weise, auch im gesalzenen oder geräucherten Zustande, ein un¬ 
verdächtiges Nahrungsmittel. Die gegen Butter und Weichkäse aus ver¬ 
seuchten Gegenden gerichteten Einfuhrverbote sind hauptsächlich durch die 
Möglichkeit begründet, dass diese Lebensmittel mit einem hinsichtlich der Cholera 
verdächtigen Wasser gewaschen iiiicl in unsauberen Gefässen oder mit unreinen 
Händen bearbeitet sein können. Wo nach Herkunft und Bereitungsart der 
Lebensmittel ein solciier Verdacht ausgeschlossen ist, liegt ein Grund, diese za 
meiden, nicht vor. Der Genuss von j\lilch aus verseuchten Orten ist nur in 
gekochtem Zustande zu empfehlen. Was Zigarren und Taback betrifft, so 
sind sie wie alle Waaren, welche in trockenem Zustande versandt 
werden, an sich nicht geeignet, den KrankheitscrregiT der (’holera von Ort zu 
Ort zu verschl(‘p])en. Auch Futtermittel für das Vith, welche durch Aus¬ 
pressen öliger Massen (von Palmenkerneu, Baiimwollsaat und dergleichen) ge¬ 
wonnen sind, ferner künstliclie Diingermittel, sind als solche unverdärditige 
Waaren aiizusehen. Aengstlielic Personen können beim Emj)fang der Waaren 
deren Umhüllinig (Kisten, Fässer etc.) mit ivalkiiiilcli o<1(T Karbolsäiirelösung 
desinliziren. Ist auch der Inhalt beselimutzt, so ist grössere Vorsicht erforderlich. 

ln Frankreich hat die Gliolera k(dne grössere Ausbreitung gefunden 
und sieh auch die Zahl der Erkrankungen in Paris und Havre vermindert. In 
Oesterreich sind vereinzelte ( lioleraerkrankungeu in Krackau und Podgorze 
((ializieu) vorgekommeii, die walirsclndnlieli von Busslaud her eiiigeschleppt sind. 

Im russischen Reiche hat die schon gegen Ende August bemerkbare 
Abnahme der iSt‘uelie auch während der ersto'ii Hälfte des Septembers angehalteu; 
die Gesammtziff(‘r der täglichen Erkrankungen schwankte in der letzten Zeit 
zwischen 4—5000; diejenigeu der To lesfälle zwischen 1500—2000 (iu Petersburg 
speziell zwischen 50—80 bezw. 22—42); neu ergriffen w urden die GouveruemenU 
Livland (Riga) und Warschau. 


Desinfektionskiirse für Aerzte. Nach einer Mittheilung des Dr. Th. 
Wcyl in Berlin wird derselbe im Laufe des Oktobers eiuen Desinfektionskursus 
für Aerzte abhalten. Dauer des Kursus 3—4 Tage; 1. Tag; Desinfektion be¬ 
weglicher Objekte; 2. Tag: Wolinuiigsdesinfektion; 3. und 4. Tag: Exkursionen. 
Beginn: Montag, den 10. (Oktober; Honorar 6 Mark; Anmeldungen nimmt H. 
Anders, Berlin, Mauerstrasse 54 entgegen. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund. Reg.- u. Med.-Rath i. Minden L W. 

J. C. C. Bruns, Bucbdruckorci, Minden. 




5. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892 


für 

MEDIZINALBEAMTE 


Hereusgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rath xi.^crichtl.Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Medizinalrath in Adinden. 

und 


Dr. WILH. SANDER 

Medi^inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlnnf and Rad. Messe 

entgegen. 


No. 


20 . 


Krseheint am 1« and 15. Jeden Monats. 
Preis Jährlich 10 Mark. 


15. Oktbr. 


Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und 
die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs. 

Vom Geheim. Sanitätsrath Dr. Müller, Kreisphysikns iu Minden. 

Von allen Thierseuchen ist die Tuberkulose die weit ver¬ 
breitetste, die am häufigsten vorkommende und die verheerendste. 
Alle Sachverständigen sind darüber einig, dass die Tuberkulose 
in progressivem Zunehmen begrifiFen ist ^). Unbestritten ist heute, 
dass Tuberkulose der Hausthiere und der Menschen identisch ist 
und dass mit der Rindertuberkulose die Menschentuberkulose an 
allen Orten in gleichem Grade zunimmt*). Es sollte daher eine 
der wichtigsten Aufgaben der Sanitätspolizei sein, mit allen ihr 
zu Gebote stehenden Mitteln, die den Menschen so gefährliche 
Thierseuche zu vertilgen. Alle anderen Massregeln zur Verhütung 
der Ansteckung durch Schwindsucht erscheinen zwecklos, wenn 
durch den Genuss von Fleisch und Milch tuberkulöser Rinder die 
Ansteckung ungehindert täglich erfolgt. Obgleich alle Sachver¬ 
ständigen darin übereinstimmen, dass die Tuberkulose unter den 
Rindern und Schweinen in einem wahrhaft beängstigenden Grade 
von Jahr zu Jahr zunimmt und dass alle damit zusammenhängenden 
Gefahren immer schwieriger zu beseitigen sein werden, je länger 
der Kampf gegen diese Seuche hinausgeschoben wird, sind bis 
heute in unserem Vaterlande zur Tilgung dieses Uebels doch nur 
erst vorbereitende Schritte geschehen. 

*) Seit dem Jahre 1885/86 bis zum Jahre 1890/91 ist die Zahl der all¬ 
jährlich auf dem Berliner Zentralschlachtviehhofe wegen Tuberkulose vernichteten, 
bezw. znrückgewiesenen Rinder von 0,18 ®/o auf 0,9 ®/o der Gesammtzahl gestiegen. 

*) Ly dt in: Archiv für wissenschaftliche und praktische Thierheilkuude. 
Bd. X, S. 199. — Bayard: lieber die lokalen Beziehungen zwischen der Perl- 
sneht und der Tuberkulose des Menschen. Inauguraldissertation der medizinischen 
Fakultät der Universität Jena 1888. S. 37—48. 






510 


t)r. Müller. 


Soll dieser dringend gebotene Kampf gegen die Thiertuberku- 
lose mit Aussicht auf Erfolg unternommen werden, dann muss von 
Eeichswegen eingeschritten und einheitliche Bestimmungen müssen 
für ganz Deutschland erlassen werden, welche den Verkauf des 
Fleisclies tuberkulöser Thiere verbieten, bezw. nur unter ganz 
bestimmten Bedingungen gestatten und die Viehzüchter zwingen, 
Alles auszuführen, was die Krankheit gründlich zu tilgen im Stande 
ist. Bis dahin wird in dem einen Bundesstaate bestraft, wer das 
Fleisch tuberkulöser Rinder, selbst geringgradig erkrankter, in 
den freien Verkehr bringt, während in dem andern benachbarten 
Bundesstaate solches Fleisch unbeanstandet verkauft und genossen 
werden darf. In ein und demselben Staate wechseln die Ver¬ 
fügungen über den Konsum solchen Fleisches fast von einem Jahr 
zum andern. Daher haben Gerlachs Worte^), „die Ansichten 
über die Schädlichkeit der Fleischkost wechseln wie die Moden,“ 
Geltung behalten bis auf den heutigen Tag. 

Im 17. Jahi’hundert genügten einige Knoten an den Rippen 
oder am Zwerchfell, um das geschlachtete Rind dem Schinder zn 
überweisen. Man fürchtete sich sogar, das Fleisch, das Blut etc. 
von „fianzosigten Rindern“ zu berühren. Die angenommene 
Identität mit der Venerie war im 17. und 18. Jahrhundert die 
Veranlassung zu dem Verbote der Ausnutzung solcher Thiere. 
Seit Kreisphysikus Heym in Spandau 1782 die Ansicht über die 
syphilitische Natur der Perlsucht widerlegt und das Fleisch dieser 
Thiere für „geniessbar“ erklärt hatte*), ging man alsbald in der 
Fleischkost von einem Extrem in das andere über. Durch Ver¬ 
ordnung vom 26. Juli 1785 wurde das bis dahin bestandene Verbot 
in Preussen, 1788 in Oesterreich und darauf in allen deutschen 
Staaten aufgehoben. „Seit dieser Zeit“, sagt Gerlach, „sind die 
perlsüchtigen Rinder fast alle geschlachtet und gegessen.“ Erst 
nachdem Vollem in 1865^) die Identität der Thier-und Menschen- 
Tuberkulose ausgesprochen und andere Forscher (Koch) dieselbe 
zweifellos festgestellt hatten, erfolgten in den einzelnen Bundes¬ 
staaten Anordnungen, welche zur Einschränkung des Verkaufes, 
bezw. zum Verbot solchen Fleisches führten. Im Grossherzogthum 
Hessen erschienen bereits 1855, in Bayern 1862, in Baden 1865, 
in Württemberg 1879 derartige sanitätsveterinär-polizeiliche Ver¬ 
fügungen, die auf allgemeine landesgesetzliche Bestimmungen sich 
stützten. Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 gab dann 
tür das ganze Reich die betreifenden Direktiven. 

Auch in den Kreisen der Landwirthschaft hatte man wahr- 
geiiommen, dass ein Missstand in der Viehzucht sich ausgebildet 
hatte, „dem möglichst schnell und entschieden abgeholfen werden 
müsse, wenn nicht immer grösser werdende Verluste der National¬ 
ökonomie erwachsen sollten.“ Es ersuchte daher bereits 1874 der 
Landeskulturrath im Königreich Sachsen die Regierung um den 


Dio Fleischkost des ^lenscheu vom sauittären und marktpolizeilichen Stand¬ 
punkte. Herlin IsTö. 

-) Hericht au das Ober - Sanitäts - Kollegium zu Berlin, den 26. Okt. 1782. 
iJulletin tle racadeuiie. Oaz. med. de Paris 1865, Dezember. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


511 


Erlass geeigneter Massregeln zur Bekämpfung der Rindertuberku¬ 
lose. Der thierärztliche Verein zu München erörterte in seiner 
Sitzung vom 22. April 1876 die Schädlichkeit des Genusses von 
Fleisch und Milch perlsüchtiger Rinder und erklärte Massregeln 
zur Bekämpfung der Seuche, sowie zur Beurtheilung des durch 
dieselbe hervorgerufenen Schadens für dringend nöthig. Daraufhin 
ordnete das Königl. bayer. Ministerium des Innern am 16. Dezember 
1876 Untersuchungen über die Verbreitung der Perlsucht an. In 
Baden wandte der landwirthschaftliche und der thierärztliche 
Verein sich an den Reichskanzler mit der Bitte, es möge die Be¬ 
kämpfung der Perlsucht von Reichswegen angeordnet werden. 
Gleiches beantragte der deutsche Landwirthschaftsrath in seiner 
15. Plenarversammlung 1887 und der niederrheinische Verein für 
öffentliche Gesundheitspflege bat in einer Eingabe an den Minister 
den 8. Mai 1886 um Aenderung der Vorschriften über den Konsum 
perlsttchtigen Fleisches. Die Reichsregierung ordnete dann mittelst 
Schreiben des Reichsamtes des Innern vom 22. Oktober 1887 Er¬ 
hebungen an über die Verbreitung der Tuberkulose unter dem 
Rindvieh im Deutschen Reiche. Das Resultat dieser Erhebungen 
wurde veröffentlicht im Band VI der Arbeiten aus dem Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamte *). 

In Preussen bestimmte der Ministerial-Erlass vom 22. Juli 

1882: 

^Dass das Fleisch eines jeden perlsttchtippen Rindes, auch 
wenn der Grad der Krankheit nur ein 2 :ering:er und das Fleisch auch von ge¬ 
sunder Beschaffenheit sei, als minderwerthig erachtet werden müsse.“ 

Dagegen stellte der Runderlass vom 27. Juni 1885 fest: 

„Eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit des Fleisches von 
perlsttchtigem Rindvieh ist dann anzanehmen: 

wenn das Fleisch Perlknoten enthält oder wenn das perlsüchtige 
Thier bereits Abmagerung zeigt, auch ohne dass sich die Perlknoten 
im Fleisch vorfind eu, 

während andererseits das Fleisch für geniessbar zu halten ist, wenn bei 
einem Thiere ausschliesslich iu einem Organe Perlknoten verkommen und das¬ 
selbe im Uebrigen gut genährt ist.“ 

„Die Frage, ob das Fleisch von perlsiichtigem Vieh für verdorben zu er¬ 
achten sei, bezw der Verkauf desselben gegen die Vorschrift des §. 367 Nr. 7 
des Strafgesetzbaches oder gegen die Bestimmungen des Gesetzes vom 14. Mai 
1879 verstossen, fällt der richterlichen Entscheidung anheim und wird in jedem 
konkreten Falle vom Sachverständigen zu prüfen sein.“ 

Eine noch weiter gehende Konzession wurde den Vieh- 
Züchtern und Vieh - Händlern gewährt in dem Min.-Erlass vom 
15. September 1887. Wenn in dem vorigen Erlass die Geniess- 
barkeit, d. h. Unschädlichkeit des Fleisches abhängig gemacht 
wurde von dem Vorhandensein der Perlknoten nur in einem 
Organe, so gestattete dieser Erlass das Vorkommen von Perl¬ 
knoten in zwei oder mehreren Organen, vorausgesetzt, dass 
diese in ein und derselben Körperhöhle sich befinden. Der Beur- 


‘) Im Separatabdruck erschienen: Ergebnisse der Ermittelungen über 
Verbreitung der Tuberkulose unter dem Rindvieh im Deutschen Reiche vom 
1. Oktober 1888 bis 30. September 1889. Bearbeitet vom Regierungsrath 
Dr. Röckl. 



512 


Dr. Httller. 


theilung der Sachverständigen wurde ein weiterer Spielraum er¬ 
öffnet. Der Min.-Erlass bestimmt: 

„Eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit des Fleisches von 
perlsüchtigcm Rindvieh ist der Regel nach dann anzunehmen: 

wenn das Fleisch Perlknoten enthält oder wenn dos perlsüchtige 
Thier auch ohne dass sich in seinem Fleische Perlknoten finden lassen, 
abgemagert ist. 

Dagegen ist das Fleisch eines perlsüchtigen Thieres dann noch für 
geniessbar zu halten, wenn 

das Thier gut genährt ist und die Perlknoten ausschliesslich in 
einem Organe vorgefunden werden oder 

im Falle des Auftindens in zwei oder mehreren Organen, 
diese jedoch Organe derselben Körperhöhle und mit einander direkt 
oder durch Lymphgefässe oder durch solche Blutgefässe, die nicht 
dem grossen Kreisläufe, sondern dem Lungen-, oder dem Pfort¬ 
aderkreislauf angehüren, verbunden sind. 

Dabei bleibt es dem Ermessen des Sachverständigen im Einzelfalle über¬ 
lassen, ob und inwiefern nach dem geringen Grade der Ausbildung der 
Perlsucht und der übrigens guten Beschaffenheit des Fleisches der 
Genuss des letzteren als eines nur minderwerthigen für statthaft zu erachten 
ist und dementsprechend ein Verkauf desselben auf dem Schlachthofe unter Auf¬ 
sicht und namentlicher Angabe der kranken Beschaffenheit erfolgen darf/ 

Dass in diesem Erlass die Frage über die Bankwürdigkeit 
d. h. Zulässigkeit solchen Fleisches als vollwerthig nicht scharf 
genug für die Praxis präzisirt war, sollte sich sehr bald heraus- 
stellen. Wie sehr die Urtheile der Sachverständigen über die 
Geniessbarkeit des betreffenden Fleisches, überhaupt über die 
richtige Auslegung dieser Verfügung, auseinander gingen, zeigte 
sich an allen Orten. Davon hat Verfasser im Schlachthause zu 
Minden *) sich wiederholt zu überzeugen Gelegenheit gehabt. 

Auch im ganzen Kegierungsbezirk Minden war das Verfahren 
betreffs der Verwendbarkeit des Fleisches perlsüchtiger Thiere ein 
sehr verschiedenes, wie aus den vom Reg. - Med. - Rath Dr. Rap- 
mund auf Grund amtlicher Ermittelungen gemachten Mittheilun¬ 
gen*) hervorgeht: 

„Im hiesigen Reg.-Bez. wird in einem Schlachthanse das Fleisch von 
perlsüchtigem Rindvieh niemals, auch nicht, wenn d.as Schlachtthier gut ge¬ 
nährt ist und Perlknoten nur in einem Organe vorgefunden sind, dem freien 
Verkehr tiberlassen, sondern stets unter polizeilicher Kontrole als minder¬ 
wert hi g verkauft. In anderen Schlachthäusern w rd da.s Fleisch als „bank¬ 
würdig“ angesehen, wenn nur ein Organ in geringem Grade erkrankt und das 
Scblachttbier vorzüglich genährt ist, während sich zwei Schlachthausverwaltnngen 
in dem gleichen Falle mit einem „guten Ernährungszustände“ des Thieres 
begnügen.“ 

Dass das Urtheil der Sachverständigen über die „Voll- und 
Minderwerthigkeit“ solchen Fleisches auch ausserhalb Preussens 
dieselbe Verschiedenheit zeigt, erfährt man fast überall. Besonders 
interessant ist in dieser Beziehung ein in Heilbronn vorgekommener 
Fall, in welchem der erste Gutachter, der Stadtthierarzt, das be¬ 
treffende Fleisch für „nicht bankwürdig“, der zweite Gutachter, 
der Oberaratsthierarzt, es für „bankwürdig“, der dritte Gutachter, 
der Stadtarzt, es für „minderwerthig“ und endlich der vierte Gut- 

*) Archiv für animale Nahrungsraittelkunde, beg. von Dr. Schmidt- 
Mülheim, fortgesetzt von Dr. Sticker, Jahrg. VI, 1891, Nr. 6—7, S. 99. 

’*) Zeitschr. für Medizin. Beamte, 1891, S. 382. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


513 


achter, Professor Dr. Vogel es -wiederum für »bank-würdig“ er* 
klärte 0- 

Wie der Erlass vom 15. September 1887 ausgelegt werden 
sollte, erklärte der Kultusminister selbst auf eine, vom Gross- 
herzoglich Hessischen Ministerium an ihn dieserhalb gestellte An¬ 
frage *); 

..Der Erlass vom 15. September 1887 gehe dahin, dass das Fleisch der in 
Rede stehenden Thiere als vollwerthig niemals znbehandeln, sondern 
sofern es überhaupt nicht vom Verkehr ausgeschlossen werde, stets nur unter 
Angabe der vorgelegcnen Erkrankung des Thieres zum Verkauf zu bringen sei.“ 

Durch diese Erklärung, die leider nicht allgemein bekannt 
geworden war, würden die bis dahin unter den Sachverständigen 
vielfach herrschenden Missverständnisse über die Bezeichnungen 
»geniessbar“, »minderwerthig“ u. s. w. aufgeklärt und beseitigt 
worden sein. Es war dagegen in sehi* vielen, wenn nicht in den 
meisten öftentlichen Schlachthäusern Gebrauch geworden, »geniess- 
bar“ mit »vollwerthig“ und »bankwürdig“ füi* identisch zu halten 
und daher solches Fleisch anstandslos dem freien Verkehr gleich 
dem besten Fleische ganz gesunder Thiere zu übergeben! 

Es möchte dringend nothwendig erscheinen, um ferneren 
Missverständnissen vorzubeugen, die Bezeichnungen »geniessbar“, 
„der Gesundheit nicht schädlich“ u. s. w. gänzlich fallen zu lassen 
und wieder einzuführen die alten, nicht misszuverstehenden Be¬ 
zeichnungen: „bankwürdig“ und »nicht bankwürdig“, Ausdrücke, 
die bereits seit dem 12. Jahrhundert überall in Deutschland das 
Bürgerrecht bekommen haben. 

Dem obigen Erlasse widersprechend, erklärte dann der unter 
dem 11. Februar 1890 erschienene Bescheid der Minister für 
Landwirthschaft, des Innern und für Handel und Gewerbe: 

„Auf den an den Herrn Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten ge¬ 
richteten und von diesem uns zur Verfügung abgegebenen Ber cht vom "21. Oktober 
1889, betreffend die Verwerthung des Fleisches perlsüchtiger Thiere, erwideni 
wir Ew. etc. ergebenst, dass nach unserer Ansicht keine hinreichende Veran¬ 
lassung vorliegt, die Verwerthung rainderwerthigen, aber der menschlichen Ge¬ 
sundheit nicht schädlichen Fleisches unter besondere polizeiliche Kontrole zu 
stellen. Es ist daher von dem Erlasse einer derartigen Anordnung um so mehr 
abznsehen, als dieselbe den Landwirthen die angemessene Verwerthung 
solchen Fleisches ohne einen genügenden Grund erschweren würde.“ 

Dagegen lautete der auf den Bericht des Reg. - Präsidenten 
von Minden unter dem 2 3. April 1891 erfolgte Erlass des 
Kultusministers: 

,jTn Erwiderung des gefälligen Berichtes etc., betreffend die Beurtheilung 
des Fleisches perlsOchtiger Thiere, theile ich Ew. Hochwohlgeboren ergebenst 
mit, dass das Fleisch eines Schlachtthieres, welches von einem Sachverständigen 
als mit Perlsneht behaftet befunden worden ist, in keinem Falle als voll¬ 
werthig, sondern in jedem Falle, in welchem dasselbe als noch geniessbar 
festgestellt ist, als minderwerthig zu behandeln ist and nur unter 


*) Archiv für animale Nahrungsmittelkundc. Jahrg. VI, Nr. 6—7, S. 100. 

*) Vergl. Dr. Lorenz, Ober-Med.-Ratk und Vortragender Rath im Gross¬ 
herzog. Hessen. Minist, des Innern und der Justiz (Abth. für öffentl. Gesund¬ 
heitspflege): Die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs und die Verwend¬ 
barkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere. (Zeitschrift ür Mediz. - Beamte. 1892, 
Nr. 2, S. 27. 



514 


Dr. Müller. 


polizeilicher Aufsicht und unter der ausdrücklichen Angabe, dass dasselbe von 
einem mit Perlsucht behafteten Thiere herstamrat, verkauft werden darf.“ 

„Ew. Hochwohlgeboren ermächtige ich ergebenst, im dortigen Verwaltungs¬ 
bezirke hierüler die erforderlich erscheinende Aufklärung, zu welcher ein Be- 
dUrfniss anderweitig nicht hervorgetreten ist, ergehen zu lassen.“ 

Wie sehr aber eine Aufklärung nach dieser Richtung hin 
überall im Lande dringend Noth that, bewies die ungemein grosse 
Aufregung, welche dieser Erlass nicht nur in Preussen, sondern 
im ganzen Deutschen Reiche unter den Landwirthen, den Vieh- 
Züchtern, -Händlern, Metzgern und dem grösseren Theile der Thier¬ 
ärzte erregte. Gebärdeten sich doch Letztere vielfach, als seien 
ihre selbsteigendsten Interessen auf das Empfindlichste durch diesen 
Erlass geschädigt. Allen voran Hessen Dr. Schmalz*) und 
Dr. Oster tag*) in ihren Zeitschriften sehr geharnischte Artikel 
erscheinen, in welchen dem betreffenden Erlass jede Existenz- 
Berechtigung abgesprochen wurde. Dr. Ostertag meint: 

„Die Ansicht aller kompetenten Fachleute geht dahin, dass das Fleisch 
tuberkulöser Thiere bei lokal gebliebenem Prozesse eine ge.sundheitsschädliche 
Beschaffenheit sicher nicht besitze.“ „Wissenschaftlich liegt nicht das ge¬ 
ringste Bedenken vor, das Fleisch der mit lokaler Tuberkulose behafteten Thiere 
zum menschlichen Genüsse zuzulassen, weil diisselbo als gesuudheitsschä llich 
nicht angesehen werden kann.“ „Es fehlt jede gesetzliche Grundlage, den 
Deklarationszwang für das Fleisch sämmtlicher mit Tuberkulose behafteten 
Rinder, also auch derjenigen zu verlangen, welche nur unerhebliche, geringe 
Grade dieser Krankheit aufweisen. Der Mindener Erlass ist aber aut Grund 
des Nahrimgsmittelgesetzes nicht blos materiell unbegründet und deshalb un- 
zaiässig, sondern auch formell. Der Mindener Erlass verlangt die Behandlung 
aller mit PerUueht behafteten Rinder als einer minderwerthigen Waare. Dieses 
praktisch durchzuführen, ist keine Behörde befugt, weil das Nahrungs¬ 
mittelgesetz für nicht tadellose Marktwaare keine Preisreduktion, sondern lediglich 
den Deklarationszwang vorschreibt.“ „Bei einer solchen Verfügung, von der 
man getrost sagen kann, dass sie bei allgemeiner Durchführung den Ruin der 
deutschen Landwirthschaft herbeiführen würde, ist es die Pflicht aller mit der 
Materie in Fühlung stehenden Fachleute, nachdrttcklichst darauf hiuzuweisen, 
dass dieselbe weder durch die wissenschaftliche Fonschung, noch durch gesetz¬ 
liche Bestimmungen zur Nothwendigkeit gemacht wird.“ 

In einem andern thierärztlichen Fachblatte werden die Kol¬ 
legen geradezu zum Kampfe gegen den Erlass des Kultusministers 
aufgefordert *): 

„Das Eintreten der Gesammtheit fUr die durch unwissenschaftliche 
Deduktionen betroffenen Standesvertreter wird dieselben hoffentlich bald 
von dem üebel erlösen.“ 

Obermedizinalrath Dr. Lorenz, Landesgestüts-Veterinär- 
Arzt in Darmstadt, hat in seinem, am 24. November 1891 in der 
Generalversammlung des thierärztlichen Provinzialvereins des 
Grossherzogthums Hessen gehaltenen Vortrage offen erklärt: 
„Dass er mit der Art und Weise, wie der grösste Theil der thier¬ 
ärztlichen Presse diesen Gegenstand behandelt, nicht einver¬ 
standen sei.“ 

„Es zeugt von Uukenntniss, wenn ein thierärztliches Fachblatt sich 
änssert, diese (im Mindener Erlass ausgesprochene) Ansicht beruhe auf un- 


*) Berliner Thierärztl. Wochenschrift 1891, Nr. 93. 

•) Zeitschr. fttr Fleiscli- uml Milchliygiene 1891, Heft 10, S. 165—167. 
*) Lorenz, 1. c., S. 87. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tnberkulöser Thiere etc. 515 

wissenschaftlichen Deduktionen.“ „Es steht ja richtig, dass in der thierftrzt- 
lichen Presse vielleicht der gegentheilige Standpunkt vertreten wird; gehörig 
begründet habe ich ihn jedoch bis jetzt noch nicht gesehen. Ich kann und 
will auch nicht leugnen, dass ich in dieser Haltung der thierärztlichen Presse nur 
zu deutlich die Absicht sehe. Vortheil für sich zu gewinnen.“ „Dem gegenüber 
halte ich es nur für zeitgemäss, dass die in Hessen mit der Ausübung der 
Fleischbeschau beschäftigten Kollegen, welche schon so lange dem vermeintlichen 
Uebel ansgesetzt sind, auch ein Votum abgeben.“ 

Die ganze Versammlung sprach sich einstimmig im Sinne 
des Vortragenden aus und nahm alsdann dessen Anträge, auf welche 
wir später zurückkommen werden, ohne Zusätze oder Abänderun¬ 
gen einstimmig an^). 

Eeg.-Med.-Rath Dr, Rapmund hat bereits in dieser Zeit¬ 
schrift Dr. Ost er tag’s Angiiffe auf den Mindener Erlass zurück¬ 
gewiesen und gezeigt, dass letzterer auf ganz derselben gesetz¬ 
lichen Grundlage wie sämmtliche anderen, ihm vorausgegangenen 
Erlasse, beruht*). 

Neben der thierärztlichen war es auch die landwirthschaft- 
liche Presse, welche in Verbindung mit den Beschlüssen der land- 
wirthschaftlichen Vereine auf Aufhebung des Mindener Erlasses 
mit allen Kräften hinarbeitete. 

Dem Drängen der Landwirthschaft wurde nachgegeben. Die 
Rücknahme des Erlasses erfolgt den 31. Dezember 1891. 

In dem Kampfe gegen den Erlass hat sich recht deutlich 
gezeigt, wie wünschenswerth es ist, nicht nur die bisher gebrauchten 
Bezeichnungen „geniessbar“ etc. fallen zu lassen, sondern auch 
das Wort Perlsucht nicht mehr zu gebrauchen und es durch 
das allein wissenschaftlich richtige Wort Tuberkulose zu ersetzen. 
Obwohl Dr. Ostertag, wie aus seiner Opposition und aus seinen 
eigenen Worten hervorgeht, den Mindener Erlass sehr gut ver¬ 
standen hat, obwohl er sagt: 

„Der Mindener Erlass verlangt die Behandlung aller mit Perlsucht 
behafteten Rinder als einer minderwerthigen Waare** und „derselbe würde 
bei allgemeiner Durchführung den Ruin der deutschen Landwirthschaft herbei¬ 
führen“, „es fehle jede gesetzliche Grundlage, den Deklarationszwang für das 
Fleisch sämmtlicher mit Tuberkulose behafteter Rinder, also auch derjenigen 
zu verlangen, welche nur unerhebliche Grade dieser Krankheit aufweisen,“ 

so thut er*) doch, als habe er den Erlass anders aufgefasst und 
räth, den Erlass nur wörtlich zu befolgen, 

„indem nur diejenigen Thiere als unter diese Verfügung fallend zu be¬ 
trachten seien, welche mit Perlsucht d. h. Serosentuberkulose behaftet sind. 
Alle anderen Tuberkulosefälle sind nach wie vor nach Massgabe der Min.- 
Verfügung vom 15. September 1887 zu behandeln, welche die Ueberweisung des 
Fleisches lokaltuberkulöser Thiere auf die Freibank im Einzelfalle „in das Er¬ 
messen des Sachverständigen“ stellt.“ „Aus dem absichtlichen Gebrauche des 
archaistischen Wortes „Perlsucht“ in der Mindener Verfügung geht wohl zur 
Genüge hervor, dass die Befunde nicht das Vorkommen „einzelner Perlknoten“, 
sondern, wie es der ursprünglichen Bedeutung des Wortes „Sucht“ entspricht, 
das Vorhandensein zahlreicher Perlen, also ausgebreitete Serosentuberkulose im 
Auge hatte.“ 


Zeitschr. für Mediz.-Beamten. 1892.' Nr. 2, S. 26—37. 

“) Zeitschr. für Mediz. - Beamten. 1891. Nr. 14, S. 392. 

Zeitschr. für Fleisch- und Milchhygiene. 1891. Heft 10, S. 170. 



516 


Dr. Müller: Die Verwendbarkeit des Fleisches etc. 


Am 26. März 1892 erschien der von allen vier Ministem 
Unterzeichnete Erlass, welcher bestimmt: 

„Eine gesondheitssch&dli che Beschaffenheit des Fleisches von perl- 
süchtigem Bindvieh ist der Regel nach dann anznnehmen, wenn das Fleisch 
Perlknoten enthält oder das perlsüchtige Thier, ohne dass sich in seinem Fleische 
Perlknoten finden lassen, abgemagert ist. 

Dagegen ist das Fleisch eines perlsüchtigen Thieres fttrgeniessbar zn 
halten, wenn das Thier gut genährt ist und 

1. die Perlknoten ausscbiesslich in einem Organe vorgefonden werden 
oder 

2. falls zwei oder mehrere Organe daran erkrankt sind, diese 
Organe in derselben Kürperböhle liegen und miteinander direkt oder 
durch Lymphgefässe oder durch solche Blutgefässe verbunden sind, 
welche nicht dem grossen Kreisläufe, sondern dem Lungen- oder dem 
Pfortader-Kreisläufe angehören. 

„Da aber in Wirklichkeit eine perlsücbtige Erkrankung der Muskeln äusserst 
selten vorkommt, da ferner an der Berliner thierärztlichen Hochschule und an 
mehreren preussischen Universitäten in grossem Massstabe Jahre lang fortge¬ 
setzte Versuche, durch Fütterung mit Muskclfleisch von perlsüchtigen Thieren 
Tuberkulose bei anderen Thieren zu erzeugen, im Wesentlichen ein negatives 
Ergebniss gehabt haben, [Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation f. d. 
Med. Wesen vom 1. Dezbr. 1886. Eulenb. Vierteljahrschr. f. ger. Med. Bd. 47. 
S. 307J somit eine Uebertragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuss selbst 
mit Perlkuoteu behafteten Fleisches nicht erwiesen ist, so kann das Fleisch von 
gut genährten Thieren, auch wenn eine der unter Ziffer 1 und 2 bezeiebneten 
Erkrankungen vorliegt, in dor Regel nicht als minderwerthig er¬ 
achtet und der Verkauf desselben nicht unter besondere polizei¬ 
liche Aufsicht gestellt werden. 

Vom national-ökonomischen Standpunkteist es wünschenswerth, 
derartiges Fleisch, welches einen erheblich höheren Nährwerth, als dasjenige 
von alten, abgetriebenen und magern pp. Rindern hat, dem freien Verkehr zu 
überlassen und zwar um so mehr, als eine gleichmässige Beurtheilung solchen 
Fleisches aller Orten mit Rücksicht auf die zur Zeit nur mangelhafte Fleisch- 
schau in vielen Gegenden und bei dem Mangel jeglicher Fleischscbau in einem 
grossen Theile des Landes nicht möglich ist. Solches Fleisch ist daher in Zu¬ 
kunft dem freien Verkehr zu überlassen, in zweifelhaften Fällen wird die Ent¬ 
scheidung eines approbirten Thierarztes einzuholcn sein.“ 

„Ob das Fleisch von perlsüchtigem Vieh für verdorben zuierachten 
ist und der Verkauf desselben gegen die Vorschrift des §. 367 Ziffer 7 des 
Strafgesetzbuches oder gegen die Bestimmungen des Nahrungsmittelgesetzes vom 
14. Mai 1879 (R.-G.-Bl. p. 145) verstösst, fällt der richterlichen Entscheidung 
anheim.“ 

Somit erklärt obiger Erlass das Fleisch kranker Thiere, die 
noch nicht abgemagert sind und lokalisirte Tuberkulose zeigen, 
dem Fleische gesunder Thiere gleich und den Genuss desselben 
für nicht gesundheitsschädlich. Dass der Nährwerth solchen 
Fleisches ein recht guter sein mag und dass bei dieser Verfügung 
die Interessen der Landwirthschaft gewahrt und befördert werden 
ist unbestritten. Ob Gleiches aber auch in Bezug auf die Interessen 
der Konsumenten behaui)tct werden kann, ist eine andere Frage, 
die auf Grund der Ergeltnisse der zu diesem Zwecke angestellten 
Thierexperimente, auf Grund der Erfahrungen und Beobachtungen 
der Forscher und Autoritäten auf diesem Gebiete und auf Grund 
der Beschlüsse von Versammlungen Sachverständiger und der inter¬ 
nationalen Kongresse der Hygieniker beantwortet werden soll. 

(Fortsetzung folgt.) 



Einige Taxingen. 


617 


Einige Taxfragen. 

a. Amtsärztliche Atteste für Staatsbeamte. 

Die nachstehende Entscheidung des Herrn Finanzministers*) 
verdient allen beamteten Herren Kollegen bekannt g'egeben zu 
werden, weil sie voraussichtlich in der Frage, ob die Physiker 
verpflichtet sind, auf behördliche Aufforderung Staatsbeamte auf 
ihren Gesundheitszustand und auf ihre derzeitige Dienstbrauchbar¬ 
keit von Amts wegen ohne besonderes Entgelt zu untersuchen und 
zu begutachten, von entscheidender Bedeutung sein dürfte, um so 
mehr, als der Anspruch auf Honorirung der geforderten amtsärzt¬ 
lichen Dienstleistung vom Eönigl. Finanzministerium rückhaltlos 
anerkannt wird. In dem vorliegenden Falle handelte es sich 
um die Erstattung eines, wie es in der Requisition lautete, ein<' 
gehenden motivirten Gutachtens über den Gesundheitszustand und 
die Dienstfahigkeit des Geh. Kanzlei-Sekretärs 0. Das für dieses 
Gutachten liquidirte Honorar wurde an erster Stelle zunächst mit 
Hinweis auf die Ministerial-Verfügung vom 12. April 1860 abge¬ 
lehnt, auf eine erneute Vorstellung jedoch und auf nachdrückliche 
Befürwortung der unmittelbar Vorgesetzten Behörde, dem Eönigl. 
Polizei - Präsidium, vom Herrn Finanzminister zur Auszahlung an¬ 
gewiesen. 

Dass die Begutachtungen dieser Art, wie sie von den Me¬ 
dizinalbeamten von den verschiedenen Behörden eingefordert werden 
nicht in die Kategorie der einfachen Befundscheine (Atteste im 
Sinne des §. 3, Absatz 7 des Gesetzes vom 9. März 1972), welche 
unentgeltlich zu erstatten sind (Minister.-Verfügung vom 12. April 
1860), fallen, sondern wohl ausnahmslos als Gutachten im Sinne 
§. 3, Abs, 6 des Gesetzes vom 9. März 1872 anzusehen sind, hat 
der Kollege Kreisphysikus Dr. Gleitsmann in dankenswerther 
Weise bereits ausführlich dargelegt (cfr. diese Zeitschrift 1892, 
S. 135 ff.). 

Es wird nunmehr Sache der Herren Kollegen sein, von dem 
zugestandenen Recht entsprechenden Gebrauch zu machen und in 
konkreten Fällen sich mit einem erstinstanzlichen ablehnenden 
Bescheid nicht zu begnügen. 

Die betreffende Entscheidung lautet: 

„Berlin, den 18. Ai^st 1892. 

Auf den gefälligen Bericht Tom 6. Mai d. J. benachrichtige ich Ew. Hoch¬ 
wohlgeboren ergebenst, dass die General - Staatskasse hente Anweisung erhalten 
hat, dem Bezirksphysikus Geh. San.-Rath Dr. Baer hierselbst die von ihm für 
die Abgabe eines eingehenden motivirten Gutachtens Uber den Gesundheitszu¬ 
stand des bei dem Finanzministerium angestellten Geh. Kanzlei - Sekretärs 0. 
liquidirten Gebühren mit 9 Mark gegen Quittung zu zahlen. 

Der Finanzninister (gez. im Auftr.: Grandke).“ 

b. Gebühren für die äussere Besichtigung einer Leiche. 

Durch Erkenntniss vom 20. März 1890 hatte das Königliche 
Landgericht zu Köln (vergl, offiziellen Bericht über die Hauptver- 


*) Der Redaktion mitgetheilt von Herrn Bezirksphysikns Geh. San.-Rath 
Dr. Baer in Berlin. 



518 


Mnige Tazfragetl. 


Sammlung des preussischen Medizinalbeamtenvereins für 1891, S. 48) 
bekanntlich entschieden, dass bei „gerichtlichen Obduktionen“, in 
denen nur die „äussere Besichtigung“ der Leiche stattgefunden 
hat und von der „inneren“ Besichtigung aus irgendwelchen Grunde 
Abstand genommen ist, die Obduzenten gleichwohl die volle Ge¬ 
bühr von 12 Mark zu beanspruchen haben. Bei der durch den Kol¬ 
legen Herrn Prof. Dr. Falk auf der letzten Hauptversammlung der 
Medizinalbeamten angeregten Debatte über die Taxe wurde bereits 
von verschiedenen Seiten mitgetheilt, dass der in jenem Erkennt- 
niss aufgestellte Grundsatz nicht überall beobachtet, sondern in 
solchen Fällen häufig nui* die im §. 3, Nr. 2 des Gesetzes vom 9. März 
1872 vorgesehene Gebühr von 6 Mark den Gerichtsärzten zuge¬ 
billigt werde. In gleicher Weise hat die Ferienkammer des König¬ 
lichen Landgerichts in Verden unter dem 22. August d. J. ent¬ 
schieden. Es handelte sich in dem betreffenden Falle gleichfalls 
um eine gerichtliche Sektion, in der nach der äusseren Besichti¬ 
gung die Vornahme der inneren nicht mehr für nöthig erachtet 
war. Gestützt auf das Urtheil des Kölner Landgerichts hatten die 
Obduzenten, Kreisphysikus Dr. Picht in Nienburg und Kreisphys. 
San.-Eath Dr. Huntemüller in Hoya 12 Mark Gebühren bean¬ 
sprucht und diese auch von dem Amtsgerichte erhalten. Gegen 
diese Gebührenfestsetzung erhob jedoch die Staatsanwaltschaft Be¬ 
schwerde und wurde dieser Beschwerde durch nachfolgenden Be¬ 
schluss der oben genannten Ferienkammer stattgegeben: 

„Im §. 3 des Gesetzes vom 9, März 1872 ist unter Nr. 2 fOr die Besieh- 
tigong eines Leichnams ohne Obduktion eine Gebühr von 6 Mark und unter 
Nr. 4 für die Besichtigung und Obduktion eines Leichnams 12 Mark bestimmt. 
Ans der Gegenüberstellung der Worte „Besichtigung“ und „Obduktion“ ergiebt 
sich, dass im Sinne des obigen Gebührensatzes die Obduktion die Besichtigung 
des Leichnams nicht mit umfasst, vielmehr mit der Oeüuung der Leiche (Sektion) 
zu identifiziren ist. Die nur einen geringen Zeitaufwand erfordernde Besich¬ 
tigung soll der Leistung entsprechend mässiger abgegolten werden als die mit 
grösserer Mühewaltung und Zeitversäumniss verbundene Sektion. Gegenüber 
dieser positiven Gesetzesbestimmung kann für die Frage nach der Höhe der Ent¬ 
schädigung der Sachverständigen die Terminologie des Regulativs für das Ver¬ 
fahren der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher 
Leichen vom 6. Januar 1875, nach welchem zur Obduktion auch die äussere Be¬ 
sichtigung der Leiche gehört, nicht in Betracht kommen. 

Da nun vorliegenden Falles die Thätigkeit der beiden Medizinalbeamten 
auf die äussere Besichtigung derselben beschränkt geblieben ist, so können ihnen 
neben den Reisekosten an Stelle der Gebühren von je 12 Mark nur die im Artikel 
I, §. 2, I. 1 A. festgesetzten Tagegegelder von je 9 Mark zugebilligt werden.“ 

Bei den sich vollständig gegenüberstehenden Entscheidungen 
der beiden Landgerichte würde eine Entscheidung in höherer In¬ 
stanz sehr erwünscht sein und ist zu bedauern, dass die betref¬ 
fenden Kollegen gegen das vorstehende Erkenntniss keine Be¬ 
schwerde bei dem Oberlandesgerichte eingelegt haben. 

c. Untersuchungen in der Wohnung des Gerichtsarztes 
oder vorheriges Aktenstudiren behufs Abgabe eines 
mündlichen Gutachtens im Termin. 

Durch Reichsgerichts - Entscheidung vom 19. April 1888 (s. 
Anmerkung aufS. 519) ist entschieden, dass den Medizinalbeamten 



Einige Taxfrageu. 


619 


für die in seiner Wohnung behufs Abgabe eines mündlichen Gut¬ 
achtens etwa vorgenommenen Untersuchungen eine besondere Ge¬ 
bühr zustehe, deren Höhe nach §. 10 des Gesetzes vom 9. März 
1872 zu bemessen sei. Jetzt liegt ein Erlass des Herrn Justiz¬ 
ministers vom 13. Juli 1892 (gez. i. Vertr.: Nebe-Pflug- 
staedt) — I. Nr. 3346 — an sämmtliche Oberlandesgerichtsprä¬ 
sidenten vor, in dem ein völlig entgegengesetzter Standpunkt ein¬ 
genommen wird und die Gewährung einer besonderen Vergütung 
für derartige in der Wohnung empfangenen Vorbesuche als unzu¬ 
lässig erklärt wird. Der Erlass lautet wie folgt: 

„In Folge eines Monitums der Königlichen Ober-Rechnnngskammer ist die 
Frage zu meiner Entscheidung gelangt, 

ob den Medizinalbeamten, als gerichtlichen Sachverständigen, für die 
zur Vorbereitung ihres Gutachtens in ihrer Wohnung empfangenen 
Vorbesuche der Exploranden eine besondere Vergütung zu gewähren ist. 

Diese Frage ist ans folgenden Gründen zu verneinen: 

Der §. 6 des Gesetzes vom 9. März 1872, wonach den Medizinalbeamten 
für einen Vorbesnch eine Gebühr von 3 Mark zusteht, bezieht sich lediglich 
auf Vorbesuche, welche der Medizinalbeamte ausserhalb seiner Wohnnng macht, 
nicht aber auf Vorbesuche, die er in seiner Behausung empftngt. Diese Aus¬ 
legung ergiebt sich ohne Weiteres ans dem Wortlaute des §. 6. Schon der Ge¬ 
brauch des Wortes „Vorbesuch“ an sich — ohne weiteren Zusatz — weist 
darauf hin, dass unter der gemäss §. 6 abzngeltenden Mühewaltung der Medizinal¬ 
beamten nur die von ihnen abgestatteten Vorbesuche verstanden sind. Auch der 
zweite Absatz des §. 6 spricht für diese Auslegung. Denn, wenn er von den 
„auf ausdrückliches Verlangen der requirirenden Behörde gemachten Vor- 
besucben“ redet, so hat er augenscheinlich nur ein an den Medizinalbeamten 
gerichtetes Verlangen im Auge; nach dem sprachlichen Zusammenhang kann 
daher der zweite Absatz nicht auf die von dem Medizinalbcamten empfangenen 
Vorbesuche bezogen werden, und dies rechtfertigt die Annahme, dass der ganze 
Paragraph solche Besuche nicht betrifft. Von dieser Auslegung des §. 6 ist denn 
auch bisher in der Verwaltnngspraxis der betheiligstc Ressorts stets ausgegangen. 

Vergl. die Zirkularverfügnng des Justizministers vom 14. August 
1876 — I 2802 — und den Erlass des Ministers der geistlichen pp. 
Angelegenheiten vom 26. August 1876 (Min.-Bl. f. d. innere Verwal¬ 
tung 1876 S. 190). 

Allerdings wird in dem Buche von Albrecht, Verordnungen und Er¬ 
gänzungen, betr. die Rangverhältnisse u. s. w. (4. Auflage, herausgegeben von 
Becker und Hoffmann) in der Anmerkung 2 zu §. 6 des Gesetzes vom 
9. März 1852 ein Beschluss des Reichsgerichts vom 19. April 1888 angeführt^), 


‘) Das betreffende Urtheil des Reichsgerichts vom 19. April 
1888 lautet wörtlich wie folgt: 

„Das Oberlandesgericht hat mit Recht seiner Entscheidung die Bestim¬ 
mungen des Gesetzes vom 9. März 1872 (Preussische Gesetz-Sammlung S. 265) 
zu Grunde gelegt. Der Ansicht aber, dass nach diesen Bestimmungen der Be¬ 
schwerdeführer für die von ihm acht Tage vor dem gerichtlichen Termin in seinem 
Hause vorgenommene Untersuchung des Klägers neben der Terminsgebtthr eine 
besondere Vergütung nicht beanspruchen könne, war nicht beizutreten. 

Der §. 3 des gedachten Ge-;etzes gewährt den Medizinalbeamten unter 
Nr. 1 für Abwartnng eines nicht über drei Stunden dauernden Termins 6 M. 

Soweit in dem Termine selbst eine Untersuchung oder Besichtigung 
von der Medizinal - Person vorzunebmen ist, erscheint die Liqidation einer be¬ 
sonderen Gebühr dafür ausgeschlossen, weil es sich hier um eine zur Abwartung 
des Termins gehörende und einen Bestandtheil der Terminsabwartnng bildende 
Thätigkeit handelt. Hat dagegen der Sachverständige ausserhalb des Ter¬ 
mins Geschäfte auf Verlangen des Gerichts verrichtet, so muss er nach dem 
im §. 378 der Civilprozessordnung ausgesprochenen allgemeinen Grundsätze, wie 
nach den speziellen Vorschriften der Gebührenordnung für Sachverständige und 
des Preussiscben Gesetzes vom 9. März 1872 für solche Geschäfte und die damit 



520 


Sinige TasAragen. 


welcher angeUioh die «ntgegengesetzte Ansicht Msspiiobt. Dieses Zitat giebt 
iedoch den Inhalt des geda^ten Beschlasses anrichtig wieder. Denn letzterer 
billigt die Gebühr von 3 Mark für einen von dem Medizinalbeamten empfan¬ 
genen Vorbesnch keineswegs anf Grand des §. 6 zu, lässt vielmehr die An¬ 
wendbarkeit dieses Paragraphen ansdrücklich dahingestellt and stützt die Zn- 
billigtmg des Betrages von 8 Mark, als einer den konkreten Umständen ange¬ 
messenen Vergütung, auf den §. 10 des Gesetzes vom 9. März 1872. 

Allein aach die Anwendung des §. 10 kann als gerechtfertigt nicht er¬ 
achtet werden. Denn dieser Paragraph enthält überhaupt keine eigentliche 
Taxvorschrift, welche gemäss §. 18 der Gebührenordnung für Zeugen- und Sach¬ 
verständige vom 30. Juni 1878 seitens der Gerichte zur Anwendung zu hringea 
wäre. Auch bezieht sich der §. 10 nor auf solche Fälle, für welche das Oes^ 
vom 9. März 1872 eine ihrem Satze nach unbestimmte Gebühr vorschreibt, ent¬ 
hält aber nicht die Ermächtigung, für Geschäfte, welche als solche im Gesetze 
nicht ansdrücklich erwähnt sind, eine Gebühr nach arbiträrem Ermessen fest- 
zusetzen. 

Vergl. Bescheid des Ministers der geistlichen pp. Angelegenheiten 
vom 12. November 1878 (Min. - Bl. für d. i. Verw. 1874 S. 12). 

Kann daher weder auf Grund des §. 10 des Gesetzes vom 9. März 1872 
den Medizinalbeamten ffir die von ihnen empfangenen Vorbesnebe eine Gebühr 
zugebilligt werden, so lässt sich andererseits auch nicht der §. 8 der Qehühren- 
ordnung hir Zeugen and Sachverständige vom 80. Juni 1878 heranziehen, um die 
Gewährung einer angemessenen Vergütung für den in Bede stehenden Fall zu 
begründen. 

Noch §. 13 der angeführten Gebührenordnung sollen, soweit für gewisse 
Arten von Sachverständigen besondere Taxvorschriften bestehen, lediglich 
diese Taxvorschriften zur Anwendung kommen. Eine kumulative Gewährung 
von Sachverständigengebtihren sowohl auf Grund der Gebührenordnnng, als auch 
auf Grund der besonderen Taxvorschriften ist somit der Regel nach ausge¬ 
schlossen. Nur soweit eine Tbätigkeit von Sachverständigen in Frage stemt, 
welche von den für sie geltenden Taxvorschriften überhaupt nicht in ihren 
Bereich gezogen wird, ist die Gewährung einer Vergütung nach §. 3 der Ge¬ 
bührenordnung an sich für statthaft zu erachten. Allein diese Ausnahme kann 
schon um deswillen gegenüber den Medizinalbeamten nicht Platz greifen, weil 
dieselben gemäss dem Eingang des §. 3 des Gesetzes vom 9. März 1872 nach 
den dort bestimmten Sätzen 

„für alle von Gerichten oder anderen Behörden ihnen anfgetragenen 
Geschäfte“ 

zu liquidiren haben, die Sätze dieses Gesetzes also ausdrücklich als für alle 
gerichtlichen Medizinalgeschäfte ausscliliesslich massgebend erklärt werden. Aber 
auch abgesehen hiervon muss jene Ausnahme vorliegend als ausgeschlossen gelten, 
weil ihre Voraussetzung im üebrigen nicht zutrifft. Die Taxvorschriften des 
Gesetzes vom 9. März 1872 umfassen nämlich insofern auch den Empfang von 
Vorbesuches in der Wohnung des Medizinalbeamten, als die im §. 3 unter Nr. 6 
bestimmte Gebühr für die Erstattung eines schriftlichen Gutachtens über den 
körperlichen oder geistigen Zustand einer Person zogleich die Taxe für den 
Empfang von Vorbesuchen in sich schliesst, denn es wird als Regel unterstellt 


verknüpfte Zcitversäumniss besonders entschädigt werden. Im vorliegenden 
Falle ist nun von dem Prozessgerichte dem Kläger die Anweisung ertheilt, sich 
vor dem Terminstage bei dem Beschwerdeführer zum Zwecke seiner Unter¬ 
suchung zu melden, und Letzterer zu dieser Untersuchung aufgefordert, damit 
aber deutlich zu erkennen gegeben, dass eine Tbätigkeit neben und ausserhalb 
der Terminsabwartung von dem Beschwerdeführer verrichtet werden sollte. 

Der Anspruch des Beschwerdeführers auf Vergütung für diese besondere 
Tbätigkeit stellt sich darnach als gerechtfertigt dar, und auch der beanspruchte 
Satz von 8 M. ist nicht zu beanstanden. Denn wollte man auch mit dem Vor¬ 
derrichter annchmen, dass der §. 6 des zitirten Gesetzes nur auf die vom Medi- 
zinalbeamtcn gemachten, nicht auch anf die in seiner Behausung empfan¬ 
genen Vorbesuche zu beziehen sei, so würde sich doch jener Satz nach § 10 des 
Gesetzes rechtfertigen, da mit Rücksicht anf die Schwierigkeit des Geschäfts 
und den zur Ausrichtung desselben erforderlich gewesenen Zeitaufwand Bedenken 
gegen die Angemessenheit des liquidirten Betrag nicht obwalten können.“ 




BinigQ Taxfrageo. 


621 


werden dttrfen, daas der Erstattnng des erforderten Gutachtens eine Unter* 
sochnng der Person vorangehen muss. Da nun das Gesetz vom 9. Hirz 1872 
in §. 6 nnr flr den Fall, dass zn dieser Untersuchung besondere Yorbesuche 
nothwendig waren, eine weitere Gebühr neben der des §. 3 Nr. 6 gewährt, so 
folgt daraus, dass, abgesehen von diesem besonderen Falle, die Gebühr des §. 3 
Nr. 6 zugleich die Gebühr für die vorgängige Untersuchung weit umfasst. Dies 
wird auch noch dnrcdi den zweiten Absatz der Nr. 6 bestätigt, demzufolge die 
httheren Sätze der im ersten Absatz bestimmten Gebühr insbesondere dann za 
bewilligen sind, wenn die Untersuchung die Anwendung schwierig zu hand¬ 
habender Instrumente oder Apparate erforderte. Sonach wird die Untersuchung ' 
des Exploranden bei Gelegenheit von Vorbesuchen, die der Medimalbeamte in 
seiner Wohnung empfängt, durch die Gebühr für ^e Abgabe des demnäebstigen 
schriftlichen Guuchtens mit abgegolten. 

Die Gewährung einer besonderen Vergütung hierfür auf Grund des §. 3 
der Gebührenordnung ist daher ausgeschlossen. Das gleiche muss gelten, wenn 
der Medizinalbeamte nach empfangenem Vorbesnch des Exploranden und der 
hierbei stattgehabten Untersuchung derselben demnäcdist sein Gutachten mündlich 
in dem Termine zu Protokoll giebt und hierfür die Gebühr des §. 3 Nr. 1 des 
Gesetzes vom 9. März 1872 erhält. 

Hiernach suche ich Ew. Hochwohlgeboreu dafür Sorge zu tragen, dass 
bei der Prüfung der von den Medizinalbeamten eingereichten Liquidationen durdi 
den dazu bestimmten Beamten (Nr. 64 Abs. 1 der Etats-Instruktion) und bei 
Prüfung der von den Gerichtskassen einzui^eichenden Beläge bei der Justiz 
Hanptkasse (§. 109 der Kassen-Instruktion) die im Vorstehenden dargelegte 
Auffassung zur Geltung gebracht und nöthigenfalls im Beschwerdewege weiter 
verfolgt wird. Etwa über die Fr^e ergehende Entscheidungen des Oberlandes¬ 
gerichts oder des Beichsgerichte sind mir abschriftlich einznreichen.“ 

Wenn in dem vorstehenden Ministerialerlasse ausgeführt wird, 
dass in der betreifenden Reichsgerichts-Entscheidung die Anwen¬ 
dung des §. 10 des Gesetzes vom 9. März 1892 für Vorunter¬ 
suchungen in der Wohnung des Sachverständigen mit Unrecht 
herangezogen sei, so ist diese Ansicht völlig zutreffend. Dagegen 
kann der von dem Herrn Justizminister eingenommene Standpunkt, 
dass die Anwendung der Gebührenordnung für Zeugen und Sach¬ 
verständige vom 30. Juni 1878 bei Festsetzung der Gebühren für 
Medizinalbeamte für alle Fälle ausgeschlossen sei, nicht beige¬ 
pflichtet weiflen. Als das Gesetz vom 9. März 1872 erlassen wurde, 
gab es bekanntlich noch keine „mündlichen“ Gutachten der Ge¬ 
richtsärzte, sondern es wurden stets schiiftliche Gutachten einge- 
tordert; bei diesen wird jedoch, wie auch der Ministerialerlass mit 
Recht ausführt, die für etwaige Untersuchungen in der Wohnung 
des Sachverständigen erwachsene Thätigkeit bei der Bemessung 
der Gebühr für das schriftliche Gutachten mit in Anrechnung ge¬ 
bracht. Hätten wir damals bereits das mündliche Verfahren vor 
Gericht gehabt, so würde sicherlich auch im §. 3 des Gesetzes 
eine Position für die vor dem Termin erforderlichen Untersuchungen, 
Aktenstudium u. s. w. vorgesehen sein, daraus aber, dass eine 
solche jetzt fehlt, den Schluss ziehen zu wollen, dass der Medi¬ 
zinalbeamte für derartige Geschäfte überhaupt keine Gebühren 
beanspruchen könne, erscheint ebenso ungerechtfertigt, wie die An¬ 
sicht, dass diese Thätigkeit durch die Terminsgebühr mit abge¬ 
golten würden, analog der Gebühr bei schriftlichen Gutachten. 
Gerade in dieser Hinsicht setzt sich der Ministerialerlass mit dem 
Erkenntniss des Reichsgerichts in direktem Widerspruch; denn 
hier wird ausdrücklich anerkannt, dass Geschäfte ausserhalb 



522 


Kleinere Mittheilongen und Referate ans 2^it8chriften. 


des Termins besonders entschädigt werden müssen. Eine kumu¬ 
lative Gewährung von Sachverständigen-Gebühren kommt in dem 
vorliegenden Falle gar nicht in Frage, sondern nur die Gewährung 
von Gebühren für eine Thätigkeit, für welche in den geltenden 
Taxvorschriften ans dem vorerwähnten Grunde keine besondere 
Position ausgeworfen und deren Vergütung nach Massgabe des 
§. 3 der Gebührenordnung zu bemessen ist. 

Der Herr Justizminister scheint, wie aus dem Schlusssatz 
seines Erlasses hervorgeht, nicht zu erwarten, dass sich die Me¬ 
dizinalbeamten bei der von ihm dargelegten Auffassung beruhigen 
werden, und hat daher angeordnet, dass etwa über die Frag ^ er¬ 
gehende Entscheidungen der Oberlandesgerichte wie des Reichs¬ 
gerichts ihm sofort einzureichen sind. Derartige Entscheidungen 
dürften nicht lange auf sich warten lassen; denn hier gerade er¬ 
scheint eine richterliche Entscheidung in höchster Instanz drin¬ 
gend erwünscht. Hoffentlich fällt derselbe aber zu Gunsten der 
Medizinalbeamten aus. 


Kleinere Mittheiiungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin. 

lieber die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei An¬ 
wendung des Chloroforms und anderer Inhalations • Anaesthetica. Von 
Dr. Passet, Privatdozent in München. Münchener medizinische Wochen¬ 
schrift; Nr. 32, 1892. 

Die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes bei An¬ 
wendung der Inhalations - Anaesthetica ist gerade in der jüngsten Zeit vielfach 
erörtert werden (vergl. z. B. die Arbeiten von Born träger. Kühner und 
Hanke 1), so dass auf diesem Gebiete kaum etwas Neues gebracht werden kann 
und thatsächlich auch von Passet nicht gebracht wird. Nach einer kurzen 
Besprechung der üblen Zufölle bei der Ghloroformnarkose und der Ursachen des 
Chloroformtodes — unrichtige Art der Anwendung des Chloroforms, ungenügende 
Reinheit desselben und herabgesetzte Widerstandsfähigkeit des Kranken (Alko¬ 
holismus, fettige Herzdegeneration) — erwähnt Verfasser die von verschiedenen 
Seiten (Heinecke,Kocher, sowie von einer Kommission der Pariser Akademie) 
aufgestellten Vorsichtsmassregeln für die Chloroformnarkose, denen er sodann 
von ihm auf Grund eigner und fremder Erfahrung zusammengefasste Regeln an- 
schliesst, die im. Wesentlichen mit den von Hankel gemachten Rathschlägen 
(s. Referat darüber in Nr. 14 S. 368 der Zeitschrift) übereinstimmen. Eine Ver¬ 
antwortlichkeit des Arztes wiU er nur gelten lassen bei Verstössen gegen folgende 
Grundregeln: 

1. Vor jeder Narkose ist eine genaue Untersuchung des Patienten und be¬ 
sonders seiner Cirkulations- und Respirationsorgane vorzunehmen. 

2. Man lasse das Chloroform nur gehörig mit Luft vermischt inhaliren. 

3. Man sistire die Inhalation des Anaestheticums beim Eintritt der 
Toleranz oder von Störungen der Respiration und Cirkulation. 

4. Cirkulation nnd Respiration sind während der Narkose unan^esetzt zu 
beobachten nnd bei etwaigen Störungen die zweckmässigsten Mittel mit Be¬ 
sonnenheit nnd Energie anznwenden. Bei eintretenden Todeserscheinnngen ist 
nicht zu früh mit der künstlichen Respiration und anderen Wiederbelebungs¬ 
versuche anfznhören. 

5. Während der Magenverdanung ist in der Regel weder Chloroform noch 
Aether zu verabreichen; vor der Narkose sind beengende Kleider und falsches 
Gebiss zu entfernen. 

6. Man verwende kein Anaestheticum, von dem man weiss oder nach 
grober Untersuchung wissen könnte, dass es verunreinigt ist. 



Kleinere Mittheilongen ond Referate ans Zeitschriften. 


623 


Passet räth endlich, wenn irgend möglich, die Narkose nicht ohne Ge- 
httlfen Yorznnehmen und äossert sich betreffs der Frage, wer bei Assistenz die Ver¬ 
antwortung zn tragen habe, ob der Operateur oder der Narkotiseur dahin, dass 
dieselbe dem letzteren allein zufalle, falls dieser ein approbirter Arzt sei; dass 
dagegen der-Operateur die Verantwortung allein übernehmen müsse, falls er die 
Narkose einem medizinisch nicht Gebildeten (Krankenwärter, Bader u. s. w.) 
überlasse. Für den Fall jedoch, dass ein noch nicht approbirter Mediziner 
assistire, theile der Operateur mit diesem die Verantwortung. Rpd. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Ueber die Toberkulin-Behandlung tuberkulöser Meerschweinchen. 
Von Prof. Dr. S. Eitasato. Ans dem Institut für Infektionskrankheiten zu 
Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; XII., 8. 

Eitasato, der geniale Mitarbeiter Koch’s, dessen Ausscheiden aus dem 
Institut für Infektionskrankheiten und dessen Rückkehr in seine japanische 
Heimath in Deutschland wohl allerwärts lebhaftes Bodanem erregt hat, veröffent¬ 
licht hier die Krankengeschichten von 50 Meerschweinchen, welche theils aus¬ 
schliesslich mit Tuberkulin, theils gleichzeitig mit pikrinsanrem Natron behandelt 
wurden. Die Resultate — um dies von vornherein festzustellen — sind ver- 
hältnissmässig recht günstige, auf jeden Fall sehr viel günstigere, als die früher 
von Pfuhl berichteten (cfr. Referat in Nr. 2., 1892 dieser Zeitschrift). Freilich — 
so hoch gespannte Ansprüche, wie sie im Beginn der Tuberkulin - Aera gestattet 
schienen, darf man auch anKitasato’s Resultate nicht stellen! Von den öOThieren 
sind eine ganze Anzahl interkurrenten Krankheiten, namentlich einer infektiösen 
Pneumonie, welche mit der Tuberkulose ausser Zusammenhang steht, erlegen. 
An Tuberkulose sind 17 gestorben, öThiere waren, als Eitasato seinen 
Artikel schrieb, über 7 Monate nach der Infektion noch am Leben, 
während mit Reinkulturen in gleicher Weise geimpfte, aber nicht behandelte 
Meerschweinchen ausnahmslos innerhalb 11 Wochen starben! Diese fünf Thiere, 
bei denen das Impfgeschwür längst vollständig verheilt ist, deren früher stark 
geschwollene Lympbdrüsen nicht mehr palpabel sind, die ständig an Gewicht 
zunehmen und bei denen in Folge dessen schon seit dem 1. Januar 1892 die 
Behandlung ausgesetzt war, kurz die völlig wieder den Eindruck von normalen 
Thiercn machen, hat Koch am 20. Januar von Neuem mit Tnberkelknltnren ge¬ 
impft. Ohne jede weitere Behandlung gestaltete sich der Verlauf dieser zweiten 
Infektion folgendermassen: Nach einigen Tagen zeigte sich die Umgebung der 
Impfstelle in der Grösse eines Markstückes stark geschwollen und hart infiltrirt. 
Die infiltrirte Stelle war durch eine blass gelbbraune Färbung gegen die röth- 
lich gefärbte Umgebung scharf abgegrenzt. Nach einer Woche stiess sich diese 
infiltrirte Partie spontan ab, um eine frisch ausseheude granulirende Wundfläche 
zurückzulassen. Diese ist von selbst innerhalb zwölf Tagen nach der Impfung 
völlig verheilt, was sonst nie vorkommt. Eine weitere Folge hat diese zweite 
Infektion nicht gehabt, nicht einmal die näcbstliegeuden Lympbdrüsen sind dabei 
angeschwollen. Das Gewicht der Thiere hat ununterbrochen bis heute zn- 
genommen. 

Eitasato schliesst ans diesen Versnchseigebnissen, dass, wenn es gelingt, 
ein Thier mittelst Tuberkulin von Tuberkulose zu heilen, dass dann für dieses 
Thier eine zweite Infektion innerhalb einer gewissen Zeit unschädlich ist, mit 
anderen Worten, dass unter diesen Umständen das Tuberkulin in der That die 
von Koch behauptete, dann aber von Pfuhl fallen gelassene immunisirende 
Wirkung besitzt. 

Uebrigeus konnte Eitasato bei mehreren der an Pneumonie verendeten 
Thiere weit vorgeschrittene Heilnngsvorgänge nnd Narbenbildungen nicht nur 
in Leber nnd MUz, sondern auch in den Lungen nachweisen, so dass er, eben¬ 
falls im Gegensätze zu P f u h 1, auf das Bestimmteste eine günstige Beeinflussung 
auch der Lungentuberkulose durch das Tuberkulin behauptet. 

Dr. Langerhans-Hankensbüttcl. 


Heilversuche an tetannskranken Thieren. Von Dr. Eitasato. 
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten zn Berlin. Zeitschrift für Hygiene 
nnd Infektionskrankheiten; XU., 8. 

Die in dieser Arbeit niedergelegten Versuchsreihen sind bestimmt zur Ver- 



524 


Kleinere MittheilongeD und Referate aas Zeitsdiriften. 


YoUständiguDg and Ergänzung von Heilversachen, welche Eitaaato in Gemein¬ 
schaft mit Behring an tetanasinfizirten Mäusen mit dem Blnteemm kflnstlich 
immunisirter Kaninchen angestellt hatte. Kitasato versuchte dieses Mal, die 
Infektion seiner Mäuse und Meerschweinchen der natürlichen Tetanosintektioo, 
wie sie beim Menschen vorkommt, möglichst ähnlich zu gestalten. Er ver¬ 
wendete also nicht Reinkulturen lebender Tetanusbazillen, sondern Holzsplitter, 
welche mit Tetanus • Sporen imprägnirt waren. Nicht nur die Art der Infektion, 
sondern auch die erzeugte Krankheit wird so dem menschlichen Tetanus viel 
ähnlicher; namentlich ist bis zum Ausbruch der tetanischen Symptome ein etwa 
248tUndige3, ausgesprochenes Inkubationsstadium vorhanden, welches bei der 
Verwendung von Reinkulturen fehlt. Das Heilserum wurde einem tetanns- 
immnnisirten Pferde entnommen. Die Heilung gelang mit voller Sicherheit in 
allen Fällen, wenn ein genügendes Quantum Heilflüssigkeit verwendet wurde. 
Je früher nach der Infektion die Behandlung eingeleitet wird, um so weniger 
Serum ist zur Heilung erforderlich, so zwar, dass 15 Standen nach der Infektion 
0,001 ccm. Serum einer Maus intraperitoneal verabreicht, zum Schatz genügt, 
während beim Beginn der Behandlung 24 Standen nach der Infektion alle Mäuse 
starben, die weniger als 0,4 ccm erhidten hatten; 48 Standen nach der Impfung 
genügte 1 ccm, täglich verabreicht nur, um die Hälfte der Mäuse zu retten. 
Die Resultate mit Meerschweinchen stimmen vollstämlig hiermit überein. Auch 
hier genügte bei Vorbehandlung vor der Infektion eine sehr kleine Menge Serum 
(0,1 ccm), während bei bereits ausgebrochenem Tetanus grössere Mengen (nicht 
unter 4 ccm) erforderlich waren, dann aber auch in jedem Falle Heilung brachten. 

_ Ders. 

Zur Frage der Identität von Varizellen und Pocken. Von Dr. M. 
Frejer, Kreis-Physikus und Dirigent der Königl. Impfanstalt zu Stettin. 
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Xn., 3. 

Zur Entscheidung der namentlich im Aaslande viel ventilirten Frage nach 
der Identität oder Verschiedenheit der beiden genannten Infektionskrankheiten 
impfte F r e y e r ein Kalb mit dem gesammelten Inhalt von Varizellen - Bläschen, 
ohne jedoch an den Impfstellen charakteristische Eruptionen zu erhalten. Da- 
g^en erwies sich das Kalb bei der nach 8 Tagen vorgenommenen Impfung mit 
Vaccine für diese empfänglich und lieferte eine reiche Ernte an Pockenstoff. 

Das negative Resultat der Impfung und das Ausbleiben der Immunisirung 

S egen die Vaccine, zugleich mit Beobachtungen an Impflingen, welche weder 
urch Varizellen gegen Vaccine, noch umgekehrt durch Vaccine gegen Varizellen 
immunisirt werden, veranlasst Frey er für die, in Deutschland auch wohl all¬ 
gemein angenommene generelle Verschiedenheit von Varizellen einerseits und 
Variola, bezw. Vaccine andererseits einzutreten. Dem. 

Heber die Noib Wendigkeit und die beste Art der Sputum -Des¬ 
infektion bei Lungentuberkulose. Von Dr. Martin Kirchner, Stabsarzt, 
^tschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; XU., 8. 

Verf. empfiehlt seinen bereits früher beschriebenen, dem Soxhlet’schen 
nachgebildeten Apparat zur gleichzeitigen Sterilisirung von je 10 Speigläsem. 
Die Handlichkeit und Billigkeit (25 Mark), vor Allem aber die grosse Zuver¬ 
lässigkeit, mit der die Tödtung der Tuberkelbazillen erreicht wird, lassen dem 
Apparat namentlich für Krankenhäuser vorzüglich geeignet erscheinen und hima 
gegen die Vorzüge desselben der von anderer Seite erhobene Vorwurf des 
häufigen Springens der Gläser nicht in Betracht kommen, zumal durch zweck¬ 
mässige Auswahl des Glases und durch geeignete Behandlui^, welche zu schroffen 
Temperaturwechsel verhütet, der Bruch sehr erheblich (bis auf 5 Proz.) herab¬ 
gesetzt werden kann. Das Prinzip, die Speigläser nicht durch Auswaschen und 
nicht durch Chemikalien, sondern durch Hitze zu steriiisiren, ist auf jeden Fall 
das richtige. _ Ders. 

Die wichtigsten Grundsätze für den Betrieb von Wasserwerken 
mit Sandflltration, um in Cbolerazciten Infektionsgefahren thunlichst auszu- 
schliessen. Znsammengestellt im Kaiserlichen Gesundheitsamte. 

1. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass das zur Entnahme dienende Ge¬ 
wässer (Fluss, See und dergleichen) soviel als möglich vor Verunreinigung durch 



Kleinere Mittheilongen und Referate aus Zeitschrifteu. 


525 


menschliche Abgänge geschützt wird; namentlich ist das Anlegen von Fahr¬ 
zeugen in der Nähe der Entnahmesielle zu verhüten. 

2. Da die Sandlilter ein vollkommen keimfreies Wasser nicht liefern, 
sondern ihre Leistungsfähigkeit im Zurückhalten der Mikroorganismen, auch der 
Cholerakeime, nur eine beschränkte ist, darf der Anspruch an die Filter nicht 
über ein bestimmtes Mass hinaus erhöht werden. 

3. Die Filtrationsgeschwindigkeit darf 100 Millimeter in 
der Stunde nicht überschreiten. 

4. In solchen Orten, wo der Wasserverbrauch so hoch ist, dass die hier¬ 
nach zulässige Filtergeschwindigkeit überschritten wird, muss alsbald für Abhilfe 
gesorgt werden. Dies geschieht entweder durch Einschränkung des Wasserver¬ 
brauchs, in welcher Hinsicht die Einführung von Wassermessem für die einzel¬ 
nen Häuser zu empfehlen ist oder durch Vergrösserung der Filterfläche bezw, 
Neuanlage weiterer Sandtilter. 

5. Undurchlässig gewordene Filter dürfen nur soweit abgetragen werden, 
dass eine Sandschicht von mehr als 30 cm Stärke zurückbleibt. 

6. Das erste, von einem frisch angelassenen bezw. mit frischer Sandschicht 
versehenen Filter ablaufende Wasser ist, weil bakterienreich, nicht in den 
Reinwasserbehälter bezw. in die Leitung einzulassen. 

7. Die Leistung der Filter muss täglich durch bakteriologische Unter¬ 
suchungen überwacht werden. Erscheinen im Filtrat plötzlich grössere Mengen 
oder ungewohnte Arten von Mikroorganismen, so ist dass Wasser vom Verbrauch 
auszuschliessen und Abhilfe zu schaffen. Es empfiehlt sich sogar, das Filtrat 
eines jeden einzelnen Filters gesondert zu untersuchen. 

8. Die sorgfältige Beobachtung vorstehender Erfahrungssätze setzt die 
Gefahr des Uebertritts von Cholerakeimen in das Leitungswasser auf ein mög¬ 
lichst geringes Mass herab, wie dies neuerdings durch das Beispiel von Altona 
im Vergleich zu Hamburg in grossem Massstab erwiesen worden ist. 

Die Heilanstalten des Deutschen Reiches nach den Erhebungen 
der Jahre 1886, 1887 und 1888. I. Abtheilnng: Die allgemeinen 
Krankenhäuser. Medizinal - statistische Mittheilungen aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamte. Berichterstatter: Regierungsrath Dr. Rahts. Verlag von 
Julius Springer-Berlin. 1892. (Fortsetzung.) 

Diphtherie: Bis zum Jahre 1887 hatte die Häufigkeit der Diphtherie 
in den allgemeinen Krankenhäusern des Reiches stetig zugenommen, erst im 
Jahre 1888 wurde eine Abnahme festgcstellt und zwar von 2l,9^/oo auf 19,2®/oo 
aller Krankheit^sfälle. Eine Abnahme war schon 1886 in Berlin, Hamburg, Bayern, 
Sachsen, Württemberg und von Preussen für Pommern und Brandenburg 
bemerkbar. Eine Zunahme wurde u. a. in Hannover, Eisass - Lothringen, 
Braunschweig und Baden beobachtet. — Im Ganzen gingen den allgemeinen 
Krankenhäusern 39082 Diphtheriefälle zu. Am häufigsten kam die Krankheit 
nach den Ergebnissen der Heilanstaltsstatistik, wie in den Jahren vorher so auch 
während der Berichtszeit, in der norddeutschen Tiefebene zwischen 
Ems und Oder namentlich im Flussgebiet der Elbe zur Beobachtung und 
zwar wurden die höchsten Erkranknngsziffern einerseits nordöstlich der Elbe in 
Mecklenburg, Schleswig-Holstein und benachbarten Gebieten, auch in der Mark 
Brandenburg, vor Allein in Berlin, andererseits westlich der Elbe, in Oldenburg, 
Hannover, Anhalt und in den sächsischen Ländern festgestellt. Sowohl in Süd¬ 
deutschland als auch im Osten des Reiches, Posen, Schlesien, Ost- und West- 
preus.sen sind weit weniger Diphthericd’älle den allgemeinen Krankenhäusern zu¬ 
gegangen. Auch Bremen war fortgesetzt weniger betroffen, namentlich im Ver¬ 
gleich zu seinen Nachbargebieten Oldenburg und Hannover. 

Von den in den allgemeinen Krankenhäusern des Reiches während der 
drei Jahre verpflegten 89 082 Diphtherie - Kranken starben: 9137 = 23,4 
Von diesen Todesfällen kamen 2i 33 auf Berlin, 971 auf das König¬ 
reich Sachsen, 767 auf Hamburg, In diesen letzteren drei Gebieten ist die 
Diphtherie besonders schwer aufgetreten, mehr als Vs der Fälle endete tödtlich. 
Eine hohe Sterblichkeit war ausserdem noch in Eisass - Lothringen und Ost- 
preussen, eine auffallend niedrige u. a. in Württemberg (4,3 Vo) tmd Bayern (9,6 Vo)* 

Croup, welcher wahrscheinlich nicht überall streng von der Diphtherie 
geschieden wird, ist mit 2178 Fällen verzeichnet, von denen 874 (40 °/o) dem 
Tode endeten. 



526 


Kleinere Mittheilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


Im Anschluss an Diphtherie und Cronp empfiehlt es sich noch, die Hftofi^- 
keit der Mandel- and Bachenentzündnng in den allgemeinen SLranken- 
häusem zu betrachten. Die aufTällig niedrige Verhältnissziffer in Bayern, 
Württemberg und Baden lässt yermutben, dass in diesen Ländern die Bezeich¬ 
nung: ,)Diphtherie*^ enger gefasst wird; dieses ist um so wahrscheinlicher, als 
gerade aus diesen Ländern doppelt so viel Fälle von Mandel- und Rachen- 
entzündung in den Heilanstalten behandelt worden sind, als anderswo. — Fasst 
man das Ergebniss aller dieser Erwägungen zusammen, so kommen wir zu folgen¬ 
dem Schlüsse: Selten war sowohl Diphtherie und Croup, wie auch Mandelent¬ 
zündung im östlichen Preussen (üstpreussen, Posen, Westpreussen) und in Eisass- 
Lothringen, häufig im mittleren Deutschland. In Süddeutschland entspricht einem 
selteneren Auftreten der Diphtherie ein um so häufigeres Vorkommen der „Mandel- 
und Rachenentzündung". 

Puerperalfieber ist am häufigsten, während des Jahres 1886 beob¬ 
achtet worden. Von den insgesammt zugegangenen 1264 Fällen dieser Krank¬ 
heit entfielen 501 auf die Krankenhäuser Berlins und der Rheinprovinz. Von 
je 1000 weiblichen Kranken litten während der drei Berichtsjahre im Deutschen 
Reiche: 2,2 bezw. 1,8 an Kindbettfieber. 

Unterleibstyphus und gastrisches Fieber waren nicht selten. 
Im Ganzen litten daran 3^/^ aller behandelten Kranken und schwankte diese 
Verhältnissziffer zwischen 1,2 im Staate Bremen und 8,7 in Hamburg bezw. 9,0 
in Lippe - Detmold. In dem Krankenhause des Fürstenthumes Waldeck ist in den 
3 Jahren kein Typhus-Fall vorgekoramen. Verhältnissmässig die meisten Fälle 
von Unterleibstyphus und gastrischem Fieber kamen, abgesehen von einigen 
wenig besuchten Krankenhäusern, im Staate Hamburg zur Krankenhausbehand¬ 
lung, dann in Schleswig-Holstein, Pommern, Ostpreussen, Sachsen-Meiningen, 
Oldenburg und Mecklenburg. Ara seltensten waren die betr. Leiden in Bremen, 
Hessen, Bayern, Berlin und Hessen - Nassau. — Eine stetige Abnahme an 
typhösen Erkrankungen war in Bayern, Pommern, Oldenburg, Eisass - Lothringen 
zu verzeichnen. — Die Sterblichkeit der Typhuskranken war niedriger als im 
vorigen Berichtszeiträume; es starben von 100 männlichen Kranken 11,7, von 
100 weiblichen 12,3. Die Fälle von gastrischem Fieber, von denen 1,63 tödtlich 
endeten, sind hierbei nicht in Rechnung gezogen. 

Flecktyphus. Mit dieser Kraukh dt gingen im Ganzen 476 männliche, 217 
weibliche Personen zu, daninter 62 den Privatanstalten. Von der Gesammt- 
summe entfielen 230 auf Westpreussen, 108 auf Mecklenburg-Schwerin, 76 auf 
Schlesien, 67 auf Braunschweig, 62 auf die Provinz Sachsen, 39 auf Posen, 
36 auf Ostpreussen und nur 75 auf alle übrigen Theile des Reiches. Am 
häufigsten war die Krankheit ira Jahre 1887. Es starben 137 Personen, also 
fast 19®/o der an Flecktyphus erkrankten Personen. 

Rückfallfieber kam nur während des Jahres 1886 in grösserer Ver¬ 
breitung vor, hauptsächlich im äussersten Osten des Reiches. Im Jahre 1886 
gingen 298 Personen mit Rückfalltieber zu, in den Jahren 1887 und 1888 
147 Fälle, von welchen 110 auf die Provinz Posen entfielen. Die Letalität 
war eine geringe, 8 Personen (also 1,8 ®/o) starben. 

Epidemische Genickstarre: 410 männliche und 217 weibliche 
Kranke wurden aufgenommen. Von der Gesammtzahl kamen 128 auf Schlesien, 
109 auf Bayern, 82 auf Berlin, Im Jahre 1888 war die Krankheit seltener als 
in den Vorjahren. Von 100 abgelaufenen Fällen von Genickstarre haben 40 
mit dem Tode geendet; im Ganzen starben 176 männliche und 74 weibliche 
Personen. 

Hitzschlag führte 298 Mal zur Aufnahme in ein Krankenhaus, darunter 
sind 54 weibliche Personen. In Süddeutschlaiid scheint Hitzschlag häufiger 
zu sein, doch trat der Hitzschlag hier anscheinend leicht auf, da z. B. in Bayern 
nur 3, in Württemberg 0 Fälle zum Tode geführt haben. Im ganzen Reiche 
sind 26 Personen (4 weibliche) in den Krankenhäusern am Hitzschlag gestorben, 
darunter 13 im Jahre 1886. 

Wechselfieber ist von Jahr zu Jahr weniger beobachtet worden, 
kaum 3 von je 1000 Krankheitsfällen betrafen das Wechselfieber. Wie früher 
waren die am meisten betroffenen Gebiete; die Flussgebiete der Weichsel, Oder 
und deren grosse Nebenffüsse, sowie einzelne Gebiete am Nordseestrande und 
an der Ostsee (Haffgegenden). — Die Letalität war 0,66 ®/o. 

Ruhr war bei 785 männlichen und 337 weiblichen Patienten konstatirt 



Kleinere Mittheilongen and Referate aas Zeitschriften. 


527 


worden, von denen 162 (13,5 <*/o) starben. Am häafigsten waren RahrfUIle in 
Schlesien, Berlin and Posen; die meisten im Jahre 1886. 

Asiatische Cholera: Je ein vereinzelter Fall ist 1886 ans einem 
schlesischen Krankenhaus and 1887 aas einer Anstalt Württembergs gemeldet; 
der erstere endete tödtlich. 

Brechdurchfall and Kinderdiarrhoe. 2122 Fälle vonBrechdnrch- 
fall and 2091 von Kinderdiarrhoe sind vorgekommen mit 592 bezw. 899 Todesfällen. 
Die höchste Kindersterblichkeit war im Jahre 1886; etwa ‘/g der Erkrankungen 
an Brechdurchfall entfiel auf das männliche Geschlecht. Hauptsächlich kam der 
Brechdurchfall in den Krankenhäusern Berlins (576), Schlesiens (131) und Bayerns 
(356) zur Behandlung. — Mehr als 80 °/o der an Diarrhoe erkrankten Kinder und 
ca. 76®/o der Todesfälle entfielen auf das Königreich Preussen und hier wiederum 
die meisten — 706 Erkrankungen und 366 Todesfälle — auf die Stadt Berlin. 

Das Katarrhfieber oder die (nicht epidemische) Grippe ist 4032 Mal 
zur Behandlung gekommen und zwar von Jahr zu Jahr in zunehmender Häufigkeit. 
Zum Tode führte sie in 10 vereinzelten Fällen. Am häufigsten war Katarrh¬ 
fieber in den Krankenhäusern der Mark Brandenburg. 

Rheumatisches Fieber bezw. fieberhafte Erkrankungen an Muskel- 
rhenmatismus; 9126 Fälle sind in Zugang gekommen, von denen 28 tödtlich 
verliefen. Weitaus die meisten derartigen Erkrankungen finden sich in den 
Krankenhäusern der süddeutschen Staaten; dort sind 60,8% aller Fälle mit 
rheumatischem Fieber beobachtet worden. 

Akuter Geleukrheumatismus: Diese Krankheitsform, die wegen 
ihrer naclitheiligen Folgen, namentlich in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit be¬ 
sonders gefürchtet ist, and die verwandte Gicht zeigten hinsichtlich der 
Häufigkeit ihres Vorkommens gewisse von Jahr zu Jahr gleichbleibende be- 
merkenswerthe Unterschiede. Es lassen die Unterschiede im Vorkommen der 
Vermuthung Raum, dass die Empfönglichkeit der Bevölkerung für diese Krank¬ 
heiten von örtlichen Einflüssen bezw. Lebensgewohnheiteu abhängig ist. Es 
gehen nämlieh den Heilanstalten Suddeutschlands verhältnissmässig mehr Krank¬ 
heitsfälle zu, als denen Norddentschlands; eine Ausnahme bilden in Norddeutsch¬ 
land das Königreich Sachsen und Bremen. Die niedrigsten Ziffern fanden sich 
in Schleswig-Holstein (4,7), Schlesien (6,0), Hannover (7,2), Posen (7,6), West¬ 
falen (8,2), Ostpreussen (9,4). — Die Gicht allein kam am meisten in den 
bayerischen Heilanstalten vor, woselbst genau die Hälfte aller im Deutschen 
Reiche bei männlichen Personen beobachteten Fälle behandelt worden ist. Tödtlich 
endete die Gicht bei 125 weiblichen und 49 männlichen Personen, d. h. in 8 
bezw. 2% der abgelaufenen Fälle. — Der akute Gelenkrheumatismus 
war fast überall häufiger beim männlichen als beim weiblichen Geschlechte; im 
Ganzen sind 18455 männliche und 12517 weibliche Personen daran behandelt 
worden. Nur 0,75 ’/n der Gesammtzahl endeten mit dem Tode; doch dürfte die 
eigentliche Sterbeziffer höher sein, da in vielen Fällen der Tod einer der Folge¬ 
krankheiten zur Last gelegt worden ist. 

Blntarmuth ist vorwiegend beim weiblichen Geschlechte zur Beob¬ 
achtung gekommen; die meisten waren Fälle von „Bleichsuiht“, während nur 
wenige Fälle und zwar die tödtlich verlaufenen der „perniziösen Anaemie“ an¬ 
gehörten. Blutarmuth als Krankheit führten am häufigsten in Württemberg, 
Bayern und Baden zur Aufnahme in ein Krankenhaus, viel seltener im König¬ 
reich Preussen; hier war das Leiden in den Krankenhäusern Schlesiens am 
häufigsten, in denen Posens und Ostpreussens am seltensten. Im Laufe der 
Berichtszeit und gegenüber den Vorjahren ist das Leiden in den allgemeinen 
Krankenhäusern von .Jahr zu Jahr häufiger geworden. 

Leukaemie kam im Ganzen 608 Mal in Zugang und verlief 159 Mal 
tödtlich. 

Pyaemie kam 1918 Mal — Jahr für Jahr in ziemlich gleicher Zahl — 
zur Beobachtung und führte in 79 % zum Tode. Verhältnissmässig häufig zeigte 
sie sich in Mecklenburg-Schwerin. 

Hospitalbrand kam 15 Mal ganz vereinzelt vor und veranlasste 

7 Mal den Tod der Befallenen. 

Wuthkrankheit: 4 Fälle wurden im Königreich Sachsen, 2 in 
Ostpreussen, je einer in Hamburg und Hessen - Nassau beobachtet. Sämmtliche 

8 Fälle verliefen tödtlich. 



528 


Kleinere Mittheilnngon nnd Eeferato ans Zeitschriften. 


Milzbrand; 85 männliohe nnd 23 weibliche Kranke^ von demn 70 
auf das Königreich Preussen entfielen. Die Sterblichkeitsziffer betrug 22 •= 26 

Botzkrankheit kam im Ganzen bei 5 Personen vor, Todesfälle sind 
nicht zu verzeichnen. 

Trichinose wurde bei 174 Personen festgestellt; mehr als die Hälfte 
sämmtUcher Krankheits* nnd fast sämmtlicher Tode^älle entfallen auf die 
Hamburger Heilanstalten. Im Königreich Preussen war Westpreussen mit 20 
Fällen am stärksten betroffen, ein Todesfall ist hier jedoch nicht vorgekommen. 

Andere thierische Parasiten (ausschliesslich Krätze) worden in 
6063 Fällen diagnostizirt, am häufigsten in Württemberg, Baden und Bayern. 
Die Zahl der Erkrankungen hat stetig abgenoinmen. Nimmt man an, dass vor¬ 
zugsweise Bandwurmleiden unter dieser Krankheitsnummer eingetragen sinc^ so 
sind dieselben in den eben genannten Ländern des Deutschen Reiches am meisten 
verbreitet gewesen. Der Tod wurde durch diese Krankheitsform 43 Mal (0,7*^/o 
der Fälle) bedingt. 

Tuberkulose und Lungensch windsucht müssen zusainmengefasst 
werden, da eine Trennung «lieser beiden Begriffe nicht überall und nicht immer 
nach gleichen Gesichtspunkten durchgetührt wurden ist. Im Ganzen litten rund 
40 von je 1000 Krankenhausinsassen au dieser Krankheit, und zwar 43,2 von je 
1000 männlichen und ctw'a 34,3 von je 1000 weiblichen Kranken. Das Leiden 
führte in fast der Hälfte (48,5‘^/o) der behandelten Fälle zum Tode, es starben 
daran 36921 Personen, d. h. weit mehr als au irgend einem andern Leiden. Von 
je 100 Todesfällen in den allgemeinen Krankenhäusern waren 24,5 durch 
Tuberkulose veranlasst. Die Verbreitung der Krankheit nahm im Allgemeinen 
wieder mit der Diehtigkeit der Bevölkerung zu. Der relativ stärkste Zugang, 
mehr als 52 auf je lOOü Krankheitsfälle, wurde einerseits in Berlin und Hamburg, 
andererseits auch in dem dichtbevölkerten Königreich Sachsen beobachiet; die 
wenigsten derartigen Kranken kamen in den beiden Grossherzogthümern Mecklen¬ 
burg in Zugang, wo auch auf den qkm. die wenigsten Einwohner kommen. — 
Innerhalb Preusseus war der geringste Zugang in Ostpreiissen (26,7‘^/oo), der 
stärkste in Rheinproviuz und Westfalen. Eine ausnahmsweise hohe Ziffer (53,8) 
findet sich für Tuberkulose im Grossherzogthum Oldenburg. 

Skrophul ose ist ais besondere Kraukheitsfonn am häufigsten in den 
Kraukenhäusern der westlichen Provinzen des Preussischen Staates einschliesslich 
Hannover vorgekommen. Im Laufe der Berichtszeit ist die Kra.»kheit von Jahr 
zu Jahr seltener geworden; fast überall war sic häufiger beim weiblichen als 
beim männlichen Geschlechte. 

Rhachitis und Osteomalacie: Mit diesen Krankheiten gingen 3392 
Personen zu und zwar etwas mehr weibliche als männliche. Die Zahl der 
Todesfälle belief sich auf 259 — 7,7 ®/o der abgelaufenen Krankheitsfälle. 

Zuckerkrankheit: 793 männliche, 275 >veiblichc Kranke, 22,5^/o 
Todesfälle. 

Skorbut: 380 männliche, 116 weibliche Personen. Das Leiden war am 
häufigsten in den zum Tlieil von Seoschiffern besuchten Krankenhäusern zu 
Hamburg und Bremen. Im Ganzen 51 Todesfälle. 

Bösartige Neubildungen gehen seit dem Jahre 1883 den allß:e- 
meineu Kraukenhäusern in stetig zunehmender Häufigkeit zu. Von 1883—18SS 
ist die Zahl derartiger Krankheitsfälle um ca 44^/o gewachsen; in der Berichu- 
zeit endeten 26,5'Vo der Erkrankungen iin Kraukenhause mit dem Tode. Von 
je 1000 Krankheitsfällen entfielen auf bösartige Neubildungen, bei weiblichen 
Personen 35,3, bei männlichen 12,7. 

Venerische Krankheiten: Hierunter werden zusammengefasst: Go¬ 
norrhoe, primäre S3"philis und konstiuitionellc Syphilis. Nicht weniger als 44744 
männliche und 40954 weibliche Personen waren während der Berichtszeit an diesen 
Krankheiten behandelt worden. Auf je 1000 Krankheitsfälle kamen in sämiiUlichcu 
allgemeinen Kraiikenbäiiserii bei männlicben Personen etwa 37, bei weiblichen Per¬ 
sonen etwa 62 Fälle von venerischen Leiden. Auf die konstitutionelle Syphilis ent¬ 
fielen überhaupt 11854 bezw. 14 491 und auf die Gonorrbue 18639 bezw. 13471 
Fälle. — Das Verhältniss zwischen konstitutioneller Syphilis und den andern 
beiden Krankheitstörmen unterlag in den einzelnen Gebietstheilou nicht uner¬ 
heblichen Schwankimgen. So kamen auf je 100 Fälle von venerischen Leid^ 
in Braunschweig 21, in Preussen kamen 25, in Württemberg und Berlin 32, in 
Bayern 38,7, im Königreich Sachsen 45,7, in den kleineren mitteldeutschen 



Kleinere Mittheilungen und Referate auB Zeitschriften. 


529 


Staaten 55 Fälle von konstitutioneller Syphilis. Im Verhältniss zur Gesammt- 
zahl der Krankheitstalle in den allgemeinen Krankenhäusern war die Zahl der 
venerischen Krankheiten am beträchtlichsten in Hamburg (91,4 ®/oq) und Berlin 
(H2,8), Lübeck (77,7), dann Braunschweig (77,8), Eisass-Lothringen (72,1), 
Königreich Sachsen (67,5), Ostpreussen (66,5), am geringsten in Westfalen 
(9,4), Oldenburg (12,0), Mecklenburg-Strelitz (15,9). Die Ausnahmestellung, 
welche nach Vorstehendem Westfalen und Oldenburg einnehmen, wird zum Theil 
dadurch erklärt, dass hier die Zahl der öffentlichen Anstalten, denen solche 
Kranke hauptsächlich zugehen, im Vergleich zu den Privatanstalten gering ist. 

Mit Gonorrhoe und primärer Syphilis kamen im Allgemeinen mehr männ¬ 
liche als weibliche Personen in Behandlung; an konstitutioneller Syphilis sind dagegen 
meistens mehr weibliche als männliche Personen behandelt worden. Die Gesammt- 
zahl der Krankheitsfälle ist in den ersten beiden Jahren ziemlich gleich ge¬ 
wesen; sie hat sich aber im letzten Berichtsjahre plötzlich erhöht und zwar im 
Königreich Preussen um 1885 Kranke. 

Chronischer Alkoholismus und Säuferwahnsinn ist in den 
allgemeinen Krankenhäusern während des Berichtszeitraumes häufiger als in den 
3 Jahren vorher zur Behandlung gekommen und zwar 32833 männliche und 
1984 weibliche Kranke; es sind im letzten Zeiträume (1886—1888) 8408 oder 
jährlich 28(X) Personen mehr als in demselben Zeitabschnitte vorher mit Alko¬ 
holismus zugegangen. Auf je 1000 Krankheitsfälle bei männlichen Personen 
kamen damals 22,5, jetzt 27,0 Fälle von Alkoholismus. Es besteht somit kein 
Zweifel, dass das Leiden unter derjenigen Bevölkerungsklasse zugenommen hat, 
welche die Krankenhäuser vorwiegend aufsucht. Indessen liefern die in den 
allgemeinen Krankenhäusern gewonnenen Zahlen kein vollständiges Bild über das 
wirkliche Vorkommen der Krankheit, weil grundsätzlich nur eine Krankheit ein¬ 
getragen wird und der Alkoholisraus die Ursache für viele Leiden abgiebt, die 
bei der Aufnahme mehr in den Vordergrund treten. — Die meisten Fälle von 
chronischem Alkoholismus, mehr als 50 pro mille aller Krankheitsfälle, sind bei 
männlichen Personen beobachtet in Brandenburg (ausschliesslich Berlin), Posen, 
Pommern, Westpreussen, Schleswig-Holstein, Hamburg; die wenigsten in Bayern, 
Baden, Württemberg, Eisass - Lothringen. Die dreijährige Berichtsperiode lässt 
gegenüber der unmittelbar vorausgegangenen Periode nicht nur im Ganzen, 
sondern auch in den einzelnen Gebieten fast überall eine erhebliche Zunahme 
der Fälle von Alkoholismus erkennen. — Die Sterblichkeitsziffer der an Alkoho¬ 
lismus behandelten Personen war im Durchschnitt 4,6 ®/o unter den weiblichen 
Kranken, deren Zahl weitaus geringer ist, war die Sterblichkeit etwas höher, 
etwa 6,8 

Andere chronische Vergiftungen kamen bei 4649 männlichen 
und 446 weiblichen Personen zur Behandlung, im Ganzen 2,7®/oo der in Zugang 
gestellten Personen. Mehr als die Hälfte der Fälle entfiel auf die Kranken¬ 
häuser Berlins, Schlesiens, der Provinz Sachsen und der Rheinprovinz und ist an¬ 
zunehmen, dass die in den letzteren Provinzen besonders entwickelie Bergwerks¬ 
und Hüttenindustrie mit der hohen Zahl der chronischen Vergiftungsfälle in 
Verbindung steht, insofern cs sich hierbei nm chronische Metallvergiftungen ge¬ 
handelt hat. 93 Todesfälle = 1,8 "^/o. 

Allgemeine Entkräftung: 5333 Fälle kamen in Zugang, verhältniss- 
mässig öfter in Privatanstalten als in öffentlichen Anstalten. 16'^/o der Fälle 
starben. 

Fasst man die Gesammtzahl der Infektions- und allgemeinen Krankheiten 
zusammen, so ergiebt sich, dass mehr als der fünfte Theil (22,3 ®/o) aller abge¬ 
laufenen Krankheitsfälle auf diese Gruppe entfällt. Rechnet man den heutigen 
Anschauungen gennis.s auch die Lungenschwindsucht zu den Infektionskrankheiten, 
so hat der vierte Theil (25,8%) aller Krankenhausinsassen an Infektions- und 
allgeinciiien Krankheiren gelitten. Von allen in den Krankenhäusern vorge¬ 
kommenen Todesfällen waren bei männlichen Personen 48,5 ®/o, bei weiblichen 
48,8% durch Krankheiten dieser Gruppe, einschliesslich Lungenschwindsucht, 
verursacht. 

HI. Krankheiten des Nervensystems. 

Hierzu gehören insbesondere Geisteskrankheiten, Hirn-und Hirnhautentzün¬ 
dung, Hirnschlagfliiss, Epilepsie und Rückenmarkskrankheiten. Während der drei 
Berichtsjahre sind 104018 Patienten behandelt worden, von denen 98181 neu 



530 


Tagesnacbrichten. 


in Zngang gekommen sind. Die Krankheiten des Nervensystems kommen immer 
häufiger zur Behandlung; denn von jo 1000 Krankheitsfällen entfielen seit 1882 
auf diese Gruppe nacheinander: 46,8 — 48,4 — 49,3 — 50,8 — 51,3 — 53,0 — 52,6. 

Geisteskrankheiten: Trotzdem fUr die Internirung geisteskranker 
Personen überall Irren-, Heil- und Pflegeanstalten zur Verfügung stehen, ist 
doch eine grosse Zahl von Geisteskranken in den allgemeinen Krankenhäusern 
behandelt worden und zwar entfiel t,07^/o der Gesammtkrankenzahl auf Geistes¬ 
kranke. Es gingen den Anstalten 6538 — 6743 — 6893 Patienten zu. Fast 
überall war die Zahl der männlichen Kranken überwiegend, die Sterblichkeit 
unter den Geisteskranken betrug kaum 4,8 ®/o. 

Hirn- und Hirnhautentzündung: 3062 männliche und 1523 weib¬ 
liche Kranke gingen zu, der Tod erfolgte in 65®/o der Fälle. — Mit Apoplexia 
cerebri wurden 4693 männliche und 3896 weibliche Kmuke aufgenommen, von 
denen 4372 starben. — Von 6544 ,anderen Krankheiten des Gehirns“ 
endeten 1457 mit dem Tode. 

Epilepsie: 10381 Kranke, darunter 3361 weibliche; von je 1000 Kranken 
5,2 Fälle von Epilepsie. Am häufigsten war das Leiden in den Krankenhäusern 
Berlins (bei 9,5®/oo der abgclaufenen Fälle), Westfalens (8,9), Brandenburgs 
(7,9), Ostpreussens (7,2). 

Eklampsie: 1134 Kranke, darunter 601 männliche; es hat sich also 
weniger um Eklampsie der Wöchnerinnen als um Eklampsie der Kinder ge¬ 
handelt. Es starben 14®/o, das Leiden hat von Jahr zu Jahr abgenommen. 

Trismus und Tetanus war eine verhältnissmässig seltene Krank¬ 
heitsform. Von 559 derartigen Kranken entfielen 81 auf Bayern, 53 auf Berlin, 
89 auf Schlesien u. s. w. Das Leiden ist noch seltener als in den früheren 
Jahren gewesen. Letalitätsziffer bei männlichen 67®/o, bei weiblichen 50®/o. 

Chorea: 1548 Kranke, darunter 1032 weibliche Personen. Mehr als Ve 
der Gesamm'zahl sind aus Berlin gemeldet. 

Bücken markslei den: 7209 Patienten, darunter 5016 männlichen Ge¬ 
schlechts und 1248 Todesfälle. Verhältnissmässig häufii; beobachtet in Elsi^s- 
Lothringen, Hessen, Sachsen - Weimar und Sachsen - Meiningen. 

„Andere Krankheiten des Nervensystems“, hierbei war nament¬ 
lich das weibliche Geschlecht vertreten; von 1000 männlichen Kranken litten 
etwa 16, von 1000 weiblichen fast 27 an diesen Krankheiten, zu welcher wohl 
auch die Hysterie gerechnet werden darf. (Schluss folgt.) 

Dr. Israel-Medenau (Ostpr.). 


Tagesnachrichten. 

Die von den politischen Blättern vor Kurzem gebrachten Mittheilungen 
über eine anderweitige Organisation des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes (Loslösung desselben von dem Reichsamt des Innern und unmitrelbare 
Unterstellung unter den Reichskanzler sowie Ausdehnung der verwaltungs- 
raä.ssigen Befugnisse) scheinen zuverlässigen Nachrichten zu Folge auf einem 
Irrthum zu beruhen. Die zur Zeit in dieser Hinsicht schwebenden Verhand¬ 
lungen betreffen lediglich eine anderweite räumliche Unterbringung des Ge¬ 
sundheitsamtes, da die Räume des gegenwärtigen Dienstgebäudes sich den stetig 
wachsenden Anforderungen gegenüber als absolut unzulänglich erwiesen haben, 
so dass schon wiederholt Räumlichkeiten zugemiethet werden mussten. Voraus¬ 
sichtlich wird sich schon der nächste Reichstag mit einer Vorlage betreffs Er¬ 
werbs eines Bauplatzes zu beschäftigen haben. 

Cholera. Die in der letzten Nummer der Zeitschrift ausgesprochene 
Erwartung, dass die Epidemie in Hamburg sehr bald vollständig erlöschen 
werde, scheint thatsächlich in Erfüllung zu gehen; denn die Zahl der Erkrankungen 
hat von Tag zu Tag immer mehr abgenommen. Nach den Mittheilungen des 
statistischen Bureaus in Hamburg, das die bisherige Ziffer einer nochmaligen 
genaueren Revision unterzogen hat, betrug die Zahl der 

Erkrank- Verstor- Erkrank- Verstör¬ 
ten: benen: ten: benen: 

bis zum 20. August 85 36 am 22. August 200 70 

am 21. „ 83 22 „ 23. „ 272 111 



Tagesnachrichten. 


531 


Erkrank- Verstor- Erkrank- Verstor- 





ten: 

benen: 


ten; 

benen: 

am 

24. August 

865 

114 am 

17. Septbr. 

338 

117 

n 

25. 

fl 

671 

192 

18. , 

222 

110 

w 

26. 

fl 

996 

317 

19. „ 

233 

110 

n 

27. 

fl 

1102 

455 

20. , 

217 

87 

V 

28. 

fl 

1028 

428 

21. „ 

198 

79 

V 

29. 

fl 

980 

393 

22. „ 

171 

65 

71 

30. 

fl 

1081 

484 

23. , 

158 

67 

7) 

31. 

fl 

857 

395 

24. „ 

126 

38 

n 

1. 

Septbr. 

842 

894 

25. , 

95 

39 

7» 

2. 

fl 

810 

479 

26. „ 

78 

33 

fl 

3. 

fl 

780 

440 

27. „ 

82 

42 

fl 

4. 

fl 

679 

293 

28. „ 

74 

23 

fl 

5. 

fl 

680 

281 

29. „ 

49 

20 

fl 

6. 

fl 

490 

258 

30. , 

63 

15 

fl 

7. 

T» 

422 

225 

1. Oktbr. 

41 

23 

fl 

8. 

fl 

350 

157 

2. „ 

26 

12 

fl 

9. 

fl 

402 

155 

3. „ 

48 

9 

fl 

10. 

fl 

439 

178 

4. „ 

30 

11 

fl 

11. 

fl 

354 

160 

5. » 

21 

8 

fl 

12. 

fl 

384 

142 

6. „ 

24 

4 

fl 

13. 

fl 

293 

129 

7. , 

12 

2 

fl 

14. 

fl 

314 

103 

8. „ 

14 

5 

fl 

15. 

fl 

314 

141 

9. , 

21 

4 

fl 

16. 

fl 

397 

141 

10. „ 

7 

5 






Zusammen: 

17871 

7572 = 








42,3«/,. 

Nach Wochen znsammengestellt betrug die Zahl der 







Erkrankungen. 

Todesfälle. 

in der ersten Woche vom 

14.—20. August 

85 


36 

fl 

zweiten 

fl fl 

21.-27. „ 

3688 


1281 

fl 

dritten 

fl fl 

28. Aug. bis 3. Sept 6378 


3013 

fl 

vierten 

» fl 

4.—10. Septbr. 

3362 


1547 

fl 

fünften 

fl fl 

11.-17. „ 

2394 


923 

fl 

sechsten 

fl fl 

18.-24. , 

1326 


546 

fl 

siebenten 

fl fl 

25. Sept. bis 1. Oktbr. 472 


195 

fl 

achten 

fl fl 

2.—8. Oktober 

170 


51 


Yon den bis znm 17. September verstorbenen 7112 Personen standen 
im Alter bis 1 Jahr: 438 


über 

1 

bis 5 

Jahren: 724 

fl 

5 

, 15 

, 578 

fl 

15 

, 25 

, 1051 

fl 

25 

» 50 

„ 2801 

fl 

50 

» 70 

, 1233 

fl 

70 


„ 287 


In Altona sind vom 28. September bis 10. Oktober nnr noch 52 Personen 
an der Cholera erkrankt nnd 44 gestorben, so dass die Gesammtziffer seit dem 
Ansbmch der Epidemie auf 616 Erkrankungen mit 310 = 50 <*/« Todesfällen be¬ 
trägt. Seit Anfang Oktober sind täglich nur noch 1—2 Erkrankungen vor¬ 
gekommen. 

lieber die sonstige Verbreitung der Cholera im Deutschen Reiche giebt 
die nachstehende, nach den Mittheilungen des Reichsgesundheitsamtes aufge¬ 
stellte Uebersicht Aufschluss. Demnach sind bis zum 1. Oktober 


erkrankt gestorben 

in Berlin 33 15 

im Reg.-Bez. Potsdam 77 45 

„ Frankfurt a. 0. 6 3 

„ Stettin 95 62 

Uebertrag 211 125 



53ä 


TageyuachrichUin. 


erkrankt 
Uebertrag 211 


gestorben 

125 


im Regierungs-Bez. Stralsund 

2 

2 

rt 

Köslin 

3 

2 

yt 

Posen 

1 

1 


Bromberg 

2 

1 


Oppeln 

3 

1 

n 

Magdeburg 

23 

15 

» 

ScUeswig (incl. Altona) 

1001 

520 

Ti 

Hannover 

6 

1 

Ji 

Hildesheim 

6 

3 

n 

Lüneburg 

234 

117 

n 

Stade 

142 

85 


Anrich 

1 

— 

ft 

Osnabrück 

1 

1 

jt 

Minden 

1 

— 

fl 

Düsseldorf 

3 

2 

n 

Koblenz 

12 

6 

im Königreich Preussen 

1652 

882 

n 

Sachsen 

1 

1 

im Grossherzogthum Mecklenburg-Schwerin 

83 

46 

fl 

„ -Strelitz 

12 

6 

Jl 

Oldenburg 

3 

3 

91 

Sachsen-Weimar 

1 

— 

im Herzogthum Brannschweig 

1 

1 

n 

Sachsen-Altenburg 

1 

1 

in der freien Stadt Bremen 

7 

5 


Lübeck 

5 

2 

Deutschen Reich (ausser Hamburg) 

1768 

947 


Das Auftreten der Cholera in den Stromgebieten der Weichsel und des 
Rheins (Dnisburg n. s. w.) hat Veranlassnng gegeben, anch für die Gesund¬ 
heitspflege im Stromgebiete dieser FlHsse Beicbskommissare zu ernennen und 
zwar den Oberpräsidenten von Gossler zu Danzig fQr die Weichsel und den 
Landrath Qescher fttr den Rhein mit dem Amtssitz in Koblenz. Amtliche 
KontrolStationen fttr den Rhein sind in Emmerich, Rnhrort, Dnisburg, 
Dttsseldorf, Köln, Koblenz, St. Goar und Mainz errichtet, für die Weichsel in 
Schilno, Brahmünde, Kulm, Graudenz, Kurzebruck, Picckel, Dirschau. Käsemark, 
Gross-Plehnendorf, Danzig, untere Nogat und Tiegonhof. Fttr den Eibstrom ist 
ferner noch eine X. Ueberweisungsstation in Wittenberg eingerichtet, fttr die Oder 
je eine Station in Schwedt, Kttstrin, Frankfurt a. 0., Fttrstenberg und Landsberg, 
sowie eine Warthe - Kontrolstation und eine Nebenkontrolstation am üeckerkanai. 


In Frankreich tritt die Cholera nur noch vereinzelt auf; dagegen 
scheint sie in den Niederlanden und in Belgien eine grössere Ausbreitung 
zu nehmen: in Rotterdam sind z. B. im September 98 Personen gestorben, in 
Antwerpen 220 erkrankt und 79 gestorben. Die Einschleppung der Seuche hat 
hier von Frankreich aus {Havre und Paris) stattgefunden. Um eine weitere 
Verschleppung der Seuche nach Deutschland zu verhüten, ist durch ministerieller An¬ 
ordnung (s. Beilage S. 147) die Durch-Einfuhr von Leib- und Bettwäsche, gebrauch¬ 
ten Kleidungsstücken u. s. w. aus den Niederlanden verboten worden. In Russ¬ 
land hat die Cholera in den früher verseuchten Gouvernements erheblich an 
Ausbreitung nachgelassen, dagegen ist sie immer weiter nach Westen vorge- 
dmngen und sind jetzt anch die Gouvernements Bessarabien, Mohilew, Grodno, 
Pskow, Kielce verseucht. Die Gesammtzahl der bis zum 5. Oktober im russischen 
Reiche gestorbenen Personen beträgt nach den amtlichen Ermittelungen 250000. 

In Galizien (Krakau u. 8. w.) sind die Cholera-Erkrankungen bisher 
vereinzelt geblieben; dagegen scheint die Seuche in Pest eine grössere Aus¬ 
breitung zu nehmen, denn die Zahl der Erkrankungen betrug vom ‘;:9. Septbr. 
bis 4. Oktober: 104 mit 36 Todesfällen, am 5. Oktober: 40 mit 17 Todesfällen, 
am 6. Oktober: 51 mit 19 Todesfällen, am 7. Oktober: 36 mit 13 TodesÄllen; 
zusammen 236 Erkrankungen mit 85 Todesfällen. Von Pest ans scheint die 
Cholera bereits nach Szegedin verschleppt zu sein. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.- u. Med.-Rath L Minden i. W. 

J. 0, C. BranSf Bochdnickereli Iflnden, 




5. Jahrg. 


Zeitschrift 

för 


1892. 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San,-Rath u. gerichtl. Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Medixinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medi^inalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Yerlagthandlung und Rud. Mosse 

entgegen. 


No. 21. 


Kniolietiit am 1. and 15. Jeden Monate. 
Preis J&hrUoh 10 Mark. 


1. Novbr. 


Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und 
die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs. 

Vom Geh. San.'Rath Dr. Müller, Kreispbyaikus in Minden. 

(Fortsetzung.) 

Was zunächst die Fütterungsversuche anbelangt, so 
wurden diese ausgeführt bei Thieren mit dem Muskelfleische, den 
tuberkelhaltigen Organen und der Milch tuberkulöser Thiere. Es soll 
nicht bestritten werden, dass die Zahl der negativen Erfolge die 
der positiven übertrclfen mag. Beweist aber ein positiver Erfolg 
nicht weit mehr als eine Menge negativer? Ferner sind von der 
Kritik eine Menge der negativen Versuche ziirückzuweisen. Sollen 
diese Versuche irgend welche Beweiskraft haben, dann ist zu ver¬ 
langen, dass zu den Versuchsthieren nur solche ausgewählt werden, 
welche der Tuberkulose eben so leicht zugänglich sind wie der 
Mensch, aber nicht solche, die als immun sich bewährt haben, wie 
Hunde, Katzen, Vögel, Ratten etc. Galti er’s Fütterungsversuche 
mit rohem Fleisch tuberkulöser Thiere bei Hunden und Katzen*) 
dürften daher wenig beweisend sein. Es ist weiterhin bei der 
Würdigung der negativ ausgefallenen Experimente zu bedenken, 
dass dieselben niclit nach ein und derselben Methode ausgeführt 
worden sind. Viele Forscher haben ganz vergessen, in ihren Be¬ 
richten anzugeben, wie lange sie die Versuchsthiere und mit wie 
viel Fleisch sie dieselben gefüttert haben und in welchem Grade 
der Tuberkulose das Schlachtthier, dem das zu Fütterungen be¬ 
stimmte Fleisch entnommen wurde, sich befand. Meistens ist zu 
diesen Versuchen tuberkelknotenfreies Fleisch tuberkulöser Thiere 
benutzt worden. Sehr häufig ist verschwiegen, wie alt das 
Fütterungs - Fleisch gewesen. Verfüttert man aber abgeschwächte 


') Journ. de med. veteriuaire et de zoulog. 1891 Nr. 1. 







534 


Dr. Müller. 


Bazillen, das heisst solche, die z, B. durch Fäulniss des Fleisches *) 
in ihrer pathogenen Wirkung abgeschwächt sind, dann wird die 
Infektion des Versuchsthieres entweder ganz ausbleiben oder es 
überschreitet doch dieselbe nicht das Gebiet der nächstgelegenen 
Lymphdrüsen. Wesentlich entscheidend für den Erfolg des 
Fütteningsexperimentes ist selbstverständlich die im Fleische ent¬ 
haltene Bazillenmenge. Durch die unter Bollinger’sLeitung 
ausgeführten Versuche Gebhard’s (Virchow, Archiv, Bd. 112, 
p. 127), sowie durch Wyssokowitsch’s Untersuchungen (Vortrag 
in der III. Sektion des internationalen Kongresses; Münchener 
med. Wochenschrift Nr. 41) ist festgestellt, dass der Infektions¬ 
prozess um so sicherer und um so schneller verläuft, je zahlreicher 
die eingeführten Bazillen waren. 

Bei der Injektion mit ausgepresstem Fleischsaft tuberkulöser 
Thiere hat sich herausgestellt, dass die Organe, welche künstlich 
in einen Entzündungszustand versetzt worden waren, (Kästner 
wandte zu diesem Zwecke Ammoniak an), viel schneller und 
sicherer Tuberkelbazillen aufnehmen, als normal beschaffene Organe. 
Gleiches wird auch bei den Fütterungsversuchen sich höchst¬ 
wahrscheinlich heraussteilen*). Bei einem künstlich geschaffenen 
Krankheitszustande des Magens, namentlich bei Veränderung des 
Magensaftes, wird leichter eine Infektion erfolgen. Mit ziemlicher 
Gewissheit lässt sich ferner behaupten, dass eine grosse Zahl der 
negativ ausgefallenen Fütterungsversuche ein positives Resultat 
ergeben haben wüi*de, wenn man die Versuchsthiere länger hätte 
leben lassen und sie statt mehrere Wochen, erst mehrere Monate 
nach dem gemachten Versuch getödtet und untersucht hätte. 

„Die Perlsachtbazillen“, sagt Baumgarten, „wachsen immer relativ 
langsam, was aus dem ausserordentlich chronischen Verlaufe der spontanen Er¬ 
krankung und dem ebenfalls verhältnissmässig, d. h. im Vergleich zu der durch 
Impftuberkelbazillen hervorgebrachtcu Tuberkulose schleppenden Gang der 
Fütterungs - Perlsucht hervorgeht.“ 

Gerlach giebt an*), von 38 Versuchsthieren, die mit rohen 
Tuberkelmassen von tuberkulösen Rindern gefüttert waren, wurden 
35 mehr oder weniger, meist aber in höherem Grade tuberkulös 
befunden. In einer 2. Versuchsgruppe wurden mit rohen Tuberkeln 
von Menschen gefüttert 2 Kaninchen und 2 Schweine. Erstere 
blieben gesund, letztere wurden infizirt. Alsdann erhielten^) 


‘) Fischer (Arch. f. experim. Path. u. Pharmacie Bd. 20) fand bei seinen 
Filtterungsversuchen, dass faulende Tuberkelmasse nur bei wenigen der gefütterten 
Thiere Spuren von Tuberkulose im Darm zeigte; die mit der faulenden Tuberkel- 
llüssigkeit injizirten Thiere blieben sogar gesund. 

*) Nach Johne (Bericht über das Vet.-Wesen in Sachsen 1884) eröffnen 
verschlackte Huttenrauchbestandthcile durch mechan. Verletzung der Schleim¬ 
haut des tractus intestinalis Eingangspforten für die Bazillen. In einem Falle 
war auf diese Weise Tuberkulose des Magens entstanden durch Eindringen der 
in dem verschluckten Kaverneniahalte vorhandenen Bazillen. 

Die Fleischkost der Menschen. Berlin 1875, S. 45. 

♦) Orth, (Experimentelle Untersuchungen über Fütterungstuberkulose. 
Virchow’s Archiv, Bd. 76, 1880) fütterte mit perlsüchtigem Material vom 
Rinde Kaninchen. Von 15 Kaninchen erkrankten 9 an Tuberkulose. 

Nach R. Koch (Mittheilungen des Reichsgesundheitsamtes, II. Band) 
hatten die mit tuberkelkulturhaltigcm Material aasgeführten Infektionsversucbe 
ausnahmslos Erfolg. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


535 


4 Kaninchen von einer sehr tuberkulösen Schweinelunge. Alle 
zeigten bei der Obduktion Tuberkeln. 

In der 3. Gruppe wurden mit rohem Fleische von tuberku¬ 
lösen Kindern gefüttert 10 Ferkel, 17 Kaninchen und 4 Hunde. 
Auch hier zeigten, wie bei früheren Versuchen die Hunde keine 
Infektion. 

„Die Hunde“, sagt Ger lach 1. c., p. 46, „kommen nicht weiter in Be¬ 
tracht, bei ihnen ist noch keine Infektion gelungen; sie sind als immun zu be¬ 
trachten.“ Von den Kaninchen erkrankten 2 tuberkulös, von den 10 Ferkeln 6. 
„Zur Infektion mit Fleisch gehörten immer grössere Quantitäten, weshalb denn 
auch die Infektionen bei den Kaninchen in diesen Versuchen selten gelingen.“ 
„Nach dem Füttern der Tuberkelmaterie erkrankt zunächst die Schleimhaut mit 
dem eingelagerten Drüsenapparate in der Maul- und Kachenhöhle und im Ver- 
dauungskanale, namentlich im Dünndarm, demnächst die entsprechenden Hais¬ 
und Gekrösdrüsen, dann vergeht immer erst einige Zeit — nach intensiver In¬ 
fektion nur einige Wochen, nach schwacher Infektion bis einige Monate —, 
bevor die erkrankten Drüsen der Ansgang zur weiteren Infektion werden und 
so kommt es immer erst später zu artifiziellen Tuberkeln in den Lungen, wie 
auch in anderen Organen.“ 

Förster in Amsterstam*) hat mit fein gehacktem Fleisch 
tuberkulöser Kinder in 7 Versuchsreihen drei Mal positiven Erfolg 
erzielt. 

In ähnlicher Weise wie Gerl ach berichten auch andere 
Forscher über die Infektion vom Darmkanale aus. Cornil*), 
Cornet*), Debroklonski*), Herxheimer und Baum¬ 
garten®) stellten fest, dass die Bazillen die Schleimhaut passiren, 
ohne dass man an ihr oder an dem Epithel irgend welche Verän¬ 
derungen auffiuden kann. Nach Debroklonski findet man die 
Bazillen schon nach kurzer Zeit im Stroma der Zotten, dann sehr 
bald in den Follikeln, schon vom 4. Tage ab in den Mesenterial¬ 
drüsen und vom 15. Tage ab in der Leber. Auch Baum garten 
giebt an, dass nach Fütterungsversuchen entstandene Darmtuberku¬ 
lose ihren Anfang stets in den lymphatischen Follikeln der Darm¬ 
wand nimmt. Aus den Darmfollikeln gelangen die Bazillen mit 
dem Chylusstrome in die Mesenterialdrüsen, von dort zum Theil 
mit dem Pfortaderstrome direkt in die Leber, zum Theil in das 
Stromgebiet der oberen Hohlvene. Bei der durch Verfütterung 
von reichlichen Mengen vollvirulenter Tuberkelbazillen erzeugten 
Darmtuberkulose kommt es zu verhältnissmässig rasclier Verkäsung 
und Schmelzung, so dass schon in 10—12 Wochen deutliche frische 
tuberkulöse Geschwüre in mehr oder weniger grosser Zahl und 
Ausdehnung zu beobachten sind. Wesen er®) meint, bei normalem 
Magensaft und längerer Einwirkung desselben würden die aus¬ 
gebildeten Stäbchen vernichtet und nur die Sporen gelangten in 
den Darm, durch de.ssen Wand sie in die Lymphdrüsen übergehen. 


*) Münchener medizin. Wochenschrift. 1892, S. 342. 

*) Tuberkulose - Kongress zu Paris vom 25.—31. Juli 1888. 

®) Zentralblatt für Tbierärzte. 1889, Nr. 29. 

*) Archiv de m6d. experim. 1890, Nr. 2. 

*) Deutsche medizin. Wochenschrift. 1886, Nr. 2. 

*) Die Uebertragiuig der Tuberkulose durch den Darmkanal. Habilitations¬ 
schrift. Kritische und experimentelle Beiträge zur Lehre von der Fütterungs¬ 
tuberkulose. Freiburg 1885. 



536 


Dr. Müller. 


Bei alkalischer Eeaktion drängen auch die ausgebildeten Bazillen 
durch und es träte dann erhebliche Darmtuberkulose auf, weil die 
Stäbchen in den Follikeln zurückgehalten werden. 

Die Fütterungsversuche sind von einem grossen Theil der 
Forscher nicht mit dem Fleisch tuberkulöser Thiere, sondern mit 
Organtheilen, namentlich der Lunge, dem Gehirn etc. ausgeführt 
worden. Nach Johne erzeugte „die Einverleibung tuberkulöser 
Massen per os oder, wie dies W e s e n e r versucht hat, die direkte 
Einverleibung in den Darm mit Umgehung des Magens (Injektion 
in den Darm von Kaninchen nach vorhergegangener Laparotomie) 
in circa der Hälfte aller Fälle dann Tuberkulose, wenn die Menge 
des Infektionsmaterials eine genügende und die Zeit zur Infektion 
und Sektion keine zu kurz bemessene (1^8—2 Monate) war. Es 
entwickelte sich dann vor Allem eine Tuberkulose der Mesenterial¬ 
drüsen, event. auch des Darmes, der Leber und der Milz, in vielen 
Fällen auch eine allgemeine miliare Tuberkulose. Die Ueber- 
tragung gelang am leichtesten durch Fütterung tuberkulöser 
Organtheile, weniger sicher mit Milch von tuberkulösen Tliieren 
(circa 30 °/o), noch unsicherer mit Fleisch von tuberkulösen Thieren 
(circa 13®/o)*)- Fischer*) fand bei seinen Fütterungsversuchen 
bei Kaninchen, dass schon der einmalige Genuss kleiner Portionen 
frischer Tuberkelmaterie von Kaninchenlunge mit ausnahmsloser 
Konstanz innerhalb 6 — SVs Wochen eine typische Tuberkulose der 
Darmschleimhaut, der Mesenterialdrüsen und der Leber hervorrief*). 

Im Ganzen haben die Injektionen frisch ausgepressten 
Fleischsaftes tuberkulöser Rinder grössere Zahlen . positiver Re¬ 
sultate aufzuweisen, als die Fütterungen der Versuchsthiere mit 
Fleisch. 

„In Bezug auf die Infektiösität des Fleisches tuberkulöser Thiere, sagt 
Bölling er*), haben die damit vorgenommenen Impfversuche zu demEi^ebniss 
geführt, dass derartiges Fleisch in gewissen Fällen, namentlich bei hochgradiger 
und generalisirter Tuberkulose sicher pathogene Eigenschaften besitzt, und dass 
das Stadium und der Grad der Erkrankung dabei eine Rolle spielen, geht daraus 
hervor, dass bei Anwendung derselben Methode in einer grösseren Versuchs¬ 
reihe bei Impfungen mit dem Fleischsaft tuberkulöser geschlachteter Rinder, 
die meist in einem relativ frühen Stadium der Tuberkulose sich be¬ 
fanden, durchweg negative Resultate erhalten wurden, während der Fleischsaft 
von Phthisikern, die ihrem Leiden erlegen waren, konstant positive Resultate 
ergab.“ 

Als bei einer Reihe neuer Versuche Kästner, der bis dahin 
unter Bollinger’s Anleitung diese Experimente angestellt und 


Allgem. patholog, Anatomie von Prof. Dr. Birch-Hirschfeld. 
IV. Aufl. 1889, S. 237. 

Archiv für experim, Patholog. und Pharmacie. Bd. 20. 

Perron cito gelang es weder durch Fütterung von Fleisch, noch durch 
Impfung mit Fleischsaft bei seinen Versuchsthieren (Ferkeln, Kaninchen, Meer¬ 
schweinchen, Hornvieh) Tuberkulose zu erzeugen. Er selbst wirft daher die 
Frage auf: „Wie erklärt sich die Thatsache, dass Schweine, unter den schlech¬ 
testen hygienischen Verliältnissen gehalten, bei einer iufizirten Ernährung immun 
bleiben, während jene, die nie Tuberkclknötchen, noch tuberkulöses Fleisch [auch 
keinen Abfall aus Molkereien?] zu selien bi kommen, einen beträchtlichen Prozent¬ 
satz zum Kontingent der furchtbaren Krankheit liefern.*^ Zentralblatt für 
Bakteriologie und Parasitenkimde ; .Juni 1892, Bd. XI, Nr. 14, S, 430. 

*) L c., S. 115. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


537 


nur negative Erfolge erzielt hatte, nur Fleisch hochgradig tuberku¬ 
lös erkrankter Thiere benutzte, (das Fleisch war frisch und 
zeigte nicht die geringsten makroskopisch sichtbaren 
tuberkulösenVeränderungen) zeigten von 12 Versuchsthieren, 
die mit dem Fleisch von 7 verschiedenen Thieren geimpft waren, 10 
ein positives und nur 2 ein negatives Resultat ^). Auch bei diesen 
Versuchen entscheidet die Menge der übertragenen virulenten Bazillen. 
Das beweist deutlich Galtier’s Versuch. Derselbe hatte, als er 
nur je 4—12 ccm. Muskelsaft von 15 verschiedenen Thieren ein¬ 
gespritzt, nur 2 Mal positiven Erfolg. Als er aber einem der mit 
negativem Resultate eingespritzten Thiere später 12 ccm. Fleisch¬ 
saft injizirte, erkrankte das Thier an Tuberkulose*). 

Wenn auch festgestellt ist, dass Tuberkelknoten im Fleische 
tuberkulöser Thiere verhältnissraässig selten Vorkommen und zwar 
nach Röckl’s Zusammenstellungen nur in 0,8 «/o, nach den Unter¬ 
suchungen in den öffentlichen Schlachthäusern des Königreichs 
Sachsen im Jahre 1888 nur in 2,1 ®/o der Fälle, so ist doch wohl 
zu bedenken, dass das Nichtvorhandensein von Tuberkelknoten 
keineswegs gleichbedeutend ist mit Abwesenheit von Bazillen und 
deren Sporen. Wenn auch die Muskeln ein schlechter Nährboden 
für die Tuberkelbazillen sind, so können diese doch in dem Muskel¬ 
zwischengewebe, im Blute und im Fleischsafte enthalten sein und 
weder das maki’oskopische Aussehen des Fleisches, noch der Er¬ 
nährungszustand des betreffenden Thieres lässt auch nur ein an¬ 
nähernd sicheres Urtheil zu über den Bazillengehalt und die Schäd¬ 
lichkeit des Fleisches, daher heisst es im Min. - Erlass vorsichtiger 
Weise auch, dass in der Regel das tuberkelknotenfi’eie Fleisch 
gutgenährter tuberkulöser Thiere unschädlich sei. Wer bestimmt 
aber die Ausnahmefalle P Allein der darunter Leidende, der er¬ 
krankte Konsument. 

Mc. Fadjean erklärte auf dem internationalen Kongress in London, „die 
Berichte verschiedener Beobachter über eine Anzahl positiver Fütterungsversuche 
geben den Beweis dafür, dass in der That in gewissen Fällen Tuberkelbazillen 
in den Muskeln oder im Zwischen-Muskel-Bindegewebe anwesend sind. Ueber- 
blicken wir unsere eigenen und die frUiieren Versuche in ihrer Gesammtheit, so 
ergiebt sich, dass diese Gefahr nicht häufig ist, dass sie jedoch in einem ge¬ 
wissen Verhältniss von Fällen existirt. Durch die Thatsache, dass wir tuberku¬ 
löse Massen in den Muskeln am Hintertheil tuberkulösen Bindviehs beobachtet 
haben, müssen wir als erwiesen ansehcn, dass Tuberkelbazillcn bisweilen, wenn 
auch selten, in beträchtlicher Anzahl in dieser Gegend Vorkommen können. Unter 
drei, an einem Tage und in derselben Schlächterei geschlachteten Kühen fanden 
wir bei zwei Thieren Tuberkeln in der Muskulatur des Hintertheils. Bei einem 
derselben fand sich Tuberkulose fast aller Organe, bei den beiden anderen 
waren nur wenige Knötchen in der Lunge und in einigen Drüsen vorhanden. 
Jedenfalls bestand weder Brustfell-, noch Bauchfell-Tuberkulose und alle an¬ 
deren Organe waren frei.“ 

Nach den Beobachtungen von Schuchar dt, Weichselbaum, 
Bang u. A. sollen nur bei allgemeiner akuter Miliartuberkulose 
Bazillen im Fleische vorhanden sein und auch hier nur in so ge¬ 
ringer Menge, dass sie nicht mehr durch das Mikroskop, sondern 
nur noch durch den Impfversuch nachgewiesen werden können. 


•) Münchener medizin. Wochenschrift. 1892, S. 312. 
*) Münchener medizin. Wochenschrift. 1890, Nr. 16. 



538 


Dr. MtUler. 


Nach dem Resultat der Untersuchung von Hippolyte Martin und 
Professor Gärtner-Jena ist aber anzunehmen, dass das Blut, 
mithin auch das Fleisch, reicher an Bazillen ist, als man bis dahin 
geahnt hat. 

Bei dem Yerimpfen von Blut sind gleichfalls die Erfolge bei 
den Yersiichsthieren entsprechend der mehr oder weniger starken 
Erkrankung der Rinder an Tuberkulose, der Menge des einge¬ 
spritzten Blutes und der Menge der in ihm enthaltenen Bazillen. 
Bang hatte unter 18 solcher Fälle nur 2 Mal positiven Erfolg. 
Baum garten dagegen sah nach Injektion nur weniger Tropfen 
Blutes hochgradig tuberkulöser Thiere in die vordere Augenkammer 
der Versuchstliiere regelmässig Tuberkulose der Iris mit nach¬ 
folgender Allgemeintuberkulose. 

Von allen Versuchen sind unstreitig die interessantesten die 
von Hippoljle Martin angestellten. insofern sie beweisen, wie 
lange in dem Blute selbst der der Tuberkulose refraktären Thiere 
Tuberkelbazillen ein latentes Leben führen, ihre Virulenz behalten 
und sich kräftig entfalten kömmui, sobald sie auf den bessern Nähr¬ 
boden eines für Tuberkulose emptanglicheren Thieres gelangen. 

Es ist Ja festgestellt, dass Hunde, Katzen, Vögel, Ratten etc. 
wenig oder gar nicht disponirt sind zur Tuberkulose. Dennoch 
haben die von R. Koch u. A. angestellten Beobachtungen be¬ 
wiesen, dass auch diese Thiere, wenn sie mit grösseren Mengen 
virulenter Tuberkelmaterie längere Zeit gefüttert oder injizirt 
wurden, tuberkulisirt werden. Beobachtunjren dieser Ai’t stellte 
Bollinger an Hülmern an. welche im Hospitalgarten bazillen¬ 
haltige Sputa von Schwindsüchtigen gefressen ^), desgleichen 
Ribbert^), Henryk), Nocard^) und Cagny^). Bollinger 
impfte mit verkästen Tuberkeln eines Ochsen Tauben. Acht der¬ 
selben wurden tuberkulisirtGöring sah auf einem Gehöft, auf 
dem viele Rinder an Tuberkulose litt(*n, mehrere Hühner gleich¬ 
falls an Tuberkulose erkranken. M artin ^ wiederholte die Ver¬ 
suche Nocard's. Es blieben jedoch sämnitliclje Tliiere, Hühner 
und Tauben, gesund. Naclideni er aber am 18. Januar 1884 vom 
Blute eines dieser am 4. 3Iai 1883 mit Tuberkelmasse von 
Menschen inoculirten Huhnes in das Peritonuum von 4 Meer¬ 
schweinchen geiini)ft. zeigte eins derselben später die manifesten 
Zeichen der Tuberkulose. Es wurden im Ganzen 41 Meerschweinchen 
mit dem Blute von 7, mit niens(*hliclier Tuberkelmasse geimpften, 
aber gesund gebliebenen Hühnern, eines Hahnes und zweier Tauben 


*) Stras.<burirer 1S85. 

“) Doiitjiolie luediz, Wocliensehrift 1S83. 

Recueil de modiciiie veierin. 15. avril 1884. 

*) Bulletin voterin. 1885. 

ParUer Kuimress. Juli 1888. 

Archiv lur experim. Patholoirie. Leipzig. 1883, vol. I, p. 356. 

") Hipiadyte Martin: l{e‘chcrchcs avant pour but de proiiver qu'apros 
un sejour variable daiis un uriraiiisiue rctVacraire les microbes tiibercuhuix p^uverit 
ctmscrviT encore a des degres divers leurs proprietbs inlectieuses. Enuies 
experinieutales et cliuiijue.s sur la Tubercub-se piiMi^H'.s sous la direotion de iL 
le i»ruD>st iir VcniLui. T«>me I. Ibiris 18'-7, p. o'bJ—B»5. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


539 


geimpft. Ausserdem wurden mit Stücken des Gehirns oder der 
Leber eines dieser Hühner 5 andere Meerschweinchen injizirt. 
Von diesen 46 Versuchsthieren zeigten 10 ausgeprägte Tuberku¬ 
lose, bei zweien war der Erfolg zweifelhaft. 

Martin sagt: „La conclusion generale de ces faits est que 
les germes ou microbes tuberculeux peuvent sejourner dans l’or- 
ganisme de certains animaux refractaires plusieurs semaiues ou 
plusieurs mois et y conserver, dans une sorte de vie latente, leurs 
proprietes infectieuses qui ne se manifesteront que plus tard, apres 
transplantation dans un milieu favorable ä leur pullulation." 

Das Blut alter Thiere bewahrte die Virulenz der eingesprizten 
Tuberkelbazillen also ebenso lange und in demselben Grade, wie 
das Blut junger Hühner oder Tauben. 

„Une autre remarque, non moins interessante, doit etre faite 
encore, c’est l’absence de rapport constante et necessaire entre la 
dur6e de sejour des microbes tuberculeux en terrain refractaii’e 
et le nombre des cobayes tuberculeux aprös transplantation de ces 
microbes dans leurs organisme. En effet, le sang de pigeon deux, 
par exemple, tu6 apres 4 mois, parait avoir ete plus actif plus 
virulent que celui du pigeon un, sacrifie le 56 jour et le sang des 
poules 7, 6, 8, inoculees depuis 6, 7 et 8 mois, a ete certainement 
plus infectieux que celui de la poul 5, tuee le cent deuxieme jour 
apres l’inoculation tuberculeuse.“ 

Diese so bedeutungsvollen Beobachtungen Martin’s können 
heute nicht mehr angezweifelt werden, besonders nicht, seit sie 
durch Professor Gärtner’s Untersuchungen vollkommen bestätigt 
worden sind. Herr Professor Gärtner hat die Liebenswürdigkeit 
gehabt, mir die Resultate seiner Forschungen mitzutheilen und 
mir zu erlauben, dieselben in diese Arbeit aufnehmen und ver- 
üflentlichen zu dürfen*). 

Zur Kontrole der Martin’schen Versuche wurde u. A. ein 
Hahn geimpft am 1. Dezember 1891 mit einer starken Auf¬ 
schwemmung menscliliclier Tuberkelmaterie in die Armvene. 

Den 2. März 1892 wurde dieses Thier (welches sich bis 
dahin ganz gesund gezeigt hatte), durch Enthauptung getödtet. 
Mit den Stücken der Leber desselben wurden 2 Meerschweinchen 
geimpft. Von diesen lebt eins noch heute, das andere starb am 
23. April 1892 an Tuberkulose. 

Ein anderes Meerschweinchen mit Stückchen der Lunge 
geimpft, starb den 20. Mai 1892 an Tuberkulose. 

Es wurden 4 Meerschweinchen mit dem Blute des Hahns 
geimpft. Davon lebt heute noch eins. Drei starben, eins den 
30. März 189 2 an Enteritis. Tuberkulose wurde nicht gefunden. 
Das zweite starb den 23. April 1892, das dritte starb den 
6. Juli 189 2. Letztere beiden hatten starke Tuberkulose. 

Es wurden ferner am 2. April 1892 einem Kaninchen ca. 
3500 Tuberkelbazillen in die Blutbahn gebracht. Nach verschieden 


*) Wenn es in diesen Mittheilungen heisst, das Thier lebt noch, so be¬ 
zieht sich dies auf den Tag, an welchem mir Prof. Gärtner die Resultate 
seiner Thierversuche an vertraute, auf den 24. Juli 1892. 



540 


Dr. Müller. 


langer Zeit wurde diesem Kaninchen Blut entnommen und mit 
demselben Meerschweinchen in die Bauchhöhle geimpft: 

1) mit 2 ccm Blut nach 1 Minute; das Meerschweinchen 
starb am 24. Juli an Abdominal - Tuberkulose; 

2) mit Blutcoagulum nach 2 Minuten; das Meerschweinchen 
starb am 24. Juni an Abdominal-Tuberkulose; 

3) mit 3 ccm Blut nach 6—12 Minuten; das Meerschwein¬ 
chen lebt noch; 

4) mit je 4,5 ccm Blut nach 30 Minuten 2 Meerschweinchen ; 
davon lebt noch das eine; das andere starb an Abdominal-Tu¬ 
berkulose den 6. Mai 1892; 

5) mit je 4,5 ccm Blut nach 60 Minuten 2 Meerschweinchen 
geimpft; davon starb das eine den 20. April an Enteritis, das 
andere lebt noch; 

6) mit 10 ccm Blut nach 21^2 Stunde ein Meerschweinchen; 
dasselbe lebt noch; 

7) mit 18 ccm Blut aus dem art. femoralis wurden nach 
sechs Tagen, den 8. April 1892 zwei Meerschweinchen geimpft. 
Davon lebt heute noch das eine, das andere starb am 21. Juni 
1 8 9.2 und zeigte deutlich Abdominal - Tuberkulose (Todesursache 
wahrscheinlich Grasvergiftung). 

Aus den H. Martin’schen und Gärtner’schen Versuchen 
geht zweifellos hervor, dass das Blut weit länger virulente Ba¬ 
zillen und eine weit grössere Anzahl Bazillen enthalten kann, als 
man bis dahin angenommen hat. Ist dieses aber der Fall, dann 
kann auch das Fleisch, schon in Folge seines Blutgehaltes, weit 
infektiöser sein, als man bis dahin geglaubt hat, annehmen zu 
müssen. 

Der Einwand, welcher vom Referenten in der 20. Plenarver¬ 
sammlung des deutschen Landwirthschaftsrathes den Johne’schen 
Fütterungsversuchen und mithin sämmtlichen Versuchen dieser 
Art gemacht wird, diese Versuche seien aus dem Grunde nicht 
beweiskräftig, weil nicht festgestellt sei, dass bei den Thieren, 
welche nach Fütterung von Tuberkelmasse tuberkulös befunden 
wurden, nicht eine andere Ursache der Tuberkulose, z. B. Verer¬ 
bung vorhanden gewesen sei und diese Krankheit verursacht habe, 
dürfte bei der verhältnissmässig geringen Zahl durch Vererbung 
entstandener Tuberkulose und bei der grossen Menge der Versuchs- 
thiere, die mit Erfolg tuberkulisirt wui’den, sei es durch Füt¬ 
terung oder Impfung, wohl von keinem Sachverständigen weiterer 
Berücksichtigung werth erachtet werden. Ferner heisst es in 
demselben Bericht des deutschen Landwirthschaftsrathes *): „Auch 
berechtigen die Ergebnisse der Fütterungsversuche zu dem Schlüsse, 
dass die einer bestimmten Thierart angepassten Bazillen sich auf 
Individuen gleicher Art leichter übertragen lassen, als auf die 
einer anderen Gattung und dass ältere Individuen widerstands¬ 
fähiger sind, als der katarrhalisch affizirte Darm ganz junger 
Individuen.“ Um die Hinfälligkeit dieses Einwurfes zu beweisen, 


■) 1. c. S. 287. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberknlbser Thiere etc. 


641 


glaube ich nur auf die grosse Reihe der Impf- und Fütterungs¬ 
versuche hinweisen zu brauchen. Dort sehen wir Tuberkulose 
übertragen werden durch Tuberkelmasse die von Menschen stammt, 
auf Rinder, auf Hunde ^), Schweine, Hühner, Kaninchen, Meer¬ 
schweinchen, durch Tuberkelmasse vom Huhn, von der Taube, von 
Kaninchen auf Meerschweinchen etc. Ich verweise auf die Mit¬ 
theilungen Thomson’s über die Entstehung und Verbreitung der 
Tuberkulose unter dem Vieh in der Kolonie Victoria in Australien; 
ich verweise auf die Zusammenstellungen Bayard’s, namentlich 
auf die Beobachtungen Jamm’s in Lörrach®), ganz besonders 
aber auf die so höchst interessanten Kurventafeln von Lydtin 
für Baden. Für Bayern hat Göring das Material für die Kurven¬ 
tafel der Perlsucht zusammengestellt nach seinen Untersuchungen 
für die Jahre 1877 und 1878. Die Kurventafel für die Tuberku¬ 
lose der Menschen ist entworfen nach der Angabe der Zeitschrift 
des Königl. Bayer. Statist. Bureaus über die Gebui’ts- und Sterb¬ 
lichkeitsverhältnisse für die Jahre 1873—1875. Die Kurve der 
Perlsucht und der Menschen - Tuberkulose von Bayard zusammen¬ 
gestellt, verlaufen fast parallel miteinander. Die Abweichungen 
in den Hebungen und Senkungen betragen höchstens einige Zehntel 
Prozent. Wo aber erheblichere Abweichungen erscheinen, da über¬ 
zeugt man sich durch eingehenderes Studium der obwaltenden 
Verhältnisse, dass die scheinbare Ausnahme nur die Regel um so 
mehr zu bestätigen dient. Diese Tabellen beweisen unwiderlegbar 
die Abhängkeit der Menschen- von der Thier - Tuberkulose und 
umgekehrt die der Perlsucht von der Tuberkulose der Menschen. 
— Schliesslich führe ich noch die Worte des erfahrenen Lydtin 
an: „Die Beobachter mögen ihre Sinne schärfen, und sie werden 
finden, dass da, wo ein Tuberkulosenheerd unter den Thieren 
existirt, ein solcher auch bei Menschen gefunden wird, welche 
durch Fleisch und Milch der Thiere mit denselben in enge und 
dauernde Verbindung getreten sind.“ 

Wenn es ferner in dem Bericht des Landwirthschaftsrathes S. 247 
heisst: „Eine thatsächlich vorhandene Beschränkung der Ueber- 
tragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuss tuberkulösen 
Materials geht daraus hervor, dass nach Wesener der Magensaft 
bei genügend langer Einwirkung die Lebensfähigkeit der Tuberkel¬ 
bazillen vollständig zerstört und nur die Sporen nicht vernichtet,“ 
so weiss doch jeder Sachverständige, dass wenn die Sporen der 
pathogenen Mikroben nicht vernichtet sind, ihre Virulenz ganz 
dieselbe bleibt. Gerade der Umstand, dass der Magensaft des 
Menschen nicht geeignet ist, den Tuberkelbacillus zu tödten, sollte 
um so mehr vor jedem Genuss rohen Fleisches von tuberkulösen 
Thieren warnen. 


*) Johne sah einen Hund, der die Sputa seiner schwindsüchtigen Herrin 
frass, an Tuberkulose zu Grunde gehen. (Deutsche Zeitschrift für Thiermed. etc. 
Bd. 14, S. 111.) 

*) Bayard: üeber die lokalen Beziehungen zwischen der Perlsucht und 
der Tuberkulose des Menschen. Inaug. Dissert. Jena 1888, S. 30. 

(Fortsetzung folgt.) 



542 


Dr. Doeblin. 


Rangverhältniss - Plauderei. 

Von Sanitätsrath Dr. Doeblin, Kreisphysikus in Bemkastel. 

In den letzten Jahren sind bei einzelnen Kategorien unserer 
Beaintenhierarchie Eangerliöhuugen vorgekommen, die unzweifel¬ 
haft völlig berechtigt und den Betreffenden wohl zu wünschen 
waren. Ich führe hier die älteren Königlichen Oberförster an, 
welche den Titel „Forstmeister“ mit dem Range der Räthe 4. Klasse, 
ältere Kreisschulinspektoren, welche den Titel „Schulräthe“ mit 
eben diesem Range erhielten; ferner wird die Hälfte aller Richter 
zu „Amts- resp. Landgerichtsräthen“ ernannt, ebenfalls mit dem 
Range der Räthe 4. Klasse, während sich früher nur ein Drittel 
jener Rangerhöhung zu erfreuen hatte. Bei den Aerzten allein 
und — da nur Beamte einen Rang haben sollen — bei den 
Medizinalbeamten vollzog sich bis jetzt etwas Aehnliches nicht, 
obwohl sie es vielleicht nicht minder, als jene, verdient haben 
dürften. Allerdings wii*d mancher Kollege — ob auch die dii 
majorum gentium? — sagen; „wir brauchen keinen Rang, wir 
müssen uns durch unsere Thätigkeit, durch unser Benehmen, durch 
unsere Urbanität, die Achtung unserer Mitmenschen zu erzwingen 
suchen“; das ist gewiss recht schön und gut und ich muss ge¬ 
stehen, dass mir ein so besonders stark entwickeltes Selbstgefühl 
ganz ausserordentlich imponirt, aber kann nicht auch jeder Beamte 
dasselbe von sich sagen und wird ihm eine Rangerhöhung trotz¬ 
dem unerwünscht sein ? Ich glaube es nicht. Die Sache hat aber 
auch noch eine sehr materielle Seite, die bei den geringen Gehalts¬ 
verhältnissen der Medizinalbeamten gewiss nicht zu unterschätzen 
ist. Wird beispielsweise ein Physikus, sei es auf seinen Antrag 
oder im Interesse des Dienstes, versetzt, so sind die Umzugskosten 
und was darum und daran hängt, erheblich höhere, wenn der Ver¬ 
setzte den Rang der Räthe 4. Klasse hätte ^). Der Physikus hat 
aber nur den Rang der Regierungsassessoren, d. h. er gehört der 
fünften Rangklasse an. In welchem Alter steht nun aber der 
Regierungsassor und in welchem der Physikus? 

Im Mittel geht mit 20 Jahi’en der junge Mann zur Univer¬ 
sität; als Jurist bleibt er dort 3 Jahre, wird dann Referendar 
und macht nach 4 Jahren das Assessorexamen, zu dem er etwa 
ein halbes bis ein ganzes Jahr braucht; er ist also Assessor mit 
durchschnittlich 28 Jahren. Der Arzt, welcher ebenfalls mit 
20 Jahren die Universität bezogen und 5 Jahre studirt hat, ist 
nach erlangter Approbation durclischnittlich 25 Jahre alt. Um 
aber den Rang des Assessors zu erhalten, muss er erst Physikus 
werden. Ich habe nun von den drei Regierungsbezirken Aachen, 
Koblenz und Trier, mit 37 Physikern, die Jahre zusammengezählt, 


*) Diese Ansicht des Verfassers ist nicht zutreffend. Es würde sich hier 
immer nur um die pcrsöuliche Verleihung des Ranges der Räthe der 4. Klasse 
Landein, ähnlich wie bei den Anitsgericlitsräthen, Landgerichtsräthen und Forst¬ 
meistern u. s. w. und wird dailurch an den Kompetenzen der betreffenden Be¬ 
amten in Bezug auf Tagegelder, Uinzug.-ikostcu und Wohuungsgeldzuschuss nichts 
geändert, da diese leiliglich von dem Dienstrange der Stelle und nicht von 
dem persönlich etwa verliehenen lüinge abhängig sind. 



RangTerhältniss - Plauderei, 


543 


welche bei den letzteren zwischen der Approbation als Arzt und 
der Ernennung zum Physikus liegen und im Mittel bei Aachen 
14,6, bei Koblenz 12,6, bei Trier 10,5, also im Durchschnitt 12,5 
Jahre gefunden. Diese Berechnung dürfte etwa für alle Eegierungs- 
bezirke zutreffend sein; demnach wird also der beamtete Ai’zt erst 
mit 37,5 Jahren denjenigen Rang erhalten, welchen ein Jurist 
10 Jahre fi'üher erhält. Man möchte bei einem so auffallenden 
Missverhältniss zu glauben geneigt sein, dass jeder Jura Studirende 
a priori erheblich befähigter sein muss, als ein Mediziner oder dass 
in Bezug auf die Qualität das Jus die Medizin weit überragen 
müsse. Ich glaube aber kaum, dass man erst die Goethe’schen 
Worte im „Faust“ über diese beiden Fakultäten als Beweis dafür 
anzuführen braucht, dass diese Annahme eine unhaltbare ist. 

Der Regierungsassessor wird nun innerhalb fünf, höchstens 
sechs Jahren Regierungsrath mit dem Range der Räthe 4. Klasse. 
Er ist dann 33—34 Jahre alt. Bei dem Gerichtsassessor steht 
die Sache etwas schlechter; er wird erst nach vier bis fünf Jahren 
Richter und erhält dann nach dreizehn Jahren (diese Zahlen ent¬ 
sprechen genau den statistischen Angaben) den Titel „Amts- oder 
Landgerichtsrath“, ebenfalls mit dem Range der Räthe 4. Klasse. 
Mithin wird der Verwaltungsbeamte den gleichen Rang mit 
34 Jahren haben, den der Richter erst mit 45—46 Jahren erhält. 
Wie steht es aber mit den Medizinalbeamten? Ein Physikus, 
der die ihm obliegenden Geschäfte zur vollsten Zufriedenheit seiner 
Vorgesetzten Behörde vollführt und sich desshalb des Wohlwollens 
der letzteren zu erfreuen hat, erhält frühestens nach 10—15jähriger 
Dienstzeit bezw. 20 Jahre nach erfolgter Approbation als Aus¬ 
zeichnung den Titel „Sanitätsrath“, mit welchem, wie es aus¬ 
drücklich heisst, eine Rangerhöhung nicht verbunden ist; er hat 
also mit 48—52 Jahi'en noch immer den Rang des 28jährigen 
Regierungsassessors. Ich habe in der That bei aller Bescheidenheit 
und bei aller Hochachtung vor einem Juristen, der sein Staats¬ 
examen gemacht, nicht geglaubt, dass die Thätigkeit eines etwa 
50jährigen Medizinalbeamten, der sich noch dazu der Zufriedenheit 
der betreffenden Regierung erfreut, — sonst wäre er nicht 
Sanitätsrath geworden —, in den massgebenden Ki'eiseu eine so 
geringe Schätzung erführe. Mit dieser Werthschätzung steht auch 
das Gehalt der Medizinalbeamten in geradem Verhältniss. Es 
bleibt somit dem Medizinalbeamten der Rang des Regierungs¬ 
assessors bis an sein seliges Ende und selbst wenn er durch ein ganz 
besonders glückliches Zusammenwirken verschiedener Umstände 
den Charakter als „Geheimer Sanitätsrath“ erhalten sollte, wird hier¬ 
mit thatsächlich nichts geändert, da mit dieser Verleihung keines¬ 
wegs der Rang der Räthe 4. Klasse verbunden ist und dieselbe 
nicht einmal im amtlichen Schriftwechsel die Bezeichnung „Hoch¬ 
wohlgeboren“ bedingt, wenn dies auch jetzt allgemein üblich ist. 

Aber auch der Vergleich der Medizinalbeamten mit anderen 
Beamtenkategorien fällt zu Ungunsten der ersteren aus. Das 
junge Institut der Kreisschulinspektoren, dass etwa erst fünfzehn 
Jahre besteht, zählt eine Reihe von Gliedern, welche den Titel 



544 


Zur Medizinalreform in Preuasen. 


„Schulrath“ mit dem Range der Räthe 4. Klasse führen. Ebenso 
verhält es sich, wie schon erwähnt, mit den älteren Oberförstern, 
welche die oben angeführte Rangerhöhung erhalten haben. Bei 
Gelegenheit eines Krankenbesuches auf dem Hundsrück traf ich 
jüngst einen Regierungsrath aus Schlesien, welcher seine Urlaubs¬ 
zeit mit mineralogischen Studien verbrachte; ün Laufe des Ge¬ 
sprächs kam die Rede auf Rangverhältnisse, ich besprach dabei 
die Zurücksetzung der Aerzte im Allgemeinen und die der Medizinal¬ 
beamten im Besondern. „Diese letzteren, sagte jener Herr, können 
nicht den Rang der Räthe 4. Klasse erhalten, weil sie sonst in 
gleichem Range mit ihrem nächsten Vorgesetzten, dem Regierungs- 
Medizinalrathe, ständen und dieser dann nur primus inter pares 
wäre.“ Das IiTthümliche dieser Anschauung konnte ich ihm aber 
sofort an den älteren Oberförstern ad oculos demonstriren, denn 
die Kabinetsordre, welche dieselben zu Forstmeistern mit dem Range 
der Räthe 4. Klasse ernennt, sagt zugleich, dass die Forsträthe 
an den Regierungen, welche einen höheren Rang bekanntlich auch 
nicht besitzen, Vorgesetzte der betreffenden Herren bleiben. Das¬ 
selbe könnte ja auch bei den Medizinalbeamten geschehen. In 
allerjüngster Zeit ist endlich durch Allerhöchsten Erlass vom 
28. Juli d. J. auch betreffs der Gymnasial - Oberlehrer die Be¬ 
stimmung getroffen, dass denselben bis zu einem Dritttheil der 
Gesammtzahl der Charakter als Professor und der Hälfte der 
Professoren d^ Rang der Räthe 4. Klasse verliehen werden kann, 
sofern sie eine 12jährige Scliuldienstzeit seit der Beendigung des 
Probejahres zurückgelegt haben. Ich glaube, dass sich ii'gend ein 
Modus finden lassen dürfte, den etwas stiefmütterlich behandelten 
Medizinalbeamten, welche nicht gar selten in Folge ihrer amt¬ 
lichen Thätigkeit vom Publikum angefeindet werden und dies in 
ihrer Privatpraxis zuweilen recht unliebsam verspüren, einen Rang 
zuzuweisen, der ihnen ebenso gebührt, wie vielen anderen Beamten¬ 
kategorien, welche sich seit langen Jahren schon im Besitze des¬ 
selben befinden. Vielleicht könnte, wie bei den Juristen, das ältere 
Drittel oder die Hälfte eine Rangerhöhung erhalten oder diese könnte 
auch mit der Ernennung zum „Sanitätsrath“ eo ipso verbunden werden. 

Schliesslich glaube ich noch bemerken zu sollen, dass ich 
hier nicht pro domo spreche, da ich ein alter Herr bin, der seine 
Karriere abgeschlossen hat; ich habe diese Plauderei nur desshalb 
veröffentlicht, weil die Medizinalbeamten in der That, ich möchte 
sagen, nur geduldete Mitglieder der grossen Beamtenhierarchie 
sind und weil durch eine öffentliche Besprechung vielleicht die 
Aufmerksamkeit massgebender Kreise auf die Richtigkeit der vor¬ 
geführten Thatsachen gelenkt werden dürfte. Dass das, was ich 
vom Physikus gesagt, auch von dem Kreiswundarzt gilt, brauche 
ich wohl nicht besonders anzufiihren. 


Zur Medizinalreform in Preussen. 

Die Frage der Medizinalreform beschäftigt noch immer die 
politischen Blätter, worüber sich die Medizinalbeamten nur freuen 



Zur Medizinalreform in Preussen. 


545 


können. So bringt das „Berliner Tageblatt“ in seiner Nummer 
vom 18. Oktober d. J. einen Leitartikel, dem wir Nachfolgendes 
entnehmen: 

„Die Beaufsichtigung der gesammten öffentlichen Krankenpflege, der 
SanitKtspolizei in ihrem weitesten Umfange untersteht für seinen Bezirk dem 
Regierungspräsidenten, dem zur Bearbeitung aller in dies Gebiet 
schlagenden Gegenstände ein Regierungs- und Medizinalrath beigegeben 
ist. Der Medizinalrath geniesst alle Rechte der übrigen Regierungsräthe, er 
hat aber auch alle ihre Pflichten zu erfüllen und trägt die diesen Beamten zu¬ 
gewiesene Verantwortlichkeit. Die Medizinalräthe haben die erforderlichen 
Revisionen vorzunehmen. Ein volles Votum in dem Regierungskollegium steht 
ihnen nach der Kabinetsordre vom 31. Dezember 1825 nur in den zu ihrem Ge¬ 
schäftskreis gehörigen Angelegenheiten zu. Sie beziehen Gehälter zwischen 
4200 bis 6000 Mark. Diese Regierungs-Medizinalräthe sind die eigentlichen 
Medizinalbeamten in Preussen; gleichwohl ist ihnen die Ausübung der ärztlichen 
Praxis gestattet. Freilich dürfen die Amtsgeschäfte darunter in keiner Weise 
leiden. Es liegt indessen auf der Hand, dass diese Zwillingsstellung der 
Medizinalbeamten eine unhaltbare ist, dass sie sich mit der allgemeinen Qualität 
eines Beamten nicht verträgt, und dass sie als eine Anomalie angesehen werden 
muss. Es ist daher unseres Dafürhaltens ganz unausbleiblich, dass eine wirk¬ 
liche Medizinalreform in Preussen die Beseitigung dieses Missverhältnisses anzu¬ 
streben haben wird. Hierbei kommen ausschliesslich Budgetfragen in Betracht. 
Es werden Mehrforderungen in den Staatshaushalt eingestellt werden müssen, 
und es wäre allerdings mehr als traurig, wenn bei einem Gesammtetat von über 
anderthalb Millarden nicht die vergleichsweise verschwindenden Mehr¬ 
aufwendungen aufgebracht werden könnten, welche zur Durchführung der gar 
nicht mehr aufzuschiebenden Medizinalreform nothwendig sind. 

Während die Umgestaltung der oberen und obersten Medizinalbehörden 
sich verhältnissmässig ohne sehr grosse Schwierigkeiten wird bewerkstelligen lassen, 
liegt diese Frage hinsichtlich der u n t e r e n Kreis - Medizinalbehörden wesentlich 
anders. Und gerade hier liegt der Kern der Sache, denn ohne eine wirklich 
grundsätzliche Aendcrung in der Einrichtung dieser untersten, die sanitäts¬ 
polizeilichen Staatsgesetze ausführenden Medizinalbehörden muss jede noch so 
schön in Paragraphen gebrachte Medizinalreform ein leeres Blatt bleiben. Wie 
steht es nun aber gegenwärtig um diese wichtigsten Kreis-Medizinal¬ 
behörden? 

Der Landrath ist der eigentliche Träger der sanitätspolizeiliche Exeku¬ 
tive im Kreise, er hat auf alle Angelegenheiten des öffentlichen Gesundheits¬ 
wesens zu achten, bei drohenden Seuchen gefahren die geeigneten Verhütungs¬ 
und Abwehrmassregeln zu treffen, er führt die Aufsicht über die öftentliche 
Krankenpflege und die etwaigen Krankenheilanstalten. In allen diesen Ange¬ 
legenheiten wird der Landrath von dem Kreisphysikus als seinem tech¬ 
nischen Beirath unterstützt. Wenngleich der Kreisphysikus bei seiner 
Amtsführung von dem Landrath beaufsichtigt wird, ist er ihm doch nicht 
dienstlich untergeben, er untersteht unmittelbar der Regierung. Für diesen 
technischen Beirath erhält in Preussen der Kreisphysikus, ein „unmittelbarer 
Staatsbeamter“, ein Gehalt von 900 Mark, keinen Wohnungszuschuss, 
keine Pension, Nichts. Ja, er darf nicht einmal der allgemeinen Beamten- 
Wittwenkasse beitreten. Ist der Kreisphysikus krank oder erwerbsunfähig durch 
sein Alter geworden, dann kann ihm ausnahmsweise sein „Gehalt“ — sit 
venia verbo! — ganz oder zum Theil durch die Gnade der Vorgesetzten belassen 
werden! Ebenso können auch die Wittwen solcher Medizinalbeamten bis zu 
300 Mark Pension und Erziehungsgelder bis zu 15 Mark monatlich für je ein 
Kind erhalten! Man denke, welch eine Beruhigung für einen auf dem Sterbe¬ 
lager liegenden Kreisphysikus in der Hoffnung enthalten sein muss, die Seinigen 
nach dem Tode ihres Ernährers in dieser Weise vor Noth geschützt zu wissen. 
Dass bei einer derartigen — Besoldung von einer wirksamen Beaufsichtigung 
des Bezirkes in sanitätspolizeilicher Hinsicht auch nicht entfernt die Rede sein 
kann, bedarf keines erläuternden Wortes. Der Kreisphysikus vermag einfach 
seinen Verpflichtungen als Beamter, als unmittelbarer Staatsdiener nicht nachzu¬ 
kommen, und diese Unmöglichkeit wird sich in ihrer ganzen Schärfe erst mit 
dem Inkrafttreten des neuen Reichsseuchengesetzes herausstellen. 



546 


Zur Medizinalreform in Preussen. 


Diese Klage über die durchaus unzulängliche Besoldung — Abfindung 
wäre das bezeichnendere Wort — der Kreis-Medizinalbeamten ist so alt, wie 
diese Einrichtung selber. Allein bis jetzt ist noch nichts zur Abstellung der¬ 
selben geschehen, so dass der Ruf nach einer Reform des Medizinalwesens immer 
wieder von Neuem erhoben werden muss. Solange diese eines Grossstaates 
geradezu unwürdigen Zustände andauem, kann von einer wirklich den modernen 
Verkehrs- und Wirthschaftsverhältnissen entsprechenden Gesundheitspolizei, von 
der Aufstellung einer für die Verwaltung und Gesetgebung brauchbaren 
Medizinalstatistik nicht die Rede sein. Die Klagen der Regierungs-Medizinal- 
räthe über die Unvollständigkeit, die Dürftigkeit der Physikatsberichte sind nur 
allzu gerechtfertigt. Aber nicht minder zutreffend sind die Beschwerden der 
Kreis-Medizinalbeamten über ihre ganze Stellung innerhalb der Einrichtung 
unseres Medizinalwesens. Die viclgeplagten Kreisphysiker, auf deren Schultern 
unter Umständen eine wahrhaft erdrückende Verantwortlichkeit lastet, sind 
weder nach ihrer materiellen, noch nach ihrer autoritativen Stellung in der Lage, 
dem Masse ihrer Verpflichtungen nachzukommen. 

In keinem einzigen anderen deutschen Staate liegen diese Dinge so im 
Argen, wie in Preussen. Die Gehälter der bayerischen oder sächsischen 
Bezirksärzte sind wahrlich noch knapp genug bemessen, allein sie sind beneidena- 
werth gegenüber den preussischen, die gar nicht die Bezeichnung einer „Besol¬ 
dung“ für geleistete Dienste verdienen. In Bayern beziehen die Bezirksärzte 
doch w'cnigstens Gehälter von 1400 bis 2880 Mark, sie sind ausserdem pensions¬ 
berechtigt, und ihre Hinterbliebenen erhalten die ihnen gesetzlichen zustehenden 
Kompetenzen. Im Königreich Sachsen richtet sich die Besoldung der Bezirks¬ 
ärzte, welche im Uebrigon als Staatsdiener angesehen werden sowie für sich und 
ihre Angehörigen pensionsberechtigt sind, nach der Grösse des ihnen zugewuesenen 
Bezirkes, sie schwankt zwischen 8800 Mark, 3150 Mark, 2700 Mark, 1980 Mark, 
Ausserdem erhalten die Bezirksärzte Reisevergütuiigen im Betrage von 600 Mark 
und für Büreauaufweudungen 240—360 M. Sie beziehen ferner noch allerhand 
Vergütigungen bei Epideiniereisen, bei Irapfreisen, bei Revisionen der Apotheken, 
und sie bekleiden den Hof rang vierter Klasse. Das ist an sich gewiss von 
geringem Belang. Allein vom Beanitenstandpunkte aus betrachtet, ist diese 
Kangstellung des Bezirksarztes doch von einer gewissen Bedeutung. In Baden 
erhalten die Bezirksärzte 1. Klasse Gehälter von 1500—3500 Mark mit drei¬ 
jährlich steigenden Zulagen von 250 Mark, die Bezirkärzte 11. Klasse 1200 bis 
3500 Mark mit vierjährliclien Zulagen von 250 Mark; die Bezirksassistenzärzte 
500—1200 Mark, ebenfalls mit bestimmt abgestuften Zulagen. Sie erhalten alle 
ohne Ausnahme Wohnungsgelder, Aversen für Büreaubedürfnisse und sind 
pensionsbercchtigt. 

Wir haben aus den verschiedenen Budgets der einzelnen Staaten diese 
Angaben herausgegriffen und wdr könnten sie vervollständigen. Allein wir wollen 
die Leser nicht durch Zahlenauhäulungen ermüden. Es möge daher an den mit- 
getheilteii Einzelheiten genug sein. Sie beweisen genug fiir die Richtigkeit der 
Behauptung, dass die Stellung der preussischen Kreis-Mcdizinalbeamteu eine 
geradezu unwürdige ist, und dass ohne eine durchgreifende Aouderung derselben 
von einer ernsthaften Medizinalreform in Preussen niclit die Rede sein kann. 
Hier ist der entscheidende Punkt für die preussisclie Medizinalreform. Der 
Kreisphysikus muss ein wvirklichcr Staatsbeamter werden mit 
allen Befugnissen, die einem solchen zustehen, mit allen ihm in der nun 
einmal eingeführten Beamtenrangordiiung gebührenden äusseren Ehren. „Der 
Kerl im Staat‘‘, den Nathan scherzhaft in dem Gespräch mit dem Derwisch „nur 
sein Kleid“ nennt, will, w’ie dieser richtig bemerkt, „eben auch geehrt sein“ I 

Ohne Reform der Stellung des Kreis - MtMlizinalbeamteu, also des Kreis- 
pliysikus, und ZAvar sowaihl bezüglich seines Gehaltes, als amdi bezüglich seines 
Verhältnisses zum Landrath, als dem Träger der Kreissanitätspolizei, ist keine 
wirkliche Reform des Mediziualwesens (lurchziiführen. Hier muss daher der 
Hebel angesetzt w^orden, uni alle sich bemerkbar machenden Widerstände zu 
überwinden. Der Herr Fi nanz m in is t e r vor Allem muss die Mittel zur 
Durchführung auch dieser Reform in Bereitschaft stellen.'" 

Man kann den vorstellenden Austülinuigen nur in jeder Weise 
beistiininen; es scheint ja jetzt aucli, als ob mit der Durchführung 
der Medizinalrelbrni endlich Ernst gemaclit wird, wenigstens 



Dr. Blokasewski: Tmnkenheit, KohlenoxydTergiftimg, Eratickong. 647 


brachten die politischen Blätter kürzlich folgende höchst erfreuliche 
Mittheilung: 

„Eine erhebliche Mehraufwendung soll der 
Staatshaushalt auch für die Zwecke der Durch¬ 
führung der Medizinalreform aufweisen. Namentlich 
soll die bisherige unhaltbare Stellung der Kreis- 
Medizinalbeamten, also in erster Eeihe der Kreis- 
physici, eine gründliche Aufbesserung und Umge¬ 
staltung erfahren. Die Mehrforderung dürfte etwa 
anderthalb Millionen Mark betragen und soll lediglich 
zur Erhöhung der Gehälter der Kreisphysici, zur 
Deckung der etwaigen Pensionsausgaben und zur Be¬ 
streitung der mannigfachen sachlichenEostendienen.** 

Hoffentlich ist es diesmal keine Zukunftsmusik! 


Trunkenheit, Kohlenoxydvergiftung, Erstickung. 

Erwiderung von Dr. Blokusewki, Ereisphysikus in Daun. 

Herr Kollege Richter zwingt mich durch den Schlusssatz 
zu einer Antwort, die bei sachlicher Erwiderung unnöthig ge¬ 
wesen wäre. 

Zu 1. Ich habe von Anfang an nur von Vergiftung durch 
Kohlendunst gesprochen, was in keiner Erwiderung berücksich¬ 
tigt ist. Die Worte v. Hofmann’s gab ich an, weil gerade dieser 
für die enge Auffassung des Begriffs Erstickung angeführt war, 
was nicht angeht. Die kurzen Angaben über den Obduktionsbe¬ 
fund auf S. 697 sprechen nicht dafür, zumal es sich dabei speziell 
um Leuchtgas-Vergiftungen handelt. Ein genaueres Eingehen 
auf die Unterschiede zwischen vulgärer und innerer Erstickung 
ist hier unnöthig. 

Zu 2. Hier liegt eine offenbare Verdrehung meiner Worte 
und ihres Sinnes vor, während es kaum des Hinweises bedurft 
hätte, dass das Blut für eine Kohlendunst-Vergiftung stark kohlen¬ 
oxydhaltig war; jedenfalls hätte auch ein weniger ausgesprochener 
Befund für Begründung des Kohlendunsttodes genügt. 

3 und 4 sehe ich als erledigt an. 

5. Nach Zweck und Fassung des Artikels in Nr. 14 konnte 
das Gutachten unter D sehr wohl als vorläufiges angesehen werden, 
zumal bei abweichendem vorläufigen Gutachten wenigstens eine 
Bemerkung erwartet werden durfte. 

6. Die Reaktionslosigkeit konnte nicht gut auf die nur auf 
Zeugenaussagen beruhende Trunkenheit bezogen werden, weil diese 
an sich wohl kaum je zum Erstickungstode in den Kissen führt. 

7. Der Vergleich mit dem Beinbruch hinkt sehr. Uebrigens 
würde unzweifelhaft für den Tod des Mannes derjenige verant¬ 
wortlich gemacht werden, durch dessen Schuld der Beinbruch er¬ 
folgte. Oder wäre der Mann etwa nur an einer zufälligen Er¬ 
stickung im Wasser gestorben? 

In der ganzen Erörterung legt Richter immer wieder das 



548 


Erwiderang. 


Hauptgewicht auf die letzte Todesursache, während es sich, 
zumal für den Zweck des vorläufigen Gutachtens und nach dem 
preussischen Regulativ um die eigentliche Todesursache han¬ 
delt. Als solche konnte in diesem Falle nur die nachgewiesene Ver¬ 
giftung durch Kohlendunst angesehen werden, wobei die individuelle 
Beschaflfenheit (Fettherz, chronischer Alkoholismus) vielleicht be¬ 
günstigend mitgewirkt hat. Eine Erstickung, z. B. in den 
Kissen, konnte aber überhaupt erst erfolgt sein, nachdem das 
Kohlenoxydgas in einer zur Herbeiführung des Todes völlig ge¬ 
nügenden Menge eingeathmet war. 


Erwiderung. 

Von Dr. Richter, Ereispbysikns in Gross-Wartenberg. 

Zu 1. Auch ich habe gesprochen und spreche immer noch 
nur von der Kohlendunst Vergiftung, welche vorlag. Ich sehe 
aber nicht ab, warum diese andere Leichenerscheinungen hervor¬ 
bringen soll, als z. B. die Leuchtgasvergiftung. Etwa wegen der 
im Kohlendunste vorhandenen Kohlensäure? Oder wegen der 
schweren Kohlenwasserstoffe? Oder wegen des Rauches, welch’ 
letzterer nicht einmal immer im Kohlendunst zu finden ist? 

Lassen wir den „engen Begriff von Erstickung“, in welchem 
ich befangen bin und bleibe, weil ich eine offenbare Vergiftun’g 
nicht zu einer Erstickung stempeln lassen will. Jedenfalls kann 
ich nicht nur in den kurzen Angaben v. Hofmann’s über den Obduk¬ 
tionsbefund auf S. 697 nichts über die Erscheinungen der Blut¬ 
fülle des Gehirns, der Lungen und des rechten Herzens an den 
Leichen der an Kohlenoxydgasvergiftung Verstorbenen finden, 
sondern ich finde hierüber auch nichts in dem ganzen Kapitel 
„Die Kohlenoxydvergiftung“. Was hat der Vulgärausdruck 
„der p. p. ist im Kohlendunst erstickt“ mit der Wis¬ 
senschaft gemein? 

Zu 2. Wenn ich den Herni Kollegen falsch verstanden haben 
sollte, so lag es an der mir unklar gebliebenen Fassung seiner 
Bemerkung. Eine wissentliche Verdrehung seiner Worte lag 
mir fern. 

Zu 5. Ein mit Gründen belegtes Gutachten über Todes¬ 
ursachen ist in Preussen immer ein endgültiges. Ich mochte 
meine Leser nicht durch den Abdruck des stereotypen Kopfes des¬ 
selben langweilen und Platz vergeuden. 

Zu 6. Die G. war nicht nur angetrunken, sondern litt auch 
an Kohlenoxydvergiftung. Beide Ursachen wirkten zusammen, um 
ihre Reaktionsfähigkeit gegen die Ausbildung von Erstickungsblut 
in ihrem Körper herabzusetzen bezw. aufzuheben. Der Kern der 
Sache ist und bleibt eben, dass die Leiche der G. die un¬ 
zweideutigen Erscheinungen der mechanischen Er¬ 
stickung aufwies, welche meiner Ansicht nach durch 
die Kohlendunstvergiftug nicht erklärt werden. 

Zu 7. Vergleiche hinken immer. Von der Verantwortlich¬ 
keit Dritter zu sprechen aber ist ein Seitensprung. Und um nun 
auch noch diesem zu folgen, so ist es eben die sehi* häufig in Be- 



Einige Entscheidungen znm Tazgesetz vom 9. März 1872. 


549 


tracht kommende Verantwortlichkeit Dritter, welche mich die Fest¬ 
stellung; gerade der letzten Todesursache als keine Doktorfrage, 
sondern des Schweisses der Edlen werth ansehen lässt, weil von 
der Beantwortung dieser Frage häufig Menschenschicksal abhängt. 

Und nun bitte ich herzlich, die Streitaxt begraben zu wollen*). 


Einige Entscheidungen zum Taxgesetz vom 9. März 1872. 

a. Nicht lebensfähige Früchte sind nicht als „Leich¬ 
name“ anzusehen und finden bei Besichtigungen oder 
Obduktionen derselben die im §. 3, Nr. 2 und 4 des Ge¬ 
setzes vom 9. März 1872 vorgesehenen Taxvorschrif- 

ten keine Anwendung. 

Entscheidung des Königlichen Landgerichts I 
(II. Civilkammer) zu Berlin vom 19. September 18 92. 

Thatbestand. 

„Der Kläger hat am 6. Mai 1889 im Aufträge der Staatsanwaltschaft bei 
dem Königlichen Landgericht II zu Berlin in einer Strafsache gegen Unbekannt 
(Todesermittelung von 3 Kindesleichen bezw. Leibesfrüchten betreffend) 
sich dienstlich nach der Leichenhalle in Keinickendorf behufs Besichtigung von 
drei Leibesfrüchten begeben und hierfür an Gebühren für jede Besichti¬ 
gung 6 Mark (18 Mark) und an Keisekosten für 16 km Landweg ä 50 Pf. 
gleich 8 Mark, zusammen 26 Mark liquidirt und gezahlt erhalten. Diese Liqui¬ 
dation ist demnächst von der Königlichen Oberrechnungskammer beanstandet, 
und nur ein Gesammtbetrag von 17 Mark zugebilligt, weil nur Tagegelder und 
Keisekosten in dieser Höhe nach Lage der Sache gemäss §. 2 I des Gesetzes 
vom 9. März 1872 gefordert werden könnten. Demgemäss ist der Kläger durch 
die Verfütcnng des Königlichen Amtsgerichts II zu Berlin vom 23. November 1891 
unter Androhung der zwangsweisen Beitreibung zur Rückzahlung von 9 Mark 
aufgefordert. Er hat diesen Betrag unter dem, in der Quittung vom 29. De¬ 
zember 1891 anerkannten Vorbehalte seiner Rechte an diesem Tage gezahlt. 

Der Kl iger fordert nunmehr diese 9 Mark zurück. Er hält seine Liqui¬ 
dation aufrecht, insbesondere soweit die Gebühr für die Besichtigung von drei 
Leichnamen nach §. 3, Nr. 2]des cit. Gesetzes in Frage kommt, und ist der 
Meinung, dass ihm allein nach §. 5 daselbst die Wahl zustehe, ob er diese Ge¬ 
bühr oder die Tagegelder (§. 2 a daselbst) liquidiren wolle, hält auch die Dauer 
des Termins im vorliegenden Falle für unerheblich. Demgemäss hat er beantragt: 

Den Beklagten kostenpÜichtig zu verurtheilen, an den Kläger 9 Mark 
nebst 6‘^/o Zinsen seit dem 29. Dezember 1891 zu zahlen, auch das ürtheil für 
vorläufig vollstreckbar zu erklären. 

Der Beklagte hat dagegen beantragt: 

Die Klage abzuweisen, eventuell dem Beklagten nachzulassen die Zwangs¬ 
vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. 

Kr hält die für die Besichtigung von Leichnamen liquidirte Gebühr um 
deswillen für ungerechtfertigt, weil es sich nicht um eine Besichtigung von 
Leichnamen, son^iern um eine solche von Leibesfrüchten, die noch nicht lebens¬ 
fähig gewesen seien, gehandelt habe. Diese Leibesfrüchte hätten den dritten 
Schwaugerschaftsmonat noch nicht erreicht gehabt, seien deshalb noch nicht fähig 
gewesen ausserhalb des Mutterleibes zu leben, mithin auch nicht Leichname. 
Der vom Kläger in Anspruch genommene §. 3, Nr. 2 des Gesetzes vom 9. März 
1892 treffe demgemäss nicht zu, und eine analoge Anwendung sei nicht zulässig. 

Der Kläger entgegnet, dass die Leibesfrüchte bereits menschliche Gestalt 
und Form gehabt hätten. Derartige Leibesfrüchte würden aber allgemein bei 
einer Untersuchung wie wirkliche Leichname behandelt, und es würden be- 


*) Damit ist diese Diskussion für die Zeitschrift jedenfalls geschlossen. 

Red. 



550 


Einige Entscheidungen zum Taxgesetz vom 9. März 1872. 


züglich solcher auch stets Obduktions- (Leichenbesichtigungs-) Protokolle anfge- 
nommen. Diese Protokolle würden auch direkt von den Gerichtsbehörden ver¬ 
langt. Die Thätigkeit und Mühewaltung des besichtigenden Arztes sei daher 
die gleiche, wie bei wirklichen Leichen. Dementsprechend seien auch stets die¬ 
selben Gebühren, wie für Besichtigung wirklicher Leichname, von den Gerichten 
zugebilligt. 

Der Beklagte bestreitet dies, hält es auch für unerheblich. 

Entscheidungsgründe. 

Der Streitpunkt, ob der Kläger berechtigt ist, im vorliegenden Falle die 
Gebühr für Besichtigung von drei Leichnamen nach §. 3, Nr. 2 des Gesetzes vom 
9. März 1872 zu liquidireu, ist im Sinne des Beklagten zu entscheiden. 

Noch nicht lebensfällige Leibesfrüchte, wie sie hier unstreitig in Frage 
stehen, können nach dem Sprachgebrauch als „Leibesfrüchte“ nicht angesehen 
werden. Leichnam, gleichbedeutend mit Leiche, bezeichnet — nach G r i m m ’ s 
Wörterbuch — einen todten Menschenleib; deshalb ist zwar ein todtgeborenes, 
jedoch entwickeltes Kind, nicht aber ein blosser Foetus als Leiche anzusehen 
(Ol sh aasen Kommentar zum Strafgesetzbuch Nr. 1 zu §. 168 d. St.-G.»B., 
ebenso Sebwartze Nr. 1, Pochelt Nr. 1, Kommentar ad h. 1.). Anch das 
Preussische Obertribunal hat, wie der Beklagte angeführt hat, — allerdings nur 
zur Auslegung der jetzigen §§. 168, 367 Nr. 1 d. Strafgesetzbuchs — den Grund¬ 
satz ausgesprochen, dass der todte Körper eines neugeborenen Kindes (einer 
Leibesfrucht) nnr dann als Leichnam anzusehen sei, wenn es diejenige Helfe 
erlangt bat, dass es ausserhalb des Mutterleibes hätte leben können. (Oppen¬ 
hoff, Rechtssp. Bd. 8. p. 6, Bd. 1, p. 384, Bd. 12, p. 317.) 

Der Umstand, dass die Leibesfrüchte bereits menschliche Form nnd Ge¬ 
stalt angenommen haben mögen, vermag sie noch nicht als Leichname gelten 
zu lassen, denn dadurch sind sie noch nicht zu Menschenleiberu geworden. Eben¬ 
sowenig kann sich gegenüber jener Auslegung des Gesetzes der Kläger auf einen 
angeblichen, ihm günstigen, Geriebtsgebraueb berufen — der das Gesetz un¬ 
richtig angewendet batte — und auch nicht darauf, dass die Thätigkeit und 
Mühewaltung die gleiche sei, wie bei wirklichen Leichen; eine analoge Anwen¬ 
dung des Gesetzes kann — wie der Beklagte zutreffend hervorgehoben hat — 
bei dessen Charakter nicht für zulässig erachtet werden. 

Ist demnach der Kläger nicht berechtigt, die fragliche Gebühr zu liqui- 
diren, so konnte er lediglich Tagegelder und Reisekosten in Ansatz bringen. 

Hiernach rechtfertigte sich die getroffene Entscheidung.“ 

In vorliegendem Falle handelte es sich um die Besichtigung 
von noch nicht drei Monate alten Leibesfrüchten und dürften 
diese wohl kaum als „Leichname“ im Sinne des Taxgesetzes be¬ 
zeichnet werden können. Anders liegen die Verhältnisse aber bei 
5—7 Monate alten, nicht lebensfähigen Leibesfrüchten. Würde 
auch hier der in der vorstehenden Entscheidung ausgesprochene 
Grundsatz künftighin als massgebend angesehen werden, so würde 
dies gegenüber dem bisher in dieser Hinsicht beobachteten Ver¬ 
fahren eine erhebliche Schädigung der Gerichtsärzte in Bezug auf 
ihre Gebühren bedeuten, da dann in allen Fällen, in denen sich 
bei der Obduktion derartiger Leibesfrüchte herausstellte, dass sie 
vor der 28. Woche geboren, also nicht lebensfähig gewesen seien, 
Obduktionsgebühren nicht beansprucht werden könnten. Um so 
mehr erscheint es daher angezeigt, sich in solchen Fällen nicht 
bei dieser gerichtlichen Entscheidung zu beruhigen, sondern diese 
Prinzipienfrage noch in höchster Instanz (Oberlandesgericht bezw. 
Reichsgericht) zur Entscheidung zu bringen. 

b. Bei einer erst am zweiten Tage beendeten Obduk¬ 
tion kann die Obduktionsgebühr nicht doppelt, sondern 
nur einmal beansprucht werden. 



Einige Entscheidungen zum Taxgesetz vom 9. März 1872. 


551 


Entscheidung des Königlichen Oberlandesgerichts 
zu Posen vom 3. August 1892. 

Am 8. Dezember v. J. wurde auf Ersuchen des Königlichen 
Amtgerichts zu S. von den Gerichtsärzten Kreisphysikus Dr. Sch. 
zu S. und Kreis Wundarzt Dr. P. zu P. die Sektion einer länger 
als 6 Woclien begrabenen Leiche in M. vorgenommen. Die Her- 
beischafFung der im Walde vergrabenen Leiche verzögerte die 
Vornahme der Sektion so selir, dass dieselbe erst am Nachmittage 
begonnen werden konnte und wegen mangelnden Tageslichtes nach 
Eröffnung der Schädelhöhle abgebrochen werden musste. Da der 
zuständige Richter am folgenden Tage (9. Dez.) wegen ander¬ 
weitiger gerichtlicher Geschäfte verhindert war, den Termin fort¬ 
zusetzen, so wurde die Sektion nicht am folgenden, sondern erst 
am nächstfolgenden Tage (10. Dez.) zu Ende geführt. Für ihre 
Thätigkeit wurden den beiden Gerichtsärzten von dem betreffenden 
Amtsgerichte je 48 Mark (24 Mark pro Tag, mit Rücksicht, dass 
die Leiche über 6 Wochen vergraben gewesen war) zugebilligt; 
die Strafkammer des Königlichen Landgerichts in Posen setzte 
jedoch diesen Gebührenbeti-ag auf die Hälfte herab und zwar aus 
folgenden Gründen: 

„Der Wortlaut des für die Entecheidung in Frage kommen §. 3, Nr. 4 
des Gesetzes vom 9. März 1872 lässt nicht den mindesten Zweifel darüber, dass 
die gesammte Mühewaltung der Gerichtsärzte bei Besorgung des gerichts¬ 
ärztlichen Geschäfts der Sektion durch die Sätze von 12 bezw. 24 Mark sbge- 
golten werden soll, ganz gleichgültig ob das Geschäft an einem oder mehreren 
Tagen vollendet wird. Es ist gerade im vorliegenden Falle mit einer besonderen 
Genauigkeit der Umfang der Leistung bestimmt, indem Besichtigung und Ob¬ 
duktion als die zu lohnende Thätigkeit bezeichnet wird. Hätten die Gerichts- 
ärzte am 8. Dezember nur die Besichtigung der Leiche vorgenommen, so wäre 
sicherlich der Umfang der Leistung, der im Gesetze vorgesehen ist, nicht erfüllt, 
dies ist aber auch dann nicht der Fall, wenn die Obduktion nicht in allen im 
Beglement bestimmten Theilen erledigt ist. Die Thätigkeit am 8. und 10. De¬ 
zember stellt sich deshalb nur als eine Besichtigung und Obduktion dar und 
ist darum nur ein Mai zu entschädigen. Daraus ergiebt sich die Berichtigung 
der früheren Festsetzung dahin, dass jedem der Geriebtsärzte nur 24 Mark zu 
bewilligen sind.“ 

Gegen diesen Beschluss erhoben die betheiligten Gerichts¬ 
ärzte bei dem Königlichen Oberlandesgericht zu Posen Beschwerde, 
die jedoch durch nachfolgende Entscheidung vom 3. August 1872 als 
unbegründet zurückgewiesen wurde: 

„In Erwägung, dass den Medizinalbeamten für die Besichtigung und Ob¬ 
duktion einer Leiche 12 Mark und wenn der Leichnam bereits sechs Wochen 
begraben war, 24 Mark an SektionsgebUhren zustehen, dass aber der Medizinal- 
beamte, welcher diese Sektionsgebühren beansprucht, Tagegelder für den Tag 
der Vornahme der Leichenölfnuug nicht erhält, 

in Erwägung, dass diese Bestimmung auch für den Fall Anwendung findet, 
w’cnn die Sektion mehrere Tage dauert, so dass der Medizinal beamte in diesem 
Falle nur die Wahl hat, ob er für die beiden Tage der Sektion nur die Tage¬ 
gelder oder ob er Sektionsgebühren in Anspruch nehmen will, 

in Erwägung, dass demnach der angefochtene Beschluss gerechtfertigt ist, 
wird in Gemässheit der §§. 3 und 5 des Gesetzes vom 9. März 1872 in der 
Fassung der Verordnung vom 17. September 1876 beschlossen: 

Die Beschwerde des Kreisphysikus Sanitätsrathes Dr. Sch. zu S. wird 
zurückgewiesen, die Kosten der Beschwerde werden dem Beschwerdeführer 
auferlegt,** 



552 


Einige Entscheidungen zum Tazgesetz vom 9. M&rz 1872. 


Obduktionen, die nicht an einem Tage vollendet werden 
können, kommen jedenfalls nur ausnahmsweise und dann nur bei 
auswärtigen Terminen und unter ganz besonderen Umständen (ge¬ 
frorene Leichen, kurze, trübe Wintertage u. s. w.) vor. Dass in solchen 
Fällen nicht die doppelte Obduktionsgebühr beansprucht werden 
kann, geht aus dem Wortlaut der Bestimmung im §. 3, Nr. 4 
zweifellos hervor und muss die Entscheidung des Landesgerichts 
wie des Oberlandesgerichts nach dieser Richtung hin als unbe¬ 
dingt zutreffend bezeichnet werden. Der Medizinalbeamte wird 
dann seine Liquidation am vortheilhaftesten so aufstellen, dass er 
für den ersten Tag die Obduktionsgebühr, für den nachfolgenden 
als Tag der Rückreise Tagegelder liquidirt; in dieser Weise auf¬ 
gestellte Liquidationen werden niemals beanstandet werden. Im 
vorliegenden Falle war nun allerdings diese Art der Gebühren- 
Berechnung nicht möglich, da ein Tag zwischen dem Anfang und 
der Beendigung der Obduktion lag. Es dürfte dies wohl ein ein¬ 
zig in seiner Art dastehender Fall sein, aus dessen weiterem 
Verlaufe sich aber für die Medizinalbeamten die Lehre ergiebt, 
in solchen Fällen die Sektion am ersten Tage ausnahmsweise bei 
künstlichem Lichte zu vollenden; wozu sie bei Behinderung des 
betreffenden Amtsrichters am nächsten Tage nach §. 6 des Ob¬ 
duktionsreglements unbedingt berechtigt sind. Die Liquidation 
kann dann, wie vorher angegeben, aufgestellt werden. 

c. Bakteriologische Untersuchungen des Darminhaltes 
choleraverdächtiger Personen sind nicht als medizi¬ 
nal-oder sanitätspolizeiliche Verrichtungen im Sinne 
des §. 1 des Gesetzes vom 9. März 1872 anzusehen, 
sondern als wissenschaftliche Vorarbeiten, für deren 
Ausführung dem Medizinalbeamten eine Gebühr von 

20 Mark zusteht. 

In einem früheren Ministerialerlasse vom 11. Januar 1861 
war der Grundsatz ausgesprochen, dass die Medizinalbeamten 
etwaige im allgemeinen staatlichen Interesse ihnen aufgetragene 
leicht ausführbare chemische Untersuchungen (z. B. von Tapeten¬ 
proben u. s. w.) unentgeltlich auszuführen haben. Bei Aufrecht¬ 
erhaltung dieses Grundsatzes hätten demnach die Kreisphysiker 
auch für die im allgemeinen staatlichen Interesse — also beim 
Ausbruch ansteckender Krankheiten, falls die Ortspolizeibehörde 
zur Tragung der Kosten nicht verpflichtet ist — etwa nothwen- 
digen bakteriologischen u. s. w, Untersuchungen keine besonderen 
Gebühren beanspruchen können, sondern sogar die Auslagen für 
verbrauchte Geräthschaften u. s. w. noch aus eigener Tasche be¬ 
zahlen müssen. Um so erfreulicher ist es daher, dass jetzt durch 
den. nachstehenden Ministerialerlass vom 17. Oktober d. J. 
(gez. im Aufträge: Bartsch; — M. N. 11789) jener Grundsatz 
&llen gelassen ist und den Kreismedizinalbeamten eine angemessene 
Gebühr* für solche Untersuchungen zugebiUigt wird. Der Erlass 
lautet wie folgt: 

„Auf den gefälligen Bericht vom 8. Oktober d. J. — I. ü. M. 5893 — 
betreffend die Kosten für die bakteriologische Untersnchnng des Darmiuhaltes 



Kleinere Mittheilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


553 


choleraverdKchtiger Personen, erwidere ich Ew. Hochwohlgeboren ergebenst, dass 
diese Untersnchongen nicht als medizinal- oder sanitätspolizeiliche Verrichtnngen 
im Sinne des §. 1 des Gesetzes vom 9. März 1872 zu gelten haben. Dieselben 
sind vielmehr als wissenschaftliche, zur Begründung solcher Verrichtungen er¬ 
forderliche Vorarbeiten anfzufassen, deren unentgeltliche Ausführung von dem 
Kreisphysikus weder in dem innerhalb seines eigenen Kreises, noch in den 
innerhalb anderer Kreise vorkommenden Fällen gefordert werden kann. Die 
Höhe der liqoidirten Gebühren von 20 Mark für die in dem einzelnen Er- 
kranknngs- oder Todesfall nöthigen Untersuchungen erscheint der Schwierigkeit, 
dem Zeitaufwand und der Verantwortlichkeit, welche mit denselben verbanden 
sind, angemessen. Die gedachten Kosten werden auf die Staats-Kasse über¬ 
nommen werden.“ 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

B. Hygi ene und öffentliches Sanitätswesen. 

lieber die intraperitonale Cholera-Ipjektion der Meerschweine. 
Von Prof. Dr. M. Gruber und Dr. E. Wiener. Wiener klin. Wochenschrift 
1892; Nr. 38. 

Mit Cholerabakterien verschiedenen Ursprungs (darunter Cholera von Bom¬ 
bay, Tonking und Cholera von Pfeiffer in Berlin), welche sowohl hinsichtlich 
ihres mikroskopischen Aussehens, als auch hinsichtlich des Verhaltens ihrer Ko¬ 
lonien erhebliche Unterschiede darboten und unter welchen namentlich der 
Pfeiffer’ sehe Vibrio von dem Koch ’schen so auffallend abwich, dass ihre Iden¬ 
tität zweifelhaft erschien, sachten die Verfasser die zwischen ihren Beobach¬ 
tungen und den Untersuchungen von R. Pfeiffer bestehenden Widersprüche 
aufzuklären. 

Bei Injektion von Agar - Kulturen (eine Platinöse) in die Bauchhöhle 
fanden sie die von Pfeiffer beobachteten Krankheitserscheinungen, niemab aber 
die von Hneppe bei gleichem Verfahren beschriebene Gastroenteritis mit 
Wucherung von Vibrionen im Darmtranssudat. Während aber auch der makro¬ 
skopische Sektionsbefund mit dem von Pfeiffer beschriebenen übereinstimmte, 
ergab die bakteriologische Untersuchung, wenigstens so oft virulente junge Kul¬ 
turen zur Anwendung gelangten, in dem peritonalen Exsudate, im subkutanen 
(ledern — wo solches vorlag —, in der Bauchwand, im Zwerchfell und im p|leu- 
ritischen Exsudate reichlichste Wucherung von Vibrionen. Die hieraus gezüch¬ 
teten Kulturen waren zwar virulent, jedoch nach Tödtung ihrer Bakterien, selbst 
bei Anwendung des zwanzigfachen der tödtlichen Dosis der lebenden Kultur, 
giftfrei. Dies fand sich bei allen fünf Vibriosorten, welche die Verfasser be¬ 
nutzten. Nach Gruber ist daher die Krankheit der Meerschweine nach intra¬ 
peritonaler Injektion von Cholerabakterien keine Intoxikation (Pfeiffer) oder 
Enzymwirkung (Hueppe), sondern eine spezifische Injektion. 

Volle Infektionstüchtigkeit besassen nur ganz junge (15—30 Standen alte) 
Enlturen. Von Agarkulturen bei 37 ® gilt dies stets. Nicht so ganz regelmässig 
gilt dies bei anderen Nährböden. Je älter die Kultur, um so geringer war ihre 
Wirkung, dagegen zeigten sich ans unwirksamen oder schwach wirksamen Kul¬ 
turen angelegte frische Kulturen vollvirulent. Auch alte und junge Theile ein 
und derselben Kultur waren von verschiedener Virulenz. Es gelang durch Ein¬ 
bringen von 0,1 bis 1,0 cm Peritonealexsudat verendeter Thiere in die Bauch¬ 
höhle gesunder Thiere, diese zu infiziren und in dieser Weise die Krankheit bis 
zum siebenten und achten Thiere weiter zu verbreiten. Die Intensität der Er¬ 
krankung nahm indess ab, so dass das letztinfizirte Thier trotz der Anwesenheit 
massenhafter Vibrionen keine nachweisbaren Gesundheitsstörungen darbieten, 
und bei sehr abgeschwächten Vibri nen schon die erste Uebertragung versagen kann. 

Als Ursache dieser Erscheinung vermuthen die Verfasser den durch die 
Anaörobiose verursachten Verlust der Fähigkeit, diejenigen für den Wirthskörper 
schädlichen Substanzen zu bilden, ohne welchen sich die Bakterien in diesen 
nicht zu behaupten vermögen. Ans derartigen, trotz der Impfung nicht mehr 
erkrankten Thieren angelegte aerobe Kulturen erwiesen sich wieder virulent. 

Schliesslich berichten die Verfasser über erfolgreiche Immnnisirnngen von 



554 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Meerschweinen durch Verimpfung abgetödteter Kulturen. Vielfach war die Im¬ 
munität schon am dritten Tage ansgebildet. 

Dr. F1 a 11 e n - Wilhelmshaven. 


Ueber das Verhalten der Cholerabazillen auf frischen Fr&chten, 
einigen Genuss- und Nahrungsmitteln. 

Anlässlich der gegenwärtigen Cholera-Epidemie ist die Frage nach der 
Möglichkeit einer Verschleppung der Senche durch Nahmngs- und Genussmittel 
vielfach erörtert worden. Zur wissenschaftlichen Prüfung dieser Frage sind seit 
längerer Zeit im Kaiserlichen Gesundheitsamt Untersuchungen ange¬ 
stellt, welche das Verhalten der Cholerabazillen auf den bezeichneten Gegen¬ 
ständen betreffen. Das Ergebniss der Untersuchungen, welches in Nr. 42 der Ver¬ 
öffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes mitgetheilt wird, ist kurz 
Folgendes : 

Wie sich erwarten Hess, starben die Bazillen bei Zimmertemperatur 
auf dem Fleisch von Früchten, dessen Säuregehalt (in *’/• Apfelsänre be¬ 
rechnet) mehr als 2'’/o betrug (z. B. Johannisbeeren und Preisselbeeren) in 
1—2 Stunden ab. Auch auf dem Fleische von Himbeeren, die 1,38®/« Säure¬ 
gehalt haben, waren die Bazillen schon in einer Stunde vernichtet. Während 
sie 3—6 Stunden lang im Fleisch von sauren Kirschen, italienischen Pfirsichen, 
Pflanmen und Aepfeln (0,67—0,86®/o Säuregehalt) am Leben blieben. Nach 20 
bis 24 Stunden waren sie erst vernichtet auf dem Fleisch von Aprikosen, Erd¬ 
beeren, Stachelbeeren, Reineclauden trotz des verhältnissmässig hohen Säuren¬ 
gehaltes dieser Früchte (1,03—l,4®/o). Mehrere Tage hielten sich die Bazillen 
in süssen Herzkirschen, Birnen und Gurken (unter 0,38 ®/o Säuregehalt). 

Das Ergebniss dieser Versuche blieb im Wesentlichen dasselbe, wenn die 
mit Cholerabazillen beschickten Früchte bei einer Temperatur von 37® C. 
auf bewahrt wurden. Dagegen vermochten die Bazillen auf der Oberfläche 
der Früchte weit länger lebensfähig zu bleiben. Im angetrockneten Zustande 
starben sie z. B. auf der Oberfläche von Kirschen, Stachelbeeren, Aprikosen, 
grossen Pflaumen und weissen Johannisbeeren erst nach einem, auf der Ober¬ 
fläche von Pfirsichen erst nach zwei Tagen. In feuchtem Zustande lebten sie 
auf Kirschen, Johannisbeeren und Gurken 5—7 Tage. Wurden die Bazillen in¬ 
dessen auf der Oberfläche von Johannisbeeren, Kirschen, Reineclauden, Aprikosen 
und Pflaumen dem direkten Sonnenlicht (33 ® R.) ansgesetzt, so starben sie schon 
nach spätestens 5 Stunden. 

Von zur Untersuchung herangezogenen Getränken waren die Bazillen 
vernichtet in Weisswein in 5, Rothwein in 10, Apfelwein in 20 Minuten, in4®/o 
erkaltetem Aufguss von chinesischeinThce in 1, in 6®/o erkaltetem Kaffee-Auf¬ 
guss, sowie inBerliner Weissbier in 2, in Müueheuer, Patzenhofer und Pilsener 
Bier in 3, in 6 ®/j Kaff'eeaufguss mit Zusatz von Roggen und Cichorien in nicht 
sterilisirter Milch in 5 Stunden, in 3 Aufguss von chinesischem Thee in 24 Stun¬ 
den, in 2®/o Theeaufguss in 4, in sterilisirter Milch in 10 Tagen. 

Auf Rollen-, Kau- und Schnupftabak starben die Cholerabazillen in 1—l'/j 
Stunden; auf dem angefeuchteten Mundende von Zigarren waren sie nach 
7 Stunden vernichtet. 

Auf Zucker-, Mandel- und (’hokoladenkonfekt waren die Bazillen nach 
24 Stunden, auf Bisquitkonfekt nach spätestens 4 Tagen abgestorben. 

Auf Salz- und geräuchertem Hering gingen die (^’holerabazillen in weniger 
als 24 Stunden, auf frischem Flunder, Schellfisch und Karpfen in weniger als 
2 Tagen zu Grunde. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen sollen demnächst ausführlich in den 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt veröffentlicht werden. 


Die Heilanstalten des Dentschen Reiches nach den Erhebongen 
der Jahre 1886, 1887 und 1888. I. Abtheilnng: Die allgemeinen 

Krankenhäuser. Medizinal-statistische Mittheilungen aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamte. Berichterstatter: Regierungsrath Dr. Rahts. Verlag von 
Julius Springer-Berlin. 1892. (Schluss.) 



Kleinere Mittheilnngen and Eeferate aus Zeitschriften. 


555 


IV. Krankheiten des Ohres. 

In den 3 Jahren sind 2261 — 2555 — 2787 Kranke angegangen, ver- 
hältnissmässig viele (1903) den Privatanstalten. der Fälle waren Krank¬ 
heiten des inneren Ohres; nur 1995 Zugangsfälle betrafen das äussere Ohr. Am 
häutigsten waren diese Krankheitsformen in Ostpreussen (7*’/oo). Letalitätsziffer 
74, davon 3 durch Krankheiten des äusseren Ohres. 

V. Krankheiten der Augen. 

In denjenigen Ländern, in denen besondere Augenheilanstalten ezistiren 
sind natürlich weniger Augeukranke behandelt worden, als dort, wo die Augen- 
leidenden auf die Anstaltspflege angewiesen sind, so z. B. in den kleineren 
Bundesstaaten. — Kontagiöse Augenkrankheiten; 3,5'’/o der Angen- 
krankcn, nehmen von Jahr zu Jahr zu. Zu den kontagiösen Augenkrankheiten 
werden gerechnet: Trachom, Tripperblennorrhoe und die diphtheritische Ent¬ 
zündung. An diesem litten in Anhalt mehr als der dritte Theil aller Augon- 
kranken, in Hessen mehr als 10%, in Ostpreussen 5,8%. — 35 Todesfälle, 
darunter 10 Mal in Folge kontagiöser Angenkrankheit. 

VI. Krankheiten der Athmungsorgane. 

Im ganzen Reiche litten von 1000 Patienten etwa 136 daran; am 
wenigsten war diese Gruppe in den Krankenhäusern einiger Küstengegenden 
vertreten, in Schleswig - Holstein, Hamburg, Pommern, Ostpreussen u. s. w. — 
*/* der Kranken waren männlichen Geschlechts; 20,6®/o endeten tödtlich. 

Lungenschwindsucht (bereits oben beschrieben): 26 ®/q aller Kranken 
dieser Gruppe starben. 

Bronchialkatarrh: akuter und chronischer Bronchialkatarrh am 
häufigsten in Eisass-Lothringen, Württemberg und Bayern, selten in Bremen, 
Hamburg und Sachsen. Der chronische war besonders häufig noch in Posen. 
Von je 1000 Kranken in Eisass-Lothringen litten 41,6, im Königreich Sachsen 
nur 14,9 an Bronchialkatarrh. — 696 Patienten starben an akutem, 2774 
Patienten an chronischem Katarrh. 

Lungenentzündung: 20®/o aller behandelten Fälle haben zum Tode 
geführt. Von je 40 in Zugang gekommenen Personen litt 1 an Lungenentzündung, 
von je 16 Todesfällen wurde 1 durch diese Krankheit verursacht. 46418 Patienten 
(darunter 35910 männlichen Geschlechts) kamen in Zugang. Am bängsten war 
die Krankheit in Westfalen, Westpreussen, Posen und Eisass-Lothringen; am 
seltensten in Württemberg, Baden, Sachsen. Die Sterblichkeit unter den au Lungen¬ 
entzündung Behandelten war am geringsten in Bayern (11,4®/,), am höchsten in 
Eisass- Lothringen (32,2 ®/o) und Berlin (32,1). Im Königreich Preussen, namentlich 
in Berlin und Pommern, ist die Lungenentzündung seltener, in Bayern, Sach-sen 
und Eisass - Lothringen dagegen häufiger geworden. 

Brustfellentzündung ist ebenfalls in Preussen seltener, dagegen in 
Eisass - Lothringen häufiger geworden. Von je 1000 abgelaufenen Krankheits¬ 
fällen betrafen die Brustfellentzündung: in Württemberg 17,9, Ostpreussen 16,5, 
Berlin 15,8, Eisass-Lothringen 9,8, Sachsen-Weimar 9,5. — Es starben im 
Durchschnitt 8®/o, relativ viele in Ostpreussen (13,9®/o) und Westpreussen (12,6 ®/o). 

Emphysem: 10225 männliche und 2465 weibliche Patienten fanden 
Aufnahme. Letalitätsziffer: 1095. Relativ häufig war Emphysem in Süddeutsch¬ 
land Gegenstand der Krankenbausbehandlung. 

Kropf: 1599 meist weibliche Patienten, hauptsächlich noch in Württem¬ 
berg, Baden und Sachsen-Weimar behandelt, doch auch in Bayern und Sachsen 
häufiger beobachtet. 6®/o aller Fälle sind im Krankenhause gestorben. 

Vn. Krankheiten der Kreislaufsorgane. 

Diese betrafen 3"/o aller zugegangenen Fälle und waren in Süddeutsch¬ 
land häufiger als in Norddeutscbland; innerhalb Preussens kamen sie zumeist in 
Berlin und Hessen-Nassau zur Beobachtung. — Von Krankheitsformen sind in 
erster Reihe Herzkrankheiten, dann als seltener die Erkrankungen der Blut- und 
Lymphgefässe zu nennen. Die Krankheiten waren häufiger bei weiblichen Per¬ 
sonen (3,4®/„) als bei männlichen (2,7®/o), nur die Aneurysmen sind häufiger 
beim männlichen Geschlechte beobachtet worden. 

Herzkrankheiten: Die Zahl der mit die.sen Leiden behafteten 
Patienten ist stets im Wachsen begriffen, im Jahre 1882: 11,4 ®/oo, im .Jahre 
1887: 15®/uo vom Gesammtzugange. Die meisten Herzkrankheiten sind beobachtet 



556 


Kleinere Mittheilnngen and Referate ans Zeitschriften. 


in Eisass-Lothringen, Berlin, Bayern, Baden, — die wenigsten (nnter 10®/oo) in 
Schleswig - Holstein, den deutschen FürstenthUmern, Brandenburg. Im Königreiche 
Sachsen und in Bremen sind, obgleich, wie früher mitgetheilt, der akute Gelenk¬ 
rheumatismus dort viel vorkam, Herzkrankheiten verhältnissmässig nicht oft ge¬ 
wesen. — 27,6 ®/o der abgelaufenen Fälle endeten tödtlich, besonders oft in 
Braunschweig (46®/ol. Von den männlichen Herzkranken starben ca. 25 "/o, von 
den weiblichen 31®/,,. Eine Abnahme der Herzkranken war im Gegensatz zur 
Gesammtzunahme u. a. in Eisass - Lothringen, Hamburg, Schleswig-Holstein za 
bemerken. 

Von sonstigen Krankheiten der Kreislaufsorgane sind zu erwähnen: 

Pnlsadergeschwulst: 1147 neue Fälle, besonders häufig in Berlin; 
70 ®/j männliche Patienten, 306 starben, d. h. 26,5 von je 100 abgelaufenen Fällen. 

Altersbrand: 732 Fälle; in Bayern, Ost- und Westpreussen häufig. 
53®/o endeten tödtlich. 

Krampfadern: 5604 Patienten, fast */* bei weiblichen Personen, am 
häufigsten in Mecklenburg - Schwerin; 22 Todesfälle. 

Venenentzündung: 2031 Patienten, 118 Todesfillle; häufiger bei Frauen. 

Lymphgefäss- und Lymphdrüsenentzündung: 18864 Fälle, die 
meisten in Hamburg und der Rheinprovinz. Von je 1000 Männern litten 9,4, 
von je 1000 Frauen 11,3 daran; 164 Todesfälle. 

Vni. Krankheiten der Verdannngsorgane. 

Sie sind häufiger beobachtet als in den Vorjahren. 215782 Personen mit 
derartigen Leiden gingen im Ganzen zu; sie kamen bei weiblichen Personen 
häufiger (14,1®/,), als bei männlichen (10,1®/,) vor. 

Akuter Magenkatarrh: Auf ihn entfällt etwa der dritte Theil der 
ganzen Gruppe, weitere 11®/, auf den akuten Darmkatarrh. Am meisten 
sind beide Krankheiten in Bayern, am seltensten in Mecklenburg-Schwerin 
und Sachsen - Weimar beobachtet. Nur 0,2 ®/, der abgelaufenen Fälle endeten tödtlich. 

Chronischer Magenkatarrh und chronischer Darmkatarrh 
sind seltener zagegangen; ersterer war häufiger in Süddeutschland, letzterer in 
Ostpreussen, Berlin, Pommern. 

Krankheiten der Leber und ihrer Ausftthrnngsgänge: 6173 
männliche und 3705 weibliche Personen; im Ganzen 5,3 von je 1000 Kranken. 
21®/, der Fälle führten zum Tode. Auffallend häufig waren sie in Elsass- 
Lotbringen. 

Magenkrampf und Magengeschwür, mehr beim weiblichen Ge- 
schlechte (+ 7,6®/,,). Besonders häufig in Bayern. 674 Sterbefälle an Magen¬ 
geschwür. 

Bauchfellentzündung: 4589 bei männlichen und 4585 bei weiblichen 
Kranken; 22®/, der Fälle (2056) führten zum Tode. 

Krankheiten der Milz: 478 Fälle, davon 102 in Bayern. Innerer 
Darmverschluss: 1097 Patienten mit 520 Todesfällen. 

Brachleiden: Nicht eingeklemmte häufig in Bayern und Württemberg. 
Von den an eingeklemmten Brüchen behandelten Personen sind 18 ®/, im Kranken- 
hause gestorben. 

IX. Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane (excl. der 

venerischen Leiden). 

Am häufigsten sind Krankheiten der Gebärmutter, dann der Niere und 
Blase in Behandlung gekommen. Wegen der hohen Zahl ersterer Erkrankungen 
überwiegt in dieser Gruppe das weibliche Geschlecht (635®/,,). 

Krankheiten der Gebärmutter wachsen von Jahr zu Jahr an 
Zahl; es gingen in den drei Berichtsjahren zu: 9783— 10498 — 11048. Ausser¬ 
dem 4601 Patientinnen mit Krankheiten des Eierstocks und 5758 mit Krankheiten 
der Scheide. Von Preussen sind die meisten derartigen Erkrankungen in Berlin 
und Pommern behandelt worden. — Es starben an Krankheiten der Gebärmutter 
660 (2,1®/,), des Eierstocks 7,3®/,, der Scheide 19®/,. 

Krankheiten der Nieren: 16025 Personen gingen zu; 30,7*/, der 
Behandelten starben. Die Häufigkeit der Nierenkraukheiten geht derjenigen der 
Herzkrankheiten nicht parallel. Am häufigsten sind erstere in Berlin, Posen, 
Ost- und Westpreussen, am seltensten in Bayern und Württemberg. 

Krankheiten der Blase zeigten eine ähnliche Verbreitung wie die 
Nierenkrankheiten. 10247 Fälle, 7495 männliche Kranke, 706 Todesfälle. 



ELleinere Mittheilangen and Beferate an? Zeitschriften. 


667 


Steinkrankheit, im Ganzen seltenes Leiden, 662 männnliche und 69 
weibliche Kranke; 78 Todesfälle. Verhältnissmässig hänfig war das Leiden 
im Königreich Sachsen, Eisass - Lothringen, Baden and Schleswig • Holstein. 

Hieran kommen: 1305 Fälle mit Prostata-Leiden; 2628 Fälle Ton 
Verengerung der Harnröhre (davon 182 bei weiblichen Personen); 3220 
von Wasserbrach, 2367 von anderen Krankheiten der Hoden and 1692 
von Krankheiten des männlichen Gliedes. 

X. Krankheiten der äusseren Bedeckungen. 

Krätze, die häufigste Krankheit dieser Gruppe, 31 **/« aller Fälle. Im 
Jahre 1879 entfielen von je 1000 Kranken noch 146,8; dagegen im Jahre 
1887 : 42,0, im Jahre 1888 : 43,1 Fälle. Am häufigsten war auch in diesem 
Berichtszeiträume wieder die Krätze in Sachsen - Altenburg (37,3 '*/o) aller Fälle. 
In Berlin und Eisass-Lothringen betraf Krätze kaum l,2<*/o der Fälle. 

Akute Hautkrankheiten ausser der Krätze sind noch in 12609 
Fällen beobachtet worden. 

Andere Krankheiten der äusseren Bedeckungen: im 
Ganzen sind 1156 5, davon 29 501 bei weiblichen Personen verzeichnet. 

Zellgewebsentzündungen: 30987 Personen (darunter 8436 weib¬ 
liche); Panaritien: 17512Personen (darunter9025weibliche); Karbunkel: 
4256 Personen (darunter 877 weibliche). Mithin 7®/o männliche, 13,7 ®/o weib¬ 
liche Kranke mit Panaritium. Die Letalität war eine geringe; denn es starben 
von den Patienten mit Zellgewebsentzündung 2,2 ®/o, von denen mit Karbunkel 
nur 2,4 »/o. 

XI. Krankheiten der Bewegungsorgane. 

Hierunter werden begriffen die Krankheiten der Knochen, Knochen¬ 
haut, Gelenke, Muskeln und Sehnen. Im Ganzen litten 144 868, d. h. 
77 ®/oo aller neu anfgenommenen Kranken daran. Die Leiden haben stetig zuge- 
nommen. 68,5 ®/q entfallen auf das männliche, 31,5 ®/o auf das weibliche Ge¬ 
schlecht. Von den Knochenleiden endeten 6,16 “/o, von den Gelenkleiden 2,38 ®/o, 
von den Krankheiten der Muskeln und Sehnen nur 0,19 ®/o tödtlich. Die schwer¬ 
sten Knochenleiden kamen in Oldenburg, Bremen, Braunschweig vor, die Ge¬ 
lenkleiden in Ostprenssen, HamWrg. 

XTT. Mechanische Verletzungen. 

Die Zahl derselben hat von Jahr zu Jahr zugenommen; im Jahre 1883 
gingen zu 69376, im Jahre 1888 86708 Fälle, oder 109,0 bezw. 134,5 ®/oo. Da¬ 
gegen lässt sich ein ununterbrochenes Sinken der Sterbeziffer von Jahr zu Jahr 
konstatiren: es endeten tödtlich von je KKX) abgelaufenen Fällen in den Jahren: 31,8 — 
30,4 — 29,0 — 28,4 — 26,0 — 25,2. Hiernach blieben im letzten Berichts¬ 
jahre von je KKX) Verletzten 6,6 mehr als vor 5 Jahren am Leben, was einem 
Gewinn von 572 Menschenleben entspricht. Diese stetig zunehmenden besseren 
Erfolge sind zweifellos der neuen Wundbehandlung zuzuschreiben. — Unter je 
100 mechanischen Verletzungen entfielen 84,9 auf das männliche, 15,1 auf das 
weibliche Geschlecht. Bei beiden Geschlechtern waren Quetschungen und 
Zerreissungen die häufigsten, Verrenkungen die seltensten Formen der Ver¬ 
letzungen. Verbrennungen sind drei Mal so häufig bei weiblichen als bei 
männlichen Verletzten konstatirt worden. — Die 51744 Kn ochenbrüche ver¬ 
theilen sich derart, dass auf je 3 Brüche der oberen Gliedmassen etwa 5 der 
unteren zur Krankenhausbehandlung kamen. 4199 Rippenbrüche, 3833 Brüche 
am Kopfe, 888 Brüche der Wirbelsäule, 207 KnochenbrUche ohne nähere Angabe. 

Verrenkungen: 7454 Zugangsfälle (1390 bei weiblichen Personen); 
tödtlich endeten 26 Fälle. 40®/o entfielen auf das Schulter-, 17,6 */„ auf das 
Fass-, 12,2 ®/o auf das Ellenbogen - Gelenk. 

Verstauebungen: 11776 männliche, 2968 weibliche Patienten. 

Quetschungen und Zerreissungen: 102432Fälle, bei männlichen 
etwa 8 Mal so viele wie bei weiblichen Kranken; 1,8®/, der Fälle erlagen. 

Wanden durch Stich, Hieb und Schuss führten in 1,4®/, der Fälle 
zum Tode. 

Erfrierungen: es gingen zu 3098 — 2881 — 4077 Personen. Be¬ 
sonders häufig in Reuss j. L., Württemberg, Bayern. In Württemberg kamen 
im Verhältniss zur Gesaramtzahl der Kranken 3’/* Mal so viel Erfrierungen wie 
in Schle.swig - Holstein vor; in den Krankenhäusern zu Gera und Schleiz 20 Mal mehr 
als in Berliner Krankenhäusern. 



558 


Tagesnachrichten. 


Ohne bestimmte Diagnose sind 24728 neue Krankheitsfälle geführt, 
es sind somit ca. 13 der Krankheitsfälle fflr die Krankheitsstatistik verloren 
gegangen. 

üeberblickt man die aufgezeichneten Zusammenstellungen, so ergiebt sich: 

1) dass der Tod der Krankenhausinsassen weitaus häufiger durch ein 
Leiden innerer Organe, als durch ein äusseres oder eine Verletzung 
herbeigeführt worden ist. 

2) dass auf je 8 Kranke mit äusseren Leiden 4 mit Leiden innerer 

Organe kamen. Dr. Israel-Medenau (Ostpr.). 


Tagesnachrichten. 

Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht folgenden Allerhöchsten Erlass 
vom 17. Oktober 1892 an den Kultusminister, in dem allen staatlichen und 
kommunalen Behörden und Beamten für die aufopferungsvolle, pflichttreue und 
zielbewusste Arbeit behufs Bekämpfung derCholeragefahr der wärmste 
Dank und besondere Anerkennung ausgesprochen wird. Der Erlass lautet: 

„Ich habe von Ihrem Mir unterm 4. d. Mts. erstatteten Bericht über die 
Choleragefahr in Preussen und die zu ihrer Bekämpfung angeordneten 
Massnahmen mit lebhafter Befriedigung Kenntniss genommen. Die getroffenen 
Vorkehrungen finden Meine volle BUligung. Ich bin sehr erfreut, dass sie auf 
wissenschaftlicher Forschung und praktischer Erfahrung beruhenden Anord¬ 
nungen von allen dazu berufenen staatlichen und kommunalen Organen mit 
grosser Umsicht und regem Eifer zur Ausführung gebracht sind und auch bei der 
Bevölkerung verständnissvolle Aufnahme und Beachtung gefunden haben. Wenn 
es unter des Allmächtigen gnädigem Schutze und sichtlichem Beistände bisher 
gelungen ist, die Choleragefahr im Lande so erfolgreich zu bekämpfen, und die 
zuversichtliche Hoffnung auf ein baldiges völliges Erlöschen der Seuche berechtigt 
erscheint, so hat hierzu, wie Mir wohl bewusst, die aufopferungsvolle, pflicht¬ 
treue und zielbewusste Arbeit der Behörden und einzelnen Beamten wesentlich 
beigetragen. Ich kann es mir daher nicht versagen, allen Betheiligten Meinen 
wärmsten Dank und Meine besondere Anerkennung hiermit auszusprechen, und 
ersuche Sie, dies in geeigneter Weise zu ihrer Kenntniss zu bringen. 

Marmorpalais, den 17. Oktober 1892. Wilhelm R.“ 


Gegenwärtig tagt in Berlin die durch den Hinzutritt von Vertretern der 
Aerztekammem erweiterte wissenschaftliche Deputation für das Medizinal¬ 
wesen unter dem Vorsitz ihres Direktors, des Ministerialdirektors Dr. Bartsch. 
Auf der Tagesordnung stehen zwei unter den jetzigen Zeitverhältnissen besonders 
wichtige Gegenstände der öffentlichen Gesuudheit.spfiege, nämlich die Anzeige¬ 
pflicht bei ansteckenden Krankheiten der Menschen und die Staatsaufsicht über 
Einrichtung und Betrieb der öffentlichen und der Privatkrankenanstalten. Die 
Berathungen werden voraussichtlich mehrere Tage in Anspruch nehmen. Als 
Referenten für den ersten Gegenstand sind Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gerhard- 
Berlin und Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Förster-Breslau bestellt. 


Die Cholera ist in Hamburg dem völligen Erlöschen nahe; wie die 
nachstehende Uebersicht zeigt. Danach betrug die Zahl der 

Erkrank- Verstor- Erkrank- Verstor- 





ten: 

benen: 



ten: 

benen: 

am 

11. Oktober 

19 

2 

am 20. 

Oktober 

3 

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12. 


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li 

1 

— 

„ 28. 

V 

4 

— 


Zusaminen: 127 31 

Bis zum 11. Oktober 17871 7572 


17998 7603= 42,3 "/o 



Tage snaohrichteii. 


569 


Nach den Wochen zummengestellt: Erkrankungen. TodesAlle. 

in der nennten Woche vom 9.—15. Oktober: 91 27 

„ j, zehnten „ „ 16.—22. „40 7 

Die Erkrankungen scheinen jetzt auch einen wesentlich gelinderen Ver¬ 
lauf zu nehmen, wenigstens ist die Prozentziffer der Todesfölle gegen früher er¬ 
heblich geringer. 

In Altona sind in der Zeit vom 11.—28. Oktober nur noch 21 Er¬ 
krankungen und 17 Todesfällle an Cholera vorgekonunen; die Oesammtziffer seit 
dem Ausbruch der Seuche erhöht sich damit auf ^7 Erkrankungen mit 
327 = 51 ®/o Todesfällen. 

Im Deutschen Reiche sind ausserdem in der Zeit vom 8.—22. Oktober 




erkr. 

gest. 


erkr. 

gest, 

in Berlin 


3 

1 im Reg.-Bez. Schleswig 



im Reg.-Bz. Potsdam 

7 

4 

(incL Altona) 50 

39 

J» 

Frankfurt a. 0. 

8 

7 

Lüneburg 

3 

2 

9) 

Stettin 

14 

10 

Stade 

4 

4 

D 

Stralsund 

1 

1 

Wiesbaden 

3 

3 


Magdeburg 

3 

2 

Koblenz* **) ) 

18 

8 


Königreich Preussen 114 81 

im Königreich Sachsen 1 — 

im Grossherzogth. Mecklenburg-Schwerin 1 1 


Zusammen 116 82 

bis 8. Oktober ♦•) 1768 947 

im Deutschen Reich (ausser Hamburg) Zusammen 1884 1029 

In Folge des Auftretens der Cholera in dem Stromgebiet der Donau 
(Budapest) ist auch für diesen Strom eine gesundheitliche Ueberwachnng ange¬ 
ordnet ; die bayerische Regierung hat aber keine Verwaltnngsbeamten, sondern 
einen Medizinalbeamten, den Kreismedizinalrath Dr. Hofmann in Regensbnrg 
zum Kommissar ernannt; desgleichen sind Medizinalbeamte zu Vorständen der 
ärztlichen Kontrolstationen bestimmt entgegen dem in Preussen üblichen Ver¬ 
fahren, wo dieses Amt fast allgemein Militärärzten übertragen ist. 

Im Stromgebiet des Rheines sind weitere ärztliche Kontrolstationen in 
Mannheim, Ludwigshafen, Mainz und Strassbnrg errichtet; in demjenigen der 
Weichsel in Thorn, Schillno nndSchulitz. Das bisher freigebliebene Weichsel¬ 
stromgebiet hat sich in jüngster Zeit auch als verseucht erwiesen, wenigstens 
dürften die jüngst in Kulm und Thom vorgekommenen Cholera-Erkrankungen 
auf den Genuss ungekochten Wassers aus der Weichsel zurttckzufUhren sein. 
Mit Rücksicht auf das Auftreten der Cholera in einzelnen unmittelbar an der 
deutschen Grenze belegeneu russisch-polnischen Gemeinden (Niewka und 
Sosnowice an der russisch - schlesischen Grenze, Lomza und Mlawa an der russisch- 
ostpreussischen Grenze) sind von den Regierungspräsidenten in Oppeln und 
Königsberg strenge Absperrungsmassregeln angeordnet. 

In Russland verbreitet sich die Cholera überhaupt noch immer mehr 
nach Westen aus und nimmt besonders in Russisch - Polen (Gouvernements 
Warschau, Radom, Lublin, Siedlec, Kielce) eine grössere Ausdehnung. In der 
Zeit vom 6.—17. Oktober sind in diesen Gouvernements 1662 an der Cholera 
erkrankt und 828 gestorben. 

In Oesterreich-Ungarn kamen hauptsächlich zwei Choleraheerde in 
Betracht: Krakau und Budapest, von denen aus sich die Seuche nach ver¬ 
schieden anderen Orten Westgalizicns und Ungarns verbreitet hat; auch einzelne 
in Wie n und Pressburg vorgekommene Erkrankungen dürften auf Einschlep¬ 
pung von Pest her zurückzufübren sein. In Galizien betrug die Zahl der Er¬ 
krankungen bis zum 25. Oktober 123 mit 60 Todesfällen (darunter 42 bezw. 20 
in Krakau); sämmtliche verseuchten Orte lagen mit Ausnahme eines einzigen 
an der Weichsel. In Budapest belief sich die Zahl der an Cholera 


*) Zwei Choleraheerde in Miesenheim und Plaidt. 

**) Die in der letzten Nummer der Zeitschrift (S. 531) mitgetheilte Ueber- 
sicht umfasst die Zeit bis zum 8. Oktober und nicht bis zum 1. Oktober. 



560 


Tageoiachrichten. 


Erkrankten Oestorbenen 


in der ersten Woche vom 25. Septbr. bis 1. Oktbr. 31 29 

2.— 8. Oktober 239 87 

9.—15. , 234 97 

16.—22. ^ 176^_76 


Zusammen 680 289 — 42,5 "/o. 


Die Seuche scheint hier bereits ihren Höhepunkt erreicht zu haben; jeden¬ 
falls hat die Zahl der Erkrankungen und Sterbefälle in den letzten Tagen des 
Oktober wesentlich abgenommen und betrug am 23. Oktober nur noch 19 bezw. 
5, am 24. Oktbr. 18 bez. 8, am 25. Oktbr. 16 bezw. 8, am 26. Oktbr. 17 bezw. 
9, am 27. Oktbr. 6 bezw. 4. Von Pest aus scheint die Cholera nach verschie¬ 
denen anderen Orten Ungarns (Szegediu, Temesvar u. s. w.) verpflanzt zu sein, 
bisher aber an keinem Orte eine grössere Ausbreitung genommen zu 
haben. Die in jüngster Zeit von den poUtischen Blättern gebrachte Nachricht 
über zahlreiche Erkrankungen und Todesfälle unter den Arbeitern bei den Be- 
gnlimngsarbeiten in Folge Genusses von Donauwasser ist amtlich nicht bestätigt. 

Aus Frankreich wird das Auftreten der Cholera in verschiedenen Ge¬ 
meinden an der NordwestkUste (Cherbourg, Dieppe, Honflenr, Dünkirchen, Bou- 
logne n. s. w.) gemeldet; auch Marseille ist als verseucht anzusehen, während 
in Havre die Seuche völlig erloschen zu sein scheint. Die Gesammtzabl der Er¬ 
krankungen betrug in Havre vom 30. Juli bis 10. Oktober 1255 mit 479 Todesfällen. 
Nach der Gazette hebdim. de m6dec. et de Chirurg, sind in Frankreich bis znm 
15. Oktober in 212 Gemeinden und 20 Departements 3183 Personen an der Cho¬ 
lera verstorben. Den Höhepunkt hat die Seuche im September erreicht (1411 
TodesMle in 17 Departements und 157 Gemeinden). 

In Belgien sind vom 25. Juli bis 13. Oktober 1135 Erkrankungen an 
Cholera vorgekommen, von denen 364 tödtlich verliefen; davon 262 mit 95 
Todesfällen in der Stadt Antwerpen. 

In den Niederlanden starben in der Woche vom 23. September bis 
1. Oktober 48 Personen an Cholera; in der Woche vom 2.—8. Oktober: 42, in 
derjenigen vom 9.—15. Oktober: 35; also auch hier ist eine Abnahme der Cho¬ 
lera bemerkbar. 


Das Barterzeugungsmittel des Prof. Migargee bildete vor Kurzem 
den Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung vor dem Landgerichte in Köln. 
Die Anklage gegen den in Köln wohnenden Fabrikanten lautete auf Betrug und 
wurde seitens des Staatsanwaltes vier Monate Gefängniss beantragt. Die Sach¬ 
verständigen — Polizei - Stadtphysikus Dr. Vanselow, GeK Medizinalrath 
Dr. Schwartz, Dr. Wolfs und Chemiker Dr. Kyll — erklärten überein¬ 
stimmend, dass es ein Mittel zur Haarerzeugung überhaupt nicht gebe; höchstens 
könne das in Bede stehende Mittel durch Anreiz der Haut wirken. Das Gericht 
hielt den Angeklagten des Betruges für schuldig und erkannte unter Berück¬ 
sichtigung zweier Vorstrafen wegen ähnlicher Gesetzesverletzungen auf 3000 Mark 
Geldstrafe. In den Urtheilsgrüuden wird ausgefUhrt, dass eine falsche Vor¬ 
spiegelung darin gefunden werden müsse, dass der Angeklagte in seinen Publi¬ 
kationen von einem Prof. Migargee’s Barterzeugongsmittel spreche, während 
er in Wirklichkeit in den letzten seclis Jahren nichts mehr von diesem bezogen 
habe. Wenn ähnliche Publikationen auch öfters vorkämen und straflos ans¬ 
gingen, so könne dies den Angeklagten doch nicht straflos machen. Das Gesetz 
habe die Pflicht, auch die Dummen zu schützen. 


Preussischer Medizinal-Beamten-Verein. 

Die Mitglieder des Preussischen Medizinal-Beamten-Vereins werden auf 
das in heutiger Nummer beigegebene Rundschreiben des Vorstandes noch be¬ 
sonders aufmerksam gemacht. 

Der Schriftführer des Vereins. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath L Minden L W. 

J. C. C. Bruns, Buchdmekerei, Vinden. 




5. Jahrg. 


Zeitschrift 

für 


18dl 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rath u. gerichtl. Stadtphysikus in Berlin. Reg.- und Meduinalrath in Minden. 

and 

Dr. WILH. SANDER 

Medi/.in:ilrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die daroblaufende Petitzeile 45 Pf. nimmt die Verlagshandlang and Rad. Messe 

entgegen. 


No. 22. 


Bracheint am 1. luid 15. Jeden Monat«. 
Preis JRhrlioh 10 Mark. 


15. Novbr. 


Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und 
die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs. 

Vom Geh. San.-Bath Dr. Müller, Ereisphysikos in Minden. 

(Fortsetzung.) 

Da die Gefahr der Ansteckung durch Milch tuberkulöser 
Rinder eine noch grössere ist, als die durch den Konsum des 
Fleisches solcher Thiere, muss der Genuss roher Milch noch strenger 
verboten werden, als jener. 

Die immer mehr zunehmende Tuberkulose der Schweine ist 
grösstentheils darauf zurückzufiihren, dass die Schweine mit dem 
Abfall der Molkereien gefuttert werden. Semmer berichtet aus 
Dorpat, dass er an mehreren Schweinen, die mit Abfällen von einer 
Meierei, in welcher die Tuberkulose unter dem Rindvieh herrschte, 
gefüttert wurden, gleichfalls Tuberkulose gefunden habe. Die 
saugenden Kälber zeigten gar nicht selten Tuberkulose der Ver¬ 
dauungsorgane. 

Oster tag führt an: 

„dass die typische Form der generalisirten Rindertnberknlose, welche bei 
jungen Tbieren nach Infektion vom Verdaunngsschlanche aus entsteht und der 
gewöhnlichen Erkrankungsform bei Schweinen entspricht, im Wesentlichen fol¬ 
gende Erscheinnngen zeigt: Verkäsnng und Verkalkung einzelner Mesenterial¬ 
drüsen, Knoten im Parenchym der Milz, der Lunge und der Leber in sehr 
wechselnder Menge, Intaktheit der serösen Hänte, Nieren gewöhnlich frei.“ •) 
Es ist erwiesen, dass die Tuberkulose des Euters viel häufi¬ 
ger vorkommt, als man bis dahin angenommen. *) In den Schlacht- 


Bayard 1, c., S. 32. 

*) Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, Bd. 11., Heft 1. 

*) Woodhead und Mc. Fadyean (Britisch, med. Jonm. 1887, 8. 673) 
weisen nach Untersuchungen von Kühen in den Meiereien auf das häufige Vor¬ 
kommen kranker Enter hin. Ebenso Bi eck; Vierteljabrschr. für ger. Medizin 
und öffentl. Sanitätswesen; 1892, 3. Folge, IV. BdL, H. 2, S. 373. 






562 


Dr. Müller. 


häusern des Königreichs Sachsen wurden im Jahre 1888 in 2,3 ® „ 
der Fälle das Euter tuberkulös befunden. Ausserdem haben die 
Untersuchungen festgestellt, dass die Milch auch bei makroskopisch 
gesundem Euter tuberkelbazillenhaltig sein kann. Ernst*) sah 
die Milch tuberkulöser Kühe in 28*’/o der Fälle infektiös wirken, 
ohne dass sich eine Erkrankung des Euters wahmehmen liess. 
Er fand in mehreren Fällen Tuberkelbazillen in der Milch. Hirsch¬ 
berger fand bei 33®/o der Thiere mit Tuberkulose der Lunge 
infektiöse Milch ohne sichtbare Erkrankung des Euters; Tuberkel¬ 
bazillen in der Milch ein Mal. Die in 20 Fällen angestellten In¬ 
jektionen von Milch perlsüchtiger Kühe ergab 11 Mal, also in 
55 ‘*/o ein positives Resultat und zwar sowohl bei generalisirter, 
wie bei lokalisirter Erkrankung. Es erwies sich die Milch hoch¬ 
gradig tuberkulöser Thiere in 80 ®/o, der geringer intensiv Erkrank¬ 
ten in 66®/o, der nur mit lokalisirter Tuberkulose behafteten in 
330/0 der Fälle infektiös.*) Bölling er erzeugte wiederholt durch 
Impfung bazillenhaltiger Milch bei Meerschweinchen Tuberkulose. *) 
Bang sah unter 58 tuberkulösen Kühen, mit deren Milch Kanin¬ 
chen und Meerschweinchen geimpft wurden, die Milch bei 9 viru¬ 
lent, also in 15 0/0 der Fälle. Bei einer anderen Versuchsreihe 
wurden von 21 Rindern die Milch in das Peritoneum von Meer¬ 
schweinchen injizirt. In 17 B'ällen war die Impfung ohne Erfolg, 
4 Mal mit Erfolg. In diesen Fällen war das Euter 3 Mal erkrankt, 
wenn auch sehr geringfügig. Bei völlig intaktem Euter fand 
Bang nur 1 Mal Bazillen in der Milch und zwar bei einem tuber¬ 
kulösen Thiere, welches in Folge der Erkrankung gestorben.^) 
Böllinger*^) erklärt: 

„Die Milch tuberkulöser Thiere ist eminent gefährlich bei der nicht sel¬ 
tenen Eutertuberkulose, deren Anfangsstadien leicht übersehen werden. Ferner 
ist die Milch tuberkulöser Kühe in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle — 
bis zu 5.')®/# — virulent, wobei die (Giftigkeit der Milch — ähnlich wie diejenige 
des Fleisches — im Allgemeinen Hand in Hand mit dem Grade der Erkrankung 
des milchgebenden Thieres geht. Derartige Milch kann nicht blos bei gene- 
ralisirter, sondern auch bei lokaler Tuberkulose der Kühe infektiöse Eigen¬ 
schaften annehmen. Auch die Milchprodukte; Kahm, Butter und Käse bewahren 
die Infektiosität.“ 

Grasperini fand, dass nicht weniger als 120 Tage nach der 
Infektion der Milch die daraus bereitete Butter die Tuberkelbazillen 
in ansteckungslähigem Zustande zu bewahren im Stande ist.®) 

Fütterungsversuche und Injektionen mit Milch tuberkulöser 
Rinder haben bei den Versuchsthieren zweifellos die Uebertragung 
der Tuberkulose auf diesem Wege nachgewiesen. In grossem 
Massstabe werden ja leider derartige Fütterungsversuche mit Milch 
tuberkulöser Thiere fortgesetzt angestellt bei den Kindern, deren 
grössere Mehrzahl heute mit der Flasche aufgezogen wird. Weil 

') Aineric. journ. of medical seiende 1889. 

Deutscl.es Ardiiv für klin. Mediz. B<1. 44. 

Aerztl. Intellit^cnzbliitt, 29. 

IiittTiiat. Kuntrress, UI. Sektiou. .Münchener inedic. Wochenschrift 41. 
d Deutsch. Verein für dffentl. Gi'suii(lheits|ifle^e. Bericht des Ausschusses 
über die 1(). Versammlung. 8onderabdruck. Braunschweig 1891. S. 118. 

Nederl. Tijdschr. voor (leneesk. 1890 Nr. 18; ref. i. d. D. Molk. Ztg. Nr. 10. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tnberknlSeer Thiere etc. 


663 


verhältnissmässi)? nur sehr wenige Mütter sich von der Nothwendig- 
keit der sorgfältigst auszufuhrenden Sterilisation der Thiermilch 
überzeugen lassen, werden ungezählte Mengen von Kindern auf 
diese Weise geopfert, die, wenn strengere Gesetze die Thiertuber¬ 
kulose bekämpften, dem Leben hätten erhalten bleiben können. 
Epstein*) wies schon darauf hin, dass für die Entwickelung der 
Tuberkulose bei Kindern die hereditäre Anlage vielleicht geringere 
Bedeutung habe, als die Ernährung mit Kuhmilch. Dem ent¬ 
sprechend sei auch die Lokalisation der phthisischen Prozesse bei 
Endem eine andere als bei Erwachsenen. Es erkranken mehr der 
Darmkanal und die intestinalen Lymphdrüsen. 

Zippelius*) hat durch seine auf einen Zeitraum von 5 Jahren 
sich erstreckenden Beobachtungen nachgewiesen, dass in seinem 
Amtsbezirke dort, wo die meisten Fälle von Tuberkulose unter 
den Kindern sich vorfanden, auch die Sterblichkeit der Kinder bis 
zu 2 Jahren (durch Milchnahrung) am stärksten war. Es wurden 
namentlich mehrere Fälle von tuberkulöser Meningitis unter den 
Kindern eines Ortes beobachtet zu einer Zeit, wo Tuberkulose 
unter dem Rindvieh vielfach vorkam. ®) Fälle von Abdominal¬ 
tuberkulose und von tuberkulöser Meningitis bei den sogenannten 
Buddelkindern weiss jeder Kinderarzt aus seiner Praxis anzuführen. 
Könnten diese Beobachtungen zusammengestellt werden, sie würden 
in ihrer enormen Masse einen überwältigenden Beweis für die 
Schädlichkeit der Thiermilch abgeben. Von den mehr klinisch ge¬ 
nau beobachteten Fällen mögen hier folgende angeführt werden: 

Dr. Stang*) beobachtete folgenden Fall: Knabe bin dahin ganz gesund, 
wohlgenährt, aus ganz gesunder Familie, erkrankte als er von Matterbrust ab¬ 
gesetzt und die Milch einer bestimmten Kuh genossen, aUmählich an skrophulösen 
Erscheinungen. Es wurde ihm stets die rohe, frisch gemolkene Milch gegeben. 
Das Kind starb. Die Sektion zeigte ausgesprochene Miliartuberkulose der Lunge, 
starke Hypertrophie der Mesenterialdrüsen. Die Kuh erwies sich bei Schlachtung 
tuberkulös. 

Johne berichtet nachfolgenden Fall: ^ Ein Outsinspektor bestimmte eine 
Kuh, die sich bis dahin durch ihren prächtigen Ernährungszustand vor den andern 
im Stabe ausgezeichnet hatte, zur Entnahme der Milch für sein jüngstes Kind. 
Eltern und Geschwister des Kindes sämmtlich gesund. Die Kuh magerte dann 
rapide ab. Das Kind starb, 2*/« Jahre alt, an Miliartuberkulose des Gehirns. 
Kuh bei Schlachtung hochgradig tuberkulös. 

Demme^) berichtet: Kind bei Gebart sehr kräftig; von starken, gesunden 
Eltern, Geschwister gesund, wurde bis zum 6. Monat von der Matter gesäugt. 
Gewicht bei Gebart 3250 g, am Schluss des 5. Lebensmonats 6550 g. Kind am 
11. Januar entwöhnt, wurde dann ernährt mit roher Milch einer seit 14 Monaten 
ausschliesslich mit Heu gefütterten Kuh. Schon im Februar beginnt das Kind 
abzumagem. Gewicht den 21. Februar 5460 g. Letzteres fällt trotz sorgfill- 
tigster Pflege des Kindes im Hospitale auf 3800. Am 13. August erfolgte der 
Tod. Sektion ergiebt ausgedehnte Darmtuberkulose (besonders des Jejunum, des 
Ileum und der Mesenterialdrüsen). Am 3. Juni erlag die Kuh einem plötzbchen 
Anfall Ton Tympanitis. Es fand sich Pleura- und Lungentuberkulose. Ein nach 

*) Prag. Vierteljahrschr. B. 142, 1879. 

*) B a y a r d l. c., S. 28. 

*) Ibidem. 

♦) Archiv für pathol. Anatomie Nr. 2, B. X, S. 191. Bayard 1. c., S. 26- 
Bayard 1. c., S. 26. 

*) Mediz. Bericht (17) über die Thätigkeit des Jenner’sehen Kinder¬ 
hospitals in Bern 1879. 



5G4 


Dr. Müller. 


(lern Tode dieses Kindes geborenes Kind war vollkommen gesnnd und blieb ge¬ 
sund, nachdem es 6 Monate lang der Mutter Brnst bekommen batte. 

Hermsdorff (Dissert. München 1889) konnte unter 3 Fällen von Darm- 
tuberkulöse bei Kindern einen mit Sicherheit auf den Genuss frischer Milch einer 
tuberkulösen Kuh zurückftthren. 

Ferner sah D e m m e (24. Jahresbericht des J e n n e r’schen Kinderhospitals 
1887) 7 Fälle von primärer isolirter Darm- und Mesenterialdrüsen - Tuberkulose. 
Einen Fall von Tuberkulose der MescnterialdrUsen bei einem 4 Monate alten 
Knaben, welcher mit Milch einer tuberkulösen Kuh ernährt worden war. 

ln denjenigen Verfügungen über die Verwerthung des Fleisches 
tuberkulöser Thiere, in welchen der Genuss des Fleisches von 
Thieren mit lokalisirter Tuberkulose für nicht gesundheitsschädlich 
erklärt wird, ist als ganz besonders entscheidend für die Zulässig¬ 
keit solchen Fleisches zum Genuss der Ernährungszustand 
des Schlachtthieres hervorgehoben. Es wird in diesen Ver¬ 
fügungen als erwiesen angenommen, dass bei gutem Ernährungs¬ 
zustände des Thieres und der Beschränkung der Tuberkulose auf 
ein Organ oder auf eine Körperhöhle das Fleisch bazillenfi*ei und 
daher unschädlich für die Konsumenten sei. 

Wohl hat man die Annahme der Lokalisation der Tuberkulose 
mit der Behauptung fester zu begründen versucht, dass die Lymph- 
drüsen den in den Organismus eingedrungeiien Bazillen eine un- 
übersteigliche Schranke entgegensetzen und weiteres Eindringen 
in den Körper unmöglich machen. Weigert sagt z. B.: 

„Uebor die LyraphdrUsen hinaus geht das Tuberkelgift, wie es scheint, 
nicht so leicht. Es verhält sich in dieser Beziehung ähnlich, wie andere fein ver¬ 
theilte infektiöse und nicht infektiöse Partikel.“ 

Lehrt aber nicht die tägliche Erfahrung, dass SjTihilis vor 
keiner Lyraphdrüsen - Barriere Halt macht? Beweiset uns nicht 
eine jede Injektion virulenter pathogener Mikroorganismen das 
Gegentheil? Sehen wir nicht die injizirten Bazillen im ganzen 
Körper des Versuchsthieres mit ungealinter Schnelligkeit sich ver¬ 
breiten, mag nun die Injektion subkutan, intraperitoneal, intrave¬ 
nös oder in die vordere Augenkammer gemacht worden sein? Be¬ 
reits drei Tage nach der Uebertragung der Tuberkelbazillen in 
die vordere Augenkammer fand Baum garten dieselben bis zu 
den aurikulären Lymphdrüsen vorgedrungen und es starben die Ver- 
suchsthiere trotz aller etwaigen, selbst in so Mher Zeit vorge¬ 
nommenen Entfernung des tuberkulös infizirten Auges, wenn auch 
später, als ohne den erwähnten Eingriff, unfehlbar an allgemeiner 
Tuberkulose. 

Sobald die Bazillen in den allgemeinen Blutstrom gerathen 
sind, werden sie überall abgelagert und bilden neue Tuberkelheerde, 
wo sie günstigen Nährboden finden. Die vom Magen- und Darm- 
kanal ausgehende Tuberkulose erfolgt ja langsameren Schrittes als 
die Injektionstuberkulose. Aber anzunehmen, dass dort, wo wir 
makroskopisch nur Lungen- oder nur Abdominal - Tuberkulose vor¬ 
finden, die Tuberkelbazillen die Unterleibs- oder die Brusthöhle 
nicht überschritten hätten, so lange der allgemeine Ernährungszu¬ 
stand des Thieres noch ein guter ist, dürfte dem Standpunkte der 
Wissenschaft von heute kaum noch entsprechen. Hiermit überein¬ 
stimmend heisst es auch in dem Gutachten der wissenschaftlichen 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


565 


Deputation für das mediz. Wesen vom 1. Dezember 1886, „dass 
auch bei ganz lokalem Verlaufe des üebels gelegentlich doch ein¬ 
zelne Mikroorganismen in die Zirkulation gelangen und das Fleisch 
infektiös machen können.“ Und an einer anderen Stelle: „Dass 
unter Umständen Keime von Perlknoten aus in die Zirkulation ge¬ 
langen, halten wir für sehr wahrscheinlich. Aber für gänzlich 
unwahrscheinlich halten wrir es, dass es je gelingen werde, den 
Augenblick durch sichere Merkmale zu erkennen, wo ein solcher 
Vorgang stattfindet. Will man daher nicht zu dem radikalen 
Mittel greifen, jedes mit Perlknoten behaftete Thier von vorne- 
herein von dem menschlichen Genüsse auszuschliessen, so wird 
nichts übrig bleiben, als das Auftreten weiterer Symptome abzu¬ 
warten und das sind eben Knoten in anderen Organen oder Ab¬ 
magerung, sei es mit, sei es ohne Fieber.“ Da nun, wie oben 
nachgewiesen, auch schon vor eingetretener Abmagerung des Thieres 
die Tuberkulose eine weitverbreitete und das Fleisch bazillenhaltig 
sein kann, da sogar, wie der Fall von Mc. Fadjean beweist, das 
Fleisch tuberkelhaltig sein kann bei äusserst geringer Tuberkulose 
der inneren Organe, so wird doch im Interesse des allgemeinen 
Volkswohles nichts übrig bleiben, als „zu dem radikalen Mittel zu 
greifen“. 

Gerl ach*) sagt: 

„Der Anfang der Abzehrung d. h. Rückgang in der Ernährung ohne 
diätetische Ursache, muss schon als Symptom davon betrachtet werden, dass die 
Tuberkulose allgemein — konstitutionell — geworden ist; wir können aber die 
Abzehrung erst erkennen, wenn sie schon gewisse Fortschritte gemacht hat. 
Es kann desshalb das Fleisch schon schädlich sein, wenn die 
Thiere sich noch nicht in einem abgemagerten Nahrungszu¬ 
stande befinden. Ich habe denn auch in der That Fleisch von 
nicht abgezehrten Rindern infektiös gefunden. Der gute Nähr¬ 
zustand kann allein nicht entscheiden über die Geniessbarkeit des 
Fleisches.“ 

Damit übereinstimmend erklärt B o 11 i n g e r ^); 

„Es ist bekannt, dass das Fleisch tuberkulöser Thiere schon Tuberkelgift 
enthalten kann, ehe das Thier deutliche Zeichen der Abmagerung oder sein 
Fleisch ein verändertes Aussehen aufweist. Eine gewisse Lokalisation 
der Tuberkulose (die der serösen Häute) scheint die Mastfähigkeit 
des Thieres sogar zu steigern.“ — „Mit Rücksicht auf die praktische 
Fleischschaubemerkeich, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen 
lokalisirter und gcneralisirter Tuberkulose, wie sie in Verord¬ 
nungen über die Zulässigkeit des Fleischgenusses präzisirt wird, häufig 
nicht möglich ist, da zahlreiche Uebergänge Vorkommen.“ 

Desgleichen sagt Dr. Lorenz: 

„dass nach allgemeiner, von den Männern der Wissenschaft ausge¬ 
sprochenen Ansicht, sich eine grössere oder geringere Infektionsgefahr des 
Fleisches tuberkulöser Thiere, auch wenn eine Generalisation der Krankheit nicht 
nachgewiesen ist, sich nicht ermitteln lasse. „Eine genaue Definirung 
des Grades der Erkrankung, bei welcher die Freigabe erlaubt 
sein soll, lässt sich nicht geben. Die versuchsweise von einzelnen 
Fachmännern gegebenen Direktiven sind ganz willkürlich gegriffen.“ 

Nach Röckl’s Zusammenstellung war in 50,5 o/o der Fälle 


0 Eulenberg’s Vierteljahrschr, für gcrichtl. Med. B. 47, S. 307. 

*) Die Fleischkost des Meuschen. 1875. 

®) Deutsche Vierteljahrschr. für öffentliche Gesundheitspflege 1891. 5. Heft. 
S. 95, S. 127. 



566 


Dr. Mttller. 


die Tuberkulose in einem Organ, in 16,9 ®/o in einer Körperhöhle, 
mithin war, wenn das Thier einen leidlich guten Ernährungszu¬ 
stand hatte, in 67,4 ®/o der Fälle, in den Schlachthäusern des König¬ 
reichs Sachsen in 76,2 »/o der Fälle, solches Fleisch „geniessbar“. 
SchneidemühP) sagt: „Von tuberkulösen Thieren ist mindestens 
das Fleisch von 27000 tuberkulösen Rindeni und von etwa 10000 
tuberkulösen Schweinen nach Entfernung der kranken Organe zum 
Genuss zugelassen worden“ (d. h. vom 1. April 1890 bis 31. März 
1891 aus den öffentlichen Schlachthäusern Preussens). Das giebt 
eine Vorstellung von der Menge des Fleisches tuberkulöser Thiere, 
welches als der menschlichen Gesundheit nach den bestehenden 
Vorschriften nicht schädlich in den freien Verkehr gelangte. 

Für die Milch tuberkulöser Thiere ist der Beweis gebracht, 
dass durch sie Uebertragung der Krankheit auf den Menschen 
stattfindet. Für den Genuss des F1 e i s c h e s tuberkulöser Thiere ist 
bis jetzt zwar nicht in derselben überzeugenden Weise gleicher 
Beweis geführt worden. Es muss immerhin als gewagt bezeichnet 
werden, überhaupt aus Thierexperimenten Schlüsse zu ziehen der 
Art, dass eine Nahrung, welche Thieren nicht schadet, auch dem 
Menschen nicht schaden könne. Um nur ein Beispiel aus vielen 
herauszunehmen, die obige Behauptung begründen, so wissen wir 
dass Hunde das Wurstgift, welches den Menschen tödtet, sehr gut 
vertragen. Wenn man aber aus den Fütterungs- und Impfver¬ 
suchen mit negativem Erfolge bei Thieren gefolgert, dass da¬ 
her auch der Mensch ohne Schaden für seine Gesundheit solches 
Fleisch geniessen dürfe, so sind wir doch jedenfalls weit mehr be¬ 
rechtigt, aus dem positiven Erfolge dieser Fütterungs- und 
Impfversuche bei Thieren auch die Schädlichkeit des Genusses für 
den Menschen anzunehmen und für bewiesen zu erachten. 

Man hat zum Beweise, wie unschädlich der selbst längere 
Zeit fortgesetzte Genuss des Fleisches tuberkulöser Thiere sei, 
hingewiesen auf die grosse Menge der Menschen, welche ohne 
Schaden für ihre Gesundheit minderwerthiges Fleisch genossen. 
Wer kann hier aber den Nachweis führen, dass diesen Menschen 
dieser Genuss nicht geschadet? Es fehlt hier jede Kontrole. 
Wissenschaftlich festgestellt ist keine einzige Beobachtung. Wenn 
Schottel ins u. A. über eine grössere Reihe derartiger Fälle be¬ 
richten*) und es von den Tagelöhner- und Handwerker-Familien 
im Bezirke Obermoschel (Rheini)falz) heisst, dass sie nach eigenem 
(■reständniss Fleisch tuberkulöser Thiere, so oft, als sich ihnen 
dazu Gelegenheit geboten, genossen,^) so fehlt doch in all diesen 
Berichten das nothwendigste Material, um diese Fälle wissenschaft¬ 
lich verwerthen zu können. Es ist nicht festgestellt, ob das Fleisch 
Tuberkelknoten enthielt; es ist auch nicht angegeben, ob das 
Fleisch roh oder stark gekocht genossen wurde. Wenn Schot- 
telius besonders hervorhebt, dass diese Menschen meistens ein 

’) Tliicrinedizinische Vorträge. Leii)zi!>: 1892, B. II, H. 9 u. 10, p. 18. 

*) Archiv für patholog. Anatomie, B. XCI., S. 129. 

Bayard 1. c., S. 20. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tnberknlöser Thiere etc. 


567 


blühendes und gesundes Aussehen darboten und durch kräftigen 
Körperbau hervorragten, so möchte gerade in dem besonders kräf¬ 
tigen Gesundheitszustände dieser Menschen die Erklärung dafür 
liegen, dass sie ungestraft solchen Genuss sich erlauben durften. 
Rindfleisch hat schon früher geäussert (Virchow’s Archiv 
B. 85, S. 71) dass schlechte Nahmng und mangelhafte Blutbildung 
die Ansteckung erleichtern, während gute Ernährung und reich¬ 
liche Blutbildung den besten Schutz gegen die Wirkungen des 
Giftes bieten. Für die Wissenschaft zu verwerthen würden die 
Untersuchungen bei den Wasenmeisterfamilien in Bayern haben 
werden können, wenn Bollinger bestätigt gefunden hätte, was 
man allgemein von diesen Familien behauptete. Es wurde näm¬ 
lich durch Ministerial - Erlass in Bayern im Jahre 1876 angeordnet, 
Untersuchungen vorzunehmen, welche die Häufigkeit der Tuber¬ 
kulose unter dem Rindvieh und den Gesundheitszustand der Wasen¬ 
meisterfamilien auf Tuberkulose feststellen sollten, um hieraus 
Aufschluss zu erlangen über die Schädlichkeit des Genusses von 
Fleisch und Milch perlsüchtiger Thiere, welche in jenen Familien 
der allgemeinen Annahme nach vielfach verwendet wurden. Bol¬ 
linger konstatirte jedoch, dass diese Familien durchaus nicht all¬ 
gemein solches Fleisch als Nahrungsmittel gebrauchen, da sie meist 
in der Lage sind, sich eine gesundere Nahrung als diese, die im 
Allgemeinen für gesundheitsschädlich gehalten wird, zu verschaffen. 
Es gestanden von 140 Familien in Oberbayem nur 7 den Genuss 
perlsüchtigen Fleisches zu und in Niederbayem war solches nur 
von zwei Familien bekannt. Der Genuss von Milch ist hier über¬ 
haupt ausgeschlossen, da die auf den Wasen gelangenden Thiere 
gewöhnlich keine Milch mehr haben. Es ist mithin auch aus 
dieser Untersuchung kein Beweis dafür hervorgegangen, dass der 
Genuss tuberkulösen Fleisches dem Menschen nicht schädlich sei. 

Nachdem wir nun die Resultate der Thierexperimente mitge- 
theilt, wollen wir die Aussprüche der Sachverständigen über diese 
brennende Frage zusammenstellen und sehen, ob Dr. Ostertag’s 
Behauptung: „Die Ansicht aller kompetenten Fachleute 
geht dahin, dass das Fleisch tuberkulöser Thiere bei lokal geblie¬ 
benem Prozesse eine gesundheitsschädliche Beschaflenheit sicher 
nicht besitze“, begründet ist. 

Auf dem internationalen thierärztlichen Kongresse zu Brüssel 
1982 wurde die von Bouley eingebrachte Resolution einstimmig 
angenommen: 

„In Erwägung, dass die Tuberkulose experimentell als eine Krankheit 
anerkannt werden muss, welche vom Verdauungskanale aus und durch Impfung 
übertragbar ist, erklärt der Kongress: 

Von der Verwerthung für den Genuss desfMenschen 
ist alles Fleisch auszuschliessen, welches von tuber¬ 
kulösen Thieren stammt, gleichviel, welche Beschaffen¬ 
heit das Fleisch besitzt.“*) 

Auf dem in Paris im Jahre 1888 abgehaltenen Tuberkulose- 
Kongress wurde beschlossen: 

„Es ist angezeigt, — die Schadloshaltnng der Verkäufer vorausgesetzt 

*) Zeitschr. für Thiermed. B. VII, S. 113. 

*) Lorenz 1. c., S. 29. 



568 


Dr. Müller. 


— mit allen zu Gebote stehenden Mitteln den Grundsatz der Beschlagr- 
nähme und vollständigen Vernichtung allen von tuberkulösen Thieren 
stammenden Fleisches, gleichviel, wie wenig oder wie weit die bei den 
Thieren festgestellte spezifische Krankheit vorgeschritten ist, fest¬ 
zuhalten. 

Auf dem VH. interaationalen Kongress für Hygiene 1891 zu 
London wurde Arloing’s Antrag, wonach das Fleisch tuberku¬ 
löser Ochsen und Kühe zum Schutze der öffentlichen Gesundheit 
durchaus als Nahrungsmittel auszuschliessen sei, zwar nicht ange¬ 
nommen, wohl aber festgestellt: 

„dass ein genügendes Kochen des Fleisches von tuberkulösen 
Thieren stets nothweudig sei, weil eine präzise Diagnose, ob in 
den einzelnen Fällen Tuberkulose vorhanden ist oder nicht, 
sehr schwierig sei.** 

Auf dem in Paris abgehaltenen 11. Tuberkulose - Kongress 
wurde 

1 . Arloing’s Resolution angenommen: 

a. „Ein Inspektionsdienst, betreffend die Fleischuutersuchung, wird mög¬ 
lichst bald über ganz Frankreich ausgedehnt. 

b. Das Fleisch von tuberkulösen Thieren wird unter allen Umständen 
bezeichnet und wird niemals im frischen Zustande in den Gebrauch 
gebracht. 

c. Solches Fleisch wird vor dem Gebrauch einer Sterilisation oder einer 
Umgestaltung durch eine genügende Anw'endung von Hitze unter¬ 
worfen oder gut gesalzen (?), je nach Umständen und Oertlichkeiten 

d. Der durch diese Behandlung entstehende Minderwerth des Fleisches 
wird durch Schadloshaltung komj)eusirt. 

c. Die Kosten dieser Schadloshaltung werden durch eine Taxe auf den 
Kopf des Viehes innerhalb des betreffenden Bezirkes aufgebracht.“ 

2 . Gelangten M. Trasbot’s Anträge zur Annahme: 

„Alle privaten Schlachtereien in Orten von mehr als 6000 Einwohiiom 
werden in kürzester Frist aufgtdioben und durch öffentliche Schlacht¬ 
häuser ersetzt.“ 

Ferner wurden angenommen: 

3. Buttel’s und Lahr’s Anträge: 

a. „So rasch wie möglich sind alle industriellen Kuhhaltereieu, welche die 
Versorgung der Städte oder ihrer Nachbarschaft mit frischer Milch 
betreiben, einer sanitären Kontrole zu uuterstellen. 

b. So eilig wie möglich haben alle Kogierungeii in ihren sanitären Ver¬ 
ordnungen die wirksamsten Mittel aufziiuehmen, welche geeignet sind, 
die Ausbreitung der Tuberkulose beim Rindvieh zu verhindern.“ 

Nach dem Reglement für die hygienische Ueberwachung der 
Nachrungsmittel vom 15. August 1890 für Italien heisst es: 

„Fleis(!h von Thieren, welche an Tuberkulose im Anfanpsstadium leiden, 
die nur ein einzelnes Organ erfasst hat, darf nur unter dem ausdrück¬ 
lichen Vermerk, dass dieses Fleisch nur gekocht genossen werden darf, 
verkauft werden.“ 

Auf dem X. internationalen medizinischen Kongress zu Berlin 
1890, Abtheilung für Hygiene, forderte Dr. Cornet in seinem 
Vortrage (Ueber den Stand der Tuberkulosenfrage: Internationale 
Massregeln gegen die Verbreitung der Tuberkulose), dass durch 
sanitätspolizeiliche Gesetze anzuordnen sei: 

1. „Das Fleisch tuberkulöser Thiere, welche an mehr als einem Organ 
an Tuberkulose leiden oder welche bereits abgemagert sind, 

*) Jahrb. der prakt. Medizin 1890, S. 708, 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


569 


ist vom Oenusse gänzlich auszuschliessen, bezw. zu 
vernichten. 

2. Das Fleisch von Thieren, welche nur an einem Organ eine noch 
nicht allzuerhebliche Veränderung zeigen, ist zum Genüsse zwar zuzu¬ 
lassen, aber unter ausdrücklicher Benennung der Krankheit als min- 
derwerthig zu bezeichnen. 

3. Frühzeitige zwangsweise Schlachtung tuberkulöser Thiere mit theil- 
weiser Entschädigung der Besitzer ist durch gesetzliche Massnahmen 
anzubahnen.“ 

Es wurde in der Versammlung des Deutschen Vereins flir 
ötFentliche Gesundheitspflege in Braunschweig 1890 Prof. Bollin- 
ger’s Kesolution einstimmig angenommen^): 

„dass bei Tuberkulose einzelner Organe je noch Ausbreitung, Stadium 
und Intensität der ursächlichen Krankheit auf Grund des thierärztlichen 
Gutachtens entweder der Ausschluss des Fleisches vom menschlichen 
Genuss oder die Verwendung des Fleisches unter gewissen Bedingungen 
(vorheriges Kochen, Deklarationszwang) als minderwerthiges 
Fleisch gestattet werden kann.“ 

Niemand in der betreffenden Versammlung sprach sich dafür 
aus, dass das tuberkelfreie Fleisch gutgenährter tuberkulöser Thiere 
dem freien Verkehr zu übergeben sei. Alle stimmten vielmehr 
darin überein, dass alles von einem tuberkulösen Thiere 
stammende Fleisch für minderwerthig zu erklären sei. 

Es stellte in der Generalversammlung des thierärztlichen 
Provinzialvereins des Grossherzogthums Hessen den 21. November 
1891 der Obermedizinalrath und Hof- und Landesgestüts - Veterinär- 
Arzt Dr. Lorenz*) den Antrag, zu beschliessen: 

„Das Fleisch tuberkulöser Thiere ist, insofern es überhaupt zum mensch¬ 
lichen Genüsse zugelassen werden kann, stets vom freien Ver¬ 
kehr auszuschliessen. Es sind jedoch Einrichtungen zu treffen, 
durch welche die Verwerthung des fraglichen Fleisches möglichst er¬ 
leichtert wird unter Beobachtung derjenigen Bedingungen, welche 
erforderlich sind, um es zu verhüten, dass Unterschleife Vorkommen. 
Am meisten empfiehlt es sich, das Fleisch tuberkulöser Thiere nur in 
gekochtem Zustande an die Konsumenten zu verabfolgen. So lange 
dies niclit angänglich ist, muss mindestens der Deklarationszwang zur 
Durchführung kommen.“ 

Es wurde dieser Antrag einstimmig angenommen. 

Obermedizinalrath Dr. L o r e n z - Darmstadt versichert, dass 
die im Grossherzogthum Hessen schon seit Jahren geübte Praxis, 
das Fleisch tuberkulöser Thiere stets vom freien Verkehr 
auszuschliessen, nie zu Unzuträglichkeiten geführt habe. 

Dr. Schneidemühl, Privatdozent der Thiermedizin an der 
Universität Kiel, sagt in seinem vortrefflichen Vortrage: „Das 
Fleischbeschau wesen im Deutschen Reiche nebst Vorschlägen für 
dessen gesetzliche Regelung“ *): 

„Das Fleisch von tuberkulösen Thieren ist in jedem Falle 
als nicht bankwürdig zu bezeichnen.“ 

Diese Zusammenstellung möge mit R. Koch’s Worten ge¬ 
schlossen werden: „Der Genuss von Fleisch perlsüchtiger Thiere 


*) Deutsche Vierteljahrschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1891. 
5. Heft, S. 95—127. 

=') Zeitschrift für Med.-Beamte 1892, Nr. 2, S. 37. 

®) Thiermedizinischc Vorträge. Leipzig 1892. Heit 9 und 10, S. 61. 



670 


Dr. Mttllcr. 


ist eine Infektionsgefahr für den Menschen, die, sei sie so gross 
oder so klein, wie sie wolle, vermieden werden muss.“ 

Wohl selten hat über eine wissenschaftliche B'rage unter den 
Sachverständigen der verschiedensten Kulturstaaten eine gleiche 
Uebereinstimmuiig geherrscht, wie in der vorliegenden. „Daher“ 
sagt Obermedizinalrath Dr. Lorenz in seinem, in der General¬ 
versammlung des tliierärztlichen Provinzialvereins des Grossherzog¬ 
thums Hessen 1891 gehaltenen Vortrage*), „die Männer, welche 
wirklich wissenschaftlich in dieser Krage thätig waren, sind ein¬ 
stimmig gegen das Freigeben solchen K’leisches (von tuberku¬ 
lösen Thieren), Von Unkenntniss zeugt es daher, wenn ein thier¬ 
ärztliches Fachblatt sich äussert, „diese Ansicht (wie sie in dem 
Mindener Erlass ausgesprochen ist) beruhe auf unwissenschaft¬ 
lichen Deduktionen.“ Der übereinstimmenden Ansicht aller kompe¬ 
tenten Fachleute gegenüber lässt sich heute nicht mehr behaupten: 
„Dass das Fleisch tuberkulöser Thiere bei lokal gebliebenem Pro¬ 
zesse eine gesundheitsschädliche Beschatfenheit sicher nicht besitzt,“ 
oder „dass keine hinreichende Veranlassung vorliege, die Ver- 
werthung minderwerthigen, al)er der menschlichen Gesundheit nicht 
schädlichen Fleisches (ein solches Bleisch giebt es nach dem Urtheile 
der Autoritäten nicht) unter besondere polizeiliche Kontrole zu 
stellen.“ Der Min.-Erlass vom 22. Juli 1882 entspricht daher 
vollkommen den Resultaten der Forschung und der Ansicht der 
Autoritäten des B'aches, „dass das ITleisch eines jeden perlsüch¬ 
tigen Rindes, auch wenn der Grad nur ein geringer und das Fleisch 
von guter Beschaffenheit sei, als minderwerthig erachtet werden 
müsse“; desgleichen der sog. Mindener B^rlass. 

Wollte man aber trotz der übereinstimmenden Ansicht der 
Autoritäten und trotz der gemachten positiven Erfahrungen auch 
heute noch zugeben, dass eine definitive Entscheidung über die 
Zulässigkeit des tubei kelf'reien tleisches giitgenährter tuberkulöser 
Thiere zum menschlichen Genuss noch nicht gefällt werden könne, 
dann würden doch des so erfahrenen Gerlach’s Worte befolgt 
werden müssen: 

^Kreuzen sich an solcln^n (ircnzon verschiedene Interessen, so ist es 
natürlich, dass verschiedene Ansichten ^(dtend gemacht werden. In unserem 
Falle werden die Sanitäisbeainteii viel leicht die unbedint^te Verwerfung des 
Fleisches von tuberkulösen 'l'liieren verlaufen, wiilireud ihnen gegenüber der 
ViehzüchtfT und der Ilaiulidsinaiin das (legeiitlHÜ beansprucht und die Ver¬ 
werfung liüclisteiis für den Fall zugiebt, wo nichts nudir zu verwerfen ist, wenn 
die Tliieri‘ schon bis zur W(‘rthlosigkeit abgeztdirt sind. Dt^r Thierarzt ist hier 
koniifetenter Selüedsrichler, weil er uiiparteiLsclier SachvtTstiiiidiger ist. Wider¬ 
natürlich ist es daher, wenn der Thi«‘rarzt in dieser Sache Partei ergreift. Ihn 
darf nichts aiid«*res leiten, als seine Wi.ssenschaft und wenn er sich nicht auf 
der Höhe der Wissenschaft, wimigsteiis in dieser vSache, befindet, so darf er 
nicht initsjirochen. Sein Staiidpuiikt ist, dem Fleischmarkt zu erhalten, was 
möglich ist, jedoch niemals auf Kosten der Gesundheit des 
e n s c h e u. W o d i (; W issenschaft nicht ausreicht, die Grenzen 
zwischen schädlich und unschädlich festzusteilen, da muss für 
(las ZW"eitelhafte .Gebiet die Schädlichkeit angeuommen und 
festgehalten werden bis die Unschädlichkeit festgestellt ist. 
Zu dieser Vorsicht vermahnt uns der hohe Ernst des Gegen¬ 
stand es.“ 

*) Zeitschrift für Medizinalbcamte. 18112, Nr. 2, S. 1. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 571 

Obermedizinalrath Lorenz spricht sich entschieden dagegen 
aus, dem Ermessen des begutachtenden Sachverständigen die Frei¬ 
gabe des Fleisches tuberkulöser Thiere zu überlassen, 

„Da nach der allgemeinen, von den Männern der Wissenschaft, insbe¬ 
sondere auch von Virchow ausgesprochenen Ansicht, die grössere oder geringere 
Infektionsgefahr des Fleisches tuberkulöser Thiere, auch wenn eine Generali- 
sation der Krankheit nicht nachgewiesen ist, sich nicht ermessen last, so Messe 
jede Freigabe fraglichen Fleisches dem Ermessen der Sachverständigen über¬ 
lassen, nichts Anderes, als sie der Willkür derselben anheim geben. Eine genaue 
Definirung des Grades der Erkrankung, bei welcher die Freigabe erlaubt sein 
soll, lässt sich nicht geben. Die versuchsweise von einzelnen Fachmännern ge- 
gegebenen Direktiven sind ganz willkürlich gegriffen; zweifellos aber würde 
eine solche Bestimmung zu der grössten Ungleichheit führen und es würde in 
Folge dessen das, was durch das geplante Gesetz erreicht werden soll, grössten- 
theils illusorisch; denn eine Garantie, dass nicht auch Fleisch, welches wirklich 
eine infektiöse Eigenschaft besitzt, in den freien Verkehr gelangt, gäbe es 
dann nicht.“ 

Selbst der Referent in der 20. Plenarversammlung des deut¬ 
schen Landwirthscliaftsrathes, Oekonomierath vonLangsdorff^), 
scheint nicht für jede Beurtheilung über die Geniessbarkeit solchen 
Fleisches durch einen Sachverständigen zu sein. 

„Je nach der Ansicht der betreffenden Persönlichkeiten geht das Streben 
dahin, dem Konsum mit Rücksicht auf die Volksernähning möglichst viel von 
dem Fleisch der als tuberkulös befindlichen TMere zu erhalten oder aber beim 
Bestreben, eine vermeintliche (?) Schädigung der menschlichen Gesundheit Mntan- 
zuhalten, führt der Uebereifer dahin, alles Fleisch von infizirten Thieren zu ver¬ 
nichten.“ „Die Anforderungen, welche die Hygiene lediglich aus Rücksicht auf 
die Gesundheit des Menschen stellt (!), gehen über die Forderungen hinaus, die 
durch wirthschaftliche und veterinärpolizeiliche Rücksichten bedingt werden, 
häufig selbst weiter, als nach der derzeitigen Kenntniss von der Uebertragung der 
Tuberkulose vom Thier auf den Menschen unbedingt geboten erscheint. (?)“ 

Die derzeitige Kenntniss von der Uebertragung der Tuberku¬ 
lose vom Tbier auf den Menschen verbietet uns, Fleisch tuberku¬ 
löser Thiere zum menschlichen Genuss fernerhin ohne ganz bestimmt 
vorgeschriebene Kautelen zuzulassen. Ist uns aber die Wahl ge¬ 
stellt, zu entscheiden, zwischen Wahrnehmung der Interessen der 
Volks Wohlfahrt und Wahrnehmung der Interessen der Landwirth- 
schaft, dann dürfte doch wolil einem Jedem das Wohl seiner Mit¬ 
menschen mehr am Herzen liegen, als die Interessen der Vieh¬ 
züchter, Händler und Metzger! 

Die Frage, ob fernerhin das Gutachten des Thierarztes über 
die Geniessbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere noch ent¬ 
scheiden soll, ist beantwortet, sobald alles Fleisch tuberkulöser 
Thiere für minderwerthig gesetzlich erklärt wird. 

Dr. Ostertag meintkeine Behörde sei befugt, wie es im 
Mindener Erlass geschehe, die Behandlung aller mit Perlsucht be¬ 
hafteten Rinder als einer minderwerthigen Waare zu verlangen. 
Und doch tadelt derselbe Autor in derselben Zeitschrift ®), dass die 
Verfügung vom 11. Februar 1890 einseitig auf den Produzenten 
Rücksicht nimmt und erklärt: „sie steht ihrem Sinne nach in 
Widerspruch mit den Bestimmungen des §. 10 Abs. 2 des Reichs- 


*) Bericht über die 20. Plenarversammlung u. s. w. Berlin 1892, S. 246—247. 
'^) Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygieue. 1891, Heft 10, S. 166. 

®) Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, Heft 1, S. 13. 



672 


Dr. Freyer. 


geaetzes, betrefiFend den Verkehr mit Nahrnngsmitteln u. s. w. 
vom 14. Mai 1879.“ Welch ein Widerspruch! „Die Rücksicht 
auf den Produzenten“ hat auch den Min.-Erlass vom 26. März 
1892 an Stelle des Mindener Erlasses treten lassen, wie dies aus 
den Worten hervorgeht: „Vom national - ökonomisclien Standpunkte 
ist es wünschenswerth, derartiges Fleisch .... dem freien Ver¬ 
kehr zu überlassen.“ Sehr richtig bemerkt Schneidemühl in 
seinem Vortrage S. 62: „Bei der Beurtheilung des Fleisches 
tuberkulöser Thiere und bei der Zulassung solchen Fleisches für 
die menschliche Nahrung findet man sehr häufig die Bemerkung 
in den diesbezüglichen Veröffentlichungen, dass die Rücksicht „auf 
den National Wohlstand es erfordere“, nicht zu strenge mit der 
Vernichtung des Fleisches vorzugehen, weil dann grosse Fleisch¬ 
mengen, welche für die Ernährung des Menschen unter geeigneter 
Vorsicht hätten verwerthet werden können, verloren gehen. Gewiss 
ist diese Auffassung bis zu einem bestimmten Grade richtig, allein 
man darf dabei doch schliesslich nicht auf den Standpunkt an¬ 
kommen, dass das Publikum das Fleisch tuberkulöser 
Thiere in grosser Menge geniessen muss, weil die 
Viehzüchter nicht ernstlich bemüht sind, die Krank¬ 
heit einzuschränken und auszurotten.“ Auf letzteren 
Punkt werden wir uns erlauben, später zurückzukommen. 

(Schluss folgt.) 


lieber einige aus der Choleraepidemie gewonnene praktische 

Erfahrungen. 

Von Kreisphysikus Dr. M. Freyer in Stettin. 

Nachdem der Ansturm, mit dem die Cholera bei uns auftrat, 
überwunden und nunmehr entgegen den Befürchtungen, sie würde 
auch hier grössere Ausdehnung gewinnen, wieder Ruhe eingetreten 
ist, liegt es nahe, zurückzublicken und sich zu fragen, welche 
Massnahmen sich bewährt haben und somit in Zukunft wieder 
anzuwenden sein werden, und wo Mängel sich fühlbar gemacht 
haben, deren Beseitigung mit Nachdruck anzustreben ist. 

Ich habe hierbei vornehmlich den Landkreis im Auge, da 
auf diese meine Thätigkeit sich erstreckte. Was für ihn in 
Betracht kommt, trifft auch im Wesentlichen für die kleineren 
Stadtgemeinden zu. 

Als bewährte Massnahme ist die Bildung von Sanitäts¬ 
kommissionen und frühzeitige Reinigung und Desinfektion der 
Abtrittsgruben und Dunghaufen, sobald die Epidemie in Sicht ist, 
ohne Weiteres anzuerkennen. Allein die Ausführung dieser Mass¬ 
nahmen wird in Zukunft mehr, als es bisher zu geschehen pflegte, 
der Mitwirkung des Medizinalbeamten zu unterstellen 
sein. Abgesehen davon, dass gerade auf dem Lande mit Bezug 
auf Abtritte und Dunggruben meist ganz unlialtbare Zustände be¬ 
stehen, die einer sehr energischen und radikalen Abhülfe bedürfen, 
wissen die Sanitätskommissionen meist nicht, worauf besondei's 



üeber einige ans der Choleraepidemie gewonnene praktische Erfahrungen. 673 

ihre Thätigkeit im gegebenen Falle sich zu erstrecken haben wird. 
Die Mitwirkung praktischer Aerzte hierbei ist gewiss sehr schätzens- 
werth, aber keineswegs ausreichend, da hier vorwiegend praktisch¬ 
sanitätspolizeiliche Gesichtspunkte in Betracht kommen. Wie die 
Verhältnisse aber bisher liegen, fehlt es auch hier wieder dem 
Medizinalbeamten an der noth wendigen Initiative. Es 
werden Baracken gebaut und IsoliiTäume hergestellt, ohne dass 
der Medizinalbeamte auch nur um seine Meinung angegangen wird, 
und kommt er hernach gelegentlich oder, sobald der erste Krank¬ 
heitsfall sich ereignet hat, hinzu, dann findet er das Vorbereitete 
unbrauchbar und unzureichend. Es wird daher in Zukunft der 
Medizinalbeamte, dem die Verantwortung für den Gang der Dinge 
schliesslich immerhin zufällt, auch mit der Befugniss zu versehen 
sein, sobald die Epidemie in naher Sicht ist, nach diskretionärem 
Ermessen die einzelnen Theile seines Kreises zu bereisen und mit 
den Vertretern der einzelnen Ortschaften, deren mehrere, wie es 
hier geschehen, nach einem bestimmten Orte zur Versammlung 
eingeladen wurden, über das Vorzubereitende zu berathen. Durch 
eine einzige derartige mündliche Berathung wird mehr gewirkt, 
als durch die oft endlosen Zu- und Rückschriften. 

Die im diesseitigen Kreise hergestellten Baracken und 
Isolirräume sind zur praktischen Verwendung bisher nicht ge¬ 
kommen. Ich glaube auch kaum, dass die Baracken im gegebenen 
Falle diejenige praktische Bedeutung gewinnen werden, die man 
sich von ihnen verspricht. Die übliche Holzbaracke wird nur zur 
Sommerszeit Verwendung finden können und wird in der kälteren 
Jahreszeit mit Isolirwänden umgeben werden müssen. Sie wird 
auch nur vorwiegend da in Betracht kommen, wo viele Fabrik¬ 
arbeiter, besonders einzelstehende Personen vorhanden sind, die im 
Erkrankungsfalle in ihrer Schlafstelle nicht verbleiben können. 
Meistens sind auch die inneren Einrichtungen einer solchen Baracke 
so primitiv und, weil provisorisch, auch so wenig komfortabel, 
dass die Scheu der Bevölkerung vor dieser Art Krankenhäuser 
und ihr Widerstreben, in dieselben gebracht zu werden, wohl zu 
verstehen ist. Auch wird es an den meisten Orten auf dem Lande 
an dem nothwendigen Personal, das selbst zu einer solchen provi¬ 
sorischen Ki*ankenanstalt gehört, wie Arzt, Wärter, Küchenleitung 
u. s. w. meistens fehlen, ganz zu schweigen von dem Kostenpunkt, 
der selbst für die einfache Holzbaracke ein über Erwarten 
hoher ist*). 

Ich ziehe daher jede ständige und, wie es heute meistens 
der Fall ist, wohleingerichtete und wohlorganisirte Krankenanstalt 
selbst der besteingerichteten Baracke vor und würde es befür¬ 
worten, dass Kranke selbst einen weiteren Weg zu einer guten 
Krankenanstalt transportirt würden, ehe man sie in einem unvoll¬ 
kommenen Holzgebäude unterbringt. Es werden daher in Zukunft 


*)^Eine Holzbaracke für 50 Betten hat rund 5000 M. gekostet, eine 
Baracke in Steinfachwerk für 22 Betten ist mit 5300 M. veranschlagt, und eine 
Donath'sche Gypsbaracke (nach Koch’s Angaben) für 20 Betten sollte 
3500 U. kosten. 



574 


Dr. Freyer. 


zur Unterbringung von Cholerakranken mehr die vorhandenen 
Krankenanstalten ins Auge zu fassen und nur da, wo sie nicht 
ausreichen, durch Barackenbauten zu erweiteni sein; wo dagegen 
in weiter Entfernung eine solche Anstalt nicht vorhanden ist, 
wird für einen bestimmten Komplex ein soliderer Bau mit dicken 
Wänden, zweckmässig vielleicht ein solcher nach Koch’s An¬ 
gaben mit eingelegten Gypswänden, hergerichtet und mit dem 
nothwendigen Zubehör, wie Personal, Desinfektionsanstalt etc. aus¬ 
gestattet werden. Die von Laien oft gehörte Befürchtung, das 
Krankenhaus könnte durch die Beherbergung von Cholerakranken 
selber „verseucht“ werden, darf hier eben so wenig in Betracht 
kommen, wie die Befürchtung, dass durch den Transport der 
Kranken die passirten Orte infizirt werden könnten; denn entweder 
sind die nothwendigen Vorkehrungen in beiden Fällen ausreichend 
vorhanden — dann ist auch nichts zu befürchten, oder sie sind 
nicht vorhanden — dann hat eben Beides zu unterbleiben. Im 
diesseitigen Ki’eise hat Beides stattgefunden, der Transport von 
Kranken bis 8 Kilometer weit und durch langgestreckte Dörfer 
hindurch, ohne dass hierdurch eine weitere Infektion bewirkt 
worden ist. 

Auf die Herrichtung von Isolirräumen zur Unterbringung 
und Desinfektion der Angehörigen von Erkrankten wird ganz be¬ 
sonders und jedenfalls mehr Bedacht zu nehmen sein, als es bisher 
geschehen. In vielen Fällen war hieran überhaupt nicht gedacht 
worden. Da es sich hierbei aber meistens um Unterbringung der 
Personen auf mehr als 24 Stunden handelt, weil in kürzerer Zeit 
die infizirte Wohnung kaum wieder bewohnbar hergerichtet sein 
dürfte, so wird auch zu einem solchen Isolirraum ein wenigstens 
einigermassen wohnlicher Raum gewählt werden müssen. Ein 
dunkles Spritzenhaus und Aehnliches, wie ich es angetroffen, dürfte 
hierzu nicht geeignet erscheinen. Ein Isolirraum wird aber in 
jedem einzelnen Orte vorzusehen sein, da sonst sofort die Ver¬ 
legenheit vorlianden ist, sobald ein Erkrankungsfall sich ereignet. 
Vielfach sind in Folge dieser Verlegenheit die gesunden Ange¬ 
hörigen gleich mit ins Krankenhaus gebracht worden, um dort 
ihre Desinfektion und Isolirung alsbald durchzumachen; aber für 
die Dauer würde dies jedenfalls nicht angänglich sein. 

War die Verlegenheit schon gross, wenn die gesunden An¬ 
gehörigen nicht isolirt werden konnten, so war sie ganz uner¬ 
wartet gross, wenn der Erkrankte niclit mehr transportfähig war 
und in der Wohnung verbleiben musste. Wenn hier auch die An¬ 
gehörigen die Pflege und der herbeigeholte Arzt die ärztliche 
Behandlung übernahm: wer sorgte dafür, dass die massenhaften, 
höchst infektiösen Entleerungen per os et anum des Erkrankten, 
die beschmutzte Wäsche und seine sonstigen Effekten den Keim 
der Krankheit nicht sofort weitertrngen und zunächst auf die 
gesunde Umgebung selbst, dann auf die Mitbewohner des Hauses 
weiterverbreiteten? Ewig unvergesslich werden mir die Fälle 
bleiben, in denen ich bei einem Erkranktim eintraf, als er sich in 
der akutesten Explosion der Erkrankung betänd, während die An- 



üeber einige ans der Choleraepidemie gewonnene praktische Erfahrungen. 575 

gehörigen, um ihn beschäftig, vollständig kopflos umherrannten 
und Alles mit denselben Händen befassten, mit denen sie soeben 
den Kranken gereinigt oder die Dejektionsgefässe hinausgetragen 
hatten, selbstverständlich ohne die Hände oder sonst etwas zu 
desinfiziren. In dem einen Falle fand ich die Angehörigen sogar 
beim Vespertisch, Brod schneidend und Kaffee trinkend, während 
gleichzeitig der choleraki’anken, sterbenden Tochter Handdienste 
geleistet wurden. Mit zwingender Klarheit stand es mir plötzlich 
vor Augen, wie sehr bei allen Vorkehrungen und Massnahmen 
gegen die Seuche eines Faktors am wenigsten gedacht worden 
ist, der gerade eine der Hauptrollen zu spielen hat, nämlich für 
die Beschaffung solcher Personen zu sorgen, die mit 
der Desinfektion Bescheid wissen und im Hause des 
Erkrankten, noch während seiner Anwesenheit da¬ 
selbst, das hier Noth wendige zu besorgen in der Lage 
wären. Es fehlte eben, zumal auf dem Lande, an geschulten 
Desinfektoren, und dieser Mangel machte sich sofort so schwer 
fühlbar, dass zunächst aushülfeweise aus der Stadt solche Personen 
an Ort und Stelle beordert werden mussten, bis, wenigstens für 
die von der Krankheit heimgesuchten Bezirke, die erforderliche 
Anzahl von Desinfektoren schleunigst durch mich ausgebildet 
worden war. Gerade in dieser Beziehung lehrte wieder die prak¬ 
tische Erfahrung, dass alle die schriftlichen Belehrungen nur wenig 
nützen, wo es sich um ein energisches, praktisches Eingreifen 
handelt; denn der Mann beim Kafteetisch konnte mir wohl eine 
gedruckte Anweisung über die Desinfektionsausführung vorlegen, 
in der auch fettgedruckt drinstand, dass mit unsauber gewordenen 
Händen keine Speisen berührt werden dürfen, dem Manne waren 
auch bereits verschiedene Desinfektionsmittel, wie Kalk, Karbol¬ 
säure und Chlorkalk vom Ortsschulzen ins Haus gesandt worden; 
allein diese waren weder von ihm zu Lösungen zubereitet worden, 
noch war sonst etwas damit geschehen, vielmehr lag die besudelte 
Wäsche auf dem Hofe über Strauchwerk ausgebreitet und Jeder¬ 
mann zugänglich, während der Mann auf meine Vorwürfe einfach 
erwiederte, er verstehe trotz der gedruckten Anweisung nicht, die 
Desinfektionslösung zu bereiten. Wie wichtig und weit nützlicher 
wäre es da gewesen, wenn der Ortsschulze in der Lage gewesen 
wäre, zugleich mit den Desinfektionsmitteln auch den 
Desinfektor mitzusenden, der sofort Alles zubereitet und 
ordnungsraässig besorgt, auch die Angehörigen unterwiesen hätte, 
nunmehr selber ordnungsinässig weiter zu verfahren. Denn was 
ihnen mechanisch vor ge macht wird, das machen sie auch 
schliesslich nach, während die blosse theoretische Unterweisung, 
selbst durch den hinzugekommenen Medizinalbeainten, nur wenig 
fruchtet, auch meist viel zu spät kommt. In einzelnen Fällen sind 
in Ermangelung geschulter Desinfektoren andere Personen kurzer 
Hand von mir an Ort und Stelle unterwiesen worden, was sie zu 
thun hätten; allein dies lässt sich doch für eine ausgedehnte 
Epidemie nicht durchführen, auch gelang es z. B. in einigen sehr 
dringlichen Fällen überhaupt nicht, irgend eine Person im Orte zu 



576 


Dr. Freyer. 


finden, die bereit gewesen wäre, in das Cholerahaus hineinzukommen, 
um dort Hand anzulegen. 

Diesem Mangel, der durch das Fehlen geschulter Desinfektoren 
so akut in die Erscheinung trat, gab ich alsbald dadurch Aus¬ 
druck, dass ich die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten Behörde auf 
denselben hinlenkte und derselbe anheimgab, bezügliche generelle 
Verfügungen zu treffen, was auch sofort geschehen ist. Bald 
darauf gelangte auch die Abhandlung von Matth es in Nummer 19 
dieser Zeitschrift (die Durchführung der Desinfektion bei Infektions¬ 
krankheiten in ländlichen Kreisen) in meine Hände, aus dessen 
Ausführungen ich ersah, dass derselbe mit Bezug aut die Durch¬ 
führung von Desinfektionsmassregeln im Allgemeinen dafür hält, 
dass den Guts- und Gemeindevorstehern, denen jene Ausführung 
obliegt, von dem Medizinalbeamten im einzelnen Falle angepasste 
Vorschriften zu ertheilen seien. Er hält es ferner nicht für un¬ 
erheblich, dass den einfiussreichen Leuten auf dem Lande, wie 
Polizeibeamten und Gendamen, ein gewisses Verständniss für die 
Sache beigebracht würde, desgleichen den Lehrern, z. B. durch 
hygienische Vorträge bei ihren Kreislehrerkonferenzen, während er 
es ebenfalls für vortheilhaft hält, beim Ausbruch grösserer Epidemien 
das Publikum durch Kreisblattbekanntmachungen für die Sache zu 
interessiien. „In vielen Fällen aber“, fährt er fort, „wird man zu 
der Meinung kommen, dass es besonderer sachverständiger Leute 
bedarf, die zu diesem Zwecke ausgebildet sind; dies wird sich 
nothwendig erweisen bei jeder grösseren Ausdehnung einer 
Epidemie.“ Wie nothwendig sich dies bei der neulichen grösseren 
Epidemie erwiesen hat, geht aus meiner obigen Mittheilung zur 
Genüge hervor. Ich meine aber, dass besonders sachverständig 
für die Ausführung der Desinfektion ausgebildete Leute nicht nur 
bei jeder grösseren Ausdehnung einer Epidemie, sondern in jedem 
Falle nothwendig sind, vornehmlich schon, um es zur Epidemie 
möglichst gar nicht kommen zu lassen. Sie sollen ständig zur 
Verfügung stehen, um bereits in jedem Einzelfalle, gleich, 
ob es sich um Cholera oder um eine andere Infektions¬ 
krankheit handelt, den Krankheitskeim möglichst 
gründlich zu vernichten; sie sollen die Löschmannschaften 
bilden, welche den Funken, nocli ehe er zur hellauflodernden 
Flamme wird, bereits im Keime zu ersticken vermögen. Was 
nützt es dem Medizinalbeamten, wenn er, an Ort und Stelle ange¬ 
kommen, die Polizeiorgane, auch eventuell Desinfektionspräparate 
vorfindet, dagegen Niemanden zur Hand hat, der die Desinfektion 
auszufiihren versteht. Und wie sehr kommt es auf das „Wie“ der 
Ausführung an! Denn die Desinfektoren sollen nicht blosse 
mechanische Handlanger sein, welche Abtritte und Zimmerfuss- 
böden mit Karbolsäure zu bearbeiten verstehen, sondern sie sollen 
vermöge ihrer Ausbildung auch im Stande sein, selbstständig eine 
Desinfektion mit allen an eine solche zu stellenden Anforderungen 
zu leiten und auszuführen. Sie müssen in das Wesen der Infektions¬ 
krankheit so weit eingeführt sein, dass sie es verstehen, in findiger 
Weise allen den Spuren nachzuforschen, welche der Infektionsstoff’ 



lieber einige ans der Oholeraepidemie gewonnene praktische Erfahrungen 577 

ZU seiner Verbreitung“ möglicherweise schon genommen hat. Dazu 
lassen sich, wie ich jetzt gesehen, einfache Leute auf dem Lande, 
Handwerker und Gemeindediener, sehr wohl ausbilden, so dass es 
auch an der nöthigen Zahl dieser Personen kaum mangeln dürfte. 
Selbstverständlich müssten dieselben für ihren Dienst behördlich 
verpflichtet und der Aufsicht des Medizinalbeamten unterstellt sein. 
Mit mehreren solcher Desinfektoren in jedem einzelnen 
Amtsbezirke und ein geordnetes Anmeldewesen für 
Infektionskrankheiten vorausgesetzt, so dass sofort, 
in jedem einzelnen Erkrankungsfalle, der Desinfektor 
ins Haus geschickt werden könnte, um die nothwendige 
Desinfektion zunächst einzuleiten, dann zu überwachen 
und schliesslich zu Ende zu führen, Hesse sich in der 
That gegen die Verbreitung von Seuchen ernstlich 
ankämpfen. 

Zur Durchführung der Desinfektion sind auch Desinfek¬ 
tionsapparate erforderlich. Dieselben fehlten bei Beginn der 
Epidemie in meinem Kreise ebenso, wie wohl in den meisten Land¬ 
kreisen, fast vollständig, und es war die Verlegenheit gi’oss, als 
man nicht wusste, wohin man mit Betten und Kleidern sollte. 
Allmählich sind nun einige kleinere und ein grösserer Desinfek¬ 
tionsapparat in Betrieb gesetzt worden, während andere in Aus¬ 
sicht genommen sind, und zwar für einen bestimmten Theil des 
Kreises ein transportabler und für einen andern ein feststehender. 
Ich bin mit Matth es ganz einer Meinung, dass für die ländlichen 
Bezirke kleinere Apparate, wie der von Schmidt-Weimar Nr. 3, 
ausreichend sind, auch ist ein solcher bereits an einem Orte des 
diesseitigen Kreises in Betrieb. Nun ist es selbstverständlich 
nicht erforderlich, dass jedes Dorf seinen Apparat hat, aber für 
unumgänglich nothwendig halte ich es, dass jede kleinere Stadt¬ 
gemeinde ihren Dampfdesinfektionsapparat besitze, während füi* die 
Dörfer und Güter Apparate für bestimmte Komplexe anzuschaffen 
wären. Zum Transport der zu desinfizirenden Sachen würden dann 
geeignete, mit Blech ausgeschlagene Kasten oder mit Karbollösung 
getränkte Säcke verwendet werden können. 

Zum Schluss möchte ich noch für Diejenigen, welche in die 
Lage kommen sollten, auch die bakteriologischen Fest¬ 
stellungen für die ersten Cholerafalle zu machen, bemerken, 
dass diese Untersuchungen sich keineswegs so einfach gestaltet 
haben, wie man aus den Erfahrungen beim bakteriologischen 
Kursus zu glauben sich berechtigt halten mochte. Die Unter¬ 
suchung war sehr einfach, wo es sich um die charakteristischen, 
fast aus Reinkulturen bestehenden Reiswasserstühle handelte. In 
vielen Fällen jedoch war es nicht leicht, die verdächtigen Kulturen 
bis zur Evidenz zu isoliren; es erforderte dies trotz schliesslicher 
Uebung oft noch viel Mühe und Zeit, in einzelnen Fällen auch 
mehr als drei Tage, und ich kann nur den Betreffenden rathen, 
sich zeitig mit der Kultivirung von Cholerabazillen wieder zu be¬ 
schäftigen, ehe sie an die praktischen Feststellungen herangehen. 
Es sind auch entschieden gewisse Formunterschiede bei den Bazillen 



578 Die Mitwirkung der Militär-Medizinalrerwaltung bei Bekämpfung etc. 

und Kolonien zu beobachten gewesen, und es wäre daher sehr 
erwünsclit, wenn hierüber sowie Uber sonstige biologische Eigen¬ 
heiten und gewisse technische Winke zunächst aus dem Kaiser¬ 
lichen Reichsgesundheitsamte Näheres bekannt gegeben würde. 
Wem ein geeignetes Laboratorium nicht zur Verfügung steht, 
dem dürften sich noch ganz besondere Schwierigkeiten entgegen¬ 
stellen. 


Die Mitwirkung der Militär-Medizinalverwaltung bei Be¬ 
kämpfung der Volksseuchen. 

Vor Kurzem brachte die „Kölner Zeitung“ in Nr. 793 
einen Artikel „Die Massregeln zur Bekämpfung der Cholera“, in 
dem im Hinblick auf die Mitwirkung der Militärärzte bei Bekämpfung 
der diesjährigen Choleraepidemie auch fernerhin eine engere Ver¬ 
bindung der Militär- und Civil - Medizinalverwaltung bei dem Kampfe 
gegen die Volksseuchen empfohlen wurde, „damit die sachverstän¬ 
digen Organe derselben, mit einer gewissen Exekutive ausgestattet, 
auch in Zukunft eine Ueberwachung der Gesundheitszustände über¬ 
nehmen. In ihrer Vereinigung und in ihrem Handeln auf Grund 
eines Reichs - Seuchengesetzes könnte man dann eine Gewähr dafür 
sehen, dass die rechtzeitige Abstellung hygienischer Missstände 
erfolgt und Alles geschieht, was zur Abwehr von Seuchen, zur 
Förderung der Gesundheit, zur Erhaltung von Menschenleben und 
somit zum Ausbau des National Wohlstandes erforderlich ist.“ 

In Nr. 18 dieser Zeitschrift (s. S. 462) hat bereits Dr. Lan¬ 
ge rhans darauf hingewiesen, dass es für die Civil - Medizinalver¬ 
waltung nur äusserst beschämend sein könne, wenn sie genöthigt 
gewesen sei, die Aushülfe der Militärärzte bei der Aufgabe der 
Seuchenverhütung, also auf dem ureigensten Felde der Sanitäts¬ 
polizei annelimen zu müssen; dass aber diese beschämende That- 
sache lediglich auf die Mängel des preussischen Medizinalweseus 
und vor Allem auf die Unzulänglichkeit der Stellung der preussischen 
Medizinalbeamten zurückzufülTren sei. In gleicher Weise spricht 
sich der „Hannoversche Courier“ vom 29. v. M. in einem Leit¬ 
artikel „Zur Bekämpfung der Volksseuchen“ aus, dem wir nach¬ 
stehend im Wortlaut bringen. Der Verfasser tritt der von der 
„Kölner Zeitung“ vertretenen Ansiclit betreffs einer weiteren Mit¬ 
wirkung der Militärzärzte bei Lösung sanitätspolizeilicher Aufgaben 
mit Recht entgegen; die nothwendige Abhülfe der auf diesem Ge¬ 
biete herrschenden Missstände sei nicht in einer Heranziehung mili¬ 
tärischer Kräfte, sondern allein in einer gründlichen Reorganisation 
unsers Civil - Medizinalwesens zu suchen. Der Artikel lautet wie 
folgt: 

„In den letzten Wochen bcgcgcnete man in di^r Presse mehrfachen Er- 
örteruiigeu, die sich mit dein Heranziehen inilitärischcr Sanitätspersoneii und 
-Anstalten zur Bekämpfung der Cholera l)cfas.sten und dabei durchweg die 
Bereitwilligkeit des Kriegsministers zu schneller und ausgiebiger Hülfe rühmeud 
liervorhoben. Auch wir zollen den Militärbehörden den schuldigen Dank, inbchten 
aber doch auf einige Betrachtungen eines grossen deutschen Blattes näher eiu- 
gehen, in denen „die Massregeln zur Bekämpfung der Cholera“ erörtert wurden. 



Die Mitwirkung der Milit&r-Medizinalverwaltung bei Bekämpfung etc. 579 


In dem betreffenden Artikel wird die ausschliessliche Heranziehung von 
Militärpersonen als Vorsteher der Kontrolstationen gewissermassen als natürlich 
hingestellt und damit motivirt, dass erstens die Civil- und beamteten Aerzte 
gerade in Cholerazeiten ihrem Wirkungskreise nicht entzogen werden könnten, 
dass zweitens die militärische Schulung iin vorliegenden Falle doppelt werthvoll 
und endlich drittens eine grössere Anzahl Militärärzte in der Bakteriologie soweit 
ausgebildet wäre, dass ihnen die nothwendigen Untersuchungen vertrauensvoll 
übertragen werden könnten, zumal alle zu solchen Untersuchungen nöthigen 
Httlfsmittel bei den einzelnen Truppentheilen vorhanden seien. Hieran wird die 
Hoffnung geknüpft, „dass auch in Zukunft darauf gerechnet werden darf, in 
' solchen Nothfällen überall da die Hülfe der Armee zu Anden, wo die Kräfte der 
Gemeinden nicht ausreichen oder schnellste Hülfeleistung am Platze ist.“ Eine 
solche Auffassung erscheint uns geeignet, Missverständnissen nach verschiedener 
Richtung Vorschub zu leisten, und deshalb dürfte ein näheres Eingehen auf die 
ganze Angelegenheit geboten erscheinen. 

Zunächst kann davon allerdings keine Rede sein, praktische Aerzte 
ihrem Wirkungkreise zu entziehen, wenn dieser von der Cholera bedroht ist. 
Anders würden aber die Verhältnisse bei den Sanitätsbeamten liegen, so¬ 
bald diese Beamten zur ärztlichen Praxis so ständen wie die Militärärzte. Wären 
unsere Kreisphysiker nicht fast ausschliesslich auf den Erwerb durch ärztliche 
Thätigkeit angewiesen, hätten sie die ihnen seit langen Jahren zugedachte un¬ 
abhängige Beamtenstellung, so würden sie ohne Zweifel in kritischen Zeiten 
lediglich als Beamte und nicht als praktische Aerzte zu betrachten sein, d. h. 
sie würden ebenso leicht wie jetzt die Militärärzte zu solchen Dienstleistungen 
herangezogen werden können. In der That sehen wir in Bayern, wo die Medizinal¬ 
beamten schon längst eine andere Stellung einnehmen als in Preussen, zu Vor¬ 
ständen der Kontrolstation für die Donau nicht Militärärzte, sondern Bezirksärzte 
und sogar zum Kommissar nicht einen Juristen, sondern ebenfalls einen Medizinal¬ 
beamten gewählt. Dass bei uns die Militärärzte herangezogen wurden, geschah 
einzig und allein aus Noth. Der Staat hat seit Jahren die Reform des 
Medizinalwesens immer wieder aus Ananziellen Gründen verschoben, und so stand 
er den Anforderungen, wie sie moderne Bakteriologie zur Bekämpfung der 
Cholera stellt, ohne Truppen machtlos gegenüber. Im Momente der Mobil¬ 
machung wurde klar, wie wenig zur Rüstung geschehen war. Nicht die „mili¬ 
tärische Schulung“ Hess den Militärarzt als besonders geeignet zu solchem Posten 
erscheinen, denn Disziplin und Gewissenhaftigkeit wohnt ebenso dem preussischen 
Beamten inne; auch nicht der Umstand war ausschlaggebend, dass eine grössere 
Anzahl von Militärärzten bakteriologisch genügend ausgebildet waren, denn 
unter den Kreisphysikem Andet sich ebenfalls eine ganze Reihe, welche nicht 
nur einen, sondern mehrere bakteriologische Kurse durchgemacht und die 
gleichen Kenntnisse erworben haben. Nur die missliche Stellung der Kreis¬ 
medizinalbeamten machte es von vornherein unmöglich, sie ihrem Wirkungskreise 
plötzlich kürzere oder längere Zeit zu entziehen. 

So anerkennenswerth es also auch ist, dass die Militärverwaltung in aus¬ 
giebiger Weise der Civil-Medizinalvcrwaltung beisprang, so dürfen wir daraus 
doch nicht eine Beruhigung für die Zukunft entnehmen; denn der Kriegsminister 
kann nicht zu jeder Zeit eine grössere Zahl Aerzte mit allem bakteriologischen 
Zubehör entbehren. Was soll in Kriegszeiten werden? Soll das Land wehrlos 
dem Vordringen einer Seuche gegenüberstehen, während das Heer einen äusseren 
Feind abzuhalten hat? Denken wir doch an das Jahr 1866 zurück! So zeigt 
uns auch dieses Heranziehen militärischer Kräfte, wie dringend nöthig eine 
gründliche Medizinalreform ist. 

Wir haben in Hamburg gesehen, wie sich unzeitige Sparsamkeit in sanitärer 
Beziehung rächt, und sollten jetzt einen Augenblick zaudern, wo es sich um 
IV 2 Millionen handelt, ohne deren Aufwendung z. B. nicht einmal ein Reichs- 
senchengesetz durchführbar wäre? Denn dazu gehören eigene Beamte, wie wir 
schon früher eingehend besprochen haben. Ueberhaupt will es uns scheinen, als 
ob mit dem Nac hlassen der Cholera in Hamburg und durch die Thatsache, dass 
es sonst in Deutschland zu keiner epidemischen Ausbreitung der Seuche gekommen 
ist, wieder ein übermässiges Gefühl der Sicherheit oder fast der Ueberlegenheit 
um sich griffe. Dazu haben wir gar keinen Grund! Denn einmal ist ein er¬ 
neutes Aufilakern im nächsten Frühjahr nicht ausgeschlossen und zweitens hat 



580 Dr. jar. y. Eom: Entgegnung. 

uns gerade die Hamburger Epidemie wieder gezeigt, dass noch manches genauer 
zu erforschen bleibt. 

Und wie bei der Cholera, so ist es auch bei anderen Infektionskrankheiten, 
die alljährlich ungezählte Opfer fordern, aber vom Laien nur dann beachtet und 
gefürchtet werden, wenn sie in sein eignes Heim einkehren. Wie ungeheuer 
gross ist die Einderschaar, welche in den letzten 20 Jahren von der Diphtherie 
dahingerafft wurde, und wie gross der Verlust an Arbeitskraft, der durch 
Typhusepidemien verursacht wirdi 

Nicht allein gegen die Cholera, auch gegen andere Seuchen brauchen wir 
Schutz und Männer, welche es zu ihrem Berufe machen, das Verhalten der ein¬ 
zelnen Landestheile, Städte und Dörfer jenen Krankheiten gegenüber zu er¬ 
forschen und rechtzeitig sanitäre Massnahmen zu veranlassen. Jedes Zaudern 
mit Abstellung der deutlicher denn je erkannten Schäden und Mängel unseres 
Medizinalwesens hiesse Nichtachtung der Volksgesundheit. 

Beschämend ist es, dass nur das Militärmcdizinalwesen Schritt gehalten 
hat mit den grossen wissenschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit, und wir 
müssen um so mehr eilen, das Civil-Medizinalwesen auf gleiche Höhe zu bringen, 
als letzteres ungleich grössere und weitere Aufgaben zu erfüllen hat: denn 
es^ soll nicht nur sorgen für bestimmte Altersklassen, die an und für sich die 
widerstandsfähigsten sind, sondern für das ganze Volk, für Reiche und Arme, 
Hohe und Niedrige, Gesunde und Kranke! Auch für das Militär wird eine geord¬ 
nete Civil-Medizinalverwaltung mit Rücksicht auf die Ergänzung der Armee von 
erheblichem Vortheil sein; denn manche Fehler der Schule, der Lehr- und Aus¬ 
bildungszeit werden dadurch abgestellt werden können. 

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die Aufgabe der Medizinal¬ 
beamten eine weite ist, da ihnen in erster Reihe die Abwehr der Infektions¬ 
krankheiten zufällt, und hoffen mit aller Bestimmtheit, dass die Mittel zu ent¬ 
sprechender Aufbesserung vorhanden sein werden.*) — Dass diese Aufbesserung 
eine gründliche sein muss, darüber dürfen wir uns nicht täuschen, denn wir 
werden von unseren späteren Mediziualbeainten verlangen, dass sie nicht allein 
ihre amtlichen Geschäfte erledigen, sondern sich auch stetig weiter bilden. Und 
dazu bedürfen sie mancher freien Stunde, die dem Arzte nicht zu Gebote 
steht; sie bedürfen dazu aber auch literarischer, technischer und chemischer 
Hülfsmittel, damit sie bei späteren Seuchen ebenso gerüstet stehen, wie heute 
die Militärärzte. 

Dass sich die beamteten Aerzte weit mehr zur Lösung sanitätspolizei¬ 
licher Aufgaben eignen als Militärärzte, bedarf keiner Frage, da sie in Folge 
ihrer amtlichen Stellung viel mehr als jene mit den Bedürfnissen und Lebens¬ 
gewohnheiten der Bevölkerung ihrer Bezirke vertraut sind, ein Erfor<lerniss, 
welches für ein wirksames und dabei massvolles Eingreifen von grösster Be¬ 
deutung ist. 

Je länger die Reorganisation hinausgesohoben wird, desto später können 
die Medizinalbeamten ihren Aufgaben gewachsen sein; denn es wird zunächst 
mancher Arbeit bedürfen, ehe sie das Feld ihrer eigenen Thätigkeit beherrschen. 
Schon zu lange haben wir gezögert, jetzt aber würde sich ein weiterer Auf¬ 
schub nimmermehr entschuldigen lassen. Wir müssen die Lehre beherzigen 
welche uns die Hamburger Epidemie geg(d)en hat, und dürfen unser Ohr nicht 
länger dem mahnenden Zurufe vcrschliesscn; die spätere Verantwortung würde 
unermesslich gross sein. Mit vollem Rechte können die übrigen deutschen 
Staaten erwarten, dass Preussen solche Unvollkommenheiten in einem der wich¬ 
tigsten Verwaltungszweige schleunig und gründlich beseitigt.“ 


Entgegnung 

auf die vom Herrn Kreisphysikus Dr. Richter-Gross* 
W artenberg in Nr. 19 dies er Zeitschrift veröffentlichte 
Schilderung seines Bezirks. 

Von Dr. jur. v. Korn - Rndelsdorf (Kreis Gross-Wartenberg). 

Es liegt mir vollständig fern, mich mit Herrn Dr. Richter 

*) In der Thronrede ist leider nichts davon gesagt. 



Dr. jnr.^y. Eom: Entgegfnimg. 


581 


in eine Erörterung der Gründe des Arbeitermangels in nnseim öst¬ 
lichen Provinzen einzulassen, ich möchte nur im Namen des ge- 
sammten Grossgrundbesitzes im Wartenberger Ki’eise auf das 
Nachdrücklichste feststellen, dass Herr Dr. Richter ein durch¬ 
aus falsches Bild von unsern hiesigen Arbeiter-Verhältnissen und 
der Behandlung unserer Arbeiter entwirft. Ich bestreite ihm ganz 
entschieden jedes Recht, aus einzelnen wenigen Fällen, bei denen 
er schlechte Fürsorge für das Wohl der Arbeiter angetroffen 
haben mag, Schlüsse auf den ganzen Kreis zu ziehen, in dem er 
knapp zwei Jahre angestellt ist; insonderheit verstehe ich nicht, 
wie er dazu kommt, wiederholt gerade den gi’össeren Besitzern 
Vorwürfe zu machen bezüglich Wohnungen, Arbeitszeit und Pflege 
der Arbeiter. Seine Beschuldigungen, aus denen er den Arbeiter¬ 
mangel herleitet, fallen schon in sich selbst zusammen, wenn ich 
hiermit feststelle, dass von den Arbeitern auf den Dominien ver¬ 
schwindend wenige im Sommer fortgehen und dass laut Akten im 
Landrathsamt fast nur Leute aus den Gemeinden fortziehen. 

Ich nehme an, dass Herr Dr. Richter seine Behauptungen 
in Folge mangelliafter Information in die Welt gesetzt hat. Scheint 
er doch z. B. gar nicht zu wissen, dass die Herren Aerzte in 
Festenberg und Neu-Mittelwalde von den grösseren Grundbesitzern 
zum Theil fest engagirt sind, sowie dass diese Grundbesitzer zwölf 
Diakonissinnen zum Wohle ihrer Arbeiter angestellt haben. 

Was ferner die Wohnungsverhältnisse unserer Arbeiter anbe¬ 
langt, so ersuche ich Herrn Dr. Richter, sich auf den grösseren 
Besitzungen einmal umzusehen. Meistens wird er dann bessere 
Wohnungen und Zustände finden, wie bei den Industriearbeitern. 
Gerade im Wartenberger Kreise findet man häufig auffallend 
hübsche und gute Häuser für Arbeiter und Gesinde, bei denen es 
auf dem Dach liöchstens zum Schornstein hereinregnet und kalte 
Luft in die Zimmer nur eindringt, wenn zu diesem Zweck die 
Fenster geöffnet werden. Wir haben mit dem Bau unserer Ge¬ 
sindehäuser nicht erst auf die menschenfreundlichen Rathschläge 
des Herrn Dr. Richter zu warten brauchen. 

Also so vorsündfiuthlich sind unsere hiesigen Verhältnisse 
Gott sei Dank doch nicht; ich glaube aber andererseits auch nicht, 
dass mehr wie die vorhandenen neun Aerzte im Gross-Warten¬ 
berger Kreise lohnende Beschäftigung finden würden. Aber vielleicht 
iiTe ich mich mit meiner letzten Annahme und die Arbeiter auf 
der südlichen und östlichen Seite des Kreises, woHerrDr. Rieht er 
praktizirt, sind besonders leidend und bedüi-fen mehr ärztlicher 
Hülfe als anderswo. Mit diesem Zugeständniss schliesse ich und 
wiederhole nochmals, dass ich im Einverständniss mit vielen 
Nachbarn Vorstehendes geschrieben habe, nachdem einem der 
Herren von einem Arzte im hiesigen Kreise die Nr. 19 dieser Zeit¬ 
schrift mit dem Artikel des Henm Dr. Richter zugesandt worden 
war, aus dem wir ausserdem Manches erfuhren, was uns bisher un¬ 
bekannt geblieben war, z. B., dass die Arbeiter bei uns angeblich 
von 3 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends arbeiten sollen. 



582 


Aq 8 Versammlungen und Vereinen. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

HerbstversammlaDK der Krrisphysiker des Befflerancrs- 

besirks Jllaisilebars:« 

Die freie Vereinio^ung der Physiker des Bezirkes tagte am 15. Oktober 
im Zentral - Hotel zu Magdeburg. Die grosse Mehrzahl war erschienen, es 
fehlten nur diejenigen Kollegen, welche durch Dieustgeschäfte verhindert waren 
und ihr Ausbleiben vor Beginn der Sitzung entschuldigt hatten. 

Die Vorträge und Debatten hatten, der augenblicklichen Lago entsprechend, 
wesentlich die Cholera und die Mittel zur Abwehr ansteckender Krank- 
heilen zum Gegenstände. 

Kreisphysikus Dr. K u n t z - Wanzleben berichtete zunächst über die in seinem 
Kreise vorgekommenen Fälle von Cholera. Dieselben waren in einem an der 
Elbe gelegenen Orte vorgekoinraen und Hessen sich sämmtlich auf den Verkehr mit 
Schiffern, die sich in Quarantäne befanden, und auf direkte Einschleppung zurück¬ 
führen. Die von Dr. Kuntz gemachten Sektionen haben bald die eine, bald die 
andere pathologisch-anatomische Veränderung mehr hervortretend gezeigt, der 
Darminhalt wurde reiswasserartig, aber auch ziemlich fäkulcnt gefunden; konstant 
war die starke Kontraktion der Blase. Die bakteriologische, im hygienischen 
Institut zu Halle ausgefiihrte Untersuchung war in einem späteren Falle resultat¬ 
los, obgleich das klinische Bild, der ganze Verlauf der Krankheit, der Nachweis 
der Uebertragung aus Hamburg und der Umstand, dass Dr. Kuntz bei diesem 
Falle gerade sich eine leichte Infektion zngezogen hat, nach K.’s Meinung den 
Beweis geliefert haben, dass es sich um asiatische Cholera gehandelt habe. 

Hierauf referirte Kreisphysikus Med.-Rath Dr. B o e h m - Magdeburg über 
die von ihm in Magdeburg beobachteten Fälle von Cholera asiatica, 
über die choleraverdächtigen Fälle und über die getroffenen Massnahmen gegen 
die Weiterverbreitung. 

In der Zeit vom 28. August bis fi. Oktbr. sind 11 Fälle von asiatischer Cholera 
und 31 choleraverdächtige Fälle in Magdeburg vorgekommen; von den Cholerakranken 
sind 6 gestorben, 5 genesen, die choleraverdächtigen Erkrankungen haben sich 
bald durch den klinischen Verlauf un<l den negativen bakteriologischen Befund, 
als Brechdurchfall, Cholera nostras, Darmkatarrh, Unterleibstyphus, Ruhr et<;. 
herausgestellt. 

Was die Art und die Woge der Einschleppung anbetrifft, so 
ist bei den meisten Chob;rakraiikon die Einschlepiiung von Hamburg nach¬ 
gewiesen, nur bei drei (hiesigen) Erkrankten hat sich nicht konstatiren lassen, 
ob sie mit von Hamburg hierher gekuimnenen Kranken oder deren Effekten in 
Berührung gekommen sind und auf welche Weise sie sich inlizirt haben. Von 
den erkrankten Personen sind 3 auf d(*m Wasserwege, 2 auf dem Landwege 
hierher gelangt, 3 b(‘trafen, wie erwähnt, hier ansässige Einwohner. Eine 
Weiterverbreitung der hiesigen Krankheitsfälle hat in keiner Weise stattgefunden ; 
die gegen die Fortpflanzung der Infektion getroffenen Massnahmen waren vv>m 
günstigsten Erfolge begleitet. Trotz der scliwierigsten Verhältnisse — Ueber- 
füllung der Häuser etc. und einzelnen Wohnungen der Erkrankten — ist es 
durch schindle Fortschatfuiig der Patienten in das Krankenhaus, Desinfektion ihrer 
Effekten, Isoliruug und sechstägige t^uarantänisirung der Familienmitglieder, 
Desinfektion der Wohnungen und Aldritte, Schliessung der Brunnen bis nach 
vorgenoinmener bakteriologischer und chemischer Untersuchung u. 8. w. erreicht 
worden, dass keiner der hier vorgek(»mmeiieii Fälle der Cholera asiatica zu einer 
Quelle der Weiterverlindtung geworden ist. 

Von gesundheitlichen Uehelständeu ist in Magdeburg nur einer, nämlich 
das Triukwasser, wiegen seines grossen (’hlorgtdialtes zu erwähnen; die wiederholten 
bakteriologischen und chemischen Untersuchungen sowohl des Elb- wie des 
filtrirteu (Leitungs-)Wassers, haben dassell)e frei von Choleravibrionen und an¬ 
deren pathogenen Bakterien gezeigt, dagegen wurde ein sehr grosser Chlorgehalt 
gefunden: 74,38 in 100 000 Theilen. 

Die ersten beiden am 28. und 29. August hier angemeldeten Fälle von 
asiati-scher Cholera betrafen zwei juuge Leute von der Besatzung eines von 
Hamburg gekommenen Dampfers, auf welchem als Dritter am 31. August ein 
Bootsmann erkrankte. Der 4. Fall betraf eine von Hamburg hier zum Besuch 



Ans Versammlnngen nnd Vereinen. 


68a 


eingetroflfene Kaufmannsfrau (31. August). Am 3. September wurde der 5. Fall 
konstatirt: Ein löjähriger Schiffslehrling, der auf einem Kahne, auf der Reise 
von Hamburg, erkrankte. Als 6. Kranker ist ein hiesiger Rohrleger am 
5. September festgestellt worden. Derselbe wohnte in einem stark bevölkerten 
Hause, in einer Gegend der Stadt (Wallstrasse), in welcher bei der letzten 
Epidemie (1873) viele Choleraerkrankungen beobachtet worden sind. Der Kranke 
hat Tags vor der Erkrankung an der Elbe geangelt, bestritt jedoch an dem sehr 
heissen Tage Elbwasser getrunken zu haben. Die Ansteckungsquelle konnte, 
trotz eifrigster Nachforschungen, weder bei diesem noch bei dem 7. u. 8. Falle, 
welche hiesige Einwohner betrafen, die am 6. und 7. September erkrankten und in 
weit von einander entfernt gelegenen Stadttheilen wohnten, entdeckt werden. 
Der 9. Oholerafall wurde am 20. September angemeldet, er betraf einen Schiflfer- 
lehrling auf einem von Hamburg kommenden Kahne. Am 22. September wurde 
der 10. Fall konstatirt; er betraf einen auf der Wanderschaft begriffenen, von 
Bremerhafen, Lüneburg über Salzwedel hierher gelangten Schlosser, der in einer 
Herberge genächtigt hatte und dort erkrankt war. Dieser Fall erregte für die 
Gefahr der Verbreitung der Seuche die grösste Besorgniss, weil das Haus eines 
der bevölkertsten der Stadt (mit 44 Familien und über 200 Köpfen) und die 
Herberge eine sehr besuchte, ipit Restauration, ist Dass die Infektion anderer 
Menschen in diesem Falle vermieden worden ist, kann als ein wahrer Triumph 
der getroffenen Massnahmen bezeichnet werden und als Beispiel gelten, was 
rechtzeitige Anmeldung, Isolirung, Desinfektion und Quarantäne vermögen. — 
Der letzte (11.) Fall betraf einen Bootsmann auf einem von Hamburg kommenden 
Kahne, er wurde am 6. Oktober konstatirt. Der Sohn des Bootsmannes war auf 
einem anderen Kahne in der Nähe Hamburgs an der Cholera gestorben und die 
nicht desinfizirten Effekten sind von dem Vater geholt und nach einer Desin¬ 
fektionsanstalt geschafft worden, ohne dass er sich selbst einer gründlichen 
Desinfektion unterworfen hatte, sondern sich begnügte, seine Hände mit „Karbol¬ 
lösung“ zu waschen. 

Ausser den bereits erwähnten Sicherheitsmassregeln gegen die Weiter¬ 
verbreitung sind folgende Massnahmen getroffen worden: Jeder Cholera verdäch¬ 
tige Fall wurde zunächst schleunigst wie eine echte asiatische Choleraerkrankung 
sauitätspolizeilich behandelt und der freie Verkehr der Familienmitglieder des 
Kranken erst nach Hebung jeden Zweifels gestattet. 

Vom 25. August an fand eine ärztliche Untersuchung auf dem Zentral¬ 
bahnhofe aller von Hamburg kommenden Reisenden statt. Dieselben wurden der 
städtischen Desinfektiousanstalt zugeführt und sodann für die nächsten sechs 
Tage ärztlicher Beobachtung und polizeilicher Kontrole unterworfen. Diejenigen, 
welche keine hiesige, garantiebieteude Wohnung hatten, wurden einem errichteten 
Isolirobdach ziigeführt. Von den während des Zeitraumes voiij 25. August bis 
10. Oktober, an welchem Tage die ärztliche Bahnhofskontrole aufgehoben wurde, 
angekommenen 51 Reisenden wurden 28 in dem Isolirobdache, 23 in ihren 
Familienwohnungen bis nach Ablauf des Inkubatiousstadium quarantänisirt. 

Ebenso wurden die Schiffer und ihre Fahrzeuge bei ihrer Ankunft ärztlich 
untersucht, unter polizeiliche Kontrole gestellt und erst nach Ablauf von 6 Tagen 
(nach ihrer Abreise von Hamburg) ihnen die Weiterreise gestattet, wenn die 
Mannscliaft an Bord ärztlich gesund befunden war. 

Wenn nun auch lüiie epidemische Vt rbreitung der asiatischen Cholera in 
Magdeburg nicht staitgefuinlen hat, so dürfen doch nicht die Waffen zu ihrer 
Ih käinplüng aus der Hand gelegt, es muss vielmehr strenge Kontrole weiter- 
geübt und die weitere Assanirung der Stadt fort und fort bewirkt werden. 

Kreisphysikus Dr. .1 acobsoii-Salzwedel hat einen direkt aus Hamburg 
importirten Cholerafall beobachtet, dessen bakteriologische Fcststelluug im eigenen 
Laboratorium schuell gelang. 

Den sich an diese Berichte anknüpfenden Auseioaudersetzungen folgte ein 
Referat von Kreisphysikus Dr. Jacobson-Salzwcdel: 

lieber einen prakti.schen Versuch zur Durchführang der Des¬ 
infektion auf dem Lande, das wir wörtlich folgen lassen: 

„M. H.! Die Noth der Zeit, welche wir soeben durchlebt haben und die 
wir noch durchleben, hat gewiss vielen Medizinalbeaiiiten die Frage wieder 
näher gebracht, durch welche Massnahmen sie ihren speziellen Wirkungskreis 
am besten gegen das Eindringen ansteckender Kranl^citen schützen, durch 



584 


Aus Versammlungen und Vereinen* 


welche Massnahmen sie die ausgebrochene Seuche auf einen Heerd zu beschränken 
vermöchten? Und doch möchte ich meinen, dass die Sorge um die richtige Beant¬ 
wortung dieser Frage nur das akute Stadium, eine Exacerbation eines chronischen 
Leidens bedeutet, an welchem der ptiichtgetrcuc Mediziualbeamte immer und 
ewig laborirt. Während auf der einen Seite seine wichtigste und bedeutendste 
Aufgabe die ist, die Einschleppung und Verbreitung ansteckender Krankheiten 
zu verhüten, stehen ihm auf der anderen Seite nicht nur keine zweckdienlichen 
Mittel zu Gebot, sondern das Geringe, w'as er noch erreichen könnte, wird durch 
den üblichen Geschäftsgang vereit(‘lt. Wird der Medizinalbeamte berufen, bei 
der Bekämpfung einer Seuche mitzuwirken, so geschieht dies in der Regel nicht 
beim Ausbruch der Krankheit, nicht dann, wenn der einzelne Fall die Mög¬ 
lichkeit und Wahrscheinlichkeit gewährt, den Heerd zu beschränken und aUe 
Ansteckungskeiine zu vernichten, sondern erst, wenn die Krankheit weiteste 
Verbreitung gefunden hat, wenn sie „epidemisch“ auftritt, wenn, — wie ich 
nicht zögere zu behaupten, — es unmöglich geworden ist, den Wegen und 
Kanälen nachzuspüren, auf welchen die Krankheit verbreitet worden ist, wenn 
Nichts, auch nicht die beste und sorgtältigste Desinfektion im Stande ist. Alles 
zu zerstören, wodurch die Seuche doch weiter verbreitet werden kann. Hat der 
Medizinalbeamte aber endlich enLsprechendo Massg^geln vorgeschlagen, sind die¬ 
selben angenommen und angeordnet, dann fehlt es an der geeigneten Persön¬ 
lichkeit, sie in sorgfältiger und zuverlässiger Weise auszuführen. Von den 
unteren Polizeibehörden, welche selbst kein Verständniss für die Bedeutung und 
Wichtigkeit der Sache haben, wird die Desinfektion den Angehörigen der Er¬ 
krankten überlassen, und dass eine solche Desinfektion Nichts bedeutet, ja, dass 
sie gefährlicher ist als gar keine, weiss ein Jeder, der den Charakter der Be¬ 
völkerung kennt. Mit 100 Gramm Karbolsäure werden nicht nur, trotz ge¬ 
nauester Beschreibung, wie die Desinfektion auszuführen ist, alle Wohn- und 
Schlafräume, die Betten, Möbel und Kleider desintizirt, sondern es bleibt auch 
noch die Hälfte übrig für das nächste Mal. Wer es nicht selbst erlebt hat, 
wird meinen, ich übertreibe, aber ich fordere Sie, m. H. als Zeugen dafür, dass 
Sie Gleiches und Aehnliches in ihrem Amte auch erlebt haben; mir ist es wieder¬ 
holt vorgekommen. Karbolsäure ist ein gefährliches Mittel: „Es riecht selbst in 
Verdünnungen noch stark.“ Der Landmann hält aber Alles für desinfizirt, was 
nach Karbolsäure riecht, und so ist ihm die Desiuf(;ktion nicht nur ausreichend, 
sondern auch kostspielig genug, wenn er mit Karbolsäurelösungen besprengt. 

Ich nehme in erster Linie natürlich Bezug auf ländliche und Verhältnisse 
in kleinen Städten. Das sind jedoch diejenigen, in welchen die Thätigkeit der 
überwiegend grossen Mehrzahl allen Physikern sich wirksam zeigen soll. Hier 
sehen wir bei der jetzigen Sachlage, trotz unseres ernstesten Eifers, schwere 
Seuchen, wie Diphtherie und Scharlach, von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf, 
vom Lande zur Stadt sich verbreiten, Hunderte von Menschenleben sehen wir 
durch sie dabingerafft werden — und wir stehen, wenn nicht rathlos, so doch 
tbatlos dabei. 

Thatlos! Die Situation, m. H., ist beschämend, wenn man erwägt, dass 
einerseits zur Unterdrückung von Viehseuchen soviel gethan wird, dass der 
Staat zur Sicherung eines einzigen, durch Mord dahingenommenen Menschen¬ 
lebens Tausende opfert, und dass anderseits die vergrösserte Erkenntniss der 
Krankheitserreger es möglich macht, den einzelnen Fall einzuengen und seine 
Verbreitung zu hindern. 

Wer die Sachlage kennt, wird nicht meinen, dass es der Cholera bedurfte, 
um uns aufzurütteln. Die Beantwortung der Frage, wie hindert man am besten 
das Eindringen und die Verbreitung ansteckender Krankheiten, ist bei den 
Medizinalbeamten zu einem alten Studium und leider zu einem chronischen Uebel 
geworden. 

Unter solchen Umständen darf ich es mir zur besonderen Ehre anrechnen, 
dass ich Ihnen, m. H., über Einrichtungen referiren darf, welche in meinem 
Wirkungskreise getroffen, resp. in der Entwicklung sind, und die, soweit dies in 
der Machtbefugniss der Kreisverwaltung liegt, bestimmt sind, die Verbreitung 
ansteckender Krankheiten zu hindern. Dass ich diesen Vorzug habe, danke ich 
in erster Reihe dem Landrath des Kreises, Herrn v. d. Schulenbarg, dessen 
grosses Verständniss für die einschlägigen wissenschaftlichen Fragen und dessen 
hohe Tlieilnahiue an dem Schicksal der Kreiseingesessenen ihn nicht nur veran- 
lasste, meinen Vorträgen und Vorschlägen geneigtes und verständnissvoUes Gehör 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


585 


zu schenken, sondern auch viele und grosse Schwierigkeiten, zum Theil an¬ 
ordnender, zum Theil finanzieller Art bei der Kreisverwaltung zu überwinden 
und die Ausführung der Einrichtungen in die richtigen Wege zu leiten. Ich darf 
wohl daran erinnern, dass Herr v. d. Schulenburg Einer der Wenigen war, 
die bei der Berathung der Kraukenkassennovelle im Reichstage ernsthaft für die 
Sache der Aerzte eintrat. 

Die Erwägung, von welclier ansgegangen wurde, war die, dass jeder 
isolirte Fall einer ansteckenden Krankheit begrenzt, dass seine Verbreitung ge¬ 
hindert werden könne. Zur Durchführung dessen müssen folgende Forderungen 
erfüllt werden: 

1) Jeder Fall einer ansteckenden Krankheit muss angemeldet werden. 
Jeder erste Fall ist auch dem Kreismediziualbeamten anzuzeigen. 

2) Jeder an ansteckender Krankheit Leidende muss isolirt werden. 

3) Nach jedem Fall einer ansteckenden Krankheit muss eine Desinfektion 
durch eine daraufhin ausgebildete und geprüfte Person stattfinden. 

4) Der Medizinalbeamte muss ex officio die Isolirung der Kranken, die 
Ausführung der Desinfektionen kontroliren und event. andere nöthig erscheinende 
Massregeln anordnen. 

Es liegt auf der Hand, dass nicht allen diesen Forderungen durch den 
Kreis genügt werden kann. Die Kreisverwaltung kann weder ein für alle Mal 
die Meldepflicht der Aerzte regeln, noch kann sie durch generelle Verfügung 
den Medizinalbeamten mit Dienstreisen beauftragen. Dagegen bietet für die An¬ 
ordnung der Isolirung und der Desinfektion das Regulativ vom 8. August 1835 
Handhabe genug. Es galt zuerst die Mittel und Wege festzustellen, mit und 
auf welchen die Desinfektion, als das zuerst Nothwendigste, in zuverlässiger 
Weise ausgeführt werden kann. Sie, m. H. werden es verstehen, dass dabei in 
mancher Beziehung von den in grossen Städten üblichen Desinfcktionsiuethoden 
abgewichen werden musste. Es wurde z. B. in der Regel abgesehen vom Abrei¬ 
ben der Wände und Decken mit Brod, und es musste statt des Leerstehenlassens 
der desintizirten Wohnung auf 24 Stunden aus nahe liegenden Gründen die nach¬ 
folgenden Chlorgasentwicklung augeordnet werden. Da ferner die Desinfektion 
mit strömendem Dampf nicht zu umgehen war, stationäre Apparate aber nicht 
angängig und käufliche, transportable zu theuer waren, so wurden nach eigenen 
Angaben hier Apparate*) konstruirt, die sich, voll ausgerüstet, aut rund 230 bis 
240 M. das Stück stellen. Diese Apparate bestehen aus einem 50 Liter fassenden, 
kupfernen, verschlossenen Kessel — das Einfüllen des Wassers geschieht durch 
einen bis fast auf den Boden reichenden, festen Trichter, der zugleich als 
Sicherheitsventil dient — mit Wasserstandsrohr, einer 1 Meter hohen und 
^/4 Meter im Durchmesser haltenden Desinfektionstonne aus 2 Millimeter dickem, 
verzinntem Eisenblech und einem zu dem Kessel pivssenden Ofen. Die Ver¬ 
bindung zwischen Kessel und Turme wird durch ein Kupferrohr bewirkt. Die 
etwas augewäriuto Luft wird durch ein, an der Tonne angebrachtes Pumpwerk 
aus derselben entfernt. Sterilisationsvn rsuche in jeder Höhe der Tonne sind stets 
erfolgreich gewesen. Zu dem Apparat gehurt eine Anzahl Pinsel und Bürsten 
als Vollausrüstuiig. Solcher Ausrüstungen sind vom Kreise 8 beschafft, und je 
eine in den binden Städten und an 6 verschiedenen Landorten des Kreises zur 
Verfügung aulbewahrt und w^erden bei Bedarf von den betreffenden Gemeinden 
abgeholt. 

Zur Ausführung der Desinfektion sind eine Anzahl zuverlässiger Leute 
— bis jetzt etwa 40 — aus allen Theilen des Kreises ausgebildet und geprüft 
w'orden. Es wurde dabei darauf gesehen, dass die Leute Verständniss für Das¬ 
jenige erhalten, was sie zu bekämpfen oder zu vernichten haben; im Uebrigen 
aber darauf gehalten, dass sie, um üiiterlassungen zu vermeiden, sich an einen, 
ein für alle Mal gleichiiiässigeu Geschäftsgang gewöhnen. Der Umfang der Aus¬ 
bildung und damit auch der auszuführenden Desinfektion ist durch eine von mir 
entworfene und vom Landrath erlassene Instruktion für die Desinfektoren des 
Kreises Salzwedel geregelt, von der ich Ihnen einige Exemplare zur Kenutniss- 
nahme vorlege **). 

*) Die Apparate sind bei dem Kupferschmiedemeister Kühls zu Salz¬ 
wedel gearbeitet. 

**) Wir müssen leider vom Abdruck dieser sehr sorgfiLltig ausgearbeiteten 
und allen Anforderungen entsprechenden Instruktion wegen Mangels an Raum 
Abstand nehmen. Red. 



586 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


Die Ausführung der Desinfektion, welche bisher von Fall zu Fall an¬ 
geordnet wurde, wird durch eine in wenigen Tagen zu publizirende Polizei- 
Verordnung obligatorisch gemacht werden. Rücksicht auf das hoffentlich bald 
zu erwartende Reichsseuchengesetz hat dieser Polizei-Verordnung enge Grenzen 
gezogen. Es wird angeordnet, die Verpflichtung, die Desinfektion durch einen 
geprüften und für den Kreis Salzwedel angestellten Desinfektor ausführen zu 
lassen nach jedem Fall von Cholera, Pocken, Diphtherie und bösartigem 
Scharlach, sowie nach dem Fall einer anderen übertragbaren Krankheit, in 
welchem die zuständige Polizeibehörde dies für nöthig erachtet. 

Mehr Schwierigkeiten als die Desinfektionsfr^e macht die Frage be¬ 
züglich der Isolirung der Kranken. Es ist jedem mit ländlichen Verhältnissen 
Vertrauten klar, dass auf dem Lande eine wirkliche Isolirung Erkrankter in 
vielen Fällen unausführbar ist. Soll dieselbe aber, was für den besprochenen 
Zweck als conditio sine qua non angesehen werden muss, durchgefülirt werden, 
so müssen Räume zur Unterbringung der Erkrankten bereit gestellt werden. 

Die Verhandlungen darüber sind im Gange, und ich zweifele, bei dem 
Wohlwollen, das Herr Landrath v. d. Schulenburg der Sache entgegenbringt 
und bei seinem verständnissvoUenJUnterscheiden zwischen dem, was nur nützlich 
und dem, was nothwendig ist, nicht daran, dass auch diese Seite der Mass¬ 
nahmen zur Unterdrückung ansteckender Krankheiten im Kreise geregelt werden 
wird. In Aussicht genommen sind transportable Baracken, vorläufig je eine für 
einen Amtsbezirk, deren 28 im Kreise sind, ob auf Kosten der Bezirke oder des 
Kreises ist noch nicht entschieden. Angesichts dessen, dass die hiesigen Gemeinden 
zwar zahlreich, aber nur klein sind, ferner mit Rücksicht darauf, dass durch 
Isolirung der ersten Fälle dem Umsichgreifen der Krankheit vorgebeugt wird, 
sind die Baracken nur je zu 4 Betten in Aussicht genommen, bei einem Flächen¬ 
raum von 4X4:, und einer Wandhöhe von 2,70 Metern. Bei voller Belegung der 
Betten und bei Anwesenheit eines Pflegers würden, den von der Dachneigung 
geschaffenen Luftraum mitgerechnet, auf jeden Insassen etwa 10 cbm. Raum 
kommen. Der Preis einer Baracke wird sich voraussichtlich auf 300 M. stellen. 
Es ist weiter beabsichtigt, durch reichliche Verabfolgung belehrender, kurz, 
und auch dem gemeinen Manne verständlich abgefasster Druckschriften das Ver- 
ständniss über das Wesen ansteckender Krankheiten, über die Art und Weise, 
wie sie verbreitet werden und darüber, wie man sich und die Seinen vor An¬ 
steckung bewahrt, zu fördern. 

Bei nächster Gelegenheit, m. H., hoffe ich Ihnen auch darüber referiren 
zu können “ 

An den Vortrag knüpfte sich eine lange und erregte Debatte an. 
Während die im Kreise Salzwedel geschaffenen und noch zu schaffenden Ein¬ 
richtungen ungetheilten Beifall erhielten, und es als eine nicht hoch genug anzu¬ 
schlagende That bezeichnet wurde, dass durch ein immerhin kostspieliges Bei¬ 
spiel gezeigt werde, was die Kreisverwaltung gegen die Ausbreitung ansteckenden 
Krankheiten in ihren Grenzen zu thun vermöge, während auch den vom Referenten 
aufgestellten 4 Thesen durchweg zugestimmt wurde, war doch die Ansicht eine 
allgemeine, dass selbst die vorzüglichsten Einrichtungen nur 
dann Erfolg haben können, wenn durch ein Seuchengesetz die 
Meldepflicht bei ansteckenden Krankheiten auch bei leich¬ 
teren und vereinzelten Fällen obligatorisch gemacht, unddurch 
die schon so lange er wartete und a Is unumgänglich nothwendig 
erkatnnte Medizinalreform die Physiker in den Stand gesetzt 
würden, von der ärztlichen Praxis ganz absehen und sich 
gänzlich ihrem Berufe als Sanitätsbeamte widmen zu können. 

Als letzter Berathuugsgegenstand beschäftigte die Versammlung die Frage 
wegen Besehaifung der neuen Hebammenlehrbücher. Es wurde bei 
schlossen, bei dem Kreisausschusse den Antrag zu stellen, die Bücher für die 
Hebammen auf Kreiskosten anzusehaffen. 

Nach Schluss der Versammlung blieben die Theilnehmer bei fröhlichem 
Mahle und heiterem Gespräche vereint, bis die Abfahrzeit der Züge zum Abschied 
nöthigte. Dr. B o e h m - Magdeburg. 



Kleinere Mittheilnngen xmd Referate ans Zeitschriften. 


687 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


A. Gerichtliche Medizin. 

In das Berliner Leichenschanhans eingelieferte Leichen , pro J n 1 i, 
Angnst nnd Septemb^er 1892. 


Monat 

Zur Morgue II 

Männer | 

Frauen | 

1 Kinder | 

i Neugeborene | 


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Erschossen || 

Vergiftet || 

durch Kohlen- 
jdunst gestorb. 

Erfroren || 

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*^1 

Unbekannte 

Todesart 

Innere 

Krankheiten 

Erstickt | 

Verbrannt | 

Cholera || 

es 

e 

Juli . . . 

78 

43 

21 

12 

2 

3 

21 

17 

13 

7 

2 

_ 

_ 

21 

3 

14 

1 

_ 

_ 

78 

August. . 

85 

52 

19 

9 

5 

8 

29 

17 

14 

5 

7 

— 

— 

16 

6 

19 

4 

1 

— 

85 

September 

70 

44 

11 

9 

6 

5 

29 

12 

6 

12 

2 

— 

— 

10 

5 

19 

3 


1 

70 


Parto illegittimo e infanticidio. Von Dr. Guicciardi. Rirista 
sperimentale di freniatria e di ined. legale. XVUI. Bd., Heft 2. 

Ein 19jährige8 Bauernmädchen aus stark belasteter Familie, das seine 
Gravidität bis zuletzt verheimlicht hatte, begab sich beim Beginn der Wehen in 
den Hühnerstall, kam dort allein im Stehen nieder, versetzte dem Kind sofort 
nach der Geburt einige Fusstritte gegen Kopf und Hals, nahm es dann mit in 
ihr Bett und legte den Leichnam am nächsten Morgen in eine Wäschekiste, zu 
der sie allein den Schlüssel hatte, während sie die Plazenta vergrub. Im Ge- 
fängniss gestand sie nach anfänglichem Leugnen ein, sie habe das Kind aus 
Furcht vor dem Vater und vor böser Nachrede getödtet. Zur Beobachtung 
ihres Geisteszustandes in die Irrenanstalt in Reggio gebracht, stellte sie hier 
die Tödtnng in Abrede, war in ihrer Stimmung sehr wechselnd, leicht durch 
gute Worte oder durch die Erinnerung an ihre Lage zu beeinflussen, fü ge¬ 
wöhnlich aber apathisch, ohne sich volle Rechenschaft über ihre Situation zu 
geben. In der Unselbstständigkeit und Unklarheit ihres Urtheils, der Schwäche 
ihres Gedächtnisses, und der Oberflächlichkeit ihrer Gefühle bot sie deutliche 
Zeichen geistiger Schwäche, die ihre Erklärung in der erblichen Belastung 
fand, und wegen derer sie auch schon in ihrem Dorf bekannt gewesen war. 
Sie war als eine Schwachsinnige zu betrachten, die schon im gewöhnlichen Leben 
keine volle Verantwortlichkeit für ihre Handlungen besass, deren moralische 
Widerstandskraft aber gegenüber den besonderen Umständen der Geburt völlig 
versagen musste. Das Verfahren gegen sie wurde auch wegen mangelnder Zu¬ 
rechnungsfähigkeit eingestellt. Dr. Woltemas-Gelsnngen. 

L’obsession criminelle morbide. Von Dr. Magnan. Deutsch von 
Dr. Lewa Id. Irrenfreund 1892, Nr. 3 und 4. 

Ist der Auszug eines Vortrages, den Magnan auf dem Brüsseler Kongress 
für kriminelle Anthropologie hielt, und enthält mehrere Fälle, in denen Kranke 
durch Zwangsvorstellungen zu Verbrechen getrieben wurden. Die gerichts¬ 
ärztliche Behandlung solcher Fälle ist manchmal schwierig, da die Kranken im 
übrigen anscheinend ganz verständig sind. Es handelt sich indess stets nm 
erblich disponirte, geistig degenerirte Individuen, da nur bei solchen Zwangs¬ 
vorstellungen die Handlungen beeinflussen können, und auf die Feststellung dieser 
Disposition kommt cs daher hauptsächlich an. Ders. 


Ein Fall von Erstickung durch Aspiration von Speisebrei. L'a- 
nomalo. 1892, Juli-August. 

Eine 24 jährige Frau sollte durch Misshandlungen von ihren Mann getödtet 
worden sein. Es fanden sich auch mehrfache Kontusionen und Spuren von Biss¬ 
wunden, daneben punktförmige Eccbymosen auf Brust und Rücken. Die Lungen 
waren ballonirt, hyperämisch, mit zahlreichen snbpleuralen Ecchymosen, die 
Luftwege bis in die mittleren Bronchien mit Speisebrei erfüllt. Der Vorgang 
hatte sich also so abgespielt, dass die Frau nach dem Essen misshandelt worden 
war, dabei gebrochen hatte, und durch Aspiration erstickt war, besonders, weil 





588 


Kleinere Mittheünngen und Referate aus Zeitschriften. 


sie in Folge der Misshandlungen verhindert war, sich der eingedrungenen Speise¬ 
massen durch Husten zu entledigen. Der Erstickungstod war als Folge der 
Misshandlungen anzusehen. Ders. 

B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

Moderne wissenschaftliche Anforderungen in der Praxis. Von 

Dr. L. Heim in Würz bürg. Deutsche medizinische Wochenschrift 1892, Nr. 38. 

An den beamteten Arzt stellt man heutzutage die Anforderung, dass er 
einen Fall von Cholera unter Zuhülfenahme der Platten-, Stich- und Bouillon¬ 
kultur exakt diagnostizire, umsomehr, nachdem der Staat durch seinerzeitige 
Entsendung zu den Cholera-Kursen seinen Medizinalbeamten Gelegenheit ge¬ 
geben, sich mit diesem neuen Zweig der Wissenschaft bekannt zu machen. Die 
Wasserverhältnisse eines Ortes, die Beschatfenheit gewisser Nahrungsmittel 
u. dergl. lassen es dem Arzt geboten erscheinen, sich über den Keimgehalt der¬ 
selben zu orieutiren. Unter Aufwand eigener Mittel und kostbarer Zeit unter¬ 
nimmt er eine Reihe von Aussaaten, sieht sich jedoch über kurz oder lang in die 
Lage versetzt, seine Untersuchungen zu unterbrechen, da es ihm nicht weiter mög¬ 
lich ist, für den Vorrath an Nährmedien zu sorgen. Ein gutes, mit den üblichen 
neueren Vorrichtungen ausgestattetes Mikroskop bleibt wenig benutzt, denn die 
nöthigsten Dinge für Anlegung von Kulturen selbst für Herstellung gefärbter 
Präparate fehlen, da Zeit, Material und geeignete Räume zur Selbstbereitung 
mangeln und der Bezug kleinerer Quantitäten von irgend einem auswärtigen 
Geschäfte der Umständlichkeit halber vermieden werden. Diesen, besonders von 
den Medizinalbeamten, welche fern ab von den Ceutren der Wissenschaft in 
kleineren Städten oder auf dem Laude wohueu, empfundenen Bedürfnissen will 
Heim durch den Vorschlag abhelfeu, die Apotheken auf dem Wege von 
Verordnungen und Vorschriften zu veranlassen, die wichtigsten Materialien, wie 
sterilisirte Reageusgläser, fertige in solche abgefüllte Nährsubstrate, Farbstoffe 
und Lösungen, ein gutes IVptonpräparat u. s. w. vorräthig zu halten. 
Die Apotheke sei der Ort, wo nicht nur die bei der Behandlung gebräuch¬ 
lichsten, sondern auch für die Diagnose und Verhütung der Krankheiten 
in Betracht kommenden Mittel vorräthig sein sollen. Und so gut man aus ihr ein 
Infus und ein Decoct von Pflanzentlieilen verschreiben könne, ebenso müsse man 
auch eine Infuso - Decoct von Fleisch dort haben könne. Da schon die praktische 
Medizin genug sterilisirte Gebrauchsgegenstäude, Arznei und Verbandsmittel, 
Augentropfwässcr, Mittel zur subkutanen Injektion u. s. w. verlange, so sei für 
den Apotheker selbst die Sterilisation verschiedener Gegenstände und der Besitz 
eines Sterilisationsapparates unerlässlich, der besonders bei den von gefährlichen 
Seuchenheerden in die Apotheke zurückkoinmenden, mit „rciteratur“ versehenen 
zahlreichen Flascheu und Kruken Verwendung finden würde. 

Zur Durchführung jener Neuerungen in der Thätigkeit der Apotheke, 
welche keine fakultative, vielmehr fest geregelte sein müssen, schlägt H e i m vor : 

1. Die Apotheker müssen während der Universitätszeit ein Praktikum in 
bakteriologischen Untersuchungen durchmachen und bei der Prüfung den Nach¬ 
weis der erlangten Kenutiiisse hierüber erbringen. (Aufnahme solcher Be¬ 
stimmungen in das Prüflings-Reglement). 

2. Die Apotheker müssten gehalten sein, einen kleinen Trockensterili- 
sations-Schrank und einen geeigneten Darapfdesinfektor in der Offizin oder in 
deren Nähe aufzustellen, eine Einrichtung, die sich um so leichter bewerk¬ 
stelligen Hesse, als sie mit dem bereits vorgcschricbenen Dampfkociiapparat un¬ 
schwer verbunden werden könnte. 

3. Das Arzneibuch würde mit einem entsprechenden Zusatz über Sterili- 
sirung zu versehen sein, während etwa unter dem Abschnitt „Reagentien** die 
Einreihung von Peptoiium siccuui, Gelatine, Agar, Blutserum, Fleischwasser, 
Auilinfarbstoffen und dergleichen erfolgen könnte. Dr. Dütschke-Aurich. 

Die gegenwärtige Verbreitnng der Lepra in Earopa und ihre 
soziale Bedeutung. Von Dr, E. Arning (Hamburg), Wiener klinische 
Wochenschrift 1892; Nr. 36. 

Verfasser glaubt annehmen zu müssen, dass die Lepra während der letzten 
Jahrzehnte in Europa Fortschritte gemacht hat, nnd hält es deshalb für ge¬ 
boten, dass auch die europäischen Sanitätsbehörden derselben volle Aufmerksam- 




Kleinere Mittheilongen und Keferate aus Zeitschriften. 


589 


keit zuwenden. Die Zahl der endemischen Fälle der westlichen Hälfte Europas 
schätzt er auf 3000, von welchen 1200 auf Norwegen, 300 auf Portugal, 100 auf 
Sicilien, 100 auf Nord-Italien und Frankreich, 100 auf Island, 80 auf Malta 
kommen. Nach Besnier birgt Paris in seinen Anstalten 80 Lepröse, während 
sich in Hamburg 10 bis 15 auf halten. 

Besonders betont Verfasser die anscheinend neue Eruption der Seuche in den 
russischen Ostseeprovinzen, wohin sie wahrscheinlich durch Militärtransporte aus 
Süd-Kussland verschleppt wurde, und wo während der letzten Dezennien in 
Folge ihrer Zunahme die Einrichtung von Lagerhäusern nothwendig wurde. 
Ferner erwähnt er die seit 1882 im Kreise Memel erkrankten sieben Litthauer, 
bei welchen eine Einschleppung aus Kussland zwar nicht nachweisbar, aber 
auch nicht auszuschliessen sei. Bei diesen Leuten handelte es sich um Lepra 
tuberosa, also um diejenige Form, welche für neue Heerde typisch ist. 

Verfasser verlangt, die Lepra unter die anzeigepflichtigen Krankheiten 
aufzunehmen. Dr. Flatten -Wilhelmshaven. 


lieber Immunität und Schutzimpfung vonDr. 0.Lubarsch, Privat¬ 
dozent der pathologischen Anatomie an der Universität Kostock. Thiermedi¬ 
zinische Vorträge. Heft 11. 

Die hervorragende Wichtigkeit, welche die Studien über die natürliche 
Immunität und die künstliche Immunisirung mehr und mehr beanspruchen, die 
sich mit zwingender Gewalt aufdrängende und auch für den Ungläubigsten nicht 
mehr zu bezweifelnde Thatsache, dass auf diesem Felde die Zukunft auch der 
praktischen Medizin zu suchen ist, erklärt den unvergleichlich rastlosen Eifer, 
mit dem seit einigen Jahren auf diesem Gebiete gearbeitet wird. Dieser Eifer 
lässt es aber auch erklärlich erscheinen, wenn nicht Alles, was der Fleiss der 
Forscher zu Tage fördert, reines Gold ist, wenn manche angebliche Beobachtung 
bei sorgfältiger Nachprüfung sich als irrthümlich erweist und dann das ganze 
Gebäude theoretischer und praktischer Schlussfolgerungen, welches darauf er¬ 
richtet wurde, haltlos in sich zusammenstürzt. Auch zeigt sich nur zu häufig, 
dass ein anfangs viel verheissender und deshalb eifrig verfolgter Pfad sich me& 
und mehr vom Ziele entfernt und schliesslich im Sande verläuft! Durch Alles 
dies und durch den gewaltigen Umfang der sich mit unserem Gebiete beschäf¬ 
tigenden Literatur ist es allmählich recht schwierig geworden, Klarheit über 
die „Immunitätsfragezu gewinnen, zumal einzelne Forscher die leidige Ge¬ 
wohnheit haben, ihren Pfad zu verfolgen, unbekümmert um die Entdeckungen 
Anderer, so dass sie dazu kommen müssen, bald längst Gefundenes als neueste 
Entdeckung zu verkünden, bald aber auch längst Widerlegtes als unumstössliche 
Thatsache hinzustellen. Die Uebersicht über die Literatur wird aber so sehr 
erschwert durch die in Deutschland nun einmal eingeführte, übrigens auch viel¬ 
fach keineswegs schädliche Dezentralisation, welche es mit sich bringt, dass die 
Arbeiten bald in dieser, bald in jener der zahlreichen Wochenschriften oder Zeit¬ 
schriften, bald auch in einem schwer zugänglichen, irgend einer benachbarten 
oder verwandten Disziplin dienendem Archiv erscheinen. Daher ist der Einzelne 
ganz ausser Stande, alle Erscheinungen selbst zu Gesicht zu bekommen und ist 
häufig angewiesen auf die, natürlich nach der persönlichen Stellung des Referenten 
stets etwas subjektiv gefärbten und leider häufig etwas verspätet erscheinenden 
Auszüge und Besprechungen der Zentralblätter und ähnlichen Revuen. Es ist 
daher gewiss als ein dankenswerthes Unternehmen zu begrüssen, wenn Lubarsch 
in kurzen Zügen den augenblicklichen Stand dieser Frage zu skizziren versucht. 

Freilich — leicht ist die Aufgabe nicht, wie Lubarsch selbst mit 
Recht betont! Der geringe Umfang des Heftchens (34 Seiten) schliesst von 
von vornherein Vollständigkeit aus. Auch würde der Vortrag seinen Zweck, 
auch dem nicht bakteriologisch geschulten Leser das Verständniss der so 
schwierigen und komplizirten Verhältnisse zu eröffnen, leichter erreichen, wenn 
die Sprache etwas weniger knapp und schmucklos gehalten wäre — ein Ver¬ 
halten, welches wohl gleichfalls durch die gebotene Kürze bei Behandlung des 
umfangreichen Stoffes diktirt wurde. Dass Lubarsch seine subjektive Meinung 
bisweilen stark in den Vordergrund stellt, soll ihm, der als selbstthätiger 
Forscher in der Imraunitätsfrage im Widerstreit der Ansichten einen ziemlich 
exponirten Posten einr immt, nicht verdacht werden, zumal durch die etwas leb¬ 
haftere Schreibweise der polemisch gehaltenen Stellen die Lesbarkeit des Ganzen 
nur gewinnen kann. Uebrigens ist auch in den polemischen Stellen der Ton des 



690 


Besprechnngen. 


Ganzen ein sehr mhiger; die BeweisfUhmng, wo ihr Raum vergönnt ist, ist er¬ 
schöpfend und streng sachlich; die Neigung, zu verallgemeinern und Theorien 
anfzubauen, ist sehr gering, ja vielleicht ist der gelungenste Theil der Arbeit 
derjenige, von Lubarsch mit all* den verschiedenen, nach und nach aufgctanchten 
Theorien ins Gericht geht und mit dem Messer kühler Kritik die Mängel und 
Unvollkommenheiten einer jeden blos legt! Der hierbei zu Tage tretende 
Skeptizismus ist gegenüber dem Enthnsiasmus, der sich häufig vorzeitig breit 
macht, gewiss gerechtfertigt, ja, gerade inmitten der Hochflnth neuer Entdeckungen, 
welche einander überstürzen und sämmtlich den Anspruch erheben, unsere 
Kenntnisse ein gut Stück vorwärts zu bringen, ist es recht zeitgemäss, hinzn- 
weisen, wieviel es doch noch ist „was wir nicht wissen“ ! Freilich scheint mir 
Lubarsch etwas aus der Rolle zu fallen, wenn er zum Schluss mit der 
„Retentionstheorie“ liebäugelt, ja wenn er ihr zu Liebe noch eine besondere 
„Affinität der eingeführten SchutzstofTe zu dem Baumaterial der Zellkerne“ 
postulirt! Uebrigens sollen die gemachten Ausstellungen der Werthschätzung 
der Lu barsch'sehen Arbeit durchaus keinen Abbruch thun; es kann vielmehr 
die gedankenreiche Arbeit des verdienstvollen Forschers Jedem, der die Forschungen 
über Immunitätsfragen im Einzelnen verfolgt hat und sie, vom einheit¬ 
lichen Gesichtspunkt und in einer gewissen Vollständigkeit zusammengefasst 
sich ins Gedächtniss zurückrufen will, warm empfohlen werden. 

Dr. Langerhans-Hankensbüttel. 


Besprechungen. 

Dr. V. Magnan: Psychiatrische Vorlesungfen. ILu.HI. Hett; 
Die Geistesstörungen der Entarteten. Deutsch von P. 
J. Möbius. Leipzig, 1892; Verlag von Georg T hie me. Gr. 8®; 
123 S. 

Möbius hat in den vorliegenden Heften, welche das weitaus wichtigste 
Kapitel der Psychiatrie behandeln, verschiedene Abhandlungen des geistvollen 
französischen Psychiaters vereinigt. Wenn auch die einzelnen Aufsätze von un¬ 
gleichem Werth sind, so bilden sie doch eine gute Zusammenstellung, deren 
Studium nicht nur dem Psychiater vom Fach ein grosses Interesse abzwingt, 
sondern auch jedem Arzt, insbesondere dem Gerichtsarzt nicht genug empfohlen 
werden kann. 

Die Entarteten sind in der That überaus zahlreich, und ihre Zahl w.ichst 
immer mehr; sie gelten zum grössten Theil nicht für krank und spielen sogar 
vermöge der ihnen eigenen Art eine grosse Rolle in der Gesellschaft. Es sind 
nicht nur Die, weiche vermöge der krankhaften Zustände ihrer Erzeuger mit 
einer krankhaften geistigen Anlage zur Welt kommen, sondern auch Solche, 
welche in Folge krankhafter eigener Zustände in der Fötalperiode oder in der 
frühen Kindheit nervös und geistig abnorm werden. Alle diese, „Hereditarier“, 
wie Degenerirte, sind die „Entarteten“; die geistig Minderwerthigen, die in 
ihrem seelischen Gleichgewicht dauernd Gestörten, endlich die Geisteskranken im 
engeren Sinne. 

Ein Hauptwerth der Abhandlungen liegt in den vorzüglichen Kranken¬ 
geschichten. Kein Gerichtsarzt wird die Paradigmata von geschlechtlichen per¬ 
versen Zwangsvorstellungen und Zwangstrieben, von den Exhibitionisten, von 
moralischen Verkehrtheiten, von periodischen Alterationen, von Dipsomanien 
u, s. w. ohne Nutzen lesen. Dr. S i e m e n s - Lauenbnrg. 


Dr. Rapmund, Eeg.- u. Med.-Kath: Polizei-Verordnung, be¬ 
treffend Massregeln gegen die Verbreitung an¬ 
steckender Krankheiten vom 10. August 1891 nebst 
Ausführungsanweisung vom 5. April 1892 und den darauf 
bezüglichen Ministerial - Erlassen, Verfügungen, Verordnungen 
u. s. w. Zum Gebrauch für die Ortspolizeibehörden, Medizinal¬ 
beamten,Aerzte, Schulvorstände etc. des Regierungsbezirks auf 



Besprechungen. 


691 


amtliche Veranlassung zusammengestellt. Minden 1892; Verlag 
von J. C. C. Bruns. 12®; 176 S. 

Dass bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten — namentlich auf dem 
Lande — unter gewöhnlichen Verhältnissen so unzulängliches geschieht, liegt 
zwar unbestreitbar zum grossen Theil an der Indolenz der Bevölkerung, doch 
würde immerhin vieles mehr gethan werden können, wenn die ausführenden 
Polizeiorgane (Amtsvorsteher, Gemeindevorsteher) in jedem Falle wüssten, was 
sie zu thun und wie sie es zu thun haben. In den Verfügungen der Landraths¬ 
ämter wird meist kurz auf die verschiedensten gesetzlichen und polizeilichen 
Bestimmungen verwiesen, aber die wenigsten Uuterorgane sind im Stande, die 
in alten Amts- und Kreisblättem zerstreuten und vergrabenen Bestimmungen 
herausfinden zu können; macht doch bei dem heutigen Stande der Medizinal¬ 
gesetzgebung die Auffindung aller Verordnungen selbst dem Eingeweihtesteu 
Schwierigkeiten genug. Zwar ist für den Medizinalbeamten durch Wernich’s 
„Zusammenstellung der gültigen Medizinalgesetze“ etc. bis zu einem gewissen 
Grade gesorgt, doch fehlen naturgemäss dabei die speziellen Regierungsverord¬ 
nungen der einzelnen Bezirke. Jeder Physikus hat deshalb wohl in so mancher 
Situation den dringenden Wunsch gehegt, es möchte sich in seinen Händen 
ebenso wie im Besitze derjenigen Organe, auf welche er bei seinen Massnahmen 
angewiesen ist, eine übersichtliche und erschöpfende Zusammenstellung aller in 
seinem Bezirk gültigen Bestimmungen befinden. Dieser berechtigte Wunsch ist 
den Medizinalbeamten des Regierungsbezirkes Minden in geradezu beneidens- 
werther Weise durch die Herausgabe des unter dem vorstehenden Titel in 
Taschenbuchform erschienenen und für 1 Mark (bei grösseren Bezügen für 
80 Pfennige) käuflichen anspruchslosen und doch so bedeutsamen Büchleins in 
Erfüllung gegangen. Allen Unsicherheiten und Unklarheiten der ausführenden 
Polizeiorgane bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist ein Ende ge¬ 
macht. Klar und präzis giebt die „PolizeiVerordnung“ und die „Ausführungs¬ 
anweisung“ in praktischer Form über jegliche Massnahmen^ welche die Ver¬ 
hütung und Tilgung der Infektionskrankheiten erheischt, erschöpfende Auskunft; 
11 Abschnitte bestimmen die allgemeinen und 15 Abschnitte die besonderen Mass- 
regeln bei den einzelnen Krankheiten. Ein Inhaltsverzeichniss ermöglicht 
schnellstes Auffinden der einzelnen Abschnitte. 

Beigegeben sind in 6 Anlagen Muster für Anzeigen und Joumalbücher, 
spezielle Verbaltungs- und Desinfektions-Vorschriften bei den ansteckenden Krank¬ 
heiten, ferner Vorschriften über die Prüfung, Anstellung und Beaufsichtigung, sowie 
über die dienstliche Thätigkeit und die Gebühren der Desinfektoren. Sodann folgt 
als Anhang eine Zusammenstellung derjenigen Ministerialerlasse, Verfügungen 
und Verordnungen, auf die in der Polizei Verordnung und Ausführungsanweisung 
Bezug genommen ist, nebst einer chronologischen Uebersicht. Die übersichtliche 
und praktische Form, in die alles gebracht ist, macht die Rapmundusche 
Schrift zum Gebrauch für Ortspolizeibehörden, Aerzte, Gemeinde- und Schul¬ 
vorstände vorzüglich geeignet und jeder Medizinalbeamte muss seine helle Freude 
daran haben. Dr. Salomon-Darkehmen. 


Anleitung zur Sparsamkeit beim Verordnen von Heil¬ 
mitteln. Herausgegeben vom „Allgemeinen Deutschen Knapp- 
schaftsverbande, Berlin SW, Königgräfzer Strasse 85 a“; auf¬ 
gestellt von Dr. Oscar Liebreich, Geh. Medizinalrath, o. ö. 
Professor der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. 
Preis 0,43 Mark. 

In dieser Anleitung sind diejenigen Vorschriften gegeben, welche fttr bil¬ 
lige Arzneiverordnung unbedingt befolgt werden müssen. Jeder Arzt, welcher 
sich der Mühe unterzieht, nach diesen Vorschriften und dem ebenfalls im Selbst¬ 
verläge des Allgemeinen Deutschen Knappschaftsverbandes erschienenen Werke: 
„Berechnung und Verordnung von Arzneien“ (Preis 1,10 Mark) einige 
Rezepte zu berechnen, wird sehr bald die genügende Uebung erlangen können, 
um jede Uebertretung der erforderlichen Vorschriften zu vermeiden. 




592 


Tagesnachrickten. 


Tagesnachrichten. 

Am 2. d. Monats ist in Frankfurt a. 0. der Kaiserliche Geheime Ober¬ 
medizinalrath Dr. Louis Kersandt verstorben. Als vertragender Rath im 
Kultusministerium hat er lange Jahre hindurch das Amt eines Vorsitzenden 
der ärztlichen Prüfungskommission und der technischen Kommission für phar¬ 
mazeutische Angelegenheiten eingenommen, bis er am 1. Oktober v. J in den wohl¬ 
verdienten Ruhestand trat. Er war ein äusserst pflichttreuer, durch seine humane 
Gesinnung wie durch sein liebenswürdiges joviales Wesen allgemein beliebter 
Beamter. Ehre seinem Andenken! 


Wie verlautet, soll für den beabsichtigten Neubau des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes (vergl. Tagesnachrichten in Nr. 20 d. Zeitschr. S. 530) bereits 
ein Bauplatz von genügendem Umfange (in der Klopstockstrasse) erworben sein. 


Vom 12. —16. Dezember d. J. wird die durch sechs Apothekenbe¬ 
sitzer und sechs Regierungs- und Medizinalräthe verstärkte phai*mazeutische 
technische Kommission im Kultusministerium unter dem Vorsitz des GeL 
Medizinalraths Dr. Pistor tagen, um Bestimmungen über Einrichtung und Be¬ 
trieb der Apotheken, sowie eine neue Anweisung zur amtlichen Besichtigimg 
der Apotheken u. s. w. zu berathen. Von der Berathung ausgeschlossen sind 
ausdrücklich Erörterungen über Neugestaltung des Apothekenwesens, über die 
Staudesvertretung und die Vorbildung der Apotheker, dagegen werden noch 
einige Arznei - Taxfragen zur Berathung gelangen. 


Die Cholera - Epidemie in Hamburg und Altona kann nunmehr als 
erloschen angesehen werden. In Hamburg sind in der Woche vom 22. his 
29. Oktober nur noch 14 Erkrankungen und 5 Todesfälle, in denjenigen vom 

29. Oktober bis 5. November und vom 6.—12. November nur je ein Erkrankungs¬ 
und Todesfall vorgekommen; in Altona während derselben Zeit 2 Erkrankungen 
und 2 Todesfälle. Auch aus den übrigen Theilen des Deutschen Reiches 
sind während des obengenannten Zeitraumes nur noch 10 neue Erkrankungen 
an Cholera gemeldet (1 im Reg. - Bez. Marienwerder, 2 im Reg. - Bez. Schleswig, 
1 im Reg.-Bez. Koblenz, 5 im Königreich Sachsen und 1 in der freien Stadt 
Lübeck), von denen die in Auerswalde (Kreishauptmannschaft Zwickau) vorge¬ 
kommenen 5 Erkrankungen insofern interessant sind, als hier die Krankheit 
zunächst bei zwei Arbeitern einer Färberei ausbrach, die mit einem aus Ham¬ 
burg zum Färben bezogenen Zeugballen zu thun gehabt hatten, während die 
übrigen Erkrankungen die Familienmitglieder des einen dieser Arbeiter betrafen. 

In Russland hat die Seuche sowohl in den Städten wie in den Land¬ 
gemeinden der ergriffenen Gouvernements stark abgenommen, nur das Gouverne¬ 
ment Kiew und auch das nahe der Westgrenze belegene Gouvernement Lublin 
machen in dieser Hinsicht eine Ausnahme. So kamen z. B. vom 18.—30. Oktober 
im Gouvernement Kiew 2171 Cholera - Erkrankungen und 781 Todesfälle vor 
(davon 157 bezw. 46 in der Stadt Kiew), im Gouvernement Lublin in der Zeit 
vom 13.—23. Oktober: 631 Erkrankungen und 317 Todesfälle. 

In Oesterreich-Ungarn ist die Cholera in Galizien fast erloschen 
und sind bis zum 8. November dortselbst nur noch 5 neue Erkrankungen vor¬ 
gekommen; in Krakau seit 14 Tagen gar keine. Nicht so günstig liegen die 
Verhältnisse in Budapest; die Zahl der Erkrankten hat allerdings gegenüber 
den Vorwochen eine Abnahme erfahren, belief sich aber immer noch in der 
Woche vom 23.—29. Oktober auf 125 mit 64 Todesfällen, in der Woche vom 

30. Oktober bis 5. November auf 127 mit 56 Todesfällen. Ausserdem ist die 
Cholera in der letztgenannten Woche auch in den gebirgigen Komitaten 
Liptau und Trencsin aufgetreten, während sie sich bisher fast ausschliesslich 
nur in den an den Ufern der Donau und Theiss gelegenen Ortschaften bemerk¬ 
bar gemacht hat. 

In Belgien, den Niederlanden und in Frankreich ist die Cholera 
überall in der Abnahme begriffen; in der Zeit vom 16.—22. Oktober sind z. B. 
in Frankreich nur noch 90 Todesfälle vorgekommen, davon 33 in Marseille. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. MindenL W. 

J. C. C. Bruns, Buchdruckerei, Minden. 




6. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Heraasgegeben von 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMÜND 

San.-Rathu.gerichtl.Stadtphysikiis inBerlin. Reg.- und Medizinalrath in Minden. 

und 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinalrath und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s medlz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die darchlaafende Petitzeile 46 Pf. nimmt die Yerlagshandlnng und Bud. Messe 

entgegen. 


No. 23. 


Erscheint am 1« nnd 15. Jeden Monats. 
Freia Jährlich 10 Mark. 


1. Dezbr 


Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere und 
die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindviehs. 

Vom Geh. San.>Rath Dr. Müller, Ereisphysikas in Minden. 

(Schloss.) 

Wie die Wissenschaft über den Genuss solchen Fleisches 
urtheilt, ist oben mitgetheilt. Was sagen dazu das Reichsgesetz 
und die Reichsgerichtsentscheidungen? 

Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 sagt im §. 10: 
„Mit Gefängniss bis zu 6 Monaten und mit Geldstrafe bis zu 1500 M. 
oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 

2. wer wissentlich Nahrungs- oder Genussmittel, welche verdorbVn 
oder nachgemacht oder verfälscht sind, unter Verschweigung dieses 
Umstandes verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Be¬ 
zeichnung feilhält.“ 

§.11. „Ist die im §. 10 Nr. 2 hezeichnete Handlung aus Fahrlässigkeit 
begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu 150 M. oder Haft ein.“ 

§. 12. „Mit Gefängniss, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen 
Ehrenrechte erkannt werden kann, wird bestraft: 

wer wissentlich Gegenstände, deren Genuss die menschliche Gesundheit 
zu beschädigen geeignet ist, als Nahrungs- oder Genussuiittel ver¬ 
kauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt.“ 

§. 13. „Wer in den Fällen des §. 12 der Genuss oder Gebrauch des 
Gegenstaudes die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet und war diese 
Eigenschaft dem Thäter bekannt, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren 
und wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, 
Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. 
Neben der Strafe kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.“ 

§. 14. „Ist eine der in den §§. 12, 13 bezeichneten Handlungen aus Fahr¬ 
lässigkeit begangen worden, so ist auf Geldstrafe bis 1000 M. oder Gefängniss- 
strafe bis zu 6 Monaten und, wenn durch die Handlung ein Schaden an der 
Gesundheit eines Menschen verursacht worden ist, anf Gefängnisstrafe bis zu 
einem Jahre, wenn aber der Tod eines Menschen verursacht worden ist, auf 
Gefängnissstrafe von einem Monat bis zu 3 Jahren zu erkennen ^).“ 


*) „Der Gesetzgeber geht davon aus, dass, wer Nahrungs- oder Genuss¬ 
mittel feilhält oder verkauft, nicht blos jede Erregung eines Irrthumes durch 







594 


Dt. Müller* 


Sehr zutreffend heisst es in den Verhandlungen des Magi¬ 
strats zu Kiel über die Freibank^): 

„Deshalb verlangt das Nahmngsmittelgesetz ausdrücklich die Unter- 
scheidimg zwischen der Gesundheit schädlichen einerseits und verdorbenen, nach- 
geiniichten oder verfälschten Nahrungsmitteln andererseits und verbietet den 
V'crtrieb der ersteren (schädlichen) vollständig, während es den Vertrieb der 
letzteren, weil sie nicht die Gesundheit, sondern unter Umständen den Geld¬ 
beutel des Käufers schädigen, unter der Voraussetzung gestattet, dass der Um¬ 
stand des Verdorbenseins (Minderwerth) vom Käufer offenkundig bekannt ge¬ 
geben wird, so dass sich der Käufer über die Natur der gekauften Waare nicht 
in Zweifel befinden kann. Es soll also, da alles nicht völlig tadel¬ 
lose, von nicht durchaus gesundem Vieh herstammende Fleisch 
imSinne desGesetzes als verdorben, minderwerthig angesehen 
wird, derVerkäufer dieseEigenschaftdemKäuferausdrticklich 
mittheilen, will er sich nicht nach §. 10 obigen Gesetzes straffällig machen.^ 

Was unter „verdorben^^ zu verstehen ist, haben die nach 
dieser Richtung hin ergangenen Reichsgerichtsentscheidungen genau 
festgestellt. 

In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 24. März 1884 
heisst es: 

„Dass ein Nahrungsmittel, ohne die objektiven Merkmale des Verdorben¬ 
seins zu besitzen, auch für verdorben zu erachten sei, wenn dasselbe vermöge 
besonderer Eigenschaften und des dadurch im kaufenden Publikum bestehenden 
Widerwillens oder Ekels dagegen, bei Kenntniss des wahren Sachverhaltes ent¬ 
weder gar nicht gekauft oder wenigstens nicht mit dem bei normaler Herkunft 
dafür zuzubilligenden Preis bezahlt wird.“ 

In dem Erkenntniss des Reichsgesetzes vom 3. Januar 
1882^) heisst es: 

„Davon abgesehen, ob nicht auch der gemeine Sprachgebrauch wie die 
Revisionsbegründung hervorhebt, unter „verdorben“ nicht bloss Sejenigen Gegen¬ 
stände, welche ursprünglich normal hergestellt waren, demnächst aber durch 
natürliche Vorgänge die ursprüngliche Güte verloren haben, sondern auch die¬ 
jenigen begreift, welche bereits in ihrem Entwicklungsstadium und vor ihrer 
fertigen Herstellung naclitheilige Veränderungen erlitten haben, die sich auf den 
fertigen Gegt nstaud übertragen und dessen geringere oder aufgehobene Gebrauchs¬ 
fähigkeit bestimmen, so ist jedenfalls das vorliegende Gesetz von der letzteren 
Voraussetzung ausgegangen. Es hat dasselbe den Zweck, das Publikum 
vor Benachtheiligungen dadurch zu schützen, dass es denjenigen, 
welcher verdorbene, nachg<‘inachte oder verfälschte Nahrungs- oder Genussmittel 
feilhält oder verkauft, nüthigt, den Kaufliebhabem die Möglichkeit zu gewähren, 
von der, wenn auch nicht absolut unbrauchbaren oder gesnnd- 
h eit sgef ä hrlichen , so doch minderwerthigen nicht Beschaf¬ 
fenheit der Waare Kenntniss zu nehmen.“ 

Das Erkenntniss des Reichsgerichts vom 5. Oktober 1881 
lautet: 

„Das positive Moment des Verdorbenseins besteht in einer Veränderung 
des ursprünglich vorhanden gewesenen oder des normalen Zustandes des Nahrungs- 


eines der in §. 2^3 angedeuteten Mittel zu vermeiden, sondern Alles zu thun 
hat, um den Kauflustigen über die wirkliche Beschaffenheit 
der Waare ins Klare zu setzen. Ist dem Händler bekannt, dass die 
Waare verdorben .... ist, so muss er dies ausdrücklich sagen oder sonst er- 
kcanibar machen. Wer wissentlich dergleichen Nahrungs- und Genussmittel ver¬ 
kauft, soll daiicr nicht mehr der milderen Strafe des §. 367 Nr. 7 des St. - G. - B., 
sondern der hier angedrohten härteren unterliegen (Mot. S. 20).“ Gesetz betreffend 
den Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln etc. Mit Erläuterungen heraus¬ 
gegeben von Dr. Meyer und Dr. Finkelnburg, Berlin 1880, 

^) Schneidemühl, Thiermediz. Vorträge. 1892, S. 20. 

‘^) Entsch. des Reich^er. Bd. V, S. 287. 




Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


595 


oder Genussmittels zum schlechteren mit der Folge verminderter Tauglichkeit 
und Verwerthharkeit zu einem bestimmten Zwecke.“ 

„Für die Beantwortung der Frage, in welchen Fällen, namentlich auch 
bei welchem Grade eingetretener Verschlechterung die §§. 10 und 11 verwendbar 
sind, kommt der weitere Zweck des Gesetzes in Betracht, der aus eigennützigen 
Motiven entspringenden Unreellität im Verkehr entgegenzuwirken: Der Kauf¬ 
lustige soll über die wirkliche Beschaffenheit der W(iare nicht int Uitklaren ge¬ 
lassen werden. Die Strafbarkeit der Handlung des Verkäufers ist dadurch be- 
dhuft, dass derselbe dem Kauflustigen die wirkliche Beschaffenheit derselben 
verschwiegen oder verborgen und denselben hierdurch verleitet hatj etwas zu 
kaufen, was er, wenn er seine Beschaffenheit gekannt, nicht als ein ihm passendes 
Nahrungs- oder Genussmitfel erachtet haben würde. Als znm Genuss ungeeignet 
oder minder geeignet, mit anderen Worten, als verdorben, müssen auch diejenigen 
Gegenstände bezeichnet werden, deren Genuss in Folge einer Veränderung der 
beschriebenen Art Ekel erregt, und zwar nicht bloss bei dieser oder jener ein¬ 
zelnen Person, nach dem individuellen Geschmacke derselben, sondern nach der 
gemeinen Anschauung oder doch nach der Anschauung derjenigen Bevölkerungs¬ 
klasse, welcher der Kauflustige angehört.“ 

Das Erkenntniss des Reichsgerichts vom 25. September 1885 
lautet: 

„Auf Grund des §. 10 des Nahrungsraittelgesetzes wird bestraft, wer 
wissentlich Fleisch mangelhafter Abstammung derart in den Handels¬ 
verkehr bringt, dass der Käufer durch das Verschweigen der wirklichen Be¬ 
schaffenheit der Waare verleitet wird, etwas zu kaufen, waserbeiKenntniss 
der Sachlage als ein ihm passendes Nahrungsmittel nicht er¬ 
achtet haben würde.“ 

In dem Erkenntniss des Reichsgerichts vom 28. September 
1885^) heisst es: 

„Es genügt zwar, wenn beispielsweise das Fleisch, weil es nicht hin¬ 
reichend ausgeblutet war, nachgewiesenermassen den Ekel des Publikums erregt, 
obgleich vielleicht nicht lediglich vermöge seiner physiologischen Wirkung, sondern 
erst vermöge der hinzukommenden Rückwirkung der Vorstellungen von dem zu 
grossen Blutgehalte auf die körperlichen Organe. Auch eine solche aus den 
Vorstellungen, wie sie einmal in gewissen Personenkreisen herrschend sind, ent¬ 
springende und wirklich stattfindende Rückwirkung wäre etwas Thatsächliches 
und würde den Werth des Nahrungsmittels wirklich vermindern.“ 

Das Erkenntniss des Reichsgerichts vom 2. November 1886 
fahrt aus: 

„Dass der Begriff „verdorben“ auch auf solche Abweichungen von der 
normalen Beschaffenheit des Fleisches anzuwenden sei, welche ihren Grund 
in einer vordem Schlachten des Thieres vorhandenen Krankheit 
haben, falls dieselben eine ^VerthVerminderung und, wie im vorliegenden Falle 
(es handelte sich um den Verkauf einer krank geschlachteten Kuh, deren Ein¬ 
geweide und Innenseite der Rippen [nicht das Fleisch selbst] voll mit Tuberkeln 
besetzt waren, als gesundes unverdorbenes Fleisch) geeignet sind* nicht bloss bei 
einzelnen Personen, sondern bei dem Publikum im Allgemeinen Ekel mit ver¬ 
einzelten Ausnahmen zu erregen.“ 

Schon in einem Erkenntniss vom 5. Juli 1876. Rechtspr. 
des Ober-Trib. XVII. S. 487) heisst es: 

„Die Annahme, dass ein Gegenstand verdorben sei, wird dadurch nicht 
ausgeschlossen, dass Andere den Zustand des Gegenstandes gekannt und, ohne 
Widerwillen dagegen zu äussern, davon genossen haben.“ 

Dies hat das Obertribunal zu Berlin in einem Falle ang-e- 
nommen, in welchem das Fleisch eines krepirten Schweines von 
dem Eigenthümer desselben verkauft war. Personen, welchen es 


’) Eutscheid, des Roichsger., Strafs., Bd. XII, S. 407. 




696 


Dr. Müller. 


nicht unbekannt geblieben, dass das Schwein krepirt und nicht 
geschlachtet war, hatten bereits davon gegessen. 

Nicht unerwähnt soll auch die Reichsgerichtsentscheidung 
vom 10. Februar 1887 bleiben. Ein Fleischer war beschuldigt, 
eine perlsüchtige Kuh „mit dem Bewusstsein ihrer Krankheit (der 
Perlsucht) und der Bestimmung zum Ausschlachten verkauft zu 
haben.“ Es heisst daselbst: 

„Wenn ein Fleischer eine Kuh verkauft, von der er weiss, oder nach 
ihrem Zustande die Möglichkeit ins Auge gefasst hat, dass sie perlsüchtig ist, 
mit dem Bewusstsein, dass die Kuh geschlachtet, zu Würsten verarbeitet und als 
Nahrungsmittel verkauft werden soll, so ist er nach §. 12 und 14 des Gesetzes 
vom 14. Mai 1879 zu bestrafen. 

Selbst wenn Beklagter nicht mit Sicherheit gewusst hätte, die durch ihn 
verkaufte Kuh leide an Perlsucht, würde er auch dann schon aus §. 12, 1 straf¬ 
rechtlich haften, sobald er auch nur die Möglichkeit der fraglichen Krankheit 
ins Auge gefasst, die Möglichkeit mit in seinen Willen eingcschlossen und anf 
die Gefahr hin die Kuh an einen Banküeischer verkauft habe. Auch in der 
event. Erwägung, Verkäufer habe die Prüfung der Beschaffenheit des Fleisches 
der fraglichen Kuh dem mit der Ausschlachtung befassten Käufer unbedenklich 
überlassen dürfen, könne kein die Fahrlässigkeit ausscbliessender Grund gefunden 
werden. Verkäufer war selbstständig strafrechtlich dafür verantwortlich, weder 
wissentlich noch fahrlässig Schlachtvieh von gesundheitsschädlicher Beschaffenheit 
zu veräussom." 

Entspricht der heute in den öffentlichen Schlachthöfen und 
in den Fleischerläden vielfach herrschende Gebrauch, das Fleisch 
von Thieren, die lokalisirte Tuberkulose zeigen, in den freien 
Verkehr zu geben und zu verkaufen ohneAngabe seiner Ab¬ 
stammung den Bestimmungen des Gesetzes? Wird solches 
Fleisch kranker Thiere nicht vollkommen gleichwerthig dem besten 
Fleische von ganz gesunden Thieren dem Käufer verkauft ohne 
die geringste Bemerkung seiner fehlerhaften Abstammung P Nach 
dem Gesetz aber ist der Käufer, welcher für sein gutes Geld nur 
Fleisch bester Qualität haben will, doch wohl berechtigt, gesundes 
Fleisch zu erhalten. Wenigstens müsste es doch seiner eigenen 
Wahl überlassen bleiben, ob er, nachdem ihm Mittheilung von der 
„mangelhaften Abstammung“ des Fleisches vom Verkäufer gemacht 
worden ist (Deklaratiouszwang), solches „als ein ihm passendes 
Nahrungsmittel“ erachten will oder nicht. Dass die Krankheit, 
welche bei dem betreffenden Thiere dem Schlachten 
vorausgegangen, sich noch in so massigen Grenzen gehalten 
hat, dass sie nach dem Urtheile des Tliierarztes der menschlichen 
Gesundheit nicht schaden kann, wird der bei weitem grösseren 
Mehrzahl der Käufer den Genuss solchen Fleisches nicht angenehmer 
machen. Das Publikum mit vereinzelten Ausnahmen 
wird Ekel empfinden vor dem Genuss eines Fleisches kranker, 
schwindsüchtiger Tliiere. Und nur im Interesse der Viehzüchter, 
-Händler und Metzger soll das Publikum solches Fleisch gleich 
tlieuer bezahlen, wie gesundes? Nur im Interesse der National¬ 
ökonomie sollen wir Fleisch essen, welches nach dem Urtheil der 
Autoritäten des Faches und nach den mitgetheilten Gesetzesbe¬ 
stimmungen und den Reiclisgerichtsentscheidungen minderwerthig 
ist und möglicher Weise unserer Gesundheit schaden kann? Steht 
denn das Volkswohl nicht hölier, als die Interessen der Landwirth- 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


597 


Schaft? Ist nach dem Gesetz der Käufer berechtigt, bei dem Ver¬ 
kaufe einen Umstand zu verschweigen, der seine Waare minder- 
werthig, vielleicht sogar gesundheitsschädlich macht? Jedes 
Pferdefleisch und handelte es sich auch um das beste Fleisch eines 
ganz gesunden, wohlgenährten, jungen Thieres, unterliegt dem 
Deklarationszwange. Und das Fleisch kranker Rinder, welches 
nach dem Urtheile der Sachverständigen der Gesundheit den Kon¬ 
sumenten schädlich ist oder wenigstens schädlich werden kann, 
soll dem besten Fleische gesunder Thiere gleich, ohne jede Er¬ 
wähnung seiner Abstammung, dem freien Verkehr übergeben 
werden? Welch ki’asser Widerspruch — im Interesse der Land- 
wirthschaft! 

Das Gesetz schreibt vor^), dass die Schlachthäuser aus- 
scliliesslich dem gesundheitlichen Interesse dienen sollen. 
Geschieht dies im vorliegenden Falle? Mit vollem Rechte sagt 
Bollinger*): 

„Die neueren reichsgesetzlichen und landespolizeilichen Bestimmungen 
über den Verkehr mit animalischen Nahrungsmitteln, Milch, Butter, Margarine, 
haben durchweg das Prinzip des Deklarationszwanges adoptirt. Ich denke, so 
gut derjenige, welcher Margarinmischung als Butterschmalz oder wer abgerahmte 
(Mager-)Milch als unabgerahmte verkauft, wegen Betrugs bestraft wird, so muss 
auch derjenige, welcher Fleisch von kranken Thieren als tadellose Waare, als 
Fleisch gesunder Thiere veräussert, mit Strafe bedroht werden.“ 

Lorenz^) nennt das Freigeben des Fleisches tuberkulöser 
Thiere einen Betrug an den Konsumenten. 

„Es mag ja wohl richtig stehen, dass mancherorts die A rt und Weise 
der Verwerthung des noch für geniessbar erkankten Fleisches perlsüchtiger 
Thiere mehr zu Gunsten der Interessenten, insbesondere der Landwirthe, geregelt 
werden dürfte, allein das Auskunftsmiltel, welches die jetzige Praxis in Preussen 
gewählt hat und welches ausser von den betheiligten Metzgerinnungen und 
Händlern, namentlich auch von den interessirten Thierärzten gewünscht und ver¬ 
fochten wird, würde doch eigentlich nichts anderes bedeuten, als den Konsumenten 
unter dem Schutze der Regierung betrügen. Wird doch dabei vielen zuge- 
muthet, eine Waare für gut zu kaufen und zu bezahlen, welche sie mit Recht 
nicht für gut zu halten brauchten und welche mancher überhaupt gar nicht er¬ 
werben würde, wenn ihm die Eigenschaft derselben bekannt wäre. Was billiger 
Weise vom Konsumenten verlangt werden kann, ist der Deklarationszwang. 
Denselben durch Gesetz zu regeln, wäre zunächst die Aufgabe der Regierungen.“ 

Uebereinstimmend mit Bollinger und Lorenz äussert auch 
Privatdozent SchneidemühD): 

„Da das geniessbare Fleisch gut genährter kranker Thiere in Städten, wo 
weder eine Freibankeinrichtung besteht und in solchen, wo trotz Errichtung 
eines öffentlichen Schlachthauses keine Freibank vorhanden ist, in den freien 
Verkehr gelangt, d. h. in den Fleischerläden gleichzeitig mit dem geniessbaren 
Fleische gesunder Thiere feilgeboten wird, ohne dass der Käufer im Stande ist, 
die Herkunft des Fleisches an diesem zu erkennen und ohne dass der Fleischer, 
wozu er gesetzlich verpflichtet ist, die Herkunft des Fleisches dem Käufer nennt, 
so wird in allen solchen Städten der Käufer übervortheilt. Der Konsument zahlt 
für das zwar geniessbare, aber von kranken Thieren stammende Fleisch einen 
Preis, den er bei Kenntniss der Sachlage nicht zahlen wUrde.*^ „Wegen Tuberku¬ 
lose wurden beanstandet 47 569 Thiere (in den öffentlichen Schlachthäusern 
Preussens während der Zeit vom 1. April 1890 bis 31. März 1891). Vergleicht 


Novelle zum Schlachthausgesetz vom 9. März 1881. 

2) Versammlung des Vereins für öffentl. Gesundheitspflege in Braunschweig. 
Zeitschrift für Mediz. - Beamte; 1892, Nr. 2, S. 38. 

Thiermedizinische Vorträge. 1892, Heft 9 bis 10, S. 16, 18. 



598 


Dr. Müller. 


man diese Zahlen mit denjeniG:eii der vernichteten Thiere, so ergiebt sich, dass 
allein von tulRrkulö^en Thieren mindestens das Fleisch von 270ü0 tuberkulösen 
Rindern und etwa 110(0 Schweinen nach Entfernung der kranken Organe zum 
Genuss ziigelassen worden ist. Wo mit den 1<S3 Schlachthäusern keine Freibank 
verbunden ist, ha))en die Konsumenten das zwar geniessbare, jedoch von kranken 
Thieren stammende Fleisch ohne Keuntuiss der Herkunft gekauft und in der 
Regel auch mit dem vollem Marktpreise bezahlt, weil, wie erwähnt, das Fleisch 
in vielen Fällen noch von sehr guter Beschaffenheit ist.“ 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass nach dem Nahrungsmittel¬ 
gesetz und den Reichsgerichtsentscheiduiigen alles, von tuberku¬ 
lösen Thieren abstainmende Fleisch m in der wert hi g ist und dass 
das noch geniessbare dem Deklarationszwauge unterliegt. Mithin 
ist jeder Fleischer, der solches Fleisch unter Verschweigung seiner 
Abstammung verkäuft, strafbar nach §.10 und 11 des Nahrungs¬ 
mittelgesetzes. 

Die Landwirthschaft fühlt sich trotz des Wohlwollens, welches 
ihr der Min.-Erlass vom 20. März 1802 eiitgegenbringt, den Be¬ 
stimmungen des Nahrungsmittelgesetzes und des Reichgerichts 
gegenüber in keineswegs gesicherter Stellung und wünscht dringend 
Aenderuiig und Verbesserung ihrer misslichen Situation. Im Be¬ 
richte der 20. Plenarversammlung der deutschen Landwirthschaft 
heisst es: 

„Jedenfalls erscheint es nicht gerechtfertigt, die Kosten weitgehender, in 
ihrem vollen Umfange nicht genügend gerechtfertigter (?) Ansprüche der Hygiene 
auf den Verkäufer des Schlachtviehs, in letzter Linie auf den Landwirth allein, 
abznladen und ihn ausserdem noch der ständigen Gefahr einer 
harten Strafe auszusetzen (§. 12, 14 des Nahrangsmittelgesetzes).'^ 

Dass Metzger und Landwirth, wenn das Gesetz streng ge- 
handhabt wird, in übler Situation sich befinden, dass die ihnen aus 
der Tuberkulose der Thiere erwachsenden Verluste euorm sind, 
kann nicht geleugnet werden. Um aber Beiden, der Hygiene, die 
ihr volles Recht hier wahren muss und der Landwirthschaft, welche 
alle schuldige Berücksichtigung verdient, gerecht zu werden, muss 
ein anderer Weg eingeschlagen werden, als bis jetzt geschehen, 
das ist in erster Linie die Bekämpfung und Ausrottung 
der Thier-Tuberkulose, in zweiter Linie, gebotene Schad¬ 
loshaltung der Viehbesitzer. 

Von der Landwirthschaft selbst, wenigstens von allen Ein- 
sichtsvollen, wird die Bekämpfung der immer verheerender auf¬ 
tretenden Seuche als dringend nothwendig bezeichnet. 

„ln (lern ^epfoiiwärti^un Ani»:enblicke haben wir bereits einen solchen Ver¬ 
lust an Fleisch öurcli die ün^jrenie.^sbarkeits - Erklärung, dass derselbe, nachdem 
Durchschnitt berechnet, sich auf beinahe 3 Millionen Kilogramm und nach den 
Zahlen, wie sic für das Königreicli Sachsen festg» stellt worden sind, berechnet 
auf 4—o ]\Iillioiien Kilugraniin, bei weiterer Steigerung sehr bald auf 8—10 
Millionen Kilograniiii an Flei.schverlust in einem Jahr in Folge der Vernichtung 
der Thiere und Entzieliung aus dein Verkehr für den menschlichen Genuss beziffert.“ 

„Dili Tuberkulose d<*s Rindviehs i.st in Deutschland in einem solchen 
i^Iasse verbreitet, dass die Verluste, die den Laudwirthen daraus erwachsen, 
w'eitaus grösser sind, als die Verluste aus allen anderen Krankheiten zusarn- 
lUv ii r, D i e e n e r g i s c h e B e k äm p f u n g derselben wird zur Volks- 


Bericht über die 20. Plenarversammlung des deutschen Laudwirthschafi- 
raths. Berliu 1892, S. 294. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 


599 


wirthschaftlichen Nothwendigkeit und ist wegen der bei wei¬ 
terer Ausbreitung drohenden erheblichen Steigerung des Ver¬ 
lustes als dringlich zu erachten^).“ „Die Gefahr einer über¬ 
mässigen Verringerung des Viehstandes und der Versorgung des 
Fleischinarktes einerseits und einer ausserordentlichen Steigerung der Fleisch¬ 
preise andererseits wird um so grösser, je länger die Ergreifung 
wirksamer Massregeln hinausgeschoben wird^).^ 

Der Min.-Erlass vom 26. März 1892 ist nicht geeignet, demUebel 
abzuhelfen. Im Gegentheil befördert derselbe die Tuberkulose, da 
er dem Viehzüchter und -Händler Gelegenheit giebt, einen grossen 
Theil der kranken Thiere vollwerthig zu verkaufen und auf diese 
Weise die Viehzüchter abhält, für zeitige Ausscheidung der kranken 
Thiere energisch zu sorgen. Solange der Landwii'th aber keinen 
Schaden erleidet, wird er den bisher von ihm eingeschlagenen 
Weg unbesorgt um die schädlichen Folgen seines Geschäftsbetriebes 
für Andere, weiter fortsetzen. Die Landwirthe waren es, welche 
sich in erster Linie gegen die Ausführung der so sehr begründeten 
Forderungen Gerlach’s zur Bekämpfung der Tuberkulose energisch 
aussprachen und damals die so wünschenswerthe Regelung dieser 
wichtigen Angelegenheit verhinderten. Die Landwirthe waren es, 
welche im Grossherzogthum Hessen mildere Vorschriften verlangten, 
als man dem Freigeben des Fleisches tuberkulöser Thiere Einhalt 
gebieten wollte®). 

„Gerade die Landwirthschaft, sagt Beg. - Medizin. - Rath Dr. R a p m n n d ^), 
hat sich bisher allen Bestrebungen der Gesundheitspolizei auf dem Gebiete der 
Fleischhygiene, soweit es sich nicht um das Verbot der Einfuhr amerikanischen 
Schweinefleisches handelte, wenig wohlwollend gegenüber gestellt und wenn in 
Preussen noch keine allgemeine Fleischbeschau eingeführt ist, wenn in Folge 
dessen auf dem platten Lande wie in den Städten, die keine Schlachthäuser be¬ 
sitzen, viel minderwerthiges, ja krankes Vieh ohne jede Kontrole zum Verkauf 
gelaugt, so ist dies grössteutheils auf den Widerstand der Landwirthschaft gegen 
eine derartige Massregel zurückzuführen.“ 

Dass die Hindernisse für Einführung der obligatorischen 
Fleischbeschau wesentlich in den Kreisen der Landwirthschaft zu 
suchen seien, erklärte auch Prof. Bollinger in der Versammlung 
des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Braunschweig. 
Jeder versuche zunächst, seine eigenen Interessen zu vertreten, 
obgleich es doch kurzsichtige Interessen seien und die Landwirth¬ 
schaft wohl besser thun würde, die sanitären Bestrebungen zu 
unterstützen, da sie dann am ersten Aussicht haben würde, die Tuber¬ 
kulose loszuwerden. Die Landwirthschaft sei aber mit der Tuber¬ 
kulose noch sehr wenig vertraut; sie wisse nicht, wo die Ursache 
liege und warum die Tuberkulose so häufig sei. 

Auch Reg.-Rath Röckl®) hebt hervor: 

„Obgleich die Erhebungen über die Verbreitung der Tuberkulose unter dem 
Rindvieh lediglich im Interesse der Landwirthschaft angeorduct wurden, so ist 


*) Bericht über die 20. Plenarversammlung des deutschen Landwirth- 
schaftsraths. Berlin 1892, S. 252. 

*) Ebendaselbst, S. 284. 

®) Lorenz, 1. c., S. 32. 

*) Zeitschr. für Mediz.-Beamte; 1891, Nr. 14, 8. 888. 

Ergebnisse der Ermittelungen über die Verbreitung der Tuberkulose 



600 


Dr. Malier. 


von dieser Seite den Thierärzten hierbei nicht immer das erforderliche Entgegen¬ 
kommen zu Theil geworden. Vielfach hat sich sogar das Bestreben kund ge- 
txebeu, die Fälle zu verheimlichen, in der Befürchtung, es könnten polizeiliche 
ilassuahinen gtdrotfen werden, event. die betreffenden Viehbestände bei den Ab¬ 
nehmern in Misskredit kommen. So war in Preussen selbst vielbeschäftigten 
Kreisthierärzten nur wenig Gelegenheit geboten, die Tuberkulose an lebenden 
Thieren fesizustellen. Der Widerwille der landwirthschaftlichen Kreise ging 
soweit, dass den beamteten Thierärzten der Zutritt zu den Ställen verweigert 
wurde und dieselben auch von gelegentlichen Untersuchungen Abstand nehmen 
mussten. Dem De])artementsthierarzt zu Merseburg hat ein in der Umgegend 
von Halle viclbeschättigter Privatthierarzt erklärt, er habe zwar viele I'älle 
von Tuberkulose gesehen, könne aber darüber aus Rücksicht auf die Wünsche 
der Viehbesitzer keine Mittheiiungen machen. Vor Allen haben die Züchter ein 
leicht b(‘greilliches Interesse, das etwaige Vorkommen der Tuberkulose in ihren 
Hecrden nicht bekannt werden zu lassen, weil dadurch der Verkauf von Zucht¬ 
vieh geschädigt werden würde, ln Mecklenburg - Schwerin hat ein nicht unbe¬ 
trächtlicher Theil d(}r Laiidwirthe die Berichterstattung in der Besorgniss unter¬ 
lassen, dass wahrheitsgetreue Angaben die Verwerthung ihrer Thiere nachtheilig 
beeinlhissen könnten. Nicht allein würde der Absatz der Zuchtkälber unmöglich, 
sondern auch der Abgang der Sch lach twaare, da einer Entscheidung des Reichs¬ 
gerichts vom 16. Ai»ril 1SS8 zufolge lebende Thiere als Nahrnngs- und Genuss- 
mittel ini Sinne des Naliruiigsmittelgesetzes vom 14. Mai 1879 anzusehen seien, 
und der Verkauf eines kranken Thieres in Keuutniss des Umstandes, dass er 
alsbald getödtet und von ^lenscheu genossen werden soll, nach §§. 10 und 11 
des Gesetzes strafbar sei. In Brauiiscliweig und Schwarzburg-Rudolstadt wird 
im Allgemeinen der Tuberkulose seitens der Landwirthe, zumal der Züchter, zu 
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Sorglosigkeit hat am meisten 
zur Verbreitung der Krankheit b e i g e t r a g e n. Die Mehrzahl der 
Fälle wird von den Laudwirtlnm aus irgend welchem Grunde verschwiegen. Der 
Thierarzt bekommt die betreffenden Thiere meist nur zufällig zu Gesicht. Dass 
die Tuberkulose stark verbreitet ist, ergiebt sich aus dem blühenden Geschäft 
der Polkaschlächter.“ 

Dass hier nur streng diircligeführte, geeignete Massnahmen, 
nicht aber etwa weitere Belehrung, Wandel schaffen können, geht 
selbst aus dem Berichte des Landwirthschaftsrathes hervor. Es 
heisst daselbst^); 

„In vielen Fällen wird auch die ein dringlich steBelehrungdes- 
lialb unfruchtbar bleiben, weil bei dem stark entwickelten Handel mit 
Rindvieh und der schwereu Erkennbarkeit der Krankheit in ihren ersten Ent¬ 
wicklungsstadien Verschb'ppiuigrii immer auf’s Neue erfolgen können, die Nutzung 
häutig dureh die Krankheit nicht beeinträchtigt wird und es daher in solchen 
Fällen bei beschränkter Einsicht an einer genügenden Veranlassung zur Besei¬ 
tigung erkrankter Thiere fehlt.“ 

Der Gesetz-Zwang würde am besten hierzu genügende Ver¬ 
anlassung scluilieu. 

Gerlach Ijat es zuerst ausgesprochen, dass die Landwirth- 
schat't die Tuberkulose gross gezogen hat: 

„Rei der geringen 8eliä<iigiing (in Folge der Verwerthung so vieler 
kranker Thiere als voliwerthige 8ehliichtLliiere) ist eine gewisse Sorglosigkeit bei 
den Viehziuditern eingeireten, die eine beträchtliche Zunahme der Krankheit zur 
Felge gehabt hat. Die Vererbung (zutreffender sagen wir heute wohl Infektion) 


unter dem Rindvieh im Deutschen Reiche vom 1, Oktober 1888 bis 30. September 
1889.' Seite 484. 

Bericht über die 20. Plenarversammlung des deutschen LaiidwirtL- 
scliaftsrathes. Berlin 1892, 8. 276. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberknlttser Thiere etc. 


601 


ist so eminent bei der Tuberkulose des Kindes, dass einzelne tuberkulöse Indi¬ 
viduen in einer grösseren Homviehheerde genügen, die Krankheit durch fort¬ 
gesetzte Inzucht nach mehreren Generationen unter die iranze Heerde zu ver¬ 
breiten, wobei das zweite ätiologische Moment, die Infektion der Kälber durch 
Milch, seinen Antheil hat. Bei sorgfältiger Züchtung kann man die 
Perlsucht ganz vermeiden. Beweise dafür liefert die Thatsache, dass 
die Krankheit in vielen Heerden unter dem Vieh in ganzen Ortschaften und 
selbst gewissen Distrikten gar nicht vorkommt. Das häufige Vorkommen und 
fortwährende Weitergreifen in einzelnen Ställen und in ganzen Bezirken hat 
keinen anderen Grund, als die Vererbung und die Infizirung. Ebenso gut, wie 
einzelne Ställe und ganze Bezirke frei bleiben, ebenso gut kann auch das Vieh 
in anderen Ställen, Orten und Bezirken, die zwischen jenen liegen, von der 
Perlsucht befreit werden, wenn man gesunde Stämme einführt und unter sich 
fortzüchtet. Die Schuld der so häufigen Perlsucht tragen die 
Viehzüchter selbst.“ 

Professor Bollinger hebt in seinem oben erwähnten Vor¬ 
trage besonders hervor, „dass die Landwirthschaft durcli einseitigen 
Molkereibetrieb und durcli unnatürliche Haltung der Thiere, wobei 
die Kühe eigentlich nur Milchmaschinen seien, die Tuberkulose 
gross gezogen habe.“ Durch die jetzt vorzugsweise betriebene 
Mastwirthschaft wird die Seuche immer mehr ausgebreitet. Ueber- 
all dort, wo das Vieh unter naturgemässen, der Gesundheit ent¬ 
sprechenden Verhältnissen lebt, wo es Bewegung in Irischer Luft 
auf der Weide hat, findet sich selten oder gar nicht Tuberkulose. 
Unter dem Steppenvieh Russlands ist die Krankheit unbekannt, 
ebenso in Siebenbürgen (nach Prof. Genersich-Clausenburg); 
selten sieht man sie auch in Tyrol. Dass in den Ställen, die 
meistens niedrig, nicht genügend ventilirt, auch nicht immer 
sehr reinlich sind, in welchen die Thiere dicht neben einander 
und einander gegenüber stehen, die Ansteckung betördert wird, 
beweist der Umstand, dass die üebertragung der Bazillen meistens 
durch die Respirationsorgane erfolgt. In 80®/o aller Fälle wurden 
die Lungen erkrankt gefunden. Die Athmungsorgane sind 14‘/2 Mal 
häufiger tuberkulös befunden, als die Verdauungsorgane*). 

„Wer, wie der Verfasser, sagt Reg. - Med. - Rath Dr. R a p m u n d ^), Gelegen¬ 
heit gehabt hat, zu sehen, wie häufig von den Viehzüchtfirn alte, abgemagerte, hustende 
Kühe noch weiter zur Milchproduktion benutzt werden, wie fast nirgends eine 
Absonderung selbst hochgradig tuberlculüser Thiere stattfindet und wie oft 
schwindsüchtige Personen zur Besorgung des Viehes angestellt sind®) und sich 
ihres infektiösen Auswurfs in der unvorsichtigsten Weise entledigtm, ohne Rück¬ 
sicht darauf, dass dadurch die ihrer Obhut auvertrauten Thiere angesteckt werden 
können, der wird sich nicht wundern, wenn schliesslich ganze Viehbestände eines 
Besitzers der Tuberkulose anheim fallen.“ 

„Nach meiner Ansicht,“ sagt Dr. Plaut-Leipzig^), „und ich 
glaube als trüberer Landwirth, als ehemaliger Laboratoriums- 
Assistent hiesiger Universitäts-Veteriiiärklinik und jetziger Arzt 
das Recht und die Pflicht zu haben, dieselbe zu äussern, bedeutet 
der Eirlass (vom 2G. März 1892) ein unnötliiges Aufgeben des 


») Eöckl, 1. c. 

*) Zeitschrift für Mediziiialbeamte; 1891, Nr. 14, S. 390. 

*) Wie oben bereits mitgetbeilt, stellte L am m, Tbierarzt in Lorracb, fest, 
(lass anf einem Gehöft, wo Frau und Sohn an Tuberkulose litten und schliesslich 
daran starben, die Mehrzahl der Kühe, welche von ihnen gefüttert worden waren, 
von derselben Krankheit ergriffen wurde. Bayard, 1. c., pag. 30. 

Deutsche medizin. Wochenschrift. Nr. 25, 8. 597. 



602 


Dt. Mttller. 


Kampfes gegen die Tuberkulose und zwar in einem Augenblicke, 
in dem die Bekämpfung derselben durch die systematisch ange¬ 
wandte Impfung mit Tuberkulin mehr Aussicht auf Erfolg hat, als 
in irgend einer Zeitperiode vorher.“ 

„Der Erlass schneidet den einzig richtigen Weg, den man bei der Be¬ 
kämpfung dieser Seuche einschlagen kann, rundweg ab, indem er yerhindert, 
dass durch eine streng durchgeführte Fleischbeschau, mit all ihren verlust¬ 
setzenden Konsequenzen, der Viehhalter und -Züchter gezwungen wird, seihst 
gegen diese Seuche Front zu machen, da in derThatderLandwirth 
allein in der Lage ist, durch Vorsicht (Zuziehung eines Thierarztes) beim 
Ankauf von Vieh, durch Ausschaltung aller verdächtigen Thiere und Anwendung 
der diagnostischen Tuberkulin-Impfung, die Ausbreitung der Tuberku¬ 
lose wirksam zu bekämpfen. Dieser Ansicht sind auch viele Landwirthe, das 
beweisen die zahlreichen Einführungen der Tuberkulin - Impfung auf den Gütern, 
die doch noch mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Freilich Tverden derartige 
Versuche, welche unter dem Druck der strengen Fleischbeschau gemacht wurden, 
nunmehr ihr Ende erreichen, (nach Erscheinen des Min.-Erlasses vom 26. März 
1892), denn welcher Landwirth möchte wohl durch kostspielige hygienische 
Massnahmen die Rentabilität seiner Viehhaltung herabdrttcken, wenn er weiss, 
dass tuberkulöses Vieh sich beinahe ebenso leicht verwerthcn lässt, wie gesundes? Im 
Gegentheil wird in Zukunft mancher rationelle Landwirth daran denken, sich 
wieder mehr auf die Mastviehwirthschaft zu legen, in der Hoffnung, dass der 
neue Erlass eine Hebung dieses Geschäftszweiges mit sich bringen werde. Wie 
sehr aber ausgedehnte Mastviehwirthschaftcn durch den schnellen Wechsel im 
Viehstande die Gefahren der Ausbreitung der Tuberkulose vermehren, bedarf 
wohl nicht erst einer besonderen Auseinandersetzung.“ 

Dr. Schneidemühl u. A. machen mit Recht darauf auf¬ 
merksam, dass die Entschädigung, welche dem Viehzüchter oder 
-Händler für das kranke Thier event. geboten wird, keine zu hohe* 
den Verlust vollständig ausgleichende sein darf, wenn der Zweck, 
Bekämpfung der Tuberkulose, erreicht werden soll. 

„Je entgegenkommender hier in der Fleischbeschau verfahren wird und 
je mehr durch die Vieh Versicherungen vollständiger Ersatz für die tuberkulös 
befundenen Thiere geleistet wird, um so weniger werden sich die Landwirthe 
beeilen, energisch die Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit ins Werk zu 
setzen. Da der Viehzüchter nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen in 
erster Linie im Stande ist, bei der Tilgung der Krankheit mit¬ 
zuwirken, so wird eine möglichst strenge Handhabung derFleiseh- 
beschau und eine zweckmässige Regelung der Entschädigung 
ihn am ehesten hierzu veranlassen. Die Förderung des National¬ 
wohlstandes dürfte dadurch auch am besten erfolgen, wenn verhütet wird, dass 
unsere Viehbestände jährlich durch Tausende von tuberkulösen Thieren ge¬ 
schädigt und fortgesetzt die Gesundheit des Menschen in Gefahr gebracht wird. 
Würde bei anderen ansteckenden Krankheiten der Hausthiere, wie sie im Reich.- 
viehseuchengesetz verzeichnet sind, der Besitzer in jedem Falle und zwar volle 
Entschädigung erhalten, würde der Besitzer der Thiere nicht gezwungen werden, 
event. bei Verlust des Entschädigungsanspniches eine gründliche Desinfektion 
der Stallung vorzunchmen und zahlreiche andere Vorkehrungen zur Vorbeugung 
eines Wiederausbruches der Seuche zu treffen, es würde niemals gelungen sein, 
die meisten Thierseuchen im Laufe der Zeit so einzuschränken, wie es glück¬ 
licherweise geschehen ist. Deshalb dürfte es auch für die Tilgung der Tuberku¬ 
lose sehr unterstützend sein, wenn die Fleischbeschau möglichst strenge gehand- 
habt wird*).“ » 

Stände der Viehzüchter dem Uebel gegenüber ohne alle 
Mittel, dasselbe zu bekämpfen, dann wäre die Sachlage eine ganz 
andere und die volkswirthscliaftlichen Bedenken, denen man so 

*) Schneidemühl: Das Fleischbeschauwesen im Deutschen Reiche nebst 
Vorschlägen darüber. Tbicrmedizinische Vorträge 1892, Heft 9 u. 10, S. 62. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tuberkulöser Thiere etc. 603 

Übelgrosse Eücksiclitnahme geschenkt hat, gerechtfertigt. Nun 
besitzt aber der Landwirth die geeigneten Waffen, den für Thier 
und Menschen gleich gefähidichen Feind zu bekämpfen und zu 
vernichten. Aber die Sorglosigkeit, der Mangel an Allgemein¬ 
interesse hält ihn ab, sie zu ergi’eifen. Diese Mittel sind: „eigene, 
sorgfältige Züchtung, welche einerseits den Import von nicht accli- 
matisirten und deshalb der Infektion mehr zugänglichen Thieren 
(holländische Race) und andererseits die Infektion der Kälber in 
Folge von Zusammenhaltung mit erkrankten Thieren, sowie in 
Folge von Verabreichung von ungekochter Milch vermeidet, ferner 
eine Trennung erkrankter von den gesunden Thieren etc.“ Es 
kann der Landwirth heute durch Anwendung der Tuberkulin- 
Impfung die Ki'ankheit unter seinen Thieren zeitig erkennen und 
durch frühzeitige Abschlachtung erheblichen Schaden vermeiden. 

Wird einerseits durch strenge Massnahmen auch der reni¬ 
tenteste Landwirth gezwungen, das Seine zur Tilgung der Seuche 
nach allen Kräften und gründlich zu thun, kommt man dann 
andererseits durch eine den Verhältnissen entsprechende Entschä¬ 
digung für seine Verluste ihm entgegen und sichert der National¬ 
ökonomie durch Vornahmen, welche die Hygiene nur billigen kann, 
einen grossen Theil des Fleisches tuberkulöser Thiere, welches 
durch die Minderwerths- resp. Ungeniessbarkeits - Erklärung ver¬ 
loren gehen würde, vor zu grosser Entwerthung, dann wird die 
üebergangszeit, welche durch gründliche rücksichtslose Tilgung der 
Viehtuberkulose grosse Verluste der Landwirthschaft gebracht 
haben würde, weniger empfindliche Opfer verlangen, der Viehzüchter 
und Landwirth wird eines gesunden Viehstandes wieder sich er¬ 
freuen und — was die Hauptsache ist, eine der Hauptquellen der 
Tuberkulose für die Menschen wird verschwunden sein. 

Verlangen aber muss die Hygiene fernerhin, dass das Fleisch und 
die Milch tuberkulöser Thiere nur in sterilisirtem Zustande in den 
freien Verkehr gelangt. Rohrbeck’s Desinfektions - Apparat soll 
das Fleisch auch in der Mitte der Stücken vollständig sterilisiren und 
in äusserst schmackhafter Weise für den Genuss zubereiten. Nach 
Dr. Hertwig’s Angaben würden bei Verwendung dieses Apparates 
mindesten ^/g des bisher auf dem Berliner Schlachthofe wegen 
Tuberkulose als ungeniessbar vernichteten Fleisches dem Genüsse 
erhalten werden können. Für Berlin allein berechnet dies sich für 
das Jahr 1890/91 auf mindestens 1000 Stück Rindvieh = 245000 kg. 
Fleisch = 250000 M.M. 

Dass die Bestimmungen des Min.-Erlasses vom 26. März 
1892 nicht geeignet sind, und warum sie nicht geeignet sind, die 
Thier-Tuberkulose zu bekämpfen, ist oben nachgewiesen. Wird 
aber durch diese Bestimmungen die Thier-Tuberkulose mehr be¬ 
fördert, als getilgt, dann wird in gleichem Masse auch die Ver¬ 
breitung der Seuche unter den Menschen durch dieselben Be¬ 
stimmungen befördert. 

Es wurde nachgewiesen, dass durch den Genuss des Fleisches, 


') Bericht des deutschen Landwirthschaftsrathcs. 1892, S. 247. 



604 


Dr. Müller. 


namentlich aber der Milch die Uebertragfung der Seuche von dem 
Thier auf den Menschen unzweifelhaft erfolgt; es wurde nachge¬ 
wiesen, dass überall dort, wo Rindertuberkulose sehr verbreitet 
ist, auch unter den Menschen die Tuberkulose dementsprechend 
aussergewohnlich häufig angetroffen wird; es wurde nachgewiesen, 
namentlich durch die Tuberkulose - Kurventafeln von Baden und 
Bayern, dass mit der Thiertuberkulose die Menschen - Tuberkulose 
zu- und abnimmt und gleichen Schritt hält. Die Abhängigkeit der 
einen Seuche von der andern, die üebertragungsfähigkeit der 
Tuberkulose von dem Thier auf den Menschen und umgekehrt, 
kann heute nicht mehr geleugnet werden, sie ist wissenschaftlich 
festgestellt. Glaubt man den Beweis, dass auch durch den Genuss 
des Fleisches tuberkulöser Thiere die Menschen infizü't werden, 
noch nicht überzeugend genug geführt, so berücksichtige man doch, 
dass die Tuberkulose, vom Verdauungskanale aus in den Organismus 
gebracht, überhaupt nur sehr langsame Fortschritte macht. Das 
beweisen die Fütterungsversuche mit positivem Resultate. Zeigen 
aber die Thierversuche von Hippolyt Martin und Professor 
Gärtner, wie lange die Bazillen im latenten Zustande verharren 
können, selbst im Blute eines der Tuberkulose refraktären Tbieres, 
bis sie auf dem zu ihrer Entwicklung geeigneteren Nährboden 
eines anderen, zur Tuberkulose mehr disponirten Geschöpfes ge¬ 
langen, wer kann und will dann noch leugnen, dass der Genuss 
des Fleisches tuberkulöser Rinder — zumal er bei den Versuchs- 
thieren unleugbar vielfach als infektiös sich ergeben hat, auch dem 
Menschen schädlich sein kann, wenn bei demselben nach dem Ge¬ 
nüsse solchen Fleisches auch nicht sofort oder schon nach einigen 
Monaten die Zeichen der Infektion auftreten? Durch irgend welche, 
ihre Entwicklung befördernde Ereignisse im Organismus können 
die bis dahin schlummernden Bazillen zur regsten Lebensentfaltung 
gebracht werden. Wie oft sehen wir Menschen an Tuberkulose 
erkranken, deren Ursache wir bis dahin nicht zu erklären, deren 
Infektionsquelle wir bis dahin nicht aufzufinden gewusst. Heute 
sind wir berechtigt, eine latente Tuberkulose anzunehmen und in 
ihi’ die Erklärung zu finden für solche, bis dahin uns unerklär¬ 
lichen Vorgänge. Seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus wurde 
fast allgemein die Möglichkeit der Vererbung der Tuberkulose ge¬ 
leugnet. Namhafte Forscher erklären sich jetzt wieder für die 
Heredität derselben und Professor Baumgarten ist sogar der 
Ansicht, dass die Uebertragung der Tuberkulose durch Vererbung 
grösstentheils stattfindet *). Durch zahlreiche Beobachtungen glaubt 
derselbe klargelegt zu haben, dass diese Krankheit beliebig lange 
Zeit, unter Umständen während des ganzen Lebens, latent verlaufen 
kann *). Mag nun congenitale oder accidentell erworbene, aber latent 
bis dahin gebliebene Tuberkulose bei Menschen vorhanden sein, so 
kann durch die Invasion von virulenten Bazillen in Folge des 
Fleischgenusses sehr leicht die latente Tuberkulose zu einer mani- 


b Lehrbuch der patliolog. üykologie. Braunschweig. 1890, S. 640. 
Ebendaselbst, S. 631. 



Die Verwendbarkeit des Fleisches tnberknlOser Thiere etc. $05 

festen umgewandelt werden. Zweifellos haben wir allen Grund, 
gestützt aut die Resultate der bis jetzt angestellten Untersuchungen 
den Genuss jedes rohen, von tuberkulösen Thieren abstammenden 
Fleisches als der Gesundheit schädlich zu bezeichnen und daher 
streng zu verbieten. 

Dr. Plautweist darauf hin, welchen Schaden der Min.- 
Erlass anrichtet, auch wenn dem Fleische tuberkulöser Thiere eine 
Infektionsfähigkeit nicht innewohne. „Wenn nun aber“, fährt der¬ 
selbe fort, „es sich nachträglich heraussteilen sollte, dass die bis 
jetzt angestellten Experimente (Dr. Plaut meint die negativ aus¬ 
gefallenen Fütterungsversuche mit Fleisch tuberkulöser Rinder bei 
anderen Thieren) wohl für die untersuchten Thiere beweisfähig, 
nicht aber für den Menschen gelten, was dann?“ 

„Oder wenn es sich zeigt, dass neben den Bazillen auch ihre 
Stoffwechselprodukte in Frage kämen und unter dem Genuss des 
sie enthaltenden Fleisches, leichte Tuberkulosen sich sichtlich ver¬ 
schlimmerten, dann wäre allerdings die Frage der Schädlichkeit 
des tuberkulösen Fleisches aufs Sicherte beantwortet, freilich 
durch ein inhumanes Massenexperiment, wie es unserer Wissen- 
. Schaft wenig Ehre machen würde.“ 

Von allen Seiten, selbst von der Landwirthschaft, wird 
dringend sofortiges energisches Vorgehen gegen die Thier - Tuberku¬ 
lose verlangt. Alle Sachverständigen stimmen darin überein, dass, 
wo die Gefahr überall im Reiche eine gemeinsame, die bezüglichen 
Massnahmen zur Tilgung der Seuche auch der einheitlichen Rege¬ 
lung für alle Landestheüe bedürfen. Es möge daher von Reichs 
wegen gesetzlich bestimmt werden: 

1. Das Fleisch aller tuberkulösen Thiere (auch der Schweine) 
ist nicht bankwürdig und daher vom freien Verkehr aus- 
zuschliessen. Jedoch ist das Fleisch wohlgenährter Thiere, 
die nur an beschränkter Tuberkulose erkrankt sind, unter 
ausdrücklicher Angabe seiner Abstammung, nach voraus- 
gegangeiier Sterilisiruug zum Genüsse zuzulassen. 

2. Die obligatorische Fleischbeschau ist überall einzuführen. 

3. Zwangsversicherung des Schlachtviehs ist gesetzlich an¬ 
zuordnen. 

4. Auf die Tuberkulose der Thiere sind die Bestimmungen 
des Reichs - Vieh-Seuchengesetzes mit den für diese 
Krankheit nothwendigen speziellen Abänderungen anzu- 
wendeii. 

Italien, Frankreich, Portugal und mehrere der süddeutschen 
Bundesstaaten haben bereits den Kampf gegen die den Menschen 
gefährlichste aller Seuchen unternommen. Zu gemeinsamem Kampfe 
ist die Waffengenossenschaft geboten. Soll Preussen, soll das 
Deutsche Reich, welches doch an der Spitze der Kulturträger- und 
Pfleger allzeit voranzuschreiten gewohnt ist, noch länger, wo Eile 
so sehr Noth thut, Zurückbleiben? Salus publica suprema lex! 


*) Deutsche medizin. Wochenschrift 1892. 



606 


Dr. L. Becker. 


Zur Frage der „ärztlichen Obergutachten“ bei den 
Unfall - Verletzten. 

Vom San.-Rath Dr. L. Becker, Kgl. Bez.-Physikos in Berlin. 

Nachdem auf dem diesjährigen Aerzte-Tage zu Leipzig die 
verschiedenartigsten Ansichten über die vielfach erörterten * ärzt¬ 
lichen Obergutachten“ bei der Unfall-Versicherung zu Tage ge¬ 
treten sind, ist es wohl angebracht, dass auch aus den Kreisen 
der Medizinal - Beamten sich Stimmen über dieses Thema hören 
lassen; und da in diesem Jahre die Versammlung des Medizinal- 
Beamten-Vereins der Cholera wegen nicht stattgefunden, so dürften 
einige Bemerkungen an dieser Stelle wohl die geeignete Ver¬ 
breitung finden. 

Anerkanntermassen bildet ein sachgemäss begründetes ärzt¬ 
liches Gutachten über die Arbeite- und Erwerbsunfähigkeit des 
durch einen Unfall verletzten Arbeiters die wichtigste Unterlage 
für die Abmessung der Entschädigung, welche er von den Berufs¬ 
genossenschaften nach dem Unfall-Versicherungs-Gesetz erhalten 
soll. Träfe nun das vom Vertrauensärzte der Berufsgenossenschaft 
ausgestellte Gutachten sofort das Richtige, und würde dieses Gut¬ 
achten von beiden Parteien — einerseits von der Berufsgenossen¬ 
schaft, andererseits von dem Verletzten — als zutreffend anerkannt, 
dann wäre die Sache zu allseitiger Zufriedenheit erledigt. Dieses 
Ideal trifft aber in der Wirklichkeit nur höchst selten ein. Viel¬ 
mehr ist es eine allgemein bekannte Thatsache, dass jede Partei 
— die Berufsgenossenschaft und der Verletzte — sich für sie 
günstige ärztliche Gutachten zu verschaffen weiss. Mir ist von 
berufsgenossenschaftlicher Seite mitgetheilt worden, dass gewisse 
Aerzte bei ihnen allgemein in dem Rufe ständen, dass sie für die 
Verletzten sehr günstige Atteste schrieben und — ebenso wird es 
wohl umgekehrt sein, d. h. so manche Aerzte der Berufsgenossen¬ 
schaften mögen wohl in dem Rufe stehen, für die Verletzten zu 
ungünstige Gutachten zu schreiben. Die Berufsgenossenschaften 
einerseits und die zu entschädigenden Verletzten andererseits sind 
eben auf ihren Vortheil bedachte Parteien, und sie müssten Engel 
und keine Menschen sein, wenn sie im Widerstreite ihrer materiellen 
Interessen nicht alle Hebel in Bewegung setzten, um für sich 
möglichst günstige Verhältnisse zu schaffen. Jede dieser Parteien 
bringt für sie günstige ärztliche Gutachten zur Stelle; und da 
nun eine Menge sich widersprechender ärztlicher Atteste vorliegen, 
ertönt und zwar besonders seitens der Berufsgenossenschaften der 
Ruf nach sog. „ärztlichen Obergutachten“. 

Was soll nun da geschehen? Soll etwa wirklich schon hier 
in dieser Entwickelungsphase der Angelegenheit ein Obergutachten 
von einem dem bisherigen Verlaufe der Sache ganz fernstehen¬ 
den Arzte herbeigeschafft werden, oder von einem bisher unbe- 
theiligten beamteten Arzte, oder von einem spezialistischen Pro¬ 
fessor oder endlich von einer Kommission von AerztenP — Ja, 
wer vor allen Dingen soll denn ein solches Obergutachten veran¬ 
lassen? — Der Verletzte hat ganiicht die Mittel dazu. Die 



Zur Frage der „ärztlichen Obergatachten“ bei den Unfall-Verletzten. 607 

Berufsgenossenschaft will vielleicht die Mittel dazu nicht auf¬ 
wenden. Ja, aber selbst wenn auch die eine der streitenden 
Parteien solch’ ein „Obergutachten“ herbeischaffte, dann wüi’de die 
andere Partei, wenn es för sie ungünstig ausgefallen, sich dabei 
noch lange nicht beruhigen! 

Man muss sich doch darüber klar werden — und das ist 
meiner Ansicht nach der Kardinalpunkt in dieser ganzen Frage 

— dass auch ein sogenanntes „ärztliches Obergutachten“ für 
sich allein niemals absolute Autorität haben kann, also an 
und für sich, durch sich selbst, niemals eine Entscheidung herbei¬ 
führen kann. Das ist ein Punkt, welcher bei der Diskussion dieser 
Angelegenheit immer übersehen wird. Ein ärztliches „Ober¬ 
gutachten“ kann immer nur als Unterlage dienen für einen 
Richterspruch, und erst der Richterspruch entscheidet den 
Fall. Daraus folgt dann mit Nothwendigkeit, dass zwischen 
Verletzten und Berufsgenossenschaften eine recht¬ 
lich-verbindliche Auseinandersetzung durch ärztliche 
Obergutachten überhaupt nicht herb ei geführt werden 
kann, sondern — dass vielmehr erst bei dem Verfahren 
vor den Schiedsgerichten ärztliche Obergutachten 
zur Anwendung und Geltung kommen können! 

Wie ist nun das jetzt übliche Verfahren bei den ärztlich 
streitigen Fällen vor den Unfall-Schiedsgerichten? — Das Schieds¬ 
gericht findet in den Akten eines solchen Falles zahlreiche, sich wider¬ 
sprechende ärztliche Gutachten vor; ihm ist die ärztliche Lage des Falles 
unklar, und — nun ist die Praxis verschieden — einzelne Schieds¬ 
gerichts-Vorsitzende requiriren einen weiteren Arzt ihi’es persön¬ 
lichen Vertrauens als Obergutachter, und entscheiden nach dessen 
Gutachten den ärztlich-streitigen Fall, andere Schiedsgerichts- 
Vorsitzende wenden sich an einen hervon-agenden Spezialisten, 
einen Professor, oder an das Medizinal - Kollegium oder die wissen¬ 
schaftliche Deputation für das Medizinalwesen! — Von diesen ver¬ 
schiedenartigen Verfahren der HeiTen Schiedsgerichts-Vorsitzen¬ 
den haben nun alle einzelnen zu den grössten Unzuträglichkeiten 
geführt. Die wissenschaftliche Deputation und die Medizinal- 
Kollegien haben unter Zustimmung des Herrn Ministers die Ab¬ 
gabe solcher Obergutachten in Unfallsachen mit Recht abgelehnt. 

— Ein Spezialist, selbst ein berühmter Professor, kann einen solchen 
streitigen Fall wohl wissenschaftlich ganz richtig beurtheilen, 
aber deshalb noch lange nicht forensisch richtig. Denn es ist 
etwas ganz verschiedenes, einen Fall wissenschaftlich - ärztlich 
beurtheilen und — die richtige forensische Schlussfolgerung daraus 
zu nehmen. Dazu gehört eben noch mehr; einmal die Kenntniss 
der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und sodann ein nach 
dieser Richtung hin geschultes Denken und Uebung. Die ge¬ 
richtlich-medizinische Begutachtung, d. h. die Kunst und dasVer- 
ständniss aus vorliegenden ärztlichen Thatsachen eine forensisch 
richtige Schlussfolgerung zu ziehen, ist keineswegs das Gemein¬ 
gut aller Aerzte. Zum Beweise, wie diese Thatsache selbst in 
weiteren Kreisen des ärztlichen Publikums gefühlt wird, erinnere 



608 


Dr. L. Becker. 


ich daran, dass, aus den Kreisen sehr beschäftigter, Praxis treiben¬ 
der Aerzte, soweit sie nicht speziell Vertrauensärzte von Berufs¬ 
genossenschaften sind, zahlreiche Klagen über die Verpflichtung zm* 
Ausstellung dieser berufsgenossenschaftlichen Atteste aut geworden 
sind. Es wird geklagt, dass die Unfall - Verletzten durch die lange Zeit, 
welche ihre genaue Untersuchung und umständliche und langwierige 
Begutachtung erfordert, die für die Sprechstunde und für die Praxis 
knapp bemessene Zeit übermässig in Anspruch nähmen. — Des¬ 
gleichen klagen auch die Universitäts - Professoren über die Storung 
des klinischen Unterrichts durch die Unfall - Patienten. Die Kranken¬ 
haus - Aerzte verweigern oft geradezu die Begutachtung der Arbeits¬ 
fähigkeit der Unfall-Verletzten als nicht zu ihrem Amte gehörig! 
— Ja, die Kunst und das Verständniss und die Uebung für 
gerichtlich - medizinische Begutachtung ist nicht bei allen Aerzten, auch 
nicht ohne Weiteres bei allen, selbst den sonst berühmtesten 
Spezialärzten vorauszusetzen. Diese Kunst, Verständniss und Uebung, 
das ist eben unsere Spezialität, ein Theil der gerichtlichen 
Medizin, die Spezialität der Medizinal - Beamten; darauf sind wir 
ganz besonders geschult, und diese unsere Spezialität wollen wir 
uns auch nicht nehmen lassen. Es ist daher nur eine billige 
Forderung, die wir Medizinalbeamte, die behördlich berufenen und 
anerkannten gerichtlich - medizinischen Sachverständigen, stellen, dass 
man uns nicht übergehe bei den Begutachtungen der Verletzten 
vor den Schiedsgerichten. Sind wir es doch in erster Linie, welche 
darauf geschult sind, in Form und Inhalt brauchbare Gutachten 
allen Behörden zu liefern. 

Das hauptsächlichste, gewissermassen ideale Erfordemiss 
eines gerichtlich-medizinischen Gutachtens, also hier eines ärzt¬ 
lichen Obergutachtens, ist die allseitige Anerkennung seitens der 
Betheiligten. Und die Betheiligten sind hier ausser den streitenden 
Parteien — also der Berufsgeiiossenschaft und dem Verletzten — 
die Aerzte, welche bereits ein Gutachten in der Sache abgegeben 
haben. Und da ist es, wie bei allen ärztlich - streitigen Sachen 
wohl erwünscht und würdig, wenn zu solchen ärztlichen Ober¬ 
gutachten nicht wieder etwa nur ein einzelner Arzt herangezogen 
wird, dem man gegenüber seinen Kollegen eine gewisse Unfehl¬ 
barkeit vindizirt, sondern es ist dann wohl auch dringend er¬ 
forderlich, dass eine grössere Zahl, eine Kommission von Aerzten, 
das End-Urtheil abgiebt. — So ist es bei den bahnäi’ztlichen 
Obergutachteii in Bayern, so ist es bei den ärztlich - schwierigen 
Fällen in der Armee, und so sollte es auch bei den Obergut¬ 
achten in ärztlich - streitigen Fällen der Unfall-Verletzten vor den 
Schiedsgerichten sein. Das können die ersten ärztlichen Sach¬ 
verständigen, welche sich vorher über den Fall geäussert haben, 
wohl mit Recht verlangen. Mit Recht können aber auch die be¬ 
theiligten Parteien — der verletzte Arbeiter einerseits und die Benifs- 
genossenschaft andererseits — den Anspruch machen, dass Aerzte 
ihres Vertrauens in der Kommission für diese Gutachten mitwirken. 

Wie soll sich nun diese Kommission zur Abgabe ärztlicher 
Obergutachten in Unfallsachen bei den Schiedsgerichten zusammen- 



Zur Frage der „ärztlichen Obergntachten" bei den Unfall-Verletzten. 609 

setzen, um allen Anforderungen sowohl seitens der Behörden, als 
seitens der Aerzte, als auch seitens der betheiligten Parteien Ge¬ 
nüge zu leisten? 

Nun, es ist nur eine Konsequenz der vorhergegangenen Er¬ 
örterungen, wenn es im allseitigen Interesse als dringend wünschens- 
werth erklärt wird, dass diese Kommissionen von dem Vor¬ 
sitzenden der Unfall - Schiedsgerichte zu berufen sind, und dass 
sie sich zusammensetzen aus: 

1. einem von dem Verletzten zu bezeichnenden Arzte seines 
Vertrauens, 

2. einem Vertrauensärzte der betr. Berufsgenossenschaft, 

3. einem Medizinalbeamten, welcher die Geschäfte der Kom¬ 
mission leitet, und nöthigenfalls noch das Gutachten eines Spe¬ 
zialisten zur Berathung der Kommission beibringt, und welcher 
auch das geforderte Gutachten der Kommission ausarbeitet unter 
Berücksichtigung event. Widerlegung der etwa abweichenden An¬ 
sicht eines einzelnen Kommissions-Mitgliedes. 

Bei dieser Zusammensetzung der Kommission wird das Miss¬ 
trauen des verletzten Arbeiters, dass seinen Ansprüchen nicht ge¬ 
nügt wird, beseitigt; sein Vertrauensarzt vertritt ihn ja bei den 
Verhandlungen der Kommission. Die Berufsgenossenschaft ist bei 
dieser Zusammensetzung in der Lage, ihre Interessen und ihre An¬ 
schauung des Falles durch ihren Vertrauensarzt vertreten zu lassen. 
Die Mitgliedschaft des Medizinalbeamten endlich gewährleistet die 
unparteiische Würdigung der gerichtsärztlichen Momente des Falles 
in einer Fom und Fassung, wie sie der Anforderung des Richters ent¬ 
spricht. Der Medizinalbeamte wird auch vermöge seiner umfassen¬ 
den Sachkenntniss die Nothwendigkeit der Berücksichtigung eines 
spezialärztlichen Gutachtens oder eines Beobachtungsberichtes aus 
einem Krankenhause erforderlichen Falles geltend machen und das 
Resultat derselben forensisch verwerthen können. Die Berufung 
der Kommission müsste dann mehrere Tage vor der Sitzung des 
Schiedsgerichts vom Vorsitzenden desselben so stattfinden, dass es 
für jeden Fall den gewählten Medizinalbeamten requirirt, und dem 
Verletzten sowie die betreffende Berufsgenossenscliaft veranlasst, 
ihre ärztlichen Vertreter in das Amtslokal bezw. die Wohnung des 
Medizinalbeamten zu senden, woselbst die gemeinsame Unter¬ 
suchung des Verletzten stattfindet. Nach der Berathung über das 
Resultat der Untersuchung stimmen die 3 Mitglieder der Kommission 
ab, und dann legt der Medizinalbeamte die von ihm auszuarbeitende 
Begründung des Majoritäts-Votums dem Schiedsgerichts-Vorsitzen¬ 
den noch vor der Sitzung als „ärztliches Obergutachten“ über den 
Fall vor. Das Schiedsgericht müsste auch die Kosten dieses Ver¬ 
fahrens tragen. 

So glaube ich, dass die auf dem vorgeschlagenen Wege zu 
Stande gekommenen ärztlichen Obergutachten in Unfallsachen all¬ 
gemeine Anerkennung seitens aller Betheiligten finden werden 
unter Wahrung der Würde des ärztlichen Standes. 



610 


Dr. Wiener: Bomerknngen zur Bangrerhiltniss• Plauderei. 


Bemerkungen zu der Rangverhältnise-Plauderei in Nr. 21 

dieser Zeitschrift. 

Von Geh. Sanitätsrath Dr. Wiener, Kreisphysikus in Graudenz. 

Kollege Doeblin trifft den Kern der Sache, wenn er resu- 
niirt, dass der Kreisphj’^sikus gegen andere Beamtenkategorien 
zurückgesetzt wird. Der Kreisphysikus gehört, wie die Amts- und 
Landrichter, die Königlichen Oberförster, die Kreis - Schulinspek¬ 
toren zur 5. Klasse der höheren Beamten. So gut, wie die letzteren 
Beamtenklassen mit Verleihung einer Titularauszeichnung gewöhn¬ 
lich den Rang der Räthe 4. Klasse erhalten, wäre es recht und 
billig, den Kreisphysikem, die den Charakter „Sanitätsrath“ er¬ 
halten und dann ausnahmslos bereits viele Jahre im Staatsdienste 
stehen, den gleichen Rang zu verleihen. 

Die Meinung des Herrn Regierungsraths aus Schlesien, diese 
Rangerhöhung sei deshalb nicht zulässig, weil dann der Kreisphy¬ 
sikus in gleichem Range mit dem Regierungs - Medizinalrath stände, 
ist unzutreffend, da letzterer wirklicher Rath der 4. Beamten¬ 
klasse ist, nicht blosser Titularrath. Die höhere Stellung desselben 
erleidet hierunter keine Einbusse, ebensowenig wie die des Ober¬ 
landesgerichts-Präsidenten, der immer der Vorgesetzte des Land¬ 
gerichtspräsidenten bleibt, auch wenn letzterer durch Verleihung 
des Charakters Geheimer Ober-Justizrath in den Rang der Räthe 
2. Klasse tritt; denn ersterer ist wirklicher Rath der 2. Be¬ 
amtenklasse, während der Landgerichts-Präsident mit dem Cha¬ 
rakter Geh. Ober-Justizrath nur den Rang der Räthe 2. Klasse 
hat, Titularrath ist. Die wirklichen Räthe haben eben den Vor¬ 
rang vor den Titularräthen (Königl. Verordnung vom 7. Febr. 
1817, §. 7, 1). 

Kollege Doeblin berührt im Verlaufe seiner Plauderei auch 
den amtlichen Schriftenverkelir und meint, dass selbst der Cha¬ 
rakter des „Geh. Sanitätsrath“ die Bezeichnung „Hochwohlgeboreu“ 
nicht bedingt. In der That sind über diesen Punkt selbst Regie¬ 
rungs - Medizinalräthe verscliiedener Ansiclit. Als ich den Titel „Geh. 
vSaiiitätsrath“ erhalten, wurde in der ersten Zeit im Schriftwechsel 
von der Regierung ganz regelmässig „Hochwohlgeboren“ ge¬ 
schrieben, die lithograplürten Rundverfügungen an die Physiker 
zeigten einen Stricli, darüber „Hochwohlgeboren“, unter dem Strich 
„Wohlgeboren“, woraus zu folgern, dass sich erstere Ansprache 
auf den Geh. Sanitätsrath, letztere auf die übrigen Physiker bezog. 
In neuerer Zeit finde ich in Verfügungen an mich theils „Hoch¬ 
wohlgeboren“, theils „Wohlgeboren“. Wenn es schon a priori nicht 
recht denkbar ist, dass ein Königlicher und im Dienste bereits 
ergrauter Geheimrath nicht ebensoviel sein soll, als der jüngste 
Assistensarzt II. Klasse oder als der Amtsrichter, der Kreis - Schul¬ 
inspektor mit dem „Rathstitel“, so hebt über jeden Zweifel die 
oben erwähnte Königl. Verordnung vom 7. Februar 1817 „betreffs der 
den Zivilbeamten beizulegenden Amtstitel und der I^ngordnung 
der verschiedenen Klassen derselben“ hinweg. Darnach zerfallen 
die Tituläturräthe in 2 Klassen. Zur ersten Klasse gehören: die 



Kleinere Mittheilongen and Referate aus Zeitschriften. 


611 


Legationaräthe, die Geheimen Justiz-, Finanz-, Kriegs-, Polizei-, 
Regierungs-, Hof-, Kominerzien- und Kominissionsräthe. Zur zweiten 
Klasse: die Justiz-, Finanz-, Kriegs-, Polizei-, Forst-, Hof-, Kom¬ 
inerzien-, Kommissions- und Amtsräthe. 

Allerdings finden sich in dieser Aufzählung die Geheimen 
Sanitätsräthe und Sanitätsräthe nicht aufgefülirt, was aber darin 
seinen natürlichen Grund hat, dass 1817 diese Kategorie von Rathen 
noch nicht existirte. Früher nämlich erhielten die einer Auszeich¬ 
nung würdigen Kreisphysiker den Charakter „Hofi'ath“ und „Geh. 
Hofrath“. Erst durch Allerhöchste Verordnung vom 22. August 
1840 wurde ihnen der Titel „Sanitätsrath“ bezw. „Geh. Sanitäts¬ 
rath“ verliehen und gleichzeitig den Hofräthen etc. gestattet, an 
Stelle dieses Titels den Sanitätsrathstitel etc. zu führen, wenn sie 
darum ansuchen. Die gegenwärtigen Sanitäts- und Geh. Sanitäts¬ 
räthe sind demnach dasselbe, was die früheren Hof- und Geh. Hof- 
räthe waren. 

Nach §. 6 der Königl. Verordnung vom 7. Februar 1817 ran- 
giren die Titularräthe I. Klasse, wenn sie bei den Ministerialbe- 
hörden fungiren, zwischen den Regierungsdirektoren*) und wirk¬ 
lichen Regierungs- und Oberlaudesgerichtsräthen, sonst aber nur 
mit letzteren. Zu den Titulatuiräthen I. Klasse gehören auch 
die Geh. Hofräthe, sie rangiren also mit den wirklichen Regierungs¬ 
und Oberlaudesgerichtsräthen und haben dadurch eo ipso den 
Rang der Räthe 4. Klasse, welchen das „Hochwohlgeboren“ 
zusteht. Und da die früheren Hof- und Geh. Hofräthe durch Um¬ 
wandlung des Titels in Sanitäts- und in Geheime Sanitätsräthe 
eine Degradation gewiss nicht erfahren sollten und erfahren haben, 
so steht den Geheimen Sanitätsräthen das „Hochwohlgeboren“ un¬ 
zweifelhaft zu. 

Gleichfalls nach §. 6 1. c. rangiren die Titularräthe 11. Kl., 
unter denen auch die Hofräthe aufgeführt stehen, unmittelbar nach 
den wirklichen Regierungs- und Oberlaudesgerichtsräthen und vor 
den Assessoren. Es haben demnach die früheren Hof-, jetzigen 
Sanitätsräthe höheren Rang als die Assessoren, wenn ihnen auch 
das „Hochwohlgeboren“ nicht zukommt, weil ihnen der Rang der 
Räthe 4. Klasse nicht zugleich verliehen wird. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. G e r i c h tl i ch e M e (i i z i n. 

Zur Fraj 2 :e der Entmüiidigiing der Geisteskranken und der Aiif- 
nalimebedinj;^iin^j:en in eine Irrenanstalt. Von E. Mendel. Deutsche me¬ 
dizinische Wochenschrift, 1892, Nr. 36 

Der Verfasser tritt in der obigen Abhandlung jenem „Aufruf“ entgegen, 
welcher am 9. Juli 1892 in der „Kreuzzeitiing“ erschien**) mit der Unterschrift 
mehrerer hervorragender Professoren des Rechts und einer Anzahl von Mitglie¬ 
dern des preussischen Landtages versehen, und in welchem bezüglich der Ent¬ 
mündigung Geisteskranker wie der Aufnahme in die Irrenanstalten gefordert 
wurde: 


*) Jetzt Ober-Regierungsräthen. 

**) Vergl. Nr. li der Zeitschrift, 8. 370. 



612 


Kleinere Mittbeilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


1) Entscheidnnp: über jede Entrattndijmng wegen Geisteskrankheit dnrch 
eine Kommission unabhängiger Männer, die das Vertrauen ihrer Mitbürger 
geniessen. 

2) Entscheidung über jede Intemimng in eine Irrenanstalt durch eben 
solche Kommissionen. Nur in dringenden Nothfällen, wo es sich um einen plötz¬ 
lichen, in gefahrdrohender Weise hervortretenden Ausbruch einer Geistesstörung 
handelt, soll durch die Polizei oder den Nächstbetheiligten die Ueberführung in 
eine Irrenanstalt vorgenommen werden können und die Prüfung nachträglich 
stattfinden. 

8) Schärfere Kontrole der Irrenanstalten, insbesondere der privaten. 

Bekanntlich ist das Verfahren über die Entmündigung Geisteskranker und 
die Wiederaufhebung der Entmündigung durch die Civilprozessordnung vom 
1. Oktober 1879 geregelt und es leuchtet ein, dass die Entmündigung nicht 
lediglich von dem „freien Ermessen des Richters“ oder von dem Gutachten des 
von letzterem oder der Polizeibehörde beauftragten „Sachverständigen“ abhängt 
(event. von einem Medizinalkollegium und auch von der Wissenschaftlichen De¬ 
putation für das Medizinalwesen), und man sollte glauben, dass hier alle Ga¬ 
rantien dafür gegeben sind, dass nicht ein Geistesgesunder entmündigt wir<L 
Oft genug schon sind die ärztlichen Sachverständigen in foro bei Geisteskranken 
Gegenstand des Angriffs gewesen und Mendel erinnert daran, dass schon Kant 
in seiner Anthropologie §. 49 gefordert habe, die Entscheidung der Frage, ob 
ein Verbrecher geisteskrank sei oder nicht, der philosophischen Fakultät zu über¬ 
weisen und nicht der medizinischen. Unter diesem Einfluss der Kant’schen 
Anschauung sei z. B. der Lizentiat der Theologie Rüsau in Hamburg, welcher 
seine Frau und vier Kinder ermordete, von den Gerichtsärzten für geisteskrank, 
von dem Direktor der Gelehrtenschule für gesund erklärt, mit dem Rade hin¬ 
gerichtet worden. Auch der Advokat E. Regnault hielt 1828 jeden Menschen 
von gesundem Verstände für eben.so tüchtig, einen zweifelhaften Gemüthszustand 
zu beurtheilen, wie Pinel und Esquirol, zumal er vor diesen noch den Vor¬ 
zug habe, frei von jedem wissenschaftlichen Vorurtheil zu sein. Dass unter Um¬ 
ständen ein Blick in das Auge, das starre Pupillen hat, ein einziges von dem 
Kranken ausgesprochenes Wort, ein Klopfen auf die Sehne der Kniescheiben, 
eine schwere Krankheit des Gehirns diagnostiziren lässt, bei dem auch die Stö¬ 
rung der geistigen Thätigkeit in der Regel nicht fehlt, so dass der Psychiater 
in solchen Fällen den den Kranken begleitenden Angehörigen das krankhafte 
geistige Leben des soeben erst Eingetretenen schildern kann, ehe er selber noch 
irgend einen Bericht darüber erhalten hat, sei den Herren jenes „Aufrufes** 
sicher unbekannt. Was hier der Psychiater in wenigen Augenblicken feststellt, 
würden jene „unabhängigen Männer“ vielleicht nach einigen Wochen, nachdem 
sie eine grössere Zahl von Zeugen vernommen, entdecken und der Kranke habe 
inzwischen die grösste Noth über seine Familie gebracht. 

Bezüglich der Forderung, dass die Entscheidung über jede Intemimng in 
eine Irrenanstalt von einer Kommission unabhängiger Männer ausgehen müsse, 
bemerkt Mendel, dass zwar die Aufnahmetörmalitäten in den verschiedenen 
Staaten Deutschlands verschieden seien, dass aber alle einen grösstmöglichsten 
Schutz dagegen erstreben, dass nicht ein Geistesgesuiider in eine Irrenanstalt ge¬ 
lange und seiner Freih(‘it beraubt werde. Es müssten auch schon, um solches 
Verbrechen durchzuführen, der Arzt, welcher das Attest zur Annahme ausstellt, 
mit dem Direktor der Anstalt sich zur Ausführung des Verbrechens verbinden, 
das vor den Augen der Assistenzärzte der Anstalt, von den Wärtern und 
Rekonvaleszenten hegauiren wird. 

Wenngleich die Irreminstalten in dem Aufruf nur als „Interairungsanstalten“ 
bezeichnet werden, so seien sie doch wesentlich ..Krankenhäuser“, und die Er¬ 
fahrung habe es bestätigt, dass die H(ulung eines Geisteskranken um so eher 
erfolge, je früher er der Anstalt übergeben werde. Man sollte daher bei dem 
Vorurtlieil, welches z. Z. noch gegen diejenigen Personen herrscht, welche der 
Aufnahme in eine Irrenanstalt bedürfen, und wo die Angehörigen eine möglichst 
sekrete Beliaiidluug jener Aiigeh‘genheit zu beobachten wünschen, nicht noch die 
Aufnaluiietöruialitäten durcli eine Kommission erschweren, der man den Kranken 
vortührt, ahgeselnui davon, dass es eine Grausamk(‘it s(‘i, z. B. einen Melancholiker, 
der sich für einen Missetliäter halte, fürchte bestraft zu werden u. 8, w., vor 
eine Jury zu stellen und die Wahnvorstellungen noch zu bestärken und so die 
Heilung zu erschweren, ja vielleicht unmöglich zu machen. 



Kleinere Mittheilnngen und Referate aiif> Zeitschriften. 


613 


Eine schärfere Kontrole besonders der Privatirrenanstalt hält der Ver¬ 
fasser für sehr angezeigt und bemängelt die geringe Höhe der zur Verfügung 
stehenden Mittel für häufigere Revisionen der Irrenanstalten durch die Kreis- 
bezw. Stadtphysiker. Nach seiner Ansicht würde am zweckmässigsten eine 
staatliche Behörde für jede Provinz zu beschaffen sein, deren Zusammensetzung 
folgende sein müsste: 1. ein Irrenarzt (am besten der Direktor einer öffentlichen 
Irrenanstalt); 2. der Ereisphysikus des Bezirkes, in welchem die Irrenanstalt 
liegt, welcher auch in der Zwischenzeit zwischen den Revisionsterminen speziell 
die hygienischen Verhältnisse zu überwachen hätte; 3. ein Jurist, sei es ein 
Richter oder ein Beamter der Staatsanwaltschaft. 

Die Anzahl der in jeder Anstalt vorzunehmenden alljährlichen Revisionen 
festzustellen, müsste den betreffenden Kommissionen überlassen bleiben, wenn 
auch eine bestimmte Mindestzahl von vornherein obligatorisch gemacht werden 
müsste. Dadurch, dass die Namen jener Kommissionsmitglieder öffentlich bekannt 
gemacht würden, hätten auch die Unterzeichner des Aufrufes vorkommenden 
Falls Gelegenheit, die Frage, ob ein von ihnen gesund gehaltener Mensch als 
Geisteskranker in einer Irrenanstalt „intemirt“ gehalten würde, durch un¬ 
parteiische Männer untersuchen zu lassen. Freilich hätte jene Kommission in 
den Augen jener Herren den Fehler, von der Angelegenheit, zu deren Entschei¬ 
dung sie berufen wird, etwas zu verstehen. Dr. Dütschke-Aurich. 


Ueber Tetanie bei Kohlendunstvergiftung. Von Dr. Voss. Vor¬ 
trag gehalten im Greifswalder medizinischen Verein. Deutsche medizinische 
Wochenschrift, 1892, Nr. 40. 

Folgenden in mehrfacher Beziehung interessanten Fall von Kohlenoxyd¬ 
vergiftung hatte Verfasser Gelegenheit in der medizinischen Klinik zu Greifs¬ 
wald zu beobachten; Es handelte sich um die Familie eines Steinschlägers, dessen 
3 Kinder vor sieben Jahren Typhus überstanden hatten. Während das älteste 
Kind vollständig genesen war, hatten die beiden jüngeren Knaben eine Neigung 
zu Darmkatarrhen bei Diätfehlem behalten. In den letzten Wochen vor der 
Vergiftung sollen nach Angabe des Vaters die Söhne mit einem solchen Katarrhe 
behaftet gewesen sein. In der Nähe des mit Kohlen geheizten Ofens, dessen 
Thüre und Klappen 8 Uhr Abends geschlossen wurden, schliefen die Eltern; an 
der Wand, dem Ofen gegenüber, führt eine Thür in die Kammer, dem Schlaf- 
raum der Söhne. Die Verbindungsthür stand in der Nacht weit offen. Morgens 
6V* Uhr erwachte der Vater und fand sich an der Erde liegend, mit heftigen 
Kopfschmerzen; er schleppt sich mit Mühe bis vor die Thüre und rief die 
Nachbarsleute. Diese fanden den ältesten Sohn von 16 Jahren mit Schaum vor 
dem Munde todt liegend, den jüngeren 12jährigen, schwach röchelnd; letzterer 
wurde in die Klinik gebracht. Nach Anwendung von Reizmitteln verschiedenster 
Art wurde Patient in ein lauwarmes Bad von 28® und dann in ein warmes Bett 
gebracht; andauernde Bewusstlosigkeit. Um 11 Uhr Vormittags trat ein Er¬ 
regungszustand auf, dabei wurde bemerkt, dass bei Druck auf die Haut langsame 
Kontraktion der betreffenden Muskulatur erfolgte. Tetanische Kontraktion der 
Muskulatur der oberen Extremitäten in halber Beugung und Adduktion, Trismus. 
®/4 Stunden später kam wieder ein charakteristischer Anfall zur Beobachtung: 
Hand im Handgelenke und Metacarpophalangealgelenke gebeugt, in den Inter- 
phalangealgelenken gestreckt; Trismus, Facialiskrampf, Stirn gerunzelt, Mund 
nach vom gezogen. Nackenmuskulatur nicht aifizirt. Äthmung durch Betheili¬ 
gung der Athemmuskulatur sehr erschwert. Die Anfälle wurden immer häufiger; 
Lungenödem, Exitus um 4 Uhr Nachmittags. — Sektionsresultat; Lungenödem, 
frische Bronchopneumonie, nicht ganz frische Schwellung der Follikel der Darm¬ 
schleimhaut, der Peyer’schen PJacques, der Lymphdrüsen im Mesenterium, der 
Milz. Im Hirn und Rückenmark nichts pathologisches. Bei dem todt aufge¬ 
fundenen Bruder dieselben Befunde. Im Blute des Aeiteren wurde CÜ-Haemo- 
globin, wenn auch relativ schwach, nachgewiesen, dagegen nicht bei dem jüngeren 
Bruder. In den aus Milz und Lymphdrüsen angelegten Kulturen entwickelten 
sich keine Kolonien von Typhusbazillen. 

Man könnte zuvörderst daran denken, dass man es mit Typhus zu thun 
habe, es spricht jedoch dagegen, dass sich die Kinder vor der Vergiftung völlig 
wohlbefunden haben und das negative Resultat der Kulturversuche. Die Be¬ 
funde im Darme erklären sich leicht aus dem oben erwähnten Darmkatarrhe. 
Für CO-Vergiftung sprechen vorAUem die charakteristischen Zeichen; immerhin 



614 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus 2ieitschriften. 


kann es sich nur um die Aufnahme von geringen Mengen des Giftes gehandelt 
haben. Dies beweisen die sehiielle Wiederherstellung der Eltern und die vorher 
erwähnten spektroskopischen Befunde. Ferner zeigt der Fall wieder deutlich, 
dass Kinder für CO viel empfänglicher sind als Erwachsene; denn die Söhne 
hatten in dem Nebenzimmer, die Eltern in der Nähe des Ofens geschlafen. — 
Es sind nun bei dem Knaben Krämpfe beobachtet worden, die in ihrer Summe 
das Symptomenbild der Tetanie ausmachen: nämlich tonisch-intermittirende 
Krämpfe der Extremitäten —, Gesichts- und in geringem Grade der Kaumuskulatur. 
An den Extremitäten waren hauptsächlich die Flexoren, Pronatoren, Adduktoren 
befallen; Patcllarrellex normal, v. Frankl-Hochwart hebt in seiner Mono¬ 
graphie über die Tetanie hervor, dass mau zunächst ein spezifisches Agens für 
das Entstehen des Tetanie anuehmen, sodann aber als Aetiologie der übrigen 
Fälle Kropfexstirpation, Magen- und Darmkatarrh, Vergiftungen mit Infektions¬ 
krankheiten aufstellen müsse. Bei Kindern kommen hauptsächlich Magen- und 
Darmkrankheiten in Betracht, so dass man in vorliegendem Falle an die 
Kombinationen zweier ätiologischen Momente denken kann und zwar dass der 
Kohlendunst durch die Schädigung des zentralen Nervensystems eine erhöhte 
Erregbarkeit desselben bewirkt und dass die Darmaffektion die tetanLschen 
Krämpfe dann aiisgelost hat. Man wird somit annehmen können, dass trotz der 
geringen Menge des eiugeathmelen CO-Gases der Tod dadurch erfolgte, dass 
durch Reflexeinwirkuug des erkrankten Darmes auf ein durch die Intoxikation 
in erhöhte Erregbarkeit versetztes Centralnervensystem tetanische Krämpfe aua- 
gelöst wurden, die auf die Athmungsmuskulatur übergingen und so den Tod im 
Gefolge haben mussten. Dr. Israel-Medenau (Ostpr.). 


Ueber die Obliteration derNabelgefässe. Von ArrigoTomassia. 
Gerichtlich - medizinische Studie. Rivista veneta. Nov. 1891. Nach einem Refer. 
der Allg. nied. Zentralzeitung; 1892, Nr, 60. 

Verfasser stellte sich die Aufgabe zu untersuchen, ob sich aus dem Grade 
der Obliteration der Art. und Vena umbilicalis und ih^er Umwandlung zum 
Ligam. hepat rotund. resp. Ligam. vesic. lat. Rückschlüsse auf die Zeitdauer des 
extrauterinen Lebens der Kinder machen lies.se. Zu diesem Zwecke hat er an 
einer Reihe todtgeborener bezw. frühverstorbencr Kinder die histologischen Vor¬ 
gänge mit folgendem Resultate studirt: Dauert das Leben auch nur einige 
Stunden an, so nimmt, in Folge starker Kontraktion der muskulösen Hänte, 
Lumen der Gefässe, der Art. sowohl wie der Vene, eine gezähnte fast stern¬ 
förmige Zeichnung an, während zugleich der Eudothelbelag der Arterie ein 
opakes Aussehen bekommt, das mit dem Fortschreiten der Obliteration immer 
deutlicher auftritt. Die Blutcoagula, welche beide Gefässe mehr oder weniger 
vollkommen ausfüllen, fangen vom 4. Lebenslage an allmählich abzublassen und 
zeigen am 5. Tage schon deutlich einen Stich ins Gelbliche. Auch sieht man 
von diesem Tage ab bereits sich eine lose Adlmerenz zwischen dem ursprünglich 
frei im Lumen liegenden Coagulum und der Gefä.sswand herausbilden. Vom 
12. Tage ab leitet sieh in der Art. der charakteristische Vorgang der Organi¬ 
sation des Thrombus ein und dementsprechend wird das Lumen des Gelasses 
fortschreitend enger. In der Vene ist der Vorgang ein verschiedener, je nach¬ 
dem das Lumen frei von Blutgerinnsel ist, in welchem Falle der Verschluss 
durch Proliferation des Endothelbelages zu Stande kommt, oder ebenfalls von 
einem Coagulum angefüllt würd, was nicht selten ist. In letzterem Falle ähneln 
die histologischen Vorgänge denen in der Arterie, sowohl bezüglich der Organi¬ 
sation, als auch hinsichtlich der Veränderung der Farbe, die mit der Zeit immer 
mehr rothgelbe Töne in sich aufnimmt. Am 45. Tage ist durch die vollständige 
Organisation des Thrombus das Lumen der Art. meist geschlossen und ihre Um¬ 
wandlung in ein Ligament perfekt geworden, von dem sich nur noch mühsam 
die einzelnen Gefässliäute unterscheiden lassen. Aehnlich verhält es sich mit 
der Vene, die sei es durch den Prozess der Thrombeuorganisation, sei es durch 
Verklebung der gewucherten Endothelien gleichfalls ihren Gefässcharakter ver¬ 
loren hat und zu einem soliden Strange geworden ist. Wenn man aber um 
diesen Zeitpunkt d. h. also 6 Wochen nach der Geburt nicht selten noch an 
einer punktförmigen Zeichnung auf dem Gefässdurchschnitt das ehemalige Lumen 
erkennen kann, so pflegt der letztere am 60. Tage ausnahmslos und gänzlich 
verschwunden zu 

Es liegt aut der Hand, dass sich zwischen den Nabelschuurgefössen eines 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


615 


todtgeborenen Kindes und eines solchen, das nur kurze Zeit extrauterin gelebt 
hat, neaneuswertbe Unterschiede nicht werden aufstellcn lassen, die etwa in 
forensischer Hinsicht zu verwcrthen wären. So vermag der Befund an der 
Nabelschnur die bisherigen Zeichen, also auch die Lungcnpiobe, nicht zu ersetzen. 
Aber auch für die Feststelhiiig des vorgcschriiTenen Alters der Neiigeboremm 
werden sich die Befunde nur vorsichtig auwenden lassen, da derZu-tand der Er¬ 
nährung vielfach das Bild ändern wird. Ders. 


Lässt sich an der abgegangenen Frucht die Frnclitabtreibuiig 
erweisen? Von Dr. Dölger. Friedreichs Blätter, 1S92, Heft III. 

Es ist dies nur möglich, wenn sich au ihr Verletzungen vurfiuden, welche 
durch das eingeführte Werkzeug beigebracht wurden und es sind in der Litterat»ir 
Fälle veröffentlicht, wonach Stichverletzungen am vorliegenden Kiudestheile be¬ 
wirkt worden sind. Die mannigfaltigsten Verletzungen des Fötus vor der 
Geburt sind durch zufällige Einwirkung stumpfer äusserer Gewalten, wie 
Schlag, Stoss, Tritt, Fall hervorgerufen worden, an welche sich vorzeitige Geburt 
anschloss. 

Wenngleich anzuuehmen ist, dass Gifte durch den Placentar-Kreislauf 
auf den Fötus übergehen und vergiftend wirken können, so ist der sichere 
Beweis dieser Wirkung durch chemische Reaktionen und ähnliches nicht zu er¬ 
bringen. Zumal Opium soll in für die Mutter ungefährlichen Dosen den Tod 
des Fötus zur Folge haben können. Von den als Fruchtabtreibungsmittel be¬ 
kannten Stoifen ist als auf den Fötus übergegangen bislang nur Jodkalium 
erwiesen. 

Dass die Zerreissung der Eihäute für eine beabsichtigte Fmchtabtreibung, 
zumal in den ersten Wochen, beweisend sei, ist nicht anzunehmen, wenngleich 
das Ei in den ersten Wochen in der Regel ganz ausgcstossen wird. 

_ Dr. Rump- Osnabrück. 


Verlust des erkrankten Augapfels. Von Dr. H. Kornfeld, Kreis- 
physikus in Grottkau. Friedreichs Blätter, 1892, Heft II. 

Der Arbeiter W. hatte von Kindheit an rechts ein Glotzauge, dessen Seh¬ 
kraft durch Verbrennen mit Kalk verloren ging. Nach einer Misshandlung lief 
das Auge aus und es blieb ein erweichter trüber Rest am Grunde des Aug¬ 
apfels (Pthisis bulbi). Zu der Frage der „Entstellung“ behauptete die Ver- 
theidigung, dass der W. früher durch die Entartung des Augapfels erheblicher 
entstellt gewesen sei, als jetzt. Der Sachverständige erklärte den Verlust des 
Augapfels als eine gröbere Entstellung, weil die leere knöcherne Augenhöhle au 
etwas Todtes, Skelettartiges erinnere, welches für den Beobachter abstossender 
wirke, als der befruuidende Eindruck durch ein krankes, aber vorhandenes Ge¬ 
bilde. Auch ein künstliches Auge, vorausgesetzt, dass der W. in der Lage sei, 
sich ein solches anzuschaffen, ändere daran wenig, zudem sei nicht vorher zu 
entscheiden, ob Reizzustäiide das Tragen künstlicher Augen gestatten. 

Nach einem Erkenntniss des Reichsgerichtes am 1. Oktober 1886 verliert 
eine erhebliche Entstellung diese Eigenschaft nicht dadurch, dass sie durch 
künstliche Mittel nicht oder nicht leicht erkennbar gemacht wird. Entscheidend 
ist nur, ob der entstellte Körpertheil nach den natürlichen und sozialen Ver¬ 
hältnissen des Verletzten derart bedeckt zu werden pflegt, dass der Mangel als 
wesentliche Entstellung nur unter besonderen Verhältnissen nach aussen er¬ 
kennbar ist und als solcher empfunden wird. Ders. 


B. Hygiene und öffentliches Sanitätswesen. 

lieber Cholera, mit Berücksichtigung der jüngsten Cholera-Epi¬ 
demie in Hamburg hielt Gcheimrath v. Pettenkofer am 12, v. M. in einer 
ausserordentlich zahlreich besuchten Sitzung des ärztlichen Vereins zu München 
einen höchst interessanten Vortrag, in dem er mit Entschiedenheit den von ihm 
seit Jahren angenommenen lokali^ffischen Standpunkt vertritt. Er geht aller¬ 
dings nicht so weit, wie manche andere Lokalisten, die den Koch’schen Komma- 
bazill nur als eine belanglose, wenn auch regelmässige Begleiterscheinung des 
('holeraProzesses ausehen, aber er hält daran fest, dass das Zustandekommen der 
Cholera keineswegs allein von diesem Kraukheitskeime, sondern vor allem von 



616 


^[leiuere Mittheilimgen und Referate aua Zeitschriften. 


dem Einflusse der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse und der individuellen EHs- 
position abliäiijj^ig sei. Die Aetiologie der Cholera erscheint ihm als eine mathe¬ 
matische Gleichung mit den unbekannten Grössen x = Krankheitskeim, y = 
örtliche und z — individuelle Disposition, deren völlige Auflösung der Forschu^ 
bisher noch nicht gelungen sei. Die Ansicht der Kontagionisten, die lediglich 
in dem Kommabazill die Ursache der Cholera erblicken und nur noch eine indi¬ 
viduelle Disposition verlangen, sei zwar sehr einfach und leicht verständlich, 
stehe aber mit den epidemiologischen Erfahrungen in Widerspruch, insbesondere 
mit der Tliatsache, dass es nicht blos choleraimmune Menschen, sondern auch 
choleraiinimuie Orte und selbst in für Choleraepidemien empfänglichen Orten 
wieder immune Zeiten giebt, wo das x und z, also eingeschleppte CholeraföUe 
und disponible Mciiselien, zugegen sind, ohne dass sich die Seuche epidemisch 
ausbreitet. Dies zu erklären, sei nur durch die Annahme einer örtlichen 
und zeitlichen Disposition (y) möglich. Bodenschaffeuheit und Feuchtigkeit 
des Bodens spielen nach Pettenkofer’s Ansicht eine wesentlich grössere 
Bolle bei der Ausbreitung der Cholera als der Kommabazill, der das Krank¬ 
heitsgift weder in Orten, die ständig choleraimmun sind, noch in Orten, die, 
wenn zeitweise auch für Cholera empfänglich, doch zur Zeit nicht für Cholera 
dispouirt sind, erzeugen köüue. Das regelmässige Vorkommen des Kommabazill 
in den Cholerastühlen weise nur darauf hin, dass der Pilz mit dem Krankheits¬ 
prozess etwas zu thun habe; dass er jedoch die alleinige Ursache desselben 
bilde, sei durch Experimente bisher nicht bewiesen, denn nur die an Menschen 
gemachten Infektioiisversnche mit Kommabazillen können als unbestreitbar, ein- 
wurfsfrei und entscheidend für diese Frage sein; solche Versuche liegen aber 
bislang nicht vor. 

Um die Richtigkeit seiner Auffassung zu beweisen, hat sich Pe ttenkof er 
mit Rücksicht darauf, dass Miincbeu z. Z. als cholera-immun anzusehen war, 
nicht gescheut, an seinem eigenen Körper einen Infektions versuch mit Cholera¬ 
bazillen anzustellen. Er nahm am 7. Oktober d. J. zu diesem Zwecke 1 ccm. 
einer noch nicht 24 Stunden alten Bouillonkultur, die aus einer von Prof. 
Dr. Gaffky aus Hamburg bezogenen frischen Agarkultur gewonnen war, mit 
1 gr. doppelkolilensaurem Natron in 100 ccm. jM unebener Leitungswasser ein, und 
zwar 2^4 Stunden nach seinem gewöhnlichen, aus einer Tasse Cbokolade 
mit zwei weichen Eiern bestehenden Frühstück. Nach zwei Tagen trat 
Diarrhoe unter starkem Kollern iin Unterleibe ein, die bis znm sechsten 
Tage anhielt. Die Zahl der täglichen tlüssigeii Stuhlgänge betrug 4—5; die 
bakteriologische Untersuchung derselben ergab eine gewaltige Vermehrung der 
in den Darm gelangten Uholeral)azill(‘u. Das Allgeiueinbelinden Pette nkof ers 
war während der ganzen Zeit so ungest(>rt, dass er seine Arbeit in gewohnter 
Weise verrichten konnte. Auch seine Ernährung blieb ira Allgemeinen unver¬ 
ändert, nur vom dritteu Tage ab wurde an Stidle des Bieres Rothwein (theil- 
weise als Glühw’ein) getrunken und ziemlieh viel Schleimsuppen gegessen, um 
den Darm weniger zu reizen. 

Dem Beispiele seinc^s Lehrers folgte am 17. Oktober Prof. Dr. E mmerieh, 
der jedoch nur deu zehnten Tlieil der von Pettenkofer genommenen Quantität 
(0,1 ccin.) einnahin, nachdem er 2 Stunden vorher 2 Tassen Kaffee mit Milch 
und Kuchen als Frülistück genossen hatte. Am Abend desselben Tages machte 
er dann absichtlich einen Diäifehler ((lenuss von 3^» Liter Bier und Zwetschen¬ 
kuchen), um das Zustandekommen di^s durch die Kommabazillen angeblich ver¬ 
ursachten Cln)leraprozesses zu unterstützen. Die Wirkung der zehnfach geringeren 
Giftdusis blieb aueb niclit aus und äusserte sieh schon am nächsten Tage in drei dünnen 
Stuhlgängen, denen in der darauftölgenden Nacht bereits drei „Reiswasserstühle^ 
folgten. Am zweiten Tage stieg die Zahl dieser „Reiswasserstühle“ auf 15—20, es 
stellte sich grosser Durst und Heiserkeit (vox cholerica) ein, so dass sich Emmerich 
veranlasst sah, Gelieimrath v. Ziemssen zu kousultiren, der ein Klystier mit 
15 gr Tiuct. Opii sinipl. und drei aus Acid. üinuic. (0,1) und Pulv. Opii (0,01) 
bestehende Pulver verordnete. Trotzdem setzten sich die Durchfälle noch fort 
und erst nach z\vei Tagen war das Befinden wieder normal. Der Appetit war 
während der Zeit vorzüglich, Fiebererscheinungen oder sonstige Störungen des 
Allgemeinbefindens fehlten. Kommabazillen fanden sich in den Entleerungen 
schon 24 Stunden nach der Infektion und traten in den Reiswasserstühlen in 
Form von Reinkulturen auf; noch am 11. Tage waren Bazillen nachweisbar. 

Pettenkofer glaubt aus diesen beiden an sich selbst und von Prof. 



Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 


617 


Emmerich gemachten Versuchen den Schloss ziehen zn dürfen, dass 
der Kommabazill durch ein Leben im Darme das spezifische, die asiatische 
Cholera hervorrufende Gift nicht erzeuge. Jedenfalls ein höchst gewagter 
Schluss, denn jeder vorurtheilsfreie Beobachter wird aus dem inPettenkofer’s 
Vortrage geschilderten Krankheitsbilde nur den Schluss ziehen können, dass die 
Infektion bei ihm eine regelrechte Choleradiarrhoe und bei E m me rieh einen aus¬ 
gesprochenen Choleraanfall hervorgerufen hat. Beide Erkrankungen können nur 
als neuer Beweis für die spezifische Wirkung des Kommabazills dienen und 
Pettenkofer wird wenig Glück damit haben, wenn er sie für die Richtigkeit 
seiner Auffassung ins Feld führt. Dazu kommt, dass beide Forscher den an sich 
selbst gemachten Versuch keineswegs der natürlichen Infektion entsprechend 
ausgeführt haben; denn dann hätte z. B. das doppeltkohlensaure Natron nicht 
mit der Cholerakultur, sondern schon vorher und in weit grösserer Dosis ein¬ 
genommen werden müssen, um die Magensäure hinreichend abzustumpfen. Im 
Interesse der Wissenschaft können wir uns nur freuen, dass nicht völlig lege 
artis verfahren ist und dass Pettenkofer sowohl wie E m m e r i c h nur geringe 
individuelle Disposition für das [Choleragift zu besitzen scheinen; ihr opfer¬ 
freudiges, muthiges Vorgehen, ihre feste wissenschaftliche Ueberzeugungstreue 
wäre ihnen sonst vielleicht theuer zu stehen gekommen. Prof. Emmerich 
dürfte es gewiss schon diesmal bei der prompten Wirkung der angeblich un¬ 
schädlichen Kommabazillen so unbehaglich zu Muthe geworden sein, dass er nach 
einem zweiten Versuch keine Lust verspüren wird; wie man bei seinem Krank¬ 
heitsbilde noch von „ungestörtem Allgemeinbefinden“ reden kann, ist schwer 
begreiflich. 

Wenn der Altmeister der epidemiologischen Forschung, um mit Emmerich’s 
Worten zu reden, mit der kaltblütigen Ruhe des den Schierlingssaft trinkenden 
Sokrates den Giftbecher mit den Kommabazillen geleert hat und er in Folge 
dieses bewundernswerthen Experimentes als Heros der Wissenschaft von seinen 
Schülern gefeiert wird, so sind wir leider nicht in der Lage, in diesen Jubel 
einzustimmen. Hoffentlich findet der von ihm eingeschlagene Weg, die Wir¬ 
kung pathogener Bazillen au Menschen auszuprobiren, keine Nachahmung, 
und wenn Pettenkofer, wie Emmerich mittheilt, wirklich die Absicht 
gehabt haben sollte, die Versuche nicht nur an sich, sondern an 50—100 seiner 
Schüler auszuführen, so hätte ein derartiges Vorgehen nicht scharf genug ver- 
urtheilt werden können! 

Was nun die weiteren Ausführungen P e 11 e n k o f e r ’ s in seinem Vortrage 
anbetrifft, so sucht er an der Hand von statistischem Materiale und epidemio¬ 
logischen Beobachtungen über frühere Choleraepidemien die Richtigkeit seiner 
lokalistischen Theorie und die Hinfälligkeit der kontagionistischen nachzuweisen. 
Auffallend sei z. B., dass bei allen in Berlin und Hamburg seit 1831 beobachteten 
Epidemieen, trotz des lebhaften Verkehres zwischen beiden Städten bald die 
eine, bald die andere Stadt verschont blieb. Aufl'allend sei ferner, dass es in 
Norddeutschland nie zur Winterepidemie gekommen sei, wohl aber in München, 
Moskau, Petersburg u. s. w. Die Ursache hiervon sieht Pettenkofer darin, 
dass in Norddeutschland bereits im Spätherbst und Winters-Anfang in Folge 
grösserer Regenmengen die Bodenfeuchtigkeit wieder zunehme, während dies in 
München nicht der Fall sei. Die Zeit der Austrockming, des niedrigsten Grund¬ 
wasserstandes, ist nach Pcttenkofer’s Ansicht die günstigste für den Aus¬ 
bruch einer Choleraepidemie; auch bei der jüngsten Epidemie in Hamburg hiitien 
solche atmosphärischen Einflüsse (grosse Hitze und Trockenheit in den Monaten 
Juli, August und September) eine entscheidende Rolle gespielt. Dass die aus 
Russland und Frankreich in diesem Jahre eingeschleppten und sicher schon weiter 
in Deutschland verbreiteten Cholerakeime in Hamburg einen so günstige Bod(‘n 
gefunden haben, sei allerdings besuudt*rs auf die dortigen ungiinstigeu Trink- 
wasserverhältnisse zurückzufiUireu. Seinem lokali^^ischen 8taiidpniikie gemäss 
tritt jedoch Pettenkofer den Trinkwassertheor»rtikeru entgegen, die in einer 
Infektion des Trinkwassers mit Kommabazillen die plausibelste und bmiuemste 
Erklärung für das explosionsartige Auftreten der Cholera in Hamburg suchen. Er 
übersieht dabei aber die Thalsai he, dass die Clioiera in Hamburg übeT das 
Terrain der Elb - Wasserleitung niclit liinausgiiig; dass in einzelnen Strassen, 
mit vollständig gleichen örtlicheu und zeitliclieu Verhältnis en die mit filtrirtem 
Altonaer Leitungswasser versorgte Häuserreihe von der Sriiche vtaschont blieb, 



618 


Kleinere Mittheilongen nnd Referate ans Zeitschriften. 


während die gegenüberliegende, 'nur auf unfiltrirtein Elbwasser angewiesene 
Häuserreihe von der Krankheit im hohen Grade heinigesucbt wurde. 

Zum Schluss seines Vortrages kritisirt Pettenkofer die in diesem 
Jahre gegen die Cholera aiigeordiieten Schiitzmassrcgeln, die lediglich dem kon- 
tagionistischcu Standpunkte Koclinung trügen, ohne lierücksichtigung aller epi- 
demiologischiiii Erfahrungen. Man ^ei sehr einseitig geworden, der Schwerpunkt 
werde auf den ^Bazillenfang“, auf die bakteriologische Feststellung der ersten 
Erkrankungsfälle gelegt; dabei aber ganz ausser Acht gelassen, dass ehe der 
Nachweis erbracht und ehe der Kranke dann isolirt sei, dieser bereits den In¬ 
fektionsstoff durch seine Ausleerungen weiter verl)reitet hat und eine nachträgliche 
Zerstörung aller dadurch etwa entstandenen Infektionsheerde gar nicht möglich 
ist. Pettenkofer unterschätzt hier jedenfalls die grosse Bedeutung einer 
möglichst frühzeitigen Feststellung der ersten Erkraukungsfälle für die sanitäts¬ 
polizeiliche Bekämpfung einer Seuche; hat die letztere erst an Umfang zuge¬ 
nommen, dann helfen alle Massregeln nicht mehr, während sie sich sonst recht 
gut auf iliren Herd beschränken lässt und dies auch thatsächlich in diesem Jahre 
bei den an zahlreichen Orten erfolgten Einschleppungen der Cholera in Folge 
rechtzeitiger Feststellung der Krankheit gelungen ist. In zweifelhaften Fällen ist 
es aber besonders erwünscht, durch die bakteriologische Untersuchung die 
klinische Diagnose sicher zu stellen, um dadurch jede nicht unbedingt noth- 
wendige, den Verkehr beschwerende Massregel vermeiden zu können. 

Irgend welche Verkehrsbeschränkungen (Ein- und Durchfuhrverbote, Quaran¬ 
tänen, Verbot von Messen, Märkten an Orten, wo die Cholera noch nicht herrscht 
u. 8. w.) hält Pettenkofer zur Bekämpfung der Cholera für ebenso überflüssig, wie 
Isolining der Kranken, Desinfektion ihrer Kleider u. s. w.; nur vollständige Unter¬ 
lassung jedes Verkehrs könne helfen, das wäre aber ein grösseres Unglück, als 
die Cholera selbst. Wer den Segen des menschlichen Verkehrs will, der mu« 
auch die damit unvermeidlich verbundenen Uebel mit in Kauf nehmen. Die 
Cholera sei nicht kontagiös, sondern von örtlichen Verhältnissen abhängig, gegen 
die man schon Vorgehen müsse, noch ehe der spezifische Cholerakeim in den 
Ort gebracht werde. Assanirung der menschlichen Wohnungen sei daher das 
sicherste Mittel gegen die Cholera; den besten Beweis hierfür biete England, das 
trotz seines kolossalen Verkehrs mit dem Mutterlande der Cholera von diieser 
seit 1866 verschont geblieben ist Dank der überall ausgoführten Assanimngs- 
arbeiten. Ausser den menschlichen Wohnungen müsse man aber auch dahin 
streben, den Menschen selbst gegen Cholera immun zu machen; vielleicht lasse 
sich dies in ähnlicher Weise wie bei den Pocken durch Schutzimpfung erreichen. 

Wenn die Kontagionisten auch Pettenkofer betreffs seiner Ansicht 
über die Nutzlosigkeit des „Bazillenfanges“, der Isolining der Kranken, der 
Desinfektion u. s. w. nicht beistimmen werden, so denken sie jedenfalls nicht 
daran, die von ihm geforderte Assanirung der Städte, die Besserung der hygie¬ 
nischen Verhältnisse auf dem Laude u. s. w. in ihrem Werthe für die Bekämpfung 
der Cholera zu unterschätzen; auf diesem Gebiete sind die Forderungen der 
Lokalisten und Kontagionisten gleich. Nicht minder dürften die Konta^gio- 
nisten die übertriebene Cholerafurcht verurthcileu, die während der diesjährigen 
Choleracpidemie zu den unglaublichsten, den Verkehr beschränkenden Massregeln 
besonders von Seiten der Unterbehörden geführt hat. Auch die Warnung Petten¬ 
kofer’s vor einer Ueberschätzung der bakteriologischen Fors-’^hungen wird 
besonders bei den Mediziiialbeamten auf Zustimmung rechnen können ; aber zu 
seiner lokalistischen Ansicht wird uv durch seine jüngsten Ausführungen wohl 
keinen bekehren, sondern im Gegentheil voraussichtlich die Zahl derjenigen noch 
vermelireu, die in der zeitlichen, örtlichen und iudividuellen Disposition wohl 
bcgiinstigende Momente für den Ausbruch der Cholera sehen, als alleinige Ur¬ 
sache derselben aber nur den Kommabazill anerkeuiieu. Rpd. 

Verhalten der Cholera-Bazillen im Kaviar. Zur Beruhigung aller 
Kaviarfrennde theilt Prof. Dr. C. Frankel in der Hygienischen 
Bund sc hau (Nr. 22; 1892) auf Grund der von ihm angestellten Ver¬ 
suche mit, dass die Kommabazillen selbst in grossen Mengen auf gesal¬ 
zenem Kaviar verhältnissiuässig rasch zu Grunde gehen. Schon nach wenigen 
Stunden trat eine erhebliche Verminderung der aufgebrachten Keime ein, nach 
24 Stunden waren sie nur noch in seltenen Ausuahmefällen nachzuweisen nnd nach 
Verlauf von 48 Stunden stets abgestorben. 



Tagesnachrichten. 


619 


Zu einem ähnlichen Ergebnisse haben die auf Veranlassung des Oester- 
reichischen Ministeriums des Innern sowohl im hygienischen Laboratorium, als im 
bakteriologischen Institute der medizinischen Fakultät in Wien von Dr. Haider 
(unter Aufsicht des Prof. Dr. Grub er) bezw. von Prof. Dr. Weichselbaum 
angestellten Versuche geführt. Auch hier zeigte sich, dass der Kaviar kein 
Nährboden für die Cholerabazillen ist und auf ihm unter keinen Umständen eine 
Vermehrung der ausgesäten Keime stattfindet; das Absterben der letzteren 
erfolgte jedoch nicht so rasch, wie in den Fränkel’schen Versuchen, denn bei 
Zimmertemperatur waren die Bazillen erst nach 5—6 Tagen, bei Aufbewahrung 
der Versuchsplatte im Eisschranke erst nach 10 Tagen völlig abgestorben. 

Jedenfalls geht aus den Versuchen hervor, dass der Genuss von Kaviar 
unmittelbar nach einer etwaigen Infektion bedenkliche Folgen nach sich 
ziehen kann, dass solche Folgen jedoch ausgeschlossen sind, wenn mindestens 
10 Tage seit einer derartigen Infektion verflossen sind. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Reichs - Senchengesetz. Bei dem am 27. November stattgehabten 
Empfange des Reichstags - Präsidiums sprach sich der Kaiser in lebhafter Weise 
über die Cholera aus und gab der Erwartung Ausdruck, dass das Reichsseuchen¬ 
gesetz bald vorgelegt werden könne. Auch betonte Seine Majestät die Noth- 
wendigkeit gesetzlicher Massnahmen gegen die Verunreinigung der Flüsse. 


Zur Erwerbung eines Grundstückes in der Klopstockstrasse für ein neu 
zu erbauendes Dienstgebände des Kaiserlichen Gesundheitsamtes sind 
690000 Mark in den Etat des Reichamtes des Innern eingestellt. 


Aus der dem Abgeordnetenhause zugegangenen Uebersicht der 
Entschliessungen der Staatsregierung auf Beschlüsse des 
Hauses aus der Tagung im Jahre 1892 sind folgende von medizinischem 
Interesse: 

Betreffs der Zwangsimpfung hatte das Abgeordnetenhaus *) aus Anlass 
einer Petition aus Hildesheira der Regierung zur Erwägung gegeben, ob nicht 
nach §. 18 des Reichsimpfgesetzes Zwaugsimpfungen auf Grund der in den ein¬ 
zelnen Bundesstaaten bestehenden Bestimmungen lediglich bei Ausbruch einer 
Pockenepidemie zulässig seien und bejahendenfalls, ob nicht in Zukunft in 
epidemiefreien Zeiten von solchen Zwangsiinpfungen Abstand zu nehmen sei. 
Die Erwägung hat stattgefunden, ist aber in Uebereinstimmiing mit mehreren 
neuerdings ergangenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtsin ver¬ 
neinendem Sinne ausgefallen. 

In Bezug auf die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium 
und zur Ablegung des Maturitätsexamens an einem Gymnasium sind bei den 
anderen Bundesregiciningen Erhebungen angestellt, deren Resultat noch nicht 
vollständig vorliegt. Im Zusammenhang mit dieser Frage dürfte jedenfalls 
auch die kürzlich bei sämmtlichen Regierungspräsidenten durch Erlass vom 
12. November d. J. erfolgte Anfrage stehen, ob und in welchem Umfange die 
Heilkunst von Frauen gewerblich ausgeübt wird, unter welcher Bt5zeichnung dies 
geschehe und welche Erfahrungen bisher von diesen sogenannten Aerztinnen in 
medizinischer Hinsicht und auf sozialem Gebiete gemacht worden sind. 


Im Kultusministerium schtunt man endlich den Erlass einer neuen 
ärztlichen Taxe für die den jetzigen Verhältnissen absolut nicht mehr ent¬ 
sprechende alte Taxe vom 21. Juni 1815 ernstlich in Aussicht genommen zu 
haben und sollen zunächst die Aerztekainmern über eine Reihe darauf bezügliclier 
Fragen gutachtlich gehört werden. 


*) Vergleiche Nr. 9 der Zeitschrift, S. 236. 

‘^) Vergleiche Beilage zu Nr. 14 der Zeitschrift, S. 87. 
Vergleiche Nr. 7 der Zeitschrift, S. 179, 



620 


TagesnachrickteiL 


Die beabsichtigte Erweiternng der Disziplinarbefagnisse der Aerzte- 
kanmierii, für welche sich säinmtliche preussische Aerztekammern in bejahendem 
Sinne ansgesproclK^n haben, ist neuerdings wieder in Frage gestellt. Der Stein 
des Allstosses bildet die Aiisnahniestelliing der Militärärzte und Medizinalbeamten, 
deren Aeiidi rung in irgend einer Form von allen Kammern as unerläs lieh be¬ 
zeichnet wird, während man von Seiten der Regierung durchaus nicht geneigt 
zu sein scheint, au dem bisherigen Disziplinarverhältniss der Militärärzte und 
.Medizinalbeamten etwas zu ändern. Nach Lage der Sache war letzteres voraus¬ 
zusehen und muss mau sich nur wundern, dass säinmtliche Aerztekammern bei 
ihren Rescliliissen nicht mit diesem Faktor gerechnet, sondern die gesetzliche 
Regelung der obigen Frage an die Voraussetzung geknüpft haben, dass jene 
Ausiiahiiiestcliung der Medizinalbearaten und Militärärzte in irgend einer Weise 
geändert würde. 


Revisionen der Drogenhandlnngen. In Folge der Eingabe des Vor¬ 
standes der Berliner Drogisten-Innung (vergleiche Nr. 15 dieser Zeitschrift, 
S. 804) hat der Kultusminister durch Erlass vom 12. November d. J. — M* 
Nr. 1M)I)8 — säinmtliche Kbnigl. Regierungspräsidenten aufgefordert, sich über 
das iu ihren Bezirken bisher gciibte Verfahren, sowie darüber zu äussem, ob es 
nach den gemachten Erfahrungen ang(*zeigt erscheine, dem Wunsche der Bitt¬ 
steller gemäss das bei Apothekern - Revisionen übliche Verfahren, nämlich durch 
Irrthum und Uiikenntniss entstandene Unregelmässigkeiten nicht sofort durch 
Bestrafungen, sondern zuerst durch V^erweise ahnden zu lassen, auch auf Drogen- 
handlungcn auszudehuen. 


Cholera. In Deutschland sind in den letzten Wochen nur noch ver¬ 
einzelte ErkraiikungLMi vorgekommen, z B. iu Kiewo bei Kulm 7 Erkrankungen 
mit 3 Totlc>fälleii; die Seuche kann somit als erloschen angesehen werden. Die 
gri')ssere Zahl der Scliitis - Kontrolstatioiien ist bereits aufgehoben, desgleichen 
die Sperrmassregeln g' gen Hamburg. Eine vom Reichsamt des Innern ausge¬ 
arbeitete Deiikschnft ub(*r die diesjälirige Cholera - Epidemie wird voraussichtlich 
dem Reichstage in allernäclister Zeit vorgelegt werden. 

Auch in den Niederlanden ist die Cholera dem Erlöschen nahe und 
in Folge dessen das durch ^liiiisterialerlass vom 8. Oktober d. J. angeordnete 
Ein- und Durchfuhrverbot von dorther stammender gebrachter Leib- und Bett¬ 
wäsche u. s. w. durch Erlass vom 22. Novem))er wieder auigehoben. Ebenso sind 
in Belgien und in Frankreich während der letzten Wochen nur noch sehr 
wenige (diolera - Erkrankungen vorgokornanm. 

In Oalizieu kann die Cholera als erloschen angesehen werden, auch 
iu Budapest hat eine wesentliche Abnahme der Soiielic stattgefunden; denn 
in den Wochen vom 6.---12. und vom 13.- 19. November betrug die Zahl der 
Erkranknngt'ü nur noch 74 hezw. 45 mit 34 hezw. 23 Todesfällen. Dagegen 
wird das Auftreten der Seiiclie in Kroatien, Slavonien und Serbien ge¬ 
meldet; di(* Erkrankungen sind abtT bisher vereinzelt gebliehen; die in der 
jüngsten Z it ge.braelite Nachricht einer gri^sseren Ausbreitung der Cholera unter 
den serbischen Arbeitern am Eisernen Tlior bedarf noch der Bestätigung. 

ln Russland bat in den letzti n Wochen eine weitere Abnahme der 
Cholera besonders in den der deutschen Grenze nahe gelegenen Gouvernements 
Warschau, Radom, Kielce, Luliliii und Siedlec srattgefunden; eine Ausnahme 
davon scheinen nur die Guuveriiemeiits Kiew (399 Erkrankungen mit 168 Todes¬ 
fällen in der Zeit vom 14. —20. November) und Podolien (1033 Erkrankungen 
mit 375 Tode.slälleu in der Zeit vom 9.—18. November) zu machen. 


Zur X aeliricfit. Kreisphysikiis Dr. J a c o b son (Salzwedel) theilt 
uns mit, dass er leider niclit in der Lage sei, allen an ihn herangetretenen 
Wünsele n um Zuseiidnug eines Exeiiii)lars der von ihm für die Desinfektoren 
seines Kreises ausgearbeiteten Dienstiiistruktion nachkommen zu können, da die 
Instruktion nur in geringer Aullage gedruckt .sei und er die in seinem Besitze 
noch betindlicheii Exemplare liereits säramtlich an Kollegen verschickt habe. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Med.-Rath i. Minden L W, 

J. C. C. bruns, Bucbdruckerci, Minden. 





5. Jahrg. 


Zeitschrift 


1892 


für 


MEDIZINALBEAMTE 

Herausgegeben tou 

Dr. H. MITTENZWEIG Dr. OTTO RAPMUND 

San.-Rathu.gerichtl.Stadlphysikus in Berlin. Reg.- und Mcdizinalrath in Minden. 

" und 

Dr. WILH. SANDER 

Medizinnlratli und Direktor der Irrenanstalt Dalldorf-Berlin. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buchhdig., H. Kornfeld, Berlin NW. 6. 

Inserate, die durchlaufende Peiitzcile 45 Pf. nimmt die Yerla^shandlung und Rad. Mosie 

entgegen. 


No. 24. 


Kr»clieint am 1. and 15. Jeden Monatfi. 
Preis JAhrlioh 10 Mark. 


15. Dezbr. 


Typhus abdominalis, eine kontagiöse Krankheit. 

Von Kreisphysikus Dr. Schilling - Querfurt. 

Seitdem für fast alle Infektionskrankheiten spezifische Keime 
entdeckt sind, ist die direkte Kontagiosität derselben zur allge¬ 
meinen Anerkennung gelangt und die Annahme einer miasmatischen 
oder kontagiös-miasmatischen Uebertragung verlassen. Noch in 
der Cholera und dem Abdominaltyphus suchen die Lokalisten eine 
wesentliche Stütze für ihre entgegengesetzte Theorie, dass nämlich 
der Boden und das Grundwasser die eigentliche Brutstätte oder 
das Medium des Cholera- und Typhnsvirus sei, in welchem es 
nicht autochthon entstehe, sondern nach der Elimination aus dem 
meiisc/lilichen Körper reife und mit der Zeit infektionsfahig werde. 

Indessen auch bei dem Unterleibstypluis verliert die alte 
Lehre immer mehr an Boden. Schon früher wurde vielfach ange¬ 
nommen, dass Rezidive desselben, die bekanntlich bei unsauberen 
Patienten nicht selten Vorkommen, durch Selbstinfektion mit 
typhösen Kotlimassen, welche der Leib- oder Bettwäsche ange- 
hangeii hatten und gelegentlich mit den Händen per os, z. B. 
mittelst der Fingernägel nach Fürbringer, oder nach Verdunstung 
mit der Luft durch die Athmungsorgane dem Organismus von 
Neuem zugeführt würden, zu Stande kämen. 

Die direkte Uebertragung von Person zu Person und die 
indirekte Ansteckung durch Dritte lehi*t in zweifelloser Weise 
eine kleine Epidemie von 25 Personen, die im vorigen Jahre in 
einer kleinen Stadt des Kreises Querfuit zur Beobachtung ge¬ 
langte. Der Boden und das Wasser kamen hier aetiologisch gar 
nicht in Betracht, die Krankheit wurde eingeschleppt und die 
Ansteckung konnte durch den Verkehr von Fall zu Fall verfolgt 
werden. 

Der Typhus brach im November aus, dauerte 3 Monate und 







622 


Dr. Schilling. 


nach anscheinend explosivem Auftreten allmählich seinem 
Ende entgegen. Anfangs war die Krankheit verkannt und mit der 
im Vorjahre in Deutschland so sehr gefürchteten, aber als solche 
schwer erwiesenen Influenza verwechselt. Unbemerkt gelangte der 
Herd von Auswärts in die Stadt und wunlen desshalb schnell 
mehrere Familien inflzirt, bis mit Durchbruch einer andern Ansicht 
und Hilfe prophylaktischer Massnahmen die Erkrankungen verein¬ 
zelt ausliefen. 

Das Alter, der Stand und das Geschlecht der Patienten, der 
Beginn und die Dauer der Krankheit ist aus folgender üeber- 
sicht zu ersehn: 


Nr. 

Name 


Alter 

Anfang 

Ende 

1. 

K. 

Frau 

40 .lahre 

Ende Oktober 

Dezember 



Tochter 

14 

J) 

12./11. 

15./12. 1891 

2. 

Th. 

Mann 

86 


7./11. 

+ 25./11. „ 

3. 

Kr. 

Mann 

86 

n 

9./11. 

28./12. „ 


» 

Sühn 

15 

n 

14./11. 

26./12. „ 


rt 

rt 

4 

V 

1./2. 

2./3. 1892 


j) 

n 

9 

n 

11./2. 

5./3. , 



Tochter 

10 

r> 

21./2. 

2H./3. „ 

4. 

H. 

Sohn 

12 

V 

9./11. 

-1- 6./12. 1891 


V 

Mutter 

40 

T» 

9./12. 

11./2. 1892 

5. 

w. 

Knabe 

11 

rt 

1.8./11. 

14./12. 1891 

6. 

A. 

Tochter 

18 

rr 

ll./ll. 

15./1. 1892 

7. 

G. 

Arbeiter 

16 

V 

9./11. 

20./12. 1891 

8. 

W. 

n 

24 

rt 

7./11. 

t 30 /12. , 

9. 

St. 

Uhrm -Frau 

47 

r* 

17./11. 

+ 26.;12. „ 



Solin 

17 

V 

17./11. 

30./12. , 

10. 

D. 

Kind 

6 

rt 

22./11. 

29./12. , 

11. 

8t. 

Fleischerfrau 

24 

rt 

7./12- 

-f 9./1. 1892 

12. 

H. 

Kind 

3 

V 

2./12. 

23./12. 1891 


« 

Mann 

36 

rt 

25./12. 

5./1. 1892 


V 

Tochter 

16 

rt 

28./12. 

5./2. , 

13. 

St. 

Frau 

24 

rt 

26./12. 

30./1. , 

14. 

H. 

Kind 

8 

rt 

23./12. 

6./2. „ 



Die Patienten, deren Namen fett gedruckt ist, (Nr. 2, 3, 

*) In der Zeichnung ist durch Irrthura des Zeichners die Eintragung 
eines Pfeils von Nr. 2 zu Nr. 8 und von Nr. 10 zu 9 unterblieben. 



T 3 rpha 8 abdominalis, eine kontagiöse Krankheit. 


623 


4, 5, 6, 13), wurden grösstentheils durch persönlichen Kontakt 
mit der erstinfizirten K. angesteckt und erkrankten etwa 14 Tage 
später, als jene bettlägerig wurde; Nr. 2 infizirte Nr. 7 und 8 
und Nr. 6 noch Nr. 9 und 10, In den infizirten Familien traten 
neue Erkrankungen meist erst nach 3—4 Wochen und noch später 
ein, ein Zeitraum, welcher dem Inkubationsstadium entsprechen kann. 

Frau K. (1) war eine Waschfrau, die in einem Nachbardorfe 
Mitte Oktober bei einem Bauern, dessen Sohn im Vorjahre au 
Typhus daniedergelegen hatte, gewaschen hatte. Wahrscheinlich 
war sie aber noch ausserdem mit neuerkrankten Leuten, da im 
Laufe des Herbstes wiederholt Typhusfälle aus dem Orte gemeldet 
waren, in innigere Berührung gekommen. Kurz sie erkrankte als die 
Erste Anfangs November oder Ende Oktober, schleppte sich aber noch 
längere Zeit hin, ehe sie zum Liegen kam, und verkehrte während 
jener Zeit in mehreren Familien des eigenen Hauses bei Th. (2) 
und Kr. (3) und entfernter liegender Häuser bei H. (4) und W, (5). 
In die Wohnung von 2 kam öfter sein Schwager 0.(7) und ein Nach¬ 
bar W. (8). In ihrer Familie steckte die Waschfrau ihre 14 Jahre 
alte und ihre verheirathete 24jährige Tochter (13) an, welche die 
Kranke pflegten. Mit der jüngeren Tochter hatte A (6) viel Umgang 
und mit dieser wiederum D (10), welche auf einem Hof wohnten. Von 
diesem Hinterhause ging der Typhus auf das Vorderhaus über, 
es erkrankten die Uhrmacherfrau St. und ihr Sohn (9). Ein Uhr- 
machergehülfe reiste zufällig in den ersten Tagen der Erkrankung 
seiner Wirthin nach der Schweiz und erlag dort später dem Typhus. 
Die Schwägerin der Uhrmacherfrau St. (11) besuchte öfter die 
Kranke, erkrankte gleichfalls und inflzirte eine in ihrem Hause 
wohnende Familie H. (12). Schliesslich verpflanzte der Ortsgeist¬ 
liche, welcher die Kranken häufig besuchte, den Keim auf seine 
Tochter H. (14). Hiermit erreichte die Epidemie insofern ihr Ende, 
als keine neue Familie Herd der Seuche wurde, aber in den er- 
griflenen einzelnen Familien folgte hier noch die Pflegerin, dort 
fonder oder Geschwister in verschiedener Zahl und zu verschie¬ 
dener Zeit. 

Die Häuser, in denen Erkrankungen vorkamen, lagen alle in 
ein und derselben Strasse, aber nicht neben einander, sondern durch 
intakt gebliebene getrennt, so dass es kein Wunder war, dass die 
Polizei bald ihr Augenmerk auf den gemeinsamen Brunnen richtete, 
welcher inmitten der Strasse lag. Das Wasser wurde desshalb 
chemisch und mikroskopisch schleunigst untersucht, der Brunnen 
^uch zur Beruhigung der Bewohner gereinigt; aber der Sach¬ 
verständige Dr. M. aus Berlin hatte bei der Untersuchung 
keinen Anhalt gewonnen, den Brunnen als Ausgangspunkt der 
Epidemie zu beschuldigen. — Den negativen Befund so zu deuten, 
dass überhaupt keine Typhusbazillen darin hätten vorher sein 
können, wäre indessen ein falscher Schluss gewesen, da bekannt¬ 
lich die Bazülen eine kurze Lebensdauer zumal in nicht sterilisfr- 
ten Medien besitzen, nicht mehr in 2—3 m Tiefe der niedrigen 
Temperatur wegen fortwachsen, selten überhaupt in’s Gfundwasser 
gelangen und zur Zeit der Untersuchung bereits längst geschwun- 



624 


Dr. Schilling: Typhus .ab'lominalis, eine kontagiöse Krankheit. 


d«n sein konnten. — Jedoch war schon auch ohne chemische uii i 
mikroskopische Untersiichinijrdaraus, dass alle anwolinemlen Familien 
ihr Wasser aus demselben ßnmiien holten, ohne zu erkranken, 
offenbar zu erselien, dass das Hrunnenwasser nnschuMiff war. 

Leider war die g’ünstiirste Zeit, die Krankheit auf ihivn 
ersten Herd zu beschränken, für die Propliylaxe durch die Sanitäts¬ 
polizei verstrichen; als die K}ddeniie als solche bekannt wui-de 
und die durch mehrere 'rodesfälle "(äiiiffstitrte Bevölkerung- dring-eiid 
forderte, dem Fortschreiten Pliulialt zu thun. Der erste Fall war 
nicht als Typhus angesehen, Anzeige und Isolirung unterbliebeti. 
Wäre er zeitig erkannt, s(» hätte indessen ein Krankenhaus zum 
Isoliren gefehlt. Hoffentlich wird die Kpidemie endlich der An¬ 
lass sein, die guten Vorsätze, welche während ihrer Dauer gtdäs>t 
wurden, in Zukunft zur Ausführung zu bringim und der K(»ninmual- 
verwaltung als Warnung dienen, eine aus Kieismitteln unterhaltene 
Diakonissin zu entlassen, weil sie angtddicli unn.uhig sei, — 

Wodurch kam die Epidemie zum Ei löschen;'' Jedenfalls nicht 
allein durch die vorgeschriebene Desinfektion der DejektioiiHii, 
Aborte und Bettwäsche, noch durch andere jtolizeiliche Massnahnn ii. 
Höchst wahrscheinlich fand das Tyiihiisgitt mit der zunehmenden 
Kälte Ende Dezember keinen neuen Nätirboden, die Leute blieben 
an das eigene Haus gefesselt, die Scheu sich anzustecken, hielt die 
Gesunden von überflüssigen Krankenbesm heu ab. Lehrte doch 
die Beobachtung, dass dort, wo kein Verkehr gepflogen wurde, auch 
kein Typhus ausbrach. 

Der Besuch der Schule ist gesunden Kindern, deren Eltern 
oder Geschwister an Unterleibstyplnis erkrankt siml, weder durch 
das Regulativ von 18J5 noch durch <lie Rundverfitgung von 18^7 
verboten. Dass ein längerer Kontakt gesunder mit anderen, aus 
kranken Familien stammenden Kindern nicht gleichgültig ist, aber 
in der Schule mittelbar und unmittelbar unvermeidlich lileibt. 
unterliegt keinem Zweifel und beweist gerade der Krankheitsfall 
der Tochter des Geistlichen die Richtigkeit dieser Behauptung, 
indem er als Dritter den Keim auf sein Kind übertrug (mittel¬ 
bare Ansteckung). Wenn nun aber dem Publikum der Besuch 
und Zutritt zu Tyfihuskranken untersagt wird, sollte nicht auch 
den Lehrer und Geistlichen ein gleiches Verbot mit Recht treffen? 

Wie gelangt das Gift in den Körper? Der Unterleibstyphus 
bildet bekanntlich meist circumscripte. nicht ausgedehnte Herde 
wie die Cholera. Die Inkubation wechselt ausserordentlich. Ge¬ 
schwister erkranken schneller als Angehörige fi'emder Familien. ^ 
Manche Familienmitglieder bleiben frei. Nach unsern jetzigen 
Kenntnissen hängt das Angestecktwei'den von der Disposition des 
Einzelnen, der Zahl der inkorporirten Bazillen und ihrer Virulenz 
ab, Inhaiationsversuche mit Bazillen fielen bisher negativ aus. 
Der Weg durch die Luftwege und die Blutzirkulation bis zum 
Darm ist zu weit; wahrscheinlich erfolgt die Ansteckung per os, 
zumal häufig Angina die Krankheit einleitet. So gut als der per¬ 
sönliche Kontakt, die Kleidung, die Exkremente und die Umgebung 
des Kranken können auch dritte Personen, die gar nicht selbst er- 



Pr. Ritter: Eine Ursache der Verbreitung des Abdomiualtyphus etc. 625 


kranken, sowie infizirte Nahrungsmittel, Wasser und Milch, ge¬ 
legentlich zum Träger ausgedehnter Epidemien werden, wesshalb 
die Prophylaxe beide Faktoren in Betracht zu ziehen hat. 


Eine Ursache der Verbreitung des Abdominaltyphus auf der 

bremischen Geest. 

Von Sanitätsrath Dr. Ritter, Kreisphysikus in Bremervörde. 

Im Jahre 1873 habe ich in zwei nebeneinander liegenden 
Ortschaften der bremischen Geest von je 18 Häiiseni, also in 
36 Häusern 42 Typhuskranke behandelt. Da mein damaliger 
Kollege sicher ebensoviel behandelt hat, so waren während fönt 
Monaten in diesen 36 Häusern 84 Typhuskranke zu zählen. Beide 
Ortschaften hatten damals eine Bevölkerung von 480 Einwohnern. 
Es war also der sechste Theil der Bevölkerung von Abdominal¬ 
typhus befallen. Eine solche ungeheure Verbreitung des Typhus 
ist mir allerdings nicht wieder begegnet. Dagegen tritt der Ab- 
dorainaltyphus hier zu Lande immer noch in schweren Haus¬ 
epidemien auf. In diesen wird erst einer der Hausbewohner an 
Typhus krank, einige Wochen später gewöhnlich mehrere und so 
fort, bis zuletzt alle Hausbewohner bis auf die ganz alten Leute, 
die Wiegenkinder und die schon einmal Erkrankten befallen sind. 
Es ist dies unter unserer Landbevölkerung der regelmässige Ver¬ 
lauf, so dass sich die grösseren Epidemien, welche mehrere Häuser 
einer Ortschaft ergreifen, meist sehr leicht, als aus solchen Haus¬ 
epidemien zusammengesetzt erklären lassen. Nach der Erkrankung 
des ersten Hauses schleppt eine Verwandte, welche in diesem die 
Pflege übernommen hat, oder eine Dienstmagd oder ein Knecht die 
Krankheit in ein anderes Haus, wo dann dieselbe Folge von Neuem 
beginnt. 

An Infektionen durch Wasser oder Milch ist in unserer Gegend 
nur selten zu denken, sie können fast immer mit voller Sicherheit 
abgelehnt werden. Jedes Haus hat seinen eigenen Brunnen und 
die Verschleppung der Krankheit bindet sich immer an die Personen. 
Kurzum so sicher die Verbreitung des Typhus in Städten und ge¬ 
schlossenen Ortschaften in den meisten Fällen auf Wasser und 
Milch zurückzuführen ist, die Hausepidemien der bremischen Geest¬ 
bevölkerung müssen mit Sicherheit auf Verbreitung durch die 
Kranken, auf unmittelbare Ansteckung zurückgeföhrt werden. 

So wie man diese Ueberzeugung gewonnen hat, ergiebt sich 
die Ursache fast von selbst. Diese Hausepidemien des Abdominal¬ 
typhus kommen nur bei den Geestbewohnern, bei den niederen 
Ständen der Städte und bei den Lippern auf den Ziegeleien der 
Marsch vor. Allen diesen sind gemeinsam die Schlafstätten, welche 
immer für mehrere eingerichtet sind. Auf der Geest schläft die 
Bevölkerung in Butzen. Es sind dies durch Schieber geschlossene 
Bettstellen in der Wand der Zimmer. Gewöhnlich finden sich 
zwei Butzen in einer Zimmerwand und nehmen diese dann ganz 



626 Dr. Ritter: Eine Ursaclie der Verbreitung des Abdominaltyphns etc. 


ein. In jeder Butze schlafen zwei und mehrere, oft vier und fiinf 
Hausbewohner. 

Das Bett eines Typhuskranken wird also in der ersten Zeit 
der Erkrankung und auch später noch nicht allein von ihm, sondern 
auch von anderen Hausgenossen benutzt. Wechselt er im Laufe 
der Erkrankung, während des Bettmachens oder sonst, das Bett, 
so kann es kommen, dass alle Hausgenossen mit ihm das Bett 
getheilt haben. 

Wie sieht nun das Bett eines Typhuskranken aus? Das 
Laken und auch das Bettzeug sind immer mit seinem Kothe be¬ 
sudelt; es mag nur mit dem Vergrösserungsglase sichtbar sein, 
aber Koth der Kranken findet sich immer an dem Bettlaken. In der 
Zeit, wo der Kranke noch Besinnung hat, geht ihm zu seiner grössten 
Scham gegen seinen Willen flüssiger Koth ab; wenn er die Be¬ 
sinnung verloren hat, so fehlt jede Aufsicht. Also beschmutzt ist 
die Wäsche eines Typliuskranken durch seinen Durchfall immer. 
Nothwendig müssen die Theilnelimer seiner Lageratätte sich auch 
mit seinem Kothe besudeln, denn sie liegen auf demselben Laken, 
auf welchem sich der Kranke hin und her bewegt, und welches 
hin und her gezogen und zurecht gelegt wird. Wie nun diese 
Infektion weiter zu Stande kommt, darüber lässt sich nur hypo¬ 
thetisch schliessen. Zunächst ist anzunehmen, dass die Koththeilchen 
und in ihnen die Typhusbazillen an den Körper und die Kleidung 
der Bettgenossen geratheu. Es liesse sich dann denken, dass eine 
Infektion vom After aus entstände; allein eine solche Möglichkeit 
möchte ich nur für sehr seltene Fälle annehmen. Die grösste 
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass die Finger den Infektions¬ 
stoff’ zu dem Munde auf irgend eine Weise tragen. Die Bewohner 
desselben Bettes erkranken immer zuerst. 

Wenn nun diese Infektion durch die Besudelung mit Exkre¬ 
menten des Kranken auf dem Bette desselben feststeht, so folgen 
daraus therapeutisch und hygienisch bestimmte Schlüsse. Wir 
müssen bei Typhusverdacht das Schlafen in einer Butze verbieten; 
jeder Typhuskrauke muss seine einschläfige Bettstelle haben, 
welche von keinem anderen, als ihm benutzt wird. Zwei Bett¬ 
stellen, welche er abwechselnd benutzt, sind noch besser, aber 
dann ist die Benutzung der freien Bettstelle durch Gesunde streng 
zu untersagen. 

Vom sanitären Standpunkte ist aber gegen die Butzen über¬ 
haupt einzuschreiten. Sie sind durch die schlechte Luft, durch die 
nothwendige Uebertragung nicht allein des Typhus, sondern aller 
Infektionskrankheiten absolut unzulässig. In Typhusfallen insbe¬ 
sondere kommt die Verordnung der gesonderten Bettstelle viel zu 
spät, da der Kranke schon manchen Tag die Butze beuutzt hat, 
ehe der Arzt geholt wird. Vor Jahren habe ich die Eingabe eines 
jungen Ai-ztes an die Regierung gesehen, welcher, von fern her in 
das Herzogthum Bremen gezogen, die Uebertragung der Diphtherie 
auf die Butzen bezog und von der Regierung ein polizeiliches 
Verbot der Butzen verlangte. Die Regierung hat die sehr komisch 



Dr. Salomon: Vorbereitende Cholcramasärcgoln iin Kreise Darkehmen. 627 

lautende Eing’abe nicht berücksichtigt. Dennoch hatte der Kollege 
Recht, nur war sein Weg wohl unmöglich zu gehen. 

Die Butzen sind die einfachsten und billigsten Bettstellen, 
welche stets bei dem Hause bleiben. Aber sie sind vom sanitären 
Standpunkte verderblich und müssen bekämpft werden. Ob ein 
Verbot derselben möglich sein wird, darüber will ich schon des¬ 
halb nicht urtheilen, weil dies wesentlich eine Entscheidung der 
Verwaltungsbeamten ist. Aber Sache derAerzte wii-d essein, die 
Bevölkerung und die Verwaltungsbeamten von der Schädlichkeit 
der Butzen zu überzeugen und ihren Ersatz durch Bettstellen zu 
befürworten und zu bewirken. Aus dem unmittelbaren Bedüi’fniss 
einer armen Bevölkerung in kalter Gegend entstanden, werden die 
Butzen beim Wachsen des Wohlstandes und der Einsicht aufge¬ 
geben werden. 

Ist meine Beweisführung über die Verbreitung des Abdominal- 
typhus durch die Butzen überzeugend und sicher, so muss der 
Kampf gegen dieselben von den Medizinalbeamten bewusst und 
systematisch aufgenoramen werden. Dass die Butzen aber nicht 
allein eine Schädlichkeit der bremischen Geest sind, sondern dass 
sie oder ähnliche Einrichtungen sich über einen grossen Th eil von 
Deutschland verbreitet finden, möchte ich glauben*). 

An einer Stelle habe ich auch die niedere Bevölkerung der 
bremischen Städte und die Lipper der Marsch als gleicher Ver¬ 
breitungsweise des Typhus theilhaftig erklärt. Die niedere Be¬ 
völkerung der Städte benutzt ebenfalls vielfach Butzen und mehr- 
schläfige Betten. Die mehrschläfigen Betten sind aber besonders 
für die niedere, nicht sehr reinliche Bevölkerung fast ebenso ge¬ 
fährlich, wie die Butzen. Die Lipper auf den Ziegeleien der 
Marsch hatten früher Bettstellen, welche für eine grössere Zahl 
eingerichtet waren und sehr schlecht in Ordnung gehalten wurden. 
Im Jahre 1865 habe ich auf den Ziegeleien des Kreises Neuhaus 
a. d. Oste den Typhus in entsetzlicher Weise verbreitet gesehen. 
Die ganze Mannschaft der Ziegeleien erkrankte nach und nach 
und bei der fehlenden Pflege ergab sich eine sehr hohe Sterb¬ 
lichkeit. Die üebertragung der Krankheit in dieser Lipper-Epidemie 
schiebe ich jetzt auch auf die mehrschläfigen Betten und ihre 
Unreinheit. Spätere Verfügungen der Regierung haben die 
Wohnungsverhältnisse der Ziegler geregelt und erheblich gebessert. 


Vorbereitende Choleramassregein im Kreise Darkehmen. 

Von Kreisphysikus Dr. Salomon in Darkehmen. 

Jüngst gab ich in diesen Blättern meiner Freude an den 
Lokalaufsätzen der Zeitschr. für Med.-B. Ausdruck. Möge es 

*) In Ostfriesland, sowie in einem Theil der Provinz Westfalen liegen die 
Verhältnisse ähnlich. Die hier zu Tage tretende hohe Stcrldichkeitszilfer an 
Tuberkulose dürfte besonders bei der ländlichen Bevölkerung nicht zuiu (ieringsten 
auf die Unsitte der Schlafbntzen und die dadurch begünstigte Infektion zurUck- 
znführen sein. Kpd. 



628 


Dr. Salomon. 


mir heute gestattet sein, eine besondere Freude, die mir der Auf¬ 
satz des Kollegen Frey er in Nr. 22: „lieber einige aus der 
Clioleraepidemie gewonnene praktische Erfahrungen“ bereitet liar. 
zu spezialisiren. 

Als in den ersten Tagen des August die Nachrichten über 
das Vorschreiten der Cholera in Russland immer bedroblicJier 
wurden und die Wahrscheinlichkeit für die Invasion der Seuche 
in Ostpreussen von Tag zu Tag sich mehrte, da glaubte ich dem 
verantwortungsvollen sanitätspolizeilichen Vorpostendienst an des 
Reiches Ostgrenze durch die deissige Züchtung von Cholerabazilleii 
und durch Vorträge in der Sanitätskonimission allein nicht mehr 
genügen zu können. Die Zeit zum Handeln schien mir gekommen. 
Doch leider war der Landrath des Kreises auf vierwöchentlichen 
Urlaub gegangen, der ihn vertretende Kreisdeputirte. drei Meilen 
von der Stadt wohnhaft, kam wöchentlich ein bis zwei Mal nur 
auf wenige Stunden zur Stadt und der Kreisausschuss hatte Ferien! 
Ich war daher auf mich und meine Initiative allein angewiesen. 
Kurz entschlossen sagte ich mir, dass die Verantwortung für die 
Gesundheit der Kreiseingesessenen grösser sei, als die für einige 
Tausend Mark, setzte mich über alle formelle Bedenken hinweg 
und disponirte nach bestem Wissen folgendermassen: 

Am 4. August veranlasste ich den Kreisbaumeister, auf meine 
persönliche Verantwortung hin den Bau einer Desinfektions¬ 
anlage nach meinen Angaben sofort ausführen zu lassen. Ich 
liess ein auf dem Lazarethgrundstück befindliches kleines Gebäude 
so umbauen, dass es zwei Räume mit besonderen Eingängen be¬ 
kam, liess aus dem (nur zu Dampfbädern fast nie gebrauchten) 
Dampfkessel im Souterrain des Lazareths eine unterirdische Röhren¬ 
leitung hinlegen und in einem grossen horizontal liegenden hölzer¬ 
nen Bottich endigen. In ca. drei Wochen war eine Desinfektions¬ 
anlage fertig, wie sie allen praktischen Anforderungen genügt* 
Der Eingang zu dem Raume, in dem die infizirten Sachen in den 
Apparat eingelegt werden, liegt direkt an einem äusseren Zufuhr¬ 
wege, der Bottich fasst vier Betteinrichtuiigen zu gleicher Zeit 
und, wie ich durch exakte Versuche festgestellt habe, virulente 
Milzbrandsporen im Innern zusammengeschnürter Betten werden 
sicher getödtet. 

Für die Desinfektion von Effekten war also gesorgt, aber 
wer sollte Wohnungen sachgemäss desinfiziren? Ich setzte eine 
genaue Instruktion auf, liess mir von der Polizei- und der Militär¬ 
behörde drei Civilisten und drei Soldaten stellen und bildete diese 
nach erfolgter Ausrüstung mit den nöthigen Anzügen, Utensilien 
und Desinfektionsmitteln in jn-aktischen Kursen als Desinfek¬ 
toren zuverlässig aus. 

Zur Aufnahme Cholerakranker richtete ich auf dem !&eis- 
lazarethgruiidstück ein isolirtes Gebäude mit allem Zubehör an 
Utensilien, Instrumenten, Wäschevorrath etc. vollständig ein, so- 
dass vom 10. August ab alles fertig war. Gleiclizeitig wurde 
eine Holzbaracke für 30 Betten in der Weise vorbereitet, dass 
nach Zeichnung und Anschlag Holzhändler und Bauunternehmer 



Vorbereitende Cboleramassregeln im Kreise Darkehmen 


629 


zur schleunigsten Lieferung im Bedarfsfälle verpflichtet wurden. 
Das Holz für ein Drittheil der Baracke wurde sofort zugeschnitten, 
sodass diese Abtheilung in 24 Stunden errichtet werden konnte. 
Sodann wurde eine fahrbare Krankentrage beschafft. Meine For¬ 
derung bei der Sanitätskommission, auf dem Kirchhof eine interi¬ 
mistische Leichenhalle von Brettern aufzuschlagen, wurde 
angenommen. Tags darauf kam an die Stadt eine Verfügung der 
Königlichen Regierung, die dasselbe anordnete. 

Für die Stadt waren somit gegen Ende August alle mir erfor¬ 
derlich scheinenden Massnahmen getroffen. Doch wie stand es mit 
dem Lande? Täglich wurden Nachrichten verbreitet, dass aus 
Hamburg zurückkehrende Arbeiter in den Kreis gekommen wären. 
Wo ich einen Herrn vom Lande traf, legte ich ihm die Frage 
vor „was thun Sie, wenn einer Ihrer Leute an Cholera erkrankt?“ 
Die meisten antworteten mir „darüber habe ich eigentlich noch 
nicht nachgedacht“, manche „dann nehme ich mir das Ki’eisblatt 
vor, da steht ja alles drin“ und einige meinten, sie würden den 
Kranken wohl ins Lazareth schaffen. Wenn ich dann weiter fragte, 
was die Herren mit den Angehörigen event. mit den Todten, mit 
der infizirten Wohnung etc. machen würden, dann bekam ich stets 
Antworten, aus denen ich entnehmen musste, dass in den meisten 
Fällen das Allerungeeignetste von der Welt geschehen würde. 
Anfangs beabsichtigte ich, Flugschriften drucken zu lassen und an 
alle ländlichen Organe zu verschicken, sagte mii’ aber bald, dass 
bei der Ueberfülle von Choleraartikeln in allen Zeitungen meine 
Flugblätter als Makulatur behandelt werden würden. Ich lud 
daher eine grössere Anzahl Amts-, Guts- und Gemeindevorsteher 
aus dem westlichen Theile des Kreises zum 7. September nach 
einem günstig gelegenen Marktflecken (Trempen) zu einer Sitzung 
ein. Am 6. September Abends traf der Herr Landrath vom Urlaub 
ein und erklärte mir sofort seine Theilnahme an der Sitzung. 
Dankenswert!! viele waren meiner Einladung gefolgt. Nach kurzem 
Vortrag über das Wesen der Cholera zur Besprechung der Mass- 
regeln übergehend, die bei dem Auftreten der ersten Fälle unter 
den dortigen Verhältnissen zu ergreifen wären, liess ich mir aus 
der Versammlung heraus die Dispositionen angeben, die eventuell 
getroffen werden würden und knüpfte daran meine Widerlegungen, 
Bestätigungen, Belehrungen etc. Das grösste Hauptgewicht legte 
ich darauf, überall schon jetzt Isolirräume für die Ange¬ 
hörigen Erkrankterbereitzu halten und suchte den Herren klar 
zu maclien, dass bei Auftreten der ersten Fälle weit ab von der 
Stadt es falsch wäre, die Kranken aus der infizirten Wohnung 
herauszuschaften und die Gesunden der Infektion preiszugeben. 
Die Anwesenden waren alle mit einem Eifer und Interesse bei der 
Sache, wie ich es mir nicht hätte träumen lassen. Die vielen 
und höchst treft'eiiden Fragen, die an mich gerichtet wurden, gaben 
den besten Beweis dafür, dass die Leute das, was ich ihnen klar 
zu machen mich bemühte, auch wirklich sachgemäss durchdachten, 
und gaben mir Gelegenheit, die in Frage kommenden praktischen 
Verhältnisse bis ins Kleinste zu besprechen. Die dann folgende 



Dr. DjTtnftmh. 




B-l-hPin? üb-r I'e-intVktion nebst Demonstration der verschieden- 
s-en Desint*:kfi‘>!i'niittel und der Herstellung der Lösungen, sowie 
die Anweisun? über die Alt der Benutzung' der Kreis-Desinfektions- 
anlaje wurde ebenfills mit regstem Interrsse aufsrenommen. Den 
Seijl'j'S bildete eine Ansprache des Herrn Laiidraths. der zur 
2 Töss'rnd 2 ’!ic}i'ten En-rgie und Eücksicht'losigkeit in der Dureb- 
fuhruns' der Massrezeln ermahnte. 

Eine zweite solche Versammlung mit einer ganz erstaunlichen 
Betheilizung wurle am Id. September in dem südöstlichen Theil 
des Kreises ''Anzerapp) abgehalten. So manchen Vortrag habe 
ich in meinem Leben mit Lust und Liebe zur Sache gehalten, 
aber ein so aufmerksames und dankbares Publikum, •wie bei diesen 
Gelegenheiten, habe ich noch nie gehabt I Ich kann diese Art der 
direkten persönlichen Einwirkung auf die polizei¬ 
lichen Organe des Kreises allen Kollegen nur aufs Wärmste 
emjifehlen. 

Die Cholera ist — Gott sei Dank — hierher nicht gekom¬ 
men, aber die Kosten für meine eigenmächtig ergidffenen Mass¬ 
nahmen mussten bezahlt werden. Zwar hat die Kreis Verwaltung 
ihren Dispositionsfonds hergegeben und alles beglichen, zwar hat 
von ihrer Seite mich weder Lob noch Tadel getroffen, doch Zweifel 
sind genug vorhanden, ob das, M’as ich gemacht, nüthig. richtig 
und zweckmässig war. 

Freyer verlangt nun auf Grund der gewonnenen prak¬ 
tischen Erfahrungen: Die Initiative des Kreisphysikus, münd¬ 
liche Berathungen mit den Vertretern der einzelnen Ortschaften, 
Herrichtung von Isolirräumen zur Unterbringung und Desinfektion 
der Angehörigen von Erkrankten, Ausbildung von Desinfektoren 
und Aufstellung von Desinfektionsaiiparaten. Diesen Anforderungen 
bin ich durch meine vorbereitenden Massnahmen in vollem 
Umfange gerecht geworden. Musste unter s<dchen Umständen der 
Freyer’sche Artikel nicht einen besonders freudigen Eindruck 
auf mich machen? Wenn ich den Kollegen gebeten hätte, einen 
Aufsatz zu schreiben, um mich den Eingesessenen des Kreises 
gegenüber zu rechtfertigen, so hätte die „bestellte“ Arbeit nicht 
zweckmässiger ausfallen können, als die vorliegende spontane. 


Leichenhallen auf dem Lande. 

Von Kreisphysikus Dr. Dyrenfurth in Bütow. 

Die Einrichtung der Leichenhallen verdankt ihren Ursprung 
bekanntlicli der Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden. Hufeland 
war es. der mit seinem warmen Wort für sie eintrat, und Weimar 
der Ort, wo die erste Anstalt erbaut wurde. Es folgten Mainz 
(1805), München (181'.)), Frankfurt a. M. (1828). Gegenwärtig 
l)esitzen die meisten grösseren Städte auf ihren Kirchhöfen Leichen¬ 
hallen; Berlin hat nahe an 80. Gegenstand staatlicher Fürsorge 
scheint das Institut nur in Bayern zu sein (Wernich). 

Begeistert von dem menschenfrenndliclien Gedanken, erfand 



Leichenhallen anf dem Lande. 


631 


man die sinnreichsten Vorkehrungen, um den unzeitigen Uebertritt 
der Erdenbürger in’s Jenseits zu verhüten; allein auch die schlagfer¬ 
tigsten Läutewerke, die man den Insassen in die Hand gegeben, blieben 
immerdar stumm; aus den Herbergen für Scheintodte ist bis jetzt 
noch Keiner in das Heim, das er verlassen, zurückgekehrt. In 
neuerer Zeit wenigstens haben sich alle Schauergeschichten von 
lebendig in’s Grab Gelegten als Märchen erwiesen. 

Wenn demnach die Leichenhallen ihre ursprüngliche Be¬ 
stimmung völlig verfehlt haben, so wird sie doch Niemand für 
unnütz erklären wollen: ihre Aufgabe ist nur eine andere ge¬ 
worden, die Erweckung des Entschlummerten in den Hintergrund, 
der Schutz der Lebendigen vor dem Todten in die volle Bildfläche 
getreten. Jede Leiche sollte nach festgestelltem Tode so schnell 
als möglich aus ihren Umgebungen entfernt werden, weil sie bei 
längerem Aufenthalt in bewohnten Bäumen, die Luft unathembar 
macht und dieselbe durch ansteckende Keime vergiftet, falls der 
Tod durch eine Infektionskrankheit erfolgt war. Mit Eecht gehört 
daher die Errichtung von Leichenhallen auf allen Kirchhöfen zu 
den dringendsten.und ältesten Forderungen der Gesundheitspflege. 

Leider aber sind diese Unterkünfte in Deutschland noch 
recht dünn gesät; sie fehlen in den meisten kleinen Städten und 
sind auf dem Lande kaum irgendwo anzutreffen. Auch unterliegt 
ihre Benutzung selbst da, wo sie vorhanden sind, keinem Zwang. 
Nur in München müssen — nach Wernich — alle Leichen binnen 
12 Stunden, beim Tod durch ansteckende Krankheit binnen 6 Stunden 
nach den Leichenhallen befördert werden. 

Je mangelhafter die Beschaffenheit der Wohnung, je enger, 
niedriger und dunkler die Bäume, und je ansteckender die Krankheit 
gewesen ist, um so höher steigt die Gefahr für die Gesundheit 
derjenigen, die gezwungen sind, mehrere Tage in unmittelbarer Nähe 
einer Leiche zuzubringen. Die Wohnungsnoth ist aber schon längst 
keine Kalamität mehr, die nur die Grossstädte bedrückt; 
sie herrscht vielfach schon in den Mittel- und kleinen Städten und 
ist auf dem Lande erst recht zu Hause. Niemand wohnt so be¬ 
schränkt, wie der ländliche Tagelöhner in seiner strohgedeckten 
Hütte. In dem engen Stübchen können ausser Tisch und Bank 
oft nur zwei Betten untergebracht werden, in welchen der ge¬ 
summte Familiensegen, und wäre er noch so ergiebig, seinen Platz 
Anden, der Gesunde neben dem Todtkranken liegen muss. Wo 
noch ein, gewöhnlich fensterloses, Kämmerlein dazu vorhanden, dient 
es als Vorraths- und Aufbewahrungsort für Kartoffeln, Brod und 
andere Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Ackergeräth, Gerümpel, 
oft auch als Aufenthalt für die brütende Gans und ihre zarte 
Jugend, für die Ziege oder das Schweinchen. In diese Kammer 
kommt dann auch die Leiche, imprägniii; die darin befindlichen 
Gegenstände mit Krankheitskeimen und bleibt daselbst, bis sie 
nach dem oft meilenweit entfernten Kirchhof, nicht selten noch 
verschiedene Dorfschaften durchziehend, transportirt wird. 

Kaum weniger ungünstig liegen die WohnungsVerhältnisse 
des städtischen ft-oletariats und selbst auch des bescheidenen 



632 


Aus Versammluugen und Vereinen. 


Handwerkers, der sich mit seiner oft starken Familienbtirde mit 
einer oder zwei erbärmlichen Spelunken behelfen muss. Kann es 
uns Wunder nehmen, wenn gerade in solchen Mördergruben 
Seuchen, wie Diphtherie, Scharlach, Masern, Typhus, Keuchhusten 
verheerend wüthen? — 

Gegen die Errichtung von Leichenhallen in den kleinen 
Städten wird gewöhnlich der doch mehrere Tausend Mark be¬ 
tragende Kostenpunkt hervorgehoben. Meist liegen sich da Kommune 
und Kirchen gemeinde in den Haaren; eine will der andern die 
Last aufwälzen und so kommt gar nichts zu Stande. Für länd¬ 
liche Gemeinden jedoch würde die Geldfrage so gut wie gar nicht 
in’s Gewicht fallen. Bedarf es denn für eine ländliche Leichen¬ 
halle eines besonders luxuriösen Baues? Hier genügt ja ein ver- 
schliessbarer, mit einem Fenster versehener, gut bedeckterBr etter- 
schuppen, der einen Umfang von 20—40 Quadratmeter hat, 
nicht einmal gedielt zu sein braucht und höchstens 40—50 Mark 
erfordeim würde. So viel kann auch die ärmste Gemeinde noch 
aufbringen! Die sogenannte Halle wäre auf dem Kirchhof, oder, 
wo kein solcher besteht, auf freiem Felde, wenigstens 50 Meter 
von der letzten Wohnstätte entfernt, aufzusetzen und der Gemeinde¬ 
vorsteher anzuweisen sein, die Unterbringung der Leiche daselbst 
spätestens 12 Stunden nach dem Tode zu veranlassen. 

Dass bei einer für die öffentliche Gesundheit so nothwendigen, 
bei der Choleragefahr doppelt zeitgemässen Massregel in solchen 
Angelegenheiten der Verwaltungsbehörde ein Zwangsverfahren 
zusteht, kann keinem Zweifel unterliegen. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 45. Ver^amnilang^ der nedizlnalbeaniteu 
des Re^j^iernng^HbcKirks Düsseldorf. 

Die 45. Konfereuz der Medizinalbeamten des Regierungsbezirkes Düssel¬ 
dorf fand ara 25. Oktober 18ib2 in den Räumen der Gesellschaft „Veroiii*^ 
statt. Es hatten sich 27 Mitglieder und 3 Gäste eingefunden. Die Versamm¬ 
lung leitete Herr Regierungs- und Medizinalratli Dr. M i c h e 1 s e n. 

Vorsitzender begrüsste zunächst die Versammlung, deren Vorsitz er 
ebenso wie sein Vorgänger übernommen habe, und entAviekelte kurz seine Grund¬ 
sätze, nach denen er sein Amt verwalten werde. Aus einem ackerbautreibenden 
Bezirk in einen grossartigen Industriebezirk versetzt, finde er hier alles arbeits¬ 
lustig. Die bestehende V^^creinigung der Medizinalbeauiten begrüsse er mit 
Freuden und werde er sich gern dem Vereine eingliedern. Der Thätigkeit 
und den Wünschen der Medizinalbeamten bringe er reges Interesse und Ver- 
ständniss entgegen; er sei gern bereit, mit ilinen zu berathen und bitte nur 
um vertrauensvolles Entgegenkommen. 

Kreisphysikus Geh. Saniiätsrath Dr. H e i 1 m a n n - Orefeld als Senior der 
Versammlung antwortete in gleichem Sinne und versicherte dem Herrn Vor¬ 
sitzenden des vollen Vertrauens der Medizinalboamten. 

Vorsitzender giebt hierauf eine kurze Uebersicht der seit der letzten 
Konferenz erlassenen Verfügungen und cliarakterisirte dieselben: 

1. Verfügungen betreffend die Bekämiifiing der (’holera. Hier wird er¬ 
wähnt, dass der Wasserverkehr der Kontrolle der Regierung entzogen und einem 
besonderen Kommissar (Landrath Gesellen) unterstellt sei bis zur Ablieferung 
der Kranken an die Stationen Emmericli, Wesel, Rulirort, Duisburg, Düssel¬ 
dorf und Neuss. 



Aas Versammlangen and Vereinen. 


633 


2. Verfügung betreffend Hebammenvereine. Es bestehen solche Vereine 
überall mit Aasnahme der Kreise Cleve, Grevenbroich, Neass, Geldern, Mett* 
mann, Mörs. 

3. Verfügang betreffend Beschaffung des neuen Hebammenlehrbaches. 

4. Verfügung betreffend die Einfühmng von Volksschalbädem (Brause¬ 
bäder). 

5. Verfügang betreffend die Behandlung der Spucknäpfe bei Tuberkulose. 

6. Verfügung betreffend die Einführung der obligatorischen Fleischschau. 

7. Verfügung über die Dauer der Lehrzeit der Apotheker. 

8. Verfügung über Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten. 

Bei der Besprechung der einzelnen Verfügungen entspann sich eine lebhafte 
Diskussion über dieselben. 

Hierauf hielt Herr Kreisphysikus Sanitätsrath Dr. Bauer- Mörs ein Referat 
über einige allgemeine Gesichtspunkte betreffend die sanitätspolizeiliche 
Abwehr and Unterdrückung von Seuchen, speziell der Cholera asiatica. 

1. Die Abwehr bezw. Unterdrückung von Seuchen, speziell der Cholera 
asiatica, ist Sache des Reichs und kann nur durch einheitliche recht¬ 
zeitige Anordnung der entsprechenden, für alle Ressorts gültigen Massregeln 
von einer sanitätspolizeilichen Zentralstelle z. B. (dem Reichs- 
gesundheitsamte) aus, sowie durch einheitliche schleunige Durchführung 
dieser Massnahmen seitens peripherer Zentren, der lokalen Medizinalbeamten, 
gesichert werden. 

Die Durchführung ist jedoch nur unter der Voraussetzung möglich, dass 
ein gewisser, auf das Nothwendigste zu beschränkender Zwang von allen Schichten 
der Bevölkerung freiwillig ertragen, oder durch die öffentliche Gewalt auf¬ 
erlegt wird. 

2. Den Medizinalbeamten, insbesondere den Kreispbysi- 
kern, Bezirksärzten etc. sind so weit gehende Befugnisse zu 
ertheilen, dass ihrer Aufsicht und Anordnung in sanitärer Hinsicht sämmt- 
liche Einrichtungen und Institute des öffentlichen wie Privatlebens offen und 
zugänglich gemacht werden. 

Volksschulen, Seminarien, Gymnasien, Universitäten, Waisenhäuser, Er¬ 
ziehungs-Anstalten, Krankenhäuser, Entbindungs-Anstalten, Eisenbahnen, Bahn¬ 
höfe, Schiffe, Hafenorte etc., der Handel mit Nahrangs- und Genussmitteln 
(Früchten, Fischen), der Transport von zur Uebertragung der Ansteckung geeig¬ 
neten Stoffen etc., öffentliche Versammlungen, Volksfeste, Märkte, Markthallen 
u. s. w. können nicht beziehungslos zu der überwachenden und auordnenden 
Fürsorge der Sanitätsbeamten bleiben, müssen dieser viel mehr ausnahmslos 
unterstellt, die Initiativ - Exekutivbefugnisse der Beamten iin Einzelnen er¬ 
weitert und näher bestimmt werden. — 

Wenn für abgegrenzte Gebiete, z. B. Flussgebiete, Stromgebiete besondere 
Kommissarien geschaö'en werden, müssen die Anordnungen dieser den allgemein 
gültigen Bestimmungen konform und in organischer Verbindung den Sanitäts¬ 
zentren ungegliedert werden. 

Soweit Militärverhältnisse in Betracht kommen, muss eine den sanitäts¬ 
polizeilichen Zwecken entsprechende Fühlung zwischen den Militär- und Zivil- 
Medizinalbeamten vorgesehen und ein einheitliches Verfahren im Prinzip, eine 
sachgemässe Verständigung beiderseitiges 2jiel sein. In fraglichen Fällen ent¬ 
scheidet (das Reichsgesundheitsamt) die Zentral - Sanitätsbehörde. 

3. Der Anzeigepflicht ist die weiteste Ausdehnung zu 
geben. 

Sie hat sich nicht nur am Seuchenherd auf jede wirkliche oder ver¬ 
dächtige Erkrankung, auf verdächtige Todesfälle, sondern auch auf die Be¬ 
wegung der Bevölkerung durch Ortsverändemng, die Absendnng von Keimträgern, 
zur Verbreitung der Ansteckung geeigneter Stoffe, Nahrungsmitteln vom Seuchen¬ 
herd aus zu erstrecken. 

Erkannte oder verdächtige Erkrankungsiälle, verdächtige Todesfälle sind 
von Aerzten, Behörden, Eisenbahnbeamten, Pferdebahn-, Droschken-, Schiffs¬ 
führern, Angehörigen, kurz von allen durch Beruf, Verwandtschaft, Nachbar¬ 
schaft oder zufällige Beobachtung oder Erfahrung Betheiligten sofort der Polizei 
und dem Kreisphysikus zu melden. 

Personen, welche, um der Ansteckung zu entgehen, ihren verseuchten 
Wohnsitz verlassen, sind von der Ausgangs-Station an weitere Stationen ihrer 



634 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


Reiseroute anzuiiielden und haben, an dem Zielorte angelangt, ihre Ankunft so¬ 
fort bei der Polizei anzuzeigen, sowie einer der Inkubationszeit entsprechenden, 
mindestims einmal täglich von dem Medizinal - Beamten oder einem praktischen 
Arzte Torzunehmenden Untersuchung sich zu unterziehen. Das Ergebniss dieser 
ist am Schlüsse der Beobachtung in einem Attest niederzulegen. 

4. Das Anzeigeverfahren allein kann nicht als ausreiche n d 
angesehen werden. 

Es ist eine Art Defensivsystem und diesem gleichwerthig, wenn man be¬ 
rücksichtigt, dass die Initiative von der anderen, zu überwachenden, den 
sanitären ^lassnalimen zu unterwerfenden Seite ausgehen soll. 

Nun ist aber die Neigung zum Vertuschen der ersten Fälle, namentlich 
von Uholera a>iatica, nicht nur Einztdnen, sondern auch ganzen Gesellschafts- 
scdiichten eigen. Die Gesehiehle der ersten Ausbreitung einer Cholerainvasion 
bestätigt die immer wiederkelireiide Schwäche, aus (iescliäfts- etc. Interessen sich 
noch eine Diagnose wie „einlieimische Cholera„(’liolerine“, „Dysenterie^* ge¬ 
fallen zu lassen zu einer Zeit, wo die Sterblichkeit dem ehrlichen Kenner keinen 
Zweifel über den wahren (’harakter mehr übrig lässt. 

Soll das Auftretim der (1n)b‘ra asiatica müglichst im Anfang erdrückt, 
eine grössere Ausl)reitung unmöglich gemacht werden, so hat die Saiiitäts- 
polizei die Offensive zu ergreifen und den Feind in seinen Schlupf¬ 
winkeln aufziisuchen und anzugreifeu. 

Das Absuehen der Wolinungen der zuerst liämgesueliteu Gegend, das 
Nacliforschen des täglichen Verk'dirs <ler Erkrankten etc. (‘tc. — nur dieses 
aktive Vorgehen kann zur Entdeckung d(T Austeckiiiigsherde, der Brut- 
stättim und Nester lührmi, die durch sofortige Evakuatiun und Desinfektiou un¬ 
schädlich zu machen sind. 

Nur das Absuciien, Nachsuch.*n kann die ]^li>glicheit schaffen, eine 
grössere Ziihl <ier leichfertm Auf':ngs- Hrkrankungfu drr är/tliclien Behänd- 
Inng zuzuniliMou die Chancen für die Wiederliorstellung zu verhes>ern, die 
Stcrlilichkeitszillcf zu vermindern. 

I)i<‘ \ cisrlih'pjning dt*r Anst(‘‘kling diire-h \\ö‘greiscn kann nur durch die 
Kontrole <b‘r J‘ii>('nhalinziige, SrliiUe, Pierd« halnien, Pt>>ten bt‘kämj>lt werden. 
Das aktive Naclifnrsfhen über das angenbiicklielu^ B‘‘!: nhm der ReiNenden iiii 
^’ergI(‘ieil mir ihi'un Ausseijeii, die Kikundieiiiigeii üimu- ihr (ie)>alireii und Ver- 
lialli'ii unterwegs, vor Allem liei den M i i r e i s e ii d r* n n a c li etwaigen 
J » e 0 l) :l c h t u n g e ii v o n h ä u I i g e m A ii s t r e t e n (I > u r e li f ä 11 e lü , E r - 
b reellen, auffallende Sc’hwäche, 11 i n f a 11 i g k e i i — muss seine 
Ergänzung tinden in der ärztlielieii r(d)erwachung der Ueisenden, Fremden am 
Orte ihrer Niederlassung während dr‘r Inknbatiun>{K‘rii»'ir. 

T). Die zwangsweise C e b (M’f ü li r u n g an Clodera asiatiea Erkrankter 
in ein Istdirlazurel li iiiiiss in alb-n Fiillen stat rlimbui, wenn die Wolinungs- 
verhältni-se töne orfolgreiclie Is<diriing bezw. I)i.sinfeklimi niciil gestatten; ni» lit 
verdächtige Erkrankungsfälle kfmnen, solangi* ein \’erk,dir mit Personen oder 
Sachen aus clnderadurciixMieiitrn Ort(M mit iSicherladt au>gesc]ilossen i)lei)»t, l)is 
zur F(\st>tclluiig der Natur der Erkrankung in der Wohnniig l)elas.>eii werden. 

Sind an einem Orii^ iaueits wirklieln* ('huleratälle aulgetrereii, oder hat 
ein Verkehr mit eholeraintizirten (iegeusiäiifleii (Fiu>>wasser-JFideii, Trinken, 
^\älscllell) oder mit Keimirägern aus chideraiiili/iiteu Orten (Beil»-, Bettwiische, 
gehraiielit«*!! Kleidern, Lnrnjien, Knoclieii, fri-ehem (bunüse, Butter, W'eiehkäse) 
stattgelünden, so ist jcvler verdäcditige l'.rkrankungsiall in der Regel in ein 
Isülirlazareiii zu ulau’luhreii und au.siiahmsw^dse nur in der Wddmung zu be¬ 
lassen, wenn eim* erfolgreiche Isolirung, De.-iiifektion u id bakteriologische Tuter- 
sucliung ausführbar ist. 

6. Eine hesehränkte Quarantäne ist in gewissen Fällen 
nicht zu e 11 1 b e h r e n. 

Die ITngrmizung soleher Fälle im Allgemeinen ist seliwierig und muss 
drm Saiiirätsbi auitt 11 für jeden einzelnen Fall überlassen bleiben. Es lassen sich 
hier nur einige Aiideutuiigeii gebi u, die als x-Viiiutlrspunkte für analoge Fälle 
dienen können. 

Zum Beisjiitd: Wenn in idmT aus eim r eholeraintizirten Stadt zugereisten 
Familie verdächtiger Brechdurcliläll aultritt, so dürfte die soiortige Ueber- 
führung des Erkrankten in ein Isolirlazareth ebenso zu lechlfertigen sein, als 
die gleiclizeitige (Quarantäne der Familie in einer geeigneten Isolir-Wohnung. 



Aus Versammlimgea und Vereinen. 


635 


Die gänzliche Absperrung der übrigen Familie muss geschehen, wenn die 
bakteriologische Untersuchung wirkliche Cholera asiatica festgestellt hat. 

Ferner, wenn ein aus einem cholerainfizirten Orte Zugereister sich nicht sofort 
gemeldet, oder einer (während der Inkubationszeit auszuführenden) gründlichen 
Ueberwachung seitens eines Sanitätsbeamten bezw. praktischen Arztes entzogen 
hat, kein Attest beibringen kann*, oder Schwierigkeiten bereitet — oder 

wenn Schiffer bei längerer Fahrt über die tägliche Feststellung ihrer in¬ 
takten Gesundheit seitens eines Arztes keinen genügenden Ausweis erbringen 
können, oder 

wenn der Verdacht der Vertuschung und Verheimlichung sich aufdrängt, 
Verheimlichung, Verkauf von cholerainfizirten Gegenständen, oder 

wenn leichtfertiger Verkehr mit Cholerakranken gesucht, und in frivoler 
Weise eine Immuintät vorzutäuschen versucht wird (Impfschwindler, Kurpfuscher, 
Marktschreier und ähulicloi Gecken). 

7. Der Schwerpunkt aller Abwehrmassregelu liegt in ihrer 
rechtzeitigen Vorbereitung. — 

Mau kann die Ähissregelu eiutheilen in uinnittelbare, bei dem Her- 
aunahen einer Seuche in kürzester Zeit ausziiführende und in mittelbare, 
von langer Hand vorzuhereiteiide und fertig zu stellende. 

Alle unmittelbar vor der Invasion zu treffenden Massnahmen können, 
schon in seuchenfreieu Zeiten (in Friedeiiszeiten) und müssen so vorbereitet 
W'erdeii, dass gleich tdner Älobilmachung im Kriegsfälle, die praktische Ausführung 
in der kürzesten Zeit bewerkstelligt werden kann. Hierher gelnireu 

1. Vorbereitung der allgemeinen und speziellen dienstlichen Instniktioneu 
mit Verwerthung der in den Zwischen - Perioden gemachten wisseiischaftlieheii 
Fortschritte. 

2. Die Bibiung von Saiiitätskommissioneu, Sanitäts- Desinfektiouskolonuen, 
Krankenträgern, Ptlegern. 

3. Errichtung von Isolirharackeii und Desinfektionszentren. 

4. Kranken- und Leichentrans]K)rtiiiitTel, Leicheiihäuser, Ergänzung des 
.Inst rumenrena]*parafcs, Trairsfusionsapparate etc. 

5. Alle durch die speziellen \'erliälTuisse (Lage, Industrie, Verkehr etc.) 
für die einzelnen Orte sich ergciieudeu besonderen ad hoc zutreffenden Vurbe- 
reirungen (Eleisclihandel, Handel mit Lnni[)eii, Knochen, Hafenarbeiter, ^See¬ 
städte, Biniienstädre). — 

Alle mittelbaren, von langer Hand vurzu)>ereitendeii i\Iassnahmen um- 
las-icn die A’ostellung aller derjenigen sanitären ]\li>sstände, welehe geeignet 
sind, einen der Seucheiieiitwickiung günstigen Boden zu 'hendttui, der iScuclieii- 
verbreitung Vorschub zu leistiui. Dieses grosse (reliiig hisst sich mit fünf 
Worten vimgreiizeii: Beiiiliclikeii, Desinfektion, gesunde Wohnungen, gesundes 
Trink Wasser, gesunde Nalinmg. 

Auf die-em Oebiet mussAlD'S g e t li a n sein, wenn eine Invasion dr^lit. 
Vm aber die.^es Ziel zu erreielieu, muss die {iesetzgebung selbst eingreifeu und 
(len bauitärsheainten den schwierigen dornig m Weg der Verhütung ehnen 
und gc.nghar luach'Ui lieli’en. 

Die Diskussion über den Vortrag wurde bis nach dem Erscbeiiieii 
des Entwurfs des Keichsseiiehengeselzes ausgesetzt. 

Es folgte sodann ein Vortrag des 

Herrn Aixülo'ker Be i 1 i n g r o d t - Oberhauseu: ITelier die ^"e^ordmlng 
vom 4. Dezember is^U, betreJfeiid Al)g{ibe starkwirkender Mittel, den 
wir nach.-telieiid wiualich l'uigen la>s(m: 

„Im 7, Absatz (les Abschnittes der Preuss. 51(^1. Ed. vom Jahre 1725, 
wadelies „von denen Apotiickern“ handelt, linden sich bereits Vorsehrifteii über 
die Abgabe starkwirkender Arzneien in den Apotheken. Es wird im S- 7 bestimmt: 

„Wenn aber von der Hand aus dmieii Apotheken, einige 8im})licia 
und Coiuposita alterantia, als E<lel-, Herz-, Kinder- und Praecijdtir- 
Pulver, auch gelinde Laxantia und Lenitiva, als Lianna, (kassia, Tamarinden, 
S«‘nna, llhaharber, und dicsseii .Syrupi, und dergleiciien verlangaü werdtm, ist 
ihnen solches in gemässigtt*r Dosi zu geben und ohne ein Rezept zu verkaufen 
unbenommen; dahingegen alle Vomitoria und übrige Purgantia, .sowohl simplicia 
•als auch coinjKJsita, wie auch menses inuventia, ex Mereiirio et Aiitimoiiio 
praeparata et (jpiata, worunter absonderlich Philonium romaniim, Keguies Nicolai, 
sie haben auch Namen, wie sie wollen, zu verstehen sind, und besonders hitzige 



636 


Aiw Versammlmigeu und Vereinen. 


Bezoardica and Sndorifera von der Hand zu geben und zu verkaufen, bei hoher 
Strafe verboten werden.*" 

Die revidirte Apoth.-Ordn. vom 11./lO. tSOl regelte diese Materie im 
Tit. in, wo es §. 2. k. heisst: „so wird den Apothekern Uermit anbefohlen etc., 
am wenigsten aber Medikamente von heftiger und bedenklicher Wirkung, als 
Drastica, Vomitoria, Mercurialia, Narcotica, Emmenagoga, namentlich auch 
Resina und Tinctura jalapae, von der Hand ohne ein von einem approbirten Arzte 
verschriebenes Rezept verabfolgen zu lassen.^ 

Im Laufe der Jahre wurden noch von mehreren Bezirksregierungen die 
Bestimmungen der revid. Apoth. - Ordn. durch Verfügungen, einzelne Arzneimittel 
betreffend, ergänzt. So ordneten 1817 bezw. 1819 die Bezirksregierungen in Königs¬ 
berg und Magdeburg an, dass Capita Paperis nicht mehr freihändig abgegeben 
werden dürften. Eine Verfügung der Regierung in Marienwerder untersagte im 
Jahre 1827 den Verkauf von Krätzsalben. Inzwischen erfolgten noch ministerielle 
Verbote der freihändigen Abgabe von Chinin und (’hinarinde, von Rad. Filic., 
Kosso und Gort. rad. granat. und zuletzt im Jahre 1870 des Chloralhydrat. 

Nachdem die Festsetzungen der revid. Apoth.-Ordn. länger als 70 Jahre 
gültig geblieben waren, erliess das preussische Ministerium am 9. Juni 1878 
eine den veränderten Verhältnissen entsprechende neue Verordnung. Eingangs 
derselben wird der Erlass derselben damit motivirt, dass wegen der Unbe¬ 
stimmtheit der in den Bestimmungen der revid. Apoth.-Ordn. gebrauchten Aus¬ 
drücke dieselben mehrfache Beschwerden veranlasst und in Verwaltungsbezirken 
verschiedene Auffassung und Anwendung gefunden hätten. 

Inzwischen wurden, vom Reichsarat des Innern ausgehend, schon vom 
Jahre 1880 an verschiedene Versuche gemacht, die Materie einheitlich für das 
ganze Deutsche Reich zu regeln. Die dahin gehenden Bestrebungen fanden je¬ 
doch bei einigen auf ihre Partikularrechte eifersüchtigen Bundes-Regierungen 
keine Gegenliebe und so verzögerte sich, theilweise auch durch die im Er¬ 
scheinen begriffene neue Ausgabe des Arzneibuches ftlr das Deutsche Reich 
und durch die beabsichtigte Emanirung einer neuen reichsgesetzlichen 
Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln, diese Angelegenheit, bis der 
Bundesrath in seiner Sitzung vom 2. Juli 1891 neue Vorschriften betreffend die 
Abgabe starkwirkender Arzneimittel etc. feststcllte und die Bundesregierungen 
ersucht wurden, gleichförmige Bestimmungen nach diesem Entwurf zu erlassen. 
— Die preussische Regierung hat darauf unter dem 4. Dezbr. v. J. eine, dem 
Entwurf des Bundesrath gleichbedeutende Verordnung publizirt, die mit dem 
1. Januar d. J. zur Einführung gelangt ist. 

Soviel in Kürze über die historische Entwicklung dieser Angelegenheit. — 

Gehen wir nun zur Betrachtung des Inhaltes der Verordnung über, so 
müssen die Apotheker, die doch vorzugsweise dadurch berührt sind, in erster 
Linie zugeben, dass dieselbe in verschiedener Richturg wesentliche Vorzüge 
gegen die frühere Verordnung zeigt. Der §. 1 der Verordnung bestimmt: 

„Die in dem beiliegenden Verzeichniss aufgeführten Drogen und Präpa¬ 
rate, sowie die solche Drogen oder Präparate enthaltenden Zubereitungen 
dürfen nur auf schriftliche, mit Datum und Unterschrift versehene Anwdsung 
(Rezept) eines Arztes, Zahnarztes oder Thierarztes — in letzterem Falle jedoch 
nur zum Gebrauch in der Thierheilkunde — als Heilmittel an das Publikum 
abgegeben werden.“ 

Zu beachten ist in erster Reihe, dass dieser Paragraph die Abgabe aller 
der im beiliegenden Verzeichniss aufgeführten Mittel nur für die Verwendung 
als „Heilmittel“ unter Verbot stellt und dass damit die Abgabe zu andern 
Zwecken, event. unter den für den Giftverkauf vorgeschriebenen Bedin^ngen 
freigiebt. Bei Feststellung des Verzeichnisses hat es sich ferner nöthig er¬ 
wiesen, Ausnahmen zu äusserlicher Verwendung der Mittel aufzuführen, ob¬ 
gleich dies die Klarheit und Uebersichtlichkeit der Vorschriften beeinträchtig 
Auch für den innerlichen Gebrauch bringt das Verzeichniss eine Ein¬ 
schränkung des Verbotes des §. 1, da eine Anzahl speziell bezeichneter Ai^ei- 
mittel des Verzeichnisses in bestimmten Formen und Mischungen zum innerlichen 
Gebrauch ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfte. Ich mache 
hierfür auf die Ausnahmen für Coffein, Santonin, Resina Jalap. und Tubera 
Jalap. pulv. aufmerksam. — Eine weitere Einschränkung des §. 1 ist im §. 2 
vorgesehen. 

„§. 2. Die Bestimmungen im §. 1 finden nicht Anwendung auf solche Zu- 



Aus Vorsammlungen und Vereinen. 


637 


bereitungen, welche nach den auf Grund des §. 6 Absatz 2 der Gewerbeordnung 
(Reichs-Gesetzblatt 1883 Seite 177) erlassenen Kaiserlichen Verordnungen auch 
ausserhalb der Apotheken als Heilmittel feilgehalten oder verkauft werden 
dürfen (vergl. §. 1 der Kaiserlichen Verordnung, betreffend den Verkehr mit 
Arzneimitteln, vom 27. Januar 1890 — Reichs - Gesetzblatt S. 9).“ 

Nach dieser Bestimmung können von den im Verzeichniss unter Verbot 
gestellten Präparaten eine Reihe freihändig verkauft werden, wenn solche in 
Zubereitungen enthalten, die durch Kaiserl. Verordnung vom 27. Januar 1891 
dem freien Verkehr überlassen sind. Es trifft diese Bestimmung den Verkauf 
bezw. die freihändige Abgabe von Verbandstoffen aller Art, wenn dieselben Stoffe 
des Verzeichnisses wie Jodoform, Chlorzink, Sublimat und dergl. enthalten, oder 
diese Stoffe zu Bädern Anwendung finden sollen. 

Die §§. 3, 4 u. 6 der Vorschriften treffen Bestimmung über die wieder¬ 
holte Angabe von Arzneien. Der §. 3 lautet: 

„Eine wiederholte Abgabe von Arzneien, welche Chloralhydrat enthalten, 
sowie von solchen, zu Einspritzungen unter die Haut bestimmten Arzneien, 
welche Morphin, Cocain oder deren Salze enthalten, darf nur auf jedes Mal er¬ 
neute, schriftliche mit Datum und Unterschrift versehene Anweisung eines Arztes 
oder Zahnarztes erfolgen.“ 

Es sind darnach alle Rezepte, welche Morphin und Cocain und deren 
Salze enthalten von einer Repitition ausgeschlossen, weil es einer jedes Mal 
erneuten schriftlichen Verordnung hierzu bedarf. Die Verordnung sagt „eines 
Arztes“; sie verlangt also nicht, dass es der verordnende Arzt selbst sein muss, 
welcher den Erneuerungsvermerk auf dem Rezepte macht. Arzneien, welche 
Morphin und Cocain enthalten, aber für eine andere Verwendung Bestimmung 
haben, als unter die Haut gespritzt zu werden, fallen unter die Bestimmungen 
des §. 4. — Gegen den Inhalt des §. 3 wäre seitens der Apotheker nichts ein¬ 
zuwenden, wenn derselbe die Wiederholung einer oft verschriebenen Einreibung 
aus Chloralhydrat, Kampfer und Spiritus etc., dadurch zulässig machte, dass in 
diesem Paragraphen hinter dem Worte „Chloralhydrat“ die Worte „zum inner¬ 
lichen Gebrauch“ eingeschaltet würden. Da die Verordnung im Uebrigen, 
wie wir später sehen werden, die Wiederholung aller Einreibungen nie frei- 
giebt, so dürfte eine Ergänzung dieses Paragraphen nach dieser Richtung für 
begründet nnd erwünscht erscheinen. — 

Nachdem im §. 3 jede wiederholte Abgabe für bestimmt bezeichnete Präparate, 
für bestimmte Verbrauchszwecke, ohne erneute ärztliche Verordnung untersagt 
ist, giebt der §. 4 an, in welchen Fällen eine Wiederholung ohne jedes Mal 
erneutes ärztliches Rezept gestattet ist. Der §. 4 der Verordnung sagt; 

„Im Uebrigen ist die wiederholte Abgabe von Arzneien, welche Drogen 
oder Präparate der im 1 bezeichneten Art enthalten, ohne jedes Mal erneutes 
ärztliches oder zahnärztliches Rezept (§. 1) nicht gestattet, wenn: 

1. die Arzneien zum innerlichen Gebrauch, zu Augenwässern, Einath- 
mungen, Einspritzungen unter die Haut, Klystiren oder Suppositorien dienen 
sollen, und zugleich 

2. der Gesamnitgehalt der Arznei an einer im anliegenden Verzeichniss 
(§. 1) aufgeführten Droge oder einem dort genannten Präparate die bei dem 
betreffenden Mittel vermerkte Gewichtsmenge über.steigt.“ 

Ausgenommen sind also ohne erneute Anweisung ver.sehene Rezepte, 
welche Stoffe des Verzeichnisses in grosseren Mengen, als dort angegeben ist, 
enthalten und die nach Absatz 1 dicse.s Paragraphen genannten Verwendungen 
tinden sollen. Zulässig ist die Wiederholung aller Riezepte von Gurgel- und 
Mundwässern, Einreibungen, Waschungen etc., auch wenn deren Gesammt- 
gehalt über die in dem beigegebenen Verzeichniss angegebenen Mengen hinaus¬ 
geht, ohne neue ärztliche Anweisung. 

Durch die Bestimmung tles §. 5 Absatz 1 wird die des §. 4 erweitert, 
sobald der Arzt in seiner Verordnung eine (hdirauchs - Anweisung beige¬ 
fügt hat, aus welcher die Höhe jeder Einzelgabe der starkwirkenden Mittel 
ersichtlich gemacht ist und diese nicht die Hälfte der im Verzeichniss 
festgesetzten Mengen übersteigt. Im Absatz 2 des §. 5 ist jedoch eine 
die Wirkungen des Absatz 1 beschränkende Vorschrift für eine Anzahl 
Präparate gegeben, die für den im Betrieb der Apotheken sehr lästig 
empfunden wird. Besonders beschwerend ist die Anwendung dieses be¬ 
schränkenden Verbotes auf die Dispensation von Morphium zum innerlichen 



638 


Aus Versammlnngen and Vereinen. 


Gebrauch, da nach dieser Vorschrift eine Verordnung mit Morphium, die einen 
Gcsammtgehalt Yon mehr als 3 Centigramme Morphin enthält, nicht ohne neues 
Rezept wiederholt werden darf. — Es war sicherlich keine unbillige Forderung 
des deutschen Apothekerstandes, wenn derselbe durch seine Vereinsorgane zur 
Zeit an zuständiger Stelle die berechtigten Wünsche äiisserte, dass man die 
wiederholte Abgabe einer Arznei, die eines der Arzneimittel, welche nach dem 
Reicharzneibuch unter die Bestimmungen der Maximaldosentabelle fällt, nur dann 
unter Verbot stellen möge, wenn die Menge des auf einmal anzuwendenden 
Mittels die höchste Einzelgabe oder die Gesammtmenge der Einzelgaben die 
höchste Tagesgabe des bezüglichen Arzneimittels überschritte. Dass diese 
Forderung nicht zu weit ging, dürfte doch daraus hervorgehen, dass mehrere 
deutsche Bundesregierungen in ihren bisherigen, die diesbezügliche Materie 
regelnden Verordnungen solche Bestimmungen schon längere Zeit eingeführt 
und damit ausprobirt hatten, auch dass nicht alle deutschen Bundesstaaten diese 
beschränkende Bedingung in der Verordnung haben aufrecht erhalten, ohne da^ 
für das Allgemeinwohl Nachtheile daraus erwachsen sind. 

Selbst ein grosser Theil der Aerzte scheint die beschränkende Massregel, 
die allerdings in Preussen für Morphium schon seit Einführung der Verordnung 
vom 3. Juni 1878 besteht, nicht zu fassen, da gerade durch das Verfahren 
ärztlicherseits der Apotheker häufig in unangenehme Situationen dem Publikum 
gegenüber geräth, wenn, wie das in den meisten Fällen geschieht, der Arzt die 
Wiederholung eines Morphium enthaltenden Rezeptes mündlich anordnet. In 
Städten und in grösseren Orten, wo Aerzte leicht zur Hand sind und erreicht 
werden können, lässt sich nach langer Erörterung mit dem Arzneisuchenden 
wohl erzielen, dass der Arzt zur Erneuerung der Verordnung aufgesucht wir^ 
in den ländlichen Bezirken ist das aber nicht der Fall und die Unzufriedenheit 
des kranken Publikums schiebt dem Apotheker allein jedes Mal alle Schuld zu. — 

Eine Aenderung nach dieser Richtung wird deshalb von den Apothekern 
angestrebt, und werden die dahin gehenden geäusserten Wünsche hofi'entlich 
Berücksichtigung finden. Uebrigens sei mir gestattet, hier noch auf die aus der 
nicht korrekten Fassung des besprochenen §. 5 erwachsenden Eigenthttmlichkeiten 
hinzuweisen. Nach den Bestimmungen des Absatzes 1, §. 5 gehört Natr. salicylic. 
auch zu den Präparaten, die nur dann wiederholt abgegeben werden dürfen, wenn 
die Menge desselben für die Einzelgabe aus der Verordnung ersichtlich und 
nicht mehr als die Hälfte der im Verzeichniss vermerkten Gewichtsmenge be¬ 
trägt. Ein Rezept von 2,5 gr. Natr. salicylic. in 200 gr. Wasser ..Nach 
Vorschrift** signirt, darf nicht ohne erneute Verordnung verabfolgt werden, 
während eine Mixtur aus 20 gr. salicylsaiirem Natron in 200 gr. Wasser und 
„2stündlich 1 Esslöffel volPsignirt unbeanstandet ad infinitum repetirt werden 
darf.** Ferner dürfen Morphium und seine 8alze zum innerlichen Gebrauche nicht 
abgegeben werden, wenn der Gcsammtgehalt einer Arznei die Menge von3cgrm. 
an Morphium überschreitet. Die Lösung von 3 egrm. eines Morphiumsalzes in 
10 gr. Wasser darf also ohne Erneueningsverinerk des Arztes abgegeben werden, 
selbst wenn ein und dieselbe Verorduiing au ein und demselben Tage häut^er 
verlangt wird. Dagegen ist es nicht erlaubt, eine Mixtur zum (iesammtgewicht 
von 200 gr. ohne Wiederholuiigsvermerk zu repetiren, wenn dieselbe 4 egrm. 
Morphium enthält. — Was liegt uuu näher, als dass der Patient sich zweimal 
die Hälfte der Verordnung anfertigen lässt und damit das gewünschte ganze 
Quantum der Mixtur doch erhält. — Noch auffälliger wird das Verhältniss, wenn 
man die Bestimmungen der 4 und 5 auf die Abgabe dispensirter Morphium- 
pulver in Anwendung bringt. Eine Ordination von 3,5 egrm. Morphium mit 
2 gr. Zucker in 4 Theile getheilt, darf nicht wiederholt werden, während eine 
Verordnung, nach welcher 10 Pulver, aus 1,5 egrm. Morphium mit V,gr. Zucker 
verrieben, bestehend, also 15 egrm. ilorphium unbeanstandet abgegeben werden 
dürfen. 

Nach §. 6 unterliegen die thierärztlichen Verordnungen einer Beschränkung 
in Bezug auf wiederholte Abgabe nicht und sind im 7 die homöopatWschen 
Zubereitungen aller Art über die 3. Potenz hinaus für die Abgabe in den 
Apotheken von den Lestiinmungen der 3—5 ausgenommen. In J^age 
kommen hier hauptsächlich: Aconitum.,' Ammon, jodatum, Apomorphinum, 
Arsenik, Atropin, Aurumchlorat, Belladonna, Cannab. indica, Cantharides, Code¬ 
inum, Coffeinum, Colchicum, Colocynthis, Digitalin., Digitalis, Gutti, Gelsemium , 
Jpecacuanha, Opium, Merc. solubil., Merc. subl. corros., Merc. bijod., Merc. 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


689 


cyanat., Merc. jodat. flav., Merc. praecip. rubr. & alb. Jod, Kal. jodat., Kreosot, 
Älorphium, Nux vomica, Opium, Phosphor, Physostigmin, Stramonium, Strophantus, 
Strychnin, Veratrum. 

Diese Erleichterung ist für die Apotheker, welche homöopathische Mittel 
dispensiren, dankbar zu begrüssen. 

Im §. 8 ist gesagt, dass die Bestimmung der §§. 1—7 der Verordnung 
die Vorschriften über den gewerblichen Verkehr mit Giftwaaren nicht berühren. 

§. 9. Die Verordnung bestimmt hier die Verwendung sechseckiger 
Gläser für äusserliche Arzneien und deren Signirung auf Zetteln von rother 
Grundfarbe, während für die Arzneien zum innerlichen Gebrauche runde Gläser 
mit Zetteln von weisser Farbe verwandt werden sollen. Ferner ordnet der 
§. 9 die Verwendung gelbbraun gefärbter Gläser für flüssige Arzneien, welche 
durch die Einwirkung des Lichtes verändert werden, an. Obgleich diese An¬ 
wendung sechseckiger Gläser dem Apotheker die Last auferlegt, einen weit 
grösseren Vorrath von Medizinglas auf Lager zu halten und dadurch ein weit 
grösserer Raum für die Unterbringung derselben beansprucht wird, so ist man 
dieser Verordnung doch gerne und willig nachgekommen. Da die Verordnung 
jedoch die Abgabe der zu äusserlichen Zwecken bestimmten Arzneien in sechs¬ 
eckigen Gläsern nur für die ärztlicherseits verschriebenen Arzneien anordnet, so 
wird der dabei im Auge gehabte Zweck doch wohl kaum in vollem Masse er¬ 
reicht werden, weil es gestattet ist, dieselben Mittel im Handverkaufe in be¬ 
liebig geformten Gläsern abzugeben. Karbolsäureverwechslungcn gerade waren 
es, welche seiner Zeit den ersten Anstoss zu der Befürwortung besonders ge¬ 
formter Gläser für äusserliche Arzneien gaben. Wenn nun nach Einführung der 
Externgläser ein Arzt z. B. 100 gr. flüssige Karbolsäure verordnet, so wird die¬ 
selbe in der Apotheke in einem sechseckigen Glase verabfolgt. Lässt der Arzt 
— es kommen in der That derartige Fälle nicht selten vor — die Karbolsäure 
oder auch ein 3—5 ®/oges Karbolwasser ein anderes Mal in einer Drogenhandlung 
entnehmen, so darf sie hier in jedem anders geformten, meist rundem Glase ver¬ 
abfolgt werden. Geschieht dies und die Karbolsäure wird mit einer Mixtur in 
rundem Glase auf den Tisch vor dem Krankenbette gesetzt, so ist die Gefahr 
trotz der Verordnung wieder vorhanden. Dieser gefährlichen Möglichkeit wird 
daher durch die Einführung besonderer Extemgläser in den Apotheken nicht 
vorgebeugt, wenn nicht der gesammte Arzneivertrieb wieder in die deutsche 
Apotheke zurückverwiesen wird. 

Ob unter runden Gläsern nur kreisrunde zu verstehen sind, ist nicht be¬ 
stimmt entschieden, trotzdem eine pharmazeutische Zeitschrift eine dahinlautende 
Nachricht vor längerer Zeit veröffentlichte. Auf Grund einer Nachfrage an 
kompetenter Stelle muss ich annehmen, dass die ovalnmden Gläser zur Dispen¬ 
sation für innerliche Arzneien bis heute noch für zulässig erachtet werden.*) 

Die Bestimmungen, die der §. 10 der Verordnung über Bezeichnung der 
Standgefässe trifft, interessiren für den hiesigen Verwaltungsbezirk kaum, da 
diese Massregel hier bereits seit Jahren vollständig durchgeführt sein dürfte. — 

Ich nuichte mir nun noch wenige Worte über die in das Verzeichniss 
hineingebracliten Arzneistoffe erlauben. Im Grossen und Ganzen finden wir 
in demselben die bereits in der Anlage zur Verordnung vom 2. Juni 1878 auf¬ 
geführten Stoffe wieder. Eine kleinere Anzahl Arzneimittel ist im neuen Ver¬ 
zeichniss nicht mehr genannt, die in dem Verzeichniss von 1878 noch enthalten 
waren. Eine grössere Anzahl Mittel dagegen, und nur solche, die im Lauf der 
letzten Dezennien in den Arzneischatz neu aiifgenommen sind, finden sich, wie 
erwartet werden musste, aufgeführt. Unter diesen sind einige, die sich bereits 
seit Jahren vor Erlass der Verordnung im grossen Publikum als „Hausmittel“ 
eingebürgert haben. Ich meine damit Antiijyrin, Phenacetin, Natrium salicylic. 
Wer unter Ihnen, m. H., hat noch niclit gelegentlich eines vergnügt beim Schoppen 
verlebten Abend von dem einen oder anderen Bekannten gehört, dass er sich 
nicht melir vor den bösen Folgen einer frühlichfeuclit durchlebten Nacht fürchte, 
seitdem die (’hemic als wirksamstes Gegenmittel gegen den Hauskater in seinen 
verschiedenen .Modulationen das Phenacetin und Antipyrin erfunden und dass 
der gehörte Freund sich bereits gewappnet, das ]\littelchen in der Tasche trage? 
Wer von Ihnen wüsste nicht, dass fast jeder Bauer genau die günstige Wirkung 

*) Nicht zutreffend. Vergleiche den Ministerialerlass vom 8. März d. J., 
Beilage zu Nr. 8 der Zeitschrift, S. Gl. 



640 Kleinere Mittheilungeu and Referate aus Zeitschriften. 

des salicylsauren Natrons auf sein rheomatisches Leiden kennt, and dass er das¬ 
selbe vor dem 1. Januar d. J. nicht allein beim Drogisten, auch in der Apo¬ 
theke so viel er wollte, nach freiem Ermessen in jeder Dosis, entnehmen konnte ? 

Das ist jetzt alles vorbei. In der Apotheke werden diese schönen Mit¬ 
telchen nunmehr „auf schriftlichen mit Datum und Unterschrift versehenen 
Anweisung eines Arztes, Zahnarztes oder Thierarztes“ als Heilmittel an das 
Publikum abgegeben. — Doch halt! Zum Doktor geht der Mann deshalb doch 
nicht. Drüben im Laden, wo der Materialist anf Grund der Verordnung vom 
27. Januar 1891 der Menschheit Wohl pflegt, da holt er sich sein Pfllverchen, 
wenn es auch etwas mit dem giftig sein sollenden Antifebrin verfälscht sein 
könnte. 

Das ist der Erfolg davon, dass die freihändige Abgabe dieser Mittel in 
den Apotheken verboten ist.“ 

Nach Schluss der Verhandlungen vereinigte ein Mittagsmahl alle Anwe¬ 
senden auf mehrere Stunden bis zum Abgänge der Züge. 

Dr. Albers-Essen. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Hygiene nn^d^öffentliches Sanitätswesen: 

Zum Vorträge t. Pettenkofer’s: Ueber Cholera, mit Berttcksichti" 
gang der jüngsten Cholera - Epidemie in Hamburg. Von Prof. Dr. C. F r ä n k e i 
in Marburg. Deutsche medizinische Wochenschrift 1892; Nr. 48. 

Es stand von vornherein mit Sicherheit zu erwarten, dass der am 12. November 
d. J. in der Sitzung des Münchener ärztlichen Vereins von v. Pettenkofer ge¬ 
haltene Vortrag über die Cholera asiatica, welche er theils auf Grund eigener 
experimenteller Studien, theils nach in Hamburg gemachten epidemiologischen 
Betrachtungen weiter aufzuklären bemüht ist, nicht ohne eine energische Ab¬ 
weisung und Widerlegung aus dem kontagionistischen Lager bleiben werde. 
Fränkel kritisirt die Ausführungen v. Pettenkofer’s, welche in Nr. 23 
dieser Zeitschrift zum Abdruck gekommen sind, in dem oben angeführten Artikel 
und wendet sich zunächst gegen die von v, Pettenkofer und Emmerich 
mitgetheilten Infektionsversuche, indem er zu einem entgegengesetzten Schlug 
wie die kühnen Experimentatoren gelangt. Er ist der Meinung, dass diese 
Selbstinfektion zu einem positiven Resultat geführt hat, un’d 
dass sowohl v. Pettenkofer wie Emmerich in Folge der Ein¬ 
wirkung der Kommabazillen an echter Cholera erkrankt waren. 
In der That muss jeder Arzt die v. Pettenkofer’sche Erkrankung in <He 
Kategorie der „mild verlaufenden Cholerafonnen“ bringen, wie sie beispielsweise 
aus der diesjährigen Epidemie von P. Guttmann in der Berl. Klinischen 
Wochenschrift Nr. 39 beschrieben sind, während Emmerich’sFall schon einen 
etwas höheren Grad der Infektion darstellt. Das Schwächegefühl, die Heiserkeit, 
der grosse Durst, die reiswasserähnlichen Stühle lassen doch an dem Charakter 
der Erkrankung wirklich keinen Zweifel und sprechen mit lauter Stimme für die 
pathogene Bedeutung der aufgenommenen Bakterien. Es giebt eben bei allen 
Infektionskrankheiten zahlreiche Abstufungen in der Schwere der Erscheinungen 
der Infektion. Worin diese Unterschiede begründet sind, vermögen wir z. Z. 
mit Sicherheit nicht zu sagen. Neben der Menge des jedes Mal in Thätigkeit 
tretenden Infektionsstoffes kommt hier zunächst namentlich die veränderliche 
Virulenz desselben in Frage und hofft Fränkel demnächst den zahlen- 
mässigen Nachweis zu erbringen, dass die Infektiosität der Cholera¬ 
vibrionen unter Umständen schon erstaunlich kurze Zeit nach 
der Ge winnung der Bakterien ausdemmenschlichenOrganismus 
eine/sehr erhebliche Einbusse auf unseren künstlichen Nähr¬ 
boden erfährt, so dass es interessant wäre, zu wissen, wie viele Tage die 
benutzte Kultur bereits ausserhalb des menschlichen Körpers gezüchtet worden 
war, ehe sie die erwähnte Verwendung tand. Für die Gestaltung einer Infektion 
spielt aber auch die wechselnde Empfänglichkeit des ergriffenen 
Individuums eine bedeutsame und entscheidende Rolle und es hätte nicht 
überraschen können, wenn diese Selbstinfektion ein völlig negatives Resultat 
geliefert hätte. Das Gegentheil ist aber eingetroffen und der Fall v. Petten- 



Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 


641 


kofer-Emraerich muss neben dem oft zitirten aus den Berliner Cholera¬ 
kursen, als Beweis für die künstliche üebertragbarkeit der 
Kommmabazill en auf den Menschen angeführt werden. 

Bezüglich der von v. Pettenkofer behaupteten zeitlich-Örtlichen Dis¬ 
position des Bodens, macht Fränkel geltend, dass die heisse und trockene 
Temperatur im August sowohl in fast ganz Mitteleuropa, wie Hamburg geherrscht 
und doch die Cholera nur in Hamburg festen Fuss gehabt habe und dass das 
Verhalten der Cholera in Hamburg und in Altona bez. auch in Wandsbeck, doch 
einen auffallenden Unterschied habe zu Tage treten lassen, wie dies aus 
Wallich’s Veröffentlichungen in Nr. 46 der Deutschen med. Wochenschrift am 
besten hervorgehe, wo Strassen, die zur Hälfte Hamburg, zur Hälfte Altona 
angehören, in dem ersten Theile „Cholerafälle in jedem Hause eine grosse An¬ 
zahl“, in dem anderen Theile „keinen einzigen Fall“ aufzuweisen hatten. 
Fränkel fragt, ob v. Pettenkofer wirklich glaube, dass die Verunreinigungen 
des Bodens in so respektvoller Weise überall gerade vor den schwarzweissen 
Grenzpfählen Halt gemacht und sich mit bundesstaatlichem Pflichtgefühl streng 
an die rothweisse Oberhoheit gehalten habe? 

Für die Bedeutung der zeitlich - örtlichen Disposition im 
V. Pettenkofer’schen Sinn hat nach Fränkel das Auftreten der Cholera in 
Hamburg nicht den geringsten Anhaltspunkt geliefert, wohl aber hat 
die diesjährige Epidemie in wahrhaft glänzender Weise die Wirksamkeit der 
Schutz- und Vorbeugungsmassregeln dargethan, gegen welche v. Pettenkofer 
sich im dritten Abschnitt seiner Ausführungen wendet. Da v. Pettenkofer 
selbst zugiebt, dass der Vibrio sich in allen Fällen von Cholera asiatica findet, 
so muss er denselben mindestens als ein ungemein werthvolles Mittel zur Lösung 
einer früher völlig unerfüllbaren Aufgabe, nämich zur sicheren Fest¬ 
stellung der ersten Fälle von echter Cholera, anerkennen. Der Nachweis 
der Kommabazillen giebt also die Möglichkeit, den Infektionsstoflf, in dem Augen¬ 
blick, wo er sich anschickt, irgendwo festen Fuss zu fassen, zu ergreifen und 
zu vernichten. Die Fernhaltung und Beseitigung des Infektionsstoffes muss 
daher bei einer Seuchenabwehr gegen die Cholera zunächst immer eine unserer 
vornehmsten Aufgaben sein. Es wäre gewiss mehr wie wunderbar, wenn so 
grobe Faktoren wie Bodenverunreinigung, Durchfeuchtung u. s. w. sich wirklich 
in dem ganzen grossen Deutschen Reich nur an einer einzigen, eng umschriebenen 
Stelle in der erforderlichen Weise entwickelt hätten I Aber ein Moment, das 
zur Zeit früherer Epidemien, wo die Seuche in Deutschland sich nicht auf einen 
Ort zu beschränken pflegte, allgemein verbreitet war, ist jetzt von allen grösseren 
Städten, allein noch Hamburg eigenthümlich: Die Versorgung der Be¬ 
völkerung mit unfiltrirtem Flusswasser. Das hat Hamburg von 
Altona und Wandsbeck unterschieden und hierin dürfte wohl auch der Grund für 
das plötzliche und rasche Auftreten der Seuche, wie ihre Ausdehnung in Hamburg 
zu suchen sein. 

Zum Schluss wendet sich Fränkel noch gegen dasVorgehenv.Petten- 
kofer’s und Eminerich’s, welche ihre, grosse Mengen von „Komma¬ 
bazillen enthaltenden Stühle „thatsächlich undesinfizirt“ in 
Abtrittsgruben und in Wasserklosets entleert“ hätten. Dieses 
Vorgehen müsse als ein äusserst gewagtes bezeichnet werden, selbst wenn man 
sich auf den Standpunkt von v. Pettenkofer’s stellt; denn woher hätte 
V. Pettenkofer gewusst, ob in der Zeit, wo er seine Versuche ausführte, 
nicht auch in München die zeitlich - örtliche Disposition wie die individuelle 
Disposition in ausreichender Menge vorhanden waren, um mit Hülfe desCholera- 
keimes, den er hinzubrachte, eine schwere Epidemie entstehen zu lassen? Die 
beiden kühnen Experimentatoren sind gewiss nur von der Ueberzeugung aus¬ 
gegangen, dass ihre Handlungsweise ungefährlich sei, aber diese Ueberzeugung 
auch ohne weiteres bei hunderttausend anderen Menschen vorauszusetzen und 
dieselben ungefragt, unfreiwillig als Beweisstücke in ein derartiges Experiment 
auf Leben und Tod mit einzubeziehen, sei doch recht bedenklich und hätten die 
Bakteriologen namentlich Grund, gegen v. Petttenkofer’s Vorgehen Ver¬ 
wahrung einzulegen. Es sei sehr begreiflich, wenn sich besonders der Bevölkerung 
derjenigen Orte, in denen hygienische oder bakteriologische Laboratorien be¬ 
stehen, eine lebhafte Abneigung gegen diese Anstalten und ihre Insassen be¬ 
mächtige. Dr. Dütschke-Aurich. 



642 


Kleinere Mittheilungeu and Eefcrate ans Zeitschriften. 


Die englischen Schwindsnchtshospitäler und ihre Bedeutung für 
die deutsche Gesundheitspflege. Von Dr. Heinrich Rosin, Assistenzarzt 
am Allerheilij 2 :enhospital in Breslau. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche 
Gesundheitsptlege 1892; 2, H., S. 252—276. 

Die Forderung der Errichtung von Sanatorien für Lungenkranke wird 
neuerdings in Deutschland mit grossem Nachdnick erhoben. Abgesehen von 
einigen b^escheidenen Versuchen ist aber auf diesem Gebiete noch nichts Wesent¬ 
liches geschehen, trotzdem das Bedürfniss allseitig anerkannt wird. Man muss 
zweifellos Leyden beipflichten, welcher die spezielle Anstaltsbehandlung Tu¬ 
berkulöser nothwendig erachtet, nicht etwa zum Zwecke ihrer Isolirung, son¬ 
dern um in geeigneter Weise die Behandlung der Erkrankung aufnehmen zu 
können. Auch darin wird man ihm zustimmen müssen, dass hierbei nicht nur 
die gänzlich Unbemittelten zu berücksichtigen seien, sondern auch die nicht 
vermögenden mittleren Stände, welche für geringes Entgelt die nöthige Pflege 
in solchen Sanatorien Anden können. 

Unter allen Kulturstaaten besitzt nun eigentlich nur England Pflegean¬ 
stalten für Tuberkulöse, aber auch nur in so geringer Anzahl und Ausdehnung, 
dass man auch hier lediglich von Anfängen reden darf. Die Statistik zei^ 
dass in England mehr als 80000 Personen an Schwindsucht leiden, und dem¬ 
gegenüber können in allen Schwindsuchtshospitälern zusammen höchstens 1000 
Patienten aufgenommen werden. Das älteste der Hospitäler für Lungenkranke 
ist das Royal Hospital for Diseases of the Chest, City Road in London, welches 
bereits im Jahre 1814 gegründet worden ist. Dieses sowohl wie die übrigen 
drei in London vorhandenen Anstalten haben den Nachtheil der Lage inmitten 
oder dicht an der Riesenstadt, mit der durch anhaltende Nebel und Rauch aus 
den unzähligen Schloten verunreinigten Luft. Herrlich gelegen und grossartig 
eingerichtet dagegen ist das Hospital zu Ventnor auf der Südküste der Insel 
Wight, welches 132 Plätze enthält. Dasselbe ist nach dem Prinzip errichtet, 
dass jeder Kranke sein eigenes Schlafzimmer erhält und dass die Kranken nicht 
in einem grossen Gebäude untergebracht sind, sondern in einer ganzen Reihe 
von Häusern, welche an einem gegen Winde geschützten Orte liegen. — Die 
Verwaltung der Schwindsuchts-Hospitäler in England ist die gleiche wie in den 
meisten dortigen Krankenhäusern. Sie sind aus freiwilligen Spenden erbauet 
und müssen ebenso durch jährliche Beiträge erhalten werden. Durch eine ge¬ 
wisse Höhe des Beitrages wird die Würde eines Governor erworben, und aus 
diesen Governors wird ein Comite gebildet, board of management oder executive 
Committee, welches die eigentliche Leitung der Geschäfte übernimmt. Die Ge¬ 
meinschaft der Governors aber wählt die Aerzte und sämmtliche Beamten der 
Anstalt. Die Aerzte haben mit der Verwaltung nichts zu thun; die konsul- 
tirenden Aerzte, Consulting physicians, welche gewöhnlich aus den ersten 
Autoritäten des Landes gesucht werden und höchst selten, nur auf be¬ 
sonderes Ersuchen in das Hospital kommen, sowie die Oberärzte, seniors 
oder examining physicians, betracliton ihr Amt als Ehrenamt und be¬ 
ziehen kein Gehalt. Die Assistenzärzte, assistant - physicians, und Hausärzte, 
welche nicht unbedeutende Jahresgehälter beziehen, haben die Hauptarbeit zu 
verrichten, ihnen sind die einzelnen Stationen unterstellt. Die Aufnahme der 
Kranken geschieht theils unentgeltlich, theils gegen eine geringe Vergütung, 
1 Guinee = 21 Mark pro Woche. Eine eigene Apotheke flndet sich in jedem 
Hospital. Ueberall wird die psychische Seite in der Krankenpflege in hohem 
Grade insofern berücksichtigt, als den Kranken durch behagliche Einrichtungen, 
Schmuck der Wände mit Bildern, Lesezimmer, Bibliothek, Gesellschaftsspiele 
u. s. w. der Aufenthalt in dem Hospitale möglichst angenehm gemacht wird. 

Die Nachtheile dieses Systems sind sehr erhebliche. Selbst in dem reichen 
England kranken die Hospitäler zum grossen Theil an chronischem Geldmangel 
und ist dies auch der Grund, warum Sanatorien erst in so geringer Anzahl er¬ 
richtet sind, ln Deutschland ist an Erbauung und Unterhaltung derartiger An¬ 
stalten lediglich aus wohlthätigen Beiträgen gar nicht zu denken. Soll eine 
wirkliche Hilfe geschaften werden, daun müssen au vielen Punkten des Reiches 
in grösserer Zahl Sanatorien errichtet werden. Dies kann nur möglich sein, 
wenn Staat und Kommunen (doch wohl auch unsere modernen Krankenkassen. 
1). Ref.) im Verein mit der Privatwohlthätigkeit gemeinsam Vorgehen. 

Dr. Meyhoefer-GörUtz. 



Kleinere Mittbeilungen und Referate aus Zeitschriften« 


643 


Neue Untersuchungen Uber die Giftigkeit der Exspirationsluft. 
Von Dr, Sigmund Merkel. (Aus dem hygienischen Institute München.) Archiv 
für Hygiene; XV., 1. 

Bekanntlich sind einige Physiologen geneigt, die offenbar schädlichen 
Einwirkungen, welche die Luft in geschlossenen Räumen, bei mangelhafter Luft¬ 
erneuerung auf die darin athmenden Menschen ausübt, weniger dem Gehalt an 
Kohlensäure, als vielmehr gewissen, offenbar organischen, sonst aber vorläufig 
noch unbekannten gasförmigen Ausscheidungen der Lungen zuzuschreiben. In¬ 
dessen haben die Bestrebungen, diese Stoffe näher zu studiren, vor der Hand zu 
recht widersprechenden Ergebnissen geführt. Brown-S6quard will ein sehr 
heftiges Gift dargestellt haben, sowohl, wenn er destillirtes Wasser durch eine 
Trachealkanüle seinen Versuchshunden in die Lungen goss und die ausgehustete 
Flüssigkeit untersuchte — ein Verfahren, welches er lavage du poumon nennt —, 
als auch wenn er die Exspirationsluft von Menschen oder Hunden in Glas¬ 
spiralen durch Eis hindurchleitete. In letzterem Falle erhielt er eine klare, 
schwach alkalische, Silbernitrat reduzirende Flüssigkeit, welche sterilisirt oder 
unsterilisirt. auf jedem beliebigem Wege den Versuchsthieren beigebracht, diese 
krank machte oder bei genügender Dosirung tödtete. Da aber andere Forscher 
auf Grund von Koniroleversuchen die Angaben Brown-Sequard’s nicht be¬ 
stätigen konnten, unternahm Merke 1 seinerseits eine Nachprüfung derBrown- 
S^quard’schen Versuche, bei welchen im Gegensätze zu einigen von anderer 
Seite unternommenen Versuchsreihen sehr bedeutende Luftmengen, bis zu 
4000 Liter zur Verwendung kamen. Trotzdem war das Resultat vollständig 
negativ! Das Kondenswasser der Exspirationsluft (pro Kopf und Stünde lö ccm.!) 
enthielt eine Kleinigkeit Ammoniak; dagegen wurde weder irgend eine Alkaloid- 
Reaktion, noch die von Brown-S6quard angegebene Reduzirung von Silber¬ 
nitrat erhalten. Ebensowenig war eine Giftwirkung nachzuweisen; denn sogar 
das auf 2 ccm. bei 39® im Vaeuum eingedampfte Kondenswasser von 4200 Liter 
Exspirationsluft konnte einer Maus eingespritzt werden, ohne etwas Anderes, als 
leichte Benommenheit zur Folge zu haben. 

Der zweite Theil der MerkeTschen Arbeit hat die Nachprüfung einer 
anderen, ebenfalls von Brown-S6quard herrührenden Versuchsanordnung zur 
Aufgabe. Wenn nämlich Brown-Sequard eine Anzahl von luftdicht ab¬ 
geschlossenen, je mit einem Kaninchen besetzten Käfigen durch Röhren mit 
einander verband und nun mittelst eines Aspirators durch die ganze Anlage Luft 
hindurchstreichen liess, so dass nur das erste Kaninchen reine Aussenluft, das 
zweite dagegen die Luft aus dem ersten Käfig und so jedes folgende Kaninchen 
eine in höherem Grade durch die Exspirationsluft der anderen Thiere verun¬ 
reinigte Luft einzuathmen bekam, so starben die letzten Kaninchen und zwar 
um so schneller, je stärker verunreinigte Luft sie einzuathmen hatten. Der 
Tod dieser Kaninchen erfolgte zwischen dem 3. und 8. Tage, während die beiden 
ersten Thiere gesund blieben. (Für die Entfernung der Exkremente waren be¬ 
sondere Anordnuug(m getroft’en worden). Der Tod unterblieb aber, sogar in den 
beiden letzten Käfigen, sobald die verunreinigte Luft, ehe sie in den Käfig ein¬ 
trat, durch Schwefel- oder Salzsäure gelassen wurde. Die Giftwirkung kann 
also nicht durch die Kohlensäure, sondern durch eine flüchtige organische, durch 
Säure zerstörte oder gebundene Substanz erklärt werden, welche Brown- 
Söquard für ein Alkaloid ansieht. 

Die von Brown-StMiuard behauptete Giftwirkung der Exspirationsluft 
wird durch Merkel’s an Mäusen vorgenommene Kontrolc-Versuche in vollem 
Umfange bestätigt, ebenso wäe die Zerstörung der Giftwirkung durch Säuren. 
Es kann somit als bewiesen angesehen werden, dass die Exspi¬ 
rationsluft thatsächlich eine giftige, flüchtige Substanz 
organischerNaturenlhält. Es würde zu weit führen, auf die interessanten 
Versuche näher einzugehen, die Verfasser anstellte, indem er mehrere Menschen 
viele Stunden lang durch schwache Salzsäurelösung hindurch ausathmen liess, 
um die flüchtige Substanz zum Zweck näherer Prüfung zu binden. Trotz der 
sehr grossen Luftmengen waren nur sehr geringe Mengen organischer Substanzen 
nachweisbar „welche, wie Verfasser sich vorsichtig ausdrückt, in der Quantität, 
wie sie angewendet werden konnten, oder in Verbindung mit Salzsäure nicht 
giftig, oder was auch möglich wäre, nur für die zu den Versuchen angewendeten 
Thiere nicht giftig sind.^ 



CAi 


Kleinere Mittheilun^en und Referate aus Zeitschriften. 


Weitere Versuche sind bei der grossen Bedeutung, welche die Frage nach 
der Giftiirkeit der Exspirationsluft nicht nur für die Physiologie, sondern vor 
Allem für die praktische Hygiene besitzt, wünschenswerth. Vorläurig ist 
Merkel entschieden zuzustiiniuen, wenn er sich mit anerkennenswerther Zurück¬ 
haltung zum Schluss aussj)richt: „Ob freilieh das von manchen Forschern auf die 
Giftigkeit der Exspirationsliift zurückgeführte Hebel- und Olmmächtigwerden 
von Menschen in üi)erfüllten Tanz- oder Konzertsälen etc. auf die Giftigkeit der 
Exspirationsluft ziirückführhar ist, dafür möchte ich mich nicht entscheiden. 
Man muss auch au die enorme Tempcratiirsteigerung an solchen Orten denken, 
an die zunehmende Verunreinigung der Luft mit Kohlensäure und anderen auf 
die Respirationsorgane schädlich ein wirkenden Gasen (llautausdUnstuug, Fett¬ 
säuren u. s. w.) ferner an das in unserer nervösen Zeit bei so vielen Menscheu 
vorhandene Getühl von leicht eintreteuder Ermüdung und Erschöpfung.“ 

Dr. Laugerhans-Haukensbüttel. 


Besprechungen. 

Preussisches Hebammen-Lehrbuch. Herausgegeben im Aufträge 
des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten. — Mit 43 Holzschnitten. — Berlin 1892. Verlag 
von August Hirschwald; 291 Seiten. 

Das vorliegende Buch ist im Aufträge des Herrn Ministers von dem Herrn 
Geheimen Medizinalrath Professor Dr. Dohrn in Königsberg bearbeitet, nachdem 
eine Kommission von Fachmännern die Grundziige für dasselbe wiederholt be- 
rathen und festgestellt hatte. Das seit dem Jahre 1878 im Gebrauche gewesene, 
vom Professor Litzmann verfasste „Lehrbuch für die Preussischen Hebammen“ 
entsprach nicht mehr den Anforderungen der Neuzeit, insbesondere hatten die 
Vorschriften der Antisepsis in demselben die hinreichende Berücksichtigung noch 
nicht gefunden. — 

Wie es in dem Vorliericlite heisst, hielt die Kommission an dem Grund¬ 
sätze des alten Lehrbuches fest, dass der Wirkungskreis der Hebammen durch- 
w^eg auf den Dienst einer sachverständigen Beobaelitiuig und Pflege zu beschränken, 
ein operatives Eingreifen dag(‘gen, namentlich das Operiren innerhalb der Gebär- 
luutterhölile den Hebammen zu untersagen sei. Diesen Standpunkt tbeilte je¬ 
doch die durch p]inberufiing von ausserordeiitliehen Mitgliedern erweiterte Wis.sen- 
schaftliche Dejmtatiun, welcluT die Kommissionsbeschlüsse zur Begutachtung 
vorgelegt wurden, nicht, besonders mit Kück.siebt darauf, dass in einer nicht geringen 
Anzahl ländlicher Distrikte wi‘geii der s]>iirlieheii Ausrüstung mit Aerzten und 
Mangelhaftigkeit der Verkehrsmittel ärztliche Hülfe bei Geburten eutw^eder 
üijerhaupt nicht, oder nicht immer rechtzeitig beschaftt werden könne. In 
F(»lge dessen ist den Hebammen nach wie vor in Aiisiiahmefällen das Eingehen 
in die Gebärmutter zur Vornahme der Wendung und zur Herausholung der 
Nachgeburt unter gewissen Bedingungen gestattet. 

Wendung (auf einen Euss) darf nur bei Querlage in folgenden drei 
Fällen von der Ib bamme vorg(mommen werdem: 

1. wenn diescllie nach vollständiger Erweiterung do.s Muttermundes aus 
dem Bilhilden der (lubäreiideii, insbesondere aus der Bvsciiarfcnheit der Weben 
erkennt, dass durch das Warten auf das Eintreffen des Arztes Gefahr IXlr das 
Leben der Gebärenden erwäclist; 

2. wenn innerhalb G Stunden nach der vollständigen Erweiterung des 
Muttermumles ärztliche Hülfe Voraussichtlicli nicht eintretteu kann; 

3. bei Querlage eines zweiten Zwillings, wenn nach dem Blasensprunge 
die Schulter tiefer herunter tritt und alsbaldige ärztliche Hülfe nicht zu er¬ 
warten stellt. 

Meines Erachtens hätte bei 1 u. 2 als Bedingung hinziigefügt werden sollen: 
„b(d günstigen BeckeiiverhältnisseiH, da bei engem Becken auf einen guten 
Erfolg doch wohl nicht zu rechnen ist. — 



Besprecbangeii. 


645 


Zur kün.itlichcn Lösung der Nachgeburt soll die Hebamme nur 
iin äussersten Nothfalle schreiten, wenn sie nicht im Stande ist, durch äussere 
Handgriffe lebensgetiihrliche Blutungen zu stillen, mögen dieselben nun ent¬ 
standen sein durch mangelhafte Zusamraenziehung der Gebärmutter, zu feste Ver¬ 
bindung der Nachgeburt mit der (iebärmutterwaud oder durch krampfhafte 
Zusammenziehuug der letzteren. Stets aber sollen Bespülungen der äusseren 
Geschleclitstheile und der Scheide mittelst warmen Karbolwassers, — niemals 
mit blossem Wasser, — und gründliche vorschriftsmässigc Desinfektion der Hände 
und des Ansatzrobres vorausgehcn. In gleicher Weise hat sie bei gefahr¬ 
drohendem Ansammeln von Blutklumpen in der Gebärmutter ru verfahren. Auch 
zum Zwecke der Scheidentampunade und der nothwendigen inneren Untersuchung 
darf die Hebamme in die Scheide eingeheii. Jedoch soll letzteres möglichst be¬ 
schränkt und das Hauptgewicht auf die äussere Untersuchung gelegt werden. 
Aus diesem Grunde soll auch die Nachgeburt unter gewöhnlichen Verhältnissen 
nicht mehr, wie bisher manuell aus der Scheide herausgeholt, sondern durch den 
äusseren Handgriff exiu imirt w^erdeu. Letzteres Verfahren findet auch in hiesiger 
Anstalt Anwendung mit dem vorzüglichsten Erfolge. — 

Stets soll sich die Hebamme aber der grossen Verantwortung, welche sic 
mit solchem selhststäudigen Eingreifen übernimmt, bewusst bleiben und niemals 
versäumen, zur rechten Zeit den Arzt herbeizurufen. — 

Die Unterbindung der Nabelschnur soll abweichend von der 
früheren Vorschrift stets doppelt geschehen, ein sehr zweckmässiges Verfahren, 
wodurch eine starke blutige Verunreinigung der Unterlage und im Falle von 
noch theilweise festhaftender Placenta auch Nachblutungen vermieden werden. 

Gänzlich neu ist die Vorschrift, dass den Neugeborenen zur Vermeidung 
von Augenentzündungen 2 Tropfen einer 2 ^’/o Höllensteinlösung sofort nach der 
(icburt in die Bindehaut der Augen eingetröpfelt werden sollen, ein Verfahren, 
welches auf Anordnung des Herrn Ministers in den Preussischen Hebainmen- 
Lebranstalten schon seit Jahren probe^veise mit gutem Erfolge ausgeführt wurde 
Die vorgeschriebene Antise ptik bei der Geburt und im Wochenbett 
zur Verhütung des Wochenbettfiebers schliesst sich in allen Theilen genau an die 
Verordnung vom 22. November 1888 an; nur wird statt des bisher gebränch- 
lichen Karbolöls die Verwendung von Vaselin vorgeschrieben. 

Die Anordnung des Stoffes hat der Natur der Sache nach im 
Wesentlichen Veränderungen nicht erfahren. Nur sind abweichend von dem 
früheren Lehrbuche die 3 Tbeile, welche über die unregelmässigen Kindesl^en, 
die unregelmässige Haltung des Kindes und die mehrfache Geburt handeln, direkt 
der regelmässigen (iebiirt etc. angeschlossen und vor dem Kapitel über den un¬ 
regelmässigen Verlauf der Schwangerschaft abgehandelt. — Das Werk enthält 
10 Theile nebst 2 Anhängen: 

Der 1. Theil behandelt nur kurz den Bau und die Verrichtungen des 
menschlichen Küriiers, dagegen eingehend das weibliche Becken und die weib¬ 
lichen (Tcschlechtstheile. 


Der II. Tbtdl enthält in 3 Abschnitten die Lehre von der regelmässigen 
Schwangerschaft, der Geburt und dem Wochenbette, sowie dem Verhalten der 
Hebammen dabei. 

Im III. Theile folgen die unregelmässigen Kindeslagen; 

Der IV, Theile die unregelmässigen Haltungen des Kindes. 

„ V. Theil handelt von der mehrfachen Geburt; 

„ VI. „ von dem unregelmässigen Verlaufe der Schwangerschaft. 

„ VH. „ lehrt die Erkrankungen der Frucht und die Fehler der 

Eitheilc. 

„ VIII. „ behandelt den unregelmässigen Verlauf der Geburt. 

„ IX. „ Ijespricht die Erkrankungen der Wöchnerinnen und 

„ X. „ die Erkrankungen der Neugeborenen. 

Im ersten Anhänge werden einige Hülfeleistungen der Hebammen 
abgehandelt. Neu hinzugetiigt sind di(isen die Hülfeleistungen bei plötzlichen Un¬ 
glücksfällen, nämlich die Wiederbelebung von Erstickten, Erhängten, Erfrorenen und 
Ertrunkenen, sowie die erste Behandlung bei Vergiftungen, Verbrennungen und 
Blutungen an äusseren Tlieilen; eine sehr zweckdienliche Belehrung, namentlich 
für die Lamlhebammen, da letztere in häufigen Fällen zu derartigen Hülfe- 
leistUDgen herbeigerufen werden. 



646 


Besprechimgeii. 


Im zweiten Anhänge befindet sich die Instruktion für die Hebammen 
des Königreichs Preossen, ein Schema für das Tagebuch, allgemeine Verffigungeti 
über das Hebammenwesen und der Hebammen - Eid. 

Fast sämmtliche Abschnitte haben eine erhebliche Abkürzung ihres In¬ 
haltes erfahren, so dass trotz des grösseren Druckes und der zahlreichen Ab¬ 
bildungen im Texte (43) die Seitenzahl um 34 vermindert ist. Mit trefflicher 
Präzision und klassischer Kürze sind die einzelnen Kapitel abgehandelt, ohne 
dass die Klarheit der Ausdrucks weise für das Verständniss von Personen mit 
einem Bildungsgrade, wie ihn die Hebammen und Hebammen-Lehrtöchter im 
Allgemeinen zeigen, darunter gelitten hat, oder das Material im Einzelnen dem 
Zwecke entsprechend zu kurz gekommen ist. Ausser den Eingangs schon er¬ 
wähnten Abänderungen hat die Beschreibung des Beckens eine wesentliche 
und zweckmässige Aenderung erfahren. Am grossen Becken sind die drei Durch¬ 
messer mit Hinzufügung der Weichtheile angegeben, nämlich der grade (conjugata 
externa) und die beiden queren, zwischen den beiden vorderen Darmbeinstacheln 
und den grössten Ausbiegungen der Darmbeinkämine. Dieselben haben einen 
grossen praktischen Werth, da sie eine ungefähre Beurtheilung der Becken- 
BeschatTenheit ermöglichen, gegenüber den weniger praktischen Nutzen gew^ährenden 
früheren Angaben am nackten Becken. Diese Art der äusseren Beckenmessung 
ist vom Unterzeichneten in der von ihm geleiteten hiesigen Hebammen - Lehr¬ 
anstalt schon seit Jahren mit den Lchrtöchteru erfolgreich eingeübt worden. 
Nur müsste konsequenter Weise auch zu dem Instrumentarium einer Hebamme 
noch der Bandelocque'sche Beckenmesser hiuzugofügt werden. Von den 
Dnrehmessern des kleinen Beckens sind nur diejenigen des Bccken-Ein-und-Aus¬ 
gangs beibehaltcn, dagegen diejenigen der Becken-Mitte imd -Enge fortgefallen, 
da sie auch faktisch für die Hebammen eine besondere praktische Bedeutung 
nicht haben. 

Besonders fasslicher, kürzer und dadurch dem Verständnisse der 
Hebammen mehr angepasst sind die Abhaudlungen über die Wehen und den 
(iebnrtsraochanismus und zwar letzteren sowohl bei regelmässigen und besonders 
auch bei regelwidrigen Lagen und Haltungen des Kindes, welche durch ihre 
bisher schwer verständliche Darstellung für den Hebainmlehrer stets eiu wahres 
Kreuz waren und von den Lehrtöchtem doch nur gelernt wurden, um recht bald 
wieder vergessen zu werden, wovon sich die Herren Physiker bei den Nach¬ 
prüfungen der Hebammen häufig genug überzeugt haben werden. 

Bei den Vorschriften über die künstliche Ernährung des Kindes 
hat nur solche mittelst gekochter Kuhmilch eine kurze Berücksichtigung gefunden, 
während eine Belehrung über Sterilisirung und Auftewahrung derselben mittelst 
des Soxhlet’shcn Verfahrens, sowie über andere künstliche Nährmittel unter¬ 
blieben ist. Die Hebamme wird in dieser Beziehung auf den Arzt verwiesen, 
indem es im §. 175 des Lehrbuches heisst: „Von der Empfehlung anderer Nähr¬ 
mittel für Kinder in den ersten Lebensmonateu soll die Hebamme sich fern¬ 
halten. Darüber darf nur der Arzt bestimmen.“ Aus verschiedenen Gründen 
bat dieser Satz allerdings eine gewisse Berechtigung. Da jedoch heutigen Tages 
auch unter der ärmeren Bevölkerung der Städte und des platten Landes die 
künstliche Ernährung der Kinder leider mehr und mehr an der Tagesordnung ist 
und ein Arzt wegen der erheblichen Kosten und oft grossen Entfernungen nicht 
immer befragt wird oder werden kann, so wäre eine eingehendere Behandlung 
dieser Frage, insbesondere der künstlichen Ersatzmittel, Kindormehle etc., hier 
doch wohl am Platze gewesen. 

Bei der Behandlung des Scheintodes des Neugeborenen sind fto 
die Einleitung der künstlichen Athmung nur mehr zwei Methoden angegeben: Die 
wagerechte Schwenkung des Kindes im Bade und die Schul tz ’schen Schwingungen, 
letztere durch zwei Abbildungen erläutert. Dss Rollen des Kindes von der 
Seitenlage in die Brustlage mit unterstütztem Brustkörbe ist fortgefallen und 
zwar mit Recht, da ich einen wesentlichen Nutzen davon niemals gesehen habe, 
nachdem die beiden erstgenannten Prozeduren erfolglos angewendet waren. — 

Eine bedeutende Verbesserung hat das Buch schliesslich noch erhalten 
durch die erhebliche Vermehrung von recht instruktiven Holzschnitten (43 gegen 9), 
von welchen die Figuren 1, 2, 14, 17, 26, 27, 28, 34 Kopien sind der Zeich¬ 
nungen im Lehrbuche der Hebammenkunst von B. S. Schnitze, deren Be¬ 
nutzung Herr Geh. Hofrath Schnitze in dankenswerther Weise gestattet hatte. 

Ein alphabetisches Register bildet den Schluss des Budies, das an Ueber- 



Besprechungen. 


647 


sichtlichkeit und Klarheit Nichts zu wünschen übrig lässt nnd dadurch einen 
grossen Fortschritt nnd bedeutende Erleichterung für Lehrer nnd Lernende 
bedeutet. 

Die Ausstattung des Buches ist eine vorzügliche und der Preis (3,50 H. 
gebunden in Partien bezogen) ein mässiger*). 

Kreisphys. u. San.-Bath Dr. Georg*Paderborn. 


Or. Shibata: Geburtshälfliche Taschenphantome. Hit 
einer Voirede von Prof. Dr. Franz Winkel. Mit sieben Text- 
Illustrationen und zwei in allen Gelenken beweglichen Früchten. 
Zweite vielfach vermehrte Auflage. München, 1892. Verlag 
von J. F. Lehmann. 

Wir verweisen auf das Referat in der November-Nummer 21, 1891 
dieser Zeitschrift. Das Büchlein hat sämmtliche Vorschläge, die der Zeit von 
uns gemacht sind, in der neuen Auflage berücksichtigt und an Brauchbarkeit 
sehr gewonnen. Möge dasselbe hierdurch nochmals den Medizinalbeamten 
namentlich als Hülfsmittel bei den Hebammenprüfungen empfohlen werden. Das 
rasche Vergriffensein der ersten Auflage spricht gewiss für die praktische Ver¬ 
wendbarkeit. Dr. Overkamp-Warendorf. 


Dr. 0. SchäfTer, Assistent an der Frauenklinik in München: Der 
Geburtsakt, dargestellt in 98 Tafeln. I. Band der medizini¬ 
schen Taschen-Atlanten. München und Leipzig 1892. 
Verlag von J. F. Lehmann. 

Durch eine Reihe schematischer, farbiger Bilder werden dem Arzte, dem 
Studirenden nnd der Hebammenschülerin die einzelnen Geburtslagen und ihre 
Entwickelungen zur Darstellung gebracht, die mit einer kurzen Erläuterung ver¬ 
sehen sind. Die Arbeit des Verfassers ist als eine wohlgclungene zu be¬ 
trachten nnd dürfte ihren Zweck durchaus erfüllen. Namentlich verständlich 
durch die Abbildungen sind die Uebergänge der einzelnen Lagen in eine andere, 
der Vorderscheitelstellung, der Stirn- und Gesichtslage aus der Schädellagc, weiter 
die Entwickelung der Schieflage und Steisslage. An diese anschliessend finden 
sich die gebnrtsbttlflichen Eingrifle von derDammnnterstütznng, der Lösung der 
Nabelschnur, dem Herausdrücken der Nachgeburt bis zur Anlegung der Zange 
nnd der innem und äussem Wendung. 

Das Taschenphatom von Shibata lässt die Zeichnungen körperlich 
deutlich machen und kann zur Ei^änznng dienen. Die Schäffer’schen Zeich¬ 
nungen werden, wie das Shibata’sche Buch bei den Medizinalbeamten, ein 
willkommenes Hülfsmittel bei den Hebammenprüfnngen sein. Ders. 


Or. L Sonderegger: Vorposten der Gesundheitspflege. 

Vierte Auflage. Berlin. Verlag von Julius Springer, 1892. 

Ein aussergewöhnliches Buchl Bestimmt, dem (Jcbildeten Achtung vor 
der wissenschaftlichen Auffassung des Lebens einznflössen, ihm ein Führer auf 
gesundheitlichem Gebiete zu sein, sollte das Werk im Besitze jeden Hygienikers 
nnd Arztes sein. In klassischer Weise werden uns die Ergebnisse der 
Forschung auf dem Gebiete der Gesnndheitslehre vorgeführt. Die Darstellung 


*) Dieser Ansicht kann der Unterzeichnete nicht beipflichten; im (3tegen- 
theil, der Preis des Buches muss mit Rücksicht darauf, dass der Absatz einer 
Auflage von über 20 (XK) Exemplaren in kurzer Zeit gesichert ist, als ein ver- 
hältnissmässig hoher bezeichnet werden. Das Lehrbuch hätte, auch gebunden, recht 
gut um ein Drittel billiger geliefert werden können, wodurch seine Anschaffung 
den Hebammen bezw. den Gemeinden wesentlich erleichtert wäre. Dasselbe gilt 
betreffs des Preises für das Hebammen-Tagebuch, den die Verlagsbuch¬ 
handlung auf 1,50 Mark festgesetzt hat. Von der hiesigen Buohdruckerei 
J. C. C. Bruns wird genau dasselbe Tagebuch in gleicher Stärke nnd in 
gleichem Einband für 1,00 Mark, also um ein Drittel biUiger, geliefert. Rpd. 



648 


Ta^esnachrichten. 


ist gewürzt mit klassischen Zitaten und launigen Bemerkungen. Sie zeugt von 
reicher Erfahrung des Lebens überhaupt und des ärztlichen Berufes insbesondere. 
Es gehört das Buch zu denjenigen, bei dessen Lesen man ungern gest*"»rt sein 
will. — Die Eintheilung ist: A. Lebeiisbedingungen: Luft, Wasser, Nahrung, 
Denussmitt«], Schlaf, Kleidung, Wohnung, Boden. B Gesundes Leben: Kinder, 
Schule, Lebenslauf, Volksgesundlieitsptloge. 0. Krankes Loben: Krankoupfltgf, 
Irrenpflege, Samariterdienst, Volkskrankheiten, Aerzte und Kurpfuscher. 

Die Ausstattung des Buclios ist eine gute. Ein alphabetisches Register 
erleichtert das Auffinden des reichen interessanten Inhalts. 

Ders. 


Tagesnachrichten. 

Cholera« In Deutschland ist die Cholera als endgültig erloschen an¬ 
zusehen, Die angeordneten Vorsichtsmassrogeln sind nunmehr überall ausser 
Kraft gesetzt, auch die vom Reiche angeordm‘te sanität.spolizoiliche Ueberwachung 
in den Stromgebieten der Elbe, Oder, Weichsel und des Rheines ist fast überall 
eingestellt worden. Wie gross die Thätigkeit der betrefiVuideu ärztlichen 
Schiflakontrolstationen gewesen ist, geht ans den im Rcichsanzeiger jüngst ver- 
öfTcntlic ten Zusammenstellungen hervor. Darnach sind z. B. im Stromgebiet der 
Elbe während der Zeit vom 18. September bis 29. November 57 108 Schifte und 
Flösse revidirt, 32881 Schifte und Flösse desinfizirt, 205954 Personen untersucht. 
11 choleraverdächtige Erkrankungen ermittelt und 108 Choleraerkrankungen 
festgestellt. Im Stromgebiet der Oder stellte sich während der Ueberwacbiings- 
zeit vom 25. September bis 27. November die Zahl der revidirten bezw\ <les- 
iufizirten Schiffe und Flösse auf 81985 bezw. 15989, diejenige der untersuchten 
Personen auf 110 994; dabei wurden 6 choleraverdächtige Erkrankungen und 
11 Cholerafälle festgestcllt. 

Die bereits vor einiger Zeit angekündigte, im Reiclisamto des Innern ans- 
gearbeitete Denkschrift über die Cholera-Epidemie ist jetzt dem 
Reichstage vorgelegt Dieselbe giebt eine ersOiöpfende Uebersiclit Uber Ent¬ 
stehung, Umfang und Abwehr der Seuche und ztjrfällt in drei Tiieile: Entwick¬ 
lung und Ausbreitung der Epidemie, Massimhraen gegen die Cholera sowie Ein¬ 
fluss der Cholera - Epidemie auf die Verkehrsbeziehungen zum Auslände. Wir 
werden in einer der nächsten Nummern auf diese Denkschrift noch ausführlich 
zurückkommen. 

In Oesterreich sind nur noch einige Erkrankungen (7) im Beziik 
Husiatyn (Galizien) vorgekommen, ln Budapest ist die Seuche fast völlig 
erloschen; die Zahl der Erkrankungen betrug in den Wochen vom 20—26. Novhr, 
und 27. November bis 3, Dezember nur 87 bezw. 16 mit 13 bezw. 7 Todes¬ 
fällen, seitdem schwankte die tägliche Erkraiikungszifter zwischen 0—2 Er¬ 
krankungen. In Kroatien, Slavonieu und Serbien sind ebenso wie in 
den früheren Wochen nur vereinzelte (Üiolerafälle vorgi*koinnion. 

In Russland scheint die Cholera bes nders in den südwestlich gelegenen 
Gouvernements Cherson, Bessarabien, Kiew und Podolien noch immer zuzunehmen, 
während in den westlichen Gouvernements Siedlec, Radom, Plok, Kielce und 
Warschau auch in den letzten Wochen noch eine weitere Abnahme der Seuche 
stattgefunden hat. 


Der heutigen Nummer ist Titel und Iiihaltsverzeiehniss für die Bei¬ 
lage der Zeitschrift beigefügt. Titel und Inhaltsverzeichuiss für die Haupt¬ 
nummer der Zeirsclirift werden der nächsten, am 1. Januar 1898 erscheinenden 
Nummer heigegeben werden. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. liapmund, Reg.-u. Med.-Rath i. Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Bnchdruckcrei, Minden.